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Full text of "Religion und Kultus der Römer"

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Received    (Otst'     ^^  190  If, 


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HANDBUCH 

DER 

KLASSISCHEN 

AETERTUMS-WISSENSCHAIT 

in  systematischer  Darstellung 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  Geschichte  und  Methodik  der  einzelnen 

Disziplinen. 


In  Verbindung  mit  Gymn.-Rektor  Dr.  Autenrieth  f  (Nürnberg),  Prof.  Dr.  Ad. 
Bauer  (Graz),  Prof.  Dr.  Blass  (Halle),  Prof.  Dr.  Brug^mann  (Leipzig),  Prof.  Dr. 
Busolt  (Kiel),  Prof.  Dr.  v.  Christ  (München),  Prof.  Dr.  Leop.  Cohn  (Breslau), 
Prof.  H.  Gleditsch  (Berlin),  Prof.  Dr.  0.  Gruppe  (Berlin),  Prof.  Dr.  Günther 
(München),  Gymn.-Kektor  C.  Hammer  (Würzburg),  Prof.  Dr.  Heerdegen  (Er- 
langen), Prof.  Dr.  Hommel  (München),  Prof.  Dr.  Hübner  f  (Berlin),  Prof.  Dr. 
Judeich  (Erlangen),  Prof.  Dr.  Jul.  Jung  (Prag),  Prof.  Dr.  Krumbacher 
(München),  Prof.  Dr.  Larfeld  (Remscheid),  Dr.  LoUing  f  (Athen),  Prof.  Dr. 
Niese  (Marburg),  Prof.  Dr.  Nissen  (Bonn),  Prof.  Dr.  Oberhummer  (München), 
Priv.-Doz.  Dr.  Ohmichen  (München),  Prof.  Dr.  Pöhlmann  (München),  Gymn.- 
Dir.  Dr.  0.  Richter  (Berlin),  Prof.  Dr.  M.  von  Schanz  (Würzburg),  Prof.  Dr. 
Schiller  (Leipzig),  Gymn.-Dir.  Schmalz  (Rastatt),  Prof.  Dr.  Sittl  f  (Würzburg), 
Prof.  Dr.  F.  Stengel  (Berlin),  Prof.  Dr.  Stolz  (Innsbruck),  Prof.  Dr.  ünger 
(Würzburg),  Prof.  Dr.  v.  ürlichs  f  (Würzburg),  Prof.  Dr.  Moritz  Voigt 
(Leipzig),    Gymn.-Dir.  Dr.  Volkmann  f  (Jauer),   Prof.  Dr.  Windelband 

(Strassburg),  Prof.  Dr.  Wissowa  (Halle) 

herausgegeben  von 

Dr.  Iwan  von  Müller, 

ord.  Prof.  der  klassischen  Philologie  in  München. 


*■•■» 


Fünfter  Band,  Vierte  Abteilung. 

Eeligion  und  Kultus  der  Römer. 


K>cOf^B>fK3>Oo. 


MÜNCHEN  190S 
C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

OSKAR  BECK 


1191 


0 


RELIGION  UND  KULTUS 


DER  RÖMER 


Von 


DR.  GEORG  WISSOWA 

OBD.  PAOFEdSOB  AN  DER  UNIVEBSITIT  HALLE 


MÜNCHEN  1902 
C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG 

OSKAR  BECK 


OCT  4     1904 


/• 

Alle  Rechte  vorbehAlteo. 


0.  H.  Beok'sohe  Buchdmekerti  in  Nördlingan. 


THEODOR  MOMMSEN 


IN  VEREHRUNG  UND  DANKBARKEIT 


ZUGEEIGNET 


Vorwort. 


Als  im  Jahre  1887  nach  dem  frühen  Tode  AuGUST  Eeiffer- 
8CHEIDS  an  mich  die  Aufforderung  herantrat,  an  seiner  Stelle  die  Be- 
arbeitung der  römischen  Religion  für  dieses  Handbuch  zu  übernehmen, 
wurde  es  mir  nicht  ganz  leicht,  mich  zur  Zusage  zu  entschUessen. 
Denn  so  sehr  mich  auch  damals  schon  die  Probleme  der  römischen 
Religionsgeschichte  gefesselt  hielten,  so  schreckte  mich  doch  die  Form 
des  Handbuchs  mit  seiner  Nötigung  zum  dogmatischen  Lehrvortrage 
und  zur  gleichmässigen  Behandlung  aller  Abschnitte,  wobei  notwendig 
auf  der  einen  Seite  vielfach  Bekanntes  und  Anerkanntes  wiederholt, 
auf  der  anderen  Neues  und  Bestrittenes  ohne  die  Möglichkeit  er- 
schöpfender Beweisführung  aufgestellt  werden  musste ;  ich  hatte  viel- 
mehr an  eine  längere  Reihe  monographischer  Untersuchungen  gedacht, 
in  denen  ich  —  etwa  in  der  Weise,  wie  ich  es  in  meinen  Abhand- 
lungen über  die  Penaten  und  über  die  di  indigetes  gethan  habe  — 
die  Kernfragen  der  römischen  Religion  und  des  römischen  Sacralrechts 
in  meinem  Sinne  zu  erörtern  beabsichtigte.  Wenn  ich  mich  schliess- 
lich doch  für  die  Übernahme  der  Aufgabe  entschieden  habe,  so  waren 
dafür  ausser  Rücksichten  der  Pietät  gegen  meinen  Lehrer  Reifper- 
SCHFID  zwei  Erwägungen  massgebend:  einmal  dass  sich  die  Probe  auf 
die  Richtigkeit  einer  Grundauffassung  nur  machen  lässt  durch  den 
Versuch  ihrer  Durchführung  an  allen  Einzelfragen  und  an  allen  Teilen 
des  gesamten  Forschungsgebietes,  sodann  dass  die  Hoffnung,  Mit- 
arbeiter für  die  Lösung  dieser  mir  am  Herzen  liegenden  Aufgaben  zu 
gewinnen,  nur  dann  Aussicht  auf  Erfüllung  haben  konnte,  wenn  einer 
das  Gebäude  der  römischen  Religion  im  ganzen  zu  reconstruieren 
wagte,  um  einerseits  klarzustellen,  inwieweit  Fundamente  und  Bauriss 
noch  deutlich  zu  erkennen  sind,  andererseits  eben  durch  die  not- 
wendigen Mängel  und  Lücken  seiner  Wiederherstellung  die  bessernde 
und  ergänzende  Thätigkeit  anderer  hervorzurufen.  Von  der  An- 
massung,  etwas  Abschliessendes  geleistet  zu  haben,  weiss  ich  mich 
frei,  viel  eher  habe  ich  den  Ehrgeiz,  dass  meine  Darstellung  als  An- 


VIII  Vorwort. 

fang  und  Anr^ung  zu  einer  lebhafteren  wissenschaftlichen  Arbeit  auf 
diesem  seit  Jahrzehnten  ungebührlich  vernachlässigten  Forschungsfelde 
sich  bewähre:  ob  diese  Arbeit  meine  Ergebnisse  bestätigt  und  weiter- 
führt oder  niederreisst  und  durch  andre  ersetzt,  mag  mir  persönlich 
lieb  oder  leid  sein,  für  die  Sache  ist  es  gleichgiltig,  wofern  wir  nur 
über  den  Weg  des  Irrtums  der  Wahrheit  uns  nähern. 

Viele  werden  enttäuscht  sein,  wenn  sie  in  diesem  Buche  so 
manches  nicht  finden,  was  sie  erwarteten,  insbesondere  nichts  von 
„vergleichender"  Religionsbetrachtung.  Wenn  ich  in  dieser  Hinsicht 
—  zuweilen  mit  Selbstüberwindung  —  strenge  Zurückhaltung  geübt 
habe,  so  möchte  ich  die  Missdeutung  abweisen,  als  wollte  ich  eine 
Betrachtungsweise,  die  Männer  wie  W.  Mannhardt,  E.  Rohde, 
H.  UsENER  —  um  nur  die  verdienstvollsten  zu  nennen  —  zu  der 
ihrigen  gemacht  und  zum  Teil  mit  glänzendem  Erfolge  angewendet 
haben,  ignorieren  oder  verwerfen:  aber  für  die  römische  Religion  hat 
diese  Betrachtungsweise  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  in  die 
Irre  führen  müssen,  weil  sie  verfrüht  war.  Für  jede  Vergleichung 
ist  die  erste  und  unerlässliche  Vorbedingung,  dass  vorher  die  zu  ver- 
gleichenden Objecte  jedes  für  sich  nach  Eigenart  und  Beschaffenheit 
klargestellt  seien:  dieser  Forderung  ist  gerade  für  die  römische  Re- 
ligion nur  selten  genügt  worden,  indem  man  statt  der  ältesten  und 
reinsten  Form  der  Überlieferung  diejenige  heranzog,  die  die  meisten 
Vergleichspunkte  zu  bieten  schien,  und  dabei  übersah,  dass  diese 
Vergleichspunkte  nicht  auf  ursprünglicher  Ähnlichkeit,  sondern  auf 
späterer,  zum  Teil  mit  Absicht  und  Bewusstsein  vollzogener  Über- 
tragung und  Angleichung  der  verglichenen  Sagen  und  Kulte  beruhten. 
Indem  ich  überall  das  specifisoh  Römische  herauszuarbeiten  und  die 
älteste  römische  oder  latinische  Form  eines  jeden  Gottesdienstes  zu 
ermitteln  bemüht  gewesen  bin,  glaube  ich  einer  späteren  vergleichen- 
den Betrachtung  besser  gedient  zu  haben,  als  wenn  ich  durch  reich- 
liche Heranziehung  wirklicher  oder  vermeintlicher  Parallelen  aus  der 
Religion  der  Griechen  und  anderer  verwandten  Völker  zwar  vielleicht 
für  diese  oder  jene  Erscheinung  eine  ansprechende  Erklärung  ge- 
wonnen, dabei  aber  das  Hauptziel,  die  voraussetzungslose  Feststellung 
der  Thatsachen  der  römischen  Religion,  verschoben  hätte.  In  dem 
den  Kultus  behandelnden  Abschnitte  habe  ich  das  antiquarische  Detail, 
für  das  wir  ja  in  dem  MARQüARDT'schen  Handbuche  ein  durch  Voll- 


Vorwort.  IX 

standigkeit  und  Zuverlässigkeit  ausgezeichnetes  Hilfsmittel  besitzen, 
möglichst  beiseite  geschoben  und  auf  die  Hervorhebung  der  sacral- 
rechtlichen  Gesichtspunkte  den  Hauptwert  gelegt,  wobei  ich  freilich 
auf  Schritt  und  Tritt  die  Beobachtung  zu  machen  hatte,  dass  hier 
nicht  viel  weniger  als  alles  noch  zu  thun  bleibt.  Da  mir  in  diesem 
Teile  besonders  daran  gelegen  sein  musste,  den  Text  nicht  durch 
Abschweifungen  und  Erörterung  einzelner  strittiger  Punkte  zu  unter- 
brechen, habe  ich  von  dem  bequemen  Auskunftsmittel  der  Fussnoten 
einen  etwas  weitgehenden  Gebrauch  gemacht. 

Die  Drucklegung  des  Bandes,  die  zweimal  auf  längere  Zeit 
unterbrochen  werden  musste,  hat  S\  Jahre  in  Anspruch  genommen, 
wobei  es  natürlich  nicht  ohne  mancherlei  Ungleichmässigkeiten  und 
Wiederholungen  abgegangen  ist,  die  ich  milde  zu  beurteilen  bitte; 
manche  bedeutsame  Erscheinung  der  neueren  Litteratur,  wie  z.  B. 
FüBTWÄNGLERS  Gemmenwerk  und  das  Schlussheft  (I  2)  von  CüMONTS 
Mithras  kamen  erst  in  meine  Hände,  als  diejenigen  Partien,  für  die 
ich  von  ihnen  hätte  Gebrauch  machen  können,  bereits  fertig  gedruckt 
vorlagen.  So  hätte  ich  schon  jetzt  mancherlei  Nachträge  und  Berich- 
tigungen zu  machen,  aber  es  widersteht  mir,  dem  Bande  solch  ein 
Sündenregister  anzuflicken,  das  doch  in  ein  paar  Wochen  schon 
wieder  unvollständig  sein  würde.  Nur  darauf  soll  hier  hingewiesen 
werden,  dass  ich  die  falsche  Ansetzung  der  staatlichen  Anerkennung 
des  Isiskultes  S.  7  9  auf  Grund  erneuter  Prüfung  der  Frage  nachher 
S.  294  f.  berichtigt  habe,  sowie  dass  die  auf  S.  334  gegebene  Er- 
klärung der  legum  dictio  durch  die  abweichende,  auf  S.  453  A.  1  be- 
gründete zu  ersetzen  ist. 

Mein  eigener  Name  findet  sich  unter  den  Citaten  der  Anmer- 
kungen häufiger,  als  mir  selbst  angenehm  ist;  aber  da  ich  seit  dem 
Jahre  1882  in  einer  grossen  Anzahl  von  Einzelbeiträgen  die  Dar- 
legungen dieses  Bandes  vorbereitet  und  begleitet  habe,  war  es  unver- 
meidlich, auf  sie  zu  verweisen,  wenn  ich  nicht  das  ganze  in  ihnen 
gebotene  Beweismaterial  wiederholen  und  damit  dieses  Buch  über 
Gebühr  belasten  wollte.  Um  diese  Aufsätze,  die  eine  notwendige 
Ergänzung  zu  dem  vorliegenden  Buche  bilden,  aber,  soweit  sie  nicht 
längst  vergriffen  sind,  teilweise  in  Festschriften  und  Universitäts- 
programmen ein  weltentrücktes  Dasein  führen,  einem  weiteren  Kreise 
als  bisher  zugänglich  zu  machen,  werde  ich  die  wichtigsten  von  ihnen 


X  Vorwort. 

in  überarbeiteter  und  erweiterter  Gestalt  und  um  das  eine  oder  andre 
neue  Stück  vermehrt  im  Sommer  kommenden  Jahres  unter  dem  Titel 
„Gesammelte  Abhandlungen  zur  römischen  Religions-  und  Stadt- 
geschichte" im  gleichen  Verlage  neu  herausgeben. 

Das  Schlusswort  dieser  Vorrede  gehört  dem  Danke  an  die  drei 
Männer,  die  meine  Lehrer  gewesen  sind  und  auf  deren  Einfluss  auch 
die   Entstehung    dieses    Buches    zurückgeht:    ÄüGUST   Retfferscheid , 

Heinrich  Brunn,  Theodor  Mommsen.    Der  erstgenannte  würde,  das 

weiss  ich  sehr  wohl,  an  dem  Buche  keine  ungeteilte  Freude  haben, 
denn  je  tiefer  ich  in  den  Gegenstand  eingedrungen  bin,  um  so 
weiter  haben  meine  Wege  sich  von  denen  Reipferscheids  entfernt 
oder  doch  von  mancher  seiner  Lieblingsideen  abgeführt:  meine  Dank- 
barkeit gegen  ihn  aber  ist  darum  gewiss  keine  geringere,  denn  er 
hat  mir  zuerst  dieses  Arbeitsgebiet  erschlossen  und  mir  eine  Fülle 
von  Anregungen  geboten,  die,  wenn  sie  auch  mehr  in  der  Frage- 
stellung als  in  der  Lösung  sich  bewährten,  doch  nie  unfruchtbar 
waren.  HEINRICH  Brünn,  ein  Mann,  auf  den  das  Wort  oV  ovi'  aivetv 
ToTm  xaxoTtfi  ^äfiig  eigens  geprägt  scheint,  ist  mir  nicht  nur  allewege 
in  Leben  und  Wissenschaft  ein  väterlicher  Freund  und  Berater  ge- 
wesen, sondern  hat  mir  auch  sowohl  durch  seine  Schriften  als  noch 
viel  mehr  in  unvergesslichen  Gesprächen  den  Blick  geschärft  gerade 
für  die  Unterscheidung  griechischen  und  römischen  Wesens  in  Re- 
ligion und  Kunst.  Beide  Männer  sind  längst  dahingegangen;  nur 
der  dritte  weilt  noch  unter  uns,  durch  unvergängliche  Lebens-  und 
Schaffenskraft  uns  Jüngeren  wie  der  letzte  Spross  eines  stärkeren  und 
glücklicheren  Geschlechtes  erscheinend,  zu  dem  wir  in  Bewunderung 
emporsehen.  Wenn  ich  heute  dieses  Buch,  das  durch  mehr  als  ein 
Dutzend  Jahre  in  guten  und  bösen  Tagen  mein  Gefährte  und  noch 
zuletzt  in  schwerem  Unglück  mein  Trost  gewesen  ist,  in  die  Hände 
Theodor  Mommsens  lege,  so  gebe  ich  damit  nur  einen  kleinen  Teil 
dessen  zurück,  was  ich  von  ihm  empfangen  habe:  dass  ohne  MoMMSENS 
Lebenswerk,  vor  allem  ohne  das  Staatsrecht  und  den  Commentar  zum 
Festkalender,  kein  Kapitel  dieses  Buches  hätte  geschrieben  werden 
können,  wird  jeder  Sachkundige  leicht  sehen. 

Halle  (Saale),  am  Winckelmannstage  1901. 

Georg  Wissowa. 


Inhalt 


/" 


1.  Die  Quellen  . 

2.  GeschichtUcheB 


Einleitung. 


Seite 
1 

9 


Erster  Teil. 
Überblick  über  den  Entwicklungrsgrangr  der  römischen  Religrion. 

Erster  Abschnitt 
Die  Beligion  der  ältesten  Zeit  bis  snr  Erbauung  des  oapitolinisohen  Tempels. 

3.  Die  di  indigetes 15 

4.  Allgemeiner  Charakter  der  altrOmischen  Religion 20 

5.  Alter  nnd  Entstehung  der  ftltesten  Götterordnong 24 

6^  Die  Formen  der  ältesten  Crötterverehrong 28 


Zweiter  Abschnitt. 
Bis  snm  zweiten  pnnischen  Kriege. 

7.  Die  Grflndung  des  capitolinischen  Heiligtomes  and  die  gleichzeitigen  Neuemngen 

8.  Die  Erweitenmg  des  Kreises  der  römischen  Staatsgötter 

9.  Die  Aufnahme  italischer  und  griechischer  Gottheiten 

10.  Yermehnmg  der  Götter  durch  Spaltung  und  dnrch  Vergöttlichung  abstrakter  Begriffe 

11.  Die  äusseren  Formen  des  Staatskultus 

Dritter  Abschnitt. 
Bis  cum  Ausgange  der  Bepublik. 

12.  Die  Hellenisierung  des  Kultus 

13.  Litteratur  und  Wissenschaft 

14.  Verfall  der  Staatsreligion 

Vierter  Abschnitt. 
Die  Beligion  der  Kaiserseit. 

15.  Die  religiösen  Reformen  des  Augustus 

16.  Die  religiösen  Verhältnisse  in  den  beiden  ersten  Jahrhunderten  der  Kaiserzeit 

17.  Die  Zeit  der  Auflösung  seit  den  Antoninen 

18.  Das  Ende  der  römischen  Religion 

Zweiter  Teil. 
Die  Götter  der  römischen  Staatsreligrion. 

Erster  Abschnitt. 

Die  di  indigetes. 

19.  Janus 

20.  Juppiter 

21.  Juno 

22.  Gottheiten  aus  dem  Kreise  des  Juppiter 

23.  Mars     ....... 

24.  Quirinus  .... 
»ö.  Vesta 


33 
38 
42 
46 
50 


54 
58 
63 


66 
71 

78 
84 


91 
100 
113 
120 
129 
139 
141 


XII 


Inhalt. 


26.  Di  penates 

27.  Lares 

28.  Genius 

29.  Gottheiten  der  Erde  nnd  des  Landbaas 

30.  Gonsus  und  Ops 

31.  Satumns  and  Laa         .... 

32.  Faanas.    Faana.    Silvanas   . 

33.  Die  Gottheiten  des  Wassers 

34.  Volcanas  and  Maja       .... 

35.  Unterwelts-  and  TotengOtter 

36.  Sonstige  Gottheiten  des  ältesten  Kreises 

Zweiter  Abschnitt. 
Di  novenaidea  italischer  Herkunft. 

37.  Diana    .... 

38.  Minerva 

39.  Fortuna 

40.  Castor  and  Pollax 

41.  Hercales 

42.  Feronia 

43.  Vortanmus 

44.  Venus    .... 

Dritter  Abschnitt. 

Di  novenaides  griechischer  Herkunft. 

45.  Apollo   .... 

46.  CereSi  Liber  und  Libera 

47.  Mercurins 

48.  Neptunus 

49.  Aesculapius  und  Salus  . 

50.  Dis  pater  und  Proserpina 

51.  Mens     .... 

52.  Sol  und  Luna 

53.  Mater  deum  magna  Idaea 

Vierter  Abschnitt. 
XTengeschaffene  Gottheiten. 

54.  Personifikationen  abstrakter  Begriffe    .... 

55.  Dea  Roma  und  die  Divi  imperatores    .... 

Fünfter  Abschnitt. 
Sacra  peregrina. 

56.  Die  kappadokische  Mä-Bellona 

57.  Isis  und  die  Götter  Aegyptens 

58.  Die  syrischen  Gottheiten 

59.  Der  Mithrasdienst 

60.  Sonstige  Fremdkulte 

Dritter  Teil. 
Die  Formen  der  Götterverehrungr 

61.  Sacralrechtliche  Grundlagen 

62.  Die  gottesdienstlichen  Handlungen 

63.  Die  Festzeiten       .... 

64.  Die  Spiele  ... 

65.  Die  Oertlichkeiten  des  Kultus 

66.  Die  Priesterordnung 

67.  Das  Pontificalcollegium 

68.  Die  Augures         .... 

69.  Die  Quindecimviri  sacris  faciundis  und  die 

70.  Die  priesterlichen  Sodalit&ten 

Anhang  I.    Der  römische  Festkalender 
Anhang  II.    Die  römischen  Staatstempel 

Register  I.    Namen-  und  Sachregister 
Register  II.    Stellenregister 


Haruspices 


fipite 

145 

148 
154 
159 
1^". 
It* 
172 
179 
184 
187 
193 


198 
203 
206 
216 
219 
2.^1 
233 
234 


239 
242 
248 
250 
253 
255 
259 
260 
363 


271 

280 


289 
292 
299 
307 
312 


318 
344 
365 
381 
399 
410 
430 
450 
461 
475 

491 

516 

520 
533 


Einleitung. 

1.  Die  Quellen.  Entscheidender  als  auf  irgend  einem  andern  Ge- 
biete ist  auf  dem  der  römischen  Religionsforschung  die  Stellungnahme  zu 
den  Quellen  und  die  richtige  Wertung  der  Überlieferung.  Das  Eigenartige 
im  Entwicklungsgange  der  römischen  Religion  beruht  darauf,  dtfss  hier 
nicht  eine  stetig  von  innen  heraus  erfolgende  Ausgestaltung  ursprüng- 
licher Anschauungen  vorliegt,  sondern  der  normale  Entwicklungsprozess 
durchkreuzt  worden  ist  durch  den  übermächtigen  Einfluss  der  auf  ganz 
anders  geartetem  Boden  erwachsenen  griechischen  Religionsvorstellungen, 
die,  einmal  in  Rom  eingedrungen,  die  Kraft  besassen,  die  altrömische 
Religion  von  Grund  aus  umzugestalten  und  sich  zu  assimilieren.  Wenn 
J.  A.  Habtukg  (Relig.  d.  Römer  I  p.  IX)  in  einem  vielfach  citierten  Bilde 
diese  Verhältnisse  so  charakterisiert  »es  ist  ein  alter  Tempel  von  einem 
Überbaue  verhüllt  worden,  sodann  sind  beide  eingestürzt,  und  wir  haben 
nun  die  Trümmer  des  ersteren  Gebäudes  unter  dem  Schutte  des  zweiten 
hervorzugraben*^,  so  wird  er  damit  den  Schwierigkeiten  der  historischen 
Aufgabe  insofern  nicht  voll  gerecht,  als  es  mit  der  blossen  Sichtung  des 
Schutthaufens  in  Trümmer  griechischer  und  römischer  Herkunft  bei  weitem 
nicht  gethan  ist ;  oft  hat  —  um  in  dem  einmal  gewählten  Bilde  zu 
bleiben  —  bei  jenem  Überbau  die  Hand  des  neuen  Meisters  ein  ungefüges 
Werkstück  des  alten  Gebäudes  zu  einer  zierlichen  griechischen  Ornament- 
platte umgeschaffen  und  nur  ein  zufällig  stehengebliebener  Überrest  verrät 
dem  sorg&ltig  prüfenden  Auge  die  ursprüngliche  Bestimmung.  Jener 
Neubau  aber  hat  sich  in  seinen  Hauptteilen  vollzogen  in  einer  Zeit,  die 
nicht  nur  vor  der  unserer  erhaltenen  Quellen,  sondern  überhaupt  vor  dem 
Beginne  der  in  Rom  erst  spät  ins  Leben  tretenden  Litteratur  liegt.  Ist 
also  der  wesentliche  Teil  unserer  Aufgabe  die  Rekonstruktion  des  ursprüng- 
lichen Bauwerkes,  so  wird  die  Auskunft^  die  uns  unsere  Gewährsmänner 
—  gleichviel  ob  ihr  Zeugnis  im  Original  vorliegt  oder  erst  aus  den  An- 
gaben Späterer  wiedergewonnen  werden  muss  —  zu  geben  im  stände 
sind,  eine  recht  beschränkte  sein,  wertvoll  nur  in  dem  Falle,  wenn  sie 
auf  in  die  Zeiten  des  alten  Baues  zurückreichender  Überlieferung  beruht. 
Wie  sich  aber  die  alten  Gewährsmänner  ihrerseits  den  ehemaligen  Tempel- 
bau, den  sie  nicht  mehr  erlebt  haben  und  von  dem  nur  spärliche  Kunde  zu 
ihnen  gedrungen  ist,  vorgestellt  und  was  sie  über  seine  Baugeschichte  und 

EAodbaoli  der  Umb.  AltertiumnriMeiMohaft.   V.  4.  1 


Religion  und  Koltiui  der  BOmer.    SinleÜuiig. 


den  Plan  des  Baumeisters  zusammenkombiniert  haben,  das  mag  für  die  Be- 
urteilung ihres  Scharfsinnes  und  ihrer  Denkweise  von  hohem  Werte  sein, 
für  die  Sichtung  der  Trümmer  und  die  Würdigung  der  Bruchstücke  aber 
vermag  es  uns  wenig  oder  nichts  zu  helfen,  und  es  kommt  dabei  nicht  viel 
darauf  an,  ob  der  sogenannte  Zeuge,  der  sich  die  Vergangenheit  auf  seine 
Weise  zurechtlegt,  ein  ernsthafter  Forscher  oder  ein  leichtbeschwingter 
Dichter  ist.  So  selbstverständlich  und  einleuchtend  das  erscheint,  so  wenig 
pflegt  es  beachtet  zu  werden:  Ovids  frei  erfundene  oder  den  Griechen 
nacherzählte  cuxta  gelten  als  italische  Mythen,  Varros  Konstruktionen  der 
Oöttersysteme  des  Evander,  Romulus,  Titus  Tatius,  Numa  u.  s.  w.  werden 
wie  Überlieferung  behandelt,  aus  den  philosophisch-theologischen  Speku- 
lationen der  Verfallzeit  über  Sinn  und  Bedeutung  der  einzelnen  Götter 
hofft  man  die  geoffenbarten  Grunddogmen  der  römischen  oder  italischen 
Religion  herausmünzen  zu  können,  und  schliesslich  gibt  all  das  zusammen 
ein  Bild,  dessen  Buntheit  für  den  Mangel  an  historischer  Wahrheit  nicht 
zu  entschädigen  vermag.  Es  scheint  darum  unerlässlich,  einen  Überblick 
über  di8  wichtigsten  Quellen  mit  kurzer  Erörterung  ihrer  Zuverlässigkeit 
und  Ergiebigkeit  vorauszuschicken. 

Weitaus  die  wichtigste  Quelle  für  die  Kenntnis  der  altrömischen 
Religion,  wie  sich  dieselbe  vor  der  Einwirkung  des  Griechentums  gestaltete, 
ist  der  römische  Festkalender,  dessen  ursprüngliche  Gestalt  sich  aus 
den  uns  in  bedeutenden  Bruchstücken  vorliegenden  Exemplaren  der  ersten 
Kaiserzeit  mit  voller  Sicherheit  herstellen  lässt.  Wir  besitzen  aus  der 
Zeit  etwa  von  der  Schlacht  bei  Actium  bis  auf  Kaiser  Claudius  Fragmente 
von  rund  20  Ausfertigungen  des  stadtrömischen  Kalenders,^)  welche  —  für 
den  Gebrauch  in  Rom  oder  den  Municipien  der  benachbarten  Landschaften 
bestimmt  —  offenbar  sämtlich  auf  dasselbe  officielle  Exemplar  zurückgehen 
und  sich  gegenseitig  zu  einem  fast  lückenlosen  Bilde  des  römischen  Kirchen- 
jahres ergänzen.  Mit  unverkennbarer  Deutlichkeit  heben  sich  auf  jedem 
Exemplare  schon  durch  die  Dimensionen  der  Buchstaben  zwei  Gattungen 
von  Aufzeichnungen  von  einander  ab:  in  grossen  Schriftzügen  und  einem 
mit  geringen  Abweichungen  überall  in  gleicher  Weise  durchgeführten 
Systeme  von  Abkürzungen  geben  die  Kalender  a)  die  Nundinalbuchstaben, 
b)  die  den  rechtlichen  Charakter  des  Tages  als  Fest-  oder  Werktag  be- 
zeichnenden Siglen,  c)  (zwischen  a  und  b  eingereiht)  die  Namen  der  Tage, 
soweit  denselben  solche  zukommen,  nämlich  die  Benennungen  Kalendae 
Nonae  Idus  und  die  Namen  von  45  ständigen  Staatsfesten  (fet-iae  publicae) ; 
in  kleinerer  Schrift  treten  dann  eine  Reihe  weiterer  Notizen  hinzu,  deren 
Bestand  und  Fassung  in  den  verschiedenen  Kalendern  viel  mehr  variiert, 
nämlich  d)  für  die  nicht  benannten  Tage  die  Ziffern  des  Abstandes  von 
den  nächstfolgenden  Kalendae,  Nonae,  Idus;  e)  Bemerkungen  über  Ein- 


')  Bei  MoMMSEN  CIL  I*  p.  205  ff.  in 
folgender  (m.  E.  nicht  Überall  begründeter) 
chronologischer  Anordnung:  I  Esquilini.  II 
Caeretani.  III  Arvalium.  IV  Tusculani.  V  AI- 
lifani.  VI  Pinciani.  VII  Sabini.  VIII  Venu- 
Bini.    IX   Maffeiani.    X   Feriale    Cumanum. 


XI  Praenestini.  XII  Vallenaes.  XI II  Panüni. 
XIVVaticani.  XV  Amitemini.  XVIPighiani. 
XVII  Antiates.  XVIII  Famesiani.  XIX  Frag- 
menta  minora.  XX  Guidizzolenses.  Nene 
Bruchstücke  aus  Rom  Bull.  aroh.  com.  XXII 
1894,  221  ff.  XXIU  1895>  126  f. 


1.  Die  Qaellen,  3 

Setzung  und  Anlass  der  in  caesarisch-augusteischer  Zeit  dem  Jahre  neu 
eingefügten  feriae;  f)  Bemerkungen  über  die  Zugehörigkeit  der  feriae  der 
alten  Ordnung  (c)  zu  bestimmten  Göttern,  in  der  Form  z.  B.  feriae  lovi; 
g)  Angabe  der  sacrißcia,  epuUie,  ludi  (auch  der  mercatus);  die  scu^rificia, 
d.  h.  die  in  jeder  aedes  publica  alljährlich  am  Tage  ihrer  Dedication  dar- 
gebrachten Opfer,  werden  verzeichnet  mit  Angabe  des  Qottes  im  Dativ 
und  Angabe  der  Örtlichkeit,  z.  B.  lano  ad  theatrum  MarceUi;  h)  verein- 
zelte astronomische  Bemerkungen;  i)  zuweilen  kommentierende  Notizen 
über  Bedeutung  und  Anlass  der  Festnamen,  Sinn  der  Siglen  u.  s.  w.  Es 
ist  das  hohe  Verdienst  Th.  Mommsens  nachgewiesen  zu  haben  (CIL  P 
p.  361  ff.  =  I^  p.  283  ff.),  dass  wir  in  den  mit  grossen  Schriftzügen  aus- 
geführten Angaben  der  erstgenannten  Art  die  älteste  römische  Kalender- 
aufzeichnung besitzen,  wie  sie  den  Römern  selbst  für  die  Jahresordnung 
des  Numa  galt  und  während  der  gesamten  Zeit  der  Republik  bis  auf 
G.  Julius  Caesar  ohne  jede  Abänderung  bestanden  hat.  Aber  auch  die 
Notizen  der  zweiten  Art  sind  von  hoher  Wichtigkeit,  indem  sie  uns,  wenn 
auch  nicht  mit  so  unbedingter  Vollständigkeit  und  Authenticität,  von  den 
in  republikanischer  Zeit  eingesetzten  Spielen,  Festf eiern  und  Tempel- 
gründungen Nachricht  geben  (g).  Die  Angaben  über  die  als  feriae  be- 
gangenen Gedenktage  der  caesarisch-augusteischen  Zeit  (e)  erhalten  eine 
besondre  Erläuterung  durch  ein  erhaltenes  Beispiel  eines  ausserrömischen 
Kalenders,  das  sog.  feriale  Cumanum  (CIL  X  8375;  vgl.  dazu  Mohmsen, 
Hermes  XVII  631  ff.),  welches  nur  die  Festtage  des  Augustustempels  zu 
Cumae  umfasst.  Wichtige  Zeugen  für  die  Zeiten  des  ausgehenden  Heiden- 
tums sind  drei  Kaiendarien  des  4.  bezw.  5.  Jahrhunderts,  zwei  handschrift- 
liche, das  des  Furius  Dionysius  Philocalus  vom  J.  354  n.  Chr.  und  das  des 
Polemius  Silvius  vom  J.  448/9,^)  und  ein  inschriftliches  Festverzeichnis 
für  Capua  und  die  Provinz  Campanien  vom  22.  November  387  n.  Chr. 
(CIL  X  3792).  So  führen  uns  die  verschiedenen  Gestaltungen  des  römi- 
schen Festkalenders,  wie  sie  uns  in  authentischen  Urkunden  vorliegen, 
durch  die  ganze  Geschichte  der  römischen  Religion  von  der  ältesten  Zeit 
bis  zu  ihrem  Untergänge.  Das  was  sie  uns  geben  und  worauf  ihr  Wert 
beruht,  ist  die  grosse  Menge  von  sakralen  Thatsachen,  deren  Bedeutung 
und  Zusammenhang  zu  erschliessen  erst  Aufgabe  der  Kombination  ist. 
Schon  die  Forschungen  der  alten  Gelehrten  über  die  Geschichte  ihrer 
heimischen  Religion  knüpfen  zum  Teil  ausgesprochnermassen  an  den  Fest- 
kalender an,  und  es  gab  eine  reiche  Litteratur  de  fastis  (vgl.  Teuffbl- 
ScHWABE,  Rom.  Litt.Gesch.  §  74,  4),  aus  der  uns  recht  erhebliche  Nieder- 
schläge noch  erhalten  sind:  die  Erörterung  der  römischen  Festnamen  bei 
Varro  de  1. 1.  VI  12  ff.,  die  auf  Verrius  Flaccus  zurückgehenden  erklärenden 
Anmerkungen  der  praenestinischen  Fasten,  die  insbesondre  auf  Varro  und 
Verrius  Flaccus  beruhende  Darstellung  der  sechs  ersten  Monate  des  römi- 
schen Jahres  in  Ovids  fasti,*)   die  bei  Macrob.  S.  I  12—16  u.  s.  erhaltenen 


^)  Zusammen  abgedruckt  CIL  V  p.  332  ff. 
=  I«  p.  254  ff. 

')  Yg].  H.  WnrTHBB,  De  faatis  Verrii 
Flacci   ab   Ovidio  adhibitis,   Diss.    Berolini 


1885;  über  Varro  als  Quelle  s.  Ch.  Hülsen, 
Varronianae  doctrinae  quaenam  in  Ovidii 
fastis  vestigia  extent,  Diss.  Berolini  1880. 
A.  ScHMEKBL,  De  Ovidiana  Pythagoreae  doc- 

1* 


Beligion  und  KnltiiB  der  BOmer.    fiinleitimg. 


Auszüge  aus  Suetons  Buche  de  anno  Romanorum,^)  ja  noch  in  spätester 
Zeit  das  4.  Buch  von  des  Johannes  Laurentius  Lydus  Schrift  negl  firjvöSi^ 
enthalten  reichen  Stoff  zur  Geschichte  des  römischen  Kultus  und  ergänzen 
vielfach  das  aus  den  Steinkalendern  gewonnene  Wissen  aufs  erwünschteste. 
Nur  darf  hier  wie  in  der  gesamten  für  unser  Oebiet  in  Betracht  kom- 
menden litterarischen  Überlieferung  niemals  die  an  sich  selbstverständ- 
liche Forderung  ausser  acht  gelassen  werden,  dass  aufs  strengste  zu 
scheiden  ist  zwischen  den  von  unsern  Oewährsmännem  beigebrachten 
Thatsachen  des  Kultus  und  der  Beligionsübung  und  dem,  was  sie  auf 
örund  dieser  Thatsachen  und  eigner  Kombination  über  Alter,  Herkunft 
und  Bedeutung  der  einzelnen  Kulte  und  Feste  feststellen  zu  können 
glauben :  die  Grenzlinie  zwischen  Überlieferung  und  Hypothese  ist  in  den 
meisten  Fällen  mit  Sicherheit  zu  ziehen.  Der  Schatz  authentischer  Nach- 
richten über  Einzelheiten  des  römischen  Rituals,  der  uns  durch  Vermitt- 
lung der  gelehrten  Litteratur  der  Alten  überkommen  ist,  ist  ein  recht 
ansehnlicher  und  noch  keineswegs  völlig  ausgebeutet:  über  Gebetsformeln 
und  rituelle  Geremonien,  über  Zulässigkeit  und  Angemessenheit  der  ein- 
zelnen Opfertiere  und  sonstigen  Opfergaben  in  den  verschiedenen  Kulten, 
über  die  Mitwirkung  der  einzelnen  Priester  auf  der  einen  und  des  Publi- 
kums auf  der  andern  Seite,  über  volkstümliche  Festbräuche  u.  a.  m.  liegen 
zuverlässige  Zeugnisse  in  solcher  Reichhaltigkeit  vor,  dass  sie  uns  nicht 
nur  einen  ziemlich  klaren  Einblick  in  die  Praxis  und  die  Organisation 
der  äusseren  Religionsübung  verstatten,  sondern  uns  auch  erlauben,  darüber 
hinaus  auf  die  Gegenstände  dieses  Kultus  und  die  ihrer  Verehrung  zu 
Grunde  liegenden  Vorstellungen  sichere  Schlüsse  zu  machen.  Solche  Nach- 
richten, die  wir  ja  gewöhnlich  erst  aus  dritter  und  vierter  Hand  erhalten, 
gehen  in  der  Hauptsache  auf  zwei  Ströme  der  Überlieferung  zurück.  Auf 
der  einen  Seite  ist  es  die  antiquarisch-historische  Litteratur,  die 
besonders  durch  Vermittlung  der  viel  gelesenen  Antiquitates  rerum  divl- 
narum  des  M.  Terentius  Varro,*)  daneben  auch  durch  Nigidius  Figulus,*) 
Verrius  Flaccus,  Julius  Hyginus  u.  a.,  auf  Gellius,  Macrobius,  die  Vergil- 
erklärer,  die  Kirchenväter,  von  Griechen  besonders  auf  Dionys  von  Hali- 
kamass^)  und  Plutarch^)  stark  eingewirkt  hat:  Urkunden  wie  die  allerdings 
dürftigen  und  stark  entstellten  Reste  des  Liedes  der  Salier,®)  die  alten  Ge- 
betsformeln {carmina)  bei  Livius  und  Macrobius,')  die  Festordnung  der  Ar- 


trinae  adumbratione,  Diss.  Oryphiswaldiae 
1885  S.  26  ff. 

*)  Vgl.  G.  WissowA,  De  Macrobii  Sa- 
turnalioniin  foDtibus  capita  tria,  Diss.  Vratis- 
laviae  1880  S.  16  ff. 

*)  Disposition  bei  Aagustin.  c.  d.  VI  3; 
FragmentsammluDg  bei  R.  Merkel,  Proleg. 
in  Ovid.  fast.  p.  CVI  ff.;  s.  auch  £.  Sohwakz, 
Jahrb.  f.  Philo!.  Suppl.Bd.  XVI  407  ff.  und 
besonders  die  Sammlung  der  Bruchstücke 
von  B.  T.  XIV.  XV.  XVI  durch  R.  Agahd, 
Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.Bd.  XXIV  1  ff. 

')  Fragmentsammlung  von  A.  Swoboda, 
Vindobonae  1889. 

*)  Vgl.  A.  EiBSSLiNO,  De  Dionysi  Bali- 


camasei  antiquitatum  auctoribus  latinis,  Dias. 
Bonn.,  Lipsiae  1858  S.  38  ff. 

^)  A.  Babth,  De  Jubae  ouoioTtjaiy  a 
Plutarcho  expressis  in  quaesüonibus  Ro- 
manis  et  in  Romulo  Numaque,  Diss.  Got- 
tingae  1876.  P.  Glaesser,  De  Varronianae 
doctrinae  apud  Plutarchum  vestigiis,  Leipz. 
Stud.  IV  1881  S.  159  ff. 

^)  CM.  Zandeb,  Carminis  saliaris  reli- 
quiae,  Lundae  1888.  Baehrens,  Fragm.  poet. 
Rom.  p.  29  ff.  B.  Maurbnbrbcher,  Carmi- 
num  saliarium  reliquiae,  Jahrb.  f.  Philol. 
SuppLBd.  XXI  315  ff. 

')  z.  B.  die  Devotionsformel  Liv.  VIII 
9,  4  ff.,  die  carmina  evocationis  et  devotioms 


1.  Die  Quellen. 


geerprozession  bei  Varro  de  1. 1.  V  45  ff.,  die  bei  den  Kirchenvätern  wieder- 
holt herangezogenen  Litaneien  der  Indigitamenta,  die  von  den  Historikern 
hin  und  wieder  im  Wortlaute  angeführten  sibyllinischen  und  sonstigen 
Orakel ')  u.  a.  stammen  aus  dieser  Überlieferung.  Auf  der  andern  Seite 
gab  es  bei  dem  engen  Zusammenhange,  in  dem  bei  den  Römern  Religion 
und  Recht  standen,  eine  reiche  juristische  Litteratur  de  iure  pontificio, 
dann  auch  über  einzelne  Zweige  des  Sakralrechtes  wie  de  auspiciis,  de 
religionibus  u.  a.,  welche  in  augusteischer  Zeit  in  den  Werken  des  Antistius 
Labeo  und  Ateius  Capito  de  iure  pontificio  eine  Art  von  Zusammenfassung 
erfahr  und  dadurch  namentlich  auf  das  uns  in  den  Auszügen  des  Festus 
und  Paulus  vorliegende  Werk  des  Verrius  Flaccus  de  verborum  significatu,^) 
dann  auch  auf  Gellius,  die  V ergilscholien  u.  a.  einwirkte:  wir  verdanken  dieser 
Litteratur  insbesondere  Zeugnisse  über  Rangordnung  und  Rechtsstellung 
der  einzelnen  Priesterschaften, ^)  über  die  verschiedenen  Gattungen  von 
heiligen  Handlungen  und  ihre  Träger,^)  über  die  bei  bestimmten  Vor- 
kommnissen erforderlichen  Opfer,  ^)  auch  wichtige  Einzelurkunden  wie 
die  über  die  Anordnung  des  Septimontium  (Fest.  p.  340.  348)  und  die  lex 
de  spoliis  opimis  (Fest.  p.  189).  In  letzter  Linie  stammen  alle  diese  An- 
gaben aus  den  Archiven  der  einzelnen  Priesterschaften:  kaum  eine  der 
letzteren  hat  ihrer  Aufzeichnungen  entbehrt,  wenn  auch  deren  Umfang 
je  nach  Bedeutung  und  Wirksamkeit  des  betreffenden  Priestertums  ver- 
schieden gewesen  sein  mag:  Mitgliederverzeichnisse,  Statuten,  Sitzungs- 
protokolle, Gebetsformulare,  Ritualvorschriften  u.  a.  m.  machten  den  In- 
halt dieser  lUnH  oder  commentarii  sacerdotum^)  aus,  die  allerdings  zum 
überwiegenden  Teile  nicht  jedermann  zugänglich  waren,  aber  doch  durch 
einzelne  schriftstellerisch  thätige  Mitglieder  der  betreffenden  Kollegien  für 
die  Öffentlichkeit  ausgezogen  wurden:  es  wird  immer  die  letzte  Aufgabe 
der  Forschung  sein,  aus  den  uns  vorliegenden  Angaben  der  späteren  Kom- 
pilatoren  über  die  von  diesen  zunächst  benützten  antiquarischen  und 
juristischen  Sammelwerke  hinaus  vorzudringen  bis  zu  jener  Urquelle,  den 
Priesterschriften,  und  deren  Rekonstruktion  zu  versuchen.^)  Je  schwieriger 
aber  bei   der  Beschaffenheit  der  durch  vielfache  Brechung  getrübten  und 


bei  Macr.  S.  III  9,  die  AnfOhningen  ans  den 
carmina  der  Fetialen  bei  Liv.  I  24.  82.  38 
(Tgl.  auch  Gell.  XVI  4,  1),  die  Fonnel  der 
Inraguration  bei  Liv.  I  18,  9  (vgl.  Varro  de 
L  1.  VII  8)  u.  a.  m. 

0  So  namentlich  die  von  H.  Dibls,  Si- 
bylliniflche  Blätter,  Berlin  1890  ins  rechte 
Ucbt  gesetzten  sibyllinischen  Orakel  bei 
Phlegon  mirab.  10  a.  macrob.  4  (=  Zosim. 
116);  die  carmina  Mareii  vatia  bei  Liv. 
XXV  12  (vgl.  Macr.  I  17,  28),  das  angeb- 
liche delphische  Orakel  bei  Liv.  V  16,  8  u.  a. 

^)  Vgl.  R.  Reitzbkstbdt,  Verrianische 
Forschungen  (Breslaa  1887)  S.  45  ff.  H.  Wil- 
LBB8.  De  Verrio  Flacco  glossarom  interprete 
(Balis  1898)  S.  10  ff. 

')  z.  B.  Fest.  p.  185  s.  Ordo  gacerdotum, 
GslL  I  12. 

*)  z.  B.  Fest  p.  157  s.  MuniHpalia  Sa- 


cra; p.  287  8.  Peregrina  sacra;  p.  245  s. 
Publica  Sacra;  p.  258  s.  PoptUaria  sacra 
u.  a.  m. 

^)  z.  B.  Fest.  p.  186  s.  Optatam  hostiam; 
p.  218  8.  Praecidanea  porca;  p.  223  B.Praeci- 
danea  agna;  p.  238  s.  Porcam  auream  und 
Propudialis  porcus;  p.  250  s.  Prodiguae  ho- 
stiae  \m^  Prtusentanea  porca;  p.  802  s.  Suc- 
cidanea  hostia  n.  a.  m. 

^)  Ueber  die  Identität  der  früher  fälsch- 
lich geschiedenen  liM  und  commentarii  vgl. 
P.  Rboell,  De  augurum  publicorum  libris, 
Diss.  Vratislayiae  1878  S.  80  ff. 

')  Ein  beachtenswerter  Versuch,  die  de 
sacerdotibus  publicis  handelnde!!  Abschnitte 
der  libri  pontifieales  wiederherzustellen,  bei 
R.  Fbtbb,  Quaestionum  pontificalium  speci- 
men,  Diss.  Argentorati  1886. 


Religion  und  Koltna  der  Römer.    Einleitung. 


verdunkelten  Überlieferung  diese  Aufgabe  ist  und  je  lückenhafter  natur- 
gemäss  das  Ergebnis  sein  muss,  von  um  so  unschätzbarerem  Werte  sind 
für  uns  Urkunden,  die  sich  als  direkt  aus  der  Praxis  des  Kultus  und 
den  Archiven  der  Staatspriester  herrührend  zu  erkennen  geben.  Inschrift- 
lich ist  mancherlei  derart  auf  uns  gekommen,  z.  B.  eine  Anzahl  von  Tempel- 
statuten (leges  templorutn)  und  analogen  Vorschriften  der  Sakralpolizei,  ^) 
Ausfertigungen  von  Verordnungen  der  Pontifices  (CIL  X  8259)  und  Quin- 
decimvirn  (CIL  X  8698),  das  Reglement  über  Rechte  und  Pflichten  des 
flamen  Augusti  der  narbonensischen  Provinz  (CIL  XII  6038),  auch  mehrere 
Bruchstücke  der  Mitgliederlisten  einzelner  Priesterschaften  aus  der  aus- 
gehenden Republik  und  der  Eaiserzeit,^)  die  für  die  frühere  Zeit,  wo 
inschriftliche  Zeugnisse  fehlen,  zum  Teil  aus  Livius  wiederhergestellt 
werden  können,')  da  die  ursprünglich  von  den  Pontifices  geführte  Stadt- 
chronik den  Personalveränderungen  in  den  höheren  Priesterstellen  ebenso 
wie  den  Tempelgründungen,  Prodigien  und  anderen  Ereignissen  sakraler 
Natur  besondre  Aufmerksamkeit  schenkte.  Aber  an  Bedeutung  und  Um- 
fang weit  über  all  diesen  Urkunden  stehen  die  in  Zahlzeichen  Bruch- 
stücken auf  uns  gekommenen  Protokolle  über  die  Sitzungen  und  Amts- 
handlungen der  fraires  Arvales,*)  die,  obwohl  durchweg  der  Eaiserzeit 
(von  Augustus  bis  auf  Qordianus)  angehörig,  doch  gerade  für  die  Kenntnis 
des  altrömischen  Qottesdienstes  von  grundlegender  Wichtigkeit  sind: 
denn  einmal  geben  die  jede  Bewegung  und  Handreichung  mit  peinlich- 
ster Genauigkeit  registrierenden  Aufzeichnungen  offenbar  ein  seit  Ur- 
zeiten unverändertes  und  den  Ausführenden  selbst  nur  zum  geringsten 
Teile  noch  verständliches  Ritual  wieder,  andererseits  beschränkt  sich 
der  Gesamtdienst  der  Arvalen  auf  den  einheimischen  Götterkreis:  Apollo 
und  Diana,  Ceres  und  Venus  finden  in  ihren  Opfern  keine  Stelle,  dafür 
aber  in  unsern  sonstigen  Quellen  halb  oder  ganz  verschollene  Gottheiten 
wie  die  Famuli  divae  und  Virgines  divae,  Adolenda  Coinquenda  Commolenda 
Deferunda  u.  a.;  das  in  dem  Protokoll  über  die  Festfeier  des  Jahres  218 
im  Wortlaute  mitgeteilte  carmen  der  Arvalbrüder^)  ist  wohl  das  älteste 
auf  uns  gekommene  Denkmal  lateinischer  Sprache.  Eine  wichtige  Er- 
gänzung nach  der  Seite  des  graecus  ritus  hin  hat  unsere  aus  den  Arval- 
monumenten  gewonnene  Kenntnis  römischer  Religionsübung  neuerdings 
erfahren  durch  die  Auffindung  von  Bruchstücken  der  Akten  über  die 
Säkularspiele  des  Augustus  und  Septimius  Severus,^)  die  uns  zum  ersten 


M  Statut  der  aedea  lovis  Liberi  zu  Furfo 
CIL  IX  3513,  der  ara  Äugusti  zu  Narbo  CIL 
XII  4333,  des  Jnppiteraltars  zu  Salona  CIL 
in  1933,  die  leges  der  Haine  von  Luceria 
(CIL  IX  782)  und  Spoletium  (Bobmann,  Mis- 
cellanea  Capitolina,  Romae  1879  p.  5  fF. 
E.  ScHNBiDER,  Dialect.  Italic,  exempla  l  1 
nr.  95);  kleinere  Stttcke  der  Art  CIL  Y  Suppl. 
Ital.  1273.  VI  826.  VIII  Suppl.  11796;  vgl. 
auch  Cass.  Dio  LV  10. 

»)  CIL  VI  1976  ff.;  vgl.  auch  XI  3254 
(Album  der  pontifices  von  Sutrium). 

')  C.  Babdt,  Die  Priester  der  vier  grossen 
Collegien  aus  römisch -republikanischer  Zeit, 


Berlin  1871. 

*)  G.  Mabini,  Gli  Atti  e  Monumenti  de' 
fratelli  Arvali,  Roma  1795.  Guil.  Henzbn, 
Acta  fratrum  Arvalium,  Berolini  1874.  CIL 
VI  2023  -2119,  Nachträge  dazu  gesammelt 
von  Chb.  Hülsbk,  Ephem.  epigr.  VIII  p.  316  ff., 
8.  auch  D.  Vaglibbi,  Notiz,  d.  Scavi  1897, 
309  ff. 

^)  Text  mit  Verzeichnis  der  neueren  Lit- 
teratur  am  bequemsten  bei  E.  Schnbidbb, 
Dialectorum  Italicarum  exempla  selecta  I  1 
nr.  392.    Buechblbb,  Anthol.  epigr.  nr.  1. 

•)  Veröffentlicht  von  F.  Babnabki,  D. 
Mabcbbtti  und  Th.  Mommsbn  in  Monumenti 


1.  Die  Qaellen, 


Male  einen  etwas  tieferen  Einblick  in  den  unter  der  Leitung  der  Quin- 
decimvim  stehenden  Gottesdienst  und  seine  Formen  gestatten. 

Sind  wir  nun  über  den  Staatskultus  nicht  nur  nach  seinen  äusseren 
Formen,  sondern  auch  nach  seinem  inneren  Gehalte  verhältnismässig  gut 
onterrichtet,  so  ist  es  mit  den  Zeugnissen  für  die  Geschichte  der  Volks- 
religion  und  ihrer  Wandlungen  um  so  ärmlicher  bestellt.  Je  mehr  in 
den  oberen  Schichten  der  Bevölkerung  die  griechische  Bildung  überwiegt 
und  die  färben-  und  gestaltenreiche  griechische  Mythologie  die  heimische 
Religion  verdrängt,  um  so  weniger  sind  die  litterarischen  Quellen  im 
stände,  uns  über  Religionsübung  und  Religionsvorstellungen  der  Menge 
einen  Aufschluss  zu  geben:  viel  grösser  als  zwischen  Schriftsprache  und 
Voikajargon  ist  die  Kluft  zwischen  der  litterarischen  Darstellung  der 
Götterwelt  bei  Dichtern  und  Gelehrten  und  den  Anschauungen,  welche 
die  Stellung  des  gemeinen  Mannes  zur  Gottheit  und  seinen  Verkehr  mit 
derselben  bedingen.  Wären  wir  auf  die  Schriftsteller  angewiesen,  so 
wäre  von  diesen  Anschauungen  blutwenig  zu  wissen :  des  alten  Gate  Schrift 
vom  Landbau  mit  ihren  kostbaren  Gebetsformeln  für  die  Vorkommnisse 
der  bäuerlichen  Thätigkeit,  wenige  Partien  der  nur  mit  grosser  Vorsicht 
zu  benützenden  plautinischen  Komödien,  eine  Anzahl  von  Stellen  der 
Naturgeschichte  des  älteren  Plinius,  ein  paar  Dutzend  zerstreute  Notizen 
von  nicht  immer  zweifelloser  Zuverlässigkeit  und  Tragweite,  all  das  zu- 
sammen würde  nicht  entfernt  ausreichen,  auch  nur  eine  dürftige  Grund- 
lage unseres  Wissens  abzugeben,  wenn  hier  nicht  die  monumentalen 
nnd  inschriftlichen  Quellen  in  weitem  Umfange  ergänzend  einträten. 
Von  Art  und  Bedeutung  des  häuslichen  Kultes  der  Laren,  Penaten,  des 
Genius  haben  uns  erst  die  aufgedeckten  Häuser  Pompeis  mit  ihren  Haus- 
kapellen und  Sakralbildern  eine  Vorstellung  vermittelt,  0  Votivstatuen  und 
Altarreliefs,  auch  die  Münzbilder*)  haben  uns  über  die  Auffassung  und 
den  Kultzusammenhang  einzelner  Gottheiten  unvermutete  Aufschlüsse  ge- 
geben, vor  allem  aber  bieten  die  Tausende  erhaltener  Weihinschriften  aus 
allen  Gegenden  des  römischen  Reiches  einen  fast  unermesslichen  Stoff, 
dessen  volle  Verwertung  erst  gelingen  wird,  wenn  einst  eine  umfassende. 
Form  und  Inhalt,  Zeit  und  Ort,  Person  des  Weihenden  und  Anlass  der 
Weihung  in  gleicher  Weise  berücksichtigende  Statistik  vorliegen  wird. 
Zwar  für  die  Zeit  der  Republik  ist  das  zufällig  erhaltene  Material  zu 


antielii  della  R.  Acoad.  dei  Lincei  I  (1891) 
601  ff.  nnd  von  Th.  Mommsen,  Ephem.  epigr. 
VIU  p.  225  ff. 

')  Reiche  Ziuamineiistellimgen  bei  A. 
Dk  Mabcbi,  II  colto  pnvato  di  Rioma  antica, 
I,  Milano  1896. 

*)  Nftchst  den  Göiterköpfen  des  ältesten 
idmiscfaen  Knpfergeldes  kommen  namentlich 
die  Reversbilder  der  republikanischen  De- 
nare (erst  die  dahinsprengenden  Dioskuren, 
dann  Gottheiten  auf  dem  Zweigespann;  vgl. 
A.  Klüokamii,  Zsofar.  f.  Nnmism.  V  1877, 62  ff.) 
in  Betracht»  dann  die  von  MOnzmeistem  und 
Kaisern  mit  Rficksicht  auf  Personen  oder 
Zeitverhftltniflse  gewählten  Prägungen.    Ma- 


terial am  bequemsten  bei  E.  Babelon,  De- 
scription  historique  et  chronologique  des  mon- 
naies  de  la  r^publique  Romaine,  2  Bde.,  Paris 
1885—86.  U.  Cohen,  Description  historique 
des  monnaies  frapp^es  sous  V  empire  Romain, 
2.  ^dit.  (fortgesetzt  von  J.  Fsüabdent),  8  Bde., 
Paris  1880—1892.  Th.  Momksek,  Geschichte 
des  rdraischen  Münzwesens,  Berlin  1860  (da- 
neben von  selbständigem  Werte  die  franzö- 
sische Uebersetzung  vom  Herzog  von  Blaoas, 
4  Bde.,  Paris  1866—75).  Für  die  Schau- 
münzen der  Eaiserzeit  W.  Fbobhnbb,  Los 
m^daillons  de  Tempire  Romain  depuis  le  rögne 
d'Attgnste  jusqu*ä  Priscus  Attale,  Paris  1878. 


8 


Beligioii  nnd  Koltiu  der  Römer.    Einleitung. 


dürftig,  um  bindende  Schlüsse  zu  gestatten ;  aber  auch  hier  geben  manche 
Reihen  zusammengehöriger  Denkmäler,  wie  die  Weihinschriften  von 
Pisaurum  (CIL  I  167—179)  und  die  schwarzen  Thonschalen  mit  Qötter- 
inschriften  (z.  B.  Aecetiai  pocolom,  CIL  I  43  ff.  und  neue  Zusammenstellung 
bei  H.  Jobdan,  Annali  d.  Instit.  1884,  7  f.,  vgl.  auch  C.  Pascal,  Notiz,  d. 
Scavi  1895,  44  f.)  überraschende  Einblicke  in  sonst  unbekannte  Oebiete. 
Für  die  Kaiserzeit  aber  ist  der  Nutzen  der  inschriftlichen  Zeugnisse  gar 
nicht  hoch  genug  anzuschlagen :  sie  lehren  uns  nicht  nur  die  zeitliche  und 
räumliche  Verbreitung  der  einzelnen  Kulte  kennen,  sondern  zeigen  uns 
auch  das  Zurücktreten  und  Verschwinden  mancher  ehemals  hochange- 
sehenen Gottheit,  die  Bevorzugung  dieses  oder  jenes  Kultes  durch  be- 
stimmte Stände  und  Gesellschaftsklassen,  die  Anpassung  fremder,  barbari- 
scher Götternamen  und  -anschauungen  an  den  römischen  Vorstellungskreis 
und  unzählige  andere  wichtige  Dinge,  für  welche  uns  die  litterarischen 
Quellen  völlig  im  Stiche  lassen.  Dabei  soll  der  in  das  Grenzgebiet  von 
Religion  und  Aberglauben  fallenden  Denkmäler  wie  der  sortes,^)  der  zur 
Verwünschung  eines  Feindes  (defixio)  dienenden  Bleitäf eichen,^)  der  Amu- 
lette,^) so  wichtig  sie  für  die  Kenntnis  der  Nachtseiten  der  Volksreligion 
sind,  nur  mit  einem  Worte  gedacht  werden. 

Völlig  auszuscheiden  ist  für  die  römische  Religionsforschung  eine 
Art  von  Überlieferung,  die  auf  griechischem  Gebiet  eine  hervorragende 
Rolle  spielt,  die  mythologische  Dichtung.  Wohl  erzählen  Ovid  und 
Properz  und  mancher  andere  Sagen,  als  deren  Helden  Götter  mit  römischen 
Namen  auftreten  und  deren  Pointe  die  Begründung  irgend  eines  Kult- 
brauches ist;  aber  während  die  griechischen  Dichter  den  Mythus  in  letzter 
Linie  aus  einer  Tempellegende,  einer  volkstümlichen  Überlieferung,  einer 
Lokalsage  entnehmen  und  ihn  nur  mit  dichterischer  Freiheit,  aber  kon- 
trolliert durch  das  lebendige  Bewusstsein  des  Volkes,  erweitern  und  aus- 
bilden, sind  die  Erzählungen  der  römischen  Dichter  bewusste  Erfindungen  und 
Übertragungen  griechischer  Vorbilder,  denen  die  Wurzel  in  der  Volkssage 
fehlt.  Die  römische  Religion  kennt  keine  tsQol  koyoi,  keine  Götterehen  und 
Götterkinder,  keine  Heroenwelt,  die  zwischen  Gottheit  und  Menschheit 
die  Brücke  schlägt,  sie  hat  mit  einem  Worte  keine  Mythologie.  Das 
römische  Volk  hat  eine  aussergewöhnlich  harte  Jugend  durchzumachen 
gehabf  und  ist  der  drückenden  Sorgen  und  aufreibenden  Kämpfe  um  die 
eigene  Existenz  erst  ledig  geworden  im  gereiften  und  nüchternen  Mannes- 
alter, dem  für  das  bunte  Spiel  der  Sage  und  Dichtung  Neigung  und  Ver- 
ständnis abgeht.  Beim  Beginne  der  römischen  Litteratur  war  der  sagen- 
bildende Trieb  im  Volke,  der  an  sich  gewiss  nicht  ganz  gefehlt  hat,  er- 
loschen, und  was  von  Volkssagen  vorhanden  war,  wie  etwa  die  Stamm- 
und  Wandersagen  der  Picenter,  Hirpiner  u.  s.  w.,  verkümmert  und  ver- 
flacht ;  so  sind  die  römischen  Dichter  auf  ihre  eigene  Phantasie  angewiesen 


>)  CIL  P  p.  267  ff.  XI  1129. 

')  Material  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw. 
III  111  f.  und  dazu  neuerdings  C.  0.  Zubbtti, 
Riviata  di  filologia  XX  (1891)  1  ff.,  aUes  zu- 
sammen in  der  Praefatio  von  R.  Wünsch, 


Defixionum  tabellae  Attioae,  Berl.  1897. 

')  0.  Jahn,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch.  d. 
Wissensoh.  1855,  28  ff.  und  mehr  bei  Mas- 
QUABDT  a.  a.  0.  106  ff. 


2.  Geschiphtliohes. 


und  kombinieren  die  zum  grössten  Teil  bereits  für  die  Menge  zu  inhalts- 
losen Namen  gewordenen  Gestalten  der  römischen  Qötterwelt  nach  Laune 
und  Belieben:^)  was  sie  von  ihnen  zu  erzählen  wissen,  ist  wertvoll  für 
die  Beurteilung  ihrer  Erfindungsgabe  und  Darstellungskunst,  auch  für  die 
Ermittlung  ihrer  Quellen  und  Vorbilder,  römische  oder  italische  Sage  ist 
es  nicht,  und  nicht  nur  die  einzelne  Erzählung  ist  für  die  Religions- 
forschung wertlos,  auch  die  den  dichterischen  Erfindungen  zu  Qrunde 
liegende  Gesamtauffassung  der  meisten  Götter  ist  eine  von  der  des  Kultus 
abweichende  und  darum  irreführende:  wenn  z.  B.  Ovid  von  Fauni  und 
Sävani  in  der  Mehrzahl  spricht  und  den  Faunus  nach  Analogie  des 
griechischen  Pan  mit  Hörnern  und  Bocksbeinen  ausstattet,  so  ist  das  eine 
Vorstellung,  die  mit  der  zur  gleichen  Zeit  für  Staats-  und  Hauskult  mass- 
geblichen in  striktem  Widerspruche  steht.  ^)  Vergil  und  Horaz,  beide  in 
dem  Gedankenkreise  der  augusteischen  religiösen  Reformen  sich  bewegend 
—  für  Horaz  sind  ausser  dem  carmen  sasculare  namentlich  auch  die 
Götteranrufungen,  z.  B.  carm.  I  2,  25  flf.  oder  I  12,  13  flf.  von  Wichtigkeit  — , 
zeigen  allerdings  ein  erheblich  besseres  Verständnis  für  die  Götter  der 
Staatsreligion,  aber  ihre  Identität  mit  den  entsprechenden  Gestalten  des 
griechischen  Olymp  steht  ihnen  so  sicher,  dass  sie  nicht  im  stände  sind, 
die  griechischen  und  römischen  Gharakterzüge  auseinanderzuhalten:  auch 
dem  Horaz  (carm.  DI  18)  ist,  um  bei  demselben  Beispiele  zu  bleiben,  der 
italische  Gott  Faunus  der  Nympharum  fugientum  amator  und  Veneris  sodalis, 
also  etwas  ganz  anderes  als  der  alljährlich  an  den  Lupercalia  gefeierte 
Staatsgott.  Die  Dichter  können  mithin  als  Quelle  für  die  Geschichte  der 
römischen  Staats-  und  Volksreligion  nur  in  beschränktem  Umfange  und 
mit  grosser  Vorsicht  herangezogen  werden;  in  einer  Richtung  aber  be- 
lehren sie  uns  häufig  nicht  durch  den  Inhalt  ihrer  Darstellungen,  sondern 
durch  den  sprachlichen  Ausdruck.  Gerade  in  Rom  nimmt  in  der  Dichter- 
sprache der  metonymische  Gebrauch  der  Göttemamen  einen  sehr  breiten 
Raum  ein  und  die  Einsetzung  des  Eigennamens  für  die  unter  seinem 
Schatze  stehende  bezw.  durch  ihn  göttlich  verkörperte  Sache  ist  in  einem 
für  uns  zuweilen  geradezu  befremdlichen  Masse  üblich:  wenn  Naevius 
(com.  frg.  121  Ribb.*)  sagt  cocus  edit  Neptunum  Cererem  et  Vener em  ex- 
pertam  Volcanom,  Liberumque  obsorbuü  pariter  (anstatt  pisces,  panem,  holera 
igni  cocta,  vinum),  so  mag  das  eine  auf  die  komische  Wirkung  berechnete 
burleske  Übertreibung  sein,  aber  geläufige  Wendungen  wie  sub  love  fri- 
ffido,  Vestam  (d.  h.  focum)  vino  perfundere,  e  Lare  egredi,  Genium  suum  de- 
fraudare  u.  a.  m.  geben  wichtige  Fingerzeige  für  das  Verständnis  der  be- 
treffenden Gottheiten. 

2.  Ctoschichtliches.  Bevor  B.  G.  Niebuhrs  Kritik  der  Überlieferung 
die  römische  Geschichtsschreibung  in  ganz  neue  Bahnen  lenkte,  konnte  von 
einer  wirklich  historischen  Betrachtung  der  römischen  Religion  nicht  die 
Rede  sein :  Mythologie  und  Religion  der  Römer  wurde  von  der  griechischen 
nicht  geschieden  und  gegenüber  dieser  völlig  vernachlässigt,  nur  die  sogen. 


*)  Einige  Beispiele  behandelt  von  Wis* 
BowA,  Philo!.  Abhandl.  M.  Hertz  dargebracht 
(1888)  8.  156  fiP. 


")  Vgl.  WiBBowA,  Mitt.  d.  röm.  Instit.  I 
164  f. 


10 


Religion  und  Kaltwi  der  Römer.    Einleitung. 


Antiquitäten  des  Kultus  und  des  Sakralrechtes  fanden  ihre  Darstellung 
in  den  mehr  sammelnden  als  sichtenden  Monographien  der  Qelehrten  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts  über  das  iiis  pontificium,  über  Insignien  und  Rechte 
einzelner  Priesterschaften,  über  Auspicien  und  Augurien  u.  s.  w.,^)  in  des 
hervorragenden  Juristen  Babnabe  Bbisson  noch  heute  unentbehriichem 
Werke  de  formulis  et  solennibus  populi  Romani  verbis  libri  VIII  (1583,  beste 
Ausgabe  von  F.  G.  Conbadi,  Halae  et  Lipsiae  1731),  in  G.  Mabinis  reich- 
haltigem Kommentar  zu  den  Arvalmonumenten  (1795)  und  ähnlichen 
Arbeiten,  die  aber  im  besten  Falle  über  die  Feststellung  von  Einzelheiten 
nicht  hinauskommen  konnten,  weil  ihnen  ebensowohl  eine  feste  Stellung- 
nahme zu  den  Quellen  wie  eine  klare  Vorstellung  des  zu  erstrebenden 
Zieles  fehlte.  Niebuhb  selbst  hat  in  seiner  Römischen  Geschichte  (1811) 
die  Religion  und  Mythologie  nirgends  im  Zusammenhange  behandelt,  in 
die  Gesamtdarstellung  der  römischen  Geschichte  ist  die  Ausmünzung  der 
sakralen  Überlieferung  im  vollen  Umfange  erst  von  seinem  getreuesten 
Nachfolger  A.  Schwegleb  (1853)  hereingezogen  worden,  der  die  Entstehungs- 
geschichte der  Erzählungen  über  die  älteste  römische  Religion  namentlich 
aus  ätiologischer  Konstruktion  in  sehr  vielen  Fällen  richtig  erkannte  und 
sich  um  die  Sonderung  brauchbarer  und  wertloser  Zeugnisse  hohe  Ver- 
dienste erwarb.  Aber  Niebuhrs  Vorgang  rief  auch  eine  Reihe  grund- 
legender Arbeiten  hervor,  die  sich  die  Geschichte  der  römischen  Religion 
und  ihrer  Wandlungen  zur  Spezialaufgabe  stellten  und  teils  im  Anschlüsse 
an  Niebuhr,  teils  im  Gegensatze  zu  ihm  die  durch  ihn  eingeführte  und 
begründete  Betrachtungsweise  auch  auf  diesem  Gebiete  zur  Anwendung 
brachten.  Schon  im  Jahre  1836  unternimmt  J.  A.  Habtung  in  seiner  „  Re- 
ligion der  Römer"  eine  Gesamtdarstellung,  die  trotz  vieler  ihr  anhaftender 
Mängel  einen  sehr  grossen  Fortschritt  bezeichnet  und  gegenwärtig  durch- 
weg nicht  hinreichend  gewürdigt  zu  werden  pflegt :  obwohl  sich  das  Buch 
mit  dem  späteren  Preller'schen  Handbuche  weder  was  Reichhaltigkeit  des 
Stoffes  noch  was  die  Analyse  der  Quellen  anlangt  messen  kann,  so  hat  es 
vor  diesem  doch  die  richtigere  Erkenntnis  der  Aufgabe  voraus,  indem  es 
die  Scheidung  einheimischer  und  fremder,  italischer  und  griechischer  Ele- 
mente nicht  nur  in  erster  Linie  fordert,  sondern,  wenn  auch  nicht  stets 
auf  Grund  zwingender  Beweisführung,  so  doch  mit  unleugbarem  Takte 
durchzuführen  versucht.  Eine  Ausscheidung  der  griechischen  Einflüsse  in 
Sage  und  Kultus  versuchte  bald  darauf  R.  H.  Klausen  in  einem  ebenso 
stoffreichen  wie  ungeniessbaren  Buche,  das  trotz  der  phänomenalen  Gelehr- 
samkeit des  Verfassers  fast  völlig  wirkungslos  vorüberging,  weil  die  Fülle 
des  Materials  und  der  Einfälle  bei  dem  gänzlichen  Mangel  klarer  Auf- 
fassung und  durchsichtiger  Anordnung  nur  verwirrend  und  abschreckend 
wirkte;  nur  in  J.  Rubinos  nachgelassenen  „Beiträgen  zur  Vorgeschichte 
Italiens^,  dem  schwächsten  Werke  des  sonst  hochverdienten  Verfassers, 
äussert  sich  in  der  Unordnung  der  Beweisführung  und  der  Häufung  un- 
genügend fundierter  Hypothesen  zum  Schaden   der  Sache   Klausen'scher 


^)  Zorn  grössten  Teil  gesammelt  in  des 
J.  6.  Grabyius  Thesaarus  antiquitatum  Ro- 
manarum  (Utrecht   1694—1699),   besonders 


in  Bd.  y,  sowie  in  den  Supplementen  dazu 
von  Sallbkobe  (1716—1719)  und  PoLnnTB 
(1730-1740). 


2.  GeBohiohtliches.  H 

Einfluss.  Im  direkten  Gegensatze  dazu  verdankt  L.  Prellebs  «Römische 
Mythologie"  (1858)  die  wohlverdiente  Anerkennung,  die  sie  ebenso  wie  des- 
selben Verfassers  «Qriechische  Mythologie*  in  weitesten  Kreisen  gefunden 
hat,  zum  grossen  Teile  den  Vorzügen  der  Darstellung,  der  guten  und 
übersichtlichen  Verarbeitung  des  Quellenmaterials,  der  geschickten  Dis- 
position, der  stets  fesselnden  und  anmutigen  Erzählweise;  dagegen  ist 
gerade  ihm  als  dem  Bearbeiter  der  Mythologie  beider  Völker  verhängnis- 
voll geworden,  dass  er  die  Verschiedenheit  der  Aufgaben  griechischer 
und  römischer  Religionsforschung  nicht  klar  genug  erkannt  und  darum 
sowohl  den  Erzählungen  der  römischen  Dichter  als  auch  der  Deutung  der 
Göttervorstellungen  einen  viel  zu  grossen  Raum  gewährt  hat  auf  Kosten 
einer  methodischen  Ausbeutung  der  Thatsachen  des  Kultus.  Zudem  ist 
das  Buch  gegenwärtig  um  so  mehr  veraltet  —  die  überreichen  Nachträge 
in  den  Anmerkungen  der  von  H.  Jobdak  bearbeiteten  diitten  Auflage  (1881 
— 83)  lassen  den  Abstand  des  Textes  vom  heutigen  Stande  der  Wissen- 
schaft besonders  deutlich  erkennen  — ,  je  thätiger  die  Einzelforschung  in 
der  Zwischenzeit  gewesen  ist.  Während  die  zunächst  auf  die  Rekon- 
struktion varronischer  Schriften  gerichteten  Forschungen  von  L.  Kbahneb 
und  R.  Mebkel  für  die  Sichtung  und  Würdigung  der  litterarischen  Über- 
lieferung eine  neue  Grundlage  schufen,  erfuhr  die  Kenntnis  des  römischen 
Sakralwesens  reichen  Zuwachs  durch  die  ergebnisreichen  Arbeiten  von 
J.  Akbbosch  über  die  Priesterarchive,  von  L.  Mebgexin  über  die  Organi- 
sation des  römischen  Priestertums,  von  E.  Luebbebt  über  die  Grundbegriffe 
des  pontifikalen  Rechts  u.  a.,  Untersuchungen,  die  dann  J.  Mabqüabdts 
zusammenfassende  Darstellung  der  römischen  Kultusaltertümer  (zuerst  1856) 
ermöglichten.  Bahnbrechend  wirkte  aber  vor  allem  Th.  Mommsens  Behand- 
lung des  römischen  Festkalenders  und  der  römischen  Chronologie,  sowie  eine 
Reihe  einzelner,  zum  Teil  an  das  durch  das  Corpus  inscriptionum  latinarum 
erst  allgemein  zugänglich  gemachte  Inschriftenmaterial  anknüpfender  Ar- 
beiten desselben  Autors;  auf  denselben  Wegen  bewegen  sich  die  Unter- 
suchungen von  B.  Bobghesi,  G.  B.  de  Rossi,  W.  Henzen  u.  a.  bis  herab  auf 
A.  V.  DoKASzEWSKis  vortrefflicho,  auf  die  Beherrschung  eines  unendlich 
weitverzweigten  Materiales  gegründete  Untersuchungen  über  die  Religion 
des  römischen  Heeres.  H.  Bbukn  regte  die  archaeologische  und  historische 
Untersuchung  des  Typenvorrats  der  sakralen  Kunst  in  Rom  an  und  durch 
die  vielfach  im  Gegensatze  zu  einander  stehenden  Abhandlungen  von 
H.  Jobdan  und  A.  Reiffebschbid  wurde  die  Geschichte  der  Übernahme 
und  Anpassung  griechischer  Göttertypen  in  einer  Reihe  von  Fällen  über- 
zeugend nachgewiesen  und  für  die  Religionsgeschichte  verwertet;  H.  Nissen 
legte  in  feinsinnigen  und  gedankenreichen  Untersuchungen,  wenn  auch  im 
Ergebnisse  nicht  selten  über  das  Ziel  hinausschiessend,  in  Recht  und  Reli- 
gion der  Elömer  weithin  wirksame  Grundanschauungen  bloss  und  erschloss 
so  neue  Erklärungsgründe  für  längst  bekannte  Thatsachen ;  der  Aufschwung 
der  Forschungen  zur  römischen  Topographie  und  Stadtgeschichte  kam  bei 
dem  zuerst  von  Ambbosch  verwerteten  engen  Zusammenhange  zwischen 
römischem  Boden  und  Kultus  der  Religionsgeschichte  in  weitem  Umfange 
zu  Gute  und  insbesondre  die  verdienstvollen  Arbeiten  H.  Jobdans  wurden 


12  Religion  und  KoltuB  der  Römer.    Einleitung. 

durch  seine  Beherrschung  beider  Gebiete  befruchtet.  Dagegen  hat  die 
Betrachtungsweise  der  sog.  ,vergleichenden'  Mythologie  hier  mehr  vei^ 
wirrend  als  fördernd  gewirkt,  indem  sie  geneigt  war,  alles  bei  römischen 
Autoren  unter  römischen  Namen  Überlieferte,  sofern  es  die  behauptete 
,Urbedeutung*  der  betreffenden  Gottheit  zu  bestätigen  schien,  für  italische 
Sagen  und  Mythen  anzusehen,  und  ursprüngliche,  auf  die  indogermanische 
Urzeit  zurückgehende  Übereinstimmung  der  Vorstellungen  annahm,  wo 
spätere  Übertragung  vorlag;  selbst  die  vielfach  anregenden  und  geist- 
vollen Untersuchungen  von  W.  Mannhabdt  und  H.  Useneb,  die  unter  Fern- 
haltung des  nivellierenden  Suchens  nach  einer  einheitlichen  physikalischen 
Grundbedeutung  der  einzelnen  Götter  mehr  darauf  ausgingen,  die  bei  den 
verschiedensten  Völkern  in  ähnlichen  Bräuchen  zur  Darstellung  kommenden 
Volksvorstellungen  namentlich  des  ländlichen  Lebens  als  Grundlage  der 
Mythen  nachzuweisen  und  die  Genesis  religiöser  Begriffe  und  Vorstellungen 
im  allgemeinen  aufzuklären,  haben  für  Rom  zu  überzeugenden  Ergeb- 
nissen nicht  zu  führen  vermocht,  da  hier  die  erste  Vorbedingung  für  diese 
Art  der  Untersuchung,  eine  einheimische  Sagenwelt,  so  gut  wie  ganz  fehlt. 
Eine  auf  die  beiden  nächstverwandten  Vorstellungskreise,  den  griechischen 
und  den  römischen,  beschränkte  vergleichende  Betrachtung  konnte  förder- 
lich sein,  wenn  der  Ausgangspunkt  ein  so  glücklich  gewählter  war  wie 
in  dem  trotz  ungünstiger  Anordnung  und  mangelhafter  Durcharbeitung 
doch  sehr  fördernden  Buche  von  A.  Pbeuneb  über  Hestia  und  Vesta;  wo 
aber  die  Gleichheit  der  Grundgedanken  eines  griechischen  und  eines  römi- 
schen Kultes  nicht  so  evident  war,  wie  in  diesem  Falle,  sondern  erst  nach- 
gewiesen werden  sollte,  wie  es  z.  B.  W.  H.  Roscheb  für  Hera  und  Juno, 
ApoUon  und  Mars  versuchte,  erlag  man  gewöhnlich  der  naheliegenden 
Versuchung,  über  den  wirklichen  oder  vermeintlichen  Übereinstimmungen 
die  Verschiedenheiten  zu  übersehen  oder  zu  unterschätzen,  und  verwischte 
dadurch  gerade  das  für  die  Erkenntnis  des  spezifisch  Römischen  Wesent- 
liche und  Bedeutsame. 

Die  folgende  Darstellung  stellt  sich  zur  Aufgabe  eine  Schilderung 
der  römischen  Staatsreligion  nach  ihren  Gegenständen  und  Formen, 
zerfällt  also  naturgemäss  in  zwei  Hauptabschnitte,  die  Götterlehre  und 
die  Darstellung  des  Kultus,  denen  als  einleitender  Teil  eine  kurze  Über- 
sicht über  den  äusseren  Entwicklungsgang  der  römischen  Religion  voraus- 
geschickt ist.  Der  Begriff  der  Staatsreligion  ist  dabei  aufgefasst  im  Sinne 
der  theologia  civilis  des  Varro,  als  die  Summe  der  im  öffentlichen  wie  im 
Privatleben  hervortretenden  und  in  geregelten  Verehrungsformen  sich  be- 
thätigenden  Vorstellungen  von  den  Göttern  und  ihrem  Verhältnisse  zu  den 
Menschen,  im  Gegensatze  zur  theologia  mythica  der  Dichter  und  der  theo^ 
logia  physica,  d.  h.  der  Spekulation  der  Philosophen.  Die  Beschränkung 
auf  Rom  war  schon  durch  die  Beschaffenheit  der  Quellen  gegeben.  Mag 
es  auch  das  letzte  Ziel  der  Forschung  sein,  von  einer  Betrachtung  der 
römischen  Staatsreligion  vorzudringen  zur  Erkenntnis  der  italischen  Volks- 
religion, so  kann  man  sich  doch  darüber  einer  Täuschung  nicht  hingeben, 
dass  dies  Ziel  gegenwärtig  und  für  absehbare  Zeit  ein  völlig  unerreich- 
bares ist.     Was  uns  von   der  Religion  der  Umbrer,  Osker,  Sabeller,  La- 


2.  GeBohiohtlioheB.  13 

tiner,  Etrusker  und  anderer  italischer  Stämme  durch  authentische  Zeug- 
nisse überliefert  ist,  ist  im  Gesamtinhalte  so  dürftig,  die  einzelnen  Nach- 
richten sind  so  verzettelt  und  so  wenig  benutzbar,  die  zeitliche  Fixierung 
gegebner  Thatsachen  ist  so  schwierig  und  unsicher,  dass  es  zur  Begrün- 
dung einer  halbwegs  klaren  Vorstellung  von  der  Religion  des  ältesten 
Italiens  ausserhalb  Borns  nicht  entfernt  ausreicht,  zumal  sich  häufig  das, 
was  wir  anfangs  für  altitalisches  Gemeingut  religiöser  Anschauung  hielten, 
als  Entlehnung  von  Rom  her  herausgestellt  hat.  Die  weitaus  wichtigste 
und  umfangreichste  Urkunde  ausserrömischen  italischen  Gottesdienstes,  die 
Tafeln  von  Iguvium,  beweisen  mit  den  zahlreichen  Rätseln,  die  sie  uns 
aufgeben,  aufs  deutlichste,  wie  wenig  trotz  mancher  frappanten  Überein- 
stimmungen die  Kenntnis  römischer  Sakralverhältnisse  ausreicht,  um  uns 
für  die  Religion  eines  andern  italischen  Stammes  das  Verständnis  zu  er- 
schliessen,  und  gegenüber  den  andern  Stämmen  ist  unsere  Lage  eine  noch 
weit  ungünstigere,  da  sich  mit  den  wenigen  aus  Inschriften  bekannten 
Göttemamen  kaum  etwas  anfangen  lässt  und  auch  für  die  Religion  der 
Etrusker  die  scheinbare  Fülle  der  Zeugnisse  über  den  Mangel  einer  zu- 
verlässigen und  zusammenhängenden  Überlieferung  nicht  hinwegzuhelfen 
vermag.  Es  war  selbstverständlich  geboten,  für  die  vorliegende  Darstel- 
lung alles  über  die  Religionen  der  italischen  Stämme  Bekannte  zu  ver- 
werten, soweit  es  entweder  auf  Herkunft  und  Auffassung  der  römischen 
Gottheiten  Licht  zu  werfen  im  Stande  war  oder  sich  die  Entlehnung  oder 
Anpassung  auf  der  einen  oder  andern  Seite  nachweisen  liess;  die  Gesamt- 
aufgabe des  Werkes  jedoch  anstatt  auf  die  römische  Staatsreligion  auf 
die  italische  Gesamtreligion  richten,  hiesse  das  Ziel  in  eine  Nebelwelt 
rücken,  durch  welche  nicht  mehr  die  Sterne  der  historischen  Wissenschaft, 
sondern  nur  die  Irrlichter  schweifender  Hypothese  den  Weg  weisen.  Auch 
für  die  späteren  Zeiten  der  geschichtlichen  Entwicklung  musste  die  nahe- 
liegende Versuchung  abgewiesen  werden,  anstatt  einer  Darstellung  der 
römischen  Religion  eine  solche  der  religiösen  Verhältnisse  im  römischen 
Reiche  zu  geben  und  die  in  den  einzelnen  Provinzen  unter  ganz  ver- 
schiedenartigen historischen  Voraussetzungen  erwachsenen  Erscheinungen 
zu  einem  gemeinsamen  Bilde  zu  verarbeiten,  dessen  Einheitlichkeit  und 
Geschlossenheit  nur  durch  Preisgabe  der  wesentlichen  und  charakteristi- 
schen Einzelzüge  erkauft  werden  könnte.  Die  Religionsgeschichte  der 
römischen  Provinzen  in  dem  Geiste  zu  schreiben,  der  den  fünften  Band 
von  Mommsens  Römischer  Geschichte  beherrscht,  bleibt  eine  lockende  und 
lohnende  Aufgabe  der  Zukunft;  der  vorliegenden  Darstellung  kommt  es 
nur  zu,  darzulegen,  welchen  Einfluss  das  Anwachsen  des  Reiches  und  die 
Kulte  der  unterworfenen  Nationen  auf  die  Ausgestaltung  der  römischen 
Staatsreligion  ausübten. 

Litteratar.  J.  A.  HARTimo,  Die  Religion  der  Römer  nach  den  Quellen  dargestellt, 
2  Bde.,  Erlangen  1886.  R.  H.  Klaüsbn,  Aeneas  und  die  Penaten.  Die  italischen  Volks- 
reb'gionen  unter  dem  Einflasse  der  griechischen  dargestellt,  2  Bde.,  Hamburg  und  Gotha 
1889,  1840.  J.  RuBiKO,  Beiträge  zur  Vorgeschichte  Italiens,  Leipzig  1868.  L.  Pbbllbb, 
Römische  Mythologie,  Berlin  1858;  2.  Aufl.  von  R.  Kobhler,  1865;  8.  Aufl.  von  H.  Jobdan, 
2  Bde.,  1881—88.  L.  Kbahnbb,  Grundlinien  zur  Geschichte  des  Verfalls  der  römischen 
Staatsreligion  bis  auf  die  Zeit  des  August,  Halle  1887;  Art.  Penates  in  Ersch  u.  Grubers 
AUgem.  Encycl.  Sect.  III  Bd.  XV  (1841)  S.  409  ff.;   M.  Terentii  Varronis  Curio  de   cultu 


14  BeUgion  und  KnltiiB  der  Römer.    Einleitang. 

deorom,  Friedland  1851;  Die  Sage  von  der  Tarpeja  nach  der  üeberlieferung  dargestellt, 
Friedland  1858  u.  a.  m.  R.  Mbbkel,  De  obscuris  Ovidii  Faatorum,  in  seiner  Ausgabe  von 
Ovids  fasti,  Berolini  1841  (darin  p.  CVI— GGXLVII  Fragmentsammlnng  von  Varrros  Anti- 
quitates  remm  divinamm).  J.  A.  Ambrosch,  Stadien  und  Andeutungen  im  Gebiete  des 
altrömischen  Bodens  und  Cultus,  1.  Heft,  Breslau  1839 ;  De  sacerdotibus  curialibus  diaser- 
tatio,  Vratislaviae  1840;  Observationum  de  sacris  Romanorum  libris  particula  prima,  Vratis- 
laviae  1840;  Ueber  die  ReligionsbQcher  der  Römer,  Bonn  1843  (vorher  in  der  Bonner 
Zeitschr.  f.  Philos.  n.  katbol.  Theol.  N.  F.  lll  1842);  Prooemium  quaestionum  pontificalium, 
Vratislaviae  1847;  Quaestionum  pontificalium  caput  1  ..  II  ..  III,  Vratislaviae  1848,  1850, 
1851.  L.  Mbrcklih,  Die  Cooptation  der  Römer.  Eine  sakralrecbtliche  Abhandlung,  Mi  tau 
.  und  Leipzig  1848;  Ueber  die  Anordnung  und  Einteilung  des  römischen  Priestertums  (M^> 
langes  gr^co-romains  I  305  ff.)f  1852.  £.  Luebbbbt,  Gommentationes  pontificales,  Berolini 
1859.  J.  Marquabdt  in  W.  A.  Bbckbr  und  J.  Mabqüardt's  Handbuch  aer  röm.  Altertümer, 
Bd.  IV,  Leipzig  1856;  neue  Bearbeitung:  J.  Mabqüabdt,  Römische  Staatsverwaltung  Bd.  III 
(=  Mabqüabdt-Mommsbn,  Handb.  d.  röm.  Altertümer  Bd.  VI),  Leipz.  1878;  2.  Aufl.  besorgt 
von  G.  WissowA,  1885.  Th.  Mommsen,  Fasti  anni  luliani  mit  seinen  Commentarii  diumi, 
im  CIL  P  (1863)  p.  293  ff.  =  P  (1893)  p.  203  ff.;  Die  Römische  Chronologie  bis  auf  Caesar, 
Berlin  1858,  2.  Aufl.  1859;  Elömische  Forschungen,  Band  II,  Berlin  1879  und  zahlreiche 
Einzelabhandlungen  (ein  bis  1887  reichendes  Verzeichnis  bei  K.  Zangbmeistbr,  Theodor 
Mommsen  als  Schriftsteller,  Heidelberg  1887).  A.  von  Domaszbwski,  Die  Religion  des 
römischen  Heeres  (Westdeutsche  Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst  Bd.  XIV),  Trier  1895.  H. 
JoBDAK,  Vesta  und  die  Laren  auf  einem  pompejanischen  Wandgemälde,  Berlin  1865;  Sym- 
bolae  ad  historiam  religionum  Italicarum,  I  und  II,  Regimonti  1883,  1885;  Der  Tempel 
der  Vesta  und  das  Haus  der  Vestalinnen,  Berlin  1886  und  viele  Einzeluntersuchungen  in 
den  Annali  dell*  Institute  archeol.  (insbesondere  1862,  300  ff.  1872,  19  ff.  1885,  105  ff.),  im 
Hermes,  in  der  Ephemeris  epigraphica,  in  Eönigsberger  Universitfttsprogrammen  u.  s.  A. 
Rbiffbbschbii),  Annali  d.  Instit.  archeoL  1863,  121  ff.  361  ff.  1866,  210  ff.  1867,  352  ff.  u.  a. 
H.  Nissen,  DasTemplum.  Antiquarische  Untersuchungen,  Berlin  1869;  dazu  Weiterführungen 
im  Rhein.  Mus.  N.  F.  XXVlll  1873,  513  ff.  XXIX  1874,  369  ff.  XL  1885,  38  ff.  328  ff. 
XLU  1887,  28  ff.  W.  Mannhabdt,  Wald-  und  Feldkulte,  Bd.  II:  Antike  Wald-  und  Feld- 
kulte aus  nord-europäischer  Üeberlieferung  erläutert,  Berl.  1877;  Mythologische  Forschungen, 
herausgegeben  von  H.  Patzio  (=  Quellen  und  Forschungen  Bd.  LI),  Sfarassburg  1884  (ins- 
besondere S.  72  ff.  156  ff.).  H.  Usbneb,  Italische  Mythen,  Rhein.  Mus.  N.  F.  XXX  1875, 
182  ff.;  Göttemamen,  Versuch  einer  Lehre  von  der  religiösen  Begriffsbildung,  Bonn  1896. 
A.  Pbbunbb,  Hestia- Vesta.  Ein  Cyclus  religionsgeschichtlicher  Forschungen,  Tübingen  1864 
(dazu  auch  Philologus  XXIV  1865,  243  ff.).  W.  H.  Roscheb,  Studien  zur  vergleichenden 
Mjrthologie  der  Griechen  und  Römer.  I  ApoUon  und  Mars.  II  Juno  und  Hera,  Leipzig 
1873,  1875.  —  Die  auf  die  römischen  Götter  bezüglichen  Artikel  in  dem  von  W.  H.  Ro- 
SCHBB  herausgegebenen  Ausführl.  Lexikon  der  griechischen  und  römischen  Mythologie  (seit 
1884  im  Erscheinen)  rühren  von  E.  Aüst,  Th.  Bibt,  R.  Pbteb,  W.  H.  Roscheb,  H.  Stbu- 
DiNO,  G.  WissowA  u.  a.  her.  Jahresberichte  über  römische  Mythologie  von  A.  Pbeuneb, 
Jahresber.  über  die  Fortschr.  d.  klass.  Altertumswissensch.  VII  (1876)  65  ff.  144°  ff.  XXV 
(1891)  394  ff.  A.  Bouch^-Lbolebcq,  Revue  de  l'histoire  des  religions  II  1880,  352  ff.,  nachher 
regelmässig  fortgesetzt  von  G.  Lafayb  und  später  von  A.  Audollent. 

Ueber  die  Religionen  der  italischen  Stämme :  K.  0.  Möllbb,  Die  Etrusker.  Neu  be- 
arbeitet von  W.  Debokb,  2  Bde.,  Stuttgart  1877.  W.  Debcke,  Etruskische  Forschungen. 
Viertes  Heft:  Das  Templum  von  Piacenza,  Stattgart  1880  (dazu  Nachtrag  ebd.  Fünftes 
Heft,  Stuttgart  1882  S.  65  ff.);  Die  Falisker,  Strassburg  1888.  F.  Buecheleb,  Umbrica, 
Bonnae  1883.  H.  Jobdan,  Quaestiones  Umbricae,  Regimonti  1882.  Th.  Mommsen,  Die  unter- 
italischen Dialekte,  Leipz.  1850.  Für  die  Osker  mannigfache  Anregungen  bei  H.  Nissen, 
Pompejanische  Stadien  zur  Städtekunde  des  Altertums,  Leipz.  1877,  sowie  in  zahlreichen 
Aufsätzen  F.  Bueobblebs,  namentlich  Rhein.  Mus.  N.  F.  XXXIII  1878,  1  ff. 


Erster  Teil. 

Überblick  über  den  Entwicklungsgang  der  römischen 

Religion. 


Erster  Abschnitt. 

Die  Religion  der  ältesten  Zeit  bis  zur  Erbauung  des 

kapitolinischen  Tempels. 

3.  Die  di  indigetes.  Die  älteste  und  wichtigste  Unterscheidung 
des  römischen  Sakralrechtes  ist  die  zwischen  di  indigetes  und  di  noven- 
sides  oder,  wie  sie  später  mit  geläufigem  Lautübergange  hiessen,  novensilea.^) 
War  auch  in  der  augusteischen  Zeit  die  Bedeutung  dieser  Bezeichnungen 
den  meisten  unklar  geworden,^)  so  lässt  doch  sowohl  die  Bildung  der 
Worte  wie  ihre  Anwendung  in  alten  sakralen  Formeln  den  ursprünglichen 
Sinn  noch  mit  hinreichender  Deutlichkeit  erkennen :  wenn  in  der  Devotions- 
formel  bei  Liv.  YIII  9,  6  nach  der  Nennung  von  Janus,  Juppiter,  Mars, 
Quirinus,  Bellona,  Lares  die  nach  römischem  Ritus  am  Schlüsse  erforder- 
liche Oesamtanrufung  der  Götter  in  der  Form  geschieht  di  novensiles,  di 
indigetes,  divi  quorutn  est  potestas  nostrorum  hostiumque,  so  geht  daraus 
mit  Sicherheit  hervor,  dass  di  indigetes  und  di  novensiles  zwei  sich  gegen- 
seitig ausschliessende,  aber  auch  zugleich  zusammen  den  Oesamtkreis  der 
römischen  Staatsgottheiten  umfassende  Götterklassen  sein  müssen;  auch 
in  der  Eidesformel  bei  Diodor  XXXVII  17  Bekk.  hat  man  in  den  am  Schlüsse 
angerufenen  xtiiTtat  yeYet'rjfibvoi  vrjg  ^Pw^rfi  tjfiix^eot  und  <rvvav^ij(ravTeg  tfj%' 
T^ysfioviav  avtfjg  f^Qfoeg  eine  wenn  auch  schiefe  Wiedergabe  der  Ausdrücke 
di  indigetes  und  di  novensides  zu  erkennen.  Unrichtig  ist  dabei  die  unter 
dem  Einflüsse  der  griechischen  Heroenlehre  enstandene  Bezeichnung  als 
7ifu&€0€  oder  r^fmeg^  dagegen  vollkommen  zutreffend   die  Auffassung  der 


')  üeber  die  beiden  Namensformen  s. 
JoBDAH,  Krit.  Beitr.  S.  45;  SsBUCAimy  Aas* 
Sprache  des  Latein  8.  310;  im  allgemeinen 
IfABqvABDT,  Rom.  Staatsverw.  III  86. 

*)  Erschöpfende  AnfzAhlang  der  alten 
nnd  modernen  Dentungsversnche  der  Indi- 


getes bei  R.  Pbtbr,  Roschers  Lexikon  II 
132  ff.;  hinzugekommen  sind  seitdem  F. 
Stolz,  Archiv  f.  lat.  Ijexikogr.  X  151  ff. 
(vgl.  384).  F.  Bbchtbl,  Bezzenb.  Beitrftge 
XXII  282  f. 


16 


Beligion  und  Kultus  der  ROmer.    !•  BeligionBgesehiohte. 


einen  als  der  ursprünglichen  Gottheiten  der  römischen  Gemeinde,  der  an- 
dern als  später  hinzugekommener;  diese  Scheidung  ist  auch  in  den  Namen 
indigetes  =  indigenae,  ivdoyerslg  und  novensides  von  novus  und  inses^  etwa 
=  vsonoiXxai  deutlich  ausgesprochen.  Dieselben  Klassen  von  Gottheiten 
meint  TertuUian  (ad  nat.  II  9),  wenn  er  unter  Vermeidung  der  unverständ- 
lich gewordenen  alten  Namen  zwischen  di  publici  und  adventicii  scheidet, ') 
von  denen  die  ersteren  einen  Altar  auf  dem  Palatin,  also  in  dem  alier- 
ältesten  Bezirke  der  Stadt,  die  letzteren  einen  auf  dem  Caelius  (bei  der 
Kapelle  der  Göttin  Carna)  besässen;  dieses  wird  demnach  ein  Altar  der 
di  novensides  gewesen  sein,  wie  wir  solche  durch  erhaltene  Inschriften 
aus  Pisaurum  und  dem  Marserlande  kennen.')  So  sondert  sich  auch  inner- 
halb des  Ki*ei6es  der  römischen  Staatsgötter  Patriziat  und  Plebs;  beide 
Klassen,  die  alten  Götter  wie  die  neueingebürgerten,  stehen  im  vollen  Ge- 
nüsse des  sakralen  Bürgerrechtes,  aber  auf  verschiedner  rechtlicher  Grund- 
lage und  unter  strenger  Scheidung  beider  Kreise;  nicht  nur  die  gleich- 
zeitige Zugehörigkeit  zu  beiden  Gruppen  ist  ausgeschlossen,  sondern  auch 
der  Übertritt  aus  der  einen  in  die  andere:  der  Kreis  der  di  indigetes  gilt 
von  einem  bestimmten  Zeitpunkte  an  als  abgeschlossen,  alle  die  zahl- 
reichen Aufnahmen  neuer  Kulte  vermehren  nur  die  Klasse  der  di  noven- 
side^.^)  Die  erste  Aufgabe  römischer  Religionsforschung  muss  demnach 
die  Ermittlung  des  ursprünglichen  Kreises  der  di  indigetes  bilden.  Die 
historisch-antiquarische  Überlieferung  der  Alten  lässt  uns  für  die  Beant- 
wortung dieser  Frage  ganz  im  Stich ;  selbst  die  ältesten  aus  Bruchstücken 
und  Anführungen  bekannten  sakralen  Urkunden  und  Formeln,  wie  z.  B. 
die  rituellen  Gesänge  der  Salier  und  Arvalbrüder,  sind  dafür  nur  mit  Vor- 
sicht zu  gebrauchen,  da  sie  im  Laufe  der  Zeit  manche  Veränderungen 
erfahren  haben;  so  kam  in  dem  Gesänge  der  Salier  eine  der  ältesten  rö- 
mischen Götterordnung  sicher  fremde  Gottheit,  Minerva,  vor  (Paul.  p.  3). 
Eine  sehr  wichtige  Quelle  bildet  die  Ordnung  des  römischen  Priester- 
wesens: während  der  gesamten  republikanischen  Zeit  sind  neue  Priester- 
tümer  nicht  geschaffen  worden  —  denn  die  Einsetzung  der  Vllviri  epu- 
lones  im  J.  558  =  196  geschah  nur  zur  Entlastung  der  Pontifices  und 
bedeutet  nicht  sowohl  eine  Neugründung  als  eine  Verstärkung  dieses  .Gol- 
legiums  — ,  ihre  Entstehung  reicht  durchweg  in  eine  Zeit  zurück,  aus 
der  wir  eine  authentische  Überlieferung  nicht  besitzen.  Sehen  wir  von 
den  Ilviri  sacris  faciundis  ab,  die  nachweislich  jünger  sind  als  die  übrigen 
Priesterschaften,  so  dürfen  wir  diese  letzteren,  d.  h.  die  Pontifices  (mit 
Einschluss  der  zu  ihnen  gehörigen  Vestalinnen,  Flamines  und  des  Rex 
sacrorum^)),  die  Augures,  die  Fetiales  und  die  Genossenschaften  der  Lu- 
perci,  Salii,  Titii  und  Arvales,  unbedenklich  für  die  di  indigetes  in  An- 
spruch nehmen  und  von  der  Voraussetzung  ausgehen,  dass  zugleich  mit 


')  Vgl.  auch  Augustin.  c.  d.  III  12.  II  4. 
Tertull.  apol.  25. 

•)  CIL  1 178.  IX  p.  349  (Zvbtaiepp,  Inscr. 
Ital.  med.  dial.  nr.  37).  Eine  Weihuog  an 
die  di  indigetes  CIL  X  5779. 

°)  Ganz  analog  war  in  Athen  die  Schei- 
dung   von  iBQtt  naTQia  and  ini^Bxa,  Aristot. 


"A&.  noX,  3,  3. 

*)  Dass  dieser  erst  nach  Aufhebung  der 
monarchischen  Staatsform  eingesetzt  ist, 
kommt  hier  insofern  nicht  in  Betracht,  als 
ihm  während  der  Königszeit  ein  bestimmter 
Funktionskreis  des  Königs  selbst  entspricht. 


A«  Aelteste  Zeit.    8.  Die  di  indigeies.  17 

dem  Kreise  dieser  Götter  auch  der  der  Priesterschaften  geschlossen  wurde. 
Soweit  daher  die  altrömischen  Priestertümer  dem  Dienste  einzelner,  noch 
zu  ermittelnder  Gottheiten  gewidmet  sind,  wie  z.  B.  namentlich  die  Fla- 
niines,  dürfen  wir  diese  Gottheiten  als  zu  den  indigetes  gehörig  betrachten. 
Aber  unser  Wissen  von  den  letzteren  würde  ein  überaus  geringes  sein, 
wenn  wir  nicht  in  der  durch  die  Steinkalender  uns  aufbewahrten  ältesten 
römischen  Festtafel  eine  authentische  Urkunde  besässen,  die  uns  einen 
annähernd  vollständigen  Überblick  über  denjenigen  Götterkreis  gewährt, 
den  die  römische  Gemeinde  in  der  ältesten  auf  dem  Wege  historischer 
Forschung  erschliessbaren  Periode  ihres  Bestehens  verehrte.  Wir  kennen 
durch  diese  Urkunde  den  Kreis  der  im  Laufe  des  Jahres  ständig  wieder- 
kehrenden Festtage  der  ältesten  Religionsordnung,  und  da  von  diesen 
Feriae  ein  grosser  Teil  schon  durch  den  Namen  die  Zugehörigkeit  zu  dem 
Kulte  bestimmter  Gottheiten  kundgibt,  während  dieselbe  für  eine  bedeu- 
tende Anzahl  andrer  durch  unverdächtige  Zeugnisse  0  sichergestellt  wird, 
so  gewinnen  wir  eine  lange  Reihe  von  Götternamen  der  ältesten  Zeit, 
während  die  Lage  und  Anordnung  der  Feste  im  Jahre  uns  gleichzeitig 
oft  über  die  Bedeutung  der  betreffenden  Gottheit  und  die  Zusammen- 
gehörigkeit mancher  Kulte  unter  einander  Auskunft  gibt.  Die  so  ge- 
wonnene Götterliste  lässt  sich  noch  auf  manche  Weise  ergänzen.  Einmal 
enthält  die  Festtafel  nur  die  ständigen  Feste,  während  die  ebenfalls  all- 
jährlich wiederkehrenden  Wandelfeste  (feriae  conceptivae),  die  aus  andern 
Nachrichten  bekannt  sind  und  ihrer  Entstehungszeit  nach  sicher  hinter 
den  feriae  statae  der  Festtafel  nicht  zurückstehen,  von  ihr  ausgeschlossen 
bleiben  (Compitalia,  Sementivae,  Ambarvalia  u.  a.);  dasselbe  scheint  von 
denjenigen  Festen  zu  gelten,  die  von  der  Gemeinde  nicht  in  ihrer  Gesamt- 
heit, sondern  nach  ihren  verschiedenen  Gliederungen  pro  mo7Uibus,  pagis, 
curiis,  sacellis  (Fest.  p.  245)  gefeiert  werden  (Septimontium,  Paganalia, 
Fomacalia);  endlich  vermissen  wir  in  dem  Verzeichnis  der  Feriae  einige 
durch  zuverlässige  Naffhrichten  und  durch  das  bei  ihnen  zur  Anwendung 
kommende  Ritual  als  uralt  charakterisierte  Sta^tsfeste,  deren  Auslassung 
darin  ihren  Grund  hat,  dass  sie  auf  die  Kalendae  oder  Idus  fielen  oder  mit 
andern  Feiertagen  zusammentrafen  und  darum  in  den  Hemerologien,  da  sie 
auf  die  Benennung  des  Tages  und  seinen  rechtlichen  Charakter  keinen 
Einfluss  mehr  hatten,  nicht  vermerkt  wurden:  sichere  Beispiele  eines  der- 
artigen Zusammenfallens  zweier  Feste  bieten  der  17.  März  (Liberalia  und 
Agonium  Martiale)  und  der  15.  Oktober  (Juppiterfeier  der  Idus  und  Mars- 
opfer des  Oktoberrosses),  doch  lässt  sich  die  Zahl  solcher  Fälle  durch 
wahrscheinliche  Kombination  noch  bedeutend  erhöhen.*)  Auf  Grund  all 
dieser  Ermittlungen  kann  man  etwa  folgende  Götterreihe  für  die  älteste 
Periode  der  römischen  Religion  zusammenstellen  (ich  füge  die  zuge- 
hörigen Priester  und  Feste  bei  und  gebe  die  Namen  derjenigen  Götter, 
für  welche  die  Festtafel  keine  ständigen  Feriae  verzeichnet,  in  cursivem 
Druck) : 


0  Namentlich  Varro  de  1.  1.  VI  12  ff.   |  tafel. 
und  die  erläuternden  Beischriften  der  Fest-   |  *)Wi8sowa,  De  feriis  anni  Rom.  p.  XI  ff. 

Huidboch  der  klan.  Altertamswlmenacbaft.    Y,  4.  2 


18 


Beligion  und  Kultus  der  BOmer.    I.  Beligionsgesohichte. 


Anna  Perenna 

Carmenta  (Flamen  Carmentalis) 

Carna 

Ceres  (Flamen  Cerialis) 

Consus 

Diva  Angerona 

Falacer  (Flamen  Falacer) 

Faunus  (Luperci) 

Flora  (Flamen  Floralis) 

Föns 

Furrina  (Flamen  Furrinalis) 

Janus  (Rex  sacrorum) 

Juppiter  (Flamen  Dialis,  Fetiales, 
Augures) 


Larenta 
Lares 
PLemures 
Liber 
Mars  (Flamen  Martialis,  Salii) 


Mater  Matuta 

Neptun  US 

Ops 

Pales,  Palatua  (Flamen  Palatualis) 

Pomona  (Flamen  Pomonalis) 

Portunus  (Flamen  Portunalis) 

Quirinus  (Flamen  Quirinalis) 

Robigus 

Saturnus 

Tellus 

Terminus 

Vejovis 

Vesta  (Virgin  es  Vestales) 

Volcanus  (Flamen  Volcanalis) 

Volturnus  (Flamen  Volturnalis) 


Fest  am  15.  März 

Carmen talia  II.  15.  Januar 

Fest  am  1.  Juni 

Cerialia  19.  April 

Consualia  21.  Aug.  und  15.  Dez. 

Divalia  21.  Dez. 

Luper calia  15.  Febr. 

Florifertum  (?) 

Fontinalia  13.  Okt. 

Furrinalia  25.  Juli 

Agonium  9.  Jan.  Sühnopfer  am  l.Okt. 
(tigiUum  sororium) 

Festtage :  alle  Idus ;  Vinalia  23.  April 
und  19.  Aug.  Meditrinalia  11.  Okt. 
Poplifugium  5.  Juli.  Fest  am 
23.  Dez. 

Larentalia  23.  Dez. 

Compitalia 

Lemuria  9.  11.  13.  Mai 

Liberalia  17.  März 

Festtage:  Equirria  27.  Febr.  und  14. 
März.  Fest  am  1.  März.  Agonium 
Mnrtiale  17.  März.  Quinquatrus 
19.  März.  Tubilustrium  23.  März 
(und  23.  Mai ?).  Opfer  des  Oktober- 
rosses  15.  Okt.  Armilustrium 
19.  Okt.  Ambarvalia 

Matralia  11.  Juni 

Neptunalia  38.  Juli 

Opieonsivia  25.  Aug.   Opalia  19.  Dez. 

Parilia  21.  April 

Portunalia  17.  Aug. 

Quirinalia  17.  Febr. 

Robigalia  25.  April 

Saturnalia  17.  Dez. 

Fordicidia  15.  April.   Feriae  Semen- 

tivae 
Terminalia  23.  Febr. 
Agonium  21.  Mai 
Vestalia  9.  Juni 
Volcanalia  23.  August 
Volturnalia  27.  August, 


Manches  bleibt  in  dieser  Göttertafel  dunkel  und  unsicher,  z.  B.  ob 
das  Fest  Lemuria  auf  Götter  des  Namens  Lemures  zu  schliessen  erlaubt 
oder  die  allgemeine  Bezeichnung  eines  Totenfestes  enthält,  wie  die  Feralia 


A.  Aelteste  Zeit.    3.  Die  di  indigetes. 


19 


am  21.  Februar;  ebenso  kann  man  im  Zweifel  sein,  ob  Feste  wie  Fontinalia, 
Terminalia,  Robigalia  als  Festfeiern  bestimmter  Götter  Föns,  Terminus, 
Robigus  zu  fassen  sind,  oder  nach  Analogie  des  Uainfestes  der  Lucaria 
(19.  21.  Juli)  schlechthin  als  Feste  der  Quellen,  des  Orenzbeganges,  der 
Bitte  um  Abwehr  des  Kornbrandes ;  für  manche  Götter  gewinnen  wir  auf 
diese  Weise  nichts  mehr  als  den  später  verschollenen  und  uns  unverständ- 
lichen Namen  (Falacer,  Furrina),  andre,  die  in  der  späteren  Religions- 
entwicklung eine  grosse  Rolle  spielen,  haben  nachweislich  in  dieser  ältesten 
Periode  unter  dem  gleichen  Namen  eine  ganz  andre  Bedeutung  gehabt, 
ohne  dass  es  uns  möglich  wäre,  dieselbe  mit  Sicherheit  zu  ermitteln 
(Liber,  Neptunus).  Aber  so  zahlreich  die  Lücken  und  Unsicherheiten  sein 
mögen,  die  Festtafel  bietet  doch  eine  ganz  unschätzbare  Grundlage,  von 
der  aus  wir  die  zerstreuten  Zeugnisse  und  Angaben  über  altrömische 
Gottheiten  zu  sichten,  zu  würdigen  und  zur  Ergänzung  heranzuziehen  im 
stände  sind.  Es  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  altrömischen  Religion,  die 
Ctötter  paarweise  zusammenzustellen,  so  dass  entweder  dieselbe  göttliche 
Funktion  oder  zwei  sich  ergänzend  gegenüberstehende  Wirkungskreise 
in  einem  Götterpaare,  einem  männlichen  und  einem  weiblichen  Repräsen- 
tanten, verkörpert  erscheinen.  So  zeigt  die  Verbindung  der  entsprechenden 
Festfeiern  im  Kalender,  dass  Gonsus  und  Ops  ein  derartiges  Paar  bilden, 
für  Janus  und  Yesta  geht  das  Gleiche  aus  einer  Reihe  von  Zügen  ihres 
Kultes  hervor,  andre  Paare  geben  sich  schon  durch  die  Namensformen 
als  zusammengehörig  zu  erkennen,  Jovis  (Juppiter)  und  Jovino  (Juno),^ 
Faunus  und  Fauna,  Liber  und  Libera,  noch  andre  werden  uns  aus  alten 
Gebetsformeln  der  Pontificalschriften  (Gell.  XUI  23)  überliefert,  wie  Mars 
und  Nerio,  Neptunus  und  Salacia,  Quirinus  und  Hora,  Satumus  und  Lua, 
Volcanus  und  Maja:  von  den  weiblichen  Gottheiten  dieser  Paare  haben 
nur  Ops  und  Vesta  eine  eigne  Vertretung  in  der  Fest-  und  Priester- 
ordnung erhalten,  die  übrigen  sind  im  Kulte  mit  ihren  männlichen  Ge- 
nossen zusammen  verehrt  worden  und  neben  ihnen  so  in  den  Hintergrund 
getreten,  dass  weitaus  die  meisten  früh  verschollen  sind  und  nur  die  Ver- 
ehrung der  Juno,  zum  Teil  unter  Aufnahme  ausserrömischer  Kultelemente, 
eine  selbständige  Entwicklung  genommen  hat!  Dieselben  Gebetsformeln 
zeigen  uns  aber  auch,  dass  man  gern  um  eine  Gottheit  einen  Kreis  unter- 
geordneter, dienender  Gottheiten  gruppierte,  so  wie  noch  bei  den  Piacular- 
opfern  der  Arvalbrüder  neben  den  höheren  Gottheiten  auch  die  famuli  divi 
ihr  Opfer  erhalten;^)  als  solche  famuli  oder,  wie  sie  in  der  sakralen  Sprache 
heissen,  anculi  und  anculae  (Paul.  p.  19)  der  betreffenden  Götter  werden 
wir  die  Virites  Quirini  und  Moles  Martis  ansehen  dürfen,  und  wahrschein- 
lich haben  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse  die  Camenae  zu  Carmenta, 
die  divae  Comiscae  zu  Juno  u.  a.  gestanden.  Das  Gefühl  für  eine  gewisse 
Abstufung  der  göttlichen  Macht,  das  sich  in  dieser  Annahme  dienender 
Gottheiten  kundgibt,  zeigt  sich  auch  darin,  dass  man  unter  den  Opfer- 
priestem  flamines  maiores  und  minores  unterscheidet:^)  die  drei  flamines 
maiores  verwalten  den  Dienst  von  Juppiter,  Mars  und  Quirinus,  und  dieser 


«)  Vgl.  CIL  I  813  =  VI  357  mit  Momm 
Biors  Erkllrang. 


')  Hbnzbn,  Acta  fratr.  Arval.  p.  145. 
')  Marquardt,  Staatsverw.  III  326  f. 

2* 


20  Religion  nnd  Kultna  der  BOmer.    L  Beligionsgeschiobte. 

Dreiverein  von  Göttern  ist  es  auch,  der  uns  in  den  verschiedensten,  aus 
ältester  Zeit  stammenden  sakralen  Formeln  als  der  leitende  entgegentritt.*) 
Auf  derselben  Voraussetzung  beruht  auch  die  noch  am  Ausgange  der 
Republik  geltende  Rangordnung  der  höchsten  Priester,  der  zufolge  der 
Rex  sacrorum  allen  voranging,  dann  die  Flamines  Dialis,  Martialis,  Quiri- 
nalis  folgten  und  der  Pontifex  maximus  den  Schluss  machte  (Fest.  p.  185): 
je  weniger  das  den  thatsächlichen  Macht-  und  Bedeutungsverhältnissen 
der  einzelnen  Priester  in  späterer  Zeit  entspricht,  mit  um  so  grösserer 
Sicherheit  hat  man  in  dieser  Abfolge  eine  Spiegelung  der  in  ältester  Zeit 
geltenden  Anordnung  der  durch  die  verschiedenen  Priester  vertretenen 
Gottheiten  erkannt  und  daraus  die  Reihenfolge  Janus,  Juppiter,  Mars, 
Quirinus,  Vesta  erschlossen:*)  die  herrschende  Göttertrias  wird  von  dem 
Paare  Janus -Vesta  umrahmt  nach  der  noch  bei  den  Opfern  der  Arvalen 
befolgten  uralten  Sakralvorschrift,  dass  bei  allen  Götteranrufungen  Janus 
den  Anfang  machen  und  Vesta  den  Schluss  bilden  müsse.')  Im  Qbrigen 
ist  die  ursprüngliche  Rangordnung  der  ältesten  Gottheiten  nicht  mehr  im 
einzelnen  zu  ermitteln;  nur  dass  Consus  und  Ops  nächst  den  genannten 
fünf  Gottheiten  eine  hervorragende  Stelle  im  Kulte  eingenommen  haben 
müssen,  wird  man  daraus  schliessen  dürfen,  dass  ihnen  je  zweimal  im 
Jahre  Feste  gefeiert  werden. 

Litteratur:  Mommsbk,  CIL  P  p.  375  ff.  =  P  p.  297  ff.  Ph.  E.  Huschke,  Das  alte 
römische  Jahr  und  seine  Tage,  Breslau  1869.  G.  Wissowa,  De  feriis  anni  Romanorum 
vetustissimi  observationes  selectae,  Marpurgi  1891;  De  dis  Romanorum  indigetibus  et  no- 
vensidibus  disputatio,  Marpurgi  1892. 

4.  Allgemeiner  Charakter  der  altrömischen  Religion.  Die  in  dieser 
alten  Götterordnung  sich  offenbarenden  religiösen  Anschauungen  sind 
schlichte  und  einfache,  es  spiegeln  sich  in  ihr  die  Interessen  einer  in 
Ackerbau  und  Viehzucht,  in  harter  Arbeit  und  endlosen  Kämpfen  lebenden 
Gemeinde.  Von  einer  unmittelbaren  Verehrung  der  zu  persönlicher  Vor- 
stellung erhobenen  Mächte  und  Erscheinungen  der  Natur  zeigen  sich  keine 
Spuren,  nirgends  finden  wir  eine  Hindeutung  auf  einen  Gestirndienst, 
Sonne  und  Mond,  Sturm  und  Gewitter,  Meeresrauschen  und  Waldesdunkel 
haben  die  religiöse  Phantasie  der  Römer  nicht  in  erkennbarer  Weise  an- 
geregt. Ebensowenig  aber  sind  es  ethische  Ideen,  die  in  den  Göttern 
verkörpert  sind :  die  grosse  Zahl  von  Abstraktionen,  von  göttlich  personi- 
fizierten Eigenschaften,  die  wir  in  späteren  Perioden  der  religiösen  Ent- 
wicklung in  Rom  antreffen  und  als  charakteristisch  für  die  römische 
Denkweise  anzusehen  gewöhnt  sind,  fehlt  hier  noch  vollständig.  Sämt- 
liche Gottheiten  sind  sozusagen  rein  praktisch  gedacht  als  wirksam  in  all 
denjenigen  Dingen,  mit   denen   der  Römer  im   Gange  des  gewöhnlichen 


')  Im  Ritual  der  Salier  Serv.  Aen.  VIII 
663;  beim  Abschlüsse  des  foedua  durch  die 
Fetiales  Polyb.  III  25,  6;  in  der  Devotions- 
formel  Liv.  VIII  D,  6;  bei  der  Weihung  der 
Spolia  opima  Fest.  p.  189.  Plut.  Marceil.  8. 
Serv.  Aen.  VI  860;  wenn  in  der  letztgenannten 


liehe  Trias  scheint  an  der  Spitze  des  am- 
brischen  Göttersystems  gestanden  zu  haben ; 
denn  in  den  iguvinischen  Tafeln  führen  die 
drei  Götter  Juppiter,  Mars  und  Vofionus  den 
auszeichnenden  Beinamen  Grahovius, 

^)  Ambbosch,  Quaest.  pontific.  I  p.  3  ff. 


Formel  Festus  anstatt  Quirinus  den  Janus   '  Mbbcklin,   M^Ianges  gr^coromains  I  319  ff. 

Quirinus  nennt,  so  erweisen  die  andern  bei-   I   Mabqüardt,  Staatsverw.  111  27. 

den  Zeugen  das  als  ein  Versehen.  Eine  ahn-   i  ^)  Hbnzen,  Acta  fratr.  Arval.  p.  144.  147. 


A.  Aeliesie  Zeit.    4.  Allgemeiner  Charakter  der  altröm.  Religion.  21 

Lebens  zu  thun  bat;  die  örtlicbe  Umgebung,  in  der  er  sich  bewegt,  die 
verschiedenen  Thätigkeiten,  die  ihn  in  Anspruch  nehmen,  die  Ereignisse, 
die  das  Leben  des  einzelnen  wie  der  Gemeinde  bestimmend  gestalten, 
sie  alle  stehen  unter  der  Obhut  klar  gedachter  Gottheiten  mit  scharf 
umgrenzten  Machtbefugnissen.  All  diese  Götter  existieren  nur  als  Gott- 
heiten der  römischen  Gemeinde,  die  ihnen  auf  Grund  einer  ein  für  allemal 
eingegangenen  Verpflichtung  die  schuldige  Verehrung  zollt  und  dafür  er- 
warten darf,  dass  auch  jeder  Gott  innerhalb  seines  Kompetenzbereiches 
das  Seinige  thue,  um  ihr  Wohl  zu  fördern  und  Übles  von  ihr  abzuwehren. 
Selbst  der  allumfassende  Uimmelsgott  Juppiter  erhält  seinen  bestimmten 
Wirkungskreis  angewiesen:  er  schickt  Regen  und  Sonnenschein,  jedes  zu 
seiner  Zeit,  und  fördert  so  das  Gedeihen  der  Felder  und  vor  allem  der 
Weinberge,  er  gibt  durch  Blitz  und  Donner  Zustimmung  oder  Missbilligung 
zu  erkennen  und  lenkt  damit  die  Entschliessungen  der  Gemeinde  zum 
Besten,  er  ist  überall  sichtbar  und  daher  der  gegebene  Zeuge  bei  jeder 
Abmachung  und  Vereinbarung  und  überall,  auch  in  der  Schlacht  und 
ausserhalb  der  römischen  Feldmark,  bereit,  das  Wohl  der  Gemeinde  zu 
schützen;  ebenso  ist  Tellus  dem  Römer  nicht  etwa  die  urewige  Mutter 
des  Menschengeschlechtes,  sondern  die  göttliche  Verkörperung  seines  Ackers, 
der  die  Saat  empfangt  und  die  Frucht  trägt.  Noch  deutlicher  tritt  in 
allen  übrigen  Göttern  die  ganz  spezielle  Beziehung  auf  die  eigne  Um- 
gebung und  Thätigkeit  hervor:  Haus  (Janus,  Vesta)  und  Flur  (Lares), 
Wald  (Faunus)  und  Weide  (Pales),  Quell  (Föns)  und  Fluss  (Volturnus) 
.sind  unter  den  Göttern  eben  so  vertreten,  wie  Aussaat  (Saturnus)  und 
Ernte  (Consus,  Ops),  Wachstum  (Ceres),  Blüte  (Flora)  und  Frucht  (Pomona); 
auch  der  Wandel  der-Zeiten,  wie  er  sich  im  Jahreswechsel  (Anna  Perenna) 
und  im  Zunehmen  der  Tage  (Angerona)  darstellt,  findet  seinen  Ausdruck, 
und  bei  der  Geburt  (Mater  Matuta,  Carmenta),  wie  beim  Tode  (Larenta, 
Cama,  Vejovis)  des  Menschen  treten  bestimmte  Götter  in  Wirksamkeit; 
die  grosse  Rolle,  die  der  Krieg  im  Leben  der  jungen,  noch  um  ihre  Exi- 
stenz kämpfenden  Gemeinde  spielt,  spiegelt  sich  wieder  in  der  Doppel- 
verehrung des  Kriegsgottes  (Mars,  Quirinus)  und  in  der  grossen  Zahl  stän- 
diger Marsfeste,  aus  denen  man  sieht,  dass  der  Feldzug  wie  Aussaat  und 
Ernte  zu  den  alljährlich  regelmässig  wiederkehrenden  Ereignissen  zählt. 
Wie  in  Mars  nicht  nur  der  Vorkämpfer  der  Gemeinde,  der  die  römischen 
Waffen  zum  Siege  führt,  verehrt  wird,  sondern  auch  der  furchtbare  Ver- 
heerer der  Fluren  und  Saaten,  den  man  mit  Gebet  und  Opfern  anfleht^ 
von  der  römischen  Feldmark  fern  zu  bleiben,  so  sichert  die  Verehrung 
von  Volcanus  und  Robigus  gegen  die  schweren  Gefahren,  die  durch  Feuers- 
brunst und  Misswachs  drohen.  Sehr  bezeichnend  ist  das  bereits  deutlich 
hervortretende  Streben  nach  Spezialisierung  der  göttlichen  Funktionen: 
im  Hause  erhalten  Thür  (Janus)  und  Herd  (Vesta)  eigne  Verehrung,  ausser 
dem  Gotte  des  Flusses  wird  ein  eigner  Schützer  des  Landungsplatzes  (Por- 
tunus)  verehrt,  der  Grenzstein  auf  dem  Acker  untersteht  der  besondern 
Obhut  des  Gottes  Terminus.  Im  inneren  Betriebe  des  Kultus  kam  dieses 
Streben,  jede  einzelne  Seite  einer  Thätigkeit  einem  bestimmten  Gotte  zu- 
zuweisen^  noch  viel  mehr  zum  Ausdrucke,  wie  die  von  den  Pontifices  zu- 


22 


Beligion  und  Kaltus  der  Römer.    I.  BeligionsgeBohiohte. 


sammengestellten  und  aufbewahrten  Litaneien  (indigitumenta)  zeigen:^)  so 
werden  beim  Beginne  der  Aussaat  für  das  Gedeihen  der  Feldfrucht  vom 
Flamen  Cerialis  nicht  weniger  als  zwölf  göttliche  Mächte  angerufen,  je 
eine  für  jede  auf  dem  Acker  vorzunehmende  Thätigkeit  vom  ersten  Brach- 
pflügen bis  zum  Einfahren  und  Verwenden  des  fertigen  Getreides  (Serv. 
Georg.  I  21);  die  in  dieser  nämlichen  Richtung  thätigen  grossen  Götter 
Tellus  und  Ceres,  Robigus  und  Flora,  Satumus  und  Consus  erscheinen  in 
dieser  Liste  nicht,  die  überhaupt  keine  göttlichen  Eigennamen,  sondern  nur 
lauter  von  den  Arbeiten  des  Landmanns  gebildete  nomina  agentis  enthält 
( Vervactorem,  Reparatorem  [?],  Imporcüorem,  Insitorem,  Obaratorem,  Occatorem, 
SarrUorem,  Subruncinatorem,  Messorem,  Convectorem,  Conditorem,  Promitorem). 
Entsprechend  haben  sich  auch  in  Gebetsformeln,  die  andre  Anlässe  (Geburt, 
Tod,  Hochzeit)  betrafen,  solche  Reihen  von  Anrufungen  um  das  feste  Gefüge 
der  staatlichen  Götterordnung  gerankt,  ohne  dass  wir  festzustellen  vermöch- 
ten, in  wie  weit  die  Ausbildung  dieser  Litaneien,  die  von  der  antiken  Gelehr- 
samkeit als  eine  Schöpfung  des  Numa  in  Anspruch  genommen  werden,  schon 
dieser  ältesten  Periode  zufällt;  nur  so  viel  steht  sicher,  dass  auch  die  Folge- 
zeit noch  zur  Ausgestaltung  dieser  Listen  beigetragen  hat^)  und  dass  es  sich 
bei  denselben  nicht  um  Schaffung  neuer  Götter,  sondern  nur  um  begriffliche 
Zerlegung  des  Wirkens  der  göttlichen  Macht  handelt.  In  ganz  ähnlicher 
Weise  zeigt  sich  der  Spezialisierungstrieb  bei  den  Gottheiten  örtlich  be- 
grenzter Kompetenz:  wenn  der  Staat  nur  einen  Gott  aller  Quellen  (Föns) 
und  einen  aller  ,sich  dahinwälzenden^  Flüsse  (Volturnus)  verehrt,  so  schliesst 
das  nicht  aus,  dass  man  sich  in  jeder  Quelle,  jedem  Flusse,  ebenso  wie 
auf  jedem  Berge  und  in  jedem  See,  eine  eigne  Gottheit  waltend  vorstellt, 
die  der  einzelne  verehren  und  die  auch  der  Staat,  wenn  er  dazu  Veranlassung 
findet,  in  den  Kreis  seiner  Götter  aufnehmen  kann.  Vor  allem  aber  haben 
einzelne  Gottheiten  die  Fähigkeit,  sich  ins  Ungezählte  zu  vervielfältigen: 
der  Staat  verehrt  die  Laren  seiner  Feldflur  und  die  Yesta  als  Schützerin 
des  Staatsherdes,  aber  auf  jedem  Grundstücke  walten  eigne  Laren  und 
an  jedem  Herde  eine  eigne  Yesta,  denn  wie  der  Staat,  so  hat  auch  jedes 
Haus  seine  Götter  für  sich;  dass  auch  der  Waldgott  Faunus  in  ähnlicher 
Weise  differenziert  wurde,  wird  dadurch  wahrscheinlich,  dass  Silvanus, 
der  in  der  Folgezeit  an  seine  Stelle  getreten  ist,  oft  durch  individualisierende 
Beinamen  als  Gott  eines  einzelnen  Grundstückes  (z.  B.  Silvanus  Naevianus) 
bezeichnet  wird.  Aber  wie  in  jeder  Örtlichkeit,  jeder  Handlung,  so  waltet 
endlich  auch  in  jedem  Individuum  eine  eigene  göttliche  Macht,  der  Genius, 
die  sich  zu  ihm  ebenso  verhält,  wie  Vesta  zum  Herdfeuer  oder  Satumus 
zur  Thätigkeit  des  Säens:  dass  wir  dem  Genius  im  Staatsgottesdienste 
der  ältesten  Religionsordnung  nicht  begegnen  können,  ist  selbstverständlich, 
denn  diese  Vorstellung  haftet  am  einzelnen  Menschen,  und  die  Anschauung, 


*)  Die  reiche  Litteratur  über  diese  ist 
voUstflndig  verzeichnet  ond  exzerpiert  bei 
R.  P£TBB  in  Roschers  Lexik.  11  129  ff.,  dazu 
neuerdings  R.  Aoahd,  Jahrb.  f.  Phüol.  Suppl. 
XXIV  130  ff. 

')  Das  gilt  erweislich  von  den  Qöttem 


der  Kupfer-  und  Silberprägung  Aescolanus 
und  Argentinus,  während  bei  Einführung  der 
Goldprägung  in  Rom  ein  eigner  Gott  (etwa 
Aurinus)  nicht  mehr  gesch^en  wurde  (Au- 
gustin. c.  d.  IV  21.  28). 


A.  Aelteate  Zeit.    4.  Allgemeiner  Charakter  der  altröm.  Beligion. 


23 


dass  es  auch  einen  Genius  populi  Romani  gebe,  hat  sich  erst   sehr  viel 
später  herausgebildet. 

Die  grosse  Anzahl  von  Götternamen  und  die  unbegrenzte  Menge  gött- 
licher Wesen,  denen  wir  in  der  altrömischen  Religion  begegnen,  beruht  also 
keineswegs  auf  einer  besonderen  Vielseitigkeit  der  religiösen  Vorstellungen, 
sondern  nur  auf  dem  Bedürfnisse,  im  Nächstliegenden  und  Alltäglichen  das 
göttliche  Walten  zu  erkennen  und  sich  mit  ihm  in  Einklang  zu  setzen. 
Die  beschränkte  Anschauung,  dass  alle  diese  Götter  nur  für  den  römischen 
Staat  da  sind,  schliesst  eine  Vertiefung  in  die  Fragen  nach  den  ersten 
Gründen  alles  Daseins  vollkommen  aus.  Eine  kosmogonische  Sage  konnte 
es  nicht  geben,  denn  die  römischen  Staatsgötter,  die  doch  die  Träger 
einer  solchen  sein  müssten,  treten  erst  mit  und  nach  der  Schöpfung  eines 
römischen  Staates  in  die  Erscheinung;  über  das  was  früher  war,  gibt 
weder  Dogma  noch  Sage  Auskunft.^)  Ein  Alters-  und  Rangunterschied 
kann  unter  den  Göttern  nicht  durch  Zeit  und  Art  ihres  Auftretens  bei  der 
Weltschöpfung  oder  innerhalb  der  Göttergeschichte  bedingt  sein,  sondern 
nur  dadurch,  dass  sie  früher  oder  später  in  den  Kreis  der  römischen 
Staatsgottheiten  eingetreten  sind,  und  nach  der  Wichtigkeit,  die  ihr  Wirken 
für  die  Wohlfahrt  des  Staates  hat.  Persönliche  Eigenschaften  und  indi- 
viduelle Züge  gehen  diesen  an  den  Orten  und  Dingen  haftenden  Göttern 
naturgemäss  völlig  ab,  sie  stehen  nebeneinander  ohne  jede  andere  Ver- 
knüpfung, als  die,  welche  durch  die  Nachbarschaft  und  Ähnlichkeit  ihrer 
Wirkungskreise  gegeben  ist:  vor  allem  fehlen  der  römischen  Religion 
alle  Vorstellungen  von  Götterehen  und  Göttergenealogien;  was  die  spätere 
.Zeit  von  solchen  zu  berichten  weiss,  beruht  durchweg  auf  freier  dichterischer 
Erfindung  oder  auf  gelehrter  Kombination.  Die  oben  (S.  19)  berührten 
paarweisen  Verbindungen  einzelner  Gottheiten  verschiedenen  Geschlechtes 
sind  keine  Götterehen,  denn  sie  ermangeln  durchweg  des  Nachwuchses; 
ebenso  wenig  erlauben  die  Beinamen  pater  und  mater,  welche  den  meisten 
Gottheiten  dieses  ältesten  Kreises  in  den  rituellen  Formeln  zukommen^)  und 
oft  mit  dem  Eigennamen  völlig  verschmelzen  (vgl.  ausser  Juppiter  nament- 
lich Mater  Matuta,  deren  Fest  nicht  Matutalia,  sondern  Matralia  heisst),  an 
Götterfamilien  zu  denken :  diese  Beinamen  kennzeichnen  vielmehr  nur  das 
Verhältnis,  in  dem  die  Götter  zu  der  sie  verehrenden  Gemeinde  stehen.^) 
Plastische  menschenähnliche  Gestalt  haben  die  Götter  dieser  ältesten  Zeit 
nie  angenommen;  wenn  einzelnen  von  ihnen  heilige  Tiere  zukommen,  so  sind 
dieselben  nicht,  wie  vielfach  im  griechischen  Mythus,  als  die  Begleiter  der 
in  Menschengestalt  auftretenden  Götter  zu  denken,  sondern  als  Angehörige 
des  ihnen  zufallenden  Machtbereiches,  die  darum  als  ihre  Vertreter  und 
als  Zeichen  ihrer   unsichtbaren  Gegenwart  zu  gelten   haben:   in  diesem 


*)  Bekaontlich  ging  Varro  in  der  Ein- 
leitung seiner  atUiquUates  verum  divinarum 
davon  ans,  dass  die  Lehre  von  den  res  di- 
nach   der  von  den  res  humanae  zu 


vtnae 


behandeln  sei,  weil  erstere  als  eine  Institu- 
tion des  Staates  notwendig  jflnger  sein  müss- 
ten  als  der  Staat  (Angust  c.  d.  YI  4). 
')  A.  Znizow,  Der  Yaterbegriff  bei  den 


römischen  Gottheiten,  Pyritz  1887;  vgl.  na- 
mentlich das  bekannte  Laciliusfragment  8 
Baehr.  nemo  sit  nostrum  quin  atU  pater  op- 
timus  divom  aut  Neptunus  pater,  Liber,  ^- 
tumus  pater,  Mars,  lanus,  Quirinus  pater 
siet  ac  dicatur  ad  unum  (sämtliche  aufge- 
zählten sind  d%  indigetes)  und  Gell.  V  12,  5. 
')  JoBDAK,  Tempel  der  Yesta  S.  58. 


24 


Religion  und  Kultas  der  Römer.    I.  Religionsgesohiohte. 


Sinne  sind  die  Vögel  des  Himmels  internuntii  lovis,  ebenso  wie  den  Laren 
als  Flurgöttern  der  Wachthund,  dem  im  Hause  waltenden  Genius  die 
Schlange  (als  beliebtes  Haustier)  heilig  ist.  Es  ist  nicht  zufällig,  dass  die 
spärlichen  Reste  italischer  Sagenbildung,  wie  sie  in  den  Stammsagen  ein- 
zelner Völker  (Picenter,  Hirpiner,  Samniten)  vorliegen,  von  den  heiligen 
Tieren  des  Mars,  Specht,  Wolf  und  Pflugstier,  nicht  aber  von  einem  persön- 
lichen Eingreifen  des  Gottes  zu  berichten  wissen. 

Je  mehr  diese  ganze  Götterordnung  auf  die  Bedürfnisse  und  Interessen 
der  römischen  Gemeinde  beschränkt  ist,  um  so  sicherer  dürfen  wir  aus 
ihr  Rückschlüsse  machen  auf  die  zur  Zeit  ihrer  Geltung  in  Rom  herrschenden 
Kulturzustände.  Ackerbau,  Viehzucht  und  Krieg  sind  offenbar  diejenigen 
Beschäftigungen,  die  ausschliesslich  oder  ganz  überwiegend  geübt  werden ; 
dass  der  Tiber  bereits  als  Verkehrsstrasse  dient,  zeigt  die  Verehrung  des 
Portunus  an  der  Landungsstelle  innerhalb  des  Stadtgebietes;  dagegen 
scheint  die  See  noch  nicht  in  den  Gesichtskreis  der  Römer  getreten  zu 
sein,  da  der  später  mit  Poseidon  identifizierte  Neptunus  ursprünglich  mit 
Meer  und  Meerfahrt  nichts  zu  schaffen  hat.  Gewerbliche  Thätigkeit  und 
Handelsverkehr,  deren  Pflege  schon  in  frührepublikanischer  Zeit  unter 
dem  Schutze  von  Minerva  und  IkJ!ercurius  blüht,  sind  in  dem  alten  Götter- 
systeme noch  unvertreten,  ebenso  wie  auch  die  nachmals  in  den  Wechsel- 
fällen eines  bewegten  Staatslebens  in  mannigfacher  Form  verehrte  Fortuna 
fehlt.  Aber  auch  jeden  politischen  Zug  vermissen  wir :  im  internationalen 
Verkehr  von  Gemeinde  zu  Gemeinde,  der  der  Natur  der  Sache  nach  selten 
ein  anderer  als  kriegerischer  ist,  vertreten  Juppiter,  Mars  und  Quirinus 
vereint  den  römischen  Staat,  ohne  dass  sich  aber  bei  der  Verehrung  des 
Juppiter  die  Vorstellung  von  einer  ordnenden  und  staatserhaltenden  Macht, 
wie  sie  sich  später  im  Kulte  des  Juppiter  Optimus  Maximus  wie  in  dem 
des  Juppiter  Latiaris  deutlich  ausspricht,  irgendwie  geltend  machte.  Die 
Ausgestaltung  dieser  Ideen  erforderte  einen  weiteren  Horizont,  wie  er 
damals  der  römischen  Gemeinde  sich  noch  nicht  bot. 

Litteratur:  Mommsen,  Elöm.  Gesch.  I*  160  ff  G.  G.  Zumpt,  Die  Religion  der 
Römer,  Berlin  1845.  E.  Zeller.  Religion  und  Philosophie  bei  den  Römern,  2.  Aufl.,  Berlin 
1872  =  Vorträge  und  Abhandlungen  fl  93  ff.  Madvig»  Verfassung  und  Verwaltung  d. 
röm.  Staates  II  580  ff. 

5.  Alter  und  Entstehung  der  ältesten  Götterordnung.     Die  im 

Yoranstehenden  charakterisierte  Gestaltung  der  römischen  Religion  reprä- 
sentiert die  älteste  für  uns  zu  ermittelnde  Phase  ihrer  Entwicklung,  aber 
sie  ist  an  sich  keineswegs  etwas  ursprüngliches,  sondern  das  Ergebnis 
eines  historischen  Prozesses,  dessen  Zeitdauer  wir  kaum  annähernd  richtig 
abzuschätzen  vermögen  und  dessen  Einzelheiten  sich  wohl  immer  unserer 
Kenntnis  entziehen  werden.^)  Denn  wir  befinden  uns  jenseits  jeder  Über- 
lieferung, und  die  bis  ins  einzelne  ausgeführten  Erzählungen  der  antiken 
Pseudohistorie,  so  sehr  sie  auch  selbst  nach  Niebuhr  die  moderne  Auf- 
fassung beeinflusst  haben,  können  uns  nicht  darüber  hinwegtäuschen,  dass 


^)  Sicher  sind  eine  grosse  Anzahl  von 
Göttern  bereits  vor  Aufstellung  der  Fest- 
tafel wieder  verschollen,  so  dass  nur  un> 
sichere   Indizien   noch   von   ihrer  einstigen 


Bedeutung  zeugen,  z.  B.  das  alte  Götterpaar 
Gacus  und  Caca  (vgl.  Wissowa,  Real-Encycl. 
III  1165  f.)  und  manche  andre  der  unten 
in  §  36  behandelten  Gottheiten. 


A.  Aelieste  Zeit.    6,  Alter  und  Entstehung  der  ältesten  Götterordnnng.       25 


auch  die  gelehrtesten  und  besonnensten  antiken  Forscher  über  die  Anfänge 
der  römischen  Religion  ebensowenig  wie  über  die  ganze  römische  Ur- 
geschichte eine  authentische  Überlieferung  besassen  und  in  Ermanglung 
aller  zu  sicheren  Schlüssen  berechtigenden  Anhaltspunkte  allein  auf  Hypo- 
these und  Konstruktion  angewiesen  waren.  Man  hat  sich  bestrebt,  alle 
die  Götter  und  Kulte,  deren  Aufnahme  in  Rom  vor  dem  Beginne  schrift- 
licher Aufzeichnungen  erfolgt  war  und  die  demgemäss  als  uralt  galten, 
nach  wirklichen  oder  vermeintlichen  Alterskriterien  in  eine  ungefähre  Ab- 
folge zu  bringen  und  ihre  Einführung  gruppenweise  über  die  verschiedenen 
Generationen  der  römischen  Vorzeit  und  Königsgeschichte,  wie  sie  durch 
die  landläufige  Überlieferung  allen  geläufig  war,  zu  verteilen;  so  wurde 
jedem  der  latinischen  und  römischen  Könige  sein  Anteil  zugewiesen,  von 
Evander  (oder  dem  mit  ihm  gleichgesetzten  Faunus)  bis  auf  die  tarquinische 
Dynastie  ging  keiner  leer  aus,  wenn  auch  Evander,  Romulus,  Tullus  Uo- 
stilius,  Ancus  Marcius  hinter  Titus  Tatius  und  Numa  Pompilius  weit  zurück- 
stehen mussten:  ersteren  machte  eine  durch  den  Reatiner  Yarro  zu  fast 
kanonischer  Geltung  gelangte  Hypothese  zum  Träger  der  sabinischen  Ein- 
flüsse, die  man  im  römischen  Kulte  in  weitem  Umfange  zu  erkennen 
glaubte,')  auf  letzteren  wurde  der  weitaus  grösste  Teil  der  altrömischen 
Religionsordnung  zurückgeführt  und  er  verdankt  seinen  Platz  in  der  römi- 
schen Königsliste  nur  dem  Bedürfnisse,  neben  dem  Begründer  des  Staates 
und  seiner  politisch-militärischen  Ausstattung  auch  einen  Stifter  der  Staats- 
religion und  ihres  Ceremonialgesetzes  zu  besitzen.')  Sehen  wir  von  der 
Verknüpfung  der  einzelnen  Götter  und  ihrer  Verehrung  mit  den  völlig 
unhistorischen  Personen  der  römischen  Königslegende  ab,  so  ist  gewiss 
nicht  zu  leugnen,  dass  sich  in  der  antiken  Überlieferung  oft  eine  ganz 
richtige  Anschauung  von  den  relativen  Altersverhältnissen  der  verschiedenen 
Kulte  ausspricht,  aber  auf  der  andern  Seite  werden  die  haltlosesten  und 
verkehrtesten  Erklärungen  mit  ganz  derselben  Sicherheit  vorgetragen  — 
z.  B.  wenn  Varro  die  Veranlassung  zur  Gründung  des  bereits  der  ältesten 
Festtafel  angehörigen  Festes  des  Poplifugium  in  Ereignissen  der  gallischen 
Invasionszeit  findet^)  —  und  wir  sind  völlig  ausser  Stande,  das  Wahre  vom 
Falschen  zu  scheiden  und  etwa  durch  Aussonderung  des  nachweislich 
Erfundenen  und  Irrigen  zu  einem  Grundstocke  echter  und  wertvoller  Über- 
lieferung zu  gelangen.  Wohl  aber  lässt  eine  genauere  Prüfung  des 
durch  den  ältesten  Festkalender  uns  bekannten  Götterkreises  innerhalb 
desselben  manche  Altersunterschiede  erkennen.  Besonders  wichtig  ist  es, 
dass  mehrere  der  Namen  dieses  Kreises  von  Haus  aus  nicht  Eigennamen 
sind,  sondern  Beinamen  älterer  Götter ;  dies  gilt  namentlich  von  Portunus, 
der  sich  von  Janus  als  Vertreter  einer  besonderen  Funktion  dieses  Gottes 
abgespalten  hat,  ferner  von  Liber  und  Terminus,  die  wir  ursprünglich  als 
Benennungen  Juppiters  kennen,  die  aber  zur  Zeit  der  Aufstellung  der 
Festtafel  bereits  ihre  Selbständigkeit  erlangt  haben,  endlich  sogar  von 
einem   der  Götter  der  leitenden  Trias,   Quirinus,  dessen   Name  sich  als 


^)  Ambrosch,  Studien  u.  Andeutungen 
S.  159  ff. ;  über  die  Tatiuslegende  vgl.  Momm- 
BBii,  Hermes  XXI  570  ff. 


•)  Vgl.  ScHWBOLER,  Rom.  Gesch.  I  551  f. 
')  Die  Zeugnisse  bei  Mommssn  CIL  I* 
p.  320. 


26  Beligion  und  Knltus  der  Römer.    I.  Religionsgeschichte. 

Beiwort  des  Janus,  Juppiter  und  Mars  nachweisen  lässt  und  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  durch  Trennung  von  letzterem  Gotte  zu  selbständiger 
Bedeutung  gekommen  ist.  Auch  sonst  bietet  die  Bildung  der  Götter- 
namen, unter  denen  sich  besonders  wirkliche  Eigenamen  (Jovis,  Mars), 
zu  diesem  Range  erhobene  Appelativa  (Janus,  Ops,  Tellus)  und  adjectivische 
Bildungen  (Neptunus,  Yolcanus)  scheiden  lassen,  vielleicht  noch  manchen 
Anhaltspunkt  zur  Bestimmung  ihres  Alters,  ebenso  wie  auch  die  der  Fest- 
bezeichnungen bei  vorsichtiger  Benützung  einige  Ausbeute  ergeben  dürfte: 
als  ältester  unter  den  Namen  der  feriae  pMicae  darf  agonium  gelten,  da 
wir  hier  keinen  Eigennamen  vor  uns  haben,  sondern  eine  einfache  Be- 
zeichnung der  Opferhandlung  ohne  Rücksicht  auf  die  Gottheit  der  dieselbe 
gilt,  0  so  dass  die  vier  im  Kalender  mit  diesem  Namen  bezeichneten  Tage 
(9.  Januar,  17.  März,  21.  Mai,  11.  Dezember)  sämtlich  verschiedenen  Gott- 
heiten zukommen;  ebenso  tragen  Bildungen  wie  Quinquatrus  (ursprünglich 
ebensowenig  wie  agonium  ein  Festname,  sondern  blosse  Datumsbezeich- 
nüng^)),  Regifugium,  Poplifugium,  Tubilustrium,  Armilustrium,  Equirria  einen 
älteren  Charakter  an  sich,  als  die  grosse  Menge  der  von  den  Götternamen 
abgeleiteten  Bildungen  auf  -alia  (Saturnalia,  Opalia,  Larentalia),  von  denen 
sich  wieder  die  mit  derselben  Endung  von  Appellativa  gebildeten  Namen 
(Vinalia,  Meditrinalia,  wohl  auch  Lupercalia)  als  besondere  Gruppe  abheben. 
Aber  diese  Grundlage  ist  vorläufig  noch  zu  unsicher,  um  darauf  weiter- 
gehende Folgerungen  zu  bauen,  so  dass  wir  bei  dem  gegenwärtigen  Stande 
unserer  Hilfsmittel  darauf  verzichten  müssen,  das  allmälige  Anwachsen 
des  römischen  Götterkreises  Schritt  für  Schritt  zu  verfolgen.  Vorläufig 
nicht  zu  beantworten  ist  für  uns  besonders  die  überaus  wichtige  Frage: 
welche  religiösen  Vorstellungen  des  altrömischen  Glaubens  beruhen  auf 
allgemein  italischer  Grundlage,  welche  sind  Sondereigentum  des  latini- 
schen Stammes  oder  gar  erst  im  Schosse  der  römischen  Gemeinde  ent^ 
wickelt  worden?  unsere  Kenntnis  der  Religionen  der  italischen  Stämme 
ist  eine  so  dürftige  und  lückenhafte,  dass  wir  bei  jedem  Schritte  auf  unüber- 
windliche Schwierigkeiten  stossen.  Dass  Juppiter  und  Mars  und  die  mit 
diesen  Kulten  verknüpften  heiligen  Bräuche  der  Himmelsbeobachtung  und 
Lustration  bei  den  Umbrern  ebenso  zu  Hause  waren,  wie  bei  den  Latinem, 
zeigen  die  iguvinischen  Tafeln:  aber  die  Verehrung  der  Vesta  ist  ausser- 
halb Latiums  nirgends  in  Italien  nachweisbar,  und  wir  würden  geneigt 
sein,  sie  für  eine  ganz  ausschliesslich  latinisch-römische  Gottheit  zu  halten, 
wenn  nicht  die  Identität  sowohl  des  Namens  wie  der  Grundbegriffe  bewiese, 
dass  dieselbe  den  Römern  mit  den  Griechen  gemeinsam  ist,  also  natur- 
gemäss  auch  allen  Italikern  bekannt  gewesen  sein  muss.')  Ebenso  begegnen 
uns  charakteristische  Züge  der  römischen  Priesterordnung  nicht  nur  in 
den  übrigen  latinischen  Gemeinden,  sondern  auch  in  weiterem  Umkreise, 
die  Fetialen  z.  B.  scheinen  sich  auch  bei  oskisch-sabellischen  Stämmen  zu 
finden,  und  für  die  bei  den  fratres  Arvales  zu  Tage  tretende  Auffassung 
einer  priesterlichen  Genossenschaft  als  Bruderschaft  bieten  die  einzige 
Parallele  die  frater  Atiieäiur  von  Iguvium :  aber  wie  weit  hier  gemeinsam 

0  MoMMSEN  CIL  I*  p.  306.    WiasowA,  1  *)  Wissowa  a.  0.  p.  X. 

Pe  feriis  anni  Rom.  p.  XII.  1  ')  Jordan,  Der  Tempel  der  Vesta  S.  78. 


A.  Aelteste  Zeit.    5.  Alter  nnd  Entstehung  der  ältesten  Götterordnung.       27 


italisches  Erbgut  reicht,  wo  die  Entlehnung  und  Übertragung  von  Rom 
aus  beginnt,  ist  oft  schwer  oder  gar  nicht  zu  entscheiden,  und  die  wichtige 
Frage  z.  B.,  ob  Name  und  Institut  der  pontifices  italisches  Gemeingut 
oder  latinische  bezw.  römische  Sonderschöpfung  ist,  harrt  noch  heute  der 
Beantwortung.  0  Nur  das  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  in  dem 
in  der  Festtafel  zur  Darstellung  kommenden  ältesten  Götterkreise  neben 
den  allgemein-italischen  und  latinischen  Gottheiten  diejenigen  spezifisch 
römischer  Gestaltung  bereits  einen  recht  breiten  Raum  einnehmen,  die 
Fixierung  der  Festtafel  also  erst  geraume  Zeit  nach  der  Aussonderung 
der  Römer  aus  dem  latinischen  Stamme  erfolgt  sein  kann.  Wir  vermögen 
stellenweise  an  den  Kulten  noch  das  allmälige  Anwachsen  der  Stadt  zu 
verfolgen :  der  Umlauf  der  Luperci  um  den  Fuss  des  palatinischen  Berges 
an  den  Lupercalia  beweist,  dass  zur  Zeit  der  Stiftung  dieses  Festes  Rom 
auf  den  Palatin  beschränkt  war,  die  Feier  des  Septimontium  am  11.  Dezem- 
ber stammt  aus  einer  Zeit,  wo  die  Stadt  sich  über  den  Palatin,  die  Velia, 
den  Esquilin  und  den  vorderen  Teil  des  Caelius  erstreckte;^)  am  wichtig- 
sten aber  für  die  Datierung  der  Fest^fel,  für  die  uns  die  den  Alten 
geläufige  Zurückführung  auf  Numa^)  keinen  Schritt  weiter  bringt,  ist  die 
Verehrung  des  Quirinus  an  hervorragender  SteUe:  da  dieser  Kult 'untrenn- 
bar am  Qnirinalischen  Hügel  haftet,  so  kann  die  Ferienordnung  erst  nach 
Einbeziehung  dieses  Hügels  in  das  städtische  Weichbild  festgelegt  worden 
sein,  und  wir  werden  damit  in  die  Zeit  der  Vierregionenstadt^)  geführt. 
Was  uns  über  die  Örtlichkeiten  der  ältesten  Kulte  bekannt  ist,  lässt  sich 
mit  dieser  Sachlage  sehr  wohl  vereinigen :  die  Heiligtümer  liegen  auf  dem 
Palatin  (Faunus,  Pales),  in  den  den  Berg  umgebenden  Thälem,  so  nach  dem 
Flusse  zu  (Carmenta,  Angerona,  Larenta,  Matuta,  Portunus),  am  Forum 
(Janus,  Volcanus,  Saturn us,  Ops,  Vesta),  im  Circusthale  (Consus),  dann 
auf  dem  capitolinischen  Berge  (Juppiter,  Terminus,  Liber,  Vejovis),  auf  dem 
Caelius  (Garna),  zwischen  Gapitol  und  Quirinal  (Föns),  endlich  auf  dem 
Quirinal  selbst  (Quirinus,  Flora) ;  nur  der  Kriegsgott  Mars  hat  seinen  Altar 
ausserhalb  des  Pomerium  im  Gebiete  des  imperium  militiae,  und  die  Feste 
einiger  Gottheiten  finden  in  Hainen  ausserhalb  des  Weichbildes  statt,  teils 
in  geringer  Entfernung  (Furrina,  Anna  Perenna),  teils  an  den  Grenzen 
der  römischen  Feldmark  (Robigalia,  Ambarvalia).  Wichtig  für  die  Zeit- 
bestimmung der  Festtafel  ist  auf  der  andern  Seite,  dass  sie  der  capitolini- 
schen Trias  (sowie  des  etwa  gleichzeitig  in  Rom  aufgenommenen  Kultes 
der  Diana)  nicht  gedenkt,  sowie  dass  wir  in  diesem  Götterkreise  noch 
keiner  einzigen  griechischen  Gottheit  begegnen:  denn  wenn  auch  Ceres 
und  Liber  schon  verhältnismässig  früh  mit  Demeter  und  Dionysos  gleich- 
gesetzt worden  sind,  so  sind  sie  doch  von  Haus  aus,  wie  ihre  Namen  be- 
weisen, einheimisch  italische  Gottheiten  ebensowohl  wie  Flora  und  Nep- 
tunus,  die  ja  ebenfalls  später  durch  Aufnahme  griechischer  Elemente  eine 
völlige  Umgestaltung  ihres  Wesens  erfuhren.  Wenn  nun  die  alte  Über- 
lieferung sowohl  die  Gründung  des  capitolinischen  Heiligtums  als  die  Zu- 


>)  J)ß  R088I,  Bullett.  d.  Inst.  1884,  8. 
*)  O.   RicHTBB, ^  Handb.   III   753;    über 
den  Stadtnmfang  zur  Zeit  des  Septiinontiain 


s.  WissowA,  Satura  Viadrina  (1896)  1  ff. 

»)  Liv.  I  19,  7  u.  a. 
'       *)  0.  RioHTBB,  Handb.  III  754. 


28  Religion  und  Ealtns  der  Römer.    I.  Religionsgeschichte. 

lassung  griechischer  Kulte,  wie  sie  sich  in  der  Aufnahme  der  sibyllinischen 
Bücher  und  der  Einsetzung  der  Ilviri  sacris  faciundis  ausspricht,  dem 
tarquinischen  Eönigsgeschlechte  zuweist,  und  man  soviel  als  sicher  an- 
nehmen darf,  dass  beide  Ereignisse  vor  Beginn  der  republikanischen  Zeit- 
rechnung an  den  Ausgang  der  Königszeit  gehören,  so  führt  uns  die  Fest- 
tafel in  eine  jenseits  dieser  Periode  liegende  Zeit:  will  man  die  Erzählungen 
der  Alten  von  den  Religionsstiftern  der  römischen  Vorzeit  so  verstehen, 
dass  Numa  auf  der  einen  und  die  Tarquinier  auf  der  andern  Seite  die 
beiden  vorrepublikanischen  Entwicklungsphasen  der  römischen  Religion 
verkörpern,  so  mag  man  getrost,  um  einen  Namen  zu  haben,  die  Ferien- 
ordnung und  das  eben  dargestellte  Göttersystem  als  die  Schöpfung  des 
Numa  bezeichnen. 

Litteratur:  Gelehrte  aber  fast  durchweg  haltlose  Kombinationen  über  die  Ge- 
schichte der  ältesten  römischen  Kulte  und  ihren  Zusammenhang  mit  der  räumlichen  Ent- 
wicklung der  Stadt  bei  0.  Gilbert,  Geschichte  und  Topographie  der  Stadt  Rom  im  Alter- 
tum.   Bd.  I,  Leipzig  1883. 

6.  Die  Formen  der  ältesten  Götterverehrung.  Wenn  Yarro  an 
einer  oft  citierten  Stelle  seines  Logistoricus  Curio  de  cultu  deorum  die  Be- 
hauptung aufstellte,  dass  die  Römer  über  170  Jahre  lang  ihre  Götter  ohne 
Bilder  verehrt  hätten,  und  damit,  wie  richtig  erkannt  worden  ist,  0  der  ganzen, 
vor  der  Gründung  des  capitolinischen  Heiligtums  liegenden  Periode  die 
Kenntnis  menschenähnlicher  Götterbilder  absprach,  so  findet  diese  Ansicht 
in  den  sonstigen  Zeugnissen  ihre  volle  Bestätigung.  Die  Beschaffenheit 
der  altrömischen  Göttervorstellungen  schloss  eine  Darstellung  in  mensch- 
licher Gestalt  völlig  aus,  und  bei  der  Anschauung,  dass  die  Götter  an 
bestimmten  Orten  und  Thätigkeiten  hafteten,  fiel  überhaupt  jedes  Bedürfnis 
nach  einer  gesonderten  Darstellung  der  Götter  fort:  Thür  und  Herd  waren 
die  Stätten,  an  denen  Janus  und  Yesta  walteten,  ganz  ebenso  wie  Quell  und 
Fluss  die  Sitze  der  Götter  Föns  und  Volturnus  sind,  oder  das  Saatfeld 
und  der  Grenzstein  die  der  Tellus  und  des  Terminus ;  die  Gottheit  ist  nur 
im  Gegenstande  ihrer  Wirksamkeit  vorhanden,  und  für  eine  Trennung  von 
dieser,  wie  sie  für  die  Schaffung  eines  Bildes  notwendig  ist,  lag  weder  ein 
Anlass  noch  eine  Möglichkeit  vor.  Nur  für  diejenigen  Gottheiten,  deren 
Machtbereich  minder  nahe  und  greifbar  war,  wünschte  man  sichtbare  An- 
zeichen und  Bürgschaften  ihres  Waltens  zu  besitzen,  und  darum  begegnen 
uns  im  Kulte  des  Juppiter  der  heilige  silex,  das  Abbild  des  Donnerkeils, 
und  in  dem  des  Mars  die  heiligen  Schilde  {ancilia)  und  Lanzen:  aber  es 
sind  das  nicht  Symbole,  in  denen  man  die  Gottheit  verehrt,  sondern  Aus- 
rüstungsstücke, welche  die  Priester  dieser  Götter  (Fetiales  und  Salii)  mit 
sich  führen  und  deren  sie  sich  bedienen,  wenn  sie  im  Namen  ihres  Gottes 
in  Funktion  treten.  Die  meisten  Götter  dieses  Kreises  haben  auch  später 
eine  bildliche  Darstellung  nie  erhalten;  diejenigen  aber,  die  eine  solche 
plastische  Ausgestaltung  erfahren  haben,  sind  zu  derselben  unter  dem 
Einflüsse  griechischer  Göttertypen  und  durchweg  in  erheblich  späterer 
Zeit  gelangt,  meist  erst  nachdem  auch  das  innere  Wesen  und  der  Kult 
der  einzelnen  Gottheiten  bereits  tiefgehende  Umwandlungen  erfahren  hatten ; 


*)  Vgl.  H.  KsTTNBR,  Varron.  Stud.  S.  57  f.  Detlefs bn,  De  arte  Roman,  antiquiss.  I  3  f. 


A.  Aelteste  Zeit.    6.  Formen  der  ältesten  GOtterTerehrang.  29 

auch  vermeintlich  uralte  Götterbilder,  wie  das  des  Janus,  machen  davon 
keine  Ausnahme.  Mit  dem  Götterbilde  ist  auch  das  Gotteshaus  dem  ältesten 
Kultus  fremd:  erst  der  in  menschlicher  Gestalt  gedachte  Gott  bedarf  eines 
Wohnhauses,  der  einfacheren  Auffassung  ist  der  Gott  in  den  Gegenständen 
seines  Wirkens  gegenwärtig,  und  jedes  Saatfeld  und  jeder  Herd  bilden 
eine  Verehrungsstätte  der  Tellus  und  der  Yesta :  der  Staat  freilich  braucht 
für  seinen  Gottesdienst  bestimmte  heilige  Lokalitäten,  aber  es  genügt  für 
ihn,  aus  den  zahlreichen  Stätten  der  Wirksamkeit  eines  Gottes  eine  aus- 
zuwählen, an  der  man  sich  ihn  vornehmlich  gegenwärtig  und  thätig  denkt: 
es  sind  entweder  Haine  (Anna  Perenna,  Furrina,  Robigus)  oder  Altäre  (Mars, 
Saturnus,  Consus)  oder  fana,  d.  h.  heilige  Bezirke  mit  unbedeckten  Altären  0 
(Carroenta,  Carna  u.  a.).  In  der  Art  der  Kultstätten  gibt  sich  vielfach 
das  Wesen  der  betreffenden  Gottheit  deutlich  zu  erkennen:  dem  Wald- 
gotte  Faunus  kommt  die  Wolfshöhle  (Lupercal)  am  Palatin  zu,  der  Altar 
des  Erntegottes  Consus  liegt  unterirdisch  in  einer  Grube,  wie  man  sie  als 
primitive  Aufbewahrungsräume  für  die  Feldfrucht  benützte,  und  ähnlich 
ist  es  auch  zu  verstehen,  wenn  das  Fest  der  Larenta,  in  deren  Kult  alles 
auf  eine  Toten-  und  Unterweltsgottheit  hinweist,  angeblich  an  ihrem  im 
Yelabrum  gelegenen  Grabe  stattfand.  Manche  Gottheiten  scheinen  eigne 
Heiligtümer  überhaupt  nicht  besessen  zu  haben ;  die  Feier  der  Ops  an  den 
Opiconsivia  wenigstens  fand  in  einem  Sacristeiraum  (sacrarium)  der  Regia 
statt,  und  ebenda  wurden  auch  die  heiligen  Gegenstände,  wie  die  ancilia 
und  hastae  Martis,  aufbewahrt.  Nur  Yesta  hat  ein  bedecktes  Heiligtum, 
weil  der  Staatsherd  mit  seinem  immer  brennenden  Feuer  nicht  unter  freiem 
Himmel  stehen  kann;  aber  auch  später,  als  an  Stelle  des  ursprünglich 
jedenfalls  sehr  einfachen  Baues  ein  steinerner  Tempel  getreten  war,  hat 
sich  dieser  von  allen  übrigen  nicht  nur  durch  seine  Form  und  seine  kleinen 
Dimensionen,  sondern  auch  durch  das  Fehlen  eines  Tempelbildes  unter- 
schieden, weil  er  eben  nicht  als  Wohnung  der  Göttin,  sondern  nur  als 
Obdach  des  heiligen  Feuers  gedacht  war.  Das  sind  die  Stätten,  die  der 
Staat  auf  seinem  Grund  und  Boden  [in  loco  publico)  der  Gottesverehrung 
bestimmt  hat  und  an  denen  seine  Organe  diejenigen  Handlungen  vornehmen, 
durch  welche  die  von  ihm  übernommenen  religiösen  Yerpflichtungen  ihre 
Erfüllung  finden.  Der  einzelne  Bürger,  dem  es  natürlich  unbenommen 
bleibt,  auch  seinerseits  an  diesen  Staatsaltären  bei  besonderem  Anlass  ein 
Opfer  zu  bringen  oder  eine  Yotivgabe  zu  spenden,  genügt  seinen  laufenden 
Nichten  gegen  die  Gottheit  innerhalb  seines  Eigentums;  hier  finden  der 
Genius  des  Hausvaters,  die  Laren  des  Grundstückes,  die  Yesta  des  Haus- 
herdes ihre  Yerehrung  und  neben  ihnen  die  dl  penates,  d.  h.  die  Gesamtheit 
derjenigen  Gottheiten,  die  in  diesem  einzelnen  Haushalte  als  die  Förderer  und 
Beschützer  seines  Wohlstandes  und  Gedeihens  gelten.  Die  häusliche  Gottes- 
verehrung vollzieht  sich  überall  in  denselben  Formen  wie  die  staatliche, 
den  Staatsfeiertagen  entsprechen  in  jeder  Familie  als  feriae  privatae  die 
Geburtstage  und  Totenfeiern  der  Angehörigen  und  sonstige  Gedenktage; 
analog  den  zur  Lustration  von  Stadt  und  Feldmark  von  Staatswegen  vor- 


»J  Vgl.  JoKDAN,  Hermes  XIV  577. 


30 


Religion  und  Kultus  der  BOmer.    I.  Beligionsgeaohichte. 


genommenen  Sühnumgängen  des  Amburbium  und  der  Ambarvalia  vollzieht 
jeder  Grundeigentümer  alljährlich  für  sein  Gut  die  lustratio  agri  u.  s.  w. 
Ueberall  ist  der  Verkehr  zwischen  Mensch  und  Gottheit  ein  direkter,  nir- 
gends schiebt  sich  ein  zur  Vermittlung  allein  berechtigter  Priesterstand 
ein:  die  Speziaipriester  der  einzelnen  Gottheiten  sind  deren  Diener  und 
sichtbaren  Stellvertreter,  daher  treten  sie  auch  in  einem  dem  Wirkungs- 
kreise ihres  Gottes  entsprechenden  Aufzuge  auf,  die  Luperci  des  Faunus 
als  halbnackte  Waldmenschen,  die  Salier  des  Kriegsgottes  behelmt  und 
gepanzert,  mit  Speer  und  Schild,  die  Fetialen  mit  dem  Scepter  und  dem 
silex  des  Juppiter,  und  das  umständliche  Ceremoniell,  welches  die  Vesta- 
linnen  und  von  den  Flamines  namentlich  den  Flamen  Dialis  und  seine 
Gattin  umgibt,  hat  in  derselben  Anschauung  seine  Begründung:  was  der 
einzelnen  Gottheit  fremd  und  feindlich  ist,  darf  auch  der  sie  vertretende 
Priester  weder  thun  noch  sehen. 

Was  die  Formen  anlangt,  unter  denen  die  Götter  verehrt  werden, 
so  haben  schon  die  Alten  als  charakteristische  Merkmale  der  altrömischen 
Religion  auf  der  einen  Seite  die  grosse  Einfachheit  der  Ausstattung,  auf 
der  andern  die  Peinlichkeit  und  Kompliziertheit  des  Rituals  hervor- 
gehoben.») Bei  der  grossen  Stabilität,  die  allen  Gebräuchen  und  Vor- 
schriften religiöser  Art  in  Rom  noch  mehr  als  anderswo  innewohnt,  zeigen 
sich  uns  im  sakralen  Ceremoniell  der  späteren  Zeit  noch  vielfach  erstarrte 
Überreste  aus  einer  weit  zurückliegenden  Entwicklungsperiode:  die  beim 
Bundesopfer  der  Fetialen  vorgeschriebene  Tötung  des  Opfertieres  durch 
einen  Schlag  mit  einem  Steine  (.9t7ßx),  der  Ausschluss  des  Eisens  von  den  älteren 
Kulthandlungen  zu  Gunsten  der  Bronze,  die  alleinige  Verwendung  thö- 
nerner,  ohne  Anwendung  der  Töpferscheibe  gefertigter  Gefasse  zum  >Jieili- 
gen  Gebrauche,  Vorschriften  wie  die,  dass  das  erloschene  Feuer  der  Vesta  nur 
auf  die  alte  Weise  durch  Reiben  zweier  Holzstücke  wieder  anzuzünden 
sei,  oder  dass  die  Speltkörner  zum  Opferschrot  nur  gestossen,  nicht  gemahlen 
werden  durften,*)  lassen  uns  in  die  Zeiten  einer  noch  sehr  primitiven  Kul- 
tur und  entsprechend  bescheidenen  Gottesdienstes  zurückblicken  und  zeigen, 
wie  früh  die  rituellen  Formen  ihre  Feststellung  erfahren  haben.  Dass  die 
dargebrachten  Opfergaben  im  ältesten  Staatskulte  ebenso  bescheiden  waren, 
wie  sie  es  in  der  häuslichen  Gottesverehrung  auch  in  historischer  Zeit 
noch  sind,  zeigt  der  Dienst  der  Vestalinnen,  von  dem  ein  sehr  wesentlicher 
Teil  darin  besteht,  die  ältesten  und  einfachsten  Nahrungsmittel,  Spelt- 
schrot {molu  saha)  und  Salzlake  {muries)  für  den  Gebrauch  beim  Opfer 
herzustellen.  Unblutige  Opfergaben,  wie  wir  sie  im  Hauskulte  finden, 
Kränze,  Abgaben  von  den  Speisen  des  Tisches,  Erstlinge  der  Feld-  und 
Baumfrüchte,  Lichterspenden  und  einfaches  Räucherwerk,  haben  sicher 
in  der  ältesten  Zeit  auch  im  Staatsgottesdienst  die  Hauptrolle  gespielt; 
eine  besonders  beliebte  Opfergabe  waren  Opferkuchen,  für  die  verschie- 


*)  Cic.  de  rep.  II  27:  sacrorum  aufetn 
ipsorum  diligentiam  difficilem,  apparatum 
perfacilem  esse  voluit:  nam  quae  perdiscenda 
quaeque  observanda  essent,  multa  constituUy 
sed  ea  sine  hnpensa.    Mehr  bei  Mabqcardt, 


Staatsverw.  III  6  f. 

')  Helbio,  Die  Italiker  in  der  Poebene 
S.  80  f.  86.  72.  Jobdan,  Der  Tempel  der 
Vesta  S.  80.  Vgl.  auch  Mommskk.  Grenz- 
boten 1870  I  162. 


A.  Aelteste  Zeit.    6.  Formen  der  ältesten  Götterrerehrnng.  31 

denen  Gottheiten  nach  Form  und  Benennung  verschieden,  ^  und  der  Flamen 
Dialis  war  gehalten,  stets  ein  Gefäss  mit  zwei  Arten  solcher  Kuchen, 
sirues  und  fertum,  bei  der  Hand  zu  haben.  ^)  Aber  auch  Tieropfer  sind  trotz 
gegenteiliger  Behauptungen  pythagoreisierender  Gewährsmänner  dem  Gottes- 
dienste des  Numa  nicht  fremd,  sondern  bereits  in  mannigfacher  Form  ver- 
treten: das  Fest  der  Fordicidia  hat  seinen  Namen  von  dem  der  Tellus 
dargebrachten  Opfer  von  fordae  boves,  d.  h.  trächtigen  Kühen,  das  Opfer 
des  Ovis  Idulis  an  Juppiter,  des  Rosses  an  Mars,  eines  Hundes  an  den 
Lupercalia  und  Bobigalia  u.  a.  gehören  ohne  Frage  schon  dieser  ältesten 
Zeit  an  und  aus  ihr  stammen  jedenfalls  schon  die  Grundzüge  des  späteren 
Opferrituals,  welches  für  jeden  Gott  und  jeden  Anlass  genaue  Vorschriften 
über  Art,  Geschlecht,  Alter  und  Beschaffenheit  der  zulässigen  Opfertiere 
enthält.  Wie  unter  den  unblutigen  Opfergaben  Milch,  Bohnen  und  Spelt 
entsprechend  den  einfachsten  Ernährungsverhältnissen  auch  später  noch 
in  den  aus  ältester  Zeit  stammenden  Kulten  eine  grosse  Rolle  spielen,') 
so  steht  unter  den  Opfertieren  das  Schwein  als  das  am  meisten  gehaltene 
Haustier  oben  an,^)  das  bedeutendste  Opfer  bilden  die  aus  Vertretern 
aller  drei  Hauptarten  des  Viehstandes  (Schwein,  Schaf,  Stier)  zusammen- 
gesetzten Suovetaurilia,  wie  sie  dem  Mars  bei  dem  Flurumgange  der  Am- 
barvalia  und  beim  Lustrum  dargebracht  werden;  auf  ehemalige  Menschen- 
opfer weist  keine  sichere  Spur  hin,  so  sehr  sich  alte  und  neue  Gelehrte 
bemüht  haben,  Gebräuche  der  späteren  Zeit  aus  solchen  zu  erklären.^)  Die 
Opfer  bilden  den  Mittelpunkt  jeder  Festfeier,  aber  eine  Menge  anderer 
Gebräuche  umgeben  dieselben:  rituelle  Tänze  und  Umläufe  der  Priester, 
wie  bei  den  März-  und  Oktoberfesten  der  Salier  und  an  den  Lupercalia, 
Prozessionen,  an  denen  sich  ausser  den  Priestern  auch  die  Staatsbeamten 
und  das  Volk  beteiligen  (Robigalia,  Ambarvalia);  an  den  Consualia  und 
an  den  Marsfesten  des  27.  Februar,  14.  März  und  15.  Oktober  werden  be- 
reits Rennspiele  gefeiert,  aber  in  anderer  Weise  als  später,  nicht  als  be- 
sondere SchausteUung,  sondern  als  ritueller  Akt,  indem  man  zu  Ehren  des 
Elmte-  und  des  Kriegsgottes  die  ihnen  besonders  zukommenden  Tiere, 
das  Zugvieh  und  die  Streitrosse,  rennen  lässt.^)  Oft  gestalten  sich  diese 
Featfeiern  zu  wahren  Volksfesten,  an  denen  sich  die  grosse  Menge  mit 
allerlei  alten  Bräuchen  und  oft  in  ausgelassener  Fröhlichkeit  beteiligt; 
letzteres  gilt  namentlich  von  den  Festen,  die  für  die  Angehörigen  be- 
stimmter Verbände  und  Oertlichkoiten  Bedeutung  haben,  wie  die  Terminalia 
für  die  Grenznachbam,  die  Fornacalia  für  die  Mitglieder  der  Curien,  die 
Compitalia  für  die  Anwohner  eines  Compitum,  die  Feste  des  Septiniontium 
und  der  Paganalia  für  die  Berg-  und  Gaugenossen;  das  Fest  der  Anna 
Perenna  zeigt  eine  Reihe  fröhlicher  Neujahrsbräuche,  während  an  dem 
ursprünglichen  Hirtenfeste  der  Parilia  verschiedene  Ceremonien  der  Reini- 
gung und  Sühnung  von  Mensch  und  Vieh  vorgenommen  werden.  Aber 
diese  Beteiligung  des  Publikums  ist  für  die  allgemeinen  Staatsfeste  etwas 


>)  Marquardt,  Staatsverw.  III  169.         i           ^)  Material  bei  Th.  Roeprr,    Lucnbra- 

*)  Gell.  X  15,  14.  I  tionum  pontificalium  primitiae  (Gedani  1849) 

»)  HsLBiG  a.  a.  0.  S.  70  f.  !  38  ff. 

*)  Varro  de  r.  r.  !l  4,  9.  «j  Mommsen,  Rom.  Forsch.  II  42  f. 


32  Religion  und  Knltns  der  Römer.    I.  Religionsgeschiohte. 

Nebensächliches,  die  eigentliche  ErftÜlung  der  an  diesen  Tagen  fälligen 
religiösen  Verpflichtungen  fällt  den  Organen  des  Staates  zu,  ebenso  wie 
auch  die  Unterabteilungen  und  lokalen  Verbände,  wie  die  Gurien  oder 
die  montani  und  pagani  durch  ihre  Vorsteher  {curiones  bezw.  magist ri)  unter 
Mitwirkung  eigener  Priester  (flamines)  mit  der  Gottheit  verkehren. 

Sind  demgemäss  diejenigen  Akte,  durch  welche  der  Staat  wie  der 
einzelne  den  Göttern  ihre  Verehrung  kundgeben,  an  sich  weder  besonders 
mannigfaltig  noch  kompliziert,  so  zeigt  sich  die  oft  betonte  Peinlichkeit 
und  Skrupulosität  der  altrömischen  Anschauung  in  dem  diese  Akte  um- 
gebenden Ceremoniell  und  dem  umfangreichen  Apparate  von  Gebeten  und 
Formeln,  der  überall  zur  Anwendung  kommt.  Die  Gottheit  hat  ein  An- 
recht darauf,  immer  genau  in  derselben  Weise  verehrt  zu  werden,  in  der 
es  von  Alters  her  geschehen  ist  und  die  sie  einmal  acceptiert  hat :  da  gibt 
es  keine  Scheidung  von  Wichtigem  und  Nebensächlichem,  sondern  jede 
Handreichung,  jede  Bewegung,  jedes  Wort  müssen  genau  in  der  vor- 
geschriebenen Weise  erfolgen,  wenn  nicht  die  ganze  Handlung  ungiltig  sein 
soll.  Daher  die  genauen  Vorschriften  über  die  jeder  heiligen  Handlung 
vorangehenden  Reinigungen,  über  die  nach  den  einzelnen  Kulten  und  Ge- 
legenheiten verschiedenen  Erfordernisse  der  Opfergaben,  über  Stellung  und 
Haltung  des  Betenden  und  Opfernden,  vor  allem  aber  über  die  in  jedem 
einzelnen  Falle  anzuwendenden  Gebets-  und  Anrufungsformeln  {carmina),  deren 
Zahl  eine  sehr  grosse  war.  Für  jeden  Anlass  existieren  verschiedene,  zu- 
weilen in  rhythmische  Fassung  gebrachte,  öfter  nur  durch  einen  gewissen 
Parallelismus  der  Glieder  und  durch  feierliche  Wiederholungen  und  Häu- 
fungen synonymer  Begriffe  stilisierte  Formeln,  die  der  amtierende  Priester 
zur  Anwendung  bringt  oder,  falls  ein  Beamter  des  Staates  die  Kulthand- 
lung vollzieht,  diesem  vorspricht,  für  Gelübde  und  Konsekration,  für  die 
Inauguration  und  die  Evokation  der  Götter  aus  einer  belagerten  Stadt,  für  all 
die  zahlreichen  in  regelmässiger  Abfolge  wiederkehrenden  Anlässe  bei  Opfer 
und  Festfeier;  ein  Rest  dieses  reichen  Schatzes  von  Gebeten  und  Formeln 
sind  noch  die  zahlreichen  verba  pontificalia,  die  der  voll  entwickelten  Sprache 
bereits  fremd  geworden  waren  und  den  späteren  Gelehrten,  z.  B.  Verrius 
Flaccus,  ein  weites  Feld  für  die  Ausübung  ihrer  Deutungskunst  boten.  Denn 
auch  an  der  sprachlichen  Form  der  Gebete  durfte  nichts  geändert  werden, 
gleichviel  ob  sie  dergestalt  den  Priestern  selbst  unverständlich  wurden:  die 
Salier  und  Arvalbrüder  haben  bei  der  Absingung  ihrer  rituellen  Lieder 
sicher  höchstens  eine  ganz  dunkle  Vorstellung  von  dem  gehabt,  was  dieselben 
besagten;  aber  jede  Modernisierung  des  Textes  würde  das  Gebet  ebenso 
wertlos  gemacht  haben,  als  wäre  es  völlig  unterlassen  worden.  Ganz  be- 
sonders wichtig  ist  die  Anrufung  der  Gottheit,  sowohl  was  die  Auswahl 
der  in  jedem  einzelnen  Falle  heranzuziehenden  Götter  anlangt,  als  auch 
ihre  Reihenfolge  und  die  Form  der  Namensnennung:  denn  nur  wenn  er 
in  richtiger  Weise  angerufen  wird,  nimmt  der  Gott  die  ihm  dargebrachte 
Leistung  als  empfangen  an,  die  geringste  Verfehlung  macht  eine  Wieder- 
holung nötig,  wenn  man  nicht  dem  Gotte  das  ihm  Zukommende  schuldig 
bleiben  will.  Daher  ist  die  Kunst,  allzeit  die  rechte  Gottheit  in  passender 
Form  anzurufen,  zu  grosser  Fertigkeit  ausgebildet,  und  ihr  Ergebnis  sind 


B.  Bie  sum  2.  pnniflohen  Kriege.    7.  Das  oapitoliniBohe  Heiligtum. 


33 


die  unter  Verwahrung  der  Pontifices  stehenden  indigitamenta;  um  aber  in 
jedem  Falle  gedeckt  zu  sein,  fügt  man  in  den  Gebeten  meist  einen  Vor- 
behalt des  Irrtums  ein  in  der  Form  sive  quo  alio  nomine  fas  est  nominare^)^ 
oder  man  hütet  sich,  wenn  man  sich  über  Namen  und  Wesen  der  Gott^ 
heit,  die  bei  dem  augenblicklichen  Anlasse  einen  Rechtsanspruch  auf  Be- 
lücksichtigung  haben  könnte,  nicht  klar  ist,  überhaupt  einen  Namen  zu 
nennen  und  ersetzt  denselben  durch  Wendungen  wie  sive  deus  sive  dea^) 
oder  sive  mos  sive  femina.^)  Damit  aber  kein  Berechtigter  sich  über  Ver- 
nachlässigung beklagen  könne,  schreibt  das  Ritual  für  jedes  Gebet  nach 
Nennung  der  speziell  in  Betracht  kommenden  Götter  eine  generalis  invo- 
catio^)  aller  Gottheiten  vor,  entweder  in  der  allgemeinen  Wendung  di 
deaeque  omnes  oder  ceieri  di  ceteraeque  deae  oder  in  einer  Zusammenfassung 
in  bestimmte  Gruppen,  wie  di  omnes  caelestes  vosque  terrestres  vosque  infemi 
(bei  der  indictio  belli  durch  die  Fetialen  Liv.  I  32,  10)  oder  di  indigetes 
di  novensides  (s.  oben  S.  15)  und  vielen  ähnlichen:')  es  ist  auf  diesen 
Gebrauch  zurückzuführen,  das  uns  in  Rom  so  zahlreiche  Namen  für  der- 
artige Zusammenfassungen  einer  Mehrzahl  von  Göttern  begegnen,  unter 
welchen  die  der  di  penates  und  der  di  manes  die  wichtigsten  und  bedeute 
samsten  sind. 

Litteratnr:  Walz  in  Panlys  Realencycl.  VI  1  S.  430  ff.  Pabllbb-Jobdan,  Rom. 
Mjthol.  I  1C4  ff.  WissowA,  Neue  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert.  I  1898,  161  ff.  Ueber  die 
ftltesten  Formeln  und  carmina  Jobdan,  Erit.  Beitr.  z.  Gesch.  d.  latein.  Sprache  S.  178  ff. 
R.  Pbtbr,  Comment.  philol.  in  honorem  A.  Reifferscbeidii  (1884)  S.  67  ff.,  der  die  gesamte 
ftHere  Litteratnr  anführt.  C.  M.  Zandbb,  Versus  Italici  antiqui  (Lundae  1890)  S.  24  ff. 
und  p.  CCV  ff. 


Zweiter  Abschnitt. 

Bis  zum  zweiten  punischen  Kriege. 

7.  Die  Gründung  des  capitolinischen  Heiligtumes  und  die  gleich- 
zeitigen Neuerungen.  War  die  älteste  römische  Götterordnung  den  Inter- 
essen und  Bedürfnissen  einer  in  engsten  Verhältnissen  lebenden  kleinen 
Stadtgemeinde  angepasst,  so  wird  in  der  nun  folgenden  Periode  die  Ge- 
staltung der  religiösen  Verhältnisse  dadurch  bestimmt,  dass  Rom  über 
die  städtischen  Grenzen  hinauswächst  und  sich  durch  allmälige  Auf- 
saugung der  Nachbargemeinden  und  -Stämme,  mag  dieselbe  sich  durch 
friedlichen  Bündnisvertrag  oder  durch  gewaltsame  Unterwerfung  vollziehen, 
zu  einem  stetig  wachsenden  und  zukunftssichern  Staatswesen  umbildet. 
Die  veränderten  politischen  Verhältnisse  kommen   auf  sakralem   Gebiete 


*)  Devotionsformel  bei  Macr.  III  9,  10; 
TgL  Serv.  Aen.  11  351.    CIL  XI  1823. 

*)  So  bei  den  Arvalen  CIL  VI  2099  n  1.  3. 
2104  a  2.  2107,  9,  in  der  Evocationsformel 
Maer.  III  9,  7  und  beim  lueum  eanlucare  Cato 
de  agric.  139,  femer  auf  den  Altären  CIL 
VI  110.  111.  XIV  3572.  Notiz,  d.  Scavi  1890, 
218.  Ephem.  epigr.  V  1043;  vgl.  Gell.  II  28. 
liv.  VII  26,  4.  Amob.  III  8.  C.  Pascal,  Bull. 
areheol.  coman.  XXII  1894,  188  ff.  =  Studii 
di  antichitä  e  mitologia  p.  85  ff. 

HAadbuch  der  Ua«.  AltertamswiaKOBcbaft.    V.  4. 


»)  Serv.  Aen.  Tl  351.  Plut.  Q.  R.  61. 
Macr.  lU  8,  3. 

*)  Serv.  Georg,  l  21;  Aen.  VIII  103. 

s)  Vgl.  namentlich  Plaut.  Gist.  512  a/ 
Ua  me  di  deaeque  superi  atque  inferi  et 
medioxumi,  ein  Scherz,  aus  dem  dann  Apu- 
leius  (de  dogm.  Plat.  I  11  p.  73,  14  Goldb. 
=  Serv.  Aen.  VIII  275.  Mart.  Cap.  II  154) 
und  andre  (Serv.  Aen.  III  134)  ernsthaft  eine 
besondere  Klasse  di  medioxumi  gemacht 
haben. 

3 


34 


Religion  und  Kiiltne  der  BOmer.    L  BeligionsgMeliichie. 


zum  deutlichen  Ausdrucke:  die  alte  Göttertrias  Juppiter,  Mars,  Quirinus 
tritt  zurück  und  erhält  sich  nur  in  den  aus  der  älteren  Zeit  stammenden 
Oebetsformeln ;  an  ihre  Stelle  tritt  ein  neuer  Götterverein  Juppiter,  Juno, 
Minerva,  der  auf  der  die  Stadt  beherrschenden  Höhe  seinen  Sitz  erhält.^) 
Die  Gründung  dieses  Tempels,  die  in  mehr  als  einer  Beziehung  den  Beginn 
einer  neuen  Zeit  bedeutet,  wird  von  den  Alten  mit  Einstimmigkeit  auf 
die  tarquinischen  Könige  zurückgeführt:')  die  Überlieferung  weist  aber 
derselben  Dynastie  auch  eine  Reihe  anderer  wichtiger  Neuschöpfungen 
auf  religiösem  Gebiete  zu,  die  Erbauung  des  aventinischen  Dianaheiligtums ^) 
und  die  Stiftung  des  latinischen  Bundesfestes,'')  die  Erwerbung  der  sibj'-l- 
linischen  Sprüche  und  die  Einsetzung  des  Priestertums  der  Orakelbe  wahrer,^) 
die  Erbauung  des  Circus  sowie  die  Einführung  der  römischen  Spiele*)  und 
des  Triumphalceremoniells.^)  So  schwankend  und  willkürlich  auch  in 
dieser  Überlieferung  die  Verteilung  der  einzelnen  Leistungen  unter  die 
verschiedenen  Könige  des  tarquinischen  Hauses  ist,  so  darf  doch  die  un- 
gefähre Gleichzeitigkeit  und  der  innere  Zusammenhang  all  dieser  Neuerungen 
als  gesichert  gelten,  nicht  weil  es  so  überliefert  ist,  sondern  weil  eine  Prüfung 
der  unanfechtbar  feststehenden  Thatsachen  zu  demselben  Ergebnisse  führt. 
Unzweifelhaft  ist  zunächst,  dass  der  Tempel  der  Diana  auf  dem  Aventin 
Bundesheiligtum*  für  Rom  und  die  latinische  Eidgenossenschaft  war:  noch 
Dionysios  von  Halikarnass  (IV  26)  sah  in  diesem  Tempel  die  Bundes-  und 
Festordnung  auf  einer  Erztafel  aufgezeichnet,  und  da  wir  wissen,  dass 
das  Dianaheiligtum  zu  Aricia,  von  dem  das  römische  eine  Filiale  darstellt, 
das  religiöse  Zentrum  eines  latinischen  Städtebundes  bildete,^)  so  wird 
man  als  sicher  annehmen  dürfen,  dass  durch  die  Übertragung  dieses  Diana- 
kultes nach  dem  Aventin  zugleich  die  sakrale  Yorstandschaft  dieses  Bundes 
an  Rom  überging  [commune  Latinorum  Dianae  templum  Varro  de  1. 1.  V  43) : 
wie  durchweg  die  Erweiterung  des  römischen  Götterkreises  der  fort- 
schreitenden Ausdehnung  der  römischen  Herrschaft  parallel  läuft,  so  spiegelt 
sich  hier  in  der  Aufnahme  der  dem  römischen  Staatskulte  bisher  fremden 
Diana  der  Beginn  des  Aufgehens  der  Latiner  in  Rom  wieder.  Dass  dieses 
Heiligtum  das  erste  war,  das  unter  neuen  Verhältnissen  auf  Grund  eines 
ausgeführten  Tempelstatutes  in  Rom  gegründet  wurde,  beweist  der  Um- 
stand, dass  noch  in  der  Kaiserzeit  die  lex  arae  Dianae  in  Aventino,  und 
nur  diese,  für  allgemein  wiederkehrende  Bestimmungen  das  Vorbild  ab- 
gibt, auf  welches  andre  Tempelsatzungen  verweisen.^)  Von  diesem  römisch- 
latinischen  Bundesheiligtume  lässt  sich  aber  die  Einsetzung  oder  Er- 
neuerung des  Festes  auf  dem  Albanerberge  und  die  damit  zusammen- 
hängende   Gründung    des  Tempels    des   Juppiter   Latiaris»®)    nicht    wohl 


')  Vgl.  Anrufungen  der  capitolinischen 
Götter  in  Gebeten  z.  B.  Liv,  VI  20, 9.  XXXVIII 
51,  9;  denselben  Sinn  bat  es,  wenn  der  rö- 
mische Beamteneid  der  republikanischen  Zeit 
auf  Juppiter  0.  M.  (und  die  Penaten)  gestellt 
ist  (MoMMSEN,  Abhandl.  d.  sächs.  Gesellsch. 
d.  Wissensch.  llf  460  f.). 

')  Zeugnisse  bei  Jordan,  Topogr.  1 2  S.  8  f. 

»)  Liv.  I  45.    Dion.  Hai.  IV  26  u.  a. 

*)  Dion.  Hai.  IV  49. 


»)  Dion.  Hai.  IV  62  und  inehr  bei 
ScHWEGLBB,  Röm.  Gesch.  I  773  f. 

^)  Liv.  I  35.    SoHWBOLBR  a.  a.  0.  1  674. 

')  Strabo  V  220.  Plut.  RomuL  16.  Plin. 
n.  h.  XXXm  63  u.  a. 

')  Cato  bei  Prise.  IV  p.  129.  VII  p.  337; 
vgl.  Beloch,  Der  ital.  Bund  S.  179  ff. 

»)  CIL  III  1933.  XI  361.  XH  4333. 

*^)  Die  Ueberlieferung  bezeichnet  den 
Tempel    als   eine    Gründung    entweder    des 


B.  fiie  nun  8.  pnnisohen  Kriege.    7.  Das  capitolinisohe  Heiligtum.  35 

trennen:  beide  Schöpfungen  verfolgen  dasselbe  Ziel,  die  Dokumentierung 
der  Führerschaft  Roms  in  Latium;  kommt  dieselbe  auf  der  einen  Seite 
dadurch  zum  Ausdrucke,  dass  Rom  den  sakralen  Mittelpunkt  des  latinischen 
Bundes  in  seine  Feldmark  und  unmittelbar  vor  die  Grenzen  des  städtischen 
Weichbildes  legt,  so  erhält  sie  durch  die  Weiterführung  der  albanischen 
Feier  unter  römischer  Yorstandschaft  eine  Art  nachträglicher  historischer 
Legitimation.  Man  darf  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  das  früh  zerstörte 
Alba  Longa  an  der  Spitze  eines  die  ganze  latinische  Nation  umfassenden 
Bundes,  der  also  erheblich  weiter  reichte,  als  der  nach  Albas  Fall  an 
seine  Stelle  getretene  aricinische,  gestanden  hatte;  diesem  galten  die  in 
dem  Gebiete  dieser  Stadt  auf  dem  Mens  Albanus  gehaltenen  Festfeiem, 
durch  deren  Wiederaufnahme  Rom  seine  Hegemonie  über  das  ganze  nomen 
Latinum  zum  Ausdrucke  brachte;  die  erhaltenen  Auszüge  aus  dem  offi- 
zieUen  Verzeichnisse  der  an  der  Feier  des  Latiar  teilnehmenden  Gemeinden  ^ 
zeigen,  dass  dieser  Kreis  das  ganze  Gebiet  der  prisci  Latini  umfasste  und 
dass  darum  die  Erneuerung  des  gemeinsamen  Festes  unter  römischer 
Leitung  auch  neben  der  Überführung  des  aricinischen  Bundesheiligtums 
nach  Rom  noch  ihre  eigne  hervorragende  Bedeutung  hatte.  Die  Erbauung 
des  Tempels  des  Juppiter  Latiaris  auf  dem  Albanerberge  wird  man,  auch 
abgesehen  von  der  Überlieferung,  an  sich  geneigt  sein  für  gleichzeitig 
mit  der  Wiederaufnahme  der  feriae  Latinae  zu  halten,  und  die  Aus- 
grabungen haben  jedenfalls  die  hohe  Altertümlichkeit  des  Baues  sicher 
gestellt.')  Diese  spärlichen  Trümmer  lassen  aber  zugleich  im  Grund- 
plane des  Tempels  und  in  der  Bauweise  eine  so  auffallende  Überein- 
stimmung mit  den  Überresten  des  capitolinischen  Heiligtumes  erkennen, 
dass  sich  die  Vermutung,  beide  möchten  derselben  Zeit  angehören,  nicht 
wohl  abweisen  lässt.  Diese  Annahme  findet  in  unverkennbaren  alten  Be- 
ziehungen, welche  zwischen  beiden  Heiligtümern  obwalten,  eine  bedeutende 
Stütze:  das  Bundesopfer  weisser  Stiere^)  ist  das  nämliche,  welches  die 
römischen  Consuln  am  Tage  ihres  Amtsantrittes  auf  dem  Capitol  dar- 
bringen/) die  albanische  Festfeier  wirkt  auch  in  Rom  selbst  nach,  indem 
während  derselben  auf  dem  Capitol  ein  Wagenrennen  abgehalten  wird,^) 
als  End-  und  Zielpunkt  des  Triumphzuges  tritt  der  Tempel  des  Juppiter 
Latiaris  in  derselben  Weise  auf,  wie  der  capitolinisohe.^)  Diese  Erschei- 
nungen finden  eine  zwanglose  Erklärung  nur  durch  die  Annahme,  dass 
beide  Heiligtümer  ungefähr  gleichzeitig  und  unter  den  gleichen  histo- 
rischen Voraussetzungen  entstanden  sind,  das  eine  als  Mittelpunkt  des 
wenigstens  sakral  geeinten  Latium,  der  andere  als  Sitz  der  Götter  der 
Hauptstadt.  In  beiden  Fällen  ist  es  Juppiter,  dem  die  Verehrung  gilt, 
auf  dem  Albanerberge  als  Schutzherr  von  Latium,  auf  dem  Capitol  als 
der  Höchste  und  Beste,  der  die  Schutzgötter  anderer  Gemeinden  eben  so 
weit  überragt,  wie  Rom  seine  Nachbarstädte;  ihm  zur  Seite  steht  nicht 


Tarqainiiis  Priscns  (Dion.  Hai.  VI  95.  Schol. 
Cic.  Bob.  p.  255  Or.)  oder  des  Tarquinius 
Soperbos  (Dion.  Hai.  IV  49). 

')  Pün.  n.  h.  III  68  f.    Dion.  Hai.  V  61. 
Vgl.  MoHHBRK,  Hermes  XVII  42  ff. 


314  ff.;  vgl.  Annali  1871,  239  ff.  und  G.  B. 
DE  Rossi,  Annali  1873,  163  ff. 

8)  Arnob.  II  68. 

*)  MoMMSEN,  Staatsr.  I  594. 

*)  Pün.  n.  h.  XXVII  45. 
>)  M.  St.  DB  RoBSi,  Annali  d.  Inst.  1876,   |  «)  Michaelis,  Annali  d.  Inst.  1876,  113  ff. 

3* 


36  Religion  und  Enltiu  der  Römer.    I.  Religionsgesohiohte. 

nur  die  schon  in  der  älteren  Anschauung  ihm  zugesellte  Juno,  sondern 
auch  als  neue  Genossin  Minerva,  und  so  entsteht  eine  Trias  ganz  andrer 
Art  als  die  alte  von  Juppiter,  Mars,  Quirinus.  Die  Herkunft  dieses  Götter- 
vereins i)  liegt  im  Dunkeln;  die  Ansicht,  dass  derselbe  auf  einer  allgemein 
italischen  Kultanschauung  beruhe,  hat  ihre  Hauptstütze  verloren,  seitdem 
erkannt  ist,  dass  die  zahlreichen  CapUolia  italischer  und  auswärtiger 
Städte  erst  Nachbildungen  des  römischen  sind  und  das  Recht  zur  Grün- 
dung eines  solchen  den  coloniae  vorbehalten  war;  die  teils  in  ihrer  Be- 
deutung überschätzte,  teils  grundlos  angezweifelte  Thatsache,  dass  es 
schon  vor  der  Gründung  des  capitolinischen  Tempels  auf  dem  Quirinal 
eine  Kapelle  von  Juppiter,  Juno,  Minerva  gab,*)  beweist  nichts  weiter,  als 
dass  dieser  Götterverein  schon  eine  Zeit  lang  vorher  in  bescheidnerer  Form 
in  Rom  Aufnahme  gefunden  hatte,  ehe  er  die  beherrschende  Stelle  auf 
dem  Capitol  einnahm.  Da  sich  in  engster  Verbindung  mit  dem  capito- 
linischen Kulte  sowohl  etruskische  als  griechische  Einflüsse  nachweisen 
lassen,  so  ist  es  am  wahrscheinlichsten,  dass  wir  es  mit  ursprünglich 
griechischen  Vorstellungen  zu  thun  haben,  die  durch  Etrurien  und  wohl 
nicht  ohne  dort  vorgenommene  Modifikationen  an  Rom  übermittelt  worden 
sind:  die  etruskische  Vermittlung  erklärt  es,  dass  der  Kult  ebensowenig 
mehr  als  ein  von  Haus  aus  griechischer  empfunden  wurde  wie  z.  B.  der 
über  Tusculum  nach  Rom  gelangte  Dioskurenkult.  Dass  in  Etrurien  bei 
der  Städtegründung  die  Anlegung  eines  Stadtheiligtums  von  Juppiter,  Juno 
und  Minerva  erforderlich  war,  lehrte  die  disciplina  Etrusca:^)  die  Gottheiten 
sind  alle  drei  italisch,  ihre  Verbindung  aber  wird  sich  entweder  so  er- 
klären, dass  die  ganze,  in  Griechenland  allerdings  nur  vereinzelt  nachweis- 
bare^) Trias  Zevg,  ''Hqa,  Ad^rjvä  von  dort  aus  in  Etrurien  Aufnahme  fand 
und  mit  den  genannten  einheimischen  Göttern  gleichgesetzt  wurde,  oder 
dass  ebendaselbst  nur  Minerva  unter  dem  Einflüsse  der  griechischen  Vor- 
stellungen von  der  Stadtgöttin  Athene  zu  Juppiter  und  Juno  gesellt  worden 
ist.^)  Etruskischer  Einfluss  gibt  sich  sowohl  in  dem  aus  den  Resten  noch 
deutlich  erkennbaren  Schema  des  Tempelgrundrisses  ^)  wie  in  der  Deko- 
ration des  Gebäudes  mit  Thonreliefs  und  thönernen  Verzierungen  und  dem 
aus  gleichen  Materiale  hergestellten  Tempelbilde  kund,  so  dass  die  Nach- 
richten der  Alten,  die  von  der  Mitwirkung  aus  Etrurien  herbeigeholter 
Künstler  reden,  von  dieser  Seite  her  als  durchaus  glaubwürdig  erwiesen 
werden.'')  Da  nun  aber  wieder  die  Ausstattung  des  Triumphators  nach 
der  des  Tempelbildes  geformt  ist  und  zum  Teil  geradezu  von  diesem  ent- 
lehnt wird,*)  so  gewinnt  die  Überlieferung,  welche  auch  die  Triumphal- 
insignien  aus  Etrurien  herleitet,  eine  besondere  Bedeutung.  Einen  Teil 
des  Triumphzuges  aber  bilden  ursprünglich  die  Festspiele,  die  erst  als  ludi 


*)  Varro   erklärte   Juppiter,   Juno,    Mi-  |  Dach  den  weiblichen  Gottheiten  der  capito- 

nerva  für  die  ältesten   Götter  (Tertull.  ad  |  linischen  Trias  durch  M.  Zbitlin,  Revue  de 

nat.  11  12).  I  rhistoire  des  relig.  XVII  1896,  320  ff.  bringt 

*)  Varro  de  1.  1.  V  158;  über  das  Capi-  |  nichts  Neues, 

tolium  vetus  s.  Hülsen,  Real-Encycl.  III  1540.  '  •)  Vgl.  darüber  H.  Deobrifo,  Nachr.  d. 

»)  Serv.  Aen.  I  422;  vgl.  Vitruv.  I  7,  1.  '  Götting.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  1897,  153 ff. 

*)  Pausan.  X  5,  1.  '  ')  Zeugnisse  bei  Jordan,  Topogr.  12  8. 8  ff. 

')  Die  ausführliche  Erörterung  der  Frage  ^)  Marquabdt,  Staatsverw.  II  586  f. 


B.  Bis  smn  2.  pnnisohen  Kriege.    7.  Das  oapitolinische  Heiliginm.  37 

magni  oder  votivi  ausserordentlicher  Weise,  dann  als  ludi  Romani  ständig 
gefeiert  wurden  und  das  Vorbild  für  alle  später  eingesetzten  derartigen 
Festfeiem  wurden;  wie  der  Triumph  stehen  sie  im  engsten  Zusammen- 
hange mit  dem  capitolinischen  Kulte  und  schliessen  sich  darum,  sobald 
sie  ständig  geworden  sind,  unmittelbar  an  den  Stiftungstag  dieses  Tempels 
an;  damit  tritt  auch  diese  Institution  in  den  Kreis  der  unter  etruskisch- 
griechischem  Einflüsse  stehenden  Neuerungen.  In  den  Kellerräumlichkeiten 
des  capitolinischen  Tempels  endlich  wurden  bis  auf  Augustus  die  sibylli- 
niscben  Bücher  aufbewahrt,^)  jene  Sammlung  griechischer  Orakelsprüche, 
die,  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  vermehrt  und  in  ihrem  Bestände  verändert, 
die  Grundlage  für  die  während  dieser  Periode  sich  vollziehende  helleni- 
sierende  Umbildung  des  römischen  Staatsglaubens  und  Staatsgottesdienstes 
abgegeben  hat  und  deren  Hüter  und  Deuter,  die  Ilviri  sacris  faciundis, 
auf  diese  Weise  zu  einer  so  hohen  Bedeutung  gelangten,  dass  sie  neben 
den  altrömischen  Staatspriestertümem  als  Vertreter  des  graecus  ritus  ihre 
gleichberechtigte  Stelle  fanden.  Verkörpert  das  oapitolinische  Heiligtum 
mit  seiner  künstlerischen  Ausstattung  und  seinem  Ceremoniell  den  auf  dem 
Umwege  über  Etrurien  und  in  entsprechender  Brechung  und  Verdunkelung 
nach  Rom  gelangten  griechischen  Einfluss,  so  sind  die  sibyllinischen  Bücher 
Träger  der  unmittelbar  von  den  Griechenstädten  Italiens,  in  erster  Linie 
von  Cumae  aus,  vordringenden  griechischen  Elemente,  wie  sich  das  deutlich 
in  einer  scheinbaren  Nebensache  ausspricht:  wie  uns  gut  bezeugt  ist, 
waren  es  vejentische  Handwerker,  die  Tempel  und  Götterbild  des  Capitols 
schufen,  während  an  dem  ersten  auf  Grund  sibyllinischer  Weissagungen 
in  Rom  erbauten  Tempel,  dem  der  Göttertrias  Ceres,  Liber,  Libera,  grie- 
chische Künstler,  Damophilos  und  Gorgasos  mit  Namen,  thätig  waren.') 
Die  Zeit,  in  der  die  hier  aufgezählten  überaus  folgenschweren  Neu- 
erungen auf  religiösem  Gebiete  erfolgten,  lässt  sich  genau  nicht  bestimmen 
und  abmessen:  nur  soviel  steht  sicher,  dass  sie  vor  den  Beginn  der 
republikanischen  Zeitrechnung  fallen  und  unter  sich  in  einem  so  engen 
innerlichen  Zusammenhange  stehen,  dass  sie,  wenn  sie  nicht  Schöpfungen 
ein  und  derselben  Person  sind,  so  doch  jedenfalls  dem  gleichen  eng  be- 
grenzten und  von  denselben  leitenden  Gedanken  beherrschten  Zeiträume 
angehören.  Die  Alleinherrschaft  der  alten  di  indigetes  ist  gebrochen. 
Wie  man  zu  der  Zeit,  als  durch  die  servianische  Verfassung  eine  für 
Patrizier  und  Plebejer  gemeinsame  staatsrechtliche  Grundlage  geschaflfen 
wurde,  den  Kreis  der  patrizischen  Häuser  derartig  abschloss,  dass  die 
Aufnahme  neuer  gentes  nicht  mehr  erfolgte,')  sondern  alle  Neubürger  nur 
die  Plebs  vermehrten,  wie  in  der  gleichen  Zeit  die  Meinung  zum  Durch- 
bniche  kam,  dass  das  Pomerium  der  Stadt,  das  früher  wiederholt  vor- 
geschoben worden  war,  unverrückbar  bleiben  müsse,  und  so  bei  der  wei- 
teren Ausdehnung  des  angebauten  Terrains  oder  sogar  des  Mauerringes 
das  neue  Stadtgebiet  nicht  in  die  Weichbildsgrenze  aufnahm,  sondern 
während    der   ganzen   republikanischen   Zeit   (bis    auf  Sulla)    als    extra- 


«)  Dion.  Hai.  IV  62. 
»)  Plin.  n.  h.  XXXV 154;  vgl.  A.  Philippi, 
Jahrb.  f.  Philol.  CVll  205  ff. 


')  MoMMSBN,   Staatsrecht   II L  82;    vgl. 
Rom.  Forsch.  I  71  ff. 


38  Beligion  nnd  Enliaa  der  Bömer.    I.  BellgionageBchichte. 

pomerial  in  gesonderter  Rechtsstellung  beliess,  so  hat  man  in  derselben 
Periode  der  geschichtlichen  Entwicklung  auch  den  Kreis  der  Stamm- 
götter {di  indigetes),  der  bisher  mancherlei  Zuwachs  erfahren  hatte,  für 
geschlossen  erklärt  und  alles,  was  durch  Aufnahme  und  Neuschöpfung 
hinzukam,  gewissermassen  einem  äusseren  aber  gleichberechtigten  Kreise 
von  Staatsgottheiten,  den  di  novensides^  zugewiesen.  Alles  das  geschah 
am  Ausgange  der  Königszeit,  und  die  Periode  der  di  novensides  in  der 
römischen  Staatsreligion  wird  eröffnet  durch  den  capitolinischen  Kult  und 
die  gleichzeitigen  sakralen  Neuerungen.  Von  der  Thatsache,  dass  sich 
am  Ende  der  Königszeit  eine  tiefgehende  Umwälzung  in  den  religiösen 
Verhältnissen  des  Staates  vollzogen  hatte,  war  den  Alten  eine  Erinnerung 
wohl  geblieben,  Geschichte  und  Hergang  derselben  im  einzelnen  war  ihnen 
jedoch  nicht  minder  dunkel  als  uns:  unverkennbar  ist  aber,  dass  eben 
diese  Umgestaltungen  für  die  weitere  Entwicklung  der  römischen  Religion 
die  alleinige  Grundlage  abgegeben  haben,  und  dass  alles,  was  wir  bis  zum 
Ausgange  des  3.  Jahrhunderts  auf  sakralem  Gebiete  in  Rom  sich  voll- 
ziehen sehen,  nur  geschieht  in  Weiterverfolgung  der  Bahnen,  die  durch 
diese  den  tarquinischen  Königen  zugeschriebenen  Reformen  eröfifhet  wurden : 
die  Religion  der  Tarquinier  ist  in  den  Grundzügen  die  des  republikanischen 
Rom  bis  zum  hannibalischen  Kriege. 

Litteratur:  Schweolbb,  Rom.  Gesch.  I  673  ff.  696  ff.  706  f.  730  f.  770  ff.  792  ff. 
Ambbosch,  Stadien  und  Andeutungen  S.  196  ff.  0.  Weise,  Rhein.  Mus.  XXXVI [1  551  ff. 
Ueber  Rom  und  Latium  Momhsen,  Staatsr.  III  607  ff.;  über  ausserrömische  Gapitole 
0.  EuHFBLDT,  De  Gapitoliis  imperii  Romani,  Berolini  1883.  A.  Castan,  Les  Gapitoles  pro- 
vinciauz  du  monde  romain,  Besanfon  1886.  De  Rossi,  Bull,  archeol.  com.  XV  (1887)  S.  67  f. 
E.  AusT  in  Roschers  Lexik.  II  739  ff.    Wissowa,  Real-Encycl.  III  1538  f. 

8.  Die  Erweiterung  des  Kreises  der  römischen  Staatsgötter, 
Wie  sich  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten  des  Freistaates  die  Ausbreitung 
und  Befestigung  der  römischen  Herrschaft  über  ganz  Italien  (einschliess- 
lich Siciliens)  vollzieht,  so  dehnt  sich  ganz  ebenso  der  Kreis  der  römischen 
Staatsgötter  dem  Vorschreiten  der  äusseren  Grenzen  und  der  Verviel- 
fältigung der  auswärtigen  Beziehungen  entsprechend  von  Generation  zu 
Generation  weiter  aus.  Die  dem  gesamten  Polytheismus  eigne  Toleranz 
gegen  fremde  Religionen  ist  von  den  Römern,  die  stets  mit  gewissen- 
haftester Sorgfalt  darauf  bedacht  sind,  keinem  göttlichen  Rechtsanspruche 
zu  nahe  zu  treten,  in  besonders  weitem  Umfange  geübt  worden,  natürlich 
unter  der  Voraussetzung,  dass  dadurch  die  auf  früher  eingegangenen  Ver- 
einbarungen beruhenden  Rechte  der  älteren  Götter  nicht  geschmälert 
wurden.  Wenn  der  Römer  in  seinen  Gebeten  am  Schlüsse  alle  Gott- 
heiten des  Himmels  und  der  Erde,  die  Götter  des  eignen  Staates  und  die 
der  Feinde,  die  er  bekämpft  {di  quibus  est  potestas  nostrorum  hostium- 
que  Liv.  VHI  9,  6)  anruft,  so  spricht  er  es  deutlich  aus,  dass  er  die 
augenblickliche  Begrenzung  des  Kreises  seiner  Staatsgottheiten  für  eine 
rein  zufällige  und  vorübergehende  hält  und  die  Existenz  gleichberech- 
tigter göttlicher  Wesen  ausserhalb  dieser  Grenzen  durchaus  anerkennt: 
nur  sind  jene  ihm  bisher  nicht  bekannt,  er  ist  aber  bereit,  sobald  sie 
ihm  näher  treten,  auch  seinerseits  zu  ihnen  Stellung  zu  nehmen.  Jede 
Ausdehnung  seines  Gebietes  und  jede  Anknüpfung  neuer  politischer  Be- 


B.  Bis  iiim  2.  panischen  Kriege.    8.  Erweiterung  des  Götterkreises.  39 

Ziehungen  bringt  den  Staat  mit  Göttern  in  Berührung,  die  ihm  bisher 
unbekannt  waren,  deren  Verehrung  er  aber  jetzt  sich  anzueignen  in  der 
Lage  oder  gar  verpflichtet  ist.  Eine  Verpflichtung  zur  Aufnahme  neuer 
Götter  tritt  für  den  Staat  ein,  sobald  er  die  politische  oder  die  that- 
sächliche  Existenz  einer  andern  Gemeinde  aufhebt:  die  sakralen  Ver- 
pflichtungen dieser  letzteren  erlöschen  nicht  etwa,  sondern  sie  gehen  in 
ihrem  vollen  Umfange  auf  ihre  Rechtsnachfolger,  die  Römer,  über;  die 
Götter  der  untergegangenen  Gemeinde  werden  Staatsgottheiten  des  rö- 
mischen Volkes  1)  und  erhalten  entweder  ihren  Kult  an  der  alten  Stätte 
und  durch  Angehörige  der  alten  Gemeinde,  die  aber  nun  im  Namen  des 
römischen  Staates  auftreten  und  unter  der  Aufsicht  des  römischen  Ponti- 
ficalkollegiums  stehen,')  oder  es  wird  ihnen  in  Rom  ein  Heiligtum  geweiht 
und  ihr  Dienst  den  Staatspriestern  zugewiesen.  Diese  Verpflichtung  haben 
die  Römer  stets  anerkannt  und  dem  auch  in  feierlicher  Form  Ausdruck 
gegeben,  indem  sie  bei  der  Belagerung  einer  feindlichen  Stadt  die  Götter 
derselben  durch  evocatio  aufforderten,  ihre  bisherige  Stätte  zu  verlassen 
und  die  ihnen  zugesicherten  neuen  Sitze  in  Rom  einzunehmen.')  Aber  es 
bedurfte  keiner  Eroberung  und  keiner  direkten  Verpflichtung,  um  die  Auf- 
nahme von  Göttern  anderer  Gemeinden  auch  in  den  römischen  Staatskult 
zu  veranlassen.  Die  enge  Gemeinschaft  des  commercium^  die  Rom  mit 
den  latinischen  Gemeinden  verband  und  dem  Latiner  die  Erwerbung  des 
römischen  Bürgeirechts  leicht  machte,  musste  vielfach  zu  einer  staatlichen 
Anerkennung  der  entsprechenden  Götter  führen :  natürlich  wurde  der  nach 
Rom  übergesiedelte  und  zum  römischen  Bürger  gewordene  Tusculaner  oder 
Ardeate  dadurch  der  einmal  übernommenen  Pflichten  gegen  die  Götter 
seiner  Heimat  nicht  ledig,  und  der  römische  Staat  durfte  ihm  bei  der  Er- 
füllung derselben  nichts  in  den  Weg  legen  ;^)  von  der  Duldung  dieser 
privaten  Ausübung  eines  staatlich  nicht  anerkannten  Kultes  kam  man  aber 
in  vielen  Fällen  zur  officiellen  Reception  desselben.  War  die  Zahl  der 
Anhänger  eines  Gottes  eine  geringe,  so  hielt  sich  seine  Verehrung  natur- 
gemäss  immer  innerhalb  der  Grenzen  häuslichen  Kultes,  und  wir  dürfen 
annehmen,  dass  so  ziemlich  alle  Götter,  die  in  den  mit  Rom  in  Verbindung 
stehenden  italischen  Gemeinden  anerkannt  waren,  in  diesem  oder  jenem 
römischen  Hause  ihre  Verehrung  fanden:  war  aber  der  Zuzug  aus  einer 
bestimmten  Stadt  nach  Rom  besonders  stark,  und  standen  die  Familien, 
welche  die  Hauptträger  der  betreffenden  Kulte  waren,  in  hohem  Ansehen 
und  Wohlstand,  so  erfolgte  meist  die  Aufnahme  der  letzteren  in  den  Ver- 
band der  römischen  Staatsgötter,  wofür  die  Übernahme  des  Herculesdienstes 
der  Ära  maxima,  den  bis  dahin  die  aus  Tibur  stammenden  Pinarii  als 
Gentilkult  ausgeübt  hatten,  auf  den  Staat  in  der  Censur  des  Ap.  Claudius 
Caecus  ein  besonders  lehrreiches  Beispiel  bietet.  Naturgemäss  kam  dabei 
auch  sehr  viel  auf  die  Beschaffenheit  der  zur  Aufnahme  vorgeschlagenen 


>)  MoMxsKH,  Staatsr.  III  579  f. 

*)  Fest.  p.  157:  municipalia  sacra  vo- 
cantur,  quae  ab  inUio  habiierunt  ante  civi- 
totem  Bomanam  aceeptam,  quae  observare  eos 
wUuerunt  pantifiees  et  eo  more  facere  quo 
adsuetaent  antiquitfM. 


»)  Macr.  S.  III  9.  Plin.  n.  h.  XXVIII  18. 
Serv.  Aen  II  244.  851.  Liv.  V  21.  Fiat.  Q. 
R.  61;  vgl.  Pbbnioe,  Sitz.Ber.  d.  Berl.  Akad. 
1885,  1157. 

*)  MoMMSBN,  Histor.  Zeitschr.  N.  F. 
XXVIII  404  f. 


40 


Beligion  und  Kultus  der  BOmer.    I.  Religionsgeschiohte. 


Götter  und  Kulte  an,  und  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Republik  ist 
man  entschieden  mit  grosser  Vorsicht  und  Umsicht  verfahren :  obwohl  an 
sieh  die  Träger  der  obersten  Beamtengewalt  befugt  sind,  einer  Gottheit 
von  Staatswegen  einen  Tempel  zu  geloben  und  damit  die  Gemeinde  rechts- 
giltig  zu  verpflichten,  1)  so  hat  doch  wahrscheinlich  die  Aufnahme  neuer 
Gottheiten  in  den  römischen  Götterkreis  von  jeher  zu  den  Akten  gehört, 
bei  welchen  der  Magistrat  gehalten  war,  den  Senat  zuzuziehen  und  später- 
hin seiner  Meinung  sich  zu  fügen.  >)  Der  Senat  hat  naturgemäss  die 
wenigsten  Bedenken  haben  können,  wenn  es  sich  um  Gottheiten  handelte, 
die  bei  den  nächsten  Nachbarn  und  Stammesgenossen  verehrt  wurden 
und  deren  Kult  sich  im  allgemeinen  in  denselben  Formen  bewegte  wie 
der  römische:  diese  Gottheiten  konnte  man,  wenn  sie  auch  in  die  Klasse 
der  di  novensides  gehörten,  ebenso  behandeln  wie  die  einheimischen  und 
die  Ausübung  des  Kultes  den  Staatspriestem  überweisen.  Anders  stand 
man  den  Gottheiten  des  sprachfremden  Auslandes,  also  vor  allem  denen 
der  griechischen  Städte  Unteritaliens  und  Siciliens  gegenüber:')  man 
konnte  sich  der  Erkenntnis  nicht  verschliessen ,  dass  es  sich  hier  um 
prinzipiell  abweichende  Religionsanschauungen  und  -Übungen  handele,  und 
hat  daher  —  allerdings  vergeblich  —  zu  verhindern  gesucht,  dass  durch 
sie  eine  Trübung  und  Schädigung  der  alteinheimischen  Religionsvorstel- 
lungen herbeigeführt  werde :  daher  steht  die  Oberaufsicht  über  diese  Kulte 
nicht  den  Pontifices,  sondern  den  Orakelbewahrern  zu,  die  Ausübung  des 
Gottesdienstes  geschieht  nicht  durch  römische  Bürger  sondern  durch  Priester, 
die  aus  der  auswärtigen  Heimat  des  Kultes  nach  Rom  gezogen  werden, 
und  die  Tempel  dieser  fremden  Götter  bleiben,  obwohl  sie,  so  gut  wie  alle 
andern,  Staatstempel  sind,  bis  gegen  Ende  der  hier  geschilderten  Periode 
von  der  durch  die  heilige  Weichbildslinie  des  Pomerium  umgrenzten  Innen- 
stadt ausgeschlossen. 

Das  Anwachsen  des  römischen  Götterverbandes  ist  aber  keineswegs 
nur  durch  Zuzug  von  aussen,  sondern  in  nicht  geringerem  Umfange  auch 
durch  Vermehrung  von  innen  heraus  erfolgt.  Waren  in  der  älteren  Zeit 
die  Vorstellungen,  die  man  mit  den  einzelnen  Göttern  verband,  einfache 
und  ungebrochene  gewesen,  so  führte  jetzt  die  reichere  Gestaltung  des 
äusseren  Lebens  der  Gemeinde  und  der  lebhaftere  Verkehr  dazu,  dass  sich 
auch  die  Kompetenzen  der  einzelnen  Götter  vervielfachten  und  man  die 
Äusserungen  der  einem  jeden  zukommenden  Macht  auf  verschiedenen  Ge- 
bieten schärfer  trennte.     Bei  der  Neigung  der  Römer  zur  Spezialisierung 


>)  MoMKBBN,  Staatsr.  II  602. 

')  MoMMBEN,  Staatsr.  III  1051;  auf  die 
ohne  diese  Zustimmung  erfolgte  oder  ver- 
suchte Weihung  des  Heiligtumes  eines  sonst 
unbekannten  Gottes  Albumus  durch  einen 
M.  xiemilius  (der  Name  ist  unsicher,  s.  Wis- 
sowA,  Real-Enoycl.  I  1838)  wird  bei  Tertul- 
lian  wiederholt  angespielt  (adv.  Marc.  I  18; 
ad  nat.  I  10;  apol.  5  =  Euseb.  bist.  eccl. 
II  2). 

^)  Diese  beiden  Kategorien  von  nctcra 
peregrina  bat  wahrscheinlich  Verrius  Flaccus 


unterschieden,  dessen  Ansicht  bei  Fest.  p.  237 
etwas  verdunkelt  scheint:  peregrina  sacra 
appeUantur,  quae  aut  evocatis  dis  in  oppu- 
gnandis  urbUfus  Romam  sunt  eoacta,  aut 
quae  ob  quasdam  religianes  per  pacem  sunt 
petita,  ut  ex  Fhrygia  Matris  Magnat,  ex 
Graecia  Cereris,  Epidauro  Aeseulapi,  quae 
coluntur  eorum  more,  a  quibus  sunt 
accepta.  Der  letzte  Zusatz  zeigt,  dass  die 
zweite  Klasse  nur  nichtitalische  Gottheiten 
umfasste. 


B.  Bie  ram  2.  pnnisoheii  Kriege.    8.  Erweitenmg  de«  Götterkreises.  41 

der  göttlichen  Funktionen  tritt  diese  getrennte  Auffassung  der  verschie- 
denen Seiten  im  Wesen  eines  und  desselben  Gottes  nicht  nur  in  speziali- 
sierenden Beinamen  hervor,  sondern  die  einzelnen  Differenzierungen  lösen 
sich  als  mehr  oder  minder  selbständige  Individuen  von  einander  ab,  so 
dass  Juppiter  Feretrius  und  Juppiter  Stator,  Juno  Moneta  und  Juno  Lucina 
kaum  mehr  blos  als  verschiedne  Seiten  desselben  göttlichen  Wesens,  sondern 
als  geti*ennte  Gottheiten  empfunden  werden;^)  nicht  selten  tritt  auch  der 
Fall  ein,  dass  ein  derartiges  Attribut  eines  Gottes  sich  von  demselben 
völlig  freimacht  und  als  eignes  göttliches  Wesen  seine  Stelle  im  Kulte 
findet.  Von  derselben  Anschauung  geht  auch  die  Verehrung  der  Ab- 
straktionen und  Personifikationen  sittlicher  Mächte  und  Eigenschaften  aus : 
hatte  man  zuerst  den  Juppiter  als  Schützer  der  Treue  oder  Mars  als 
den  Eriegsgott  verehrt,  so  war  es  von  da  nur  ein  Schritt  zur  Schöpfung 
eigner  Göttinnen  Fides  und  Bellona,  und  diese  ihrer  Natur  nach  uner- 
schöpfliche Quelle  neuer  göttlicher  Mächte  hat  noch  zu  einer  Zeit  be- 
fruchtend auf  die  religiöse  Phantasie  gewirkt,  in  der  dieselbe  sonst  einer 
eignen  Schöpfungskraft  bereits  völlig  bar  war.  Fraglich  bleibt  es,  ob 
diese  Art  der  Neukreierung  von  Staatsgöttern  durch  Spaltung  älterer  Gott- 
heiten oder  durch  Aufnahme  neuer  Personifikationen  rechtlich  ebenso  be- 
handelt wurde  wie  die  Reception  fremder  Kulte,  und  ob  es  für  die  Er- 
richtung eines  Altars  eines  bereits  anerkannten  Gottes  unter  neuem  Kult^ 
beinamen  oder  einer  neuen  göttlichen  Abstraktion  ebenfalls  eines  eignen 
Senatsbeschlusses  bedurfte:  dass  das  römische  Sakralrecht  beide  Kate- 
gorien schied,  geht  daraus  hervor,  dass  Cicero  in  seiner  Schrift  von  den 
Gesetzen  zweimal  (II  19  und  25)  im  Gegensatze  zu  den  bisher  anerkannten 
Staatsgöttern  di  novi  und  advenae  (oder  alienigenae)  von  einander  trennt 
und  auch  sonst  in  Verordnungen  dem  patrius  ritus  das  novo  aut  externo 
rüu  sacrificare  {Liv.XXY  1,  12)  gegenüber  gestellt  wird;*)  wahrscheinlich 
galt  die  Schöpfung  neuer  Beinamen  oder  Personifikationen  nur  als  Fort- 
führung der  bestehenden  Gottesdienste  (s.  unten  S.  47),  so  dass  es  dafür 
einer  besonderen  Genehmigung  nicht  bedurfte.  Die  religiöse  Freiheit  des 
einzelnen  Bürgers  wird  durch  die  Sakralpolizei  nur  insofern  beschränkt,  als 
er  nicht  in  loco  piMico  sacrove  andern  Göttern  als  den  staatlich  anerkannten 
oder  in  anderm  Ritus  opfern  darf,  und  im  häuslichen  Gottesdienste  haben 
ohne  Frage  die  di  sive  novi  sive  advenae  oft  einen  grösseren  Baum  einge- 
nommen als  die  Staatsgötter:  wie  weit  insbesondere  im  Privatkulte  die 
Zerteilung  der  Gottheiten  durch  spezialisierende  Beinamen  und  die  Ver- 
mehrung der  Personifikationen  ging,  lassen  für  die  spätere  Zeit  die  zahl- 
reichen Weihinschriften  erkennen ;  für  die  Zeit  vor  den  puni sehen  Kriegen, 
für  welche  uns  derartige  unmittelbare  Zeugnisse  nicht  zu  Gebote  stehen, 
sind  wir  allerdings  auf  Rückschlüsse  und  Vermutungen  angewiesen.  Für 
den  Staatskult  können  wir  das  fortwährende  Eindringen  auswärtiger  und 

^  Nor  80  erklArt  es  sich,  dass  bei  den  1  bene  Definition  (oben  S.  40  Anm.  3)  der  pere- 

Aryalbrfldem    in    derselben    Opferhandlang  grina  aacra  (Fest.  p.  237)  urafasst  nur  die 

erst  Juppiter  O.  M.  und  dann  Juppiter  Victor  '  zweite  der  beiden  klassen.     Vgl.  Glaudian. 

jeder  ein  besondres  Opfer  erhalten,  z.  B.  CIL  de  hello  Gild.  131 :   maertnt   indigetea  et  ai 

VI  2086,  26  f.  u.  s.  i  quoa  Roma  recepit  aut  dedit  ipaa  deoa. 

*)  Auch  die  von  V^errius  Flaccus  gege-  | 


42  Religion  nnd  Eultas  der  BOmer.    I.  Beligionsgeschichte. 

neuer  Kulte  deutlich  verfolgen  an  den  in  der  Stadtchronik  verzeichneten 
Gründungen  neuer  Tempel,  deren  Liste  sich  seit  Beginn  der  republi- 
kanischen Zeitrechnung  mit  annähernder  Vollständigkeit  wiederherstellen 
lässt.  Dieselbe  ermöglicht  es  uns  nicht  nur,  wenigstens  einen  Teil  der 
Einflüsse  zu  erkennen,  die  in  verschiednen  Zeiten  die  religiöse  Politik  des 
römischen  Staates  bestimmten,  sondern  zeigt  auch  deutlich,  wie  mit  dem 
fortwährenden  Zuströmen  neuer  Götter  ein  Absterben  der  alten  zusammen- 
geht :  nur  ein  Teil  der  in  der  ersten  Periode  verehrten  Gottheiten  hat  an 
Stelle  der  ursprünglichen  offenen  sacella  wirkliche  Tempel,  wie  sie  jetzt 
das  gegebene  Lokal  für  den  Gottesdienst  bilden,  erhalten,  andre,  wie 
Carna,  Angerona,  Furrina,  Larenta  u.  a.,  haben  sich  nach  wie  vor  mit 
ihren  Hainen  und  kleinen  Kapellen  begnügen  müssen,  und  die  Unkenntnis, 
die  bei  den  späteren  über  die  Bedeutung  dieser  Götter  herrscht,  zeigt, 
wie  früh  dieselben  zur  Antiquität  geworden  sein  müssen. 

Litteratur:  Mabquardt,  Rom.  Staatsverw.  III  30  ff.  E.  Aubt,  De  aedibus  sacris 
populi  Romani  inde  a  primis  liberae  reipublicae  temporibus  ueque  ad  Augueti  imperatoris 
aetatem  Romae  conditis,  Marpurgi  1889.  Gilbert,  Gesch.  u.  Topogr.  d.  Stadt  Rom  III 
57  ff.    WissowA,  De  die  Romanorum  indigetibus  et  novensidibus  p.  IX  ff. 

9.  Die  Aufnahme  italischer  und  griechischer  Gottheiten.  Die  Auf- 
nahme des  in  dem  naheliegenden  und  stammverwandten  Aricia  gepflegten 
Dianakultes  in  die  römische  Staatsreligion  eröffnet  eine  lange  Reihe  ähn- 
licher Receptionen  von  Hauptgöttern  benachbarter  Gemeinden.  Haben 
wir  auch  von  den  Spezialgottesdiensten  der  Städte  von  Latium  und  Süd- 
etrurien  nur  sehr  spärliche  Nachrichten,  so  sehen  wir  doch,  dass  diejenigen, 
die  uns  bekannt  sind,  nach  und  nach  sämtlich  im  römischen  Staatskult 
Aufnahme  gefunden  haben;  wo  wir  einen  solchen  Vorgang  nicht  mehr 
nachweisen  können,  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  Gottheiten  der  be- 
treffenden Gemeinden  mit  den  altrömischen  nach  Namen  und  Wesen  sich 
deckten  und  somit  von  einer  formellen  Reception  Abstand  genommen 
werden  konnte.  Wo  aber  eigenartige  Kulte  vorhanden  waren,  hat  sich 
Rom  ihrem  Einflüsse  nicht  zu  entziehen  gewusst:  so  legt  ein  deutliches 
Zeugnis  für  die  nahen  Beziehungen,  die  zwischen  Rom  und  Tusculum 
schon  lange  vor  der  Aufnahme  letzterer  Stadt  in  den  römischen  Bürger- 
verband obwalteten,  die  schon  im  zweiten  Jahrzehnt  der  Republik  erfolgte 
Reception  des  Dioskurenkultes  ab,  der  in  Tusculum  der  Mittelpunkt  der 
Staatsreligion  war.  0  Wie  dieser  Kult,  weil  er  aus  einer  latinischen  Nach- 
bargemeinde nach  Rom  gekommen  war,  obwohl  von  Haus  aus  ein  griechi- 
scher, doch  nie  als  solcher  empfunden  und  von  den  auf  Grund  sibyl- 
linischer  Orakelsprüche  in  Rom  aufgenommenen  griechischen  Gottesdiensten 
immer  durchaus  ferngehalten  worden  ist,  so  erklärt  sich  wahrscheinlich 
die  ähnliche  Stellung,  welche  der  griechische  Herakleskult  seit  sehr 
früher  Zeit  in  Rom  einnimmt,  und  die  hier  hervortretende  eigentüm- 
liche Mischung  griechischer  und  italischer  Religionsanschauungen  auf 
ähnliche  Weise,  da  wir  wissen,  dass  Hercules  der  leitende  Gott  und 
Schutzherr   des  benachbarten  Tibur  war.«)     Die  führende  Gottheit    von 


»)  Vgl.  Dessau  CIL  XIV  p.  254. 

')  Dbssaü  CIL  XIV  p.  367  f.;  s.  unten  §  41. 


B.  Bis  sam  2.  panischen  Kriege.    9.  Italische  und  griechische  Gottheiten.       43 

Lanuvium,  die  zwar  den  Namen  der  römischen  Juno  trägt,  sich  aber  sowohl 
in  ihren  Beinamen  (Juno  Sospes  Mater  Regina),  wie  in  einzelnen  Zügen 
des  Kultes  als  aus  eigenartigen  Anschauungen  erwachsen  verrät,  gehörte 
seit  der  Incorporation  von  Lanuvium  (416  =  838)  zu  den  römischen  Staats- 
göttem,  wenn  sie  auch  einen  Tempel  in  der  Stadt  erst  im  J.  557  =  197 
erhielt,  0  und  d^i*  Kult  der  Venus,  der  in  Rom  lange,  ehe  die  griechische 
Aphrodite  unter  diesem  Namen  verehrt  wurde,  jedenfalls  schon  im  4.  Jahr- 
hundert V.  Chr.,  seine  Stätte  hatte, ^)  ist  wahrscheinlich  von  dem  ange- 
sehenen Heiligtume,  das  diese  Göttin  bei  Ardea  besass,  dorthin  übertragen. 
Nur  gegen  die  Aufnahme  des  weitberühmten  Kultes  der  Fortuna  Primi- 
genia  von  Praeneste  hat  man  sich  wegen  mancher  fremdartigen  Züge  im 
Ritual  und  wohl  namentlich  wegen  der  damit  verbundenen  Orakel  lange 
gesträubt,')  und  erst  als  im  zweiten  punischen  Kriege  gegenüber  den 
fremden  Religionsübungen  eine  lässigere  Praxis  Platz  gegriffen  hatte, 
fand  auch  sie  ihren  Tempel  in  Rom :  immerhin  aber  ist  es  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  die  schon  vorher  unter  etwas  anderen  Formen  in  der 
römischen  Staatsreligion  auftretenden  Fortunenkulte  (vor  allem  der  von 
Fors  Fortuna)  durch  latinische  Fortunendienste,  wie  die  von  Praeneste 
oder  Antium,  mit  angeregt  sind,  wie  sich  ja  überhaupt  derjenige  Aus- 
tausch religiöser  Anschauungen,  der  nicht  zur  Aufnahme  einer  bestimmten 
auswärtigen  Gottheit,  sondern  nur  zur  Modifikation  der  römischen  Vor- 
stellungen in  einzelnen  Punkten  führte,  sehr  weit  erstreckt  haben  muss, 
ohne  im  einzelnen  kontrollierbar  zu  sein.  Wie  weit  diese  Einflüsse  reichten, 
beweist  die  Thatsache,  dass  sogar  einzelne  an  bestimmten  Lokalitäten  der 
latinischen  Landschaft  haftende  Gottheiten  nach  Rom  wanderten;  so  ging 
der  Name  der  im  Gebiete  von  Lavinium  am  Numicus  göttlich  verehrten 
Quelle  Juturna^)  auf  eine  Quelle  Roms  über,  und  die  zugehörige  Göttin  erhielt 
—  wir  wissen  nicht  bestimmt  wann  —  ihren  Tempel  und  ihren  Festtag. 
Entsprechend  dem  Bundesverhältnisse,  das  zwischen  Rom  und  den  latini- 
schen Städten  herrschte,  ist  dieser  Austausch  ganz  überwiegend  auf  fried- 
lichem Wege  erfolgt,  während  im  Gegensatze  dazu  bei  den  Gottheiten 
südetrurischer  Gemeinden  die  Übertragung  nach  Rom  in  der  Regel  erst 
nach  Zerstörung  der  betreffenden  Stadt  oder  Aufhebung  ihrer  politischen 
Existenz  eintritt.  Das  gilt  vor  allem  von  der  Burggöttin  und  Stadtherrin 
von  Veji,  Juno  Regina,  deren  auf  Grund  einer  evocatio  erfolgte  Über- 
fQhrung  nach  Rom  das  älteste  bekannte  Beispiel  dieses  Verfahrens  bildete ; 
um  dieselbe  Zeit  ist  auch  die  capenatische  Göttin  Feronia  in  Rom  ange- 
siedelt worden,  da  Gapena  damals,  bald  nach  der  Eroberung  Vejis,  in  den 
romischen  Staatsverband  eingetreten  ist.^)  In  ähnlicher  Weise  folgt  im 
Jahr  490  =  264  dem  Triumphe  über  Volsinii  die  Aufnahme  des  dort 
heimischen  Gottes  Vortumnus  unter  die  römischen  Staatsgötter,  ^)  und  nach 
der  Zerstörung  von  Falerii  513  =  241  finden  die  Götter  der  vernichteten 

')  Mab^üabdt,  Staatsverw.  III  476.  1   auspiciis  enim  peUriis,  non  cUienigenis  rem 


*)  WissowA,  De  Veneria  aimulacris  Ro- 
mania  (1882)  p.  6  f. 

')  Noch  ZOT  Zeit  dea  ersten]  pnniscfaen 
Kriegea  wird  die  Befragung  des  praenesti- 
niscbeD  Orakels  durch  den  Senat  abgelehnt: 


publicam   administrari   iudicabant   operiere 
(Val.  Max.  Epit.  l  3,  2). 

*)  Serv.  Äen.  XII  139. 

*)  Bbloch,  Der  italische  Bund  S.  119. 

*)  AusT,  De  aedibus  sacris  p.  15. 


u 


Religion  und  Kultus  der  Römer.    I.  ReligionsgeBohichte. 


Stadt,  Juno  Quiritis  und  Minerva,  in  Rom  eine  neue  Heimat.  ^  Weiter 
hinaus  scheint  sich  aber  die  Neigung  der  Römer,  die  Gottheiten  ihrer 
italischen  Stammverwandten  aufzunehmen,  nicht  erstreckt  zu  haben,  denn 
Götter  wie  die  Angitia  der  Marser,  ^)  die  Vacuna  des  Sabinergaues,')  die 
Marica  von  Minturnae^)  und  zahlreiche  andre  Gottheiten  der  nach  und 
nach  von  Rom  unterworfenen  entfernteren  Gemeinden  und  Stämme  Italiens 
haben  eine  Aufnahme  in  den  Staatskult  nicht  gefunden,^)  wenn  sie  auch, 
wie  Weihinschriften  zeigen,  von  Privatleuten  noch  in  der  Kaiserzeit  ver- 
ehrt wurden.  •) 

Andre  Gesichtspunkte  sind  es,  die  für  die  Aufnahme  griechischer 
Kulte  in  die  römische  Staatsreligion  massgebend  waren.  Es  ist  bemerkens- 
wert, dass  sich  eine  grössere  Zahl  derartiger  Receptionen  gerade  in  die  ersten 
Jahrzehnte  der  Republik  zusammendrängt,  während  wir  dann  längere  Zeit 
hindurch  von  nichts  Ahnlichem  hören:  man  kann  daraus  den  auch  durch 
andre  Beobachtungen  bestätigten  Schluss  ziehen,  dass  gerade  um  die  Wende 
von  Königszeit  und  Republik  ein   besonders  starker  Strom   griechischer 


1)  Jordan,  Hermes  IV  248  f. 

*)  Hauptsitz  ihrer  Verehrung  ist  Lucus 
Angitiae  {nemua  Ängitiae  Verg.  Aen.  \\l  759), 
heute  Luco  (Mommskn  CIL  IX  p.  367),  von 
wo  auch  die  Inschrift  CIL  IX  3885  stammt ; 
eine  Mehrheit  von  Angitiae  hei  den  Paelig- 
nern  in  Sulmo  CIL  IX  3074;  verwandt  wohl 
auch  die  di  ancites  von  Furfo  im  Vestiner- 
lande  CIL  IX  3515,  kaum  die  Anagtia  dii- 
viia  eines  Goldringes  von  Aesernia  (Zve- 
TAiBFF,  Inscr.  Ital.  infer.  dial.  nr.  107,  vgl. 
BuBOHBLER,  Rhein.  Mus.  XXXVU  643  f.). 
Deutungsversuche  bei  Serv.  Aen.  VII  750. 
Solin.  2,  28  f. ;  vgl.  Wissowa,  Real-Ency cl. 
I  2191. 

")  Vaeunae  netnora  bei  Reate  und  dem 
locus  Velinus  erwähnt  Plin.  n.  h.  III  109, 
und  aus  der  Gegend  von  Reate  stammen  die 
Weihinschriften  CIL  IX  4751  f.,  aus  dem 
oberen  Velinothale  CIL  IX  4636;  fanum  pu- 
tre  Vaeunae  beim  Sabinum  des  Horaz  epist. 
I  10,  49.  Da  gegenüber  anderen  Deutungen 
der  Göttin  (als  Minerva,  Bellona,  Diana, 
Ceres)  Varro  ihre  Gleichsetzung  mit  Victoria 
vertrat  (Schol.  Hör.  a.  a.  0.;  Auson.  epist. 
14,  101  p.  249  Peip.  setzt  einfacli  Vacuna 
fttr  Victoria  ein),  so  hat  man  mit  Recht  in 
der  nach  Dion.  Hai.  ant.  I  15  (aus  Varro) 
am  See  von  Cutilia  verehrten  NUti  Vacuna 
erkannt  (Prellbr,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch. 
1855,  191  ff.  =  Ausgew.  Aufs.  256  ff.);  da- 
gegen ist  es  fraglich,  ob  man  die  bei  Vico- 
varo,  also  in  der  Gegend  des  horazischen 
Landgutes,  gefundene  Bauinschrift  Cl L  XIV 
3485  Imp.  Caesar  Vespasianus  . . .  aedem 
Victoriae  vetusiate  dilapsam  sua  impensa 
restituit  auf  Vacuna  beziehen  darf,  da  man  die 
Umsetzung  des  Namens  in  Victoria  wohl  in 
der  gelehrten  Litteratur,  nicht  aber  in  einem 
Denkmale  des  Kultes  erwarten  darf.  All- 
gemein erwfthnt  die  antiqua  Vacuna  und  die 


VacunaUs  foci  Ovid.  fast.  VI  307  f. 

*)  Der  Hain  der  Marica  bei  Mintumae 
in  den  Sümpfen  der  Lirismündung  wird  häufig 
erwähnt  (Liv.  XXVII  37,  2.  Plut.  Mar.  39. 
Strabo  V  233  und  mehr  bei  R.  Pbteb  in 
Roschers  Lexik.  II  2374);  man  deutete  sie 
teils  auf  Venus  (Serv.  Aen.  VII  47  dicutU 
alii  per  Maricam  Veneretn  intellegi  debere, 
cuius  fuit  sacellum  iuxta  Maricam,  in 
quo  erat  scriptum  Uaytitj  *J(pQodiTij)f  teils 
auf  Circe  (Serv.  Aen.  XII  164.  Lact.  I  21, 
23),  deren  altberühmtes  Heiligtum  in  dem 
unfernen  Circeji  (Strabo  V  234 ;  vgl.  Cic.  nat. 
deor.  III  48)  noch  im  J.  213  n.  Chr.  durch 
die  römischen  Quindecimvim  wiederherge- 
stellt wurde  (CIL  X  6422).  Wenn  Verg.  Aen. 
VII  47  die  Marica  nach  Laurentum  versetzt, 
so  ist  das  dichterische  Freiheit,  dass  aber 
ihr  Kult  auch  ausserhalb  Mintumaes  vorkam, 
zeigt  die  Weihinschrift  von  Pisaurum  CIL 
I  175  (CIL  V  7363  aus  Dertona  ist  ver- 
dächtig). 

^)  Eine  Liste  solcher  in  Rom  nicht  reci- 
pierter  italischer  Municipalgottheiten  gibt 
Varro  bei  Tertull.  apol.  24;  ad  nat.  II  8: 
Deluentinus  von  Casinum,  Visidianus  von 
Narnia,  Numitemus  von  Atina,  Ancharia  von 
A Senium,  Nortia  von  Volsinii,  Valentia  von 
Ocriculum,  Hostia  von  Sutrium,  ausser  Nortia 
(8.  §  43)  und  Numitemus  (s.  CIL  X  5046) 
durchweg  gänzlich  verschollene  Namen.  Aus 
gelegentlichen  Erwähnungen  können  wir 
noch  manchen  Namen  hinzufügen,  z.  B.  den 
der  in  Ardea  als  Beschützerin  der  Geburten 
verehrten  Göttin  Natio  (Cic.  de  nat.  deor. 
III  47)  und  den  Fucinus  bei  den  Marsem 
am  Fuciner  See  (CIL  IX  3656.  3847.  3887). 

')  Man  kann  damit  die  von  Mommsbn, 
Staatsr.  III  575  hervorgehobene  lokale  Be- 
grenzung der  Verleihung  des  Halbbflrger- 
rechtes  (ius  Caeritum)  vergleichen. 


B.  Bis  sam  2.  panischen  Kriege.    9.  Italische  und  griechische  Gottheiten.       45 

Einflüsse  von  Unteritalien  aus  in  Rom  Eingang  gefunden  haben  muss,  der 
zuerst    die    staatliche  Anerkennnung    der    sibyllinischen    Orakelsammlung 
herbeiführte  und   dann  vermittels   der  letzteren   einer  Reihe  griechischer 
Götter  Einlass  verschaffte.    Da  die  sibyllinischen  Sprüche  in  engster  Be- 
ziehung   zum  Kulte    des   Apollo  stehen    und  dieser   der   Hauptgott  von 
Cumae  war,  von  wo  die  antike  Tradition  mit  Einstimmigkeit  die  Herkunft 
der  Orakelsammlung  ableitet/)    so   ist  dieser  Gott  sicher  der  erste  ge- 
wesen, der  durch  unmittelbare  Herübernahme  aus  dem  griechischen  Kultur- 
kreise in  Rom  Anerkennung  fand,  wenn  wir  auch  von  der  Erbauung  eines 
Tempels  erst  im  Jahr  321  =  433   hören:   nur  so  erklärt  es  sich,  wenn 
das  Priestertum  der  Uviri  sacris  faciundis,   dem  die  Vorstandschaft  über 
die  Gesamtheit  der  recipierten  griechischen   Kulte  zukonmit,   speziell  als 
antistites  Apoüinaris  sacri  bezeichnet  wird  (Liv.  X  8,  2)  und  die  Embleme 
seiner  Würde,  Dreifuss  und  Delphin,  aus  dem  apollinischen  Kulte  entlehnt. <) 
Es  folgen  dann  fast  gleichzeitig  die  Aufnahme  einerseits  des  griechischen 
Hermes,  andererseits  der  Göttertrias  Demeter,  Dionysos  und  Köre,  von 
denen  der  erstere  259  =  495,  die  andere  261  =  493  ihre  eigenen  Tem- 
pel erhalten,    Thatsachen  von   grosser  Wichtigkeit,    weil  sie  uns  einen, 
wenn  auch  beschränkten  Einblick   in    diejenigen  Bewegungen  gewähren, 
welche  Rom  für  die  griechischen  Einflüsse  empfanglich  machten.     Hermes 
ist  nach  Rom  als  Handelsgott  gelangt,  wie  aus  der  lateinischen  Form  seines 
Namens  und  aus  dem  Umstände  hervorgeht,  dass  mit  der  Erbauung  seines 
Tempels  die  Gründung  einer  Kaufmannsgilde   {coUegium  mercatorum)  ver- 
bunden war:')  wir  dürfen  darin  einen  deutlichen  Hinweis  darauf  erblicken, 
dass  Handelsbeziehungen  zwischen   Rom   und  Unteritalien   diesem   Gotte 
den  Eingang  öffneten.   Der  Tempel  von  Ceres,  Liber,  Libera  aber  hat  nicht 
nur  seine  anerkannte  Bedeutung  für  die  Getreidezufuhr  von  Sicilien  nach 
Rom,  sondern  spielt  sogar  eine  politische  Rolle,  indem  er  für  die  plebeische 
Gemeinde  eine  besondere  Wichtigkeit  hat  und  den  plebeischen  Unterbeamten, 
den  Aedilen,  in  derselben  Weise  als  Amtslokal  dient,  wie  der  unmittelbar 
vorher   erbaute  Tempel   des  altrömischen   Gottes  Saturnus    der   niederen 
Magistratur  der  patrizisch-plebeischen  Gesamtgemeinde,  den  Quaestoren  :^) 
wir  werden  also  die  Träger  der  hellenisierenden  Richtung  vorwiegend  in 
den  Kreisen  des  aufstrebenden  zweiten  Standes  zu  suchen  haben,  eine  An- 
nahme,   die  auch  darin  ihre  Bestätigung  findet,   dass  das  Priestertum  der 
Orakelbewahrer  das  erste  ist,  welches  den  Plebejern  zugänglich  wird.    Die 
Reserve,  die  man  diesen  fremden  Religionsübungen  gegenüber  auch  nach 
ihrer  staatlichen   Anerkennung  noch    zu    beobachten   für  angezeigt  hält, 
zeigt  sich  nicht  nur  in  dem  Ausschlüsse  ihrer  Kultstätten  vom  Pomerium, 
sondern  auch  darin,  dass  die  griechischen  Namen  der  Gottheiten  dem  römi- 
schen Gebrauche  angepasst   werden,  indem  man   entweder  an  Stelle   des 
griechischen  Eigennamens  eine  lateinische  Bezeichnung  der  Funktion  des 


*)  ScHWitoLKB,  Rom.  Qesch.  1  802;  vgl. 
dazu  auch  R.  RBirzENsrnif,  Inedita  poetarum 
Graecomm    fragmenta   II    (Rostochii    1891) 


359  f.  384. 

»)  Liv.  II  27,  6. 

*)    ScHWEOLBB,    Rom.    Gesch.    II    278. 


p.  10  f.  MoMMSEN,  Staatsr.  IT  468,  1;  s.  unten  §  46. 

')    Vgl.    Marqüardt,    Staatsverw.    III 


46  Religion  und  Ealtns  der  Römer.    I.  Religionsgeechiohte. 

Gottes  treten  lässt  (Mercurius-Hermes)  oder  die  griechischen  Götter  mit 
alteinheimischen  identifiziert;  so  hat  man  Demeter,  Dionysos  und  Eore 
zu  Ceres,  Liber  und  Libera  umgedeutet,  und  dieser  Vorgang  hat  sich  später 
bei  andern  Gottheiten  vielfach  wiederholt,  wobei  oft  die  Gleichsetzung 
auf  rein  zufalligen  Ähnlichkeiten  oder  einer  missverständlichen  Auffassung 
beruhte.  Von  diesen  Gründungen  der  früheren  republikanischen  Epoche  an, 
zu  denen  auch  die  in  ungewisser  Zeit  erfolgte  Aufnahme  des  griechischen 
Poseidonkultes  zu  rechnen  ist,  verstreicht  dann  bis  zur  nächsten  Reception 
eines  griechischen  Gottes  eine  geraume  Zeit:  erst  nach  völliger  Beendi- 
gung des  Ständekampfes  und  nachdem  durch  die  Freigebung  der  höchsten 
Priestertümer  durch  die  lex  Ogulnia  (454  =  300)  den  Plebejern  auch  auf 
sakralem  Gebiete  die  volle  Gleichberechtigung  zuerkannt  worden  ist,  be- 
ginnt eine  neue  Reihe  solcher  Aufnahmen,  die  bereits  über  den  Kreis 
der  Götter  des  griechischen  Unteritalien  hinausgreift:  am  wichtigsten  ist 
die  Einholung  des  griechischen  Asklepiosdienstes  von  Epidauros  (461  =  293), 
die  zugleich  die  Aufnahme  der  griechischen  Arzneikunst  in  Rom  bedeutet, 
ferner  im  Jahr  505  =  249  die  Übernahme  der  griechischen  Unterwelts- 
vorstellungen durch  die  Stiftung  der  ara  Ditis,  endlich  die  im  Jahr  516  =  238 
durch  die  Stiftung  der  ludi  Florales  vollzogene  Einführung  eines  griechi- 
schen Kultes,  dessen  Inhaberin  den  Namen  der  altrömischen  Göttin  Flora 
annimmt,  während  schon  die  üppige  Art  der  Festfeier  den  ausserrömischen 
Ursprung  verrät.  Immerhin  vollzieht  sich  in  dieser  Periode  das  Ein- 
dringen griechischer  Religionsübung  noch  sehr  allmälig  und  unter  Wah- 
rung der  Rechte  des  alteinheimischen  Kultus,  bis  dann  in  der  Zeit  des 
zweiten  punischen  Krieges  die  ganze  Flut  hellenischer  Religionsvorstellungen 
Einlass  findet  und  die  griechischen  Gottesdienste  nicht  nur  in  grosser  Zahl 
neben  die  altrömischen  und  italischen  treten,  sondern  diese  selbst  voll- 
kommen durchdringen  und  umbilden. 

Litteratur:  lieber  die  Kulte  der  latinischen  Gemeinden  vgl.  A.  Bormamn,  Altlati- 
nische Chorographie  nnd  Städtegeschichte,  Halle  1852  und  H.  Dessau  im  XIV.  Bande  des 
CIL.  lieber  die  griechischen  Kulte  in  Rom  Klausen,  Aeneas  und  die  Penaten  S.  245  ff. 
J.  MöRSCHBACHKB,  Ucber  Aufnahme  griechischer  Gottheiten  in  den  römischen  Kultus,  Gymn. 
Progr.  Jülich  1882. 

10.  Yermehmng  der  Götter  durch  Spaltung  und  durch  Vergött- 
lichung abstrakter  Begriffe.  Die  römische  Anschauung  von  ganz  be- 
stimmt abgegrenzten  Wirkungssphären  der  einzelnen  Gottheiten  und  das 
Streben,  jeden  Gott  bei  der  Seite  seines  Wesens  anzurufen,  die  man  im 
einzelnen  Falle  funktionieren  zu  sehen  wünscht,  hat  schon  in  ältester  Zeit 
zur  Ausbildung  zahlreicher  Kultbeinamen  geführt,  und  schon  im  ältesten 
Götterkreise  begegneten  uns  Beispiele  dafür,  dass  einzelne  derartige  Bei- 
namen, wie  Terminus,  Liber,  Quirinus,  sich  von  der  Gottheit,  der  sie  nur  zur 
Bezeichnung  eines  Teiles  ihrer  Macht  dienten,  loslösten  und  eine  selbständige 
Entwicklung  nahmen  (S.  25  f.).  Doch  waren  es  in  diesen  Fällen  ganz  be- 
sondre Gründe,  welche  die  Abspaltung  veranlassten,  während  im  grossen 
und  ganzen  die  Götter  der  ältesten  Periode  als  ziemlich  geschlossene  und 
einheitliche  Gestalten  dastehen:  die  Mehrzahl  derjenigen  Beinamen,  deren 
alter  Ursprung  sicher  steht,  charakterisiert  mehr  das  ganze  Wesen  eines 
Gottes,  als  seine  einzelnen  Funktionen,  und   wenn  Juppiter  als  Lucetius, 


B.  Bis  smn  2.  pnnisohen  BIriege.    10.  Spaltmig  und  Personiflcaiion.  47 

Mars  als  Gradivus,  Yolcanus  als  Mulciber,  Janus  als  Patulcius  Clusivius 
in  alten  Ritualformeln  angerufen  wurden,   so  deckten  sich  diese  Bezeich- 
nungen derartig  mit  dem  Gesamtbegriff  der  betreffenden  Gottheiten,  dass 
eine  Loslösung  nicht  möglich  war:  dazu  kommt,  dass  in  der  ältesten  Zeit 
die  Anzahl  der  Eultstätten  eine  sehr  beschränkte  war  und  an  einem  Altar 
oder  in  einem  Haine  der  Gott  nach  allen  Seiten  seiner  Wirksamkeit  hin 
verehrt  wurde.   Anders  wird  es  in  dieser  Periode.    Viele  der  alten  Götter 
allerdings  waren  ihrem  ganzen  Wesen  nach  so  einfach  angelegt,  dass  eine 
Zerlegung  ihres  Wesens  ausgeschlossen  war:   Saturnus  und  Consus,  Ro- 
bigus  und  Pales  haben  nur  eine   einzige  eng  begrenzte  Kompetenz,   und 
wer  sie  anrief,  war  nicht  genötigt,  die  Richtung,  in  der  er  die  Wirksam- 
keit dieser  Gottheiten  erflehte,  näher  zu  bezeichnen.    Um  so  vielgestaltiger 
waren  andre  Götter,  von  den  älteren  namentlich  Juppiter  und  Juno,  später 
vor  allem  Hercules,  Fortuna,  Venus  u.  a.,   die  uns  im  Staatskulte  über- 
haupt kaum   mehr  mit  ihrem  Namen   schlechthin,   sondern   stets  nur  in 
einer  durch  einen  Beinamen  näher  bestimmten  Beziehung  begegnen.     Das 
hat  seinen  Grund  zum  Teil  darin,  dass  die  in  diesen  Göttern  verkörperten 
Vorstellungen,  wie  z.  B.  die  Idee  der  männlichen  und  der  weiblichen  Him- 
melsgottheit in  Juppiter  und  Juno,  einer  reichen  Variation  fähig  sind,  zum 
Teil  aber  auch  darin,  dass  diese  Gottheiten  auch  bei  den  Nachbargemeinden 
ihre  Verehrung  fanden,   doch  so,   dass  unter  Beibehaltung  der  ursprüng- 
lichen Gleichheit  des  Namens  an  den  verschiednen  Orten  ganz  verschiedne 
göttliche  Wesen  verehrt  wurden,  indem  hier  dieser  und  dort  jener  Zug  in 
den  Vordergrund  gestellt  und  besonders  entwickelt  war:  wenn  die  Falisker 
die  Juno  als  lanzenschwingende  Göttin  (Quiritis)  verehrten,  während  man 
in  Latium   und  über  seine  Grenzen  hinaus  in   ihr  vor  allem  die  göttliche 
Geburtshelferin  (Lucina)  sah,  so  fanden  in  Rom  beide  Anschauungen  ihre 
Anerkennung  und   beide  Göttinnen    erhielten   ihren    Tempel,    ebenso   wie 
Juppiter  bald  als  der  im  Blitz  und  Donner  sich  verkündende  Gott  (Fulgur, 
Tonans),   bald  als  der  siegreiche  Schlachtenlenker  (Victor)  erscheint.     So 
dehnten  sich  einzelne  Gottheiten  auf  Kosten  andrer  aus  (das  Zurückgehen 
des  Kultes  der  Carraenta  z.  B.  hat  seinen  Grund   wahrscheinlich  in   dem 
Ansehen,  das  Juno  Lucina  genoss)  und  vervielfältigten  sich  so  zu  sagen; 
mochte  das  Volk  die  verschiednen  Epitheta  beinahe  als  verschiedne  Gott- 
heiten   ansehen,  >)   so  hat  das  Sakralrecht  doch  daran  festgehalten,   dass 
der  gleiche  Eigenname  mit  verschiednen  Qualitätsbezeichnungen  denselben 
Gott  bezeichne:  es  tritt  das  namentlich  darin  hervor,  dass  die  von  Alters 
her  dem  Juppiter  bezw.  der  Juno  heiligen  Tage  der  Idus  bezw.  Kalendae 
für  die  Tempel   dieser  Gottheiten   ohne   Unterschied  des   Beinamens    als 
Stiftungstage  gewählt  werden   und  z.  B.  nicht  nur  die  Juno  Lucina  und 
Juno  Honeta,  sondern  auch  die  vejentische  Juno  Regina  und   die  lanuvi- 
nische  Juno   Sospes   ihr  Tempelopfer    an   Kalendae  begehen.")     Es   fehlt 
aber  auch  jetzt   nicht  an   Fällen,   wo   sich   ein   derartiger  Beiname  ver- 


^)  Hierher  gehört  die  bekaonte  Erzählung   ',  Juppiter  Tonans  bereite.  Suet.  Aug.91.  Cass. 

von  dem  Traume  des  Augustns,  in  welchem  j  Dio  LIV  4. 

sich  der  capitolinische  Juppiter  über  die  Kon*  '^)  Aust,  De  aedib.  sacr.  p.  38. 

kurrenz    beklagt,    die   ihm   der  benachbarte 


48  Religion  nnd  Eulins  der  Römer.    I.  Religionsgeschiohte. 

selbständigt.  Ein  sicheres  Beispiel  für  eine  solche  Loslösung  bietet  der 
Gott  des  nächtlichen  Himmels,  Summanus,  der  erst  im  Anfange  des 
3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  einen  eignen  Kult  erhielt  und  noch  später,  wenn 
auch  ausserhalb  Roms,  unter  dem  Namen  Juppiter  Summanus  auftritt;^) 
ein  ähnliches  Verhältnis  waltet  auch  zwischen  Silvanus  und  Faunus  ob, 
von  denen  letzterer  als  der  altursprüngliche  Gott  im  Staatskulte  alleinige 
Verehrung  geniesst,  dagegen  in  der  privaten  Religionsübung  durch  SU- 
vanus  völlig  zurückgedrängt  worden  ist.  Das  lehrreichste  Beispiel  ist 
die  Verehrung  von  Dius  Fidius  und  Fides.  Als  Schützer  von  Recht  und 
Treue,  als  welcher  er  ja  von  Alters  her  im  Dienste  der  Fetialen  hervor- 
trat, erhielt  Juppiter  die  Bezeichnung  Diovis  Fidius  oder  Dius  Fidius,  die 
die  Griechen  mit  vollem  Recht  durch  Zevg  Iliaiioq  wiedergeben,  und  unter 
diesem  Namen  schon  im  J.  288  =  466  einen  eignen  Tempel  auf  dem 
Quirinal :  die  Trennung  dieses  Gottes  von  Juppiter  wurde  durch  die  im  Laufe 
der  Zeit  entstandene  lautliche  Verschiedenheit  der  ursprünglich  identischen 
Namen  Juppiter  und  Dius  erleichtert  und  das  Gefühl  für  den  früheren 
Zusammenhang  ging  verloren.  Neben  diesen  göttlichen  Vertreter  der 
Treue  trat  aber  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  eine  eigene  Göttin  der 
Treue,  Fides,  die  auf  dem  Capitol  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  des 
Juppiter  0.  M.  ihren  Tempel  erhielt  und  deren  Dienst  von  den  drei  grossen 
Flamines  versehen  wurde,  so  dass  auf  dem  Quirinal  Juppiter  als  Treugott, 
auf  dem  Capitol  Juppiter  und  die  Treue  nebeneinander  ihre  Verehrung 
fanden;  Analogien  bietet  die  spätere  Zeit  z.  B.  im  Kulte  der  Venus,  die 
an  der  einen  Stelle  als  Venus  Felix,  an  der  andern  mit  Felicitas  zusammen 
gefeiert  wird,  oder  einmal  als  Venus  Victrix,  das  andre  Mal  als  Venus 
Genetrix  neben  Victoria.  >)  Es  ist  also  von  diesen  göttlichen  Personifi- 
kationen ein  Teil  jedenfalls  dadurch  entstanden,  dass  man  die  hervor- 
ragendsten Eigenschaften  und  Thätigkeiten  einzelner  Götter  einer  beson- 
deren Verkörperung  für  würdig  hielt  und  von  ihrem  Gotte  loslöste:  neben 
Juppiter  Victor  findet  eine  eigne  Siegesgöttin  Victoria  ihre  Stelle  im  Staats- 
kulte, neben  dem  Kriegsgotte  Mars  und  in  unmittelbarer  Nachbarschaft 
seines  alten  Altars  auf  dem  Marsfelde  die  Kriegsgöttin  Bellona,^)  aus  dem 
Kulte  des  Juppiter  Liber  entwickelt  sich  nicht  nur  der  des  Liber,  sondern 
auch  der  der  Liberias,  deren  Tempel  dicht  bei  dem  des  Juppiter  Liber  Platz 
findet.  Auf  Grund  analoger  Anschauungen  wird  dann  das,  was  man  von 
Eigenschaften  an  anderen  schätzt  und  sich  selbst  wünscht,  oder  was  man 
an  Schicksalen  und  Zuständen  erfleht  und  erstrebt,  vom  Staate  oder  von 
einzelnen  selbst  als  göttlich  verehrt,  z.  B.  Erfüllung  der  frohen  Hoffnung 
(Spes)  und  Eintracht  der  Bürgerschaft  (Concordia),  die  Reinheit  der  Ehe 
(Pudicitia)  und  der  im  Verhältnisse  der  Kinder  zu  den  Eltern  sich  bethäti- 
gende  fromme  Sinn  (Pietas),  je  nachdem  bestimmte  Anlässe  und  Vorkomm- 
nisse des  öffentlichen  oder  privaten  Lebens  die  Veranlassung  bieten.   Über- 


>)  CIL  V  3256.  5660. 

*)  WissowA,  De  Veneris  simulacris  Ro- 
manis p.  22. 

°)  Besonders  lehrreich  ist  dafür  Tac. 
ann.  III  18:  cum  Valerius  Messalinus  signum 


aureum  in  aede  Martis  Ultaris,  Cciecina  Se- 
verus  aram  Wtioni  atatuendam  censuissent: 
hier  ist  die  Loslösung  der  Ultio  von  Mars 
Ultor  ganz  deutlich. 


B.  Bis  sam  8.  paniBohen  Kriege.    10.  Spaltung  und  Personifloation.  49 

haupt  geben  einzelne  Vorfalle,  besonders  solche  drohender  und  gefährlicher 
Art,  sowohl  im  öffentlichen  wie  im  privaten  Kulte  sehr  häufig  den  Anstoss 
zur  Ereierung  neuer  Gottheiten  dieser  Art:  in  schwierigen  Situationen, 
wo  man  nicht  weiss,  welcher  von  den  bekannten  Göttern  zur  Abwendung 
der  drohenden  Gefahr  von  Rechtswegen  kompetent  ist,  hilft  man  sich 
damit,  dass  man  die  gefahrdi*ohende  Macht  selbst  als  göttliches  Wesen 
fasst  und  ihr  Opfer  und  Kult  gelobt:  die  Häufigkeit  der  aus  den  feuchten 
Niederungen  aufsteigenden  Fieberkrankheiten  ^)  führte  zu  einer  an  meh- 
reren Punkten  der  römischen  Bügel  angesiedelten  Verehrung  der  Göttin 
Febris,  die  dem  vulkanischen  Boden  mancherorts  entsteigenden  Schwefel- 
dämpfe zum  Kulte  der  Mefitis,  die  grosse  Gefahr,  in  die  die  römische 
Flotte  495  =  259  durch  schwere  Stürme  geriet,  zur  Gründung  eines  Tem- 
pels der  Tempestates.  Ganz  entsprechend  erhielten  göttliche  Mächte,  deren 
Einwirkung  man  erfahren  zu  haben  glaubte,  ohne  dass  man  sich  über  den 
Namen  des  Gottes  klar  gewesen  wäre,  ihren  Dank  und  ihre  Verehrung 
nnter  einem  neugebildeten  Namen,  der  an  die  Veranlassung  der  Weihung 
anknüpfte:  der  Gott,  der  durch  seine  Stimme  das  Herannahen  der  Gallier 
verkündete,  erhielt  seinen  Altar  als  Ajus  Locutius,')  der,  welcher  die  Um- 
kehr Hannibals  vor  der  Porta  Capena  veranlasst  und  Rom  dadurch  be- 
schützt haben  sollte,  ein  fanum  als  Rediculus  oder  vielleicht  Tutanus  Redi- 
culus:')  ob  das  nur  Beinamen  eines  der  bekannten  Staatsgötter  oder  Be- 
zeichnungen neu  in  den  römischen  Gesichtskreis  tretender  göttlicher  Ge- 
walten waren,  Hess  die  vorsichtige  Gewissenhaftigkeit  der  römischen  Ponti- 
fices  unentschieden;  jedenfalls  hatte  der  Staat  seine  Dankesschuld  abge- 
tragen und  man  konnte  annehmen,  dass  der  zum  Empfange  der  Leistung 
berechtigte  Gott  sich  für  befriedigt  halten  werde.  In  der  Natur  der  Sache 
lag  es,  dass  sich  an  Weihungen  der  letztgenannten  Art  ein  dauernder 
Kult  nur  dann  knüpfte,  wenn  die  Veranlassungen  ihrer  Beschaffenheit  nach 
bleibende  oder  wiederkehrende  waren,  wie  dies  bei  den  Göttern  des  Fiebers 
und  der  Stürme  der  Fall  war,  während  man  sich  mit  Gottheiten  wie  Ajus 
Locutins  und  Tutanus  Rediculus,  wenn  sie  nicht  weitere  Zeichen  ihrer  Wirk- 
samkeit gaben,  durch  die  einmalige  Weihung  eines  Altars  ein  für  allemal 
abgefunden  hielt.  Daher  haben  Gottheiten  der  letzteren  Art  jedenfalls 
oft  gar  keine  Spur  in  der  Überlieferung  zurückgelassen,*)  und  wir  ver- 
mögen mit  einiger  Sicherheit  nur  über  diejenigen  Götter  zu  urteilen,  die 
ihre  Stelle  im  Staatskulte  dauernd  behaupteten  und,  was  für  diese  Periode 
damit  so  gut  wie  gleichbedeutend  ist,  einen  eignen  Tempel  auf  römischem 
Staatsgrunde  besassen:  immerhin  genügt  das,  um  uns,  wenn  auch  nicht 
jeden  einzelnen  in  Rom  von  Staatswegen  oder  gar  nur -von  Privatleuten 
verehrten  Gott,  so  doch  diejenigen  Richtungen  kennen  zu  lehren,  in  denen 
die  Ausdehnung  des  römischen  Götterkreises  und  die  innere  Entwicklung 


>)  NiBSBK,  Ital.  Landesk.  I  413. 

*)  Liv.  V  32,  6.  50,  5.  52,  11.  Cic.  de 
div.  1 101.  II  69.  Varro  bei  Gell.  XVI  17,  2 
and  mehr  bei  B.  Pstbr  in  Roschers  Lexik. 
II  191. 

•)  Fest.  p.  282.  Plin.  n.  h.  X  122;  vgl. 
Varro  Menipp.  frg.  213  und  dazu  R.  Pbtbr 


a.  a.  0.  218.  227. 

*)  Was  würden  wir  z.  B.  von  Verminus, 
dem  Goite  der  WOrmerkrankheit  des  Viehes, 
wissen,  wenn  nicht  im  J.  1876  sein  offenbar 
aus  Veranlassung  einer  Seuche  dieser  Art 
geweihter  Altar  gefunden  worden  wäre, 
CIL  VI  3732? 


Btadlraeh  der  kliai.  Altertumnrftneiiaofaalt.  Y.  4.  4 


50 


Religion  und  Kultua  der  B5mer.    I.  Beligionsgeeohiehte. 


der  religiösen  Yorstellungen  der  Römer  während  dieser  Periode  vor  sich 
gingen. 

Litteratur:  Ftkr  die  Eultbeinamen  der  römischen  (j5tter  liegt  jetzt  eine  gute  Samm- 
Inng  und  Bearbeitung  des  reichen  Materials  vor  bei  J.  B.  Cabtbr,  De  deomm  Romanoram 
cognominibos,  Halis  Saz.  (Lipsiae)  1898;  für  die  VergOttlichnng  abstrakter  Begriffe  in  der 
römischen  Religion  fehlt  eine  erschöpfende  Spezialnntersnchong,  denn  R.  Enoblhabd,  De 
personificationibns  qnae  in  poesi  atque  arte  Blomanomm  inveninntor,  Diss.  Gottingae  1881 
genügt  in  keiner  Hinsicht. 

11.  Die  äusseren  Formen  des  Staatskültas.  Während  im  häuslichen 
Gottesdienste  die  alten  einfachen  Formen  der  Vorzeit  mit  geringen  Aus- 
nahmen beibehalten  werden,  vollzieht  sich  in  der  öffentlichen  Religions- 
übung eine  tiefgreifende  Umgestaltung.  An  die  Stelle  der  anspruchslosen 
Kapellen  und  Altäre,  die  in  der  ersten  Periode  die  Stätten  des  staatlichen 
Gottesdienstes  bildeten,  treten  nur  wirkliche  Tempel,  die  als  Wohnung 
des  Gottes  gedacht  sind  und  wenigstens  zum  Teil  bereits  ein  menschen- 
ähnliches Bild  desselben  einschliessen ;  allerdings  ist  dies  letztere  die  Regel 
nur  bei  den  erst  in  dieser  Periode  neu  eintretenden  Gottheiten,  während 
die  der  alten  Ordnung  angehörigen  Götter,  trotzdem  sie  bereits  Tempel 
besitzen,  auch  in  dieser  Periode  vielfach  noch  bildlos  verehrt  worden  zu  sein 
scheinen.  Dagegen  wissen  wir  von  der  Thonstatue  des  Juppiter  im  capi- 
tolinischen  Tempel,  von  dem  der  ephesischen  Artemis  nachgebildeten 
Schnitzbilde  der  Diana  auf  dem  Aventin,  von  einer  ehernen  Statue  der 
Ceres  im  Tempel  von  Ceres,  Liber,  Liberal)  und  von  manchen  andern 
Götterbildern,  die  zugleich  mit  den  betreffenden  Kulten  ihren  Einzug  in 
Rom  hielten;*)  bei  den  genannten  Beispielen  unterliegt  der  griechische  Ur- 
sprung der  Darstellung  keinem  Zweifel,  und  was  auch  sonst  aus  dieser  Zeit 
von  Götterbildern  bezeugt  ist,  ist  durchweg  so  entstanden,  dass  griechische 
Göttertypen  mit  einigen  den  abweichenden  italischen  Religionsvorstellungen 
entsprechenden  Modifikationen  herübergenommen  wurden.  Wie  stark  grie- 
chische Vorlagen  die  römische  Darstellung  beinflussten,  zeigt  die  älteste 
römische  Münzprägung:  die  auf  den  sechs  verschiedenen  Nominalen  des 
Kupfers  auftretenden  Götterköpfe  sind  ausnahmslos  griechischer  Herkunft 
und  dienen  zum  Teil  zur  Bezeichnung  in  Rom  recipierter  griechischer 
Gottheiten  (Hercules,  Mercur),  zum  Teil  sind  sie  auf  römische  Götter 
(Janus,  Juppiter,  Minerva)  erst  übertragen.  Was  die  Tempel  selbst  be- 
trifft, so  hat  man  diejenigen,  die  einem  der  Götter  des  ältesten  Kreises 
galten,  mit  Vorliebe  an  derselben  Stelle  angelegt,  an  welcher  der  Kult 
von  alter  Zeit  her  haftete,  so  dass  die  alten  unscheinbaren  Kultstätten  durch 
die  neuen  Gotteshäuser  ersetzt  wurden.^)  In  derselben  Weise  hat  man  auch 
die  Festtage  dieser  Tempel  mit  den  alten  fetHae  der  betreffenden  Götter 
in  Verbindung  gebracht,  indem  man  den  Stiftungstag  des  Tempels,  der 
bei  seiner  alljährlichen  Wiederkehr  durch  ein  Opfer  gefeiert  wurde,  auf 
den  Tag  der  alten  Feriae  legte  ;^)  bei  neu  aufgenommenen  Gottheiten 
fielen  derartige  Rücksichten  natürlich  fort.  Der  Kreis  der  alten  Feriae  ist 
in  dieser  Periode  nicht  erweitert  worden,  sondern  zu  jedem  neuen  Tempel 


')  Diese  war  allerdings  nicht  Eulthild, 
sondern  Anathem,  Plin.  n.  h.  XXXIV  15. 
*)  Dbtlefsbn,  De  arte  Roman,  antiquis- 


sima  I  p.  13  £P. 

')  AüST,  De  aedibos  sacris  p.  50  ff. 
*)  AusT  a.  a.  0.  p.  34  ff. 


B.  Bis  siim  2.  pimischeii  Kriege.  U.  Aenssere  Formen  des  Staataknlins.        51 

gehört  ein  Festtag,  der  nur  in  diesem  einen  Heiligtume  mit  einem  feier- 
lichen Opfer  begangen  wird,  ohne  für  die  Allgemeinheit  den  rechtlichen 
Charakter  des  Tages  zu  bestimmen  und  ihn  zu  einem  dies  nefastus  zu 
machen:  dieser  alljährlich  wiederkehrende  Festtag  ist  der  natalis  tempH, 
der  Tag,  an  dem  bei  der  Stiftung  des  Tempels  die  üebergabe  des  fertigen 
Gebäudes  an  die  Gottheit  erfolgt  war,  und  die  Ealendarien  verzeichnen 
in  ihren  jüngeren  Zusätzen  diese  Tempelopfer  mit  grosser  Gewissenhaftig- 
keit. Wenn  diese  ncUcUes  templorum  selbst  bei  den  angesehensten  Heilig- 
tümern nie  Feriae  geworden  sind,  sondern  an  den  betreffenden  Tagen 
ohne  weiteres  Gerichtsverhandlungen  und  Volksversammlungen  abgehalten 
werden  konnten,  so  haben  doch  die  Stiftungstage  einer  Reihe  der  ältesten 
und  berühmtesten  Tempel  für  das  öffentliche  Leben  dadurch  eine  grosse 
Bedeutung  gewonnen,  dass  bestimmte  Stände  und  Kreise  der  Einwohner- 
schaft dieselben  besonders  festlich  begingen,  weil  sie  zu  dem  betreffendem 
Heiligtume  in  einer  näheren  Beziehung  standen:  so  bildet  das  aventi- 
nische  Minervaheiligtum,  dessen  Gründung  unter  den  Heiligtümern  der  di 
navensides  sehr  hoch  hinaufreicht,  den  sakralen  Yereinigungspunkt  für  die 
Handwerkerzünfte,  die  darum  seinen  Stiftungstag  (19.  März)  als  artifieum 
dies  in  ihren  Kreisen  ganz  besonders  feiern,  während  der  Staat  an  diesem 
Tage  das  damit  gar  nicht  zusammenhängende  alte  Marsfest  der  Quin- 
quatrus  begeht  und  sich  um  den  Festtag  der  Minerva  nur  insofern  küm- 
mert, als  er  in  ihrem  Tempel  ein  sacrificium  publicum  zur  Erinnerung  an 
den  Stiftungstag  darbringen  last.  In  demselben  Verhältnisse,  in  dem  sich 
die  Handwerker  gegenüber  der  Minerva  auf  dem  Aventin  befinden,  steht 
die  Eaufmannsgilde  zum  Tempel  des  Mercur,  die  Gärtner  zu  dem  der  in 
Italien  als  Schützerin  der  Gärten  verehrten  Venus,  alle  diejenigen  Ge- 
werbetreibenden, die  zu  ihrem  Betriebe  des  Wassers  besonders  bedürfen, 
zu  dem  Heiligtume  der  Quellgöttin  Juturna,  und  selbst  die  sakral  natür- 
lich ebenso  wie  politisch  rechtlose  Masse  der  Sklaven  nimmt  den  Stif- 
tungstag des  Tempels  der  Diana  auf  dem  Aventin  als  ihren  Festtag  in 
Anspruch.*)  Wenn  auch  alle  diese  kollegialen  Festlichkeiten  nicht  dem 
Staatskulte  angehören,  so  zeigen  sie  doch,  wie  eng  die  genannten  Kulte 
mit  dem  bürgerlichen  Leben  und  seinen  Äusserungen  zusammenhängen, 
und  dienen  daher  zur  Charakteristik  der  Götterauffassung  dieser  Periode. 
Von  Wichtigkeit  ist  es,  dass  nicht  nur  einzelne  Stände  und  Berufs- 
klassen mit  bestimmten  Tempeln  engere  Fühlung  halten,  sondern  dass 
manche  Heiligtümer  geradezu  eine  politische  Rolle  spielen  und  einzelnen 
Zweigen  der  Staatsverwaltung  dienen:  der  Tempel  des  Saturn  bildet  zu- 
gleich die  Schatzkammer  des  Staates,  das  Heiligtum  der  Trias  Ceres, 
Liber,  Libera  ist  Archiv  und  sakraler  Mittelpunkt  der  plebeischen  Ver- 
waltung, sein  mit  dem  alten  Feste  der  Cerialia  zusammenfallender  Stif- 
tungstag infolge  dessen  ein  besonderes  Plebejerfest,  um  den  Tempel 
der  Dioskuren  am  Markt  gruppiert  sich  die  römische  Ritterschaft,  deren 
Parade  diesen  Tempel  zum  Zielpunkte  hat;  vor  allem  aber  ist  der  Tempel 


*)  Vgl.  auch  die  aneillarum  feriae  (Po- 
lem.  Silv.  CIL  P  p.  269)  an  dem  wahrschein- 
lich schon   der  Ältesten  Fest^ordnang  ange- 


hörenden Feste  der  Nonae  Caprotinae  (Wis- 
sowA,  Real-Encycl.  III  1551  f.). 


52  Religion  und  Kultus  der  Römer.    I,  Religionsgesohiohte. 

auf  dem  Gapitole  das  sakrale  Zentrum  des  ganzen  Staates,  an  dem  nicht 
nur  die  Staatsbeamten  bei  ihrem  Antritte  und  bei  bestimmten  sonstigen 
Anlässen  feierliche  Opfer  vollziehen,  sondern  welches  auch  der  einzelne 
Bürger  an  wichtigen  Gedenktagen  seines  Lebens  aufsucht,  so  dass  Capüo- 
lium  adscendere  geradezu  zum  technischen  Ausdrucke  geworden  ist.  In 
diesem  Zusammenhange  ist  auch  die  Bestimmung  zu  erwähnen,  dass  für 
jedes  in  Rom  geborene  Kind  eine  Abgabe  an  die  Kasse  der  Juno  Lucina 
geleistet  werden  musste,  für  jeden  Gestorbenen  eine  solche  an  Libitina,  für 
jeden  mündig  gewordenen  Jüngling  an  die  Juventus:^)  wenn  die  Über- 
lieferung diese  Vorschrift  auf  Servius  TuUius  zurückführt,  so  liegt  darin 
insofern  etwas  Richtiges,  als  dieselbe  jedenfalls  dieser  zweiten  Periode  der 
römischen  Religionsentwicklung  angehört,  da  die  genannten  Gottheiten 
sämtlich  der  ältesten  Religionsordnung  fremd  sind. 

Tritt  auf  diese  Weise  die  Religion  in  eine  viel  engere  Beziehung  zum 
Leben  des  Tages,  so  zeigt  sich  gleichzeitig  auch  bei  der  Ausführung  der 
gottesdienstlichen  Handlungen  eine  grössere  Rechnung  auf  Beteiligung  des 
Publikums.  Das  tritt  vor  allem  bei  einer  in  dieser  Zeit  neu  eingeführten 
Gattung  sakraler  Akte,  den  Spielen,  hervor:  ganz  verschieden  von  den 
schon  im  ältesten  Kultus  sich  findenden  Rennspielen  der  Equirria  und  Con- 
sualia,  die  rein  als  rituelle  Feiern  zur  Sühnung  und  Weihung  der  be- 
treffenden Tiere  aufzufassen  sind,  sind  die  in  dieser  Periode  gefeierten 
ludi  zunächst  ausserordentliche  Dankfeste  für  den  von  den  Göttern,  vor 
allem  dem  Juppiter  0.  M.,  verliehenen  Sieg  und  schliessen  sich  daher  ur- 
sprünglich unmittelbar  an  den  Triumphzug  an,')  dann  werden  sie  unter 
dem  Namen  von  ludi  Romani  als  ständiges  Jahresfest  in  Verbindung  mit 
dem  Stiftungstage  des  capitolinischen  Tempels  gefeiert.  Hier  tritt  der  reli- 
giöse Akt  gegenüber  der  Schaustellung  wesentlich  zurück,  und  diese  Spiele 
sind  ohne  ein  zuschauendes  Publikum  nicht  denkbar.  Eine  Mitwirkung 
des  Publikums  bei  den  heiligen  Handlungen  zeigt  sich  ganz  besonders 
deutlich  in  den  auf  Anordnung  der  Orakelbewahrer  vorgenommenen  Kult- 
handlungen griechischer  Herkunft,  die  in  dieser  Periode  mehr  und  mehr 
überhand  nehmen  und  allmälig  die  Ceremonien  des  altrömischen  Rituals 
ganz  in  den  Hintergrund  drängen.  Das  gilt  vor  allem  von  den  Suppli- 
cationen  und  den  in  engem  Zusammenhange  mit  ihnen  stehenden  Feiern 
der  Götterbewirtungen  {lectisternia  und  sellisternia);  tragen  die  letzteren 
den  Charakter  einer  öffentlichen  Schaustellung,  welche  die  ganze  Bevöl- 
kerung in  Mitleidenschaft  zieht  und  auch  in  den  Privathäusem  ähn- 
liche Schmausereien  veranlasst,^)  so  nehmen  an  den  Sühn-  und  Bittpro- 
zessionen, den  supplicationes,  Männer  und  Frauen  in  festlicher  Bekränzung 
Teil  und  selbst  die  Freigelassenen  sind  nicht  ausgeschlossen;  auch  die 
gegenseitigen  Bewirtungen,  wie  sie  in  den  Kreisen  der  Plebejer  am  Ceres- 
feste, in  denen  der  Patrizier  später  an  den  Megalesia  üblich  waren,  und 
die  bei  der  Ära  maxima  des  Hercules  vorgenommenen  Yolksspeisungen 
knüpfen  sämtlich  an  griechische  Kulte  an,  ebenso  wie  das  zum  capi- 
tolinischen Kulte  gehörige  ständige  epulum  lovis,  an  dem  der  gesamte  Senat 


0  Piso  bei  Dion.  Hai.  IV  15. 

')  MoMMSEN,  Rom.  Forsch.  II  42  ff. 


«)  Liv.  V  13,  7. 


B.  Bis  zum  8.  punisohen  Kriege.    11.  Aenssere  Formen  des  Staatsknltas.       53 


teilnahm,  in  seiner  ganzen  Einrichtung  unverkennbar  den  griechischen  Ein- 
fluss  zeigt.  ^)  Die  altrömische  strenge  Scheidung  von  staatlicher  und  pri- 
vater Gottesverehrung  ist  hier  aufgehoben  und  im  Gegensatz  dazu  das  Prinzip 
aufgestellt,  dass  an  den  im  Interesse  der  Gemeinde  vorgenommenen  Ritual- 
akten auch  die  ganze  Gemeinde  teilnehmen  müsse,  eine  Anschaung,  die  so 
weit  durchgeführt  wird,  dass  in  bestimmten  Fällen  von  seiten  der  frem- 
den Kulte  sogar  die  Anordnung  eines  allgemeinen  Fastens  (cdstus)  statt- 
findet.*) Hand  in  Hand  mit  dieser  Heranziehung  der  Massen  zum  Gottes- 
dienste gehört  die  grössere  Sinnfälligkeit  der  Kulthandlungen;  die  Spiele 
lösen  sich,  zumal  seit  der  Einführung  der  scenischen  Aufführungen,  vom 
Kulte  ganz  und  gar  los  und  werden  zur  unterhaltenden  Yoi*stellung,  die  beim 
Lectisternium  auf  den  pulvinaria  liegenden,  geputzten  und  geschminkten, 
am  Opfermahle  sich  erfreuenden  Götterbilder  bieten  der  Schaulust  der  Menge 
reichen  Stoff,  und  bei  den  Supplicationen  musste  das  ausgebildete  Gere- 
moniell  und  die  Mitwirkung  von  Jungfrauenchören  und  Instrumentalmusik 
einen  starken  Eindruck  auf  die  Sinne  machen ;  es  liegt  auf  der  Hand,  dass 
die  schlichte  Peinlichkeit  der  ältesten  Kultformen  dadurch  in  den  Schatten 
gedrängt  werden  musste.  Immerhin  aber  ist  hervorzuheben,  dass  sich  von 
dieser  Hinneigung  des  Gottesdienstes  zur  Veräusserlichung  und  zum  Sinnen- 
reiz in  dieser  Periode  erst  die  Anfänge  zeigen  und  die  darin  liegende  Ge- 
fahr noch  verhältnismässig  wenig  zur  Geltung  kommt.  Die  Ludi  Romani, 
wahrscheinlich  erst  seit  387  --  367  ständig,  sind  bis  kurz  vor  Beginn  des 
zweiten  punischen  Krieges  das  einzige  Jahresfest  dieser  Art  geblieben  und 
haben  auch  am  Ende  dieser  Periode  noch  eine  erheblich  geringere  Aus- 
dehnung gehabt  als  später,  erst  im  J.  537  ==  220  treten  die  plebeischen 
Spiele  hinzu;  die  auf  Grund  von  Anordnungen  der  sibyllinischen  Sprüche 
vorgenommenen  Bittgänge  (suppUcationes)  sind  in  dieser  Zeit  weder  sehr 
zahlreich  noch  sehr  prunkvoll,  und  die  Lectisternia  dieser  Periode,  deren 
nicht  mehr  als  fünf  bezeugt  sind,  gelten  sämtlich  nur  drei  Götterpaaren, 
Apollo  und  Latona,  Hercules  und  Diana,  Mercurius  und  Neptunus,  Göt- 
tern, von  denen  die  ersten  fünf  zweifellos  griechische  Eindringlinge 
sind,  während  bei  dem  letzten  nur  der  Name  der  eines  altrömischen 
Gottes  ist,  unter  dem  sich  aber  der  in  Rom  recipierte  griechische  Posei- 
don verbirgt.  Auch  die  auswärtige  Kunst  der  etruskischen  Haruspices 
wird  vor  dem  zweiten  punischen  Kriege  nur  ausnahmsweise  zur  Sühnung 
und  Abwendung  göttlicher  Ungnade  zu  Rate  gezogen.  Ist  doch  auch  die 
Zahl  von  Anlässen,  die  eine  Sühnung  durch  Anordnungen  einheimischen 
oder  fremden  Rituals  erforderlich  erscheinen  lassen,  eine  geringere,  weil 
man  auf  die  genaue  Beobachtung  und  Procuration  der  Prodigien,  d.  h.  der 
als  Zeichen  des  göttlichen  Zornes  geltenden  aussergewöhnlichen  oder 
naturwidrigen  Vorkommnisse,  erst  allmälig  Wert  zu  legen  anfängt;  die 
regelmässige  Aufzeichnung  der  prodigia  eines  jeden  Jahres  und  wahr- 
scheinlich auch  die  ständige  Berichterstattung  über  dieselben  im  Senate 
beginnt  erst  zur  Zeit  des  ersten  punischen  Krieges,')  und  es  lässt  sich 


*)  Mabqüardt,  Staatsvemr.  III  348  f. 
')  Die   Beschränkung   auf  nichteinhei- 
nüflche  Gottesdienste  hebt  Varro  bei  Non. 


p.  197  ausdrücklich  hervor;  vgl.  Wissowa, 
Real-Encvcl.  III  1780. 

')  MomaiBN  bei  0.  Jahn,  Liv.  perioch. 


54 


Beligilm  und  Kvltas  der  BAmer.    L  B#ligioiMg— chiohi». 


noch  deatlich  verfolgen,  wie  im  Laufe  der  Jahre  Zahl  und  Mannigfaltig- 
keit der  gemeldeten  Prodigien  ebenso  wächst  wie  die  der  Sühnungen. 
Letztere  selbst  verlieren  bei  häufiger  Wiederkehr  leicht  ihr  Ansehen  und 
ihre  Wirksamkeit  und  mOssen  durch  immer  kräftigere  Ceremonien  über- 
boten werden ;  so  ist  man  schon  vor  dem  zweiten  punischen  Kriege  dahin 
gelangt,  in  schwerer  Not  des  Staates  auf  Grund  griechischer  Orakelsprüche 
selbst  Menschenopfer  aus  Vertretern  feindlicher  Nationen  darzubringen, 
so  in  den  Jahren  528  =  226  und  538  =  216  je  ein  Paar  von  Galliern 
und  Griechen  {GaUus  et  Gallo,  Crraecus  et  Graeca)  und  in  derselben  Zeit 
das  nachher  durch  eine  stellvertretende  Ceremonie  abgelöste  Opfer  der 
27  Argei,  d.  h.  Griechen.  0  Auch  griechische  Geheimfeiern  finden  um 
dieselbe  Zeit  Eingang  in  den  Staatsgottesdienst:  die  nächtliche  Feier  der 
Bona  dea,  die  unter  Mitwirkung  der  Vestalinnen  pro  populo  stattfand,  und 
das  griechische  Jahresfest  der  Ceres,  bei  dem  aus  Unteritalien  herbei- 
gezogene Priesterinnen  die  römischen  Matronen  in  die  Mysterien  der 
Göttin  einweihten,*)  bestanden  bereits  zur  Zeit  des  hannibalischen  Krieges. 

Litteratar:  Mabqcabdt,  Rom.  Staatsverw.  III  45  ff.  Wackbbmanh,  Das  Lecti- 
Btemium,  Progr.  ▼.  Hanao  1888.  C.  Pascal,  De  lectistemiia  apad  Romanos,  Riviata  di 
filologia  XXII  18d4,  272  ff.  =  Stadii  di  antichitii  e  mitologia  S.  19  ff.  F.  Lutbbbachbb, 
Der  Prodigienglaobe  und  Prodigienatü  der  Römer.    Progr.  ▼.  Bnrgdorf  1880. 


Dritter  Abschnitt. 

Bis  zum  Ausgange  der  Republik. 


12.  Die  Hellenisieniiig  des  Kultus.  Ein  fQr  die  Geschichte  der 
römischen  Religion  hervorragend  wichtiges  Jahr  ist  das  zweite  Jahr  des 
hannibalischen  Krieges  537  =  217.  Die  Not  der  Zeit  und  die  tiefgehende 
Erregung  der  ganzen  Bevölkerung  liess  füi*  die  massenhaft  gemeldeten 
Prodigien  aussergewöhnliche  Sühnungen  nötig  erscheinen  und  man  konnte 
sich  nicht  genug  thun  in  immer  neuen  Versuchen,  den  Zorn  der  GK^tter 
zu  besänftigen.')  Aber  das  altrömische  Ritual  bot  solcher  ausserordent- 
licher Sühnmittel  nur  wenige;  das  einzige  der  Art,  welches  sich  auftreiben 
liess,  der  fast  verschollene  altitalische  Brauch  des  ver  sacrum,  wurde  damals 
wieder  hervorgesucht  und  ein  ,,  heiliger  Frühling"  gelobt  für  den  Fall,  si 
res  publica  populi  Romani  Quiritium  ad  quinquennium  proximum  steterü.^^ 
Auffallend  ist,  dass  selbst  diese  alteinheimische  Sühnung  diesmal  auf  Grund 
von  Anordnungen  der  sibyllinischen  Bücher  beschlossen  wurde,  wenn  auch 
ihre  Ausführung  den  Pontifices  übertragen  war.  Aber  die  Orakelbewahrer 
haben  auch  sonst  noch  auf  Grund  der  Orakel  umfassende  Massnahmen 
getroffeu,  an  denen  das  eine  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  dass  sie 
sich  nicht  auf  die  Einführung  neuer  griechischer  Kulte  oder  die  Anordnung 
von  Opfern  bei  den  Tempeln  der  griechischen  Götter  Apollo,  Ceres  u.  s.  w. 


p.  XX.  Bebkatb,  Rhein.  Mub.  XII  436  = 
Ges.  Abhandl.  II  807. 

M  Vgl.  WissowA,  Real-Encycl.  II  697  ff. 

*)  Diese  beiden  Geheimdienste  nennt  Gic. 
de  leg.  II  21:  nocturna  mulierum  saerificia 
ne  sunto  praeter  olla,  quae  pro  populo  rite 


fient;  neve  quae  initianto  nisi  ut  adsoiet 
Cereri  graeco  sacro, 

*)  DiBLS,  Sibyllinische  Blfttter  S.  84  ff. 

*)  Liv.  XXII  10;  vgl.  XXXOI  34,  1. 
XXXIV  44,  6. 


C.  Bis  snm  Ansgange  der  Republik.    12.  Hellenisierimg  des  Knltns. 


55 


beschränken,  sondern  über  ihren  Kreis  hinansgreifen  nnd  auch  Opfer  in 
den  Tempeln  altrömischer  oder  in  Rom  recipierter  italischer  Gottheiten 
vorschreiben,  die  wir  uns  nicht  anders  als  graeco  ritu  gefeiert  vorstellen 
dürfen.  So  erhalten  auf  ihr  Betreiben  die  capitolinischen  Gottheiten,  die 
Juno  Regina  auf  dem  Aventin  und  die  Juno  Sospita  von  Lanuvium  Ge- 
schenke und  Opfer  und  die  Festfeier  des  alteinheimischen  Gottes  Saturnus 
erföhrt  eine  völlige  Umgestaltung  nach  griechischem  Vorbilde;^)  insbe- 
sondere aber  wird  damals  ein  Lectistemium  abgehalten,  bei  welchem  sechs 
Paare  von  Göttern  beteiligt  sind,  Juppiter  und  Juno,  Neptunus  und  Minerva, 
Mars  und  Venus,  Apollo  und  Diana,  Yolcanus  und  Vesta,  Mercurius  und 
Ceres  (Liv.  XXTT  10,  9);  es  sind  das  die  an  vielen  Orten  Griechenlands 
als  höchster  Götterkreis  verehrten  zwölf  grossen  Götter,')  gleichgesetzt 
mit  ebenso  vielen  römischen,  welche  durch  eben  diese  Gleichsetzung  in 
den  Bereich  des  griechischen  Kultes  mit  hineingezogen  werden.  So  ent- 
steht in  Rom  ein  neuer  Götterkreis,  zusammengestellt  ohne  jede  Rück- 
sicht auf  Alter  und  Herkunft  der  Kulte  und  gruppiert  nach  griechischen 
Sagen  und  Kultbeziehungen;')  damit  wird  die  alte  sakralrechtliche  Scheidung 
von  di  indigetes  und  novensides  aufgehoben  und  die  neue  Göttergenossen- 
schaft erhält  unter  dem  Namen  der  vereinigten  Götter,  di  consentes,  offizielle 
Geltung ;  die  Bilder  dieser  Götter  wurden  in  vergoldeten  Statuen  am  Forum 
aufgestellt,  analog  den  Zwölf göttern  auf  der  Agora  von  Athen. ^)  In  das- 
selbe Jahr  fällt  aber  auch  noch  eine  andere  bedeutungsvolle  Thatsache; 
war  bisher  streng  darauf  gehalten  worden,  dass  die  Kultstätten  der  griechi- 
schen Gottheiten  ausserhalb  der  sakralen  Grenze  des  Pomeriums  lagen,  so 
wird  diese  Grenze  nunmehr  durchbrochen,  indem  die  im  genannten  Jahre 
auf  Grund  sibyllinischer  Weisung  gelobten  und  zwei  Jahre  später  einge- 
weihten Tempel  der  Mens  und  der  erycinischen  Venus  ihren  Platz  auf 
dem  Capitole  erhielten.^)  All  diese  Massregeln  bezeichnen  offenbar  den 
Erfolg  einer  schon  seit  Jahrzehnten  mit  steigender  Kraft  wirksamen 
hellenisierenden  Bewegung,  die  nunmehr  unter  dem  Drucke  der  schweren 
Kriegsnot  zum  Siege  gelangte  und  an  Stelle  des  Nebeneinander  von  römi- 
scher und  griechischer  Gottesverehrung  die  Verschmelzung  beider  durch- 
setzte, die  bei  der  ganzen  Sachlage  mit  der  völligen  Hellenisierung  des 
römischen  Kultes  gleichbedeutend  war.  Die  Folgen  lassen  sich  sowohl  in 
der  Religionsübung,  wie  in  Leben  und  Litteratur  der  nächsten  Generationen 
deutlich  erkennen;  die  Einführung  neuer  griechischer  Gottheiten  hat  im 
wesentlichen  ihr  Ende  erreicht,  denn  es  bietet  sich  nunmehr  zum  gleichen 
Zwecke  ein  weit  einfacheres  Mittel  in  der  inneren  Umgestaltung  altrömischer 


»)  Liv.  XXII  1,  17  ff.;  vgl.  auch  XXI 
62,  7  ff. 

')  Vgl.  fiber  diese  Pbbllbb-Robkbt,  Griech . 
Ilvthol.  I  110  f.  MoMXSBN,  Rom.  Chronol. 
8.  305  ff. 

*)  Nicht  nur  die  Paanmg  von  Apollo 
and  Diana,  Mars  und  Venus,  sondern  anch 
die  von  Neptnnns  und  Minerva  hat  die  grie- 
chischen Yorstellangen  zur  Vorausset^angi 
wenn  auch  gemeinhin  mit  Athene  vielmehr 
Hephaistos  verbunden  zu  werden  pflegt  (doch 


findet  sich  auch  bei  den  Griechen  die  Paarung 
Hephaistos -Hestia).  Mercurius  und  Geres 
scheinen  mit  Rücksicht  auf  ihre  fast  gleich- 
zeitige und  sicher  in  innerem  Zusammen* 
hange  stehende  Reception  in  Rom  gruppiert. 

*)  Varro  de  r.  r.  I  1,  4.  CIL  VI  102; 
vgl.  JoBDAK,  Topogr.  1  2  S.  367  f.  Wissowa 
in  Roschers  Lexik.  I  922  f.  und  De  dis  Ro- 
man, indigetibus  et  novensidibus  p.  XII  f. 

^)  AusT,  De  aedibus  sacris  p.  49. 


56 


Beligion  nnd  Kulins  der  Römer.    I.  BeligionBgeaohiohte. 


Kulte  unter  Beibehaltung  der  alten  Namen;  wenn  wir  im  Laufe  der  nächsten 
hundert  Jahre  von  neu  erbauten  Tempeln  von  Juventus,  Venus,  Diana, 
Mars,  Bona  dea  hören,  so  lässt  sich  in  jedem  einzelnen  Falle  nachweisen, 
dass  sich  unter  den  römischen  Namen  griechische  Götter,  Hebe,  Aphrodite, 
Artemis,  Ares,  Damia,  verbergen.  Ein  sehr  bedeutsamer  Träger  griechischer 
Einflüsse  war  dabei  die  bildende  Kunst.  Das  Bedürfnis,  die  Götter  unter 
menschenähnlichem  Bilde  darzustellen,  wurde  unter  dem  Eindrucke  der 
seit  der  Einnahme  von  Syrakus  in  stets  steigender  Menge  nach  Rom 
strömenden  griechischen  Kunstwerke^)  ein  allgemeines,  und  ihm  konnte, 
da  es  eine  einheimische  sakrale  Kunst  und  feste  Göttertypen  nicht  gab, 
nur  durch  Herübernahme  griechischer  Bilder  genügt  werden.  Den  ein- 
fachsten Weg,  die  direkte  Entlehnung  griechischer  Götterbilder,  hat  man 
für  alle  diejenigen  Gottheiten,  für  welche  die  Gleichsetzung  mit  ent- 
sprechenden griechischen  im  Kulte  bereits  vorgenommen  war  oder  sachlich 
nahe  lag,  ohne  weiteres  eingeschlagen ;  für  Juppiter,  Juno,  Mars,  Saturnus 
boten  Zeus,  Hera,  Ares,  Kronos  die  gegebenen  Typen,  deren  Aneignung, 
wie  die  Münzprägung  zeigt,  zum  Teil  schon  vor  dieser  Periode  erfolgt  ist. 
Wo  es  sich  jedoch  um  Vorstellungen  handelte,  für  die  es  in  der  griechischen 
Religion  an  einer  einwandfreien  Analogie  fehlte,  musste  wohl  oder  übel 
eine  Anpassung  der  im  griechischen  Denkmälervorrat  gegebenen  Vorbilder 
an  die  römischen  Anschauungen  versucht  werden ;  wenn  dieselbe  in  manchen 
Fällen,  z.  B.  in  den  Bildern  des  Silvanus  oder  des  Genius,  sehr  gut  ge- 
lang, so  hat  sie  auf  der  andern  Seite  vielfach  nur  mit  grosser  Gewaltsam- 
keit und  unter  Verflachung  der  dem  betreffenden  Kulte  ursprünglich  zu 
Grunde  liegenden  religiösen  Vorstellungen  durchgeführt  werden  können; 
den  Dius  Fidius  durch  Apollo  oder  die  Penaten  durch  die  Bilder  der 
Dioskuren  wiederzugeben  war  ein  entschiedener  Fehlgriff,  der  natürlich 
nicht  ohne  Rückwirkung  auf  das  religiöse  Bewusstsein  des  Volkes  bleiben 
konnte*). 

Je  mehr  die  griechischen  Vorstellungen  in  den  breiteren  Massen  der 
Bevölkerung  Boden  gewannen,  um  so  fremdartiger  und  unbequemer  wurden 
der  Menge  die  alten  Götter  und  die  umständlichen  Formen  ihrer  Verehrung. 
Zwar  war  durch  die  Stabilität  aller  sakralen  Institutionen  und  die  Ge- 
wissenhaftigkeit der  Priesterschaft  zunächst  noch  dafür  gesorgt,  dass  die 
alten  Feriae  weiter  begangen  wurden  und  die  Tempelopfer  an  den 
jeweiligen  Stiftungstagen  regelmässig  stattfanden;  aber  für  die  grosse  Menge 
hatten  von  den  alten  Staatsfesten  nur  noch  diejenigen  Bedeutung,  die 
entweder  mit  volkstümlichen  Vergnügungen  und  Festbräuchen  verbunden 
waren  (wie  z.  B.  Gompitalia,  Terminalia,  Parilia  u.  a.)  oder  durch  eigen- 
artiges Ceremoniell  und  den  damit  verbundenen  ehrfürchtigen  Glauben 
an  ihre  besondere  Wirksamkeit  (z.  B.  Lupercalia,  Robigalia  u.  a.)  das 
allgemeine  Interesse  wach  erhielten ;  die  grosse  Mehrzahl  der  Feste  geriet 
derart  in  Vergessenheit,  dass  die  Gelehrten  des  ersten  Jahrhunderts  v.  Chr. 
in  vielen  Fällen  nicht  mehr  im  Stande  waren,  über  Sinn  und  Bedeutung 


^)  Vgl.  L.  Ubliohb,  OriechiBche  Stataen 

im  republikaiuBchen  Rom,   Würzbnrg  1880. 

*)  Vgl.    darüber   Wibbowa,    Römische 


Götterbilder,  Jahrb.  f.  klass.  Altert.  I  1898, 
161  ff.  nnd  den  Anhang  II. 


G.  Bis  Bom  Ansgange  der  Bepnblik.    12.  HelleniBierung  des  Knlins. 


57 


derselben  Aufscfaluss  zu  erhalten.  Ebenso  waren  im  häuslichen  Kulte  zwar 
die  alten  Vorstellungen  von  Vesta  und  den  Penaten,  Genius  und  Lar  fami- 
liaris  so  fest  eingewurzelt,  dass  sie  wohl  getrübt  und  verdunkelt,  nicht 
aber  verdrangt  werden  konnten;  aber  die  vielen  Götter,  die  der  Römer 
früher  bei  Geburt  und  Tod,  bei  Aussaat  und  Ernte,  in  den  vielfaltigen 
Nöten  des  taglichen  Lebens  angerufen  hatte,  traten  nunmehr  zurück  hinter 
die  neuen  griechischen  oder  griechisch  gefärbten  Kulte;  Dis  und  Proser- 
pina verdrängen  Vejovis  und  die  ganze  Sippe  altrömischer  Unterwelts- 
gottheiten, die  griechische  Ceres-Demeter  tritt  an  die  Stelle  der  ein- 
heimischen Tellus,  Carmen ta  und  selbst  Mater  Matuta  vermögen  sich  als 
Geburts-  und  Frauengottheiten  gegenüber  den  zwar  von  Haus  aus  itali- 
schen, aber  früh  griechischen  Einflüssen  zugänglich  gewordenen  Kulten 
von  Juno  Lucina  und  Diana  nicht  zu  behaupten.  Das  auf  uns  gekom- 
mene Material  von  Weihinschriften  aus  den  beiden  letzten  Jahrhunderten 
der  Republik  reicht  zwar  zur  Begründung  einer  beweiskräftigen  Statistik 
nicht  im  entferntesten  aus,  aber  es  ist  doch  gewiss  kein  Zufall,  wenn 
neben  den  verhältnismässig  zahlreichen  Widmungen  an  Juppiter,  Juno, 
Mars,  Apollo,  Hercules  die  Namen  so  hervorragender  Gestalten  des  ältesten 
Qötterkreises  wie  Janus,  Consus,  Faunus,  Saturnus  vollständig  fehlen  :0  es 
zeigt,  dass  diese  Götter  im  Volke  so  gut  wie  verschollen  waren,  wiewohl 
von  Staatswegen  nicht  nur  ihr  alter  Kult  weiter  gepflegt  wurde,  sondern 
die  meisten  von  ihnen  gerade  in  dieser  Periode  neue  Tempel  erhalten 
haben. 

Aber  auch  noch  von  anderer  Seite  her  drohte  der  altrömischen 
Religion  schwere  Gefahr.  Am  Ausgange  des  zweiten  punischen  Krieges, 
im  Jahr  550  =  204,  veranlassen  die  sibyllinischen  Bücher  die  Einführung 
des  Kultes  der  pessinuntischen  Kybele,  und  der  heilige  Meteorstein  der 
Göttin  findet  zunächst  im  Tempel  der  Victoria  seinen  Platz,  bis  im  Jahre 
563  =  191  im  Herzen  der  römischen  Altstadt,  auf  dem  Palatin,  die  aedes 
i/cdris  Deum  Magnae  Idaeae  eingeweiht  wird.  Damit  hielt  zum  erstenmale 
ein  Kult  in  Rom  seinen  Einzug,  der  nicht  nur  die  griechische  Sinnlichkeit  und 
Veräusserlichung,  sondern  bereits  die  exzentrische  Orgiastik  des  Orients  mit 
sich  dorthin  brachte.  Galt  dieser  Kult  auch  den  Römern  ebenso  als  ein 
griechischer,  also  einer  verwandten  Kultur  angehöriger,  wie  der  des  ApoUo 
und  der  Ceres,  und  wurde  er  darum  auch  wie  diese  der  Oberaufsicht  der 
Xviri  sacris  faciundis  unterstellt,  so  fühlte  der  Senat  doch  hier  mehr  als 
sonst  das  Bedürfnis,  etwaigen  üblen  Folgen  nach  Möglichkeit  vorzubeugen, 
indem  er  durch  Polizeimassregeln  die  Schaustellungen  dieses  Kultes  ein- 
schränkte und  den  römischen  Bürgern  die  Beteiligung  am  Priestertume 
der  Göttin  verbot  (Dion.  Hai.  H  19);  es  gelang  ihm  jedoch  nicht,  den 
aufregenden  und  anreizenden  Eindruck  des  neuen  Gottesdienstes  wesent- 
lich abzuschwächen,  und  dass  es  nicht  nur  das  niedere  Volk  war,  welches 
an  dieser  neuen  Art  von  Gottesverehrung  Gefallen  fand,  zeigt  die  That- 
sache,  dass  gerade  der  Patriziat  und  die  Nobilität  das  Fest  der  grossen 


')  lo  der  etwa  der  Zeit  des  ersten  puni- 
schen Krieges  Angehörigen  Serie  der  schwar- 
zen Thonachalen  mit  Göttemamen  (s.  oben 


S.  8)  begegnen  noch  Saetumus,  Kerus,  La- 
vema,  Aecetia,  Coera. 


58 


Religion  and  KaltoB  der  Römer.    L  ReligionsgeBohichie. 


Mutter  mit  Schmausereien  und  gegenseitigen  Bewirtungen  begingen  >) 
und  sich  aus  diesen  Kreisen  Genossenschaften  (sodalitates)  zu  Ehren  der 
Göttin  bildeten  (Cic.  Gate  mai.  45).  Im  Gefolge  der  Magna  Mater  drangen 
bald  allerhand  orientalischer  Aberglaube  und  andere  ausschweifende  Fremd- 
kulte, die  sich  mit  gutem  Grunde  der  Aufsicht  der  Staatsbehörden  zu  ent- 
ziehen suchten,  in  Rom  ein,  und  selbst  die  spärlichen  Nachrichten  unserer 
Überlieferung  lassen  erkennen,  dass  der  Senat  während  des  ganzen  2. 
Jahrhunderts  an  der  Ausübung  der  Religionspolizei  keine  leichte  Aufgabe 
hatte;  der  Bacchanalienskandal  vom  Jahr  568  =  186^)  und  die  im  Jahr 
615  =  139  notwendig  gewordene  Vertreibung  der  orientalischen  Astro- 
logen (Chaldaei),  vor  denen  schon  Cato  (de  agric.  5)  warnte,  aus  Rom 
und  Italien ')  sind  nur  vereinzelte  Symptome  des  sich  allmälig  voll- 
ziehenden Zersetzungsprozesses.  Im  letzten  Jahrhundert  der  Republik  sind 
die  führenden  Machthaber,  L.  Cornelius  Sulla  an  der  Spitze,  mehr  als 
andere  jeder  erdenklichen  Art  von  Aberglauben  ergeben  und  die  grössten 
Förderer  orientalischer  Superstition.  Der  mithridatische  Krieg  und  die 
folgenden  Kämpfe  im  Orient,  welche  u.  a.  der  Verehrung  der  kappadokischen 
Mä  oder  Bellona  in  Rom  Eingang  verschafften,  brachten  die  römischen 
Soldaten  in  Asien  bereits  mit  der  Mithrasreligion  in  die  erste  Berührung 
(Plut.  Pomp.  24)  und  haben  wenigstens  mittelbar  auch  das  Eindringen  der 
ägyptischen  Isisverehrung  in  die  Hauptstadt  befördert;  die  vergeblichen 
Kämpfe,  die  seit  dem  Jahr  696  =  58  von  den  Staatsbehörden  gegen 
diesen  Kult  geführt  werden,  sind  ein  redendes  Zeugnis  für  die  Macht- 
losigkeit der  ersteren  und  die  Gewalt  der  Bewegung,  die  weiter  und 
weiter  anwuchs,  bis  sie  im  3.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  ihren  Höhe- 
punkt erreichte  und  Rom  nicht  nur  zum  Pantheon  der  Welt  machte,  son- 
dern schliesslich  die  römische  und  selbst  die  griechische  Götterwelt  unter 
der  Masse  der  ägyptischen,  persischen,  semitischen  Gottesdienste  er- 
sticken liess. 

13.  Litteratur  und  Wissenschaft.  Die  Schnelligkeit  und  Gründ- 
lichkeit, mit  der  seit  der  Zeit  des  hannibalischen  Krieges  die  griechische 
Denkweise  die  alteinheimischen  Religionsvorstellungen  der  Italiker  zurück- 
drängt und  einen  völligen  Umschwung  der  Anschauungen  herbeiführt,  würde 
trotz  der  bisher  dargelegten  Gründe  unverständlich  sein,  wenn  nicht  der 
Hellenisierung  des  Denkens  durch  die  Anfänge  der  römischen  Litteratur 
in  hervorragender  Weise  Vorschub  geleistet  worden  wäre:  es  ist  kein  Zu- 
fall, dass  der  erste  Träger  römischer  Poesie,  Livius  Andronicus,  im  Jahre 
547  =  207  auch  das  Festlied  für  die  zur  Sühnung  aussergewöhnlicher 
Prodigien  nach  dem  Tempel  der  Juno  Regina  ziehende  Jungfrauenprozession 
verfertigt;  denn  diese  wurde  nach  griechischem  Ritus  unter  Leitung  der 
Orakelbewahrer  abgehalten,  und  das  Jungfrauenlied  war  ein  nach  dem 
Vorbilde  eines  griechischen  Partheneion  gebildeter  Sühngesang. ^)  Wenn 
die  römische  Dichtung  mit  einer  ungefügen  Übersetzung  der  Odyssee  und 
mit  Übertragungen  griechischer  Tragödien   begann,  so  war  es  nicht  nur 


»)  GeU.  II  24,  2.    XVIII  2,  11.    Fast. 
Praen.  z.  4.  April. 

»)  Liv.  XXXIX  8  flF.    CIL  P  p.  43  f. 


•)  Valer.  Max.  I  3,  3. 
*)  Liv.  XXVII  37;  ygl.  Dibls,  SibyUin. 
Blätter  S.  89  ff. 


G.  BiB  BQm  AuBgange  der  Republik.    13.  Litteratar  nnd  Wiuenachaft.        59 


die  Vorführung  griechischer  Mythen  an  sich,  die  in  der  angedeuteten 
Richtung  wirken  musste,  sondern  in  noch  höherem  Grade  die  Nötigung, 
die  vorkommenden  Namen  griechischer  Gottheiten  durch  lateinische  Namen, 
d.  h.  durch  Gleichsetzung  mit  den  eigenen  Göttern,  dem  Hörer  und  dem 
Leser  zu  verdolmetschen.  Allerdings  ist  es  nicht  möglich  festzustellen, 
in  welchem  Umfange  solche  Identifikationen  schon  vor  der  Litteratur  ent- 
weder im  Kultus  oder  im  privaten  Austausch  griechischer  und  römischer 
Anschauungen  vollzogen  worden  waren;  die  Gleichsetzung  von  Juppiter 
und  Juno  mit  Zeus  und  Hera  hat  nicht  erst  Livius  Andronicus  vorge- 
nommen, auch  dass  Neptunus  mit  Poseidon  und  Saturnus  mit  Kronos^ 
identisch  seien,  ist  schon  vor  ihm  geläufig  gewesen,  aber  wenn  er  Movüa 
mit  Camena  (frg.  1),  Moiqa  mit  Moria  (frg.  12),  Mvrjfioavvrj  mit  Moneta 
(frg.  25)  wiedergibt,  so  sind  das  gewiss  mehr  oder  minder  willkür- 
liche Übertragungen,  die  teilweise  Beifall  fanden,  teilweise  nicht  durch- 
drangen. Je  zahlreicher  solche  Gleichungen  sich  einbürgerten  —  wir 
können  den  Prozess  leider  nicht  in  seinen  einzelnen  Phasen  verfolgen, 
aber  bei  Plautus  z.  B.  kommen  Ops  =  *PfcXK«)  und  Silvanus  ==  ildv^)  hinzu  — 
umso  mehr  mussten  auch  die  griechischen  Mythen  auf  die  entsprechenden 
römischen  Gottheiten  übertragen  werden,  und  so  entstand  eine  scheinbar 
römische  Göttergenealogie  und  Göttersage,  die  aber  in  der  That  nichts 
war  als  eine  Rückspiegelung  der  griechischen;  Juppiter  ist  Sohn  von 
Saturnus  und  Ops,  Gatte  der  Juno,  Bruder  des  Neptunus  und  Dis  pater, 
Vater  der  Minerva;  der  römische  Hercules,  der  im  italischen  Kulte  eine 
ganz  eigenartige  Gestalt  angenommen  hat,  wird  wieder  der  abenteuer- 
frohe Held  der  griechischen  Heraklessage ;  der  ursprünglich  nur  als  Schützer 
des  Handels  in  Rom  verehrte  Mercurius  erscheint  auch  als  Götterbote  und 
Seelengeleiter  u.  s.  w.  Was  die  Dichter  begonnen  hatten,  setzte  die  Konstruk- 
tion der  Historiker  und  Antiquare  fort;  die  allmälige  Ausgestaltung  der 
römischen  Gründungssage  und  ihre  immer  stärker  werdende  Verknüpfung 
mit  der  griechischen  Heldensage^)  zu  verfolgen,  ist  nicht  unsere  Auf- 
gabe ;  wohl  aber  verdient  besondere  Hervorhebung,  wie  in  die  Konstruktion 
der  italischen  Urgeschichte  auch  die  Namen  der  einheimischen  Götter  ver- 
flochten werden.  Die  nach  dem  Vorbilde  griechischer  xTfaetg  abgefassten 
Gründungssagen  und  Ursprungsgeschichten  der  einzelnen  Städte  und  Land- 
schaften machten  den  Versuch,  an  der  Hand  der  Königslisten  und  Genealogien 
über  die  Grenzen  der  historischen  Überlieferung  hinaufzuführen,  und  griffen. 


■)  Vgl.  Liy.  Andr.  frg.  2  Baehr.  Saturni 
filie  =^  Kgoyidtj,  frg.  15  saneta  puer  Saturni 
—  "Hgsj.  Satamufl-X^Vo; ,  Sohn  des  Gaelus- 
Gv^aros  Enn.  ami.  frg.  25  Baehr.  Neptonos- 
noaeiöfoy,  Bmder  des  Juppiter- Zcv;  Naey. 
bell.  Pan.  frg.  12  Baehr. 

>)  Gistell.  513  ff.;  Mü.  gl.  1082.  Wenn 
Pers.  252  Jnppiter  als  Ope  gncUus  bezeichnet 
wird,  80  wird  man  das  Beiwort  der  Jone 
Chngena  trotz  der  abweichenden  Auffassung 
alter  Gewfthrsmftnner  (Paul.  p.  200.  Mart. 
Cap.  11  149)  als  'Peltjs  9vyaxfjq  au&ufassen 
haben. 

*)  Dass  mit  SUmni  lucua  Aulnl.  674. 


766  die  im  griechischen  Original  genannte 
Pansgrotte  der  Akropolis  wiedergegeben  ist, 
hat  M.  ScHUSTEB,  Quomodo  Plautus  Attica 
exemplaria  transtulerit  (Diss.  Qryphiswaldiae 
1884)  p.  21  richtig  hervorgehoben.  Die  Ar- 
beiten von  Th.  Uubrich,  De  diis  Plautinis 
Terentianisque,  Diss.  B^gimonti  1883  und 
A.  Kbsbbbro,  Quaestiones  Plautinae  et  Teren- 
tianae  ad  religionem  spectantes,  Diss.  Lips. 
1884  enthalten  wenig  Förderndes. 

*)  Vgl.  neuerdings  besonders  B.  Niese, 
Histor.  Zeitschr.  N.  F.  XXIII  481  ff.,  dessen 
Qrundanschaunng  ich  bei  mancher  Abwei- 
chung im  einzelnen  vollkommen  teile. 


60 


Religion  und  Knltna  der  Römer.    I.  ReligionsgOBohichte. 


da  eine  zwischen  Göttern  und  Menschen  vermittelnde  Klasse  von  Heroen 
fehlte,  zu  den  ziemlich  inhaltlos  gewordenen  Namen  der  alten  Götter,  die 
sie  mit  grösserer  oder  geringerer  Willkür  gruppierten:  das  bekannteste 
Beispiel  der  Art,  die  Liste  der  Laurenterkönige  Janus,  Satumus,  Picus 
Faunus,  Latinus,^)  gewiss  nicht  etwa  tiefsinnige  kosmogonische  Yolkssage,') 
sondern  erst  im  zweiten  Jahrhundert  v.Chr.  entstandene  Geschichtsklitterung, 
lässt  deutlich  erkennen,  wie  man  den  nötigen  Namenvorrat  nach  rein  äusser- 
lichen  Gesichtspunkten  zusammenraffte  und  gruppierte;  ebenso  zeigen  die 
verschiedenen  Berichte  von  Cacus')  und  seinem  Zusamentreffen  mit  Her- 
cules, wie  man  einen  inhaltlos  gewordenen  Namen  bald  so,  bald  so  nach 
Gutdünken  in  die  Erzählung  einfügte.  Mit  gleichem  Eifer  bemächtigte 
sich  die  gelehrte  Forschung  der  Fragen  nach  Alter  und  Enstehung  des 
römischen  Götterkreises;  die  Scheidung  älterer  und  jüngerer  Elemente  in 
demselben,  die  Feststellung  des  Anteils  benachbarter  Stämme,  wie  der 
Sabiner  und  Etrusker,  an  der  Bildung  der  römischen  Religion,  die  Ver- 
teilung der  verschiedenen  Kulte  auf  die  vorausgesetzten  Hauptperioden  der 
römischen  Urgeschichte  und  die  sie  vertretenden  Fürsten,  wie  Evander,  Romu- 
lus,  Titus  Tatius,  Numa,  Servius  TuUius,  das  alles  sind  Fragen,  denen  die  anna- 
listische Darstellung  der  ältesten  Zeit  nicht  aus  dem  Wege  gehen  konnte  und 
für  deren  Beantwortung  bei  dem  Mangel  jeder  Überlieferung  nur  der  Scharf- 
sinn und  die  Kombinationsgabe  des  Schriftstellers  in  Betracht  kamen.  Auch 
die  aetiologische  und  etymologische  Konstruktion  wurde  unter  ausgiebiger 
Verwertung  griechischer  Vorbilder*)  zur  Motivierung  einzelner  Tempel- 
gründungen und  Kulteigentümlichkeiten  ebenso  eifrig  benützt,  wie  man 
zur  Belebung  des  ganzen  Bildes  griechische  Sagen  auf  römische  Figuranten 
übertrug;^)  die  Gleichsetzung  einzelner  griechischer  und  römischer  Gott- 
heiten unter  einander  wurde  eifrig  weiter  gepflegt,  nur  in  anderem  Sinne 
als  früher:  hatten  die  älteren  Bearbeiter  griechischer  Dichtertexte  die 
griechischen  Götter  des  Originals  durch  lateinische  Namen  verdeutlichen 
wollen,  so  sucht  man  jetzt  umgekehrt  über* Wesen  und  Bedeutung  der  un- 
verständlich gewordenen  heimischen  Götter  durch  mehr  oder  minder  passende 
Gleichsetzung  mit  einer  Figur  der  allen  Gebildeten  bekannten  griechischen 
Sage  Aufschluss  zu  gewinnen.  Oft  war  die  Brücke,  die  zwei  solche  Gott- 
heiten verband,  eine  sehr  schwache,  z.  B.  wenn  man  Mater  Matuta  mit 
Leukothea  glich,  weil  im  Kulte  beider  die  Ausschliessung  der  Sklaven 
bezeugt  war,  oder  Consus  mit  Poseidon,  weil  beide  durch  Rennspiele  ge- 
feiert wurden.  Die  persönliche  Beteiligung  einzelner  Schriftsteller  an  der 
Fortbildung  dieser  griechisch-römischen  Pseudo-Sage  ist  leider  im  einzelnen 
nur  selten  festzustellen,  doch  lässt  sich  noch  erkennen,  dass  unter  den  Anna- 


^)  Das  Material  bei  Sohwbgleb,  Rom. 
Gesch.  I  212  ff. 

')  Als  solche  fasst  sie  H.  Nissen,  Tem- 
plum  S.  120  f.,  der  in  der  mythischen  Eönigs- 
reihe  eine  Symbolik  von  5  Schöpftmgstagen 
(Himmel,  Erde,  Vögel,  Tiere,  Menschen)  er- 
kennen will. 

»)  WissowA,   Real-Encycl.   III   1165  ff. 

*)  z.  B.  die  der  lokrischen  Sage  nach- 


gebildete Erz&hlung  von  der  Epiphanie  der 
Dioskuren  in  und  nach  der  Schlacht  am  See 
Regillus  (Dion.  Hai.  VI  13;  vgl.  E.  Zabhokb, 
Comment.  Ribbeck.  292  ff.). 

^)  Bei  Valerius  Antias  z.  B.  (Amob.  VI) 
war  die  Ueberlistung  des  Pannus  und  Picus 
durch  Numa  ganz  nach  Analogie  des  Pro- 
teusaben teuere  der  Odyssee  erziihlt. 


0.  Bis  zum  Ausgange  der  Republik.    18.  Litteratur  und  WisBenaohaft.        6 1 

listen  besonders  Gassius  Hemina  von  den  älteren  und  Valerius  Antias  von 
den  jüngeren  in  dieser  Richtung  thätig  waren;  die  communes  historias^)  des 
Lutatius  (Daphnis)  scheinen  ofioiotr/veg,  d.  h.  griechisch-römische  Parallelen 
aus  dem  Gebiete  von  Geschichte,  Religion  und  Sitte,  enthalten  zu  haben, 
andere  Namen  von  Griechen  und  Römern,  die  nur  vereinzelt  angeführt 
werden,  lassen  sich  in  ihrer  wirklichen  Bedeutung  nicht  sicher  fassen :  doch 
steht  soviel  sicher,  dass  das  7.  Jahrhundert  der  Stadt  in  dieser  Richtung  sehr 
thätig  und  fruchtbar  gewesen  ist  und  dass  Varro  und  Verrius  Flaccus,  auf 
welche  die  uns  vorliegenden  Quellen  in  der  Hauptsache  zurückgehen,  auf 
diesem  Gebiete  mehr  ordnend,  sichtend  und  ergänzend,  als  wirklich  schöpfe- 
risch gearbeitet  haben ;  der  ungeheuere  Einfluss,  den  namentlich  Varro  auf 
die  spätere  Litteratur  ausgeübt  hat,  hat  dahin  geführt,  dass  neben  den  von 
ihm  anerkannten  Erklärungen  und  Hypothesen  die  abweichenden  Varianten 
in  Vergessenheit  geraten  sind  und  so  eine  scheinbar  einstimmige  Über- 
lieferung enstanden  ist,  wo  ursprünglich  eine  Reihe  an  sich  gleich  berech- 
tigter, nur  mehr  oder  minder  geschickter  Erklärungsversuche  vorlagen. 
In  dem  de  dis  handelnden  Abschnitte  seiner  antiquitates  rerum  divi- 
narum  (B.  14—16)  hat  Varro  in  eigentümlicher  Weise  einen  doppelten 
Zweck  verfolgt;  während  nämlich  die  Bücher  de  dis  certis  (14)  und  de  dis 
incertis  (15)  alles  dasjenige  enthielten,  was  sich  über  die  Geschichte  des 
Kultes  und  die  Sagen  der  römischen  Gottheiten  ermitteln  liess,  führte  das 
16.  Buch  {de  dis  praecipuis  atque  seledis)  eine  Anzahl  von  Hauptgottheiten*) 
nochmals,  und  zwar  in  ganz  anderer  Beleuchtung,  vor,  indem  es  für  sie 
die  Begründung  einer  physikalischen  Deutung  ihres  Wesens  versuchte; 
wenn  Varro,  ähnlich  wie  es  schon  vor  ihm  der  Pontifex  Q.  Mucius  Scae- 
vola  gethan  hatte,^)  nach  stoischem  Vorbilde  drei  Arten  von  Auffassung 
der  Götter  (theologia)  unterschied,  das  genus  mythicum,  physicum  und  civile,^) 
so  waren  die  Bücher  14  und  15  der  Darstellung  der  Mythologie  und  der 
Staatsreligion,  das  Schlussbuch  aber  der  philosophischen  Spekulation  ge- 
widmet. So  vereinigte  Varro  in  seinem  Werke  die  Ergebnisse  von  zwei 
verschiedenen  Betrachtungsweisen,  die  in  der  römischen  Litteratur  seit 
dem  Anfange  des  zweiten  vorchristlichen  Jahrhunderts  neben  einander 
hergehen,  vielfach  im  feindlichen  Gegensatze  zu  einander,  und  doch  wieder 
einander  beeinflussend.  Die  Römer  haben  von  den  Griechen  nicht  nur 
Göttergenealogien  und  Gründungssagen,  nicht  nur  die  Erzählungen  von 
Götterkindem  und  Götterthaten  übernommen,  sondern  sie  haben  nicht  viel 
später  von  ihnen  auch  gelernt,  nach  den  hinter  den  Gestalten  der  Volks- 
religion und  des  Mythus  sich  verbergenden  ewigen  Kräften  und  Ideen  zu 
forschen.  Seit  Beginn  des  2.  Jahrhunderts  gewinnt  die  griechische  Philo- 
sophie in  den  gebildeten  Kreisen  Roms  Eingang  und  Einfluss  gerade  auf 
die  Auffassung  der  religiösen  Fragen.    Am  frühesten  scheinen  von  Unter- 


')   Die    gewöhnlich   aDgenommene   Be-      16.  Buches  von  E.  Schwarz,  Jahrb.  f.  Philol. 


Ziehung  des  Titels  auf  die  xoiyai  UrxoQiai 
des  Timaios  besteht  kaum,  denn  dies  waren 
▼ielmehr  perpetuae  higtoriae  (Gic.  epist.  V 
12,  2). 

')  Es  sind  zwanzig,  aufgezählt  von  Au- 
gustin.  c.  d.  VII  2.    Fragmentsammlung  des 


Suppl.  XVI  473  flf.  und  von  R.  Aqahd  ebd. 
XXIV  198  ff. 

»)  Augustin.  c.  d.  IV  27. 

*)  Die  Stellen  bei  Merkel,  Prolegom. 
in  Ovid.  fast.  p.  G  VII  ff.  A.  Schmbkel,  Philos. 
der  mittl.  Stoa  8.  117-119. 


62 


Religion  und  Enltna  der  Römer.    I.  Religionsgeeohichte. 


italien  her  pythagoreische  Anregungen  nach  Rom  gelangt  zu  sein;  denn 
die  im  Jahre  573  =  181  in  Rom  aufgefundenen  und  auf  Anordnung  der 
Behörden  als  religionsgefahrlich  verbrannten  angeblichen  Bücher  des 
Numa  *)  bedeuten  einen  Versuch  zu  einer  pythagoreisierenden  Umwälzung 
der  römischen  Religion,  welcher  eine  weite  Verbreitung  dieser  Lehre  voraus- 
setzt; auch  hat  die  Ansicht,  dass  eine  Reihe  von  Einrichtungen  der  alt- 
römischen Religion  ihre  innere  Erklärung  in  den  Satzungen  des  Pytha- 
goras  finde,  bis  auf  Nigidius  Figulus  und  Varro  namhafte  Anhänger  ge- 
habt,*) wenn  man  auch  die  Nachricht,  dass  Numa  ein  Schüler  des  Py- 
thagoras  gewesen  sei,  wegen  der  chronologischen  Unmöglichkeit  preis- 
geben musste.  Dieselbe  rücksichtslose  Energie,  mit  der  die  römische 
Staatsgewalt  die  apokryphen  Bücher  des  Numa  unterdrückt  hatte,  ver- 
suchte sie  auch  gegen  die  Lehrer  griechischer  Philosophie  zur  Anwendung 
zu  bringen,  aber  die  Austreibung  einzelner  Philosophen ')  konnte  doch  auf 
die  Dauer  das  Eindringen  philosophischer  Studien  nicht  verhindern;  zwar 
die  kosmogonischen  Offenbarungen  des  ennianischen  Epicharmus  haben 
wohl  noch  weniger  Wirkung  gehabt  als  die  von  demselben  Dichter  den 
Römern  verdolmetschte  wohlfeile  Aufklärung  des  seichten  Rationalisten 
Euhemeros,  auch  an  der  Lehre  Epikurs  haben  in  der  Hauptsache  nur 
vereinzelte  Feinschmecker  Gefallen  gefunden ;  um  so  tiefer  und  nach- 
haltiger aber  war  der  Einfluss,  welchen  die  Philosophie  der  Stoa  in  Rom 
ausübte.  Schon  von  Haus  aus  der  römischen  Denkweise  in  religiösen  und 
sittlichen  Fragen  in  hohem  Grade  wesensverwandt,  erfuhr  diese  Lehre 
durch  den  im  tonangebenden  Kreise  des  jüngeren  Scipio  heimischen  Pa- 
naitios  weitere  Anpassung  und  gewann  bald  die  weiteste  Verbreitung ;  der 
populärste  Dichter  der  Zeit,  C.  Lucilius,  macht  sich  zum  Herold  der  Sitten- 
lehre des  Panaitios,*)  Q.  Valerius  von  Sora  vertritt  aufs  nachdrücklichste 
den  stoischen  Pantheismus,^)  der  höchste  Beamte  der  römischen  Staats- 
kirche, der  Pontifex  Max.  Q.  Scaevola  (f  672  —  82)  trägt  kein  Bedenken, 
die  philosophische  (d.  h.  stoische)  Götterauffassung  als  die  einzig  wahre 
anzuerkennen  und  sie  nur  darum  als  zur  Staatsreligion  ungeeignet  zu  er- 
klären, weil  dem  Volke  nicht  die  volle  Wahrheit  fromme.*)  Auf  demselben 
Standpunkte  wie  er  steht  dann  Varro,  der  sich  in  der  Religionsphilosophie 
gänzlich  an  die  Stoa  anschliesst ;  die  pantheistische  Grundanschauung,  die 
Ableitung  der  Götter  von  den  partes  mundi  und  insbesondere  ihre  Zurück- 
führung  auf  die  beiden  Hauptelemente  Himmel  und  Erde,  die  allegorische 
Ausdeutung  der  Mythen  treten  uns  als  unverkennbare  Charakteristika  in 


»)  Liv.  XL  29.  Caas.  Hem.  bei  Plin. 
n.  h.  XIII  84  ff.;  mehr  bei  Schweolbb,  Rom. 
Gesch.  I  564  ff. 

'^)  Vgl.  insbesondere  A.  Schmekel,  De 
Ovidiana  Pythagoreae  doctrinae  adambra- 
tione,  Dias.  Gryphiswald.  1885;  Philos.  der 
mittl.  Stoa  S.  449  f.  Zelleb,  Philos.  d.  Qr. 
III  2  S.  82  ff. 

^)  Ausweisung  der  Epikureer  Alkaios 
und  Philiskos  durch  den  Consul  L.  Postn- 
mius  581  =  173,  Athen.  XII  547  A.  Aelian. 
Y.  h.  IX  12;   Senatus  consultnm  de  philoso- 


phis  et  rhetoribus  vom  J.  593  =  161,  Gell. 
XV  11,  1.  Suet.  gramm.  25;  Philosophen- 
gesandtschaft des  Jahres  599  =  155,  Plin. 
n.  h.  VII  112.    Plnt.  Cato  mai.  22  u.  a. 

*)  Treffend  hervorgehoben  von  Schxbkbl, 
Philos.  d.  mittl.  Stoa  S.  444  f. 

*)  Fragment  bei  Augustin.  c.  d.  VII  9 
undMythogr.Vat.llI  prooem.  p.  152,  30  Bode 
(=  frg.  4  Baehr.) :  luppiter  omnipotens,  re- 
rum  regumque  repertor,  progenitor  genUrix- 
que  deum,  deus  untis  et  idem. 

«)  Augustin.  c.  d.  IV  27. 


C.  Bis  mm  Avagange  der  Republik.    14.  Verfall  der  Btaatareligion.  63 

allen  Fragmenten  des  Baches  de  dis  seledis  (sowie  andrer  Schriften  ver- 
wandten Inhaltes,  z.  B.  des  Logistoricus  Curio  de  cultu  deorum)  entgegen. 
Dabei  ist  es  von  prinzipieller  Bedeutung,  dass,  während  in  den  Büchern 
de  dis  certis  und  de  dis  inceriis  die  Eigenartigkeit  römischer  Religions- 
anschauung  und  die  Abweichungen  von  verwandten  griechischen  Brauchen 
häufig  hervorgehoben  werden,  für  die  religionsphilosophischen  Erörterungen 
des  letzten  Buches  die  völlige  Identität  der  griechischen  und  römischen 
Oötterwelt  die  Voraussetzung  ist;  zur  Deutung  des  Satumus  wird  der 
Mythus  vom  kinderverschlingenden  Kronos  herangezogen,  eleusinische 
Mysterien  und  griechischer  Phallosdienst  dienen  zur  Erklärung  von  Ceres 
und  Liber.  Daraus  ist  gewiss  kein  Vorwurf  gegen  Varro  herzuleiten,  denn 
wo  es  sich  um  die  Ermittlung  des  durch  Mythus  und  Staatsreligion  nur 
in  mannigfacher  Trübung  und  Brechung  wiedergegebenen  reinen  und  all- 
gemeinen OottesbegrifFes  handelte,  mussten  die  nationalen  Verschieden- 
heiten als  unwesentlich  verschwinden;  aber  dem  Zwecke  des  grossen 
varronischen  Werkes,  die  in  der  eignen  Stadt  zu  Fremdlingen  gewordenen 
R^mer  mit  der  Heimat  und  ihrem  Denken  wieder  vertraut  zu  machen 
(vgl.  Cic.  Acad.  post.  I  9),  konnten  die  sozusagen  kosmopolitischen  Er- 
örterungen dieses  Buches  nicht  dienen. 

Litteratur:  L.  Kbjlhnbe,  Giimdlinieii  zur  Geschichte  des  Verfalls  der  r&mischen 
Steatsreligion  bis  auf  die  Zeit  des  August,  Gymn.-Progr.  Halle  1837 ;  M.  Terentii  Varronis 
Curie  de  cultu  deorum,  Gymn.-Progr.  Neubrandenbuig  1851.  £.  Zeller,  Philos.  d.  Grie- 
chen III  1  S.  309  ff. ;  Vortrftge  und  Abhandlungen  II  93  ff.  A.  Sohmbkel,  Die  Philosophie 
der  mittleren  Stoa  (Berlin  1892)  S.  439  fF. 

14.  Verfall  der  Staatsreligion.  Der  Pontifex  Scaevola  und  Yarro 
waren  vollkommen  in  ihrem  Rechte,  wenn  sie  nicht  nur  vom  philosophischen, 
sondern  auch  vom  staatsmännischen  Standpunkte  aus  die  Erzählungen  der 
Dichter  als  dem  Wesen  und  der  Würde  der  Gottheit  widersprechend  ver- 
warfen; die  Übertragung  griechischer  Mythen  auf  die  römischen  Oötter, 
die  durch  Vermittlung  der  Bühne  auch  den  breiteren  Massen  des  Volkes 
geläufig  wurde,  musste  umso  zersetzender  auf  den  Glauben  einwirken,  je 
mehr  solche  Erzählungen  von  Leben  und  Thaten  der  Götter  mit  dem  un- 
persönlichen und  abstrakten  Charakter  der  altrömischen  Religion  im 
Widerspruche  standen.^)  Aber  auch  der  Einfluss  der  philosophischen 
Betrachtungsweise  war  ein  durchaus  verderblicher;  denn  wenn  dieser 
auch  die  grosse  Menge  nicht  unmittelbar  berührte,  sondern  sich  auf  die 
litterarisch  gebildeten  Kreise  beschränkte,  so  waren  es  doch  gerade  diese 
Kreise,  aus  denen  die  berufenen  Träger  des  Staatskultus  hervorgingen; 
wer  aber  die  ganze  Staatsreligion  nur  für  ein  aus  Opportunitätsrücksichten 
festzuhaltendes,  thatsächlich  aber  von  der  Wahrheit  weit  abliegendes 
System  hielt  und  nach  stoischer  Anschauung  die  gesamte  äussere  Reli- 
gionsübung, vor  allem  Opfer  und  Bilderdienst,  als  bedeutungslos  oder 
schädlich  verwarf,  der  brachte  den  Obliegenheiten  seines  priesterlichen 
Amtes  gewiss  nicht  dasjenige  innere  Interesse  entgegen,  welches  sie  ver- 
langten. In  der  That  begegnen  wir  in  der  Zeit  etwa  von  den  Gracchen 
bis  auf  Caesar  einem  rapiden  Verfalle  des  römischen  Priestertums.    Die 


1)  Vgl.  die  Ansf&hmngen  bei  Dien.  Hai.  ant.  II  18.  19. 


64  Religion  nnd  Knltna  der  Römer.    L  ReligionegeBchiohte. 

drei  wichtigsten  Kollegien,  deren  Mitgliederzahl  durch  Sulla  auf  je  15 
gebracht  wird,  Pontifices  (nebst  den  Epulonen,  deren  Zahl  wahrscheinlich 
ebenfalls  durch  Sulla  von  3  auf  7  erhöht  wurde),  Augurn  und  Orakel- 
bewahrer,  werden  völlig  zu  rein  politischen  Behörden  und  in  den  Kampf 
des  Tages  dadurch  hineingezogen,  dass  seit  dem  J.  651  =  103  die  Be- 
stellung neuer  Mitglieder  nicht  mehr  durch  Kooptation,  sondern  durch  eine 
besondere  Art  von  Volkswahl  erfolgt;^)  blieb  auch  den  Kollegien  ein 
Präsentationsrecht  gewahrt,  so  genügte  das  doch  nicht,  um  die  Kontinuität 
der  Tradition  zu  sichern,  auf  der  früher  die  Sachkunde  der  Priester- 
schaften in  den  umfassenden  und  vielseitigen  Geschäften  ihres  Wirkungs- 
kreises beruht  hatte,  und  es  mehren  sich  die  Klagen  über  den  Verfall  des 
priesterlichen  Wissens;  die  Jahresschaltung  z.  B.,  die  zu  den  wichtigsten 
Obliegenheiten  der  Pontifices  gehörte,  geriet  durch  deren  Unwissenheit 
und  Parteilichkeit  derart  in  Unordnung,  dass  bis  zu  Caesars  Kalenderreform 
geradezu  unerträgliche  Zustände  herrschten*)  und  selbst  die  Ausführung 
der  bestehenden  Opfervorschriften  gestört  wurde,  indem  durch  die  Ent- 
fernung der  bürgerlichen  Zeitrechnung  von  der  natürlichen  die  Darbringung 
einzelner  Erzeugnisse  des  Jahres  an  den  dafür  bestimmten  Tagen  zur 
Unmöglichkeit  wurde  (Cic.  de  leg.  11  29) ;  ebenso  wurde  die  Meldung  und 
Procuration  der  Prodigien  vernachlässigt  (Liv.  XLIII  13,  1);  im  Augurn- 
kollegium  ging  das  Verständnis  für  die  komplizierte  Lehre  von  den  Auspi- 
cien,  soweit  man  sie  nicht  im  Dienste  der  Tagespolitik  ausbeutete,  völlig 
verloren, 8)  so  dass  selbst  Augurn,  die  sich  mit  ihrer  Disziplin  wissen- 
schaftlich beschäftigten,  zu  den  diametral  verschiedenen  Ansichten  über 
Ziele  und  Mittel  derselben  gelangen  konnten.*)  Die  übrigen  Priestertümer 
aber,  die  dem  politischen  Treiben  fernstanden,  gerieten  aus  andern  Gründen 
nicht  minder  in  Verfall.  Das  mit  der  altehrwürdigen  Thätigkeit  des  Opfer- 
königs, der  gi*ossen  Flamines,  der  Salier  u.  s.  w.  verbundene  Ansehen  ver- 
mochte dem  immer  enger  werdenden  Kreise  Zutrittsberechtigter  —  denn 
es  waren  hier  meist  nur  Patrizier  zugelassen^)  —  keine  genügende  Ent- 
schädigung zu  bieten  für  die  dem  Inhaber  dieser  Würden  durch  das  steife 
Ceremoniell  und  die  zahllosen  Verhaltungsmassregeln  auferlegte  Beschrän- 
kung der  persönlichen  Freiheit  und  Bequemlichkeit  und  die  in  vielen 
Fällen  von  ihm  geforderte  gänzliche  oder  partielle  Verzichtleistung  auf 
öffentliche  Ämter.  So  mehren  sich  die  Beispiele  dafür,  dass  sich  der  zur 
Übernahme  eines  solchen  Priestertums  Berufene  sträubt,  dasselbe  anzu- 
treten oder  wenigstens  sich  den  ihm  unbequemen  Vorschriften  desselben 
zu  fügen,«)  bis  schliesslich  in  vielen  Fällen  auf  Besetzung  der  frei  ge- 
wordenen Stellen  ganz  verzichtet  werden  musste;  der  allerdings  recht 
unbequeme  Posten  des  Flamen  Dialis  blieb  nach  dem  Tode  des  L.  Corne- 
lius Merula  (667  =  87)  volle  75  Jahre  frei,  da  es  erst  im  J.  743  =  11 


1)  MoMMSBN,  Staatsr.  II  23  ff.  |  dius  MarceUus  Cic.  de  leg.  11  32  f.;  de  dir. 

«)  Marqüardt,  Staataverw.  III  286  f.  }  II  75. 

')  Cic.  de  div.  I  25 :  ampicia,  quae  qui-  *)  S.  vorläufig  Mommsbn,   Rom.  Forsch. 

dem  nunc  a  RotnanU  auguribua  ignorantur;  I  78  ff. 

vgl.  de  n.  d.  II  9  u.  a.  >)  Material  bei  Marquabdt,  Staataverw. 

*)  Vgl.  über  die  Polemik  zwischen  den  III  64  f. 
Augurn  Ap.  Claudius  Pulcher  und  C.  Clau- 


0.  Bis  zum  Ausgange  der  Republik.    14.  Verfall  der  Staatsreligion.         65 

AugustuB  gelang y  ihn  neu  zu  besetzen;^)  die  Stellen  der  12  kleineren 
Flamines  müssen  am  Ende  der  Republik  wenigstens  teilweise  eingegangen 
gewesen  sein,  da  es  sonst  unbegreiflich  wäre,  dass  selbst  ein  Mann  wie 
Varro  über  die  Bedeutung  der  durch  solche  Priester  verehrten  Gottheiten, 
wie  Falacer  und  Furrina,  nicht  das  geringste  mehr  zu  ermitteln  imstande 
war;*)  die  Arvalbrüderschaft  und  die  Sodales  Titii  waren  bis  zu  ihrer 
Wiederherstellung  durch  Augustus  völlig  vergessen.  Überhaupt  fallt  auf 
den  vorangegangenen  Religionsverfall  bei  dem  erklärlichen  Mangel  direkter 
Zeugnisse  das  hellste  Licht  erst  aus  den  Versuchen  Varros,  das  Interesse  an 
religiösen  Dingen  wieder  zu  beleben,  und  aus  den  Reformen  des  Augustus. 
Nichts  kann  bezeichnender  sein,  als  dass  Varro,  der  in  seinen  Antiquitates 
divinae  den  ausgesprochenen  Zweck  verfolgt,  die  nahezu  verschollenen 
heimischen  Götter  der  Vergessenheit  zu  entreissen,')  für  seine  Darstellung 
der  Götter  des  Staatskultes  keine  passendere  Einteilung  findet  als  die  in 
solche,  von  denen  man  noch  etwas  Sicheres  wisse  (di  certi),  und  solche, 
bei  denen  dies  nicht  der  Fall  sei  {di  incerti),^)  Die  augusteische  Reorgani- 
sation aber,  von  der  im  nächsten  Abschnitte  die  Rede  sein  wird,  zeigt, 
dass  nicht  nur  Priesterstellen  unbesetzt  geblieben,  Tempel  verfallen,  Feste 
in  Vergessenheit  geraten  waren,  sondern  dass  vielfach  das  Alte  derart 
verschüttet  war,  dass  die  Reformen  des  Kaisers  mehr  einen  Neubau  als 
eine  Wiederherstellung  bedeuteten.  Wie  es  mit  dem  Interesse  der  grossen 
Menge  an  der  Religion  stand,  darüber  fehlen  alle  Nachrichten,  doch  werden 
wir  dasselbe,  wenn  man  auch  auf  dem  Lande  und  in  den  kleineren  Städten 
länger  am  alten  Gottesdienste  festgehalten  haben  mag,  bei  der  stadt- 
römischen Bevölkerung  sehr  gering  zu  veranschlagen  haben ;  nur  an  einer 
Art  von  Kulthandlungen  war  die  Beteiligung  stets  ausserordentlich  rege, 
das  waren  die  Spiele,  die  nicht  nur  an  Umfang  eine  Vermehrung  ins 
üngemessene  erfuhren  (die  Anzahl  der  Spieltage  hat  sich  vom  Ende  des 
hannibalischen  Krieges  bis  auf  Caesars  Tod  ungefähr  verfünffacht),  sondern 
auch  thatsächlich  jeden  inneren  Zusammenhang  mit  dem  Gottesdienste 
völlig  verloren,  wenn  auch  in  der  Theorie  der  sakrale  Charakter  dieser 
Veranstaltungen  noch  zuweilen  betont  wird.<^)  Ein  besonders  trauriges 
Zeichen  für  die  Abnahme  des  religiösen  Sinnes  liefert  der  mehrfach 
bezeugte  Verfall  der  sacra  privata,  auf  deren  dauernde  Erhaltung  in 
der  Familie  und  durch  Vererbung  die  ältere  Religionsordnung  den  grössten 
Wert  gelegt  hatte,  die  aber  jetzt  —  trotz  der  rechtlich  noch  bestehenden 
Aufsicht  der  Pontifices  —  als  unbequeme  Last  von  den  zur  Übernahme 
Verpflichteten  durch  die  verschmitztesten  Rechtskniffe  abgeschüttelt  und 
dem  Untergange  preisgegeben   wurden:^)   dass  man  sprichwörtlich  einen 


>)  Gase.  Dio  LIV  46.  Tac.  ann.  III  58. 
Saei  Aug.  31. 

*)  Varro  de  I.  1.  V  84.  VII  45. 

•)  Aogustin.  c.  d.  VI  2  {Varro  dicU) 
te  Hmert  ne  pereant  {di),  non  ineurau  hostili 
9ed  eivium  neglegentia,  de  qua  illos  veJut 
ruina  liherari  a  se  dicit  et  in  memoria  bo- 


excidio  penates  liberasse  praedicatur;    vgl. 
IV  31. 

*)  Ueber  die  Bedeutang  dieser  Schei- 
dung 8.  Augustin.  c.  d.  VII  17  und  dazu 
WissowA  bei  Marquabdt,  Staatsv.  III  9,  4. 
R.  Pbteb  in  Roschers  Lexik.  11  150  f.  R. 
AoAHD,  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XXIV  126  flF. 


norum  per    eiusmodi   libroa    recondi    atque  *)  S.  z.  B.  Cic.  Verr.  V  36. 

urvaH  uiHiore  curOf  quam  Metellua  de  in-  <)  Vgl.  z.  B.  Cic.  pro  Mnr.  27  und  be- 

eendio  sacra  Vestalia  et  Aeneas  de  Troiano  sonders  de  leg.  II  46  ff. 

Haadlmeh  der  Irliw.  AlftertomairteenaohAft.    V,  4.  5 


66 


Religion  und  Eiiltns  der  Römer.    I.  ReligionBgeschiehte. 


eines  jeden  bitteren  Beigeschmacks  entbehrenden  Glücksfall  als  sine  sacris 
hereditcts  bezeichnete,^)  lässt  die  Stimmung  breiter  Schichten  deutlich  er- 
kennen. 


Vierter  Abschnitt. 

Die  Religion  der  Kaiserzeit. 

15.    Die  religiösen  Beformen  des  Augustus.     Die  Zerfahrenheit 
und  Unhaltbarkeit  der  religiösen  Zustände  war  am  Ausgange  der  Republik 
bis  zu  einem  Grade  gediehen,  der  es  den  Machthabern,  sobald  nur  nach 
den  Wirren  der  Bürgerkriege  das  staatliche  Leben  wieder  in  geregelte 
Bahnen  gelangte,  zur  unaufschiebbaren  Pflicht  machen  musste,  hier  ordnend 
einzugreifen.   Freilich  stehen  gegen  Indifferentismus  und  Unglauben  keiner 
Regierung  unmittelbare  Waffen  zur  Verfügung,  aber  es  konnte  zunächst 
dafür  gesorgt  werden,  dass  der  Staat  als  solcher  durch  seine  Organe  den 
ihm  gegenüber  der  Gottheit  zukommenden  Obliegenheiten  gewissenhafter 
als  bisher  nachkam,  und  damit  auch  in  den  Bürgern  der  Sinn  zunächst 
für  die  äussere  Religionsübung  und  weiterhin  für  deren  inneren  Gehalt 
neu  belebt  werden.    Von  Caesars  Absichten  und  Wirken  in  dieser  Richtung 
haben  wir,  zumal  der  Inhalt  seiner  lex  lulia  de  sacerdotiis  nur  mangelhaft 
bekannt  ist,*)   keine  ausreichende  Kunde;    dass  er  sich  aber  mit  weit- 
gehenden Plänen  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Staatsreligion  getragen  hat 
und  man  von   ihm  Besserung  erhoffte,    geht  schon    aus   der   Thatsache 
hervor,   dass  Granius  Flaccus  ihm  sein   Buch  de  indigüamentis  widmete 
und  Varro   seine   Antiquitates   rerum   divinarum    ad   Caesarem  pontificem 
richtete.')    Augustus  aber  hat  sofort  nach  der  Schlacht  bei  Actium   die 
Reorganisation  des  öffentlichen  Gottesdienstes  in  Angriff  genommen  und 
mit  der  Wiederherstellung  der  in  Verfall  gerathenen  Priestertümer  und 
Tempel  begonnen.     Selbst   schon   seit  Jahren  Mitglied   der   drei  grossen 
Priesterschaften,  der  Pontifices,   Augum  und  Quindecimvirn,*)  scheint  er 
zunächst  für  die  Wiedererweckung  derjenigen  priesterlichen  Sodalitäten,  die 
allmälig   aus  Mangel  an   Interesse  gänzlich   eingeschlafen   waren,   Sorge 
getragen  zu  haben;  schon  bei  Beginn  des  Entscheidungskampfes  gegen 
Antonius  im  J.  722  =  32  hatte  er  als  Fetialis  des  römischen  Volkes  die 
Kriegserklärung  gegen   Kleopatra   in   den    alten  feierlichen  Formen    des 
priesterlichen  Völkerrechts  vollzogen  (Cass.  Dio  L  4)  und  damit  dieses  seit 
mehr   als   hundert  Jahren   nicht   mehr   in  Wirksamkeit   getretene^)    und 
wahrscheinlich    auch  nicht  mehr  besetzte  Priestertum  wiederbelebt;    die 
Neugründung  der  völlig  verschollenen  und  selbst  in  ihrer  Bedeutung  un- 


*)  Zeugnisse  bei  A.  Otto,  Sprichw.  d. 
Römer  nr.  806. 

2)  Lange,  Rom.  Altert.  IIP  436  f. 

')  Censor.  3,  2.  Augustin.  c.  d.  VII  35. 
Lact.  inst.  1  6,  7. 

*)  Ueber  die  Zeit  der  Wahl  zu  den  ein- 
zelnen 8<icerdotia  s.  Momvsbn,  Res  gestae 
D.  Aug.  p.  32  f.,  vgl.  P.  Babel,  De  pontific. 
Roman,    condicione   publica   (Breslau   1888) 


p.  4.  Die  Mitgliedschaft  aller  sacerdotwm 
qucUtuor  qmplissima  collegia  ist  erst  738/9 
=  16/5  bezeugt,  Mommsen  a.  a.  0.  p.  83; 
ausserdem  war  Augustus  frater  Arvalis,  «o- 
dalis  Titius,  fetialis  Mon.  Anc.  gr.  4,  7. 

^)  Der  letzte  uns  bekannte  FaU  ist  die 
Dedition  des  C.  Hostilius  Mancinus  618  == 
136  (Cic.  de  or.  I  181.  II  137.  Vell.  Pat.  II  1). 


} 

t 


D. 


it.    15.  BellgiOse  Beformen  des  Angnstiui. 


67 


I 


verstandlich  gewordenen  Kollegien  der  Sodales  Titii  und  Fratres  Arvales 
hat  sieh,  wie  es  scheint,  schon  im  nächsten  Jahrzehnt  nach  dem  Siege 
bei  Actium  vollzogen  i^)  in  die  reformierten  Priesterschaften  traten  ausser 
dem  Kaiser  auch  die  vornehmsten  Träger  seiner  Politik  ein  und  in  ihren 
Listen  fehlte  kaum  einer  der  ersten  Männer  des  neuen  Staates.  In  das- 
selbe Jahrzehnt  fällt  aber  auch  die  Fürsorge  des  Kaisers  für  die  Wieder- 
herstellung der  verfallenen  Heiligtümer;  im  J.  726  =  28  unternahm  er 
auf  Orund  eines  Senatsbeschlusses  die  Restauration  aller  einer  solchen 
bedürftigen  stadtrömischen  Tempel,  82  an  der  Zahl,')  sowie  sonstiger 
heiliger  Lokalitäten,  wie  des  Lupercal,  und  führte  ausserdem  eine  Anzahl 
älterer  Gotteshäuser,  die  durch  Einsturz  oder  Feuersbrunst  zu  Grunde 
gegangen  waren,  von  Grund  aus  neu  auf;*^)  welchen  Wert  er  selbst  auf 
diese  Thätigkeit  als  teinplorum  omnium  conditor  ac  restUutor  (Liv.  IV  20,  7) 
legte,  zeigt  die  starke  Betonung  dieser  Seite  seines  Wirkens  in  der 
höfischen  Poesie.^)  Aber  diese  gesamte  wiederherstellende  Thätigkeit, 
zu  der  auch  die  —  im  einzelnen  nicht  bekannte  —  Reform  der  Luper- 
calienfeier  (Suet.  Aug.  31)  und  die  Wiederaufnahme  des  ausser  Gebrauch 
gekommenen  augurium  salutis  (im  J.  725  =  29)^)  gehören,  bildet  nur  die 
Vorbereitung  für  eine  tiefergreifende  Reorganisation,  die  eine  Verjüngung 
der  römischen  Religion  zum  Zwecke  hat.  Dass  dieselbe  zunächst  nicht 
an  die  altrömischen  Kulte,  sondern  an  den  graecus  ritus  anknüpfte,  mag 
damit  zusammenhängen,  dass  Augustus  den  Oberpontificat  erst  verhältnis- 
mässig spät  übernahm,  während  er  bereits  erheblich  früher  im  Vorstande 
der  Quindecimvim  sass:  denn  Apollo,  in  dessen  Dienste  die  sibyllinischen 
Orakel  und  das  zu  ihrer  Ausdeutung  und  Bewahrung  bestimmte  Priester- 
tum  in  Rom  Aufnahme  gefunden  hatten,  ist  es,  den  jetzt  Augustus  in  den 
Vordergrund  rückt.  Der  im  J.  726  =  28  geweihte  und  mit  ganz  ausser- 
gewöhnlicher  Pracht  ausgestattete  Tempel  des  palatinischen  Apollo  stand 
in  solo  privatOj^)  und  die  an  alte  Beziehungen  des  julischen  Geschlechtes 
zum  Apollokulte  anknüpfende^)  Gründung  sollte  den  Dank  des  Kaisers 
für  die  ihm  von  dem  Gotte  in  den  Kämpfen  gegen  S.  Pompejus  und  Anto- 
nius geleistete  Hilfe  darstellen,^)  es  war  also  keine  aedes  publica,  sondern 
ein  Denkmal  privater  Religionsübung:  aber  der  Schutzgott  des  Kaisers 
wird,  je  mehr  die  Monarchie  Wurzel  fasst,  zum  Gegenstande  öffentlicher 
Verehrung  und  tritt  bald  als  mindestens  gleichberechtigter  Genosse  in 
den    Süreis   der  Staatsgottheiten   ein,    selbst   hinter   dem    capitolinischen 


')  Die  Reorganisation  der  Arralen  moas 
Yor  dem  J.  733  =  21  erfolgt  sein,  wenn 
£.  Hüi.A8  (Arch.  epigr.  Mitt.  ans  Oesterr. 
XV  1892,  23  ff.)  Datierung  des  im  J.  1892 
gefundenen  Fragmentes  (Epb.  epigr.  VI  11 
p.  316  f.)  das  Richtige  trifft  (s.  dazu  Momm- 
8XH,  Eph.  epigr.  VIII  p.  303  ff.). 

*)  Mon.  Anc.  4,  !?:  duo  et  octoginta 
templa  deum  in  urhe  constä  8ex\tum  ex  de- 
ereio]  sencUus  refeciy  nullo  praetermisso,  qnod 
€\o\  temp[pre  refici  debebat].  Cass.  Dio  LIII  2. 
Soet  Ang.  30. 

')  Mon.  Anc.  4,  1  ff.  mit  Mommsrns  Kom- 


mentar. 

*)  Hör.  carm.  III  6,  1  ff.  Ovid.  fast. 
II  59  ff. 

")  Cass.  Dio  LI  20.    Suet.  Aug.  31. 

•)  Cass.  Dio  XLIX  15.  Vell.  Pat.  11  81 ; 
vgl.  MoMMSBN,  Res  gestae  D.  Aug.  p.  80. 

')  Kiessuno,  Zu  augusteischen  Dichtem 
(Philol.  Untersuchungen  II)  S.  92  Anm.  3t). 

«)  EcKHEL,  Doctr.  num.  VI  93  f.  Auo. 
KuEHN,  De  Q.  Horatii  carmine  saeculari 
(Vratislaviae  1877)  p.  35  ff.  C.  Pascal,  Bull, 
arch.  com.  XXII  1894,  53  ff.  =  Studii  di 
antichitä  e  mitologia  S.  43  ff. 

5* 


()8  Beligion  und  Kultus  der  BOmer.    I.  BeligioxiBgesoliichie. 

Juppiter  nicht  zurückstehend.  Nicht  nur  in  der  höfischen  Poesie  und 
Kunst  stehen  Apollo  und  seine  Hausgenossin  Diana  obenan,^)  sondern 
auch  die  Ordnung  der  Staatsfeste  wird  zu  Gunsten  dieser  Oötter  des 
Fürsten  abgeändert.  Das  tritt  am  deutlichsten  bei  der  im  J.  737  =  17 
durch  Augustus  angeordneten  Saecularfeier  hervor.  Geleitet  von  dem 
überall  erkennbaren  Bestreben,  mit  der  aus  republikanischer  Zeit  stam- 
menden Überlieferung  zwar  nicht  schroflf  zu  brechen,  aber  durch  wohl- 
überlegte Abänderungen  die  neue  Ordnung  der  Dinge  zu  verwirklichen, 
führt  Augustus  die  Begehung  der  ludi  saeculares  in  eine  ganz  neue  Bahn : ') 
nachdem  die  Reihe  der  unter  dem  Freistaate  von  hundert  zu  hundert 
Jahren  begangenen  Saecula  durch  den  Bürgerkrieg  unterbrochen  worden 
war,  wurde  jetzt,  anknüpfend  an  ein  gegen  Ende  der  Republik  in  Umlauf 
gesetztes  sibyllinisches  Orakel,  eine  neue  Reihe  von  saeculu  von  je  110  jäh- 
riger Dauer  eröffnet,  deren  Begründung  und  angebliche  Vergangenheit 
darzulegen  das  Kollegium  der  Quindecimvirn  und  der  loyale  Jurist  G.  Atejus 
Gapito  sich  angelegen  sein  liessen.  Der  Charakter  des  Festes  wurde  ein 
ganz  anderer,  denn  an  Stelle  der  bisherigen,  drei  Nächte  andauernden 
Sühnfeier  zu  Ehren  der  Totengötter  Dis  und  Proserpina  trat  nun  ein 
durch  drei  Tage  und  drei  Nächte  begangenes  Fest,  von  dem  die  Nacht- 
feiern zwar  noch  am  Altar  des  Dispater  begangen  wurden,  aber  andern 
hilfreichen  Gottheiten,  nämlich  den  Moiren,  Eileithyien  und  der  Mutter 
Erde  galten,  die  Tage  aber  dem  Juppiter  0.  M.,  der  Juno  Regina  und 
dem  göttlichen  Geschwisterpaare  vom  Palatin,  Apollo  und  Diana;  nament- 
lich die  offenbar  den  Höhepunkt  des  Ganzen  bildende  Feier  des  dritten 
Tages  hatte  den  palatinischen  Tempel  zum  Mittelpunkte,  und  wenn  die 
Festprozession  unter  Yorantritt  des  aus  dreimal  neun  Knaben  und  eben- 
soviel Mädchen  bestehenden  Doppelchores  und  unter  Absingung  des  von 
Horaz  gedichteten  Festliedes  vom  Palatin  zum  Capitol  und  von  da  wieder 
zurück  zum  Palatin  zog,^)  so  tritt  darin  die  vollzogene  Gleichstellung  der 
neuen  kaiserlichen  Götter  Apollo  und  Diana  mit  dem  capitolinischen  Götter- 
paare in  unverkennbarer  Deutlichkeit  hervor.  Die  dominierende  öffentliche 
Stellung  des  kaiserlichen  Privatkultes  war  auserdem  zum  vollendeten  Aus- 
drucke kurz  zuvor  ^)  auch  dadurch  gekommen,  dass  Augustus,  nachdem  er 
—  offenbar  als  erster  Magister  der  Quindecimvirn  —  die  Bestände  an 
griechischen  Orakeln  einer  gründlichen  Revision  hatte  unterziehen  lassen, 
die  bisher  in  den  Kellern  des  capitolinischen  Tempels  aufbewahrten  sibyl- 
linischen  Bücher  in  den  palatinischen  Apollotempel  überführen  Hess  und 
dadurch    den   letzteren   zum   Mittelpunkte  wenigstens    des   ganzen   unter 


')  Vgl.   0.  Jahn,    Aus   der   Altertums-  '  W.  Chbist,  Sitz.Ber.  der  Mttnch.  Akad.  1893 

Wissenschaft  S.  294  ff.  |  I  140  ff.    F.  Schoell  a.  a.  0.  S.  68. 

')  Zum  Folgendeu  s.  Mommsen,  Monum.  i  *)  Allerdings   setzt  Suet.  Aug.  31    die 

ant.    pubbl.   d.  Lincei   13,   617  ff.  =   Eph.  1  Säuberung   und  Ueberführung  der  sibyllini- 

epigr.  VIII  p.  225  ff. ;  vgl.  auch  die  Wochen-  I  sehen   Bücher   erst   nach  Uebemahme    des 

Schrift  ,Die  Nation'  1891  Nr.  11  p.  161  ff.  |  Oberpontificats   742  =  12;   aber  Cass.  Bio 

WissowA,   Die  Saecularfeier  des  Augustus,  LIV  17   gedenkt  der  ersteren  schon  unter 

Marburg  1894.    F.  Sohoell,  Deutsche  Rund-  |  dem  J.  736  =  18,  und  dass  die  zweite  noch 


schau  XXIII  4  (1897)  54  ff. 

')  So  nach  Momvsek  a.  n.  0.;   anders 
Vahlen,  Sitz.Ber.  d.  Berl.  Akad.  1892,  1016  ff. 


früher   fällt,    zeigen    die  Erwähnungen  bei 
Verg.  Aen.  VI  72  ff.  und  TibuU.  II  5,  17  f. 


D.  Kaiserseit.    15.  BeligiOs«  Beformen  des  AngUBtus. 


69 


Leitung  der  Quindecimvirn  stehenden  Staatskultes  nach  griechischem  Ritus 
erhob. 

Eine  ganz  neue  Reihe  von  Reformen  auf  religiösem  Gebiete  begann 
mit  dem  J.  742  =  12,  in  welchem  Augustus  nach  dem  Tode  des  Lepidus 
die  Würde    des  Pontifex  maximus  übernahm   und   damit    diese  für  alle 
Znkanft  mit  dem  Principate  vereinigte ;  ^)  die  mit  diesem  Amte  verknüpfte 
Oberaufsicht  über  das  gesamte  Religionswesen  des  Staates  gab  dem  Kaiser 
Gelegenheit    zu   einer   Reihe   von   Massnahmen,    durch   welche   wichtige 
Zweige  des  altrömischen  Gottesdienstes  Umbildungen  im  monarchischen 
Sinne  erfuhren.     Das   erste  war   natürlich    auch  hier  Wiederherstellung 
eingegangener    Priestertümer ;    insbesondere^)   wusste  Augustus    für   das 
sehr  unbeliebte  Amt  des  Flamen  Dialis  nach   75 jähriger  Unterbrechung 
wieder  eine  Neubesetzung  zu  erzielen  (s.  oben  S.  64),  und  die  Abneigung 
der  angesehenen  Familien,  ihre  Töchter  gegebenenfalls  als  Vestalin  ein- 
treten zu  lassen,  suchte  er  nicht  nur  durch  Erhöhung  der  Ehrenrechte 
dieser  Priesterinnen,   sondern  auch   durch  die  für  die  Öffentlichkeit  be- 
stimmte  Äusserung  zu  bekämpfen,  dass  er,  wenn  eine  seiner  Enkelinnen 
in  dem   vorgeschriebenen  Alter  stände,  keinen  Augenblick  zögern  würde, 
sie  zur  Vestalin  zu  machen.^)    Bedeutsamer  war  es,  dass  der  Kaiser  es 
verstand,  den  uralten  Staatskult  der  Vesta,  zu  dem  der  Pontifex  maximus 
in  der  allerengsten  Beziehung  stand,  gewissermassen  zu  einem  Privatkulte 
des  kaiserlichen  Hauses  zu  machen.     Er  begnügte  sich  nicht  damit,   die 
neben  dem  Wohnhause  der  Yestalinnen  gelegene  domus  publica,  die  bisher 
dem  Oberpontifex  zur  Wohnung  gedient  hatte,  den  Yestalinnen  zu  schenken 
und  dafür  einen  Teil  seines  Palastes  auf  dem  Palatin  für  Staatsgut  zu 
erklären,  damit  der  Forderung,  dass  der  Pontifex  maximus  in  loco  publico 
wohne,  genügt  sei,^)  sondern  nachdem  am  6.  März  742  =  12  der  Kaiser 
den  Oberpontificat  angetreten  hatte,  wurde  bereits  am  28.  April  desselben 
Jahres  ein  neuer  Tempel  der  Vesta  auf  dem  Palatin,  mit  dem  kaiserlichen 
Palaste  verbunden,  eingeweiht^)  und  dadurch  deutliöh  zum  Ausdrucke  ge- 
bracht, dass  nunmehr  die  Vesta  und  die  Penaten  des  kaiserlichen  Hauses 
zugleich  die  des  Staates  seien ;  dass  die  Bedeutung  des  Aktes  wohl  gefühlt 
wurde,  beweist  die  Thatsache,   dass  nicht  nur  der  Tag  der  Übernahme 
des  Oberpontificates,  sondern  auch  der  Dedicationstag  des  palatinischen 
Vestatempels  unter  die  feriae  publicae  aufgenommen  wurden.    So  thront 
der   Kaiser   auf  dem   Palatin   zwischen  Vesta    und   Apollo,  <')    der   alten 
Herrin  des  Staatsherdes  und  dem  göttlichen  Schirmherren  des  herrschenden 


')  Zeogiase  bei  Mommsbn,  Res  gest.  D. 
Aog.  p.  45;  ygl.  Staatsr.  II  1052  ff. 

')  Wahrscheinlich  sind  auch  die  flaminea 
minores,  die  in  Varros  Zeit  halbverschollen 
smd  (oben  S.  65),  in  der  Kaiserzeit  aber 
wenigstens  z.  T.  wieder  begegnen  (vgl.  z.  B. 
CIL  IX  705.  XI  5028.  Eph.  ep.  IV  759),  und 
die  Sacerdotes  Lannvini,  Tuscnlani,  Laurentes 
LaTinates  u.  ä.  damals  erneuert  worden. 

*)  Säet.  Aug.  31 :  sacerdotum  et  numerum 
et  dignUaienif  sed  et  eommoda  auxU,  praeci- 
pue  VeHaiium  virginum\  eumque  in  demor- 


tuae  locum  aliam  capi  oporteret  ambirentque 
muUi,  ne  fUias  in  sortem  darent,  adiuravity 
ai  cuiusquam  neptium  auarum  eompeteret 
aetaa,  oblaturum  se  fuisse  eam, 

*)  Cass.  Dio  LIV  27.  LV  12;  vgl.  Job- 
dan, Topogr.  I  2  S.  426  Anm.  142. 

*)  CIL  I«  p.  317,  vgl.  WissowA,  Hermes 
XXII  44.  Hülsen,  Rom.  Mitteil.  X  1895, 28  ff. 

•)  Ovid.  fast.  IV  951:  Phoehua  habet 
partem,  Vestctepara  altera  cessit,  quod  super- 
est  Ulis,  tertiiis  ipse  tenet. 


70  Beligion  und  Kultaa  der  Römer.    I.  ReligionBgesohiohte. 

Hauses,  zum  deutlichen  Zeichen,  dass  das  Kaiserhaus  der  sakrale  Mittel- 
punkt des  Staates  ist.  Eine  verwandte  Anschauung  kam  einige  Jahre 
später  in  andrer  Weise  zur  Geltung,  indem  bei  der  im  J.  747  =  7  zum 
Abschluss  gebrachten  ^)  Neueinteilung  der  Stadt  in  Regionen  und  vici  der 
herkömmliche  Kult  der  Lares  compitales  in  der  Weise  reformiert  wurde, 
dass  an  jedem  compitum  inmitten  der  beiden  Laren  desselben  der  Genius 
des  Kaisers  eine  Stätte  der  Verehrung  fand :  *)  damit  war  es  zunächst  für 
Rom,  bald  aber  auch  für  die  Städte  Italiens  und  des  Reiches  ausgesprochen, 
dass  sich  die  öfTentliche  Religion  der  Bürger  in  ähnlicher  Weise  um  die 
Verehrung  des  •Genius  Augusti  zu  gruppieren  habe,  wie  der  Hauskult  um 
die  des  Genius  des  Hausherrn. 

Wie  durch  den  Bau  des  palatinischen  Vestaheiligtums  die  alte  aed^s 
Vestae  am  Forum  ihre  Hauptbedeutung  verliert  und  zu  einer  ehrwürdigen 
Reliquie  wird,  so  thut  eine  weitere  Tempelgründung  des  Augustus  dem 
capitolinischen  Heiligtume  in  seinem  Ansehen  wesentlichen  Abbruch.    In 
den  grossen  Bauten  des  Caesar  und  Augustus  lässt  sich  mit  voller  Deut- 
lichkeit die  politische  Tendenz  verfolgen,  die  Gedanken  der  Bürger  los- 
zulösen von  den  Örtlichkeiten,  mit  denen  die  grossen  Erinnerungen   des 
Freistaates  verknüpft  waren,  und  an  die  Denkmäler  der  neuen  Aera  zu 
fesseln:  das  römische  Forum  wurde  in  Schatten  gestellt  durch  das  neue 
caesarische  Forum,  welches  der  Tempel  der  Venus  GenitrLz,  der  Stamm- 
mutter des  julischen  Geschlechtes,  beherrschte,  die  alte  Rednerbühne  am 
oberen  Ende  des  Forums  erhielt  eine  Konkurrentin  an  den  rostra  der  im 
j.  725  =  29  dedicierten  ciedes  divi  lulii  am  unteren  Forum,  und  Augustus 
machte  das  von  ihm  erbaute  Forum  zu  einem  Denkmale  seiner  Familie; 
denn   den   Mittelpunkt   desselben    bildete   der   im  J.  752  =  2    geweihte 
Tempel  des  Mars  Ultor,^)  dessen  Inhaber  nicht  nur  als  der  Rächer  des 
ermordeten  Caesar  verehrt  wurde,    sondern,  wie  seine  Gruppierung   mit 
Venus  zeigt,  ^)  zugleich  als  göttlicher  Urheber  des  julischen  Hauses.    Dieser 
in  privato  solo^)  erbaute  Tempel  erhielt  ein  Statut,  welches  ihn  mit  ganz 
ausserge wohnlichen  Vorrechten  ausstattete:^)   hier  sollten   die  Mitglieder 
der  kaiserlichen  Familie  nach  Anlegung  der  Toga  virilis  opfern,  von  hier 
die  Magistrate  nach  den  auswärtigen  Provinzen  gehen,  hier  der  Senat 
über  Kriege  und  Triumphe  beschliessen  und  die  Triumphatoren  die  In- 
signien  ihrer  Würde  niederlegen,  hier  die  gewonnenen  Feldzeichen  depo- 
niert,  hier  von   den   gewesenen  Censoren   nach  Ablauf  des  Lustrum    ein 
Nagel   eingeschlagen  werden,')   Privilegien,   welche  sich  sämtlich  in  der 
republikanischen  Zeit  als  mit  dem  Tempel  des  Juppiter  Optimus  Maximas 
auf  dem  Capitol  verbunden  nachweisen  lassen^)  und  diesem  nunmehr  zu 
Gunsten    des  neuen   kaiserlichen   Heiligtumes   entzogen   werden.     Apollo 


^)  MoMMSEN,  Hermes  XV  109.  '  *)  Angaben  aus  dieser  lex  tempU  bei 

»)  Ovid.  fast.  V   146.    Hör.  carm.   IV      Cass.  Dio  LV  10.    Suet.  Aug.  29. 
5,  34;  8.  unten  §  27.  |  '')  Vgl.   dazu  Mommsen,  Rom.  Ghronol. 


*)  Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  442  ff. 

^)  Ovid.  trist.  II  295,  vgl.  Rbiffebscheid, 
Annali  d.  Inst.  1863,  367  f.  Wissowa,  De 
Veneris  simulacris  Roman,  p.  51. 

^)  Mon.  Anc.  4,  21. 


179  f.;  Staatsr.  II  407. 

8)  S.  z.  B.  Serv.  Ecl.  4,  50.  Liv.  XLV 
39,  11.  Appian.  Lib.  75.  Liv.  VII  3  und  vgl. 
im  allgemeinen  §  20. 


D. 


16.  Die  beiden  ersten  Jahrhunderte. 


71 


Palatinus,  Vesta  Augusta  (um  mit  diesem  allerdings  nicht  belegteii  Namen 
die  palatinisehe  Göttin  im  Gegensatze  zu  der  alten  Vesta  am  Forum  zu 
bezeichnen)  und  Mars  ültor,  sämtlich  Gottheiten  des  kaiserlichen  Privat- 
kaltes, und  der  durch  den  Tempel  des  Divus  Julius  in  seinen  Anfängen 
dargestellte  Eaiserkult  sollen  nach  den  Plänen  des  Augustus  die  Grund- 
lage der  neuen  kaiserlichen  Religionsordnung  bilden,  daher  nennt  er  in 
seinem  Rechenschaftsberichte  (Mon.  Anc.  4,  23)  neben  dem  Gapitolium 
gerade  diese  vier  Heiligtümer  als  von  ihm  durch  reiche  Geschenke  aus- 
gezeichnet: Dona  ex  manibiis  in  Capitolio  et  in  aede  divi  luli  et  in  aede 

ApoUinis  et  in  aede  Vestae  et  in  templo  Martis  Vltoris  consacravi. 

Litteratur:   6.  Boissieb,  La  religion  Romaine  d' Auguste  aus  Antonins,  Paris  1874, 

I  75  ff.  Th.  Mommsev,  Res  gestae  Divi  Augusti,  ed.  2.  Berolini  1883  p.  32  ff.  78  ff.;  Monnm. 
anticbi  pnbbl.  per  cnra  della  R.  Accad.  dei  Lincei  Vol.  1  punt.  3  (Roma  1891)  p.  617  ff. 
=  Ephem.  epigr.  VIIl  p.  225  ff.    V.  Gabdthausbn,  Augustus  und  seine  Zeit  I  2  S.  865  ff. 

II  2  8.  507  ff. 

16.  Die  religiösen  Verhältnisse  in  den  beiden  ersten  Jahrhun- 
derten der  Kaiserzeit.  Die  Beformen  des  Augustus  bilden  die  Grund- 
lage, auf  der  sich  die  Entwicklung  der  religiösen  Zustände  im  römischen 
Reiche  bis  auf  die  Zeit  der  Antonine  vollzieht,  wenn  auch  die  Keime, 
die  der  Begründer  der  Monarchie  gelegt  hat,  nicht  alle  gleichmässig  zur 
Entwicklung  gelangt  sind.  Beherrscht  wird  diese  ganze  Periode  durch 
das  Vorwiegen  dynastischer  Gesichtspunkte  in  allen  Zweigen  des  Kultus, 
durch  die  mit  grosser  Schnelligkeit  sich  vollziehende  Umwandlung  der 
Staatsreligion  in  eine  Hofreligion.  Für  den  öffentlichen  Gottesdienst  des 
Staates  sind  von  den  augusteischen  Neuerungen  namentlich  zwei  folgen- 
reich gewesen,  die  Begründung  der  Verehiomg  des  Genius  Augusti  und 
der  Kult  der  Divi  imperatores,  den  Augustus  durch  die  Errichtung  des 
Tempels  des  Divus  Julius  einleitete.  Caesar  hat  freilich,  da  er  nie  wirklich 
regiert  hat,  auch  sakralrechtlich  nie  in  die  Reihe  der  Divi  gehört;  aber 
nachdem  Augustus  selbst  nach  seinem  Tode  Tempel  und  Priester  erhalten 
und  so  die  im  Laufe  der  Zeit  mehr  und  mehr  sich  verlängernde  Reihe 
der  konsekrierten  Kaiser  eröffnet  hat,  bilden  der  Genius  des  regierenden 
Kaisers  und  die  zur  Zeit  vorhandenen  Divi  imperatores  zusammen  eine 
fest  geschlossene  Gruppe  neuer  Götter,  die,  neben  und  der  Bedeutung 
nach  sogar  über  den  alten  Gottheiten  der  Staatsreligion  stehend,  bei  allen 
öffentlichen  Kulthandlungen  einen  hervorragenden  Platz  beanspruchen.  Am 
deutlichsten  tritt  dies  in  der  Formel  des  Beamteneides  hervor,  in  welche 
jetzt  zwischen  Juppiter  0.  M.  und  die  Di  penates,  die  Götter,  denen  er  in 
republikanischer  Zeit  galt  (s.  oben  S.34  Anm.  I),  diese  Gruppe  von  Gottheiten 
eingeschoben  wird,  so  dass  man  z.  B.  in  der  Zeit  Domitians  schwört  per 
lovent  et  divom  Äugustum  et  divom  Claudium  et  divom  Vespasianum  Äugustum 
et  divom  Titum  Äugustum  et  genium  imperatoris  Caesaris  Domitiani  Augusti 
deosque  penates;^)  auch  bei  den  Opfern  der  Arvalbrüder  erscheint  mehrfach 
dieselbe  Verbindung.*)    Die  Loyalität  von  Privaten  aber,  sowohl  von  ein- 


')  Stadtr.  y.  Salpensa  and  Malacca  CIL 
II  1963  I  30.  II  1.  1964  m  15. 

')  Zw  Feier  der  Wiederkehr  von  Neros 
Thronbesteigiiog  opfern  im  J.  58  die  Arvalen 
nach  Jnppiter  0.  M.,  Juno,  Minerva,  Felicitas 


Oenio  ipsius,  Divo  Augusto,  Divae  Augu9taey 
Divo  Claudio  (CIL  VI  2041,  11;  vgl.  2042  i 
28  u.  a.),  and  auch  bei  ihren  Piacalaropfem 
verzeichnet  das  vollständigste  Protokoll  vom 
J.  224  am  Ende  der  aus  dem  uralten  Ritual 


72 


Religion  und  KaltnB  der  BOmer.    I.  Beligionsgeschichte. 


zelnen  Personen  und  Verbänden,  als  von  Gemeinden  und  Provinzen,  hat 
die  ausgesprochene  Neigung  noch  erheblich  weiter  zu  gehen ;  sie  begnügt 
sich  nicht  damit,  dem  Genius  des  Kaisers  dieselbe  Art  der  Verehrung 
entgegenzubringen,  die  im  Hause  der  Genius  des  Paterfamilias  von  Seiten 
der  Familienangehörigen  und  des  Gesindes  geniesst  (s.  unten  §  28),  sondern 
macht  auch  ohne  Vermittlung  des  Genius  die  Gestalt  des  regierenden 
Herrschers  zum  Gegenstande  direkter  Adoration.  Augustus  ist  schon  bei 
Lebzeiten  vielfach  im  Osten  wie  im  Westen  des  Reiches,  auch  in  Italien 
selbst,  als  Gott  verehrt  worden.  Privatleute  und  Gemeinden,  die  einen 
solchen  Kult  auf  eigne  Verantwortung  einrichten  konnten  und  überzeugt 
sein  durften,  dass  auch  ein  Übereifer  an  Devotion  ihnen  nicht  zum  Schaden 
gereichen  würde,  haben  dem  Kaiser  ohne  weiteres  Tempel  und  Kapellen 
errichtet,  Priester  für  ihn  bestellt,  Vereine  für  seinen  Kult  gegründet;*) 
doch  ist  stellenweise  eine  gewisse  Absicht  der  Verschleierung  bemerkbar, 
indem  der  Kaiserkult  zunächst  im  Gefolge  eines  andern  angesehenen 
Gottesdienstes  der  betreffenden  Gemeinde  und  mit  diesem  verbunden 
erscheint,  bis  er  diesen  allmälig  in  den  Hintergrund  drängt  und  zur 
Hauptsache  wird:  am  deutlichsten  ist  das  in  Pompeji,  wo  sich  die  alten 
ministri  Mercurii  Maiae  zunächst  in  ministri  Augusti  Mercurii  Maiae  ver- 
wandeln, um  schliesslich  reine  ministri  Augusti  zu  werden.^)  In  denjenigen 
Fällen  aber,  wo  eine  kaiserliche  Genehmigung  notwendig  war,  namentlich 
bei  der  Begründung  des  Kaiserkultes  ganzer  Provinzen,  gab  Augustus 
seine  Zustimmung  nur  unter  der  Bedingung,  dass  Tempel  und  Kult  gleich- 
zeitig mit  ihm  auch  der  Göttin  Roma  galten.^)  Immerhin  hatte  die  Ver- 
ehrung des  lebenden  Kaisers  in  ihren  verschiedenen  Formen  und  Modi- 
fikationen unter  der  Regierung  des  Augustus  im  ganzen  Reiche  mit  Aus- 
nahme Roms  und  des  Staatskultes  eine  weite  Ausdehnung  gewonnen.  Die 
Sachlage  versclTob  sich  aber  nicht  unwesentlich,  nachdem  Augustus  ge- 
storben und  konsekriert  worden  war;  denn  in  den  ihm  geweihten  Kulten 
traten  nicht  ohne  weiteres  seine  Nachfolger  an  seine  Stelle,  sondern  die- 
selben galten  nunmehr  in  erster  Linie  dem  Divus  Augustus,  mit  dem 
dann  einerseits  die  übrigen  Divi  imperatores,  andererseits  der  jeweilig 
regierende  Kaiser  verbunden  werden  konnten;^)  mag  dabei  auch  in  praxi 


stammenden  Götterreihen  das  Opfer  Genio 
domini  nostri  Severi  Älexandri  Augusti .  . . 
item  Divis  numero  XX  (CIL  VI  2107,  12; 
nur  die  Divi  ebd.  2099  ii  14.  2104 1 4).  Natür- 
lich können  aber  auch  je  nach  Anlass  des 
Opfers  der  Genius  des  Kaisers  (z.  B.  an  sei- 
nem Geburtstage,  Henzbn,  Acta  fratr.  Ary. 
p.  57)  oder  die  Divi  imperatores  (z.  B.  an  den 
Augustalia,  Henzek  a.  a.  0.  p.  50)  allein  an- 
gerufen werden. 

')  CuUores  Augusti,  quiper  omnes  domos 
in  modum  collegiorum  habebantur,  Tac.  ann. 
I  73;  über  italische  Kulte  des  lebenden 
Augustus  privater  oder  municipaler  Grün- 
dung 8.  0.  HiRscHFBLD,  S.Ber.  Akad.  Berlin 
1888,  838  (vgl.  Nissen,  Pompejan.  Studien 
S.  182  f.).  £.  Beürlibr,  Le  culte  imperial  17. 

»)  CIL  X  p.  1149;    ähnlich   finden   wir, 


ebenfalls  zu  Lebzeiten  das  Kaisers,  in  Nola 
einen  mctgister  Mercurialis  et  Augustalis  (CIL 
X  1272),  in  Tibur  Herculanei  Augustales  (s. 
CIL  XrV  p.  367),  ebenso  in  Grumentum  (CIL  X 
230),  in  Tusculum  Augustales  aeditui  Castorfs 
et  Pollucis  (CIL  XIV  2620,  vgl.  2637),  in 
Patavium  Augustales  ConcordiaUs  (CIL  V 
2525.  2872). 

')  Templa  ...  in  nuUa  .  .  provincia  nisi 
communi  suo  Romaeque  nomine  recepit,  Suet. 
Aug.  52.  lieber  den  provinzialen  Kaiserkult 
s.  0.  HiBscHFELD  a.  a.  0.  847  ff.  (dazu  M. 
Krabcheninnikoff,  Philol.  LIII 147  ff.).  Beür- 
libr a.  a.  0. 99  ff.  C.  G.  Brandis,  Real-Encycl. 
II  473  ff. 

*)  Das  prägt  sich  aus  in  Priesterbezeich- 
nungen wie  flamen  Romas  Divorum  et  Augu- 
storum  promnciae  Hispaniae  citerioris  (CIL 


D.  Eaiserseit.    16.  Die  beiden  ersten  Jahrhunderte.  73 

der  lebende  Herrscher  vielfach  im  Vordergi'unde  gestanden  haben,  so 
verlor  doch  seine  Verehrung  durch  die  Anknüpfung  an  den  Gründer  der 
Monarchie  sozusagen  das  persönliche  Element^)  und  galt  mehr  der  Re- 
gierungsgewalt in  abstracto;  jedenfalls  hat  nie  nachher  ein  einzelner 
lebender  Kaiser  eine  so  allgemeine  Sonderverehrung  im  Reiche  genossen 
wie  Augustus.*)  Die  sehr  verschiedene  Stellung,  welche  die  einzelnen 
Regenten  persönlich  zum  Kaiserkulte  einnahmen,  hat  die  allgemeinen 
Grundlagen  der  Institution,  wie  sie  durch  deren  erste  Entwicklung  ge- 
geben waren,  nicht  erheblich  verschoben;  weder  konnte  die  grosse  Zurück- 
haltung, wie  sie  z.  B.  Tiberius^)  und  Trajan  übten,  die  dominierende 
Stellung  des  Kaiserkultes  im  provinzialen  und  municipalen  Gottesdienste  * 
wesentlich  beeinträchtigen,  noch  haben  die  gesteigerten  Ansprüche,  welche 
Caligula,  Nero,  Domitian  an  die  öffentliche  Adulation  stellten,  das  Gesetz 
umzustossen  vermocht,  dass  für  den  Staatskult  der  Fürst  Gegenstand  der 
Verehrung  erst  werden  kann,  wenn  er  aus  den  Reihen  der  Lebenden  ge- 
schieden und  konsekriert  ist.^)  Dies  Gesetz  hat  bis  auf  Diocletian  un- 
verbrüchlich gegolten;  der  Staatskult  kannte  nur  die  Divi  imperatores 
und  den  Genius  des  regierenden  Kaisers;  auf  den  letzteren  bezieht  sich 
auch  die  Heilighaltung  der  imago  prindpis,^)  die  klärlich  aus  der  Ver- 
ehrung des  Genius  Augusti  zwischen  den  Larenbildern  (vgl.  die  coUegia 
Larum  et  imaginum  Aug,  CIL  VI  307  u.  a.)  hervorgegangen  ist,  während 
die  Aufnahme  des  Namens  in  das  Salierlied,  durch  die  Augustus^)  und 
andre  Kaiser  bei  Lebzeiten  geehrt  wurden,  nicht  notwendig  eine  Ein- 
reihung unter  die  Götter  zu  bedeuten  braucht;  ist  aber  eine  solche  ge- 
meint, so  wird  man  auch  hier  an  den  Genius  des  Kaisers  zu  denken 
haben.  Wie  aber  trotz  dieser  Beschränkung  des  Kaiserkultes  der  gesamte 
Staatsgottesdienst  mehr  und  mehr  eine  Richtung  auf  die  Verherrlichung 
des  Kaiserhauses  nahm,  lassen  die  Protokolle  der  Arvalbrüder  mit  voller 
Deutlichkeit  erkennen.  Wenn  schon  im  J.  724  =  30  angeordnet  worden 
war,  dass  die  römischen  Staatspriester  und  -Priesterinnen  bei  allen  für 
Senat  und  Volk  gethanen  Fürbitten  und  Gelübden  auch  des  Kaisers  ge- 
denken sollten  (Cass.  Dio  LI  19),  so  zeigt  die  Geschäftsführung  der  Arval- 
brüder, wie  tief  diese  Massregel  in  den  ganzen  Betrieb  des  Staatsgottes- 
dienstes eingriff.     Abgesehen  von  Ankündigung  und  Feier  des  alljährlich 


11  4205  a.  a.)»  agxiegevg  xioy  leßaartuy  xal  1  nisi  permittente  se  poni,  permisiique  ea  sola 
Ifegmroi  KXav&iov  Kal^agog  ^Eßaarov  (I6S  '  condicione,  ne  inter  simalacra  deorum,  sed 
I  2718);  wahrscheinlich  blieb  der  ProviDzial-   |   inter  ornamenta  (ledium  ponerentur,    Suet. 


kalt  meist  mehr  dem  regierenden  Herrscher 
reserriert,  während  die  Verehrung  der  Divi 
den  einzelnen  Gemeinden  zuüel  (0.  Hibscb- 
FBU)  a.  a.  0.  S.  849). 

')  Vgl.  namentlich  Momhskn,  Staatsr.  11 
734  flF. 

')  Priester  regierender,  mit  Namen  be- 
zeichneter Kaiser  fehlen  im  Westen  ganz 
(0.  HiBSCHTBLi)  a.  a.  0.  S.  843  Anm.  48),  im 
Osten  sind  sie  auch  nicht  sehr  zahlreich  (Bei- 
spiele bei  Bbakdis  a.  a.  0.  479  f.). 

')  Templa,  flamines,  sacerdotes  decerni 
Mihi  prohibuit,  etiam  statucu  atque  imagines 


Tib.  26;  vgl.  Mommskn,  Hermes  XVII  641. 

*)  Nam  deum  honor  principi  non  ante 
habetur,  quam  agere  inter  homines  desierit, 
Tac.  ann.  XV  74;  über  die  Ansprüche  der  ge- 
nannten Kaiser  Suet.  Calig.  22.  Tac.  a.  a.  0. 
Plin.  paneg.  52. 

*)  Vgl.  Pbibdlandeb,  SittGesch.  HI* 
S.  209  fr.  und  über  die  Kaiserstatuen  im  Lager 
V.  DoMASZEWSKi,  Westdeutsche  Zeitschr.  XIV 
68  ff. 

•)  Mon.  Anc.  2,  21.  Oass.  Dio  LI  20; 
andres  bei  Marquardt,  Staatsverw.  III  438. 


74  Beligion  und  Kaltas  der  BOmer.    I.  Beligionsgeschiehte. 

wiederkehrenden  Hauptfestes   der  Dea  Dia  und  von    den  durch  ausser- 
ordentliche Anlässe  hervorgerufenen  Piacularopfern  bewegt  sich  die  ganze 
Thätigkeit    der   Priesterschaft    so    gut    wie    ausschliesslich    in    sakralen 
Loyalitätskundgebungen;  ausser  den  allgemeinen  Vota  für  das  Wohl  des 
Herrscherhauses  am  3.  Januar  begegnen  uns  ähnliche  regelmässige  Jahres- 
vota für  jedes  Regierungsjahr  des   Kaisers,   ferner  einmalige  Bitt-  und 
Dankgelübde  und  -Opfer  bei  besonderen  Gelegenheiten,  z.  B.  bei  der  Er- 
krankung des  Kaisers  oder  der  Niederkunft  der  Kaiserin,  beim  Auszuge 
des  Fürsten  zum  Feldzuge  oder  bei  seiner  siegreichen  Rückkehr  u.  a., 
endlich  in  der  ersten  Zeit,  bis  die  flavischen  Kaiser  diese  Feiern  von  der 
Geschäftsordnung  der  Arvalen  entfernen,  auch  Opfer  an  allen  persönlichen 
Gedenktagen  des  regierenden  Herrschers  und  seiner  Familie.     Wie  sehr 
diese  ganze  Gattung  heiliger  Handlungen  dem  Gottesdienste  der  Arval- 
brüder  als  etwas  Fremdartiges   aufgepfropft   ist,    sieht  man   am   besten 
daraus,  dass  die  bei  diesen  Akten  angerufenen  Gottheiten  ganz  andre  sind 
als  die,  die  bei  dem  alten  Jahresfeste  und  bei  den  Sühnopfern  in  Wirksam- 
keit treten ;  sogar  Dea  Dia,  der  doch  der  ganze  Dienst  der  Priesterschaft 
gewidmet  ist,   erscheint  nur  in  der  allerersten  Zeit  —  hinter  der  capi- 
tolinischen  Trias  — -  in  den  Neujahrsvota,   nachher  vollziehen  sich  diese 
Loyalitätsakte  durchweg,  ohne  dass  der  eigentlichen  Inhaberin  des  Kultes 
auch  nur  mit  einem  Worte  gedacht  würde,  das  Band  zwischen  dem  alten 
und  dem  neuen  Gottesdienste  ist  zerrissen.     Ähnliche  Umwälzungen  hat 
gewiss  der  Dienst  aller  Staatspriesterschaften  erfahren,  und  z.  B.  in  den 
rituellen  Gesängen  der  Salier  müssen  sich  die  aus  Gourtoisie  aufgenom- 
menen Namen  der  Kaiser  und  kaiserlichen   Prinzen  neben  den  uralten, 
den  Priestern  selbst  längst  unverständlich  gewordenen  Formeln  absonder- 
lich genug  ausgenommen  haben.     Die  Götterreihen,  welche  bei  den  Bitt-, 
Dank-   und  Erinnerungsopfern    der   Arvalbrüder   und   sonstigen    Priester 
angerufen  werden,  gehören  in  ihrer  Gesamtheit  keinem  der  alten  Staats- 
kulte an,  sondern  sind  eigens  für  diese  Art  von  Kulthandlungen  zusammen- 
gestellt.    Den  Grundstock  bilden  die  Götter  des  Capitols,  Juppiter  0.  M., 
Juno  Regina  und  Minerva,  zu  denen  als  vierte  Salus  publica  p.  R.  Q.  tritt; 
diese  bei  den  Neujahrsvota  angerufene  Gruppe  wird  dann  je  nach   dem 
Anlass  der  Feier  durch  das  Hinzutreten  anderer  Götter  meist  von  symbo- 
lischer Bedeutung  erweitert.     Schon  unter  Augustus  hatte  der  Senat  die 
Rückkehr  des   Kaisers   aus  dem   Orient  im  J.  735  =  19   und  aus   dem 
spanisch-gallischen  Feldzuge  741  =   13   durch  Stiftung  von  Altären   der 
Fortuna  Redux  bezw.   der  Pax  Augusta  gefeiert,   und  im  J.  744  =  10 
hatte    Augustus   selbst   aus   der   ihm   von   Senat   und  Volk   überreichten 
Geldspende  Altäre  und  Statuen  der  Concordia,  Salus  publica  und  Pax  er- 
richtet r^  diese  Personifikationen  einerseits  der  durch  den  Kaiser  herbei- 
geführten Segnungen   (Felicitas,  Pax),    andererseits    der  den  Kaiser  be- 
schützenden göttlichen  Mächte  (Victoria,  Fortuna)  nehmen  bei  den  sakralen 
Handlungen  auf  Kosten  der  alten  Staatsgötter  einen  immer  breiteren  Raum 
ein  und  werden  zu  indirekten  Trägern   des  Kaiserkultes,   indem  sie  der 

')  Cass.  Dio  LIV  35,  2.    Ovid.  fast.  III  881  f. 


D.  Kaiserseit.    16.  Die  beiden  ersten  Jahrhunderte.  75 

Verherrlichung  des  Fürsten  dienen.  Noch  deutlicher  tritt  dies  hervor, 
wenn  die  wirklichen  oder  angeblichen  Tugenden  und  Charaktereigenschaften 
der  Kaiser  zu  Gegenständen  öffentlicher  und  privater  Verehrung  werden; 
wenn  Augustus  sich  rühmt  (Mon.  Anc.  6,  18),  Senat  und  Volk  von  Rom 
habe  ihm  zu  Ehren  in  der  Curia  Julia  einen  goldenen  Schild  aufgehängt, 
laut  Inschrift  virtutis  clementiae  iustitiae  pietatis  causa,  *)  so  ist  das  die  un- 
mittelbare Vorstufe  zu  dem  nachher  so  weit  verbreiteten  Kulte  von  Göt- 
tinnen wie  Virtus  Augusta,  dementia  Augusta,  Justitia  Augusta,  Pietas 
Augusta  u.  a.  So  wird  von  allen  Seiten  die  Bedeutung  der  alten  Staats- 
götter eingeengt  und  geschmälert.  Nur  die  capitolinische  Trias  behauptet 
ihren  Platz  an  der  Spitze  des  römischen  Staatskultes  und  behält  gegen- 
über der  Konkurrenz,  die  ihr  eine  Zeit  lang  in  den  augustischen  Privat- 
kulten des  Apollo  Palatinus  und  Mars  ültor  erwachsen  war,  endgiltig  den 
Sieg;  Glanz  und  Bedeutung  ihres  Heiligtums  wird  insbesondere  durch  die 
flavischen  Kaiser,  von  denen  Domitian  den  glänzenden  Agon  Capitolinus 
einsetzt,  dann  auch  durch  Trajan  bedeutend  erhöht,^)  und  der  Verein  Jup- 
piter  0.  M.,  Juno,  Minerva  erscheint  nicht  nur  am  Eingange  aller  Götter- 
anrufungen bei  den  offiziellen  Opfern  und  Gebeten,  sondern  auch  zahl- 
lose Weihinschriften  aus  allen  Teilen  des  Reiches,  vor  allem  die  Dedi- 
cationen  der  verschiedenen  Truppenkörper  des  römischen  Heeres, 3)  zeigen, 
dass  Juppiter  0.  M.  mit  seinen  beiden  Genossinnen  nach  wie  vor  als  der 
eigentliche  göttliche  Schirmherr  des  römischen  Staates  und  Heeres  gilt. 
Aber  die  übrigen  Götter  der  Republik  verlieren  mehr  und  mehr  ihre  Be- 
deutung. Die  besseren  Kaiser  legen  allerdings  Wert  darauf,  nicht  nur 
als  Träger  des  Oberpontificats  und  Mitglieder  der  grossen  Priesterkollegien 
äusserlich  am  Staatskulte  Teil  zu  haben,  sondern  auch  wie  Augustus  als 
Wiederhersteller  der  Tempel  und  Beschützer  des  alten  Ceremonialgesetzes 
aufzutreten ;  *)  aber  es  handelt  sich  nur  noch  um  die  äussere  Konservierung 
eines  Gottesdienstes,  aus  dem  das  innere  Leben  mehr  und  mehr  entweicht. 
Der  beste  Beweis  dafür  ist  die  Thatsache,  dass  —  abgesehen  von  dem 
schrullenhaft  übertriebenen  Minervenkulte  Domitians  —  neue  Tempel  und 
Kulte  in  dieser  Periode  ausser  für  die  konsekrierten  Kaiser  nur  für  jene 
göttlichen  Personifikationen  abstrakter  Begriffe  gegründet  werden,  in  denen 
allein  die  religiöse  Phantasie  jetzt  noch  schöpferisch  ist;^)  Vespasians 
Templum  Pacis  und  Hadrians  Tempel  von  Venus  und  Roma  bieten  dafür 
die  signifikanten  Beispiele.^)     Für  die   litterariscb   gebildeten  Kreise   der 


*)  Vgl.  MoMMBBN,  Res  gestae  D.  Aug. 
p.  152  f.  Die  Belegstellen  für  die  sonst  im 
Texte  erwfil&nten  Tbatsachen  s.  in  §  54. 

')  Zeugnisse  bei  £.  Aust  in  Roschers 
Lexik.  II  749  f. 

■)  y.  DoMASZBwsKi,  Westd.  Zeitschr.  XLV 
22  ff. 

^)  Wiederherstellong  von  Tempeln  durch 
Tiberius,  Tac.  ann.  II  49;  Vespasian  conser- 
vator  eaerimoniarum  publicarum  et  reatitutor 


ninus  Pius  wird  vom  römischen  Senate  und 
Volke  geehrt  oh  inaignem  erga  caerimonicis 
publicas  curam  ac  religionem,  CIL  VI  1001 
(vgl.  Hist.  aug.  Ant.  P.  13,  4  und  Qber  seine 
Münzbilder  Eokhbl,  D.  N.  VII  29  ff.). 

*)  Auch  Annona,  die  FbirdlämdeRi  Sitt.- 
Gesch.  III  511  besonders  hervorhebt,  gebort 
in  diesen  Kreis. 

^)  Vgl.  E.  Aust,  Die  stadtrOmischen 
Tempelgründungen    der  Kaiserzeit,    Gymn.- 


o^ttim  «arrarum,  CILVI 984;  Trajan  «agraria      Progr.   Frankf.  a.  M.  1898,   wo   aber   aedes 

numinum  vetustate  collapsa  a  solo  restituit,  !  publicae    und    Privatbeiligtümer    nicht    ge- 

CIL  VI  962;  Hadrian  saera  Romana  diligen-  ■  schieden  sind. 

titsime  curavU^  Hist.  aug.  Hadr.  22, 10;  Anto-  \ 


76  Beligion  und  Kaltns  der  BOmer.    I.  Religionsgeachiohte. 

Gesellschaft  sind  die  Götter  der  Staatsreligion  zu  leeren  Schatten  geworden; 
das  Erstarken  des  religiösen  Bedürfnisses,  das  sich  in  Seneca  und  Epiktet, 
später  in  Fronto  und  Marc  Aurel  deutlich  zeigt,  führt  nicht  eine  Rückkehr 
zu  den  alten  Göttern  herbei,  sondern  man  wendet  sich  mit  dem  Gebete 
an  eine  ganz  allgemein  verschwommene,  höchst  unpersönlich  gedachte 
Gottheit,  und  an  die  Stelle  eines  positiven  Glaubens  tritt  ein  farbloses, 
von  allen  historischen  und  nationalen  Voraussetzungen  losgelöstes  Moral- 
gesetz. In  der  privaten  Religionsübung  der  mittleren  und  unteren  Volks- 
schichten erhalten  sich  freilich  die  alten  Götter  länger,  namentlich  solche, 
die,  wie  z.  B.  Silvanus,  Liber,  Diana,  Hercules,  Minerva,  Mercurius,  die 
Laren,  mit  dem  häuslichen  und  ländlichen  Leben  eng  verwachsen  sind 
oder  als  Schützer  bestimmter  Gewerbe  und  Thätigkeiten  gelten;^)  aber 
auch  ihre  Verehrung  bleibt  nicht  unberührt  von  der  alles  durchdringenden 
Devotion  gegen  den  Herrscher.  Der  Gedanke  des  Augustus,  die  Götter 
seines  Hauses  der  allgemeinen  Verehrung  zu  empfehlen,  trägt  jetzt  Frucht, 
indem  man,  ausgehend  vom  Kulte  der  Lares  Augusti  und  der  Vesta  Au- 
gusta,  d.  h.  der  Herdgötter  des  Kaisers,  dazu  gelangt,  allen  Götternamen 
ohne  Ausnahme  das  Beiwort  augustus  beizusetzen,^)  um  dadurch  zum 
Ausdrucke  zu  bringen,  dass  man  die  betrefTende  Gottheit  in  demselben 
Sinne  verehre,  wie  es  der  Kaiser  in  seinem  Hauskulte  thue.  Eine  noch 
grössere  Entfremdung  von  ihrer  alten  Eigenart  erfahren  die  römischen 
Götter  durch  die  Ausbreitung  ihres  Kultes  über  alle  Teile  des  Reiches, 
wobei  sie  die  Götter  der  Barbaren  in  sich  aufnehmen  und  mit  ihrem  rö- 
mischen Namen  die  fremden  Götterdienste  der  Provinzen  decken.  In  der 
Überzeugung,  dass  die  Gottheiten  fremder  Religionen  nur  im  Namen  sich 
von  den  römischen  unterscheiden,  innerlich  aber  mit  ihnen  wesensgleich 
oder  verwandt  sind,  wendet  der  Römer  im  fremden  Lande  überall  die 
interpretatio  Romana  (Tac.  Germ.  43)  an,  d.  h.  er  erkennt  mit  grösserem 
oder  geringerem  Rechte  an  einzelnen  Ähnlichkeiten  des  Gottesdienstes  oder 
der  Auffassung  in  den  fremden  numina  die  eigenen  Götter  wieder  und 
gibt  ihnen  deren  Namen,  die  die  Provinzialen  sich  in  demselben  Masse 
aneignen,  in  dem  sie  sich  der  höheren  römischen  Kultur  erschliessen ;  ob 
der  einheimische  Name  des  Gottes  als  Beiname  neben  dem  römischen  be* 
wahrt  bleibt  oder  verschwindet,  macht  für  die  Sache  keinen  wesentlichen 
Unterschied.  VTenn  unter  den  römischen  Göttern,  die  so  zu  Trägem 
fremder  Religionsvorstellungen  werden,  nächst  dem  höchsten  Gotte  Jup- 
piter  0.  M.  —  namentlich  in  den  germanischen  und  keltischen  Provinzen 
—  Mars  und  Mercurius  obenan  stehen,')  so  spiegelt  sich  darin  die  That- 
sache  wieder,  dass  der  römische  Soldat  und  der  römische  Kaufmann  fds  erste 
Pioniere  der  Kultur  den  neuen  Boden  gewannen  und  natürlich  die  Neigung 
hatten,  die  Götter  ihres  Berufes  in  den  angesehensten  Gottheiten  des 
fremden  Landes  wiederzufinden.  Aber  auch  andre  römische  Gottheiten 
treten,   ohne  dass  wir  jedesmal  die  für  die  Gleichsetzung  massgebenden 


*)  üeber  die  Gottheiten  der  coVegla  vgl.  '  zion.  epigraf.  T  925  f. 

LiBBBNAM,  Zur  Gesch.  u.  Organisation   des  !  ')  Belege  bei  Röscher,  Mythol.  Lexik, 

röm.  Vereinswesens  S.  288  ff.  i  II  2397  ff.  und  Stbüdiho  ebd.  II  2828  ff, 

')  Materialsammlong  bei  RüoeisBO,  Di- 


D.  Kaiserseit.    16.  Di«  beiden  ersten  Jahrhunderte. 


77 


Erwägangen  noch  ermitteln  könnten,  zur  Verdolmetschung  der  Barbaren- 
götter ein,  z.  B.  Hercules  für  den  germanischen  Donar,  Saturnus  für  den 
punischen  Ba'alchammto,  Minerva  für  die  britannische  Göttin  der  heissen 
Quellen  von  Bath  (Aquae  Sulis),  Neptunus  für  einen  oberitalischen,  Silvanus 
für  einen  dalmatinischen  Gott  u.  s.  w.  Vermittelt  wurde  die  Bekanntschaft 
der  Römer  mit  diesen  landfremden  Gottheiten  insbesondere  durch  das 
Heer,  in  welchem  die  peregrinen  Truppenkörper,  die  ihre  nationale  Zu- 
sammensetzung bewahrt  hatten,  ihre  einheimischen  Schutzgötter  fort- 
führten;*) auf  diesem  Wege  ist  z.  B.  die  keltische*)  Stall-  und  Pferde- 
göttin Epona  auch  bei  den  römischen  Bürgertruppen  (CIL  HI  3420)  und 
sogar  in  Rom  selbst  zur  Verehrung  gelangt.^)  Ganz  besonders  lehrreich 
für  diese  Art  des  Eindringens  fremder  Gottheiten  sind  die  in  der  rö- 
mischen Kaserne  der  vorwiegend  aus  Germanen  und  Kelten  rekrutierten 
Equites  singulares  aufgefundenen  Votivsteine,  gesetzt  von  den  in  den  Jahren 
132 — 141  aus  dieser  Truppe  ausgeschiedenen  Veteranen;  die  Weihungen 
richten  sich,  von  zufalligen  Schwankungen  abgesehen,  immer  an  denselben 
Götterverein,  nämlich  Juppiter  0.  M.,  Juno,  Minerva,  Mars,  Victoria,  Her- 
cules, Fortuna,  Mercurius,  Salus,  Felicitas,  Fata,  Campestres,  Silvanus, 
Apollo,  Diana,  Epona,  Suleviae  und  Genius  singularium;  es  treten  also  zu 
a)  der  Trias  der  capitolinischen  Gottheiten  b)  ein  Dreiverein  der  germa- 
nischen Hauptgötter  Donar,  Tiu  und  Wodan  in  der  Romanisierung  als 
Mars,  Hercules,  Mercurius,  c)  die  Personifikationen  Victoria,  Fortuna,  Salus, 
Felicitas,  die  beiden  ersteren  mit  Beziehung  auf  das  Kriegsglück  der 
Truppe,  die  andern  beiden,  wie  bei  den  Arvalbrüdern,  auf  die  Wohlfahrt 
des  Reiches,  d)  die  einheimischen  Lokalgottheiten  der  Truppe,  nämlich 
Fata,  Campestres,  Epona,  Suleviae  für  die  Kelten  und  Germanen,  Silvanus, 
Apollo,  Diana  für  die  Illyrier  und  Dacier,  endlich  e)  nach  römischer  An- 
schauung der  Genius  als  göttliche  Verkörperung  der  Truppe,*)  Ein  ähn- 
liches Durcheinandergehen  alter  und  neuer,  römischer  und  barbarischer 
Religionsvorstellungen  zeigen  in  bescheidenerer  Weise  auch  zahlreiche 
andre  sakrale  Denkmäler  aus  den  Provinzen.  Es  gibt  eben  keine  Reichs- 
religion ,  sondern  die  durchsichtige  ^  Hülle  römischer  Namen  deckt  eine 
unerschöpfliche  Mannigfaltigkeit  verschiedenartiger  Religions Vorstellungen, 
die  mit  dem  Ganzen  nur  locker  durch  die  Verehrung  des  Juppiter  0.  M. 
und   den  Kaiserkult  in  seinen  verschiedenen  Formen  und  Nuancen   ver- 


')  Vgl.  die  schönen  und  frachtbaren 
Untereucbungen  v.  Domaszewskis,  Westd. 
Ztschr.  XIV  45  ff. 

*)  üeber  die  von  v.  Domaszkwski  a.  a.  0. 
52  mit  Unrecht  geleugnete  keltische  Her- 
kunft der  Epona  s.  jetzt  S.  Beihach,  Revue 
archöol.  XXYl  (1895)  163  ff.  309  ff.,  der  das 
TollatAndige  Material  gibt. 

*)  Aosserhalb  des  keltischen  Kreises  (in 
diesen  gehört  der  Bauemkalender  von  6ui- 
dizzolo  bei  Mantua,  mit  der  Notiz  XV  Kialen- 
dtu)  Ia[n]uar(ia8)  Epon[a)e,  CIL  I^  p.  253, 
vgl.  387)  ist  das  Älteste  Zeugnis  Jnven.  8, 157; 
denn  die  Dentong  des  pompejanischen  Wand- 
bildes Annuli  d.  Inst.  1872  tav.  D  auf  Epona 


ist  höchst  fraglich. 

*)  Die  Inschriften  sind  am  besten  publi- 
ziert von  Henzbn,  Annali  d.  Inst.  1885,235  ff.; 
dazu  vgl.  für  die  germanische  Trias  C.  Zamgb- 
meistIb,  N.  Heidelb.  Jahrb.  V  1895,  46  ff. 
(Nachträge  von  Sixt,  ebd.  VI  1896,  59  ff.;  s. 
auch  V.  DoMASZEWSKi  a.  a.  0. 46  f.),  über  Fata 
Campestres  Suleviae  M.  Sieboubo,  De  Sulevis 
Campestribus  Fatis,  Diss.  Bonn  188(i.  M.  Ihm, 
Jahrb.  d.  Vereins  d.  Altertumsfr.  im  Rheinl. 
LXXXIII  (1887)  und  in  Roschers  Lexik.  II 
2464  ff.,  über  Silvanus  Apollo  Diana  als 
illyrisch-thrakische  Götter  v.  Domaszbwski 
a.  a.  0.  52  ff. 


78 


Religion  und  Kultus  der  Römer.    I.  Religionsgeschichte. 


bunden  werden,  während  die  eigentliche  Staatsreligion  immer  an  den 
stadtrömischen  Boden  gefesselt  blieb  und  schon  darum  sich  nicht  zur 
Reichsreligion  herauswachsen  konnte. 

Litteratur:  6.  Boissier,  La  religion  Romaine  d'Auguste  aux  Antonins,  Paris  1874. 
L.  Fbiedländer.  Sitt.6esch.  IIP  477  ff.  V.  Duruy,  Formation  d'une  religion  officielie  dann 
Tempire  Romain,  Revue  de  Thistoire  des  relig.  I  1880,  161  ff.  Für  den  Kaiserkult  (s.  auch 
unten  §  55)  reiche  Litteratumachweise  (nicht  mehr)  bei  Drrxlbr  in  Roschers  Lexik.  II 
901  ff.  Eine  für  die  Religionsgeschichte  der  Kaiserzeit  unerlässliche  Vorarbeit,  eine  6eo- 
graphia  sacra  imperii  Romani,  fehlt  noch. 

17.  Die  Zeit  der  Auflösung  seit  den  Antoninen.  So  reich  auch 
der  Zustrom  auswärtiger,  den  römischen  wie  den  romanisierten  griechischen 
Göttervorstellungen  fremder  Religionsanschauungen  durch  das  Heer  und 
den  Handelsverkehr  sein  mochte  und  so  zahlreich  die  Fälle  sind,  dass  der 
nach  Rom  übersiedelnde  Fremde  oder  Freigelassene  seine  heimischen  Kulte 
in  der  Hauptstadt  weiterpflegt  und  auch  Römer  zu  Proselyten  macht, 
so  ist  doch  die  offizielle  Staatskirche  in  den  ersten  beiden  Jahrhunderten 
der  Kaiserzeit  von  diesen  Einflüssen  verhältnismässig  wenig  oder  gar  nicht 
berührt  worden.  Dem  einzelnen  Bürger  ist  es  nicht  untersagt,  in  solo 
privato  auch  vom  Staate  nicht  recipierte  Gottheiten  zu  verehren,  falls  er 
damit  nur  nicht  gegen  die  allgemeine  Ordnung  verstösst  und  darüber  seine 
Pflichten  gegen  den  öffentlichen  Gottesdienst  nicht  vernachlässigt ;  in  noch 
höherem  Masse  ist  der  von  der  nationalen  Gottesverehrnng  ausgeschlossene 
Fremde  in  seiner  eigenen  Religionsübung  unbeschränkt,  soweit  nicht  die 
Rücksicht  auf  Ordnung  und  gute  Sitte  in  Frage  kommt;  ■)  darum  hat  es 
in  der  Hauptstadt  selbst  und  überall  in  Italien  eine  Menge  von  Kapellen, 
Altären  und  Votivsteinen  für  auswärtige,  insbesondere  orientalische  Gott- 
heiten gegeben,  und  namentlich  waren  es  die  Hafenstädte,  wie  z.  B.  Ostia*) 
und  Puteoli,*)  mit  ihrem  internationalen  Verkehr,  die  für  diese  Fremdkulte 
das  Eingangsthor  bildeten.  Aber  all  diese  Kulte  sind  aus  den  Grenzen 
privater  Religionsübung  auch  dann  nicht  herausgetreten,  wenn  sie  an 
weiteren  Kreisen  der  Bürgerschaft  ihre  werbende  Kraft  bewiesen  —  wie 
z.  B.  der  Kult  der  Isis  namentlich  in  der  Frauenwelt  —  oder  wenn  dieser 
oder  jener  Kaiser  ihnen  seine  persönliche  Neigung  zuwendete.*)  Zur 
offiziellen  Aufnahme  in  die  Staatsreligion  ist,  soviel  wir  sehen  können, 
vor  dem  Beginne  des  3.  Jahrhunderts  keiner  der  orientalischen  Fremd- 
kulte gelangt,  die  teilweise  im  religiösen  Leben  des  Volkes  bereits  eine 
sehr  bedeutende  Rolle  spielten;   denn   selbst  das  hochangesehene  Heilig- 


0  MoKMSEN,  Histor.  Zeitschr.  N.  F. 
XXVIIl  401  ff. 

^)  Ueher  die  dortigen  Kulte  von  Isis, 
Magna  Mater  und  Mithras  s.  Dessau,  CIL 
XIV  p.  5.  18. 

')  Puteoli  besitzt  schon  im  J.  649  =  105 
einen  Serapistempel  (CIL  X  1781;  vgl.  Th. 
WiBGAND,  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XX  697  ff.), 
in  Trajans  Zeiten  begegnen  dort  cultores  lovis 
Heliopolitani  Berytenses,  qui  PuteoUs  con- 
aistunt  (CIL  X  1634,  vgl.  1578  f.).  ferner 
sacerdotea  lovis  optimi  maximi  Damasceni 
(CIL  X  1595-  1597),  sogar  eine  Weihinschrift 
an  den  nabataeischen  Qott  Dusares  bat  sich 


dort  gefunden  (CIL  X  1556). 

*)  Augustus  (Suet.  Aug.  93),  Claudius 
(Suet.  Claud.  25),  Hadrian  (J.  Di^BR,  Reisen 
Hadrians  S.  46  f.),  Marc  Aurel  (Hist.  aug.  M. 
Aur.  27,  1)  u.  a.  waren  in  die  eleusinischen 
Mysterien  eingeweiht  (vgl.  P.  FoüCABT,Compt. 
rend.  de  Tacad.  d.  inscr.  et  bell,  lettr.  4.  s^r. 
XX  1892,  384),  Nero  war  zeitweise  ein  be- 
sonderer Verehrer  der  Dea  Suria  (Suet.  Nero 
56),  Otho,  Vespasian,  Domitian  begünstigten 
die  ägvptischen  Gottesdienste  (G.  Lafate, 
Hist.  du  culte  des  divinit^s  d*Alexandrie 
S.  60  f.). 


D.  Eaiserseit.    17.  Zeit  der  Anflösniig  seit  den  Antoninen. 


79 


tum  der  Isis  Campensis  im  Marsfelde  ist  keine  aedes  publica  gewesen 
und  wir  kennen  in  der  früheren  Eaiserzeit  weder  ein  Staatsfest  noch 
Staatspriester  der  Isis,  noch  auch  hören  wir  von  einer  Überweisung  ihres 
Dienstes  in  das  Ressort  derQuindecimvim,  wie  sie  doch  nachweislich  für  den 
recipierten  Kult  der  Grossen  Mutter  erfolgt  ist.  Dieser  letztere  aber  unter- 
schied sich  auch,  soweit  es  sich  um  das  Staatsfest  handelte,  in  seinem 
Ceremoniell  nicht  wesentlich  von  den  zahlreichen  in  Rom  aufgenommenen 
griechischen  Gottesdiensten,  und  was  einen  ausgesprochen  fremdartigen 
Charakter  trug,  die  Umzüge  und  Schaustellungen  der  Galli,  blieb  zunächst 
ebenso  auf  die  landfremden  Priester  der  Göttin  beschränkt,  wie  die  von 
wilder  Musik  und  Selbstverwundungen  begleiteten  Tänze  der  Bellonarii, 
d.  h.  der  Diener  der  kappadokischen  Mä-Bellona.  Nur  wenn  die  orien- 
talischen Fremdkulte  in  den  beiden  ersten  Jahrhunderten  der  Eaiserzeit 
zwar  zahlreiche  Anhänger  bis  hinauf  in  die  höchsten  Kreise  der  Gesell- 
schaft besassen,  der  staatlichen  Anerkennung  aber  ermangelten,  ver- 
stehen wir  die  ganz  abweichende  Haltung;  die  die  verschiedenen  Kaiser 
ihnen  gegenüber  einnehmen,  indem  die  einen  (siehe  oben  S.  78  Anm.  4) 
sie  auffallend  begünstigen,  andere,  wie  Augustus  und  Hadrian,^)  sie  mit 
Verachtung  behandeln ;  dass  aber  gar  Tiberius  nicht  nur  mit  harten  Strafen 
gegen  die  Anhänger  der  sacra  Aegyptia  et  ludaica  vorgeht,  sondern  auch 
—  allerdings  veranlasst  durch  einen  bestimmten  skandalösen  Vorfall  — 
den  Tempel  der  Isis  zerstören  und  ihr  Bild  in  den  Tiber  werfen  lässt,^) 
ist  eine  gegenüber  einer  recipierten  Gottheit  des  Staatskultes  völlig  undenk- 
bare Handlungsweise.  Seit  der  Zeit  des  Augustus  ist  eine  Verfügung  in 
Geltung,  welche  die  Heiligtümer  dieser  landfremden  Gottheiten  der  öst- 
lichen Reichshälfte  von  dem  geheiligten  Bezirk  des  Pomeriums  aus- 
schliesst  oder  gar  noch  weiter  von  der  Stadtgrenze  fernhält; 3)  dieselbe 
Schranke  also,  die  früher  zwischen  den  römisch-italischen  Kulten  und 
den  Gottesdiensten  des  graecus  rüus  aufgerichtet  war  (siehe  oben  S.  40), 
scheidet  nun  die  Gesamtheit  der  sacra  Bomana  einheimischen  wie  griechi- 
schen Ursprungs  von  den  sacra  peregrina^^)  deren  Begriff  sich  auf  die 
Religionen  der  fremdartigen  ägyptischen  und  orientalischen  Kulturzone 
verengt  hat.  Gefallen  ist  diese  Schranke  erst  gleichzeitig  mit  der  Schei- 
dung von  cives  Romani  und  peregrini  im  römischen  Reiche,  und  es  ist 
kein  Zufall,  dass  Caracalla,  der  das  römische  Bürgerrecht  an  alle  freien 
Reichsangehörigen  verlieh,  auch  derjenige  war,  der  Isis  in  die  Reihe  der 
Staatsgottheiten  aufnahm  und  ihr,  wie  den  übrigen  fremden  Göttern,  die 
Pomeriumsgrenze  öffnete;  seitdem  strömen  die  Gottheiten  aller  Provinzen 
in  Rom  als  dem  femplum  mundi  totius  (Amm.  Marc.  XVII  4,  13)  zusammen. 


1)  Säet.  Aug.  93.  Hisi.  aug.  Hadr.  22,  10. 

*)  Joseph,  ant.  XVIII  79.  Tac.  ann.  II  85. 
Säet.  Tib.  36. 

')  Cass.  Dio  LIII  2,  4  xal  ra  f^y  legd 
Ja  JiyvnxMi  ovx  eigedä^aro  etaat  tov  naif^tj- 
Qiov  (die  folgenden  Worte  ftiv  de  dij  y«v5v 
Ti^voiap  inoiij<raro  u.  s.  w.  beziehen  sich 
nicht,  wie  vielfach  angenommen  wird  —  z.  B. 
DsEZLBR  in  Roschers  Lexik.  II  403  —  auf 
die  ägyptischen  Kulte,  sondern  auf  die  all- 


gemeine Tempelherstellung  durch  Augustus, 
8.  oben  S.  67).   LIV  6,  6. 

*)  Bist.  aug.  Hadr.  22,  10:  sacra  Ro- 
mana  diligentissime  euravit,  peregrina 
contempsit;  gleichbedeutend  mit  den  sctcra 
peregrina  sind  die  externae  superstitiones  des 
Tac.  ann.  XI  15.  XFII  32  (externae  caerimo- 
niae  Suet.  Tib.  36)  u.  a.,  vgl.  Mokmsbn,  Rist. 
Zeitschr.  N.  F.  XXVIir404,  1. 


80 


Religion  Tind  Knltna  der  BOmer.    I.  Religionegeschichte. 


und  es  wird  das  Wort  zur  Wahrheit,  dass  die  übrigen  Völker  jedes  seinen 
besonderen  Gott  verehrten,  die  Römer  aber  alle  Gottheiten  der  Welt 
insgesamt.^)  Es  ist  nicht  immer  mit  Sicherheit  auszumachen,  ob  die 
Eultusstätten  solcher  ausländischer  Gottheiten,  die  wir  im  8.  und.  4.  Jahr- 
hundert in  Rom  intra  und  extra  pomerium  in  grosser  Zahl  nachweisen 
können,  Staatstempel  sind  oder  nicht:  für  die  kappadokische  Mä-Bellona 
und  den  kommagenischen  Dolichenus  scheint  für  diese  Zeit  Staatskult 
anzunehmen,  während  man  einen  solchen  für  den  Gott  von  Baalbek  (Jup- 
piter  0.  M.  Heliopolitanus)  und  die  syrische  Atargatis  (Dea  Suria)  nur 
mit  Wahrscheinlichkeit  vermuten  kann.  Zu  um  so  grösserer  Bedeutung 
im  römischen  Staatskulte  sind  aber  durch  die  Kaiser  Elagabal  und  Aurelian 
die  Ba'alim  von  Hemesa  (Dens  Sol  Elagabal)  und  Palmyra  (Sol  invictus) 
gelangt,  und  wenn  der  erstgenannte  Kaiser  sich  nicht  damit  begnügt, 
seinen  Gott  mit  der  punischen  Göttin  von  Karthago  (Caelestis)  zu  ver- 
mählen, sondern  auch  den  heiligen  Stein  der  Magna  Mater,  das  Feuer  der 
Yesta,  das  Palladium,  die  Ancilia  der  Salier  und  andi*e  Heiligtümer  in 
seinen  Tempel  bringen  lässt^)  und  in  der  offiziellen  Titulatur  die  Würde 
des  sacerdos  amplissimus  dei  invicti  Solls  Elagahali  der  des  Pontifex  maxi- 
mus  voranstellt,^)  so  zeigt  das  eben  so  deutlich  das  Bestreben,  diese 
orientalische  Religion  über  und  an  die  Stelle  der  altrömischen  zu  setzen, 
wie  wenn  Aurelian  für  seinen  Sonnengott  ein  neues  Kollegium  von  ponti- 
fices  Solls  einsetzt,  das  die  Pontifices  der  alten  Religion  des  Numa  in  den 
Hintergrund  drängen  soll.  Der  Gott  Elagabal  verfiel  ebenso  wie  der  Kaiser, 
der  sein  Priester  gewesen  war,  der  damnatlo  memoriae,*')  der  palmyrenische 
Sonnengott  Aurelians  aber  hat  bis  auf  die  Zeiten  des  Julian  eine  hervor- 
ragende Rolle  in  der  Staatsreligion  gespielt.  In  den  Schatten  gestellt 
wurde  er  freilich  durch  den  nach  Herkunft  und  Bedeutung  verwandten 
Kult  des  persischen  Mithras,  der,  während  des  2.  Jahrhunderts  durch  die 
Soldaten  und  die  Sklaven  aus  den  asiatischen  Provinzen  mit  wachsender 
Schnelligkeit  verbreitet,  seit  dem  3.  Jahrhundert  im  religiösen  Leben  der 
Westhälfte  des  Reiches  obenan  steht.  Die  ganze  Art  und  Anlage  des 
Mithrasdienstes  mit  seinen  Grotten tempeln  und  kleinen  Gemeinden,  seinen 
Graden  und  Weihungen  entzog  sich  derart  den  Formen  der  römischen 
Staatskirche,  dass  wahrscheinlich  aus  diesem  Grunde  eine  offizielle  Reception 
des  Mithras  unter  die  dl  publlcl  p,  R.  nie  erfolgt  ist,*^)  obwohl  der  Kult 


*)  Minne.  Fei.  6,  1 :  inde  adeo  per  uni- 
versa  imperia  provincias  oppida  videmus 
aingulos  sacrorum  ritus  gentiles  habere  et 
deo8  colere  municipes,  ut  Eleusinios  Cererem, 
Phrygaa  Matrem,  Epidaurios  Aesculapium, 
ChaJdaeos  Belum,  Astarten  Syros,  Dianam 
Taurios,  Gallos  Mercurium,  numina  universa 
Romanos. 

')  Hist.  aug.  Heliog.  3,  4;  vgl.  Herodian. 
V  5,  7. 

«)  V.  DoMA8ZEW8Ki,We8tcl.  ZUchr.  XIV  61. 

*)  V.  DoHASZEwsKi  a.  a.  0.  S.  60  Adiii.  256. 

')  Wenn  v.  Domaszewskt  a.  a.  0.  66  die 
Sonderstellung  des  Mithraskultus  daraus  er- 
klären will,  dass  er  der  Gott  eines  dem  Reiche 


nicht  angehörigen  Stammes,  der  Perser,  ist, 
und  darum  ausser  den  scu^a  Rotnana  und 
peregrina  noch  eine  dritte  Kategorie,  die 
Sacra  externa,  annimmt,  so  kann  ich  ihm 
darin  nicht  folgen;  denn  ehe  der  Mithras- 
kult  nach  Rom  kam,  war  er  in  Armenien, 
Kappadokien,  Kilikien,  Kommagene,  Osrhoene 
und  andern  Teilen  des  Reiches  längst  hei- 
misch, und  wenn  ihn  die  von  dort  stam- 
menden Soldaten  nach  Rom  mitbrachten,  lag 
kein  (irrund  vor  festzustellen,  ob  sie  ihn 
anderswoher  übernommen  hätten  und  wo 
seine  eigentliche  Heimat  sei.  Ueber  die 
Identität  der  Begriffe  »acra  peregrina  und 
Sacra  externa  s.  oben  S.  79  Anm.  4. 


D.  XaiBeneit.    17.  Zeit  der  AolldBiuig  seit  den  Antoninen.  gl 

an  Verbreitung  und  Einfluss  alle  andern   übertraf  und  die  Kaiser  selbst 
den  Gott  als  Schirmherrn  ihrer  Macht  verehrten  ;^)  die  zahlreichen  römischen 
Mithrasheiligtümer   tragen    durchaus    den  Charakter   von  Privatkapellen, 
seine  Priester   sind  nie  Staatspriester  gewesen  und  der  Kalender  weist 
kein  öffentliches  Fest  des  Mithras  auf;   denn  der  am  25.  Dezember  ver- 
zeichnete Naialis  invidi  (Solis)  gilt  nicht  ihm,  sondern  dem  Sonnengotte 
Aurelians,  der  überhaupt  im  gewissen  Sinne  im  Staatskulte  an  die  Stelle 
des  Mithi*as  getreten  ist,  während  er  in  der  privaten  Religionsübung  gegen 
diesen  zurückstand  oder  beide  zusammenflössen.     Was  die  Mithrasreligion 
von  allen  römischen  Staatskulten  schied  und  ihr  zugleich  ihre  grosse  Macht 
über  die  Seelen  verlieh,  wai*  die  starke  Wirkung  auf  Phantasie  und  Ge- 
müt,  die  sie  durch   die  komplizierte  Symbolik  ihrer  Riten  und  durch  die 
geheimnisvollen  Verheissungen  und  Reinigungen  ihres  Dienstes    ausübte; 
wie  stark  im  Geiste  der  Zeit  der  Drang  nach  Offenbarung  und  nach  Ent- 
sündigung   durch  Busse  und  Weihung  ausgeprägt  war,   zeigt  sich   darin, 
dass  für  die  Befriedigung  der  religiösen  Bedürfnisse  etwa  seit  dem  An- 
fange des  3.  Jahrhunderts  kaum  noch  andere  Kulte  in  Betracht  kommen, 
als  solche,  die  den  Gläubigen  derartige  Offenbarungen  und  Entsündigungen 
in  Aussicht  stellen,  auser  Mithras  besonders  der  von  jeher  mit  geheimnis- 
vollem Reize  umgebene  Dienst   der  Isis  und  noch  mehr  der  der  Grossen 
Mutter,   der  seit  der  zweiten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts  durch  die  Ein- 
führung des  wildorgiastischen  Frühlingsfestes  und  die  Aufnahme  der  wahr- 
scheinlich dem  Kulte  der  persischen  Anahita  entstammenden  Opferweihe 
des   Taurobolium   einen   ganz   veränderten   Charakter    angenommen    hat; 
aber  auch  entlegenere  Geheimkulte,  wie  der  der  karthagischen  Himmels- 
göttin, des  phrygischen  Sabazios,   der  Hekate,   des  orphischen  Dionysos- 
Liber  u.  a.  m.  finden  ihre  Gemeinde.    Gemeinsam  ist  all  diesen  Religionen, 
dass  jede  von  ihnen  die  ganze  und  alleinige  Wahrheit  zu  überliefern  und 
ihren  Gläubigen  den  einzig  wirklichen  Gott  zu  bieten  behauptet;   mit  der 
thatsächlichen  Existenz   und    Verehrung   der   zahlreichen   andern   Götter 
findet  man  sich  durch  die  Lehre  ab,  dass  sie  sämtlich  nur  unvollkommenere 
Offenbarungen  oder  andre  Namen   der  einen  wahren  Gottheit  seien  und 
dass  diese  all  die  verschieden  benannten  göttlichen  Kräfte  und  Persönlich- 
keiten in  sich  vereinige.   Am  schärfsten  tritt  dieser  Zug  bei  Isis  myrionyma^) 
hervor,   die  Apulejus  (metam.  XI  5,  vgl.  2)  sich  dem  Neophyten  so  vor- 
stellen lässt:   en   adsum  .  .  .   verum  naturae   parens,    elementorum   domina, 
saecularum  progenies  initialist  summa  numinum,  regina  manium^  prima  cae- 
litum,  deorum  dearumque  facies  uniformis,  quae  caeli  luminosa  culmina,  maris 
scdubria  flamina,  inferum  deplorata  silentia  nutibus  meis  dispenso:  cuius  numen 
unicum  multiformi  specie,  ritu  vario,  nomine  muUiiugo  totus  reneraiur  orbis. 
inde  primigenii  Phryges  Pessinuntiam  deum  Matrem,  hinc  aiitochthones  Aitici 
CecropiamMinervam,  iUincfluctuaniesCypriiPaphiam  Venerem,  Cretes  sagitfiferi 
Dictynnam  Dianam,  Siculi  trilingues  Stygiam  Proserpinam,  Eleusinii  vetustam 


')  CIL  III  4413    D{eo)   S{oU)    i{nvicto)  «)  CIL  V  5080  und  mehr  bei  Drexlkb, 

MiUhrae)  fautori  imperii  $ui  lovü  et  Her-  Mythol.  Beiträge  I  125  ff.;  vgl.  auch  CIL  X 

culU  rdi^io9%89imi  Augusti  et  Caesarea  sacra-  3800 :  te  tibi,  una  quae  ea  omnia,  dea  Isis, 
rium  restüuerunt, 

Handlnieb  der  Umr.  AltertnmiiH liwcDuchafL    V,  4.  6 


82 


Religion  und  Kultas  der  Römer.    I.  Religionsgeschichte. 


deam  Cererem,  lunonem  alii,  BeUonam  alii,  Hecatam  isti,  Rhammisiam  Uli, 
qui  <vero>    nascentis    dei    Solls    incohantibus    inlustrantur    radiis  Aethiopes 
Arique  priscaque  doctrina  pollentes  Aegyptii,   caerimoniis  me  propriis  perco- 
lentes,  appellant  vero  nomine  reginam  Isidem;  aber  auch  andre  Gottheiten 
erhoben  mehr  oder  weniger  bestimmt  die  gleichen  Ansprüche,  z.  B.  Attis*) 
und  der  orphische  Dionysos.  2)    So  ergeben  sich  die  Voraussetzungen  für 
eine  Theokrasie,  die  sich  nicht  nur  im  Kulte  durch  das  vielen  Gottheiten 
beigelegte   Beiwort   pantheus    und   die   Vereinigung    der    verschiedensten 
Götterattribute  im  Bilde  einer  Gottheit  kundgibt,')  sondern  auch  von  der 
philosophischen  Spekulation  mit  Eifer  aufgegriffen  wird,  um  mit  allen  Mitteln 
der  Deutung  die  unendliche  Vielheit  der  griechischen,  römischen  und  orien- 
talischen Gottheiten  auf  einheitliche  Kräfte  zurückzuführen,  zumeist  alle 
männlichen  Gottheiten  auf  die  Sonne,  alle  weiblichen  auf  die  Erde.'^)    Das 
Verständnis  für  die  historische  und  innerliche  Verschiedenheit  und  Unverein- 
barkeit der  einzelnen  Götter-  und  Kultkreise  ging  dabei  vollständig  ver- 
loren, und  die  Nachricht,   dass  Alexander  Severus,  der  um  die  Erhaltung 
der  alten  Staatsreligion  eifrig  bemüht  war  (Herodian.  VI  1,  3),  in  seiner 
Hauskapelle  neben  den  Laren  und  Penaten  die  Bilder  von  ApoUonios  von 
Tyana,  Christus,  Abraham  und  Orpheus  gehabt  habe  (Hist.  aug.  Alex.  Sev. 
29,  2),  hat  nichts  Unglaubliches ;  hatte  doch  schon  Marc  Aurel  nicht  nur 
in   der  Theorie   die  Götter  aller  Nationen  gleich   gestellt,  sondern  auch 
beim  Ausbruche  des  Marcomannenkrieges  Priester  aller  möglichen  fremden 
Religionen  nach  Rom  kommen  und  dort  ihre  rüus  peregrini  zum  Wohle 
des  Reiches  ausüben  lassen  (Hist.  aug.  M.  Aur.  13, 1).    Die  Kosten  dieser 
kosmopolitischen  Verallgemeinerung  der  religiösen  Begriffe  tragen  natur- 
gemäss  die  alten  Staatsgötter,  deren  Kult  mehr  und  mehr  verfällt:  wenn  wir 
wissen,  dass  den  Arvalbrüdern  unter  Gordian  ihre  sportula  auf  ein  Viertel 
des  früheren  Betrages  verkürzt  wurde  und  bald  nachher  die  Aufzeichnung 
ihrer  Protokolle  ganz  aufhörte,^)  so  ist  das  nur  ein  zufällig  erhaltenes  Zeugnis 
für  die  Schmälerung  der  Staatsleistungen  für  den  Kultus,  die  gewiss  in  viel 
grösserem  Umfange  stattgefunden  hat.     Auch  der  Kaiserkult  erfährt  eine 
bemerkenswerte  Umwandlung.     Die  Konsekration  der  verstorbenen  Kaiser 
wird   erheblich   häufiger  als  früher  und  verliert  dadurch   an  Wert,    die 
neuen  Divi  schliessen   sich   der  langen  Reihe  ihrer  Vorgänger  an,   ohne 
eigne  Tempel  und  Priester  zu  erhalten,  ja  es  werden  verschiedentlich  Ver- 


0  Hippol.  refut.  haer.  V  9  p.  1 08  Sehn.; 
vgl.  Käibbl,  epigr.  gr.  824,  2  *'Aixn  S^  viplara) 
xal  avviivii  j6  ndv  und  das  Orakel  bei  Socr. 
h.  eccl.  III  23. 

*)  Vgl.  den  orphiscben  Vers  frg.  7  Abel 
bU  Zfvf,  eU  'Mdtjgf  6lg"HXios,  €ig  JioyvGog^ 
der  bei  Julian,  or.  IV  136  A  in  der  abgeän- 
derten Form  erscheint  sU  ZevV,  bU  'AtSrjg, 
elg  ^'HXiog  iari  Idgan ig. 

*)  Sarapis  pantheus  CIL  II  46;  lAber 
pantheus  CIL  IX  3145.  XIV  2865.  Auson. 
epigr.  48  f.  p.  330  f.  Peip.;  Fortuna  panthea 
CIL  X  5800  u.  a. ;  häufig  werden  signa  panthea 
erwähnt  (CIL  II  1473.  VI  100.  X  1557),  von 
denen   auch   zahlreiche  Exemplare  erhalten 


sind,  namentlich  Fortuna  (R.  Pbtbb  in  Ro- 
schers  Lexik.  1 1584  f.  1556  f.)  und  Isis  (schon 
in  Pompeji,  Hblbio,  Wandgem.  nr.  78  =  CIL 
IV  882).  Widmungen  an  einen  Gott  Pantheus 
CIL  VI  557-559. 

*)  Julian,  or.  IV.  Macr.  S.  1 17—23.  Mart 
Cap.  II  185-193.  Nonn.  Dion.  XL  369—410, 
sämtlich  aus  neuplatonischer  Quelle ;  vgl.  G. 
WoLFF,  Porphyr,  de  philos.  ex  orac.  haar. 
p.  127  f.  WissowA,  De  Macrob.  Sat.  fontibus 
p.  35  ff.  L.  Traube,  Varia  libamenta  critica 
(München  1883)  p.  23  ff.  K.  Burbsch,  Klaros 
S  53  f 

»)  Vgl.  WissowA,  Real-Encyol.  II  1467, 


D.  Kaiseneit.    17.  Zeit  der  AaflöBang  seit  den  Antoninen. 


83 


suche  gemacht,  die  Schaar  der  Divi  imperatores  von  unwürdigen  Elementen 
nachträglich  zu  säubern  und  nur  eine  Auslese  im  Kulte  fortzuführen.^) 
Auf  der  andern  Seite  bemerken  wir  Ansätze  zur  Gleichstellung  des  leben- 
den Kaisers  mit  den  Göttern  im  öffentlichen  Kulte.    Unter  den  verschiedenen 
Versuchen,   die  Augustus  gemacht  hatte,  seine  Person  und  Dynastie  ver- 
mittels der  Religion  zu  stützen,  hatte  sich  auch  einer  befunden,  der  bald 
wieder  aufgegeben  wurde,  dass  sich  nämlich  der  Kaiser  eine  Zeit  lang  darin 
gefiel,  sich  als  auf  Erden  wandelnder  Gott  Mercurius  gefeiert  zu  sehen  ;^) 
die  griechischen  Provinzen  haben  das  gleiche  Verfahren  gegenüber  männ- 
lichen und  weiblichen  Angehörigen  des  Kaiserhauses,  von  Livia  und  Julia  bis 
Hadrian  und  Sabina  und  weiterhin,  eingeschlagen,  die  sie  auf  Münzen  und 
Inschriften  als  väog  "Hhog,  ^AnokXoDv^  Zsvg,  Ji/waog^   als   väa  "Hqa^  ^Eczta^ 
JrjfAi^fjQ,  'A^Qodixri  feiern:')  aber   das   war  nicht  viel  mehr  als  ein  etwas 
öberschwänglicher  bildlicher  Ausdruck,  und  in  Rom  hat  die  Gleichstellung 
des  Kaisers  mit  einem  bestimmten  Gotte  nie  Boden  gefunden.    Erst  Com- 
modus  hat  sich  bei  Lebzeiten  unter  dem  Decknamen  des  Hercules  Götter- 
rechte angemasst  und,  als  Romanus  Hercules,  wie  er  selbst  sich  nannte,^) 
vom  Senate  amtlich  anerkannt,  Standbilder  und  Opfer  erhalten.^)    Obwohl 
dies  Beispiel  zunächst  keine  Nachahmung  fand,   hat  doch   hundert  Jahre 
später,  nachdem  zuerst  Aurelian  ausdrücklich  den  Titel  dominus  et  deus  axige^ 
nonunen  hatte, ^)  Diocletian  an  diese  Form  der  Vergöttlichung  des  Herrschers 
wieder  angeknüpft,  indem  er  sich  selbst  als  lovius,  seinen  Mitregenten  Maxi- 
mian  als    Herculius   bezeichnete    und    anordnete,    dass    diese    Titel    sich 
auch  auf  die  Nachfolger  in  der  Würde  des  Augustus  und  Caesar  vererben 
sollten. '')     Waren  diese  Titel  auch  nicht  dazu  bestimmt,  die  Gleichstellung 
der  Kaiser  mit  Juppiter  und  Hercules  zu  betonen,  sondern  nur  die  be- 
sonders  enge    Beziehung    hervorzuheben,    in    der  sie   zu    diesen    Göttern 
ständen,  und  zugleich  das   gegenseitige  Verhältnis  Diocletians  und  seines 
Mitregenten  durch  den  Vergleich  mit  Juppiter  und  seinem  göttlichen  Sohne 
ins  rechte  Licht  zu  setzen,^)  so  wäre  doch  gewiss  auch  der  noch  fehlende 
Schritt  geschehen    und  der  Juppitersohn   zum  Juppiter  selbst  geworden, 
wenn  nicht  der  Sieg  des  Christentums  diese  Entwicklung  gewaltsam  unter- 
brochen hätte.     Hat  doch   trotz  des  Christentums  die  Anschauung,   dass 
Kaisertum  und  Göttermacht  zusammenfalle,  in  den  Formen  der  Adoration, 
die  auch    die   christlichen  Kaiser  beanspruchten,   und  in  der  Bezeichnung 
alles  dessen,  was  dem  Kaiser  gehörte,  als  res  sacra  (sacra  cognitio,  sacrum 
cuhiculum  u.  s.  w.)  ihren  unverkennbaren  Ausdruck  gefunden.^) 


*)  Alexander  Sevenis  hat  in  seinem 
Lararimn  divo8  principes,  sed  aptimos  electos 
(Bist.  aug.  A]ex.  Sev.  29,  2),  und  Tacitne  Di- 
varum  templum  fieri  iusait,  in  quo  essent 
staiuae  principum  bonorum  (ebd.  Tac.  9,  5). 

')  KiESSLUfG,  Philol.  Untersuch.  II  92. 
J.  Krall,  Wiener  Stad.  V  315  Anm.  Uülsek, 
Rdm.  Mittfa.  VI  129,  2. 

*)  Belegstellen  bei  Beuslibr,  Le  culte 
imperial  p.  155  f. 

*)  Ca88.DioLXXII15,5.  CIL  XIV  8449. 

^)  Hiat.  aug.  Comm.  8,  9.  9,  2  und  voll- 


ständige Sammlung  der  Zeugnisse  bei  R.  Pbtbb 
in  Roschers  Lexik.  I  2987  ff. 

«)  MoMMSBN,  Staatsr.  II  737. 

')  Vict.  Caes.  39,  18.  Lact,  de  mort.*per- 
sec.  52,  3 ;  mehr  bei  Pbter  a.  a.  0.  2997  ff. 

^)  Glaud.  Mam.  paneg.  Maxim.  Wiut  enim 
omnia  commoda  .  .  .  a  summia  .  .  auctoribua 
manant,  love  rectore  caeli  et  Hercvle  paea- 
iore  terrarum,  sie  omnibua  pulcherrimis 
rebus  .  .  .  Diocletianus  f<»cem,  tu  tribuis  ef- 
fectum. 

*)  Bbublibr,  Le  culte  imperial  p.  283  ff. 


84  Religion  und  Knltim  der  Römer.    I.  Religionsgesohiolite. 

Litteratur:  E.  Rkhan,  Marc  AurMe  et  la  fin  du  monde  antique  (Originea  du  chri- 
Btianisme  VII),  Paria  1882.  J.  R^llb,  La  religion  ä  Rome  soos  les  S^väres,  Paris  1886; 
deutsche  Uebersetzung  von  6.  Kbügbb,  Leipzig  1888.  J.  Bubckhabdt,  Die  Zeit  Gonstantins 
des  Grossen,  2.  Aufl.  S.  137  ff.    Mabquabdt,  Köm.  Staatsverw.  IIP  71  ff. 

18.  Das  Ende  der  römischen  Religion.  Das  Eindringen  der  ägyp- 
tischen und  orientalischen  Fremdkulte  nicht  nur  in  die  private  Religions- 
übung des  Volkes,  sondern  auch  in  die  Staatskirche,  musste  um  so  not- 
wendiger und  schneller  zur  Vernichtung  der  letzteren  führen,  je  energi- 
scher jeder  dieser  Gottesdienste  den  Anspruch  erhob,  der  allein  wahre 
und  allumfassende  zu  sein,  und  daher  mit  den  alten  Göttern  unvereinbar 
war,  oder  doch  vereinbar  nur  in  dem  Sinne,  dass  er  alle  in  sich  aufsog 
und  mit  sich  amalgamierte.  Die  Kulte  der  Isis,  der  grossen  Mutter,  des 
Mithras  u.  s.  w.  arbeiten  alle  von  innen  heraus  hin  auf  die  völlige  Ver- 
nichtung derjenigen  römischen  Staatsreligion,  die  in  der  republikanischen 
Zeit  sich  entwickelt  hatte  nud  von  den  Kaisern  äusserlich  erhalten  worden 
war,  und  nach  Vollendung  dieses  Zerstörungswerkes  würde  zwischen  ihnen 
selbst  der  Kampf  um  die  Stellung  als  Reichs-  und  Weltreligion  ausge- 
brochen sein,  wenn  nicht  inzwischen  im  Christentume  ein  übermächtiger 
Gegner  auf  den  Plan  getreten  wäre,  dem  sie  schliesslich  allesamt  das  Feld 
räumen  mussten.  Dass  der  Kampf  zwischen  Heidentum  und  Christentum 
wenigstens  im  Westen  des  Reiches  im  wesentlichen  zwischen  dem  neuen 
Glauben  und  jenen  sacra  peregrina,  nicht  den  Göttern  der  alten  römischen 
Religion,  ausgefochten  wurde,  zeigt  aufs  deutlichste  die  Polemik  der  christ- 
lichen Apologeten;  trotz  aller  Lebhaftigkeit  doch  innerlich  ruhig  und  so- 
zusagen akademisch,  solange  es  sich  um  den  Nachweis  der  Verwerflich- 
keit und  Thorheit  des  alten  griechisch-römischen  Götterglaubens  und  seiner 
Mythen  handelt,  wird  sie  sofort  heftig  und  gereizt,  sobald  die  eigentlich 
gefahrlichen  Gegner  und  Nebenbuhler,  jene  im  Grunde  monotheistischen 
Religionen  des  Ostens  ins  Spiel  kommen;  Firmicus  Matemus  z.  B.,  der 
seine  leidenschaftliche  Anklageschrift  de  errore  profanarum  religionum  an 
die  Kaiser  Constüntius  und  Constans  richtet,  begnügt  sich  den  griechisch- 
römischen Religionsvorstellungen  gegenüber  mit  euhemeristischer  Ausdeu- 
tung und  überlegenem  Spotte,  zieht  aber  mit  wahrhafter  Erbitterung  gegen 
die  Kulte  von  Isis,  Magna  Mater,  Caelestis  und  Mithras  los.  Auf  der  andern 
Seite  haben  diese  orientalischen  Gottesdienste,  die  früher  unter  einander  in 
mehr  oder  weniger  ausgesprochener  Gegnerschaft  standen,  mit  dem  weiteren 
Vordringen  des  Christentums  sich  zusammengeschlossen  zum  gemeinsamen 
Kampfe  gegen  den  überlegenen  Gegner.  0  I^as  Christentum  aber,  die  ihrer 
Natur  nach  intoleranteste  und  ausschliesslichste  aller  Religionen,  für  die 
nicht  einmal  die  Möglichkeit  bestand,  auf  dem  Wege  der  Theokrasie  eine 
scheinbare  Ausgleichung  mit  dem  alten  Glauben  herbeizuführen,  konnte 
nie  als  einer  der  recipierten  Kulte  der  Staatsreligion  neben  anderen  stehen, 
sondern  musste  entweder  vernichtet  werden  oder  als  alleinige  Religion 
des  Reiches  an  die  Stelle  aller  alten  Gottesdienste  treten ;  dieser  Sieg  war 
entschieden  in  dem  Momente,  wo  die  Staatsbehörde  die  offizielle  Duldung  und 

')  Dass  dies  erst  in  der  gemeinsamen  '  standen,  betont  mit  Recht  F.  Cumont,  Revue 
Not  geschehen  ist,  nicht  aber  diese  Kulte  de  Tinstmct.  publ.  en  Belgique  XL  1897,  96. 
von  jeher  in  enger  Verbindung  unter  einander  , 


D.  Kaisereeit.    18.  Das  Ende  der  römischen  Religion. 


85 


Qleichbereclitigung  der  christlichen  Religionsübung  aussprach.    So  begann 
^mit  dem  Toleranzedikte,  das  Galerius  am  30.  April  des  J.  311  zusammen  mit 
Constantin  und  Licinius  für  die  von  ihnen  beherrschten  Teile  des  Reiches 
erliess,^)  jene  Entwicklung,  die  mit  unausweichlicher  Notwendigkeit  inner- 
halb dreier  Menschenalter  zur  völligen  Vernichtung  der  römischen  Staats- 
religion  führte.     Unter  Constantin  gingen  die  kaiserlichen  Massnahmen 
nicht   über   die  Betonung   der  rechtlichen  Gleichstellung  der  christlichen 
Religion  mit  den  anerkannten  Staatskulten 2)  und  persönliche  Begünstigung 
der  ersteren  durch  den  Herrscher')  hinaus ;  wo  sie  sich  direkt  gegen  heid- 
nische Religionsübung  wandten,  handelte  es  sich  entweder  um  das  von  jeher 
polizeilich  missliebige  Treiben  der  nicht  staatlich  anerkannten  Weissage- 
künstler^)  oder  um  Gottesdienste,   die  durch  Ausschweifung  und  Unsitt- 
lichkeit  öffentliches  Ärgernis  erregten.^)  Aber  schon  seine  Nachfolger  ver- 
wandelten diese  scheinbare  Neutralität  in  direkten  Kampf  gegen  das  Hei- 
dentum durch  Schliessung  der  Tempel  und  Verbot  der  Opfer,  ^)  und  die 
heidnische  Reaktion  unter  Julian  konnte  wohl  dem  Vordringen   des  Chri- 
stentums für  eine  Weile  Einhalt  thun,  aber  das  Heidentum  nicht  retten; 
denn  was  dem  Kaiser  bei  seiner  eifrigen  Übung  der  Formen  des  heid- 
nischen Kultes  als  Inhalt  derselben  vorschwebte,  die  Göttermischung  des 
Neuplatonismus,  hatte  mit   den  Göttern  des  allxömischen  Glaubens  nicht 
viel  mehr  gemeinsam,  als  das  Christentum,  und  es  war  eine  arge  Selbst- 
täuschung, wenn  der  Kaiser  sich  im  Gegensatze  zu  Constantin,  dem  no- 
vaior  turbatorque  priscarum  legum  et  moris  antiquitus  recepti  (Anm.  Marc. 
XXI  10,  8),  als  der  restüutor  Bomanae  religionis  (CIL  VIH  4326)   vorkam. 
Die  offizielle  Unterdrückung  des  Heidentums  begann  im  Orient,  wo  auch 
die  Zahl  der  Christen  eine  erheblich  grössere  war  und  darum  die  heiden- 
feindlichen Verordnungen  der  Kaiser  im  Volke  selbst  einen  sehr  viel  stär- 
keren Nachhall  fanden;  aber  diese  Verordnungen  galten  rechtsverbindlich 
auch  für  den  Westen  des  Reiches  und  werden  dort,  wenn  auch  langsamer, 
80  doch  mit  wachsender  Energie  durchgeführt.     Die  Hochburg  der  alten 
Religion  ist  Rom,  wo  bis  über  die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  hinaus  der 
alte  Gottesdienst  in  wesentlich  unveränderter  Form  ausgeübt  wird;^)  der 
für  Rom  bestimmte  Kalender  des  sog.  Chronographen  vom  J.  854  ver- 


0  Lact,  de  mort.  persec.  34  =  Euseb. 
bist  eccl.  VIII  17;  über  das  sog.  Edict  von 
Mailand  (Lact.  a.  a.  0.  48  =  Euseb.  a.  a.  0. 
X  5)  8.  O.  Skxcx,  Zeitschr.  f.  Kirch. Gesch. 
Xn  381  ff. 

')  Verleihnng  der  ImmunitAt  an  die  christ- 
lichen Priester  Cod.  Theod.  XVI  2,  1.  2.  7 
(vgl.  Sbbok,  Zeitschr.  d.  Savigny-Stift.  Rom. 
Abt.  X,  1889,  209);  des  Rechtes  die  ccUho- 
Uea  eeelesia  zum  Erben  einzusetzen  ebd.  XVI 
2,  4  =  Cod.  Jnst.  I  2,  1 ;  mehr  bei  Lasaulx, 
(Jntergang  d.  Helienism.  S.  26  ff. 

')  Ueber  die  fOr  Constantins  persönliche 
Stellung  znm  Ghristentnm  wichtigen  Ur- 
kmiden  bei  Euseb.  y.  Const.  II  24  ff.  48  ff.  s. 
8kwk,  Zeitschr.  f.  Eirch.Gesch.  XVIII  321  ff. 

Cod.  Theod.  IX  16,  1  -4. 

Euseb.  v.  Const.  III 55  ff.  und  mehr  bei 


? 


Lasaulx  a.  a.  0.  S.  38  f. 

*)  Verordnung  des  Constantins  und  Con- 
stans  vom  J.  341,  Cod.  Theod.  XVI  10,  2: 
eeaset  superstitio,  saerificiorum  aboUatur  in- 
aania;  die  folgende  Bemfong  anf  ein  angeb- 
lich gleichlautendes  Gesetz  des  Constantin 
steht  unter  dem  dringenden  Verdachte  ten- 
denziöser Uebertreibung. 

')  Vgl.  die  um  350  abgefasste  Expositio 
totius  mundi  p.  120  Riese:  sunt  autem  in 
ipsa  Santa  et  virgines  Septem  ingenuae  et 
clariesitnae,  quae  eacra  deorum  pro  aalute 
civitatis  secundum  antiquarum  morem  per^ 

fieiufU   et  vocantur  virgines   Vestae 

eoluHt  autetn  (Romani)  et  deos  ex  parte,  I(h 
vem  et  Solem,  nee  non  et  sacra  Matris  Deum 
perficere  dicunt» 


86 


Religion  und  KnltoB  der  Römer.    I.  Religionsgesohlohte. 


zeichnet  nicht  nur  die  Spieltage  sämtlich  mit  den  Namen  der  Götter, 
denen  sie  bestimmt  sind  oder  deren  Gebm'tsfeste  (natales)  sie  feiern,  son- 
dern enthält  auch  noch  die  Mehrzahl  der  Feriae  des  alten  numanischen 
Kalenders  und  dazu  die  später  eingesetzten  Feste  der  Isis,  des  Serapis, 
des  Sol  invictus,  der  Magna  Mater  u.  s.  w. ;  ^  Constantius  vermochte  sich 
bei  seinem  Besuche  Roms  im  J.  357  nicht  nur  dem  überwältigenden  Ein- 
drucke nicht  zu  entziehen,  den  die  prachtvollen  Bauwerke  und  Zeugen 
einer  grossen  Vergangenheit  auf  ihn  ausübten,  sondern  erkannte  sogar 
durch  Verleihung  von  Priestertümern  an  die  Angehörigen  der  Nobilität 
das  Fortbestehen  des  alten  Staatskultes  ausdrücklich  an;^)  zwei  Jahre 
später  (359)  begeht  der  Stadtpräfekt  Tertullus  noch  in  aller  Feierlichkeit 
das  herkömmliche  Opfer  im  Castortempel  zu  Ostia,')  alles  das  in  dem- 
selben Jahrzehnte,  in  dem  zwei  kaiserliche  Erlasse  (von  354  und  356)  für 
alle  Orte  des  Reiches  von  neuem  die  Schliessung  der  Tempel  angeordnet 
und  die  Strafen  für  das  Opfern  und  die  Anbetung  der  Götterbilder  ver- 
schärft habend)  Der  Widerspruch  ist  nur  so  zu  lösen,  dass  gegenüber 
allen  auf  die  Vernichtung  des  heidnischen  Kultes  gerichteten  Verordnungen 
die  stadtrömischen  aedes  publicae  und  die  von  den  Staatspriestern  nach 
altem  Herkommen  vorzunehmenden  Kulthandlungen,  d.  h.  also  die  Übung 
der  eigentlichen  Staatsreligion,  kraft  ihrer  besonderen  rechtlichen  Begrün- 
dung eine  Ausnahmestellung  einnahmen;  das  konnte  nicht  anders  sein, 
solange  der  Kaiser,  wenn  auch  persönlich  der  christlichen  Religion  ange- 
hörig, als  Pontifex  maximus  an  der  Spitze  des  römischen  Staatskultes 
heidnischer  Observanz  stand  und  die  Kosten  dieses  Kultes  aus  öffentlichen 
Mitteln  bestritten  wurden.  Darum  hat  erst  Gratian  wirklich  die  Kraft  der 
römischen  Staatsreligion  gebrochen,  als  er  —  wie  es  scheint  im  J.  375  — 
die  seit  fast  400  Jahren  mit  der  Krone  verbundene  Würde  des  Pontifex  maxi- 
mus verschmähte^)  und  um  das  J.  382  die  Einziehung  des  Tempelgutes, 
d.  h.  der  zur  Deckung  der  Kosten  des  alten  Kultus  angewiesenen  Staatslände- 
reien,  anordnete  und  den  Staatspriestern  alle  bisher  genossenen  Emolumente 
und  Immunitäten  entzog.^)  Der  materielle  Schaden,  den  die  Einstellung  der 
Leistungen  aus  Staatsmitteln  der  römischen  Religion  brachte,  konnte  durch 
die  persönliche  Opferwilligkeit  der  Vertreter  des  alten  Glaubens,  die  über- 
wiegend den  vornehmen  und  begüterten  Kreisen  des  römischen  Senats  an- 


')  MoMKSEN  (Abhandl.  d.  sftchs.Gesellsch. 
d.  Wiss,  II  570,  vgl.  ßer.  d.  e.  Ges.  1850,  72) 
wird  mit  der  Bemerkung  ,die  eigentlichen 
Opfer  nnd  heidnischen  Ceremonien  sind  aus 
demselben  gestrichen  und  die  ursprünglich 
dem  Kultus  der  Götter  bestimmten  Tage  nur 
als  dies  feriati  ohne  religiöse  Bedeutung  bei- 
behalten* dem  heidnischen  Gehalte  des  Ka- 
lenders nicht  ausreichend  gerecht. 

')  Amm.  Marc.  XVI  10,  14  f.  Symm.  rel. 
8,  7  p.  281,  31  Seeck. 

»)  Amm.  Marc.  XIX  10,  4;  dass  der  Prä- 
fekt  vom  Volke  zur  Darbringung  des  Opfers 
gezwungen  worden  sei,  wie  V.  Schultzb, 
Unterg.  d.  Heident.  I  93  meint,  steht  keines- 
wegs bei  Ammian,  sondern  das  Opfer  ist  ein 


regelmässiges;  s.  unten  §  40. 

*)  Cod.  Theod.  XVI  10,  4  {=  Cod.  Juat. 

I  11,  1):  placuü  Omnibus  locis  aique  urhi- 
btis  universis  claudi  protinus  templa  et  ac- 
cessu  vetitis  Omnibus  licentiam  deHnquendi 
perditis  denegari.  volumus  etiam  cunctos  sa- 
crificiis  abstinere  n.  s.  w.  XVI  2,  6  poena 
capitis  subiugari  praecipimus  eos,  quos  ope- 
ram  sacrificiis  dare  vel  colere  simulacra  cott- 
stüerit, 

')  Zosim.  IV  36,  vgl.  Mommssn,  Staatar. 

II  1054,  1. 

>)  Symm.  rel.  3,  7.  11.  18.  15.  Ambros. 
epist.  I  17,  8.  4.  5.  10.  14.  18,  3.  11.  12. 
13.  16.    57,  2. 


D.  Kaiserfieit.    18.  Das  Ende  der  rdmischen  Beligion.  87 

gehörten,  für  eine  Weile  wenigstens  ausgeglichen  werden;  aber  durch 
nichts  wieder  gut  zu  machen  war  der  andre  Verlust,  dass  nunmehr  der 
römische  Gottesdienst  als  Staatskult  zu  existieren  aufgehört  hatte  und  nur 
noch  als  Veranstaltung  einer  Gruppe  von  angesehenen  Privatleuten  ein  mehr 
oder  weniger  geduldetes  Dasein  fortführte.  Das  Bild  des  heldenmütigen, 
aber  aussichtslosen  Kampfes  der  römischen  Nobilität  des  ausgehenden 
4.  Jahrhunderts  für  den  alten  Glauben  und  damit  zugleich  für  das  Fest- 
halten an  den  grossen  Erinnerungen  der  Geschichte  tritt  uns  aus  den 
Schriften  des  Q.  Aurelius  Symmachus  und  einer  Reihe  inschriftlicher  Zeug- 
nisse mit  ergreifender  Deutlichkeit  entgegen,  und  namentlich  der  Jahr- 
zehnte lang  von  beiden  Seiten  mit  Hartnäckigkeit  und  Erbitterung  geführte 
Streit  um  den  in  der  Curie  aufgestellten  Altar  der  Victoria,  0  den  die 
heidnische  Partei  als  Wahrzeichen  der  siegreichen  Vergangenheit  des  römi- 
schen Volkes  unter  keinen  Umständen  preisgeben,  das  vordringende 
Christentum  aber  als  verletzendes  Symbol  der  Idololatrie  um  jeden  Preis 
entfernt  sehen  will,  zeigt  uns  die  beiden  sich  bekämpfenden  Parteien  in 
voller  Thätigkeit.  Die  vornehmen  Vertreter  der  alten  Religion,  wie  ausser 
Symmachus  selbst  namentlich  Vettius  Agorius  Praetextatus,  Clodius  Her- 
mogenianus  Caesarius,  Virius  Nicomachus  Flavianus,  Alfenius  Cejonius 
Julianus  Eamenius^)  verteidigen  jeden  Fussbreit  Landes  gegen  die  an- 
drängende Flut  der  Gegner;  sie  übernehmen  selbst  in  starker  Cumulation 
die  verschiedensten  Priestertümer,  sowohl  die  alten  sacerdotia  des  Staats- 
kultes, wie  die  Würden  der  sacra  peregrina,^)  sie  restaurieren  und  erbauen 
neue  Tempel  und  andre  Gebäude  sakraler  Bestimmung  und  bringen  aus 
ihren  Mitteln  die  Kosten  auf,  damit  die  Kulthandlungen  in  der  alten  Weise 
fortgeführt  werden  können;^)  ebenso  sind  sie  eifrig  bemüht,  durch  littera- 
rische Thätigkeit  und  durch  Veranstaltung  lesbarer  Ausgaben  der  klas- 
sischen römischen  Schriftsteller  diesen  neue  Leser  zu  gewinnen  und  ihre 
Wertschätzung  gegenüber  den  Angriffen  der  Christen  zu  steigern.^)  Eine 
WeUe  hatten  diese  Bestrebungen,  in  den  Jahren  392—394  noch  gestützt 

1)  Zuerst  von  ConstantioB  357  aus  dem  !  CIL  VI  1778  f. ;   Kamenius  ist  Vllvir  epu- 
Senatslokale  entfernt,  wurde  der  Altar  bald   I   lonumj  pater  sacrorum  summt  invicti  Mithrae, 


nachher  wieder  hergestellt  (Ambros.  epist. 
I  18,  32.  STBun.  rel.  3,  4;  es  hängt  damit  zu- 
sammen, dass  im  J.  367  der  Senat  an  dem 
Pons  Valentiniani  ein  Standbild  der  Victoria 
aogusta  anbringen  lllsst,  Bull.  arch.  com. 
1892,  73  f.),  bis  seine  abermalige  Entfernung 
durch  Gratian  im  J.  382  den  Streit  entfes« 
Seite,  fftr  dessen  frühere  Stadien  uns  die 
Originalakten  in  Svmm.  reL  3  und  Ambros. 


hietofanta  Hecatae,  arehibueolus  dei  Liberi, 
XVvir  8,  f.f  tauroboliatus  Deum  Matris, 
pontifex  maior  CIL  VI  1675.  Ephem.  epigr. 
VIll  648;  andre  Beispiele  CIL  VI  500  f.  504. 
507.  509-511.  1698.  1741  f.  2151. 

*)  Praetextatus  stellt  die  Porticus  der  di 
consentes  mit  den  Bildern  der  Götter  wieder 
her  (CIL  VI  102)  und  wird  von  den  Vesta- 
linnen  dankbar  geehrt  (CIL  VI  2145);  die 


epist.  I  17.  18  Torüegen,  während  Ober  den  |   Pontifices  Vestae  lassen  aus  eigenen  Mitteln 
späteren  Verlauf  der  Angelegenheit  Ambros.   l  die  verfallenen  mansiones  Saliorum  Palati- 


epist.  I  57,  4—6  Auskunft  gibt;  vgl.  Srbcx, 
Symmach.  p.  LIII  f.  LVIII  und  0.  Gbrhabo, 
Der  Streit  um  den  Altar  der  Victoria,  Siegen 
1860. 

')  S.  ttber  sie  Sseck  a.  a.  0.  LXXIII  ff. 

')  Praetextatus  z.  B.  ist  augur,  pontifex 

Vestae,  pontifex  Sdis,  guindeeimvir,  curialis 

SeretUis,  sacratue  Libero  et  Eleusiniis,  hiero- 

phantä,  neoeorus,  tauroboliatus,  pater  patrum 


norum  restaurieren  (CIL  VI  2158);  Tamesius 
Augentius  Olympius  erbaut  ein  Mithrasheilig- 
tum  und  rünmt  sich:  sumptusque  tuos  nee, 
Roma,  requirit,  damna  piis  meliora  luero 
(CIL  VI  754). 

B)  0.  Jahh,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch.  1851, 
336  ff.;  vgl.  auch  L.  v.  Jan,  Macrob.  I 
p.  XXII  ff. 


88 


Beligion  und  KqUiib  der  Römer.    I.  Beligionsgesohiohte. 


durch  die  heidenfreundliche  Haltung  des  Kaisers  Eugenius,  Erfolg,  und  es 
zeigt  sich  im  letzten  Drittel  des  4.  Jahrhunderts  auf  allen  Gebieten  des  heidni- 
schen religiösen  Lebens,  sowohl  im  alteinheimischen  Kulte  wie  in  den  sacra 
peregrina,  noch  einmal  ein  unverkennbarer  Aufschwung;  dass  noch  unter 
Gratian  die  Staatspriester  ihren  Dienst  ganz  in  der  alten  Weise  versahen, 
lassen  zahlreiche  Stellen  des  Symmachus  (zusammengestellt  bei  Seeck  p.  LIII) 
erkennen,  Ambrosius  (epist.  I  18,  31)  hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  damals 
noch  in  allen  Tempeln  Roms  Opfer  dargebracht  wurden,  und  speziell  für 
die  Fremdkulte  der  Isis,  der  Magna  Mater  und  des  Mithras  beweist  die 
ausserordentlich  heftige  Polemik  des  im  J.  394  abgefassten  sog.  carmen 
contra  paganos  (Baehbens  PLM  III  286  flf.)  sowie  gleichzeitiger  Gedichte,') 
dass  der  bekämpfte  Gegner  neuerdings  wieder  an  Kraft  gewonnen  hatte. 
Aber  für  die  Dauer  waren  natürlich  die  Schultern  dieser  Verteidiger  des 
Heidentums  zu  schwach,  um  eine  sinkende  Kultur  im  Falle  aufzuhalten; 
der  Sieg  des  Theodosius  über  Eugenius  (394)  sicherte  für  den  Occident 
die  Durchführung  der  bereits  391  und  392  erlassenen  Verordnungen  (Cod. 
Theod.  XVI  10,  11.  12),  die  nicht  nur  die  Schliessung  der  Tempel  und  das 
Opferverbot  nochmals  einschärften,  sondern  auch  den  häuslichen  Dienst  der 
Gottheiten  des  Herdes  mit  strenger  Strafe  belegten.  Noch  vor  dem  Ab- 
laufe des  Jahrhunderts  verschwinden  die  alten  Priestertümer,  und  keines 
der  in  den  70er  und  80er  Jahren  so  zahlreichen  Zeugnisse  für  die  Verehrung 
von  Magna  Mater  und  Mithras  reicht  über  diese  Grenze  hinaus:*)  bald 
nach  dem  J.  400  kann  Stilicho  es  wagen,  die  sibyllinischen  Bücher  zu 
verbrennen, 3)  ein  Beweis  dafür,  dass  der  heidnische  Staatskult  auch  in 
seiner  Fortführung  durch  private  Opferwilligkeit  abgestorben  ist,  und  zur 
gleichen  Zeit  triumphiert  Hieronymus  (epist.  107),  dass  das  Heidentum  in 
der  Stadt  Rom  in  Verödung  versunken  sei.  Die  römischen  Tempel  und 
Götterbilder  fielen  allerdings  damit  keineswegs  der  Zerstörung  anheim,  viel- 
mehr hat  man  sogar  aus  öffentlichen  Mitteln  ihrem  Verfall  gesteuert,^)  und 
noch  nach  den  Barbareneinfallen  des  5.  Jahrhunderts  haben  Stadtpräfekten 
unter  den  zerstörten  und  beschädigten  Denkmälern  auch  Götterbilder  wie- 
derhergestellt ;  5)  aber  diese  waren  nicht  mehr  Gegenstände  der  Verehrung, 


*)  Vgl.  das  sog.  poetna  ultimum  (carm.  32 
Hartel)  des  Paulinus  von  Nola  und  das  fälsch- 
lich unter  Cyprians  Namen  gehende  Gedicht 
ad  quendam  senatorem  ex  christiana  reli- 
gione  ad  idolorum  servitutem  conver8um{Cy^T, 
Gall.  poeta  ed.  Pbiper  p.  227). 

')  Der  letzte  der  Tauroholienaltäre  aus 
dem  vaticanischen  Heiligtume  der  Grossen 
Mutter  gehört  in  das  J.  390  (CIL  VI  503); 
die  in  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts 
noch  zahlreichen  (s.  die  chronologische  Ueber- 
sicht  bei  Cumont,  Mithras  II  p.  540)  datierten 
Mithrasdenkmäler  reichen  herunter  bis  zum 
J.  387  (CIL  VI  1778  f.),  die  Zerstörung  dieser 
Heiligtümer  durch  den  Stadtpräfekten  Grac- 
chus im  J.  377  (Hieron.  epist.  107,  2)  kann 
also  keine  endgültige  gewesen  sein. 

>)  Rutil.  Namat.  II 52  (Stilicho)  Sibyllinae 
fata  cremavit  opis.  v.  55  at  Stilicho  aeterni 


fatalia  pignora  regni  et  plenaa  voluU  prae- 
cipitare  coloa;  wenn  die  Erwähnung  einer 
Befragung  der  sibyllinischen  Bücher  bei 
Claudian.  bell.  PoU.  231  f.  mehr  als  poetische 
Einkleidung  ist,  so  hat  die  Vernichtung  der 
Bücher  erst  nach  dem  J.  402  stattgefunden ; 
ein  Grund,  an  der  Thatsache  selbst  zu  zwei- 
feln, wie  (nach  Wernsdorf)  neuerdings  Th. 
BiRT,  De  moribus  Christianis  qnantum  Stili- 
chonis  aetate  in  aula  imperatoria  occidentali 
valuerint  disputatio,  Marpurgi  1885,  p.  XKIII 
n.  1  thut,  liegt  keinesfalls  vor. 

^)  Vgl.  darüber  die  schönen  Aufsätze  von 
De  Bossi,  Bull.  arch.  crist.  1865,  5-8.  1866, 
53-62. 

>)  De  Rossi,  Annali  d.  Inst.  1849,  342  ff. 
und  die  Inschriften  CIL  VI  1651—1672.  3864; 
vgl.  namentlich  CIL  VI  526  --=  1664:  aimu- 
lacrum  Minerhae  abolendo  incendio  tumuUus 


D.  Kaiseneit.    18.  Das  Ende  der  rdmisohen  Religion. 


89 


soDdern  nur  monumentaler  Schmuck  der  Stadt  in  derselben  Weise,  wie 
die  Namen  der  alten  Götter  und  ihre  Legenden  in  der  offiziellen  Dichtung 
der  Zeit,  z.  B.  bei  Glaudian,  noch  beibehalten  werden  als  dekoratives  Bei- 
werk, mit  dem  sich  ein  Glaubensinhalt  nicht  mehr  verbindet.  ^  Seit  der 
Zeit  etwa  Yalentinians  III.  gilt  der  alte  Glaube  offiziell  als  erloschen;^) 
aber  ausserhalb  der  öffentlichen  Eultübnng  haben  sich  namentlich  bei  den 
Bewohnern  des  offenen  Landes^)  Reste  römischen  Heidentums,  von  Staat 
und  Kirche  eifrig  bekämpft,  in  Italien  und  den  westlichen  Provinzen  noch 
sehr  lange  mit  grosser  Zähigkeit  erhalten  und  sich  schUesslich  teilweise 
in  den  Brauch  der  Kirche  hinübergerettet.  Mancherlei  fromme  Geremonien 
an  Bäumen,  Steinen  und  Quellen,  die  man  zu  salben  und  zu  bekränzen 
pflegt,  die  verschiedensten  Mittel  der  Zukunftserkundung,  allerhand  aber- 
gläubische Meinungen  von  Gunst  und  Ungunst  bestimmter  Tage  für 
diese  oder  jene  Verrichtung,  die  schier  unausrottbare  Vorliebe  für  die  heid- 
nische Neujahrsfeier  an  den  Kaienden  des  Januar  u.  a.  m.  werden  immer 
and  immer  wieder  als  verwerfliche  Rückfälle  in  die  überwundenen  Irrlehren 
getadelt  und  verfolgt.^)  Auch  an  den  alten  Festen  hielt  man  standhaft 
fest,  wenn  auch  die  Opfer  in  Wegfall  kamen  und  die  Namen  der  Götter 
nicht  mehr  genannt  wurden,  namentlich  an  solchen,  die  —  wie  z.  B. 
die  Saturnalien  —  mit  Volkslustbarkeiten  verbunden  waren,  oder  von 
denen  man  sich  Segen  für  die  Felder  und  Abwehr  von  allerlei  Unheil  ver- 
sprach. Das  offizielle  Festverzeichnis  der  Provinz  Campanien  vom  22. 
November  387^)  enthält  noch  die  alten  Lustrationen  für  Aussaat  und 
Ernte,  den  Tag  des  Genius  und  die  Totenfeier,  die  Weinlese  und  das 
Rosenfest,  alles  nach  rein  heidnischer  Tradition,  nur  der  Götternamen  ent- 
kleidet; ihren  Widerstand  gegen  die  Abhaltung  eines  sühnenden  Flur- 
umganges hatten  im  J.  397  zu  Anaunia  im  Tridentinischen  Sisinnius  und 
seine  Genossen  mit  dem  Märtyrertode  zu  büssen;^)  in  Rom  sind  noch  im 
J.  449  aus  dem  Kalender  des  Polemius  Silvius  (CIL  P  p.  257  ff.)  trotz  der 
Abneigung  des  Verfassers  gegen  alles  Heidnische  die  alten  Feste  keines- 
wegs völlig  verschwunden,  und  gegen  die  unter  anderen  in  diesem  Kalender 
noch  verzeichnete  Luperealienfeier  muss  sich  noch  im  J.  494  der  Papst 
Gelasius  aufs  heftigste  ereifern;')  andre  Feste  verwandter  Art,  wie  das 


civilis  igni  teeto  cctdente  confractum  Aniciua 
Aeüius  Affinatius  Faustus  v.  e.  et  inj.  praef, 
urbi  vic.  sac.  iud.  in  melius  integre  proviso 
pro  beatUudine  temporis  restituit. 

^)  Darüber  handelt  lehrreich  Th.  Bibt 
in  der  oben  S.  88  Anm.  3  erwähnten  Pro- 
granunabhandlung. 

*)  Cod.  Theod.  XVI  10,  22  (vom  J.  423): 
paganos  gui  supersunt,  quamquam  iam  nullos 
cjfse  credamus;  vgl.  XVI  10,  25:  cunctaque 
eorum  fana  templa  delubra,  si  qua  etiam 
nunc  restant  integra. 

')  Die  Bezeiohnong  pagani  wird  fQr  die 
Anbänger  des  alten  Qlaubens  erst  ganz  am 
Ende  des  4.  Jahrhunderts  populär;  in  den 
gegen  die  Heiden  gerichteten  Dekreten,  die 
der  Titel  des  Cod.  Theod.  XVI  10  de  paganis 
aacrifieiis  et  templis  enthält,  findet  sie  sich  zu- 


erst in  einem  Erlasse  des  Arcadius  und  Ho- 
norius  vom  J.  395  (XVI  10, 13),  und  noch  im 
J.  409  begegnet  die  Doppelbezeichnung  gen- 
tiles,  quos  vulgo  paganos  appellant  (XVI 
5,  46). 

*)  Reiche  Nachweise  für  alle  diese  Dinge 
bei  C.  P.  Caspäbi,  Kirchenhistor.  Anecdota  l 
(Chnstiania  1883)  S.  172  ff.;  Martin  von  Bra- 
cara  (ebd.  1883)  S.  29  ff.;  Homilia  de  sacri- 
legiis  (ebd.  1886)  S.  17  ff.  Ueber  die  Neu- 
jahrsfeier im  Orient  Cumont,  Analecta  Bollan- 
diana  XVI  1897  p.  7,  1,  vgl.  Revue  de  philol. 
XXI  (1897)  149,  2. 

^)  CIL  X  3792  und  dazu  Mommsbn,  Ber. 
d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  1850,  62  ff. 

")  Maxim.  Taurin.  serm.  81  =  Mionb, 
Patrol.  lat.  LVII  695  f.   Acta  SS.  Mai.  VII  43. 

7)  Thiel,  Epist.  pontif.  Roman.  I  598  ff. 


90 


Beligion  und  Knltns  der  Römer.    I.  Religionsgesohichte. 


Amburbium,  die  Ambarvalia,  die  Robigalia  und  der  Natalis  Solis  Invicti 
waren  nur  dadurch  unschädlich  gemacht  worden,  dass  die  Kirche  sie  auf- 
nahm und  in  christliche  Bittgänge  und  Festfeiem  verwandelte.^)  Auch  in 
den  erst  nach  und  nach  romanisierten  Provinzen  haben  sich  Namen  und 
Verehrung  einzelner  römischer  Götter  bis  gegen  Ende  des  6.  Jahrhunderts 
erhalten:  noch  um  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts  hat  in  der  Gegend  von  Trier 
der  christliche  Bekehrungseifer  die  Anbetung  eines  Dianenbildes  bekämpft 
und  dieses  zerstört  (Greg.  Turon.  bist.  Franc.  Vni  15),  und  eine  Generation 
später  erfahren  wir  aus  der  Bauernpredigt  des  Martin  von  Bracara,  dass 
man  in  Spanien  noch  die  Volcanalia  feierte  und  die  Frauen  am  Webstuhl 
Minerva  anriefen.^)  Für  Italien  ist  das  letzte  nachweisbare  Beispiel  noch 
lebendigen  antiken  Opferdienstes  die  Verehrung  des  Apollo  in  einem  Tempel 
und  Haine  auf  dem  Berge  von  Gasinum,  der  Benediktus  von  Nursia  im  J. 
529  ein  gewaltsames  Ende  bereitete,  indem  er  das  Stammkloster  seines 
Ordens  an  der  Stelle  errichtete.*) 

Litteratnr:  A.  Beuonot,  Histoire  de  la  destraotion  du  paganisme  en  Occident,  Paris 
1835.  E.  y.  Lasaulx,  Der  Untergang  des  Hellenismus,  München  1854.  A.  de  Broglib, 
L'eglise  et  Tempire  Romain  au  quatri^me  si^cle,  Paris  1856 — 1866.  V.  Sohtjltzb,  Ge- 
schichte des  Untergangs  des  griechisch-römischen  Heidentums,  Jena  1887 — 1892  (s.  dazu 
Theol.  LitiZeit.  18üj7,  513  ff.  Deutsche  Litt.Zeit.  1888,  1594  ff.).  Q.  Boissier,  La  fin  du 
paganisme,  Paris  1891.  P.  Allabd,  Le  christianisme  et  Tempiie  Romain  de  Näron  ä  Th^o- 
dose,  Paris  1897. 


*)  UsENEB,  Religionsgesch.  Untersuchun- 
gen I  293  ff. ;  vgl.  MoMMSEK,  CIL  I*  p.  338  f. 

*)  Martin  ▼.  Bracara  de  correct.  rustic.  16 
(p.  30  und  32  Gasp.) ;  dieselben  Vorwürfe  in 
den  Dicta  abbatis  Pirminii  c.  22  (Caspabi, 
Eirchenhistor.  Anecd.  I  172)  sind  aus  Martin 


von  Bracara  abgeschrieben,  können  also  f&r 
Zeit  und  Wirkungskreis  des  Pirminius  (s. 
darttber  Hauok,  Kirchengesch.  Deutschlands 
1  *  335  ff.)  nichts  beweisen. 

»)  Greg.  M.  dial.  II  8  =  Miowb,  Patrol. 
lat.  LXVI  152. 


Zweiter  Teil. 

Die  Götter  der  römischen  Staatsreligion. 


Erster  Abschnitt. 

Die  di  indigetes. 

19.  JanUB.  Obwohl  sich  bei  den  übrigen  italischen  Völkerschaften 
Spuren  des  Janusdienstes  nirgends  nachweisen  lassen,  so  steht  doch  für  Rom 
das  hohe  Alter  seines  Kultes  ausser  aller  Frage.  Janus  bildet  zusammen  mit 
Vesta  ein  uraltes  Götterpaar,  und  das  römische  Ritual  schrieb  vor,  dass 
bei  allen  Opferhandlungen,  gleichviel  welchem  Gotte  sie  galten,  in  der 
Reihe  ^er  insgemein  angerufenen  Gottheiten  Janus  die  erste  und  Vesta 
die  letzte  Stelle  einnehmen  müsse ;  ^)  Belege  für  diese  Vorschrift  bieten 
nicht  nur  alte  Gebetsformeln,  z.  B.  bei  der  Devotion  (Liv.  VIII  9,  6)  oder 
der  lustraiio  agri  (Cato  de  agric.  134,  vgl.  141),  sondern  noch  die  Piacular- 
opfer  der  Arvalbrüder.'*)  Dieselbe  Stelle  nahm  der  Gott  Janus  offenbar 
auch  in  den  Litaneien  des  Salierliedes  ein,  in  denen  er  als  duonus  cerus 
und  divom  deus^  d.  h.  als  creator  bonus  und  deum  deuSy  angerufen  wurde.*) 
In  der  ältesten  Festtafel  begegnet  uns  allerdings  der  Name  des  Janus 
nicht,  aber  Ovid  (fast.  I  318)  bezeugt,  dass  das  am  9.  Januar  gefeierte 
Fest  Agonium,  an  welchem  der  Rex  sacrorum  in  der  Regia  einen  Widder 
opferte,*)  dem  Janus  galt.  Der  Rex  sacrorum  ist  Spezialpriester  des 
Janus  und  steht  daher  auch  in  der  offiziellen  Rangordnung  der  römischen 
Priester  (s.  oben  S.  20)  allen  andern  voran;  ein  regelmässiges  Opfer  hat 
er  seinem  Gotte  wahrscheinlich  auch  an  allen  Kalendae  dargebracht:  denn 
wenn  hier  auch  die  Überlieferung  (Macr.  S.  I  15,  19)  nur  von  einem  Opfer 
an  Juno  spricht,  welches  die  Regina  sacrorum  in  der  Regia  darbringt, 
so  wird  doch  die  Annahme  eines  entsprechenden  Opfers  des  Rex  an  Janus 
schon  dadurch  nahe  gelegt,  dass,  wie  wir  wissen,  dem  Janus  (wie  der 
Juno)  alle  Kalendae  heilig  waren  und  er  von  der  Verbindung,  in  die  er 


')  Gic.  de  nat  deor.  II  67.  Senr.  Aen.  I 
292.  Arnob.  IIT  29  and  mehr  bei  MAsgüARDT, 
StaatBverw.  11 1  26. 

')  HsKZur,  Act.  fratr.  Arval.  p.  144.  147. 

»)  Varro  de  1. 1.  VII  26  f.   Macr.  S.  I  9, 


14.  16. 

*)  Varro  de  1. 1.  VI  12.  Paul.  p.  10.  Auch 
die  Arvalen  opfern  dem  Janus  arietes  IJ 
(Henzbn,  Acta  fratr.  Arv.  p.  144). 


92  Beligion  nnd  Enltns  der  Römer.    II.  Götterlehre. 

an  diesen  Tagen  mit  Juno  trat,  den  Beinamen  Junonius  führte.^)  Nach 
einer  Angabe  Varros  sollen  sogar  dem  Janus  entsprechend  der  Zahl  der 
Monate  12  Altäre  gewidmet  gewesen  sein,  an  deren  jedem,  wie  wir  voraus- 
setzen dürfen,  an  den  Kalendae  eines  bestimmten  Monats  geopfert  worden 
sein  mag.  Ein  derartiges  dem  Janus  und  der  Juno  gemeinsam  geltendes 
Kaiendenopfer  verzeichnen  die  Fasten  zum  1.  Oktober  mit  den  Worten 
tigiUo  sororio  ad  compitum  Acili;  das  sogen.  Tigillum  sororium  war  ein 
echter  ianus,  ein  über  der  Strasse  stehendes  Thor,  aus  zwei  senkrechten 
und  einem  darübergelegten  wagerechten  Balken  hergestellt,  neben  dem 
sich  Altäre  des  Janus  Curiatius  und  der  Juno  Sororia  befanden ;  aus  diesen 
Beinamen  erschloss  die  spätere  Zeit  einen  Zusammenhang  der  Lokalität 
und  des  Opfers  mit  der  an  diese  Kultstätte  anknüpfenden  Legende  vom 
Zweikampfe  der  Horatier  und  Curiatier  und  fasste  das  Opfer  als  Sühn- 
ceremonie  für  den  Schwestermord  des  siegreichen  Horatiers,  während  es 
sich  in  Wahrheit  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf  die  gemeinsame  Ver- 
ehrung von  Janus  und  Juno  am  Monatsanfang  bezog.  ^)  Dass  es  sonst 
einen  besonderen  Janustempel  in  der  ältesten  Zeit  nicht  gab,  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  das  Janusopfer  des  9.  Januar  in  der  Regia  stattfand. 
Wohl  aber  besass  der  Gott  seit  unvordenklicher  Zeit  ein  ihm  besonders 
geweihtes  Gebäude  eigner  Art.  Von  den  unzähligen  Thorbögen  und 
Durchgängen  {iani),  deren  Schutzgott  Janus,  wie  schon  sein  Name  zeigt, 
ist,  ist  ihm  einer  ganz  besonders  heilig,  das  als  ianus  getninus  bezeichnete 
Doppelthor  (d.  h.  zwei  parallel  stehende,  seitlich  durch  Mauern  oder 
Schranken  verbundene  Thorbögen)  an  der  NOecke  des  römischen  Forums, 
welches  von  der  ältesten  Vergangenheit  bis  auf  die  Zeiten  Prokops  unverän- 
dert bestand  und  uns  in  seiner  äusseren  Erscheinung  durch  Münzbilder  be- 
kannt ist.')  Der  Überlieferung  nach  hatte  der  Erbauer  des  Janus  geminus, 
Numa  Pompilius,  ihn  dazu  bestimmt,  als  index  pads  bellique  zu  fungieren, 
indem  er  anordnete,  dass  der  Durchgang  zu  Kriegszeiten  geöffnet,  bei 
vollem  Frieden  aber  geschlossen  sein  sollte;^)  Zweifel  an  dem  hohen 
Alter  dieses  Brauches  müssen  aber  aufsteigen  angesichts  der  Thatsache, 
dass  zwischen  Numa  und  Augustus,  der  sich  rühmt,  den  Janus  dreimal* 
geschlossen  zu  haben, ^)  nur  ein  einziges  Mal,  nach  Beendigung  der  sar- 
dischen  und  ligurischen  Kämpfe  im  J.  519  =  235,  eine  Schliessung  des 
Bogens  erfolgt  ist.  Da  der  älteste  Gewährsmann,  der  Annalist  L.  Cal- 
purnius  Piso  (bei  Varro  de  1. 1.  V  165),  die  Verordnung  des  Numa  in  der 
Form  überliefert:  ut  sit  aperta  semper,  nisi  cum  bellum  sit  nusquam,  so 
wird  sich  wohl  der  ursprüngliche  Brauch  auf  beständige  Offenhaltung  des 
Thores  beschränkt  und  Augustus  ihm  erst  in  vermeintlicher  Wiederher- 
stellung einer  uralten  Sitte  jene  Bedeutung  beigelegt  haben;  es  stimmt  dazu, 
dass  gerade  die  Gelehrten  und  Dichter  der  augusteischen  Zeit  sich  um  die 


0  Macr.  I  9,  16.  15,  19.  Varro  bei  Lyd.  |  323  ff.    0.  Richtbb,  Handb.  III  799  f. 

de  mens.  IV  2.  ,           *)  Liv.  I  19,  2.    Varro  de  1.  1.  V  165. 

2)  Liv.  I  26,  12.  Dion.  Hai.  III  22.  Fest.  I  Mehr  bei  Gilbekt,  Topogr.  I  324. 
p.  297.    Panl.  p.  807.    Vgl.  auch  Gilbert,             »)  Mommsen,  Res  gestae  D.  Aug.  p.  50  f. 

Topogr.  I  178  ff.  II  55  ff.  '  lieber  spätere  Schliessungen  Jobdan,  Topogr. 

')  üeber  das  Gebäude  s.  Jobdan,  Topogr.  j  I  2  S.  846  A.  45. 

I  2  S.  345  ff.    Hülsen,  Annali  d.  Inst.  1884,  | 


A.  Di  indigetM.    19,  Janas. 


93 


Wette  bemühen,  Ursprung  und  Bedeutung  der  ganzen  Einrichtung  durch 
Kombinationen  und  Hypothesen  zu  erklären,  sei  es,  dass  sie  symbolisch 
in  dem  Gebäude  entweder  den  Frieden  oder  den  Ej'ieg  eingeschlossen  sein 
lassen,')  sei  es,  dass  sie  von  der  Bolle  erzählen,  die  dies  Thor  in  den 
Kämpfen  der  ürrömer  mit  ihren  Nachbarn  gespielt  habe.^)  Ob  das  Qe- 
bäude  konsekriert  war,  ist  sehr  fraglich,  von  heiligen  Handlungen,  die 
bei  ihm  vorgenommen  worden  wären,  erfahren  wir  nichts;  von  Haus  aus 
war  es  ein  Thor  (porta  lanualisy)  und  diente  als  Durchgang.  So  lange 
letzteres  der  Fall  war,  stand  jedenfalls  kein  Bild  des  Gottes  in  demselben, 
das  doch  nur  den  Verkehr  gehemmt  hätte;  später^)  war  allerdings  in  der 
Axe  des  Thores  eine  Erzstatue  des  doppelgesichtigen  Gottes  in  der  Weise 
aufgestellt,  dass  die  beiden  Köpfe  nach  Osten  und  Westen  durch  die 
Thoröffhung  schauten;  die  Thatsache,  dass  die  Finger  dieser  Statue  die 
Zahl  365  bildeten,^)  d.  h.  die  Zahl  der  Tage,  die  das  bürgerliche  Jahr^) 
der  Römer  erst  durch  Caesars  Kalenderreform  erhielt,  zeigt  deutlich  die 
Thorheit  der  landläufigen  Ansicht,  welche  das  Standbild  für  eine  Stiftung 
des  Königs  Numa  hielt.  Die  älteste  bekannte  Darstellung  des  Janus  ist 
vielmehr  der  doppelgesichtige  bärtige  Kopf  auf  dem  As  der  ältesten  rö- 
mischen Kupferprägung;  bedenkt  man  nun,  wie  viel  näher  es  lag,  zur 
Ausfüllung  des  Münzrundes  einen  Doppelkopf  zu  bilden,  als  ein  Kultbild 
mit  einfachem  Körper  und  doppeltem  Gesicht,  das  stets  eine  unorganische 
Bildung  bleibt^)  und  nur  unter  der  Voraussetzung  verständlich  wird, 
dass  der  Doppelkopf  etwas  bereits  Gegebenes  war,  so  wird  man  sich  der 
Einsicht  nicht  verschliessen  können,  dass  der  Doppelkopf  als  Bild  des 
Janus  überhaupt  zuerst  für  die  Münzen  geschaffen  worden  ist:  als  gött- 
licher Vertreter  alles  Anfangs  und  alles  Ersten  war  Janus  für  die  Signie- 
rung des  Einheitsnominales,  des  As,  der  gegebne  Gott,  und  während  man 
für  die  Teilstücke  griechische  Götterköpfe  zur  Bezeichnung  wählte,  erfand 
man  den  bärtigen  Doppelkopf  in  Anlehnung  an  manche  Vorbilder  der 
griechischen  und  vielleicht  auch  der  etruskischen  ®)  Münzprägung  für 
Janus  neu   als  leicht  verständliche  Versinnlichung   des  nach  Osten   und 


')  Der  Friede  eingeschlossen:  Ovid.  fast. 
I  281.  Hör.  epist.  II  1,  255;  der  Krieg:  Verg. 
Aen.  I  293  ff.,  vgl.  VII  607;  andre  Deutungen 
bei  Ovid.  f.  I  279.  Serv.  Aen.  I  294.  VIT  610. 

»)  Ovid.  met.  XIV  728  ff.;  fast.  I  261  ff. 
Macr.  S.  I  9,  17  f.  Serv.  Aen.  I  291,  wie 
es  scheint  aUe  aus  Verrius  Flaccus.  Varro 
de  1.  1.  V  156  erwähnt  die  warmen  Quellen 
Laatolae,  ohne  der  Sage  zu  gedenken. 

»)  Varro  de  1. 1.  V  165;  vgl.  Flor.  I  18. 
Cass.  Dio  LI  20. 

^)  Aelteete  Erwfthnung  bei  Varro  de  1. 
1.  V  165. 

»)  Plin.  n.  h.  XXXIV  33.  Macr.  S.  I 
9,  10.    Lyd.  de  mens.  IV  1. 

*)  Nur  um  dieses,  nicht  um  das  astro- 
nomische Jahr  kann  es  sich  hier  handeln, 
und  dadurch  wird  der  Rettungsversuch  von 
F.  MthrzuK,  Quellen  des  Plinius  S.  312  un- 
möglich. 


')  Daher  fehlen  Darstellungen  des  Janus 
in  ganzer  Form  sogut  wie  ganz,  vgl.  F. 
WiBSBLBB,  Arch.  Zeit.  XIX  1861  S.  139;  das 
dort  Taf.  147,  8  abgebildete  Medaillon  des 
Commodns  ist  nach  Imhoof  -  Blümeb  inter- 
poliert. Eine  Bronoestatuette  eines  doppel- 
gesichtigen Jünglings  mit  etruskisoher  In- 
schrift im  Museum  von  Cortona  bei  Fa- 
BBETTi,  Corp.  inscr.  Ital.  Taf.  XXXV  nr.  1051. 

")  Das  zeitliche  Verhältnis  der  etrus- 
kischen  (namentlich  volaterranischen)  Mün- 
zen mit  dem  Doppelkopf  (s.  Dbbckb,  Etr. 
Forsch.  II  34  ff.  43  f.  mit  Taf.  III  42)  zur 
ältesten  römischen  Eupferprägung  ist  noch 
nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  da  der 
Zeitansatz  der  letzteren  Gegenstand  der  Kon- 
troverse ist;  vgl.  Samwbb-Bahbfbldt.  Wiener 
numism.  Zeitschr.  XV  1883  S.  22  ff.  mit  Taf. 
I  12.  II  1.  2. 


94 


Religion  and  Knltns  der  BOmer.    II.  GOtterlehre. 


Westen  schauenden  Doppelthores,  sozusagen  eine  Übersetzung  des  ianus 
geminus  in  menschliche  FormJ)  Den  Doppelkopf  auf  etruskischen  Münzen 
Janus  zu  nennen,  haben  wir  kein  Recht;  denn  was  man  für  Zeugnisse 
etruskischen  Januskultes  gehalten  hat,^)  ist  durchaus  nicht  beweiskräftig. 
Der  sogenannte  Janus  quadrifrons,  ein  mit  vier  Gesichtern  nach  vier  Seiten 
schauendes  Bild,  welchem  Domitian  auf  seinem  Forum  einen  eignen,  vier 
verschiedene  Fora  überblickenden  Bau  widmete,  b)  sollte  allerdings  aus 
dem  mit  etruskischen  Einflüssen  stark  durchsetzten  Falerii  nach  dessen 
Dedition  513  =  241  nach  Rom  gebracht  worden  sein;^)  ob  aber  dies 
viergesichtige  Bild  in  Falerii  wirklich  den  Oott  Janus  darstellen  sollte 
oder  nicht  vielmehr  die  römische  Bezeichnung  als  Janus  quadrifrons  nur 
als  ein  Deutungsversuch  anzusehen  ist,  wird  man  mit  um  so  grösserem 
Rechte  fragen  dürfen,  als  von  einem  Kulte  des  Janus  quadrifrons  in 
Rom  nie  die  Rede  ist  und  überhaupt  das  ganze  Denkmal  bis  auf  Domitians 
Zeiten  völlig  in  Vergessenheit  begraben  lag.  Der  einzige  wirkliche  Tempel 
des  Janus,  von  C.  Duilius  in  der  Seeschlacht  bei  Mylae  494  =  260  gelobt, 
lag  vor  der  Porta  Carmentalis  am  Forum  holitorium  und  feierte  seinen 
Stiftungstag  am  Feste  der  Portunalia  (17.  August),  bis  derselbe  nach  einer 
von  Augustus  begonnenen  und  von  Tiberius  17  n.  Chr.  beendeten  Wieder- 
herstellung des  Tempels  auf  den  18.  Oktober,  als  den  Tag  der  Einweihung 
des  Neubaues,  verlegt  wurde. ^)  Wenn  wiederholt  von  einem  Bilde  des 
Janus  die  Rede  ist,  welches  den  Gott  mit  den  Attributen  eines  Schlüssels 
und  eines  Stabes  ausgerüstet  darstellte,^)  so  dürfen  wir  das  jedenfalls  auf 
das  Eultbild  dieses  Tempels  beziehen;  Augustus  ersetzte  dasselbe  durch 
eine  aus  Ägypten  mitgebrachte  Statue  von  Skopas,  die  ursprünglich  wohl 
den  ^Egfi^g  dixätpaXoq  in  Hermenform  darstellte  und  nun  kurzer  Hand  als 
Janus  umgedeutet  wurde.  ^) 

Die  Rolle,  welche  Janus  in  der  Yolksreligion  der  historischen  Zeit 
spielt,  steht  in  gar  keinem  Verhältnisse  zu  Alter  und  Bedeutung  des  ur- 
sprünglichen Kultes;  Weihinschriften  fehlen  in  Rom  und  Italien  gänzlich®) 
und  kommen  auch  in  den  Provinzen  (den  Donauiändem  und  Afrika)  nur 
vereinzelt  vor.^)  um  so  anziehender  war  die  eigenartige  Qestalt  des 
Gottes  für  den  Scharfsinn  der  Gelehrten  und  die  Phantasie  der  Dichter, 
welche  teils  eine  Menge  ätiologischer  Sagen  zur  Erklärung  des  doppel- 
gesichtigen Bildes  und  des  Janusbogens  erfanden,  teils  an  diese  Thatsachen 
die  kühnsten  Hypothesen  über  Wesen  und  Bedeutung  des  Gottes  knüpften. 
Die  Dichter  machten  ihn  zum  Gegenstande  von  allerlei  erotischen  und 


*)  WissowA,  Neue  Jahrb.  f.  klass.  Altert. 

1  1898,  171  f. 

*)  Müllbr-Dbecke,  Etrusker  II  58  ff. 
Dbeckb,  Etr.  Forsch.  11  125  ff.  IV  24  ff. 

•)  Martial.  X  28.  Lyd.  de  mens.  IV  1; 
vgl.  Jobdan,   Hermes  IV  240  ff.;  Topogr.  I 

2  S.  450. 

*)  Serv.  Aen.  VII  607.  Macr.  S.  I  9,  13; 
vgl.  August  c.  d.  Vn  4.  Debcke,  Die  Fa- 
lisker  S.  91  f. 

^)  Tac.  ann.  II  49.  Aust,  De  aedib. 
sacr.  p    15.  44. 


•)  Ovid.  f.  I  99.  Macr.  S.  I  9.  7.  Amob. 
VI  25.  Lyd.  de  mens.  IV  1.  Suid.  s.  *}a¥ov^ 
amog. 

')  Plin.  n.  h.  XXXVI  28.  Vgl.  K.  Wer- 
NiCKE,  Jahrb.  d.  arch.  Instit.  V  1890  S.  148  f. 

^)  Obblli  1583  (angeblich  aus  der  Ge- 
gend von  Albano)  ist  gefäbcht:  CIL  XIV 
162*. 

•)  CIL  III  2881.  2969.  3080.  3158. 5092». 
VIII  2608.  4576;  Suppl.  15577.  16417.  XII 
1065. 


A.  Bi  indigetes.    19.  JaniiB. 


95 


genealogischen  Erzählungen,  die  sie  mit  grosser  Willkür  frei  erfanden;^) 
Ovid  (fast.  VI  101  ff.)  weiss  von  einem  Liebesverhältnisse  mit  Gardea,  der 
Göttin  der  Thürangeln,  zu  erzählen,  bei  andern  ist  er  der  Qatte  der  lati- 
nischen Quellnymphe  Juturna  und  Vater  des  Fontus,*)  noch  andre  gaben 
ihm  die  alte,  halb  verschollene  Göttin  Yenilia  zur  Frau  und  liessen  aus 
dieser  Ehe  eine  Tochter  Ganens,  ein  Abbild  der  griechischen  Echo,  hervor- 
gehen (Ovid.  met.  XIY  320  ff.).  Anknüpfend  an  den  Namen  Janiculum 
und  das  Gepräge  der  ältesten  Kupfermünzen  (Januskopf  und  Schiffsprora) 
reihte  man  ihn  unter  die  vorhistorischen  Herrscher  Latiums  ein  und  er- 
zählte, dass  er  vor  unvordenklichen  Zeiten  auf  dem  Janiculum  als  König 
geherrscht  habe;  nach  der  einen  Überlieferung  war  er  Ureinwohner  des 
Landes  und  teilte  den  Thron  erst  mit  einem  Landesfürsten,  Namens 
Gamese,  der  offenbar  nur  ein  zur  Erklärung  des  uns  wie  den  Alten 
rätselhaften  Namens  Gamesene  =  Latium  erfundener  Eponymus  ist  und 
daher  aus  der  Erzählung  bald  wieder  verschwindet,  dann  mit  Saturnus, 
der  unter  seiner  Regierung  von  Juppiter  vertrieben  zu  Schiff  (daher  die 
Münzbilder)  nach  Latium  kam  und  dort  freundliche  Aufnahme  fand;') 
nach  einer  andern  Version  aber  ist  Janus  selbst  ein  Einwandrer  und  aus 
dem  Perrhäberlande  zur  See  in  Latium  angelangt,  zusammen  mit  seiner 
Schwester  und  Gattin  Gamese,  die  ihm  ausser  zwei  Kindern  Aithex  und 
Olistene  auch  den  Tiberinus,  den  Eponjrmen  des  Tiberflusses,  gebiert;^) 
auf  Janus  wie  auf  Saturnus  werden  dann  allerlei  Kulturerrungenschaften 
und  Erfindungen  (Schiffsbau,  Münzprägung,  Obst-  und  Getreidebau) 
zurückgeführt.^)  Besonders  mannigfaltig  aber  waren  die  Versuche,  die 
der  Verehrung  des  Gottes  zu  Grunde  liegende  Idee  zu  ermitteln ;  während 
die  einen  das  Ghaos,^)  die  andern  das  Himmelsgewölbe,^)  noch  andre  die 
Luft*)  in  Janus  göttlich  verkörpert  glaubten,  hat  unter  den  Neueren  die 
Ansicht  des  Nigidius  Figulus^)  den  meisten  Beifall  gefunden,  welcher  in 
ihm  einen  Sonnengott  erkannte,  eine  Anschauung;  für  welche  deren  Ver- 
treter (BüTTMANN,  ScHWEGLER,  Gebhard,  Preller,  Zander)  einerseits  die 
Etymologie  des  Namens  (=  Divanus  von  Wz.  div  glänzen)  ^®)  andererseits 
die  die  Allwissenheit  des  allschauenden  Tagesgestirnes  versinnbildlichende 
Doppelgesichtigkeit ^*)  ins  Feld  führen;  aber  auch  abweichenden  Anschau- 
ungen hat  es  nicht  an  Verfechtern  gefehlt,  indem  man  den  Gott  als  Symbol 
des  Himmels  (Deecke,")  Linde)  oder  als  ursprünglichen  Windgott  *^)  auf- 


>)  W1S8OWA.  Philol.  Abhandl.  M.  Hertz 
dargebracht  (1888)  8.  162  ff. 

')  Amob.  III  29;  Fontns  wurde  zam 
Sohne  des  Janas  wohl  deshalb,  weil  sein 
Altar  anf  dem  Janicalam  lag  (Cic.  de  leg. 
11  56). 

')  Protarchos  v.  Tralles  and  Hygin  bei 
Macr.  S.  I  7,  19  ff.  and  mehr  bei  Schwboler, 
R.  G.  l  212  ff. 

*)  Fiat.  Q.  R  22.  Drakon  y.  Kerkyra 
bei  Athen.  XV  192  D.  Demophilos  bei  Lyd. 
de  mens.  IV  2.  Serv.  Aen.  VIII  380.  Vgl. 
aneh  Paolin.  Nolan.  carm.  82,  68  ff. 

»)   SCBWBGLBB,  R.   Q.   I   218  f. 

•)  Verrios  Placcus:    Ovid.  f.   I  103  ff. 


Paul.  p.  52. 

')  Varro  bei  August,  c.  d.  VII  7.  8;  vgl. 
Lyd.  de  mens.  IV  2. 

>)  Gavius  Bassus  bei  Lyd.  de  mens.  IV  2; 
im  aUgemeinen  vgl.  Amob.  III  29.  Serv. 
Aen.  VII  610. 

•)  Macr.  S.  I  9,  5  ff.;  einen  älteren  Ge- 
währsmann, Lutatius  Daphnis,  nennt  Lyd. 
de  mens.  IV  2. 

^^)  CoBSSBN,  Beitr.  z.  ital.  Sprachkunde 
S.  305  ff. 

*i)  F.  Marx,  Interpretationum  hexas  (Ind. 
lect.  Rostock  1888/89)  p.  3  ff. 

»»)  Etr.  Forsch.  II  125  ff. 

>*)  RosoHER,  Hermes  der  Windgott  (Lpz. 


96 


Beligion  und  KnltnB  der  BOmer.    IL  GOtterlehre. 


fasste.  Doch  lassen  sich  diese  physikalischen  Deutungen  sämtlich  nur 
durch  Vergewaltigung  der  besten  antiken  Überlieferung  durchführen, 
während  alles,  was  wir  vom  ältesten  Kulte  des  Qottes  wissen,  auf  eine 
viel  einfachere  Vorstellung  führt. 0  ^^^  Name,  dessen  Identität  mit 
dem  Appellativum  ianus^)  nicht  in  Abrede  zu  stellen  ist,  kennzeichnet 
den  Janus  ebenso  deutlich  als  Gott  der  Thüren  und  Thore,  wie  Föns, 
Terminus,  Vesta  als  Oötter  der  Quelle,  des  Grenzsteines  und  des  Herdes 
sichergestellt  sind.  Der  Name  Janus  Geminus  und  die  Bildung  des  Doppel- 
kopfes erhalten  auf  diese  Weise  ihre  ungezwungene  Erklärung,  da  jede 
Thür  sozusagen  doppelgesichtig  ist  und  nach  innen  und  aussen  schaut;^) 
als  göttlicher  Thürhüter  (vgl.  Verg.  Aen.  VII  610  nee  custos  absistit  limine 
lanus)  führt  er  den  schon  im  Salierliede  vorkommenden^)  Beinamen 
Clusius  (Clusivius)  Patulcius  und  die  Attribute  seines  Amtes,  Schlüssel 
und  Portierstab.  Der  insbesondere  so  genannte  ianus  geminus  am  Forum, 
der  aus  der  Unzahl  von  iani  ebenso  hervorragt  wie  z.  B.  der  Herd  der  rö- 
mischen Gemeinde  aus  der  ungezählten  Menge  privater  Feuerstellen, 
bildet  die  Eingangsthür  zum  Staatsmarkte,  in  dessen  Innersten  der  Staats- 
herd des  Vestatempels  gelegen  ist,  und  wenn  dieser  Bogen  den  Beinamen 
ianus  Quirinus  führt, ^)  so  wird  das  dem  Sinne  nach  ungefähr  ebenso  auf- 
zufassen sein,  wie  wenn  die  Göttin  des  Staatsherdes  im  Gegensatze  zu 
der  des  Privathauses  als  Vesta  p.  R.  Quiritium  bezeichnet  wird.  Von 
Janus  als  Gott  des  Einganges  ist  nur  ein  Schritt  zum  Gotte  des  Anfanges, 
da  diese  beiden  Begriffe  einander  entsprechen  wie  Raum  und  Zeit  (vgl. 
inüium);  so  hat  er  die  Herrschaft  über  jeden  Anfang,  er  waltet  über  das 
erste  Entwicklungsstadium  eines  jeden  Dinges,  über  den  Beginn  eines 
jeden  Zeitabschnittes,  seine  Bedeutung  wird  von  Varro*)  zusammen- 
fassend dahin  präzisiert:  penes  lanum  sunt  prima,  penes  lovem  summa. 
Darum  muss  er  am  Anfange  eines  jeden  Gebetes  angerufen  werden, 
darum  ist  sein  Agonium  das  erste  Fest  des  römischen  Kirchenjahres, 
darum  trägt  die  erste  Münze  der  römischen  Münzreihe  seinen  Kopf  und 
erst  die  zweite  den  des  Juppiter;  ihm  ist  vom  Tage  die  Morgenstunde 
heilig  —  daher  heisst  er  matutinus^)  — ,  im  Monate  die  Kalendae,  im 
Jahre  der  erste  Monat,  der  von  ihm  den  Namen  Januarius  führt,  ^)  und  so 


1878)  8.  119  ff.  Röscher  hat  aber  diese  An- 
sicht jetzt  zu  Gunsten  der  auch  im  Text 
von  mir  vertretenen  aufgegeben. 

1)  Vgl.  auch  Hartuno,  Relig.  d.  Römer 
II  219.  MoMMSEN,  Rom.  Gesch.  I  165  Anm. 
Nissen,  Templum  S.  228  f. 

*)  Ueber  dieses  vgl.  Jobdan,  Topogr.  I 
1  S.  29  und  dazu  CIL  VI  23090  sowie  den 
ianus  augustus  der  via  augusta  in  Hispania 
Baetica  (CIL  U  p.  627  ff.). 

')  Ovid.  fast.  I  135  f.:  omnis  habet  ge- 
minaSf  hinc  atque  hinc,  ianua  frontis,  e  qui- 
hu8  haec  populum  spectat,  at  iUa  larem. 

*)  Varro  de  1.  1.  VII  26  nach  der  Her- 
stellung von  Bbbok  und  Jobdan,  Erit.  Beitr. 
S.  223  f.;  vgl  Ovid.  f.  I  129.  Macr.  S.  I 
9,  16.  Serv.  Aen.  VII  610.  Lyd.  de  mens. 
IV  1. 


^)  Ianus  Quirinus  heisst  der  Bogen  am 
Forum  bei  Sueton  Aug.  22;  ebenso  ist  Mon. 
Anc.  2,  42  zu  lesen  und  wohl  auch  bei  Horaz 
carm.  IV  15,  9  anstatt  ianum  Quirini  herzu- 
stellen. Die  landläufige  Auffassung  erklärt 
es  als  Beiwort  des  Gottes  quasi  bellorum 
potentem  ab  hasta,  quam  Sahini  curin  vo- 
cant  (Macr.  S.  I  9,  16).  Ueber  den  angeb- 
lichen Janus  Quirinus  in  der  Formel  der 
spolia  opima  s.  oben  S.  20  Anm.  1. 

•)  Bei  August,  c  d.  VII  9;  vgl.  IV  11 
in  lano  Initiator,  VJI  3  omnium  initiorum 
potestatem  habere  Ianum. 

7)  Hör.  sat.  II  6,  20  Matutine  pater  seu 
lane  Uhentius  audis. 

^)  Ich  halte  die  Ueberliefemng  (Ovid. 
f.  I  44.  Flut.  Numa  18.  Macr.  8. 1  13,  3. 
Lyd.  de  mens.  IV  1),  daas  der  Januar  von 


A.  Di  indigetes.    19.  Janas. 


.97 


verallgemeinert  sich  sein  Begriff  allmälig  zu  dem  eines  Gottes  des  Jahres 
und  des  Zeiten  wechseis.  ^  In  demselben  Sinne  ist  er  auch  der  Gott,  der 
über  den  Anfang  des  Lebens  in  jedem  menschlichen  Individuum  wacht; 
als  Cansevius  steht  er  der  Zeugung  und  Empfängnis  vor  und  eröffnet  die 
lange  Reihe  von  Göttern,  die  das  Leben  des  werdenden  Menschen  von 
der  Gonception  bis  zur  Geburt  begleiten  und  beschützen.*)  Und  ebenso 
bezeichnet  er  auch  in  der  römischen  Götterwelt  den  Anfang,  nur  nicht 
im  Sinne  einer  kosmogonischen  Sage,  die  der  italischen  Mythologie  fremd 
ist;  wenn  Janus  für  den  ältesten  der  Götter  gilt^)  und  mit  besonderer 
Betonung  den  Beinamen  pater  erhält,^)  so  ist  er  damit  nicht  etwa  physisch 
als  Erzeuger  der  übrigen  Götter  gedacht,  sondern  er  tritt  als  divom  deus 
oder  principium  deorum^)  rein  abstrakt  an  die  Spitze  der  Welt-  und 
Götterschöpfung  nicht  anders  wie  er  die  Götterreihen  in  den  Gebets- 
formeln eröffnet;  erst  spätere  gelehrte  Konstruktion  hat  den  Janus  zum 
Weltschöpfer  gemacht.  •) 

In  engster  Beziehung  zu  Janus  stehen,  abgesehen  von  Yesta,  noch 
zwei  Gottheiten  des  ältesten  Kreises,  Mater  Matuta  und  Portunus.  An 
die  Seite  des  matutinus  pater  tritt  Mater  Matuta,  eine  Göttin  des  Früh- 
lichts,') die  dann  aber  entsprechend  der  Auffassung  des  Janus  als  Gon- 
sevius  und  auf  Grund  einer  leicht  verständlichen  Begriffsübertragung  zur 
Geburtsgöttin  geworden  ist;  wie  die  Analogie  von  Juno  Lucina  zeigt,  war 
den  Römern  die  Parallelisierung  der  Geburt  des  Menschen  mit  der  Geburt 
des  Lichtes  aus  der  Finsternis  durchaus  geläufig,  und  Mommsen  (Rom. 
Gesch.  I  162  Anm.)  weist  treffend  darauf  hin,  dass  nach  Ausweis  der 
Vornamen  Manius  und  Lucius  die  Morgenstunde  für  die  Geburt  als  glück- 
bringend galt.  Der  Kult  der  Mater  Matuta  war  in  ganz  Mittelitalien  ver- 
breitet;^) zu  Satricum  im  Yolskerlande  besass  sie  einen  Tempel,  der 
hohes  Ansehen  genoss  und  wiederholt  bei  Zerstörungen  der  Stadt  respek- 
tiert wurde,  •)  einen  andern  Tempel  zu  Gales  kennen  wir  aus  einer  In- 
schrift (CIL  X  4660);  magistrae  matris  Matutae  begegnen  uns  in  Cora 
(CIL  X  6511,  vgl.  8416)  und  in  Praeneste  (CIL  XIV  2997.  3006),  und 
Weihinschriften   zeigen,    dass   sie   sowohl   in   dem    umbrischen  Pisaurum 


Alters  her  den  Anfang  des  12monatlichen 
Jahres  bildete,  keineswegs  fQr  so  verwerf- 
lich, wie  es  Mommsbn,  Chronol.  S.  27  A.  32 
tfant;  vgl.  auch  Gilbert,  Topogr.  1  265.  Eine 
direkte  Beziehung  des  Janus  zur  Neujahrs- 
feier (Aber  diese  s.  Prblleb,  Rom.  Myth.  I 
179  ff.  Mabquabdt,  Staatsverw.  III  266)  ist 
nicht  nachweisbar. 

*)  Die  Stellen  bei  Schweoleb,  R.  G. 
1  220. 

«)  Macr.  8.  I  9,  16.  Tert.  ad  nat.  II  11 
(vgl.  Lyd.  de  mens.  IV  1).  Varro  bei  Aug. 
c.  d.  VI  9.  Vn  2.  3. 

')  Juven.  6,  393.  Herodian.  I  16.  Pro- 
cop.  b.  Goth.  1  25. 

*)  Macr.  S.  I  9,  16  und  mehr  bei  Schweo- 
lbb,  R.  G.  1  223  A.  25. 

^)  Septimius  Serenus  frg.  23, 2  Baehrens. 

•)  z.  B.  Ovid.  fast.  I  103  ff.  M.  Messala 
bei  Macr.  S.  I  9,  14. 

Baadbnoh  der  klAM.  AltertiimBwiweuMchaft.   V  4. 


')  Luor.  V  656 :  tempore  item  certo  roseam 
Matuta  per  oras  aetheris  auroram  differt  et 
lumina  pandit.  Prise.  II  53  (I  p.  76,  18  H.): 
matutinus  a  Matuta,  quae  significat  Auroram 
vel,  ut  quidam,  Aevxo&eay.  üeber  die  Ety- 
mologie des  Namens,  der  mit  mane,  manus, 
maturus  zusammengebracht  wird,  vgl.  Paul, 
p.  122.  125  (Fest.  p.  161.  158).  Non.  p.  66. 
Daher  stammt  wohl  auch  die  Erklärung,  dass 
sie  über  die  frumenta  maturescentia  wache 
(August.  0.  d.  IV  8). 

^)  Ausserhalb  Italiens  CIL  III  Suppl. 
6680  aus  Berytus. 

»)  Liv.  VI  33,  4.  VII  27,  8.  XXVIII  11,  2. 
Wahrscheinlich  ist  es  eben  dieser  Tempel 
der  Mater  Matuta  von  Satricum,  der  neuer- 
dings in  Conca  aufgedeckt  worden  ist  (s. 
namentlich  Babnabei,  Notiz,  degli  Scavi  1896. 
101  f.  195  f.). 


98 


Religion  und  Knltns  der  Römer,    ü.  GOtterlehre. 


(CIL  I  176.  177),  als  wahrscheinlich  auch  bei  den  Oskern  ünteritaliens 
Verehrung  genoss;^  auch  für  das  südliche  Etrurien  darf  ihr  Kult  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  angenommen  werden,  denn  Wesselino  hat  sehr 
einleuchtend  vermutet,  dass  die  von  den  Griechen  bald  als  yievxod-ea,  bald 
als  Eilefd'Via  bezeichnete  Göttin  des  reichen,  von  Dionysios  von  Syrakus 
geplünderten  Tempels  von  Pyrgi,  der  Hafenstadt  von  Caere,  keine  andre 
als  Mater  Matuta  gewesen  sei.^)  An  all  diesen  Orten  wird  sie  in  gleicher 
Weise  als  Geburts-  und  Frauengottheit  verehrt,  überall  sind  es  Frauen, 
die  uns  als  ihre  Priesterinnen  oder  Weihende  entgegentreten.  Denselben 
Charakter  trägt  ihr  Kult  in  Rom;  ihr  altes  Fest,  die  Matralia  am  11.  Juni 
(CIL  I  *  p.  320),  war  eine  Festfeier  der  Matronen,  bei  welcher  allerlei  uralte 
Ritualbestimmungen  noch  zur  Anwendung  kamen;  nicht  nur  blieben  die 
Sklavinnen,  wie  auch  von  manchen  andern  Kulten,  aufs  strengste  ausge- 
schlossen —  diese  Ausschliessung  wurde  bei  den  Matralia  in  der  Weise 
symbolisch  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  eine  Sklavin  hereingeführt  und 
dann  unter  Rutenstreichen  hinausgejagt  wurde  ^)  — ,  sondern  auch  von 
den  Matronen  durften  nur  solche  teilnehmen,  die  in  erster  Ehe  lebten;^) 
die  Opfergabe  bildeten  nach  alter  Art  in  einem  irdenen  Geschirr  gebackene 
Kuchen  {testuafium),^)  und  bei  dem  Gebete  wollte  es  der  Brauch,  dass  man 
erst  der  Geschwisterkinder  und  dann  erst  der  eigenen  Kinder  gedachte,^) 
wohl  eine  Erinnerung  an  eine  vorzeitliche,  von  der  späteren  abweichende 
Auffassung  des  Verwandtschaftsverhältnisses.  Wo  die  Matralia  in  älterer 
Zeit  begangen  wurden,  wissen  wir  nicht;  einen  Tempel  erhielt  die  Göttin 
erst  im  Jahre  358  =  396  durch  Camillus,  und  zwar  am  Forum  boarium 
in  der  Nähe  des  Fortunentempels;')  wenn  die  Überlieferung  (Liv.  V  19,  6) 
den  Bau  nur  als  die  Wiederherstellung  eines  bereits  von  Servius  Tullius 
gegründeten  Tempels  bezeichnet,  so  liegt  darin  höchstens,  dass  das  Heilig- 
tum des  Camillus  an  die  Stelle  eines  alten,  unscheinbaren  Sacellum  trat, 
über  dessen  Entstehung  eine  sichere  Tradition  nicht  vorhanden  war;  das 
Stiftungsfest  des  Tempels  fiel  mit  den  Matralia  zusammen. 

Am  Ausgange  der  republikanischen  Zeit  hat  der  klügelnde  Scharfsinn 
der  Mythologen  die  Mater  Matuta  mit  der  griechischen  Leukothea  gleich- 
gesetzt, wofür  einige  Analogien  in  den  Kultgebräuchen  Anhaltspunkte 
boten,^)  und  diese  bald  aufgenommene  Gleichung^)  ist  bei  Ovid  (fast.  VI 


^)  Wird  auch  das  maatüU  der  iDSchrift 
von  Agnone  jetzt  richtiger  auf  die  Manen 
bezogen,  so  darf  man  doch  wohl  die  Worte 
einer  heneventanischen  Inschrift  (Zvetaibff, 
Inscr.  Ital.  inf.  nr.  108)  sakaraklum  maa- 
tre(s  =  sacellum  matris  für  Mater  Matuta 
in  Anspruch  nehmen,  da  ja  auch  ihr  Fest 
in  Rom  schlechthin  Matralia  heisst  (Paul, 
p.  125). 

^)  Vgl.MüLLBB-DEECKE,  Etruskor  II  54  f. 
und   die   Stellen  ebenda  I  189.     Die  mater 
magna  Matuta  einer  Inschrift  von   Monte- 
pulciano  beruht  auf  Fälschung  (CIL  VI  532*.' 
533*). 

»)  Ovid.  f.  VI  481.  551  flF.  Plut.Camill.5; 
Q.  R.  16. 

^)  Tertull.  de  monogam.  17. 


»)  Varro  de  1.  1.  V  106.  Ovid.  f.  VI 
482.  531  ff.;  Opferkuchen  spielen  gerade 
auch  im  Kulte  des  Janus  eine  grosse  Rolle, 
Paul.  p.  104.  Varro  bei  Lyd.  de  mens.  IV  2. 
Ovid.  f.  I  127.  276. 

•)  Ovid.  f.  VI  559  ff.  Flut.  Camill.  5; 
Q.  R.  17. 

')  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  484.  Gilbert, 
Topogr.  III  436  f. 

^)  Plut.  Garn.  5;  ein  wichtiges  Argu- 
ment bildete  der  Umstand,  dass  auch  im 
Heiligtum e  der  Leukothea  zu  Chaironeia 
Sklaven  und  Sklavinnen  der  Zutritt  verboten 
war  (Plut.  Q.  R.  16);  doch  kommt  diese  Mass- 
regel in  vielen  Kulten  vor  (Dibls,  Sibyll. 
Blätter  S.  96  f.). 

*)  Cic.  Tusc.  I  28;  de  nat.  deor.  ITI  48. 


A.  Di  indigetes.    19.  Janas. 


99 


473  fP.)  zu  einer  ausführlichen  Darstellung  verarbeitet:  Ino  wird,  nachdem 
sie  sich  mit  ihrem  Sohne  Melikertes  ins  Meer  gestürzt,  an  die  Mündung 
des  Tiber  getragen  und  erfährt  bei  Carmentis  freundliche  Aufnahme  samt 
der  Prophezeiung,  dass  ihr  und  ihrem  Sohne  göttliche  Ehren  bestimmt 
seien  und  das  Paar  von  den  Griechen  als  Leukothea  und  Palaimon,  von 
den  Italikern  als  Matuta  und  Portunus  verehrt  werden  solle.  Erst  so 
kam  man  dazu,  die  Mater  Matuta  als  eine  See-  und  Schiffahrtsgöttin  auf- 
zufassen (Amob.  ni  23),  worauf  in  ihrem  Kult  nichts  hindeutet,  i) 

Wenn  in  der  ovidischen  Erzählung  mit  Mater  Matuta  Portunus  ver- 
bunden ist,  so  geschieht  das  vor  allem  der  Identification  mit  dem  grie- 
chischen Hafengotte  Palaimon  zu  Liebe;  aber  die  Verbindung  ist  darum 
nicht  schlecht  gewählt,  weil  in  der  That  Portunus  wie  Matuta  zum  Kreise 
des  Janus  gehört,*)  wie  mit  Sicherheit  schon  daraus  hervorgeht,  dass  der 
Stiftungstag  des  Janustempels  am  Marcellusth^ater  auf  das  Fest  der  Portu- 
nalia  gelegt  wurde  (S.  94).  Der  Portunus  pater  (Verg.  Aen.  V  241),  dessen 
Zugehörigkeit  zum  ältesten  Götterkreise  nicht  nur  durch  die  Festfeier  der 
Portunalia  (17.  August),  sondern  auch  durch  die  Existenz  eines  eigenen 
Flamen  Portunalis  ^)  sichergestellt  ist,  stellt  eine  Art  Abzweigung  vom 
Machtbereiche  des  Janus  dar.  Beide  Gottheiten  verhalten  sich  zu  einander 
wie  die  Begriffe  porta  und  portus,  die  von  Haus  aus  identisch  sind,  bis  sich 
das  letztere  Wort  im  Wege  der  Begriffsverengerung  auf  die  Bedeutung 
des  Eingangs  vom  Flusse  oder  Meere  her,  also  des  Hafens,  beschränkt.^) 
So  war  auch  Portunus  nach  der  Definition  Varros  (Schol.  Veron,  zu  Verg. 
Aen.  V  241)  der  deus  portuum  j^ortarumque  praeses,  und  dass  unter  seinen 
Funktionen  der  Schutz  der  Thüren  voranstand,  geht  schon  daraus  hervor, 
dass  man  ihn  wie  Janus  mit  einem  Schlüssel  in  der  Hand  abbildete 
(Paul.  p.  56).  Erst  in  zweiter  Linie  wurde  er  Gott  des  Hafens*)  und 
erhielt  als  solcher  an  der  alten  Landungsstelle  am  Tiber  {in  portu  Tiberino) 
unweit  des  nachmaligen  Pens  Aemilius,  wo  auch  die  Feier  des  alten 
Portunalienfestes  stattfand,®)  einen  eigenen  Tempel,  dessen  Fest  die  Ealen- 
darien  am  Tage  der  Portunalia  verzeichnen. 

Litteratur:  üeber  JaDUs  s.  C.  M.  Zander,  Carminis  Saliaris  reliquiae,  Lundae  1889 
S.  39  ff.  RoBOHER,  Mythol.  Lexik.  II  15  ff.  S.  Lindb,  De  Jano  summo  Romanorum  deo, 
Lundae  1891  (dazu  Deutsche  Litter. -Ztg.  1892,  77).    J.  S.  Spbyer,  Le  dieu  Romain  Janus, 


Serv.  Aen.  Y  241;  Georg.  I  437.  Prob,  zu 
Verg.  Georg.  1  437.  Non.  p.  66.  Lact.  I 
21,  23.  Aug.  c.  d.  XVIII  14.  Hygin.  fab. 
2.  224. 

>)'VgL  Merkel,  Ovid.  fast.  p.  CCXVI. 
MoHMSEN,  Rom.  Gesch.  I  162  Anm. 

')  Obblu  1885  lano  Portuno,  angeb- 
lich ans  Spoletium,  ist  als  ligorianisch  ver- 
dftcfaüg. 

•)  Fest.  p.  217:  perHUum  vocant  aacer- 
doUs  rudusculum  pictUum,  ex  quo  unguine 
flatnen  Portunalis  arma  Quirini  unguit. 

*)  Die  Bedeutung  porta  (nicht  domus, 
wie  YerriuB  Flaccus  falsch  erklärte)  hat 
yortus  noch  in  dem  Fragmente  der  12  Tafeln 
bei  Fest.  p.  233  (vgl.  375):  cui  testimonium 
defueritf  is  tertiis  diehus  oh  portum  obvagu- 


latum  ito.   Vgl.  Jordan,  Topogr.  IIS.  429  f. 

*)  Cic.  de  nat  d.  II  66.  Ovid.  f.  VI 
546  f.  u.  a. 

•)  Varro  de  1.  1.  VI  19,  von  Mommsen, 
CIL  P  p.  325,  der  Portunus  und  Tiberinus 
identifiziert,  fälschlich  auf  eine  Feier  in  Ostia 
bezogen ;  vgl.  Jordan  zu  Prbller,  Rom.  Myth. 
II  133,  1.  Der  Name  Portunium  für  die  Ge- 
gend am  Pens  Aemilius  findet  sich  noch  bei 
Fronte  ep.  ad  M.  Caes.  I  7  p.  19,  1  Nah. 
und  Varro  de  1.  1.  V  146  (emendiert  von 
Jordan,  Topogr.  II  257).  Die  Worte  Varros 
(Schol.  Veron.  z.  Verg.  Aen.  V  241)  huius  dies 
festus  Portunalia,    qua  apud  veteres    claves 

in  focum  ad mare  institutum  harren 

noch  einer  überzeugenden  Herstellung. 


100  Religion  und  KnltiiB  der  ROmer.    ü.  GOtterlehre. 

Revue  de  rhistoire  d.  relig.  XXVI  1892,  1 — 47.    üeber  Mater  Matata  Wissowa,  RoBchera 
Lexik.  II  2462  ff. 

20.  Juppiter.  Selten  gibt  schon  der  Name  eines  Gottes  so  klare 
und  erschöpfende  Auskunft  über  die  ursprüngliche  Natur  desselben,  wie 
es  bei  Juppiter  der  Fall  ist.  Der  wie  Marspiter  zusammengesetzte  Name 
hat  zur  Voraussetzung  die  einfache  Form  lovisy  die  wieder  aus  älterem 
Diovis  hervorgegangen  ist;  beide  Formen  finden  sich  nebeneinander  im 
Altlateinischen  und  Oskischen,  während  das  ümbrische  (wie  andre  italische 
Mundarten)  nur  die  durch  Abfall  des  anlautenden  d  entstandenen  Formen 
kennt  ;^)  der  anlautende  Konsonant  hat  sich  aber  immer  erhalten  in  den 
Formen  Dius  und  Diespiter,  die  sich  sprachlich  und  begrifflich  mit  Diovis 
und  Diovis  pater  decken  und  erst  durch  den  Unverstand  späterer  Zeit  als 
Namen  von  Juppiter  verschiedener  Götter  aufgefasst  worden  sind.^)  Dass 
der  Name  auf  die  idg.  Wurzel  di-  {div-),  glänzen,  zurückgeht  und  der  Gott 
dadurch  als  Gott  des  Himmels  bezeichnet  wird,  darf  als  ausgemacht  gelten. 
Auch  in  der  lateinischen  Sprache  prägt  sich  das  Bewusstsein,  dass  Juppiter 
der  Himmelsgott  ist,  noch  in  zahlreichen  Metaphern  des  dichterischen  Aus- 
druckes aus,  in  denen  Juppiter  nicht  etwa  wie  in  der  griechischen  Vor- 
stellung {vei  /i^r  0  Zevq)  als  der  persönlich  gedachte  Lenker  und  Veran- 
stalter der  Himmelserscheinungen  auftritt,  sondern  rein  begrifflich  mit  dem 
Himmel  identifiziert  wird;  z.  B.  Horat.  carm.  I  1,  25  manet  sub  love 
frigide  venator,  122,  20  quod  latus  mundi  nebulae  malusque  luppiter 
urget,  JIl  10,  7  ut  glaciet  nives  puro  numine  luppiter.  Die  Verehrung 
des  Gottes  erstreckt  sich  über  ganz  Italien,  und  überall,  wo  uns  die  spär- 
lichen Nachrichten  ein  Urteil  gestatten,  ist  seine  Bedeutung  als  Himmels- 
gott deutlich  erkennbar ;  insbesondere  scheint  der  Beiname  Lucetius,  ,Licht- 
bringer*,  unter  welchem  in  Rom  die  Salier  den  Gott  anriefen,')  ein  allge- 
mein italischer  gewesen  zu  sein.^) 

Die  altrömische  Auffassung  des  Juppiter  tritt  uns  aus  den  Ver- 
ehrungsformen des  Staatskultes  mit  voller  Deutlickeit  entgegen :  Lage  und 
Bestimmung  der  dem  Juppiter  gewidmeten  Festfeiern  und  die  Funktionen 
der  für  den  Dienst  des  Gottes  bestimmten  Priester,  insbesondere  des  Flamen 
Dialis,  erlauben  sichere  Rückschlüsse  auf  die  der  Kultordnung  zu  Grunde 
liegenden  Anschauungen.     Dem  Juppiter  sind  alle  Idus,  die  Vollmondstage, 


*)  Osk.  Diuvei  Zvetaieff,   Syll.   inscr.  i   Summanum  und  flamen  Quirinalis  von  Sum- 

Ose.  nr.  9   A  11.    12.   B    14.    15;   nr.   146;  i   manus  bezw.  Quirinus.    ßemerkenswert  ist 

aber  auch  luveis  (ebd.   nr.  3  und  62)  und  |   das  Beiwort  Dianus,  das  Juppiter  auf  einer 

luvet  (nr.  34).     Altlateinisch   steht  love  auf  Inschrift  von  Aquileja  CIL  V  783  (lovi  Dianö) 

dem  (^efäss  vom  Esquilin  (Drbssel,  Annali  !  führt.    Diespiter  ist  nicht  Compositum,  son- 

d.  Tust.  1880,  158  ff.)  und  in  der  Inschrift  des  dern  Zusammenschreibung  wie  AfaurptVfr.  Ety 


Haines  von  Spoletium  (Bormamn,  Miscell. 
Capitolina  p.  6  ff.),  dagegen  Diovei  u.  a.  auf 
archaischen  Weihinschriften  aus  Rom  (CIL 
VI  136.  357.  438)  und  Praeneste  (CIL  XIV 
2863).  Die  iguvinischen  Tafeln  kennen  nur 
Formen  wie  luve  (Dat.)  und  lupcUer,  luve 
patre.  Ueber  die  Schreibung  luppiter  und 
Jupiter  vgl.  Jordan,  Hermes  XVI  51  f. 

')  Dass  Dius  =  Diovis  ist,  beweisen 
Vedius  neben  Vediovisy  fulgur  Dium  und 
flamen  Dialis  von  Dius  gebildet,  wie  fulgur 


mologische  Versuche  der  Alten  bei  Varro  de 
1.  1.  V  66.    Paul.  p.  71.  87  u.  a. 

»)  Maor.  S.  I  15,  14;  vgl.  Paul.  p.  114. 
Gell.  V  12,  6.  Ueber  die  aus  dem  Salier- 
liede  überlieferte  Form  Leucesie  vgl.  C.  M. 
ZandeBi  Carminis  Saliaris  reliquiae  (Lund 
1888)  p.  35.  Maürenbrbcheb,  Jahrb.  f.  Philo!. 
Suppl.  XXI  338. 

^)  Fflr  die  Osker  bezeugt  durch  Serv. 
Aen.  IX  567;  vgl.  Mommsbn,  Unterital.  Dial. 
S.  274. 


A.  Di  indigetoB.    20.  Jappiter. 


101 


heilig,  weil  an  ihnen  das  himmlische  Licht  Tag'  und  Nacht  ununterbrochen 
andauert;')  an  diesem  Tage  wurde  allmonatlich  das  dem  Juppiter  bestimmte 
Opfertier,  ein  weisses  Schaf  (ovis  Idulü),  in  feierlichem  Zuge  über  die  alte 
Prozessionsstrasse,  die  sacra  via,  durch  die  Stadt  bis  auf  die  Burg  geführt 
und  dort  geopfert.')  Daher  sind  auch  in  den  Ealendarien  sämtliche  Idus  als 
Festtage  gekennzeichnet  und  mit  der  Beischrift  feriae  lovis  versehen, ')  und  die 
Stiftungstage  von  Juppitertempeln  (13.  Sept.  Juppiter  Optimus  Maximus,  13. 
April  Juppiter  Victor,  13.  Juni  Juppiter  Invictus,  vielleicht  13.  Januar  Jup- 
piter Stator,  s.  u.)  sowie  die  beiden  epula  lovis  (13.  Sept.,  13.  Nov.)  fallen  auf 
die  Idus.  Von  den  Festen  der  ältesten  Kalendertafel  gehören  dem  Juppiter 
vor  allem  die  Feiern  der  Weinlese,  was  leicht  erklärbar  ist,  da  das  edelste 
und  von  der  Qunst  des  Himmels  am  meisten  abhängige  Produkt  des 
heimischen  Bodens^)  dem  Schutze  des  Himmelsgottes  ganz  besonders  em- 
pfohlen werden  musste.  Dem  Juppiter  gilt  daher  das  am  19.  August 
gefeierte  Fest  der  Yinalia  oder,  wie  es  zum  Unterschiede  von  dem  zweiten 
gleichnamigen  Festtage  genannt  wurde,  Yinalia  rustica,^)  wie  dieser  Name 
sagt,  nicht  in  der  Stadt,  sondern  draussen  in  den  Weinbergen  begangen, 
wahrscheinlich  zur  Fürbitte  für  das  Gedeihen  der  Weinstöcke  und  das 
Fembleiben  aller  Schädigungen  in  dieser  letzten,  für  den  Ausfall  der 
Ernte  entscheidenden  Zeit.^)  Der  Beginn  der  Lese  selbst  war  nicht  auf 
ein  Datum  fixiert,^)  sondern  wurde  je  nach  dem  Stande  der  Trauben 
angesetzt  (Digest.  H  12,4);  die  Eröffnung  der  Lese  geschah  noch  in  Varros 
Zeit  durch  den  Priester  des  Juppiter,  den  Flamen  Dialis,  der  dem  Jup- 
piter ein  Lamm  {agna)  opferte  und  inter  exta  caesa  et  porreda  die  erste 
Traube  schnitt.®)  Den  Schluss  der  Weinlese  bezeichnete  das  Fest  der 
Meditrinalia  am  11.  Oktober,  an  dem  man  den  jungen  Most  zum  ersten- 
male  verkostete;  da  man  diesem  eine  besondre  Heilkraft  zuschrieb 
und  diesem  Glauben,  durch  einen  alten  Spruchvers,  den   man   an  diesem 


')  Macr.  8. 1  15,  14:  Iduum  porro  nomen 
a  Tuseis,  apud  quoa  is  diealtis  vocatur,  sump- 
tum  est.  Item  autem  Uli  interpretantur  lovis 
fiduciam    nam  cum  lovem  aceipiamus  lacis 

auctorem iure  hie   dies  lovis  fiducia 

voeatur,  cuius  lux  tum  finitur  cum  solis  oc- 
easuy  sed  splendorem  diei  et  noctem  eontinuat 
inlustrante  luna;  quod  semper  in  plenilunio 
id  est  medio  mense  fieri  solet:  diem  igitur, 
qui  vel  noeturnis  caret  tenebris,  lovis  fidu- 
ciam Tusco  nomine  vocaverunt;  unde  et  om- 
nes  Idus  lovis  ferias  observandas  sanxit  anti- 
quüas;  vgl.  I  15,  18.  Lyd.  de  mens.  III  7. 
Fiat.  Q.  R.  24. 

«)  Varro  de  1.  1.  V  47.  Fest.  p.  290 »>. 
Paul.  p.  104.  Ovid.  fast.  J  56.  588.  Macr. 
S.  l  15,  16. 

')  In  den  erhaltenen  Exemplaren  ist  die 
Beischrift  feriae  lovis  mehrfach  weggelassen, 
doch  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  sie 
in  den  vollständigen  Exemplaren  bei  allen 
Idus  sich  vorfand.  Dass  die  Idus  erst  durch 
Caesar  den  Tagescharakter  fsp  (bezw.  N  im 
Juni)  erhalten  hätten,  ist  eine  ganz  unbe- 
grOndete  Annahme  von  W.  Soltau,   Jahrb. 


f.  Phüol.  CXXXIII  1886,  279  f. 

*)  Ueber  das  Alter  des  Weinbaus  in 
Italien  vgl.  Nibsbn,  (tal.  Landeskunde  1  441 
und  die  von  M.Voigt  in  diesem  Handb.  IV  2* 
8.  301  Anm.  73  angeführte  Litteratur. 

6)  Varro  de  1.  1.  VI  20.  Fest.  p.  265; 
Paul.  p.  264  verwechselt  die  beiden  Vinalia. 

^)  Hüne  diem  festum  tempestatibus  Jenien- 
dis  instüutum  Varro  bei  Plin.  n.  h.  XVIII 
289;  der  Zeitpunkt  entspricht  etwa  dem, 
wann  heutzutage  am  Rhein  die  Weinberge 
geschlossen  werden. 

^)  Die  Lese  föllt  in  den  September  und 
Oktober,  vgl.  Colum.  XI  2,  64  ff.  und  die 
Menologia  rustica  (CIL  V  p.  281),  welche  die 
vindemiae  im  Oktober  ansetzen. 

•)  Varro  de  1.  1.  VI  16,  der  davon  bei 
Gelegenheit  der  Vinalia  priora  erzählt,  aber 
nicht,  als  wenn  diese  mit  der  Weinlese  zu- 
sammenhingen, sondern  nur  zum  Beweise 
dafür,  dass  huius  rei  (der  Wein)  cura  non 
levis  in  Latio,  Die  Behandlung  der  Frage 
nach  der  Bedeutung  der  Vinalia  rustica  durch 
MoMMS£N,  CIL  P  p.  326  scheint  mir  nicht 
glflcklich. 


102 


Religion  and  Knltus  der  BOmer.    II.  Götterlehre. 


Tage  herzusagen  pflegte,  Ausdruck  gab,0  so  hat  man  später  aus  diesem 
Feste  eine  eigne  Göttin  Meditrina  herleiten  wollen  (Paul.  p.  123),  die  nie 
anderswo  als  im  Kopfe  spekulierender  Grammatiker  existiert  hat;  dass 
das  Fest  dem  Juppiter  galt,  steht  durch  das  Zeugnis  der  fasti  Amiternini 
fest.  Das  dritte,  ebenfalls  mit  einer  Weinspende  an  Juppiter  verbundene 
Weinfest,  die  Vinalia  priora  am  23.  April,  galten  der  Einführung  des 
nunmehr  nach  vollendetem  Gärungsprozesse  trinkbar  gewordenen  vor- 
jährigen Weines  in  die  Stadt ')  und  entsprachen  ziemlich  genau  den  atheni- 
schen Ilix^oiyia^  an  denen  man  ähnliche  fromme  Wünsche  für  die  eigene 
Gesundheit  während  des  Jahres  aussprach,  wie  zu  Rom  an  den  Meditrinalia 
(Plut.  quaest.  conv.  III  7,  1).  Je  deutlicher  die  Bedeutung  dieser  Feste 
und  ihre  Beziehung  zum  Himmelsgotte  hervortritt,  umso  dunkler  ist  das 
Wesen  zweier  weiteren  Juppiterfeste  des  ältesten  Kalenders,  auf  deren 
Deutung  wir  verzichten  müssen,  da  uns  dafür  keinerlei  authentisches 
Material  zu  Gebote  steht  und  die  besten  alten  Zeugen  bereits  darüber 
nichts  weiter  vorzubringen  wissen  als  mehr  oder  weniger  willkürliche 
Deutungen  des  Namens:  es  sind  die  Poplifugia  am  5.  Juli')  und  ein 
Juppiterfest  des  23.  Dezember,  dessen  Namen  wir  nicht  kennen  und  dessen 
Bedeutung  durch  das  auf  denselben  Tag  fallende  Totenfest  der  Larentalia 
völlig  verwischt  worden  ist;*^)  ein  innerer  Zusammenhang  zwischen  den 
zufällig  am  gleichen  Tage  begangenen  Festen  des  Juppiter  und  der  Larenta 
ist  dadurch  ausgeschlossen,  dass  der  erstere  als  Himmelsgott  aufs  strengste 
jede  Berührung  mit  dem  Kulte  der  Unterwelts-  und  Todesgottheiten  ab- 
weisen musste:  durfte  doch  sein  Priester,  der  Flamen  Dialis,  einem  Grabe 
oder  einer  Leiche  unter  keinen  Umständen  sich  nahen  und  Dinge,  die 
mit  dem  Todtendienste  in  Beziehung  standen,  wie  Bohnen  oder  die  Ziege, 
weder  berühren  noch  auch  nur  bei  Namen  nennen.^) 

Was  die  ältesten  Kultstätten  des  Juppiter  betsifft,  so  haftet  einem 
bei  den  verschiedensten  Völkern  sich  findenden  Brauche  entsprechend  die 
Verehrung  des  Himmelsgottes  in  Rom  wie  in  ganz  Italien  vorzugsweise 
an  den  Höhen,  und  für  die  meisten  römischen  Hügel  lassen  sich  alte  Jup- 
piterkulte  nachweisen.^)  Aber  der  Staatskult  und  der  spezielle  Dienst 
des  Flamen  Dialis  müssen  sich,   ebenso  wie  es  bei  Mars,  Quirinus,  Vesta 


')  Noeum  vetuB  vinum  bibo,  novo  veteri 
morho  medeor,  Varro  de  1.  1.  VI  21.  Paul, 
p.  123. 

«)  Varro  de  1. 1.  VI  16.  Plin.  n.  h.  XVIII 
287.  Ovid.  fast.  IV  863  ff.  Paul.  p.  65.  374; 
vgl.  MOKMSEK,  CIL  P  p.  316. 

')  Als  fericie  lovis  bezeugt  durch  die 
fast.  Amit.,  vgl.  Cass.  Dio  XLVIl  18;  für  die 
Deutungsversuche  der  Alten  s.  die  Stellen- 
sammlung bei  Mabquabot,  Staatsverw.  111 
325.    MoMMSBK,  CIL  I>  p.  320  f. 

^)  Feriae  lovis  nach  Macr.  S.  I  10, 11  und 
fast.  Praen.  Vgl.  Wissowa,  De  feriis  anni 
Rom.  p.  XL 

6)  Gell.  X  15,  12.  24.  Paul.  p.  87.  Plin. 
n.  h.  XVIII  119.    Plut.  Q.  R.  111. 

*)  Auf  dem  EsquiUn  liegt  das  Sacellum 
des  Juppiter  Faguiuis  (Varro  de  1. 1.  V  152. 


Paul.  p.  87.  Plin.  n.  h.  XVI  37.  CIL  VI  452), 
femer  kennen  wir  einen  Juppiter  Viminos 
(Varro  de  L  1.  V  51.  Fest.  p.  376).  einen 
Juppiter  Caelius  (CIL  VI  334)  und  einen 
alten  Kult  auf  dem  Quirinal  (Martial.  V  22,  4. 
VII  73,  4).  Ausserhalb  Roms  vgl.  ausser 
dem  Juppiter  Latiaris  auf  dem  Mons  Albanus 
(s.  u.)  Juppiter  Appeninus  (Obelli  1220.  CIL 
VIII 7961),  Juppiter  Poeninus  (CIL  V  6865  ff., 
vgl.  Babnabbi,  Rendic.  d.  R.  Accad.  d.  Lincei 
Vol.  III  1887  fasc.  2  p.  363  ff.),  Juppiter 
Vesuvius  (CIL  X  3806),  Juppiter  Ciminius 
(CIL  XI  2688);  auch  der  sabinische  Juppiter 
Cacunus  (CIL  IX  4876;  vgl.  VI  371)  und  der 
Juppiter  Culminalis  in  Noricum  und  Panno- 
nien  (CIL  III  3328.  4032.  4115.  5186;  Suppl. 
10303.  11673  u.  a.)  gehören  hierher. 


A.  Di  indigetes.    20.  Jappiter. 


103 


u.  8.  w.  der  Fall  war,  an  ein  bestimmtes  Heiligtum  angeschlossen  haben, 
und  dieses  lag  seit  der  Vollendung  des  Synoecismus  von  Berg-  und  Hügel- 
römern auf  dem  Mens  Capitolinus,  dessen  beide  Gipfel  Sitze  des  Juppiter- 
dienstes  waren;  auf  der  höheren  nördlichen  Anhöhe,  der  arx,  befand  sich 
die  Beobachtungsstätte  der  Augurn  und  nach  ihr  führte  die  Prozession  die 
Sacra  Idulia,^)  während  der  südliche  Gipfel,  später  dem  Juppiter  Optimus 
Maximus  geweiht,  das  älteste  Heiligtum  des  Gottes  trug.  Hier  lag  eine 
der  Sage  nach  von  Romulus  gestiftete  Kapelle  des  Juppiter  Feretrius, 
die  noph  Augustus  bei  seinem  Neubau  des  Tempels  aufs  sorgfältigste 
erhielt;')  das  hohe  Alter  des  Heiligtums  wird  dadurch  sicher  gestellt,  dass 
der  Kult  hier  noch  ein  bildloser  war  und  an  Stelle  einer  Statue  des  Gottes 
in  dem  Tempelchen  vielmehr  ein  Symbol,  der  heilige  Feuerstein  {silex), 
aufwahrt  wurde,')  in  dem  wir  wohl  ein  Abbild  des  Donnerkeils,  einen  Hin- 
weis auf  den  im  Gewitter  waltenden  Himmelsgott,  zu  erkennen  haben;  daher 
führt  der  hier  verehrte  Gott  auch  den  Namen  Juppiter  Lapis.  Dass  gerade 
an  dieses  Heiligtum  der  älteste  Staatskult  des  Juppiter  anknüpft,  ergibt 
sich  daraus,  dass  sowohl  bei  der  Weihung  der  spolia  opima  als  im  Ritual 
der  Fetialen  der  mit  Mars  und  Quirinus  verbundene  Juppiter  als  Juppiter 
Feretrius  bezw.  Juppiter  Lapis  bezeichnet  wird.^)  Gerade  das,  was 
wir  von  den  auf  dieses  älteste  Heiligtum  bezüglichen  gottesdienstlichen 
Handlungen  wissen,  lässt  uns  erkennen,  wie  die  Idee  des  Himmelsgottes 
schon  in  früher  Zeit  auf  das  ethische  und  politische  Gebiet  übergriff: 
während  wir  eine  direkte  Beziehung  der  besprochenen  Juppiterfeste  des 
Kalenders,  in  denen  die  einfachste  Auffassung  noch  deutlich  erkennbar 
ist,  zu  diesem  ältesten  Heiligtume  nicht  mehr  nachweisen,  sondern  nur  ver- 
muten können,  tritt  uns  hier  Juppiter  in  zwei  anderen  Funktionen  ent- 
gegen, als  Schützer  von  Recht  und  Treue  und  als  Verleiher  des  Sieges 
im  Kampfe.  Dass  man  die  Gottheit  des  überall  sichtbaren  und  alles 
sehenden  Himmelsgewölbes  zum  Schirmherren  von  Recht,  Treue  und  Wahr- 
heit erhebt,  ist  eine  ebenso  geläufige,  wie  durchsichtige  Übertragung.  So 
wird  Juppiter  zum  Schwurgotte,^)  und  insbesondere  enthält  der  Schwur 
beim  Juppiter  Lapis  die  heiligste  und  schwerste  Bekräftigung.^)  In  solcher 
Eigenschaft  heisst  der  Gott  Diovis  oder  Dius  Fidius,  d.  h.  Zevq  maxiog^  und 
daraus  ist  allmälig  eine  eigne  Gottheit  als  Schwurgott  für  den  täglichen 
Gebrauch  und  das  Privatleben  entstanden,  während  der  Schwur  beim  Jup- 
piter Lapis  dem  völkerrechtlichen  Verkehre  vorbehalten  blieb;  auf  der 
anderen  Seite  hat  die  in  der  besonderen  Obhut  des  Juppiter  Fidius  stehende 
Tugend  der  Treue   und  Wahrhaftigkeit,    die  Fides,  in   verhältnismässig 


*)  Varro  de  1. 1.  V  47 :  hinc  oritur  captU 
sacrtie  piae,  qucte  pertinet  in  arcem,  qua  Sa- 
cra quotquot  menaibus  fei'untur  in  arcem  et 
per  quam  augures  ex  arce  profecti  soJent 
inaugurare  (vgl.  Fest.  p.  290 :  quöd  eo  itinere 
utantur  saeerdotes  idulium  conficiendorum 
causa usque  in  arcem). 

*)  Zeugnisse  bei  SoHWEeLEB,  Rom.  Gesch. 
I  461  f.    JoRDAH,  Topogr.  I  2  S.  47. 

»)  Paul.  p.  92;  vgl.  Serv.  Aen.  VIII  641. 

*)  Fest.  p.  189.    Polyb.  in  25,  6. 


*)  Vgl.  Verg.  Aen.  XII  200:  audiat  haec 
genitar,  qui  foedera  f ulmine  sancit.  Enn.  trag, 
frg.  380  Ribb. :  o  Fides  alma  apta  pinnis  et 
iusiurandum  lovis  (vgl.  Trag.  ine.  frg.  219 
Ribb.).  luppUer  lurarius  CIL  VI  379  und 
wahrscheinlich  auch  V  Suppl.  Ital.  1272. 

•)  Cic.  ep.  VII  12,  2.  Gell.  1  21,  4. 
Apul.  de  deo  Socr.  5.  Paul.  p.  115.  Vgl. 
dazu  auch  I.  M.  J.  Valeton,  Provincial  Ut- 
rechtsche  Genootschap  van  Künsten  en  Weten- 
schappen  26.  Juni  1883. 


104 


Religion  and  Knltas  der  BOmer.    II.  GOtterlehre. 


früher  Zeit  einen  eigenen  Kult  und  ein  Heiligtum  in  unmittelbarer  Nach- 
barschaft der  capitolinischen  Kapelle  des  Juppiter  Lapis  erhalten ;  dass  ihre 
Verehrung  aus  der  des  Juppiter  hervorgegangen  ist,  zeigt  sich  darin,  dass 
das  alljährliche  Opfer  der  Fides  nach  bestimmtem  altertümlichen  Ritus 
durch  die  drei  grossen  Flamines,  an  deren  Spitze  der  Flamen  Dialis  stand, 
vollzogen  wurde  (s.  u.  §  22).  In  engster  Beziehung  zum  Juppiter  Lapis 
als  dem  Schützer  der  Treue  im  Verkehre  der  Völker  und  Staaten  unter 
einander  stehen  die  priesterlichen  Vertreter  internationalen  Rechtes,  die 
Fetialen:  aus  dem  Heilgtume  des  Juppiter  Feretrius  entnehmen  sie  die 
ehrwürdigen  Symbole  des  silex  und  (später)  des  Scepters,  mit  denen  aus- 
gerüstet sie  gewissermassen  als  menschliche  Repräsentanten  des  Treu- 
gottes ihres  Amtes  walten,^)  von  der  arx,  also  ebenfalls  einer  Kultstätte 
des  Juppiter,  empfangen  sie  die  heiligen  Kräuter  {sagmina),  die  ebenso  wie 
der  silex  in  Ceremoniell  ihrer  Funktionen  eine  wichtige  Rolle  spielen;*) 
an  Juppiter  Lapis  (daneben  an  Mars  und  Quirinus)  wenden  sie  sich  in 
ihren  Gebeten.*)  Dieselbe  Vorstellung,  dass  der  Himmelsgott  über  Recht 
und  Treue  der  Menschen  gegeneinander  wache,  liegt  zu  Grunde,  wenn 
Juppiter  als  Schützer  der  Grenze  und  ihrer  Heiligkeit,  als  Juppiter  Termi- 
nus (CHj  XI  351),  gefasst  wird  und  der  selbständig  gewordene  Grenzgott, 
Terminus,  die  engsten  Beziehungen  zum  Juppiterkulte  bewahrt.  Endlich 
wird  in  den  gleichen  Anschauungskreis  auch  die  Rolle  gehören,  welche 
Juppiter  bei  der  feierlichsten  Form  der  Eheschliessung,  der  confarreatio^ 
spielt ;  das  Opfer  vollziehen  der  Pontifex  maximus  und  der  Flamen  Dialis,^) 
das  Opfertier  ist,  wie  bei  der  Idusfeier  und  der  Eröffnung  der  Weinlese, 
ein  Schaf,  ^)  die  heilige  Handlung  gilt  dem  Juppiter,  welcher  von  dem  zur 
Anwendung  kommenden  farreum  libum  den  Beinamen  Farreus  erhält;®) 
offenbar  erscheint  hier  Juppiter  analog  den  10  menschlichen  Zeugen,  die 
bei  dem  Akte  anwesend  sein  müssen,^)  als  Zeuge  und  Bürge  für  die  Un- 
verbrüchlichkeit des  Ehebündnisses.®)  —  Mit  nicht  geringerer  Deutlichkeit 
ist  im  Kulte  des  Juppiter  Feretrius  die  Beziehung  auf  Kampf  und  Sieg 
zu  erkennen ;  der  in  Blitz  und  Donner  am  Himmel  wirksame  Gott  wird 
zum  obersten  Kriegsherrn  und  Lenker  der  Schlachten,  zum  Vorkämpfer 
seiner  Verehrer  und  Verleiher  des  Sieges;  daher  wird  in  seinem  Heilig- 
tume  die  seltenste  und  darum  kostbarste  Siegesbeute,  die  spolia  opima^ 
aufgestellt   d.  h.   ihm   als  Dankopfer  geweiht,^)  und  eine,   allerdings  ver- 

auch  den  luppiter  Herceus  einreihen  wollen» 
der  itUer  con^aeptum  domus  cuiusg^ue  eole- 
batur,  quem  etiam  deum  penetralem  appeUa- 
bant  (Paul.  p.  101;  vgl.  Serv.  Aen.  11  469. 
506) ;  das  ist  aber  kein  römischer  Gott,  son- 
dern der  gnechische  ZetV  igxeio^  (Pbvllbr- 
RoBEBT,  Griech.  Mythol.  I  146  f.),  und  die 
Glosse  gehört  in  eine  lange  Serie  von  Ver- 
rins  Flaccus  aufgenommener  griechischer 
Götterbeinamen,  die  man  jetzt  bei  H.  Wil- 
LBBS,  De  Verrio  Flacco  glossarum  interprete 
(Halis  1898)  p.26ff.  bequem  übersehen  kann. 
*)  Fest.  p.  189;  vgl  Mabquabdt,  Staats- 
verw.  II  580  f.,  wo  Cass.  Dio  XLIV  4,  3 
hinzuzufügen  ist. 


»)  Paul.  p.  92.    Serv.  Aen.  XII  206. 

«)  Liv.  I  24,  4.  8.  IX  5,  3.  XXX  43,  9. 
Fest.  p.  321.  Plin.  n.  h.  XXII  5.  Marcian. 
Digest.  I  8,  8  §  1.  Serv.  Aen.  VIII  641. 
XII  120. 

»)  Polyb.  III  25,  6;  vgl.  die  Formeln 
bei  Liv.  I  32,  6.  24,  7. 

*)  Serv.  Georg.  1  31. 

*)  Serv.  Aen.  IV  374. 

')  Gaius  I  112  und  dazu  Studrmund, 
Verhandl.  d.  Würzb.  Philol.Versamml.  S.  125. 
J.  S.  Spbyeb,  Versl.  and  Mededeel.  Akad. 
Amsterdam,  Afdeel.  Letterkunde  IV  1  (1897) 
S.  138  ff. 

0  Gai.  a.  a.  O.    ülpian.  frg.  9. 

^)  Man   hat   in   diesen  Zusammenhang 


A.  Di  indigete«.    20.  Jappiter. 


105 


fehlte,  Hypothese  alter  Grammatiker  leitete  sogar  den  Namen  Feretrius 
von  dem  feretrum  ab,  dem  Gestell,  auf  dem  man  die  erbeuteten  spolia  opima 
anzuordnen  pflegte.  0  —  Nicht  beim  Heiligtume  des  Juppiter  Feretrius, 
aber  auf  der  benachbarten  Anhöhe  des  capitolinischen  Hügels,  auf  der 
arXj  lag  das  auguraculum,  an  welches  die  Thätigkeit  der  Augurn  anknüpft.*) 
Auch  sie  sind  Diener  des  Juppiter,  nicht  als  Opfervollzieher,  wie  der 
Flamen  Dialis,  sondern  analog  den  Fetialen  als  Träger  einer  priesterlichen 
Wissenschaft,  welche  die  Erkundung  des  göttlichen  Willens  auf  Grund 
der  Himmelserscheinungen  zum  Zwecke  hat.  Der  Gott,  von  welchem  diese 
Zeichen  ausgehen,  ist  immer  Juppiter,')  daher  ist  die  gesamte  Augural- 
disziplin ein  Zweig  seines  Kultes  und  die  Augurn  die  interpretes  lovis  0.  M. 
(Cic.  de  leg.  U  20). 

Bereits  in  den  bisher  geschilderten  ältesten  Formen  des  stadtrömi- 
schen Kultus  sehen  wir  die  verschiedenen  Gestaltungen  und  Modifikationen 
ausgeprägt,  deren  die  an  sich  einfache  Idee  des  Himmelgottes  fähig  war ; 
nach  jeder  von  den  hier  angedeuteten  Richtungen  hin  erfährt  dann  die 
Auffassung  des  Gottes,  sei  es  in  der  privaten  Verehrung  des  einzelnen,  sei 
es  in  der  späteren  Entwicklung  des  Staatskultes,  weitere  Ausgestaltungen 
und  Verzweigungen,  indem  die  verschiedenen  Seiten  und  Äusserungen 
seines  Wesens  immer  mehr  verselbständigt  und  durch  zahlreiche  Beinamen 
und  eigne  Kultformen  differenziert  werden.  Dass  der  Gott  der  Himmels- 
erscheinungen und  des  himmlischen  Segens  als  solcher  besonders  auf  dem 
Lande  verehrt  wird,  ist  selbstverständlich.  Der  Landmann,  der  den  Jup- 
piter als  den  nährenden  und  fruchtspendenden  Gott  anruft,^)  bezeugt  ihm 
seine  Verehrung  in  altertümlicher  Form,  indem  er  ihm  vor  Beginn  der 
Aussaat  einen  Imbis  (daps)  hinstellt,  von  welchem  der  Gott  selbst  den 
Beinamen  Dapalis  erhält,^)  während  ihm  in  der  Stadt,  wo  bei  ähnlichen 
Veranlassungen  den  breiteren  Verhältnissen  entsprechend  an  die  Stelle 
des  einfachen  Imbisses  ein  Festschmaus  (epulum)  getreten  ist,  die  Be- 
zeichnung Epulo  zukommt.^)  In  diesen  ländlichen  Anschauungskreis  gehört 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  die  noch  nicht  völlig  aufgeklärte  Ge- 
stalt des  bei  den  oskisch-sabellischen  Stämmen  verehrten  Juppiter  Liber,^) 


')  Flut.  Marc.  8;  vgl.  Liv.  I  10,  5.  Dion. 
Hai.  II  34.  In  Wahrheit  hängt  der  Name 
jedenfalls  mit  ferire  zusammen ;  vgl.  die  For- 
mel der  Fetialen  bei  Liv.  I  24,  8:  tum  iüo 
die,  luppiter,  popuium  Bomanum  sie  ferito, 
tU  ego  hunc  procutn  hie  hodie  feriam,  tanto- 
que  magis  ferUo,  quanto  magis  potes  polles- 
que,  und  v.  Domaszbwski.  Westd.  Zeitschr. 
XIV  120.  Wenn  v.  Domaszbwski  aber  in 
Jappiter  Feretrius  und  Juppiter  Stator  neben 
der  Trias  Jappiter,  Mars,  Quirinus  die  älte- 
sten Heeresgötter  der  römischen  Republik 
erkennen  möchte  und  diese  in  den  von  Plin. 
n.  h.  X  16  erwähnten  Tierbildem  der  Signa 
des  vormarianischen  Heeres  verkörpert  denkt, 
so  beruht  diese  Kombination  nicht  nur  auf 
sehr  ansicherer  Grundlage,  sondern  ist  auch 
schon  deshalb  unmöglich,  weil  nach  der  Lex 
de  spolüs  opimis  der  Juppiter  der  Trias  Jup- 
piter, Mars,  Quirinus  eben  der  Juppiter  Fere- 


trius ist. 

«)  Jobdan,  Topogr.  1  2  S.  102  ff. 

*)  MoHMSBN,  Staatsr.  I  74,  2.  Auch  bei 
der  Inauguration  von  Personen  wendet  sich 
der  Augur  an  Juppiter  (Liv.  I  18,  9). 

*)  Almus  und  ruminus  heisst  er  bei 
August,  c.  d.  VII  11,  frugifer  CIL  XII  336. 
Apul.  de  mundo  37;  auch  der  Beiname  Pe- 
cunia  (August,  c.  d.  Vif  12)  gehört  jeden- 
falls hierher,  indem  er  den  Gott  als  Schir- 
mer und  Mehrer  des  Viehstandes  bezeichnet. 

»)  Cato  de  agric.  132.    Paul.  p.  51. 

«)  CIL  VI  3696. 

^)  Inschriftlich  bezeugt  für  das  Gebiet 
der  Frentaner  (Zvbtaieff,  Syll.  inscr.  Ose. 
nr.  3).  Vestiner  (CIL  IX  3513),  Sabiner  (Job- 
OAN,  Analecta  epigraphica  latina  p.  3  f.)  und 
Campaner  (CIL  X  3786,  wo  die  Ergänzung 
Iwi  Liheiip)  näher  liegt  als  lavi  IAher{tati)) 


106 


Religion  nnd  Knltns  der  BOmer.    IL  GOtterlehre. 


der  auch  in  Rom  auf  dem  Aventin  einen  von  Augustus  wiederhergestellten 
Tempel  (Stiftungstag  1.  Sept.)  besass;  hier  wird  der  Gott  bald  luppüer 
Liber,  ^)  bald  luppiter  Libertds  genannt,*)  aber  die  Übersetzung  mit  Zevg 
slevO-bQiog  (Mon.  Anc.  gr.  10,11)  trifft  kaum  das  ursprüngliche  Wesen  des 
Kultes.^)  Vielmehr  liegt  in  Liber  (vgl.  liber,  liberalis  mit  genius,  genialis)  der 
Begriff  der  schöpferischen  Fülle,  und  darum  konnte  der  vom  Juppiter  Liber 
losgetrennte  Liber  nachmals  mit  dem  griechischen  Dionysos  identifiziert 
werden  (s.  u.  §  46),  ohne  dass  man  darum  eine  ursprüngliche  Beziehung 
des  Liber  zum  Weinbau  anzunehmen  berechtigt  wäre. 

Sehr  reichhaltig  ist  die  Gruppe  von  Vorstellungen,  die  sich  an  den 
Himmelsgott  als  den  Veranlasser  heiteren  und  trüben  Wetters^  als  den 
tempestatium  divinarum  potens  (CIL  VIII  2609),  wendet  und  sich  in  zahl- 
reichen Beinamen  des  Juppiter  ausspricht.^)  Insbesondere  richtete  sich  an 
ihn  in  Zeiten  anhaltender  Dürre  die  Bitte  um  befruchtenden  .Regen,  und 
man  feierte  ihm  bei  diesem  Anlasse  in  Rom  unter  Leitung  der  Pontifices  das 
Bittfest  des  aquaelicium,^)  bei  welchem  die  Matronen  mit  nackten  Füssen  und 
aufgelöstem  Haare  und  die  Magistrate  ohne  die  Abzeichen  ihrer  Würde  in 
feierlicher  Procession  nach  dem  Capitole  zogen.  ^)  In  älterer  Zeit  trat  bei 
dieser  Gelegenheit  auch  der  lapis  manaiis  in  Funktion,  ein  in  der  Nähe  des 
Marstempels  vor  Porta  Capena  aufbewahrter  Stein,  der  im  Aufzuge  in  die 
Stadt  geschleppt  wurde.')  Diese  Ceremonie  des  elicere  aquam  gehört  sicher 
zusammen  mit  dem  Kulte  des  Juppiter  Elicius,^)  der  auf  dem  Aventin, 
also  unfern  der  Stelle,  wo  der  lapis  manaiis  lagerte,  einen  alten  Altar 
besass.^)  Dass  die  Alten  selbst  den  Namen  Elicius  anders  erklärten  und 
ab  eliciendis  fulminibus  ableiteten  —  Valerius  Antias  erzählte  ausführlich, 
wie  Numa  auf  Rat  der  Egeria  die  Götter  Faunus  und  Picus  im  Schlafe 
band  und  ihnen  die  Offenbarung  diör  Blitzsühne  abzwang  *<^)  — ,  beweist 
umso  weniger  etwas  gegen  diese  Annahme,  als  die  der  etruskischen  Super- 
stition eigentümliche  Kunst  der  Blitzbeschwörung  ^i)  den  Römern  durchaus 
fremd  ist  und  ihren  Anschauugen  zuwiderläuft.  Die  grossartige  Natur- 
erscheinung des  Gewitters  erinnert  aber  die  Römer  in  hervorragender 
Weise  an  den  Himmelsgott;  der  Blitz  ist  ihnen  nicht  bloss  das  Zeichen, 
durch  welches  der  Himmelsgott  seine  Macht  und  seinen  Willen  kundthut, 


')  Fast.  Arval.  z.  1.  Sept.  CIL  P  p.  328. 

')  Mon.  Anc.  4,  7;  vgl.  die  Inschriften 
CIL  XI  657  (Faventia)  und  XIV  2579  (Tus- 
culum). 

®)  Der  Name  luppiter  LibercUor  (Tac. 
ann.  XV  64.  XVI  35.  Fast.  Philoc.  z.  13.-18. 
Oct.  EcKHEL,  D.  N.  VI  272)  ist  erst  nach 
Analogie  des  griechischen  Zevg  iXev&sgiog 
hezw.  aatttjg  gebildet  (PsELL£B-RoBBBT,6riech. 
MythoL  I  151  f.). 

*)  Apul.  de  mundo  37:  fulgurator  et 
tonitrtMilia  et  fulminator,  etiam  imbricitor  et 
item  dicitur  serenator;  vgl.  luppiter  Serenus 
CIL  VI  431.  433,  luppUer  Plumalia  CIL 
IX  324. 

*j  Paul.  p.  2.    Tertull.  apol.  40. 

•)  Petron.  44.  Tertull.  apol.  40;  de 
ieiun.  16. 


')  Varro  bei  Non.  p.  547.  Paul.  p.  128. 
Serv.  Aen.  III  175;  dass  der  Stein  walzen- 
förmig gewesen  sei,  sagt  nur  Fulg.  ezpos. 
serm.  antiqn.  p.  559  M.  Ueber  die  fälsch* 
lieh  angenommene  Zugehörigkeit  dieses  Brau- 
ches zur  discipUna  Etrusca  vgl.  Wissowa 
in  Roschers  Lexik.  II  2309. 

")  So  richtig  zuerst  Gilbbbt,  Topogr. 
II  154  und  £.  Aust  in  Roschers  Lexik.  II 
657  f. 

•)  Varro  de  1.  1.  VI  94.  Liv.  I  20,  7, 
vgl.  31,  8.    Ovid.  fast.  Ill  328  ff. 

'«)  Amob.  V  1.  Ovid.  fast.  III  285  ff. 
Plut.  Numa  15  (vgl.  Liv.  a.  a.  0.  Plin.  n.  h. 
II  140).  Vorbild  der  Erzählung  ist  das  Pro- 
teusabenteuer  der  Odyssee. 

'*)  Müllbr-Dbscke,  Etrusker  II  176  f. 


A.  Di  indigeteB.    20.  Jappiter. 


107 


sondern  er  selbst  fährt  im  Blitze  hernieder  und  führt  daher  den  Namen 
Juppiter  Fulgur,  auch  Juppiter  Fulgur  Fulmen,*)  für  den  erst  später  die 
nomina  agentis  Fulgurator  oder  Fulminator  eintreten.*)  Wie  alt  das  im 
Marsfeide  gelegene  Heiligtum  des  Juppiter  Fulgur  war,  dessen  Stiftungs- 
tag die  Kaiendarien  am  7.  Oktober  verzeichnen,^)  ist  nicht  überliefert, 
das  hohe  Alter  des  Kultes  wird  aber  ausser  durch  die  eigenartige  neutrale 
Namensform  auch  durch  den  Umstand  verbürgt,  dass  diesem  Juppiter 
Fulgur  die  sog.  Blitzgräber  oder  bidentalia  geweiht  sind;^)  schlug  der 
Blitz  in  einen  locus  publicus^  so  erfolgte  eine  Prokuration  durch  die  Ponti- 
fices  und  der  Blitz  wurde  begraben,  indem  die  Stelle  mit  einer  cylinder- 
förmigen  Mündung  {puteal)  eingefasst  und  mit  der  Inschrift  fulgur  conditum 
versehen  wurde;*)  dabei  schied  man  jedoch  fulgur  Dium  und  fulgur  Sum" 
manum,  da  nur  die  bei  Tage  fallenden  Blitze  als  unmittelbare  Äusserungen 
des  Juppiter  angesehen  wurden,  während  sich  von  ihm  ein  eigener  Gott 
des  nächtlichen  Himmels,  Summanus,  loslöste,  welchem  die  Prokuration  der 
Nachts  gefallenen  Blitze  galt.^)  Streng  zu  scheiden  von  diesen  uralten  Kulten 
des  Blitzgottes  ist  Juppiter  Tonans,  der  erst  durch  Augustus,  nachdem  dieser 
der  Tötung  durch  Blitzschlag  auf  wunderbare  Weise  entgangen  war,  ein  am 
1.  September  732  =  22  eingeweihtes  Heiligtum  auf  dem  Capitol  erhielt.^) 
Die  Auffassung  des  Juppiter  als  eines  Kriegs-  und  Siegesgottes  trat 
bereits  in  seiner  Vereinigung  mit  den  beiden  kriegerischen  Gottheiten 
Mars  und  Quirinus  zu  Tage ;  im  Laufe  der  Zeit  hat  sie  dann  verschiedene 
Ausgestaltungen  erfahren.  Als  der  Gott,  der  dem  Heere  Standhaftigkeit 
und  Widerstandskraft  verleiht,  als  Juppiter  Stator,  besass  er  in  Rom 
zwei  Tempel.  Der  eine,  an  der  Nova  via,  unfern  des  alten  Eingangsthores 
zum  Palatin,  der  Porta  Mugionia,®)  gelegen,  war  im  dritten  Samniter- 
kriege  460  =  294  von  M.  Atilius  Regulus  gelobt  und  nicht  lange  nach- 
her geweiht  worden;*)  die  spätere  Pseudo-Überlieferung  datierte  freilich 
die  Gründung  des  Tempels  auf  Romulus  zurück,^®)  woran  im  besten  Falle 
so  viel  wahr  ist,  dass  sich  ein  unscheinbares  fanum  des,  wie  es  scheint, 
in  Italien  allgemein  verehrten  Gottes  ^^)  bereits  vor  der  Gründung  des 
Tempels  in  derselben  Gegend  befand.  Als  Stiftungstag  gibt  Ovid  (fast. 
VI  793)  den  27.  Juni  an,   doch  ist  es  eine  ansprechende  Vermutung  von 


')  CIL  XII  1807. 

»)  CIL  VI  377.  ni  821.  1596.  1677. 
3593.  3954.  6342  u.  a 

»)  Vitr.  l  2,  5.    CIL  I»  p.  331. 

*)  Fest.  p.  229 :  provorsum  fulgur  appel- 
latur,  quod  ignaratur  noctu  an  interdiu  sü 
factum;  itaque  lovi  Fulgur i  et  Summano 
fit,  quod  diuma  lovia  nocturna  Summani 
fulgura  habentur. 

^)  Marquabdt,  Staatsverw.  III  262  f.; 
▼gl.  auch  CIL  XI  1024:  sacrum  publicum 
fulguris. 

•)  Pest.  p.  229.  Paul.  p.  75.  Plin.  n.  h. 
II  138.  August,  c.  d.  IV  23.  Danach  lauten 
die  Inschriften  der  Blitzgräber  oft  fulgur 
Dium  conditum  (z.  B.  CIL  VI  205.  X  40. 
6423)  bezw.  fulgur  Summanum  conditum 
(z.  B.  CIL  VI  206). 


^)  Suet.  Aug.  29.  91.  Mon.  Anc.  4,  5; 
mehr  bei  Jobdah,  Topogr.  I  2  S.  48  f.  Weih- 
inschriften an  Juppiter  Tonans  finden  sich 
nur  vereinzelt,  CIL  IX  2162.  XI  3773.  3778. 
XII  501. 

®)  Ueber  die  Lage  des  Tempels  vgl.  0. 
Richter«  Hermes  XX  425  ff. 

»)  Liv.  X  36,  1,  vgl.  37.  15  f. 

»0)  Liv.  I  12.     Dion.  Hai.  II  50.    Ovid. 
fast.  VI  793.    Cic.  Catil.  I  33. 

")  Weihinschriften  CIL  VI  434.  435.  IX 
3923. 4534.  X  5904,  auch  III 1089;  in  wieweit 
die  Verehrung  des  Gottes  in  Italien  von  Rom 
abhängig  ist,  lässt  sich  nicht  ermitteln.  Ein 
Gegenstück  zu  Juppiter  Stator  ist  der  oski- 
sche  luppiter  Versor,  Zvbtaibff,  Syll.inscr. 
Ose.  nr.  146. 


108 


Religion  nnd  Ealtna  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


E.  AusT  (de  aedib.  sacris  p.  45),  dass  sich  dieses  Datum  auf  eine  (allerdings 
unbezeugte)  Wiederherstellung  durch  Augustus  bezieht  und  der  ursprüng- 
liche Stiftungstag  dem  oben  S.  101  erwähnten  Brauche  entsprechend  auf  die 
Iden  eines  Monats  fiel.^)  Ein  zweiter  Tempel  des  Juppiter  Stator  wurde 
von  Q.  Caecilius  Metellus  Macedonicus  nach  seinem  Triumphe  (608  =  146) 
beim  Circus  Flaminius  erbaut  und  samt  einem  benachbarten  Tempel  der 
Juno  Regina  mit  einer  Säulenhalle  (porticus  MetMi,  später  porticus  Odaviae) 
umgeben.*)  Ungefähr  gleichaltrig  mit  dem  älteren  Statortempel  war  ein 
Tempel  des  Juppiter  Victor,  von  Q.  Fabius  Maximus  im  Samniterkriege 
459  =  295  gelobt;')  die  Auffindung  einer  archaischen  Weihinschrift  ^D^iovei 
Victore  auf  dem  Quirinal  (CIL  VI  438)  macht  es  wahrscheinlich,  dass  der 
Tempel  dort  gelegen  hat ;  der  Stiftungstag  ist  nicht  überliefert,  da  jedoch 
Ovid  zum  13.  April  den  Tag  eines  luppiter  Victor  (fast.  IV  621),  zum 
13.  Juni  den  eines  luppiter  Invictus  (fast.  VI  650)  verzeichnet  und  das 
Regionenbuch  (reg.  X)  auf  dem  Palatin  einen  Juppitertempel  anführt,  der 
im  Curiosum  nur  aedes  lovis,  dagegen  in  der  Notitia  aede^  lovis  Victoris 
heisst,  so  wird  man  je  einen  von  diesen  beiden  Idustagen  auf  den  quiri- 
nalischen  bezw.  den  palatinischen  Tempel  beziehen  dürfen.^)  Einen  sonst 
unbekannten  Tempel  des  Juppiter  Propugnator  auf  dem  Palatin  lernen  wir 
aus  den  inschriftlich  erhaltenen  Protokollen  einer  Priesterschaft  der  Kaiser- 
zeit kennen,  welche  in  diesem  Tempel  ihre  Sitzungen  abhielt.^) 

Die  Ideen,  welche  sich  im  römischen  Juppiterkulte  aussprechen,  dürfen 
wir  in  ähnlicher  Ausgestaltung  auch  für  die  übrigen  Gemeinden  des  stamm- 
verwandten Latium  und  der  nächsten  Nachbarschaft  (Aequer,  Volsker, 
Herniker,  Sabiner)  voraussetzen,  wenn  auch  unsere  Nachrichten  darüber 
so  lückenhaft  sind,  dass  sie  uns  nicht  viel  mehr  als  die  Feststellung  der 
Thatsache  erlauben,  dass  hier  überall  Juppiter  eine  hervorragende  Stelle 
im  Gottesdienste  einnahm.  Dass  diese  Juppiter  Verehrung  der  latinischen 
und  angrenzenden  Städte  von  der  römischen  unabhängig  ist,  beweisen,  ab- 
gesehen von  zufallig  überlieferten  Einzelheiten  des  Rituals,  insl)esondere 
die  eigenartigen  Beinamen;  so  wird  der  Gott  in  Praeneste  als  Juppiter 
Arcanus  verehrt,®)  in  Tibur  als  Juppiter  Praestes,^)  in  Tusculum  als  Jup- 
piter Majus,^)   in  Lavinium   als  Juppiter  Indiges,^)   bei   den  Volskern   als 


*)  Zu  beachten  ist,  dass  Philocalas  zu 
den  Iden  des  Janaar  (13.  Jan.)  verzeichnet: 
lovi  Statori  c(ircense8)  *n(is8us)  XXIV;  viel- 
leicht liegt  darin  eine  Erinnerung  an  den 
ursprünglichen  Stiftungstag  des  Tempels. 

')  Vitr.  iil  1,  5.  AusT,  De  aedib.  sacr. 
p.  24  f. 

»)  Liv.  X  29,  14. 

*)  Der  von  Cass.  Dio  XLVII  40,  2  und 
LX  35,  1  erwähnte  ßto/Äog  bezw.  yaos  tov 
yMttiov  Jioq  kann  ebensogut  die  quirinal ische 
wie  die  palatinische  aedes  lovis  Victoris  sein, 
während  die  Stelle  XLV  17,  2  unklar  ist 
und  auf  keinen  Fall  zur  Annahme  einer  ara 
lovis  Victoris  auf  demCapitol  (Jobdan,  Topogr. 
I  2  S.  50)  berechtigt. 

»)  CIL  VI  2004-2009;  vgl.  Gilbert, 
Topogr.  MI  133  f. 


«)  CIL  XIV  2852.  2937.  2972  (zum  Na- 
men vgl.  Paul.  p.  16). 

')  CIL  XIV  3555;  vgl.  Hist.  aug.  Maxim, 
et  Balb.  5,  3  und  zum  Namen  ausser  den 
römischen  Lares  praestites  den  luppiter 
praestitus  CIL  III  4037  und  luppiter  prae- 
stahilis  CIL  IX  1498. 

^)  Macr.  S.  I  12,  17.  Ueber  eine  an- 
gebliche Weihung  an  ihn  s.  CIL  XIV  216*. 
Eph.  epigr.  VII  1276. 

»)  Liv.  I  2.  6.  Plin.  n.  h.  III  56.  Serv. 
Aen.  I  259 ;  über  den  Namen  vgl.  Wissowa, 
De  dis  Roman,  indigetibus  et  novensidibus 
p.  VI.  Später  ist  der  Gott  in  die  Aeneassage 
hineingezogen  und  mit  dem  vergötterten  Ae- 
neas  gleichgesetzt  worden  (Schwbgler,  Rom. 
Gesch.  I  287  f.),  wie  Juppiter  Latiaris  mit 
Latinus  (Fest.  p.  194). 


A.  Di  indigetes.    20.  Jnppiter. 


109 


Juppiter  Anxurus^)  u.  s.  w.  Vor  allem  aber  war  es  in  weit  zurücklie- 
gender Zeit  der  von  Alba  Longa  auf  der  Höhe  des  Mens  Albanus  verehrte 
Juppiter,  der  über  den  Kreis  einer  Einzelgemeinde  hinaus  Bedeutung  ge- 
wann und  als  Juppiter  Latiaris  der  göttliche  Schirmherr  des  unter  der 
Vorstandschaft  von  Alba  Longa  geeinten  Latinerbundes  wurde.  Zwar  be- 
ziehen sich  die  Angaben  der  alten  Überlieferung  durchweg  auf  die  Zeit, 
wo  das  Bundesfest  des  Latiar  unter  römischer  Leitung  gefeiert  wurde 
und  an  die  Stelle  des  heiligen  Haines,  der  die  ursprüngliche  Stätte  des 
Kultes  war,*)  der  von  der  letzten  Dynastie  der  römischen  Könige  erbaute 
Tempel  auf  dem  Albanerberge  getreten  war;  dass  aber  damit  nur  eine 
alte,  von  Alba  Longa  eingerichtete  und  nach  dessen  Fall  vielleicht  eine 
Zeit  lang  unterbrochene  Bundesfeier  von  neuem  aufgenommen  wurde,  um 
auf  diese  Weise  die  Vorortstellung  Roms  in  Latium  zum  sakralen  Aus- 
druck zu  bringen,  das  geht  abgesehen  von  den  im  Ritual  des  Festes  er- 
haltenen Spuren  hohen  Altertums^)  schon  aus  dem  Orte  der  Festfeier 
hervor.  Rom  ist  in  der  historischen  Zeit  der  festgebende  Staat;  seine 
Beamten,  entweder  die  Consuln  oder  in  deren  Abwesenheit  ein  eigens 
dazu  ernannter  Diktator  (f.  Capit.  z.  J.  497  =  257),  bringen  das  Opfer  und 
üben  die  Festleitung  aus,  alle  übrigen  römischen  Staatsbeamten  müssen 
zugegen  sein;^)  die  verbündeten  latinischen  Gemeinden  sind  durch  Ab- 
gesandte vertreten,  deren  jeder  seinen  Anteil  an  dem  Opferfleische  erhält 
{carnem  petere) ;  *)  die  Zahl  dieser  empfangsberechtigten  Latinergemeinden 
soll  zur  Zeit  der  Neugründung  des  Latiar  durch  Tarquinius  Superbus  47 
betragen  haben.  ^)  Während  der  Festdauer  herrschte  in  ganz  Latium 
Gottesfrieden  (Macr.  S.  I  16,  17),  und  auch  die  einzelnen  Gemeinden  mögen 
innerhalb  ihres  Weichbildes  das  Fest  feierlich  begangen  haben ;  wenigstens 
wissen  wir,  dass  in  Rom  ein  Wagenrennen  auf  dem  Capitol  stattfand,  bei 
dem  der  Sieger  einen  Trunk  Absynth  erhielt.'')  Die  Lage  des  Festes  war 
nicht  auf  einen  bestimmten  Kalendertag  fixiert,  sondern  es  waren  feriae 
conceptivae,^)  die  alsbald  nach  Beginn  des  Amtsjahres  von  den  Consuln 
auf  einen  nicht  sehr  fern  (jedenfalls  noch  vor  ihrer  Abreise  in  die  Pro- 
vinz) liegenden  Termin  angesetzt  wurden;^)  die  Dauer  des  Festes  wurde 
allmälig  bis  auf  vier  Tage  ausgedehnt,  ausserdem  fanden  nicht  selten 
wegen   eines  Formfehlers  Wiederholungen  der  ganzen  Feier  statt.  *^)     In 


*)  Verg.  Aen.  VII  799  und  dazu  Servias. 
Pnrph.  zu  Hör.  sat.  I  5,  26.  CIL  X  6483. 
Babsloit,  Monn.  consul.  II  546. 

«)  Liv.  1  31,  3.    Cic.  pro  Mil.  85. 

*)  AoBSchlass  des  Weins  beim  Opfer 
(Beusio,  Italiker  in  der  Poebene  S.  71),  der 
Brauch  des  Schaukeins  (Fest.  p.  194.  Schol. 
Cic.  Bob.  p.  256  Or.;  vgl.  dazu  Lobeck, 
Agiaopb.  1  585.  Böttiohbb,  Baumkultus 
S.  80  ff.);  das  angeblich  in  Rom  dem  Jup- 
piter Latiaris  gebrachte  Menschenopfer  eines 
bestiarius,  von  dem  eine  Anzahl  christlicher 
Schriftsteller  (die  Stellen  bei  Roepbr,  Lucu- 
bration .  pontifical.  p.  38  f.  Mabqüabdt,  Staats- 
verw.  111  297,  4)  als  einem  noch  zu  ihrer 
Zeit  bestehenden  Brauche  erzählen,  ist  ganz 
gewiss  apokryph. 


*)  MoMMSBN,  Staatsr.  I  642  f.  Liste  der 
Praefecti  urbi  feriarum  Latinarum  causa  bei 
Chr.  Webneb,  De  feriis  latinis  (Diss.  Lips. 
1888)  p.  41  ff. 

^)  Cic.  pro  Plane.  23.  Varro  de  1.  1. 
VI  25;  vgl.  Plin.  n.  h.  III  69.  Das  volle 
Stellenmaterial  über  das  Fest  bei  Chr.  Wer- 
ner a.  a.  0.  p.  29  ff. 

«)  Dion.  Hai.  IV  49;  über  die  Listen 
bei  Dion.  V  61  und  Plin.  n.  h.  111  69  vgl. 
MoMMSEN,  Hermes  XVII  42  ff.  (anders  Sebck, 
Rhein.  Mus.  XXXVII  1  ff.  598  ff.). 

»)  Plin.  n.  h.  XXV II  45. 

«)  Varro  de  1.  L  VI  25.    Macr.  S.  I  16,  (J. 

»)  Liv.  XXI  63,  8. 
»»)  Werner  a.  a.  0.  p.  22  ff.  38  ff 


110  Religion  und  Enltna  der  Römer.    TL,  GOtterlehre. 

der  Zeit  des  Augustus  hat  man  auf  Orund  älterer  Aufzeichnungen  Fasten 
der  Feriae  Latinae  in  Stein  gehauen,  die  bis  in  die  Zeit  der  Decemvirn 
zurückreichten  und  dann  in  der  Kaiserzeit  jährlich  fortgeführt  wurden; 
zahlreiche  Bruchstücke  haben  sich  in  den  Trümmern  des  Juppitertempels 
auf  dem  Mens  Albanus  gefunden.  0 

Es  ist  schon  früher  (S.  35)  darauf  hingewiesen  worden,  dass  zwischen 
dem  Tempel  des  Juppiter  Latiaris  auf  dem  Albanerberge  und  dem  des 
Juppiter  Optimus  Maximus  auf  dem  Capitol  zu  Rom  nicht  nur  chrono- 
logische, sondern  auch  innere  Beziehungen  bestehen;  von  besonderer  Be- 
deutung dafür  ist  der  seit  dem  J.  528  =  231  häufig  gefeierte  Triumph 
auf  dem  Albanerberge,  welchen  solche  römische  Feldherm  veranstalteten, 
denen  der  reguläre  Triumph  in  Rom  versagt  blieb  ;>)  derselbe  geschah 
sine  publica  auctoritate  (Liv.  XLII  21,  7),  hatte  aber,  wie  die  Triumphal- 
fasten zeigen,  volle  Rechtsgiltigkeit.')  Es  ist  eine  ansprechende  Vermu- 
tung, dass  mit  diesem  Akte  die  römischen  Feldherrn  an  einen  älteren 
Brauch  anknüpften,  indem  wahrscheinlich  bis  zur  Unterwerfung  der  Latiner 
die  latinischen  Feldherm  ebenso  auf  dem  Mens  Albanus  zu  triumphieren 
pflegten,  wie  die  römischen  auf  dem  Capitol;  auf  jeden  Fall  aber  spricht 
sich  in  dem  thatsächlichen  Vorhandensein  einer  derartigen  Abart  des 
Triumphes  eine  Parallelisierung  und  Gegenüberstellung  des  Juppiter  Optimus 
Maximus,  dem  allein  der  legitime  römische  Triumph  gilt,  und  des  Juppiter 
Latiaris  aus,  die  keinesfalls  zufällig  sein  kann.  In  der  That  hebt  sich 
der  capitolinische  Juppiter  aus  der  Menge  der  Juppiterkulte  deutlich 
heraus  durch  seinen  eminent  politischen  Charakter,  der  ihn  mit  dem  Schutz- 
gotte  des  Latinerbundes  in  nächste  Beziehung  setzt.  Einer  der  ältesten  in 
Rom  erbauten  Tempel  im  vollen  Sinne  des  Gotteshauses  war  die  der  Über^ 
lieferung  nach  von  den  tarquinischen  Königen  begonnene  und  im  ersten 
Jahre  der  Republik  245  =  509  durch  den  Consul  M.  Horatius  dedicierte 
aedes  lovis  Optimi  Maximi  auf  dem  Capitol;^)  die  Beinamen  bezeichnen 
den  Gott  nicht  sowohl  als  den  besten  und  grössten  der  Götter,  als  viel- 
mehr als  den  ersten  und  hervorragendsten  aller  in  und  ausserhalb  Roms 
verehrten  loves.  Als  Tempelgenossinnen  werden  neben  ihm  Juno  Regina 
und  Minerva  verehrt,  so  dass  ein  göttlicher  Dreiverein  entsteht,  der  ziem- 
lich sicher  auf  griechischen  Ursprung  zurückgeführt  werden  kann,  nach 
Rom  aber  wahrscheinlich  über  Etrurien  gelangt  ist  (oben  S.  36) ;  dieselbe 
Trias  war  schon  vor  der  Gründung  des  capitolinischen  Tempels  auf  dem 
Quirinal  in  einem  unscheinbaren  Heiligtume,  dem  später  so  genannten 
Capitolium  vetus,  verehrt  worden.*)  Der  Stiftungstag  des  Tempels  war 
der  13.  September  (Idus),')  ein  Tag,  der  in  den  Fasten  als  ejmlum  lovis 
bezeichnet  ist  und  für  die  ältesten  römischen  Spiele,  die  Ludi  Romani, 
nachdem   dieselben   ständig  geworden   waren,   den  Mittelpunkt  bildete ;  ^) 


»)  CIL  VI  2011-2022.  3874  =  XIV 
2236—2248;  dazu  de  Rossi,  Eph.  epigr.  II 
p.  93  ff.  MoHMSBK,  Rom.  Forsch.  11  97  ff. 
Webnrb  a.  a.  0.  p.  57  ff. 

*)  Marquabdt,  Staatsverw.  II  590.  A. 
Michaelis,  Annali  d.  Inst.  1876,  113  ff. 

*)  MöMHSEN,  Staatsr.  I  131. 

*)  Ueber   die   Qeschichte   des  Tempels, 


auf  die  hier  nicht  eingegangen  werden  kann, 
vgl.  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  8  ff.  0.  Richter, 
Handb.  lll  814  ff.  HOlsen,  Real-Encycl.  III 
1532  ff. 

»)  Varro  de  1.  1.  V  158. 

«)  Flut.  Fopl.  14. 

7)  CIL  P  p.  329;  die  Annahme  L.  Holz- 
apfels, Fhilologus  N.  F.  II  (1889)  369  ff.. 


A.  Di  indigetM.    20.  Jnppiter.  Hl 

aber  auch  sonst  ist  dieser  Tag  von  Staatswegen  als  ein  bedeutungsvoller 
behandelt  worden :  er  ist  in  der  nächsten  Zeit  nach  Gründung  des  Heilig- 
tums Anfangstag  des  bürgerlichen  Jahres,  an  welchem  die  Magistrate  ihr 
Amt  antreten,  0  und  eine  Erinnerung  an  diese  Anschauung  liegt  noch  in 
dem  Brauche,  den  Beginn  eines  neuen  saeculum  durch  einen  am  13.  Sep- 
tember in  die  Seitenwand  der  celia  lovis  eingeschlagenen  Nagel  zu  be- 
zeichnen.^) Bei  den  verschiedensten  Qelegenheiten  wird  das  capitolinische 
Heiligtum  als  das  sakrale  Centrum  des  Staates  gekennzeichnet.  Das  Amts- 
jahr beginnt  mit  einem  feierlichen  Staatsopfer  auf  dem  Capitol,  bei  welchem 
die  höchsten  Beamten  des  Jahres  dem  Juppiter  das  von  ihren  Vorgängern 
gelobte  Opfer  weisser  Stiere  darbringen  und  ihrerseits  das  gleiche  Gelübde 
für  ihr  Amtsjahr  erneuern,  und  mit  einer  Festsitzung  des  Senates  im  ca- 
pitolinischen  Tempel;*)  Opfer  und  Gelübde  wiederholen  sich,  wenn  der 
Magistrat  zum  Heere  in  die  Provinz  abgeht,  und  dem  Juppiter  0.  M. 
widmet  der  siegreiche  Feldherr  den  Siegeskranz  und  einen  Teil  des  Er- 
löses der  Kriegsbeute.^)  Den  deutlichsten  Ausdruck  erhält  die  Auffassung 
des  Juppiter  0.  M.  als  des  göttlichen  Schirmherrn  und  Vertreters  des 
ganzen  Staates  beim  Triumphe;  der  triumphierende  Feldherr  ist  in  allen 
Stücken  ein  menschliches  Abbild  des  Juppiter  0.  M.,  unter  dessen  Auspicien 
er  den  Sieg  erfochten  hat  und  dem  die  Ehre  des  letzteren  gebührt;  da- 
her erscheint  er  auf  der  dem  Juppiter  zukommenden  Quadriga,^)  bekleidet 
mit  den  Gewändern  und  Insignien  des  Gottes,  die  für  diesen  Tag  dem 
Tempel  entnommen  werden,^)  ja  sogar  mit  menniggefärbtem  Gesichte  in 
Nachbildung  der  Thonstatue  im  Heiligtume ;  ^)  der  capitolinische  Tempel 
ist  das  Ziel  des  Triumphzuges,  am  Altar  des  Juppiter  0.  M.  wird  das 
Festopfer  (wiederum  weisse  Stiere)®)  dargebracht  und  in  den  Schoss  des 
Götterbildes  wird  der  Lorberkranz,  der  Ehrenpreis  des  Triumphators,  nie- 
dergelegt.^) Dem  Juppiter  gelten  auch  die  Festspiele,  die  sich  ursprüng- 
lich wohl  regelmässig  unmittelbar  an  den  Triumph  anschlössen,  indem  der 
Festzug  (pompa)  vom  Capitol  nach  dem  Circus  weiterzog,  wo  dann  die 
Siegesfeier  durch  ludi  magni  (votivi)  ihren  Abschluss  fand.  Später  haben 
sich  diese  ludi  vom  Triumphe  losgelöst  und  sind  als  Ludi  Romanik  wahr- 
scheinlich seit  Einsetzung  der  curulischen  Aedilität  388  =  366,  ein  stän- 
diges Jahresfest  geworden;  ^^)  die  Erinnerung  aber  daran,  dass  sie  ur- 
sprünglich ein  Bestandteil  des  Triumphzuges  waren,  hat  sich  immer  darin 


dass  die  Fixierung  der  Ladi  Romani  auf  Sep-   |  ^)  Dion.  Hai.  IX   71.    Ovid.  ex   Ponto 

tomber  erst  im  Anfang  des  2.  Jhdts.  v.  Chr.  i  II  1,  58  u.  a.  Reiche  Materialsammlung  über 
erfolgt  sei,  steht  auf  ganz  schwachen  Füssen.  ,  die  äusseren  Formen  des  Triumphes  bei  Mar- 
>)  MoiiKSEK,  Chronol.  S.  86  ff.  |   quardt,  Staatsverw.  H  5'^2  ff. 

VII  3  nach   Cincius,   der  miss-   i  •)  Liv.  X  7,  10.    Suet.  Aug.  94.    Juv. 

10,  38.    TertuU.  de  Corona   13.    Mommsbn, 
Staatsr.  I  396. 

0  Plin.   n.  h.  XXXIII  111.    Serv.  Ecl. 
6,  22.  10,  27. 


>)  MOM 
«)  Liv. 


yerständlich  aas  dem  Saecularnagel  einen 
elavus  annalis  gemacht  hat;  vgl.  Mommsen, 
Chronol.  S.  176  ff. 

>)  MoxxsBV,  Staatsr.  I  594  f. 


*)  liv.  XLV  39,  11:  constd  proficiscens  ")  Serv.  Georg.  II  146. 


praetorve  paludatis  lictoribus  vota  in  Capi- 
tolio  nunrupat:  vicior  perpetraio  hello  eodem 
triumphans  ad  eosdem  deos,  quUms  vota  nun- 
cupavü,  meriia  dona  portans  redit.  Momm- 
siH,  Staatsr.  I  61. 


»)  Plin.  n.  h.  XV  133.  Sil.  Ital.  XV  118  ff. 
Pacat.  paneg.  in  Theod.  9,  5.  Obseq.  61  [122] 
u.  a. 

*^)  Grundlegende  Abhandlung  von  Momm- 
SBN,  Rom.  Forsch.  11  42  ff. 


112 


Religion  und  Ealtua  der  Eomer.    II.  QOtterlehre. 


erhalten,  dass  der  spielgebende  Magistrat  in  der  Tracht  des  Triumphators 
erscheint^)  und  überhaupt  die  pompa  circensis,  die  vom  Capitol  ausgeht,  eine 
Nachbildung  des  Triumphzuges  ist.^)  Natürlich  gehören  die  Ludi  Romani 
ebenso  wie  die  nächstältesten  Spiele,  die  wahrscheinlich  im  J.  534  =  220 
ständig  gewordenen  Ludi  Plebei,  zum  Kulte  des  Juppiter  0.  M.,^)  und  beide 
gruppieren  sich  in  ganz  analoger  Weise  um  die  beiden  epula  lovis  an 
den  Iden  des  September  und  November ;  ^)  während  die  Ealendarien  der 
augusteischen  Zeit  für  beide  Spiele  die  Tage  vom  4. — 19.  September  bezw. 
4. — 17.  November  ansetzen,  scheint  die  Entwicklung  die  gewesen  zu  sein, 
dass  der  älteste  Spieltag  der  vom  epulum  lovis  durch  den  Tag  der  equorum 
probatio  getrennte  15.  September  bezw.  15.  November  war  und  von  da  aus  die 
Spiele  dann  durch  allmälige  Zufügung  einzelner  Tage  anwuchsen ;  ^)  die  beiden 
epula  bilden  einen  wesentlichen  Bestandteil®)  und  den  Mittelpunkt  der  Feier 
in  der  Weise,  dass  später  von  den  beiden  Arten  der  Spiele,  den  scenischen 
und  den  circensischen,  den  ersteren  die  Tage  vor,  den  letzteren  die  nach 
den  epula  zugewiesen  sind.  Auch  die  Iden  des  Oktober')  sind  Träger  von 
zum  capitolinischen  Kulte  gehörigen  Festspielen,  den  Ludi  Capitolinij  nur 
dass  diese  nicht  von  den  Magistraten  des  Staates,  sondern  von  einer  Ge- 
nossenschaft der  auf  den  beiden  Anhöhen  des  Mens  Capitolinus  wohnenden 
Leute  ausgerichtet  werden ;  ^)  die  Gründung  dieser  Spiele  liegt  im  Dunkeln, 
wir  wissen  nur,  dass  ihre  Ausführung  einem  noch  in  augusteischer  Zeit 
nachweisbaren  collegium  Capitolinorum^)  oblag  und  dass  dabei  eine  Reihe 
alter  volkstümlicher  Bräuche  geübt  wurden,  namentlich  die  Versteigerung 
eines  mit  Purpurgewand  und  Bulla  bekleideten  alten  Krüppels ^o)  und  dem 
griechischen  dtrxüihaiyfAog  vergleichbare  Scherze.  ^^)  Die  spärlichen  Nach- 
richten gestatten  nicht,  uns  über  die  Bedeutung  dieser  Spiele  eine  sichere 
Meinung  zu  bilden,  doch  ist  ihre  Beziehung  zum  capitolinischen  Kulte  er- 
heblich wahrscheinlicher  als  die  zum  alten  Juppiter  Feretrius,^*)  da  die 
aus  der  ältesten  Religionsordnung  bekannten  Spiele,  wie  die  Equirria  und 
Consualia,  einen  ganz  andern  Charakter  tragen  (s.  oben  S.  31). 

Die  Bedeutung  des  capitolinischen  Heiligtums  als  religiöses  Centrum 
des  Staates  hat  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  zugenommen;  sie  prägt 
sich  aus  in  dem  Brauche,  internationale  Verträge  des  römischen  Volkes 
auf  Broncetafeln  ausgefertigt  an  den  Wänden  des  Tempels  auszuhängen,^') 
in  der  Sitte  auswärtiger,  dem  römischen  Volke  befreundeter  Souveräne 
und  Völkerschaften,   den  Juppiter  0.  M.   durch   Weihgeschenke  und   In- 


»)  Liv.  V  41,  2.  Tertull.  de  corona  13; 
mehr  bei  Marqdabdt,   Staatsverw.  III  508. 

')  Beschreibung  bei  Dion.  Ual.  YII  72; 
vgl.  Marquardt  a.  a.  0. 

*)  Cic.  Verr.  V  36.     Paul.  p.  122. 

*)  Für  die  Behauptung  Momhsens  (CIL 
P  p.  329.  335;  Rom.  Forsch.  II  45,  4),  dass 
das  epufum  der  Ludi  Romani  erst  eine  Nach- 
bildung desjenigen  der  Ludi  plebeji  sei,  ver- 
mag ich  einen  stichhaltigen  Grund  nicht  zu 
finden. 

^)  Die  Einzelheiten  bei  Marquasdt  a. 
a.  0.  498  ff. 

•)  Cass.  Dio  LI  1.    Cic.  de  orat.  III  73. 


7)  Das  Datum  gibt  Plut.  RomuL  25. 

")  Vgl.  darüber  Mommsek,  Eph.  epigr. 
n  p.  129;  Rom.  Forsch.  II  55  ff.;  Staatsr. 
III  115,  2. 

»)  Liv.  V  50,  4.  52,  11.  Cic.  ad  Qu. 
fr.  II  5,  2.    CIL  I  805  =  X  6488.  XIV  2105. 

^0)  Fest.  p.  322.  Plut.  Q.  R.  53;  Romul.  25. 

^  0  Ennius  in  den  Schol.  Bern,  zu  Verg. 
Georg.  II  384. 

^*)  So  Ennius  a.  a.  0.  und  Piso  bei  Ter- 
tull. de  spect.  5. 

")  Jordan,  Topogr.  12  S.  53  ff  Gil- 
bert, Gesch.  u.  Topogr.  d.  Stadt  Rom  III 
389  f. 


A.  Di  indigetes.    21.  Juno. 


113 


Schriften  zu  ehren,  0  vor  allem  aber  darin,  dass  die  römischen  Bürgerstädte 
bevorzugten  Ranges,  die  Coloniae,  unter  anderen  Ehrenrechten,  welche  sie 
als  unmittelbare  Abbilder  Roms  darstellten,')  vor  allem  das  genossen,  ein 
Gapitolium,  d.  h.  einen  an  hervorragender  Stelle  gelegenen  Tempel  von 
Juppiter  0.  M.,  Juno  und  Minerva  zu  besitzen  (Litteratur  darüber  s.  oben 
S.  38).  Dieselbe  Thatsache  zeigt  sich  aber  endlich  auch  darin,  dass  auch 
der  Privatmann,  dem  es  natürlich  jederzeit  freistand,  wie  in  andern  Tem- 
peln, so  auch  auf  dem  Capitol  zu  opfern,  einmal  in  seinem  Leben  jeden- 
falls dies  Opfer  brachte,  nämlich  an  dem  Tage,  an  dem  er  die  Toga 
virilis  anlegte  und  damit  in  die  Bürgerschaft  aufgenommen  wurde;')  als 
Gott  der  mannbar  werdenden  Jugend  führte  Juppiter  den  Beinamen  Juven- 
tus,^) und  in  gleicher  Bedeutung  hat  sich  in  verhältnismässig  früher  Zeit 
eine  Göttin  Juventas  von  ihm  losgelöst  (s.  unten  §  22). 

Der  capitolinische  Kult  hat  auch  in  der  Eaiserzeit,  nachdem  ihm 
Augustus  vorübergehend  durch  Verleihung  seiner  Privilegien  an  andre 
Tempel  einigen  Abbruch  gethan  hatte  (s.  oben  S.  70),  seine  hervorragende 
politische  Bedeutung  behalten,  und  der  Juppiter  0.  M.  ist  bis  zum  Unter- 
gange des  römischen  Reiches  die  göttliche  Verkörperung  seines  Bestandes 
geblieben:  er  mit  seinen  beiden  Tempelgenossinnen  nimmt  ausnahmslos 
den  ersten  Platz  ein  in  den  langen  Götterreihen,  die  von  den  Staatsprie- 
stern bei  den  verschiedensten  Anlässen  für  das  Wohl  des  Kaisers  und 
des  Reiches  angerufen  werden  (s.  oben  S.  74  f.),  und  der  Gedanke,  dass  er 
der  erste  Schützer  des  Herrschers  ist,  hat  in  zahlreichen  Gelübden  und 
Opfern  an  ihn  auch  von  Privaten^)  und  in  der  Anrufung  des  Gottes  als 
Conservator,  Gustos,®)  Servator,  Sospitator,  Tutator,  Redux,  Depulsor,  wie 
sie  uns  Inschriften  und  Münzlegenden  massenhaft  bieten,  seinen  Ausdruck 
gefunden.  Juppiter  0.  M.,  Juno  und  Minerva  werden  in  allen  Teilen  des 
Reiches  an  erster  Stelle  in  Weihinschriften  genannt,  und  in  der  westlichen 
wie  in  der  östlichen  Reichshälfte  werden  mit  Vorliebe  die  einheimischen 
Hauptgottheiten  mit  Juppiter  0.  M.  gleichgesetzt,  so  dass  dieser  gewisser- 
massen  die  Gesamtheit  der  im  Reiche  verehrten  Gottheiten  in  sich  ver- 
einigt und  das  Gapitolium  mit  Fug  und  Recht  von  der  christlichen  Pole- 
mik als  ofnnium  daemonum  templum  bezeichnet  werden  konnte.'') 

Litteratur:  Pbbllkb-Jordan,  Rdm.  Mythol.  I  184- -243.  E.  Aust  in  Roschers 
Lexikon  II  619-762  (vortrefflich). 

21.  Juno.  Ueberall,  wo  Juppiter  in  Italien  verehrt  wird,  steht  neben 
ihm  als  weibliche  Himmelsgottheit  und  Genossin  Juno  (d.  h.  lovino  neben 


>)  z.  B.  CIL  VI  372  ff.  und  dazu  Hülsen, 
Rom.  MiU.  lY  1889,  252  ff. 

*)  Gell.  XVI  13,  9:  amplUudinem  maie- 
gtaiemque  populi  Bomani,  cuiu8  istae  coloniae 
quaH  effigies  parvae  sitnulacraque  quaedam 
esse  ifidentur, 

')  Serv.  Ecl.  4,  50:  sane  lovem  merito 
puerorum  dieunt  inerementa  curare,  quia  cum 
pueri  togam  virilem  sumpserint,  ad  Capito- 
lium  eunt;  daher  ad  CapitoUum  ire  geradezu 
tjnonjm  mit  togam  virilem  sumere.  Vgl. 
RoMBACH,  Rom.  Ehe  S.  408. 

«)  CIL  IX  5574.  XI  3245. 

BaBdbncli  der  M— .  AltertniMwIwomiehin.    V,  4. 


«]  z.  B.  Suet.  Aug.  59;  Calig.  5.  CIL 
VI  2059  u.  a. 

*)  Tempel  des  Juppiter  Conservator  und 
des  Juppiter  Custos  auf  dem  Capitol  erbaute 
aus  einem  persönlichen  Anlasse  Domitian 
(Tac.  hist.  111  74.  Suet.  Dom.  5;  vgl.  Jor- 
dan, Topogr.  I  2  S.  49  f.),  der  auch  dem 
capitolinischen  Kulte  besonderen  Glanz  ver- 
lieh durch  Einrichtung  des  Agon  Capitolinus 
(Fribdländbb,  Sitt.6esch.  11^  437  ff.  Wis- 
sowA,  Real-Encycl.  III  1527  ff.). 

^)  TertuU.  de  spect.  12;  vgl.  Serv.  Aen. 
II  319. 

8 


114  Beligion  nnd  Enltiui  der  Römer.    II.  Qötierlehre. 

lovis,^)  auch  der  Name  lovia^)  findet  sich  vereinzelt),  und  überall,  wo  Um- 
fang und  Art  unserer  Nachrichten  ein  sicheres  Urteil  ermöglichen,  zeigt 
sich  der  Parallelismus  in  der  Auffassung  dieser  beiden  Gottheiten  in  voller 
Deutlichkeit.  Im  südlichen  Etrurien  tritt  uns  vor  allem  der  Kult  der  Juno 
Curitis  in  Falerii  entgegen,  der  dort  den  Mittelpunkt  der  Staatsreligion 
gebildet  zu  haben  scheint,  da  die  Stadt  später  den  Namen  Colonia  Junonia') 
führte  und  römische  Gelehrsamkeit  die  Falisker  von  Argos,  dem  Haupt- 
orte griechischen  Heradienstes,  ableitete;^)  ferner  finden  wir  Juno  Regina 
als  Burggöttin  in  Veji  (s.  u.  S.  116  f.)  und  als  Hauptgottheit  in  Perusia;*)  in 
dem  umbrischen  Pisaurum  ist  die  Verehrung  von  Juno  Lucina  und  Juno 
Regina  inschriftlich  bezeugt,^)  während  uns  an  verschiedenen  Stellen  des 
oskisch-sabellischen  Gebietes  der  Kult  einer  JunoPopulona  begegnet.'^)  Vor 
allem  aber  ist  Latium  reich  an  Junokulten,  und  schon  die  Existenz  eines 
nach  Juno  benannten  Monats  in  den  Kalendern  von  Aricia,  Tibur,  Prae- 
neste,  Laurentum,  Lanuvium  redet  eine  deutliche  Sprache;^)  ausserdem 
kennen  wir  als  in  alter  Zeit  bereits  verehrt  und  allem  Anscheine  nach 
von  Rom  unabhängig  die  Juno  von  Gabii,^)  die  Juno  Regina  von  Ardea,*^) 
die  Juno  Sospita  von  Lanuvium  (s.  u.  S.  117),  die  Juno  Quiritis  von  Tibur 
(Serv.  Aen.  1 17)  und  die  Juno  Lucina  von  Tusculum.^^)  Die  mannigfaltigen 
Nuancen  der  Auffassung,  die  sich  in  diesen  lokal  differenzierten  Kulten  er- 
kennen lassen,  finden  wir  sämtlich  in  Rom  wieder,  zum  Teil  als  altein- 
heimische Überlieferung,  zum  Teil  auf  Grund  späterer  Reception,  und 
darum  lässt  sich  aus  den  Thatsachen  des  stadtrömischen  Junokultes  das 
Gesamtbild  der  italischen  Göttin  in  den  wesentlichen  Zügen  wiedergewinnen. 
Von  grundlegender  Bedeutung  ist  die  enge  und  unlösbare  Verbin- 
dung von  Juno  mit  Juppiter,  die  sich  in  zahlreichen  Einzelheiten  des  Ri- 
tuals dokumentiert;  die  Gattin  des  eigentlichen  Juppiter-Priesters,  des 
Flamen  Dialis,  versieht  den  Dienst  der  Juno  (Plut.  Q.  R.  86),  weisse  Rinder 
werden  als  feierlichstes  Opfer  der  Juno  ebensowohl  wie  dem  Juppiter  ge- 
schlachtet, nur  dass  der  Göttin  Kühe,  dem  Gotte  Stiere  zukommen, '*)  der 
Verehrung  des  Juppiter  Dapalis  und  Epulo  durch  Bereitung  einer  Mahl- 
zeit entspricht  der  Brauch,  bei  bestimmten  Anlässen  der  Juno  einen  Tisch 
zu  decken;  ^^)  wie  dem  Juppiter  alle  Idus,  so  sind  der  Juno  alle  Kalendae 

Nissen,  Pompej.  Studien  S.  843. 

8)  Ovid.  fast.  VI  59  ff.  Macr.  S.  I  12,  30, 
welche  die  Formen  lunonius  und  lunonalis 
für  den  in  Rom  luniua  genannten  Monat 
bezeugen;  daher  scheint  die  von  Mommsen, 
Chronol.  S.  222  gebilligte  alte  Ableitung  des 
letzteren  Namens  von  iuvare  iuvenia  unhalt- 
bar; vgl.  auch  W.  H.  RosoHBB,  Jahrb.  f. 
Philol.  CXI  367  ff. 

»)  Verg.  Aen.  VII  682.  Sil.  Ital.  XII  537. 

")  Plin.  n.  h.  XXXV  115. 

>0  CIL  X  3807:  lunone  Loitcina  Tuseo- 
lana  sacra. 


')  luno  Loucina  Diovia  (seil,  coniunx) 
CIL  VI  357  nach  der  Erklärung  Mommsens 
(anders  z.  B.  Jobdah,  Quaestiones  umbricae 
p.  14). 

')  Auf  einer  marrucinischen  Inschrift 
(Zybtaibff,  Inscr.  Ital.  inf.  dial.  Nr.  8)  lovia 
lovea  patres  (vgl.  Cobssen,  Kuhns  Ztschr.  IX 
144  f.).  Auch  die  lovia  der  iguvinischen 
Tafeln  (Bubchelbb,  Umbrica  p.  125)  wird 
am  wahrscheinlichsten  auf  Juno  bezogen. 

•)  Lib.  col.  p.  217.  Ueber  den  Junokult 
von  Falerii  vgl.  Dbeokb,  Die  Falisker  S.  83  ff. 

*)  Ovid.  am.  III  13,  31  ff.  Cato  bei  Plin. 
n.  h.  in  51  und  mehr  bei  Bobmann,  CIL  XI 
p.  465. 

')  Appian.  b.  c.  V  49;  vgl.  Cass.  Dio 
XLVIIl  14. 

•)  CIL  I  171—173. 

')  CIL   IX  2630.    X  4789-4791;    vgl. 


*•)  Niveae  iuvencae  Ovid.  am.  III  13,  13. 
Liv.  XXVII  37,  11.15.  Juven.6,  48.  Dibiä, 
Sibyll.  Blätter  S.  38.  52. 

>»)  Tertull.  de  anima  39;  vgl.  Paul.  p.  64. 
Dion.  Hai.  II  50. 


A,  Di  indigebes.    21.  Juno. 


115 


heilig,  weshalb  sie  in  Laurentum  den  Beinamen  Kalendaris  führt  >)  und  zu 
Janus,  dem  Ootte  des  Eingangs,  also  auch  der  Monatsanfange,  in  enge 
sakrale  Beziehung  tritt  (s.  oben  S.  91  f.).  Dass  auch  dem  inneren  Wesen 
nach  Juppiter  und  Juno  nahe  Verwandte,  gewissermassen  parallele  Gestalten 
sind,  kommt  vielfach  in  den  Kultbeinamen  zum  Ausdrucke;  neben  Juppiter 
Lucetius  steht  Juno  Lucina,')  neben  Juppiter  Ruminus  und  Juppiter  Ful- 
gur  eine  Rumina  und  Fulgura.')  Die  Übereinstimmung  der  Namen  weist 
natürlich  auf  Gleichheit  der  göttlichen  Funktionen;  so  wissen  wir,  dass 
Juno  nach  italischer  Vorstellung  die  Fähigkeit  Blitze  zu  schleudern  nicht 
minder  besass  als  Juppiter  (Serv.  Aen.  I  42.  Vm  430) ;  dass  sie  entspre- 
chend dem  Juppiter  Pluvialis  u.  a.  als  Regenspenderin  verehrt  wurde, 
dürfen  wir  vielleicht  aus  dem  Umstände  schliessen,  dass  die  Krähe,  ein 
regenverkündender  Vogel,  ihr  heilig  ist;^)  an  den  kriegerischen  und  sieg- 
verleihenden Juppiter  erinnert  es,  wenn  sowohl  die  lanuvinische  Juno  als 
die  in  Tibur  verehrte  Juno  Quiritis  in  kriegerischem  Aufzuge,  mit  Schild 
und  Lanze  bewaffnet,  erscheint;^)  endlich  bezeichnet  der  häufigste  Bei- 
name der  Göttin,  Regina,  sie  deutlich  als  die  Genossin  des  höchsten  und 
besten  Juppiter.  Diese  enge  Verbindung  beider  Gottheiten  ist  dann  im 
praktischen  Gottesdienste  insofern  verwischt  und  verdunkelt  worden,  als 
sich  Juno  aus  all  denjenigen  Funktionen,  in  denen  sie  mit  Juppiter  kon- 
kurrierte, allmälig  zurückzog  und  dafür  als  Frauengottheit  einen  unab- 
hängigen und  umfassenden  Wirkungskreis  erhielt ;  der  Prozess  dieser  Ver- 
selbständigung des  Junokultes  lässt  sich  zwar  nicht  im  einzelnen,  aber  doch 
in  grossen  Zügen  noch  verfolgen. 

In  der  ältesten  römischen  Kultusordnung  ist  Juno  ebenso  im  Verein 
mit  Juppiter  verehrt  worden,  wie  Nerio  mit  Mars,  Lua  mit  Saturnus,  Libera 
mit  Liber  u.  s.  w.  Neben  den  zahlreichen  Juppiterfesten  weist  die  Festtafel 
kein  sicheres  Fest  der  Juno  auf,®)  und  die  Unterordnung  der  Göttin  kommt 
darin  deutlich  zum  Ausdrucke,  dass,  während  die  dem  Juppiter  geheiligten 
Idus  sämtlich  feriae  sind,  die  der  Juno  geweihten  Kalendae  ihren  Charakter 
als  Werktage,  soweit  nicht  andre  Gründe  in  Betracht  kommen,  beibehalten. 
Auch  ihre  ältesten  Kultstätten  scheinen  mit  denen  des  Juppiter  vereinigt 


')  Macr.  S.  T  15,  19  f.  Lyd.  de  mens. 
III  7;  vgl.  MoxMBBN,  Chronol.  S.  16  f. 

*)  Lucinam  ac  Lucetiam  sagt  Mart. 
Cap.  II  149. 

')  Beide  Namen  werden  von  August. 
c.  d.  VI  10  mit  Populonia  d.  h.  Juno  Popu- 
lona  zusammengestellt  und  dürfen  daher 
wohl  als  Beinamen  der  Juno  gelten;  Rumina 
tat  wahrscheinlich  auch  bei  Amob.  III  30 
fOr  Pomana  zu  lesen.  Im  übrigen  vgl.  über 
die  diva  Rumina  R.  Pbtbr  in  Roschers  Lexik. 
II  219  f. 

*)  Die  Krähengöttinnen,  divae  Corniscae, 
hatten  einen  eignen  Hain  trans  Tiberim, 
Paul.  p.  64.  CIL  VI  96  (ob  die  rätselhafte 
Caranice  der  archaischen  Inschrift  CIL  VI 
30858  mit  den  Comiscae  zusammenhängt, 
wie  HOlsen,  Hörn.  Miti  X  1895,  64  ver- 
mutet, ist  mehr  als  zweifelhaft).    lieber  die 


Krähe  als  imbrium  divina  avis  imminenium 
vgl.  Hör.  c.  III  27,  10.  17,  12.  Lucr.  V  1085. 
Verg.  Georg.  I  388  u.  a. 

*)  üeber  den  Namen  (Quiritis,  Curitis, 
Curritis),  abzuleiten  von  quiris,  curis  = 
,Lanze'  vgl.  Bebsu,  Die  Qutturalen  S.  38  f. 
118  f.  In  dem  von  Serv.  Aen.  I  17  (vgl.  I  8) 
mitgeteilten  tiburtinischen  Qebete :  luno  Cur- 
ritis,  tuo  curru  clipeoque  tuere  meos  curiae 
vernulas  scheint  auf  Grund  falscher  Etymo- 
logie tuo  curru  für  das  durch  den  Sinn  ge- 
forderte tua  euri  eingetreten  zu  sein.  Sonst 
vgl.  Paul.  p.  49.  64.  Fest.  p.  254.  Plut. 
Rom.  29;  Q.  R.  87.  Dion.  Hai.  II  50.  Mart. 
Cap.  II  149. 

*)  Ueber  die  wahrscheinlich  zu  den  äl- 
testen Feriae  gehörigen  Nonae  Caprotinae, 
die  mit  dem  Juppiterfeste  der  Poplifugia 
aufs  engste  zusammenhängen,  s.  unten  S.  118. 

8* 


116 


Religion  und  Enltas  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


gewesen  zu  sein.  Auf  der  südlichen  Anhöhe  des  capitolinischen  Hügels, 
wo  das  älteste  Heiligtum  des  Juppiter  Feretrius  lag,  stand  die  sog.  Curia 
Galabra,  an  die  ein  uralter  Brauch  anknüpfte :  ^)  hier  erfolgte  allmonatlich 
an  den  Ealendae,  sobald  das  Wiedererscheinen  des  neuen  Mondes  festge- 
stellt worden  war,  die  Ansetzung  der  Nonae  auf  den  5.  bezw.  7.  Tag  und 
zwar  durch  Ausrufung  der  Formel  Dies  te  quinque  (bezw.  Septem  dies  te) 
calo,  Inno  Covella;  dass  hier  die  weibliche  Himmelsgottheit  speziell  als 
Mondgöttin  aufgefasst  ist,  haben  schon  die  alten  Mythologen  richtig  er- 
kannt. Aber  auch  mit  dem  auf  der  anderen  Anhöhe  desselben  Hügels, 
auf  der  Arx,  angesiedelten  Juppiterkulte  scheint  der  der  Juno  von  Alters 
her  verbunden  gewesen  zu  sein,  falls  wenigstens  die  Vermutung  nicht 
trügt,  dass  durch  die  im  J.  410  =  344  erfolgte  Weihung  des  Tempels  der 
Juno  Moneta  auf  der  Burg')  nicht  ein  neuer  Kult  geschaffen  wurde, 
sondern  nur  ein  alter  eine  zeitgemässe  Ausgestaltung  und  ein  neues  Lokal 
erhielt;  für  diese  Annahme  spricht  einerseits  der  Umstand,  dass  der 
Stiftungstag  dieses  Tempels,  der  wie  die  sämtlicher  Junoheiligtümer  auf 
die  Ealenden  angesetzt  ist,  gerade  auf  die  Kaienden  des  Juni,  also  des 
speziell  der  Göttin  heiligen  Monats  fiel,  andererseits  die  Thatsache,  dass 
auch  mit  dem  alten  Juppiterkulte  auf  dem  Albanerberge  gerade  der  der 
Juno  Moneta  gepaart  war;^)  die  Begründung  des  Namens  Moneta,  der  kaum 
etwas  anderes  als  die  ,Raterin,  Mahnerin'  bedeuten  kann,  ist  unbekannt 
und  hat  in  alter  und  neuer  Zeit  zu  zahlreichen  Erfindungen  und  Hypo- 
thesen Anlass  gegeben.  —  Ein  anderer  alter  Junokult  befand  sich  auf 
dem  Esquilin,  wahrscheinlich  ursprünglich  in  Verbindung  mit  dem  des 
Juppiter  Fagutalis  (s.  oben  S.  102  Anm.  6);  an  der  Spitze  des  Mons  Cispius 
lag  ein  alter  Hain  der  Juno  Lucina,  an  dessen  Stelle  im  J.  379  =  375  ein 
Tempel  derselben  Göttin  trat;^)  der  Stiftungstag  des  letzteren  wurde 
am  1.  März  von  den  Frauen  besonders  festlich  begangen  und  führte 
daher  den  Namen  Matronalia,^)  ohne  aber  zu  den  Feriae  publicae  zu 
gehören.  Dazu  kommt  dann  als  dritter  wichtiger  Kult  der  der  Juno 
Regina^)  innerhalb  der  capitolinischen  Trias  (auch  in  dem  Gapitoliuni 
vetus  auf  dem  Quirinal);  einen  eignen  Tempel  der  Juno  Regina  gab  es 
seit  dem  J.  575  =  179  beim  Circus  Flaminius,  benachbart  einem  Tempel 
des  Juppiter  Stator.^)  Sehr  zahlreich  aber  sind  die  Junokulte  benach- 
barter und  unterworfener  Gemeinden,  die  in  Rom  eine  neue  Stätte  fanden. 
Obenan  steht  hier  die  Burggöttin  von  Veji,  ebenfalls  als  Juno  Regina 
angerufen,  deren  Kult  und  Bild  nach  der  Zerstörung  Vejis  durch  M. 
Furius  Camillus  nach  Rom  überführt  und  in  einem  am  1.  September  362 


»)  Varro  de  1.  1.  VI  27.  Macr.  S.  1 15, 
9  ff.  Fast.  Praen.  CIL  P  p.  231.  Vgl.  Lyd. 
de  mens.  III  7.  Serv.  Aen.  YIII  654.  Plut. 
Q.  R.  24. 

«)  Liv.  VII  28.  Ovid.  fast.  VI  183  f.  und 
mehr  bei  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  109;  Inno 
Moneta  Regina  CIL  VI  362. 

")  Einen  Tempel  der  Juno  Moneta  auf 
dorn  Mons  Albanus  gelobt  C.  Cicereius  581 
=  173  und  weiht  ihn  586  =  168  (üv.  XLII 
7,  1.  XLV  15,  10). 


*)  Ovid.  f.  II  435  f.  Varro  de  1. 1.  V  49. 
Plin.  n.  h.  XVI  235.  Vgl.  die  Inschriften 
CIL  VI  356  ff.  3694  f. 

*)  Plut.  Rom.  21.  Schol.  Juv.  9,  53; 
matranales  seil,  feriae  Tertull.  de  idol.  14. 
Zeugnisse  b6i  Marquardt,  Staatsverw.  III 571. 

*)  In  den  Arval-  und  Saecularakten  steht 
regelmässig  neben  Juppiter  Optimus  Mazimus 
die  Juno  Regina. 

»)  Liv.  XXXIX  2,  11.  XL  52, 1  ff.  Ausr, 
De  aedib.  sacr.  p.  24  f.  und  oben  S.  108. 


A.  Di  indigetes.    21.  Jnno. 


117 


=  392  eingeweihten  Tempel  auf  dem  Aventin  angesiedelt  wurde.  ^  In 
analoger  Weise  mag  bei  der  Dedition  von  Falerii  518  =  241  der  dortige 
Kult  der  Juno  Curitis  (oder  Quiritis)  nach  Rom  evociert  worden  sein; 
wenigstens  verzeichnen  die  Kaiendarien  am  7.  Oktober  das  Stiftungsfest 
eines  Tempels  dieser  Göttin  auf  dem  Marsfelde;')  auch  die  samnitische 
Juno  Populona  (s.  oben  S.  114)  scheint  in  Rom  von  Staatswegen  ein  Heilig- 
tum besessen  zu  haben.')  Endlich  aber  haben  sich  die  Römer  auch  den 
berühmtesten  der  latinischen  Junokulte,  den  der  Juno  Sispes  (oder  Sospita)^) 
Mater  Regina  von  Lanuvium^)  in  doppelter  Weise  angeeignet;  nach  der 
Einverleibung  der  Stadt  in  den  römischen  Staatsverband  416  =  388  wurde 
auch  der  lanuvinische  Kult  römischer  Staatskult,  behielt  aber  seinen  Sitz 
in  Lanuvium*)  und  wurde  im  Auftrage  und  unter  Aufsicht  des  römischen 
Pontificalkollegiums  teils  durch  den  Dictator  von  Lanuvium  und  einen  von 
ihm  bestellten  Flamen,^)  teils  durch  eine  aus  römischen  Rittern  gebildete 
Priesterschaft  von  Sacerdotes  Lanuvini  versehen;')  die  römische  Staats- 
behörde beteiligte  sich  direkt  durch  ein  alljährlich  von  den  Consuln  zu 
bringendes  Opfer  (Cic.  p.  Mur.  90).  Dann  aber  erhielt  dieselbe  Göttin  im 
J.  560  =  194  durch  C.  Cornelius  Cethegus  einen  Tempel  am  Forum  holi- 
torium,  dessen  Stiftungstag  der  1.  Februar  war.')  Das  Tempelbild,  offen- 
bar in  Rom  das  gleiche  wie  in  Lanuvium,  stellte  die  Göttin  in  eigentüm- 
lichem Aufzuge  dar,  bekleidet  mit  einem  Ziegenfell  und  mit  Schnabel- 
schuhen, bewehrt  mit  Lanze  und  Schild  (Cic.  de  nat.  d.  I  83);  diese  Dar- 
stellung kehrt  nicht  nur  auf  republikanischen  Münzen,  sondern  auch  in 
Statuen  und  Reliefs  der  Kaiserzeit,  namentlich  aus  der  Zeit  des  Antoninus 
Pius,  der  in  der  Nähe  von  Lanuvium  geboren  und  ein  besonderer  Verehrer 
der  Göttin  war  (Hist.  aug.  Pius  8,  3),  mehrfach  wieder.*®) 

So  verschieden  auch  diese  einzelnen  Junokulte  in  ihrer  ursprünglichen 
Anlage  und  in  vielen  Einzelheiten  des  Rituals  gewesen  sein  mögen,  allen 
gemeinsam  ist  der  Zug,  dass  überall  die  Frauen,  und  zwar  die  verehelichten 
ehrbaren  Frauen  (matronae),  als  Trägerinnen  des  Kultes  der  Göttin  auf- 
treten.**) Der  Matronalia  oder  femineae  Kalendae  (Juven.  9,  53),  d.  h.  des 
am  1.  März  begangenen  Festes  der  Juno  Lucina,  ist  bereits  gedacht  wor- 
den, die  Verehrung  der  vejentischen  Juno  Regina  auf  dem  Aventin  liegt 
von  Anfang  an  vorzugsweise  in  den  Händen  der  Frauen,  die  bei  beson- 
deren Anlässen  in  feierlicher  Procession  nach  dem  Heiligtume  ziehen,*')  für 


')  Liv.  V  21,  3.  23,  7.  31,  3.  Dion.  Hai. 
XIII  3. 

')  loti  Fulguri  lunoni  Curriti  in  campo, 
▼gl.  MoHXSBir,  CIL  P  p.  331. 

')  Macr.  8.  III  11,  6;  sonst  vgl.  Arnob. 
in  80.    Mart.  Cap.  11   149.    CIL  III  1075. 

*)  Ueber  den  Namen  s.  W.  Prellwitz, 
Featschr.  z.  dOjAbr.  Doctorjabil.  von  L.  Fried- 
Iftnder  (1895)  S.  398  ff. 

»)  CIL  XIV  2088  ff.  2121 ;  vgl.  Fest, 
p.  343. 

•)  Liv.  VIII  14,  2. 

»)  Cic.  pro  MiL  27.  45  f.  Ascon.  p.  27. 
CIL  XrV  2092. 

')    MARgvABDT,    Staatsverw.    III    476. 


Dessau,  CIL  XIV  p.  192. 

•)  Liv.  XXXII  30,  10.  XXXIV  53,  3  (mit 
der  sicheren  Emendation  von  Sigonius)  ;  Ovid. 
fast.  II  55  ff.,  der  den  Tempel  Phrygiae  con- 
termina  Matri  nennt  (das  wäre  auf  dem 
Palatin),  scheint  Mater  Magna  und  Mater 
Matata  (s.  oben  S.  98)  zu  verwechseln. 

»0)  Monum.  d.  Inst.  VI— VII  76.  MOlleb- 
WiBsfiLER,  Denkm.  I  299.  II  63".  Mehr  bei 
OvBBBEOK,  Ennstmythol.  III  160  ff.  J.  Vogel 
in  Roschers  Lexik.  II  605  ff. 

>*)  Daher  ist  auch  die  Gans  ihr  heilig, 
vgl.  Stephani,  Compte  rendu  1863,  21  f. 

")  Liv.  V  31,  3.  XXI  62,  8.  XXVII 
37,  7  ff. 


118  Beligion  und  Enltas  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 

den  stadtrömischen  Kult  der  Juno  Curitis  fehlen  uns  alle  Zeugnisse,  aber 
ihr  Fest  zu  Falerii  ist  nach  der  Beschreibung  Ovids^  offenbar  in  erster 
Linie  ein  Frauenfest.  Ein  solches  sind  endlich  auch  die  rätselhaften  Nonae 
Caprotinae  (CIL  IV  1555),  die  am  1,  Juli  in  Rom  und  Latium  begangen 
wurden  und  über  deren  Ursprung  tiefes  Dunkel  gebreitet  war ;  *)  sicher 
steht  nur,  dass  sich  an  dieser  Feier,  die  wahrscheinlich  zu  den  Feriae  der 
ältesten  Festordnung  gehörte,*)  die  Frauen  im  weitesten  Umfange  betei- 
ligten, Freie  wie  besonders  Sklavinnen,^)  und  dass  das  Opfer  unter  einem 
wilden  Feigenbaum  {caprificus)  stattfand;*)  die  bekannte  obscöne  Bedeu- 
tung der  Feige  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  es  Juno  in  ihrer  Bedeutung 
als  Schützerin  der  weiblichen  Geschlechtsfunktion en^)  war,  der  dieses  Fest 
galt;  auch  die  Rolle,  welche  die  Ziege  im  Kulte  der  Göttin  spielt,  scheint 
nach  derselben  Richtung  zu  weisen. '')  Auf  die  Frauengöttin  Juno  weist  auch 
die  nach  altem  Brauche  in  ihrem  Haine  bei  Lanuvium  angestellte  Jung- 
frauenprobe®) und  der  für  Rom  bezeugte  Ausschluss  der  paelices  von  ihrem 
Kulte  ;^)  in  keinem  Zuge  aber  tritt  die  Auffassung  der  Juno  als  einer 
göttlichen  Verkörperung  des  Frauenlebens  nach  all  seinen  Bethätigungen 
so  deutlich  hervor,  wie  darin,  dass  nach  römischer  Anschauung,  wie  jeder 
Mann  als  göttliche  Wiederspiegelung  der  in  ihm  wirkenden  schöpferischen 
Kraft  seinen  Genius  besitzt,  so  jeder  Frau  ihre  Juno  zukommt  (s.  u.  §  28). 
In  dieser  Bedeutung  als  Frauengottheit  ist  Juno  namentlich  Geburts-  und 
Ehegöttin.  Insbesondere  Juno  Lucina  ist  so  speziell  Schützerin  der  Ge-^ 
burten  geworden,  dass  ihr  Name  im  lateinischen  Sprachgebrauche  dieselbe 
Rolle  spielt  wie  EiXei&via  im  Griechischen;  man  ruft  sie  in  den  Geburts- 
wehen an,  i<>)  opfert  ihr  nach  glücklich  erfolgter  Entbindung!^)  und  zahlt 
auf  Grund  eines  angeblich  von  Servius  Tullius  herrührenden  Gesetzes 
für  jede  Geburt  eine  Abgabe  an  die  Kasse  ihres  Tempels  (Dion.  Hai. 
IV  15);  sie  verleiht  nicht  nur  leichte  Geburt,**)  sondern  überwacht 
auch  die  Entwicklung  des  Kindes  im  Mutterleibe,  wovon  sie  den  Namen 
Ossipago  (oder  Ossipagina)  führt;  !^)  auf  bildlichen  Darstellungen  trägt 
sie  gewöhnlich  einen  Säugling  im  Arm.**)  Aus  dieser  Fürsorge  für  die 
Fortpflanzung  der  Gemeinde  erklären  sich  die  Beziehungen  der  Juno  zu 
dem  Gotte  der  animalischen  Befruchtung,  dem  Faunus,  die  am  Feste 
des  letzteren,   den  Lupercalia,  in   einzelnen   halbverwischten  Spuren  noch 


»)  Amor.  III  13;  vgl.  Dion.  Hai.  I  21.  |  «)  Aelian.  h.  a.  XI  16.    Prop.  V  8,  3  ff. 

>)  Aetiologifiche  Legenden  bei  Macr.  S.  I  *)  Lex  Numae  bei  Gell.  IV  3,  3:  paelex 

11,  36  ff.  (vgl.  III  2,   14).     Flut.  Rom.  29;       aram  lunonis  ne  tangiio;  ai  tangit,  lunoni 

Cam.  33;  vgl.  Ovid.  a.  a.  II  257  f.     Auson.  i   crinihus  demissis  agnum  feminam  caedito. 

de  fer.  9  p.  104  Peip.    Arnob.  III  30.  '  »'')  Cic.  de  nat.  deor.  II  69.  CatuU.  34,  13. 


*)  Vgl.  MOHMSBN,  CIL  I>  p.  321. 

*)  Daher  ancillarum  feriae  bei  Polem. 
Süv.  CIL  P  p.  269. 

»)  Varro  de  1.  I.  VI  18.  Macr.  S.  I  11, 
36.  40. 


namen  Fluonia  und  Mena,  Paul.  p.  92.  Au- 
gust, c.  d.  VII  2.  3  und  mehr  bei  R.  P£tbb 
in  Roschers  Lexik.  II  198  f.  203. 

^)  WissowA,  Real-Encycl.  III  1552  f.; 
vgl.  unten  S.  119. 


Macr.  S.  VII  16,  27.  Amob.  III  21.  Zahl- 
reiche  Beispiele  in  der  Komödie  und  sonst. 
» »)  TertuU.  de  an.  39.  Schol  Bern.  Verg. 
Ecl.  4,  62;  vgl.  Varro  de  1.  1.  V  69.  Fest, 
p.  305. 


*)  Als  solche  fuhrt  sie  auch  die  Bei-  i>)  Daher  durfte,  wer  ihrem  Tempel  nahte, 


keinen  Knoten  an  sich  haben,  Serv.  Aen.  IV 
518.    Ovid.  fast.  III  257. 

»)  Amob.  III  30.  IV  7.  8. 

>«)  OvBRBBCK,  Kunstmyth.  III  153  ff. 


A.  Di  indigetes.    21.  Jnno. 


119 


erkennbar  sind;  das  Ziegenfell,  mit  dessen  Riemen  die  Luperci  die  sich 
ihnen  in  den  Weg  stellenden  Frauen  schlagen,  um  ihnen  Fruchtbarkeit 
zu  verleihen,  heisst  amiculum  lunonis,^)  und  von  jenen  Riemen  {februa, 
Serv.  Aen.  VIII  343)  führen  sowohl  Juno*)  wie  Faunus*)  den  Beinamen 
Februa  {Februus),  Februlis  u.  ä. ;  da  das  Ziegenfell  zur  offiziellen  Kleidung 
der  Juno  Lanuvina  gehört  und  die  Ziege  auch  im  faliskischen  Junokulte 
eine  Rolle  spielt,^)  so  ist  es  gewiss  kein  Zufall,  wenn  die  Tempeltage  der 
Juno  Lanuvina  (1.  Februar)  und  Juno  Lucina  (1.  März)  auf  die  beiden 
den  Lupercalia  benachbarten  Kalendae  fallen.  Die  Funktion  der  Juno 
als  Ehegöttin  ist  mit  der  eben  geschilderten  aufs  engste  verbunden;  da 
sie  bei  der  Heimführung,  Salbung  und  Gürtung  der  Braut  thätig  und  be- 
hilflich ist,  kommen  ihr  die  Namen  Iterduca  und  Domiduca,  Unxia  und 
Ginxia  zu,^)  oder  sie  heisst  allgemein  als  göttliche  Brautführerin  Pronuba, 
ein  Name,  der  allerdings  nicht  dem  Kulte  selbst,  sondern  nur  dem  dichte- 
rischen Sprachgebrauch  angehört,  in  den  ihn  Vergil  (Aen.  IV  166)  einge- 
führt hat ;  der  entsprechende  technische  Ausdruck  des  Rituals  scheint  Juno 
Juga  gewesen  zu  sein.<^)  Auf  römischen  Hochzeitsdarstellungen  auf  Sarko- 
phagen erscheint  Juno  ständig  zwischen  den  Neuvermählten  bei  der  dextra- 
mm  iunctio;'')  es  ist  zwar  nicht  bezeugt,  aber  sehr  wahrscheinlich,  dass 
die  Flaminica  Dialis  bei  der  feierlichen  Confarreatio  dieselbe  Funktion 
ausübte.  Diese  Ehegöttin  Juno  ist  es  ohne  Zweifel,  welche  in  allen  Gurien, 
den  auf  der  Familie  und  Geschlechtsgenossenschaft  beruhenden  Verwal- 
tungskörpern, verehrt  wurde  ;^)  die  Behauptung,  diese  Juno  habe  den 
Namen  Curitis  geführt,  beruht  nur  auf  einer  etymologischen  Spielerei 
mit  curia  und  Curitis,  da  diese  Form  der  Juno  in  Rom  wohl  erst  aus 
Falerii  recipiert  ist.  Ob  die  einmal  erwähnte  Herie  Junonis  (Gell.  XHI 
23,  2),  offenbar  eine  dienende  Gottheit  {ancula)  dieses  Kreises,  gerade  zu 
Juno  als  der  Ehegöttin  gehört,  ist  nicht  zu  ermitteln,  da  uns  für  die  Deu- 
tung dieser  Gestalt  jeder  Anhaltspunkt  fehlt. 

Griechische  Einflüsse  konnten  sich  im  Laufe  der  Zeit  im  römischen 
Junokulte  um  so  leichter  geltend  machen,  als  die  ursprüngliche  Wesens- 
verwandtschaft von  Juno  und  Hera  in  vielen  Punkten  deutlich  zu  Tage 
trat.  Besonders  nahe  lag  der  Vergleich  der  Juno  Regina  mit  der  in  Grie- 
chenland vielfach  verehrten  "Hqu  Baa^Xsia,  und  darum  ist  die  Juno  Regina 
auf  dem  Aventin  seit  dem  zweiten  punischen  Kriege  an  den  auf  Anord- 
nung der  Decemviri  s.  f.  vorgenommenen  Kulthandlungen  des  Ritus  graecus 
in  hervorragender  Weise  beteiligt;®)  auch  griechische  Sagenvorstellungen 


«)  Paul  p.  85;  vgl.  Ovid.  fast.  II  427  ff. 

«)  Paul.  p.  85.  Mart.  Cap.  II 149.  Arnob. 
III  30. 

■)  Lyd.  de  mens.  IV  20;  vgl.  Macr.  S. 
I  13,  3.     Verg   Georg.  III  43. 

*)  Ovid.  am.  III  13,  18  ff.;  vgl.  die  Juno 
Caprotina  in  Rom  (oben  S.  118).  Ueber  die 
Bedeutung  der  Ziege  im  allgemeinen  s.  Ste- 
PHAHi,  Gompte  rendu  1869,  55  ff. 

*)  Mart.  Cap.  II  149.  Paul.  p.  63.  Au- 
guflt.  c.  d.  VII  3.     Arnob.  III  25.  30. 

*)  Paul.  p.  104,  der  von  einer  im  t>icus 


iugariua  gelegenen  ara lunonis lugae  spricht; 
die  Herleitung  des  Strassennämens  von  dieser 
Juno  Juga  ist  sicher  falsch;  s.  auch  Serv. 
Aen.  IV  16. 

^)  A.  RossBAOH,  Rom.  Hochzeits-  und 
Ehedenkmäler,  Lpz.  1871.  Ovbrbbck,  Eunst- 
myth.  III  131  ff.  Vgl.  auch  H.  Bruitk,  An- 
nair  d.  Inst.  1844,  186  ff.  A.  Herzog,  Stat. 
epitbal.  p.  26  ff. 

^)  Paul.  p.  64.    Dion.  Hai.  II  50. 

»)  DiBLS,  Sibyll.  Blätter  S.  52  ff. 


120 


Religion  und  Enltiu  der  Römer.    II,  GOtterlehre. 


wurden  durch  die  augusteischen  Dichter  ohne  weiteres  übertragen  und  so 
namentlich  dem  Verhältnis  von  Hera  und  Ares  entsprechend  Mars  zum 
Sohne  der  Juno  gemacht,  eine  Auffassung,  die  der  italisch-römischen  Re- 
ligion völlig  fremd  ist. 

Litteratur:  Pseller-Jobdan,  Rom.  Mythol.  I  271—289.  W.  H.  Rosoheb,  Studien 
zur  vergleichenden  Mythologie  der  Griechen  und  Römer.  11.  Juno  und  Hera.  Leipzig  1875 
und  in  seinem  Mythol.  Lexik.  II  574 — 605. 

22.  Qottheiten  aus  dem  Kreise  des  Juppiter.  Unter  den  Göttern, 
die  sich  aus  der  umfassenden  Machtsphäre  des  Juppiter  losgelöst  und  zu 
selbständigen  Individuen  entwickelt  haben,  steht  obenan  Dius  Fidius, 
ursprünglich  nichts  anderes  als  Juppiter  selbst  in  seiner  Bedeutung  als 
Schützer  der  fides^  dann  selbständiges  Objekt  eines  besonderen  Kultes.  Die 
Gründung  der  aedes  Dii  Fidii  in  colle,  d.  h.  auf  dem  Quirinal,  verzeichnete 
die  Stadtchronik  im  J.  288  =  466  (Stiftungstag  5.  Juni),i)  und  wenn 
eine  andere  Überlieferung  dieses  Heiligtums  bis  in  die  Tarquinierzeit  oder 
gar  bis  auf  T.  Tatius  hinaufrücken  wollte,*)  so  war  das  nur  die  Kon- 
sequenz der  Annahme,  dass  eine  in  diesem  Tempel  stehende  Erzstatue 
einer  spinnenden  Frau  die  Gaia  Caecilia  oder  Tanaquil,  Gattin  des  Tar- 
quinius  Priscus,  darstelle.*)  Der  in  diesem  Heiligtume  verehrte  Gott  wird 
bei  den  alten  Autoren  bald  Dius  Fidius  (griechisch  Zsvg  Iltauog,  oft  ent- 
stellt deus  fidius),  bald  Sancus  (oft  entstellt  sanctus)  genannt,  der  volle 
Name  war  Semo  Sancus  Dius  Fidius,  wobei  setno  san^^us*)  ein  Epitheton 
ist  wie  duonu^  cerus  bei  Janus  (s.  oben  S.  91)  oder  bona  d^a  bei  Fauna 
u.  a.  Antike  und  moderne  Mythologen  haben  Semo  Sancus  und  Dius  Fidius 
als  zwei  selbständige,  aber  ihrem  innern  Wesen  nach  identische  und  darum 
nachher  mit  einander  verschmolzene  Gottheiten  auffassen  wollen,  dass  aber 
alle  vier  Namen  zu  demselben  Gotte  gehören,  geht,  abgesehen  von  der 
eben  erwähnten  schwankenden  Bezeichnung  des  Heiligtums,  auch  daraus 
hervor,  dass  die  ümbrer  einen  entsprechenden  Gott  Fi»ius  (oder  Fisovius) 
Sancius  verehren,  dessen  Namen  dieselbe  Doppelbezeichnung  zeigt;  dass 
dieser  umbrische  Gott  ebenso  wie  Dius  Fidius  in  der  engsten  Beziehung 
zu  Juppiter  steht,  beweist  der  Umstand,  dass  in  den  iguvinischen  Tafeln 
Sancius  auch  als  Beiname  des  lupater  sich  findet.^)  Eine  antike  Hypo- 
these machte  den  Semo  Sancus  zu  einem  sabinischen  Heros  und  setzte  nicht 
nur  ihn  mit  dem  römischen  Dius  Fidius,  sondern  auch  beide  Götter  mit  dem 
griechischen  Herakles  gleich,«)  wofür  die  von  Aelius  Stilo  verfochtene  ver- 


')  Dion.  Hai.  IX  60.  Ovid.  fast.  VI 
213  ff.  CIL  I«  p.  319.  Gilbert,  Gesch.  u. 
Topogr.  d.  Stadt  Rom  1  275  ff.  Hülsen,  Rhein. 
Mos.  XLIX  1894,  409. 

«)  Dion.  Hai.  IX  60.  TertuU.  ad  nat. 
II.  9. 

»)  Varro  bei  Plin.  n.  h.  VIII  194.  Plut. 
Q.  R.  30.  Fest.  p.  238;  vgl.  Detlefssn,  De 
arte  Roman,  antiqa.  II  p.  8. 

^)  Dass  semones  in  älterer  Zeit  einen 
Gattungsbegriff  bildet,  wie  später  genii,  be- 
zeugt das  semunis  des  Arvalenliedes  und 
semunu  im  Weihgedicht  von  Gorfininm,  vgl. 
BüECBELBR,  Rhein.  Mus.  XXXIII  281;  die 


späte  Deutung  der  semones  als  Halbgötter 
(Mart.  Cap.  II  156;  vgl.  Fulg.  exp.  serm.  ant. 
p.  561  M.)  ist  nichts  als  etymologische  Spie- 
lerei (mit  8emi-)f  vgl.  Jordan,  Krit.  Beitr. 
S.  204  ff.  und  zu  Preller,  Rom.  Myth.  I 
90,  2. 

*)  Vgl.  Aufrecht  und  Eirchhoff,  Umbr. 
Sprachdenkm.  II  186  ff. 

«)  Gato  bei  Dion.  Hai.  II  49  (vgl.  Sil. 
Ital.  VIII  421  ff.  Lact.  I  15,  8.  August,  c. 
d.  XVIII  19).  Varro  de  1.  1.  V  66.  Fest, 
p.  229.  Paul.  p.  147.  Prop.  V  9,  71  ff.;  vgl. 
Tertull.  de  Idol.  20. 


A.  Di  Indigetes.    28.  Gottheiten  ans  dem  Kreise  des  Jnppiter. 


121 


kehrte  Etymologie  Dius  Fidius  =  Diovis  filius^)  eine  Stütze  abgeben  musste; 
dass  hier  nicht  etwa  innere  sakrale  Beziehungen,  sondern  nur  gelehrte 
Kombination  vorliegt,  geht  zur  Evidenz  daraus  hervor,  dass,  wie  eine  neuer- 
dings gefundene  und  inschriftlich  sichergestellte  Statue  des  Gottes  gezeigt 
hat,*)  das  Eultbild  ihn  nicht  nach  dem  Bilde  des  Herakles,  sondern  nach 
einem  griechischen  archaischen  Typus  des  Apollon  (als  Schwur-  und  Bündnis- 
gottes) darstellte;  damit  verlieren  die  weitgehenden  Folgerungen,  welche 
man  aus  dieser  angeblichen  Identität  von  Semo  Sancus,  Dius  Fidius  und 
Hercules  gezogen  hat,')  allen  Boden.  Dius  Fidius  ist,  als  Spezialisierung 
einer  bestimmten  Seite  des  Juppiter,  in  erster  Linie  Treu-  und  Schwur- 
gott; daher  ruft  man  ihn  im  täglichen  Verkehr  bei  Beteuerungen  ins- 
besondere durch  die  Formel  me  Dius  Fidius  zum  Zeugen  an,^)  und  sein 
Tempel  dient  zur  Aufbewahrung  von  Staatsverträgen  b)  sowie  der  als  Sym- 
bole des  Bündnisses  geltenden  radförmigen  Erzscheiben,  die  uns  aus  dem 
umbrischen  Ritual  und  aus  Münzbildern  bekannt  sind.^)  Die  Natur  des 
Himmelsgottes  offenbart  sich  an  Dius  Fidius  noch  deutlich  in  dem  Brauche, 
dass  man  nur  unter  freiem  Himmel  bei  ihm  schwört;  daher  tritt,  wer  im 
Hause  ihn  anruft,  in  den  unbedeckten  Teil  des  Atrium,  und  der  quiri- 
nalische  Tempel  hat  im  Dache  eine  Öffnung.^)  Überhaupt  hat  sich  die 
Verehrung  des  Dius  Fidius  nicht  auf  seine  Eigenschaft  als  Schwurgott 
beschränkt,  sondern  der  Gott  hat  auch  an  den  sonstigen  Kompetenzen  des 
Juppiter  Anteil  behalten;  dass  er  wie  jener  durch  Himmelszeichen  seinen 
Willen  kundthut,  geht  daraus  hervor,  dass  eine  wichtige  Art  von  Augural- 
vögeln in  der  priesterliehen  Kunstsprache  von  Sancus  den  Namen  aves 
sanquales  führt,^)  und  als  Blitzgott  kennzeichnet  ihn  die  enge  Verbindung, 
in  welcher  die  sacerdotes ,  bidentales,  denen  das  zur  Blitzsühne  erforderliche 
Opfer  des  bidental  (s.  oben  S.  107)  obliegt,  mit  seinem  Tempel  stehen.^) 
Weihungen  dieser  Priesterschaft  an  Semo  Sancus  Dius  Fidius  haben  sich 
sowohl  in  der  Nähe  des  quirinalischen  Tempels^®)  als  auch  auf  der  Tiber- 
inseU>)  gefunden,  wo  wenigstens  für  die  spätere  Kaiserzeit  ein  zweites 
Heiligtum  des  Gottes  bezeugt  ist;^')  ausserhalb  Roms  scheint  der  Kult 
nur  in  der  nächsten  Umgebung  der  Stadt  Verbreitung  gefunden  zu 
haben.**) 


»)  Varro  de  1. 1.  V  66.  Paul.  p.  74.  147; 
vgl.  Serv.  Aen.  VIII  301. 

')  C.  L.  ViscoHTi,  Stadj  e  Docamenti 
di  Storia  e  Diritio  II  1881  S.  105  ff.  Annali 
d.  Inst  1885  Tav.  d'agg.  A;  vgl.  Wissowa, 
Neue  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert.  I  1898  S.  168. 

')  S.  namentlich  R.  Peteb  in  Roschers 
Lex.  I  2255  ff. 

«)  Plaut.  Asin.  23.  Cato  bei  Gell.  X 
14,  3.    Paul.  p.  147  u.  a.  m. 

»)  Dion.  Hai.  IV  58. 

*)  Liv.  VIII  20,  8  und  dazu  Mommsen, 
Mflnzw.  S.  222  f.  Bübchblbr,  Umbr.  p.  148; 
in  Tgnvium  muBS,  wer  dem  Jupater  Sancius 
opfert,  ein  solches  Rad  (urfeta  =  arbita) 
in  der  Hand  halten. 

')  Varro  de  1.  1.  V  66  und  bei  Non. 
p.  494. 


')  Fest.  p.  317;  8anquaU8  (auch  iaporta 
sanqualia)  =  sancualis  ist  vom  u-Stamme 
Sancu-  gebildet,  von  dem  auch  wiederholt 
der  Genetiv  Sanctis  statt  Sanci  fiberliefert  ist. 

»)  Gilbert,  Topogr.  I  276.  G.  Gatti, 
Bull.  arch.  com.  XV  1887,  8  f. 

••)  CIL  VI  568  und  die  Inschrift  der 
oben  genannten  Statue,  vgl.  auch  Hülsen, 
Rh.  Mus.  XLIX  1894  S.  409  f.;  ungewissen 
Fundortes  CIL  VI  569. 

")  CIL  VI  567;  vielleicht  auch  Bull, 
arch.  com.  XX  1892  S.  184. 

")  Justin.  Mart.  apol.  I  26.  56  und  bei 
Euseb.  h.  e.  II  13.  Tert.  apol.  13;  vgL  De 
Rossi,  Bull.  d.  Inst.  1881,  65. 

^*)  Aedes  Sancus  in  Velitrae  Liv.  XXXII 
1,  10;  Altar  aus  Castrimoenium  CIL  XIV 
2458. 


122 


Beligion  nnd  Enltna  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


Ein  später  ganz  verschollener  Zusammenhang  scheint  ursprünglich 
zwischen  Semo  Sancus  Dius  Fidius  und  der  altitalischen  Göttin  Salus 
bestanden  zu  haben;  dafür  spricht  nicht  nur  der  Umstand,  dass  von  dem 
Kulte  dieser  Göttin  die  dem  Sitze  des  Gottes  benachbarte  Erhebung  des 
Quirinal  ihren  Namen  führte  (CoUis  Salutaris  neben  dem  GoUis  Mucialis, 
Porta  Salutaris  neben  der  Porta  Sanqualis*)),  sondern  dass  in  zwei  von 
einander  unabhängigen  Zeugnissen  von  Salus  Semonia  die  Rede  ist,')  eine 
Bezeichnung,  die  kaum  eine  andre  Deutung  zulässt ')  als  die  auf  eine  alte 
Kultgemeinschaft  mit  Semo  Sancus  (vgl.  Here  Martea,  Ops  Consiva  u.  a.). 
Der  Name  der  Göttin  findet  sich  nicht  nur  auf  einer  der  alten  schwarzen 
Thonschalen  mit  Götterinschriften  {Salutes  pocolom  CIL  I  49  aus  Herta), 
sondern  auch  einer  der  Votivcippen  des  Haines  von  Pisaurum  gilt  ihr  (CIL 
I  179),  und  in  Praeneste  besass  sie,  wie  wir  aus  einer  archaischen  In- 
schrift erfahren,  einen  Altar,  dessen  Statut  für  andere  Heiligtümer  vor- 
bildlich, also  gewiss  sehr  alt  war.*^)  Danach  kann  man  mit  Sicherheit 
annehmen,  dass  ihr  Kult  in  Rom  viel  älter  ist  als  ihr  Tempel,  der  erst 
im  J.  452  ==  302  von  dem  Dictator  C.  Junius  Bubulcus  auf  dem  Quirinal, 
offenbar  an  Stelle  des  älteren  fanum,  geweiht  wurde -'^)  und  seinen  Stiftungs- 
tag am  5.  August  beging.^)  Da  den  Anlass  zum  Gelöbnis  des  Tempels 
kriegerische  Bedrängnis  im  Kampfe  mit  den  Samnitern  gegeben  hatte 
(Liv.  IX  43,  25),  so  ist  hier  die  Göttin  sicher  nicht,  wie  später  häufig  (s. 
unten  §  49)  im  Sinne  der  griechischen  Hygieia  als  Göttin  der  Gesundheit, 
sondern  als  Salus  publica  (so  auch  CIL  X  5821  aus  Ferentinum),  d.  h.  als 
göttliche  Schützerin  des  allgemeinen  Staatswohles,  ^)  gedacht,  und  als  solche 
hat  sie  auch  noch  in  der  Kaiserzeit  reiche  Verehrung  gefunden:  bei  den 
Gelübden  und  Opferhandlungen  der  Arvalbrüder  für  die  Wohlfahrt  des 
Kaisers  und  seines  Hauses  hat  Salus  publica  popidi  Bomani  Quiritium^) 
ihren  festen  Platz  unmittelbar  hinter  der  capitolinischen  Trias,  und  mit 
grosser  Regelmässigkeit  finden  wir  Salus  auch  in  den  Götterreihen  der 
von   den  Equites  singulares  in  Rom  gestifteten  Altäre.^)    In  demselben 


')  Vgl  Hülsen,  Rhein.  Mus.  XLIX  404  f. 
409.  414  f. 

^)  Macr.  S.  I  16,  8  und  in  einem  später 
eingekratzten  Nachtrage  zu  der  aus  dem 
Jahre  754  =  1  n.  Chr.  stammenden  stadt- 
römischen Inschrift  bei  v.  Prbmerstein,  Arch. 
epigr.  Mitt.  aus  Oesterr.  XY  77  ff. 

')  Denkbar  wäre  nur  noch  eine  Deu- 
tung des  Epitheton  semanius  von  semo  in 
demselben  Sinne  wie  genialis  von  genius  und 
cerfius  {kerriios)  von  cerfus  (kerros),  s.  unten 
S  28 

i)  CIL  XIV  2892  (ara  Solutus),  vgl. 
Jordan,  Obervat.  Rom.  subsic.  p.  10.  Wo 
die  von  Obseq.  88  [98]  bei  Gelegenheit  eines 
Prodigiums  des  J.  641  ==  113  erwähnte  ara 
Salutis  lag,  ist  ungewiss,  da  der  Text  ver- 
stümmelt ist.  Tempel  der  Salus  in  Feren- 
tinum Tac.  ann.  XV  53,  vgl.  CIL  X  5821. 

*)  Liv.  IX  43,  25.  X  1,  9;  der  Tempel 
war  mit  Gemälden  von  C.  Fabius  Pictor  ge- 
schmttckt,  Val.  Max.  VIII  14,  6.    Plin.  n.  h. 


XXXy  19;  Prodigien  aus  den  Jahren  478 
=  276,  548  =  206,  588  =  166,  650  =  104, 
Oros.  IV  4,  1.  Liv.  XXVIII  11,  4.  Obseq. 
12  [71].  43  [103].  Der  Tempel  brennt  unter 
Claudius  nieder,  Plin.  a.  a.  0.  Vgl.  Jordan, 
Comment.  Mommsen.  356  f.  Hülsen  a.  a.  0. 
404. 

•)  CIL  I*  p.  324.    Cic.  ad  Att.  IV  1,  4. 

')  Wie  man  ebenso  im  Privatleben  die 
Salus  für  das  eigne  Wohlergehen  anrief, 
zeigen  zahlreiche  Stellen  des  Plautus,  zu- 
sammengestellt bei  KfiSEBBRo,  Quaest.  Plaut, 
et  Terent.  ad  religionem  spectantes  (Lips. 
1884)  p.  54;  vgl  auch  CIL  II  1391  ara 
Sal(utis)  pro  reditu  L.  n.  P.  Celsus  f. 

8)  So  z.  B.  CIL  VI  2065  i  21.  44  u.  a.; 
vgl.  Henzbn,  Acta  fratr.  Arval.  p.  216. 

^)  Henzbn,  Annali  d.  Inst.  1885  S.  239  ff. 
nr.  3-10.  12.  13.  20-22;  wenn  v.  Doma- 
8ZBW8KI,  Westd.  Zschr.  XIV  43  meint,  es  seien 
bei  den  Auxilia  Salus  und  Felicitas  an  die 
Stelle  getreten,  die  bei  den  Bürgertruppen 


A.  Di  indigetes.    28.  Gottheiien  ans  dem  Kreise  des  Jnppiter^  123 

Sinne  wird  unter  Nero  nach  Entdeckung  der  Verschwörung  des  Piso  ein 
Tempel  der  Salus  gebaut  (Tac.  ann.  XV  74)  und  ist  auch  die  auf  In- 
schriften der  Eaiserzeit  häufig  vorkommende  Salus  augusta^)  als  Fürsor- 
gerin für  das  Wohlergehen  des  Kaisers  aufzufassen.  Dagegen  ist  die 
alte,  noch  unter  Augustus  und  Claudius  wieder  erneuerte  Ceremonie  des 
augurium  scdutis*)  nicht  als  eine  zum  Dienste  der  Salus  gehörige  Kult- 
handlung zu  verstehen,  sondern  als  ein  dem  augurium  canarium  (s.  unten 
§  29)  und  der  Inauguration  der  Priester  analoger  Akt  des  auguralen  Cere- 
moniells. 

Dieselbe  Seite  im  Wesen  des  Juppiter,  welche  in  der  Gestalt  des 
zum  selbständigen  Gotte  gewordenen  Dius  Fidius  vorwiegend  zur  Geltung 
kommt,  fand  auch  noch  in  anderer  Form  ihre  besondere  Verehrung,  in- 
dem die  von  Juppiter  bezw.  Dius  Fidius  geschützte  Tugend  der  Treue 
und  Wahrhaftigkeit,  Fides,  einen  eigenen  Kult  erhielt.  Einen  Tempel 
auf  dem  Capitol  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  des  Juppiter  0.  M.  erbaute 
ihr  A.  Atilius  Calatinus  500  =  254  oder  504  =  250,  und  M.  Aemilius  Scaurus 
stellte  ihn  im  J.  639  =  115  wieder  her;')  der  Stiftungstag  fiel  auf  den 
1.  Oktober;  wenn  ein  Teil  der  Überlieferung  die  Gründung  des  capitolini- 
schen  Fidesheiligtumes  bereits  auf  Numa  zurückführt^)  oder  gar  eine  En- 
kelin des  Aeneas  auf  dem  Palatin  eine  Kapelle  der  Göttin  weihen  lässt,^) 
so  kommt  darin  nur  der  Glaube  an  die  hohe  Altertümlichkeit  und  Heilig- 
keit dieses  Kultes  zum  Ausdruck.^)  In  der  That  ist  der  Kult  selbst 
sicher  älter  als  die  Gründung  des  Tempels,  denn  wir  wissen,  dass  alljähr- 
lich einmal  die  drei  grossen  Flamines  auf  einem  bedeckten  Wagen  zum 
Altar  der  Fides  fuhren  und  ihr  opferten,  wobei  die  rechte  Hand  des 
Opfernden  bis  an  die  Fingerspitzen  in  ein  weisses  Tuch  eingehüllt  war;^) 
an  dem  hohen  Alter  dieses  Brauches  ist  schon  darum  nicht  zu  zweifeln, 
weil  das  ganze  Ritual  der  Flamines  uralt  ist  und  Änderungen  in  späterer 
Zeit  nicht  erfahren  hat.  Der  volle  Name  der  auf  dem  Capitol  verehrten 
Göttin  ist  Fides  publica^)  oder  Fides  populi  Romanik  denn  unter  ihrer  Obhut 
steht  vor  allem  der  völkerrechtliche  Verkehr  des  römischen  Staates:  darum 
finden  in  diesem  Tempel  häufig  Senatssitzungen  zum  Zweck  des  Empfanges 
auswärtiger  Gesandten  statt,  und  an  den  Wänden  desselben  werden  Ur- 
kunden von  internationaler  Bedeutung  zur  Veröffentlichung  angebracht;') 


Honos  und  Yirtus  einnehmen,  und  Salus  und 
Fdicitas  seien  den  Bürgertruppen  fremd  ge- 
wesen, so  widerspricht  dieser  Auffassung  die 
Stellung  beider  Gottheiten  in  den  Arval- 
protokollen. 

')  z.  B.  sacerdos  Spei  et  Salutis  aug.  CIL 
XIV  2804  aus  Gabii;  Tempel  der  Salus  au- 
gnsta  in  Urbs  Salvia  CIL  IX  5530  =  6078,  1 
und  in  Ariminum  CIL  XI  361 ;  vgl.  auch  CIL 
II  1437.  III  4162.  V  428.  VIII  8305. 

*)  Dass  80,  und  nicht  augurium  Salutis 
zu  schreiben  ist,  zeigt  Cic.  de  leg.  II  21 
augures  . .  discipHnam  tenento  sacerdotesque 
et  vineta  virgetaque  et  salutem  popuH  au- 
guratUo, 

'j  Cic.  de  nat.  deor.  II  61  und  dazu  £. 


AusT,  De  aedib.  sacr.  p.  16. 

*)  Dion.  Hai.  II  75.  Plut.  Numa  16; 
daher  Fides  sabinisoh  bei  Varro  de  I.  1.  V  74. 

^)  Agathokles  77 €^  KvCixov  bei  Fest. 
p.  269. 

•)  Daher  cana  Fides  Verg.  Aon.  I  292; 
vgl.  Sil.  Ital.  II  484  ff.  Enoeluabd,  De  per- 
sonificationibus  quae  in  poesi  atque  arte  Ro- 
manorum inveniuntur  (Qotting.  1881)  p.  8  f. 

')  Liv.  I  21,  4;  vgl.  Serv.  Aen.  1  292. 
VIII  636.  Hör.  carm.  I  35,  21  f.  und  dazu 
A.  Rbipferscheid,  Observat.  critio.  et  ar- 
chaeol.  (Ind.  lect.  Vratisl.  1878)  p.  4  f. 

•)  VaL  Max.  III  2,  17.  VI  6,  1. 

")  MoMMSEN,  Annali  d.  Inst.  1858, 198 ff.; 
CIL  III  p.  916. 


124  Religion  und  Knltiui  der  Römer.    II.  Götterlehre. 

auch  verehren  die  mit  Rom  in  Berührung  kommenden  auswärtigen  Völker 
insbesondere  die  Fides  populi  Romani.^)  In  der  Kaiserzeit  findet  sich 
Name  und  Bild  der  Fides  häufig  auf  Münzen,')  oft  auch  in  individuali- 
sierender Auffassung  als  Fides  legionum,  Fides  müitum  u.  s.  w.;  das  Bild 
der  Göttin,  deren  Attribute  wechseln  und  nicht  sehr  bezeichnend  sind,  ist 
häufig  durch  die  symbolische  Darstellung  zweier  verschlungenen  Hände 
ersetzt;  Weihinschriften  an  Fides  sind  verhältnismässig  selten.') 

Ist  Fides  auf  dem  Capitol  die  vicina  lovis  Optimi  Maximi,  wie  Cicero 
(de  off.  III  104)  sie  nennt,  so  haben  drei  andere  in  diesem  Zusammenhange 
zu  besprechende  Gottheiten  ihre  ältesten  Kultstätten  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  dem  capitolinischen  Heiligtume,  nämlich  Summanus,  Terminus 
und  Juventas.  Dass  alle  drei  Kulte  Abzweigungen  des  Juppiterkultes  sind, 
geht  nicht  nur  aus  dieser  lokalen  Vereinigung  hervor,  sondern  auch  aus 
dem  Umstände,  dass  die  Namen  aller  drei  Götter,  wenn  auch  nur  ver- 
einzelt, als  Epitheta  des  Juppiter  nachweisbar  sind,^)  vor  allem  aber  aus 
Geschichte  und  Entwickelung  ihrer  Verehrung.  Eine  Thonstatue  des  Sum- 
manus befand  sich  entweder  im  Giebelfelde  oder  auf  dem  Firste  des 
capitolinischen  Tempels  und  wurde  im  J.  476  =  278  durch  einen  Blitz- 
schlag herabgeworfen ;  ^)  zur  Sühne  für  dieses  Prodigium  erhielt  der  Gott 
einen  Tempel  beim  Circus  maximus  (Stiftungstag  20.  Juni).^)  Ausschlag- 
gebend für  die  Bedeutung  des  Gottes  ist  die  Thatsache,  dass  die  Sühn- 
opfer für  nächtlichen  Blitzschlag  ebenso  dem  Summanus  gelten,  wie  die 
für  den  am  Tage  vorgefallenen  dem  Juppiter  (Fulgur);')  darum  bringen 
auch  die  Arvalbrüder,  als  es  in  den  Hain  der  Dea  Dia,  offenbar  bei  Nacht, 
eingeschlagen  hat,  dem  Summanus  ein  Opfer  von  zwei  schwarzen  Ham- 
meln dar.^)  Er  ist  also  ebenso  Gott  des  nächtlichen  Himmels,  wie  Jup- 
piter der  des  lichten;  mit  der  Unterwelt  und  den  Manen,  mit  der  ihn 
spätere  Kombination  zusammenbrachte,^)  hat  er  durchaus  nichts  zu  thun. 
Mit  einer  vereinzelten  Nachricht  (Fest.  p.  348),  dass  gewisse  in  Gestalt 
eines  Rades  geformte  Kuchen  siimmanalia  hiessen,  ist  nichts  Sicheres  an- 
zufangen: die  Gestalt  erinnert  an  die  Radscheiben  im  Dienste  des  Dius 
Fidius  (s.  oben  S.  121). 

Noch  klarer  liegt  das  Verhältnis  des  Gottes  Terminus  zu  Juppiter. 
In  der  Mittelcella  des  capitolinischen  Tempels  nahe  dem  Tempelbilde  be- 
fand sich  die  Kultstätte   des  Terminus,  in  Form  eines  Grenzsteines,   über 


')  Vgl.  A.  Klüegmann,  L' effigie  di  Roma  '   statt  ^MmmanM«  fölschlich  Jifjpp»7«r  nennt); 


nei  tipi  monetarii  piü  antichi  (Roma  1879) 
p.  7  ff. 

^)  H.  Gbaefe,  De  Concordiae  et  Fidei 
imaginibti8(Petropo]i  1858)  p.  26  ff.  R.  Engel- 
HABD  a.  a.  0.  p.  52. 

»)  CIL  II  4497.  VI  148  =  XIV  5.  IX 
5422.  5845.  5848.  X  3775.  5903.  Eph.  ep. 
IV  79. 

*)  luppüer  Summanus  CIL  V  3256.  5660; 
luppiter  Teriminalis)  oder  Ter{minus)  CIL 
XI  351  (vgl.  dazu  Bobohesi,  Oeuvres  III 
297  ff.);  luppiter  Juventus  CIL  IX  5574.  XI 
3245. 

»)  Cic.  de  divin.  I  16.    Liv.  ep.  XIV  (der 


vgl.  Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  98  Anm.  95. 

•)  Ovid.  f.  VI  729  ff.  CIL  I»  p.  320. 
Liv.  XXXII  29,  1.  Plin.  n.  h.  XXIX  57; 
denselben  meint  wahrscheinlich  auch  die 
Not.  urb.  reg.  XI  mit  (ledem  DUis  patris, 
8.  unten  Anm.  9. 

^)  Fest.  p.  229.  Paul.  p.  75.  Plin.  n.  h. 
II  138.  August,  c.  d.  IV  23.  CIL  VI  206. 
Bull.  arch.  com.  IX  1881,  8.    S.  oben  S.  107. 

»)  Henzen,  Act.  fr.  Arv.  p.  146. 

*)  Mart.  Cap.  II  161;  daher  gebraucht 
Amob.  V  37  und  VI  3  Summanus  als  gleich- 
bedeutend mit  Dis  pater. 


A.  Di  indigetes.    22.  Gottheiien  ans  dem  Kreise  des  Jnppiter. 


125 


welchem  das  Dach  des  Tempels  eine  Öffnung  zeigte,  weil  man  dem  Ter- 
minus nur  unter  freiem  Himmel  opfern  durfte;^)  die  Legende  erklärte  die 
eigentümliche  Lage  dieses  fanum  daraus,  dass  es  älter  gewesen  sei  als 
das  capitolinische  Heiligtum  und  demselben  nicht  habe  weichen  wollen.^) 
Die  wahre  Sachlage  ist  zweifellos  die,  dass  im  Tempel  des  Juppiter,  des 
Schützers  von  Recht  und  Treue,  auch  ein  Prototyp  der  ganz  speziell  unter 
seiner  Obhut  stehenden  und  in  ihrer  Heiligkeit  gewissermassen  durch  ihn 
garantierten  Grenzsteine  aufgestellt  war;  auch  nach  etruskischer  Lehre 
galt  Juppiter  als  der  Begründer  der  Feldmessung  und  Abgrenzung.')  Uralt 
ist  sicher  die  Bestimmung,  dass,  wer  den  Grenzstein  auspflügt,  selbst  samt 
dem  Ochsengespann  sacer  sein  solle, ^)  und  zwar  werden  wir  diese  Nach- 
richt dahin  ergänzen  dürfen,  dass  der  Frevler  lovi  sacer  wurde;  denn  es 
zeigt  sich  im  ältesten  Kulte  noch  durchaus  keine  selbständige  Gottheit 
Terminus.  Das  angeblich  von  Numa  eingesetzte  Fest  der  Terminalia  am 
23.  Februar  ist  nicht  ein  Fest  des  Gottes  Terminus,  sondern  der  termini, 
der  Grenzsteine  und  Grenzen;  es  war  eine  fröhliche  Feier,  bei  der  die 
Nachbarn  an  den  Grenzscheiden  zusammenkamen,  um  an  den  termini  zu 
opfern  und  dann  bei  gemeinsamem  Mahle  und  in  ausgelassener  Lustigkeit 
sich  der  friedlichen  Grenzgemeinschaft  zu  freuen;^)  auch  von  Staatswegen 
wird  ursprünglich  an  den  Grenzen  der  römischen  Feldmark  geopfert,  ein 
Brauch,  der  später  bei  weiterer  Ausdehnung  des  Ager  Romanus  undurch- 
führbar geworden  war  und  darum  (ähnlich  wie  es  bei  den  Ambarvalia 
geschah)  auf  ein  Opfer  an  einem  bestimmten  Punkte  der  ehemaligen  Flur- 
grenze, am  6.  Meilensteine  der  via  Laurentina,  beschränkt  wurde.  ^)  Ein 
eigenes  Heiligtum  hat  Terminus,  abgesehen  von  dem  capitolinischen  cippus, 
nie  besessen,  und  Zeugnisse  für  die  selbständige  Verehrung  eines  deus 
Terminus'')  finden  sich  nicht  vor  der  Kaiserzeit. 

Wie  Terminus  so  hatte  endlich  auch  Juventas  ihre  Kapelle  {aedi- 
cula)  eingeschlossen  in  den  Tempel  des  Juppiter  0.  M.,  und  zwar  in  der 
Cella  der  Minerva,*)  was  man  in  derselben  Weise  wie  bei  Terminus  be- 
gründete. Wie  früher  erwähnt  (S.  113),  brachte  jeder  Jüngling,  der  die 
Toga  virilis  anlegte,  dem  capitolinischen  Juppiter  ein  Opfer  dar;  zugleich 
aber  musste  für  jeden  so  mannbar  gesprochenen  Jüngling  eine  Steuer  an 
die  Kasse  der  Juventas  gezahlt  werden :  ^)  dadurch  ist  das  Verhältnis  beider 
Gottheiten  und  die  Bedeutung  der  Juventas  klargestellt.  Sie  ist  die  Göttin 
der  heranreifenden  männlichen  Jugend,  ^^)  die  dea  novorum  togatorum  (Ter- 


>)  Dioo.  Hai.  III  69.  Serv.  Aen.  IX  446. 
Paul.  p.  368.    Ovid.  faat.  II  671  f. 

*)  Gato  bei  Fest.  p.  162.  Liv.  I  55,  3  f. 
(vgl.  V  54,  7).  Ovid.  f.  II  667  ff.  Schwkgleb, 
Rom.  Qescb.  I  771. 

')  Ex  libris  Vegoiae  in  den  Grom.  vet. 
D   350 

*)*Panl.  p.  368 j  vgl.  Dion.  Hai.  11  74, 
der  den  Gott  Zev;  oQ^og  nennt.  Vgl.  auch 
die  von  Hülsen,  Rom.  Mitt.  V  1890,  298  f. 
hergestellte  metrische  Inschrift. 

»)  Ovid.  fast.  11  639  ff.  Dion.  Hai.  II 
74.  Plut.  Numa  16;  Q.  R.  15.  Hör.  epod. 
2, 59.  Ueber  dasOpferceremoniell  beim  Setzen 


der  Grenzsteine  vgl.  Sicul.  Flacc.  p.  141. 

^)  Ovid.  fast.  II  679  ff.  Ebenso  nennt 
Strab.  y  230  als  Ort  der  Ambarvalia,  die 
doch  an  sich  einen  Umgang  um  die  ganze 
römische  Ackerflur  bedeuten,  einen  bestimm- 
ten Ort  zwischen  dem  5.  und  6.  Meilensteine. 

^)  Deo  Tertnino  dicatum  auf  einem  Cip- 
pus CIL  XI  956. 

•j  Dion.  Hai.  HI  69.  Plin.  n.  h.  XXXV 
108. 

•)  Piso  bei  Dion.  Hai.  IV  15. 

^^)  August,  c.  d.  IV  11:  dea  luventas, 
quae  post  pf^aetextam  excipiat  iurenalis  aeiaiis 
exordia;  vgl.  Vi  1. 


126 


Religion  and  Knltna  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


tull.  ad  nat.  II  11),  welcher  darum  in  jedem  Jahre,  wahrscheinlich  am 
Jahresanfänge,  Opfer  pro  iuvenibvs  dargebracht  wurden;^)  zur  Erinnerung 
an  den  Tag,  an  welchem  Augustus  die  Toga  virilis  anlegte,  setzt  das 
Festverzeichnis  von  Cumae  (CIL  X  8375)  eine  suppUcatio  Spei  et  Iuve(ntati) 
an,  und  denselben  Sinn  bat  es  wohl,  wenn  auf  Inschriften  und  Münzen 
der  Kaiserzeit  der  Juventus  Augusta  gedacht  wird.')  Daneben  ist  unter 
dem  gleichen  Namen  der  Kult  der  griechischen  Göttin  Hebe  in  Rom  ein- 
gedrungen; sie  erscheint  zuerst  im  J.  536  =  218,  wo  Juventas  =  Hebe 
ein  Lectistemium  und  eine  Supplication  beim  Tempel  des  Hercules  erhält 
(Liv.  XXI  62,  9);  diese  Verbindung  und  die  ausdrückliche  Erwähnung  der 
Decemviri  s.  f.  beweisen,  dass  es  sich  hier  um  die  griechische  Hebe  han- 
delt, obwohl  wir  nicht  im  Stande  sind  festzustellen,  von  wo  die  Römer 
diesen  Kult  entlehnt  haben.  Der  griechischen  Göttin  galt  auch  der  Tempel, 
welchen  M.  Livius  Salinator  547  =  207  in  der  Schlacht  bei  Sena  gelobte 
und  C.  Licinius  Lucullus  563  =  191  am  Circus  maximus  einweihte,')  sie 
ist  auch  fast  ausnahmslos  gemeint,  wenn  die  Dichter  seit  der  augustei- 
schen Zeit  von  einer  persönlich  gedachten  Juventas  reden. 

Zu  denjenigen  Gottheiten,  die  sich  aus  einzelnen  Seiten  des  Juppiter- 
kultes  zu  selbständigem  Dasein  entwickelt  haben,  gehört  auch  Liber,  der 
mit  seiner  Genossin  Libera  bereits  in  der  Festtafel  mit  eignen  Feriae, 
den  Liberalia  des  17.  März,  vertreten  ist;  da  jedoch  dieser  Gott,  wie  Ceres 
und  Neptunus,  schon  in  sehr  früher  Zeit  durch  Gleichsetzung  mit  dem 
griechischen  Dionysos  eine  völlige  Veränderung  seines  Wesens  erfahren 
hat  und  die  ursprünglichen  und  einheimischen  Vorstellungen  seines  Kultes 
durch  das  Eindringen  griechischer  Auffassung  ganz  zurückgedrängt  und 
verdunkelt  worden  sind,  so  wird  er  besser  in  anderem  Zusammenhange 
(s.  unten  §  46)  seine  Behandlung  finden.  Aber  derselbe  Juppiter,  von  dem 
sich  Liber  abgespalten  hat  und  der  in  Rom  als  Juppiter  Liber  oder  Jup- 
piter Libertas  auf  dem  Aventin  seinen  Kult  hatte  (s.  oben  S.  105  f.),  hat  auf 
dem  Wege  der  begrifflichen  Fortpflanzung  noch  eine  andre  Gottheit  aus 
sich  heraus  gezeugt,  die  Freiheitsgöttin  Libertas,  welche  in  der  zweiten 
Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  durch  Ti.  Sempronius  Gracchus  (Cos.  516 
=  238)  einen  aus  Strafgeldern  erbauten  Tempel  auf  dem  Aventin  erhielt;^) 
wenn  man  diesen  Tempel  früher  für  identisch  gehalten  hat  mit  der  aedes 
lovis  Libertatis,  so  ist  diese  Ansicht  jetzt  mit  Recht  aufgegeben,  aber  den 
inneren  Zusammenhang  beider  Kulte  beweist  nicht  nur  die  örtliche  Nach- 
barschaft der  Heiligtümer,  sondern  auch  der  Umstand,  dass  der  Tempel 
der  Libertas  nach  einer  als  sicher  anzusehenden  Combination,  seinen  Stif- 
tungstag am  13.  April,  d.  h.  an  den  dem  Juppiter  geweihten  Iden,  beging. b) 


>)  Paul.  p.  104;  vgl.  Cic.  ad  Att.  I  18,  3. 

2)  CIL  II  1935.  Cohen,  Med.  imp.  V 
Claud.  Goth.  nr.  107.  108.  Sonstige  In- 
schriften CIL  II  45.  V  4088.  4244.  Ueber  den 
flamen  luventutis  in  Vienna  vgl.  0.  Hirsch- 
PBLD,  CIL  XII  p.  219. 

»)  Liv.  XXXVI  35,  5  f.  Fun.  n.  h.  XXIX 
57;  vgl.  Gilbert,  Topogr.  II l  93. 

*)  Liv.  XXIV  16,  19.    Paul.  p.  121. 


')  Ovid  (fast.  IV  623  f.)  gibt  (mit  m 
fallor)  den  13.  April  als  Stiftungstag  des 
atrium  libertatis  an ;  da  das  aber  ein  Profan- 
gebäude war  (s.  die  Zeugnisse  in  Roschers 
Mytb.  Lex.  II  2032)  und  darum  sein  Stiftungs- 
tag nicht  in  den  Kalender  gehört,  so  liegt 
sicher  ein  Irrtum  des  Ovid  vor,  der  die 
Kalendernote  Lihertati  falsch  auflöste. 


A.  Di  indigetes.    22.  Gottheiten  ans  dem  Kreise  des  Jnppiter. 


127 


AllerdiDgB  ist  Juppiter  Liber  von  Haus  aus  gewiss  nicht  Freiheitsgott, 
sondern  ein  Gott  der  schöpferischen  Fülle,  aber  der  Bedeutungswandel, 
der  sich  in  dem  Worte  liber  vollzog  (vgl.  liberalis  und  libertas),  hat  ebenso 
in  einer  Verschiebung  des  Wesens  des  Gottes  seinen  Ausdruck  gefunden, 
die  auch  in  dem  Schwanken  der  urkundlichen  Bezeichnung  zwischen 
Juppiter  Liber  und  Juppiter  Libertas  hervortritt.  Die  Göttin  Libertas*) 
vertritt  zunächst  nicht  den  in  der  Zeit  der  Blüte  des  Freistaates  selbst* 
verständlichen  Gedanken  der  libertas  publica  populi  Romani,  sondern  die 
persönliche  Freiheit  des  einzelnen  Bürgers,^)  wie  sowohl  das  ihr  zukom- 
mende Symbol  des  püeus  libertatis^)  als  auch  die  Erzählung  des  Livius 
(XXIV  16,  19)  zeigt:  nachdem  der  Sieg  bei  Beneventum  540  =  214  vor 
allem  durch  die  volones,  d.  h.  das  nunmehr  mit  der  Freiheit  belohnte  Sklaven- 
corps, erfochten  ist,  lässt  Ti.  Sempronius  Gracchus  ein  Bild  der  Sieges- 
feier in  dem  von  seinem  Vater  gestifteten  aventinischen  Tempel  der  Li- 
bertas aufstellen.  Erst  als  es  mit  der  republikanischen  Freiheit  zu  Ende 
ging,  sah  man  in  Libertas  die  Verkörperung  dieses  Gutes;  dieser  Göttin 
galt  das  Heiligtum,  welches  Clodius  auf  der  Stelle  des  zerstörten  Hauses 
des  Cicero  errichtete,*)  sowie  ein  anderes,  welches  im  J.  708  =  46  der 
Senat  zu  Ehren  des  Befreiers  Caesar  zu  weihen  beschloss  (Cass.  Dio  XLIU 
44);  ihren  Kopf  und  ihre  Symbole  prägen  aber  auch  die  Caesarmörder  auf 
ihre  Münzen,')  wie  andererseits  Augustus  sich  nach  ihrer  Besiegung  als 
libertatis  p,  R.  vindex  rühmt.*)  In  der  Kaiserzeit  aber  ist  nicht  nur  das 
Bild  der  Göttin  seit  Claudius  und  Galba  auf  den  Münzen  häufig,  sondern 
wir  begegnen  auch  nach  dem  Sturze  verhasster  Machthaber  wiederholt 
Weihungen  von  Bildern  und  Altären  der  LibeHas  restituta  oder  Libertas 
publica  populi  Romani,  so  nach  dem  Sturze  des  Sejan  (Wilmanns  Exempla 
64»;  vgl.  Cass.  Dio  LVEI  12,  5),  des  Nero,')  des  Domitian  (CIL  VI  472), 
des  Commodus  (Herodian.  1 14,  9). 

Eine  andre  Eigenschaft  des  höchsten  Gottes  hat  sich  in  Victoria  zu 
selbständiger  Vertretung  losgelöst :  denn  dass  sie  nur  eine  andere  Vergött- 
lichung derselben  Kraft  ist,  die  im  Kulte  des  Juppiter  Victor  ihre  Ver- 
ehrung findet,  beweisen  noch  die  ArvalenprotokoUe,  in  denen  bei  verschie- 
denen Opferhandlungen  des  Kaiserkultes  an  derselben  Stelle  der  Götterreihen 
(gewöhnlich  hinter  der  capitolinischen  Trias  und  vor  Salus  und  Felicitas) 
völlig  gleichwertig  bald  Juppiter  Victor,  bald  Victoria  erscheinen,®)  einmal 


1)  Ffir  Plaut  Rud.  489  f.  ist  die  Er- 
klärung nicht  in  rOmischer  Religionsvorstel- 
long  zu  suchen,  vgl.  F.  Lbo  z.  d.  St. 

*)  Eine  analoge  göttliche  Vertretung  der 
Bfirgerqualit&t  ist  die  GOttin  Civitas  des  offen- 
bar Yon  einem  NeubQrger  geweihten  Altars 
CIL  VI  88  Cipitati  sacrum.  A.  Aemiliua  Ar- 
tema  fecii. 

•)  Helbig,  S.Ber.  Akad.  München  1880 
I  490  f. 

«)  Flui  Gic.  33.  Cass.  Dio  XXXVIII 
17,  6.    Gic.  de  domo  108  ff.;  de  leg.  II  42. 

*)  Babblok,  Monn.  cons.  I  834  ff.  II  112  ff. 
Libertas  auf  einer  Quadriga  von  Victoria  ge- 
krönt zeigen  ältere  Denare  des  M.  Porcius 


Laeca,  G.  Cassius  Longinus  und  C.  Egnatius 
Maximus,  Babblok  a.  a.  0.  II  869.  I  831. 
474;  vgl.  Roschers  Lexik.  II  2033  f. 

•)  Monum.  Anc.  1,  3.    Eokhbl,  D.  N. 

VI  83. 

^)  CIL  VI  471.  EcKHEL,  D.  N.  VI  295; 
vgl.  auch  CIL  II  2035. 

')  Vgl.  die  Opfer  ob  imperium  Othonis 
CIL  VI  2051 1  38  und  oh  imperium  ViteVii 
2051  I  87;  ebenso  ob  laurum  Neronis  2044 
I  11  und  ob  laurum  positam  des  Otho  2051 
I  66,  ähnlich  auch  bei  Gelttbden  pro  scUuie 
et  adventu  Viteüii  2051  ii  4  und  pro  salute 
et  reditu  Domitiani  2066,  43;  s.  auch  Hbk- 
ZBK,  Acta  fr.  Arv.  p.  72  f.  85  f.  121  f.  124. 


128 


Religion  nnd  Kultna  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


(CIL  VI  2086,  27)  auch  beide  nebeneinander  und  ausdrücklich  zu  einem 
Paare  verbunden:  lovi  Vidori  b(ovem)  m(arem)  a{uratum)  et  Victoriae 
b{ovem)  fißtninain)  a{uratam).  Einen  eignen  Tempel  hatte  Victoria  ein 
Jahr  nach  der  Erbauung  der  aedes  lovis  Vidoris  (s.  oben  S.  108)  im 
J.  460  =  294  durch  den  Consul  L.  Postumius  erhalten,  der  schon  in 
seiner  Aedilität  aus  Strafgeldern  den  Bau  begonnen  hatte  (Liv.  X  33,  9) ; 
er  lag  auf  dem  Palatin  (Liv.  XXIX  14,  13)  an  dem  nach  ihm  benannten 
clivus  Victoriae  (Fest.  p.  262)  und  neben  ihm  befand  sich  eine  von  M.  Por- 
cius  Cato  561  =  193  geweihte  Kapelle  der  Victoria  Virgo  (Liv.  XXXV  9, 
6).^  Wenn  angeblich  schon  in  altersgrauer  Vorzeit  auf  demselben  Berge 
ein  Altar  der  Victoria  gestanden  haben  soll  (Dion.  Hai.  ant.  I  32,  5),  so 
ist  das  entweder  eine  fiktive  Vordatierung  des  Kultes,  um  die  von  Anfang 
an  unwiderstehliche  Sieghaftigkeit  des  römischen  Volkes  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  oder  der  Name  Victoria  ist  hier  nur  sekundär  eingetreten 
für  den  einer  älteren  Göttin,  die  man  vermutungsweise  mit  ihr  identi- 
fizierte,^) wie  dies  z.  B.  mit  Vica  Pota^)  und  der  sabinischen  Vacuna  (s. 
oben  S.  44  Anm.  3)  der  Fall  war.  Der  palatinische  Tempel  ist  der  ein- 
zige geblieben  bis  zum  Ausgange  der  Republik,  wo  der  Kult  der  Victoria 
einen  grossen  Aufschwung  nahm.  Denn  in  demselben  Maasse,  als  jetzt 
einzelne  Machthaber  in  den  Vordergrund  traten,  die  ihre  Gewalt  durch 
Siege  über  die  äusseren  und  inneren  Feinde  begründeten,  trat  die  Göttin 
Victoria  sozusagen  in  ein  persönliches  Verhältnis  zu  ihnen  und  wurde 
unter  Beifügung  des  Namens  des  betreffenden  Feldherrn  als  Verkörperung 
seiner  persönlichen  Siegeskraft  gefasst.  Wenn  man  bei  den  ludi  Victoriae 
SuUanae  (27.  Okt. — 1.  Nov.)  und  den  ludi  Victoriae  Caesaris  (20.— 30.  Juli)*) 
im  Zweifel  sein  könnte,  ob  Victoria  persönlich  oder  als  Appellativum  zu 
verstehen  sei,  so  wird  die  erstere  Auffassung  als  die  allein  berechtigte 
erwiesen  durch  zahlreiche  Zeugnisse  der  Kaiserzeit,  in  denen  Tempel  und 
Altäre  teils  der  Victoria  Augusta,  teils  der  Victoria  eines  mit  Namen  be- 
zeichneten Kaisers  gewidmet  sind;^)  selbst  die  Göttin  des  palatinischen 
Tempels  führte,  wie  das  Regionenbuch  zeigt,  später  nach  einem  der  mit 
dem  Beinamen  Germanicus  ausgezeichneten  Kaiser  die  Bezeichnung  Vic- 
toria  Germaniciana.  Umfang  und  Bedeutung  dieses  Vorstellungskreises 
lassen  uns  die  zahllosen  Victoriamünzen  der  Kaiserzeit  erkennen,  auf 
denen  unter  den  bildlichen  Darstellungen  die  der  ein  Tropaion  bekränzen- 
den Nike,  die  schon  in  republikanischer  Zeit  den  Victoriati  ihren  Namen 
gab,^)  die  beliebteste  ist,  während  die  Beischriften  die  Victoria  teils  in 


0  Vgl.  Gilbert,  Topogr.  III  428  f.  HOl- 
8BN,  Rom.  Mitt.  X  1895,  23  f.  269. 

')  Carmenta,  an  die  Gilbert,  Topogr. 
I  41  Anm.  denkt,  hat  weder  je  auf  dem 
Palatin  ein  Heiligtum  gehabt,  noch  ist  sie 
mit  Victoria  gleichgesetet  worden. 

*)  Ascon.  p.  12  verglichen  mit  Liv.  H 
7,  12;  vgl.  §  36. 

«)  MoMMSBN,  CIL  P  p.  333  und  323  f. 

*)  Eine  supplicatio  Victoriae  Äugustae 
verzeichnet  das  Feriale  Cumanum  (CIL  X 
8375)  am  14.  April  zur  Feier  des  ersten  Sieges 
im  mutinensischen  Kriege;  eine  aedea  Vic- 


toriae Äugustae  z.  B.  in  Puteoli  CIL  X  1887, 
Altäre  Victoriae  Caesaris  Aug{usti)  impe- 
ratoris  in  Capua  (CIL  X  3816),  VictofHae 
imp(eratoris)  Caesaris  Vespasiani  Aug{usti) 
in  Cora  (CIL  X  6515)  u.  a.  Vgl.  namentlich 
Aber  die  Soldatenaltäre  v.  Domaszewski, 
Westd.  Ztschr.  XIV  37  ff. 

')  Ueber  die  Victoriati  s.  Marquardt, 
Staatsverw.  II'  20  ff.,  über  Victoria  auf  dem 
Zweigespann  als  Zweitältesten  Typus  der 
Bigati  (nach  Luna)  A.  KLfJoMANN,  Ztschr.  f. 
Numism.  V  1877  S.  65  f. 


A.  Di  indigeteB.    28.  Mars.  129 

der  erwähnten  Weise  als  Siegeskraft  des  regierenden  Kaisers  kennzeichnen, 
teils  sie  als  Victoria  Germanica,  Parthica,  Sarmatica  u.  s.  w.  auf  einen 
einzelnen  Feldzug  und  seinen  Erfolg  spezialisieren.^)  Aus  dieser  hervor- 
ragenden Rolle,  welche  Victoria  in  der  Religion  der  Eaiserzeit  spielt,  gibt 
sich  die  Erklärung  dafUr,  dass  der  von  Augustus  in  der  Curie  errichtete 
und  am  28.  August  725  =  29  eingeweihte  Altar  der  Victoria*)  geradezu 
zur  Versinnlichung  des  allzeit  siegreichen  Kaisertumes  wurde  und  dass 
darum  seine  durch  Constantius  angeordnete  und  durch  Gratian  erneuerte 
Entfernung  das  Ende  des  alten  Reiches  zu  bedeuten  schien  und  daher  die 
bekannten  Kämpfe  entfesselte  (s.  oben  S.  87). 

Litteratur:  Ueber  Dias  Fidius:  £.  Jahnbtaz,  l^tude  sur  Semo  Sancas  Fidias,  Paris 
1885,  dazu  Jobdak,  Deutsche  LittZtg.  1885  S.  680.  Wissowa  in  Roschers  Lexik.  I  1189  f. 
(zum  Teil  verfehlt).  Jobdan,  Annali  d.  Inst.  1885,  105  fif.  Ueber  Fides  Wissowa  in  Roschers 
Lexik.  1  1481  ß,,  über  Juventas  ebd.  11  764  ff.,  ttber  Libertas  ebd.  II  2031  ff.  Ueber  Ter- 
minus G.  JouBDB,  Le  culte  du  dieu  Terme  et  de  la  limitation  de  la  propriet^  chez  les 
Romains,  Paris  1886. 

23.  Mars.  Mars  ist  ebenso  wie  Juppiter  ein  allgemein  italischer 
Gott  und  hat  in  den  ältesten  religiösen  Vorstellungen  des  Landes  eine 
ganz  hervorragende  Stelle  eingenommen:  das  geht  einmal  daraus  hervor, 
dass  die  Stammsagen  verschiedener  italischer  Völkerschaften  gerade  an 
ihn  anknüpfen  (s.  unten  S.  132),  sodann  aus  der  Thatsache,  dass  er  der 
einzige  Gott  ist,  nach  welchem  in  den  Kalendern  nicht  nur  latinischer  (Alba, 
Aricia,  Praeneste,  Laurentum),  sondern  auch  sabellischer  Gemeinden  und 
Stämme  (in  Cures,  bei  den  Hernikem,  Paelignern,  Aequiculem)  ein  Monat 
benannt  >7ar;^)  bei  den  Etiniskern  sind  allerdings  die  Spuren  des  Mars- 
kultes unsicher  und  spärlich,^)  doch  hat  wenigstens  Falerii  ebenfalls  einen 
Monat  Martins,  und  bei  den  Umbrern  kennen  wir  nicht  nur  den  berühmten 
Marskult  der  uralten  Stadt  Tuder,^)  sondern  der  Gott  begegnet  uns  auch 
in  den  iguvinischen  Tafeln  an  hervorragender  Stelle  unmittelbar  neben 
Juppiter,  mit  dem  er  die  Beinamen  Grabe vius  und  Ahtus  teilt.  ^)  Sein 
Name  lautet  überall  Mars  (etr.  Maris)  oder  auch  Mavorsj'')  zusammen- 
gesetzt Marspiter  oder  Maspüer,^)  während  die  von  römischen  Gramma- 
tikern als  bei  den  Oskem  gebräuchlich  angeführte  Form  Mamers  wahr- 
scheinlich auf  einem  falschen  Rückschlüsse  aus  Namen  wie  Mamercus, 
Mamertini  u.  a.   beruht.^)    In  Rom  wird  Mars  seit  unvordenklicher  Zeit 


')  Material  bei  Stevenson,  Dictionary 
of  Roman  coins  S.  865  fif. 

*)  Cass.  Dio  LI  22,  1.  Suet.  Aug.  100. 
CIL  I»  p.  327.  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  251 
Anm.  83.    Eckbel,  D.  N.  VI  85. 

*)  MoKMSBN,  Rom.  Gbronol.  S.  218  ff. 

*)  Müllbb-Dbecke,  Etrusker  II  57. 
DncKB,  Etr.  Forsch.  IV  35. 

»)  SiL  Ital.  IV  222.  VIII  464.  Ueber 
alte  MarsheiligtQmer  im  Sabiniscben,  in  Suna 
nnd  Tiora  Mattiene,  vgl.  Dion.  Hai.  I  14, 
Trebula  Mataesca  Obseq.  42.  Martiales  in 
Larinnm,  Cic.  pro  Claent.  43. 

*)  BuBCHBLSB,  ümbrica  p.  52.  126;  aus 
der  (hegend  von  Ignvium  stammt  auch  die 
Inschrift  [Ma]rti  Cyprio  (s.  dazu  Varro  de 
I.  L  V  159.    BuECHELER,  Umbr.   p.   173)  . .      Mohmsen,  Unterital.  Dial.  S.  276. 

BBDdbiifOh  der  Ujh>.  AltertnnuwiBaeDflchaft.    V,  4.  9 


Signum  . .  ex  voto  posuit  et  aedem  vetustate 
conlapsam  refecit,  CiL  XI  5805  =  Hbnzbn 
5669. 

»)  Mavortei  CIL  VI  473  (davon  nur  or- 
thographisch verschieden  Maurte  in  der  tu- 
sculanischen  Inschrift  G I L  X 1 V  2578 ;  vgl.  auch 
die  Form  Mavortio  [dat.]  der  Altarinschrift  von 
Lanuvium  CIL  XIV  4178)  und  in  der  Poesie 
seit  Ennius;  s.  auch  das  Orakel  bei  Liv. 
XXII  1,  11.  Die  Form  Martnar  im  Arvalen- 
liede  wird  richtig  erklärt  von  Jordan  zu 
Prelleb,  Rom.  Myth.  1  336,  4.  Vgl.  auch 
B.  Maurenbrecher,  Archiv  f.  lat.  Lexikogr. 
VIH  290  f. 

«)  Varro  de  1.  1.  VI!  49.  IX  75.  X  65. 

»)  Varro  de  1. 1.  V  73.    PauL  p.  131.  158. 


130 


Religion  und  Kaltim  der  Römer.    TL  GOtterlehre. 


auf  dem  nach  ihm  benannten  campus  Martins  verehrt, ')  wo  ihm  ein  bereits 
in  der  dem  Numa  zugeschriebenen  lex  de  spoUis  opimis  (Fest.  p.  189)  er- 
wähnter Altar  gehört.  Diese  ara  Martis  in  campo^)  bildet  den  sakralen 
Mittelpunkt  bei  der  Feier  des  Lustrum,  der  alle  5  Jahre  erfolgenden 
Weihung  der  durch  den  Census  neu  konstituierten  Gemeinde;  die  dem 
Mars  besonders  zukommenden  Opfertiere,  Schwein,  Schafbock  und  Stier 
{auovetaurilia)  werden  dreimal  um  die  als  exercitus  auf  dem  Marsfelde 
versammelte  römische  Bürgerschaft  herumgeführt  und  sodann  dem  Gotte 
zum  Danke  für  den  während  der  letzten  5  Jahre  gnädig  gewährten  Schutz 
geopfert,  indem  ihm  zugleich  für  die  nächste  Wiederkehr  des  Lustrum 
das  gleiche  Opfer  gelobt  wird,  falls  er  bis  dahin  der  Gemeinde  seine  Für- 
sorge weiter  zuwende.')  Dieser  Akt  der  Lustration,  dessen  Hauptcere- 
monie  in  der  Herumführung  der  Opfertiere  um  die  zu  entsühnende  Ge- 
meinde besteht,  wird  in  gleicher  Weise  wie  hier  an  der  Bürgerschaft^) 
so  bei  dem  Feste  des  Amburbium  am  2.  Februar  an  der  Stadt  und  bei 
den  im  Mai  gefeierten  Ambarvalia  an  der  römischen  Feldmark  vollzogen,^) 
und  in  derselben  Art  begeht  auf  dem  flachen  Lande  ein  jeder  Gau  die 
lustratio  pagi  (z.  B.  CIL  IX  1618.  5565)  und  der  einzelne  Bauer  die  Wei- 
hung seines  Grundstückes.  Für  den  letztgenannten  Akt  gibt  uns  Cato 
(de  agric.  141)  eine  Beschreibung  des  Ceremoniells  und  den  Wortlaut  der 
zur  Anwendung  kommenden  Gebetsformel,  aus  welchem  hervorgeht,  dass 
auch  hier  das  Opfer  dem  Mars  galt  und  aus  Suovetaurilia  bestand.  Das 
Gleiche  ist  sicher  ursprünglich  auch  bei  dem  Amburbium,  den  Ambarvalia 
und  der  lustratio  pagi  der  Fall  gewesen,  wenn  auch  in  der  augusteischen 
Zeit  bei  dem  ländlichen  Flurumgange  unter  griechischem  Einflüsse  Ceres 
an  die  Stelle  des  Mars  getreten  ist  (Yerg.  Georg.  I  338  ff.)  und  die  Fratres 
Arvales  bei  ihrem  mit  den  alten  Ambarvalia  identischen^)  Maifeste  in 
erster  Linie  die  Dea  Dia  verehren:  denn  das  uralte  Kultlied  der  Arval- 
brüder  ist  an  Mars  gerichtet,  und  derselbe  Gott  spielt  auch  bei  der  lu- 
stratio populi  von  Iguvium  eine  hervorragende  Rolle.  Mit  Unrecht  haben 
Neuere^)  in  diesen  Flurumgängen  einen  Beweis  dafür  finden  wollen,  dass 
Mars  von  Haus  aus  ein  Vegetations-  und  Ackergott  sei:  soweit  die  Über- 
lieferung uns  ein  Urteil  gestattet,  ist  Mars  den  Römern  nie  etwas  anderes 
gewesen  als  Kriegsgott,  und  wenn  man  ihn  um  Schutz  der  Fluren 
anfleht,  so  geschieht  das  nicht,  damit  er  das  Wachstum  der  Saaten  fördere, 
sondern  damit  er  Kriegsnot  und  Verwüstung  von  den  Feldern  fernhalte. 


')  Ueber  einen  andern  campus  Martialis 
auf  dem  Caelius  s.  Paul.  p.  131,  vgl.  Ovid. 
fast.  III  521  f. 

«)  Liv.  XXXV  10,  12.  XL  45,  8. 

»)  Dion.  Hai.  IV  22.  Varro  de  r.  r.  II 
1,  10.  Val.  Max.  IV  1,  10.  Ps.Asc.  Cic. 
Verrin.  p.  18S  Or.;  vgl.  Mommsbn,  Staatsr. 
II  406. 

^)  Ebenso  beim  Heere  als  lustratio  exer- 
cUus,  vgl.  V.  DoMASZBWSKi,  Arcb.  epigr.  Mitt. 
aus  Oesterr.  XVI  1893,  19  ff. 

'}  Ueber  die  Scheidung  von  Amburbium 
und  Ambarvalia  und   den  Tag  des  ersteren 


s.  H.  UsEHBR,  Religionsgescbichtl.  Unter- 
suchungen I  304  ff. 

*)  MoxMSBN,  Rom.  Chronol.  S.  70  f.  Hek- 
ZBN,  Acta  fratr.  Arval.  p.  46  ff.  Wissowa, 
Real-Encycl.  II  1478  ff. 

')  Pbblleb,  Rom.  Myth.  I  389  ff.  Makr- 
HARDT,  Myth.  Forsch.  S.  156  ff.,  vgl.  auch 
Reiffebschbid,  Lect.  Kat.  von  Breslau,  Winter 
1882/83  S.  6  ff.  Als  Sturmgott  fassen  den 
Mars  Ad.  Kuhn  und  L.  Mbtbr,  als  Sonnen- 
gott  W.  CoBssBN  und  W.  H.  Rosohbr,  als 
Jahresgott  H.  Usenbb. 


A.  Di  indigetes.    88.  Kars.  131 

Beim  Lustrum  aber  ist  es  ja  gerade  die  waffentragende  und  als  exercüus 
geordnete  Gemeinde,  die  dem  Gotte  geweiht  wird.  Auf  die  kriegerische 
Bedeutung  des  Mars  weisen  auch  alle  uns  bekannten  Einzelheiten  seines 
Kultes  hin.  Sein  Symbol  sind  die  in  einer  Kapelle  der  Regia  aufbewahrten 
Wurfspeere  (hastae  Martis)^)  und  die  angeblich  einst  vom  Himmel  gefal- 
lenen heiligen  Schilde  {ancilia):  diese  Waffen  des  Gottes  bewegte  nach 
altem  Brauche  der  ins  Feld  ziehende  Heerführer  mit  dem  Rufe  Mars 
vigüa,^)  und  mit  ihnen  rüsteten  sich  die  Priester  des  Mars,  die  Salii,  aus, 
wenn  sie  die'  zweimal  im  Jahre  wiederkehrenden  Festcyklen  des  Gottes 
begingen.  Der  Monat  März,  in  dem  die  Kriegszeit  beginnt,  ist  dem  Mars 
speziell  heilig  und  ganz  von  seinen  Festtagen  ausgefüllt,^)  und  ebenso 
wird  derselbe  Gott  im  Oktober  nach  beendeter  Gampagne  mit  Dankfesten 
gefeiert;  die  dabei  von  diesen  rituellen  Akten  der  Salier  gebrauchten 
technischen  Ausdrücke  ancilia  movere  und  ancilia  condere  zeigen,  dass 
jene  nichts  anderes  als  das  Ergreifen  und  das  Niederlegen  der  Waffen 
durch  das  römische  Heer  symbolisieren.  Die  Feste  des  Frühjahrs^)  gelten 
insbesondere  der  Weihung  der  Rosse  (Equirria  27.  Febr.*)  und  14.  März), 
der  Waffen  (Quinquatrus  19.  März)<')  und  der  Schlachthörner  (Tubilustrium 
23.  März);^)  an  allen  diesen  Tagen  sowie  an  der  ihrer  Feier  nach  nicht 
näher  bekannten  Marsfesten  des  1.^)  und  des  17.  März  {agonium  Martiale 
Macr.  S.  I  4,  15)  halten  die  Salier  in  kriegerischer  Tracht  ihre  Umzüge 
und  ehren  ihren  Gott  mit  feierlichen  Waffentänzen;  in  derselben  Weise 
treten  sie  wieder  in  Thätigkeit  im  Oktober,  wo  nach  einem  an  den  Iden 
dem  Gotte  dargebrachten  Rossopfer  am  19.  eine  abermalige  Waffenweihe 
oder  Waffensühnung  (Armilustrium)^)  stattfindet.  Der  Parallelismus  beider 
Festperioden  springt  in  die  Augen: ^^)  beide  gehören  für  die  ganze  Zeit- 
dauer, in  der  die  heiligen  Schilde  sich  ausserhalb  ihres  gewöhnlichen 
Aufbewahrungsortes  in  den  Händen  der  Salier  befinden  {motis  necdum 
candüis  ancilibus  Suet.  Otho  8),  zu  den  dies  religiosij  an  denen  man  weder 
eine  kriegerische  Unternehmung  wagt,  noch  eine  Ehe  schliesst,^^)  offen- 
bar weil  die  Ritualhandlungen  der  Salier  ein  symbolisches  Abbild  des 
Kriegszuges  darstellen;  den  Mittelpunkt  bildet  beidemal  inmitten  des 
Monats  ein  an  der  ara  Martis  in  campo  stattfindendes  Pferderennen,  am 
14.  März  die  Equirria,^*)  am  15.  Oktober  die  Feier  des  Oktoberrosses, 
nur  dass  bei  dem  letztgenannten  Feste,  das  zugleich  eine  Dankfeier  für 
den  glücklichen  Feldzug  und  eine  Sühnung  für  das  vergossene  Blut  ein- 
schliesst,  das  siegreiche  Pferd  vom  Flamen  Martialis  ^^)  dem  Gotte  geopfert 


0  z.  B.  Gell.  IV  6,  2;  mehr  bei  Gilbbrt, 
Topogr.  I  346. 

«J  Serv.  Aen.  VII  603.  VIII  3. 

•)  Dion.  Hai.  II  70.    Polyb.  XXI  10.  12. 

*)  Vgl.  fiber  sie  Monmsbn.  CIL  P  p.  311  ff. 
If  ARQüABDT,  Staatsverw.  III  434. 

»)  Ovid.  fast  II  857  ff. 

*)  Fast.  Praen.  Cbaris.  p.  81. 

')  Fast.  Praen.  Lyd.  de  mens.  IV  42. 
Varro  de  1.  1.  VI  14.  Fest.  p.  352.  Ovid. 
fast.  III  849. 

•)  Lyd.  de  mens.  lU  15.  IV  29  (ixiyovy 
ta  ortXa);   der  Kalender  des  Philocalus  no- 


tiert zum  9.  März  arma  ancilia  movent 

•)  MomisBN,  CIL  P  p.  333.  Varro  de 
1.  1.  VI  22.    Paul.  p.  19. 

>^)  WissowA,  De  feriis  anni  Roman, 
p.  IX  f. 

»»)  Ovid.  fast.  III  395  ff.  Suet.  Otho  8. 
Tac.  bist.  I  89. 

")  Varro  de  1.  1.  VI  13.  Paul.  p.  81. 
Ovid.  f.  III  519  f.,  vgl.  II  858  f. 

*')  Cass.  Dio  LI  II  24,  der  von  einer  in 
den  Formen  des  Oktoberopfers  stattfindenden 
Hinrichtung  meuterischer  Soldaten  auf  Be- 
fehl Caesars  erzählt. 

9* 


132  Religion  und  Kultus  der  Römer.    II.  Götterlehre. 

wird  und  eine  Reihe  eigenartiger  Sühnceremonien  zur  Anwendung  kommt : 
das  Blut  des  Pferdes  wird  teils  auf  den  Herd  der  Regia  geträufelt,  teils 
zu  Lustrationszwecken  im  penus  Vestae  aufbewahrt,  um  den  abgehauenen 
Kopf  aber  kämpfen  die  Bewohner  zweier  Stadtteile,  der  Sacra  via  und 
der  Subura,  um  ihn  im  Falle  des  Sieges  an  einem  bestimmten  Gebäude 
ihres  Quartieres  anzuheften.^)  Alte  und  neue  Gelehrte  haben  in  dem  — 
übrigens  auch  bei  andern  Opfern  nachweisbaren  —  Brauche,  den  Hals 
des  Pferdes  mit  auf  eine  Schnur  gereihten  Broten  zu  bekränzen,  den 
Schluss  gezogen,  das  Opfer  sei  ob  frugum  eventum  geschehen  '(Paul.  p.  220); 
aber  schon  die  Entsprechung  mit  den  mitten  in  die  Kriegsfeste  des  März 
fallenden  Equirria  schliesst  diese  Erklärung  aus,  zumal  eine  andre  viel 
näher  liegt:  das  Streitross  {equus  bellator)  ist  dem  Kriegsgotte  heilig  und 
wird  darum  erst  ihm  zu  Ehren  im  Wettkampfe  gezeigt  und  dann  ihm 
geopfert.  Ausserdem  sind  der  reissende  Wolf  und  der  kriegerische  Specht,  >) 
sowie  der  Ackerstier  (bos  arcttor)  Tiere  des  Mars,  letzterer  darum,  weil 
er  das  Symbol  der  den  Eroberungszug  beschliessenden  städtischen  Nieder- 
lassung ist.')  Wenn  eine  Gemeinde  es  für  nötig  hält,  in  schweren  Zeit- 
läuften den  ganzen  Ertrag  der  Ernte  eines  Frühjahrs  den  Göttern^)  zu 
weihen  und  die  in  diesem  Frühjahr  geborene  junge  Mannschaft,  sobald  sie 
herangewachsen  ist,  als  ver  sacrum  aus  der  Gemeinschaft  ausstösst,  so  ist 
es  Mars,  der  diese  Heimatlosen,  die  nun  durch  Kampf  sich  eine  neue  Exi- 
stenz gründen  müssen,  schützt  und  durch  seine  heiligen  Tiere  zu  neuen 
Sitzen  führt:  so  nannten  sich  die  Hirpiner  nach  dem  Wolfe  (hirpus),  die 
Picenter  nach  dem  Specht  und  die  Samniten  tauften  ihre  Hauptstadt  nach 
dem  Stier,  der  ihnen  vorangegangen  war,  Bovianum.^)  Überall,  wo  Mars 
in  alten  Gebetsformeln  erscheint  oder  wo  in  Weihinschriften  der  Anlass 
der  Weihung  genannt  wird,^)  handelt  es  sich  um  Kampf  und  Sieg,  und 
auch  die  Deutung  des  bisher  noch  nicht  in  überzeugender  Weise  erklärten 
alten  Beinamens  Gradivus^)  ist  jedenfalls  in  dieser  Richtung  zu  suchen. 
Dem  Gotte  des  Kampfes  und  Sieges  gründen  daher  auch  römische  Feld- 
herren dort,  wo  sie  die  Feinde  geschlagen  haben,  ein  Heiligtum,  z.  B. 
Q.  Fabius  Maximus  zur  Erinnerung  an  seinen  Sieg  über  die  Allobroger 
im  J.  121  am  Zusammenflusse  von  Rhodanus  und  Isara®)  oder  Augustus 
zum  Andenken  der  Schlacht  von  Actium,  und  zwar  dieser,  da  es  ein  See- 
sieg war,  zugleich  dem  Mars  und  Neptunus  (Suet.  Aug.  18). 

Von  grosser  Bedeutung  ist  die  Lage  der  ältesten  Marsheiligtümer. 
Wenn  das  römische  Staatsrecht  streng  scheidet  zwischen  der  im  städtischen 

')  Fest  p.  178.    Flut.  Q.  R.  97.    Polyb.  1  piter  dargebracht  (Liv.  XXII  10,  3). 

XII  4»>.  i  »)  Strabo  V  240.250.  Festp.  106.  Paul. 

')  Zeugnisse  bei  Schwsglbr,  Rom.  Gesch.  i  p.  212. 

I  415,  3.    RoscHBR,  Mythol.  Lexik.  II  2430  f.  i  *)  z.  B.  CIL  VI  474  (zusammen   mit 

•)  NissKN,  Templum  S.  131  ff.    Daraus,  1281).  XIV  2578. 
dass  der  Ackerstier  dem  Mars  heilig  ist,  er-  ^)  Paul.  p.  97.    Serv.  Aen.  III  35.    CIL 


klärt  es  sich,  dass  bei  dem  Gelübde  pro 
hubu8  uti  valeant  (Cato  de  agric.  83)  ausser 
Silvanus,  dem  Gotte  der  ailvatica  pastio,  auch 
Mars  angerufen  wird. 


in  6279.    V   8236.  VIII  2581.   XIV   2580. 
2581. 

•)  Strabo   IV   185   (ytnig  dvo,   toV  fiiy 
W^cwC}   TOK  (T  'B^xXäovi);   vielleicht  h&ngt 


*)  Das  r^  sacrum  gilt  keineswegs  immer  i  damit  der  aus  Inschriften  bekannte  flamen 
dem  Mars;  in  dem  einzigen  aus  historischer  Mortis  in  Vienna  (0.  Hibschfbu),  CIL  XII 
Zeit  bekannten  Beispiele  wird  es  dem  Jup-      p.  219)  zusammen. 


A.  Di  indigetoB.    88.  Mars.  183 

Weichbilde  geltenden  bürgerlichen  Amtsgewalt  und  dem  nur  ausserhalb 
des  Pomerium  wirksamen  imperium  müitiae,  >)  so  kann  der  Kriegsgott  nur 
im  letzteren  Gebiete  ansässig  sein;^)  ausserhalb  des  Pomerium  liegt  daher 
sowohl  der  alte  Altar  im  Marsfelde,  in  dessen  Nähe  sich  seit  dem  J.  616  ==  138 
ein  von  D.  Junius  Brutus  Callaicus  gelobter  und  von  einem  griechischen 
Architekten  ausgeführter  Tempel  des  Gottes  befand,^)  als  auch  ein  zweites 
hochberühmtes  Heiligtum,  der  im  J.  366  =  388  geweihte  Marstempel  vor 
dem  römischen  Südthore,  der  Porta  Gapena;^)  hier  versammelt  sich  das 
Heer  zu  einem  nach  Süden  gerichteten  Feldzuge  (Liv.  VII  23,  3),  und  von 
hier  aus  nahm  die  alljährlich  stattfindende  grosse  Ritterparade^  die  Irans- 
vectio  equitum,  ihren  Ausgang  (Dion.  Hai.  VI  13).  Es  sind  das  die  beiden 
einzigen  römischen  Eultstätten  des  Gottes  geblieben,  bis  Augustus  zum 
Danke  für  die  Bestrafung  der  Mörder  Caesars  den  Mars  Ultor  besonders 
zu  feiern  beschloss  und  demselben  erst  am  12.  Mai  des  J.  734  =  20  einen 
kleinen  Rundtempel  auf  dem  Capitol,  dann  am  1.  August  752  =  2  einen 
grossen  Tempel  weihte,  der  den  Mittelpunkt  des  vom  Kaiser  erbauten 
Forums  bildete^)  und,  durch  ein  eigenes  Tempelstatut  mit  besonderen  Vor- 
rechten ausgestattet,  geradezu  zum  Rivalen  des  capitolinischen  Tempels 
wurde.*)  Das  Heiligtum  stand  in  engster  Beziehung  zu  der  offiziell  an- 
erkannten Stammsage  des  julischen  Hauses,  denn  das  Tempelbild  stellte 
mit  Mars  zusammen  auch  die  Venus  dar  (Ovid.  Trist.  H  295),  eine  Ver- 
einigung, die  uns  in  gleicher  Weise  auch  im  Pantheon  begegnet  (Cass. 
Dio  LHI  27)  und  wenigstens  in  der  Zeit  des  Plinius  auch  im  Tempel  bei 
der  alten  ara  Martis  zu  sehen  war,  in  welchem  damals  ein  kolossaler 
sitzender  Ares  und  eine  nackte  Aphrodite,  beides  Werke  des  Skopas, 
aufgestellt  waren.'')  Es  waren  also  griechische  Vorstellungen,  die  dem 
augusteischen  Kulte  zu  Grunde  lagen  und  die  der  Kaiser  betonte,  um  den 
altrömischen  Kriegsgott  und  Erzeuger  der  Stadtgründer  mit  der  Stamm- 
mutter des  neuen  Fürstenhauses  zusammenzubringen;  das  lag  um  so  näher, 
als  die  griechische  Paarung  von  Ares  und  Aphrodite  den  Römern  schon  seit 
dem  Lectistemium  von  537  =  217,  wo  zum  erstenmale  die  Gleichsetzung  der 
griechischen  Zwölfgötter  mit  römischen  Gottheiten  erfolgte  (s.  oben  S.  55), 
geläufig  war.^)  Nach  griechischem  Vorbilde  haben  weiterhin  die  römischen 
Dichter  in  frei  erfundenen  Erzählungen  den  Mars  zu  verschiedenen  andern 
Gottheiten  in  Beziehung  gesetzt.  So  gaben  die  rein  zufälligen  Umstände, 
dass  einerseits  auf  das  alte  Marsfest  des  1.  März  später  der  Stiftungstag 
des  Tempels  der  Juno  Lucina  und  das  derselben  Göttin  geltende  Fest  der 


0  MoMMSKV,  Staatsr.  1  59  f. 

«)  Serv.  Aen.  1  292.     Vitruv.  I  7,  1. 

')  Becker,  Topogr.  S.  619.    Aüst,  De 


angeblichen  Nachbildungen   des  Ares  s.  E. 
Petersen,  Rom.  Mitt.  IV  330. 

*)  Liy.  XXII  10,  9.  Diese  hellenisierende 


aedibns  sacris  p.  27  Nr.  68.  Auffassung  des  Gottes,  die  schon  im  J.  476 

^)  0.  Richter,   Handb.   III   886.    Aust  =  278  durch  eine  nach  griechischem  Ritus 

a.  O.  p.  8  Nr.  11    und   in  Roschers  Lexik,  gehaltene  supplicatio  {a  laureatis  militibus 

II  2390  f.  Anm.  Yal.  Max.  I  8.  6)  zum  Ausdrucke  kam,  knfipfte 

*)  JoRDAH,  Top.  I  2  S.  45  f.  442  ff.  Momm-  sich,  wie  es  scheint,  namentlich  an  den  Kult 

SEIT,  Res  gestae  D.  Aug.  p.  126.    A.  Cham-  vor  Porta  Capena,  denn  unter  den  Prodigien, 

BALU.  Philol.  N.  F.  V  780  ff.  die  jenes  Lectistemium  veranlassen,  ist  das 

•)  Cass.  Dio  LY  10.  Suet.  Aug.  29.  Vgl.  wichtigste,  dass  das  Kultbild  dieses  Tempels 

oben  8.  70.                                                         I  schwitzt  (Liv.  XXII  1,  12;  vgl.  9,  9). 

0  PUn.  n.  h.  XXXVI  26.    üeber   die  , 


134 


Religion  nnd  Kulins  der  B5mer.    TL,  Götterlehre. 


Matronalia  fiel,  andererseits  am  1.  Juni  sowohl  der  Marstempel  vor  Porta 
Capena,  wie  die  Juno  Moneta  auf  der  Burg  ihren  Stiftungstag  begingen, 
Anlass  zu  der  Annahme  eines  engeren  Verhältnisses  zwischen  Juno  und 
Mars,  entsprechend  dem  zwischen  Hera  und  ihrem  Sohne  Ares,  und  so 
entstand  nach  dem  Vorbilde  der  griechischen  Sage  von  der  ungeschlecht* 
liehen  Empfängnis  des  Hephaistos  die  Erzählung,  dass  Juno  durch  den 
Duft  einer  Blume  geschwängert  den  Mars  geboren  habe.^  Auch  mit  der 
alten  Jahresgöttin  Anna  Perenna  hat  man  (vgl.  Ovid.  fast.  III  675  ff.)  ihm 
allerlei,  zum  Teil  burleske  Beziehungen  aus  keinem  anderen  Grunde  an- 
gedichtet, als  weil  ihr  Fest  auf  den  15.  März,  also  mitten  in  die  Mars- 
feiern dieses  Monats,  fiel  und  man  aus  dem  zeitlichen  Zusammenfall  einen 
inneren  Zusammenhang  erschloss.  Ein  Jahresgott  ist  Mars  darum  eben- 
sowenig wie  aus  dem  Grunde,  dass  man  den  für  die  Eaiserzeit  bezeugten') 
volkstümlichen  Brauch  des  , Winteraustreibens^  am  15.  März,  bei  dem  ein 
in  Felle  gehüllter  Mann  mit  Stöcken  geschlagen  wurde,  zusammenbrachte 
mit  dem  angeblichen  Verfertiger  der  ancilia,  dessen  Namen  Mamurius 
Veturius  man  aus  den  unverständlich  gewordenen  Worten  des  Salierge- 
sanges herauslesen  zu  können  meinte.') 

In  alter  Kultverbindung  steht  dagegen  Mars  mit  Nerio,  deren  Name 
in  den  pontificalen  Gebetsformeln  mit  dem  seinigen  verbunden  war :  Dichter 
und  Prosaiker  des  2.  Jahrhunderts  v.  Chr.  machten  daraus  eine  Gattin 
des  Mars  (Gell.  XIII  23),  und  die  von  griechischen  Vorstellungen  ausgehende 
Deutung  der  Folgezeit  sah  darum  in  ihr  nur  eine  andere  Bezeichnung  sei 
es  der  Bellona  (Aug.  c.  d.  VI  10)  oder  Minerva,*)  sei  es  der  Venus  (Lyd. 
de  mens.  IV  42);  Ovid  wusste  dann  zu  erzählen,  wie  diese  Nerio-Minerva 
sich  dem  Liebesverlangen  des  Gottes  entzogen  habe,  und  Spätere  gedenken 
auf  Grund  der  ovidischen  Erzählung  seiner  vergeblichen  Angriffe.^)  Sicher 
steht  nur,  dass  Nerio,  deren  Name  von  demselben  allgemeinitalischen 
Stamme  gebildet  ist  wie  Nero,  ungefähr  mit  Virtus   gleichbedeutend  ist. 

Völlig  dunkel  bleiben  einige  andere  Angehörige  des  um  Mars  sich 
scharenden  Götterkreises;  in  den  iguvinischen  Tafeln  werden  bei  der  Lu- 
stration neben  Cerfus  Martius  auch  Praestita  Cerfia  Cerfi  Martii 
und  Tursa  Cerfia  Cerfi  Martii  angerufen,^^)  und  zwei  stadtrömische 
Inschriften  aus  republikanischer  Zeit  gelten  einem  Numisius  Martins;^) 


0  Ovid.  f.  V  229  ff.  Paul.  p.  97.  Eine 
griechische  Vorstellung  liegt  jedenfalls  auch 
der  Zeichnung  einer  von  A.  Michaelis^  An- 
nali d.  Inst.  1873,  221  ff.  besprochenen  prae- 
nestinischen  Ciste  zu  Grunde;  vgl.  den  Deu- 
tungsversuch von  F.  Marx,  Arch.  Zeit.  XLIII 
1885  S.  169  ff. 

')  Ovid  erwähnt  ihn  nicht.  Dagegen 
heisst  der  Tag  in  dem  Kalender  des  Philo- 
calus  Mamuralia  und  Lyd.  de  mens.  lY  36 
beschreibt  den  Brauch,  auf  den  sich  viel- 
leicht auch  Minuc.  Fei.  24,  3  und  Serv.  Aen. 
VII  188  beziehen.  Erwähnungen  eines  8<t- 
erum  Mamurio  (Menol.  rust.),  einer  statua 
Mamuri  (Curios.  u.  Notit.  reg.  VI,  vgl.  Hül- 
BXN,  Rhein.  Mus.  XLIX  417  f.)  und  eines 


tetnplum  Mamurri  (Lib.  poutif.)  gehören  erst 
später  Zeit  an. 

»)  Plut.  Numa  13.  Ovid.  f.  III  389  f. 
Paul.  p.  131  u.  a. 

*)  Wenn  bei  Liv.  XLV  33,  2  Mars,  Mi- 
nerva und  Lua  mater  unter  den  Gottheiten 
genannt  werden,  denen  man  die  erbeuteten 
feindlichen  Waffen  verbrennt,  so  ist  Minerva 
wahrscheinlich  fttr  Nerio  eingetreten. 

*)  Ovid.  f.  m  681  ff.  Mart.  Cap.  I  4. 
Porph.  zu  Hör.  ep.  II  2,  209;  auf  letztere 
Stelle  gründen  Rbiffebsoheid  (Annali  d.  Inst. 
1867,  359)  und  Usknbb  weitgehende  Ver- 
mutungen. 

*)  BuBCHBLBB,  Umbrica  p.  98. 

^)  Bull.  arch.  com.  XX  1892,  76,  wodurch 


A.  Di  indigeteB.    28.  Mars. 


135 


die  Pontificalschriften  endlich  erwähnten  eine  —  vielleicht  auch  bei  Ennius 
genannte  —  Here  Martea^)  und  als  dienende  Gottheiten  (anculi)  dieses 
Kreises  die  Moles  Martis  (Gell.  Xin  23,  2),  welche  uns  noch  im  augu- 
steischen Festverzeichnisse  von  Cumae  mit  einer  zur  Erinnerung  an  die 
Dedication  der  Kapelle  des  Mars  ültor  auf  dem  Capitol  (12.  Mai)  ange- 
setzten SuppliccUio  Molibus  Martis  begegnen.^) 

Hierher  müssten  auch  die  Götter  der  zitternden  Angst  und  des 
blassen  Schreckens,  Pavor  und  Pallor,  gehören,  denen  nach  der  Er- 
zählung des  Livius  (I  27,  7)  König  Tullus  Hostilius  im  Kampfe  mit  den 
Albanern  Heiligtümer  {fana)  in  Rom  gelobte;  ob  diese  aber  wirklich  exi- 
stiert haben,  ist  bei  dem  Mangel  eines  jeden  anderen  Zeugnisses  und 
gegenüber  der  Thatsache,  dass  der  Parallelbericht  des  Dionys  von  Hali- 
karnass  (IH  32,  4)  ihrer  nicht  gedenkt,  immerhin  zweifelhaft.') 

Zum  Kreise  des  Mars,  wenn  auch  als  jüngere  Gestalten,  darf  man 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auch  das  engverbundene  Paar^)  Honos 
unä  Virtus  rechnen:  denn  dass  beide  Eigenschaften  ganz  speziell  im 
soldatischen  Sinne  aufgefasst  wurden,  zeigen  noch  die  Soldateninschriften 
der  Kaiserzeit,  ^)  und  auf  ein  enges  Verhältnis  zu  Mars  lässt  die  Thatsache 
schliessen,  dass  der  angesehenste  Tempel  von  Honos  und  Virtus  vor  der 
Porta  Capena  in  unmittelbarer  Nähe  des  dortigen  Marstempels  gelegen 
war,  so  dass  uns  die  Gewährsmänner  als  Ausgangspunkt  für  die  dort  be- 
ginnende Ritterparade  bald  den  Tempel  des  Mars  (Dion.  Hai.  ant.  VI  13) 
bald  den  des  Honos  (Vict.  v.  ill.  32,  3)  angeben.  Letzteres  Heiligtum  war 
als  Tempel  des  Honos  von  Q.  Fabius  Maximus  Verrucosus  521  =  233  im 
Kampfe  mit  den  Ligurern  gelobt  und  nachher  geweiht  worden,  M.  Claudius 
Marcellus  stellte  es  wieder  her  und  wollte  es  auf  Grund  eines  in  der 
Schlacht  bei  Glastidium  gethanen,  nach  der  Eroberung  von  Syrakus  er- 
neuerten Gelübdes  zu  einem  gemeinsamen  Tempel  von  Honos  und  Virtus 
umändern ;  als  dies  Vorhaben  bei  den  Pontifices  Bedenken  erregte ,  fand 
er  den  Ausweg,  einen  eigenen  Tempel  der  Virtus  hinzuzufügen,  den  sein 
Sohn  im  J.  549  =  205  dedicierte:^)  dies  Doppelheiligtum  wird  wegen  der 


die  Ergftnzang  von  CIL  VI  476  gesichert  ist; 
vgl.  auch  Marti  sive  Numiterno  (dazu  Tert. 
ad  nat.  II  8)  CIL  X  5046. 

^)  Paul.  p.  100  und  Wissowa  in  Roschers 
Lexik.  1  2298. 

*j  CIL  X  8375;  vgl.  Mommsbn,  Hermes 
XVII  637. 

')  Alle  vorliegenden  Erwähnungen  der 
Gottheiten  stammen  direkt  oder  indirekt  aus 
Livius,  nicht  nur  Minua  Fei.  25,  8  =  Cypr. 
qu.  idol.  dei  n.  s.  4.  Tert.  adv.  Marc.  I  18. 
Lact.  I  20,  11.  August,  c.  d.  IV  23  (und 
Seneca  ebd.);  de  cons.  evang.  I  18;  epist. 
17,  2;  in  psalm.  CIV  11.  Mart.  Cap.  1  55, 
sondern  auch  Serv.  Aen.  VIII  285,  der  durch 
falsche  Verbindung  der  Worte  des  Livius 
{duodecim  vavit  Saltos  fanaque  Pallori  ac 
Pavori)  zu  der  missverständlichen  Annahme 
von  SalH  Pavorii  und  PaUx>rii  kommt;  B. 
Maubbnbrichbr,  Jahrb.  f.  Philol  Suppl.  XXI 
316  ff.  richtet  arge  Confusion  an,  indem  er 


die  Worte  des  Servius  als  solche  des  Varro 
(angeblich  de  1. 1.  VI  14,  wo  nichts  der  Art 
steht)  citiert  und  dann  natürlich  findet,  dass 
Servius  den  Varro  wOrtlich  ausgeschrieben 
habe.  Die  lange  allgemein  verbreitete  An- 
sicht, dass  die  auf  den  Denaren  des  L.  Ho- 
stilius Sasema  (Babblon,  Monn.  cons.  I  552  f.) 
dargestellten  Köpfe  mit  wirrem  Haar  auf 
Pavor  und  Pallor  zu  beziehen  seien,  ist  von 
W.  Fröhnbb,  Philol.  Suppl  V  84  und  R.  Mo- 
WAT,  Rev.  numism.  3.  s4r.  IX  1891,  279  ff. 
endgiltig  widerlegt  worden. 

^)  Vgl.  Symm.  ep.  I  21.  August,  c.  d. 
V  12. 

*)  V.  DoMASZBWSKi,  Wostd.  Zeitschr.  XFV 
40  ff.;  sonstige  Weihungen  an  Honos  und 
Virtus  gemeinsam  CIL  VIII  6951.  XI  2910  f. 

•)  Cic.  de  nat.  deor.  II  61.  Liv.  XXVII 
25,  7.  XXIX  11,  3.  Val.  Max.  I  1,  8.  Plut. 
Marc.  28. 


136 


Religion  und  Knltiis  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


reichen  Kunstscbätze,  mit  denen  es  namentlich  aus  der  sicilischen  Beute 
ausgestattet  war,  oft  erwähnt,  ^  und  noch  Vespasian  unterzog  es  einer 
Renovation  und  liess  es  durch  angesehene  Künstler  ausmalen  (Plin.  n.  h. 
XXXV  120);  wenn  daher  Cass.  Dio  LIV  18,  2  berichtet,  dass  Augustus  im 
J.  737  =  17  das  Fest  des  Honos  und  der  Yirtus  auf  den  noch  zu  des 
Erzählers  Zeit  geltenden  Termin  verlegt  habe,  so  bezieht  sich  diese  An- 
gabe gewiss  auf  den  Festtag  dieses  angesehensten  Tempels  des  Götter- 
paares, und  zwar  war  dieser,  wie  Mommsen  (CIL  P  p.  319)  einleuchtend 
vermutet,  der  Tag  der  von  ihm  ausgehenden  transvectio  equüum.  Einen 
zweiten  Tempel  beider  Gottheiten  erbaute  C.  Marius  de  manubiis  dmbricis 
et  Teutonicis*)  auf  einer  der  Anhöhen  Roms,  aber  unterhalb  des  Gipfels 
(Fest.  p.  344);  er  war  ein  Werk  des  Architekten  C.  Mucius  und  wird 
wegen  seiner  harmonischen  Verhältnisse  von  Vitruv  (III  2,  5.  VII  praef.  17) 
gerühmt.  Dass  auch  Pompejus  dem  gleichen  Paare  Verehrung  zollte, 
beweist  der  Umstand,  dass  er,  wie  der  Venus  Victrix  und  der  Felicitas, 
auch  Honos  und  Virtus  auf  der  Höhe  des  von  ihm  erbauten  steinernen 
Theaters  Heiligtümer  errichtete,  die  alle  zusammen  am  12.  August  ihr 
Jahresfest  begingen  (CIL  P  p.  324).  Daneben  gab  es  noch  ein  Einzel- 
heiligtum des  Honos  vor  Porta  CoUina,  erbaut,  weil  man  dort  zufallig  ein 
Blechplättchen  mit  der  Aufschrift  Honoris  gefunden  hatte,^)  und  einen 
vom  jüngeren  Scipio  nach  der  Einnahme  von  Numantia  errichteten  Altar 
der  Virtus  (Plut.  de  fort.  Rom.  5).  Auf  Münzen  der  ausgehenden  Republik 
begegnen  uns  die  Köpfe  von  Honos  und  Virtus  bald  vereint,  bald  ge- 
trennt, ersterer  lockig  und  bekränzt,  letzterer  behelmt,^)  in  der  Kaiserzeit 
findet  sich  Honos  allein  auf  Münzen  der  älteren  Zeit  von  Galba  bis  Marc 
Aurel,  Virtus  noch  etwas  länger,  beide  zusammen  auf  Münzen  des  Galba: 
die  Darstellungsform  ist  im  wesentlichen  immer  die  gleiche,  Honos  wird 
gebildet  als  halbbekleideter  Jüngling  mit  Speer  und  Füllhorn,  Virtus  mit 
Helm  und  Schwert,  gestiefelt  und  im  kurzen  Gewände  nach  Art  der  Ama- 
zonen;') ausserdem  weisen  die  Münzen  der  späteren  Kaiserzeit  noch  sehr 
häufig  Umschriften  wie  Virtus  Augusti  (auch  mit  Beifügung  des  Namens), 
Virtus  Romanorum,  Virtus  exercitus,  Virtus  militum  ohne  Darstellung  ihrer 
Gestalt  auf.  In  der  Dichtung  spielt  Virtus  als  Vertreterin  mannhafter 
Tüchtigkeit  eine   erheblich  grössere  Rolle  als  Honos, ^)  im  Kulte  jedoch 


^)  Zeugnisse  in  Roschbrs  Lexikon  1 2708; 
zeitweise  (vor  565  =  189)  wird  die  kleine 
bronzene  aedictda  Camenarum,  angeblich  eine 
Stiftung  Nuraas,  hier  aufbewahrt,  Serv.  Aen. 
I  8;  das  Bild  der  Virtus  stürzt  um  im  J.  716 
=  38,  Cass.  Dio  XLVHI  43,  4. 

«)  CIL  P  p.  195  elog.  XVIII  =  CIL  XI 
1831;  sonst  wird  der  Tempel  nur  noch  er- 
wähnt bei  einer  der  für  die  Rückberufung 
Ciceros  wichtigen  Senatsverhandlungen,  bald 
als  templum  Virtutis  (Cic.  Sest.  116),  bald 
als  monumentum  Marti  (Cic.  Plane.  78;  de 
div.  I  59  =  Val.  Max.  I  7,  5),  vgl.  Schol. 
Bob.  p.  209.  305  Or.,  der  aus  Missverständnis 
der  Stelle  Sest.  116  von  ludi  Honoris  atque 
Virtutis  spricht,  die  es  in  Rom  nie  gegeben 
hat,  wohl  aber  in  Tarracina  (CIL  X  8260). 


*)  Cic.  de  leg.  II  58;  in  der  Gegend  ge- 
funden ist  die  archaische  Inschrift  CIL  VI 
3692. 

^)  Beide  zusammen  Babblon,  Monn.  cons. 
I  512;  Honos  allein  ebd.  I  469  f.  II  148; 
Virtus  allein  ebd.  I  213. 

»)  Vgl.  RosoHKES  Mythol.  Lexik.  I  2708  f. 
und  s.  über  sonstige  Denkmäler  E.  Pitrgold, 
Archaeol.  Bemerk,  zu  Claudian  und  Sidonius 
(1878)  S.  26  ff.;  Miscell.  Capitolina  (1879) 
S.  22  ff.  F.  WiBSELBR,  Abhandl.  d.  Götting. 
Gesellsch.  d.  Wissensch.  XXX  24  ff.  M.  Matbb, 
Aroh.  Zeit.  XLII  1884  S.  280. 

')  Einiges  bei  R.  Ekoblhabd,  De  per- 
sonificat.  quae  in  poesi  atque  arte  Roman, 
inveniuntur  p.  18  f. 


A.  Di  indigetes.    23,  Mani. 


137 


scheint  dieser  voran  gestanden  zu  haben ;  >)  die  Arvalen  wenigstens  opfern 
nie  der  Virtus,  aber  einmal  (im  J.  66  wegen  der  Entdeckung  der  pisoni- 
schen  Verschwörung,  CIL  VI  2044  I  5)  dem  Bonos,  und  zwar  auffälliger- 
weise eine  Kuh,  im  Widerspruch  mit  der  Vorschrift  der  römischen  Sakral- 
ordnung, nach  welcher  das  Geschlecht  der  Opfertiere  dem  der  Gottheit  ent- 
sprechen muss.^)  Da  der  griechische  Ritus  diese  Vorschrift  nicht  kennt, ^)  so 
lässt  sich  diese  Abweichung  —  an  einen  Fehler  im  Protokoll  ist  nicht  zu 
denken  — ^)  nur  unter  der  Voraussetzung  verstehen,  dass  dem  Honos  graeco 
ritu  geopfert  wurde,  und  diese  Annahme  findet  ihre  direkte  Bestätigung 
durch  das  Zeugnis  des  Plutarch  (Qu.  Rom.  13),  dass  man  beim  Opfer  an 
Honos  das  Haupt  unbedeckt  liess,  also  ebenfalls  dem  griechischen  Cere- 
moniell  folgte.  Da  deutliche  Anzeichen  darauf  hinweisen,  dass  im  Mars- 
tempel vor  der  Porta  Capena  der  griechische  Ritus  früh  Eingang  fand  (s.  oben 
S.  133  Anm.  8),  so  wird  er  von  diesem  auf  den  benachbarten  und  innerlich 
von  ihm  abhängigen  Gottesdienst  des  Honos  übertragen  worden  sein. 

In  andrer  Weise  als  Nerio  steht  neben  Mars  Bellona:^)  nicht  wie 
jene  eine  alte  Kultgenossin  des  Gottes,  stellt  sie  vielmehr  in  derselben 
Weise  eine  Verselbständigung  der  Haupteigenschaft  und  Hauptwirksamkeit 
des  Mars  dar,  wie  Fides  gegenüber  Juppiter.  Wie  diese  hat  sie  sich  in 
verhältnismässig  kurzer  Zeit  zu  eigner  Persönlichkeit  entwickelt;  denn 
schon  in  der  Devotionsformel  des  P.  Decius  Mus  (Liv.  VHI  9,  6)  erscheint 
sie  hinter  der  Trias  Juppiter,  Mars,  Quirinus  und  vor  den  Lares  (militares), 
und  eine  der  aus  der  Zeit  etwa  des  ersten  punischen  Krieges  stammen- 
den schwarzen  Trinkschalen  mit  Götterbildern  trägt  ihren  Namen,  wenn 
auch  in  entstellter  Form.^')  Ein  eigner  Tempel  wurde  ihr  von  Ap.  Clau- 
dius Caecus  im  J.  458  =  296  in  der  Not  des  Kampfes  gegen  die  ver- 
einigten Etrusker  und  Samniter  gelobt  und  einige  Jahre  nachher  am 
3.  Juni  eingeweiht  ;0  er  lag,  wie  es  sich  bei  dem  engen  Zusammenhange 
der  Gottheiten  von  selbst  ergab,  in  unmittelbarer  Nähe  der  alten  ara 
Mariis  zwischen  dieser  und  dem  (späteren)  Circus  Flaminius^)  und  wird 
sehr  häufig  erwähnt  als  Sitzungslokal  des  Senates  bei  solchen  Verhand- 
lungen, die  ausserhalb  des  Pomeriums  stattfinden  mussten,  namentlich  beim 
Empfang  von  Gesandten  mit  Rom  nicht  im  Vertragsverhältnis  stehender 


*)  Aedes  Honorus  in  Puteoli  im  J.  649 
=  105  CIL  X  1781;  colUgium  Virtutia  in 
Nepet  CIL  XI  3205;  collegium  Honoris  et 
Virtutis  in  Narbo  CIL  XII  4371. 

•)  Arnob.  VII  19;  vgl.  Cic.  de  leg.  II  29. 

»)  P.  Stkkobl,  Jahrb.  f  Pbilol.  CXXXIJI 
1886  8.  324  fif. 

^)  So  Oldenbibo,  De  sacris  fratr.  Arval. 
p.  36  und  dagegen  C.  Kbaüsb,  De  Roma- 
nonun  hostiis  quaestiones  selectae  (Marpurgi 
1894)  p.  19  f. 

')  In  älterer  Form  natürlich  Duelona^ 
8.  CIL  I  196,  2.  Varro  de  1.  1.  V  73.  VII 
49.    Prise.  III  497  K. 

«)  Bdolai  pocolom  CIL  I  44  mit  Dar- 
stellnng  eines  scblangenharigen  Frauenkopfes 
(s.  die  Abbildung  bei  Jobdan,  Symb.  ad  bist. 
relig.Ital.  alterae  p.  14),  d.h.  der  griechischen 


Enyo. 

')  Liv.  X  19,  17.  Ovid.  fast.  VI  199  ff 
CIL  I*  p.  319  und  p.  192  elog.  X  10  (=  CIL 
XI  1827).  Plin.  n.  h.  XXXV  12,  wo  ürlichs 
richtig  gesehen  hat,  dass  die  Angabe,  der 
Stifter  des  Tempels  sei  Ap.  Claudius  Cos. 
259  =  495  gewesen,  auf  Interpolation  beruht. 

^)  Dass  die  Ansetzung  an  der  Westseite 
des  Circus  (so  z.  B.  Eibfbbt-Hülsen)  unzu- 
treffend ist  und  der  Tempel  viel  weiter  nach 
Norden  an  die  ara  Martis  und  die  Villa 
publica  hinaufzurücken  ist,  zeigt  die  Er- 
zählung von  dem  Blutbade,  das  Sulla  im 
J.  672  =  82  in  der  Villa  publica  anrichten 
liess,  während  er  im  benachbarten  Bellona- 
tempel  Senat  hielt  (Cass.  Dio  frg.  105,  5 
Melb.  Liv.  per.  88.  Sen.  de  dem.  1 12,  2  u.  a.). 


138 


Religion  nnd  KultiiB  der  Römer,    ü.  GOtterlehre. 


Staaten  und  bei  Beratungen  über  die  Bewilligung  von  Triumphen.*)  Vor 
dem  Tempel  stand  die  columna  bellica,  an  welche  sich  eine  Ceremonie 
des  ins  fetiale  knüpfte:  seit  man  die  Kriege  mit  ausseritalischen  Gegnern 
führte  und  es  nicht  mehr  thunlich  war,  wie  der  alte  Brauch  es  verlangte, 
durch  Hineinwerfen  einer  hasta  sanguinea  praeusta  aus  dem  römischen  Ge- 
biete in  das  feindliche  Land  die  Kriegserklärung  zu  vollziehen,*)  ersetzte 
man  das  durch  einen  stellvertretenden  Akt:  ein  beim  Gircus  Flaminius 
gelegenes  Stück  Land  wurde  durch  Rechtsfiktion  (angeblich  zuerst  bei  der 
Kriegserklärung  gegen  Pyrrhus,  indem-  man  einen  kriegsgefangenen  Sol- 
daten des  Pyrrhus  nötigte,  es  zu  kaufen)  zu  Feindesland  gemacht  und  in 
dieses  von  der  als  Grenzsäule  gedachten  columna  bellica  aus  die  Lanze  ge- 
worfen,^) eine  Ceremonie,  die  nicht  nur  Augustus,  sondern  auch  Marc 
Aurel  noch  in  Anwendung  brachten.^)  Sonst  hat  Bellona  im  Kulte  selbst 
bei  den  Soldaten  keine  Bedeutung  gehabt,  da  sie  seit  dem  Ausgange  der 
Republik  durch  die  unter  dem  gleichen  Namen  in  Rom  verehrte  kappa- 
dokische  Göttin  von  Komana  (s.  unten  §  56)  völlig  in  den  Hintergrund  ge- 
drängt wurde;  auf  diese  beziehen  sich  so  gut  wie  ausschliesslich  die 
erhaltenen  Weihinschriften,^)  und  auch  im  mythologischen  Apparate  der 
Dichter  bedeutet  der  Name  nicht  die  altrömische  Göttin,  sondern  entweder 
die  Kappadokierin  oder  die  griechische  Enyo. 

Die  sehr  zahlreichen  Weihinschriften  und  die  Münzdarstellungen  der 
Kaiserzeit,  die  noch  einer  Sichtung  und  eingehenderen  Prüfung  bedürfen, 
ergeben  für  die  Auffassung  des  Gottes  Mars  nichts  wesentlich  Neues.  Er 
erscheint  durchweg  als  der  Kriegsgott,  meist  als  der  siegreiche  Vor- 
kämpfer ( Victor,  Propugnator),  auch  als  Bewahrer  (Conservator)  und  Mehrer 
des  Reiches  (Propagator  imperii)  und  schirmender  Begleiter  des  Kaisers 
(Comes  Augusti),  oft  auch  als  der  durch  die  Gewalt  der  Waffen  den  Frieden 
schützende  Gott  {Pamfer).  Am  häufigsten  sind  die  Zeugnisse  seiner  Ver- 
ehrung naturgemäss  in  den  militärisch  besetzten  Grenzprovinzen,  <^)  und  die 
Soldaten  fremder  Nationalität  haben  mit  Vorliebe  ihre  einheimischen 
Götter,  namentlich  solche  von  hervorragender  Bedeutung,  wie  den  kel- 
tischen Toutates*)  und  den  germanischen  Tiu,®)  unter  diesem  Namen  an- 
gerufen.*) 

Litteratnr:  W.  H.  Roscheb,  Stadien  zur  vergleichenden  Mythologie  der  Griechen 
und  Römer.  I.  Apollon  und  Mars.  Leipzig  1873;  Mythol.  Lexikon  II  2385  ff.  U.  Useneb, 
Rhein.  Museum  XKX  182  ff. 


')  Fest.  p.  347;  die  Zeugnisse  hei  Momm- 
BEN,  Staatsr.  III  930,  5. 

*)  Marqüabdt,  Staatsverw.  IN  422  und 
8.  unten  den  Abschnitt  über  die  Fetialen. 

»j  Serv.  Aen.  IX  52.  Ovid.  fast.  Vi  205  ff. 
Paul.  p.  33.     Placid.  p.  14,  2  Deuerl. 

*)  Cass.  Dio  L  4,  5.  LXXI  33,  3. 

•)  Nur  in  der  Verbindung  Virtuti  Bei- 
lonae  (CIL  V  6507.  Obelli  4983)  möchte  man 
geneigt  sein,  einen  Nachklang  der  älteren 
Auffassung  zu  sehen  (vgl.  Plaut  Amph.  42  f. 
Viriutem  Victariam  Martern  Bellonam);  aber 
die  eine  Inschrift  (Orrlli  4983)  scheint  zu 
den  Taurobolien  zu  gehören  (Litteratur  bei 
LiEBENAM,  Vereinsw.  S.  302  f.),  und  auf  den 


orientalischen  Kult  gehen  jedenfalls  die  Worte 
des  Lact.  I  21,  16  (sacra)  Virtutis,  quam  ean- 
dem  Bellonam  vocant,  in  quibtM  ipsi  sacer- 
dotes  non  alieno  sed  «uo  crtwre  sacrificant. 

*)  Ueber  den  Aufschwung  des  Mars- 
kultes im  Heere  seit  der  Mitte  des  3.  Jahrh. 
vgl.  V.  DoMASZBWSKi,  Westd.  Ztschr.  XIV 
34  ff. 

»)  CIL  III  5320.  VII  84. 

^)  Vgl.  namentlich  über  Mars  Thingsos 
(Eph.  ep.  VII  1040)  W.  Schebeb,  Sitz.Ber. 
d.  ßerl.  Akad.  1884  S.  571  ff 

^)  Sammlungen  bei  Roscheb,  Mythol. 
Lexik.  II  2397  ff. 


A.  Di  indigetea.    S4.  Qnirinna. 


189 


24.  Qnirinus.  Quirinus  pater^)  gehört  zu  der  gi^ossen  Zahl  der- 
jenigen Gottheiten,  welche,  obwohl  in  der  ältesten  Zeit  von  hoher  Be- 
deutung, später  derart  verschollen  sind,  dass  wir  zu  einer  klaren  Vor- 
stellung von  ihrem  Wesen  und  ihrer  Bedeutung  nicht  mehr  gelangen 
können:  die  Nachrichten  über  Form  und  Inhalt  seines  Kultes  sind  überaus 
spärlich,  und  was  die  alten  Schriftsteller  über  den  Gott  berichten,  ist 
fast  ausnahmslos  ohne  Wert,  weil  es  auf  überwiegend  ganz  willkürlichen 
Kombinationen  beruht  und  ausserdem  meistenteils  die  nachweislich  spät 
vorgenommene  Identifikation  des  Quirinus  mit  dem  vergötterten  Romulus 
zur  Voraussetzung  hat.  Der  Name,  über  dessen  Herleitung  in  alter  und 
neuer  Zeit  viel  gestritten  worden  ist,')  ist  der  Bildung  nach  sicher  ad- 
jektivisch, mithin  von  Haus  aus  nicht  Eigenname,  sondern  Attiibut  einer 
Gottheit  und  in  dieser  Geltung  bei  Janus  (s.  oben  S.  96)  und  Juppiter 
(CIL  IX  3303)  nachweisbar.  Die  Vermutung,  dass  auch  Mars  ursprüng- 
lich diesen  Beinamen  führte  und  somit  der  Gott  Quirinus  eine  selb- 
ständig gewordene  Seite  des  römischen  Kriegsgottes  darstellt,')  findet 
ihre  Bestätigung  sowohl  in  dem  Umstände,  dass  einmal  von  den  Waffen 
des  Quirinus  die  Rede  ist,^)  als  auch  darin,  dass  ihm  die  agonensischen 
Salier  in  ganz  derselben  Weise  dienen,  wie  die  palatinischen  dem  Mars:^) 
auch  hat  sich  in  der  Gegend  des  alten  Quirinustempels  neben  einer  diesem 
Gotte  geweihten  archaischen  Inschrift  (CIL  VI  565)  eine  zweite  an  Mars 
gerichtete  gefunden  (CIL  VI  475,  vgl.  Mommsbn,  CIL  V  p.  22).  Nach  einer 
Nachricht^)  trat  in  Quirinus  mehr  die  friedliche  Seite  des  Kriegsgottes 
hervor,  so  dass  er  sozusagen  ein  Gott  des  bewaffneten  Friedens,  der  auch 
im  Frieden  stets  kampfbereiten  Bürgerschaft  gewesen  wäre,  und  diese 
Überlieferung  passt  sehr  wohl  zu  dem  Namen,  da  bekanntlich  Quirites 
in  derselben  Weise  im  Gegensatze  zu  milites  gebraucht  wird. 

'  Ist  somit  in  der  alten  Göttertrias  Juppiter,  Mars,  Quirinus  der  letzt- 
genannte nur  eine  von  der  zweiten  Gottheit  gewissermassen  abgespaltete 


*)  Enn.  aon.  frg.  71  B.  Lucil.  frg.  8  B. 
Verg.  Aen.  VI  859.    Liv.  V  52,  7. 

')  Die  Alten  leiten  ihn  entweder  von 
Cures  ab  (Ovid.  f.  II  480,  vgl.  Varro  de  1. 1. 
y  51.  Fest.  p.  185.  254)  oder  von  angeb- 
lich sabinischem  quiris  =  Lanze  (Ovid.  f.  II 
478  f.  Plut.  Rom.  29.  Serv.  Aen.  I  292); 
letztere  Etymologie,  die  auch  bei  den  Neueren 
vielfach  Beifall  gefunden  hat  (Bcbsu,  Die 
Gutturalen  und  ihre  Verbindung  mit  v  im 
Lateinischen,  Berlin  1885  S.  118  f.,  s.  aber 
auch  MoHMSXN,  Staatsr.  III  5,  2)  bietet  nicht 
nur  lautliche,  sondern  auch  sachliche  Schwie- 
rigkeiten, da  ein  ,speerschwingender*  Janus 
unerhört  sein  wfirde.  Am  meisten  hat  es 
für  sich,  mit  Nibbuhr  (Rdm.  Gesch.  1  321) 
Quirites  und  Quirinus  von  einem  alten  Orts- 
namen *Quiriufn  abzuleiten,  wie  Samnites 
und  Latinus  von  Samnium  und  Latium.  Vgl. 
auch  Bist,  De  Romae  urbis  nomine  (Mar- 
burg 1887)  p.  XIV  f. 

*)  Dion.  Hai.  II  48.  Plut.  Rom.  29  u.  a. 
Vgl.  MoMMSXN,  Rom.  Gesch.  I  51.  161. 


*)  Fest.  p.  217:  persiUum  ...  rudus- 
culum  picatum,  ex  quo  unguine  fiamen  Por- 
tunalis  arma  Quirini  unguit.  Auf  Denaren 
des  N.  Fabius  Pictor  (Babbloh,  Monn.  cons. 
I  484)  sieht  man  allerdings  in  der  Dar- 
stellimg  eines  behelmten,  mit  Speer  und 
Schild  ausgerüsteten  Mannes  mit  der  Bei- 
schrift QVIRIN  seit  Eckhel  meist  mit  Recht 
nicht  den  Gott  Quirinus  (so  Elüeomann, 
Ztschr.  f.  Numism.  VII  65),  sondern  den  Fla- 
men Quirinalis  Q.  Fabius  Pictor;  aber  die 
an  dem  Priester  auffallende  Bewaffnung  wird 
wohl  von  seinem  Gotte  auf  ihn  übertragen 
sein. 

^)  Mabquabdt,  Staatsverw.  III  429. 

•)  Serv.  Aen.  I  292.  VI  860:  Quirinus 
autem  est  Mars,  qui  probest  paci  et  intra 
civitatem  colitur,  nam  belli  Mars  extra  civi- 
tatem  templum  habet.  Birt  a.  0.  p.  XVI  ver- 
weist auch  auf  Claudian.  de  IV  cons.  Hon.  8: 
positisque  parumper  belhrum  signis  sequitur 
vexilla  Quirini. 


140 


Religion  nnd  KnltiiB  der  BOmer.    II,  GOtterlehre. 


Person,  so  erklärt  es  sich,  dass  sein  Priester  unter  den  drei  grossen  Fla- 
mines den  niedrigsten  Rang  einnahm.  Doch  muss  die  Abspaltung  bereits 
in  vorhistorischer  Zeit  erfolgt  sein,  da  Quirinus  in  den  ältesten  sakralen 
Urkunden  schon  als  selbständiger  Gott  erscheint.  Wenn  Varro  die  Ein- 
führung seines  Kultes  dem  Könige  T.  Tatius  zuschrieb  und  Quirinus  zu 
den  ursprünglich  sabinischen  Göttern  rechnete,  die  dieser  König  in  Rom 
heimisch  gemacht  haben  sollte,  >)  so  stützte  sich  das  nur  darauf,  dass  der 
Kult  des  Gottes  auf  dem  Collis  Quirinalis  lokalisiert  war  und  Varro  die 
auf  diesem  Hügel  angesiedelte  Sondergemeinde  für  eine  sabinische  er- 
klärte.') Das  uralte  Heiligtum  des  Gottes  lag  auf  diesem  Hügel  nahe 
der  Porta  Quirinalis;  an  seine  Stelle  trat  im  J.  461  =  293  durch  L.  Pa- 
pirius  Cursor  ein  hervorragender  Tempel,  welcher  später,  als  er  im  J.  705 
=  49  niedergebrannt  war,  von  Augustus  mit  besonderer  Pracht  wieder- 
hergestellt wurde;  bei  der  Einweihung  dieses  Neubaues  im  J.  738  =  16 
wurde  der  bisher  am  29.  Juni  begangene  Stiftungstag  auf  den  17.  Februar 
verlegt.')  Dies  ist  zugleich  der  alte  Festtag  des  Gottes,  von  dessen  Feier 
wir  leider  garnichts  wissen,  da  die  Erklärer  des  Festkalenders  zu  diesem 
Tage  nur  von  dem  zuföUig  auf  ihn  fallenden  Schlussakte  der  Fornacalia, 
den  sogenannten  stultorum  feriae  (s.  unten  S.  142)  zu  berichten  wissen,  die 
an  sich  mit  Quirinus  nichts  zu  thun  haben. ^)  Auch  was  uns  von  den  Ob- 
liegenheiten des  Flamen  Quirinalis  bekannt  ist,  gibt  uns  über  das  Wesen  des 
Gottes  keinen  Aufschluss:  denn  wenn  wir  ihn  an  Kulthandlungen  im  Dienste 
andrer  Gottheiten,  der  Larenta  (Gell.  VH  7,  7),  des  Robigus  (Ovid.  fa«t. 
IV  910),  des  Consus  (Tertull.  de  spect.  5),  beteiligt  finden  und  an  ihm  ge- 
wisse Beziehungen  zum  Vestakulte  zu  bemerken  glauben,*)  so  dürfen  wir 
daraus  kaum  auf  eine  innere  Verwandtschaft  dieser  Gottheiten  unter 
einander  schliessen,  sondern  es  gewinnt  den  Anschein,  als  sei  der  im 
eigenen  Dienste  wenig  beschäftigte  Priester  aushilfsweise  auch  für  die 
Verehrung  anderer  Gottheiten,  die  keinen  besonderen  Priester  hatten, 
herangezogen  worden.  Weihinschriften  fehlen  ausser  der  oben  erwähnten 
vollständig,  •)  dass  man  bei  ihm  mit  dem  Ausdrucke  equirine  schwur,  wissen 
wir  aus  einem  vereinzelten  Zeugnisse  (Paul.  p.  81).  Von  Interesse  ist  eine 
Notiz  des  Arvalkalenders  zum  23.  August  (CIL  P  p.  326),  wonach  an  diesem 
Tage,  den  Volcanalia,  einer  Reihe  von  Gottheiten  behufs  Abwendung  von 
Feuersgefahr  ein  wahrscheinlich  von  Augustus  angeordnetes  Opfer  dar- 
gebracht wurde,  und  zwar  ausser  Volcanus  den  Nymphen,  (der  Juturna?), 
der  Ops  Opifera  und  dem  Quirinus;^)  wie  Quirinus  in  diese  Gesellschaft 
kommt,  vermögen  wir  allerdings  nicht  mehr  zu  ermitteln. 


*)  Varro  de  1.  1.  V  74  (vgl.  denselben 
bei  Dion.  Ual.  11  48,  wo  Quirinus  in  der 
Stammsage  von  Cures  als  Vater  des  Stadt- 
gründers Modius  Fabidius  erscheint).  Dion. 
Hai.  II  50.  Ambrosch,  Studien  u.  Andeu- 
tungen S.  169  f. 

^)  S.  dagegen  Momhsen,  Rom.  Gesch. 
I  53. 

»)  Lanoiani,  Bull.  arch.  com.  XVII  (1889) 
S.  386  ff.  379  ff.  WissoWA,  Hermes  XXVI 
137  ff.;  Analecta  Romana  topographica  (Halis 
1897)  p.  13  ff 


*)  Varro  de  1.  1.  VI  13.  Fest.  p.  254. 
Ovid.  f.  II  475  ff.  Plut.  Q.  R.  89  Haltlose 
Combinationen  bei  Gilbert,  Topogr.  II  132  f. 

*)  Mabquabdt,  Staatsverw.  111  336,   2. 

*)  Die  Schlüsse,  die  M.  Büdivgeb,  Jahrb. 
f.  Philol.  LXXV  1857  S.  198  ff.  aus  der  Le- 
gende vom  hlg.  Quirinus  auf  Bedeutung  und 
Fortdauer  des  Quirinuskultes  bis  ins  späteste 
Altertum  zieht,  sind  nicht  zwingend. 

^)  Jordan,  Eph  epigr.  I  p.  229.  Aust, 
De  aedibus  sacris  p.  41.  Wissowa,  De  feriis 
anni  Rom.  p.  VII;  Hermes  XXVI  141,  1. 


A.  Di.lndigetea.    26.  Vesta« 


141 


Seit  dem  letzten  Jahrhundert  der  Republik^)  kommt,  wir  wissen 
nicht  durch  wen,  die  Meinung  zur  allgemeinen  Geltung,  dass  Quirinus 
nichts  anderes  sei  als  der  zum  Gotte  erhobene  Stadtgründer  Romulus, 
dessen  Kult  durch  Numa  eingesetzt  worden  sei;^)  Caesar  und  Augustus, 
von  denen  der  erstere  eine  Statue  im  Quirinustempel  erhielt,')  der  zweite 
selbst  als  Quirinus  gefeiert  wurde,^)  scheinen  diese  neue  Version  beson- 
ders begünstigt  zu  haben, ^)  und  seitdem  kommt  der  Name  in  der  Litteratur 
kaum  anders  vor  als  in  Anwendung  auf  Romulus.^) 

Diese  Umgestaltung  hat  sich  auch  auf  eine  mit  Quirinus  verbundene 
Gottheit  erstreckt.  In  alten  Gebetsformeln  wurde  neben  ihm  eine  Hora 
Quirini  genannt,  von  der  ausser  dem  Namen  nichts  bekannt  war;^)  als 
man  Romulus  mit  Quirinus  identifizierte,  setzte  man  auch  des  ersteren 
Gemahlin  Hersilia^)  mit  Hora  gleich,  und  Ovid  erzählt,  wie  die  nach  der 
Entrückung  ihres  Gemahles  trostlose  Hersilia  von  Juno  auf  den  Quirinal 
beschieden  wird  und  von  da  in  den  Himmel  gelangt,  wo  sie  als  Hora 
neben  ihrem  zum  Gotte  Quirinus  erhobenen  Gemahle  verehrt  wird.^)  Unter- 
geordnete Gottheiten  dieses  Kreises  sind  dieVirites  Quirini,  von  denen 
wir  nichts  als  den  Namen  aus  jenen  nämlichen  alten  Gebetsformeln  (Gell. 
Xin  23,  2)  kennen,  ohne  ihr  Wesen  genauer  bestimmen  zu  können;  denn 
mit  den  Vires  oder  Virae,*®)  die  uns  namentlich  in  Oberitalien  in  Gesell- 
schaft der  Nymphen  begegnen,  haben  sie  ganz  gewiss  nichts  zu  thun. 

25.  Yesta.  Vesta  mater,  das  einzige  weibliche  Mitglied  des  Kreises 
der  obersten  Götter  der  alten  Rangordnung,  steht  in  naher  Beziehung  zu 
Janas  pater,  und  dieses  Paar,  dessen  Kult  von  späteren  Veränderungen 
weniger  betroffen  worden  ist,  als  die  meisten  andern  Gottesdienste,  ver- 
körperte dem  Römer  der  Folgezeit  so  recht  die  Religion  der  Altvorderen:") 
auf  den  Zusammenhang  beider  weisen  sowohl  alte,  halbverschollene  rituelle 
Beziehungen  der  vestalischen  Jungfrauen  zum  Rex  sacrorum,  dem  Priester 
des  Janus,  hin,'«)  wie  namentlich  die  bereits  erwähnte  (S.  91)  Vorschrift 


')  Das  älteste  Zeugnis  ist  vielleicht  der 
Quirinoskopf  auf  Denaren  des  G.  Memmius 
(etwa  694  =  60,  Babblon,  Monn.  cons.  II 
218),  falls  MoMXSBKS  Vermutung  (Manzw. 
S.  642)  richtig  ist,  dass  die  Memmier  als 
angeblich  troische  Famihe  ihren  Stammbaum 
bis  auf  Romulus-Quirinus  zurückführten.  Bei 
Cicero  de  offic.  Ill  41  (peecavit  igitur,  pace  veJ 
Quirini  vel  Romuli  dixerim)  zeigt  der  Wortlaut, 
dass  die  Identifikation  noch  ziemlich  neu  ist. 

»)  Ovid.  met.  XIV  805  ff.;  fast.  II  475  ff. 
Dien.  Hai.  II  63.  Flut.  Rom.  29;  Num.  7. 
Plin.  n.  h.  XV  120.    Serv.  Aen.  I  292. 

»)  Cass.  Dio  XLIII  45;  vgl.  Cic.  ad  Att. 
XII  45,  3.    XIII  28,  3. 

<)  Verg.  Georg.  III  27;  vgl.  Serv.  Georg, 
m  27;  Aen.  I  292. 

*)  Dieselbe  hat  daher  auch  in  das  pom- 
pejaniscbe  Elogium  des  Romulus  (CIL  X 
o09)  Aufnahme  gefunden:  receptu8que  in 
deorum  numerum  Quirinus  appelJatus  est, 

>)  Vgl.  auch  die  eigentümliche  Wendung 
geminos  . .  Quirinos  (Juven.  11,  105)  für  Ro- 
mulus und  Remus. 


')  Gell.  Xlll  23,  2.  Enn.  ann.  frg.  71  B.; 
Flut.  Q.  R.  46  verwechselt  mit  ihr  eine  sonst 
unbekannte  Göttin  Herta,  deren  Tempel  nach 
seiner  Angabe  stets  geöffnet  war. 

■)  üeber  diese  vgl.  Flut.  Rom.  14.  Liv. 
I  11,  2. 

»)  Ovid.  met.  XfV  829  ff.;  vgl.  Wis- 
sowA,  Fhilol.  Abhandl.  M.  Hertz  dargebracht 
S.  167. 

»»)  Fest.  p.  261.  Nymphis  et  Viribus 
Äugustis  CIL  XI  1162;  Lgmfis  Viribus  CIL 
5648  (Gbutkb  1011,  1  Dianae  Victrici  et 
Viribus  ist  unecht  =  CIL  VI  3200*);  TtV»- 
bus  allein  CIL  VI  797  (mit  JagdrelieO-  V 
1964.  4285  (neben  Neptun).  8247.  8248;  beim 
Taurobolium  CIL  V  6961  f.  Vi  divinai  CIL 
V  837.  üeber  die  Virgines  divae  der  Arval- 
akten  (s.  auch  CIL  XII  1838)  vgl.  Hbbzbn, 
Acta  fr.  Arv.  p.  145. 

»»)  Vgl.  z.  B.  Juven.  6,  386:  et  farre  et 
vino  lanum  Vestamque  rogabat. 

»*)  Serv.  Aen.  X  228:  virgines  Vestaies 
certa  die  ibant  ad  regem  sacrorum  et  dice- 
bant:  ,vigilasne  rex?  rigila*. 


142 


Religion  und  Knltna  der  Römer.    EL.  Götterlehre. 


der  rdmischen  Opferregel,  wonach  in  den  zur  Anrufung  gelangenden  Götter- 
reihen überall  Vesta  an  letzter,  Janus  an  erster  Stelle  genannt  werden 
musste.  Während  uns  aber  Janus  nur  auf  römischem  Gebiete  begeg* 
nete,  sind  sowohl  der  Name  wie  die  Grundanschauungen  des  Vestakultes 
den  Italikem  mit  den  Griechen  gemeinsam,  und  wir  müssen  annehmen, 
dass  schon  in  der  Zeit  vor  der  Trennung  beider  Völker  diese  Göttin  bei 
ihnen  Verehrung  fand.  Demnach  muss  der  Kult  auch  Gemeingut  aller 
italischen  Stämme  gewesen  sein:  doch  finden  sich  ausserhalb  Latiums  nir- 
gends mehr  sichere  Spuren  desselben,  und  man  wird  annehmen  dürfen, 
dass  erst  auf  latinischem  Boden  ^)  und  speziell  in  Rom  diejenigen  Anschau- 
ungen zur  Ausgestaltung  gelangten,  die  dem  Vestakulte  eine  so  hervor- 
ragende Bedeutung  in  der  privaten  und  öffentlichen  Gottesverehrung 
sicherten.  Name  und  Ritual  der  Göttin  lassen  daran  keinen  Zweifel  auf- 
kommen, dass  sie  die  göttliche  Verkörperung  des  Herdfeuers  ist:*)  am 
Herde,  gewissermassen  im  Herzen  des  Hauses,  waltet  die  Hausfrau,  und 
sie  ist  es,  welcher  naturgemäss  die  Pflege  des  Kultes  der  Herdgöttin  zu- 
föllt:  Cato  (de  agric.  143)  zählt  unter  den  Obliegenheiten  der  vüica  auch 
die  auf  focum  purum  circumversum  coiidie^  priusquam  cubitum  eat,  habeatf 
und  in  dieser  Fürsorge  für  die  Reinheit  des  Herdes,  welche  die  Grund- 
lage für  die  Verehrung  der  Vesta  bildet,  ist  die  vüica  natürlich  nur  die 
Stellvertreterin  der  Hausfrau.  Als  Göttin  des  Herdes,  auf  dem  die  Nah- 
rung für  die  Hausgenossen  zubereitet  wird,  hat  Vesta  auch  die  Aufsicht 
über  die  gesamte  Herstellung  der  Nahrungsmittel,  und  darum  ist  sie  auch 
bei  der  ländlichen  Darbringung  eines  Imbisses  {daps)  an  Juppiter  Dapalis 
(Cato  de  agric.  132;  s.  oben  S.  105)  beteiligt.  Ausser  dem  Herde  ist  ihr 
auch  das  pistrinum  mit  der  Mühle  und  dem  die  Mühle  drehenden  Esel 
heilig,*)  und  das  Staatsfest  der  Göttin,  die  Vestalia  am  9.  Juni,  wird  nicht 
nur  von  den  Hausfrauen  mit  Speiseopfern  begangen,  sondern  ist  auch  ein 
besonderer  Festtag  der  Bäcker  und  Müller.^)  Ein  Fest  von  verwandter 
Art  waren  die  im  Februar  auf  Ansage  des  Curio  maximus  als  Staatsfest 
pro  curiis  gefeierten  Fornacalia,  die  in  den  einzelnen  Gurien  an  verschie- 
denen Tagen  begangen  wurden  und  schliesslich  in  den  —  mit  den  Quiri- 
nalia  zusammenfallenden  —  stultorum  feriae  am  17.  Februar  ihren  Abschluss 
fanden,  an  welchem  Tage  alle  diejenigen  opfern' konnten,  die  aus  Nach- 
lässigkeit oder  Unkenntnis  ihrer  Curienzugehörigkeit  das  eigentliche  Opfer 
versäumt  hatten.^)  Eine  Göttin  Fornax  hat  erst  der  übel  angebrachte 
Scharfsinn  späterer  Zeit  daraus  erschlossen,^)  in  der  That  galt  die  Feier 
den  fornaces,  den  Dörröfen,  in  denen  man  den  Spelt  röstete,  ehe  man  ihn 
stampfte,^)  ein  Verfahren,  das  später  nach  Einführung  der  Mühlen  seine 
Bedeutung  verlor;  offenbar  war  es  ein  Fest  der  Genossenschaften,  die  einen 


')  Vestakult  und  vestalische  Jungfranen 
kennen  wir  in  Lavinium  (Serv.  Aen.  II  296. 
lil  12.  Macr.  S.  III  4,  11),  Alba  (Juv.  4,  61. 
Ascon.  p.  35.  CIL  VI  2172)  und  Tibur  (CIL 
XIV  3677.  3679). 

«)  Vgl.  Verg.  Georg.  IV  384:  ier  liquido 
ardentem  perfudit  nectare  Vestam, 

»)  WissowA,  Annali  d.  Inst  1888  S.  160 ff.; 
vgl.  JoRDAK,  Der  Tempel  der  Vesta  und  das 


Haus  der  Vestalinnen  S.  18  f. 

*)  Ovid.  fast.  VI  309  ff.  0.  Jah»,  Ab- 
handl.  d.  sächs.  Gesellscb.  d.  Wissensch.  V 
314  f. 

*)  Ovid.  fast.  II  513  ff.  Varro  de  1.  L 
VI  13.    Fest.  p.   254.  317.    Plut.  Q.  R.  89. 

«)  Ovid.  f.  II  525.    Lactant.  I  20,  35. 

')  Farris  torrendi  feriae  Plin.  n.  h 
XVIII  8.    Paul   p.  83.  93. 


A.  Di  indigetes.    25.  Vesta. 


143 


gemeinsamen  Dörrofen  benützten  (analog  den  Gompitalia,  Terminalia  u.  a.) 
und  wurde  so  zum  Gurienfeste;  die  Zeit  der  Feier  ist  dadurch  gegeben, 
dass  das  Dörren  der  im  Laufe  des  Winters  ausgedroschenen  Frucht  im 
Februar  beendet  war. 

Die  Vesta  des  Privathauses  und  der  Einzelgenossenschaft  tritt  jedoch 
in  unserer  Überlieferung  stark  zurück  gegen  die  Yesta  publica  populi 
Romani  Quiritium.  Die  römische  Anschauung,  welche  Gemeinde  und 
Familie  stets  in  Parallele  setzt,  findet  ihren  eigensten  Ausdruck  in  der 
Errichtung  eines  Staatsherdes,  an  welchem  in  Vertretung  der  Hausfrau 
die  sechs  vestalischen  Jungfrauen  für  die  Unterhaltung  des  Feuers  und 
die  Bereitung  der  Nahrung  sorgen,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die 
letztere  nicht  dazu  bestimmt  ist,  von  Menschen  genossen  zu  werden,  son- 
dern bei  den  Staatsopfern  Verwendung  findet.  Zu  diesem  Behufe  em- 
pfangen die  Vestalinnen  im  Mai  (7. — 14.  Mai)  die  Speltähren  der  neuen 
Ernte,  welche  sie  dörren,  zerstampfen  und  mahlen,  um  aus  diesem  Mehl 
an  drei  bestimmten  Tagen  des  Jahres  (Lupercalia,  Vestalia  und  Idus  des 
September)  durch  Zusatz  von  Salz  das  Opferschrot  {mola  scdsa)  zu  bereiten 
(Serv.  Ed.  VIII  82);  die  aus  gestossenem,  gerösteten  und  in  Wasser  ge- 
lösten Salze  bestehende  Lake,  die  dabei  zur  Verwendung  kam,  führte  den 
Namen  muries  (Paul.  p.  159).  Der  noch  jetzt  in  Resten  erhaltene  kleine 
Rundtempel  der  Vesta  ist  der  älteste  Tempel  Roms  und  hat  nie  ein  Bild 
der  Göttin,^)  sondern  stets  nur  den  heiligen  Herd  umschlossen,  auf  dem 
das  immerwährende,  an  jedem  1.  März  (dem  alten  Neujahr)  unter  be- 
stimmtem Ceremoniell  erneuerte  Feuer  der  Göttin  brannte.')  Im  Innern 
des  Raumes  befand  sich  ein  mit  Teppichen  verhängtes  Allerheiligstes,  der 
penus  Vestae,  in  dem  die  von  den  Vestalinnen  bereiteten  Opferingredien- 
zien und  andre  Opfervorräte  aufbewahrt  wurden  und  welches  nach  der 
Meinung  vieler  auch  gewisse  geheimnisvolle  Symbole  und  Unterpfander 
der  römischen  Macht,  wie  namentlich  das  angeblich  troische  Palladium, 
bergen  sollte.')  Ein  Wissen  über  diese  Dinge  war  nicht  möglich,  denn 
Tempel  und  Penus  durften  nur  von  den  Priesterinnen  und  ihrem  Aufseher, 
dem  Pontifex  maximus,  betreten  werden;^)  nur  um  die  Zeit  des  Festes 
der  Vestalia,  in  den  Tagen  vom  7.— 15.  Juni,  wo  die  grosse  Reinigung 
des  Tempels  vorgenommen  wurde,  war  den  Frauen  der  Zutritt  gestattet. 
Die  Wegschaffung  des  Kehrichts  aus  dem  Tempel  geschah  nach  besonderen 
Vorschriften:  es  wurde  am  15.  Juni  (der  Tag  war  bis  zum  Abschlüsse 
dieses  Aktes  ein  dies  nefastus  und  ist  daher  im  Kalender  mit  der  Note 
Q{uando)  ST{ercu8)  Dielatum)  F(as)  bezeichnet)  nach  einem  eigenen  Auf- 
bewahrungsorte am  capitolinischen  Bergwege  gebracht  und  von   da,   so 


')  Das  bezeugt  Ovid.  fast  VI  296  ans- 
drficklich;  die  en^egenstebende  Ueberliefe- 
rang  (s.  Jobdan,  Tempel  der  Vesta  S.  68) 
beweist  hScbstens  die  Existenz  eines  Bildes 
vor  oder  neben  dem  Tempel.  Ueber  die 
Darstellungen  der  römischen  Vesta  auf  Denk- 
mälern 8.  WissowA,  Annali  d.  Inst.  1883 
S.  160  f.  Wenn  S.  Rbinach  (Revue  arch^ol. 
XXXI  1897  p.  313  ff.)  auf  einem  gallischen 
Altar  ein  ganz  eigenartiges  Bild  der  Vesta, 


das  er  für  das  .altrömische"  hält,  nachweisen 
zu  können  glaubt,  so  beruht  das  auf  der  irr- 
tümlichen Voraussetzung,  dass  Ovid.  fast.  III 
45  f.  eine  Vestastatue  beschreibe. 

»)  Ovid.  fast.  III  143  ff.  Macr.  S.  I  12,  6. 

»)  Fest.  p.  2.')0.  Plut.  Camill.  20.  Dion. 
Hai.  II  66;  vgl.  Marqüabdt,  Staataverw.  III 
250,  7. 

*)  Dion.  Hai.  II  66.    Hist.  Aug.  Elag.  6. 


144 


Religion  und  Knltos  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


oft  das  Behältnis  voll  war,  in  den  Tiber  abgeführt.  0  Überhaupt  herrscht 
im  Kulte  der  Vesta  allerwege  ein  uraltes,  bis  ins  kleinste  ausgebildetes 
Geremoniell:  nur  Quell wasser,  nicht  aus  Leitungen  entnommenes,  darf  in 
ihrem  Dienste  zur  Verwendung  kommen,  und  in  älterer  Zeit  müssen  die 
Vestalinnen  selbst  den  täglichen  Bedarf  aus  dem  Quell  der  Egeria  vor 
Porta  Gapena  holen  ;^)  die  Erneuerung  des  infolge  von  Unachtsamkeit  einer 
Vestalin  erloschenen  Feuers  erfolgt  in  uralter  Weise  durch  Reiben  eines 
Holzstückes  auf  einer  Tafel  vom  Holze  einer  arbor  felix  (Paul.  p.  106); 
das  Tempelgeschirr  war  von  der  einfachsten  Art  und  —  wenigstens  teil- 
weise —  ohne  Hilfe  der  Töpferscheibe  gearbeitet:^)  so  umgab  den  ganzen 
Kult  der  Nimbus  hohen  Alters  und  äusserster  Ehrwürdigkeit,  und  auch 
auf  die  Priesterinnen  der  Göttin  fiel  ein  starker  Abglanz  dieser  Ehrfurcht. 
Als  Herrin  des  Staatsherdes  wird  die  Qöttin  auch  in  besonderer  Weise 
bei  allen  Fährnissen  und  Bedrängnissen  des  öffentlichen  Lebens  von  Staats- 
wegen angerufen,  und  dem  Gebete  ihrer  Priesterinnen  wohnt  der  allge- 
meinen Überzeugung  nach  eine  ausserge wohnliche  Kraft  inne.^)  Der 
höchste  Staatspriester,  der  Pontifex  maximus,  steht  als  rechtlicher  Ver- 
treter und  Vorgesetzter  der  Vestalinnen  in  nächster  Beziehung  zu  diesem 
Kulte  und  wird  darum  vereinzelt  geradezu  als  sacerdos  Vestae  bezeichnet  i^) 
daher  setzt  der  Festkalender  von  Cumae  zur  Erinnerung  an  den  Tag, 
an  welchem  Augustus  die  Würde  des  Pontifex  maximus  übernahm  (6.  März 
742  =  12  V.  Chr.),  eine  supplkatio  Vestae  dis  publicis  penatibus  p.  R.  Q. 
an,<^)  und  der  Kaiser  gründet  bei  dieser  Gelegenheit  auf  dem  Palatino) 
in  unmittelbarer  Verbindung  mit  seinem  Palaste  ein  neues  Heiligtum  der 
Vesta,  dessen  Stiftungsfest  am  28.  April  begangen  wird  und  dessen  Tempel- 
bild (die  sitzende  Göttin  trägt  das  troische  Palladium  auf  der  ausgestreckten 
Hand)  uns  häufig  auf  den  Münzen  der  Kaiserzeit  begegnet:^)  so  gewinnt 
der  Herd  des  kaiserlichen  Hauses  und  seine  Göttin  eine  besonders  hohe 
Bedeutung  (s.  oben  S.  69). 

Im  Privatkulte  der  späteren  Zeit,  wie  ihn  uns  die  Weihinschriften 
kennen  lehren,  spielt  Vesta  eine  ganz  untergeordnete  Rolle,  indem  sie 
hinter  den  weiteren  Begriff  der  Penaten  zurücktritt;  im  Staatskulte  aber 
ist  ihre  Stellung  als  Hauptvertreterin  der  altrömischen  Religion  bis  zum 
Untergange  des  Heidentums  unangetastet  geblieben:  das  tritt  namentlich 
darin  hervor,  dass,  als  unter  Aurelian  der  neu  eingeführte  orientalische 
Sonnendienst  einer  neu  geschaffenen  geistlichen  Behörde,  den  pontifices 
Solisj  unterstellt  wird,  die  alten  Pontifen  zum  Unterschiede  allmälig  die 
Bezeichnung  pontifices  Vestae  annehmen,  die  in  ihrer  nahen  Beziehung  zum 
Vestakulte  begründet  ist.^) 

Sehr  früh  verschollen  ist  eine  Gottheit  von  anscheinend  verwandter 
Natur,   die  Caca,  welche  in  Rom   eine  Kapelle   besass   und  wie  Vesta 


0  Varro  de  1.  1.  VI  32.  Fest.  p.  344. 
Ovid.  f.  VI  713. 

*)  Fest.  p.  161.  Plut.  Numa  13;  vgl. 
Tac.  bist.  IV  53. 

»)  Val.  Max.  IV  4,  11;  vgl.  Paul.  p.  159. 

<)  Cic.  pro  Font.  46.    Hor.  c.  I  2,  26. 

»)  Ovid.  fast.  Ill  699.  V  573. 


•)  CIL  X  8375.    Ovid.  fast.  III  417. 

')  Vgl.  WissowA,  Hermes  XXI 144.  Hül- 
sen, Rom.  Mitt.  X  1895  S.  28  flf. 

^)  Stbvenson,  Dictionaiy  of  Roman  coins 
S.  854  f. 

*)  P.  Habbl,  De  pontificnm  Romanoram 
condicioue  publica  (1888)  p.  99. 


A.  Di  indigetes.    26.  Di  penatee. 


145 


durch  ein  immer  brennendes  Feuer  verehrt  wurde  ;0  aetiologische  Erfin- 
dung hat  ihre  Verehrung  mit  der  Erzählung  vom  Kampfe  des  Hercules 
und  Cacus  zusammengebracht,*)  in  Wahrheit  scheinen  Cacus  und  Gaca 
ein  altes  Götterpaar  darzustellen,  das  schon  vor  Fixierung  des  Kalenders 
zurücktrat  und  später  gänzlich  in  Vergessenheit  geriet.') 

Litteratnr:  A.  Pbsünbb,  Hestda-Vesta.  Ein  Cyclas  religionsgeschichtlioher  For- 
Bchangen.  Tübingen  1864.  H.  Jordan,  Der  Tempel  der  Vesta  und  das  Haus  der  Vesta- 
linnen.    Berlin  1886. 

26.  Di  penates.  Da  der  Herd  im  Hause  zugleich  die  Stelle  des 
Altars  vertrat,  so  bildete  er  die  Verehrungsstätte  nicht  nur  für  die  eigent- 
liche Herdgottheit  Vesta,  sondern  auch  für  alle  andern  Hausgötter,  d.  h. 
Penaten,  Laren  und  Genius.  Entsprechend  der  Nachbarschaft  von  Herd 
(bezw.  Küche)  und  Vorratskammer  war  die  Verbindung  von  Vesta  und 
den  Penaten  die  engste,  und  die  Frage,  ob  Vesta  in  die  Penaten  mit  ein- 
begriffen oder  nur  ihre  ständige  Begleiterin  sei,  ein  Gegenstand  gelehrter 
Erörterung.*)  Der  Name  penates^  der  wie  alle  Bildungen  auf  -as  {nostras, 
infemas  u.  s.  w.)  die  lokale  Zugehörigkeit  ausdrückt,  kennzeichnet  sie  als 
die  im  penus,  in  der  Vorratskammer,  wohnenden  und  waltenden  Götter; 
er  kommt  ausschliesslich  im  Plural  vor  und  heisst  in  offizieller  Form  und 
genauem  Ausdrucke  stets  di  penates,  nicht  schlechtweg  Penates;  das  be- 
weist, dass  wir  es  hier  nicht  wie  bei  den  Lares  (nicht  di  lares),  Castores, 
Lymphae  u.  a.  mit  einem  Eigennamen,  der  Bezeichnung  bestimmter  Götter- 
individuen, zu  thun  haben,  sondern  dass  der  Name  ähnlich  wie  di  indi- 
getes, di  consentes,  di  agrestes  u.  a.  eine  Zusammenfassung  verschiedner 
Gottheiten  unter  einem  bestimmten  Gesichtspunkte  enthält.  Es  sind  die- 
jenigen Gottheiten,  die  über  den  Vorrat,  also  den  Wohlstand  des  Hauses 
wachen,  mithin  die  eigentlichen  Schutzgötter  der  Wirtschaft,'*)  di  fami- 
liäres.*) Unter  dieser  Vorstellung  können  in  jedem  Hause  andre  Zusam- 
menstellungen von  Göttern  verehrt  werden,  da  an  sich  jeder  Gott  in  den 
Kreis  der  Penaten  dieser  oder  jener  Familie  eintreten  kann.  Lehrreich 
hierfür  sind  namentlich  die  Wandmalereien,  welche  sich  zu  Pompei  in  den 
Küchen  vieler  Häuser  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  des  Herdes  ge- 
funden haben ; ')  zwischen  den  beiden  Laren  und  oft  neben  dem  opfernden 
Genius  begegnen  uns  Göttervereinigungen,  deren  Personal  ein  wechselndes 
ist,  Vesta,  Juppiter,  Venus  (die  Stadtgöttin  von  Pompeji),  Vulcan,  Mercur, 
Fortuna  u.  a.  treten  in  den  verschiedensten  Kombinationen,  meist  in 
Gruppen  zu  zwei,  auf,  und  mit  vollem  Rechte  hat  man  in  ihnen  die  Penaten 
der  betreffenden  Häuser  erkannt.®)     Die  Frage,  ob  Vesta  neben  den  Pe- 


*)  Serv.  Aen.  VIII  190:  sacellum  meruit, 
in  quo  ei  pervigili  igne  siciU  Vestae  sacri- 
fieabatur;  so  die  Lesung  des  cod.  Floria- 
censis,  wahrend  die  Vulgata  bietet:  in  quo 
ei  per  virginea  Veatae  sacrifieahatur, 

*)  Serv.  a.  a.  0.    Lact.  I  20,  36. 

*)  WissowA  in  Roschers  Lexik.  I  842 
und  s.  unten  §  41. 

*J  Macr.  S.  III  4,  IL    Serv.  Aen.  II  296. 

^)  Serv.  Aen.  II  514:  penates  sunt  om- 
nes  dei  qui  domi  eoluntur;  vgl.  III  12.  Cic. 
de  nat  deor.  II  68. 

Eandbucb  der  Uubm.  AltertumswineDschaft.    V,  4. 


•)  CIL  IX  4776.    Obblli  2118. 

^)  Mit  gleicher  Bestimmung  finden  sich 
auch  entsprechende  Gröttergruppen  alsBronce- 
figürchen  innerhalb  kleiner  aediculae;  z.  B. 
ScHBBiBBR,  Bilderatlas  Taf.  XVIII  6;  vgl. 
Mabquardt-Mau,  Privatl.  I  240. 

•)  Hblbig,  Wandgem.  d.  v.  Vesuv  ver- 
schfltteten  Städte  Campaniens  S.  19  ff.  Nach- 
träge bei  SoouANo,  Pittnre  murali  Gampane 
Nr.  33  flF.  Vgl.  A.  Db-Mabchi,  U  culto  pri- 
vate I  79  ff. 


10 


146 


Religion  und  KnltOB  der  BOmer.    IL  GOtterlehre. 


naten  oder  als  eine  von  ihnen  verehrt  wurde,  findet  durch  diese  Bilder 
im  letzteren  Sinne  ihre  Beantwortung,  und  es  erklärt  sich  auf  diese  Weise, 
warum  wir  so  selten  von  der  häuslichen  Verehrung  der  Yesta,  um  so 
häufiger  aber  von  der  der  Penaten  hören.  ^)  Der  Kult  dieser  Penaten  hielt 
sich  streng  innerhalb  der  Grenzen  des  einzelnen  Hauses,  nur  haben  in 
der  Eaiserzeit  die  Penaten  des  Kaiserhauses  auch  öffentliche  Verehrung 
genossen,  und  die  Arvalbrüder  opfern  pro  salute  et  reditu  des  Nero  ante 
dotnum  Domitianam  dis  penatibus  vaccam.^) 

Natürlich  ist  anzunehmen,  dass  die  Verehrung  der  Penaten  ur- 
sprünglich eine  bildlose  war  und  man  überhaupt  mit  dem  Namen  nicht 
die  Vorstellung  von  bestimmten  menschenähnlichen  Wesen  verband,  sondern 
ähnlich  wie  bei  den  allgemeinen  Anrufungsformeln  (s.  oben  S.  33)  mit 
der  Zusammenfassung  der  Hausgötter  unter  einer  derartigen  generellen 
und  dehnbaren  Bezeichnung  den  Zweck  verfolgte,  ja  keinem  göttlichen 
Ansprüche  zu  nahe  zu  treten.')  Noch  deutlicher  als  im  Hauskulte  zeigt 
sich  das  in  der  Staatsreligion,  die  ebenso  wie  eine  Vesta  publica  p.  R.  Q. 
auch  Di  penates  publici  p.  R.  Q.  verehrt,  und  zwar  ursprünglich  jeden- 
falls zusammen  mit  Vesta  am  Staatsherde,  da  ja  der  Vestatempel  sowohl 
diesen  wie  den  penus  des  Staates  umschliesst.  Wie  allgemein  die  Vor* 
Stellung  ist,  die  sich  mit  dem  Begriffe  di  penates  verbindet,  zeigt  sich  am 
klarsten  darin,  dass  der  Beamteneid  der  republikanischen  Zeit  —  in  der 
Eaiserzeit  treten  der  Genius  des  regierenden  Kaisers  und  die  Divi  impe- 
ratores  hinzu  —  nur  bei  Juppiter  und  den  di  penates  geschworen  wird,*) 
was  nur  verständlich  ist,  wenn  der  letztgenannte  Ausdruck  sämtliche  für 
Wohlstand  und  Wohlergehen  der  Gemeinde  verantwortlichen  Götter  be- 
zeichnet ;  daher  tritt  vereinzelt  im  untechnischen  Ausdrucke  für  di  penates 
die  Fassung  ceteri  di  omnes  immortales  ein.^)  Auch  sonst  denkt  man  im 
Sprachgebrauche  des  täglichen  Lebens  bei  Di  penates  meist  an  den  In- 
begriff der  römischen .  Staatsgötter,  und  in  diesem  allgemeinen  Sinne  ist 
wohl  auch  die  Mehrzahl  der  den  Di  penates,  namentlich  in  Verbindung 
mit  Juppiter,^)  gewidmeten  Inschriften  der  Kaiserzeit  aufzufassen,  wo  der 
Name  dann  nicht  viel  mehr  bedeutet  als  das  geläufige  di  deaeque  omnes 
und  ähnliche  Wendungen.  Der  Kult  von  Vesta  und  den  Penaten,  d.  lu 
den  Göttern  des  römischen  Staatsherdes,  war  nach  der  Anschauung  der 
republikanischen  Zeit  von  Lavinium  und  Alba  Longa  entlehnt,  da  diese 
nach  allgemein  herrschender  Vorstellung  die  Muttergemeinden  von  Rom 
waren  und  natürlich  die  neugegründete  Stadt  ihre  Götter  aus  der  Heimat 
mitbringt;  darum  galten  die  Vesta  und  die  Penaten  von  Lavinium  (und 
ebenso  die  des  einstmaligen  Alba)  für  identisch  mit  den  römischen'')  und 


»)  Vgl.  z.  B.  Verg.  Aen.  I  704:  cura 
penum  atruere  et  flammU  adoUre  penates y 
wo  penates  geradezu  für  foeus  gesetzt  ist, 
wie  sonst  (oben  S.  142  Anm.  2)  Vesta.  Serv. 
Aen.  XI  211.  III  176.  II  469. 

')  Henzik,  Acta  fratr.  Arval.  p.  85. 

*)  Einmal  (Obblu  2118)  heisst  es  sogar 
ganz  vorsichtig  dis  deabus  penatibus. 

*)  MoMMSEN,  Abhandl.  d.  sächs.  Gesellsch. 
d.  Wissensch.  IH  460;  Staatsr.  II  783. 


')  So  in  der  Eidesformel  von  Aritinm 
in  Lositania  CIL  II  172:  luppiter  optimus 
maximtis  ae  divus  Augustus  eeterique  omnes 
di  immartcUes. 

•)  CIL  X  331.  III  1081  n.  a.  Der  Privat- 
mann schwört  per  genium  deosque  penates 
(Hör.  epist.  I  7,  94). 

0  Varro  de  1.  1.  V  144.  Dion.  Hai.  I 
67.  Plut.  Coriol.  29;  in  einer  pompejanischen 
Inschrift  aus  der  Zeit  des  ClandiUB  (CIL  X 


A.  Di  indigetee.    26.  Di  penatee.  147 

wurde  ihnen  alljährlich  durch  die  römischen  Consuln  bald  nach  ihrem 
Amtsantritte  ein  Staatsopfer  in  Lavinium  dargebracht.^)  Wann  die  Di 
penates  publici  p.  R.  Quiritium  in  Rom  einen  eigenen  Tempel  erhielten, 
lässt  sich  nicht  mit  voller  Sicherheit  ermitteln;  erwähnt  wird  die  aedes 
deum  penatium  in  Velia  zuerst  587  =  167  (Liv.  XLV  16,  5),  doch  macht 
die  Lage  und  die  ganze  Beschaffenheit  des  Tempels,  der  uns  von  einem 
Augenzeugen  augusteischer  Zeit  (Dion.  Hai.  I  68)  als  ein  kleines,  von  über- 
ragenden Baulichkeiten  fast  verdecktes  Gebäude  geschildert  wird,  ein  er- 
heblich höheres  Alter  wahrscheinlich ;  durch  Augustus  wurde  das  Heiligtum 
wiederhergestellt.*)  In  diesem  Tempel  erfuhr  die  Vorstellung  von  den 
Staatspenaten  eine  eigentümliche  Veränderung  und  Vei*flachung.  Der 
Wunsch,  nach  griechischem  Vorbilde  die  verehrten  Götter  im  Bilde  dar- 
zustellen, nötigte  an  die  Stelle  des  undarstellbaren  allgemeinen  Begriffes 
von  Gottheiten  des  Staatswohles  bestimmte  göttliche  Individuen  zu  setzen ; 
wie  die  Privatleute  nach  Ausweis  der  pompejanischen  Bilder  sich  einzelne 
Götter  zu  Penaten  ihres  Hauses  wählten,  so  musste  auch  der  Staat  unter 
den  von  ihm  anerkannten  Göttern  zu  diesem  Zwecke  eine  Auswahl  treffen, 
und  diese  fiel  auf  die  Dioskuren,  deren  Kult  früh  in  Latium  eingedrungen 
und  zu  grossem  Ansehen  gelangt  war  und  die  sich  als  reisige  Vorkämpfer 
zu  Schutzgöttern  einer  vorwiegend  ki*iegerischen  Gemeinde  besonders 
trefflich  zu  eignen  schienen.  Bilder  im  Typus  der  griechischen  Dioskuren 
waren  es,  die  Dionys  von  Halikarnass  im  Penatentempel  sah  und  beschreibt 
(I  68),  und  Dioskurenköpfe  zeigen  auch  Familienmünzen  der  sullanischen 
Zeit,  auf  denen  nach  der  Umschrift  die  d{i)  pienates)  p{ublici)  dargestellt 
sind.')  Dass  diese  Spezialisierung  der  Penaten  auf  die  Dioskuren  dem 
ursprünglichen  Gedanken  des  Kultes  wenig  entsprach,  ist  einem  gelehrten 
Kenner  der  heimischen  Religionsvorstellungen  wie  Varro  nicht  verborgen 
geblieben;  er  leugnete  ausdrücklich,^)  dass  die  im  Tempel  an  der  Velia 
dargestellten  Götter  die  wahren  Penaten  seien;  dieselben  wären  vielmehr 
in  gewissen  geheimnisvollen  Symbolen,  die  im  Penus  Vestae  aufbewahrt 
würden,  verkörpert.  Dieser  Ausführung  liegt  der  durchaus  richtige  Ge- 
danke zu  Grunde,  dass  Penaten  und  Vesta  zusammengehören  und  ur- 
sprünglich am  Staatsherde  ebenso  gemeinsam  verehrt  wurden  wie  9m 
Herde  des  Privathauses  ;^)  ob  jedoch  derartige  die  Penaten  darstellende 
sigüla,  wie  Varro  sie  nennt,  im  Penus  Vestäe  wirklich  existierten  und 
wie  sie  beschaffen  waren,  davon  konnte  bei  der  Unzugänglichkeit  des 
Heiligtums  niemand  etwas  wissen.  Um  so  ungestörter  durfte  die  freie 
Kombination  schalten,  und  es  sind  über  Bedeutung  und  Herkunft  der  rö- 
mischen Penaten  zahlreiche  Hypothesen  aufgestellt  worden,^)  die  teils  von 
den  Statuen  im  Tempel  an  der  Velia,  teils  von  jenen  geheimnisvollen  Sym- 


797)  werden   erwähnt  die   scicra  principia  *)  Varro  de  1. 1.  V  58;  vgl.  Schol.  Veron. 

p,  B.  QuirU,  nominisque  Latini  quae  apud      Aen.  II  717.    Serv.  Aen.  III  148.    Dion.  Hai. 


Laurentis  coluntur, 

')  MoMMBBN,  Staatsr.  I  597.  Marquabdt, 
Staatsverw.  III  252.  478. 

')  Mon.  Anc.  4,  8;  vgl.  Jordan,  Topogr. 
I  2  S.  416  ff. 

*)  Babblon,  Monn.  consul.  II  471.  I  555. 


I  68.  II  66. 

^)  Daher  heisst  es  vom  Neronischen 
Brande  bei  Tac.  ann.  XV  41 :  delubrum  Ve- 
stae cum  penatibus  poptUi  Romani  exusta, 

•)  Macr.  S.  III  4,  6  ff.  Amob.  III  40. 
Serv.  Aen.  I  378.  II  296.  325.  III  119.  148. 

10* 


148 


Religion  und  Knltas  der  Römer,    n.  GOtterlehre. 


holen  ausgingen.  Der  Umstand,  dass  die  ersteren  in  der  Tempelinschrift 
als  di  magni  bezeichnet  waren,  veranlasste  den  Annalisten  Cassius  Hemina 
(oder  seinen  Gewährsmann),  sie  mit  den  ^grossen  Göttern''  von  Samothrake 
zu  identifizieren,^)  eine  Annahme,  die  auch  dann  nicht  aufgegeben  wurde, 
als  die  zuerst  von  Timaios  verfochtene  Ansicht  vom  troischen  Ursprünge 
der  römischen  Penaten  allgemeinen  Beifall  fand ;  die  conciliatorische  Kritik 
Varros  vermittelte  in  der  Art,  dass  sie  die  Götter  von  Samothrake  nach 
Troja  und  von  da  durch  Aeneas  nach  Italien  gelangen  liess;  die  troische 
Herkunft  der  Götter  des  römischen  Staatsherdes  (Vesta  und  Penaten)  ist 
sodann  seit  Caesar  und  Augustus  Staatsdogma.*)  Die  verschiedenen  Hypo- 
thesen über  die  Bedeutung  der  angebUch  im  Penus  Vestae  aufbewahrten 
Penatensymbole  und  die  durch  sie  versinnbildlichten  Götter  (man  dachte 
an  Himmel  und  Erde,  Juppiter,  Juno  und  Minerva,  Apollon  und  Poseidon) 
sowie  die  Versuche,  auch  in  der  etruskischen  Religion  ähnliche  Vorstel- 
lungen nachzuweisen,  dürfen  als  willkürliche  Beantwortungen  einer  falsch 
gestellten  Frage  keinen  Wert  beanspruchen. 

Für  die  gesamte  Vorstellung  von  Vesta  und  den  Penaten  ist  es 
schliesslich  von  grossem  Interesse  zu  sehen,  wie  die  Römer  die  Analogie 
des  Herdes  im  Privathause  nicht  nur  auf  den  Staat,  sondern  auch  auf  die 
Götter  weit  übertragen  und  einen  Götter  her  d  nebst  den  zugehörigen  Kulten 
voraussetzen;  wenigstens  kann  es  kaum  anders  verstanden  werden,  wenn 
die  Arvalbrüder  bei  den  Piacularopfern  neben  Vesta  mater  auch  die  Vesta 
deorum  dearumque  anrufen')  und  — ^  allerdings  in  einer  späten  Quelle^) 
—  von  eigenen  penates  lovis  die  Rede  ist. 

Litteratur:  Klaüsbn,  Aeneas  und  die  Penaten  S.  620  ff.  L.  Ebabnbb,  Penaten, 
in  Erach  und  Grabers  AUg.  Encyclop.  Sect.  III  Bd.  XV  S.  409  ff.  Rubino,  Beitr.  z.  Vor- 
gesch.  Italiens  S.  196  ff.  Q.  Wissowa,  Hermes  XXII  29-  57.  A.  Db-Mabohi,  II  culto  pri- 
vate di  Roma  antioa  (1896)  I  55  ff. 

27.  Lares.  Mit  Vesta  und  den  Penaten  zusammen  wird  in  der  Stadt 
am  Herde  eines  jeden  Hauses  der  Lar  familiaris  verehrt,  der  aber  in 
diesen  Kreis  der  Herdgottheiten  nicht  von  Haus  aus  gehört,  sondern  dem 
ländlichen  Kulte  entstammt.  Noch  Cicero  (de  leg.  U  19,  vgl.  27)  stellt  den 
delubra  der  Götter  in  den  Städten  die  Lamm  sedes  auf  dem  flachen  Lande 
(in  agris)  gegenüber  und  weist  der  religio  Lamm  ihre  Stätte  an  in  fundo 
viUaeque  in  conspectu.  Die  Laren  werden  auf  dem  Lande  verehrt  an  den 
compita,  d.  h.  an  den  Kreuzwegen  bezw.  an  den  Stellen,  wo  mehrere 
Grundstücke  zusammenkommen;  dort  steht  die  Larenkapelle,  ebenfalls 
compüum  genannt,  mit  so  vielen  Eingängen,  als  dort  Besitzungen  an* 
grenzen,  und  ebenso  vielen  Altären,  deren  jeder  15  Fuss  vor  dem  betref- 
fenden Eingange  steht,  so  dass  jeder  Anlieger  angesichts  des  Compitum 
auf  seinem  eigenen  Grund  und  Boden  opfern  kann.^)    An  diesen  Compita 


')  Die  Herleitung  der  Penaten  aus  Sa- 
mothrake ist  neuerdings  gebilligt  worden 
von  H.  NissBK,  Rhein.  Mus.  XLIl  61. 

')  Zeugnisse  bei  Prbuneb,  Hestia- Vesta 
S.  247. 

')  Hbnzsn,  Acta  fr.  Arv.  p.  147. 

*)  Mart.  Cap.  l  41;  vgl.  auch  Nigid. 
Figul.  bei  Amob.  III  40. 

')  Ausführliche  Beschreibung  Grom.  lat. 


p.  302,  20  ff.  und  dazu  Mommsen,  Unterital. 
Dial.  S.  141.  Ueber  den  Begriff  des  compUum, 
für  den  die  Zugehörigkeit  zum  ländlichen 
Gau  im  Gegensatze  zur  städtischen  Ansied- 
lung  wesentlich  ist,  vgl.  Varro  de  1. 1.  VI  25. 
Verg.  Georg.  II  382  und  dazu  Philargyrius. 
Pers.  IV  28.  und  Schol.  CIL  IX  1618.  Isidor. 
orig.  XV  2,  15. 


A.  Di  indigetes.    27.  Lares. 


149 


vereinigte  einmal  alljährlich  ein  fröhliches  Volksfest  die  Gaugenossen,  die 
Compitalia  oder  Laralia  (Fest.  p.  253),  an  denen  jedes  zu  einem  Compitum 
gehörige  Haus  einen  Opferkuchen  beisteuerte  und  man  es  sieh  bei  Schmaus 
und  allerlei  Lustbarkeit  (ludi)  wohl  sein  liess;^)  ein  besondrer  Festbrauch 
war  es,  an  diesem  Tage  Puppen  (maniae)  und  Bälle  (pilcie)  aus  Wolle  an 
den  Gompita  und  vor  den  HausthOren  aufzuhängen.')  Die  Compitalia  sind 
in  erster  Linie  eine  Festfeier  für  die  familia,  d.  h.  das  unfreie  Gesinde, 
welches  an  diesem  Tage  ähnliche  Vorrechte  geniesst  wie  an  den  Satur- 
nalien und  eine  Extraration  Wein  erhält;')  der  (unfreie)  Vogt  (vüicus) 
darf  sogar  an  diesem  Tage  im  Namen  des  Hausstandes  ein  Opfer  dar- 
bringen, eine  Befugnis,  die  ihm  sonst  nie  zusteht.^)  Das  Fest  gehört 
sicher  der  ältesten  Festordnung  an,  wenn  es  auch  im  Kalender  eine  Stelle 
darum  nicht  finden  konnte,  weil  es  ein  Wandelfest  (feriae  conceptivae)  war,*) 
dessen  Ansetzung  durch  den  Praetor  bald  nach  den  Satumalien  erfolgte;^) 
gewöhnlich  fiel  es  in  die  ersten  Tage  des  Januar,  und  die  Ealendarien  des 
4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  fixieren  es  auf  den  3.--5.  Januar.'') 

Die  am  Compitum  verehrten  Laren  sind  die  Beschützer  der  vor  ihren 
Augen  liegenden  Felder  {agri  custodes  Tibull.  1 1, 20),  aber  auch  des  Hauses;^) 
so  entwickelt  sich  am  Herde  des  Hauses  ein  häuslicher  Larenkult,  der 
gewissermassen  eine  Abzweigung  vom  Kulte  des  Compitum  darstellt:  am 
deutlichsten  tritt  dies  in  dem  Hochzeitsbrauche  hervor,  dass  die  Braut 
ausser  einem  As,  den  sie  ihrem  Manne  überreicht,  je  einen  As  auf  dem 
Herde  vor  dem  Lar  familiaris  und  am  nächsten  Compitum  niederlegt.') 
Dieser  Lar  familiaris  erscheint  bis  auf  die  augusteische  Reform  stets  in 
der  Einzahl  ^^)  und  ist,  wie  sein  Name  zeigt,  der  Beschützer  der  gesamten 
familia  mit  Einschluss  der  Sklaven  und  sogar  mit  besonderer  Beziehung 
auf  dieselben:  der  Schaffnerin  {vilica)  liegt  die  Bekränzung  des  Herdes 
und  das  Gebet  an  den  Lar  ob  (Cato  de  agr.  143),  vor  dem  Herde  und  an- 
gesichts des  Lar  familiaris  versammelt  sich  das  Gesinde  an  langen  Tischen 
zur  Mahlzeit,  von  der  auch  der  Gott  seinen  Anteil  erhält.  >^)  Aber  auch 
sonst  wird  der  Lar  familiaris  mit  reichlichen  Spenden  von  Kränzen,  Weih- 
rauch und  Wein,  seltener  durch  Tieropfer,  geehrt,  sowohl  an  allen  Ka- 
lendae,  Nonae  und  Idus,  als  an  allen  regelmässig  wiederkehrenden  oder 
ausserordentlichen  Familienfesten,  bei  Geburt  und  Hochzeit,  bei  Abreise 


>)  DioD.  Hai.  IV  14;  uncia  Compitalia 
Verg.  Catal.  5,  27. 

')  Yarro  sat.  Menipp.  frg.  463  Bnech. 
Macr.  S.  I  7,  34  ff.  Paid.  p.  121.  239;  Aber 
ähnliche  Brftuche  s.  Böttiohbr,  Baumkultus 
S.  80  ff. 

*)  Dion.  Hai.  IV  14.    Cato  de  agric.  57. 

^)  Cato  de  agric.  5,  3:  rem  divinam 
nisi  Campitafibua  in  compito  aut  in  foco  ne 
faeiat, 

*)  Varro  de  1. 1.  VI  25.  29.  Paul.  p.  62. 
Macr.  8.  I  16,  6.  Auson.  de  fer.  17  f.  p.  105 
Peip. 

•)  Gell.  X  24,  3;  vgl.  Dion.  Hai.  IV  14. 
Plin.  n.  h.  XIX  114. 

')  CIL  P  p.  305  f. 


")  Enn.  frg.  311  Baehr.:  vosque,  Laves, 
tectum  nostrum  qui  funditus  curant, 

*)  Varro  de  vita  p.  R.  bei  Non.  p.  531, 
vgl.  Dion.  Hai.  IV  15,  4. 

*^)  Laves  familiavea  im  Plural  bezeichnet 
entweder  coUectivisch  die  Summe  der  in  den 
verschiedenen  Häusern  verehrten  Einzellaren 
(Varro  a.  a.  0.  Cic.  de  rep.  V  7)  oder  ist 
in  ungenauer  Ausdrucksweise  von  allen  am 
Herde  verehrten  Hausgottheiten,  Vesta,  Ijaren 
und  Penaten,  gemeinsam  zu  verstehen  (Plaut. 
Rud.  1206.  Cic.  de  leg.  II  42;  de  domo  108; 
pro  Quinct.  85  u.  a.). 

^>)  Colum.  XI  1,  19.  Hör.  epod.  2,  65  f.; 
serra.  II  5,  12  ff.  6,  64  f.  Ovid.  fast.  VI  305  f. 
Vgl.  Mabquabdt,  Staatsverw.  III  126. 


150 


Religion  und  Knliiui  der  BOmer.    ü.  QOtierlelire. 


und  Rückkehr  eines  Familienmitgliedes,  beim  Einzüge  in  ein  neues  Haus  oder 
bei  der  Mündigsprechung  eines  Haussohnes  ;0  auch  nach  einem  Todesfalle 
erfolgt  die  Reinigung  des  Hauses  und  der  Familie  durch  ein  Opfer  an  ihn, 
das  in  diesem  Falle  ein  blutiges  ist  und  aus  Hammeln  besteht.')  So  wird 
der  Lar  familiaris  zu  einem  mit  den  Schicksalen  der  Familie  aufs  engste 
verknüpften  Hausgeiste  (familiai  Lar  pater  Plaut.  Merc.  834,  vgl.  Aulul.  2  ff.), 
und  die  Sage  wusste  davon  zu  erzählen,  dass  hervorragende  Männer  der 
Vorzeit  wie  Romulus  oder  Servius  Tullius  Söhne  des  Hauslaren,  am  Herde 
mit  einer  Jungfrau  gezeugt,  gewesen  seien ; ")  die  Sprache  trug  dem  Ver- 
hältnisse dadurch  Rechnung,  dass  sie  seit  dem  letzten  Jahrhundert  v.  Chr. 
zunächst  den  Singular  Lar,  nachher  ebenso  auch  den  Plural  Lares  meto- 
nymisch für  „Haus'  gebrauchte.*) 

In  dem  ältesten  ländlichen  Larenkulte  tritt  es  deutlich  hervor,  dass  die 
Laren  in  ihrer  Grundbedeutung  als  Ortsgottheiten  aufzufassen  sind,  die  an 
ein  bestimmtes  Lokal  gebunden  und  innerhalb  desselben  waltend  gedacht 
werden,  am  Compitum,  auf  dem  einzelnen  Grundstück,^)  im  einzelnen 
Hause.  ^)  Wie  die  Gompita,  so  stehen  überhaupt  die  Wege,  die  viae  und 
semitae,  unter  ihrer  Obhut,  und  namentlich  die  Reisenden  empfehlen  sich 
dem  Schutze  der  Lares  vial es  ^)  oder,  wenn  die  Fahrt  über  See  geht,  der 
Lares  permarini.  Letztere  besassen  sogar  einen  564  =  190  in  einem  See- 
gefecht des  Krieges  gegen  Antiochus  von  Praetor  L.  Aemilius  Regillus 
gelobten  und  am  22.  Dezember  575  =  179  von  Censor  M.  Aemilius  Le- 
pidus  geweihten  Staatstempel  im  Marsfelde. ^)  Auch  die  Lares  mili- 
tares,  denen  die  Arvalbrüder  {ob  salutem  victoriamque  Oermanicam  des 
Caracalla)  opfern,')  gehören  in  dasselbe  Gebiet  als  die  im  Kriegsfelde  Wal- 
tenden, und  ebenso  wohl  auch  die  nur  einmal  erwähnten  Lares  hostüii 
(Paul.  p.  102)  als  die  Beschützer  in  Feindesland;  an  diese  kriegerischen 
Laren  ist  wohl  auch  in  erster  Linie  zu  denken,  wenn  in  der  Devotion  des 
P.  Decius  Mus  (Liv.  VIH  9,  6)  die  Lares  neben  Bellona  und  hinter  den 
römischen  Hauptgöttern  Janus,  Juppiter,  Mars,  Quirinus,  Vesta  erscheinen. 
Aber  wie  jeder  Acker  seine  Laren  hat,  so  gibt  es  naturgemäss  auch  Laren 
der  römischen  Gemeindeflur, ^o)  und  diese  sind  es,  welche  in  dem  ältesten 

»)  Plaut.  Aulul.  23  f.  385  ff.;  Trin.  39 ff.; 
Rad.  1206  ff.;  Mero.  834  ff.;  Mil.  glor.  1339. 
Cato  de  agric.  2.  143.  Fers.  V  31.  Tibull. 
I  3,  34.  10,  15  ff.  II  1,  59  f.  und  mehr  bei 
pRELLBB  -  Jordan,  Rom.  Myihol.  II  106  ff. 
De-Marohi,  Culto  privaio  l  209  ff. 

')  Cic.  de  leg.  II  55;  vgl.  Henzbk,  Act. 
fratr.  Arval.  p.  145. 

•)  Plut.  Romul.  2.  Plin.  n.  h.  XXXVI 
204.  Dion.  Hai.  IV  2  =  Plut.  de  fort.  Rom. 
10  (vgl.  Ovid.  fast.  VI  627  ff.);  s.  Schwbo- 
LSB,  Rom.  Qesch.  I  714  ff. 

*)  Aelteste  Belegstellen  für  Lar  in  die- 
sem Sinne  Laber.  frg.  110.  Trag.  ine.  frg. 
ine.  199  Ribb.  Sali.  Gatil.  20,  11  u.  s.  w.; 
far  Lares  Prop.  V  1,  128.  8,  50.  Lucan. 
V  528. 

•)  Larea  praediorum  . . .  CIL  VI  455 ; 
Lares  Volusiani  CIL  VI  10266  f. 

«)  Lares  domestiei  CIL  III  4160;  Lares 


casanici  CIL  IX  725  (vgl.  Silvanus  damesti- 
rus  III  3491  u.  s.  Silvanus  c<uanicus  iX 
2100). 

»)  CIL  XI  3079  (Falerii):  Laribus  con- 
pitalibus,  vialihus,  semitalibus  (semitales  dei 
Verg.  Catal.  8,  20).  Plaut.  Merc.  865.  CIL 
II  2417.  2518.  2572.  2987;  Suppl.  5634.  5734. 
VIII  9755.  Lar  viaJis  im  Singular  CIL  III 
1422  und  bei  einem  Opfer  der  Arvalen, 
Ubnzbv,  Acta  fr.  Arval.  p.  122.  Lares  magni 
et  viatorii  CIL  XII  4320. 

•)  Liv.  XL  52,  4  ff.  Macr.  S.  I  10,  10. 
CIL  I«  p.  338. 

*)  Henzbn,  Acta  fr.  Arval.  p.  86;  vgl. 
CIL  III  3460.  3463.    Mart.  Cap.  I  46.  48. 

'^)  Daher  die  Scheidung  von  Lares  pu- 
blici  und  privativ  Plin.  n.  h.  XXI  11.  Einen 
Tempel  der  Lares  publici  von  Pompeji  will 
A.  Maü,  Rom.  Mitt.  XI  1896  S.  300  in  der 
sog.  Curie  erkennen. 


A.  Di  indigetes.    87.  Lares. 


151 


Zeugnisse  des  römischen  Larendienstes,  dem  uralten  Gesänge  der  Acker- 
brüderschaft, in  Verbindung  mit  Mars^)  für  das  Gedeihen  der  römischen 
Feldmark  angerufen  werden  *)  und  deren  dieselben  Arvalbrüder  (zusammen 
mit  der  nur  hier  genannten  Mater  Lamm)  auch  bei  den  Piacularopfem 
gedenken  (Henzen,  Acta  fr.  Arv.  p.  145).  Diese  nämlichen  Laren  sind  es 
jedenfalls,  welche  unter  dem  Namen  der  Lares  praestites  einen  alten 
Altar  und  Bilder  besassen,  die  sie  nach  Art  der  Dioskuren  als  speertra- 
gende Jünglinge,  aber  mit  Hundsfellen  bekleidet  und  von  einem  Hunde, 
dem  steten  Gefährten  des  Flurhüters,  begleitet,  darstellten. >)  Dieser  Altar 
der  Lares  praestites  ist  wieder  nicht  zu  trennen  von  der  auf  der  Höhe 
der  Sacra  via  am  Palatin  gelegenen  aedes  Lamm,  welche  Augustus  wieder- 
herstellte;^) allerdings  unterscheidet  Ovid  die  ara  Lamm  praestüum  von 
dem  Larentempel,  indem  er  die  Stiftung  der  ersteren  am  1.  Mai  (fast. 
V  129),  die  des  letzteren  am  27.  Juni  erwähnt  (fast.  VI  791  f.);  doch  ist 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  erstgenannte  Tag  der  Stiftungstag  des 
ursprünglichen  Heiligtums,  der  zweite  der  des  augusteischen  Neubaues, 
was  Ovid  bei  Benutzung  verschiedener  Quellen  nicht  gemerkt  hat.^)  Ein 
von  Varro  (de  1. 1.  V  49)  erwähntes  Lamm  Querquetulanum  saceUum  auf  dem 
Esquilin  war  vielleicht  eine  Compitalkapelle,  jedenfalls  keine  aedes  sacra. 
Der  von  Haus  aus  ländliche  Dienst  der  Lares  compitales  hatte 
auch  in  Rom  Eingang  gefunden,  wo  sich  aber  in  republikanischer  Zeit 
die  Compita  auf  die  städtischen  pagi  im  Gegensatze  zu  der  alten  Sakral- 
gemeinde des  Septimontium  ^)  beschränkt  zu  haben  scheinen.  Um  die  ein- 
zelnen Compita  bildeten  sich  Bezirksvereine,  collegia  compüalicia,  deren 
Vorstände  als  magistri  vicorum  die  Ausrichtung  der  Compitalienfeier  mit 
den  zugehörigen  Spielen  übernahmen; 7)  es  waren  nicht  Staatsbeamte, 
sondern  Privatwürdenträger  niederen  Ranges,  dem  Freigelassenen-  und 
Sklavenstande  angehörig,  wie  überhaupt  die  schon  hervorgehobene  Be- 
ziehung der  Sklaven  zum  Larendienste  sich  auch  hier  darin  zeigt,  dass  sich 
die  Collegia  compitalicia  überwiegend  aus  Unfreien  und  Freigelassenen 
rekrutierten.^)  In  den  Wirren  der  Bürgerkriege  waren  diese  Vereine  von 
Leuten  der  untersten  Bevölkerungsschichten  bei  Wahlumtrieben  und  Tu- 
multen in  der  Hand  dessen,  der  sie  zu  gewinnen  wusste,  eine  beachtens- 
werte Macht,')  und  darum  hat  der  Senat  im  J.  690  =  64  die  Aufhebung 
der  Collegia  compitalicia  verfügt,  die  allerdings  schon  sechs  Jahre  später 


*)  Mit  Mars  und  Consos  verbunden  er- 
scheinen die  Laren  auf  dem  angeblich  ur- 
alten Altar  im  Circus  bei  Tertull.  de  spect.  5. 

')  Hier  hat  der  Name  die  alte  Form 
Loses  (vgl.  Varro  de  1.  1.  VI  2.  Paul.  p.  264. 
Quintil.  inst.  or.  I  4,  18  u.  a.);  die  Etymo- 
logie ist  ganz  unsicher. 

»)  Ovid.  fast.  V  129  ff.  und  Flut.  Q.  R. 
51  (beide  aus  Varro;  vgl.  auch  de  1.  1.  V  74). 
Nachbildung  der  Bilder  auf  Denaren  des 
L.  Caesius,  Babblok,  Monn.  cons.  I  281. 

<)  Monum.  Anc.  4,  7;  vgl.  Solin.  1,  23. 
Cic.  de  n.  d.  III  63  =  Plin,  n.  h.  II  16. 
Tac.  ann.  XII  24.  Obseq.  41;  vgl.  0.  Gil- 
bert, Philologus  XLV  449  ff. 


^)  WissowA,  Analecta  Bomana  topo- 
graphica  p.  18  f. 

*)  S.  darüber  Moxxsek,  Staatsrecht  III  1 
p.  VIII  und  112  ff.  VITissowA,  Satura  Via- 
drina  (Breslau  1896)  S.  1  ff. 

^)  Voraugusteische  magistri  vicorum  in 
Rom  CIL  VI  1824.  2221,  auch  835  und  Rom. 
Mitt.  IV  262.  in  Pompeji  CIL  IV  60;  vgL 
auch  V  4087.  X  8789.  Liv.  XXXIV  7,  2; 
KofineraXiaarai  auf  Dolos  97  v.  Chr.  Bull, 
de  corresp.  hell.  VII  12  ff. 

')  Cic.  in  Pis.  9;  de  domo  54;  de  hanup. 
resp.  22. 

*)  Q.  Cic.  de  pet  consnl.  30. 


152 


Religion  und  Knltoa  der  BOmer.    IL  Mtierlehre. 


durch  eine  lex  Clodia  wieder  rückgängig  gemacht,  aber  schliesslich  von 
Caesar  endgültig  durchgeführt  wurde.  0  Bald  aber  fand  diese  ganze  Orga- 
nisation in  etwas  veränderter  Form  neue  Verwertung.  Augustus  nämlich 
gab  bei  seiner  Einteilung  der  Gesamtstadt  in  Regiones  und  Vici  jedem 
Yicus  ein  Gompitum  zum  sakralen  Mittelpunkte  und  setzte  für  jedes  solche 
Compitum  vier  magistri  vici  ein,  die  alljährlich  aus  den  Bewohnern  des 
Yicus  zu  wählen  waren  und  für  die  Erhaltung  und  Ausschmückung  der 
Compita  und  die  Ausrichtung  der  Ludi  compitalicii  zu  sorgen  hatten.*) 
Das  Wesentliche  an  der  Umgestaltung  war  jedoch  die  Thatsache,  dass 
die  Compita  nunmehr  zu  Stätten  des  Kaiserkultes  wurden,  indem  an  ihnen 
zwischen  den  beiden  Lares  compitales  oder,  wie  sie  jetzt  heissen,  Lares 
augusti  der  Genius  des  regierenden  Kaisers  verehrt  wurde;')  römische 
Altäre,  von  den  Magistri  einzelner  Vici  geweiht,^)  zeigen  den  Genius 
Augusti  in  der  Gestalt  eines  opfernden  Togatus  (in  besserer  Ausführung 
mit  den  Porträtzügen  des  Kaisers),  zu  beiden  Seiten  desselben  die  Laren 
als  tanzende  Jünglinge  mit  lockigem  Haare,  in  kurzer  gegürteter  Toga, 
mit  der  einen  Hand  eine  Schale  haltend,  in  die  sie  mit  dem  hoch  erho- 
benen andern  Arme  aus  einem  Trinkhom  einschenken.^)  Diese  einem 
griechischen  bakchischen  Typus  entlehnte  Darstellung  der  Compitallaren 
war  schon  zu  des  Naevius  Zeiten  üblich  gewesen  und  sollte  die  Laren 
offenbar  als  die  Yortänzer  bei  der  ausgelassenen  Fröhlichkeit  der  Compi- 
talienfeier  wiedergeben.^)  Dieser  neue  Larendienst  findet  nach  römischem 
Yorbilde  (Laribus  d,  d,  Romano  more  dedicata  heisst  es  in  einer  Inschrift 
von  Amiternum  CHj  IX  4185)  in  vielen  Städten  Italiens  und  nachher  auch 
der  Provinzen  Nachahmung,  in  denen  uns  magistri  Larum  (augustorum) 
begegnen^)  und  eigene  coUegia  Larum  et  imaginis  augustae  (CIL  YI  307) 
entstehen,^)  und  Weihinschriften  an  die  Lares  Augusti  besitzen  wir  fast 
aus  allen  Teilen  des  Reiches.  Aber  auch  der  häusliche  Larenkult  erfährt 
eine  völlige  Umgestaltung,  indem  auch  hier  an  die  Stelle  des  einen  Lar 
familiaris  die  Doppellaren  des  Compitaldienstes  treten,  zwischen  denen 
häufig  der  Genius  erscheint,  der  aber  hier  nicht  als  der  des  Kaisers, 
sondern  als  der  des  Hausherrn  aufzufassen  ist;^)  nicht  nur  zahlreiche  In- 
schriften, sondern  auch  eine  grosse  Menge  pompejanischer  Wandgemälde 


>)  Cic.  in  Pia.  8  f.  Ascon.  p.  6  ff.  Suet. 
Caes.  42.  Mohhsen,  De  colleg.  et  sodal.  74  ff. 
LiEBEifAii,  Zur  Gesch.  u.  Organisation  d.  röm. 
Vereinswes.  S.  20  ff. 

»)  Suet.  Aug.  30.  31.  Cass.  Dio  LV  8. 
CIL  VI  445-454.  Eph.  epigr.  IV  746  f. 
Bull.  arch.  com.  XV  1887,  33.  XVII  1889, 
69  ff.  Die  Reform  hat  längere  Zeit  in  An- 
spruch genommen  und  ist  im  J.  747  =  7 
abgeschlossen  worden.  Moxmsen,  Hermes 
XV  109.    Marquabdt,  Staatsverw.  III  204  ff. 

•)  Ovid.  fast.  V  145.  Hör.  carm.  IV 
5   34. 

^)  CIL  VI  445  =  Visconti,  Mus.  Pio- 
Clem.  IV  45.  45*^;  CIL  VI  448  =  Zjlnhoni, 
Galleria  di  Firenze  IV  3,  142-144;  Bull, 
arch.  com.  XVII  1889,  69  ff.  Taf.  III. 

')  Schöne  Broncestatuette  Annali  d.  Inst. 


1882  Taf.  N;  über  die  zahlreichen  Laren- 
figttrchen  aus  Bronce  vgl.  FmEDSsicBs,  Klei- 
nere Kunst  und  Industrie  S.  438  ff. 

«)  Naev.  com.  frg.  99  ff.  Ribb.;  aber  das 
griechische  Vorbild  Wissowa,  Annali  d.  Inst. 
1883,  156  ff. 

»)  CIL  XI  2998.  IX  423.  3657.  6293. 
X  137.  205.  1269.  1584.  5161  f.  6556.  7953. 
V  792.  3257.  XII  406.  U  2013.  2181.  2233. 
3113.  4293.  4297.  4304.  4306.  4307.  6106. 
Fttr  Pompeji  sind  Wandgemälde  an  den  Com- 
pita beweisend,  Hblbio,  Wandgem.  Nr.  41  ff. 

»)  CIL  III  4038.  IX  3887.  XIV  3561. 
Eph.  epigr.  V  813. 

*)  Das  beweisen  Inschriften  wie  CIL  X 
861:  Genio  M{arci)  n{08tri)  et  Laribus.  II 
4082;  Laribus  et  Tutelae  Genio  L{ucii)  n(ostri). 


A.  Di  indigetea.    27.  Larea. 


153 


(Helbio,  Wandgem.  Nr.  35  S.  Sogliano,  Pitture  murali  Gampane  Nr.  12  S.) 
und  einige  andere  Denkmäler*)  legen  für  diese  Neugestaltung  des  häus- 
lichen Larendienstes  Zeugnis  ab,  welcher  sich  in  dieser  Form  mit  grosser 
Beständigkeit  bis  zum  Ausgange  des  Heidentums  erhalten  hat.^) 

Der  Scharfsinn  der  römischen  Theologen  hat  sich  mit  Eifer  der 
Frage  nach  der  eigentlichen  tieferen  Bedeutung  der  Larenverehrung  zu- 
gewandt, deren  Beantwortung  wie  bei  den  Penaten  dadurch  erschwert 
wurde,  dass  es  an  nahe  liegenden  gi*iechischen  Parallelen  fehlte.  Wie 
man  für  die  Penaten  in  den  grossen  Göttern  von  Samothrake  Analogien 
zu  finden  glaubte,  so  zog  für  die  Laren  Nigidius  Figulus  die  Eureten, 
Eorybanten  und  idaeischen  Daktylen  zum  Vergleiche  heran,')  ohne,  wie  es 
scheint,  damit  viel  Anklang  zu  finden.  Um  so  nachhaltiger  hat  die  von 
Varro  vertretene  Meinung  gewirkt,  nach  dem  die  Laren  identisch  mit  den 
Manen  sein  und  eine  Vergöttlichung  der  ^eelen  der  Verstorbenen  dar- 
stellen sollten,^)  weshalb  auch  die  Griechen  sie  mit  ihren  rJQtosg  identifi- 
zierten;^) man  berief  sich  zur  Stütze  dieser  Auffassung  nicht  nur  auf  die 
vermeintliche  Identität  der  Mania  mit  der  Mutter  der  Laren,  sondern  vor 
allem  darauf,  dass  der  häusliche  Larenkult  in  der  angeblich  uralten  Sitte. 
die  Toten  im  Hause  zu  bestatten,  seine  Wurzel  habe.^)  Noch  weiter  geht 
eine  spätere  Theorie,  deren  ältester  Vertreter  für  uns  Apulejus  ist;  nach 
ihm  stehen  die  Lemures  als  Seelen  der  Verstorbenen  den  Genii  der  Le- 
benden gegenüber  und  zerfallen  ihrerseits  in  Lares,  Larvae  und  Manes, 
je  nachdem  die  Geister  nach  ihrem  Vorleben  und  der  Stellung  der  Über- 
lebenden zu  ihnen  als  gute,  böse  oder  unentschiedene  zu  gelten  haben. ^) 
Obwohl  neuere  Gelehrte  auf  diese  Spekulationen  die  Herleitung  der  Laren- 
verehrung aus  dem  Seelen-  und  Ahnenkult  aufgebaut  haben,^)  sind  die- 
selben für  die  Gewinnung  der  dieser  Seite  der  römischen  Religion  ur- 
sprünglich zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen  ebenso  wertlos,  wie  die  auf 
allerlei  synkretistischen  Voraussetzungen  beruhenden  Erfindungen  der 
Dichter,  z.  B.  Ovids  Erzählung  von  der  durch  Mercur  vergewaltigten  Lara 
oder  Dea  Tacita,  der  Mutter  der  Lares  compitales.*) 

Litteratar:  6.  A.  B.  Hbbtzbbro,  De  diis  Romanorum  patriis,  Halae  1840.  G.  F. 
ScHOBMANN,  Opasc.  acad.  I  850  ff.  R.  Soharbb,  De  Geniis  Manibns  et  Laribus  dissertatio, 
Casani  1854.    fi.  Jobdan,  Annali  d.  InBt.  1862,  800  ff.  1872,  19  ff.;  Vesta  und  die  Laren, 


>)  z.  B.  der  Altar  aus  Caere  CIL  XI 
3616  =  Monnm.  d.  Inst.  VI  13;  vgl.  auch 
Annali  d.  Inst  1862  tav.  R  4. 

')  Sieugnisse  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw. 
III  126  f.  Der  Name  Lar  hat  in  der  spä- 
teren Kaiserzeit  zuweilen  ganz  allgemeine 
Bedeutung;  vgl.  z.  B.  Lar  agrestis  =  Sil- 
vanuB  CIL  VI  646,  Lar  vietor  CIL  XI  2096, 
Mortis  et  pacis  Lar  CIRh.  484. 

>)  Amob.  m  41.  Diomed.  I  p.  478  £. 
Hygin.  fab.  139. 

*)  Amob.  III  41.  Augustin.  c.  d.  VII  6. 
Mart  Cap.  II  155.  Paul.  p.  121.  239.  Macr. 
8.  I  7,  85.    Serv.  Aen.  Ill  802. 

*)  Mon.  Anc.  gr.  10,  11.  18,  23.  Dion. 
Hai.  ITI  70.  IV  2.  14.  Corp.  gloss.  II  121, 
14;  vgl  MoMiiSBN  zu  CIL  X  3757. 


•)  Serv.  Aen.  V  64.  VI  152,  dazu  Lubb- 
bbbt,  Comment.  pontif.  71.    Jobdan,  Topogr. 

I  1  S.  171.  Die  ganz  dunkeln  Lares  grun- 
dules  (Cass.  Hemina  bei  Diom.  I  884  K.  Non. 
p.  114.  Amob.  I  28)  sind  erst  durch  Neuere 
auf  Grand  einer  Angabe  des  Fälschers  Ful- 
gentius  de  abstr.  serm.  p.  560  Merc.  hier 
hereingezogen  worden. 

')  Apul.  de  deo  Socr.  15  (=  Serv.  Aen. 
m  68.    August,   c.  d.  IX   11).    Mart.  Cap. 

II  162  f. 

*)  FUSTBL   DB  COÜLANOBS,    La    cit^   BUti- 

que  p.  20.  Nissbn,  Templum  S.  148  f.  Rohdb, 
Psyche  232. 

•)  Ovid.   fast.   571   ff.;    vgl.  Wissowa, 
Philo].  Abhandl.  M.  Hertz  dargebrachtS.  165 f. 


154 


Religion  nnd  Knltna  der  Bömer.    II.  GOtterlehre. 


Berlin  1865.  A.  Rritfbbschbid,  Annali  d.  Inst.  1863,  121  ff.  A.  Pbeunsr,  Hestia-Vesta 
S.  232  ff.;  Philologus  XXIV  248  ff.  G.  Wissowa  in  Roechers  Lexikon  II  1868  ff.  A.  Djs- 
Marchi,  II  culto  private  di  Roma  antica  I  27  ff. 

38.  Genius.  Als  Kaiser  Theodosius  im  J.  892  nicht  nur  die  öffent- 
liche, sondern  auch  die  häusliche  Ausübung  heidnischer  Religionshand- 
lungen untersagte,  geschah  dies  durch  die  Verfügung  (cod.  Theod.  XVI 
10,  2):  nullus  otnnino  secretiore  piaculo  Larem  igne,  mero  Oenium,  penates 
odore  veneratus  accendat  lumrna,  imponat  iura,  serta  suspendat.  Hier  sind 
scharf  und  deutlich,  wie  es  sich  für  einen  kaiserlichen  Erlass  ziemt,  die 
drei  Arten  von  Hausgöttern  geschieden,  und  es  ist  damit  allen  alten  und 
neuen  Versuchen,  den  Genius  für  ursprünglich  identisch  mit  dem  Lar 
familiaris  zu  erklären,^)  der  Boden  entzogen;  denn  das  sinkende  Altertum 
hat  wohl  in  weitem  Umfange  verschiedene  Götter  mit  einander  vermengt, 
nicht  aber  ursprünglich  einheitliche  geschieden.  Der  Genius  ist  der  Grund- 
anschauung nach  ebenso  fest  an  die  Person  gebunden,  wie  der  Lar  an 
den  Oi*t,  und  wenn  sich  auch  später  der  Begriff  beider  Gottheiten  ver- 
flacht hat  und  dadurch  die  Grenzlinien  ihrer  Wirksamkeit  hie  und  da  ver- 
wischt worden  sind,  so  ist  doch  ihre  ursprüngliche  Verschiedenheit  keinem 
Zweifel  unterworfen.  Selten  spricht  die  Etymologie  eines  Götternamens 
so  deutlich  wie  hier:  den  Zusammenhang  mit  Wz.  gen,  gignere  konnten 
auch  die  alten  Grammatiker  nicht  verkennen,*)  wenn  auch  ihre  Meinungen 
darüber  auseinandergingen,  ob  die  Ableitung  im  aktiven  oder  passiven 
Sinne  vorzunehmen  und  wer  als  Subjekt  zu  denken  sei.')  Ausschlag- 
gebend ist  die  Thatsache,  dass  nur  der  Mann  einen  Genius  hat,  während 
der  Frau  in  gleicher  Bedeutung  eine  Juno  zukommt:^)  es  geht  daraus 
hervor,  dass  Genius  und  Juno  sich  zu  einander  verhalten  wie  Zeugung  und 
Empfängnis,  und  dass  somit  der  erstere  die  göttliche  Verkörperung  der 
im  Manne  wirksamen  und  für  den  Fortbestand  der  Familie  sorgenden 
Zeugungskraft  ist.^)  Diese  Bedeutung  erweitert  sich  dann  insofern,  als 
der  Genius  weiterhin  die  gesamte  Kraft,  Energie,  Genussfähigkeit,  mit 
einem  Worte  die  ganze  Persönlichkeit  des  Mannes,  sein  höheres  und 
inneres  Wesen  abspiegelt  und  darstellt;  das  bringt  die  Sprache  deutlich 
zum  Ausdruck  sowohl  in  dem  Worte  genialis,  das  ursprünglich  „zeugungs- 
kräftig**,  dann  überhaupt  alles  Reiche,  Üppige,  Freigebige  bezeichnet,  als 
auch  in  metaphorischen  Wendungen,  wie  Genio  aliquid  praestare  (wir 
„seinem  inneren  Menschen  eine  Güte  thun"),   Genium  defraudare,   Genio 


')  Granins  Flaccns  bei  Gensorin.  8,  2. 
Rbifferschbid,  Annali  dell'  Inst.  1863,  129. 

■)  Wenn  es  bei  Paul.  p.  94  (vgl.  p.  95. 
Mart.  Gap.  11  152)  heisst:  Genium  appella- 
bant  deunif  qui  vim  ohtineret  omnium  rerum 
gerendarum,  so  spielt  bier  vielleicbt  der 
verwandte  Gott  Geras  (s.  S.  158  f.)  mit  hinein. 

')  Gensorin.  3,  1 :  Genius  est  deus,  cuius 
in  tutela  ut  quisque  natus  est  vivit,  hie  sive 
quod  ut  genamur  curaty  sive  quod  una  genitur 
nobiscuntf  sive  etiam  quod  nos  genitos  suscipit 
ac  ttUcUur,  certe  a  genendo  Genius  appellatur, 
Panl.  p.  94.    Varro  bei  Angnst.  c.  d.  VII  13. 

*)  Senec.  epist.  110,  1:  singulis  enim  et 
Genium  et  lunonem  dederunt.    Plin.   n.  h. 


II  16:  quamohrem  maior  caelitum  populus 
etiam  quam  hominum  intellegi  potest  cum 
singuH  quoque  ex  semetipsis  totidem  deos 
faciant  lunones  Geniosque  adoptando  sibi. 
GIL  XI  8076:  Genio  Augusti  et  Ti.  Caesaris, 
lunoni  Liviae  (vgl.  Hbnzev,  Act.  fr.  Arv. 
p.  85  f.  122)  und  zahlreiche  Inschriften  den 
lunones  einzelner  Frauen  gewidmet,  z.  B. 
CIL  VI  2128.  XI  1324.  XIV  1792.  3556  u.  a. 
Portraitherroe  einer  Frau  mit  der  Unterschrift 
luno  Florae  Scaptinae  Arch.  epigr.  Mitt.  aus 
Oesterr.  XIII  175  ff. 

*)  Daher  konnte  Laberias  frg.  54  Ribb. 
den  (Genius  als  gener is  nostri  parens  defi- 
nieren. 


A.  Di  indigetea.    28.  Geniiui. 


155 


indulgere  u.  a.^  Jeder  Mensch  hat  seinen  Genius,  bezw.  seine  Juno,  die 
mit  ihm  geboren  werden,  während  seines  ganzen  Lebens  von  ihm  unzer- 
trennlich sind  und  schliesslich  mit  ihm  sterben;^)  der  Genii  oder  Junones 
Verstorbener  wird  nur  ganz  vereinzelt  gedacht,")  da  hier  ein  ganz  anderer 
Vorstellungskreis  einzutreten  pflegt.  Im  Hause  ist  es  der  Genius  des 
Hausherrn,  der  mit  den  Penaten  und  dem  Lar  familiaris  von  allen  Haus- 
bewohnern verehrt  wird:  die  Stätte  seines  Wirkens  ist  das  Ehebett,  der 
lectus  genialis,^)  bei  dessen  Bereitung  er  auch  angerufen  wird  (Arnob. 
n  67);  heilig  ist  ihm  die  Schlange,  als  beliebtes  Haustier  (Phin.  n.  h. 
XXIX  72),  und  ihr  Erscheinen  symbolisiert  die  Anwesenheit  des  Genius, 
ebenso  wie  der  Tod  der  Hausschlange  das  Hinscheiden  des  Familienhauptes 
bedeutet.  In  verschiedenen  Versionen  begegnet  uns  die  Erzählung,  dass 
entweder  der  Genius  selbst  sich  in  Gestalt  einer  Schlange  der  Hausfrau 
genaht  und  sie  zur  Mutter  eines  berühmten  Sohnes  gemacht  habe,^)  oder 
dass  ein  dem  Hause  bevorstehendes  Geschick  durch  die  plötzliche  Er- 
scheinung des  Genius  in  Schlangengestalt  angezeigt  worden  sei.^)  Man 
malte  daher,  wie  es  die  pompejanischen  Häuser  zeigen,  Schlangen  als 
Symbole  des  Genius  sowohl  an  die  Aussenmauern,  die  dadurch  gleichzeitig 
vor  Verunreinigung  geschützt  werden  sollten,^)  als  innen  an  die  aediculae 
der  Hausgötter,  allein  oder  in  Verbindung  mit  den  Laren-  und  Penaten- 
bildem ;  wenn  zwei  Schlangen  dargestellt  sind,  ist  oft  die  eine  durch  den 
Kamm  als  männlich  bezeichnet,  so  dass  wir  Symbole  vom  Genius  des  Haus- 
herrn und  der  Juno  der  Hausfrau  zu  erkennen  haben. ^)  Der  Festtag  des 
Genius  ist  der  Geburtstag  seines  Schützlings,  an  dem  er  als  Genius  naicdis^) 
verehrt  wird  und  Opfer  meist  unblutiger  Art,  wie  sie  ja  im  Hausgottes- 
dienste durchweg  überwiegen,  erhält;^®)  vor  allem  ist  der  Geburtstag  des 
Hausherrn  ein  Festtag  für  die  ganze  Familie  mit  Einschluss  der  Sklaven 
und  Freigelassenen,  und  die  letzteren  zeigen  ihre  Ergebenheit  gegen  den 
Patron  in  besonderer  Verehrung  seines  Genius,  dem  sie,  sei  es  allein,  sei 
es  zusammen  mit  den  Laren,  Weihungen  darbringen. ^0  ^^^  Mitglieder 
des  Hausstandes  schwören  beim  Genius  des  Hausherrn,  wie  überhaupt  der 
Genius  als  der  bessere  und  göttliche  Teil  im  Menschen  gern  bei  Schwur 
und  Beschwörung   angerufen  wird.^*)     Eine  besondere  Bedeutung   erhält 


')  Materialsammlang  bei  Pbbllbb,  Rom. 
Myth.  I  78  f. 

*)  Censorin.  3,  5.  Hör.  epist.  11  2,  187: 
Genius  natale  comes  qui  tetnperat  astrum, 
Mart.  Cap.  II  152.    Amm.  Marc.  XXI  U,  3. 

•)  CIL  V  160.  246.  VIU  3695.  IX  5794. 
X  1009.  1023.  6597.  XIV  1792.  Gabbucci, 
Syll.  Nr.  1 152.  Die  oberitalischen  Inschriften 
CIL  V  4449.  5869.  5892.  7142.  7468  sind 
wohl  eher  als  Ehreninschriften  aufzufassen. 

*)  Rossbach,  Rom.  Ehe  S.  367  ff. 

»)  Gell.  VI  1,  3.  Liv.  XXVI  19.  7.  In 
graecisierter  Fassung  auf  Apollo  flbertragen, 
Säet  Aug.  94.    Cass.  Dio  XLV  1. 

•)  Cic.  de  div.  I  36.  Plut.  Ti.  Gracch.  1. 
Obseq.  58. 

')  Pers.  I  113:  pinge  duo8  anguis;  pueri, 
saeer  est  locus,  extra  tneite;  vgl.  Db-Mabchi, 


Culto  private  I  77  f. 

")  Hblbig,  Wandgem.  S.  10;  vgl.  Cen- 
sorin. 3,  3:  nonnulU  binos  Genies  (richtiger 
Genius  und  Juno)  in  his  dumtaxat  domibus, 
quae  essent  maritae,  colendos  putarunt, 

*)  Entsprechend  auch  luno  natalis,  TibuU. 
IV  6,  1. 

'•)  Tibull.  II  2.  rV  5.  Censor.  2;  mehr 
bei  0.  Jahn  zu  Pers.  p.  119. 

»')  z.  B.  CIL  II  1980.  V  1868.  VI  257 
—259.  3684.  X  860.  861.  XI  356.  818,  vgl. 
1324. 

'»)  z.  B.  Plaut  Capt.  977.  Ter.  Andr. 
289.  Tibull.  IV  5,  8.  Hör.  epist.  I  7,  94. 
Senec.  ep.  12,  2.  Apul.  met.  VIII  20.  Ebenso 
bei  der  Juno  einer  Frau,  z.  B.  Tibull.  III  6, 
48.  IV  13,  15.  Petron.  25.  Schol.  Juven. 
2,  98. 


156 


Religion  und  Koltna  der  Römer,    ü.  GOtterlehre. 


dieser  Brauch  in  der  Eaiserzeit,  wo  der  Genius  des  Kaisers,  der  aus  der 
grossen  Menge  der  Genii  ebenso  hervorragt,  wie  der  Imperator  aus  der 
Masse  der  Bürger,  Gegenstand  allgemeiner  Verehrung  wird.  Von  der- 
selben zeugen  —  abgesehen  von  dem  bereits  S.  152  besprochenen  Kulte 
des  Genius  Augusti  zwischen  den  Laren  der  Gompita  —  nicht  nur  zahl- 
reiche Weihinschriften  von  Privatleuten  und  Gemeinden  aus  allen  Teilen 
des  Reiches,^)  sondern  auch  der  Umstand,  dass  der  Schwur  beim  Genius 
des  Kaisers  sowohl  im  Beamteneide  seine  Stelle  findet  (s.  oben  S.  71.  146), 
als  auch  im  Privatleben  häufig  zur  Anwendung  kommt;*)  ein  in  dieser 
Form  geleisteter  Meineid  wurde  als  Verbrechen  gegen  die  Majestät  ge- 
ahndet.') 

Die  von  Haus  aus  einfache  Vorstellung  vom  Genius  hat  im  Laufe 
der  Zeit  sehr  wesentliche  Erweiterungen  erfahren.  Wenn  man  den  Genius 
des  Hausvaters  zugleich  als  Genius  domus^)  oder  Genius  familiae  (CIL  X 
6302)  auffasste,  so  hatte  das  seine  volle  Berechtigung.  Davon  ausgehend 
aber  entwickelte  sich  die  Vorstellung  von  Genien,  die  nicht  zu  einzelnen 
Personen,  sondern  zu  ganzen  Verbänden  gehörten,  zunächst  bei  solchen, 
die  durch  Bande  des  Blutes  zusammenhängen,  dann  aber  auch  bei  künst- 
lich geschaffenen  Organisationen.  Namentlich  haben  so  die  Genossen- 
schaften und  städtischen  Korporationen,  dann  alle  militärischen  Truppen- 
körper, schliesslich  auch  Gemeinden,  Provinzen,  Staaten  ihren  eigenen 
Genius.^)  Je  weiter  sich  dieser  Gebrauch  ausdehnt,  um  so  mehr  wird  der 
ursprüngliche  Gedanke  des  Genius  und  sein  Zusammenhang  mit  der  Person 
verdunkelt.  Bei  Genius  collegii,  Genius  legionis,  Genius  coloniae  handelt  es 
sich  doch  wenigstens  um  Gruppen  von  Personen,  die  man  allenfalls  nach 
Analogie  der  Familie  auffassen  kann;^)  bei  Wendungen,  wie  Genius  theatri, 
Genius  scholae,  Genius  macelli  ist  es  bereits  kaum  mehr  möglich,  anstatt 
an  den  Ort,  an  die  dort  zusammenkommenden  Personen  zu  denken,  und 
in  dem  sehr  häufigen  Gebrauche  von  Genius  loci'')  ist  eine  solche  Erklä- 
rung völlig  ausgeschlossen;  hier  hat  sich  der  Begriff  des  Genius  zu  der 
ganz  allgemeinen  Bedeutung  von  numen,  der  Bezeichnung  der  überall 
wirksamen  göttlichen  Gewalt,  verflüchtigt.  In  dieser  Auffassung  ist  der 
Genius  nichts  weiter  als  der  deus  hi  cuius  tutela  hie  locus  est,^)  und  heisst 
darum  auch  geradezu  deus  tutelae  (CIL  II  3021.  3377.  4092)  oder  genius 
tutelae  (CIL  II  2991),  bis  sich  diese  Tutela  als  selbständige  Göttin  los- 
löst und  als  Tutela  huius  loci^)  neben  den  Genius  loci  tritt  oder  auch  — 


0  z.  B.  CIL  VI  251—256.  X  1561.  XI 
3076.  3303.  3593.  XIV  2349. 

«)  Cass.  Dio  LVII  8.  Suet.  Calig.  27. 
Apul.  met.  IX  41  a.  a. 

»)  Ulp.  Dig.  Xn  2,  13,  6;  vgl.  Tertull. 
apol.  28.  Minuc.  Fei.  29.  Mokhsen,  Staatsr. 
II  784. 

*)  Genio  donius  auae  CIL  VIII  2598. 

^)  Genius  collegii^  sodalicii,  familiae  mo- 
netalis,  corporis,  curiae,  decuriae;  Genius 
exercituSy  Ugionis,  cohartis,  centuriae,  tur- 
mae,  castrorum;  Genius  coloniae,  municipii, 
pagi,  civitatis^  provinciae  u.  s.  w.     Belege 


bieten  die  Indices  des  CIL  in  reicher  Fülle; 
über  die  Genii  der  Trappenkörper  s.  insbe- 
sondere y.  DoMASZBwsKi,  Westd.  S^eitscbr. 
XIV  96  ff. 

*)  Vgl.  auch  Genius  fori  vinarii,  wna- 
licii,  commercii,  portorii,  horreorum. 

')  Seltener  mit  genauerer  Angabe  Ge- 
nius montis  (CIL  VI  334.  IV  1176.  VIII 
9180),  fontis  (VIII  4291.  VI  151),  fluminis 
(VIII  9749)  u.  a. 

^)  Hbvzbn,  Act.  fr.  Arv.  p.  146. 

»)  CIL  III  4445.  VI  216;  vgl.  VI  777 
und  Petron.  57.  105. 


A.  Di  indigetea.    28.  Genius.  157 

zum  Teil  anter  allerlei  spezialisierenden  Beinamen^)  —  allein  für  sich 
verehrt  wird.  Hie  und  da  scheint  die  Tutela  augusta  —  namentlich  von 
den  Frauen  —  in  ähnlicher  Weise  verehrt  worden  zu  sein,  wie  der  Genius 
Augusti,*)  und  im  ausgehenden  Heidentume  begegnet  sie  uns  vereinzelt  in 
Verbindung  mit  den  Laren  (CIL  11  4082)  und  hat  als  eine  Art  weiblicher 
Genius  ihre  Stelle  im  häuslichen  Kulte.') 

Erheblich  älter  als  die  meisten  dieser  erst  im  Verlaufe  der  Eaiser- 
zeit  zur  Entwicklung  gelangten  Vorstellungen  ist  die  Fixierung  eines  G  e- 
nius  populi  Romani,  Genius  publicus  oder  Genius  urbis  Romae,  einer 
Gottheit,  die  von  der  gesamten  Gemeinde  in  derselben  Weise  verehrt 
wurde,  wie  von'  den  Bewohnern  eines  Hauses  der  Genius  des  Hausherrn. 
Da  jedoch  eine  Person,  die  den  Staat  in  derselben  Weise  verkörpert,  wie 
der  Hausvater  die  Familie,  nicht  vorhanden  ist,  so  konnte  die  Idee  des 
Genius  publicus  nie  dieselbe  Bestimmtheit  gewinnen,  wie  die  Vesta  p.  R. 
Quiritium,  die  Penates  publici  und  die  Lares  praestites;  man  Hess  sogar 
ursprünglich,  im  Widerspruche  mit  der  ausgeprägt  männlichen  Grundbe- 
deutung des  Genius,  das  Geschlecht  dieses  Genius  unbestimmt,  denn  auf 
dem  Capitol  befand  sich  ein  geweihter  Schild  mit  der  Inschrift :  Genio  urbis 
Romae  sive  mas  sive  femina  (Serv.  Aen.  II 351).  Ein  Staatsopfer  an  den  Genius 
publicus  wird  zuerst  536  =  218  erwähnt  (Liv.  XXI  62,  9),  in  der  letzten 
Zeit  der  Republik  hat  er  ein  Heiligtum  in  der  Nähe  des  Goncordientempels 
am  oberen  Forum,^)  und  die  Kaiendarien  verzeichnen  am  9.  Oktober  ein 
Opfer  Oenio  publica,  Faustae  FdicUati,  Veneri  Victrici  in  Capitolio;  in  der 
Kaiserzeit  findet  sich  der  Genius  populi  Romani,  abgesehen  von  zahlreichen 
Dedikationen  einzelner  Privatleute,^)  in  den  Götterreihen,  die  von  den 
Arvalen  bei  der  Fürbitte  für  den  Kaiser  und  sein  Haus  angerufen  und 
durch  Opfer  geehrt  werden,*)  und  im  4.  Jahrhundert  werden  ihm  zu  Ehren 
am  11.  und  12.  Februar  ludi  Genialici  begangen.^)  Sein  Bild,  in  durch- 
aus typischer  Auffassung  {ut  formari  Genius  publicus  seiet  Amm.  Marc.  XX 
5, 10),  begegnet  häufig  auf  Münzen:  er  erscheint  als  bärtiger  (später  jugend- 
lich), nur  unterwärts  mit  einem  Mantel  bekleideter  Mann,  mit  Füllhorn  im 
linken  Arm  und  gewöhnlich  mit  einer  Opferschale  in  der  rechten  Hand. 
Dem  entsprechend  werden  auch  sonst  die  Genii  von  Städten  wiedergegeben, 
z.  B.  der  von  Lugudunum  auf  einem  Thonrelief  ^)  und  die  anderer  Städte 
auf  Münzen;*)  auch  der  Genius  theatri  ist  auf  einem  Relief  von  Capua^^)  in 


1)  Tutela  Tarraconensis  CIL  II  4091, 
TuUia  damus  BupUianae  V  3804,  Tutela 
Candidiana  VI  776;  ohne  Beinamen  11  2538. 
3031.  3226.  4090.  V  4982.  VI  774.  775.  Ver- 
einzelt steht  die  lovis  Tutela  V  4243,  vgl. 
XU  1887 

*)  CIL  III  3349  (mit  HObnbbs  Anmer- 
kung). 4056.  V  4982. 

*)  Hieron.  in  Esai.  57  (III  p.  418)  und 
das  Relief  Annali  d.  Inst  1866  Taf.  K  4; 
die  Gottin,  die  hier,  wie  auf  den  Münzen 
des  Caransius  (Cohek,  Möd.  imp.  VII '  p.  36 
nr.  358  ff.)  dorch  Inschrift  sichergestellt  ist, 
trftgt  das  bezeichnende  Symbol  des  Genios, 
das  Fttllhom.  Andre  angebliche  Tutela-Dar- 
stellnngen  (Gaz.  aroh^ol.  V  1879  p.  4.  211) 


gehören  nicht  hierher. 

*)  Caas.  Dio  XLVII  2.  L  8. 

»)  z.  B.  CIL  VI  248.  397.  Eph.  ep.  IV 
736  u.  a.;  vgl.  anch  CIL  VI  29944  i=  Orelu 
1684)  [«»]  qui8  hane  ara{m)  laeserit,  haheat 
Genium  iratum  populi  Romani  et  numina 
Divorum. 

<)  Hbnzen,  Act.  fr.  Arv.  p.  72.  121. 

')  MOMMSBN,  CIL  P  p.  309. 

")  Fbobhkbb,  Musöes  de  France  pl.  15,  2. 
CIL  XII  5687,  45. 

*)  Imhoof-Blüxbr,  Ztschr.  f.  Numism. 
XIII  1885,  128  ff.;  vgl.  anch  £.  Cabtabi- 
LovATBLLT,  Bull.  arch.  com.  XIX  1891,  246  f. 

■<>)  CIL  X  3821.  Jordan.  Annali  d.  Inst. 
1862,  333. 


158 


Religion  nnd  Knltaa  der  Rftmer.    IL  GOtterlehre. 


ähnlicher  Weise  dargestellt,  und  überhaupt  ist  diese  mehr  ideale  Fassung 
(in  griechischer  Tracht  und  nur  unterwärts  bekleidet)  für  all  die  zahl- 
reichen Bilder  von  Genii  exercituum,  locorum,  coUegiorum  u.  s.  w.  zur 
Anwendung  gekommen.  0  Dagegen  geschieht  in  abweichender  Form  die 
Bildung  von  Personalgenien,  sei  es  des  Kaisers,  sei  es  von  Privaten:  sie 
führen  zwar  auch  das  Füllhorn,  welches  als  Symbol  der  genialis  copia  das 
eigentliche  unterscheidende  Attribut  des  Genius  ist,')  zeigen  aber  in  rea- 
listischer Auffassung  Römer  in  der  Toga  und  —  soweit  es  sich  um  feiner 
ausgeführte  Denkmäler  handelt  —  mit  Porträtzügen,  sozusagen  das  Ideal- 
bild des  civis  Romanus;  mit  Vorliebe  wird  der  Genius  opfernd  dargestellt, 
wobei  er  den  Zipfel  des  Gewandes  über  das  Hinterhaupt  hinaufgezogen 
hat  und  die  Opferschale  in  der  rechten  Hand  hält:  zahlreiche  Reliefs 
und  Wandgemälde,  auch  einige  Statuen,  sind  die  Repräsentanten  dieses 
Typus. 

Eigenartig,  aber  wohl  nicht  zur  vollen  Entwicklung  gelangt  ist  die 
Anschauung,  dass  auch  die  Götter  und  Göttinnen,  ebenso  wie  sie  eine 
Vesta  deorum  dearumque  besitzen  (oben  S.  148),  ebenso  je  ihren  Genius, 
bezw.  ihre  Juno  haben.  Im  Tempel  des  Juppiter  Liber  zu  Furfo  wurde 
in  republikanischer  Zeit  neben  diesem  Gotte  selbst  auch  dem  Genius  Jovis 
Liberi  geopfert  (CIL  IX  3513),  und  die  Arvalbrüder  bringen  bei  den  sacra 
piacularia  nicht  nur  der  Dea  Dia,  sondern  auch  der  Juno  Deae  Diae  Opfer 
dar;^)  auf  Inschriften  und  in  sonstigen  Zeugnissen  der  Kaiserzeit  begegnen 
noch  Genii  und  Junones  verschiedener  Götter  und  Göttinnen,^)  ohne  dass 
wir  dadurch  genaueren  Aufschluss  über  die  zu  Grunde  liegende  Auffassung 
erhielten,  da  hier  die  Genii  und  Junones  nicht  neben  den  betreffenden 
Gottheiten,  sondern  an  deren  Stelle  genannt  werden.  Jedenfalls  zeigt  das 
Verhältnis  der  Opfertiere  bei  den  Arvalen,  wo  Dea  Dia  zwei  Kühe,  Juno 
Deae  Diae  nur  zwei  Schafe  erhält,  dass  die  letztere  eine  etwas  unterge- 
ordnete Stellung  einnahm:  der  Genius  eines  Gottes  neben  diesem  selbst 
wird  ähnlich  aufzufassen  sein  wie  die  Schlange  neben  dem  Genius.  Ana- 
loge Anschauungen  treten  uns  in  den  religiösen  Denkmälern  der  ver- 
wandten italischen  Völker  entgegen.  Bei  den  Umbrem  von  Iguvium  wird 
neben  Mars  ein  Cetfus  Martins  verehrt,  auch  erhalten  mehrere  Gottheiten 
beiderlei  Geschlechts  das  Beiwort  cerfius:  mit  vollem  Rechte  hat  man 
diese  Worte,  ebenso  wie  das  paelignische  Cerfus^)   mit  dem  lateinischen 


^)  Die  Deutung  der  bewaffneten  Figur 
auf  oskischen  Münzen  (FbibdlIkdrr,  Osk. 
Münzen  S.  76  Taf.  9,  1-5)  als  Genius  Ita- 
liae  entbehrt  jeder  Begründung. 

*)  Daher  ist  die  Verhüllung  desselben 
ein  Zeichen  nahenden  Unheils  (Amm.  Marc. 
XXV  2,  3).  Münzen  des  Galba  (Cohen,  Möd. 
imp.  P  p.  344  f.)  mit  der  Umschrift  Oenio 
p.  B.  zeigen  neben  dem  Kopfe  des  Genius 
das  Füllhorn  als  Beizeichen. 

')  Hbnzbn,  Act.  fr.  Arv.  p.  144. 

*)  Genius  lovis  (CIL  II  2407,  vgl.  Ge- 
nius lovialis  bei  Amob.  III  40),  Martis  (CIL 
II  2407.  CIRh.  1611.  1701),  Mercurii  Alauni 
(ClRh.  1717),   UbeH  Augusti  (CIL  V  326), 


numinis  Priapi  (XIV  3565,  vgl  Petron.  21), 
numinis  Fontis  (CIL  VI  151);  Genius  Vic- 
toriae  (CIL  II  2407,  vgl.  den  Genius  lunonis 
bei  Mart.  Cap.  I  53);  luno  Isidis  Victricis 
(CIL  IX  5179,  Lesung  unsicher),  luno  Gon- 
eordiae  Auaustae  (CIL  VIII  4197)  u.  a.  Ob 
wir  bildliche  Darstellungen  solcher  Genii 
deorum  besitzen,  ist  zweifelhaft;  denn  C.  L. 
Viscontis  Deutung  einer  nackten  jugend- 
lichen Figur  mit  Aegis  und  Füllhorn  auf 
den  Genius  Jovis  (Bull.  com.  X  1882,  173  ff. 
mit  Taf.  XVIII/XIX)  ist  nicht  überzeugend. 
^)  BuECHELER,  Rhein.  Mus.  XXXIH  281; 
Umbrica  p.  80. 


A.  Di  indigetea.    29.  Gottheiten  der  Erde  nnd  des  Landbana. 


159 


Namen  Cerua^)  zusammengebracht,  der  im  Liede  der  Salier  in  der  Form 
duonus  cerus  oder  cert^  tnanus  als  Beiname  des  Janus  vorkam;^)  da  dieses 
Wort  ebenso  mit  der  Wurzel  von  creare  zusammenhängt  wie  Genius  mit 
gigner e,  so  entspricht  Cerfus  Martins  lateinischem  Genius  Martis  und  cerfius 
wird  ebenso  als  ==  genialis  aufzufassen  sein,  wie  das  auf  der  oskischen  In- 
schrift von  Agnone  mehreren  Gottheiten  beigelegte  Attribut  kerriios:^)  die 
Bezeichnung  der  Götter  als  geniale  und  die  Entwicklung  eigner  Genii 
deorum  entstammen  offenbar  der  gleichen  Grundanschauung. 

Litteratur:  Jordan,  Annali  d.  Inst.  1872,  19  S.  Th.  Bibt  in  Roscfaers  Lexik. 
I  1613  ff.  (über  Jnnones  M.  Ihm  ebd.  II  615  ff.).  De-Mabohi,  II  culio  privato  di  Roma 
antica  I  69  ff. 

39.  Gottheiten  der  Erde  und  des  Landbaus.  Selbstverständlich 
mussten  in  der  Götterordnung  einer  vorwiegend  bäuerlichen  Gemeinde  die 
Gottheiten  des  Ackerbaues  und  der  damit  zusammenhängenden  ländlichen 
Beschäftigungen  nach  Zahl  und  Bedeutung  einen  hervorragenden  Platz 
beanspruchen.  Aus  der  Thätigkeit  des  Landmannes  haben  die  beiden 
wichtigsten  Momente,  der  Ausgangspunkt  und  das  Ziel  seiner  Arbeit, 
Aussaat  und  Ernte,  in  Saturnus  und  Consus  eigene  göttliche  Vertreter 
erhalten,  von  denen  in  besonderen  Abschnitten  zu  handeln  sein  wird; 
neben  ihnen  aber  wird  noch  eine  Reihe  weiblicher  Gottheiten  verehrt, 
von  deren  Gnade  das  Gedeihen  der  Frucht  abhängt.  An  ihrer  Spitze  steht 
Tellus  mater,  die  Göttin  des  Saatfeldes,  das  den  Samen  aufnimmt  und 
in  seinem  Schosse  sich  entwickeln  lässt,  daher  von  den  Pontifices  als 
die  nährende  und  schützende  Göttin  in  ihren  Gebeten  angerufen.^)  Das 
Hauptfest  wird  ihr  im  Frühjahre  gefeiert,  wenn  alle  Saaten  in  der  Erde 
liegen  und  zum  Gedeihen  ihres  Segens  am  meisten  bedürfen:  zu  dieser 
Zeit  begeht  man  am  15.  April  das  Fest  der  Fordicidia,^)  so  genannt  von 
dem  Opfer  der  fordae  boves,  trächtiger  Kühe,  die  ihr  an  diesem  Tage  so- 
wohl in  den  einzelnen  Curien  als  seitens  der  Pontifices  auf  dem  Capitoi 
geschlachtet  wurden;*)  auch  an  einigen  anderen  Orten,  vermutlich  an  den 
Grenzen  der  römischen  Ackerflur,  fanden  feierliche  Handlungen  statt. ^ 
Dass  dies  Fest  der  Tellus  galt,  ist  ausdrücklich  bezeugt;^)  seine  Ergän- 
zung findet  es  in  den  vier  Tage  später,^)  am  19.  April,  stattfindenden 
Cerialia,  an  denen  die  mit  Tellus  im  altrömischen  Kulte  aufs  engste  ver- 
bundene Göttin  des  pflanzlichen  Wachstums  Ceres  *®)  gefeiert  wird.    Die 


*)  Eigentlich  Cerrus  (Kerrua,  vgl.  Büe- 
CBELKR,  Umbrica  p.  98  f.),  mit  Ceres  direkt 
msammenhängend  als  adjektivische  Bildung 
Cer{e)B'U8f  Cerrtia. 

«)  Paul.  p.  122.  Varro  de  I.  I.  VII  26; 
vgl.  die  Gefftssinschrift  CIL  I  46  Keri  pa- 
eahm. 

*)  ZvRTAiBFF,  Syll.  inscr.  Oscar,  p.  116. 

*)  Varro  bei  August,  c.  d.  VII  23  (vgl. 
IV  10):  pontifices  ...  faeiuiU  rem  divinam 
TeUuri  TeJlumoni  AUari  RusoH;  Tellumo 
scheint  ebenso  wie  Altor  und  Rusor  eine 
Indigitation  der  Tellus  zu  sein,  während 
Varro  und  Neuere  (z.  B.  Nissen,  Pomp.  Stud. 
8.  382)  darin  ein  mftnnliches  Gegenstück  zu 
Tellus  (vgl.  den  TeUurus  bei  Mart.  Gap.  I 
49)  sehen  wollen. 


*)  Aeltere  Form  Hordicidia,  vgl.  Paul, 
p.  102.    Varro  r.  r.  II  5,  6. 

•}  Varro  de  I.  1.  VI  15.  Ovid.  fast.  IV 
629  ff. 


n  Lyd.  de  mens.  lY  49^ 


,  Ovid.  fast.  IV  634;  Lyd.  de  mens. 
IV  49  übersetzt  Tellus  mit  Jr^fitjxr^Q,  wie 
häufig  geschieht,  z.  B.  bei  der  Saecularfeier 
Zosim.  II  5  vgl.  mit  Act.  lud.  saec.  £ph. 
epigr.  VIII  p.  232  [Terra  mater), 

')  üeber  die  Bedeutung  dieses  Zeitab- 
standes s.  WissowA,  De  feriis  anni  Rom. 
p.  VIII  ff. 

^^)  Der  Name  a  creando  Serv.  Georg.  I  7; 
anders  a  gerendo  Varro  de  I.  1.  V  64.  Cic. 
nat.  deor.  11  67.  III  52;  s.  oben  Anm..  1. 


160 


Religion  nnd  Koltna  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 


nämlichen  beiden  Gottheiten  begegnen  uns  vereint  an  einem  zweiten  Feste, 
das  wie  viele  der^mit  der  Landwirtschaft  zusammenhängenden  Festfeiem 
nicht  auf  einen  bestimmten  Tag  festgelegt  war,  sondern  entsprechend 
dem  Stande  der  Feldarbeiten  eines  jeden  Jahres  angesetzt  wurde.  Es  ist 
dies  das  nach  beendeter  Aussaat  an  zwei  durch  eine  Woche  getrennten 
Tagen  ^)  des  Januar  gefeierte  Saatfest,  feriae  sementivae,  au  welchem  man 
den  beiden  Göttinnen  Spelt  opferte  und  eine  trächtige  Sau  schlachtete.*) 
Im  Zusammenhange  mit  diesem  Feste  scheint  ein  schon  beim  Beginne  der 
Aussaat  durch  einen  der  Flamines,  jedenfalls  den  (noch  in  der  Kaiserzeit 
nachweisbaren)  Flamen  Gerialis')  der  Tellus  und  Ceres  dargebrachtes  Opfer  zu 
stehen,  bei  welchem  die  Gottheit  unter  zwölf  verschiedenen  Namen  für  all 
die  einzelnen  Arbeiten  der  Landwirtschaft  und  ihren  Erfolg  angerufen 
wurde  ;^)  demgemäss  steht  auch  die  Saat,  solange  sie  sich  auf  dem  Felde 
befindet,  im  Schutze  der  Ceres,  und  wer  sich  an  jener  vergreift,  ist  der 
Göttin  mit  seinem  Leben  verfallen.^)  Ganz  entsprechend  erhalten  vor 
Beginn  der  Ernte  Tellus  und  Ceres  vereint  das  Opfer  der  porca  prcteci- 
danea,^)  das  zu  den  regelmässigen  Opfern  des  Landmannes  gehört  und  wie 
die  Fornacalia,  Parilia,  Compitalia  zu  den  popularia  sacra  gerechnet  wird 
(Fest.  p.  253):  es  ist  eine  heilige  Handlung  von  doppelter  Bedeutung, 
einerseits  Einleitung  der  Ernte,  andererseits  zugleich  ein  Sühnopfer  für 
eine  etwa  vorgefallene  Verletzung  des  ins  manium;  ursprünglich  wurde 
die  porca  praecidanea  nur  von  dem  geopfert,  der  im  Laufe  des  Jahres  eine 
ihm  zustehende  Pflicht  der  Beerdigung  nicht  oder  nicht  gehörig  erfüllt 
hatte  (qui  mortuo  iusta  non  fecisset),  nachher  aber  wurde  der  Brauch,  wohl 
in  der  Annahme;  dass  jeder  eine  vielleicht  unbewusste  Versündigung  dieser 
Art  zu  sühnen  habe,  ein  allgemeiner,^)  und  schliesslich  war,  wie  die  vonCato 
gegebene  Beschreibung  der  Ceremonie  zeigt,  dem  opfernden  Landmanne 
nur  noch  die  Beziehung  auf  die  Ernte  klar  bewusst.  Diese  Verschiebung 
findet  auch  darin  ihren  Ausdruck,  dass  die  meisten  Zeugen  als  EmpflLngerin 
des  Opfers  nur  Ceres  nennen:^)  denn  von  den  beiden  Beziehungen  der 
heiligen  Handlung  ist  offenbar  die  auf  den  Totendienst  mehr  in  Tellus 
verkörpert,  die  uns  hier  in  einer  auch  sonst  nachweisbaren  (s.  unten)  Ver- 
bindung mit  den  Di  manes  entgegentritt,  während  der  Ceres  als  der  Göttin 
des  Wachstums  das  Ernteopfer  ebenso  gilt,  wie  ihr  auch  als  besondere 
Weihegabe  der  erste  Ährenschnitt,  das  praemetium,  zukonmit.*) 

^)  Lyd.  de  mens.  III  6. 

»)  Ovid.  fast.  I  657  ff.  Varro  de  1.  1. 
VI  26.  Paul.  p.  337.  Für  Tellus  und  Ceres 
(Ovid.  V.  671.  673)  nennt  Lyd.  de  mens.  III  6 
JrjufjtfjQ  und  Koqij.  Die  Beteiligung  der 
Tellus  geht  auch  aus  Varro  r.  r.  I  2, 1  hervor. 

')  fiamini  Ceriali  Romae  Inschrift  von 
Mevania  Arch.  epigr.  Mitt.  XV  29  =  CIL 
XI  5028. 

*)  Serv.  Georg.  I  21 :  Fabius  Picior  hos 
de08  enumerat,  quo8  invocat  flamen  sacrum 
ceriale  faciens  Telluri  et  Cereri:  Vervactorem, 
Redaratorem  (Hs.  Reparatorem),  Itnporcito- 
rem,  Insitorenif  Obaratorem,  Occaioremf  Sarri- 
torem,  Subruneinatorem,  Measorem,  Convec- 
tarem,  Conditorem,  Promitorem, 


^)  Paul.  p.  319;  vgl.  235. 

*)  Frugem  quidem  aratro  quaesUam  für- 
Hm  noctu  pavisse  ac  secuisse  jmberi  XII  ta- 
btUis  capital  erat  suspensumgue  Cereri  necari 
iubebant,  Plin.  n.  h.  XVIII  12. 

*)  Cato  agric.  134.  Varro  bei  Non. 
p.  163.  Paul.  p.  219.  223.  Gell.  IV  6.  7. 
Mar.  Vict.  p.  25;  auch  die  Bemerkung  des 
Fest.  p.  238,  dass  man  der  Ceres  bei  einer 
bestimmten  Gelegenheit  anstatt  des  Opfer- 
tieres eine  goldne  und  eine  silberne  porca 
dargebracht  habe,  bezieht  sich  vielleicht  auf 
dieses  Opfer. 

")Vgl.LüBBBBT,Commentat.pontific.p.78. 

')  Beide  Göttinnen  hat  nur  Varro  bei 
Non.  p.  163. 


A«  Di  indigetea.    29.  Gottheiten  der  Erde  nnd  des  Landbana. 


161 


Bei  all  diesen  Gelegenheiten  ist  die  Verbindung  von  Tellus  und 
Ceres  eine  alte  und  ursprüngliche;  dagegen  scheint  in  andern  Fällen  letzt- 
genannte Göttin  erst  unter  dem  Einflüsse  griechischer  Vorstellungen,  durch 
welche  ja  der  römische  Geresdienst  eine  völlige  Umgestaltung  erfuhr  (s. 
unten  §  46),  neben  die  Erdgöttin  getreten  zu  sein  oder  sie  gar  verdrängt 
zu  haben.  Wenn  am  Stiftungstage  des  unten  zu  erwähnenden  Tellus- 
tempels  ausser  Tellus  auch  Ceres  ein  Opfer  erhält,  so  zeigt  die  Erwähnung 
eines  lectisternium  bei  dieser  Gelegenheit,^)  dass  wir  es  hier  mit  dem  grie- 
chischen Kulte  zu  thun  haben,  und  wenn  einmal*)  bei  der  römischen  Ehe- 
schliessung auch  Ceres  erwähnt  wird,  so  ist  sie  jedenfalls  unter  dem  Ein- 
flüsse der  griechischen  Jri^rivrjQ  &€afio^Qog^)  an  die  Stelle  der  Tellus  ge- 
treten, deren  Anrufung  bei  der  Eheschliessung  gut  bezeugt  ist>)  Auch 
das  angesichts  der  Leiche  dargebrachte  Opfer  der  praesentanea  porca,  dessen 
Empfängerin  nach  Fest.  p.  250  (vgl.  Mar.  Vict.  p.  25)  Ceres  war,  hat  wohl 
von  Haus  aus  der  Tellus  oder  höchstens,  wie  die  porca  praeddanea,  Tellus 
und  Ceres  gemeinsam  gegolten,  und  die  Bezeichnung  der  Unterweltsöffnung 
als  mundus  Cereris^)  ist  ebensowenig  das  Ursprüngliche  (s.  unten  §  35) 
wie  die  Angabe,  dass  der  mundus  den  griechischen  Göttern  Dis  und  Pro- 
serpina heilig  sei  (Macr.  S.  I  16,  17).  Im  sicher  überlieferten  altrömischen 
Ritual  erscheint  als  Vertreterin  der  Unterwelt  nie  Ceres,  sondern  nur 
Tellus;  so  namentlich  in  der  Devotionsformel,  wo  der  Devovierende  sich 
und  das  Heer  der  Feinde  Telluri  ac  dis  manibus  weiht*)  und  am  Schlüsse 
Tellus  mater  und  Juppiter  pater  zu  Zeugen  genommen  und  als  Vertreter 
der  unterirdischen  und  der  himmlischen  Götter  dadurch  gekennzeichnet 
werden,  dass  der  Sprechende  bei  dem  Namen  Tellus  mit  den  Händen  die 
Erde  berührt,  bei  dem  Namen  Juppiter  dieselben  gen  Himmel  erhebt  (Macr. 
S.  m  9,  11  f.). 

Durch  dieses  Eindringen  griechischer  Vorstellungen  ist  der  alte  Kult 
der  Tellus  immer  mehr  zurückgedrängt  worden.  Der  auffallendste  Beweis 
dafür  ist  die  Thatsache,  dass  bei  den  Gebeten  und  Opfern  der  Arvalbrüder 
ihrer  überhaupt  nicht  gedacht  wird;  doch  gibt  es  dafür  wohl  eine  Er- 
klärung: der  Name  Dea  Dia,  den  die  von  den  Ackerbrüdern  in  erster 
Linie  verehrte  Gottheit  führt,  ist  ebensowenig  ein  Eigenname  wie  z.  B. 
Bona  dea,  sondern  nur  der  Beiname  einer  Gottheit,  deren  individuelle  Be- 


>)  CIL  P  p.  336  f. 

*)  Paul.  p.  87 :  facem  in  nuptiis  in  hono- 
rem Cereris  praeferebant.  Dies  ist  das  ein- 
zige Zeugnis,  denn  die  Stelle  des  Licinins 
Galvus  bei  Serv.  Aen.  IV  58  bezieht  sich 
offenbar  auf  die  griechische  Demeter,  und 
die  eigenen  Ausführungen  des  Servius  sind 
ebenso  willkürlich  wie  seine  Angabe  (Aen. 
III  139)  über  Ceres  als  Göttin  der  Eheschei- 
dung, die  Rossbach,  Rom.  Ehe  S.  134.  302 
mit  Unrecht  ernst  nimmt;  Plut.  Romul.  22 
beweist  jedenfalls  nichts  dafür;  s.  unten 
§46. 

•)  Legifera  Ceres  bei  Verg.  Aen.  IV  58. 
Ueber  Demeter  als  Ehegöttin  vgl.  Flut,  praec. 
coning.  Auf. 

Buidbuoh  der  tili.  AltertnnMWlMeiiMbalt.  V,  4. 


*)  Verg.  Aen.  IV  166  und  Serv.  z.  d.  St.: 
quidam  sane  Tellur em  praeesae  nuptiis  trc^ 
duni:  nam  et  in  auspiciis  nuptiarum  vocatur; 
cui  etiam  virgines  vel  cum  ire  cid  domum 
mariti  coeperint  vel  iam  ibi  positae  diversis 
nominibtM  vel  ritu  sacrificant, 

^)  Fest.  p.  142;  vgl.  die  sacerdos  Cericdis 
mundalis  in  Capua,  CIL  X  3926. 

•)  Liv.  VIII  6,  10.  9,  8.  X  28,  13.  Aehn- 
lich  auch  in  Verwünschungen  z.  B.  Suet. 
Tib.  75.  Aur.  Vict.  Caes.  33,  31.  Dieselbe 
Verbindung  auf  einer  römischen  Grabschrift 
CIL  VI  16398  (vgl.  Bull.  arch.  com.  XIV 
1886,  281):  Dis  manibus  et  Terrae  matri 
trium  Corneliorum. 


11 


162 


Religion  und  Knltna  der  Bömer.    ü.  GOtterlehre. 


Zeichnung  hinter  diesem  verschwunden  ist,  und  es  kann  wohl  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  dieser  Beiname  ursprünglich  entweder  der  Tellus 
oder  der  mit  ihr  eng  verbundenen  italischen  Ceres  zukam  ^).  Ein  Heilig- 
tum der  Tellus  mag  sich  von  alters  her  am  Abhänge  des  Esquilin  in  der^ 
selben  Gegend  befunden  haben,  wo  die  Göttin  seit  dem  J.  486  =  268  einen 
vom  Consul  Ti.  Sempronius  Sophus  bei  Gelegenheit  eines  Erdbebens  im 
Kampfe  mit  den  Picentern  gelobten  ansehnlichen  Tempel  besass.*)  Dedi- 
cationen  an  Tellus  oder,  wie  sie  später  häufiger  genannt  wird.  Terra  mater, 
sind  verhältnismässig  selten,^)  von  besonderem  Interesse  ist  eine  durch 
die  Inschrift  Terrae  matri  deae  piae  gesicherte  statuarische  Darstellung,^) 
in  welcher  die  Göttin  im  Gegensatz  zu  der  auch  auf  römischen  Denk- 
mälern häufig  begegnenden  griechischen  Bildung  der  gelagerten  Erd- 
göttin ^)  in  einer  Aedicula  thronend  erscheint,  verschleiert,  mit  Ähren  be- 
ki'änzt,  Scepter  und  Opferschale  in  den  Händen. 

In  unmittelbarer  Nachbarschaft  der  Hauptfeste  von  Tellus  und  Ceres, 
Fordicidia  und  Cerialia,  liegen  (abgesehen  von  den  vier  Tage  nach  den 
Cerialia  am  23.  April  stattfindenden  Vinalia,  s.  oben  S.  102)  noch  mehrere 
Festlichkeiten  von  Gottheiten  verwandter  Art,  die  im  Frühjahr  für  das 
Gedeihen  der  Frucht  und  die  Fernhaltung  alles  Feldschadens  angerufen 
werden.*)  In  letzterer  Hinsicht  feierte  man  insbesondere  am  25.  April 
zur  Abwehr  des  Rostes  von  den  Getreidefeldern  die  Robigalia,^)  an  denen 
man  in  feierlicher  Prozession  zu  dem  am  5.  Meilensteine  der  Via  Claudia 
gelegenen  Haine  des  Robigus^)  zog  und  vom  Flamen  Quirinalis  ein  Hund 
geopfert  wurde.  Die  örtlichkeit*)  ist  wohl  gewählt  als  einer  der  Grenz- 
punkte der  alten  römischen  Feldmark,  von  der  die  Gefahr  durch  Opfer 
und  Gebet  femgehalten  werden  sollte  und  welche  in  früheren  Zeiten, 
als  die  Gemarkung  noch  klein  war,  von  der  Prozession  wahrscheinlich 
ganz  umwandelt  worden  war,  die  Zeit  mit  Rücksicht  darauf,  dass  gerade 
im  Frühjahr  das  Getreide  der  Rostkrankheit  am  meisten  ausgesetzt  ist; 
das  Hundsopfer  spielt  im  ländlichen   Kulte  überhaupt  eine  grosse  Rolle 


')  Benzen,  Act.  fr,  Arv.  p.  48.  Eine 
andere  Indigitation  derselben  Göttin  ist  viel- 
leicht auch  der  Doppelname  Panda  Cela:  s. 
Varro  Menipp.  frg.  506  Buech.  und  mehr 
bei  R.  Peteb  in  Roschers  Lexik.  II  210  f. 

»j  Flor.  I  14.  CIL  I«  p.  337.  Gilbert, 
Topogr.  I  193  ff.  III  356.  C.  L.  Visconti, 
Bull.  arch.  com.  XV  1887,  248  f.  Elteb,  De 
forma  urbis  Romae  I  19.  Lanciani,  BuU. 
arch.  com.  XX  1892,  32  ff.  Hülsen,  Rom. 
Mitt.  Vlil  1893,  301  f. 

»)  Tellus  CIL  II  2526.  VI  769.  772.  VIII 
8305.  8246.  8247.  8309.  X  6104;  Terra  mater 
(stets  so)  II  3527.  lU  996.  1152.  1284.  1285. 
1364.  1555.  1599.  6313.  VI  770.  771.  3731. 
XII  359.  XIV  67. 

*)  Bull.  arch.  com.  I  1872  Taf.  III.  CIL 
VI  3731. 

<")  B.  Stark,  De  Tellure  dea  (Jena  1848) 
p.  36  ff. 

')  Mit  einem  dieser  Feste  wird  der  dies 


tinearum  ac  murium  identisch  sein,  gegen 
dessen  Feier  noch  im  6.  Jhdt.  Martin  von 
Bracara  (de  correct.  rustic.  c.  11,  vgl.  Caspari 
z.  d.  St.)  predigt;  mit  welchem,  ist  nicht 
sicher  zu  sagen. 

»)  Varro  de  1.  1.  VI  16;  de  r.  r.  I  1,  6. 
Fast.  Praen.  Paul.  p.  267.  Plin.  n.  h.  XVIII 
285.  Ovid.  fast.  IV  905  ff.  Colum.  X  342  f. 
Serv.  Georg.  I  151. 

*)  Dass  nur  diese  Namensform  gut  tiber- 
liefert ist,  betont  mit  Recht  Jordan  zu 
Prbllkr,  R.  M.  II  44,  2;  Sobigus  bieten  die 
fast.  Praen.,  Varro,  Paulus,  Plinius,  Servins 
aa.  00.,  ausserdem  Gell.  V  12,  14,  eine 
Göttin  kohigo  kennen  nur  Ovid  und  Colu- 
mella  aa.  00.  und  aus  ihnen  die  Kirchen- 
väter (Tertull.  de  spect.  5.  Lact.  I  20,  17. 
August,  c.  d.  IV  21). 

•)  Vgl.  über  diese  Mousrn  CIL  P 
p.  316  f.  UsEKER,  Religionsgesch.  Untersuch. 
I  299  f. 


A.  Di  indigetea.    29.  Gottheiten  der  Erde  nnd  des  Landbana. 


163 


und  wird  z.  B.  als  geläufiges  Sühnopfer  vom  Bauer  in  dem  Falle  dar- 
gebracht, dass  er  sich  genötigt  sieht,  eine  dringende  Arbeit  ausnahms- 
weise an  einem  dies  feriatus  vorzunehmen.  ^  In  demselben  Sinne  wie  an 
den  Robigalia  findet  das  Hundsopfer  von  Staatswegeh  noch  einmal  statt, 
bei  dem  sogenannten  Augurium  canarium,  welches  alljährlich  an 
einem  von  den  Pontifices  eigens  dafür  anberaumten  Tage  durch  ein  Opfer 
rötlicher  Hunde  begangen  wurde,*)  und  zwar  zu  der  Zeit,  wo  die  Ähren 
des  Getreides  noch  in  den  Scheiden  lagerten,')  also  nicht  weit  entfernt 
von  den  Robigalia:  dass  es  trotzdem  verschiedene  Festlichkeiten  waren, 
geht  einerseits  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  das  sacrum  canarium  zu 
den  feriae  conceptivae  gehörte,  während  die  Robigalia  an  einen  bestimmten 
Tag  ein  für  allemal  gebunden  waren,  andererseits  aus  der  Verschieden- 
heit des  Ortes,  da  das  Augurium  canarium  nicht,  wie  die  Robigalia, 
an  der  Grenze  der  römischen  Flur,  sondern  unweit  eines  römischen 
Stadtthores  stattfand,  das  davon  Porta  Catularia  hiess  (Paul.  p.  45) :  der 
aus  der  Übereinstimmung  von  Zeit,  Bestimmung  und  Opfertieren  zu  er- 
schliessende  Zusammenhang  beider  Opfer  lässt  sich  im  einzelnen  nicht 
mehr  genau  erkennen:  doch  sind  die  rötlichen  Hunde,  die  hier  geopfert 
werden,  gewiss  ebenso  ein  Symbol  des  die  Saaten  verheerenden  Sonnen- 
brandes, wie  die  Füchse,  die  man  nach  altem  Brauche  am  Feste  der 
Cerialia  hetzte,  nachdem  man  ihnen  brennende  Fackeln  an  die  Schwänze 
gebunden  hatte  (Ovid.  fast.  IV  681  f.). 

Zusammen  mit  den  Robigalia  pflegen  die  alten  Gewährsmänner  die 
Floralia  zu  nennen  als  eine  Feier,  die  in  derselben  Weise  der  Fürbitte 
für  das  blühende  Getreide  gelte,  wie  die  Robigalia  der  für  Erhaltung  des 
sprossenden.^)  Jedoch  besteht  zwischen  beiden  ein  tiefgreifender  Unter- 
schied insofern,  als  die  Robigalia  zu  den  Feriae  der  ältesten  Festtafel  ge- 
hören, während  die  Ludi  Florales  erst  in  verhältnismässig  später  Zeit  ein- 
gesetzt sind.  Im  J.  516  =  238  nämlich  wurde  auf  Anordnung  der  sibyl- 
linischen  Bücher  beim  Circus  maximus  ein  Tempel  der  Flora  erbaut^) 
und  am  28.  April  durch  Spiele  eingeweiht,  welche  seit  dem  J.  581  ==  178 
ständig  wurden  und  in  der  caesarischen  Zeit  volle  6  Tage  (28.  April  bis 
3.  Mai)  dauerten.  <^)  Die  Erwähnung  der  sibyllinischen  Bücher  und  der 
ausgelassene  Charakter  der  Spiele,  bei  denen  besonders  Mimen  aufgeführt 
wurden  und  die  Tänzerinnen  auf  Verlangen  des  Publikums  nackt  auftreten 
mussten,^)  lassen  keinen  Zweifel  daran  aufkommen,  dass  hier  ein  griechi- 
scher Eult^)   unter  dem  Deckmantel   eines   italischen  Namens  eingeführt 


*)  Colmn.  II  21,  4:  sed  ne  aementeni 
quidemadministrare,  niaiprius  catulo  feceris, 
nee  faenum  seeare,  vineire  atU  vehere  ac  ne 
vindemiam  quidem  cogi  per  religiones  ponti- 
fieum  feriis  licet  nee  oves  (andere,  nisi  ai 
eatido  feeeria, 

«)  Fest.  p.  285.  Philargyr.  zu  Verg. 
Georg.  IV  425. 

*)  Plin.  n.  h.  XVIII  14:  üa  enim  est  in 
commentariis  pontifieum:  augurio  eanario 
agendo  dies  eonatituantur  priusquam  fru- 
metUa  vaginia  exeant  nee  antequam  in  vaginaa 
perveniant. 


*)  Varro  r.  r.  I  1,  6.  Plin.  n.  h.  XVIII 
285  f. 

»)  Plin.  n.  h.  XVIII  286.  Vell.  Fat  l  14, 
8.  Tac.  ann.  II  49.  Der  Tempel  wurde  wieder- 
holt restauriert,  zuletzt  noch  im  J.  391  durch 
Q.  Aurelius  Symmachus;  vgl.  Ausr,  De 
aedib.  sacr.  p.  17  Nr.  37. 

>)  MOMMBEN  CIL  V  p.  317. 

^)  Die  Zeugnisse  bei  Mabquardt.  Staats- 
verw.  III  379.  502;  in  der  Eaiserzeit  wurden 
die  Spiele  auch  ausserhalb  Roms  begangen, 
CIL  VIII  6958. 

")  Eine  nfthere  Bestimmung  desselben 

11* 


164 


Religion  und  Knltna  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


wurde.  Von  Haus  aus  jedoch  ist  Flora  eine  italische  Göttin,  deren  Ver- 
ehrung sich  noch  bei  den  Oskern  und  Sabinern  nachweisen  lässt^)  and 
von  welcher  bei  den  letzteren  ein  Monat  den  Namen  mese  Flusare  (=  mensis 
Floralis)  führte.')  Dass  sie  schon  im  ältesten  römischen  Gottesdienste  ihre 
Stelle  hatte,  wird  bewiesen  zwar  nicht  durch  die  Angabe  des  Varro  (de 
1. 1.  V  74),  dass  T.  Tatius  ihr  in  Rom  einen  Altar  gestiftet  habe,  wohl 
aber  durch  das  Vorhandensein  eines  eigenen  Flamen  Floralis')  sowie  durch 
die  Thatsache,  dass  die  Arvalbrüder,  deren  Piacularopfer  nur  an  alt- 
römische Gottheiten  gerichtet  sind,  auch  ihr  opfern.^)  Wenn  die  älteste 
Festtafel  keine  Feier  der  Flora  anführt,  so  erklärt  sich  das  wohl  daraus, 
dass  dieselbe  wie  andre  ländliche  Feste  conceptiv  war;  wir  werden  kaum 
fehlgehen  mit  der  Annahme,  dass  schon  in  ältester  Zeit  ein  wandelbares 
Fest  der  Flora  alljährlich  Ende  April  oder  Anfang  Mai  gefeiert  wurde, 
das  nachher  durch  die  Ludi  Florales  zurückgedrängt  wurde;  der  Name 
steht  vielleicht  noch  bei  Paul.  p.  91 :  FlorifeHum  dictum,  quod  eo  die  spicae 
feruntur  ad  sacrarium  <Florae>.^)  Das  Heiligtum  der  alten  italischen  rustica 
Flora  (Martial.  V  22,  4)  lag  auf  dem  Quirinal,  zwischen  dem  Quirinus- 
tempel  und  dem  Capitolium  vetus,®)  und  bestand  noch  am  Ausgange  des 
Altertums;  doch  war  es  kaum  eine  wirkliche  aedes  sacra  —  die  Ealen- 
darien  verzeichnen  den  Stiftungstag  nicht  —  sondern  nur  ein  bescheidnes 
sacellum.  Jedenfalls  aber  zeigt  der  Fortbestand  dieses  Heiligtums  und 
des  Flamen  Floralis,  sowie  die  Stelle  der  Göttin  im  Dienste  der  Arvalen,^) 
dass  die  altrömische  Flora  durch  den  griechischen  Kult  gleichen  Namens 
nicht  völlig  verdrängt  wurde,  sondern  neben  ihm  weiterlebte. 

Dass  wie  die  Blüte,  so  auch  die  Frucht  in  der  ältesten  römischen 
Götterordnung  ihren  eignen  Vertreter  und  Beschirmer  besass,  beweist  das 
Vorhandensein  eines  Flamen  Pomonalis,  der  in  der  Rangfolge  der  Flamines 
die  unterste  Stelle  einnahm;^)  ein  Pomonal,  wohl  ein  heiliger  Hain,  lag 
zwölf  Milien  von  Rom  entfernt  seitwärts  der  Strasse  nach  Ostia.*)  Er- 
gänzt werden  diese  spärlichen  Zeugnisse  durch  sakrale  Urkunden  der  ver- 
wandten italischen  Stämme:  in  den  iguvinischen  Tafeln  begegnet  uns  ein 
Götterpaar  Puemunus  publicus  mit  Vesuna  Puemuni  publici,^^)  und  wenn 
sich  auch  der  Name  der  letztgenannten,  auch  bei  den  Marsern  verehrten ^^) 


erscheint  nnmöglicli ;  Ovids  Deutung  (fast. 
V  195  ff.)  auf  Ghloris  beruht  wohl  nur  auf 
Kombination. 

')  Auf  der  Tafel  von  Agnone  (Zyetaieff, 
Inscr.  It.  inf.  dial.  Nr.  87)  und  auf  einer 
oskischen  Inschrift  von  Pompeji,  Zvetaieff 
a.  a.  0.  Nr.  147. 

*)  Zvetaieff  a.  a.  0.  Nr.  10  und  CIL  IX 
3518. 

»)  Varro  de  1. 1.  VII  45;  das  Amt  wird 
noch  in  der  Eaiserzeit  besetzt,  CIL  IX  705. 

*)  Benzen,  Act.  fr.  Arv.  p.  146. 

*)  Varro  de  1.  1.  V  158.  Vitruv.  VII  9, 
4;  vgl.  Bbgkbr,  Topogr.  S.  577.  Ht^LSBN, 
Rhein.  Mus.  XLIX  407. 

^)  Diese  Ergänzung  scheint  durch  die 
von  Verrius  Flacous  vorgeschlagene  Ety- 
mologie gefordert;  diese  selbst  aber  ist  kaum 


zutreffend,  sondern  der  Name  hängt  wohl 
mit  fertum  (eine  Art  Opferkuchen)  zusammen. 

')  Weihinschriften  sind  selten:  CIL  XIV 
8486.  £ph.  epigr.  IV  725  (vervollständigt 
Bull.  arch.  com.  X  1882,  149  f.). 

8)  Fest.  p.  154.  Varro  de  1. 1.  Vn  45. 

^)  Fest.  p.  250;  vgl.  Desjabdins,  Essai 
sur  la  topographie  du  Latium  (Paris  1854) 
p.  218. 

^^)  BüECHELBE,  Umbrica  p.  162.  Auf  einem 
etruskischen  Spiegel  (Gebhard-Eobbte,  Etr. 
Spiegel.  V  Taf.  85)  ist  Vesuna  mit  Phuphluns 
ebenso  gepaart  wie  sonst  Ariadne,  doch  be- 
tont Koebte  im  Text  S.  45  f.  mit  Recht, 
dass  wir  daraus  auf  die  Bedeutung  der 
Vesuna  keine  Rückschlüsse  ziehen  dürfen. 
^0  Vesune  Erinie  et  Erine  patre  CIL  IX 
3808  =  Zvetaieff,    Inscr.  Ital.  infer.  dial. 


A.  Di  indigetea.    29.  Gottheiten  der  Erde  nnd  des  Landbana. 


165 


Göttin  einer  sicheren  Erklärung  entzieht,  so  wird  man  doch  den  Zusammen- 
hang des  umbrischen  Puemunus  mit  der  römischen  Pomona  um  so  we- 
niger in  Zweifel  ziehen  dürfen,  als  sich  auch  bei  den  Sabinern  von  Ami- 
temum^)  und  in  Unteritalien  dieselbe  Gottheit  unter  dem  Namen  Poimunis 
oder  Pomonis  findet.^)  Es  muss  dahingestellt  bleiben,  ob  es  in  Rom  ur- 
sprünglich ein  Götterpaar  Pomonus  und  Pomona  (wie  Faunus  und  Fauna 
u.  a.)  gab,  oder  ob  Pomonal  und  Flamen  Pomonalis  in  der  That  zu  einem 
männlichen  Pomonus  gehören  und  dies  Verhältnis  erst  später  dadurch 
verkannt  wurde,  dass  man  eine  Göttin  Pomona  ansetzte.  3)  Jedenfalls 
beruht  es  auf  ganz  freier  Erfindung,  wenn  Ovid  von  der  Werbung  des 
Vertumnus  um  Pomona  zu  erzählen  weiss  (met.  XIV  623  flf.)  oder  andre 
sie  zur  Gemahlin  des  durch  Circo  in  einen  Specht  verwandelten  Laurenter- 
königs  Picus  machten.^) 

Mitten  unter  den  Festen  des  April,  zwischen  den  Fordicidia  und 
Cerialia  auf  der  einen,  den  Robigalia  und  dem  wahrscheinlich  anzuneh- 
menden wandelbaren  Florafeste  auf  der  andern  Seite  steht  das  Hauptfest 
der  Hirten  und  Viehzüchter, *)  die  Parilia  (21.  April).  Der  Name,  durch 
Dissimilation  B,\xa  Palüia  gebildet,*)  weist  auf  eine  Gottheit  Namens  Pa/^; 
aber  während  die  Späteren  durchweg  von  einer  dea  Poles  reden,  bezeugt 
uns  Varro  die  Existenz  eines  männlichen  Pales,^)  und  da  es  ebensowenig 
angeht,  dieses  Zeugnis  einfach  zu  verwerfen,  wie  ein  Götterpaar  von  zwei 
Gottheiten  gleichen  Namens  aber  verschiedenen  Geschlechtes  anzusetzen, 
so  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  dass,  was  soeben  für  Pomonus-Pomona 
als  Möglichkeit  hingestellt  wurde,  bei  Pales  wirklich  geschehen  ist,  dass 
nämlich  die  nur  von  dem  Feste  ausgehende  Kombination  aus  diesem  will- 
kürlich auf  eine  weibliche  Gottheit  schloss,  während  dem  Varro  noch 
Zeugnisse  dafür  vorlagen,  dass  der  älteste  Kultus  Pales  männlich  aufTasste. 
Leider  wissen  wir  von  dem  im  J.  487  =  267  von  M.  Atilius  Regulus  ge- 
lobten templum  Palis  nichts  weiter  als  die  Thatsache  seiner  Existenz^)  und 
kennen  weder  das  Geschlecht  der  Gottheit,  welcher  es  galt,  noch  die  Lage 
des  Heiligtums.  Ein  weibliches  Gegenstück  zu  dem  männlichen  Pales  ist 
wahrscheinlich  die  dem  Namen  nach  von  ihm  nicht  zu  trennende  diva 
PaUiiua,  welche  einen  eignen  Flamen  Palatualis  besass^)  und  von  der  Berg- 


Nr.  41,  Tgl.  ebd.  Nr.  43  Vesune;  über  die 
hier  neben  ihr  erscheinende  männliche  Gott- 
heit ist  nichts  zu  ermitteln. 

*)  ZvBTAiEFF  a.  a.  0.  Nr.  10:  mesene 
flusare  poimunien  atmo,  von  Deecke  bei 
Zybtaibff  p.  176  erklärt  als  Poimuni  en 
Äterno  =  Fomoni  in  A{mi)terno.  Vgl.  Büe- 
cuELEB,  Umbr.  p.  158  f. 

')  CIL  X  581:  ad  exornandam  aedem 
Pomonis. 

')  Identisch  mit  ihr  ist  wohl  kaum  die 
Poemana  der  spanischen  Inschrift  CIL  II 
257a. 

*)  8erv.  Aen.  VII  190;  bei  Verg.  Aen. 
VIF  189  und  Val.  Flacc.  VII  232  (vgl.  Plut. 
Q.  R.  21)  ist  Circe  selbst  Gattin  des  Picus, 
bei  Ovid.  met.  XIV  320  ff.  eine  Nymphe 
Canens.   Vgl.  Wissowa,   Philol.  Abhandl.  M. 


Hertz  dargebr.  S.  163  f. 

^)  Ungewissen  Alters  sind  die  nur  ein- 
mal (Plin.  n.  h.  XVill  12)  erwähnten  houm 
causa  gefeierten  Judi  bubetiif  die  wohl  mit 
der  Göttin  Bubona  (August,  c.  d.  IV  24.  34) 
zusammenhängen. 

^)  üeber  den  Namen  s.  Gobssbn,  Aus- 
sprache I  223.  Falsche  Ableitungen  apartu 
pecoris  Paul.  p.  222,  a  partu  Iliae  Solin.  1, 
19.  Charis.  p.  58  E.  Schol.  Pers.  I  72.  Polem. 
Silv. 

^)  Serv.  Georg.  III  1 ;  vgl.  Amob.  III  40. 
Mart.  Cap.  I  50. 

•)  Flor.  I  20.   Schol.  Veron.  Verg.  Georg. 

in  1. 

•)  Varro  de  I.  1.  VII  45.  Fest.  p.  245; 
nicht  verschieden  von  ihm  ist  der  (ritter- 
liche) pontifex  Palatualis  CIL  VIII  10500. 


166  Religion  nnd  KoltoB  der  Eömer.    IL  GOtterlehre. 

gemeinde  {montani)  des  Palatin  als  besondre  Schutzgottheit  verehrt  und 
beim  Feste  des  Septimontium  durch  ein  Opfer,  Pcdafuar  genannt,  gefeiert 
wurde  (Fest.  p.  348):  in  der  augusteischen  Zeit  war  diese  Diva  Palatua 
ebenso  verschollen  wie  der  männliche  Pales  und  an  beider  Stelle  die  Qöttin 
Pales  getreten,  von  der  aber  niemand  etwas  anderes  zu  erzählen  weiss, 
als  dass  ihr  das  Fest  der  Parilia  gelte.  Dieses  Fest  selbst  mit  seinen 
uns  von  Augenzeugen  ausführlich  beschriebenen  Bräuchen  gibt  über  die 
Beschaffenheit  des  ganzen  Kultes  hinreichende  Auskunft.  Die  Feier  war 
sowohl  eine  staatliche  wie  eine  private,*)  doch  nur  von  der  letzteren  haben 
wir  genauere  Kunde.  ^)  Man  beging  das  Fest  als  Sühnfeier  für  Herden 
und  Hirten:  die  Vestalinnen  verteilen  an  jedermann  die  Sühnmittel,  näm- 
lich die  Asche  der  an  den  Fordicidia  aus  den  fordae  boves  herausgeschnit- 
tenen und  verbrannten  Kälber,  das  Blut  des  Oktoberrosses  und  Bohnen- 
stroh, die  Ställe  werden  ausgefegt  und  bekränzt,  vermittels  eines  Lorbeer- 
zweiges besprengt  und  mit  Schwefel  ausgeräuchert;  die  Opfer  sind  un- 
blutige,^) Kuchen,  Milch  und  ländliche  Speisen,  und  ein  lustiges,  oft  aus- 
gelassenes Mahl  krönt  das  Fest.  Der  wichtigste  Festbrauch  aber  besteht 
darin,  dass  man  Feuer  von  Stroh  und  Heu  anzündet  und  dann  durch  die- 
selben hindurchspringt,  auch  wohl  die  Herden  darüber  hinwegtreibt,  wie 
die  Alten  selbst  deutlich  erkannten,  ein  Akt  der  Lustration,^)  für  den 
Yiehstand  von  ähnlicher  Bedeutung  wie  die  lusfratio  agri  für  die  Felder. 
Wenn  man  später  —  wir  können  nicht  feststellen,  seit  wann*)  —  die 
Parilien  als  Gründungstag  der  Stadt  Rom  feierte,  so  kann  der  Grund 
dafür  kaum  ein  anderer  gewesen  sein  als  der,  dass  Pales-Palatua  aufs 
engste  mit  dem  Palatin,  dem  Orte  der  ersten  Ansiedlung,  zusammenhängen. 
Schon  zu  Caesars  Zeit  einmal  eine  Weile  mit  Circusspielen  gefeiert,  •)  er- 
hielt das  Fest  seit  Hadrian  unter  dem  Namen 'Pcö^ar«  (Athen.  VHI  361  P) 
eine  besonders  glänzende  Ausstattung  und  wurde  noch  im  5.  Jahrhundert 

als  natalis  urbis  Romae  festlich  begangen.*^) 

Litteratur:  Pbeller-Jordan,  Rom.  Mythologie  II  1  ff.  Wissowa,  Real-Encykl.  III 
1970  ff. 

30.  Gonsus  und  Ops.  In  Consus  und  Ops  haben  wir  ein  altes  Paar 
von  Göttern  des  Erntesegens  vor  uns.  Consus  ist  ebensowohl  durch  seinen 
Namen  wie  durch  die  Festzeiten  und  das  Ritual  seines  Kultes  als  agra- 
rische Gottheit  deutlich  gekennzeichnet.  Der  Name,  früher  fälschlich  wie 
Cofisevius  u.  a.  mit  der  Wurzel  sa-  säen  in  Beziehung  gesetzt,®)  ist  rait 
Sicherheit  von  condere  abzuleiten  und  =  Condius  (vgl.  condus  promus 
Plaut.  Pseud.  608;  conditor  promifor  Serv.  Georg.  I  21),  bezeichnet  ihn  also 
als  den  Gott  der  glücklich  in  den  Scheuern  geborgenen  Feldfrucht.*)  Dazu 
stimmt  die  Thatsache,  dass  sein  uralter  Altar,  der  im  Circusthale  am  Süd- 


>)  Varro  bei  Schol.  Pers.  I  72.  444  f. 

•)  Ovid.  fast.  IV  721  ff.,  vgl.  Tibull.  II  •)  Cass.  Dio  XLITI  42.  XLV  6. 

5,  87  ff.   Prop.  Vi,  19.  4,  75  ff.  Pers.  I  72.  |  »)  Momksen  CIL  P  p.  316;  vgl.NissBN, 

>)  Plat.  Rom.  12.  Solin.  1,  19.  Tempium   S.  202.    Dürr,   Reisen  Hadrians 

*)  Dion.  Hai.  I  88.   Varro  bei  Pers.  I  72.  I   S.  26. 

')  Die  Sache  ist  jedenfalls  viel  älter  als  i  ")  Vgl.  namentlich  Rossbach,  R5m.  Ehe 

die   ältesten   bekannten   Zeugnisse   Cic.   de  !   S.  330  ff. 

divin.  11  98.   Varro  de  r.  r.  II  1,  9;  das  ganze  |  ^)  Momitsen  CIL  P  p.  326. 

Material    bei    Schwkglbr,    Rom.   Gesch.  I 


A.  Di  indigetes,    80.  ConsiiB  nnd  Ops. 


167 


fusse  des  Palatin  bei  den  unteren  metae  gelegen  war,^)  ein  unterirdischer 
war  und  nur  an  den  Festtagen  aufgedeckt  wurde ;  Mommsen  hat  mit  Recht 
darin  eine  Anlehnung  an  den  aus  der  ältesten  Landwirtschaft  verschie- 
dener Länder  bekannten  Brauch  gesehen,  das  Getreide  in  unterirdischen 
Räumen  aufzubewahren.  Nach  einer  vereinzelten  Nachricht  (Tertull.  de 
spect.  5)  wurde  hier  am  7.  Juli  durch  die  sacerdotes  publici,  d.  h.  die 
Pontifices,  ein  Opfer  dargebracht;  die  eigentlichen  Festtage  aber  waren  die 
Consualia,  die  im  ältesten  Kalender  an  zwei  Tagen,  dem  21.  August  und 
15.  Dezember,  verzeichnet  sind;  der  erste  Tag,  der  als  Hauptfest  aufzu- 
fassen scheint,^)  kann  als  eigentliches  Erntefest  gelten,  während  der  zweite 
vielleicht  den  Schluss  des  Ausdrusches  bezeichnet.  Die  Festfeier  trug  einen 
durchaus  ländlichen  Charakter:  Erstlinge  der  Ernte  werden  geopfert  (Dien. 
Hai.  II  31),  wir  hören  von  Turnspielen  der  Hirtenbevölkerung  (Varro  bei 
Non.  p.  21),  die  Arbeitstiere  des  Landmannes,  Pferde  und  Esel,  ruhen  und 
werden  mit  Blumen  bekränzt,")  insbesondere  aber  finden  ludi  circenses  statt, 
und  zwar  in  Form  von  Wettrennen  der  Maultiere,  die  als  die  wichtigsten 
Zugtiere  unter  dem  besonderen  Schutze  des  Consus  stehen.^)  Ein  Tempel 
wurde  dem  Consus  im  J.  482  =  272  durch  L.  Papirius  Cursor  auf  dem 
Aventin  erbaut;  sein  Stiftungstag  fiel  mit  den  Consualia  des  21.  August 
zusammen,  bis  er  bei  einer  durch  Augustus  (nach  dem  J.  7  n.  Chr.)  vor- 
genommenen Restauration  auf  den  12.  Dezember  verlegt  wurde.^)  Die 
Deutungsversuche  der  Alten  waren  wenig  glücklich:^)  teils  knüpfte  man 
an  die  Rennspiele  an^)  und  sah  daher  in  Consus  einen  Poseidon  Inniog, 
wobei  freilich  die  unterirdische  Anlage  des  Altars  keine  Erklärung  fand; 
gerade  von  dieser  gingen  andere  aus,  indem  sie  Consus  als  den  Urheber 
geheimer  Ratschläge  {Consus  ==  deus  consüii)  auffassten  und  ihn  insbeson- 
dere dem  Romulus  den  Anschlag  zum  Raube  der  Sabinerinnen,  den  die 
Überlieferung  darum  auch  auf  das  Fest  der  Consualia  verlegte,  eingeben 
Hessen.  Man  sieht,  dass  der  Gott  frühzeitig  in  Vergessenheit  gerathen 
war,  wenn  auch  sein  Fest  noch  in  augusteischer  Zeit  begangen  wurde.  ^) 


')  Varro  de  1.  1.  VI  20.  Dion.  Hall.  II 
31.  Plut.  Rom.  14.  Tert.  de  spect.  5.  8.  Serv. 
Aen.  VITI  636;  die  von  Tertall.  de  spect.  5 
mitgeteilte  Inschrift  des  Altars  Consus  con- 
süio  Mars  dueUo  Lares  f  coillo  potentes  kann 
in  dieser  Form  keinenfalls  authentisch  sein, 
wenn  auch  die  Verbindung  des  Consus  mit 
Mars  nnd  den  Laren  an  sich  wohl  ver- 
st&ndlich  wäre  (vgl.  Wissowa  in  Roschers 
Lexik.  II  1870). 

')  Varro  de  1. 1.  VI  20  erwähnt  nur  ihn, 
und  Tert.  de  spect.  5  gedenkt  eines  an 
diesem  Tage  vom  Flamen  Quirinalis  und  den 
vestalischen  Jungfrauen  an  dem  unterirdi- 
schen Altare  dargebrachten  Opfers;  auch 
dass  der  Stiftungstag  des  aventinischen 
Consusheiligtums  auf  diesen  Tag  gelegt 
wurde,  spricht  dafür,  dass  er  der  Hauptfest- 
tag war.  An  den  Consualia  des  15.  Dezember 
war  nach  den  Bruchstficken  der  praenesti- 
nischen  Fasten  der  Rex  sacrorum  irgendwie 
beteiligt.    Die  Angabe  des  Plut.  Rom.  15, 


der  die  Consualia  auf  den  18.  August  setzt, 
beruht  auf  Irrtum,  und  ihre  Verlegung  in 
den  März  bei  Serv.  Aen.  VIH  636  auf  Ver- 
wechslung mit  den  Equirria. 

»)  Plut.  Q.  R.  48.  Dion.  Hai.  I  33.  Fast. 
Praen.  z.  15.  Dec. 

*)  Dion.  Hai.  II  31.  Serv.  Aen.  VIII 
635  f.  Ps.  Ascon.  p.  142  Or.  Paul.  p.  148; 
vgl.  Mommsen,  Rom.  Forsch.  II  42  f. 

^)  AusT,  De  aedib.  sacris  p.  14.  43. 
MoMMSBN  CIL  P  p.  326. 

*)  Zeugnisse  bei  Wissowa  in  Roschers 
Lexik.  I  926. 

^)  Einige  verglichen  die  arkadischen 
'InnoxQiheia  und  erklärten  daher  den  Ar- 
kader Euander  für  den  Grflnder  des  Consus- 
kultes  (Dion.  Hai.  I  33). 

8)  Strab.  V  230.  Dion.  Hai.  II  31.  üeber 
eine  angebliche  Darstellung  der  Consualia 
auf  einem  Sarkophagrelief  vgl.  A.  Riese, 
Arch.  Zeit.  XXII  1864  S.  250*  ff.  E.  HObneb 
ebd.  260*. 


168 


Religion  nnd  Knltna  der  ROmer.    IL  GOtterlehre. 


In  engster  Beziehung  zu  Consus  steht  die  Göttin  Ops,  eine  Ver- 
körperung des  reichen  Erntesegens,  die  meist  fölschlich  als  Erdgottheit 
aufgefasst  und  mit  Saturnus  in  Verbindung  gebracht  wird,  während  sie 
als  Genossin  des  Consus  sowohl  ihr  Eultbeiname  Ops  Gonsiva^)  (ebenso 
zu  fassen  wie  Here  Martea,  Janus  Junonius  u.  a.)  wie  die  Lage  ihrer 
alten  Feste  kennzeichnet:  es  sind  dies  die  Opiconsivia  am  25.  August  und 
die  Opalia  am  19.  Dezember,  beide  je  4  Tage  nach  den  beiden  Gonsualia 
fallend,  also  ebenso  wie  diese  in  deutlicher  Beziehung  zur  Ernte  stehend. 
Ein  eignes  Heiligtum  besass  Ops  in  älterer  Zeit  nicht,  und  das  Opfer  an 
den  Opiconsivia  fand  in  einer  Kapelle  der  Regia  statt,  zu  welcher  ausser 
dem  Pontifex  maximus  und  den  Vestalinnen  niemand  Zutritt  hatte;')  diese 
Abgeschlossenheit,  die  zu  der  Verborgenheit  des  unterirdischen  Consus- 
altares  in  unverkennbarer  Beziehung  steht,  wurde  später  Veranlassung 
dazu,  in  Ops  Consiva  die  geheime  Schutzgottheit  der  Stadt  Rom,  deren 
Name  nicht  verraten  werden  durfte,  zu  vermuten  (Macr.  S.  III  9,  4).  Wo 
und  auf  welche  Weise  die  Opalia  gefeiert  wurden,  wissen  wir  nicht. 
Später  war  mit  jedem  der  beiden  Feste  die  Stiftungsfeier  eines  Tempels 
der  Ops  verbunden,  mit  den  Opiconsivia  die  eines  auf  dem  Capitol,  mit 
den  Opalia  die  eines  am  Forum  gelegenen;  ersterer  wird  zuerst  im  J. 
568  —  186  erwähnt,')  letzterer  ist  vielleicht  das  Heiligtum  der  Ops  Opi- 
fera,  welches  zwischen  631  =  123  und  640  =  114  vom  Pontifex  L.  Cae- 
cilius  Metellus  Delmaticus  geweiht  wurde  (Plin.  n.  h.  XI  174).  Wenn  wir 
dieser  Ops  Opifera  auch  unter  den  Gottheiten  begegnen,  denen  am  Tage 
der  Volcanalia  (23.  August)  ein  Kollektivopfer  zur  Abwehr  von  Feuersnot 
dargebracht  wurde,^)  so  erklärt  sich  das  wohl  daraus,  dass  sie  besonders 
zum  Schutze  des  in  den  Scheuern  aufgespeicherten  Getreides  gegen  Feuers- 
gefahr angerufen  wird;  es  ist  also  kein  Zufall,  dass  dies  Opfer  gerade 
mitten  zwischen*  C!onsualia  und  Opiconsivia  fällt.  Als  man  dann  für  alle 
römischen  Gottheiten  griechische  Parallelen  suchte,  fand  man  die  nächste 
Verwandtschaft  mit  Ops  in  Rhea,  und  so  galt  sie  später  allgemein  als  die 
Gattin  des  mit  Kronos  identifizierten  Saturnus,^)  wofür  die  benachbarte 
Lage  ihrer  Feste  (Saturnalia  17.  Dezember,  Opalia  19.  Dezember)  eine  Be- 
stätigung abzugeben  schien.^)    An  diese  hellenisierte  Ops  ist  wohl  gedacht 


»)  Varro  de  1.  1.  VI  21.  Fest.  p.  186. 
Macr.  S.  III  9,  4.  Vgl.  Jobdak,  Heimes  XV 
15  f.  and  zu  Pbellbb,  Rom.  Myth.  II  21,  1. 
24,  2.  WissowA,  De  feriis  anni  Roman,  p.  IV. 

»)  Varro  de  1. 1.  VI  21.   Fest.  p.  186. 

»)  Jobdan,  Topogr.  1 2  S.  43,  vgl.  S.  364  f. 
AusT,  De  aedib.  sacr.  p.  23  Nr.  56;  ganz  wirr 
6U.BBBT,  Topogr.  I  247  ff.  Der  Tempel  wird 
ausser  in  den  Arvalakten  auch  in  den  Akten 
der  Saecularspiele  des  Augustus  (Eph.  epigr. 
VllI  p.  254)  und  in  dem  Militärdiplome  vom 
9.  Juni  83  erwähnt  (Eph.  epigr.  V  p.  613: 
Bomae  in  Capitolio  intra  ianuam  Opis  ad 
latus  dextrum). 

*)  Fast.  Arv.  CIL  P  p.  326:  Volcano  [in 
cireo  Flam{inio).  lutumae  et  nymp\hi8  in 
eamp{o),  Opi  Opifer(ae)  [in  foro'f],  Quir(ino) 
in  colle.    Volk(ano)  [in]  comii{io).    Vgl.  oben 


S.  140  und  unten  S.  185. 

')  So  schon  Plaut.  Cist.  515;  Mil.  glor. 
1082;  Persa  252;  vgl.  Enn.  Euhem.  frg.  515. 
516  Baehr.  Die  alte  Inschrift  des  Dressei- 
schen Gefässes  (Schnrideb,  Dial.  Ital.  exempla 
I  nr.  19),  wo  angeblich  Sat{urnu8)  und  Ops 
Toitesia  vereint  vorkommen,  ist  gerade  in 
dem  Namen  des  Saturnus,  der  in  der  ganz 
singulären  Abkürzung  Sat  erblickt  wird, 
gewiss  nicht  richtig  gedeutet. 

•)  Varro  de  1.  1.  V  57.  64.  Fest.  p.  186. 
Macr.  I  10,  19  ff.  Der  von  Macr.  S.  I  10,  21 
berichtete  Brauch:  huie  deae  sedentes  tfota 
concipiunt  terramque  de  industria  tangunt 
bezieht  sich  nicht  auf  Ops,  sondern  auf  die 
griechische  Rhea;  über  Analogien  im  grie- 
chischen Kulte  s.  Stengel,  Griech.  Kultus- 
altert.  S.  58. 


A.  Di  indigetes.    31.  Satumufl  und  Lna. 


169 


bei  der  Errichtung  eines  Altars  der  Ops  Augusta,  der  zusammen  mit  einem 
solchen  der  Ceres  mater  im  J.  760  =  7  n.  Chr.,  wahrscheinlich  zu  Ehren 
der  Kaiserin  Livia,  geweiht  und  jährlich  am  10.  August  durch  Feriae  ge- 
feiert wurde.  ^)  Die  spärlichen  auf  den  Kult  der  Ops  bezüglichen  italischen 
Weihinschriften  >)  darf  man  dagegen  wohl  noch  auf  die  alte  Erntegöttin 
beziehen. 

31.  Satnmus  und  Lua.  Dass  Saturnus  der  Gott  der  Aussaat  ist, 
geht  sowohl  aus  dem  bereits  von  den  Alten  meist  richtig  gedeuteten^) 
Namen  (ursprünglich  Saeturnus),^)  als  aus  der  Lage  seines  Festes,  der 
Satumalia,  hervor,  welches  auf  den  17.  Dezember,  an  den  Schluss  der 
Winteraussaat,  föllt.  Dass  er  eine  allgemeinere  Bedeutung  als  chthonische 
Gottheit  besessen  habe,  hat  man  wegen  seiner  Verbindung  mit  der  ver- 
meintlichen Erdgöttin  Ops  angenommen,  die  jedoch  nicht  ursprünglich, 
sondern  erst  unter  griechischem  Einflüsse  entstanden  ist;^)  auch  mit  Dis 
pater  haben  ihn  erst  die  hellenisierenden  Erzählungen  Späterer  in  Verbindung 
gebracht,*)  und  wenn  man  ihm  neuerdings  eine  Stelle  im  altitalischen  Toten- 
kult hat  anweisen  wollen,  so  beruht  das  nur  auf  dem  mehr  als  fragwürdigen 
Zeugnisse  (s.  oben  S.  168  Anm.  5)  der  noch  keineswegs  sicher  gedeuteten 
Inschrift  des  esquilinischen  Thongefässes.^)  Allerdings  ist  auch  kaum 
eines  andern  altrömischen  Gottes  Wesen  durch  graecisierende  Umbildung 
so  früh  und  so  stark  verdunkelt  worden,  wie  es  bei  Saturnus  der  Fall 
gewesen  ist.  Ein  Altar  des  Gottes  lag  seit  unvordenklichen  Zeiten  am 
Fusse  des  Clivus  Capitolinus  am  Forum,  und  schon  im  J.  257  =  497 
wurde  ihm  an  derselben  Stelle  ein  Tempel  geweiht,  dessen  Stiftungstag 
mit  der  Festfeier  der  Saturnalia  zusammenfiel ;  dieses  Heiligtum  ist  nächst 
dem  capitolinischen  das  älteste  Gotteshaus  Roms,  über  dessen  Stiftung 
eine  Aufzeichnung  vorhanden  war,  und  wie  jenes  das  sakrale  Centrum 
der  Staatsverwaltung  bildete,  so  spielt  auch  der  Saturntempel  im  öffeni>- 
lichen  Leben  eine  wichtige  Rolle,  da  in  seinen  Kellern  der  Staatsschatz, 
das  aerarium  Satumij  geborgen  ist.®)  Von  den  ursprünglichen  Formen 
des  Kultes  und  der  Festfeier  haben  wir  keine  Kunde,  da  unsere  Nach- 
richten sich  sämtlich  auf  eine  Zeit  beziehen,  in  welcher  bereits  die  völlige 
Hellenisierung  dieses  Gottesdienstes  eingetreten  war ;  man  opferte  in  heller 
historischer  Zeit  dem  Saturnus  mit  unbedecktem  Haupte,  also  graeco  ritu. 


')  MoMxssN  CIL  P  p.  324. 

')  Tempel  der  Ops  in  Praeneste  CIL 
XIV  3007 ;  Weihinschriften  aas  Alba  Fucens 
(IX  3912)  and  Aesernia  (IX  2633),  letztere 
Opi  divinae  (jedoch  nicht  anverdächtig,  s. 
CIL  XIV  270*.  273*),  was  sich  aach  auf 
MttDzen  des  Pertinaz  findet  (Cohen  nr.  13  f. 
39  f.;  Ops  augusta  aaf  Mttnzen  des  Ante- 
ninus  Pias,  Cohen  nr.  201.  698—700).  Opi 
aug.  m  Africa  CIL  VIII  Sappl.  16527. 

*)  Varro  de  1.  1.  V  64  und  bei  Aug.  c. 
d.  VI  8.  VII  13.  19.  Tert.  ad  nat.  II  12. 
Fest.  p.  186.  325.  Macr.S.  I  10,  10;  anders 
Cic.  nat.  d.  II  64.  III  62;  vgl.  Schwrolbb, 
R.  G.  I  224  f. 

^)  Saetumtis  ist  bezeugt  durch  die  alte 


Gefftssinschrift  CIL  I  48  und  durch  die  von 
RiTSCHL  hergestellte  Glosse  des  Paul.  p.  323; 
vgl  RiTSCHL,  Opusc.  IV  270  ff.  B.  Mausen- 
BRECHBB,  Arch.  f.  Ist.  Lexicogr.  VIII  292  f. 

*)  S.  oben  S.  168  und  Wissowa,  De 
feriis  anni  Roman,  p.  IV  ff. 

')  Zeugnisse  bei  R.  Peter  in  Roschers 
Lexik.  I  1181  ff.  Das  von  Macr.  8.  I  11,  48 
erwähnte  sacellum  Ditis  (vgl.  17,  30)  arae 
Saturni  cohaerens  hat  in  Rom  nie  existiert, 
s.  unten  §  50. 

')  H.  Dkessel,  Annali  d.  Inst.  1880,  187. 
Jobdan,  Hermes  XVI  241. 

^)  Zeugnisse  über  den  Tempel  voUstftn- 
dig  bei  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  360  ff. 


170 


Beligion  und  Knltiui  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


was  Veranlassung  zu  der  Hypothese  gab,  dass  sein  alter  Altar  eine  Grün- 
dung griechischer  Einwanderer  sei;*)  das  Tempelbild  war  das  des  grie- 
chischen Kronos  mit  der  Sichel  (ursprünglich  Krummschwert  oder  Harpe) 
in  der  Hand,*)  und  seine  Füsse  waren  mit  Wollenbinden  umwickelt,  die 
nur  am  Tage  des  Festes  gelöst  wurden,  ein  Brauch,  für  den  sich  Ana- 
logien im  griechischen  Ritual  finden.^)  Der  Zeitpunkt  der  Umwandlung 
des  latinischen  Kultes  in  einen  griechischen  ist  in  diesem  Falle  bekannt: 
im  J.  537  =  217  wurde  nicht  nur  beim  Saturn tempel  ein  Lectistemium 
abgehalten,  sondern  auch  eine  neue  Art  der  Saturnalienfeier  eingeführt; 
postremo  Decembri  tarn  mense  ad  aedem  Saturni  Romae  iminolatum  est  lec- 
tisterniumque  imperatum  —  et  eum  lectum  senatores  straverunt  —  et  conti- 
vium  publicum  ac  per  urbem  Saturnalia  diem  ac  noctem  clamata  populusque 
eum  diem  festum  habere  ac  servare  in  perpetuum  iussus  (Liv.  XXII  1,  19); 
seitdem  ist  die  Festfeier  eine  griechische  geblieben.^)  Ob  sich  in  ihr 
neben  den  weit  überwiegenden  griechischen  Elementen  auch  noch  Reste 
der  alten  nationalen  Feier  erhalten  haben,  ist  zweifelhaft;  die  Bewirtung 
der  Sklaven  durch  ihre  Herren,  die  man  als  besonders  charakteristisch 
für  die  Saturnalien  anzusehen  gewohnt  ist,  findet  jedenfalls  zahlreiche 
Analogien  in  griechischen  Festgebräuchen, ^)  und  auch  für  die  Sitte,  sich 
bei  diesem  Feste  mit  Kerzen  und  thönernen  Puppen  {sigiUaria)  zu  be- 
schenken, steht  einer  Herleitung  aus  dem  Griechischen  wenigstens  nichts 
im  Wege.  Warum  man  Saturnus  grade  mit  Kronos  identificierte,*)  ist 
nicht  mehr  zu  ermitteln;  wenn  Welckeb  (Gr.  Götterl.  I  160)  meint,  die 
Ähnlichkeit  der  dem  Saturnus  von  Haus  aus  zukommenden  Sichel  mit 
dem  Krummsch werte  des  Kronos  habe  den  Anknüpfungspunkt  geboten, 
so  widerspricht  dem  nicht  nur  die  allgemeine  Thatsache,  dass  wir  ein- 
heimische, von  den  griechischen  unbeeinflusste  Göttertypen  in  Rom  über- 
haupt nicht  kennen,  sondern  auch  die  Erwägung,  dass  dem  Saturnus  als 
Saatgotte  die  Sichel  ja  gar  nicht  zukommt.  Jedenfalls  wurde  die  Identi- 
fikation der  beiden  Götter  namentlich  auch  in  der  Richtung  durchgeführt, 
dass  die  Sage  von  dem  dereinst  unter  der  Regierung  des  Kronos  vor- 
handenen goldenen  Zeitalter  auf  Saturnus  übertragen  wurde,  der  nun  als 
ein  alter  König  von  Latium  und  Repräsentant  der  ältesten  Kultur  Italiens 
erschien;  die  ganze  Halbinsel  sowie  viele  einzelne  Städte,  insbesondere 
auch  eine  alte  Niederlassung  auf  dem  capitolinischen  Hügel,  sollten  nach 
ihm  den  Namen  Saturnia  geführt  haben,  er  galt  als  der  Begründer  höherer 
Gesittung,  und  alle  Erinnerungen  an  eine  einfachere,  glücklichere,  unver- 
dorbene Vorzeit   knüpften    sich   an   seinen   Namen.')     Nach  Dionys  von 


»)  Fest.  p.  322.  Paul.  p.  119.  Dion. 
Hai.  I  34.  Vr  1.  Flut,  Q.  R.  11.  Macr.  S.  I  8, 
2    10   22 

»)  Fest.  p.  186.  325.  Macr.  S.  I  7,  24 
und  mehr  bei  Schwbolbb,  R.  6.  I  223,  3. 

3)  Macr.  S.  I  8,  5.  Stat.  eilv.  I  6,  4. 
Arnob.  IV  24;  vgl.  Marquabdt,  Staatsverw. 
TU  252,  2.  E.  RoHDB,  Psyche  S.  178,  2. 

*)  Graeco  ritu  fiehantur  Saturnalia  sagt 
Cato  frg.  p.  48,  14  Jord.  =  Priscian.  VIII 
p.  377  H. 


»)  Athen.  XIV  639  B.  Ueber  die  römi- 
schen Saturnalia,  ihre  Geschichte  und  Ge- 
bräuche reichhaltige  Stellensammlung  bei 
Mabquabdt,  Staatsverw.  lil  586  ff. 

^)  Schon  Livius  Andronicus  (Odiss.  frg.  2. 
15  Baehr.)  gibt  K^oyidtjg  mit  Saturni  fiUus 
(puer)  wieder. 

^)  Das  Material  vollständig  bei  Schwbo- 
lbb, R.  G.  I  212  ff.  Die  meisten  Neueren 
(z.  B.  Pbbunbb,  Hestia-Veste  S.  389)  behan- 
deln diese  Erzählungen  als  altitalische  Sagen. 


A.  Di  indigetes.    31.  Satnmiis  und  Lna.  171 

Halikarnass  (ant.  I  34)  hätten  zahlreiche  Heiligtümer  im  ganzen  Lande 
von  der  Verehrung  des  Saturnus  Zeugnis  gegeben,  aber  die  uns  bekannten 
Thatsachen  bestätigen  diese  Angabe  nicht,  sondern  lassen  den  Kult  fast 
ganz  auf  Rom  beschränkt  erscheinen.  Die  Annahme  eines  alten  etrus- 
kischen  Saturnkultes ^  steht  auf  sehr  schwachen  Füssen,  und  eine  antike 
Hypothese,  die  den  Saturnus  zu  den  angeblich  von  Titus  Tatius  in  Rom 
eingebürgerten  sabinischen  Gottheiten  rechnete,  ist  schon  von  Ambbosch 
(Stud.  u.  Andeut.  S.  148  £f.)  u.  a.  mit  Recht  zurückgewiesen  worden;  so 
sind  uns  in  Italien  nur  ganz  vereinzelt  in  Yenafrum  cuüores  Saturni  be- 
zeugt,') während  Weihinschriften  ganz  fehlen.  Das  Satumalienfest  aber 
ist  im  Osten  wie  im  Westen  des  Reiches  bis  zum  Siege  des  Christentums 
und  darüber  hinaus  wohl  das  populärste  und  beliebteste  Fest  des  alten 
Kalenders  gewesen,  eine  Art  antiker  Karneval,  der  von  allen  Ständen, 
auch  beim  Heere, ^)  gefeiert  wurde  und  unter  dessen  Bräuchen  namentlich 
auch  der  erwähnt  wird,  durchs  Loos  einen  König  {Saturnalicius  princeps 
Senec.  apoc.  8)  für  die  Festzeit  zu  bestimmen,  dem  alle  sich  zu  fügen 
hatten;^)  in  der  Spätzeit  scheinen  auch  hier  mancherlei  orientalische 
Einflüsse  sich  geltend  gemacht  zu  haben,  wie  überhaupt  der  Name  Sa- 
turnus auch  manchen  ausserhalb  des  griechisch-römischen  Religions- 
kreises stehenden  Gott  gedeckt  hat.  So  gelten  im  Tridentinischen^)  und 
in  Afrika^)  die  zahlreichen  an  Saturnus  gerichteten  Inschriften  einheimi- 
schen Gottheiten,  auf  die  man  den  römischen  Namen  übertragen  hatte; 
in  Afrika  ist  es  der  phönicische  Ba'alchammän,  der  diesen  Namen  führt, 
und  auf  ihn  beziehen  sich  die  namentlich  bei  den  Kirchenvätern  häufig 
auftretenden  Erwähnungen  von  dem  Saturnus  dargebrachten  Menschen- 
opfern.') 

Im  Kulte  ist  mit  Saturnus  die  Lua  mater  als  Lua  Saturni^)  gepaart, 
die  neben  Mars  und  Minerva  (d.  h.  Nerio)  unter  den  Gottheiten  erscheint, 
quibus  spolia  hostium  dicare  ins  fasque  est,  und  von  der  wir  zweimal  hören, 
dass  ihr  die  den  Feinden  abgenommenen  Waffen  geweiht  und  verbrannt 
werden.')  Das  weist  darauf  hin,  dass  es  eine  unholde  Macht  war,  die 
man  zu  versöhnen  wünschte,  und  auf  eine  solche  deutet  auch  der  Name, 
der  von  Ines  gewiss  nicht  zu  trennen  ist;  als  eine  Feindin  der  Saaten, 
also  gewissermassen  als  das  feindliche  Gegenspiel  ihres  Kultgenossen 
Saturnus,  wird  sie  geradezu  bezeichnet  in  einem  von  Pbelleb  (Rom.  Myth. 


1)  Dkeckb,  Etnisk.  Forsch.  II  65  ff. 

»)  Cic.  ad  Att.  V  20,  5.  Tac.  hist. 
III  78. 

*)  Tac.  ann.  XIII  15.  Epict.  diss.  I  25, 
8.  Luc.  Sat.  2—4.  9;  vgl.  dazu  die  darch 
die  nengefandenen  Märtyrerakten  des  Da- 
sius  (Anal.  Bolland.  XVI  1897,  5  ff.)  veran- 
lassten Erörterungen  von  L.  Pabmentibr 
und  F.  CuMONT,  Revue  de  philol.  XXI  1897, 
143  ff.  und  von  P.  Wbndlakp,  Hermes  XXXII 
175  ff. 

')  CIL  X4854;  XI  1555  (aus  Faesulae) 
ist  die  Ergänzung  unsicher. 

»)  CIL  V  3291-3293. 8844(Verona).  3916. 


4013.  4198  (hier  heisst  der  Gott  Alus  Sa- 
turnus, 4197  nur  Alus),  5000.  5021—5024. 
5068. 5068».  5069;  versprengt  2382  (Ferrara). 
III  1796  (Narona). 

•)  CIL  VIII  Index  p.  1085.  Ueber  den 
Kult  des  punischen  Saturnus  J.  Toütain,  De 
Saturni  dei  in  Africa  Romana  cuUu,  Paris 
1895. 

')  Die  Stellen  bei  Gehler  zu  Tertull. 
apolog.  9.  üeber  Ba'alchamm&n  Ed.  Mbtbb 
in  Roschers  Lexik.  I  2869  ff. 

«)  GelL  XIII  23,  2.  Varro  de  1.  L  VIII 36. 

•)  Liv.  VIII  1,  6.  XLV  33,  2. 


172 


Beligion  und  Knltna  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


II  22,  3)  überzeugend  verbesserten  Zeugnisse  eines  Yergilkommentators.O 
Inschriftliche  Denkmäler  ihrer  Verehrung  fehlen.*) 

32.  Faunus.  Fauna.  Silyanus.  Alter  und  Bedeutung  des  Faunus- 
kultes  ergeben  sich  aus  der  Stellung  seines  Spezialpriestertums,  der  Luperci, 
und  aus  dem  Ansehen  seines  Jahresfestes,  der  Lupercalia,'')  das  sicher  zu 
den  ältesten  der  römischen  Festordnung  gehört,  da  es  noch  ganz  an  die 
älteste  Stadtbegrenzung,  das  antiquum  oppidum  Palatinum,  gebunden  er- 
scheint. Am  Nordwestabhange  des  Palatin  lag  die  Wolfsgrotte,  das 
Lupercal,  welche  seit  unvordenklichen  Zeiten  den  Sitz  der  Verehrung  des 
Gottes  bildete  ;*•)  um  den  Fuss  des  Berges  ging  der  sühnende  Umlauf,  den 
alljährlich  am  Feste  der  Lupercalia  (15.  Februar)  die  Luperci  vollzogen; 5) 
zur  ältesten  Palatingemeinde  muss  auch  das  Geschlecht  der  Quinctii  gehört 
haben,  dem  ursprünglich  die  Bekleidung  des  Priestertums  allein  oblag, 
bis  später  nach  Vollzug  des  Synoecismus  mit  der  Gemeinde  der  Hügel- 
römer aus  letzterer  zu  den  alten  Luperci  Quinctiales  die  Luperci  Fabiani 
hinzutraten.*)  Der  Name  lupercus,  der  sicher  nichts  weiter  bedeutet  als 
„Wolf**,  wenn  auch  der  Sinn  dieser  Benennung  nicht  völlig  klar  ist,') 
bezeichnet  nicht  den  Gott,  sondern  seinen  Priester  und  ist  von  da  auf 
das  Fest  und  die  Kultstätte  übertragen  worden;  die  nächste  Analogie 
bieten  (um  von  den  aqxxoi^  nähaacu^  xavgoi  griechischer  Kulte  hier  abzu- 
sehen) die  durch  ihre  Lustrationsriten,  darunter  das  Überschreiten  glü- 
hender Kohlen,  bekannten  Priester  des  Gottes  vom  Berge  Soracte,  die 
ebenfalls  den  Namen  hirpi  d.  i.  Wölfe  führen.®)  Die  Gebräuche  der  Luper- 
calienfeier^)  lassen  die  Bedeutung  und  das  Wesen  des  Gottes,  dem  sie 
gelten,  noch  mit  hinreichender  Deutlichkeit  erkennen.  Einerseits  ist  es 
ein  Hirtenfest, ^^)  wie  namentlich  der  äussere  Aufzug  der  Luperci  zeigt; 
sie  erscheinen  nackt  bis  auf  ein  um  die  Hüften  geschlagenes  Ziegenfell, ^^ 
und  ganz  ebenso  stellte  ein  später  im  Lupercal  aufgestelltes  Bild  auch 
den  Gott  selbst  dar.  ^2)  Auf  der  andern  Seite  weisen  wesentliche  Elemente 
in  den   bei  der  Feier  zur  Anwendung  kommenden  Ritualvorschriften  auf 


>)  Serv,  Aen.  III  139  (zu  den  Worten 
arhoribusque  aatisqtie  lues):  quidam  dicunt 
diversis  numinibus  vel  bene  vel  male  faciendi 
potestatem  dicatam,  tU  ,  .  ,  ,  sterilitatem  tarn 
Saturno,  quam  Luae  (Hss.  Lunae);  hanc 
enim  aictU  Saturnum  orbandi  potestatem 
habere. 

^)  Die  Inschrift  bei  Garrucci,  Sylloge 
Nr.  553  =  Fabrbtti-Gamurrini,  Corp.  inscr. 
Ital.  append.  Nr.  921  mit  den  Worten  luad 
ma  ist  noch  nicht  sicher  gedeutet.  Reihbsius, 
Synt.  I  238  =  CIL  X  730*  ist  unecht. 

')  Dass  die  Lupercalia  dem  Faunus  gel- 
ten, sagen  ausdrücklich  Ovid.  fast.  II  268. 
V  101  und  Flut.  Rom^  21 ;  sonst  wird  dafür 
gewöhnlich  Tlay  AvxaTog  genannt  (auch  von 
Römern),  wegen  der  Anknüpfung  von  luper- 
cus  an  Xvxatog^  oder  Epitheta  des  Faunus 
(Inuus,  Februus  u.  a.)  eingesetzt;  vgl.  unten 
S.  173  f.  Anm.  10. 

*)  Dion.  Hai.  I  31,  vgl.  79;  es  wurde 
von    Augustus    wiederhergesteUt,    Monum. 


Anc.  4,  2. 

^)  Genaue  Angabe  der  durch  cippi  noch 
in  der  Kaiserzeit  gesicherten  Linie  bei  Tac. 
ann.  XII  24. 

*)  MoMMSEN.  Rom.  Gesch.  I  51. 

'')  Jordan,  Krit.  Beitr.  164  f.;  darum 
fand  nach  Varro  (bei  Arnob.  IV  3;  vgl.  Lact. 
I  20,  2)  die  Wölfin,  welche  Romulus  und 
Remus  gesäugt  hatte,  als  Luperca  göttliche 
Verehrung. 

•)  Plin.  n.  h.  VII  19.  Serv.  Aen.  XI  785. 

*)  Vollständige  Materialsaromlung  bei 
Mavquardt,  Staatsverw.  III  442  ff. 

»<>)  Cic.  pro  Cael.  26.   Flut.  Caes.ei. 

»>)  Dion.  Hai.  I  80.  Serv.  Aen.  VIII  663 
u.  a.  Sie  heissen  darum  selbst  ereppi,  d.  h. 
Böcke,  Paul.  p.  57  und  dazu  S.  Buoob, 
Jahrb.  f.  Philol.  CV  1872,  92  f. 

^*)  Justin.  XL1 II  1,  7.  Ueber  erhaltene 
Faunusdarstellungen  zuletzt  noch  A.  Milch- 
höfer,  Jahrb.  d.  Vereins  v.  Altertumsfr.  im 
Rheinl.  XC  1891,  8  ff. 


A.  Di  indigetes.    82.  Fannas.  Fauna.  Bilyanna.  173 

Reinigung  und  Sühnung  hin,^)  und  zwar  mit  spezieller  Beziehung  auf  die 
Fortpflanzung  und  Vermehrung  der  Gemeinde  sowohl  wie  ihrer  Herden. 
Hierher  gehört  das  auch  sonst  gerade  bei  Lustrationen  gebräuchliche  Opfer 
eines  Hundes,')  die  Geremonie,  dass  zwei  Jünglinge  mit  dem  blutigen 
Opfermesser  an  der  Stirn  berührt  und  dann  sofort  mit  in  Milch  getauchter 
Wolle  gereinigt  wurden,  worauf  sie  laut  auflachen  mussten,*)  ferner  der 
als  Lustrationsakt  typische  Umlauf,  endlich  die  Sitte  der  Luperci,  mit  den 
aus  dem  Fell  des  geopferten  Bockes  geschnittenen  Riemen  {februa)  die 
sich  ihnen  entgegenstellenden  Frauen  zu  schlagen,  um  ihnen  dadurch 
Fruchtbarkeit  zu  verleihen.^)  Dieser  letztgenannte  Brauch,  der  das  Fest 
auch  zum  Kulte  der  Geburtsgöttin  Juno  (s.  oben  S.  119)  in  gewisse  Be- 
ziehungen setzt,  kennzeichnet  den  Faunus  deutlich  als  einen  Gott  der 
animalischen  Befruchtung,  und  in  dieser  Auffassung  wird  er  auch  ganz 
besonders  auf  dem  Lande  als  Schützer  der  Viehzucht  verehrt.  Hier  feiern 
ihm  die  einzelnen  pagi  besondre  Feste,  ^)  und  hier  hat  er  sich  auch  zu 
einer  reicheren  Wirksamkeit  entfaltet,  indem  er  als  Schirmherr  des  länd- 
lichen Lebens  nach  all  seinen  Seiten  hin  gilt;  er  ist  der  deus  agrestis 
schlechtweg  (Ovid.  fast.  H  193.  HI  315),  und  nicht  nur  die  Herde,  sondern 
auch  Ackerwirtschaft  und  Jagd  erfreuen  sich  seiner  Obhut.  ^)  Man  ver- 
ehrt ihn  dementsprechend  in  ländlicher  Weise,  durch  das  Opfer  eines 
jungen  Tieres  der  Herde,  ^)  im  Freien  unter  einem  heiligen  Baume  (Verg. 
Aen.  XII  766),  vor  allem  im  Walde,  der  als  sein  Lieblingssitz  gilt.  Als 
Waldgeist  fasst  man  ihn  weiter  einerseits  als  den  Herrn  der  im  Walde 
vernehmbaren  geheimnisvollen  Stimmen*  der  Natur  und  darum  als  zu- 
kunftskundigen, weissagenden  Gott,^)  andererseits  als  übermütigen  und 
spukhaften  Kobold,  der  die  Menschen  neckt  und  plagt  und  sie  nachts  als 
Alp  (Incubo)  überfällt;*)  auch  glaubte  man,  dass  er  mit  den  Tieren  der 
Herde  sich  geschlechtlich  vermische,  und  leitete  daher  den  alten  Namen 
Inuus,  der  entweder  ein  Beiname  des  Gottes  oder  die  Sonderbezeichnung 
einer  nachher  mit  Faunus  zusammengeflossenen  Gottheit  ist,^^)  ab  ineundo 


')  Varro  de  1. 1.  VI  13.  34.  Ovid.  fast. 
II  31  u.  a. 

>)  Plat.  Rom.  21;  Qu.  Rom.  111. 

')  Fiat.  Rom.  21  and  dazu  Disls,  Sibyll. 
BlAtter  69,  2. 

«)  Flut.  Rom.  21.  Ovid.  fast.  II  425  ff. 
Juven.  2,  142  m.  Schol.  Serv.  Aen.  VIII  343. 
Nach  Qelasios  adv.  Andrem.  (Thibl,  Epist. 
pontif.  Rom.  I  601)  hatte  Livias  in  der 
zweiten  Dekade  davon  gesprochen,  dass  die 
Laperoalia  propter  sterUUatem  mulierum, 
quae  iunc  aeeideraiy  exsolvendam  eingesetzt 
worden  wären;  möglicherweise  fand  wirklich 
in  jener  Zeit  eine  Erweiterung  des  nrsprttng- 
liehen  Festbraaches  statt  (doch  versetzen 
Ovid.  fast.  II  425  ff.  and  Serv.  Aen.  VIII 
343  die  Beziehung  des  Festes  auf  die  Frucht- 
barkeit der  Frauen  schon  in  die  Zeit  des 
Romulus),  aber  die  von  Q.  F.  Ungbb,  Rhein. 


in  pratis  vaeat  otio8o  cum  bave  pagus)  am 
5.  Dezember  schildert  Horaz  carm.  Ilt  18; 
solche  Feste  meint  wohl  Prob,  zu  Verg. 
Georg.  I  10:  ei  in  Italia  quidam  annuum 
8acrum  celehrant,  alii  menstruum.  Vgl.  auch 
S.  174  Anm.  9. 

*)  Fauntu  quod  frugibus  faveat  Serv. 
Georg.   I  10.   Prep.  V  2,  33. 

»)  Hör.  c.  I  4,  12.  Ovid.  fast  II  361. 

•)  Fatuus  Serv.  Aen.  VI  775.  VlI  47. 
VlII  314;  daher  verkflndet  in  Schlachten 
seine  aus  dem  Walde  ertönende  Stimme  den 
Sieg,  Dion.  Hai.  V  16,  vgl.  Cic.  de  div.  I 
101;  de  nat.  deor.  II  6.  ÜI  15;  fatidieus 
Verg.  Aen.  V[1 82;  man  denkt  sich  die  Orakel 
des  Faunus  in  Versen  und  macht  ihn  so 
zum  nQxVY^^V^  ^^^  Dichter,  Enn.  bei  Varro 
de  1.  1.  VII  36.  Fest.  p.  325.  Hör.  carm.  II 
17,  28. 


Mus.  XXXVI  1881,  59  ff.  an  die  Nachricht  ,  •)  Plin.  n.  h.  XXV  29,  vgl.  VIII  151. 

geknfipften  Combinationen  sind  ganz  haltlos.   I  Serv.  Aen.  VI  775. 

*)  Ein  solches  Qaufest  (v.  11  f.:  featus  ,  *®)  Inuus  wird  mit  Faunus  gleichgesetzt 


174 


Religion  und  Knltos  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 


passim  cum  omnibus  animalibus  (Serv.  Aen.  VI  775)  ab.  In  diesem  Vor- 
stellungskreise ist  es  sehr  schwer  zu  scheiden,  was  volkstümliche  italische 
Anschauung,  was  Entlehnung  aus  verwandten  Gebieten  griechischer  Reli- 
gion und  Mythologie  ist.  Denn  schon  ziemlich  früh  ist  unter  dem  Ein- 
drucke des  Bocksgewandes  der  Luperci  die  Identifikation  des  Faunus  mit 
dem  griechischen  Pan  vollzogen  worden,  dessen  Kult  man  durch  den  Ar- 
kader Euander  in  Rom  eingeführt  glaubte;^)  das  ursprüngliche  Wesen  des 
Gottes  wurde  dadurch  derartig  verwischt,  dass  man  sich  ihn  nicht  nur 
als  gehörnten  und  bocksbeinigen  Gesellen  vorstellte,')  sondern  ihn  auch 
zum  sterblichen  Halbgotte  degradierte')  und  entsprechend  den  griechischen 
Satyrn  und  Panisken  von  einer  Mehrheit  von  Fauni  zu  reden  sich  ge- 
wöhnte.^) Auf  der  andern  Seite  bemächtigte  sich  auch  die  rationalisie- 
rende Pseudohistorie  des  Faunus,  um  ihm  in  der  Liste  der  Laurenterkönige 
seinen  Platz  zwischen  Picus  und  Latinus  anzuweisen  und  unter  seiner 
Regierung  die  Einwanderung  des  Euander  anzusetzen:^)  Picus  und  Faunus 
zusammen  wurden  dann  die  Helden  eines  dem  Proteusabenteuer  der 
Odyssee  nachgebildeten  Märchens,  nach  welchem  Numa  sie  im  Schlafe 
überlistet  und  ihrer  Weissagekunst  die  Offenbarung  der  Blitzsühne  ab- 
zwingt.^) 

Die  Verehrung  des  Faunus  hat  sich,  soviel  wir  wissen,  ganz  auf 
Rom  und  dessen  nächste  Umgebung  beschränkt ;  ^)  für  Tibur  bezeugen 
Vergil  (Aen.  VII  82  flf.)  und  Ovid  (fast.  IV  649  flF.)  ein  Traumorakel  in 
einem  heiligen  Haine  des  Faunus,  ohne  dass  sich  mit  Sicherheit  ermitteln 
Hesse,  wieviel  an  der  Schilderung  desselben  der  Phantasie  der  Dichter 
verdankt  wird.  In  Rom  erhielt  der  Gott  im  Jahre  560  =  194  einen  auf 
der  Tiberinsel  gelegenen  Tempel,^)  dessen  Stiftungsfest  möglichst  nahe 
an  die  Lupercalia,  auf  den  13.  Februar,  gelegt  wurde.*)  Die  Lupercalia 
selbst  aber  haben,   durch  Augustus  wiederhergestellt  (Suet.  Aug.  81),  als 


bei  Serv.  Aen.  VI  775.  Prob,  zu  Verg.  Georg. 
I  10.  Rutil.  Nam.  I  234.  (Aur.  Vict.]  origo 
4,  6;  mit  gesuchter  Gelehrsamkeit  setzt 
Macr.  S.  I  22,  2  ff.  seinen  Namen  für  den 
griechischen  Pan  ein,  ebenso  Arnob.  111  28 
{pecorum  gregibtts  Poles  praesunt  Inutisque 
cuatodea)  für  Faunus:  daher  darf  man  auch 
aus  Liy.  I  5,  2,  der  den  Gott  der  Lupercalia 
nennt:  Lyca^utn  Pana  .  .  .,  quem  Ramani 
deinde  vocaverunt  Inuum,  nicht  schliessen, 
dass  das  Fest  dem  Inuus  gegolten  hätte, 
sondern  Livius  hat  nur  einen  Namen  für  den 
andern  gesetzt,  da  beide  als  gleichwertig 
galten.  Dass  Inuus  von  Hause  aus  ein  eigner 
Gott  gewesen  sein  kann,  soll  nicht  geleug- 
net werden,  es  spricht  dafür  der  lateinische 
Ortsname  Castrum  Inui  (Verg.  Aen.  VI  775; 
vgl.  Hülsen,  Realencycl.  III  1769);  nur  hat 
er  mit  den  Lupercalia  nichts  zu  thun,  und 
auf  keinen  Fall  durfte  ihn  G.  F.  Unobb 
(Rhein.  Mus.  XXXVI  1881,  75  ff.)  für  eine 
etruskische  Gottheit  halten ;  denn  dass  Rutil. 
Namat.  I  232  einen  Ort  Castrum  Inui  in 
Südetrurien  nennt,  beruht  nur  auf  einer  Ver- 
wechlung  (es  heisst  Castrum   novum,   vgl. 


Bormann  CIL  XI  p.  531). 

^)  Serv.  Georg.  I  10.  Schwbqlbr,  Rom. 
Gesch.  I  351  f. 

*)  z.  B.  Ovid.  fast  II  359.  lll  312.  V  93. 
99  u.  a. 

»)  Serv.  Aen.  I  372. 

*)  z.  B.  Lucr.  IV  580  ff.  Ovid.  Ib.  81  f. ; 
vgl.  WissowA,  Rom.  Mitt.  I  1886,  164  f. 

*)  RuBiNO,  Beiträge  zur  Vorgesch.  Ita- 
liens S.  62  ff. 

')  Valer.  Antias  bei  Arnob.  Vif.  und 
Plut.  Numa  15.  Ovid.  fast.  III  291  ff. 

^)  Vgl.  Prob,  zu  Verg.  Georg.  I  10: 
rusticia  persuaaum  est  ineolentihua  eam  par- 
tem  Italiae,  qtiae  suburhana  est,  sciepe  eos 
(nämlich  Faunos)  in  agria  conspici. 

«)  Liv.  XXXll  42.  10.  XXXIV  53,  3  f.; 
vgl.  Jobdan,  Comm.  Momms.  p.  362. 

»)  Ovid.  fast.  II  193  f.  und  die  Fasti 
Esquilini,  dazu  Wissowa,  Hermes  XXVI 
140,  2.  Die  Schilderungen  ländlicher  Frflh- 
lingsfeste  des  Faunus  bei  Borat,  carm.  1  4, 
11.  Calpurn.  ecl.  5,  24  ff.  haben  mit  diesem 
natalis  tempH  nichts  zu  thun. 


A.  Di  indigetes.    82.  Fannns.  Fauna.  Bilyanns. 


175 


ein  besonders  angesehenes  und  hochwichtiges  Fest  die  ganze  Kaiserzeit 
hindurch  fortbestanden,  und  ihre  Bedeutung  für  den  Volksglauben  erhellt 
insbesondere  daraus,  dass  noch  am  Ausgange  des  5.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
um  Fortbestand  oder  Aufhebung  der  Lupercalia  heftige  Kämpfe  zwischen 
der  römischen  Bevölkerung  und  der  Kirchenbehörde  stattfanden.*)  Um 
so  mehr  muss  es  auf  den  ersten  Anblick  befremden,  dass  dem  Gotte 
Faunus  geltende  Weihinschriften  nicht  vorliegen^)  und  sich  auch  in  lit- 
terarischen Zeugnissen  der  nachaugusteischen  Zeit  so  gut  wie  keine  Er- 
wähnung der  privaten  Verehrung  des  Gottes  erhalten  hat.  Die  Erklärung 
dafür  kann  nur  darin  gefunden  werden,  dass,  während  im  Staatskult  die 
offizielle  Feier  des  Faunus  an  den  Lupercalia  fortbestand,  im  Gottesdienste 
des  täglichen  Lebens  Faunus  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurde  durch 
einen  erst  aus  ihm  selbst  hervorgegangenen  Gott  von  ursprünglich  enger 
begrenztem  Wirkungskreise,  durch  Silvanus.  Die  adjektivische  Bildung 
dieses  Namens  zeigt,  dass  dieser  ursprünglich  Epitheton  eines  andern  Gottes 
war,  und  das  kann  kein  andrer  als  der  süvicola  Faunus  (Verg.  Aen.  X  551) 
gewesen  sein,  mit  dem  er  stets  in  den  Hauptzügen  seines  Wesens  nahe 
Verwandtschaft  behalten  hat.^)  Einen  Staatskult  des  Silvanus  hat  es  nie 
gegeben,  die  öffentliche  Beligionsordnung  kennt  weder  einen  Tempel,  noch 
ein  Fest,  noch  einen  Priester  des  Gottes;  ein  Bild  des  Silvanus,  das  am 
Forum  unterhalb  des  Saturntempels  unter  einem  alten  Feigenbaume  stand 
(Plin.  n.  h.  XV  77),  ist  gewiss  ebenso  eine  private  Weihung  gewesen,  wie 
die  mehrfach  inschriftlich  bezeugten  Altäre  und  aediculae  des  Gottes  in 
Rom,^)  unter  denen  in  der  Kaiserzeit  namentlich  ein  auf  dem  CoUis  hor- 
torum.  gelegenes  Heiligtum  hervorragt.^)  Silvanus  hat  auch  in  der  Stadt 
nichts  zu  thun,  denn,  wie  sein  Name  besagt,  ist  er  der  Gott  des  Waldes, 
zugleich  aber  auch  einerseits,  da  die  »ilvatica  pastio  in  der  älteren  Zeit 
überwiegt,  der  Beschützer  des  im  Walde  weidenden  Viehes,^)  andererseits, 
da  die  Wälder  die  ältesten  Grenzscheiden  bilden,  der  Schirmherr  der 
Grenze. 0  Je  mehr  dann  der  Wald  der  menschlichen  Kultur  weicht,  um 
80  mehr  wird  Silvanus  zum  Gotte  der  an  die  Stelle  des  Waldes  tretenden 
ländlichen  Niederlassung,  der  vüla-^  daher  zeigt  das  typische  Bild  des 
Gottes  ihn   einerseits  als  unkultivierten  Waldbewohner  ^)  mit  struppigem 


')  Gelasius  ady.  Andromacham  bei  Tbibl, 
Episi  poDÜf.  Rom.  I  598  ff.  und  dazu  BÜ- 
DivGBB,  Jahrb.  f.  Philol.  LXXV  1857,  201. 
UsBNBSy  Religionsgesch.  Untersuch.  I  303  f. 
318;  8.  auch  oben  S.  89. 

')  Die  einzige  Ausnahme  bildet  eine  von 
Gaucklbr,  Bull,  arcb^ol.  du  comit^  des  trav. 
bist.  1894,  241  Nr.  24  veröffentlichte  späte 
Inschrift  von  Thabraca  in  Africa:  Fauno 
aug{}t8to)  8acr{um)  u.  s.  w.  Wahrscheinlich 
liegt  hier  eine  gesucht«  Herbeiziebung  des 
altrOmischen  Göttemamens  vor,  wie  auch 
bei  den  africanischen  Weihungen  an  Janus 
(CIL  VIII  2608.  4576;  Suppl.  15577.  16417). 

*)  Selbst  die  Gabe  der  Weissagung 
schrieb  der  Volksglaube  ihm  ebenso  zu  wie 
dem  Faunus,  denn  als  den  Urheber  der  das 
Ergebnis  der  Schlacht  am  Walde  Arsia  ver- 


kündenden  Stimme  nennt  Liv.  II  7,  2  den 
Silvanus  st^tt  des  Faunus  (Dion.  Hai.  V  16); 
als  spukender  Waldkobold  thtt  Silvanus 
ebenso  auf  wie  Faunus  (August,  c.  d.  XV  23, 
vgl.  VI  9). 

<)  Vgl.  z.  B.  CIL  VI  576.  597.  607.  629. 
656. 

»)  G.  Gatti,  Bull.  arch.  com.  XVI  1888, 
402  (die  Lage  auf  dem  »Gartenhttger  ist  ge- 
wiss kein  Zufall);  auf  diesen  Tempel  bezieht 
sich  vielleicht  Hist.  Aug.  Tac.  17,  1.  Sonst 
s.  UüLSBN-EiBPBBT,  Form.  urb.  Rom.  p.  65. 

^)  Artorum  pecorisque  deus  Verg.  Aen. 
VIII  600. 

^)  Tutor  finium  Hör.  epod.  2,  22;  vgl. 
Gromat.  vet.  p.  302. 

^)  Horridus  Hör.  carm.  III  29, 23.  Mart. 
X  92,  6. 


176 


Beligion  und  Kaltus  der  Bömer.    IL  GOtterlehre. 


Barte,  einen  Pinienkranz  auf  dem  Haupte  und  einen  Baum  oder  Baumast 
im  Arm/)  andererseits  mit  den  Emblemen  höherer  Kultur  ausgerüstet:  er 
hält  ein  sicheiartig  gekrümmtes  Gärtnermesser  in  der  Hand,  ein  Fell  oder 
Schurz  mit  Früchten  hängt  an  seinem  Halse  und  zu  seinen  Füssen  sitzt  der 
Hund,  der  treue  Wächter  des  Grundstückes.  >)  Sein  Kult  ist,  den  ländlichen 
Verhältnissen  entsprechend,  durchweg  ein  sehr  einfacher:  ein  Hain  oder 
ein  einzelner  Baum  oder  ein  aus  Stein  und  Rasen  schnell  aufgebauter 
Altar  bilden  die  Stätten  seiner  Verehrung,  3)  Milch  oder  ein  Tier  der 
Heerde  das  Opfer.  ^)  Der  alte  Cato  (de  agric.  83)  beschreibt  das  Opfer, 
das  der  Landmann  pro  bubus  uti  valeant  dem  Mars  (s.  oben  S.  132  Anm.  3) 
und  dem  Silvanus  darbrachte ;  dabei  ist  von  Interesse  die  auch  anderweit 
bezeugte  ^)  Bestimmung,  dass  kein  Weib  dem  Opfer  beiwohnen  und  dessen 
Hergang  beobachten  durfte,  eine  Parallele  zu  dem  Ausschlüsse  der  Männer 
von  dem  Gottesdienste  der  Fauna  (s.  unten  S.  177).  Die  Verehrung  des 
Silvanus  war  eine  so  allgemeine,  dass  jedes  Grundstück  seinen  eignen  Sil- 
vanus besass^')  und  damit  sein  Kult  zu  dem  der  nach  den  einzelnen  Häusern 
individualisierten  Laren  und  Penaten  in  die  engste  Beziehung  trat;^) 
ebenso  wie  diese  ist  er  häufig  Patron  von  Vereinen  und  Kollegien,^)  als 
welcher  er  auch  oft  neben  dem  Genius  der  Korporation  genannt  wird;^) 
auch  mit  dem  Hercules  domesticus  (s.  unten  §  41),  Diana,  Liber,  den 
Nymphen  und  andern  Göttern  des  Landes  und  Waldes  finden  wir  ihn 
häufig  verbunden.  >o)  Die  Zahl  der  Denkmäler  seines  Kultes  ist  eine  ausser- 
ordentlich grosse  und  umfasst  so  ziemlich  alle  Teile  des  Reiches,  wenn  auch 
naturgemäss  die  einzelnen  Vorstellungen  unter  dem  Einflüsse  lokal-einhei- 
mischer Anschauungen  in  den  verschiedenen  Gegenden  stark  von  einander  ab- 
gewichen sein  mögen. '^)  Die  Behandlung  des  Silvanus  durch  die  Dichter 
entfernte  sich  von  der  Volksreligion  recht  weit;  man  setzte  ihn  teils  mit 
Pan,**)  teils  mit  Silen^^)  gleich,  vei*flocht  ihn  demgemäss  in  Mythen  grie- 
chischer Herkunft  ^^)  und  vervielfältigte  ihn  ebenso  wie  Faunus  zu  einem 
Gattungsbegriffe  von  Silvani,  die  mit  den  Fauni  Satyri  Nymphae  in   dem 


')  Vgl.  Verg.  Ecl.  10,  24  f.;  Georg.  I 
20.  Martian.  Cap.  V  425;  daher  Silvanus 
dendrophorus  CIL  VI  640  f. 

*)  Visconti,  Bull.  arch.  com.  II  1874, 
182  ff.  WissowA,  Rom.  Mitteil.  I  161  ff. 

»)  Verg.  Aen.  VIII  600  ff.  CIL  VI  610. 
Prop.  V  4,  5.  Mart.  X  92,  6  ff. 

*)  Hör.  epiat.  U  1,  143.  Juven.  6,  447. 
Mart.  a.  a.  0. 

')  Schol.  Juven.  6,  447 :  caedere  Silvano 
porcum]  quia  Silvano  mulieres  non  licet 
saerificare;  vgl.  CIL  VI  579  und  H.  Jordan, 
Vindiciae  serm.  lat.  antiquiss.  (1882)  p.  5  ff. 

**)  Daher  Bezeichnungen  wie  Silvantis 
Flaviorum  CIL  VI  644,  Silvanus  Naevianus 
VI  645,  Silvanus  Caesarianensis  IX  2113, 
Silvanus  Staianus  IX  1552,  Silvanus  Vetu- 
rianus  XI  3289  u.  a. 

')  z.  B.  CIL  VI  582.  630.  XIV  20.  Sil- 
vanus  selbst  heisst  Lar  agrestis  VI  646. 

8)  z^  B.  CIL  VI  612.  630.  631.  632.  647. 
3713.    X  444.    5709.    XIV   309;    mehr    bei 


LiEBENAX,  Zur  Gesch.  u.  Organ,  d.  röm.  Ver- 
einswesens S.  293. 

^)  z.  B.  Sancto  deo  Silvano,  Genio  coüegii 
Zeunitorum  CIL  VI  693;  Silvano  et  Genio 
eq.  sing,  aug.  VI  3712. 

»0)  z.  B.  mit  Hercules  CIL  VI  288.  298 
-297.  309.  310.  329.  597.  607.  629.  645. 
834  (mit  den  Nymphen).  3690.  XIV  17.  2894. 
IX  4499. 

^0  Vgl.  z.  B.  über  die  Silvani  und  SO- 
vanae  in  Dalmatien  R.  Schmbidbb,  Arch.  epigr. 
Mitt.  aus  Oesterr.  IX  1885,  35  ff. 

»*)  z.  B.  Plaut.  Aulul.  674.  766.  Acc. 
trag.  frg.  405.   Stat.  Theb.  VI  111. 

»»)  Verg.  Georg.  II  494.  Ovid.  met.  XIV 
638. 

^*)  So  in  die  Kyparissossage  (Serv.  Georg. 
I  20;  Ecl.  10,  26)  an  Stelle  des  ApoUon 
(Serv.  Aen.  III  64.  680.  Ovid.  met.  X  106  ff.); 
eine  Erzählung  von  der  Geburt  des  Silvan 
bei  Prob,  zu  Verg.  Georg.  1  20. 


A.  Di  indigeiefl.    88.  Fannos.  Fauna.  BilTanna. 


177 


semideum  genus  des  bakchischen  Thiasos  auftreten.^)  Schliesslich  liess  ihn 
die  gelehrte  Spekulation  ebenso  wie  den  griechischen  Pan  zum  kosmogo- 
gonischen  Gotte  werden  und  deutete  den  Namen  Silvanus  als  x^sog  vhxog^ 
d.  h.  deus  materiae^  eine  Theorie,  in  der  die  Vorstellungen  von  einem 
Silvanus  Gaelestis  (CIL  VI  638),  Silvanus  Pantheus')  u.  ähnl.  sowie  seine 
Aufnahme  in  den  Mithraskult ')  ihre  Erklärung  finden. 

Sehr  stark  verwischt  ist  das  Bild  der  neben  Faunus  verehrten  alt- 
römischen Fauna,  die  in  der  hellenisierenden  Auffassung  der  römischen 
Gelehrten  bald  zur  Gattin,  bald  zur  Schwester,  bald  zur  Tochter  des  Faunus 
geworden  ist,  da  der  rituelle  Ausdruck  Fauna  Fauni  (wie  Inno  loviSy 
Nerio  Martis)  alle  Deutungen  zuliess.^)  Der  Synkretismus  späterer  Zeit 
hat  sie  mit  manchen  andern  göttlichen  Gestalten,  namentlich  mit  Ops  und 
Maja,  identifiziert,  ohne  dass  darauf  Wert  zu  legen  wäre ;  wohl  aber  kommt 
ihr  noch  ein  zweiter  Name  zu,  Bona  Dea,  ursprünglich  ein  blosses  At- 
tribut der  Göttin  (wie  duonus  cerus),  das  aber  nachher  zum  Eigennamen 
geworden  ist  und  den  Namen  Fauna  ganz  verdrängt  hat.'^)  Die  altein- 
heimische Auffassung  dieser  bona  dea  Fauna  ist  jedoch  schon  früh  dadurch 
stark  verdunkelt  worden,  dass  ein  in  Rom  eingedrungener  griechischer 
Kult  sich  des  Namens  Bona  Dea  bemächtigte  und  dergestalt  wenigstens 
im  staatlichen  Gottesdienste  die  alten  Vorstellungen  völlig  in  den  Schatten 
stellte.  Diese  Göttin  war  nach  der  Angabe  des  Verrius  Flaccus^)  die  in 
Troizen,  Epidauros,  Aigina  und  Tarent  nachweisbare  Damia,  eine  durch 
Geheimriten  verehrte  Frauengottheit ;  ^)  dass  der  Kult  von  Tarent  nach 
Rom  kam,  ist  wahrscheinlich,^)  dass  sie  gerade  mit  Fauna-Bona  Dea  gleich- 
gesetzt wurde,  hat  seinen  Grund  wohl  darin,  dass  auch  vom  Kulte  dieser 
Göttin  die  Männer  ausgeschlossen  waren.  ^)  Der  Zeitpunkt  der  Reception 
ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  ermitteln,  der  Umstand,  dass  von  dem  Namen 
der  Göttin  Damia  und  des  Festes  Damium  für  die  Priesterin  eine  latei- 
nische Benennung  damiatrix  gebildet  wurde  (s.  Anm.  6),  verbietet  zu  weit 
herunterzugehen;  am  nächsten  liegt  es,  die  Aufnahme  des  Kultes  mit  der 
Eroberung  Tarents  482  =  272  zusammenzubringen.  Das  damals  in  Rom 
eingeführte  Fest^®)  war  eine  griechische  Ttavvvxtg,  die  in  einer  alljährlich 
neu  bestimmten  Nacht  zu  Anfang  Dezember  ^0  ^^^  Geheimfeier  unter  strenger 


»)  Ovid.  met.  I  193.  Lucan.  III 403.  Plin. 
n.  h.  XII  3. 

>)  CIL  VI  695;  vgl.  die  Statue  des  Pan 
Pantheus  bei  E.  Baumann,  Die  antiken 
Marmorskulpturen  des  Grossh.  Antiquariums 
zu  Mannheim,  Festschr.  z.  36.  Philol.  Ver- 
samml.  in  Karlsruhe,  1882,  S.  16  ff. 

•)  Vgl.  F.  CüMONT,  Revue  archöol.  1892 
r  186  ff. 

*)  Varro  de  l.  1.  VII  36.  Serv.  Aen.  VII 
47.  VIII  814.  Lact.  inst.  I  22,  11.  Macr. 
S.  I  12,  21  ff.  Amob.  I  36.  Tert.  ad  nat.  II  9. 

')  Die  gleiche  Bedeutung  hat  die  bei 
den  Picentem  (Strab.  V  241.  Momxsbn  CIL 
IX  p.  502)  und  Umbrem  (Bubchslbb,  Um- 
brica  p.  173)  verehrte  Göttin  Cupra  (von 
cup'  =  bonua).  Vgl.  Wissowa  in  Roschers 
Lex.  I  931  f. 

*)  PauL  p.  68:  damium  sacrificium,  quod 
BkndbQch  der  kUM,  AltertamcwteenaohafU   Y,  4. 


fiebat  in  operto  in  honorem  Bonae  De(ie,  dic- 
tum a  contrarietcUe,  quod  minime  esset  uafio- 
Ciov  id  est  publicum,  dea  quoque  ipsa  Damia 
et  sacerdos  eius  damiatrix  appellahatur, 

')  'ü  yvkaixeia  &66e  heisst  sie  Macr.  S.  I 
12,  27.  Plut.  Q.  R.  20;  Caes.  9;  Cic.  19;  vgl. 
Prep.  V  9,  25.  R.  Pbteb  in  Roschers  Lexik. 
1  943  ff. 

8)  DiELS,  Sibyll.  Blätter  S.  44  f.  Zib- 
UNSKi,  Quaest.  com.  p.  100,  7;  vgl.  auch 
Cbusius,  Philologus  XLIX  675.  A.  Dibtbbich 
ebd.  LH  8  f. 

•)  Macr.  8.  I  12,  28.  Prep.  V  9;  vgl. 
den  Ausschluss  der  Frauen  vom  Kulte  des 
(Faunus- )Silvanu8,  oben  S.  176. 

*°)  Zeugnisse  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw. 
III  345  f. 

^^)  Dass  der  Termin  kein  fester  war  (die 
Nacht  vom  3./4.  Dezember  ist  es  im  J.  691 

12 


178 


Beligion  und  KnltuB  der  Römer,    n.  Mtterlehre, 


Fernhaltung  der  Männer^)  von  Siaatswegen  pro  populo^)  begangen  wurde; 
die  Feiernden  sind  die  Frauen  Roms,  der  Staat  bringt  das  Opfer  dar  durch 
die  Frau  eines  Magistrates  cum  imperio,  in  dessen  Hause  auch  die  Feier 
stattfindet,^)  und  durch  die  Yestalinnen,  die  hier  wie  überall  die  am  Staats- 
herde waltende  Hausfrau  vertreten.^)  Der  Festraum  war  mit  Weinranken 
geschmückt  (Plut.  Caes.  9),  das  Opfer  bestand  in  einer  porca  (Marc.  S.  I  12, 
23.  Juven.  2,  86),  der  Wein  spielte  dabei  eine  grosse  Rolle,^)  Musik  und 
Tanz  begleiteten  die  Feier.  ^)  Die  griechische  Göttin  brachte  auch  ihren 
ItQog  Xoyog  mit  nach  Rom,  der  aetiologisch  die  Eultgebräuche  erklärte,  den 
Ausschluss  der  Männer,  die  Fernhaltung  der  Myrthe,  die  Anwendung  des 
Weines  unter  falscher  Benennung  ^)  u.  a. ;  diese  Legende,  die  uns  in  zwei 
verschiedenen  Versionen  vorliegt,^)  ist  bis  auf  die  Namen  durchaus  grie- 
chisch^) und  darf  auf  keinen  Fall  als  einheimische  Überlieferung  angesehen 
werden.  Dieser  griechischen  Göttin  galt  der  am  Abhänge  des  Aventin 
unterhalb  des  sogen,  saxum  sacrum  gelegene  Tempel  der  Bona  Dea,  der 
von  Livia  wiederhergestellt  wurde  und  sein  Stiftungsfest  am  1.  Mai  be- 
ging ;  ^0)  auch  hier  war  Männern  der  Zutritt  versagt  (Fest.  p.  278).  Von 
grossem  Interesse  ist  die  Angabe  (Macr.  S.  I  12,  25  f.),  dass  mit  diesem 
Tempel  eine  Apotheke  verbunden  war  und  dass  dort  Schlangen  gehalten 
wurden,  wie  in  den  griechischen  Asklepieia;  die  Göttin  trug  also  den 
Charakter  einer  Heilgottheit,  wie  auch  zahlreiche  Inschriften  der  Kaiser- 
zeit bezeugen.^*)  Insbesondere  sind  es  die  Frauen,  welche  in  Krankheits- 
fällen ihre  Hilfe  anrufen,  und  Frauen  versehen  auch  den  Dienst  an 
diesen  sakralen  Heilstätten  der  Göttin,  von  denen  wir  ausser  dem  aven- 
tinischen  Tempel  durch  Inschriften  namentlich  noch  ein  Heiligtum  in 
Trastevere^')  und  ausserhalb  Roms  eines  in  Aquileja^^)  nachweisen  können; 
diese  dienstthuenden  Frauen,  deren  Mitwirkung  bei  der  Heilung  zuweilen 


=  63,  Plut.  Cic.  19.  Cass.  Dio  XXXVII  35) 
zeigt  Cic.  ad  Att  V  21,  14.  VI  1,  26.  XV  25. 

*)  Cic.  de  har.  resp.  37 ;  die  zahlreicheD 
sonstigen  Belegstellen  Real-Encykl.  III  688  f. 

*)  Cic.  de  har.  resp.  37;  de  leg.  II  21; 
ad  AU.  I  12,  3.  13,  3.  Ascon.  p.  43.  47. 
Sen.  epist.  97,  2.  Juven.  9,  117.  Cass.  Dio 
XXXVII  35. 

')  Cic.  de  har.  resp.  37.  Plut.  Caes.  9; 
Cic.  19.   Cass.  Dio  XXXVII  45. 

*)  Cic.  de  har.  resp.  37;  ad  Att  I  13,  2; 
de  leg.  II  21.  Ascon.  p.  43.  Plut.  Cass.  Dio 
aa.  00. ;  vgl.  dazu  Jobdan,  Tempel  d.  Vesta 
S.  52.  56. 

»)  Juven.  2,  87.  9,  117;  vgl.  6,  314  flf. 
Amob.  V  18.   Lact.  I  22,  11. 

<")  Plut.  Caes.  9.  Juven.  6,  314  ff. 

')  Macr.  S.  I  12,  25:  vinum  in  templum 
eiu8  non  suo  nomine  soleat  inferri,  sed  vas 
in  quo  inditum  est  meUarium  nominetur  ei 
vinum  lac  nuncupetur;  vgl.  dazu  Lobbck, 
Aglaoph.  p  879.   Dibls,  Sibyll.  Blätter  S.  7 1, 1. 

^)  Die  ältere  und  bessere,  auf  Varro 
zurückgehende  Fassung  bei  Macr.  S.  I  12, 
24  ff.  Lact.  inst.  I  22,  9  ff.  Tert.  ad  nat. 
II 9.  Serv.  Aen.  VIII  314;  die  jQngere,  ratio- 


nalisirende  nach  Sex,  Clodius  »exto  de  dis 
graeco  bei  Amob.  V  18;  vgl.  Lact.  1  22,  11. 
Plut.  Q.  R.  20. 

*)  Hinweis  auf  griechische  Parallelen 
bei  DiBTBBiCH  a.  a.  0.  S.  9. 

»0)  Ovid.  fast.  V  148  ff.  Macr.  S.  I  12, 
21;  die  Angabe  Ovids,  dass  eine  Vestalin 
Claudia  die  Stifterin  sei,  beruht  auf  einer 
Entstellung  der  bei  Cic.  de  domo  136  er- 
zählten Geschichte,  wonach  im  J.  631  =  123 
die  von  einer  Vestalin  Licinia  vorgenommene 
Weihung  einer  ciedictila  (nicht  ctedea)  Bonae 
deae  sub  saxo  als  initissu  poptdi  geschehen 
von  den  Pontifices  nicht  anerkannt  wurde. 

1')  Bona  dea  Uygia  CIL  VI  72;  dea 
[bona  V]aletudo  Eph.  epigr.  V  1299;  f&r 
Heilung  von  Augenkrankheiten  CIL  VI  68. 
75,  von  Ohrenleiden  V  759  (Auribus  Bonae 
Deae;  vgl.  CIL  III  986  und  das  Relief  CIL 
XII  654). 

»«)  CIL  VI  65-68.  75;  vgl.  auch  Hist 
Aug.  Hadr.  19,  11. 

•»)  CIL  V  756-762.  847.  8242;  hier 
steht  ein  einheimischer  Gott  Fonio  neben  ihr, 
V  757  f. 


A«  Di  indigetefl.    83.  Die  Gottheiten  des  Wasaen. 


179 


eigens  hervorgehoben  wird,^)  heissen  bald  sacerdotes  bald  magistrae  und 
ministrae  der  Bona  Dea.')  Dieser  ganze  Zweig  des  Kultes  der  Bona  Dea 
gehört  offenbar  zum  Dienste  der  griechischen  Damia;  die  Erinnerung  an 
die  alte  Fauna-Bona  Dea  ist  nicht  vollkommen  verschwunden,  aber  die 
Bedeutung  dieser  Göttin  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  stark  verallgemeinert 
und  verflacht :  wenn  sie  als  Göttin  des  Landbaus,  und  zwar  besonders  von 
den  Gaugenossen,  verehrt  wird  (wie  Faunus,  so  oben  S.  173),^)  so  kann 
darin  sehr  wohl  noch  eine  Erinnerung  an  die  altrömische  Fauna  stecken; 
sonst  aber  wird  Bona  Dea  auch  als  Schutzgottheit  bestimmter  Örtlichkeiten 
fast  gleichbedeutend  mit  dem  Genius  loci  angerufen,^)  und  in  einer  Reihe 
von  Beispielen  ist  sogar  Bona  dea  einfach  als  Attribut  zu  dem  Namen 
einer  andern  Gottheit  hinzugetreten.^)  Der  Anlass  zu  dieser  Yerflachung 
liegt  in  der  wenig  ausgeprägten  Bedeutung  des  Namens,  der  die  verschie- 
densten Auffassungen  zuliess;  es  lässt  sich  darum  auch  nicht  ausmachen, 
in  wie  weit  an  den  namentlich  in  Latium  ^)  und  den  Nachbargebieten 
zahlreich  nachweisbaren^)  Kultstätten  der  Göttin  diese  oder  jene  Grund- 
anschauung  vertreten  war.  Auch  eine  bei  Albano  gefundene  inschriftlich 
gesicherte  Statue  der  Bona  Dea^)  trägt  denselben  unbestimmten  Charakter ; 
es  ist  eine  vollbekleidete  thronende  Frau  in  einem  aus  unzähligen  Vari- 
ationen verschiedenster  Bedeutung  bekannten  Typus  mit  dem  ganz  farblosen 
Attribute  des  Füllhorns;  nicht  einmal  das  anderweitig  bezeugte^)  Symbol 
der  Schlange  ist  ihr  beigegeben. 

Litteratur:  M.  Mottt,  De  Fanno  et  Fauna  sive  Bona,  Dea  eiosque  mysteriis, 
Berolini  1840.  D.  db'  Guidobaldi,  Damia  o  Bona  Dea  ad  occasione  d'una  iscrizione  Osca 
opistografa,  Napoli  1865.  A.  Rbiffbbscheid,  Annali  d.  Inst.  1866,  210  ff.  G.  Wissowa  in 
Hoscfaers  Lexikon  T  1453  ff.  und  Real-Encycl.  111  686  ff.  R.  Pbtbb  in  Röschere  Lexikon  I 
789  ff.    D.  Vaglibbi  bei  Rüqgibuo,  Dizion.  epigraf.  I  1012  ff. 

33.  Die  Gottheiten  des  Wassers.  Das  fliessende  Wasser  natür- 
licher Quellen,  die  aqua  iugis,^^)  spielt  im  Ritual  des  altrömischen  Kultus 
eine  hervorragende  Rolle;  denn  für  alle  sakralen  Zwecke,  namentlich  für 
die  Reinigung  vor  dem  Opfer  oder  zur  Lustration  nach  vorangegangener 


0  Per  eam  (d.  h.  Bona  Dea)  restittUa 
omnia  ministerio  Canniae  Fartunatcte  CIL 
VI  68. 

«)  Sacerdotes  in  Rom  CIL  VI  2236  f. 
2240.  Eph.  epigr.  IV  873 ;  magistratus  collegi 
Bonae  Deae  VI  2239,  tnagisterium  Bonae 
Deae  XIV  4057;  magistrae  CIL  VI  2288.  IX 
805.  XI  3866.  XIV  3437.  Eph.  epigr.  VIII 
624;  ministrae  CLL  XU  654.  Notiz,  d.  scavi 
1881,  22;  magistrae  und  ministrae  in  Aqui- 
leja  CIL  V  757-759.  762. 

')  Cereria  heisst  sie  CIL  V  761,  pagana 
V  762  (vgl.  die  Weihung  der  magistri  Laver- 
neis  . .  pagi  decreto  CIL  11279  =  IX  8138); 
Bildwerke,  die  auf  Landbau  hinweisen,  X 
4615.  Zur  Vorsicht  mahnt  jedoch  CIL  VI  68, 
wo  die  Göttin  Bona  Dea  agrestis  felix  heisst, 
die  Weihung  aber  erfolgt  oh  luminihus 
restUutis, 

*)  HoMxssN  zu  Ephem.  ep.  IV  723  ^ 
Daher  Bona  Dea  castrensis  (Eph.  ep.  IV  723. 


CIL  V  760,  vgl.  VI  70),  Bona  Dea  arcensis 
triumphalis  (Eph.  ep.  VIII  183),  Bona  Dea 
Annianensis  (CIL  VI  69),  Bona  Dea  Sevina 
(CIL  XIV  3437)  u.  a. 

*)  Bona  dea  luno  (CIL  II l  3507),  Venus 
Cnidia  (CIL  VI  76),  Isis  (XI  3243  mit  Bor- 
manns Anmerkung),  Caelestis  (X  4849.  XIV 
3530). 

^)  Ausser  den  inschriftlichen  Zeugnissen 
(CIL  XIV  2251.  3437.  3530.  4001.  4057)  vgl. 
Cic.  pro  Mil.  86  (s.  auch  Ascon.  p.  27),  der 
eines  sacrarium  Bonae  Deae  bei  Bovillae 
gedenkt. 

')  Ausserhalb  Italiens  selten;  z.  B.  CIL 
VIII  4509.  10765.  11795.  XII  654.  5830. 

*)  0.  Mabucchi,  Bull.  arch.  com.  VII 
1879   227  ff 

»)  Plut.  Caes.  9;  vgl  Macr.  8.  I  12,  25. 
CIL  VI  55. 

•ö)  Hör.  serm.  11  6,  2;  epist.  I  15,  16. 
Serv.  Aen.  II  719.  Fest.  p.  161  u.  a. 

12* 


180 


Religion  nnd  Kultus  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


Befleckung,  ist  nur  das  vivo  flumine^)  geschöpfte  Wasser  brauchbar,  nicht 
das  aus  Cisternen  oder  Leitungen  entnommene.  In  besonders  alten  und 
mit  strengem  Geremoniell  umgebenen  Kulten  ist  für  die  Entnahme  des 
zur  Reinigung  des  Tempels  und  zu  sonstigen  Eultzwecken  nötigen 
Wassers  sogar  ein  bestimmter  Quell  vorgeschrieben.  So  mussten  im 
Dienste  der  Yesta  ihre  jungfräulichen  Priesterinnen  ursprünglich  täglich 
den  Bedarf  an  Wasser  selbst  aus  dem  vor  der  Porta  Capena  gelegenen 
Haine  der  Gamenae  holen,')  in  dem  eine  Quelle  besonders  guten  Wassers 
entsprang.^)  Diese  Gamenae,  welche  in  dem  Haine  eine  kleine  eherne 
Aedicula^)  besassen  und  Opfer  von  Wasser  und  Milch  erhielten  (Serv. 
Ecl.  7,  21),  sind  sicher  von  Haus  aus  Quellgöttinnen  und  als  solche  auch 
verstanden  worden,^)  wenn  man  sie  auch  zugleich  früh^)  und  allgemein 
mit  den  griechischen  Musen  identifizierte,  anknüpfend  an  die  ältere  Namens- 
form Casmenae,  die-  man  von  Carmen  {*casmen)  herleitete.')  Zweifelhaft 
bleibt  es,  ob  die  Gamenae  zugleich  auch  als  Geburtsgöttinnen  angesehen 
worden  sind,  wie  die  am  Quell  des  Haines  von  Aricia  verehrte  Egeria,  die 
bei  der  Übertragung  des  aricinischen  Dianendienstes  nach  Rom  im  Haine 
der  Gamenae  ihre  Kultstätte  fand  (s.  unten  §  37).  Nahe  gelegt  wird 
diese  Vermutung  durch  die  im  Namen  gegebene  Beziehung  der  Gamenae 
zur  Göttin  Garmentis  oder  Garmenta®),  welche,  ursprünglich  wahrscheinlich 
ebenfalls  Quellgottheit,  ^)  als  besondre  Beschützerin  der  gebärenden  Frauen 
angerufen  wurde. ^^)  Von  den  beiden  Hauptlagen,  die  das  Kind  bei  der 
Geburt  einnimmt,  führte  sie  den  Doppelbeinamen  Prorsa  Postverta^^)  (ge- 
bildet wie  Patulcius  Clusivius,  Condus  PromuSy  Panda  Cela  u.  a.),  woraus 
man  später  missverständlich  eine  Mehrheit  von  Garmentes  oder  Beglei- 
terinnen (Schwestern)  der  Hauptgöttin  machte;  auch  die  Beinamen  Nona 
Decimaj^^)  hergenommen  von  den  beiden  hauptsächlich  für  die  Geburt  ent- 
scheidenden Monaten,  kommen  wahrscheinlich  der  Garmenta  zu  (s.  unten 
§  39).  Die  Bedeutung  der  Göttin  im  ältesten  Kultus  erhellt  daraus,  dass 
sie  nicht  nur  einen  eigenen  Flamen  Garmentalis^')  besass,  sondern  ihr  Fest 

(Varro,  Verrius,  Vergil,  Ovid,  Geilius,  Servius 
u.  a.),  Ckirmenta  hat  nur  liv.  I  7,  8  (aber 
V  47,  2  ad  Cartnentis).  Hygin.  fab.  277. 
Solio.  1, 18.  [Aur.  Vict.]  origo5  (letztere  beiden 
haben  Carmenta  and  Carmentia  dicht  neben 
einander)  und  (KaQfjiäyTtj)  die  Griechen  (Strabo, 
Dionys  v.  Halikamass,  Plutarch). 

')  Darauf  führt  wenigstens  die  Bezeich- 
nung als  Nymphe,  die  sie  häufig  erhftlt, 
z.  B.  bei  Verg.  Aen.  VllI  336  (und  dazu 
Serv.).  339.  Strabo  V  230.  [Aur.  Vict.]  origo 
5  u.  a.;  vgl.  Pbkukeb,  Hestia-Vesta  S.  3d4. 

'»)  Plut.  Rom.  21;  Q.  R.  56. 

'*)  Diese  Namensformen  gibt  Varro  bei 
Gell.  XVI  16,  4  und  Tert.  ad  nat.  11  II; 
Porrima  und  Postverta  Ovid.  fast.  I  633. 
Serv.  Aen.  VIU  336;  Äntevorta  und  Post- 
varta  Macr.  S.  1  17,  20. 

»«)  Varro  bei  Gell.  HI  16,  10.  Tert  de 
an.  37. 

»)  Cic.  Brut.  56.  CIL  VI  3720.  Ephem. 
epigr.  IV  759. 


1)  Vgl.  z.  B.  Verg.  Aen.  II  719  und  Serv. 
z.  d.  St.  Liv.  I  45.  6  =  Aur.  Vict.  v.  ill.  7. 
Ovid.  fast.  IV  778.  Val.  Flacc.  III  422.  Tac. 
bist.  IV  53  u.  a. 

*)  Plut.  Numa  18;  vgl.  Jobdan,  Tempel 
der  Vesta  S.  63. 

»)  Vitruv.  VUl  3,  1.  Liv.  I  21.  3. 

*)  Sie  wurde  später  vom  Blitze  ge- 
troffen und  erst  in  dem  benachbarten  Tempel 
von  Honos  und  Virtus,  dann  in  der  aedes 
Herculis  Mtisarum  des  Fulvius  Nobilior  auf- 
gestellt (Serv.  Aen.  I  8);  die  von  Plin.  n.  h. 
XXXIV  19  erw&hnte  aedes  Camenarum  ist 
vielleicht  eben  diese  aedea  Herculis  Musarum, 

*)  Varro  bei  Serv.  Ecl.  7,  21.  Tertull. 
adv.  Marc.  I  13. 

')  Schon  Liv.  Andren.  Odiss.  frg.  1; 
vgl.  Varro  de  1. 1,  VII  26  f.  Paul.  p.  43.  67. 
JoBDAN,  Krit.  Beiträge  S.  131  ff. 

')  Anders  Catnenae  quasi  canenae  Macr. 
comm.  II  3,  4;  vgl.  Serv.  EcL  3,  59.  Paul, 
p.  43. 

*)  Cartnentis  ist  die  gewöhnliche  Form 


A.  Di  indigetes.    33.  Die  Gottheiten  des  Wassers. 


181 


ein  zweitägiges  war,  in  der  Art,  dass  zwischen  den  beiden  Festtagen  (11. 
und  15.  Januar)  der  in  der  ältesten  Festordnung  mehrfach  als  bedeutungs- 
voll zu  beobachtende  Zwischenraum  von  3  Tagen  lag.^)  Mit  der  Erklä- 
rung der  Zweitägigkeit  hat  man  sich  im  Altertume  viele  Mühe  gegeben 
und  zur  Begründung  der  Hinzufügung  des  zweiten  Tages  mancherlei  Hy- 
pothesen aufgestellt :  die  einen  führten  sie  auf  ein  Gelöbnis  bei  einer  Be- 
lagerung von  Fidenae  zurück,')  die  andern  wussten  zu  erzählen,  dass  sich 
einst  die  Matronen  Roms  die  versagte  Erlaubnis,  sich  in  der  Stadt  des 
Wagens  {carpentum)  zu  bedienen,  durch  Verweigerung  der  ehelichen  und 
mütterlichen  Pflichterfüllung  erkämpft  hätten  und  der  zweite  Festtag  der 
Erinnerung  an  die  erfolgte  Versöhnung  diene.  ^)  Liegt  auch  hier  die  Her- 
leitung der  ganzen  Kombination  aus  der  etymologischen  Spielerei  mit 
Carmenta  und  carpenta  auf  der  Hand,  so  hat  doch  die  aetiologische  Er- 
findung mit  Bedacht  gerade  die  römischen  Matronen  zu  Trägerinnen  der 
Handlung  gemacht,  weil  deren  Beziehungen  zum  Dienste  der  Göttin  ausser 
Zweifel  standen.  Als  eine  Stiftung  der  römischen  Matronen  galt  das  zwi- 
schen Capitol  und  Fluss,  nahe  der  danach  benannten  Porta  Carmentalis, 
gelegene  alte  Heiligtum,^)  aus  dessen  Ritual  wir  die  eine  Bestimmung 
kennen,  dass  nichts  Ledernes  (scortea),  also  von  einem  toten  Körper  Her- 
rührendes hineingebracht  werden  durfte,  weil  dem  Heiligtume  der  Geburts- 
göttin jedes  omen  morticinum  femgehalten  werden  musste.*)  In  der  Lifc- 
teratur  tritt  die  Eigenschaft  der  Carmenta  als  Geburtsgöttin  zurück  hinter 
der  Betonung  ihrer  Weissagegabe,  die  wohl  ebenfalls  schon  der  ältesten 
Auffassung  der  Göttin  angehört,  da  wir  diese  Vereinigung  von  Quell-,  Ge- 
burts-  und  Weissagegottheiten  auch  sonst  finden:  man  bezeichnete  darum 
Carmenta  als  eine  Geburtsparze,  die  den  Neugeborenen  ihr  Geschick  singe, ^) 
leitete  ihren  Namen  nicht  nur  von  den  carmina,'')  sondern  von  der  sehe- 
rischen Verzückung,  dem  carere  mente,^)  ab  und  erklärte  die  Beinamen 
Antevorta  und  Postvorta  von  ihrem  auf  Vergangenheit  und  Zukunft  in 
gleicher  Weise  gerichteten  Blicke.®)  In  den  Erzählungen  der  römischen 
Dichter  tritt  sie  daher  vielfach  als  Prophetin  der  künftigen  Grösse  Roms 
oder  einzelner  Ereignisse  auf  ^^)  und  wird  auch  in  die  Vorgeschichte  Roms 
in  der  Art  verflochten,  dass  man  sie  zur  Mutter  (oder  Gattin,  Plut.  Rom. 
21)  des  Euander  und  zur  Arkaderin  machte  und  mit  den  von  der  grie- 
chischen Tradition  an  gleicher  Stelle  genannten  Nymphen,  Themis,  Niko- 
strate  u.  a.,  identifizierte.")    So  spielt  sie  in   der  Litteratur  eine  grosse 


>)  CIL  I»  p.  307.  Ovid.  fast.  I  461  ff. 
617  ff.;  vgl.  Varro  de  1. 1.  VI  12.  Macr.  S.  I 
16,  6.  Fiat.  Rom.  21;  über  den  Stägigen 
Zwischenramn  Wissowa,  De  feriis  anni  Rom. 
p.  VIII. 

')  Fast.  Praen.  15.  Jan.,  vg].  Mommsbn 
CIL  I«  p.  807. 

•)  Ovid.  fast.  I  617  ff.  Plut.  Q.  R.  56. 

*)  Plut.  Q.  R.  56;  fanum  Carmentis 
Gell.  XVIII  7,  2.  Solin.  1,  13,  sacellum  Ovid. 
fast.  I  629;  gewöhnlich  ist  nur  von  einem 
Altar  (zwei  arae  Varro  bei  Gell.  XVI  16,  4) 
die  Rede.  Verg.  Äen.  VIII  337  und  Serv. 
z.  d.  St.  Dion.  Hai.  ant.  I  32. 


»)  Ovid.  fast.  I  629  f.  Fast.  Praen. 
11.  Jan.;  vgl.  Varro  de  1.  L  VII  84.  Serv. 
Aen.  IV  518. 

^)  Quae  fata  nascentibua  canunt  August, 
c.  d.  IV  11;  vgL  Plut.  Rom  21;  Q.  R.  56. 
Fast.  Praen.  11.  Jan. 

')  Plut.  aa.OO.  Solin.  1,  10.  Mart.  Cap. 
II  159.   Isid.  orig.  I  4. 

«)  Plut.  aa.  00. 

•)  Macr.  S.  I  7,  20.  Ovid.  fast.  I  685  f. 

»0)  z.  B.  Verg.  Aen.  VIII  333  ff.  Ovid. 
fast.  1  461  ff.  VI  529  ff.  Strab.  V  230.  Dion. 
Hai.  ant  I  40. 

'»)  Verg.  Aen.  VIII  333  ff.  Ovid.  fast  I 


182 


Religion  nnd  Kultus  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 


Rolle,  die  nicht  recht  im  Verhältnis  steht  zu  der  Bedeutung,  die  ihr  im 
Kulte  der  späteren  Zeit  zukam:  denn,  wie  das  völlige  Fehlen  von  Weih- 
inschriften zeigt,  trat  sie  gegen  Gottheiten  verwandter  Funktion  wie  Mater 
Matuta,  Diana,  Juno  Lucina  völlig  in  den  Hintergrund. 

Ihren  allgemeinen  Ausdruck  fand  die  Verehrung  der  Quellen  im 
Staatskulte  durch  das  Quellenfest  Fontinalia  am  13.  Oktober,  bei  dem  man 
Blumengewinde  in  die  Quellen  warf  und  die  Brunnen  bekränzte.^)  Der 
Gott  F  0  n  s  ^)  als  Repräsentant  aller  Quellen  erhielt  einen  Tempel  im  J.  523 
==231  durch  G.  Papirius  Maso  (Cic.  de  nat.  deor.  UI  52),  ausserhalb  der 
Stadt  in  der  Nähe  eines  Thores,*)  jedenfalls  wohl  der  porta  ForUinalis;^) 
dort  mag  schon  vorher  ein  sacellum  des  Gottes  bestanden  haben,  während 
eine  andre  ara  Fontis  in  der  Nähe  des  angeblichen  Grabes  des  Numa  (Cic. 
de  leg.  II  56),  d.  h.  auf  dem  Janiculum,  gelegen  war  und  die  genealogische 
Konstruktion  ihn  daher  zu  einem  Sohne  des  Janus  (und  der  Quellnymphe 
Juturna)  machte  (Arnob.  III  29).  Bei  den  Piacularopfem  der  Arvalen  er- 
scheint Föns  mit  dem  Opfer  von  zwei  Hammeln;^)  dagegen  ist  es  bei  den 
zahlreichen  inschriftlich  erhaltenen  Privatweihungen  nicht  sicher  zu  ent- 
scheiden, ob  an  den  Gott  des  Staatskultes  oder  an  das  numen  einer  be- 
stimmten einzelnen  Quelle  gedacht  ist;^)  letzteres  ist  in  den  weitaus  mei- 
sten Fällen  das  wahrscheinlichere  und  wird  oft  durch  individualisierende 
Beinamen  bewiesen  (z.  B.  fons  Lollianus  CIL  VI  162,  fons  Scaurianus  ebd. 
164  f.  u.  a.).  Denn  eine  jede  Quelle  ist  heilig  und  Gegenstand  göttlicher 
Verehrung:')  jede  Verunreinigung  wird  aufs  strengste  ferngehalten,  Wein- 
spenden und  Tieropfer  an  festlichen  Tagen  dargebracht,^)  auch  Tempel 
über  oder  an  der  Quelle  erbaut.®)  Die  Verehrung  gilt  oft  auch  den  fontes 
in  der  Mehrzahl  oder  den  Lymphae,^^)  die  als  Gottheiten  der  befruchtenden 
und  heilenden  Kraft  des  Wassers  verehrt  wurden^')  und  später  den  grie- 
chischen Nymphae  Platz  machten.^*)    Die  Verehrer  waren  die  Anlieger  und 


461  ff.  Strabo  V  230.  Liv.  I  7.  Dion.  Hai. 
ant.  1  31.  [Aur.  Vict.]  origo  5.  Flut.  Rom.  21 ; 
Q.  R.  56.  Solin.  1,  10.  Serv.  Aen.  VÜI  51. 
130.  836. 

»)  Varro  de  1. 1.  VI  22;  vgl.  Paul.  p.  85. 
CIL  I«  jp.  332. 

>)  Die  Form  FotUus  hat  Arnob.  III  29; 
Fontanus  findet  sich  auf  zwei  Inschriften, 
CIL  X  6071  und  (mit  Fontana)  U  150. 

')  Dies  zeigt  die  Notiz  eines  1894  ge- 
fundenen Kalenderbruchstückes  (Bull.  arch. 
com.  XXII  1894,  221  ff.)  zum  13.  October: 
Fonti  extra  p[ortam  ....]. 

*)  Ueber  deren  Lage  s.  jetzt  Hülsen, 
Rhein.  Mus.  XLIX  411  f. 

')  Hbnzbn,  Acta  fr.  Arv.  p.  146. 

*)  Vgl.  Genio  nutninis  fontis  Sermon, 
CIL  VI  152;  numini  nympharum  aquae  ebd. 
547;  fontana  numina  Ovid.  fast.  IV  759  f. 

')  Frontin.  de  aqu.  4.  Serv.  Aen,  VII  84: 
nufliM  enim  fons  non  saeer;  vgl.  fontes  divini 
CIL  V  4938.  11  2005;  fons  sanctissimus  CIL 
VI  153. 

»)  Hör.  carm.  III  18;  vgl.  Ovid.  fast.  III 


300.  Martial.  VI  47.  Die  Verehrung  der 
Quellen,  z.  B.  das  panem  in  fontem  mittere, 
gehört  zu  den  letzten  Resten  des  Heiden* 
tums,  gegen  welche  die  christlichen  Prediger 
noch  im  6.  Jhdt.  eifern,  s.  Martin  v.  Bra- 
cara  de  correct.  rust.  c.  16  und  Caspari 
z.  d.  St. 

>)  Aedes   fontis    CIL   VIII   2656,    vgl. 
Vitruv.  I  2,  5. 

»«)  Aeltere  Form  Lumpae  CIL  IV  815; 
Lumpheis  CIL  IX  4644;  Lumphis  Vitruv.  I 
2,  5;  Lumphieis  CIL  X  6797;  osk.  diumpais 
auf  der  Inschrift  von  Agnone,  Zvetaikpf, 
Syll.  inscr.  Ose.  Nr.  9. 

")  Varro  de  1.  1.  V  71;  de  re  r.  I  1,  6 
und  mehr  bei  Wissowa  in  Roschers  Lexik. 
II  2205  f. 

>')  Ueber  die  aedes  Nympharum  in  eampo 
vgl.  AusT,  De  aedib.  sacr.  p.  29  Nr.  80;  Über 
Nymphaea  in  Rom  Gilbert,  Topogr.  III 282  f. 
Weihungen  an  die  Nymphen  sind  häufig, 
namentlich  bei  Heilquellen,  z.  B.  CIL  X 
6786-  6799  (Ischia).  XI  8286  ff.  (Vicarello). 


A.  Di  indigetes.    88.  Die  Qottheiten  des  Waaaers. 


183 


Benutzer  der  einzelnen  Quelle,  teils  Einzelpersonen,  teils  Korporationen, 
insbesondere  von  solchen  Handwerkern,  die  zu  ihrem  Betriebe  des  Wassers 
in  ausgedehntem  Masse  bedurften,  wie  z.  B.  die  Walker.  0  In  Rom  hat 
dann  die  Göttin  einer  bestimmten  Quelle  die  besondere  Verehrung  aller 
mit  Wasser  arbeitenden  Handwerker  (qui  artificium  aqua  exercent  Serv. 
Aen.  Xn  139)  gewissermassen  auf  sich  konzentriert,  Juturna  oder,  wie 
sie  mit  älterem  Namen  heisst,  Diutuma-J)  der  ursprünglich  an  einer  Quelle 
im  Gebiete  von  Lavinium  haftende  Name  (Serv.  a.  a.  0.)  wurde  auf  eine 
römische  Quelle,  den  nahe  beim  Vestatempel  gelegenen  locus  luturnaef^) 
übertragen  und  am  Ende  des  ersten  punischen  Krieges  durch  Q.  Lutatius 
Catulus  im  Marsfelde,  dort  wo  später  der  Endpunkt  der  Aqua  Yirgo  war 
(Ovid.  faist.  I  464),  ein  Staatstempel  der  Juturna  erbaut,  dessen  Stiftungs- 
tag am  11.  Januar  {IiUumalia  Serv.  a.  a.  0.)  insbesondere  von  den  ge- 
nannten Handwerkern  begangen  wurde.^)  Auch  die  heilende  Kraft  des 
Quellwassers  wurde  durch  Juturna  vertreten,  deren  Namen  man  a  iuvando 
herleitete,  quod  laborantes  iuvare  consuevü,^)  und  ebenso  scheint  man  zur 
Abwehr  von  Feuersgefahr  neben  den  Nymphen  auch  sie  zu  Hilfe  gerufen 
zu  haben.*)  In  die  dichterische  Ausgestaltung  der  latihischen  Urgeschichte 
ist  sie  von  Yergil  als  Schwester  des  Turnus  verflochten  worden,  während 
Ovid  von  einem  bei  Yergil  nur  angedeuteten  Liebesverhältnisse  zu  Jup- 
piter  ausführlich  zu  erzählen  weiss  ^)  und  andere  (Arnob.  HI  29)  sie  zur 
Gattin  des  Janus  und  Mutter  des  Fontus  machten. 

Wie  die  Quellen,  so  haben  auch  die  Flüsse  in  Italien  überall  uralten 
Kult,  wenn  es  auch  natürlich  bei  der  jeweiligen  lokalen  Beschränkung 
desselben  vom  Zufall  abhängt,  ob  wir  von  der  Yerehrung  des  einzelnen 
Flusses  etwas  wissen.  Besonders  berühmt  waren  der  noch  in  der  Kaiser- 
zeit blühende  Kult  des  Glitumnus  in  Umbrien^)  und  der  des  Numicus 
von  Lavinium,  der  mit  dem  Dienste  des  dortigen  Juppiter  Indiges  in 
engster  Beziehung  stand;')  auch  die  Yerehrung  des  neapolitanischen  Sebe- 
thus  (CIL  X  1480  und  dazu  Mommsen)  und  des  Padus  pater  (Bull.  d.  inst. 
1876,  85)  sind  inschriftlich  belegt,  während  die  Deutung  mancher  sonst 
unbekannter  Namen  der  Weihinschriften,  wie  z.  B.  des  Turpenus  pater 
von  Praeneste  (CIL  XIY  2902),  auf  Flussgötter  unsicher  ist.*®)  Um  so  mehr 


*)  Geradezu  als  collegia  fontanorum  be- 
zeichnet CIL  VI  266  -268.  1078  und  dazu 
MoMMSBN,  Ztschr.  f.  gescbichtl.  Rechtswiss. 
XV  326  ff.,   vgl.  auch  Rudorff  ebd.  214  ff. 

*)  CIL  VI  3700.  Cic.  p.  Cluent.  101.  Flor. 
I  28  und  dazu  Momjcssn,  Eph.  epigr.  I  p.  36; 
CIL  I«  p.  327. 

•)  JoRDAK,  Topogr.  I  2  S.  370.  Gilbert 
Topogr.  I  363  f. 

*)  AusT,  De  aed.  sacr.  p.  17  Nr.  35,  vgl. 
p.  29  zu  Nr.  80  und  p.  46. 

»)  Varro  de  L  1.  V  71.  Serv.  Aen.  XII 
139. 

«)  Mommsen  CIL  P  p.  826  f.;  vgl.  unten 
S.  185. 

')  Verg.  Aen.  XIT  134  ff.  222  ff.  446  ff. 
843  ff.  Ovid.  fast.  II  583  ff. 


»)  Plin.  ep.  VIII  8;  luppUer  Clitumnus 
bei  Vib.  Sequ.  p.  148  Biese;  vgL  Wissowa 
in  Roschers  Lexikon  I  912. 

')  Vgl.  AusT  in  Roschers  Lexikon  II 
645  f.  und  oben  S.  108. 

^°)  Vgl.  Jordan  zu  Prellsr,  Rom.  Myth. 
I  56,  1,  der  auch  den  divus  pater  Falacer 
des  ältesten  römischen  Indigetenkreises 
(flamen  Falacer  Varro  de  1. 1.  V  84.  VII  45) 
für  einen  Flussgott  halten  möchte  (anders 
BuECHBLBR,  UmbricR  p.  156).  Der  Albsis 
(d.  h.  Albensis)  pater  des  Erztäfelchens  CIL 
IX  4177  =^  VI  8672  ist  kein  Flussgott,  son- 
dern der  deus  patrius  (vgl.  CIL  XIV  3.  X 
1553.  1805.  1881.  3704)  von  Alba  Fucens, 
wie  der  Reatinus  pater  (CIL  IX  4676)  von 
Reate  und  der  pater  Pyrgensis  (CIL  XI  3710) 


184 


Religion  nnd  Ealtiui  der  Römer.    II.  Oötterlehre. 


muss  es  auf  den  ersten  Blick  befremden,  dass  in  der  ältesten  Fest-  und 
Priesterordnung  Roms  der  Name  des  Tiberis  fehlt,  zumal  wir  aus  zu- 
fälligen Erwähnungen  wissen,  dass  er  in  den  Gebetsformeln  sowohl  der 
Pontifices  wie  der  Augurn  vorkam.  *)  Die  Schwierigkeit  ist  von  Moiocsen 
gelöst  worden  durch  die  Erkenntnis,  dass  der  Gott  Volt  um  us,  der  einen 
eigenen  Flamen  (Varro  de  1. 1.  VH  45.  Paul.  p.  379)  und  ein  Fest  Voltui^ 
nalia  am  27.  August*)  besitzt,  nichts  anderes  ist  als  der  Fluss  schlecht- 
hin, benannt  von  den  sich  dahinwälzenden  (volvere)  Wogenmassen.  Dieser 
allgemeine  Flussname,  der  sich  im  campanischen  Yolturnus')  als  Eigen- 
name lokalisiert  hat,  erhielt  in  Rom  seine  genauere  Bestimmung  durch 
die  adjektivische  Hinzufügung  TiAerinus^)  oder  Tiberinus  pater.  Ein  auf 
der  Tiberinsel  gelegenes  Heiligtum  dieses  Gottes  beging  seinen  Stiftungstag 
am  8.  Dezember,^)  und  möglicherweise  galt  ihm  auch  das  alljährlich  am 
7.  Juni  trans  Tiberim  begangene  Innungsfest  der  Tiberfischer  (des  corpus 
piscatorum  et  urinatorum  totius  alvei  Tiberis  CIL  VI  1872),  die  ludi  pisca- 
torii.^)  Dichtung  und  Kunst  haben  später  den  Gott  des  heimischen  Stromes 
vielfach  dargestellt:  man  bildete  ihn  nach  Art  der  griechischen  Flussgötter 
als  gelagerten  langbärtigen  Greis,  mit  Schilfrohr  beki*änzt,  der  einer  üme 
seinen  Fluss  entströmen  lässt,^)  und  in  ähnlicher  Gestalt  lässt  ihn  auch 
Yergil  (Aen.  YIH  31  ff.)  dem  Wasser  entsteigen.  Genealogisch  machte  man 
ihn  zum  Sohne  des  Janus  und  der  Gamasene  (Serv.  A^n.  VHI  330),  oder 
man  reihte  ihn  als  Sohn  des  Gapetus  in  die  albanische  Eönigsliste  ein 
und  erzählte,  dass  er  in  dem  damals  noch  Albula  genannten  Flusse  er- 
trunken sei  und  ihm  seinen  Namen  gegeben  habe,»)  oder  man  machte  ihn 
zum  Könige  von  Yeji  und  liess  ihn  im  Kampfe  gegen  Glaukos,  den  Sohn 
des  Minos,  fallen.^) 

34.  Yolcanus  und  Maja.  Der  Gott  des  feurigen  Elementes,  Vol- 
canus,  hat  in  der  ältesten  Kultusordnung  sowohl  seinen  eigenen  Flamen,  ^<^) 
wie  sein  Fest,  die  Yolcanalia  am  23.  August,  und  einen  geweihten  Platz, 
die  area  Volcani  oder  das  Volcanal,  oberhalb  des  Comitium,  jedenfalls  mit 
einem  Altar  oder  sacellum;^^)  die  gelehrte  Überlieferung  rechnete  den  Kult 
zu   den   vom  König  Titus  Tatius  eingeführten.  ^>)    Neben  ihm   wurde  als 


von  Pyrgi ;  vgl.  auch  den  Sardius)  pater  auf 
den  Münzen  des  M.  Atius  Balbos  (Babblon, 
Monn.  cons.  I  223  und  dazu  Klbbs,  Real- 
Encycl.  II  2253  f.). 

*)  A  pontifieibus  indigitari  aolet  Serv. 
Aen.  VIII  330;  in  augurum  precatione  Cic. 
de  nat.  deor.  III  52,  vgl.  Serv.  Aen.  VIII  95; 
in  scuiris  Serv.  Aen.  VIII  63. 

«)  CIL  I»  p.  327.  Varro  de  1.  1.  VI  21; 
VdUurno  flumini  aacrificium  fast.  Vall. 

')  Aach  dieser  erfahr  göttliche  Ver- 
ehrong;  vgl.  die  Inschrift  Ephem.  epigr.  VIII 
576. 

*)  Dies  ist  die  alleinige  Form  der  Sacral- 
sprache  (Serv.  Aen.  VIII  31 :  in  aacris  Tibe- 
rinus, in  coenolexia  Tiberia,  in  poemate 
Thybria  vocatur)  und  der  Inschriften:  CIL 
VI  773.  XI  3057  (Herta).  XIV  376  (Ostia); 
divo  Tiberino  Obblli  4946  (Tader).  Ebenso 
wie  Tiberiniia  zu  Tiberia  verhält  sich  Numi- 


ciua  zu  Numicua. 

^)  CIL  V  p.  336;  die  von  Mommsbn  ebd. 
p.  335  verfochtene  Identit&t  von  Tiberinus 
und  Portunus  hat  zur  Stütze  nur  die  That- 
sache,  dass  der  späte  Philocalus  die  in  pwriu 
Tiberino  gefeierten  Portunalia  (s.  oben  S.  99) 
ungenau  als  Tiberinalia  bezeichnet. 

«)  Fest.  p.  210.  238.  Ovid.  fast.  VI  235  ff. 

^)  Vgl.  A.  Gebbbb,  Jahrb.  f.  Philol. 
SuppLXIII  273  ff. 

»)  Liv.  I  3,  8.  Dion.  Hai.  ant.  I  71.  Ovid. 
met.  XIV  614;  fast.  IV  47  f.  u.  a.;  vgL  Varro 
de  L  L  V  30.   Verg.  Aen.  VIII  333  f. 

•)  Varro  a.  a.  0.  Serv.  Aen.  VIII 72.  330. 

")  Varro  de  1.  1.  V  84.  Macr.  S.  I  13,  18. 
CIL  VI  1628. 

>•)  Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  339  f. 

»)  Varro  de  1.  1.  V  74.  Dion.  Hai.  II  50. 
August,  c.  d.  IV  23. 


A.  Di  indigetea.    84.  Voloanns  und  Maja. 


185 


seine  Genossin  eine  Göttin  Maja  oder  Majesta  verehrt,  von  der  nichts 
weiter  bekannt  ist,  als  dass  ihr  am  1.  Mai  durch  den  Flamen  Volcanalis 
ein  Opfer  dargebracht  wurde.  ^)  Man  scheint  bei  diesem  Kulte  von  alters 
her  vorwiegend  die  furchtbare  und  verheerende  Gewalt  des  Feuers  im 
Auge  gehabt  und  Yolcanus  als  einen  gefahrdrohenden  Gott,  dessen  Groll 
versöhnt  werden  müsse,  verehrt  zu  haben:  darauf  weist  der  Brauch,  ihm 
an  seinem  Festtage  stellvertretende  Opfer  in  Gestalt  lebender  Fische  ins 
Feuer  zu  werfen,*)  sowie  ihm  nach  der  Schlacht  die  eroberten  Waffen 
zu  verbrennen.*)  Der  Volcanus-Kult  der  historischen  Zeit  gilt  jedenfalls 
durchaus  und  ausschliesslich  dem  Beschützer  vor  Feuersgefahr,  und  darum 
lag  sein,  jedenfalls  vor  dem  J.  539  =  215  erbauter  (Liv.  XXIV  10,  9) 
Tempel,  dessen  Stiftungstag  mit  den  Yolcanalia  zusammenfiel,  ausserhalb 
des  Pomerium,  am  Gircus  Flaminius.^)  Eine  besondre  Hebung  erfuhr  der 
Kult  des  Gottes  bei  Gelegenheit  der  augusteischen  Neuordnung  der  städti- 
schen Bezirkseinteilung:  denn  da  diese  mit  dem  Feuerlöschwesen  im  eng- 
sten Zusammenhang  stand,  so  pflegten  die  magistri  vicorum  insbesondere 
die  Verehrung  des  Volcanus  als  Volcanus  quietus  augustus^)  und  der  ihm 
gesellten  Göttin  Stata  mater,^)  der  man  die  Macht  zuschrieb,  die  Feuers- 
brünste zum  Stehen  zu  bringen,  und  deren  Bild  schon  früher^  wie  es  scheint 
seit  der  suUanischen  Zeit,  auf  dem  Forum  —  vielleicht  unweit  des  Vol- 
canal  —  gestanden  hatte.'')  Mit  derselben  Neuordnung  hängt  auch  die 
Weihung  zusammen,  welche  Augustus  im  J.  745  =  9  dem  Volcanus  machte 
ex  stipe,  quam  populus  Romanus  anno  novo  apsenti  eontulit  (CIL  VI  457,  vgl. 
MoMMSEN,  Res  gest.  D.  Aug.'  p.  82),  und  die  Einsetzung  eines  Opfers,  das 
am  Tage  der  Volcanalia  dem  Volcanus  nebst  andern  in  Feuersnöten  gnä- 
digen Gottheiten,  den  Njnnphen  (und  Juturna?),  die  für  Wasser  zum  Löschen 
sorgen,  ausserdem  der  Ops  Opifera  (s.  oben  S.  168)  und  dem  Quirinus  (s. 
oben  S.  140),  je  bei  ihren  Tempeln,  dargebracht  wurde;®)  ebenso  verordnete 
Domitian,  als  er  zum  Andenken  an  den  neronischen  Brand  Altäre  incen- 
diorum  arcendorum  causa  errichten  Hess,  dass  an  ihnen  alljährlich  am  Tage 
der  Volcanalia  das  Opfer  eines  roten  Kalbes  und  eines  Schweines  (vüulo 
robeo  et  verre)  stattfinden  solle.*)  In  Ostia  genoss  Volcanus  eine  sehr 
hohe  Verehrung,  ^<>)  weil  für  die  Docks  und  Speicher  der  Hafenstadt  die 
Feuersgefahr  ganz   besonders  zu   fürchten   war;  aus   ähnlichen  Gründen 


^)  Gell.  XIII  23,  2.   Macr.  S.  I  12,  18. 

«)  Varro  de  1.  1.  VI  20.   Fest.  p.  238. 

•)  Liv.  I  37,  5.  XXX  6,  9.  XLI  12,  6; 
▼gl.  VIII  10,  13.  Serv.  Aen.  VIII  562. 

*)  Vitr.  I  7,  1:  extra  murum  Veneria 
Vclcani  Mariis  fana  ideo  conlocari,  uti  .  ,  . 
Voleani  ,  .  vi  e  moenibus  religionibus  et 
sacrifieiia  evoccUa  ab  timore  incendiorum  aedi- 
ficia  videantur  liberari.  Flut.  Qu.  rom.  47; 
über  den  Tempel  vgl.  Jobdan,  Eph.  epigr.  I 
p.  230  f.   AusT,  De  aedib.  sacr.  p.  18. 

»)  CIL  VI  801.  802;  WeibinBchriffc  eines 
Praefectas  yigilum  VI  798. 

•)  CIL  VI  761-766;  einmal  (761)  heisst 
sie  Stata  Fortuna  augusta,  einen  vicus  Staiae 
Siccianae  in  der  14.  Region  nennt  die  capi- 
toiinische    Basis    CIL    VI   975;    ausserhalb 


Roms  findet  sie  sich  in  Forum  Cassi  (CIL 
XI  3321)  und  in  Aequiculi  (?  CIL  IX  4113). 

^)  Fest.  p.  317:  Statae  matris  aimula- 
crum  in  foro  colebatur,  postquam  id  Sulla 
stravit  (so  Jordan,  Topogr.  IIS.  525;  coüa- 
straint  Hs.),  ne  lapidea  igne  corrumperentur, 
qui  plurimus  ibi  fiebat  noctumo  tempore, 
magna  pars  populi  in  suos  quique  vicoB 
rettulerunt  eius  deae  eultum, 

»)  MoxMSEN  CIL  P  p.  326  f.  Wissowa, 
De  feriis  anni  Rom.  p.  VII;  Hermes  XXVI 
141.  1. 

»)  CIL  VI  826  =  30833;  vgl  Lanciani, 
Bull.  arch.  com.  XVII  1889,  331  ff.  Hülsbn, 
R5m.  Mitt.  IX  1894,  94  ff. 

»0)  Dessau  CIL  XIV  p.  5. 


186 


Religion  and  Knltna  der  Römer.    II.  Oötterlehre. 


wurde  in  Perugia  nach  der  Einäscherung  der  Stadt  im  J.  713  =  41  Vol- 
canus  als  Stadtgott  verehrt.  >)  Dass  Yolcanus  auch  als  Gott  der  Schmiede- 
kunst angesehen  worden  sei,  ist  aus  dem  Kulte  nicht  nachweisbar  und 
nicht  wahrscheinlich.  Denn  der  alte  Beiname  Mulciber,  den  man  gewöhn- 
lich mit  dem  Schmelzen  des  Metalls  im  Feuer  zusammenbringt,')  bezeichnet 
vielmehr  den  Besänftiger  der  Feuersbrunst.')  Allerdings  wird  das  im 
ältesten  Kalender  zum  23.  Mai  notierte  Fest  Tubilustrium  in  den  Zusätzen 
der  Steinkalender  als  feriae  Volcano  bezeichnet,  und  Ovid  (fast.  V  726) 
stimmt  damit  überein,  wenn  er  sagt:  lustrantur  purae,  quas  facit  ille  (Vol- 
canus),  tubae;  da  aber  das  zweite  Fest  gleichen  Namens  (am  23.  März) 
sicher  dem  Mars  gilt  (s.  oben  S.  131)  und  beide  nicht  getrennt  werden 
können,  so  dürften  wir  es  hier  mit  einem  durch  das  Eindringen  der  grie- 
chischen Vorstellungen  veranlassten  Irrtume  zu  thun  haben. ^)  Auch  als 
Gott  des  Herdfeuers  ist  Volcanus  im  römischen  Kulte  nicht  gefasst  worden : 
allerdings  galt  der  sagenhafte  Gründer  von  Praeneste,  Gaeculus,  dessen 
Mutter  ihn  durch  eine  vom  Herdfeuer  in  ihren  Schoss  gesprungene  Kohle 
empfangen  haben  sollte,  als  Sohn  des  Yolcanus,^)  und  auch  Servius  Tul- 
lius,  der  ja  der  Sage  nach  ebenfalls  vom  Gotte  des  Herdes  erzeugt  war, 
heisst  zuweilen  Sohn  des  Volcanus;^)  aber  in  diesem  letzteren  Falle  nennt 
eine  andre  Überlieferung^)  vielmehr  den  Lar  familiaris  als  Erzeuger,  und 
das  ist  ohne  Frage  die  bessere,  der  älteren  römischen  Anschauung  ent- 
sprechende Vorstellung  (s.  oben  S.  150),  während  Volcanus  erst  durch  die 
hellenisierende  Tendenz  hineingebracht  wurde.  ^)  Mit  Vesta  gepaart  erscheint 
Volcanus  erst  bei  dem  Lectisternium  des  J.  537  =  217  (Liv.  XXH  10,  9), 
also  sicher  unter  griechischem  Einflüsse,  und  diese  Verbindung  findet  sich 
auch  nachher  noch  einige  Male;^)  wie  sehr  der  Gott  später  in  den  Bereich 
des  graecus  ritus  gezogen  war,  zeigt  die  Thatsache,  dass  im  J.  64  n.  Chr.  auf 
Grund  eines  sibyllinischen  Orakels  Volcanus,  Ceres  und  Proserpina  eine  supplin 
catio  erhalten  (Tac.  ann.  XV  44).  Bei  den  Dichtern  der  augusteischen  und 
späteren  Zeit  wird  für  Volcanus  schlechthin  der  griechische  Hephaistos  sub- 
stituiert, und  dementsprechend  finden  wir  ihn  z.  B.  auf  dem  pompejani- 
schen  Zwölfgötterbilde  (Helbio  Nr.  7)  mit  Venus  zu  einem  Paare  ver- 
bunden. In  der  Kaiserzeit,  in  der  die  Volcanalia  —  wir  wissen  nicht  seit 
wann  —  mit  Circusspielen  gefeiert  wurden,  »o)  erfreute  sich  dieses  Fest 
einer  besonderen  Beliebtheit  namentlich  bei  der  Landbevölkerung,  wie 
schon  daraus  hervorgeht,  dass  es  im  Bauernkalender  mit  Vorliebe  zur  Be- 


0  Appian.  b.  c.  V  49;  vgl.  Gass.  Dio 
XLVIII  14. 

«)  Paul.  p.  144.  Macr.  S.  VF,  5,  2.  Serv. 
Aen.  VIII  724;  Preunbr,  Hestia- Vesta  S.  221 
hält  Mulciber  für  einen  eignen  Gott. 

«)  CIL  V  4295:  Volk(ano)  miti  sive 
mtUeibero;  vgl.  Wissowa,  De  feriis  anni 
Rom.  p.  XIV. 

*)  8.  Wissowa  a.  a.  0.  p.  XV. 

«)  Cato  bei  Schol.  Veron.  Aen.  VII  681. 
Serv.  Aen.  VII  681.  Verg.  Aen.  VII  679. 
X  544. 

•)  Ovid.  fast.  VI  626  ff.  Dion.  Hai.  IV  2. 
Flut,  de  fort.  Rom.  10. 


^)  Plin  n.  h.  XXXVI  204.  Dion.  Hai.  u. 
Plut.  aa.  00. 

')  ScHWBOLBR)  Rom.  Gesch.  I  714  ff.; 
vgl.  RuBiKo,  Beitr.  z.  Vorgesch.  Italiens  S.  236  f. 
Wissowa  a.  a.  0. 

')  z.  B.  auf  einem  pompejanischen  Pe- 
natenbilde  (Helbig  Nr  63)  und  in  einer  In- 
schrift von  Lyon  (Hbnzsn  5686). 

*^)  Macrinos  schaffte  sie  im  J.  217  ab 
(Cass.  Dio  LXXVIII  254),  aber  sie  müssen 
bald  nachher  wieder  eingeführt  worden  sein 
und  bestehen  noch  im  5.  Jhdt.;  vgl.  Momic- 
SBN  CIL  I«  p.  326. 


A.  Di  indigeies.    85.  ünterwelta-  nnd  TotengOtter. 


187 


Stimmung  der  Zeit  ländlicher  Arbeiten  verwendet  wird:^)  es  nimmt  daher 
nicht  Wunder,  wenn  die  Volcanalia  zu  denjenigen  Festen  des  alten  Kalen- 
ders gehören,  die  den  Untergang  des  Heidentums  am  längsten  überlebt 
haben.  *) 

35.  ünterwelts-  und  Totengötter.  Die  älteste  Festtafel  verzeichnet 
im  Laufe  des  Jahres  mehrere  staatliche  Totenfeiern,  von  denen  die  all- 
gemeinste und  ausgedehnteste  in  den  Februar  föUt,')  weshalb  dieser  Monat 
als  der  Monat  der  Unterirdischen  angesehen  wurde  und  Spätere  seinen 
Namen,  statt  von  den  februa  der  Luperealien  (s.  oben  S.  173),  von  einem 
mit  Dis  pater  identifizierten  (Serv.  Georg.  I  43)  angeblichen  Unterwelts- 
gotte  Februus  ableiteten.^)  Am  Mittage  des  13.  Februar  beginnen  die 
dies  parentaleSf  während  deren  die  Obrigkeiten  die  Praetexta  ablegen,  die 
Tempel  geschlossen  bleiben,  Hochzeiten  nicht  gehalten  werden  dürfen  und 
ein  jeder  die  Gräber  seiner  Angehörigen  nach  besten  Kräften  schmückt 
und  die  Geister  der  Abgeschiedenen  mit  bescheidenen  Opfergaben  ehrt.^) 
Dieser  den  Toten  geweihte  Zeitraum  erstreckt  sich  über  9  Tage®)  und 
schliesst  am  21.  Februar  mit  dem  Festtage  der  Feralia,  der  allein  von 
den  dies  parentales  zu  den  feriae  publicae  gehört.^)  Wie  der  Name  Paren- 
talia  zeigt,  gilt  die  private  Feier  den  di  parentum,  den  Geistern  der  ver- 
storbenen Voreltern,  die  auch  weiterhin  über  dem  Hause  waltend  gedacht 
werden  und  denen  der  Frevler  gegen  die  heiligen  Satzungen  der  Familie 
mit  Leib  und  Leben  verfallen  ist:^)  sehr  sinnreich  schliesst  sich  daher  an 
dieses  Totenfest  am  nächstfolgenden  Tage  (22.  Februar)  das  Familienfest 
{feriae  privatem  Fest.  p.  242)  der  Garistia^)  oder  Gara  cognatio^^)  an,  an  dem 
die  Angehörigen  der  Verwandtschaft  sich  zu  einem  Festschmause  ver- 
einigen. In  welcher  Weise  und  durch  welche  sakralen  Akte  der  Staat 
die  allgemeine  Totenfeier  beging,  ist  nicht  überliefert;  nur  bemerkt  der 
Kalender  des  Philocalus  zum  13.  Februar  Virgo  Vesta{lis)  parentat^  eine 
Notiz,  welche  Mohmsen  (CIL  I'  p.  309)  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf 
das  anderweitig  erwähnte  Opfer  am  Grabe  der  Tarpeja^O  bezogen  hat. 

>)  z.  B.  Plin.  n.  h.  XI  40.  XVII  260. 
XVIII  132.  314.  XIX  83  (vgl.  auch  Plin.  ep. 

III  5,  8.  Sali.  bist.  III  50  Maur.),  daher  auch 
in  den  Menologia  rustica  und  dem  diesen 
gleichartigen  Kalender  von  Guidizzolo  (CIL 
I«  p.  253)  erwähnt. 

«)  S.  oben  S.  90.  Der  von  Paulin.  Nol. 
c.  32^  137  f.  erwähnte  Festbranch  {otnnis 
credula  turha  suspendunt  Soli  per  VolcancUia 
vestes)  ist  nicht  recht  verständlich ;  Bubsians 
(8.Ber.  Akad.  München  1880  I  18)  Deutung 
der  Worte  scheint  unmöglich. 

*)  Macr.  S.  I  13,  8.  14,  7.  Athen.  III 
98  B. 

*)  Macr.  S.  I  13,  3.  Serv.  Georg.  1  43. 
Lyd.  de  mens.  IV  20. 

^)  Ovid.  fast.  II  538  ff.    Lyd.  de  mens. 

IV  24. 

')  Deber  die  Bedeutung  der  Neunzahl 
DiELS,  Sibyllin.  Blätter  S.  41.  A.  Kaboi,  Phi- 
lologische Abhandlangen  fSr  H.  Schweizer- 
Sidler  S.  52  ff. 

')  Varro  de  L  1.  VI  13.  Paul.  p.  85;  ttber 


den  Unterschied  von  Parentalia  und  Feralia 
s.  Marquabdt,  Staatsverw.  III  310  f. 

^)  Gesetz  des  Servius  Tullius  bei  Fest, 
p.  230:  si  par entern  puer  verber ü,  ast  olle 
plorassitf  puer  divis  parentum  acicer  eato; 
f(lr  die  ganze  Auffassung  ist  lehrreich  epist. 
Comeliae  Gracch.  (Cornel.  Nepos  ed.  Halm 
p.  128,  23):  ubi  nwrtua  ero  parentahis  mihi 
et  inffocabia  deum  parentem ;  vgl.  CIL  X  4255 
deis  inferum  parentum  aacrum  n%  vioUUo, 
Selten  erscheint  auf  späteren  Inschriften  die 
Wendung  dis  parenttbus  illitia  an  Stelle  des 
geläufigen  dis  manibus:  Bull.  d.  Inst.  1876, 
198.  CIL  VI  9659.  X  8249.  V  3283—3290; 
vgl.  Jordan,  Hermes  XV  530  ff. 

»)  Philocal.  CIL  I«  p.  258.  Ovid.  fast.  H 
617.   Val.  Max.  II  1,  8. 

»»)  Menol.  rust.  und  Polem.  Silv.  CIL  I« 
p.  280.  259.  CIL  VI  10284,  13.  TertuU.  idol. 
10;  vgl.  Ovid.  a.  a.  0.   Martial.  IX  54,  5. 

")  Piso  bei  Dion.  Hai.  ant.  II  40;  vgl. 
ScBWKGLER,  Röm.  Gcsch.  I  486. 


188 


Religion  und  Enltiui  der  Römer.    TL,  Oötterlehre. 


Ist  diese  Vermutung  zutreffend,  so  tritt  diese  Totenfeier  in  eine  bemerkens- 
werte Parallele  zu  dem  am  23.  Dezember  gefeierten  Staatsfeste  der  Laren- 
talia,  an  welchem  die  Pontifices  und  der  Flamen  Quirinalis  an  dem  im 
Velabrum  gelegenen  ,Grabe'  der  Laren ta  ein  Totenopfer  (parentatio  oder 
parentalia)  darbrachten.  0  Es  waren  also  zwei  gleichartige  Totenfeste 
(MoMMSEN,  CIL  I  *  p.  309  hält  die  Parentalia  des  Februar  für  jüngeren  Ur- 
sprungs), und  wenn  von  D.  Junius  Brutus,  Cos.  616  =  138,  erzählt  wird, 
dass  er  nicht  im  Februar,  sondern  im  Dezember  die  häusliche  Totenfeier 
beging,*)  so  heisst  das  doch  wohl  nichts  andres,  als  dass  er  sie  nicht,  wie 
die  meisten,  im  Anschlüsse  an  die  Feralia,  sondern  an  die  Larentalia 
feierte.  Von  den  beiden  Göttinnen,  denen  die  beiden  parentcUiones  gelten, 
ist  Tarpeja  nur  noch  als  Heldin  der  bekannten  aetiologischen  Sage')  in 
Erinnerung  geblieben,  als  Göttin  aber  verschollen;  an  die  Göttin  der  Laren- 
talia hat  sich  später  Acca  Larentina  (so  die  bessere  Überlieferung)  oder 
Larentia  angeschlossen,  die  Heldin  verschiedener  Märchen,  die  bald  als 
Dirne  und  Geliebte  des  Hercules,  bald  als  göttliche  Pflegemutter  des  Ro- 
mulus  und  Remus  auftritt,^)  und  so  sind  die  ursprünglichen  Züge  ihres 
Wesens  fast  ganz  verwischt  worden.  Der  Festname  Larentalia^)  weist 
jedenfalls  auf  eine  Göttin  Lärenta,®)  die,  wie  schon  die  Quantität  der 
ersten  Silbe  zeigt,  mit  den  Läres  nichts  zu  thun  haben  kann,  wohl  aber 
nicht  zu  trennen  ist  von  der  bei  Varro  (de  1. 1.  V  74)  unter  den  von  T.  Tatius 
eingeführten  sabinischen  Gottheiten  genannten  Lärunda.^)  Dass  der  Ort, 
an  dem  der  Larenta-Larunda  geopfert  wurde,  nicht,  wie  die  Schriftsteller 
behaupten,  ein  Grab  gewesen  sein  kann,  beweist  schon  seine  Lage;  wenn 
wir  aber  erfahren,  dass  dort  den  di  manes,  d.  h.  den  unterirdischen  Ge- 
walten, geopfert  wurde  (Varro  de  1.  1.  VI  23),  so  haben  wir  daraus  zu 
schliessen,  dass  es  ein  sog.  mundtis  war,  d.  h.  eine  für  gewöhnlich  ge- 
schlossene und  nur  am  Tage  des  Festes  geöffnete  Grube,  wie  sie  nach 
römischer  Vorstellung  die  geeignete  Opferstätte  für  die  di  inferi  abgab, ^) 
da  sie  gewissermassen  die  Verbindung  zwischen  Oberwelt  und  Unterwelt 
herstellte.  Im  speziellen  Sinne  führte  den  Namen  mundus  eine  bei  der 
Stadtgründung  im  Mittelpunkte  der  Niederlassung  angelegte  Grube,  in  die 
man  Erstlinge  aller  Früchte  und  sonstige  Gaben  hineinwarf:  *)  der  mundus 


>)  Varro  de  1.  1.  VI  23  f.   Cic.  ad  Brut. 

I  15.  8.  Gell.  VII  7,  7.  Macr.  S.  110,  11  ff. 
Plut.  Rom.  4.  5;  Qu.  Rom.  34.  35.  Fast. 
Praen.,  vgl.  CIL  P  p.  338;  die  an  demselben 
Tage  gefeierten  feriae  lovis  (s.  oben  S.  102) 
haben  mit  den  Larentalia,  mit  denen  sie  nur 
zufällig  zusammenfallen,  nichts  zu  thun. 

«)  Plut.  Qu.  Rom.  34;  vgl.  Cic.  de  leg. 

II  54.  Andere  Auffassung  bei  Mommsen, 
Staatsr.  I  579,  3. 

*)  L.  Krahnbr,  Die  Sage  von  der  Tar- 
peja nach  der  üeberlieferung  dargestellt, 
IfViedland  1858.  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  129. 

^)  MoxMSBN,  Rom.  Forsch.  II  1  ff.  Zis- 
LiNSKi,  Quaestiones  comicae  (Petropoli  1887) 
p.  80  ff.  E.  Babhbbns,  Jahrb.  f.  Philol. 
CXXXI  1885,  777  ff.  (ganz  haltlos  und  ver- 
fehlt).   WissowA,  Realencykl.  I  131  ff. 


^)  Nur  diese  Form  haben  Varro  de  1. 1. 
VI  23.  Fest.  p.  119;  Ovid.  fast.  III  57  (Laren- 
talia)) Larentinalia  spätere  Nebenform  bei 
Lact.  I  20,  4.   Macr.  S.  I  10,  11. 

')  Ovid.  fast.  III  55;  LäreiUina  misst 
Prudent.  c.  Symm.  II  562  f.:  ai  Brennum 
Antiochum  Fersen  Pyrrhum  MUhridatem 
Fhra  Matuta  Ceres  et  Larentina  subegit), 

^)  Auson.  technop.  VIII  9  p.  161  Peip.: 
nee  genius  domum  Lärunda  progenitu»  Lar; 
Placid.  gl.  p.  60,  25  Deuerl.  identificirt  sie 
mit  der  gespenstigen  Lamia. 

^)  Serv.  Aen.  III  134:  quidam  aras  su- 
perorum  deorum  volunt  esse,  medioximorum 
id  est  marinorum  focos  (s.  dazu  oben  S.  33 
Anm.  5),  inferorum  vero  mundos. 

»)  Ovid.  fast.  IV  821  ff.  Plut.  Rom.  10. 
Fest.  p.  258;  entstellt  Lyd.  de  mens  IV  50. 


A.  Di  indigeiea.    85.  ünterwelts-  und  Totengötter. 


189 


der  ältesten  Ansiedlung  auf  dem  Palatin  befand  sich  dort  noch  später  vor 
dem  Apollotempel  ^)  und  wurde  alljährlich  an  drei  Tagen  (24.  August, 
5.  Oktober,  8.  November)  geöffnet,  welche  in  ähnlicher  Weise  wie  die 
dies  parentales  des  Februar  für  alle  staatlichen  und  sakralen  Vornahmen 
untauglich  waren.*)  Aber  es  gab  derartiger  Gruben  noch  mehrere,  vor 
allem  eine  auf  dem  Forum,  an  welche  sich  die  Erzählung  von  der  Selbst- 
aufopferung des  M.  Curtius  knüpfte')  und  die  noch  später  zur  Aufnahme 
von  Weihegaben  an  die  Unterirdischen  diente,  wenn  man  auch  nicht  mehr 
Menschenleben,  sondern  Geldspenden  devovierte.'^)  In  denselben  Anschau- 
ungskreis gehören  auch  die  sogenannten  Gräber  der  Tarpeja  und  der  La- 
renta,  und  ihr  Dienst  kennzeichnet  sich  als  der  von  ünterweltsgottheiten. 
Eine  Indigitation  der  Larenta  war  wahrscheinlich  die  Bezeichnung  dea 
tacüa^^)  welche  dem  Ovid  Anlass  zur  Erfindung  einer  Erzählung  gab,  in 
der  er  unter  Gleichsetzung  der  Göttin  mit  der  uns  nur  aus  den  Piacular- 
opfem  der  Arvalbrüder  bekannten  mater  Lamm  (s.  oben  S.  151)  und  will- 
kürlicher Umgestaltung  ihres  Namens  zu  dea  muta^)  berichtete,  wie  sie 
ihre  Sprache  verloren  habe  und  Mutter  der  Laren  geworden  sei. 

Die  diesen  Totenfesten  zu  Grunde  liegende  Anschauung,  dass  die 
Geister  der  Verstorbenen  zu  gewissen  Zeiten  wieder  die  Oberwelt  heim- 
suchen und,  damit  sie  den  Lebenden  nicht  schaden,  durch  besondere 
Gaben  versöhnt  werden  müssen,  tritt  mit  voller  Deutlichkeit  bei  dem  drei- 
tägigen Totenfeste  der  Lemuria  (9.,  11.,  13.  Mai)  hervor,  an  dem  eben- 
falls, wie  während  der  dies  parentales  des  Februar,  die  Tempel  geschlossen 
blieben  und  Eheschliessungen  unstatthaft  waren  (Ovid.  fast.  V  485  ff.) : 
unter  Lemures  verstand  man  in  historischer  Zeit  dasselbe  wie  unter 
larvae,'^)  d.  h.  die  nächtlich  umherschweifenden  Seelen  der  Abgeschiedenen,') 
speziell  der  eigenen  Anverwandten,  also  der  divi  parentum  {manes  exite 
patemi  Ovid.  a.  a.  0.  443) ;  um  sie  vom  Hause  fernzuhalten ,  wirft  an  den 
Lemuria  der  Hausvater  um  Mitternacht  unter  bestimmten  Geremonien  neun- 
mal schwarze  Bohnen  als  Opfergabe  für  sie  aus.*)  Bohnen  spielen  über- 
haupt im  Kulte  der  Unterirdischen  eine  hervorragende  Rolle,  weshalb  dem 
Priester  des  Himmelsgottes,  dem  Flamen  Dialis,  Genuss  und  Berührung 
dieser  Frucht,  ja  sogar  die  Nennung  ihres  Namens  verboten  ist.  ^^)  Ausser 
an   den  Lemuria  und  an  den  Parentalia^O  kommen  sie  auch  an  einem 


')  Ueber  die  Lage  0.  Richtsb,  Die 
älteste  Wohnst&tte  des  röm.  Volkes  (Berlin 
1891)  S.  7  f.  HüLSKK,  Röm.  Mitteü.  V  76  f. 
VII  293  f.  XI  202  ff. 

»)  Pest.  p.  142.  154.  Macr.  S.  I  16,  17  f. 

*)  Varro  de  1. 1.  V  148  ff.  und  mehr  bei 
ScHWSQLBB,  Rom.  Gesch.  I  484,  2;  vgl.  auch 
GuBiBT,  Topogr.  I  334  ff. 

*)  Suet.  Aug.  57:  omnes  ardines  in 
laeum  Curti  quotannia  ex  voto  pro  aalute 
eins  atipem  iaeiebant;  einen  Altar  beim  locus 
Curtius  erwähnt  Ovid.  fast.  VI  403. 

»)  Plut  Numa  8.  Ovid.  fast.  II  571  ff. 

')  Ebenso  nennt  er  die  Göttin  statt 
Lärunda  vielmehr  Lara,  um  den  Namen 
aus  griech.  XaXos  zu  erklilren;  die  Bezeich- 


nungen dea  muta  und  Lara  sind  ausschliess- 
liches Eigentum  des  Ovid,  denn  Lact.  I  20, 
35  schöpft  aus  ihm.  Vgl.  Wissowa,  Philol. 
Abhandl.  M.  Uertz  dargebracht  S.  165  f. 

»)  Paul.  p.  87  {faha)  Lemuralibus  iaeUur 
larvia;  über  larvae  z.  B.  Plaut.  Aulul.  642; 
Capt  598.  Apul.  met.  IX  29.    Amm.  Marc. 

XIV  11    17. 

•)  Ovid.  fast.  V  483.  Horat.  epist.  II  2, 

209  und  dazu  Porph.  Pers.  V  185  m.  Schol. 

»)  Ovid.  fast.  V  41?  ff.    Varro  bei  Non. 

p.  135;  Analogien  bei  Rohdb,  Psyche  S.  219. 

'«)  Paul.  p.  87.    Plin.  n.  h.  XVIII   119. 

GeU.  X  15,  12. 

«»)  Paul.  p.  87.  Plin.  n.  h.  XVIII  118  f. 
Ovid.  fast.  II  576.  Calp.  ecl.  8,  82. 


190 


Religion  und  Ealtaa  der  Römer.    II.  QOtierlehre. 


dritten  Tage  zur  Verwendung,  dessen  Charakter  als  Totenfest  vor  allem 
durch  diesen  umstand  erwiesen  wird.  Am  1.  Juni  nämlich  opferte  man 
der  Göttin  Carna,  welche  ein  angeblich  von  L.  Junius  Brutus  gegründetes 
Heiligtum  auf  dem  Gaelius  besass  (Macr.  S.  I  12,  31 ;  vgl.  Tert.  ad  nat.  IT  9), 
sowohl  von  Staatswegen  wie  im  Hause  Bohnenbrei,  wovon  der  Tag  die 
volkstümliche  Bezeichnung  Kalendae  fabariae  erhielt;^)  der  eigentliche  Name 
des  Festes,  den  die  Hemerologien,  weil  es  mit  den  Kalendae  zusammen- 
föUt,  nicht  notieren,  lautete  Carnaria,  wie  aus  einer  Inschrift  von  Emona 
(CIL  III  3893)  hervorgeht,  in  welcher  testamentarisch  angeordnet  wird  uti 
rosas  Carnar{iis)  ducant:  da  solche  Rosenfeiern  eine  aus  vielen  Zeugnissen 
bekannte  Gattung  von  Totenopfern  bilden,^)  so  schwindet  jeder  Zweifel 
an  der  Zugehörigkeit  der  Göttin  Carna  zu  diesem  Kreise.  Eine  ver- 
schollene Unterweltsgöttin  ist  wahrscheinlich  auch  Laverna,  die  am 
Aventin,  nahe  der  nach  ihr  benannten  Porta  Lavemalis,  einen  Altar  (Varro 
de  1.  1.  V  163)  und  ausserdem  einen  heiligen  Hain^)  besass:  wir  kennen 
sie  ausser  durch  die  Inschrift  einer  Thonschale  (CIL  I  47)  nur  aus  zahl- 
reichen Erwähnungen  römischer  Dichter,^)  bei  denen  die  Göttin  des  Dunkels 
zur  Schützerin  der  Spitzbuben  geworden  ist :  aber  noch  in  einem  Zeugnisse 
aus  der  Zeit  Hadrians^)  wird  Laverna  als  Vertreterin  der  Unterwelt  den 
—  durch  Pallas  repräsentierten  —  himmlischen  Gottheiten  gegenüber- 
gestellt. 

Genau  in  der  Mitte  zwischen  den  Lemuria  und  den  Carnaria  notiert 
die  alte  Festtafel  am  21.  Mai  ein  agonium,  welches^  nach  der  Beischrift 
der  Fasti  Venusini  (CIL  I*  p.  318)  dem  Gotte  Vediovis  galt;  obwohl  dies 
Zeugnis  vereinzelt  dasteht,  verdient  es  doch  Glauben,  da  die  Zugehörig- 
keit des  Gottes  zum  ältesten  Kultus  ausser  Frage  steht  und  die  Lage  des 
Festes  sehr  wohl  zu  dem  Wenigen  passt,  was  sich  sonst  über  die  Bedeu- 
tung des  Gottes  ermitteln  lässt.  Der  Name,  der  in  den  Formen  Vediovis, 
Vedius,^)  Vejovis  auftritt,  kennzeichnet  ihn  deutlich  als  das  Gegenbild  des 
Diovis,  Dius,  Jovis,  also  des  Himmelsgottes,  und  wenn  er  in  der  Devotions- 
formel bei  Macr.  S.  lU  9,  10  zusammen  mit  den  di  manes  ^)  angerufen  wird, 
so  weist  das  mit  Bestimmtheit  auf  einen  Unterweltsgott  hin ;  wahrschein- 
lich ist  auch  der  von  Dion.  Hai.  II  10,  3  mit  Zevg  xatax^oviog  wiederge- 
gebene Gott,  dem  nach  einem  auf  Romulus  zurückgeführten  und  auch 
in  die  Zwölf  Tafeln  aufgenommenen  Gesetze®)  der  Frevler  gegen  die 
Satzungen  des  Clientelverhältnisses  verfallen  sein  sollte,  kein  andrer  als 
Vejovis.*)    Die  offenbar  bereits   in   einer  jüngeren   Fassung  vorliegende 


»)  Varro  bei  Non.  p.  841.  Macr.  S.  I  12, 
31  ff.  Ovid.  fast.  VI  101  ff.;  ebenso  heissen 
die  in  der  Kaiserzeit  an  diesem  Tage  ge- 
feierten Spiele  ludi  fabarici,  CIL  U  p.  319. 

*)  S.  vorläufig  Marquabdt,  Staatsverw. 
III  311  ff. 

')  Paul.  p.  117;  vgl.  Ps.  Acre  zu  Hör. 
epist.  I  16,  16.    Plut.  Sulla  6  (?). 

*)  Stellen  bei  Wissowa  in  Rosebers 
Lexik.  II  1918. 

")  Septim.  Seren,  frg.  6  Baebr.:  inferis 
manu  sinistra  immolamus  pocula;  laeva  quae 
videa  Lavernae,Palladi  sunt  dextera;  vgl.  dazu 


R.  Wünsch,  Defixion.  tabellae  Atticae  p.  IV. 

^)  Vediovis  ist  inschriftlicb  und  durch 
Gell.  V  12  bezeugt,  Vediua  gibt  ausser  Mart. 
Cap.  II  142.  166  und  Mythogr.  Vatic.  III  6,  1 
auch  die  Ueberliefemng  bei  Varro  de  1.  1. 
V  74. 

^)  Vejovis  und  di  manes  werden  ebenso 
verbunden  wie  Jappiter  und  di  penates  (s. 
oben  S.  146);  damit  erledigt  sich  der  Ein- 
wurf von  Jordan  zu  Prbllbr,  Rom.  Myth. 
I  268,  1. 

•"j  Vgl.  MoxMSBN,  Rom.  Forsch.  I  384. 

')  Plut.  an  vitios.  ad  infel.  suffic.  3  nennt 


A.  Di  indigeiea.    36.  ünterwelta-  und  TotengOtter. 


191 


Devotionsformel  nennt  vor  Yejovis  und  den  Manen  den  griechischen  Unter- 
weltsgott  Dis  pater,  der  hier  noch  neben  Yejovis  steht,  bald  aber  diesen 
derartig  verdrängt  und  ersetzt  hat,  dass  die  augusteische  Zeit  über  Wesen 
und  Bedeutung  des  alten  Gottes  völlig  im  Unklaren  war  und  sich  in  den 
verschiedensten  Vermutungen  darüber  erging.^)  Während  sich  ausserhalb 
Latiums  keine  Spur  seiner  Verehrung  findet  und  das  einzige  ausserrömische 
Denkmal,  der  bei  Bovillae  gefundene,  von  den  genteües  luliei  dem  Vediovis 
pater  geweihte  Altar  ist  (CIL  I  807  =  XIV  2387),  erhielt  der  Gott  in  Rom 
am  Anfange  des  2.  Jahrhunderts  v.  Chr.  fast  gleichzeitig  zwei  Tempel: 
der  eine,  von  L.  Furius  Purpureo  in  seiner  Praetur  554  ==  200  gelobt  und 
während  seines  Consulates  558  =  196  begonnen,  lag  auf  der  Tiberinsel 
und  wurde  am  1.  Januar  560  =  194  eingeweiht;^)  der  andre,  in  der  Ein- 
sattelung zwischen  Capitol  und  Burg  inter  duos  lucos  gelegen,  wurde 
562  =  192  gestiftet  und  beging  das  Fest  seiner  Gründung  am  7.  März.') 
In  dem  letztgenannten  Tempel  befand  sich  eine  Statue  des  Gottes  aus 
Cypressenholz,  die  ihn  in  jugendlicher  Bildung,  mit  Pfeilen  in  der  Hand 
und  mit  einer  Ziege  zur  Seite  darstellte:^)  indem  man  sich  dabei  der 
griechischen  Erzählung  von  der  Aufnährung  des  jugendlichen  Zeus  durch 
die  Ziege  Amaltheia  erinnerte  und  den  Namen  Ve-iovis  nach  Analogie  von 
vegrandis,  vescus  u.  a.  erklärte,  deutete  man  den  Gott  als  einen  .kleinen 
Juppiter",»)  während  das  Bild  in  der  That  einen  Apollo,«)  und  zwar  als 
Todesgott  mit  den  verderbenbringenden  Pfeilen  ausgerüstet,  darstellte,  die 
Ziege  aber  aus  dem  römischen  Vorstellungskreise  heraus  beigegeben  war; 
denn  dass  die  Ziege  den  Römern  als  ein  Tier  der  ünterii*dischen  gilt, 
geht  aus  der  Kitualvorschrift  hervor,  dass  der  Flamen  Dialis  eine  Ziege 
ebensowenig  berühren  oder  nennen  darf,')  wie  eine  Leiche  oder  Bohnen 
(s.  oben  S.  189).  Dieselbe  Gleichsetzung  des  Totengottes  mit  Apollo  be- 
gegnet auch  bei  dem  auf  dem  Berge  Soracte  bei  Falerii  verehrten  Gotte, 
den  Vergil  (Aen.  XI  785)  und  andere»)  für  Apollo  erklären,  während  da- 
neben die  richtige  Vorstellung,  dass  es  sich  dort  um  einen  Totenkult  han- 
delt, nicht  völlig  verloren  gegangen  ist.^) 

Eine  mit  lebendiger  Phantasie  ausgestaltete  Vorstellung  von  einem 


als  den  Gott,  dem  die  Devotion  des  Decius 
gilt,  KjQovog. 

*)  Die  Gleichsetzung  von  Yejovis  und 
Dis  hat  noch  Mart.  Cap.  II  166 :  Pluton,  quem 
etiam  Ditetn  Veiovemque  dixere;  vgl.  Myth. 
Vat  lll  6,  1. 

')  Liv.  XXXI  21,  12  (wo  mit  Mbrkbl 
statt  deo  lovi  der  Hss.  Vedi4m  zu  lesen  ist). 
XXXIV  53,  7.  Ovid.  fast.  I  293;  an  den 
beiden  letzten  Stellen  wie  bei  Vitr.  III  2,  3 
ist  ans  Unkenntnis  Juppiter  statt  Yejovis  ge- 
nannt.   Ygl.  auch  MoMJiSBN,  CIL  1*  p.  305. 

*)  Liy.  XXXY  41,  8,  der  jedoch  aus 
aedes  Vediovis  in  CJapitolio  vielmehr  aedes 
duae  lovis  in  Capitolio  gemacht  hat  und 
diese  durch  Yermeugung  mit  dem  Tempel 
auf  der  Tiberinsel  beide  auf  L.  Furius  Pur- 
pureo zurflckf&hrt  Ovid.  fast  III  429  ff. 
Vitr.  lY  8,  4.  Ygl.  Jordan,  Comment.  Momm- 


sen.  p.  359  ff.;  Topogr.  I  2  S.  111  f. 

*)  Ovid.  fast.  III  437  ff.  Gell.  Y  12,  11  f. 
Plin.  n.  h.  XYI  216,  der  ungenau  das  Bild 
in  arce  (statt  inter  arcem  et  CapitoUum) 
steheu  lässt.  Ueber  angebliche  Yejovis-Köpfe 
auf  römischen  Familienmttnzen  (Overbbck, 
Griech.  Kunstmyth.  I  200  f.  Babblon,  Monn. 
cons.  1  505  ff.)  vgl.  Klübomank,  Arch.  Zeit. 
XXXYI  1878  S.  106  ff. 

*)  Paul.  p.  379.  Ovid.  a.  a.  0. 

•)  Gell.  Y  12,  12;  vgl.  Serv.  Aen.  II 761. 

n  Gell  X  15,  12.  Plut.  Qu.  Rom.  111. 

»)  Plin.  n.  h.  YII  19.  Sil.  Ital.  Y  175  ff. 
YII  662.  YIII  492. 

•)  Serv.  Aen.  XI  785 :  cum  ....  Düi 
patri  sacrum  persolveretur  (nam  dis  manibus 
consecratus  est).  Ueber  den  Kult  auf  dem 
Soracte  vgl.  Wissowa  in  Roschers  Lexikon  I 
2693  f. 


192 


Religion  und  Kultna  der  Römer.    IL  Qötterlehre. 


Fortleben  und  einer  Vergeltung  nach   dem  Tode  und   dem  Treiben  im 
Schattenreiche  haben  die  Römer  nicht  besessen;   denn  die  gespenstigen 
Erscheinungen  der  larvae  und  des  Orcus,  die  nicht  der  Religion,  sondern 
dem  volkstümlichen  Aberglauben  angehören,  haben  stets  etwas  ganz  un- 
bestimmtes behalten   und  nie  feste  charakteristische  Züge  angenommen; 
was  wir  aber  bei  römischen  Dichtern  von  der  Unterwelt  und  ihren  Schrecken 
lesen/)  beruht  ebenso  auf  griechischen  Vorbildern,  wie  die  Darstellungen 
etruskischer  Grabgemälde.    Im  altrömischen  Gottesdienst  vereinigen  sich 
alle  Vorstellungen  von  Tod  und  Unterwelt  in  dem  schwankenden  Begriffe 
der  Di  manes^  d.  h.  der  guten  Götter,')  wie  sie  euphemistisch  genannt 
werden,   einem  Namen,   der  nicht  bestimmte   göttliche  Personen  kenn- 
zeichnet, sondern  die  nach  Zahl  und  Wesen  unbestimmte  Masse  der  im 
Totenreiche  waltenden  Gottheiten,   der  di  inferi,   zusammenfasst.     Sie  er- 
scheinen überall  wo  es  sich  um  Totenfeiern  und  Anrufung  der  Unter- 
irdischen handelt,  so  bei  all  den  verschiedenen  parentationes,^)  beim  Offen- 
stehen des  mundus  (Fest.  p.  154),  bei  der  Devotion,*)  bei  Verwünschungen:*) 
wer  seine  Ehefrau  verkauft,  ist  nach  einem  Gesetze  des  Romulus  dis  ma-- 
nibus  sacer  {d-vsad-ai  x^^^''^^^  x^eoTg  Plut.  Rom.  22).    Insbesondere  werden 
sämtliche  Pflichten  der  Überlebenden  gegen  die  Abgeschiedenen  unter  dem 
Begriffe  der  iura  deorum  manium  (Gic.  de  leg.  U  22)  zusammengefasst,  und 
die  Gräber  stehen  als  Eigentum  der  Unterirdischen  unter  dem  Schutze  der 
di  manes.^)    Dagegen   ist  der  älteren  römischen  Religion  die  Auffassung 
der  di  manes  als  der  zu  Göttern  erhobenen  Seelen  der  Verstorbenen  und 
ihre  Spezialisierung  auf  die  Abgeschiedenen  bestimmter  Familien  und  Per- 
sonen  {infernos  Silanorum  manes  invocare  Tac.  ann.  XIII  14)  fremd;  diese 
Anschauung  kommt  erst  in  der  Kaiserzeit  zugleich  mit  dem  Zurücktreten 
des  Begriffes  der  di  parentum  (s.  oben  S.  187)  zur  Geltung  und  findet  ihren 
Ausdruck  in  der  geläufigen  Gestaltung  der  Grabschrift  nach  der  Formel  dis 
manibus  Ulius  (oder  illi).'^)    Nur  von  dieser  jüngeren  Auffassung  geht  die 
gelehrte  Spekulation  über  die  Grundbedeutung  der  di  manes  aus,  wenn  sie 
dieselben  nicht  nur  mit  denLomures  und  Larvae,  sondern  auch  mit  denLares 
und  Genii^)  zusammenwirft  und  eine  Theorie  aufstellt,  nach  welcher  der  Name 
Lemures  den  Zustand  bezeichnet,  in  den  die  Seelen  unmittelbar  nach  dem 
Tode  gelangen,  während  sie  nachher  je  nach  ihrem  Vorleben  und  der  Für- 
sorge, die  die  Überlebenden  ihrem  Kulte  angedeihen  lassen,  sich  einerseits 
zu  gütigen  Lares  familiäres,  andererseits  zu  feindseligen  Larvae  differen- 


>)  A.  ZiNOBBLE,  El.  philol.  Abhandl.  III 
61  ff.  G.  Ettio,  Acheruntica  (Leipz.  Stud. 
XIII)  8.  860  ff.  E.  Norden,  Hermes  XXVIII 
360  ff.  A.  DiBTBBicH,  Nekyia  S.  150  ff. 

•j  Fest.  p.  146.  Paul.  p.  122.  125.  Non. 
p.  66.  Serv.  Aen.  I  US.  III  63;  andere  Ab- 
leitung (von  manare)  bei  Fest.  p.  129.  157. 
Serv.  Aen.  IV  490. 

»)  z.  B.  Varro  de  1. 1.  VI  24.  Ovid.  fast. 
II  570.  Macr.  S.  I  13,  3. 

^)  Bei  der  Devotion  des  M.  Curtius,  Varro 
de  1.  1.  V  148.  Liv.  VII  6,  4;  mit  Tellus 
bei  der  Devotion  der  Decier,  Liv.  VIII  9,  8, 


vgl.  6,  10.  X  28,  13.  29,  4.  Val.  Max  I  7, 
3;  mit  Dis  pater  und  Vejovis,  Macr.  S.  III 
9,  10  (s.  oben  S.  190  f.). 

^)  Terram  matrem  deosque  manes  Suet. 
Tib.  75.  Aur.  Vict.  Caes.  33,  31 ;  vgl.  Wühsch, 
Delix,  tabellae  Attic.  p.  XXIX. 

•)  Vgl.  CIL  I  1410  deum  ma^nium  (als 
Bezeichnung  eines  Grabes)  und  Wendungen 
wie  d{i8)  tn(anibus)  locus  consacratus  CIL 
VI  5176  u.  a. 

7)  Hübner,  Handb.  I  529.  B.  Santoro, 
Rivista  di  filol.  XVII  1889,  1  ff. 

•)  Serv.  Aen.  III  63.  302.  VI  743. 


A.  Di  indigetes.    86.  Sonatige  Gottheiten  des  ältesten  KreieoB.  193 


zieren,  oder  aber,  wenn  ihre  Stellung  unentschieden  bleibt,  den  Namen 
di  manes  führen.  1)  Eine  Göttin  Mania,  die  von  Varro  mit  der  mater 
Larutn  (s.  oben  S.  151)  identifiziert  wurde,*)  ist  im  Kulte  nirgends  mehr 
nachweisbar  und  verdankt  ihre  Scheinexistenz  wohl  nur  gelehrter  Kom- 
bination, indem  man  aus  dem  Namen  mania,  den  die  bei  den  Compitalia 
(s.  oben  S.  149)  und  anderen  Gelegenheiten  aufgehängten  Puppen  führten, 
auf  eine  Göttin  dieses  Namens  schloss. 

Litteratur:  Stbudino  in  Roschers  Lexikon  II  234  ff.  2316  ff.  lieber  Vejovis  speziell 
L.  Prbllbr,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  1855,  203  ff.  =  Ausgew.  Aufs,  aus  der 
Altertumswiss.  S.  268  ff. 

36.  Sonstige  Gottheiten  des  ältesten  S^reises.  Die  Reihe  derjenigen 
Oottheiten,  die  in  der  ältesten  Kultordnung  durch  eigne  Priester  und  Feste 
vertreten  sind,  ist  durch  die  vorstehenden  Darlegungen  ziemlich  erschöpft. 
Es  bleiben  nur  ein  paar  Namen  übrig,  deren  Bedeutung  bereits  in  der 
Zeit  Varros  völlig  verschollen  war,  wie  der  rätselhafte  Falacer  (s.  oben 
S.  183  Anm.  10)  und  die  Göttin  Furrina:  obwohl  diese  letztere  nicht  nur 
einen  eignen  Flamen  Furrinalis,')  sondern  auch  ein  Fest,  die  Furrinalia  am 
25.  Juli,^)  und  einen  heiligen  Hain  in  Trastevere^)  besass,  so  bezeugt  doch 
Varro,  dass  zu  seiner  Zeit  kaum  ihr  Name  noch  einzelnen  Leuten  bekannt 
war,  und  es  ist  blosse  Spielerei  mit  dem  Namen,  wenn  Cicero  sie  für 
gleichbedeutend  mit  den  Furiae  oder  Eumeniden  erklärt^)  und  wenn 
Neuere  sie  mit  den  in  zwei  stadtrömischen  Inschriften  erwähnten  Forinae') 
zusammengebracht  haben,  bei  denen  sowohl  die  Namensform  wie  die  Mehr- 
zahl beweist,  dass  sie  mit  Furrina  nichts  zu  thun  haben.  Etwas  weiter 
kann  man  im  Verständnisse  der  Diva  Angerona  gelangen,  welcher  das 
am  21.  Dezember  begangene  Fest  der  Divalia  (so  die  Steinkalender)  oder 
Angeronalia  (so  Varro  de  1. 1.  VI  23.  Paul.  p.  17)  galt,  an  dem  ihr  von  den 
Pontifices  im  sacellum  Volupiae^)  (nach  Varro  a.  a.  0,  in  der  curia  Acculeia) 
ein  Opfer  gebracht  wurde  :^)  ebenda  stand  in  späterer  Zeit  ein  Bild  der 
Göttin,  welches  sie  mit  verschlossenem  Munde  oder  den  Finger  an  die 
Lippen  legend  darstellte.  i<^)  Die  Deutungsversuche  der  Mythologen  des 
Altertums  gehen  weit  auseinander  und  stützen  sich  teils  auf  den  Namen 
der  Göttin,  den  sie  von  der  Krankheit  angina  oder  a  peUendis  angoribus 
herleiten,  oder  auf  den  Habitus  des  Bildes,  in  dem  man  den  Hinweis  auf 
irgend  ein  zu  wahrendes  Geheimnis,  z.  B.  auf  den  Geheimnamen  der  Stadt 
Rom,  erblickte. ^1)     Gegenüber  diesen  ganz  haltlosen  Kombinationen  hat 


*)  Apul.  de  deo  Socr.  15  p.  15  Lütjoh., 
Tgl.  apol.  64.  August,  c.  d.  IX  11.  Mart. 
Cap.  II  162. 

»)  Varro  de  1.  1.  IX  61  und  bei  Arnob. 
11141.  Macr.  S.  1 7, 35.   Paul.  p.  129,  vgl.  145. 

»)  Varro  de  1. 1.  V  84.  VI  19.  VII  45. 

*)  CIL  V  p.  323;  vgl.  Varro  de  1.  1.  V 
84.  VI  19.  Paul.  p.  88. 

*)  Cic.  ad  Qu.  fr.  III  1,  4;  de  nat.  deor. 
in  46.   Aur.  Vict.  vir.  iD.  65. 

•)  Cic.  de  nat.  deor.  III  46;  vgl.  Plut.  C. 
Gracch.  17.  Mart.  Cap.  II  164;  ein  andrer 
Deutnngsversuch  bei  Buecheler,  Umbrica 
p.  71. 

^  CIL  VI  422  (Genio  Forinarum)  und 

Eandbnch  der  klam.  Altertnnuiwlfnenfichaft.    V,  4. 


10200  {ckI  aram  Forinarum);  nicht  einmal, 
ob  wir  hier  überhaupt  einen  Eigen-  oder 
Göttemamen  vor  uns  haben,  steht  fest. 

*^)  An  der  Nordecke  des  Palatin,  beim 
Abstieg  von  der  Porta  Romanula  zur  Nova 
Via,  Varro  de  L  1.  V  164. 

»)  CIL  I*  p.  337.   Macr.  S.  I  10,  7. 

'^)  Ore  obligcUo  obsignatoque  Plin.  n.  h. 
III  65  =  Solin.  1,  6.  Macr.  8. 1  10,  8;  digito 
ad  08  admoto  Macr.  S.  III  9,  4. 

»1)  Fast.  Praen.  z.  21.  Dec.  Macr.  S.  I 
10,  7  ff.,  vgl  III  9,  4.  Plin.  a.a.O.  üeber 
angeblich  erhaltene  Angerona- Bilder  vgl. 
WissowA  in  Roschers  Lexik.  I  350.  A. 
Chabouillet,  6az.  arch^ol.  VIII  1883,  260  ff. 

13 


194 


Religion  nnd  Knltiis  der  Aömer.    n.  Gfttterlehre« 


MoHHSEN  den  Weg  zu  einer  zwar  nicht  alle  Schwierigkeiten  lösenden/) 
aber  doch  ausserordentlich  ansprechenden  Erklärung  gewiesen,  indem  er 
aus  der  Lage  des  Festes  in  der  Zeit  der  Wintersonnenwende  schloss,  dass 
die  Göttin  zu  dem  neu  beginnenden  Sonnenlaufe  in  Beziehung  gestanden 
habe:  die  verstümmelte  Notiz  des  praenestinischen  Kalenders  zu  diesem 
Tage')  scheint  geradezu  einen  Hinweis  auf  das  beginnende  neue  Sonnen- 
jahr enthalten  zu  haben,  und  der  Name  der  Göttin  lässt  sich  bei  dieser 
Deutung  zwanglos  ableiten  ab  angerendo,  dno  tov  dvag>€Q€a&ai  tov  rjhov. 
Einer  solchen  Gottheit  des  Zeitenwechsels  in  der  ältesten  Religionsordnung 
zu  begegnen  hat  nichts  AufßÜliges,  da  sich  unter  den  di  indigetes  auch 
eine  mit  Sicherheit  erkennbare  Jahresgöttin  befindet,  Anna  Perenna;  in 
deren  Namen  sich  die  Beziehung  auf  Jahresanfang  und  Jahresschluss 
deutlich  kundgibt.^)  Daher  fällt  ihr  Fest  (15.  März)  in  den  ersten  Monat 
des  alten  bürgerlichen  Jahres  und  trägt  durchaus  den  Charakter  einer 
fröhlichen  und  oft  ausgelassenen  Neujahrsfeier, ^)  deren  Schauplatz  der 
ausserhalb  der  Stadt  am  ersten  Meilensteine  der  Via  Flaminia  gelegene 
Hain  der  Göttin  ist.^)  Was  alte  und  neue  Gelehrte  im  Anschlüsse  an  eine 
falsche  Etymologie  des  Namens  (von  amnis  perennis)  oder  unter  Heran- 
ziehung der  phoenikischen  Anna,  der  Schwester  der  Dido,  über  Anna 
Perenna  zusammengefabelt  haben,  ^)  ist  in  diesem  Falle  glücklicherweise 
nicht  imstande  gewesen,  die  Erkenntnis  ihrer  wirklichen  Bedeutung  dauernd 
zu  trüben.^) 

Gross  ist  die  Zahl  von  Gottheiten  zweiten  und  dritten  Ranges,  die 
uns  nur  aus  vereinzelten  Notizen  über  ihre  Heiligtümer,  Geremonien,  An- 
rufungen u.  s.  w.  bekannt  sind  und  deren  Zugehörigkeit  zum  ältesten 
Götterkreise,  wenn  auch  an  sich  wahrscheinlich,  darum  nicht  sicher  er- 
wiesen werden  kann,  weil  sie  zu  untergeordnet  waren,  um  eigne  Feste  und 
Priester  zu  erhalten,  und  im  Kulte  vielmehr  nur  im  Anschlüsse  an  höhere 
Gottheiten  verwandter  Funktion  gefeiert  wurden,  vielfach  wohl  auch  nur 
private,  nicht  staatliche  Verehrung  fanden.  Sehr  hohes  Alter  darf  man 
zweifellos  für  das  innerhalb  des  Gircus  gelegene  sacellum  Murciae^)  in  An- 
spruch nehmen,  einer  Göttin,  für  deren  Deutung  man  sich  in  historischer 


*)  Unerklärt  bleibt  der  Habitus  des 
Bildes;  doch  will  das  nicht  allzuviel  bedeu- 
ten, da  die  Statue  jedenfalls  eine  griechische 
war  und  ihre  Uebertragung  auf  Angerona 
auf  sehr  willkürlichen,  jedenfalls  nicht  mehr 
verfolgbaren  Erwägungen  beruht  haben  kann. 

*)  [Sjunt  tarnen  [qui  fieri  id  8acru\fn 
aiunt  ob  an\num  novum;  mani]fe8tum  esse 
[enitn  principiu]m  [a]nni  nov[i],  nach  der 
Ergänzung  von  Moxmbbn. 

')  Man  betet  zu  ihr  ut  annare  peranna' 
reque  commode  liceat  (Macr.  S.  1  12,  6),  wo- 
bei annare  den  Eintritt  in  das  neue  Jahr, 
perannare  das  zu  Ende  fClhren  desselben 
(Suet.  Vesp.  5)  bezeichnet.  Anna  ac  Peranna 
heisst  sie  bei  Varro  sat.  Men.  frg.  506  Buech. 

*)  CIL  I«  p.  311.  Ovid.  fast  III  523  ff., 
vgl.  Macr.  a.  a.  0.  Lyd.  de  mens.  IV  36; 
über  die  Zugehörigkeit  des  Festes  zu   den 


ältesten  feriat  s.  Wissowa,  De  feriis  anni 
Roman,  p.  XI. 

^)  Fast.  Vatic.  z.  15.  März.  Martial.  IV 
64,  17. 

*)  Ovid.  fast.  III  543  ff.  Klausbm,  Aeneas 
und  die  Penaten  S.  717  ff.  E.  Tbltsghkb, 
Ueber  das  Wesen  der  Anna  Perenna  und  der 
Dido,  Mitterburg  1877. 

')  Vgl.  namentlich  Usevbb,  Rhein.  Mus. 
XXX  206  ff. 

•)  Varro  de  1.  1.  V  154.  Paul.  p.  148; 
Murcia  vallis  Serv.  Aen.  VIII  636.  Symm. 
relat.  9,  6.  Glaud.  de  cons.  Stil.  II  404;  ad 
Mureiae  Liv.  I  33,  5.  CIL  V  p  189  elog. 
V  13,  vgl.  Fest  p.  344;  metat  Mureiae  Apnl. 
met.  VI  8.  Tert.  de  spect.  8.  Wibsowa,  De 
Veneris  simulacris  Roman,  p.  3  f.  und  in 
Rosebers  Lexikon  II  3231  ff. 


A.  Di  indigetes.    d6.  Sonstige  Gottheiten  des  ältesten  Kreises. 


195 


Zeit  nicht  anders  zu  helfen  wusste  als  mit  etymologischen  Spielereien,  in- 
dem man  Murcia  =  Myrtea  ansetzte  und  daraufhin  die  Oöttin  mit  Aphrodite- 
Venus  identifizierte,')  oder  den  Namen  mit  murcidus  zusammenbrachte,') 
oder  ihn  endlich  von  einem  angeblich  alten  Namen  des  Aventin,  Murcus, 
herleitete.^)  Ebenfalls  im  Gircus,  wahrscheinlich  in  sachlichem  Zusammen- 
hange mit  dem  dort  gelegenen  Altar  des  Emtegottes  Consus  (s.  oben  S.  166  f.), 
standen  die  Bilder  dreier  Göttinnen,  deren  Wirksamkeit  sich  auf  den  Schutz 
der  Saaten  sowohl  unter  wie  über  der  Erde  als  in  der  Scheuer  erstreckte, 
Seia,  Segetia  und  Tutüina:*)  der  Name  der  letztgenannten  (Plin.  n.  h. 
XVni  8)  oder  auch  aller  drei  Göttinnen  durfte  nach  sakraler  Vorschrift 
nicht  ausgesprochen  werden,  wer  es  doch  that,  musste  zur  Sühne  ferias 
observare  (Macr.  S.  I  16,  8).  Eine  besonders  grosse  Menge  verschollener 
Kulte  haftet  am  Palatin  und  seiner  nächsten  Umgebung.  So  lag  hier 
nahe  am  Lupercal  das  Sacellum  der  Diva  Rumina, ''^)  in  welchem  —  ein 
Beweis  für  das  hohe  Alter  des  Kultes  —  die  Verwendung  des  Weines 
beim  Opfer  verpönt  war  und  Milch  an  dessen  Stelle  trat:^)  die  allgemein 
recipierte  Herleitung  des  Namens  von  ruma  =  mamma  und  die  Ver- 
gleichung  des  Juppiter  Ruminus^)  bringen  die  Götter  unserem  Verständ- 
nisse ebensowenig  näher  wie  die  spätere  Hineinziehung  der  bei  ihrem 
Heiligtume  stehenden  ficus  Buminalis  in  die  Romuluslegende.^)  Auf  dem 
Palatin  lag  femer  das  sacellum  deae  Viriplacae,  in  welchem  nach  Valer. 
Max.  n  1,  6  entzweite  Ehegatten  zu  Aussprache  und  Versöhnung  zusammen- 
zukommen pflegten:  ist  der  Kult  alt  (es  kann  auch  eine  auf  Grund  eines 
persönlichen  Anlasses  erbaute  Privatkapelle  jüngerer  Zeit  gewesen  sein), 
so  ist  diese  Angabe  gewiss  nichts  weiter  als  ein  aus  dem  Namen  heraus- 
gesponnenes ahiov.  Die  an  den  Palatin  anstossende  Velia  trägt  das  Sa- 
cellum des  Mutunus  Tutunus,')  eines  Gottes,  dem  die  Frauen  verschleiert 
opferten  ^^)  und  der  bei  den  Hochzeitsceremonien  eine  von  den  christlichen 
Apologeten  oft  als  anstössig  betonte  Rolle  spielte,  indem  die  Neuvermählte 
auf  sein  fascinum  gesetzt  wurde  :^^)  wir  haben  es  hier  zweifellos  mit  einer 
über  die  Geschlechtsbeziehungen  zwischen  Mann  und  Weib  waltenden  Gott- 
heit zu  thun,  deren  Natur  auch  in  dem  von  den  beiderseitigen  Geschlechts- 


»)  Varro  de  1.  1.  V  154.  Plin.  n.  h.  XV 
121.  Flut.  Qa.  Rom.  20.  Serv.  Aen.  VII]  636. 

*)  Serv.  a.  a.  0.  Augast  c.  d.  IV  16; 
vgl.  Amob.  IV  9. 

*)  Paul.  p.  148.  Serv.  a.  a.  0. 

^)  So  die  Ueberlieferung  bei  Augustin. 
c.  d.  IV  8  und  Macr.  8. 1  16,  8,  ebenso  bei 
Plin.  n.  h.  XVIII  8,  nur  dass  dieser  Segeata 
statt  Seia  gibt;  abweichend  Tert.  de  spect.  8: 
columnae  (in  cireo)  Sessiaa  a  sementationilma, 
Me88ias  a  messüms,  TutuUntM  a  tutela  fruc- 
tuum  8ustinent.  Mit  den  Tutilinae  loca  bei 
Vurro  de  1. 1.  V  163  ist  jedenfalls  die  Stelle 
im  CircuB  gemeint;  ausserdem  erwfthnt 
Tutilina  Varro  sat.  Menipp.  frg.  216  Buech., 
Segetia  August,  c.  d.  IV  24.  34.  V  21,  und 
die  dea  Segetia  ist  noch  auf  einer  Münze  der 
Salonina,  der  Qattin  des  Qallienus,  darge- 
stellt, EcKBBL,  D.  N.  VII  419. 


*)  Dies  die  offizielle  Namensform:  Varro 
de  re  rust.  II  11,  5.  August  c.  d.  IV  11.  VI 
10.  VII  11,  herzusteUen  auch  bei  Tert.  ad 
nat.  II  11  (für  una  rundnia);  s.  auch  oben 
S.  115  Anm.  3. 

^)  Varro  a.  a.  0.  und  bei  Non.  p.  167, 
23.   Plut.  Rom.  4;  Qu.  Rom.  57. 

')  August,  c.  d.  VII  11;  vgl.  auch  Rumon 
als  Indigitation  des  Tiberinus  pater  Serv. 
Aen.  VIII  63.  90. 

»)  SoHWEQLEB,  Rom.  Gosch.  I  420  ff. 

*)  Ueber  die  Namensform  s.  R.  Petbb 
in  Roschers  Lexik.  II  204. 

^^)  Fest.  p.  154  (verstammelt). 

>*)  Tert.  apol.  25;  ad  nat  II  11.  Amob. 
IV  7.  11.  August,  c.  d.  IV  11,  der  ihn  mit 
dem  griechischen  Priapos  identifiziert  (IV  34. 
VI  9.  VII  24).   Lact.  inst.  I  20,  36. 


13 


196 


Religion  und  Enltiui  der  Römer.    TL.  Qötterlehre. 


teilen  (einerseits  muUo,  andererseits  einem  fast  ganz  verschollenen  tüus) 
hergeleiteten  Namen  zum  Ausdrucke  kommt.  0  Denn  diese  in  der  alt- 
römischen Religion  sehr  häufigen  Doppelnamen  umfassen  gewissermassen 
den  Begriff  der  Gottheit  von  seinen  entgegengesetzten  Polen  her,  wie  z.  B. 
Anna  Perenna,  Prorsa  Postverta,  Panda  Cela,  Patulcius  Clusivius,  Conditor 
Promitor  u.  s.  w.  Zu  dieser  Gattung  von  Bildungen  gehört  auch  Genita 
Mana,  der  Name  einer  in  Werden  und  Vergehen,  Geburt  und  Sterben 
zugleich  wirksamen  Gottheit,  die  man  im  häuslichen  Kulte  durch  Hunde- 
opfer gnädig  zu  stimmen  suchte,  damit  keiner  der  Hausgenossen  zum 
manus  werden,  d.  h.  sterben  möge;*)  ferner  Pilumnus  und  Picumnus, 
ein  Götterpaar,  das  man  als  di  coniugales  bei  Geburten  durch  Aufstellung 
eines  lectus  zusammen  mit  Deverra  und  Intercidona  (Augustin.  c.  d. 
VI  9)  zum  Schutze  der  Neugeborenen  herbeirief,*)  endlich  auch  VicaPota, 
die  Inhaberin  eines  am  Abhänge  der  Velia  nach  dem  Forum  zu  gelegenen 
Heiligtums,^)  deren  Namen  die  alten  Grammatiker  teils  von  vincere  und 
potiri,^)  teils  von  vidus  und  potus^)  herleiteten.  Auf  dem  Höhepunkte  der 
Sacra  Via,  dort  wo  sie  die  Velia  überschritt,  nahe  dem  Larentempel,  lag 
das  fanum  der  Orbona,^)  an  ihrem  äussersten  Ende  im  Thale  des  Golos- 
seum  Kapelle  und  Hain  der  Strenia,^)  die  man  mit  dem  Brauche  der 
Neujahrsgeschenke  (streniae)  zusammenbrachte.*)  Für  all  diese  Götter  und 
manche  andre ^^)  muss  zur  Zeit  auf  jeden  Versuch  einer  Deutung  und 
historischen  Einreihung  verzichtet  werden,  da  die  thatsächlichen  Angaben 
der  Quellen  keinen  ausreichenden  Anhalt  geben  und  die  Deutungen  der 
antiken  Gelehrten  nur  auf  sehr  gewagten,  zum  Teil  nachweislich  ver- 
kehrten Etymologien  beruhen:  nur  macht  die  Lage  der  Heiligtümer  im 
Herzen  der  Altstadt  Roms  es  wahrscheinlich,  dass  die  Mehrzahl  dieser 
verschollenen  Götter  der  ältesten  Religionsordnung  angehört,  wenn  auch 
im  einzelnen  Falle  der  Beweis  schwer  zu  erbringen  ist  und  namentlich 
die  Möglichkeit  offen  gelassen  werden  muss,  dass  dieses  oder  jenes  saceUum 
aus  privater  Stiftung  herrührte.     Noch  unsicherer  ist  das  Alter  solcher 


^)  Vgl.  R.  Peteb  a.  a.  0.  206,  der  auch 
die  sonstigen  Deutungsversuche  zusammen- 
stellt, üeber  mutto  und  titua  s.  Bübobelbr, 
Archiv,  f.  lat.  Lexikogr.  II  119  f.  508  und 
A.  SoNKY  ebd.  X  382  f.:  unsicher  ist  die 
Verteilung  der  Worte  auf  die  beiden  Ge- 
schlechter, da  mvtto  zwar  =  mentula  ist, 
aber  Hesycbios  fivrrog  *  ro  yvyaixeioy  hat, 
während  andererseits  nach  Schol.  Pers.  I  20 
titus  das  membrum  virile  bezeichnet,  Photios 
aber  tuLg  mit  yvyaixetov  aidoToy  ,  .  .  xal 
rj  x^Qxog  erklärt. 

*)  Plut.  Qu.  Rom.  62.  Plin.  n.  h.  XXIX 
58;  vgl.  WissowA  in  Roschers  Lexik.  I  1612. 

•)  Varro  bei  Non.  p.  528.  Serv.  Aen.  IX 
4.  X  76;  eine  andre  Auffassung,  welche 
Picumnus  mit  Picus  und  Pilumnus  mit  dem 
pilum  zusammenbrachte,  sah  in  ihnen  länd- 
liche Gottheiten,  die  Erfinder  des  Dfingens 
und  des  Kornstampfens;  die  Stellen  bei  R. 
Peter  in  Roschers  Lexik.  II  214  f. 

*;  Liv.  II  7,  12.   Plut.  Popl.  10. 


*)  Gic.  de  leg.  II  28;  dieser  Deutung 
folgt  Ascon.  p.  12,  wenn  er  schlechtweg  Vic- 
toria für  Vica  Pota  einsetzt. 

*)  Arnob.  III  25  (Hs.  vita  et  patua); 
diese  Auffassung  scheint  auch  bei  Seneca 
apocol.  9  zu  Grunde  zu  liegen. 

')  Cic.  de  nat.  deor.  IIl  63  =  Plin.  n.  h. 
II  16;  der  Name  wird  ab  orbitate  abgeleitet 
von  Tert.  ad  nat.  II  15  =  Cypr.  qnod  idola 
dii  non  sint  4.  Arnob.  IV  7. 

*)  Varro  de  1.  1.  V  47.  Pest.  p.  290. 
Symm.  relat.  15,  1. 

*)  Symmach.  a.  a.  0.  Lyd.  de  mens.  IV 
4;  andre  Erklärung  (qiuie  faceret  strenuum) 
bei  August,  c.  d.  IV  11.  16. 

'^)  Hierher  gehört  auch  der  sehr  frag- 
würdige Gott  Minutus,  von  dessen  benach- 
bartem Heiligtume  eine  porta  Minutia  den 
Namen  haben  sollte  (Paul.  p.  122.  147),  die 
doch  in  Wahrheit  gewiss  eine  porta  Mimwia 
war;  vgl.  Jordan,  Topogr.  IIS.  236. 


A.  Di  indigetes.    86.  Sonstige  Oottheiten  des  ältesten  KreiseB. 


197 


Kulte,  deren  Stätten  vom  Mittelpunkte  der  alten  Stadt  weiter  entfernt 
lagen,  wie  der  Hain  der  Albionae  am  rechten  Tiberufer, ^)  das  Sacellum 
der  Naenia  vor  der  Porta  Viminalis,*)  der  am  Tiber  gelegene  Hain  der 
Stimula,  der  bei  dem  Baccbanalienskandal  von  568  ==  186  eine  Rolle 
spielt,^)  und  das  Heiligtum  eines  Gottes  Viduus  irgendwo  ausserhalb  der 
Stadtmauern.^)  Hier  spricht  manches  für  einen  etwas  jQngeren  Ursprung 
der  Kulte,  aber  nur  selten  ist  dieser  so  sicher  zu  erweisen,  wie  bei  der 
Kloakengöttin  Cloacina,  deren  Heiligtum  auf  dem  Forum  lag:^)  denn  die 
Anlage  der  Kloaken  fällt  sicher  später  als  der  Abschluss  des  Kreises  der 
di  indigetes.  Die  Begräbnisgöttin  Libitina,  die  man  später  vielfach  mit 
einer  von  ihr  verschiedenen  Göttin  Lubentia^)  zusammenwaif  und  unter 
Ableitung  des  letzteren  Namens  von  lubere,  lubido  zu  einer  Aphrodite- 
Venus  machte,  gehört  wahrscheinlich  ebenfalls  bereits  in  die  Reihe  der  di 
novensides:  denn  der  Hain  dieser  Göttin  bildet  den  Mittelpunkt  des  städti- 
schen Begräbniswesens  und  der  Sterbestatistik, ^)  eine  Verknüpfung  des 
Kultes  mit  dem  praktischen  Leben  des  Tages,  für  die  man  in  der  ältesten 
Religionsübung  vergeblich  nach  Analogien  sucht.  Auch  für  den  an  meh- 
reren Stellen  der  römischen  Höhen  angesiedelten  Kult  der  Göttin  Febris^) 
fehlt  es  an  einer  genügenden  Grundlage  zur  Altersbestimmung,  wenn  auch 
die  Thatsache,  dass  die  angesehenste  ihrer  Kultstätten  auf  dem  Palatin 
lag,  für  ein  hohes  Alter  und  die  Zugehörigkeit  zur  ältesten  Götterord- 
nung spricht:  in  diesen  Heiligtümern  weihte  man  die  remedia,  quae  cor- 
poribus  aegrorum  adnexa  fuerant  (Val.  Max.  H  5,  6),  indem  man  das  nutnen, 
das  man  in  der  verheerenden  Krankheit  wirksam  fühlte,  aber  nicht  näher 
zu  bezeichnen  wusste,  selbst  als  dea  Febris  verehrte,^)  eine  Anschauung, 
die  noch  in  späterer  Zeit  lebendig  ist,  wie  Inschriftensteine  der  römischen 


*)  Paul.  p.  4:  Albiona  ager  Irans  Tihe- 
Hm  dicitur  a  luco  Albi&narum,  quo  loco  hos 
alba  sacrificabatur. 

«)  Fest.  p.  161  (Paul.  p.  163);  Göttin 
der  Totenklage  nach  Arnob.  IV  7.  Aagust. 
c.  d.  VI  9. 

»)  Liv.  XXXIX  12,  3  =  Schol.  Juv.  2,  3. 
Ovid.  fast.  VI  503,  der  sie  mit  Semele  identi- 
fiziert (vgl.  CIL  VI  9897  lucus  Semeies);  dass 
der  Hain  an  der  Tibermflndung  lag,  folgt 
aus  Ovids  Worten  nicht.  Deutung  der  Göt- 
tin de  sHmulis  bei  August,  c.  d.  IV  11.  16. 

*)  Tert.  ad  nat.  II  15  —  Cypr.  qu.  idol. 
dii  non  sint  4;  eine  (allerdings  nicht  ganz 
sichere)  Weihinschrift  an  Viduus  aus  Sar- 
dinien CIL  X  7844. 

»)  Liv.  III  48,  5.  Plin.  n.  h.  XV  119. 
Plaut.  Cure.  471 ;  vgl.  dazu  Jobdan,  Topogr. 
I  2  S.  398.  Hülsen,  Rom.  Mitteil.  VIII  284. 1. 
Venus  Cloacina  heisst  die  Göttin  bei  Plin. 
a.  a  0.  und  Serv.  Aen.  I  720;  ihr  Kult  gilt 
als  eine  Gründung  des  Titus  Tatius  nach 
Minuc.  Fei.  25,  8.  August,  c.  d.  IV  23.  VI 
10.  Lact.  inst.  I  20,  11  u.  a. 

*)  Plant.  Asin.  268 ;  Libentina  oder  Luben- 
tina  Arnob.  IV  9.  August,  c.  d.  IV  8;  Venus 
lAbüina  oder  Lubentina  Varro   de  1.  I.  VI 


47.  Cic.de  nat.  deor.  II  61.  Serv.  Aen.  1  720. 

')  Dion.  Hai.  IV  15.  Ascon.  p.  29.  Plut. 
Qu.  Rom.  23  und  mehr  bei  Wissowa  in 
Roschers  Lexik.  II  2034. 

')  Val.  Max.  II  5,  6  nennt  drei  templa 
der  Febris,  unum  in  Palatio,  alterum  in 
area  Marianarum  monumentorum,  tertium  in 
summa  parte  vid  longi,  von  denen  nur  das 
erstgenannte  auch  anderweitig  erwähnt  wird 
(Cic.  de  leg.  II  28;  de  nat.  deor.  HI  63  =  Plin. 
n.  h.  II  16.  Aelian.  v.  h.  XII  11);  auf  dieses 
wird  man  daher  auch  die  Stellen  beziehen 
dfirfen,  an  denen  ohne  Ortsangabe  von  tem- 
plum  (August,  c.  d.  III  25,  vgl.  IV  15),  fanum 
(Seneca  apoc.  6)  oder  aedes  Febris  (Theod. 
Prise.  IV  fol.  310^  ed.  Aid.  1547)  die  Rede  ist. 

*)  Diese  VergöttJichnng  einer  feindlichen 
und  schädlichen  Macht  bUdet  einen  steten 
Angriffspunkt  für  die  Kirchenväter:  Minuc. 
Fei.  25,  8  =  Cypr.  qu.  idola  dii  non  sint  4. 
Lact.  inst.  I  20,  17.  August,  c.  d.  ü  14.  HI 
12.  25.  IV  15.  23;  epist  17,  2;  de  cons. 
evang.  I  18;  in  psalm.  CIV  11  (=  Mionb, 
Patrol.  lat.  XXXIH  84.  XXXIV  1053.  XXXVIl 
1396).  Hieron.  in  Joel  3  (=  Mionb  XXV 
980).  Pmdent.  hamart.  157  f.  Acta  SS.  Jul. 
V  144. 


198 


Religion  und  Ealtaa  der  BOmer.    II.  Götterlehre. 


Provinzen  mit  Weihungen  an  die  dea  Tertiana  (CIL  VII  999)  und  an  Quar- 
tana (CIL  Xn  3129),  d.  h.  die  Göttinnen  des  drei-  oder  Wertägig  wieder- 
kehrenden Wechselfiebers,  beweisen.  Einem  verwandten  Gedankenkreise  ent- 
stammt endlieh  auch  die  Verehrung  der  Mefitis,  d.  h.  der  göttlichen  Ge- 
walt, deren  Bethätigung  man  überall  da  erblickte,  wo  dem  Boden  schädliche 
Ausdünstungen,  insbesondere  Schwefeldämpfe,  entstiegen:  das  derartige 
Ausdünstungen  bezeichnende  Wort  mefitis^)  ist  zugleich  der  Name  der  Gott- 
heit, der  wir,  entsprechend  der  vulkanischen  Natur  der  Halbinsel,  an  vielen 
Stellen  Italiens  begegnen.  Die  zufällig  auf  uns  gekommenen  Zeugnisse 
erlauben  uns,  ihren  Kult  von  Potentia  (CIL  X  130 — 133)  und  Grumentum 
(CIL  X  203)  in  Lucanien  bis  hinauf  ins  transpadanische  Gallien*)  zu  ver- 
folgen, seine  eigentliche  Heimat  aber  scheint  das  mittlere  Italien  gewesen 
zu  sein, 3)  und  es  ist  nicht  mehr  als  natürlich,  dass  uns  auch  für  Rom 
ein  Tempel  und  Hain  der  Mefitis  auf  dem  Mens  Cispius  bezeugt  ist:*)  aber 
ausser  dieser  Thatsache  hören  wir  von  der  Göttin  nichts,  und  weder  der 
Umstand,  dass  stellenweise  eine  Mehrzahl  von  Mefites  verehrt  worden  zu 
sein  scheint  (s.  Mohhsen,  CIL  X  p.  976),  noch  das  unerklärte  oskische  Bei- 
wort fisica,  das  sie  einmal  erhält  (CIL  X  203),  wie  anderweit  Venus  (CIL 
IV  1520.  X  928),  geben  uns  über  die  Art  ihres  Dienstes  näheren  Auf- 
schluss. 


Zweiter  Abschnitt. 

Di  novensides  italischer  Herkunft/) 

37.  Diana.  Unter  den  Neuaufnahmen,  durch  welche  der  älteste 
römische  Götterkreis  seit  den  Zeiten  der  tarquinischen  Könige  erweitert 
wurde,  steht  sowohl  dem  Alter  wie  der  Stellung  im  Staatskulte  nach  der 
Gottesdienst  der  Diana  obenan.  Wie  schon  der  Name^)  zeigt,  von  itali- 
scher Herkunft,  hat  die  Göttin  in  den  verschiedensten  Teilen  der  Halbinsel 
von  Alters  her  Verehrung  genossen:  in  Pisaurum  nennt  eine  der  alten 
Weihinschriften  (CIL  1 168)  ihren  Namen,  und  am  Berge  Tifata  bei  Gapua 
besass  sie  ein  hochangesehenes,  noch  später  durch  eine  von  Vespasian 
bestätigte  Schenkung  Sullas  reich  begütertes  Heiligtum  ;0  vor  allem  aber 
sind  in  Latium  und  bei  den  nächsten  Nachbarn  der  Latiner  die  Eultstätten 


»)  Verg.  Aen.  VII  82  und  Serv.  z.  d.  St. 
Pen.  III  99  m.  Schol.  Porphyr,  zu  Hör.  o. 
m  18,  1.  Prise,  ü  328  H. 

>)  CIL  V  6353  ans  Laus  Pompei;  Tempel 
in  Cremona,  Tac.  hist  m  33. 

«)  Am  See  Ampsanctos  im  flirpiner- 
lande,  Plin.  n.  h.  II  108;  in  Aequum  Tuti- 
cum  CIL  IX  1421,  Capua  X  3811  (Add.), 
Atina  X  5047. 

*)  Varro  de  1. 1.  V  49.  Fest.  p.  351. 

^)  Fflr  die  Sonderung  der  in  Rom  re- 
cipierten  Gottheiten  in  solche  italischer  und 
griechischer  Herkunft  war  nach  den  oben 
in  §  8  und  9  dargelegten  Gesichtspunkten 
entscheidend  nicht  die  ursprOngliche  Heimat 


des  Gottes,  sondern  die  Beantwortung  der 
Frage,  ob  die  Römer  seinen  Kult  aus  einer 
Stadt  italischer  oder  griechischer  Zunge  er- 
halten haben. 

')  Von  Wz.  div  ^glftnzen*  abzuleiten 
(vgl.  Lucina),  s.  Curtivs,  Grundz.*^  S.  236. 
Die  Form  Deana  ist  nicht  archaisch,  sondern 
vulgäre  EntsteUung  (CIL  VI  118.  122.  126. 
132.  X  5045.  5671.  XI  1211.  8552.  XIV  2212 
u.  a.),  ebenso  lana  (octavo  lanam  lunam  bei 
Varro  de  re  rust.  I  37,  3  und  lanium  fQr  Dt- 
aniutn  bei  Oros.  V  12,  6). 

»)  Vell.  Pat.  II  25,  4.  CIL  X  3828  und 
zahlreiche  Weihinschriften;  s.  Moxmben,  CIL 
X  p.  366  f. 


B.  Di  noTensideB  italischer  Herkunft.    87.  Diana. 


199 


der  Diana  ausserordentlich  zahlreich.  Entsprechend  den  Gepflogenheiten 
des  ältesten  Gottesdienstes  sind  es  durchweg  heilige  Haine, ^)  in  denen  der 
Dienst  der  Göttin  geübt  wird,  weitaus  am  berühmtesten  unter  ihnen  der 
am  Albanergebirge  östlich  von  Aricia  am  Ufer  eines  als  speculum  Dianae 
bezeichneten  Sees')  gelegene,  der  xat'  i^ox^v  Nemus  Dianae  hiess  und 
der  Göttin  den  Namen  Diana  Nemorensis  gab.')  Da  Aricia  einstmals, 
wahrscheinlich  seit  dem  Sturze  von  Alba  Longa,  der  Vorort  eines  Bundes 
von  Latinerstädten  war,  zu  dem  (falls  die  Liste  vollständig  ist)  ausser  ihm 
selbst  Tusculum,  Tibur,  Lanuvium,  Laurentum,  sowie  Ardea,  Suessa  Po- 
metia  und  Cora  gehörten,  so  wurde  die  aricinische  Diana  die  göttliche 
Schirmherrin  dieses  Bundes,  der  ihr  in  einer  Lichtung  des  Haines  durch 
den  damals  (das  Jahr  ist  nicht  zu  bestimmen)  als  Bundesoberhaupt  fun- 
gierenden Dictator  Egerius  Laevius  von  Tusculum  einen  Bundesaltai*  weihen 
liess.^)  Es  hängt  gewiss  damit  zusammen,  dass  der  Priester  der  Diana 
Nemorensis  den  aussergewöhnlichen  Ehrentitel  rex  Nemorensis  {Sxxet.  Galig.  85) 
führt;  ein  offenbar  uraltes  Sakralgesetz  schrieb  vor,  dass  diese  Würde  nur 
durch  einen  Zweikampf  mit  dem  bisherigen  Inhaber,  bei  welchem  ein 
Zweig  von  einem  bestimmten  Baume  des  Haines  die  Waffe  bilden  musste 
(Serv.  Aen.  VI  136),  errungen  werden  konnte,  und  dieser  Brauch  führte 
in  römischer  Zeit  dazu,  dass  nur  flüchtige  Sklaven  sich  der  Gefahr  dieses 
Duells  aussetzten  und  durch  Tötung  ihres  Vorgängers  das  natürlich  in 
seiner  Schätzung  sehr  gesunkene^)  Amt  erwarben.^)  Zur  Bundesgöttin 
wurde  Diana  nicht  wegen  bestimmter  Eigenschaften  ihres  göttlichen  Wesens, 
sondern  nur,  weil  sie  die  Hauptgottheit  der  führenden  Stadt  Aricia  war; 
denn  sie  war  keineswegs  eine  politische  Gottheit,  sondern  eine  Schützerin 
und  Helferin  der  Frauen  in  den  Nöten  ihres  Geschlechts.  Das  beweisen 
für  die  Kaiserzeit,  in  der  das  Heiligtum  zu  Nemi  von  Rom  und  ander- 
wärts aus  sehr  viel  besucht  wurde,  7)  die  zu  ihrem  Tempel  ziehenden  Pro- 
cessionen  bekränzter  und  fackeltragender  Frauen  ^)  und  die  bei  den  Ausgra- 
bungen im  heiligen  Bezirke  aufgefundenen  Votivgegenstände,  unter  denen 
Vulven,  Phallen,  Statuetten  von  Müttern  mit  Säuglingen  u.  ä.  die  Hauptrolle 


')  Est  in  suburbano  Tusculani  a^ri 
eoüe  .  . .  lueus  antiqua  religione  Dianae  sa- 
cratus  a  Laüo,  Plin.  n.  b.  XVI  242 ;  ad  com- 
pitum  Anagninum  in  luco  Dianae,  Liv. 
XXVII  4,  12;  nemarum  eoma,  quaecumque  .  . 
prominet  Algido,  Hör.  c.1 21,  6,  vgl.  c.  saec. 
69.   Dbsjabdinb,  Topogr.  du  Latiuin  p.  211  f. 

*)  Serv.  Aon.  VII  515;  vgl.  auch  CIL 
XIV  2772  mit  Dbssaus  Bemerkung. 

*)  Auch  die  um  das  Heiligtum  sich  grup- 
pierende Niederlassung  heisst  mit  Eigennamen 
Nemus  (Nefios  Strab.  V  239.  App.  b.  c.  V  24), 
heute  Nemi,  ebenso  wie  sich  aus  dem  lueus 
Angitiae  im  Marserlande  (s.  oben  S.  44  Anm.  2) 
die  Gemeinde  der  Lucenses,  heute  Luco,  ent- 
wickelte (MoMMSEN,  CIL  IX  p.  367).  Im  all- 
gemeinen vgl.  über  das  Heiligtum  von  Nemi 
BoBMAKV,  Altlatin.  ChorographieS.  134  ff.  und 
Dbssau,  CIL  XIV  p.  204. 

*)  So  verstehe  ich  das  Fragment  des 
Cato  bei  Prise.  IV  p.  129  =  VII  p.  337  H.: 


Lucum  Dianium  in  nemore  Aricino  Egerius 
Laevius  Tusculanus  dedieavit  dictator  Lati- 
nuSf  ki  populi  communiter  u.  s.  w.,  vgl.  Fest, 
p.  145  Manius  Egeri[us  lucum]  Nemorensem 
Dianete  eonseeravU.  Anders  Jobdait,  Caton. 
reliqu.  p.  XLII  ff.  Bf  loch,  Der  italische  Bund 
S.  179  f. 

^)  Abieetae  eondieionis  et  extremae  sor- 
tis, Suet.  Calig.  35. 

•)  Paus.  II  27,  4.  Strab.  V  239.  Ovid.  a. 
a.  I  298;  fast  HI  271  f.  Val.  Flacc.  H  305. 
Stat.  silv.  III  1,  55.  Vgl  Jobdan,  Die  Könige 
im  alten  Latium  S.  42  ff. 

')  Darum  ist  der  cliwis  Aricini*s  (oder 
cHpus  Virbi  Fers.  VI  56)  Sammelpunkt  der 
Bettler,  Martial.  11  19,  3.  X  68,  4.  XU  32,  10. 
Juv.  3,  117.  Ootavian  machte  bei  dem  Tem- 
pel eine  Anleihe,  Appian.  b.  c.  V  24. 

•)  Prop.  II  32,  9.  Ovid.  fast.  III  269  f.; 
vgl.  Gratt.  cyn.  484.  Stat.  silv.  III  1, 56  f. 


200 


Beligion  and  Kaltns  der  BOmer.    II.  Götterlehre. 


spielen.^)  Dass  diese  Auffassung  aber  nicht  etwa  auf  einer  späteren  Um- 
bildung beruht,  sondern  die  ursprüngliche  ist,  geht  zur  Evidenz  aus  der 
Thatsache  hervor,  dass  neben  Diana  Nemorensis  an  der  den  Hain  durch- 
strömenden Quelle  (Strab.  V  239)  eine  untergeordnete  Gottheit  Egeria 
verehrt  wurde,  deren  Eigenschaft  als  Geburtsgöttin  vollkommen  sicher 
steht.  ^)  Aus  demselben  Anschauungskreise  ist  auch  eine  in  dem  Haine 
ansässige  dienende  Gottheit  männlichen  Geschlechts,  wahrscheinlich  ein 
bei  der  Entbindung  hilfreicher  Dämon,')  Namens  Yirbius^)  zu  erklären, 
den  man  später  als  älteren  Mann,  wahrscheinlich  im  Typus  des  griechischen 
Asklepios,  zur  Darstellung  brachte.^)  Name  und  Bedeutung  des  Gottes 
waren  in  historischer  Zeit  unverständlich  geworden,^)  und  die  hellenisierende 
Gelehrsamkeit  der  ausgehenden  Republik,  die  den  aricinischen  Dianenkult 
wegen  der  barbarischen  Zweikämpfe  mit  dem  taurischen  Artemisdienste 
zusammenbrachte,^)  identifizierte,  gestützt  auf  die  Thatsache,  dass  der 
aricinische  Hain  von  Pferden  nicht  betreten  werden  durfte,®)  den  Virbius 
mit  dem  von  seinen  Rossen  zu  Tode  geschleiften  Hippolytos,  der,  durch 
Asklepios  neu  belebt,  von  Artemis  unter  veränderter  Gestalt  und  neuem 
Namen  hier  geborgen  sein  sollte.^) 

Dieser  aricinische  Kult  ist  es,  von  dem  der  römische  Dianendienst 
seinen  Ausgangspunkt  genommen  hat.  Zwar  leitete  Varro  (de  1. 1.  V  74) 
diesen,  wie  viele  andre  römische  Kulte,  von  den  Sabinern  her,  und  bei 
manchen  kleinen  Dianenkapellen  (Diania)  in  Rom,  von  deren  Existenz  wir 
wissen,  ^0)  ist  Alter  und  Herkunft  nicht  mit  Sicherheit  festzustellen.  Das  aber 
ist  gewiss,  dass  der  älteste  und  bis  zum  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  einzige  wirk- 
liche Tempel  der  Diana,  die  aedes  Dianae  in  Aventino,  der  Mittelpunkt  des 


^)  Ueber  die  Ausgrabungen  in  Nemi 
zusammenfassender  Beriebt  von  0.  Ross- 
BAOH,  Verband!,  d.  Philol.  Versamml.  in  Gör- 
litz 1889  S.  147  ff.,  dazu  nocb  Notiz,  d.  Scavi 
1895,  424  ff.  Die  Inscbriften  CIL  XIV  2212 
-2214.  4182—4186.  4202.  4270  f.,  darunter 
mehrere  arcbaiscbe;  vgl.  aucb  die  tibur- 
tinische  Inschrift  CIL  XIV  3537  Dianai  opi- 
fer(ai)  Nemorensei  und  eine  von  Narona  CIL 
III  1778. 

*)  Paul.  p.  77  Egeriae  n^phae  aacri- 
ficdbant  praegnantes^  quod  eam  putabatU  fa- 
ciU  canceptam  alvum  egerere;  vgl.  Wissowa 
in  Rosebers  Lexik.  I  1217. 

')  Vgl.  Ober  fthnliehe  griechiscbe  Vor- 
stellungen F.  Mabx,  Atben.  Mitteil.  X  1885 
S.  198  f.,  über  die  angeblichen  römischen 
Nixi  di  (Fest.  p.  174)  Wissowa,  Philol.  Ab- 
handl.  M.  Hertz  dargebracht  S.  157  f.  und 
in  Roschers  Lexik.  III  444  f. 

^)  De  dis  minorihua  unus  numine  sub 
daminae  l^Ueo  atoue  acetnseor  üli^  Ovid.  met. 
XV  545  f.,  vgl.  Serv.  Aen.  VII  84.  761.  Ein 
Flamen  Virbialis  kommt  in  Neapel  vor,  CIL 
X  1498;  dagegen  ist  Obblli  2212  =  4022 
falsch  gelesen  (s.  CIL  XII  2288). 

')  Ovid.  met.  XV  589,  dazu  Ealkmann, 
Archaeol.  Zeit.  XLI 1883  S.  89.  Serv.  Aen.  VII 
776  euiu8  Hmulacrum  non  est  fas  atiingere. 


*)  Virbium  qttaai  bis  vtrui»,  Serv.  Aen. 
VII  761.  Schol.  Pers.  VI  56;  mehrere  Etymo- 
logien bei  Martyr.  Gramm,  lat.  VII  181,  8, 
darunt-er  auch  deum  qui  Viribus  praesit  (über 
diese  Vires  s.  oben  S.  141).  Quidam  solem 
ptäant  esse,  cuiits  simufeterutn  non  est  fas 
atiingere f  quia  nee  sol  tangitur,  Serv.  Aen. 
VII  776. 

')  'Jq)idQVfÄa  tijg  TavQonoXov  Strab.  V 
289;  Scythica  Diana  Lucan.  III  86.  Solin.  2, 
11;  Orestea  Diana  Ovid.  met.  XV  489;  My- 
cenaea  Diana  Lucan.  VI  74;  vgl.  Serv.  Aen. 
II  116.  VI  186. 

•)  Verg.  Aen.  VII  778  f.  Ovid.  fast.  III 
266. 

»)  Verg.  Aen.  VII  761  ff.  Ovid.  met.  XV 
497  ff.;  fast.  VI  787  ff.  Paus.  II  27,  4.  Serv. 
Aen.  VII  761.  Hyg.  fab.  251.  Schol.  Pers.  VI 
56.  Vereinzelt  steht  Vib.  Sequ.  p.  152,  6 
Riese:  Virbius  Laconices  {flumen),  ubi  Hip- 
polytum  Aeseulapius  arte  medicinae  reddidit 
vitae,  unde  et  Virbius  dictus. 

10)  Maximum  et  sanctissimum  Dianae  so- 
cellum  in  Caeliculo,  Cio.  de  har.  resp.  32; 
Dianium  auf  der  Höhe  des  Es^uilin  an  der 
Ecke  des  Clivus  Urbius  und  Vicus  Cyprius, 
Liv.  I  48,  6 :  Kapelle  im  Vicus  Patricias,  nur 
Frauen  zugänglich,  Plut.  Qu.  Rom.  8. 


B.  Di  noTenaides  italischer  Herknnft.    37.  DianA. 


201 


ganzen  römischen  Dianendienstes,  eine  Filiale  des  aricinischen  Heiligtumes 
war:  nicht  nur,  dass  beide  in  gleicher  Weise  den  Charakter  eines  Bundes- 
tempels tragen  (s.  unten),  auch  der  Stiftungstag  beider  Tempel  fällt  auf 
das  gleiche  Datum,  die  Iden  des  August,^)  entscheidend  aber  ist  es,  dass 
mit  Diana  auch  die  aricinische  Egeria  nach  Rom  gewandert  ist  und  in  der 
Nachbarschaft  des  Dianentempels,  in  dem  unterhalb  des  Aventin  vor  Porta 
Capena  gelegenen  Haine  der  Gamenae  (s.  oben  S.  180),  eine  Eultstätte  er- 
halten hat.')  Ein  Hinweis  darauf,  dass  auch  die  aventinische  Diana  als 
Frauengottheit  aufgefasst  wurde,  liegt  darin,  dass  am  Stiftungstage  des 
Tempels,  dem  13.  August,  die  römischen  Frauen  ihr  Haar  sorgfaltig  kämmen 
und  ihren  Kopf  reinigen  (Plut.  Qu.  Rom.  100),  doch  wohl  zu  Ehren  der 
Göttin,  wie  umgekehi*t  bei  Trauer-  und  Sühnfesten  die  Flaminica  Dialis 
neqtte  cotnit  caput  neque  crinem  depedit  (Gell.  X  15, 30;  vgl.  Ovid.  fast.  HI  397). 
Der  Tempel,  der  als  eine  Gründung  des  Servius  TuUius  angesehen  wurde,') 
war  —  wie  die  noch  zur  Zeit  des  Dionysios  von  Halikamass  erhaltene, 
auf  einer  ehernen  Säule  aufgezeichnete  Stiftungsurkunde  besagte  —  ein 
Bundesheiligtum  der  Latiner  (commune  Latinorum  Dianae  templum  Varro 
de  1. 1.  V  43),  so  dass  die  Eigenschaft  des  sakralen  Bundescentrums  von 
dem  aricinischen  Heiligtume  auf  die  römische  Filiale  überging;^)  sein 
Tempelstatut,  die  lex  Dianae  in  Aventino,  das  erste  der  Art,  hatte  noch 
in  der  Kaiserzeit  vorbildliche  Bedeutung  (s.  oben  S.  34).  Dass  der  Stiftungs- 
tag des  Tempels  zum  Feste  der  Sklaven  {servorum  dies)  wurde,  mag  damit 
zusammenhängen,  dass  er  das  älteste  römische  Heiligtum  einer  nicht  zum 
Kreise  der  Di  indigetes  gehörigen  Gottheit  ist,  und  dass  in  der  ältesten 
Zeit  zur  römischen  Sklavenschaft  gerade  kriegsgefangene  Latiner  ein  erheb- 
liches Kontingent  gestellt  haben  müssen ;  die  Überlieferung  weiss  die  Be- 
ziehung der  Sklaven  zur  aventinischen  Diana  nur  entweder  mit  dem  Hin- 
weise darauf  zu  begründen,  dass  der  Stifter  des  Tempels,  Servius  TuUius,  von 
unfreier  Abkunft  gewesen  sei,  oder  mit  dem  albernen  Wortwitze,  dass  Diana 
die  Göttin  der  Hirsche  sei  und  die  flüchtigen  Sklaven  a  celerüate  cervi 
genannt  worden  seien.  ^) 

Diese  italisch-römischen  Vorstellungen  sind  durch  das  Eindringen  des 
griechischen  Artemisdienstes  früh  und  nachhaltig  beeinflusst  und  verändert 
worden.  Zur  Gleichsetzung  mit  Artemis,  die  zunächst  als  Kultgenossin 
des  Apollo  in  Rom  Aufnahme  fand^)  und  wie  dieser  schon  beim  ersten 
Lectisternium  im  Jahre  355  =  399  erscheint,')  führte  einerseits  die  Ver- 


')  Für  das  aventiniBche  Heiligtam  vgl. 
MoMMBEN,  CIL  P  p.  325,  fOr  das  aricinische 
Stat.  silv.  III  1,  59  f.,  der  zwar  den  Monat 
der  Hecateides  Idus  nicht  nennt,  aber  zeigt, 
dass  sie  in  den  Hochsommer  fallen.  Auch 
in  Lanuyium  wird  der  13.  August  als  nata- 
lis  Dianae  gefeiert,  CIL  XIV  2112  1 5.  n  12. 
Vgl.  auch  Martial.  XII  67,  2.  Auson.  de  fer.  6. 

s)  Plut.  Numa  13.  Liv.  I  21,  3.  Juven.  3, 
1 1  ff 

*»)  Liv.  I  45.  Dion.  HaL  IV  26.  Zonar.  VII 
9.  Aur.  Vict.  vir.  ill.  7,  9. 

^)  Auf  dieser  Voraussetzung  beiiiht  auch 
die  bekannte  Erzählung  von   dem   für   die 


Hegemonie  in  Latium  entscheidenden  Kuh- 
opfer im  Dianentempel  (Liv.  I  45,  3  ff.  Val. 
Max.  VII  3,  1.  Plut.  Qu.  Elom.  4;  vgl.  Momm- 
SEN,  Rom.  Mflnzw.  8.  617). 

»)  Fest.  p.  343.  Plut.  Qu.  Rom.  100. 

')  Diana  wird  mit  Apollo  gemeinsam 
verehrt  wahrscheinlich  in  dem  Tempel  des 
Apollo  beim  Marcellustheater  (CIL  VI  32, 
vgl.  fast.  ürb.  CIL  P  p.  252),  sicher  im  pala- 
tinischen  Apollotempel  (Prop.  II  31,  15;  da- 
her ist  sie  auch  mit  Apollo  an  der  Saecu- 
larfeier  des  Augustus  beteiligt,  s.  Mommskn, 
Eph.  epigr.  VIIl  p.  259). 

')  Liv.  V  13.  Dion.  Hai.  XII  9. 


202 


Beligion  und  Kaltns  der  BfVmer.    II.  (iötterlehre. 


gleichung  der  Frauengottheit  Diana  rniVAgrc/ng  j^oxfcc  und  ßXsi&via,  anderer- 
seits der  Umstand,  dass  die  dea  Nemorensis  leicht  allgemein  als  nemorum 
incola  (vgl.  CIL  VI  124)  und  als  Beschützerin  des  Waldes  und  des  Wildes 
angesehen  werden  konnte.  Eine  eigne  Kultstätte  erhielt  diese  griechische 
Diana-Artemis  in  dem  567  =187  von  M.  Aemilius  Lepidus  gelobten  und  8  Jahre 
später  geweihten  Tempel  beim  Circus  Flaminius;^)  wichtiger  aber  ist  es, 
dass  die  griechischen  Vorstellungen  seitdem  auch  in  die  älteren  Dianen- 
kulte eindringen.  Das  Tempelbild  des  aventinischen  Heiligtums,  dessen 
Alter  wir  nicht  kennen,  gab  den  Typus  der  ephesischen  Artemis  wieder,*) 
was  zu  der  Aufstellung  Anlass  bot,  dass  das  Artemision  zu  Ephesos  als 
Bundesheiligtum  der  ionischen  Städte  das  Vorbild  gewesen  sei  fftr  das 
commune  Latinorum  Dianae  templum,^)  Die  erhaltenen  Bilder  der  Tifatina 
sowohl  wie  der  aricinischen  Diana  stellen  die  Göttin  nach  griechischem 
Vorbilde  als  Jägerin  dar,  in  kurzem  Chiton,  mit  Köcher  und  Jagdstiefeln, 
in  der  Hand  als  ständiges  Attribut  eine  Fackel  haltend.^)  Dement- 
sprechend feiern  nicht  nur  die  Dichter  Diana  ganz  im  Sinne  der  griechi- 
schen Artemis  als  Elkeix^ma^  als  Jägerin  und  Herrin  des  Waldes,  als 
Mondgöttin  und  Trivia,  d.  h.  Hekate  TgioiTrig,^)  sondern  auch  in  den  Denk- 
mälern des  Kultus  äussern  sich  ähnliche  Anschauungen;  insbesondere 
verehren  die  Jäger  ^)  sie  als  umbrarum  ac  nemorum  incolam,  ferarum 
domitricem,  Dianam  deam  virginem  (CIL  VI  124),  und  als  Beschützerin 
des  Waldes  wird  sie  häufig  mit  Silvanus  verbunden  und  wie  dieser  (s. 
oben  S.  176  Anm.  6)  durch  individualisierende  Beinamen  als  Schutzgott- 
heit eines  bestimmten  Grundstückes  bezeichnet.'')  Ihre  Verehrung,  vielfach 
durch  Kultgenossenschaften  ausgeübt,^)  erstreckt  sich  in  der  Kaiserzeit 
über  alle  Theile  des  Reiches,  wobei  aber  in  zahlreichen  Fällen  der  Name 
Diana  nicht  die  römische  oder  griechische  Göttin,  sondern  eine  fremde 
Gottheit  bezeicnnet,  die  ihren  Namen  angenommen  hat:  so  finden  wir 
unter  der  Bezeichnung  Diana  verehrt  ausser  Hekate^)  die  Göttin  von 
Hierapolis  in  Syrien,^^)  die  keltische  Arduinna^^)  und  eine  dalmatinische 


»)  Liv.  XXXIX  2,  8.  XL  52.  1  ff. 

')  Denn  es  war  nach  Strab.  IV  180  ein 
Abbild  der  Artemis  von  Massilia,  diese  selbst 
aber  war  die  epbesische  (ebd.  179). 

»)  Liv.  I  45,  2.  Dion.  Hai.  IV  25;  vgl. 
F.  BoEsoH,  De  XII  tabulamm  lege  a  Grae- 
eis  petita  quaestiones  pbilologae,  Diss.  Got- 
ting.  1893.  p.  67. 

*)  Ueber  die  Tifatina  Minebvini,  Com- 
roeni  Mommsen.  S.  600  ff.,  über  die  Aricina 
0.  Robsbach  a.  a.  0.  8.  161  f. 

'j  Insbesondere  GatuU.  34.  Hör.  carm.  I 
21.  III  22,  aucb  die  inschriftlicben  Gedicbte 
CIL  II  2660.  X  3796;  Trivia  =  Diana  seit 
Ennios  (trag.  frg.  362  Ribb.)  ganz  allgemein, 
auch  CIL  X  3795  Dianae  Tifatinae  Triviae; 
vgl.  auch  Bull.  arch.  com.  XIV  1886,  181. 

^)  Venatorea  immunes  cum  custode  vivo- 
riif  CIL  VI  130;  coUegium  venatorum  sacer- 
dotum  Dianae f  CIL  X  567 1 ;  vgl.  8ignum  Di- 
anae et  venatianem  et  salientes,  CIL  V  3222. 

')  Diana  Cariciana  (der  Weibende  heisst 
M.  Aurelius  Caricus)  CIL  VI  131 ;  Diana  Va- 


leriana (der  Weihende  P.  Valerius  Bassus) 
CIL  VI  135;  Diana  Planciana  VI  2210;  Di- 
ana Pamnetiana  X  5960  u.  a.  Diana  mit  Sil- 
vanus z.  B.  CIL  VI  658,  vgl.  Rbiffebschbid, 
Annali  d.  Inst.  1866,  219  f. 

*)  CoUegium  Larum  praediarum  ,  .  .  et 
Dianae  CIL  VI  455;  coUegium  8alutare  cul- 
torum  Dianae  et  Antinoi  in  Lanuvium  XIV 
2112;  coUegius  Dianes  in  Volsinii  XI  2720; 
iuvenes  Dianenses  in  Nepet  XI  8210;  cul- 
tores  Diane8es  in  Tusculum  XIV  2683;  cul- 
tores  Dia{nae)  in  Saguntum  CIL  11  8821  f. 

')  Diese  ist  z.  B.  gemeint,  wenn  die  8pira 
Traianensium  (vgl.  Eaibbl,  Inscr.  graeo.  Sicil. 
nr.  925)  in  Ostia  der  Diana  iohen8  eine 
Weihung  macht  (CIL  XIV  4),  denn  CIL  VI 
261  steht  die  Dedikation  einer  spira  auf  der 
Basis  einer  Hekatestatue ;  vgl.  Wissowa  in 
Roschers  Lexik.  II  2028. 

^0)  Gran.  Licin.  p.  9,  18  Bonn. 

»«)  CIL  VI  46  und  Ihm  bei  Padly-Wis- 
sowA,  Real-Encyol.  II  616. 


&.  Di  noTensides  italischer  Herkanft.    88.  Minerva. 


203 


Waldgöttin, ^)  welche  die  Griechen  mit  Artemis  und  dann  ihnen  folgend 
die  Römer  mit  Diana  glichen. 

Litteratur:  Pbbllbr-Jobdan,  Rom.  Mythol.  I  812  ff.  Bist  in  Roechers  Lexik. 
I  1002  ff. 

38.  Minerva.  Die  Verehrung  der  Minerva  ist,  wie  das  Fehlen  ihres 
Namens  in  der  ältesten  Fest-  und  Priesterordnung  beweist,  der  römischen 
Religion  ursprünglich  fremd:  Eingang  fand  die  Göttin  in  Rom  zuerst  wohl 
als  Mitglied  der  griechisch-etruskischen  Trias  vom  Capitol  (s.  oben  S.  36). 
Doch  ist  der  Kult  nach  Ausweis  des  rein  italischen  Namens  der  Göttin') 
auch  kein  eigentlich  etruskischer,  sondern  mancherlei  Indicien  führen 
darauf  hin,  seine  Heimat  in  Falerii  zu  suchen,  wo  alter  Minervendienst 
inschriftlich  bezeugt  ist,')  während  die  sonstigen  Spuren  altitalischer 
Minervenkulte  sehr  spärlich  sind.^)  Nach  der  Eroberung  und  Zerstörung 
von  Falerii  im  Jahre  513  =  241  wurde  auch  der  Kult  der  faliskischen 
Minerva  annektiert,  und  die  eroberte  Göttin  erhielt  als  Minerva  Capta^) 
ein  kleines  sacdlum  auf  dem  nach  den  Garinen  zu  gelegenen  Abhänge  des 
Gaelius.^)  Viel  wichtiger  aber  und  sicher  auch  erheblich  älter  war  der 
Tempel  der  Minerva  auf  dem  Aventin,^)  dessen  Stiftungsfeier  am  19.  März 
mit  dem  alten  Marsfeste  der  Quinquatrus  (s.  oben  S.  131)  zusammenfiel^) 
und  dieses  im  Laufe  der  Zeit,  wenn  auch  nicht  im  offiziellen  Staatskulte, 
so  doch  in  der  volkstümlichen  Religionsübung  zu  einem  Minervenfeste 
umgestaltete  (Mommsen,  GIL  P  p.  312);  bei  einer  Restauration  des  Tempels 
durch  Augustus  (Monum.  Anc.  4, 6)  wurde  der  Stiftungstag  auf  den  19.  Juni 
verlegt,')  ohne  dass  darum  die  Quinquatrus  aufgehört  hätten,  auch  weiter- 
hin als  Festtag  der  Minerva  begangen  zu  werden.  Die  Göttin  wurde  in  Rom 
als  die  Beschützerin  des  Handwerks  und  der  gewerblichen  Kunstfertigkeit 
verehrt,  10)  und  die  staatlich  anerkannten  Handwerkerverbände  gruppierten 
sich  in  der  Weise  um  ihren  Tempel  als  sakralen  Mittelpunkt,  dass  die 
Verleihung  des  Rechtes,  im  Tempel  der  Minerva  zusammenzukommen,  an 


')  R.  Y.  ScBHEiDBB,  Afch.  epigr.  Mitteil,  aus 
Oesterr.  IX  68  ff.;  vgl.  auch  Ober  ApoUo  und 
Diana  als  Hauptgottheiten  der  Westthraker 
Y.  DoMASZBWSKi»  Westd.  Zeitschr.  XIV  53. 

*)  Altlateinisch  Menerva  (CIL  VI  523. 
XIV  4105.  V  703.  799.  Gamubbini,  Appen- 
dice  812.  Bull.  arch.  com.  XV  1887,  154), 
ehenso  faÜskisch  (CIL  XI  3081)  und  etrus- 
kisch  (GoBBSBH,  Sprache  der  Etrnsker  I  370 
ff.).  Zur  Etymologie  G.  Cusnus,  Grundzüge' 
S.  312  f.  Jobdan,  Hermes  XV  9;  antike  Ety- 
mologie und  Deutungen  Cic.  de  nat.  deor.  II 67. 
Paul.  p.  123.  Amob.  III  31. 

')  CIL  XI  3081  (vgl.  Dbbgkb,  Falisker 
S.  89  ff.);  über  etruskischen  MinerYenkult 
Mülleb-Dbbckb,  Etrusk.  II  46  ff. 

*)  Alter  Tempel  in  OrYinium  (Dion.  Hai. 
ant.  1  14),  weshalb  Varro  de  1.  1.  V  74  Mi- 
nerva zu  den  Gottheiten  sabinischer  Her- 
kunft zfthlt;  Tempel  in  Tarracina,  Obsequ. 
12  [71] ;  Heiligtümer  der  griechischen  Athena 
am  pramarUorium  Minervae  bei  Surrentum 
(Sen.  epist.  77,  2.  Stat.  silv.  II  2,  2.  III  2,  24. 
V  3,  165  f.,  vgl.  Strab.  V  247)  und  in  Cala- 


brien  (Strab.  VI  281  u.  a.;  Solin.  2,  9  nennt 
fälschlich  Bmttium). 

*)  Ovid.  fast.  HI  843  f.;  vgl.  Jobdan,  Her- 
mes IV  243 f.  Pbbllbb- Jobdan,  Rom.  Mythol. 
I  292,  2. 

•)  Minervium,  Varro  de  1. 1.  V  47.  Ovid. 
fast.  III  835  ff.  GiLBBBT,  Topogr.  II  33,  2. 

^)  Ueber  die  genauere  Lage  Gilbbbt  a. 
a.  0.  n238,  1. 

B)  Fest.  p.  257.  Fast.  Praen.  z.  19.  März. 

^)  Ovid.  fast.  VI  728.  Fast.  Esquil.  Amit. 
z.  19.  Juni.  Irre  gemacht  durch  den  dop- 
pelten Stiftungstag,  den  er  in  seinen  Quellen 
fand,  hat  Ovid  (fast.  III  837)  den  19.  März 
zum  ncUcdis  der  Minerva  Capta  auf  dem  Cae- 
lius  gemacht,  deren  Heiligtum  als  blosses 
sacellum  gar  keinen  im  Kalender  verzeich- 
neten Stiftungstag  besitzen  konnte;  vgl.  Aust, 
De  aedibus  sacris  p.  42  f.  Wissowa,  Ana- 
lecta  Elomana  topographica  (Halis  Saz.  1897) 
p.  15  ff.;  anders  Jobdan,  Ephem.  epigr.  I 
p.  238.  MoMMSBN,  CIL  I*  p.  312.  320. 

'^)  Ovid.  fast.  III  821  ff.,  vgl.  Lact.  inst. 
I  18, 23.  CIL  III 3136  arHfidbus  Mmervae. 


204 


Beligion  and  Enltas  der  BOmer.    II.  Götterlehre. 


irgend  eine  Vereinigung  von  Handwerkern  gleichbedeutend  war  mit  der 
Zuerkennung  von  Korporationsrechten:  so  wurden  im  Jahre  547  =  207 
die  scribae  et  histriones  zum  Danke  für  die  dem  Staate  durch  ein  vom 
Dichter  Livius  Andronicus  verfasstes  Processions-  und  Sühnlied  geleisteten 
Dienste  als  Gilde  dadurch  anerkannt,  dass  ihnen  publice  atfributa  est  in 
Aventino  aedes  MinetDae,  in  qua  liceret  scribis  hiatrionibusque  consistere  ac 
dona  ponere,^)  Dementsprechend  waren  auch  die  Quinquatrus,  während 
sie  von  Staatswegen  durch  Umzüge  der  Salier  als  Marsfest  begangen 
wurden  (s.  oben  S.  131),  für  das  Volk  in  erster  Linie  ein  Handwerkerfest 
(artificum  dies  Fast.  Praen.),  das  unter  grosser  Beteiligung  dieser  Stände 
gefeiert  wurde  und  auf  Grund  einer  falschen  Etymologie  des  Festnamens*) 
schon  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  (Liv.XLIV20, 1)  eine  Ausdehnung  über  5  Tage 
gewonnen  hatte.  ^)  Unter  den  an  diesem  Handwerkerfeste  beteih'gten  Zünften 
werden  besonders  häufig  die  Walker^)  genannt,  aber  auch  die  Arzte ^) 
und  insbesondere  die  Schullehrer  haben  ihren  Teil  an  der  Feier,  und  noch 
in  der  ausgehenden  Kaiserzeit  waren  die  Quinquatrus  Schulfeiertage  ^)  und 
boten  Gelegenheit  zur  Verabreichung  eines  Extradouceurs  (Minerval  Varro 
de  re  rust.  HI  2,18)  an  den  Lehrer.*^)  Nur  eine  Gilde  besass  neben  den 
Quinquatrus  noch  ihren  Separatfesttag:  das  collegiutn  tibicinum  Romanorum ^ 
qui  sacris  publicis  praesto  sunt,^)  dessen  Mitglieder  bei  den  Staatsopfern 
mitwirkten  und  darum  besondere  Bevorrechtigungen  genossen,  hatte  zwar, 
wie  alle  andern  Zünfte,  an  dem  aventinischen  Minerventempel  Anteil,^) 
beging  aber  sein  Jahresfest  an  einem  Juppitertage,  den  Iden  des  Juni,^^) 
mit  einem  Festmahle  im  capitolinischen  Tempel  ^^)  und  maskierten  Um- 
zügen, i>)  welche  Festbräuche  die  aetiologische  Dichtung  durch  die  lustige 
Erzählung  von  einer  einstmals  glücklich  wieder  beigelegten  Arbeitsein- 
stellung und  Secession  der  Pfeiferzunft  zu  erklären  versuchte;^')  da  das 
Fest,  wie  die  Quinquatrus,  ein  Gildenfest  war,  so  wurde  es  im  Volksmunde 
als  Quinquatrus  minusculae  bezeichnet,**)  mit  dem  Minervendienste  aber 
hatte  es  unmittelbar  nichts  zu  thun. 

Die  römische  Minerva  ist  ausschliesslich  Göttin  des  Handwerks  (im 


>)  Fest.  p.  333  (vgl.  Liv.  XXVII  87  und 
DiBLS,  Sibyll.  Blätter  S.  90,  8).  0.  Jahn,  Ber. 
d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  1856,  294  ff. 

')  Ovid.  fast.  III  810  und  dagegen  Varro 
de  1. 1.  VI  14.  Fest.  p.  254.  Ueber  die  rich- 
tige Deutung  von  Quinquatrus  =  post  diem 
quintum  s.  0.  Qbüppb,  Hermes  XV  624.  Wis- 
sowA,  De  feriis  anni  Rom.  p.  X. 

'j  Seit  Augustus  werden  am  2.—  4.  Tage 
Gladiatorenspiele  gegeben,  Ovid.  fast.  III 
813  f.  Cass.  Dio  LIV  28,  3.  Tac  ann.  XIV 
12.  Ueber  sonstige  Belustigungen  an  den 
Quinquatrus  s.  Suet.  Aug.  71;  Nero  34.  Tac. 
ann.  XIV  4. 

^)  Novius  bei  Non.  p.  508.  Plin.  n.  h. 
XXXV  143;  vgl.  0.  Jahn,  Abhandl.  d.  sächs. 
GeseUsch.  d.  Wiss.  V  1868,  809. 

^)  Zu  Varros  Menippea  Quinquatrus  s. 
£.  NoBDEK,  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XIX  397. 

•)  Hör.  epist  112,  197.  Juven.  10,  115  f. 


Symm.  epist.  V  85. 

')  Tertull.  de  idol.  10.  Hieron.  in  Eph. 
VI  4  =  MiOHB,  Patrol.  lat  XXVI  540;  vgl. 
Macr.  S.  1  12,  7  und  über  sonstige  Quin- 
quatrustrinkgelder  Plaut,  mil.  glor.  691  f. 

«)  CIL  VI  240.  1054.  2191.  3696.  3877. 
3P77a. 

•)  Varro  de  1.  1.  VI  17.  Fest.  p.  149. 

»0)  MOMMSBN,  CIL  I«  p.  320. 

'^)  Weihung  der  magistri  quinqtiennales 
des  collegium  teibidnum  u.  s.  w.  an  Juppiter 
Epulo  CIL  VI  3696. 

»«)  Varro  de  1.  1.  VI  17.  Censor.  15,  3. 
Babblon,  Monnaies  consul.  11  325  f. 

»»)  Ovid.  fast.  VI  651  ff.  Plut.  Qu.  Rom. 
55.  Liv.  IX  30,  5  ff.  =  Val.  Max.  11  5, 4;  vgl 
Zbllbb,  Vorträge  und  Abhandl.  II  136  ff. 

»*)  Varro  de  1.  I.  VI  17.  Censor.  12,  2. 
Fest.  p.  149. 


B.  Di  noTeniiideB  italischer  Herkunft.    88.  Minerva.  205 

weitesten  Sinne),  und  wahrscheinlich  waren  es  südetrurische  Handwerker, 
die  ihren  Dienst  nach  Rom  verpflanzten;  die  griechische  Auffassung  der 
Göttin  als  einer  kriegerischen^)  und  politischen  Gottheit  liegt  ihr  —  ab- 
gesehen von  dem  Dienste  der  capitolinischen  Trias,  in  dem  Minerva  nach 
griechischer  Vorstellung  als  nokiovxog  gedacht  ist  (s.  oben  S.  36)  —  ganz 
fern.  Wenn  Minerva  auch  als  Heilgottheit  verehrt  wird,*)  so  erklärt  sich 
das,  auch  ohne  dass  man  eine  Einwirkung  der  griechischen  Vorstellungen 
von  'Ax^rjva  ^YyUia  u.  a.  anzunehmen  brauchte,  aus  ihrer  Stellung  als  Schutz- 
patronin der  Ärzte:  als  Minerva  Medica  besass  sie  schon  in  republikanischer 
Zeit  einen  Tempel  auf  dem  Esquilin,')  und  ausserhalb  Roms  kennen  wir 
durch  Inschriftenfunde  ein  viel  besuchtes  Heiligtum  der  Minerva  Memor 
oder  Minerva  Medica  Gabardiacensis  in  der  Nähe  von  Placentia.^)  Seit 
dem  hannibalischen  Kriege  —  beim  Lectisternium  erscheint  Minerva  zuerst 
im  Jahre  537  =  217  (s.  oben  S.  55)  —  wurde  aber  auch  der  Minervendienst 
hellenisiert,  und  die  ihr  am  Ausgange  der  Republik  und  in  der  Kaiserzeit 
errichteten  Heiligtümer  gelten  in  der  That  vielmehr  der  griechischen  Athena: 
so  verehrt  sie  Cn.  Pompejus  als  siegverleihende  Göttin  (Plin.  n.  h.  VH  97), 
Cicero  als  custos  urbis  (vgl.  CHj  VI  529)  d.  h.  als  nokidg,^)  Augustus  und 
Domitian  erbauen  Tempel  der  Minerva  Chalcidica.^)  Letztgenannter  Kaiser, 
der  den  Minervendienst  geradezu  als  Sport  betrieb  und  sich  bis  zu  der 
Geschmacklosigkeit  verstieg,  sich  für  einen  Sohn  der  jungfräulichen  Göttin 
auszugeben, 7)  gründete  noch  zwei  Miner ventempel,  einen  an  der  Nordwest- 
seite des  Palatin,^)  den  andern  auf  dem  von  ihm  begonnenen  und  nachher 
von  Nerva  vollendeten  Forum  transitorium  :^)  die  teilweise  noch  erhaltenen 
Friesreliefs  des  letzteren  Tempels  feiern  die  Göttin  als  die  Beschirmerin 
gewerblicher  Thätigkeit,  aber  in  griechischer  Auffassung.  ^^)  Die  von  Domitian 
vorgenommene  Ausgestaltung  der  Quinquatrusfeier  zu  einer  durch  dichterische 
und  rednerische  Wettkämpfe  verherrlichten  Festlichkeit  ^i)  und  die  Um- 
wandlung der  früheren  Neronia  in  einen  Agon  Minervae  durch  Gordian^^) 
beruhen  ganz  auf  griechischer  Grundlage. 

Zeugnisse  für  den  Kult  der  Minerva  finden  wir  in  der  Kaiserzeit  in 
allen  Teilen  des  Reiches,  ohne  dass  er  irgendwo  mit  besonderer  Stärke 
hervorträte:  die  Auffassung  ist  noch  ganz  überwiegend  die  alte  römische, 
Minerva   wird   von  Handwerkern  und  Gewerbetreibenden,   mit  Einschluss 


1)  Ueber   Mars,  Minerva   (d.  h.   Nerio)   j   1  146.  Gilbert,  Topogr.  III  381,  1. 
nnd   Lua  bei  der  Verbrennung  der  Spolien   I  ')  Quint.  X  1,  91.   Suet.  Dum.  15.   Cass. 

Dio  LXVII  1,  2.  16,  1.  Philostr.  Apoll.  Tyan. 
VII  24  u.  a. 

*)  MoMMSSN,  Chron.  min.  I  146  und  auf 

den  Militärdiplomen  seit  90  n.  Chr.:  in  muro 

Fnnde  Bull,  arch.com.  XV  1887,  154  fF.  167  fr.    i  post  templum  divi  ÄugusH  ad  Minertmm; 

XVI  1888,  125  f.  I  vgl.  Martial.  IV  53,  1. 


s.  oben  S.  171. 

•)  Sine  medico  tnedicifiam  dabit  Minerva, 
Cic.  de  div.  II  128. 

»)  Notit.  reg.  V.    CIL  VI  10133.    Neue 


♦)  CIL  XI  1292-1310;  vgl.  Bebtolotti, 
Bull.  d.  Inst.  1867,  219  ff.  237  ff. 

')  Cic.  de  leg.  II  42;  de  domo  144;  epist. 
XII  25,  1.  Plut.  Cic.  31.  Cass.  Dio  XXXVIII 
17,  5.  XLV  17,  3. 

*)  Augustus:  Cass.  Dio  LI  22.  Monum. 
Anc.  4,  1  und  dazu  Mommsbn,  Res  gestae  D. 
Aug.  p.  79.   Domitian :  Mommsbn,  Chron.  min. 


•)  Aur.  Vict.  Caes.  12,  2.  CIL  VI  953; 
vgl.  JoBDAK,  Topogr.  I  2  S.  449  ff. 

")  Monum.  d.  Inst.  X  40^41a,  dazu 
H.  Blümmer,  Annali  d.  Inst.  1877,  5  ff.,  vgl. 
E.  Pbtbbsbn,  Rom.  Mitt.  IV  1889,  88. 

>»)  Cass.  Dio  LXVII  1,2.  Suet.  Dom.  4. 
Fbibdlamdbr,  Sitt.  Gesch.  IIP  381. 

^')  Mommsbn,  Chron.  min.  1  147. 


206 


Religion  and  XnltaB  der  &5mer.    H.  Qötterlehre. 


namentlich  auch  der  Musiker,  als  ihre  Schirmherrin  verehrt,^)  und  im  Heere 
ist  sie  die  Patronin  nicht  nur  der  Spielleute,  sondern  auch  der  Militär- 
schreiber und  Exerzier meister.')  In  Beneventum  ist  die  Grosse  Mutter 
zur  Minerva  Berecynthia  geworden  (CIL  IX  1538—1542),  und  auch  auf 
keltischem  Gebiete  fanden  die  Römer  Gottheiten  vor,  die  sie  nach  wirk- 
lichen oder  vermeintlichen  Ähnlichkeiten  mit  Minerva  verglichen  (Gaes. 
b.  g.  VI  17,2),  namentlich  die  Göttin  der  warmen  Quellen  von  Bath  (Aquae 
Sulis)  im  südlichen  Britannien.') 

Litteratur:  Pbellbr-Jobdak,  Rom.  Mythol.  I  289  ff.    Wissowa  in  Rosohers  Lexik, 
ir  2982  ff. 

39.  Fortuna.  Wenn  die  antike  Überlieferung  mit  grosser  Ein- 
mütigkeit^) den  römischen  Fortunenkult  auf  Servius  Tullius  zurückführt, 
so  liegt  darin  das  Richtige,  dass  diese  Gottheit  der  Religion  des  Numa 
d.  h.  dem  Kreise  der  di  indigetes  fremd  ist.  Den  aus  dem  Sklavenstande 
auf  den  Thron  erhobenen  König  zum  Liebling  und  Geliebten  der  Glücks- 
göttin zu  machen,  lag  nahe  genug,  und  die  Dichter  wussten  von  dem 
Verkehr  Beider  Anmutiges  zu  erzählen.*)  Seiner  Verehrung  der  Fortuna 
gab  der  König  der  Sage  nach  Ausdruck  nicht  nur  durch  die  Stiftung  einer 
Menge  von  kleinen  Kapellen,  in  denen  die  Göttin  unter  den  verschiedensten 
Beinamen  verehrt  wurde, ^)  sondern  insbesondere  auch  durch  die  Weihung 
von  zwei  grossen,  noch  in  späterer  Zeit  bestehenden  und  angesehenen 
Tempeln.  Der  eine  ist  das  fanum  Fortis  Fortunae^  ausserhalb  der  Stadt 
am  rechten  Tiberufer  gelegen,  7)  der  andere  die  aedes  Fortunae  in  foro 
boario,  in  der  ein  vollkommen  verhülltes  Holzbild  stand,  das  nach  den 
einen  den  König  Servius  Tullius,  nach  den  andern  die  Fortuna  darstellte.^) 
Das  wirkliche  Alter  beider  Tempel  mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  ist  nicht 
möglich,  wohl  aber  lässt  sich  erkennen,  dass  in  beiden  die  Göttin  in 
wesentlich  anderem  Sinne  zur  Verehrung  kam,  als  in  der  späteren  Auf- 
fassung als  Glücksgöttin.  Zu  dem  angeblich  servianischen  Tempel  der 
Fors  Fortuna  in  Trastevere  gesellte  sich  im  Jahre  461  =  293  ein  vom 
Consul  Sp.  Garvilius  gelobtes  Heiligtum  derselben  Gottheit  (Liv.  X  46, 14) 
in  der  Weise,  dass  das  eine  am. ersten,  das  andere  am  sechsten  Meilen- 
steine der  Via  Portuensis  gelegen  war:^)  beide  begingen  nach  dem  Kalender 
am  24.  Juni  ihr  Jahresfest,  das  besonders  von  den  Angehörigen  der 
niederen  Stände  in  fröhlicher  Ausgelassenheit  gefeiert  wurde. ^^)  Da  noch 


')  Tubicines  CIL  III  Suppl.  10997;  aene- 
atores  CIRh.  1738;  comicines  CIL  VI  524; 
Walker:  CIL  VI  268  (fontani).  I  1406  (fulkh 
nes).  V  801  (lotores);  stuppaiorea  CIL  XIV 
44;  fahrt  Notiz,  d.  scavi  1880,  261.  CIL  IX 
3148.  II  4498.  VII  11. 

*)  y.  D0MA8ZEW8KI,  WeBtd.  Zeitschr. 
XIV  29  flF. 

»)  Solin.  22,  10;  dea  Sul  Minerva  CIL 
VII  39.  42.  43,  vgl.  XII  2974  und  s.  auch 
M.  Ihm,  Jahrb.  d.  Vereins  d.  Altertsfr.  im 
Rheinl.  LXXXIII  1887,  81  f. 

*)  Nur  Plut.  de  fort.  Rom.  5  bezeichnet 
Anous  Marcius  als  den  Grttnder  des  arsten 
Fortunenheiligtums. 


*)  Ovid.  fast.  VI  573  ff.  Plut.  de  fort. 
Rom.  10;  Qu.  Rom.  36. 

•)  Plut.  de  fort.  Rom.  10;  Qu.  Rom.  74. 

»)  Varro  de  1.  1.  VI  17.  Dion.  Hai.  ant. 
IV  27,  7  (der  fanum  Fortis  Fortunae  fälsch- 
lich mit  Ugoy  Tvxv^  ardgeiag  übersetzt;  vgl. 
Plut.  de  fort.  Rom.  5).  Ovid.  fast.  VI  783  f. 

•)  Ovid.  fast.  VI  569  ff.  Dion.  Hai.  IV  40, 
7.  Val.  Max.  I  8.  11.  Plin.  n.h.  VIII 194. 197, 
vgl.  Varro  bei  Non.  p.  189;  ttber  den  Tempel 
s.  Jordan,  Topogr.  12  8.  484. 

•)  MoMMSBN,  CiL  I'  p.  320.  Ovid.  fast. 
VI  788  f.,  der  beide  Tempel  dem  Servius 
Tullius  zuschreibt. 

»0)  Ovid.  fast.  VI  775  ff.,  vgl.  Cic.  de  fin. 


B.  Di  noTensides  italischer  fierknnlt.    8d.  Portiina. 


207 


die  späteren  Bauernkalender  (CIL  P  p.  280)  das  Fest  verzeichnen  und 
Golumella  (X  316)  nach  glücklich  eingebrachter  Ernte  ausdrücklich  auf- 
fordert: celebres  Fortis  Fortunae  dicUe  laudeSj  so  ist  der  Schluss  von  Marquardt 
(Staatsverw.  III  578)  nicht  abzuweisen,  dass  Fors  Fortuna  in  älterer  Zeit 
wesentlich  als  eine  ländliche  Gottheit,  die  göttliche  Vertretung  der  über 
der  Arbeit  des  Landmanns  unberechenbar  waltenden  Fügung,  aufgefasst 
wurde,  weshalb  ihre  Tempel  auch  draussen  vor  der  Stadt  in  den  Feldern 
lagen;  später  freilich  verstand  man  unter  ihr  die  Gottheit  des  blinden 
Zufallswaltens  (Gic.  de  leg.  II  28),  und  in  diesem  Sinne  weihte  ihr  Tiberius 
einen  dritten  Tempel  in  Trastevere,  in  den  caesarischen  Gärten  gelegen:^) 
von  dieser  Vorstellung  aus  fasste  man  auch  die  Feier  des  24.  Juni  als 
das  Fest  der  Leute,  die  ihr  Fortkommen  dem  Zufall  anheimgestellt  hatten.^) 
Auch  die  Fortuna  des  Forum  boarium  muss  ihrer  Bedeutung  nach  eine 
ganz  andre  Göttin  gewesen  sein  als  die  Glücksgöttin  der  späteren  Ver- 
ehrungsformen.  Sie  steht  in  den  allerengsten  Beziehungen  zu  der  Geburts- 
göttin Mater  Matuta:  nicht  nur  führt  die  Überlieferung  die  Begründung 
des  Dienstes  beider  Göttinnen  auf  denselben  Urheber,  Servius  Tullius, 
zurück,^)  sondern  ihre  Tempel  sind  auch  lokal  so  nahe  benachbart,  dass 
sie  stets  vereint  genannt  werden,^)  und  begehen  —  was  am  wichtigsten 
ist  —  beide  ihren  Stiftungstag  an  demselben  Tage,  dem  11.  Juni,  d.  h. 
dem  alten  Feste  der  Mater  Matuta  (Ovid.  fast.  VI  569):  das  alles  weist 
unbedingt  auf  eine  innere  Wesensverwandtschaft  beider  Göttinnen  hin 
und  nötigt  zu  der  Annahme,  dass  auch  in  Fortuna  eine  Frauengöttin  zu 
erkennen  sei.  Die  eigentümliche  Verhüllung  des  Tempelbildes,  welche 
Veranlassung  dazu  gab,  das  Bild  auch  als  eine  Pudicitia  zu  deuten,^)  und 
der  durch  Varro  ^)  eben  für  die  Göttin  des  Forum  boarium  bezeugte  Name 
Fortuna  Virgo  bestätigen  diese  Annahme  umsomehr,  als  nach  Arnobius 
(II  67)  die  Bräute  bei  der  Verheiratung  dieser  Fortuna  virginalis  ihre 
Mädchenkleider  zu  weihen  pflegten.^)  Derselben  Frauengottheit  war  ein 
weiteres  Heiligtum  am  vierten  Meilensteine  der  Via  Latina  gewidmet:^) 
hier  führte  die  Göttin  ausdrücklich  den  Namen  Fortuna  muliebris,  und 
das  Betreten  des  Heiligtums  und  die  Berührung  des  Bildes  war  nur  solchen 


y  70.  Vatro  bei  Non.  p.  144. 425.  Ueber  viel- 
leicht zum  Tempel  der  Fors  Fortuna  gehö- 
rige Funde  von  Votivgaben  kleiner  Leute 
vgl.  HüLSKN,  R5m.  Mitt.  IV  290  f.;  Weihin- 
sdiriften  von  dem  Heiligtume  am  6.  Meilen- 
steine CIL  VI  167-169. 

>)  Tac.  ann.  II  41 ;  bei  Gass  Dio  XLII  26 
wird  der  Tempel  irrtümlich  schon  im  J. 
707  =  47  erwähnt. 

')  Fors  Fortuna  est,  cuius  diem  festutn 
coluiU,  gut  sine  arte  cdiqua  vivtmt,  Donat. 
zu  Ter.  Phorm.  841;  daher  wird  die  Göttin 
dargestellt  mit  dem  Steuer  in  der  Hand  auf 
einer  Kugel  stehend  (auf  dem  Altar  CIL  V 
8219  und  ähnlich  auf  Mttnzen,  vgl.  Eokhbl, 
D.  N.  VIll  38  f.). 

»)  Liv.  V  19,  6.  Ovid.  fast.  VI  479  f.  569. 

*)  Liv.  XXIV  47,  16.  XXV  7,  6.  XXXIII 
27,  8  f. 


^)  Fest.  p.  242  Ptidicüiae  Signum  m 
foro  boario  .  .  .  eam  quidam  Fortunam  esse 
existitnant  muss,  wie  Ovid.  fast.  VI  620 
zeigt,  auf  den  Fortunentempel  gehen;  da- 
nach ist  auch  das  von  Liv.  X  23,  3  erwähnte 
scicellum  Pudicitiae  patrici<ie  in  foro  boario 
mit  dem  Fortunentempel  identisch.  Vgl. 
WissowA,  Analecta  Komana  topographica 
p.  5  ff. 

•)  Bei  Non.  p.  189;  ein  U^oy  Tr/iyc 
nuQ&^yov  nennt  Flut,  de  fort.  Rom.  10  (vgl. 
Qu.  Rom.  74)  na^a  tijy  Mowfxtaüay  xaXovfii^ 
yijy  x^^yfjy, 

')  Dasselbe  meint  offenbar  Verginia  bei 
Liv.  X  28,  5  se  et  patriciam  et  pudicam  in 
patriciae  Pudicitiae  templum  ingressam  et 
uni  nuptam,  ad  quem  virgo  deducfa  sit. 

»)  Fest.  p.  242.  Val.  Max.  I  8,  4. 


208  Aeligion  und  Koltna  der  fiömer.    II.  Oötterlelufe. 

Frauen  gestattet,  die  als  univiriae  in  erster  und  einziger  Ehe  lebten,^) 
eine  Bestimmung,  die  sich  genau  ebenso  im  Kulte  der  Mater  Matuta 
(Tert.  de  monog.  17)  und  der  mit  der  Fortuna  des  Forum  boarium  iden- 
tischen Pudicitia  (Liv.  X  23,  9)  wiederfindet.  Von  der  Weihung  des  Kult- 
bildes durch  die  römischen  Matronen  erzählte  noch  eine  Wundergeschichte, 
nach  welcher  die  Gottheit  aus  dem  Bilde  heraus  zweimal  mit  lauter  Stimme 
erklärt  haben  sollte:  rite  me,  matronae,  dedistis  riteque  dedicastis;*)  den 
Anlass  der  Weihung  aber  glaubte  man  durch  Kombination  einerseits  aus 
dem  Namen  Fortuna  muliebris  und  der  Beteiligung  der  Matronen  am  Kulte, 
andererseits  aus  der  Lage  des  Heiligtums  erschliessen  zu  können,  und 
führte  ihn  auf  die  Bedrohung  Roms  durch  Coriolan  zurück,  die  der  Sage 
nach  etwa  in  der  Gegend  des  Tempels  durch  das  Eingreifen  der  römischen 
Frauen  unter  Führung  der  Mutter  und  der  Gattin  des  Angreifers  abge- 
wendet worden  war:^)  der  allgemeine  Glaube  an  diese  Entstehungs- 
geschichte Hess  schliesslich  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Fortuna 
muliebris  stark  in  Vergessenheit  geraten.  Aber  noch  eine  dritte  ältere 
Form  des  Fortunendienstes  hat  —  wenn  auch  mehr  im  Gegensinne  —  Be- 
ziehungen zum  weiblichen  Geschlechte  gehabt:  über  die  Fortuna  virilis 
nämlich  ist  nur  das  bekannt,  dass  am  1.  April  die  Frauen  geringeren 
Standes  zu  ihr  beteten,  und  zwar  zum  Teil  in  den  Männerbädem,^)  eine  Ab- 
sonderlichkeit, welche  zeigt, ^)  dass  diese  Fortuna  virilis  im  ausgesprochenen 
Gegensatze  steht  zu  den  als  Beschützerinnen  der  weiblichen  Schamhaftig- 
keit  gefassten  Fortunae  vom  Forum  boarium  und  der  Via  Latina:  es  ist 
daher  wohl  auch  kein  Zufall,  dass  ihr  Festtag  mit  den  Veneralia  zusammen- 
fällt (s.  §  44)  und  ihr  Bild  neben  einem  Altar  der  Venus  aufgestellt  war.^) 

Etwas  völlig  Sicheres  ist  über  die  Herkunft  dieser  ältesten  römischen 
Fortunenkulte  nicht  zu  ermitteln,  doch  ist  es  in  hohem  Masse  wahrschein- 
lich, dass  die  Römer  sie  im  Austausche  religiöser  Vorstellungen  mit  ihren 
latinischen  Nachbarn  erhalten  haben.  Denn  alter  Fortunendienst  ist  nicht 
nur  durch  Varro  (de  1. 1.  V  74)  für  die  Sabiner  bezeugt,^)  sondern  nament- 
lich auch  in  Latium  an  verschiedenen  Stellen  nachweisbar,  namentlich  auf 


>)  Dion.Hal.ant.VIlI56,4.  Fest.  p.  242. 
Serv.  Aen.  IV  19.  Tert.  de  monog.  17.  Ist  bei 
Dion.  a.  a.  O.  die  überlieferte  Lesung  riyV  di 
rifÄtjy  xai  &6Qaneiay  avrov  {tov  lorrVov)  nä~ 
aay  anodedoa&ai  rttT<s  vBoytifAoig  richtig 
(es  liegt  nahe  fAoyoydfioig  zu  korrigieren), 
so  bietet  diese  Hervorhebung  der  Neuver- 
mählten eine  Analogie  zu  dem  Opfer  der 
Bräute  bei  der  Fortuna  des  Forum  boarium. 

«)  Val.  Max.  1  8,  4.  Dion.  Hai.  ant.  VIII 
50.  Plut.  Coriol.  37;  de  fort.  Rom.  5;  vgl. 
Lact.  inst.  II  7,  11.  August,  c.  d.  IV  19. 

»)  Dion.  Hai.  VIII  55.  Plut.  Coriol.  37; 
de  fort.  Rom.  5;  vgl.  Liv.  II  40, 12.  Val.  Max. 
V  2,  1.  Ueber  den  angeblichen  doppelten 
Stiftungstag  (1.  Dez.  und  6.  Juli)  dieses  Tem- 
pels bei  Dion.  Hai.  a.  a.  0.  s.  Wissowa  a.  a. 
0.  p.  15  f.  (gegen  Jordan,  Ephem.  epigr.  1 
p.  234  f.)  '  Schrift  aus  Calabrien,  CIL  IX  258. 

^)   Fast.  Praen.  z.  1.  April    und    dazu 


MoMMSBN,  CIL  P  p.  314;  vgl.  Ovid.  fast.  IV 
145  ff.  I^d.  de  mens.  IV  45. 

^)  Est  Signum  adulterae  lavari  cum  vi- 
ris  Quintil.  inst.  V  9,  14;  vgl.  die  merkwür- 
dige Inschrift  CIL  VI  579:  Imperio  Silvani, 
Ni  qua  mulier  velü  in  piscina  virili  descen- 
dere;  si  minus,  ipsa  de  se  queretur  .  hoc 
enim  Signum  sanctum  est. 

•)  Plut.  de  fort.  Rom.  10:  naQu  tov  xijg 
'J<PQodirt]s  hutaXaQLov  (?  man  erwartete 
iniatQOfpiasy  da  die  Venus  des  1.  April  die 
Verticordia  ist)  ßto/noy  aQQcyos  Tt'XVS  i^og, 

^)  Ueber  einen  doppelten  Tempel  der 
Fortuna  zwischen  Cales  und  Teanum  s.  Strab. 
V  249.  CIL  X  4633;  Tempel  in  Capua  545  = 
209,  Liv.  XXVII  11,  2;  FortuncU  poblicai 
Sacra,  archaische  Inschrift  aus  Benevent, 
CIL  IX  1543;   Fortunai  pocolo,    ßecherin- 


B.  Di  novenaides  italischer  Herkanft.    89«  Fortuna«  209 

dem  Mona  Algidus,  wo  die  Römer  im  Jahre  536  =  218  eine  Supplikation 
zur  Sühnung  von  Prodigien  anordneten,^)  und  an  den  beiden  altberühmten 
Sitzen  des  Fortunenkultes,  in  Antium  und  in  Praeneste.  Von  dem  anti- 
atischen  Gottesdienste  wissen  wir  nicht  viel  mehr,  als  dass  daselbst  ein 
Schwesterpaai'  von  Fortunae  verehrt  wurde*)  und  dass  der  Tempel, 
wenigstens  am  Ausgange  der  Republik,  ein  angesehenes  Orakel  besass:^) 
nicht  einmal,  dass  eine  der  beiden  Göttinnen  kriegerisch,  die  andre  friedlich 
aufgefasst  gewesen  wäre,  kann  man  aus  der  helmartigen  Kopfbedeckung 
der  einen  Göttin  auf  einem  Denare  des  Q.  Rustius^)  mit  Sicherheit  schliessen, 
da  dies  Kennzeichen  auf  andern  Denaren  desselben  Typus  und  Münzmeisters 
fehlt,  und  die  berühmte  Fortuna-Ode  des  Horaz  (I  35)  ist  viel  zu  sehr 
von  den  allgemeinen  Tyche-Fortuna-Yorstellungen  erfüllt,  als  dass  sie  uns 
für  die  spezielle  Auffassung  der  Göttin  von  Antium,  deren  Namen  sie  an 
die  Spitze  stellt,  etwas  lehren  könnte.  Dagegen  ist  der  ganz  eigenartige 
praenestinische  Kult  in  neuerer  Zeit  namentlich  durch  einen  inschriftlichen 
Fund^)  unserem  Verständnisse  nicht  unwesentlich  nähergebracht  worden. 
Diese  archaische  Inschrift  (CIL  XIY  2863)  bezeichnet  die  Göttin  als  For- 
tuna Diovo  füea  primocenia,  jüngere  Inschriften  nennen  sie^  unter  Be- 
wahrung eines  noch  älteren  Sprachgebrauches,  ß)  Fortuna  lovis  puer  primi- 
genia  (CIL  XIV  2862,  vgl.  2868):  sie  war  also  die  erstgeborene  Tochter 
des  Juppiter  in  einer  der  italischen  Religion,  die  keine  Götterkindschaften 
kennt,  sonst  durchaus  fremden  Auffassung,  welche  sich  gewiss  nicht  zufällig 
nur  in  dem  von  fremden  Einflüssen  stark  durchsetzten  Praeneste  nach- 
weisen lässt.  Für  die  Deutung  der  Göttin  ist  es  von  Wichtigkeit,  dass 
jene  älteste  Weihinschrift  ihr  von  einer  Matrone  nationu  crcttia,  d.  h.  für 
Kindersegen,'')  dargebracht  wird;  ausserdem  erfahren  wir,  dass  es  in  einem 
von  dem  grossen  Fortunentempel  getrennten  Heiligtume  ein  von  den 
matres,  d.  h.  den  mit  Kindern  gesegneten  Matronen,  verehrtes  Bild  der 
Fortuna  gab,  die  zwei  Kinder  an  ihrer  Brust  säugte  (Cic.  de  divin.  II  85), 
offenbar  also  ebenfalls  als  eine  mütterliche  Gottheit  gedacht  war:^)  die 
allgemeine  Deutung  erklärte  die  Kinder  für  Juppiter  und  Juno  und  sah 
in  dem  ersteren  den  luppüer  puer,  den  man  auf  dem  Wege  falscher 
Interpretation  aus  dem  Namen  Fortuna  lovis  puer  primig enia  entnahm. 
Der  Haupttempel  der  Fortuna  Primigenia,  von  dem  noch  namhafte  Reste 


<)  Liv.  XXI  62,  8;  hierher  gehört  viel-  j  XIX  453  ff.;  C[L  XIV  p.  295  f. 
leicht  die  archaische  Inschrift  von  Tusculom  ']  Ueber  puer  =  filia  s.  Gharis.  p.  84. 

CIL  XIV  2577  (de  praidad  Fortune),  Priscian  I  p.  232  H. 


')  Martial.  V  1, 3.  Macr.  S.  I  23, 13.  Suet. 
Calig.  57.  Tac.  ann.  XV  23.  CIL  X  6555. 
6638  {aedüus  Forttmarum);  wenn  Stat.  silv. 
I  3,  80  von  den  Praenestinae  swores  spricht, 


^)  So  richtig  Jobdan  a.  a.  0.  p.  4  gegen 
MoMMSBN  bei  Dbssau,  Hermes  XIX  455. 

*)  An  die  Analogie  der  aus  zahlreichen 
Terracottafigoren    bekannten,    noch    nicht 


so   verwechselt   er  die   Fortunenkulte   von  *   überzeugend  gedeuteten  ,  Muttergottheit  von 


Praeneste  und  Antium. 

')  Macr.  Suet.  Mart.  aa.  00. ;  Über  den 
Reichtum  des  Tempels  vgl.  App.  b.  c.  V  24. 
Schol.  Horat.  c.  I  35,  1. 

*)  Babelon,  Monn.  consul.  II  412. 


Capua*  (litteratur  bei  A.  Pbeukbb,  Jahres- 
ber.  f.  Altertumswiss.  XXV  439;  vgl.  auch 
W.GuBLiTT,  Archaeol.  epigr.  Mitt.  ausOesterr. 
XIX  1896  S.  18)  erinnert  Jordan  a.  a.  0.  p. 
10;  da  es  in  Capua  einen  Tempel  der  For- 


»)  S.  namentlich  H.  Jobdam,  Symbolae  '  tunagab(Liv.  XXVII  11,2;  vgl.  CIL X  3775), 

ad  histonam  religionum  Italicarum  alterae  so  wäre  es  nicht  unmöglich,  dass  die  Göttin 

(Regimont.  1885)  p.  3—13.   Dbbsau,  Hermes  |  Fortuna  zu  benennen  wäre. 

Bandbnch  der  Uasii.  AltertnmRWtaeDaohaft.  Y,  4.  14 


210  Beligion  und  Enltas  der  BOmer.    II.  OOiterlehre. 

erhalten  sind,^)  verdankte  sein  Ansehen*)  und  seinen  Reichtum  der  Orakel- 
erteilung, die  hier  durch  Lose  (sortes)  geschah,  d.  h.  durch  beschriebene 
Eichenstäbe,  die  durch  die  Hand  eines  Knaben  gemischt  und  gezogen 
wurden;^)  von  der  aus  dem  Holze  eines  wunderthätigen  Ölbaums  ange- 
fertigten arca,  in  welcher  diese  Losstabe  aufbewahrt  wurden  (Cic.  a.  a.  0.), 
führte  der  in  Praeneste  neben  Fortuna  verehrte  Juppiter  den  Beinamen 
Arkanus;^)  das  Hauptfest  der  Göttin  fiel  auf  den  11.  und  12.  April.*)  Die 
Fremdartigkeit  des  ganzen  Gottesdienstes  und  insbesondere  der  Orakel- 
erteilung trugen  offenbar  die  Schuld  daran,  dass  die  Römer  sich  lange 
gegen  diesen  Kult  ablehnend  verhielten  und  noch  zur  Zeit  des  ersten 
punischen  Krieges  der  Senat  gegen  den  Consul  Q.  Lutatius  Cerco  einschritt, 
als  dieser  sich  bei  den  praenestinischen  sortes  Rat  erholen  wollte.^)  Erst 
die  Not  des  hannibalischen  Krieges  führte  zur  Aufnahme  auch  dieses 
Gottesdienstes:  in  dem  Kampfe  bei  Kroton  550  =  204  gelobte  der  Consul 
P.  Sempronius  Tuditanus  für  den  Fall  des  Sieges  der  Fortuna  Primigenia 
einen  Tempel,  der  auf  dem  Quirinal  erbaut  und  im  Jahre  560  =  194  ein- 
geweiht wurde.  ^)  Dass  es  die  Göttin  von  Praeneste  ist,  der  dieses  Heilig- 
tum gilt,  beweist  der  Name  Primigenia,  der  durchaus  dem  praenestinischen 
Kulte  eigentümlich  ist;  in  Rom  aber  wurde  dem  Gedanken,  dass  diese 
praenestinische  Göttin  nunmehr  in  erster  Linie  über  das  römische  Staats- 
wohl walten  solle,  auch  im  Namen  offiziell  Ausdruck  gegeben;  denn  die 
Steinkalender  verzeichnen  den  auf  den  25.  Mai  angesetzten  Stiftungstag 
des  Tempels  teilweise  (fast.  Caer.  Esquil.)  in  der  Form  Fortunae  p{ublicae) 
p(opuli)  R{omani)  Q{uirüium)  in  colle  Quirin{ali),  teilweise  (fast.  Venus.) 
Fortun(ae)  priin{igeniae)  in  col{l€):  mit  gutem  Rechte  hat  man  daraus  ge- 
schlossen, dass  der  volle  Name  Fortuna  publica  populi  Romani  Quiritium 
primigenia  lautete.^)  Ein  zweiter  Tempel  der  Fortuna  publica  (nicht  Primi- 
genia) unbekannter  Gründungszeit,  der  seinen  Stiftungstag  am  5.  April 
feierte,  lag  ebenfalls  auf  dem  Quirinal,  mehr  nach  der  Stadt  zu,  und  führte 
darum  den  unterscheidenden  Namen  aedes  Fortunen  publicae  citerioris  in 
coUe;^)  den  Stiftungstag  eines  dritten  Tempels  verzeichnet  der  Kalender 
der  Arvalbrüder  zum  13.  November  in  der  Form  Fortunae  prim(igeniae)  in 
cfoUeJ:   da  wir  nun  wissen,   dass  auf  dem  Quirinal  nahe  beieinander  drei 


*)  A.  Bobmann,  Altlatin.  Chorogr.  S. 
207  ff.  0.  Mabücchi,  BuU.  d.  Inst.  1881 ,  248  ff. 
Blondbl,  M^langes  d'arch^ol.  et  d'hist.  II 
1882,  168  ff. 

*)  z.  B.  opfert  im  J.  587  =  167  König 
Prasias  von  Bithynien  Romae  in  Capüolio 
et  Praeneste  Fortunae  (Liv.  XLV  44,  8);  vgl. 
aucb  die  bewundernde  Aeussening  des  Ear- 
neades  bei  Cic.  de  div.  II  87. 

»)  Cic.  de  div.  II  85  f.,  vgl.  l  34;  ein 
sortilegtis  Fortunae  Pritnigeniae  zu  Prae- 
neste CIL  XIV  2989.  Zur  Illustration  können 
die  bronzenen  sortes  von  Patavium  (CIL  1 
1438  ff.  =  BuBCHBLBR,  Authol.  epigr.  nr.  331) 
und  Parma  (CIL  XI  1129)  dienen. 

*)  CIL  XIV  2937.  2972  und  das  Gedicbt 
ebd.  2852  =  Buechbler,  Anthol.  epigr.  nr. 
249,  17;  dass  in  Praeneste  auch  Juno  neben 


Fortuna  verehrt  worden  sei,  folgt  aus  CIL 
XIV  2867  nicht. 

*)  Fast.  Praen.  z.  1 1.  April  (CIL  P  p.  339) : 
[hoc  bidiM  8acrißci]um  maximu[m]  For- 
tunae prim[i]g{eniae),  utro  eorum  die  ora- 
dum  patet.    Ilviri  vitulum  i[mmolant]. 

•)  Val.  Max.  epit.  I  3.  2;  vgl.  CIL  XIV 
2929  mit  Dessaus  Bemerkung. 

')  Liv.  XXIX  36.  8.  XXXIV  53. 5  (an  der 
zweiten  Stelle  wird  der  Consul  P.  Sempro- 
nius Sopbus  genannt  und  fälschlich  hinzu- 
gefügt, er  habe  den  Tempel  in  seiner  Censur 
begonnen,  während  diese  thatsächlich  vor 
sein  Consulat  fiel);  vgl.  XLIII  13,  5. 

B)  MoMHSEN,  CIL  I'  p.  319;  Ovid.  fast.  V 
729  f.  nennt  die  Göttin  populi  Fortuna  po- 
tefitis  publica. 

»)  CIL  I«  p.  315.  Ovid.  fast.  IV  375  f. 


B.  Di  noTensidea  italischer  Herkunft.    89.  Fortuna,  211 

verschiedene  Fortunentempel  lagen,  von  denen  die  ganze  Gegend  den 
Namen  ad  tres  Fortunas  führte,^}  so  ist  es  das  Nächstliegende,  bei  der 
Notiz  des  Arvalenkalenders  eben  an  den  dritten  dieser  drei  Tempel  zu 
denken.')  Demnach  wurde  Fortuna  in  zwei  von  den  drei  quirinalischen  Tem- 
peln als  Primigenia  verehrt;  eine  dritte  Kultstätte  besass  dieselbe  Göttin 
auf  dem  Capitol,*)  und  von  ihrer  Verehrung  in  Rom  zeugen  mehrere  er- 
haltene Inschriften,^)  ohne  dass  wir  aber  darüber  Aufschluss  erhielten,  in 
welcher  Richtung  man  sich  die  Göttin  wirksam  dachte.  Wahrscheinlich 
war  es  in  diesen  römischen  Kulten  der  Fortuna  Primigenia  weder  die 
mütterliche  Gottheit  von  Praeneste,  noch  die  am  Forum  boarium  und  an 
der  Via  Latina  verehrte  Frauengottheit,  die  man  anbetete,  sondern  die 
Glücksgöttin:  für  diese  Veränderung  der  Auffassung  bot  der  praenesti- 
nische  Kult  mit  seinen  sortes  die  Handhabe,  indem  aus  der  zukunftkündenden 
Gottheit  leicht  eine  glückverleihende  werden  konnte,  zugleich  aber  wird 
der  Einfluss  der  in  der  hellenistischen  Zeit  so  reich  entwickelten  griechi- 
schen Tyche-Vorstellungen  mitgewirkt  haben.  Es  ist  aber  für  die  römische 
Denkart  bezeichnend,  dass  in  Rom  Fortuna  im  Kulte  —  anders  natürlich 
in  der  ganz  von  griechischen  Vorbildern  abhängigen  Dichtung  —  nicht 
eine  allwaltende  Schicksalsgöttin  ist,^)  sondern  stets  nur  in  unendlich 
vielen  Spezialisierungen  den  glücklichen  Ausgang  mit  Beziehung  auf  eine 
bestimmte  Thätigkeit,  eine  bestimmte  Zeit,  eine  bestimmte  Gruppe  von 
Individuen  u.  ä.  verkörpert.  Am  deutlichsten  tritt  das  hervor  in  der  Gestalt 
der  Fortuna  huiusce  diei  (Gic.  de  leg.  II  28),  die  einen  von  Q.  Lutatius 
Catulus  in  der  Cimbernschlacht  bei  Vercellae  653  =  101  gelobten  Tempel 
auf  dem  Marsfelde,  ^)  vielleicht  auch  einen  zweiten,  älteren  auf  dem  Pa- 
latino) besass:  es  ist  nichts  als  das  seiner  speziellen  Wesenheit  nach  un- 
bekannte numen,  dem  der  glückliche  Ausgang  jenes  Tages  verdankt  wurde, 
sozusagen  die  Fortuna  du  jour.  Auch  die  Fortuna  equestris,  der  wäh- 
rend eines  heftigen  Reiterkampfes  im  celtiberischen  Kriege  574  =  180  vom 
Diktator  Q.  Fulvius  Flaccus  ein  Tempel  gelobt  und  581  =  173  geweiht 
wurde,®)  ist  nichts  als  die  Verkörperung  des  glücklichen  Erfolges  der 
römischen  Reiterei,  nicht  wesentlich  verschieden  etwa  von  einem  Genius 
equitum  Romanorum. ^)    Dieser  völlig  uferlosen  Allgemeinheit  des  Begriffes 


')  Vitr.  III  2,  2.  Erinagoras  Anth.  Plan. 
IV  40,  1. 

*)  Ueber  die  drei  Tempel  s.  Jobdan, 
Archaeol.  Zeit.  1871  S.  77  ff.  Mokmsbn,  CIL 
I*  p.  315;  Ygl.  auch  Viscofti,  Bull.  arch. 
com.  I  1873,  201  ff 

*)  Plut.  de  fort.  Rom.  10.  Wenn  in  dem 
Weihgedicht  CIL  XIV  2852  =  Buboheleb, 
Anth.  epigr.  nr.  249  der  Praenestiner  T.  Cae- 
sius  Primus  seine  heimische  Fortuna  als 
Tarpeio  vicina  Tonanti  bezeichnet,  so  nötigt 
das  Wort  Tarpeio  unbedingt  an  das  römische 


det,  dessen  Fest  am  1.  Januar  gefeiert  wurde, 
mit  der  Bestimmung,  dass  ausser  dem 
Opfernden  selbst  niemand  vom  Opferfleische 
geniessen  dürfe. 

8)  Plut.  Mar.  26;  dass  der  in  campo  ge- 
legene Tempel  eben  der  damals  gelobte  ist, 
geht  aus  der  Thatsache  hervor,  dass  sein 
Stiftungstag  der  30.  Juli  (CIL  P  p.  323). 
d.  h.  eben  der  Tag  der  Schlacht  von  Vercel- 

*  »j  Plin.  n.  h.  XXXIV  54.  60  und  dazu 
AvsT,  De  aedib.  saer.  p.  26,  der  nur  die  Stelle 


Capitol,   nicht  an   die  Burg   von  Praeneste   I   Plut.  Mar.  26  nicht  hierher  beziehen  durfte, 
zu  denken;  anders  Jobdak,  Topogr.  I  2  S.  64.   i  ^)  Liv.  XL  40,  10.  44,  9.  XLII  10,  5  und 


♦)  CIL  VI   192—195.  3681;   ausserhalb  mehr  bei  Aüst  a.  a.  0.  p.  25  f.  nr.  63.    Die- 

Roms  und  Praenestes  nur  CIL  XI  1.  1415(?).  selbe  Göttin  hatte  auch  bei  Antium  einen 

')  Erst  Trajan  hat  nach  Lyd.  de  mens.  Tempel,  Tac.  ann.  III  71. 
IV  7  rfi  nuyxtoy  Tv'xn  einen  Tempel  gegrün-  •)  Daher  wird  Fortuna  gern  mit   dem 


14 


* 


212 


Religion  und  Knltns  der  Römer«    n.  Mtterlehre. 


und  der  unbegrenzten  Fähigkeit,  sich  zu  spezialisieren,  verdankt  Fortuna 
die  ungeheuer  grosse  Anzahl  von  Kapellen  und  Altären,  die  ihr  unter 
den  verschiedensten  Beinamen  zu  teil  wurden.  Diese  Namenreihe^)  be- 
ginnt mit  den  allgemeinsten  Bezeichnungen  wie  Fortuna  bona,*)  Fortuna 
mala, 3)  Fortuna  dubia,*)  Fortuna  brevis,*)  Fortuna  stabilis,*)  Fortuna  ob- 
sequens,^)  Fortuna  respiciens^)  und  geht  dann  weiter  zu  immer  spezielleren 
Differenzierungen,  wie  Fortuna  publica,*)  Fortuna  privata,*®)  Fortuna  bar- 
bata^^)  u.  a.,  ja  am  häufigsten  wird  sie  geradezu  als  die  Fortuna  einzelner 
Collegia,**)Familien,i5)  Personen")  oder  Örtlichkeiten **)  angerufen;  manche 
Namen,  wie  z.  B.  der  der  Fortuna  viscata,^^)  entziehen  sich  jeder  Deutung. 
In  der  Eaiserzeit  gewann  eine  besondere  Bedeutung  die  Fortuna  Redux, 
welcher  bei  der  Rückkehr  des  Augustus  aus  dem  Orient  735  =  19  ein 
Altar  nahe  der  Porta  Capena  geweiht  wurde:  der  offizielle  natalia  des 
Heiligtums,  der  Tag  der  Einweihung,  war  der  15.  Dezember,  aber  noch 
feierlicher  wurde  der  Tag  begangen,  an  dem  damals  die  Rückkehr  des 
Augustus  erfolgt  und  die  Errichtung  der  ara  Fortunae  Reducis  beschlossen 
worden  war:  er  fand  unter  dem  Namen  Augustalia  Aufnahme  unter  die 
feriae  publicae  p.  R.  und  wurde  mit  Spielen  zu  Ehren  des  Augustus  und 
der  Fortuna  Redux  begangen,  die  seit  dem  Tode  des  Augustus  ständig 
waren  und  sich  zur  Zeit  des  Claudius  über  10  Tage  (3.  bis  12.  Oktober) 
erstreckten.^^)  Seitdem  äussert  sich  die  Loyalität  der  Unterthanen  gegen 
den  Kaiser  nicht  nur  in  zahlreichen  Privatweihungen  pro  salute  et  reditu 
imperatoris  an  diese  Göttin,  die  den  Kaiser  aus  allen  Feldzügen  siegreich 
und  wohlbehalten  zurückführt,^^)  sondern  auch  die  Staatspriester  opfern 
ihr  feierlich  ob  salutem  victoriamque,  wenn  der  Kaiser  ins  Feld  zieht,  wie 
die  Arvalakten  zeigen  :i^)  einmal  wird  nach  diesen  auch  für  die  glück- 
liche Hinreise  des  Kaisers  zum  Heere  der  Fortuna  Dux  geopfert. 'o)  Aus 
demselben  Bedürfnisse  nach  Äusserungen  der  Ergebenheit  für  das  regie- 


Genius  (z.  B.  CIL  VI  236.  X  1568.  6302.  III 
1008.  4289.  4558.  VII  370)  oder  mit  Tutela 
(CIL  VI  177—179;  Genio  et  Fortunae  Tu- 
telaeque  huius  loci  coliortium  praetoriarum 
CIL  VI  216)  verbunden. 

*)  Lange  Aufzählung  solcher  Namen  bei 
Plut.  de  fort.  Rom.  10;  Qu.  Rom.  74. 

>)  z.  B.  CIL  VI  183  f.  III  1009.  4355. 

')  Altar  auf  dem  Palatin  in  Rom,  Cic. 
nat.  deor.  III  68;  de  leg.  II  28.  Plin.  n.  h. 
II  16. 

*)  CIL  VI  975  {vicus  Fortunae  dubiae). 

»)  Plut.  Qu.  Rom.  74. 

•)  CIL  III  5156a. 

')  Plut.  aa.  00.  Cic.  de  leg.  II  28.  Cass. 
DioXLII  26.  4.  Fronte  p.  157  Nah.  CIL  VI 
181.  975  {vicus  Fortunae  obsequentiis)).  IX 
5178.  XI  347.  817. 

*)  Plut.  aa.  00.  Plaut.  Asin.  716.  CIL 
VI  191.  975  {vic*M  Fortunae  re8picient(i8)). 
V  5247.  X  6509. 

*)  Ausserhalb  Roms  z.  ß.  CIL  IX  1543. 
X  1558. 

»0)  Plut.  de  fort.  Rom.  10. 

")  August.  0.  d.  IV  11.   VI  1.  Tertull. 


ad  nat.  II  11. 

**)  Numini  Fortunae  col{legii)  fab{rum) 
CIL  VI  3678,  vgl.  auch  Liebbkam,  Gesch.  u. 
Organis.  d.  röm.  Vereinswesens  S.  293  f.; 
eine  Fortuna  legionis  CIL  [II  Suppl.  10992. 

*•)  z.  B.  Fortuna  Crassianu  (CIL  VI 
186),  Flavia  (ebd.  187),  luveniana  (189), 
Torquatiana  (204),  Tulliana  (8706)  u.  a. 

>*)  Fortunae  Claudiae  lustae  CIL  VI 
3679. 

»»)  Fortuna  balneorum  (CIL  VI  182.  If 
2701.  2763.  Fronte  p.  157  Nah.),  horreorum 
(CIL  VI  188.  236)  u.  a. 

»•)  Plut.  aa.  00. 

>')  Die  Zeugnisse  vollständig  bei  Momm- 
SEN,  Res  gestae  D.  Aug.*  p.  46  f.;  CIL  I*p. 
330;  einen  domitianischen  Tempel  der  For- 
tuna Redux  auf  dem  Marsfelde  erwfthnt 
Martial.  VIII  65. 

^")  Daher  auch  Fortuna  Redux  mit  Vic- 
toria und  Pax  verbunden,  CIL  VI  196  f. 

*')  Henzbn,  Acta  fratr.  Arval.  p.  80. 
122.  124. 

")  Hbnzbn  a.  a.  0.  p.  122,  vgl.  CIL  IX 
2194. 


B«  Di  noTenflideB  italiscber  Herkanft.    39.  Fortuna. 


213 


rende  Haus  sind  auch  die  zahlreichen  Weihungen  an  Fortuna  Augusta^) 
hervorgegangen,  deren  Verehrung  sich  innerlich  mit  der  des  Genius  Au- 
gusti  nahe  berührt.  Von  Ausdehnung  und  Bedeutung  des  Fortunenkultes 
in  der  Kaiserzeit  geben  in  weit  höherem  Grade  als  die  vereinzelten  lit- 
terarischen Zeugnisse  (s.  unter  diesen  namentlich  Plin.  n.  h.  II  22)  die  zahl- 
losen inschriftlichen  und  namentlich  auch  monumentalen  Überreste  Kunde, 
insbesondere  die  sehr  zahlreichen  Münzbilder  und  die  kaum  zu  übersehende 
Menge  von  Statuen  und  Bronzen:^)  letztere  stammen  zum  weitaus  grössten 
Teile  aus  den  Hauskapellen,  in  denen,  wie  schon  die  pompejanischen 
Sakralbilder  (Helbio,  Wandgem.  nr.  73  flf.)  zeigen,  Fortuna  unter  den  Pe- 
naten selten  gefehlt  haben  wird.  Die  ständigen  Attribute  der  Göttin  sind 
Steuerruder  und  Füllhorn,  doch  kommt  oft  mancherlei  Beiwerk  (Kugel, 
Modius,  Schiffsprora)  hinzu,  und  in  den  Zeiten  der  späten  Theokrasie 
äussert  sich  die  Anpassungsfähigkeit  des  Begriffes  der  Fortuna  darin,  dass 
sie  mit  anderen  Gottheiten,  namentlich  mit  Isis,  durch  Annahme  ihrer 
Attribute  sich  verschmilzt  oder  gar  als  Fortuna  Panthea  (CIL  X  5800,  vgl. 
1557)  die  Zeichen  aller  möglichen  Gottheiten  in  sich  vereinigt  (s.  oben  S.  82). 
Entsprechend  der  Neigung  des  Römers,  sich  mit  göttlicher  Ver- 
körperung des  Nächstliegenden  und  Konkreten  zu  begnügen,  ist  der  all- 
gemeine Begriff  einer  über  Welt  und  Menschheit  im  weitesten  Umfange 
waltenden  Schicksalsgottheit  in  der  römischen  Religion  überhaupt  nicht 
zur  Ausprägung  gelangt.  Denn  die  Parca,  die  man  auf  Grund  der  falschen 
Ableitung  ihres  Namens  von  pars  mit  der  griechischen  MoXqa  identifizierte 
und  demgemäss  auch  den  drei  Moiren  entsprechend  vervielföltigte,  ist 
ursprünglich  eine  Geburtsgöttin  bezw.  Beiname  einer  solchen.')  Der  Be- 
griff des  Fatum  aber  hat  nie  in  der  Religion  seinen  Platz  gefunden,  son- 
dern ist  als  Übersetzung  und  Verdolmetschung  der  griechischen  Aiaa  aus- 
schliesslich ein  dichterischer  und  philosophischer  Terminus;  erst  der  Plural 
Fata,  ursprünglich  rein  abstrakt  die  Summe  unverrückbarer  Schicksals- 
satzungen bezeichnend,  hat  allmälig  etwas  mehr  Körperlichkeit  gewonnen, 
indem  man  die  griechischen  Vertreterinnen  dieser  Schicksalssatzungen, 
die  drei  Moiren,  als  Fata  oder  tria  Fata  verdeutlichte:^)  daher  finden  wir 


>)  z.  B.  CIL  VI  4.S.  180  f.  3680.  XIV 
2040.  3561  (cultores  domus  divinae  et  For- 
tuncLe  aug.  Lares  augustos  d.  d.,  Tibur). 
3581.  IX  6378.  X  820  flf.  (Pompeji,  vgl.  Nis- 
sen, Pompejan.  Stud.  S.  182  ff.  A.  Mau,  R5m. 
Mitteü.  XI  1896,  269  ff). 

')  Reiche  Materialsammlnng  bei  R.  Petbb 
in  Roschers  Lexik.  I  1503  ff.  1530  ff.  Drex- 
LEB  ebd.  1549  ff. 

*)  Varro  bei  Gell.  III  16,  10  fasst  Paroa, 
Nona,  Decima  als  tria  Fata  zusammen,  Gae- 
sellius  Vindex  ebd.  §  1 1  nennt  Nona,  Decima, 
Moria  als  nomina  Parcarum,  wobei  schon 
der  Widerspruch  der  Ansichten  zeigt,  dass 
die  Gruppierung  der  Namen  eine  willkürliche, 
keine  überlieferte  ist:  wahrscheinlich  gehört 
der  Beiname  Nona  Decima  zu  Garmenta  (s. 
oben  S.  180),  während  Parca  Morta  einen 
ebensolchen  Doppelnamen  bildet  wie  Genita 
Mana  (s.  oben  8.  196),  mit  dem  er  sich  in- 


haltlich vollkommen  deckt.  Die  namentlich 
auf  oberitalischen  und  gallischen  Steinen 
(die  Inschriften  bei  M.  Ihm,  Jahrb.  d.  Alter- 
tumsfr.  im  Rheinl.  LXXXIII  180  f.,  vgl.  ebd. 
S.  65  ff.  und  dagegen  Sibboubg,  Westd. 
Zeitschr.  VII 111  ff.)  zuweilen  vorkommenden 
Parcae  haben  mit  der  altrömischen  Parca 
nichts  zu  thun;  wenn  es  nicht  einheimische 
Gottheiten  sind,  so  sind  damit  die  Moiren 
gemeint. 

*)  Plaut.  Bacch.  953  ff.  Varro  bei  Gell. 
III  6,  19.  Apul.  de  mundo  38.  Auson.  Griph. 
19  p.  201  Peip.  CIL  V  3143.  Ephem.  epigr. 
VIII  128;  in  der  capuanischen  Inschrift  CIL 
X  3812  IiMtitiae  NemesiFaHs  quam  voverat 
aram  .  .  poauü  zeigt  die  danebenstehende 
griechische  Fassung  (Kaibbl,  Epigr.  gr.  nr. 
837)  Jeanoiun  Nefjieaei  xal  avyyaoiai  &€oun 
u.  s.  w.,  dass  es  sich  um  die  Moiren  neben 
Nemesis  und   Themis  handelt.     Ueber  die 


21-i 


Religion  und  EnltiiB  der  Römer.    II.  Götterlehre« 


der  Weihinschrift  FcUis  wiederholt  die  Abbildung  von  drei  Frauen  bei- 
gegeben,^) die  wir  unbedenklich  für  die  griechischen  Moiren  erklären 
dürfen.  Daneben  kennen  wir  aber  durch  eine  Reihe  vorwiegend  auf  kelti- 
schem Boden  gefundener  Inschriften^)  eine  geschlechtliche  Differenzierung 
von  Fati  und  Fatae,  die  nicht  wohl  anders  als  in  Anlehnung  an  in  jenen 
Gegenden  heimische  Vorstellungen  entstanden  sein  kann :  wäre  es  in  den- 
jenigen Fällen,  wo  nur  Fatae  erwähnt  werden, 3)  möglich,  die  weibliche 
Form  von  dem  Geschlechte  der  griechischen  MoXqai  herzuleiten,  so  ver- 
sagt dieses  Auskunftsmittel  dort,  wo  männliche  und  weibliche  Faten  zu- 
sammen- oder  gegenübergestellt  werden:^)  hier  haben  unbedingt  fremde, 
ausserrömische  Vorstellungen  eingegriffen,  und  wir  verstehen  es  jetzt,  wenn 
auf  einer  Inschrift  von  Aquileja  (CIL  V  775)  ausdrücklich  unterschieden 
wird  Fatis  divin{is)  et  barbariclis),  d.  h.  zwischen  den  römischen  und  den 
barbarischen  Gottheiten  gleichen  Namens.  In  Rom  hat  diese  geschlecht- 
liche Differenzierung  von  Fati  und  Fatae  nicht  Platz  gegriffen;  denn  wenn 
bei  Petron  (c.  42.  71.  77)  und  auf  einigen  Grabschriften  von  mcdus  Fatus 
oder  Fatus  meus  die  Rede  ist,  so  ist  das  nur  eine  der  in  der  Vulgärsprache 
häufigen  Ersetzungen  des  Neutrums  durch  eine  masculine  Bildung,  nicht 
etwa,  wie  man  gemeint  hat,^)  ein  göttliches  Gegenbild  zum  Genius,  wie  mit 
Deutlichkeit  schon  daraus  hervorgeht,  dass  auf  Grabschriften  Fatus  meus 
ganz  ebenso  von  Frauen^)  wie  von  Männern  gebraucht  wird.  Ganz  vereinzelt 
und  darum  auch  nicht  sicher  zu  deuten  ist  die  Notiz  TertuUians,^)  dass  am 
neunten  Tage  nach  der  Geburt  eines  Kindes  die  schreibenden  Fata,  Fata 
Scribunda,  angerufen  worden  seien  ;^)  die  gewöhnliche  Annahme,  dass  diese 
Göttinnen  mit  den  etruskischen  Darstellungen  einer  schreibenden  Schicksals- 
gottheit und  mit  den  Figuren  schreibender  Parzen  auf  römischen  Sarko- 
phagen zusammenhängen,  unterliegt  schweren  Bedenken,  es  ist  sogar  frag- 
lich, ob  an  der  TertuUianstelle  überhaupt  von  einer  Göttin  die  Rede  ist.^) 
Jungen  Datums  ist  die  Verehrung  der  Felicitas,  der  Göttin  des 
glücklichen  Erfolges, ^^)  welcher  zuerst  L.  Licinius  LucuUus  kurz  nach  608 


tria  Fata  auf  dem  römischen  Forum  s.  Job- 
dan, Topogr.  II  482.  I  2  S.  349.  Hierher  ge- 
hören auch  die  Darstellungen  der  drei  Moiren 
mit  der  Beischrift  Fatia  victricibus  auf  Mün- 
zen des  Diocletian  und  Maximian  (Eckhel, 
D.  N.  VTII  6),  sowie  die  im  Kalender  des 
Philocalns  zum  29.  und  80.  Septemher  ver- 
zeichneten ludi  fatales. 

»)  CIL  II  3727.  m  4151.  XII 1281.  3045. 
VI  145  (nur  sechs  Fttsse  erhalten);  ein  Mann 
zwischen  zwei  Frauen  mit  der  Beischrift 
Fata  divina  auf  dem  Grabgemälde  der  Vibia 
(CIL  VI  142,  vgl.  Maass,  Orpheus  S.  221); 
eine  weibliche  Gestalt,  den  Fuss  auf  ein 
Rad  gestützt  (Oberkörper  weggebrochen), 
mit  der  Beischriffc  Fatia  CIL  VI  2189. 

')  M.  SiBBOUBU,  De  Sulevis  Campestri- 
bus  Fatis  (Diss.  Bonn.  1886)  p.  25  ff.  39  f. 
M.  Ihm  a.  a.  0.  8.  98  ff. 

*)  Fatahus  CIL  V  4209;  qtMt  faU  (d.  h. 
cui  Fatae)  cancesserunt  vwere  annis 
XXXX  V  CIL  II  89. 


*)  Fatis  masculis  CIL  V  5002;  Fatis 
Fata[bti8]  ebd.  5005. 

^)  Jobdan,  Hermes  VII  197  und  ihm 
zustimmend  Ihm  a.  a.  0.  S.  99. 

•)  CIL  VI  4379.  11592.  25703  =  Bük- 
CHELBB,  Anthol.  epigr.  nr.  81.  146.  1537  B. 

')  Tertull.  de  anima  39  dum  per  totam 
hebdomadam  lunoni  mensa  proponitur,  dum 
ultima  die  Fata  scribunda  advoctxntur;  vgl. 
CIL  VI  29426  (=  Bubchblbb,  Anth.  epigr. 
nr.  1164)  v.  5  quo  matri  multos  scripsit 
(Parca),  multos  quoque  patri  ingratis  annos? 

')  Die  Auffassung  Jordans  (zu  Pbbllbb, 
Rom.  Myth.  II  194,  3),  es  sei  eine  schrei- 
bende Fata  im  Singular  zu  verstehen,  findet 
im  Texte  TertuUians  keine  Stütze. 

•)  J.  Wbiswbilbb,  Jahrb.  für  Philol. 
CXXXIX:  1889,  39  f. 

*^)  Obwohl  der  Zusammenhang  von  fdix 
mit  feo,  fetus,  fecundus  sichersteht,  ist  doch 
bei  der  späten  Schöpfang  der  Göttin  Feliei- 
tas  an  eine  Gottheit  der  fVuchtbarkeit  (Pbsl- 


B.  Di  noTensides  italisoher  Herkunft.    39.  Fortnna. 


215 


=  146  einen  im  Velabrum  gelegenen  Tempel  weihte,^)  deren  hohes  An- 
sehen sich  aber  erst  von  den  Zeiten  des  Sulla  Felix  herschreibt.  Hatte 
dieser  seine  Schutzgöttin  Venus  als  die  glückbringende  (Venus  felix)  ver- 
ehrt (s.  unten  §  44),  so  folgte  Cn.  Pompejus  diesem  Beispiele  mit  der 
Modifikation,  dass  er  vielmehr  mit  der  siegreichen  Venus  (Venus  victrix), 
deren  Tempel  er  auf  der  Höhe  seines  steinernen  Theaters  anlegte,  die 
Felicitas  paarte,^)  eine  Vereinigung,  die  in  gleicher  Weise  auch  bei  einem 
Heiligtume  auf  dem  Capitol  wiederkehrt,  s)  Einen  eigenen  Tempel  erhielt 
Felicitas  auf  Betreiben  Caesars,  der  schon  in  der  Schlacht  bei  Thapsus 
ihren  Namen  als  Parole  ausgegeben  hatte  (Bell.  Afr.  83),  durch  M.  Aemi- 
lius  Lepidus  an  der  Stelle,  wo  Faustus  Sulla  seinen  Neubau  der  Curie  auf- 
geführt hatte  (Cass.  Dio  XLIV  5).  Von  den  weiteren  Schicksalen  dieses 
Heiligtums  erfahren  wir  nichts,  wohl  aber  sehen  wir,  dass  Felicitas  von 
nun  an  unter  den  Göttern  des  Staates  und  des  Kaiserhauses  eine  wichtige 
Rolle  spielt:  dass  Augustus  besondere  Beziehungen  zu  ihrem  Kulte  unter- 
hielt, geht  daraus  hervor,  dass  in  Rom  der  Tag,  an  welchem  Tiberius 
dem  numen  Augusti  einen  Altar  errichtet  hatte,  durch  ein  Opfer  an  Feli- 
citas begangen  wurde,^)  und  beim  Augustustempel  in  Cumae  zur  Erinne- 
rung an  die  erste  Imperatorenacclamation  des  Kaisers  alljährlich  eine 
suppliccUio  FelicUati  imperi  stattfand  ;^)  ebenso  ehrte  der  Senat  den  Tiberius 
durch  Aufstellung  einer  Statue  der  Felicitas  in  seinem  Geburtsorte  Fundi.^) 
Daher  erscheint  auch  nicht  nur  ihr  Bild  häufig  auf  den  Münzen  der  Kaiserzeit, 
um  die  felicitas  saeculi  zu  veranschaulichen,  sondern  die  Göttin  findet  auch  als 
göttliche  Verkörperung  der  dem  Kaisertume  verdankten  Segnungen  zusammen 
mit  Salus  (s.  oben  S.  122)  in  den  Götterreihen,  die  von  Staatswegen,  insbe- 
sondere am  Jahrestage  des  Regierungsantrittes  des  Kaisers,  7)  oder  von  Pri- 
vaten^) für  das  Wohl  des  kaiserlichen  Hauses  angerufen  werden,  an  hervor- 
ragender Stelle,  unmittelbar  hinter  der  capitolinischen  Trias  ihren  Platz. 
Eine  ziemlich  untergeordnete  Rolle  spielt  neben  Felicitas  die  männ- 
liche Vertretung  des  glücklichen  Ausganges,  der  Gott  Bonus  Eventus. 
Von  Haus  aus  wohl  mit  besonderer  Beziehung  auf  das  gute  Aufgehen  der 
Saat*)  verehrt  und  darum  noch  von  Varro  (de  re  rust.  I  1,  6)  in  den  von 


LEB,  Rom.  Myth.  II  255)  ebensowenig  zu 
denken  wie  bei  Venus  felix,  Mercurius  felix, 
Roma  felix  u.  a. 

')  Cass.  Dio  frg.  75,  2  Melb.  Strab.  VIII 
381.  Gic.  VeiT.  IV  4  und  mehr  bei  Jordak, 
Topogr.  I  2  S.  486. 

•)  Fast.  Amit.  (vgl.  Allif.)  z.  12.  Aug.: 
Veneri  victrici,  Hon(ori)  Virt{ut%),  Felici- 
tati  in  theatro  marmoreo,  CIL  P  p.  324. 

»)  Fast.  Amit.  (vgl.  fast.  Arv.)  z.  9.  Ok- 
tober: Genio  ptihlic(o\  faustae  Felicitati, 
Vener(i)  vict(rici)  in  Capüol(io);  vgl.  fast. 
Ant.  1.  Juli:  Felicitati  in  Cap[it]ol{io).  Momm- 
SBN,  CIL  I''  p.  331  bezieht  beide  Angaben  auf 
den  Tempel  am  Comitinm,  dagegen  mit 
Recht  Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  46.  Unsicher 
ist  die  Beziehung  des  in  einem  Kalender- 
bmohstflcke  (CIL  P  p.  339)  zu  einem  nicht 
mehr  bestimmbaren  Tage  verzeichneten 
Opfers  FdicitcUi  in  cam(po)  Mart{io). 


*)  Fast.  Praen.  z.  17.  Januar  und  dazu 
MOHMSEK,  CIL  P  p.  308. 

^)  MoMMSEN,  CIL  P  p.  315;  Hermes  XVII 
635  f.  Auch  Horaz  c.  IV  5,  18  redet  die 
Göttin  an,  indem  er  den  Namen  fausta  Fe- 
licitas dichterisch  in  Faustüas  umsetzt. 

•)  Suet.  Tib.  5;  vgl.  die  Inschrift  Fe- 
licitas Tiberi  im  Schilde  der  sitzenden  Kaiser- 
statue auf  dem  sog.  Schwerte  des  Tiberius 
ClRh.  1108. 

')  z.  B.  bei  den  Arvalen,  Hbnzen,  Acta 
fratr.  Arval.  p.  71  f.,  vgl.  84  f.  168. 

>)  z.  B.  CIL  XI  1331  und  in  den  In- 
schriften der  Equites  singulares  (s.  oben 
S.  77);  vgl.  WissowA  in  der  Strena  Helbi- 
giana,  Leipz.  1899. 

')  Vgl.  das  Gebet  bei  Cato  de  agric. 
141:  cum  divis  volenttbus  quodque  bene 
eveniat .  .  .  utt  tu  fruges  .  .  grandire  he- 
neque  e venire  siris;  dagegen  im  Gebete 


216  Religion  und  Knltas  der  Römer.    II.  Götterlehre. 

ihm  zusammengestellten  ländlichen  Zwölfgötterkreis  eingereiht,  ist  er  in 
den  vorliegenden  Zeugnissen  seines  Kultes  der  Verleiher  glücklichen  Er- 
folges bei  jeder  Art  von  Unternehmungen^)  und  hat  als  solcher,  wie  die 
Inschriften  bezeugen,  namentlich  in  den  Provinzen  ausgedehnte  Verehrung 
gefunden.^)  Dagegen  tritt  er  im  Staatskulte  zurück:  seinen  im  Marsfelde 
gelegenen  Tempel,  dessen  Gründungszeit  unbekannt  ist,  kennen  wir  nur 
durch  eine  zuföllige  Erwähnung  später  Zeit;^)  der  durch  Beischrift  ge- 
sicherte Kopf  des  Gottes  findet  sich  auf  Denaren  aus  der  Zeit  Caesars 
und  dann  häufig  auf  Münzen  der  Kaiserzeit.^)  Für  die  statuarische  Dar- 
stellung wählte  man  in  Erinnerung  an  die  ursprüngliche  ländliche  Be- 
deutung des  Gottes  den  Typus  des  griechischen  Triptolemos,  und  zwei 
solche  Statuen,  nach  Plinius  (n,  h.  XXXIV  77.  XXXVI  23)  Werke  des  Praxi- 
teles und  des  Euphranor,  standen  auf  dem  Capitol;  nach  ihnen  ist  auf 
den  Münzen  Bonus  Eventus  in  der  Regel  als  Jüngling  dargestellt,  der 
mit  der  einen  Hand  aus  einer  Schale  auf  einen  Altar  libiert,  in  der  an- 
dern aber  Ähren  (zuweilen  ein  Füllhorn)  hält;  auch  in  Reliefs  und  statuari- 
schen Werken  tritt  uns  der  Gott  in  ähnlicher  Auffassung  entgegen.*) 

Litteratur:  Pbelleb- Jobdan,  Rom.  Mythol.  II  179  ff.  R.  Pbtbb  in  Roschers  Lexikon 
I  1500—1558,  vgl.  1444  ff. 

40.  Castor  und  Polluz.  Einer  der  ältesten  römischen  Tempel,  deren 
die  Stadtchronik  gedachte,  war  der  am  unteren  Ende  des  Forums  nahe 
dem  Vestatempel  gelegene  Dioskurentempel  oder,  wie  er  im  offiziellen 
Sprachgebrauche  heisst,  die  aedes  Castoris  (in  der  Kaiserzeit  auch  aedes 
Castorum),  deren  Einweihung  die  Annalen  (Liv.  II  42,  5)  unter  dem  J.  270 
=  484  verzeichneten.^)  Gelobt  worden  war  er  angeblich  bereits  15  Jahre 
früher,  255  =  499,  in  der  Schlacht  am  See  Regillus  durch  den  Diktator 
A.  Postumius  (Liv.  II  20,  12),  und  eine  Legende,  deren  griechische  Vorlage 
wir  in  diesem  Falle  noch  nachzuweisen  im  Stande  sind,  wusste  zu  erzählen, 
wie  die  göttlichen  Brüder  erst  als  reisige  Vorkämpfer  dem  römischen  Heere 
voranzogen  und  dann  als  erste  die  Siegesbotschaft  nach  Rom  brachten. '') 
Da  das  angebliche  Datum   der  Schlacht  der  15.  Juli,  d.  h.  der  Tag  der 


der  Arvalbrüder  bei  den  vota  annua  (Ben- 
zen, Acta  fratr.  Arval.  p.  100  ff.)  eosque  sal- 
V08  servaveris  expericiUis  si  qua  sunt  erunive 
ante  etim  diem  eventumque  bonum  uti 
no8  sentimus  dicere  dederis, 

*)  MoMMSEN,  Arch.  Anz.  1860,  74*f.  und 
über  Bonus  Eventus  im  Lagerkult  v.  Doiia- 
8ZEW8KI,  Westd.  Zeitschr.  XIV  44. 

•)  CIL  11  1471.  2412.  3095.  4612.  III 
1128.  6223;  Suppl.  8244.  V  3218.  4208.  VI 
144.  795.  VII  77.  97.  425.  VIII  Suppl.  16366. 
17213.  IX  1560.  XI  622.  CIRhen.  983.  1034. 
Orelli  1781.  1894. 


1878,  205  ff.   WissowA  und  Aust  aa.  00. 

')  Vollständige  Sammlung  der  Zeugnisse 
bei  Josdan,  Topogr.  I  2  S.  369  ff.,  vgl.  auch 
RuGGiBBO,  Dizion.  epigr.  I  175  f.;  zu  den 
Ausführungen  von  6.  Tomassetti,  Bull.  arch. 
com.  XVIII  1890,  209  ff.  s.  Hülsen,  Rom. 
Mitteil.  VI  1891,  90  f. 

')  Dion.  Hai.  VI  13  und  mehr  bei 
Sghwbgler,  Rom.  Gesch.  II  64;  vgl.  auch 
die  Denare  des  A.  Postumius  Sp.  f.  Albinus 
bei  Babblon,  Monn.  consul.  II  379  f.  Die 
Geschichte  ist  Zug  um  Zug  der  Erzählung 
von   der   Mitwirkung   der   Dioskuren    beim 


*)  Amm.  Marc.  XXIX  6,  19;   vgl.  Lan-      Kampfe  der  Lokrer  gegen  die  Erotoniaten 
ciANi.  Bull.  arch.  com.  XIX  1891,  224  ff.  am  Flusse  Sagra  (E.  Meter,  Gesch.  d.  Altert. 


*)  Babelon,  Monn.  consul.  II  427 ;  über 
die  Eaisermttnzen  (von  Galba  an)  s.  die  Zu- 
sammenstellungen von  WissowA  in  Roschers 
Lexik.  I  796  und  E.  Aust  bei  Paüly-Wis- 


II  §  420)  nachgebildet;  ähnliche  Greschichten 
wurden  auch  später  vom  Siege  bei  Pydna 
(ScHWEGLBB  B.  B.  0.  II  202, 2),  vou  der  Nieder- 
lage der  Cimbem  (Plin.  n.  h.  VII  86.    Flor. 


sowA,  Realencycl.  III  715.  I  37)  und  von  der  Schlacht  be   Pharsalus 

^)  0.  Mabvcchi,    Bull.    arch.   com.    VI      (Gass.  Dio  XLI  61)  erzählt. 


B.  Di  noveiiBideB  italischer  Herkunft.    40.  Castor  und  Pollnx. 


217 


grossen  Reiterparade  (s.  unten)  war,*)  so  setzt  Livius  (11  42,  5;  vgl.  Plut. 
Coriol.  3)  auch  die  Einweihung  des  Tempels  auf  diesen  Tag,  während  die 
Hemerologien  sie  unter  dem  27.  Januar  verzeichnen;^)  dass  dieses  der 
ursprüngliche  natalis  des  Tempels  ist  und  nicht  etwa  zu  einer  der  mehr- 
fachen Restaurationen  desselben  gehört,^)  geht  aus  der  Thatsache  hervor, 
dass  auch  zu  Ostia  an  demselben  Tage  Spiele  zu  Ehren  der  Dioskuren 
gefeiert  wurden  (s.  unten).  Dass  in  so  alter  Zeit  eine  Kultstätte  von 
Gottheiten  zweifellos  griechischer  Herkunft  auf  dem  römischen  Forum, 
also  innerhalb  des  Pomeriums,  Platz  fand,  fiel  bereits  den  Alten  auf  ^)  und 
bedarf  um  so  mehr  der  Erklärung,  als  die  Verehrung  des  Castorf)  schon 
früh  auch  im  öffentlichen  Leben  eine  Rolle  spielt,  indem  er  zum  Patron 
der  Ritterschaft  wird  und  die  seit  der  Censur  des  Q.  Fabius  Maximus 
450  =  304  alljährlich  am  15.  Juli  stattfindende  Reiterparade  (transvectio 
equitum)  mit  einem  Opfer  an  ihn  beginnt.^)  Der  in  den  unteritalischen 
Griechenstädten,  namentlich  in  Lokri,  Tarent,  Rhegium  u.  a.,  blühende 
Kult  der  Dioskuren  ist  von  dort  aus  vordringend  schon  früh  in  Mittel- 
italien heimisch  geworden:  wir  kennen  aus  litterarischen  und  inschrift- 
lichen Zeugnissen  Tempel  des  Castor  und  Pollux  oder  der  Castores'^)  in 
Capua  (CIL  X  3778.  3781),  Larinum  (CIL  IX  724),  Asisium  (Henzen  6126), 
Cora  (CIL  X  6505  f.),  Ardea,»)  Ostia»)  und  vor  allem  in  Tusculum.i»)  Ist 
es  auch  unmöglich,  das  Alter  dieser  verschiedenen  Lokalkulte,  die  sämt- 
lich ziemlich  hoch  hinauf  zu  reichen  scheinen,  im  einzelnen  festzustellen, 
so  lässt  sich  doch  in  einem  Falle  die  zeitliche  Priorität  des  ausserrömi- 
schen  Dioskurendienstes  vor  dem  römischen  noch  mit  Sicherheit  erweisen. 
Während  es  in  Rom  auffällt,  dass  der  Kult  der  Castores,  obwohl  griechi- 
scher Herkunft,  von  den  durch  die  sibyllinischen  Bücher  eingeführten 
Gottesdiensten  streng  geschieden  ist  und  nie  zum  Amtsbereiche  der  Xviri 
sacris  faciundis  gehört  hat,^^)  insbesondere  auch,  dass  die  Dioskuren  nie 


»)  Dion.  Hai.  a.  a.  0.  Plut.  Coriol.  3. 

«)  CIL  I*  p.  308.  Ovid.  fast.  1 705  ff. ;  vgl. 
Lyd.  de  mens.  lY  18. 

')  So  meinte  Aüst,  De  aedib.  sacr.  p.  43; 
dagegen  Jordak,  Ephem.  epigr.  I  p.  286. 
MoMMSEN,  CIL  I<  p.  308.  Eher  könnte  der 
von  Philocalus  zum  8.  April  verzeichnete 
nataiis  Ccmtoris  et  Pollucia  einer  der  Re- 
stitutionen angehören. 

*)  Strabo  V  232  (von  Jobdän,  Topogr. 
I  2  S.  370  A.  77  arg  missverstanden):  Deme- 
trios  Poliorketes  gibt  seiner  Befremdung 
darfiber  Ausdruck,  dass  die  Römer  iv  fikv  tu 
avoQ^  JtoaxoiJQwy  Uqov  l^Qvaafxipov^  xi,fjtdv 
ovs  ndvtB^  atatrJQai  6vo/4ttiotHnyy  ei^  (f^  ttjy 
'EXXä^a  nifinei^v  rrjp  ixeiytoy  ittti^iSa  rovg 
XerjXatijaovtas, 

*)  Hinter  dem  älteren  Bruder  tritt,  wie 
im  Namen  des  Tempels  (s.  oben),  so  auch 
sonst  im  Kulte  Pollux  (aber  die  Bildung  des 
Namens  PoUuces,  Pollux  aus  TloXv^evxtjg  s. 
Jordan,  Krit.  Beitr.  S.  29)  sehr  zurück, 
spielt  jedenfalls  keinerlei  selbständige  Rolle 
(vgl.  die  Anekdote  bei  Suet.  Caes.  10.  Cass. 
Dio.  XXXVII  8,  2). 


«)  Dion.  Hai.  VI  18,  4  und  über  den 
ganzen  Akt  Mommsen,  Staatsr.  III  493. 

')  So  inscbHftlich  CIL  II  1287.  VI  85. 
413.  XII  2821.  XIV  2576. 

")  Serv.  Aen.  I  44;  der  Tempel  war  ur- 
alt nach  Plin.  n.  h.  XXXV  17. 

»)  CIL  XIV  376;  über  die  ludi  Castoris 
s.  unten. 

*®)  Cic.  de  div.  I  98;  aeditui  Castoris  et 
Pollucis  CIL  XIV  2620.  2629.  2637.  2639. 
2918,  auch  VI  2202  f.  Daher  zeigen  die 
Goldmünzen  des  L.  Servius  Sulpicius  Rufus 
(710/11  =  44/48,  Babelon  a.  a.  0.  II  475) 
zur  Erinnerung  an  die  Einnahme  von  Tus- 
culnm  durch  seinen  Vorfahren  Servius  Sul- 
picius im  J.  377  =  377  (Liv.  VI  38)  auf  dem 
Avers  die  Köpfe  der  Dioskuren,  auf  der 
Rückseite  die  Mauern  von  Tusculum. 

'')  Mebokliks  Hypothese  (Jahrb.  f.  Philol. 
LXXV  1857,  626  f.),  welcher  durch  Kombi- 
nation von  Dion.  Hai.  II  64,  3  und  VI  13, 4 
zu  der  Vermutung  gelangt,  der  Dienst  der 
Castores  sei  den  Tribuni  celerum  als  Vor- 
stehern der  Ritterschaft  zugewiesen  gewesen, 
ist  ansprechend,  aber  unbeweisbar. 


218 


Religion  und  Enltiui  der  Bömer.    IL  GAtterlehre. 


bei  den  Lectisternien  erscheinen,  verdanken  wir  einer  Notiz  des  Festus 
(p.  313,  vgl.  347)  die  Nachricht,  dass  im  tusculanischen  Castordienste  pulvi" 
naria  vorkamen,  also  der  Ritus  der  Lectisternien  obwaltete.  Da  nun  der 
Brauch  solcher  Götterbewirtungen  gerade  im  griechischen  Dioskurenkulte 
zu  Hause  ist,^)  so  haben  hier  offenkundig  die  Tusculaner  das  ursprüng- 
liche Ceremoniell  bewahrt,  während  die  Römer  den  Kult  nicht  direkt  von 
den  Griechen,  sondern  eben  von  Tusculum  übernahmen  und  ihn  darum  so 
wenig  als  einen  griechischen  empfanden,  dass  sie  ihm  wie  einem  ein- 
heimisch latinischen  seine  Stätte  intra  pomerium  anwiesen.  Eine  Erinne- 
rung an  den  tusculanischen  Ursprung  der  Dioskurenverehrung  hat  sich 
nicht  nur  in  der  Legende  erhalten,  die  ihre  Einführung  in  Rom  gerade 
mit  der  Schlacht  am  See  Regillus  verknüpfte,  in  welcher  die  Tusculaner 
unter  Octavius  Mamilius  die  Hauptgegner  der  Römer  waren  (Schwegleb, 
Rom.  Gesch.  H  60  ff.),  sondern  auch  darin,  dass  römische  Familien,  die 
ihre  Herkunft  aus  Tusculum  ableiteten,  wie  die  Cordii  und  Fonteji,  die 
Köpfe  der  Dioskuren  auf  ihren  Münzen  führten.^)  Wie  sich  in  Rom  häufig 
der  Begriff  rezipierter  Gottheiten  verengt  hat,  so  scheinen  hier  die  Dios- 
kuren im  Staatskulte  nie  anders  denn  als  die  Patrone  der  Ritterschaft 
und  Beschützer  ritterlicher  Übungen,  also  auch  der  Wagenrennen,  auf- 
gefasst  worden  zu  sein:  daher  gelten  im  Circus  die  eiförmigen  Zeichen 
{ova)y  durch  deren  Herabnehmen  man  die  Zahl  der  erledigten  Umläufe 
kontrollierte,  als  ihnen  geweiht,')  und  ein  jüngerer  Tempel  des  Castor 
und  PoUux  lag  beim  Circus  Flaminius.^)  Dass  man  für  das  älteste  römische 
Silbergeld  zum  Reverstypus  die  mit  eingelegter  Lanze  nebeneinander  dahin- 
sprengenden  Dioskuren  wählte,  hat  mit  dem  Kulte  der  Castores  nichts 
zu  thun,  sondern  beruht  auf  Herübernahme  einer  unteritalischen  Prägung; 
ebenso  hängt  die  Wahl  des  Dioskurentypus  für  die  Darstellung  der  Lares 
praestites  (s.  oben  S.  151)  und  der  Penates  publici  p.  R.  Q.  (s.  oben  S.  147) 
mit  dem  Gottesdienste  am  Forum  nicht  zusammen :  man  bedurfte  für  diese 
in  der  Zweizahl  gedachten  Gottheiten  des  Bildes  eines  engverbundenen 
Götterpaares,  und  die  lanzenbewehrten  Dioskuren  erschienen  in  beiden 
Fällen  geeignet,  die  göttlichen  Vertreter  eines  kriegerischen  Volkes  dar- 
zustellen.^) Die  Auffassung  der  Dioskuren  als  Retter  zur  See  ist  zwar 
der  römischen  Litteratur  aus  der  griechischen  wohl  bekannt,^)  im  Staats- 
kulte aber  kam  sie  nicht  zum  Ausdruck,  und  keine  der  erhaltenen  Weih- 
inschriften bezieht  sich  auf  Rettung  aus  Seegefahr,  "^j     Dagegen  scheint  in 


')  F.Dbnbkbn,  De  iheoxeniis  (Diss.  Berol. 
1881)  p.  4  ff. 

')  Babelon,  Mono,  conaul.  I  383  (Denare 
des  M'.  Cordius  Rufus;  vgl.  dazu  Boroubsi, 
Oeuvres  1 270  und  Dbssau  zu  CIL  XIV  2603). 
503  ff. 

^)  Tert.  de  spect.  8  singula  omamenta 
drei  singula  templa  sunt:  ova  hon  ort  Ca- 
storum  adscribunt,  qui  illos  ovo  editos  cre- 
dendo  de  cygno  love  non  erubescunt;  von 
einer  aedicula  oder  gar  aedes  ist  keine  Rede, 
und  damit  erledigt  sich  der  Versuch  Mohm- 
SBKS  (CIL  P  D.  315),  den  natcdis  Castoris  et 
Pollucis  am  8.  Aprü  (s.  oben  S.  217  Anm.3) 


hierher  zu  beziehen. 

*)  Vitr.  IV  8,  4;  Stiftungstag  am  13.  Aug., 
CIL  P  p.  325. 

^)  Den  Dioskuren  in  Delphi  weiht  T. 
Quinctius  Flamininus  nach  dem  Siege  über 
Philipp  von  Makedonien  silberne  Schilde  mit 
metrischer  Aufschrift,  Plut.  Flam.  12  =  Prk- 
OER,  Inscr.  gr.  metr.  nr.  93. 

«)  Hör.  c.  I  3,  2.  12,  25  ff.  IV  8,  31  f. 
Senec.  nat.  qu.  I  1.  13.  Plin.  n.  h.  II  101  u.  a. 

')  Gbütbr  1016,  3  (ob  felicetn  in  pa- 
triam  redüum  sujyeratis  tot  naufragü  peri- 
cvUis)  ist  eine  Fälschung,  s.  CIL  VI  3199*. 


B.  Di  noTensideB  itAlisoher  Herkanft.    41.  HercvleB.  219 

der  Hafenstadt  Ostia  die  Verehrung  von  Castor  und  Pollux  wesentlich  in 
diesem  Sinne  stattgefunden  zu  haben:  jedenfalls  fasste  man  den  Dienst 
in  der  Kaiserzeit  so  auf,^)  wo  das  —  gewiss  alte  —  Fest  der  Gastores  in 
Ostia  alljährlich  am  27.  Januar  von  Rom  aus  durch  den  Stadtpraetor, 
später  durch  den  Praefectus  urbi  begangen  wurde.  ^)  Sonst  sind  Zeug- 
nisse für  den  Kult  der  Dioskuren  aus  der  Kaiserzeit  in  Italien^)  wie  in 
den  Provinzen*)  selten,  etwas  häufiger  nur  in  Gallia  Narbonensis,*)  wo 
man  Pollux  mit  dem  einheimischen  Gotte  Vintius  identifizierte  (CIL  Xu 
2561  f.):  alle  sind  aber  so  farblos,  dass  für  das  Verständnis  der  Götter 
aus  ihnen  nichts  Wesentliches  zu  entnehmen  ist.  So  bleibt  in  der  Stellung 
der  Dioskuren  zur  römischen  Volksreligion  manches  dunkel,  namentlich 
wie  man  dazu  kam,  bei  Castor  und  Pollux  in  der  Weise  zu  schwören, 
dass  die  Beteuerung  ecastor  oder  mecastor  den  Frauen  vorbehalten  blieb, 
wähi'end  edepol  von  diesen  seltener  angewendet  wurde  als  von  den  Män- 
nern:*) eine  Volksetymologie  mag  dabei  mit  im  Spiele  sein,^)  aber  das 
Wunderbarste  liegt  darin,  dass  die  Dioskuren  überhaupt  für  das  römische 
Volk  zu  Schwurgöttern  wurden,  namentlich  Pollux,  der  doch  sonst  hinter 
dem  Bruder  ganz  verschwindet. 

Litteratur:  M.  Albbbt,  Le  culte  de  Castor  et  Pollux  en  Italie,  Paris  1883  (dilet- 
tantisch, s.  H.  Jobdan,  Deutsche  Litt.-Zeit.  1883,  1503  ff.).  D.  Vaolisbi  bei  Ruooibbo.  Dizion. 
epigr.  11  132  ff. 

41.  Hercules.  An  die  Geschichte  des  römischen  Herculeskultes 
knüpfen  sich  eine  Reihe  ausserordentlich  schwieriger,  zum  Teil  wohl 
überhaupt  nicht  mit  Sicherheit  zu  beantwortender  Fragen.  Schon  darüber 
kann  man  im  Zweifel  sein,  an  welcher  Stelle  Hercules  in  das  System  der 
römischen  Staatsgottheiten  einzureihen  ist:  wenn  er  hier  an  dieser  Stelle, 
im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  den  Castorenkult,  zur  Behandlung  kommt, 
so  ist  das  darum  geschehen,  weil  wir  in  beiden  Fällen  zweifellos  grie- 
chische Gottesdienste  vor  uns  haben,  die  jedoch  —  im  Gegensatze  zu  den 
auf  Grund  sibyllinischer  Orakel  rezipierten  griechischen  Kulten  von  Apollo, 
Ceres  u.  s.  w.  —  seit  alter  Zeit  innerhalb  des  Weichbildes  angesiedelt 
worden  sind:  der  Grund  für  diese  Ausnahmestellung  ist  bei  Hercules  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  derselbe  wie  bei  den  Dioskuren,  nämlich  die 
Thatsache,  dass  die  Römer  ihn  ebenso  wie  die  Dioskuren  nicht  direkt 

>)  Amm.  Marc.  XIX  10,  4:  im  J.  359  »)  CIL  V  4154.   VI  85.   413.  X  38.  XI 

tritt  nach  langandauemden  StQrmen,  welche      8777. 


die  Verproviantierung  der  Stadt  verhindert 
hahen,  plötzlich  Meeresstille  ein,  dum  Ter- 
tullus  (der  Stadtpräfekt)  apud  Ostiam  in 
aede  sacrxficat  Castorum;  hierauf  bezieht 
sich  auch  der  Tadel  des  Papstes  Gelasius 
(Thiel,  Epist.  pontif.  Rom.  I  p.  603):  Casto- 


*)  CIL  II  2100.  2122;  Suppl.  6070.  III 
493.  1287.  2743.  VIII  6940.  8193.  Obelu 
1568  f.  1993. 

ft)  CIL  XII  1904.  2526.  2821.  2999. 

')  Varro  bei  Gell.  XI  6,  nach  dem  auch 
edepol  ursprQnglich  nur  weiblicher  Schwur 


res  (Thibl  will  mit  Unrecht  pastorea  lesen)   '  gewesen  wäre  (so  auch  Chans,  p.  198);  doch 


resiri  certe,  a  quorum  ctdtu  desistere  nölu 
istis,   cur   vobts   opportuna   maria   minime 
praehuerunt? 

*)  Weihgedicht  des  Praetor  nrbanus 
Catius  Sabinus  (Cos.  II  216  n.  Chr.)  CIL  XIV 
1  =  BuBCHBLBR,  Auth.  opigr.  nr.  251.  [Aethic] 
cosmogr.  p.  83  Riese.  Amm.  Marc.  a.  a.  0. ; 
das  Datum  bei  Polem.  Silv.  CIL  I*  p.  308,  p.  XIV  f. 
vgl.  MomcsBN,  Staatsr.  II  1021. 


ergibt  für  den  plautinischen  Sprachgebrauch 
die  Statistik  von  Th.  Hubrich,  De  diis  Plau- 
tinis  Terentianisque  (Diss.  Regiment.  1883) 
p.  127  ein  starkes  Ueberwiegen  der  von 
Männern  gebrauchten  edepol  und  pol. 

^)  Gewöhnlich    denkt   man    an    castus) 
anders  Tb.  Birt,  De  Romas  urbis  nomine 


220  Religion  und  Knltas  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 

von  den  Griechen,  sondern  durch  Vermittlung  einer  latinischen  Nachbar- 
gemeinde  übernommen  haben.  Dass  der  römische  Herdes,  Hercoles,  Her- 
cules kein  andrer  ist  als  der  rezipierte  griechische  Herakles,  beweist  schon 
der  Name,  den  wir  in  seinen  Wandlungen  auf  italischem  Boden  mühelos 
verfolgen  können.^)  Denn  die  Angabe  des  Dionysios  von  Halikarnass 
(I  40,  6),  dass  der  Gott  an  vielen  Orten  Italiens  seine  heiligen  Bezirke 
und  Altäre  habe  und  man  nicht  leicht  eine  Gegend  finde,  die  seinen  Kult 
nicht  kenne,  wird  durch  die  inschriftlichen  und  sonstigen  Zeugnisse  im 
vollen  Umfange  bestätigt:  insbesondere  zeigt  uns  die  hervorragende  Rolle, 
die  der  Herculeskult  bei  den  Oskern  Campaniens  spielt,  den  Weg,  auf 
dem  der  griechische  Gott  nach  Latium  kam.  Unter  den  Griechenstädten 
Unteritaliens,  von  denen  die  meisten  den  Hercules  an  bevorzugter  Stelle 
verehren,  weist  namentlich  Cumae  in  seinen  Heraklessagen  so  deutliche 
Beziehungen  zu  den  Erzählungen  auf,  die  später  als  Ursprungslegende  des 
römischen  Herculeskultes  galten,^)  dass  wir  wohl  hier  Ausgangspunkt  und 
Centrum  des  gesamten  italischen  Herculesdienstes  zu  suchen  haben.  Den 
Weg,  auf  dem  dieser  Kult  in  früher  Zeit  von  Campanien  her  in  Latium 
eindrang,  im  einzelnen  zu  verfolgen,  sind  wir  nicht  mehr  im  Stande:  jeden- 
falls besitzen  die  Hauptstädte  der  latinischen  Landschaft,  Tusculum  (CIL 
X  3808),  Praeneste,*)  Lanuvium  (Tertull.  ad  nat.  H  7)  und  namentlich  Tibur 
alten  Herculesdienst,  und  der  Gedanke,  dass  dieser  erst  von  Rom  dahin 
verpflanzt  sei,  ist  bei  der  weiten  Verbreitung  dieser  ganzen  Religion  un- 
bedingt von  der  Hand  zu  weisen.  Vielmehr  führt  umgekehrt  vom  tibur- 
tinischen  Hercules^)  die  Brücke  direkt  zum  römischen  hinüber.  Der  Stadt- 
gott des  Herculeum  Tibur  (Prop.  HI  32,  5  u.  a.)  ist  Hercules  Victor 
(seltener  Invictus^)  genannt),  dessen  Dienst  durch  Salier  ausgeübt^)  und 
dessen  reicher  Tempelschatz  durch  Weihungen  von  decumae  genährt  wird:^) 
der  Kult  steht  in  enger  Beziehung  zu  dem  des  Juppiter  Praestes,  dessen 
Altar  nach  dem  Zeugnisse  der  Inschrift  CIL  XIV  3555  lovi  Praestiii  Her- 
cules Victor  dicavit,  Blandus  pr(aetor)  restituit  als  von  Hercules  selbst  ge- 
gründet angesehen   wurde.  ^)    Dies  Verhältnis  kehrt  ganz  analog  in  Rom 


')  Die  den  Uebergang  zwischen  'Hga- 
xX^g  und  Herdes  bildende  unsynkopierte 
Form  ist  in  osk.  Hereklos  erhalten;  vgl.  im 
allgemeinen  Jordan,  Krit.  Beitr.  S.  15  ff. 
MoMMSBNs  früherer  Versuch,  Hercules  von 
lat.  liercere  (herciscere)  abzuleiten  (ünterital. 
Dial.  S.  262),  ist  von  ihm  selbst  später  auf- 
gegeben  worden   (vgl.  Rom.  Gesch.  I  178). 

•)  Pbbllbb,  Griech.  Mythol.  II  213  f.; 
Rom.  Mythol.  II  280  f.;  vgl.  auch  R.  Rbitzek- 
STEIN,  Ined.  poet.  graec.  fragm.  II  11.  24. 

»)  CIL  XIV  2890-2892;  vgl.  Jordan, 
Observat.  Roman,  subsicivae  (1883)  p.  10  ff. 

*)  Ueber  Herculeskult  nnd  Hercules- 
tempel  von  Tibur  s.  Bormann,  Altlatin.  Cho- 
rographie  S.  225  ff.   Borsari,  Notiz,  d.  Scavi 


')  CIL  I  1113  =  XIV  3541  Herculei  C, 
Antestius  Cn.  f.  cens{or)  decuma  facta  ite- 
rum  dat. 

')  Wenn  derselbe  Mann  auch  den  Altar 
CIL  XIV  3556  lunoni  Argeiae  C.  Blandus 
procos.  errichtet,  so  beweist  das  bei  der 
verschiedenen  Entstehungszeit  beider  Wei- 
hungen nichts  für  einen  inneren  Zusammen- 
hang  der  tiburtinischen  Kulte  von  Hercules 
und  Juno,  sondern  nur,  dass  jener  C.  Rubel- 
lius  Blandus  (Consul  unter  Tiberius,  s.  Aber 
ihn  Drssau  zu  CIL  XIV  3576  und  Prosop. 
imp.  Rom.  III  136  nr.  82)  sich  die  Wieder- 
herstellung alter  oder  angeblich  alter  Kult- 
wahizeichen  seiner  Vaterstadt  Tibur  ange- 
legen sein  Hess:  denn  Tibur  galt  bekannt- 


1887,  25  ff.  Dessau,  CIL  XIV  p.  367  f.  lieh  wegen  seines  Junokultes  (s.  oben  S.  114  f.) 

*)  CIL  XIV  3545.  3548.  4234.  i   für  Argeo  posiium  colono  (Hör.  c.  II  6,  5j 

*)  Macr.  S.  III  12,  7.    Serv.  Aen.  VIII  und  die  dortige  Juno  Quiritis  fttr  identisch 

285  und  Inschriften,  s.  CIL  XIV  p.  577.  \   mit  der  argivischen  Hera. 


B.  Di  noveiuiides  italisoher  Herkunft.    41,  HeronleB. 


221 


wieder,  wo  unfern  des  alten  Herculesheiligtumes,  der  Ära  maxima,  bei 
der  Porta  Trigemina  ein  Altar  des  Juppiter  Inventor  lag,  den  die  Legende 
von  Hercules  selbst  errichtet  sein  liess:^)  hier  zeigt  schon  ein  Vergleich 
der  Beinamen  des  Juppiter,  Inventor  und  Praestes,^)  welcher  von  beiden 
Kulten  die  ältere  und  ursprünglichere  Fassung  enthält.  In  Rom  lag  der 
alte  Altar  des  Hercules,  nachmals  im  Gegensatze  zu  den  zahlreichen 
jüngeren  Kultstätten  des  Gottes  als  ara  maxima  bezeichnet,  unterhalb  der 
Westecke  des  Palatins  am  Forum  boarium,')  nahe  dem  Eingange  des 
Circus  maximus  {post  ianuas  drei  maximi  Serv.  Aen.  VHI  271,  vgl.  Schol. 
Juv.  8,  13):  er  war  dem  Hercules  Invictus*)  geweiht  und  wurde  für 
eine  Stiftung  des  Euander  angesehen;^)  für  das  hohe  Alter  der  Gründung 
sprach  jedenfalls  die  bescheidene  Ausstattung  der  heiligen  Stätte  (ti; 
xa%aax€vij  nokv  ti^q  io^tfi  xaxadsäaxBQoq  Dion.  Hai.  I  40,  6),  die  ausser  aus 
dem  Altar  aus  einem  eingefriedigten  und  konsekrierten  Täfievog  bestand,^) 
in  das  sich  dem  Volksglauben  nach  weder  Hunde  noch  Fliegen  hinein- 
wagten. 7)  Nach  dem  ausdrücklichen  Zeugnisse  des  Tacitus  (ann.  XH  24) 
lag  dieses  Heiligtum  innerhalb  des  noch  zur  Zeit  des  Gewährsmannes 
durch  cippi  bezeichneten  Pomeriums  der  alten  palatinischen  Ansiedlung, 
und  wenn  diese  Angabe  auch  nicht  beweist,  dass  die  Ara  maxima  bereits 
zur  Zeit  des  antiquum  oppidum  Palatinum  bestand,  so  sichert  sie  doch 
die  Thatsache,  dass  sie  nie  anders  als  intra  pomerium  gelegen  hat,  der 
Kult  also  trotz  der  griechischen  Herkunft  des  Gottes  sakralrechtlich  nicht 
als  ein  fremder  behandelt  wurde.  Die  zwar  von  allerlei  aetiologischen 
Erfindungen  überwucherte,  aber  in  ihrem  Kerne  gewiss  zuverlässige  Über- 
lieferung^) berichtet,  die  Ausübung  des  Kultes  habe  zwei  patrizischen 
Geschlechtern,  den  Potitii  und  Pinarii,  als  soUemne  familiae  ministerium 
(Liv.  I  7,  14)  in  der  Weise  angehört,  dass  die  Potitii  die  eigentliche  Vor- 


^)  Jiog  EvQßciov  ßwfMg,  og  iaxi,  xijg 
'hüfÄfjg  naQ(<  Tfl  TgM/Äfp  Tivkij  Dion.  Hai.  I 
39,  4;  aram  .  .  patri  Inventori  . .  ubi  Tri- 
gemina nunc  porta  Solin.  1,  7;  8U&  Aventino 
Inventori  patri  [Aur.  Vict.]  origo  6,  5;  lup- 
piter  allein  Ovid.  fast.  I  579. 

')  Analogien  zum  Namen  bieten  ausser 
den  Lares  praestites  (s.  oben  8.  151)  die  um- 
brische  Prestota  (Bxtbohblbb,  Umbricap.  98) 
und  die  verschollene  römische  Göttin  Prae- 
stana  (Amob.  IV  3)  oder  Praestitia  (Tert.  ad 
nat.  II  11);  vgl.  auch  oben  S.  108  Anm.  7. 

')  Ueber  die  topographischen  Fragen  s. 
Db  Rossi,  Annali  d.  Inst.  1854,  28  ff.  Klubg- 
MANN,  Arch.  Zeit.  XXXV  1877, 107  ff.  Jordan, 
Topogr.  I  2  S.  477  ff.  Hülsen,  Rom.  Mitteil. 
VII  1892,  294. 

^)  Diese  Bezeichnung  geben  (mit  einer 
Ausnahme)  die  Praetoreninschriften  (s.  unten), 
die  Beischriften  des  Festkalenders,  Varro 
bei  Macr.  S.  III  12,  6  u.  a. ;  dagegen  beziehen 
sich  die  ältesten  inschriftlichen  Zeugnisse 
fUr  den  Beinamen  Victor  nicht  auf  den  Kult 
an  der  Ara  maxima  (CIL  VI  331.  IX  4672  = 
I  541  f.),  wo  diese  Bezeichnung  erst  im  Ge- 
folge der  Erzählung  von  der  Besiegung  des 


Gacus  Eingang   und  Uebergewioht  gewann. 

*)  Strab.  V  230.  Dion.  Hai.  I  40,  2.  Plut. 
Qu.Rom.90.  Tac.ann.XV41.  Serv.  Aen.  VIII 
269;  vgl.  Plin.  n.  h.  XXXIV  33.  Verg.  Aen. 
VIII  271.  Die  andere  Version,  nach  welcher 
Hercules  selbst  seinen  Altar  und  Kult  grtln- 
det  (Prop.  V  9,  67.  Ovid.  fast.  I  581.  Liv.  IX 
34,  18,  vgl.  I  7,  11.  Solin.  1,  10},  ist  sicher 
jünger  und  fiberträgt  die  Erzählung  von  der 
Stiftung  des  Altars  des  Juppiter  Inventor 
auf  die  Ara  maxima. 

•)  So  Strab.  V  230;  Ugoy  d^ioXoyoy  Dion. 
Hai.  IV  21,  4;  fanum  Tac.  ann.  XV  41. 

')  Varro  bei  Plut.  Qu.  Rom.  90  (iytog  raSy 
TtiQißoXfoy).  Plin.  n.  h.  X  79  (in  aedem).  So- 
lin. 1,  10  {consaeptum  sacellum);  vgl.  Cleni. 
Alex,  protr.  II  38  (HgaxXi^s  *An6f4vioi). 

')  Das  Material  bei  Schwbglbb,  Rom. 
Gesch.  I  353  f.  (hinzuzufügen  CIL  VI  313). 
Die  genaueste  Kunde  scheint  noch  Vergil 
zu  verraten,  welcher  unterscheidet  Aen.  VIII 
269  f.  primusque  Potitius  auctor  et  domus 
Herculei  custos  Pinaria  sacrif  was  die 
Scholien  nicht  mehr  verstehen  und  verschie- 
dentlich autoschediasmatisch  erklären. 


222 


Religion  nnd  KnltiM  der  Römer,    ü.  Qötterlehre. 


standschaft  innehatten,  während  den  Pinarii  die  Bewachung  des  Heilig- 
tums und  wahrscheinlich  der  untergeordnete  Opferdienst  oblag,  bis  in  der 
Censur  des  Ap.  Claudius  Caecus  442  =  312  die  Übernahme  dieses  Gentil- 
kultes  auf  den  Staat  erfolgte:  wenn  hinzugefügt  wird,  dass  zur  Strafe 
für  die  Preisgabe  der  gentilen  Herculesverehrung  die  Gens  Potitia  inner- 
halb kürzester  Frist  bis  auf  den  letzten  Mann  ausgestorben  sei,  so  soll 
damit  der  Thatsache  Rechnung  getragen  werden,  dass  das  Geschlecht  in 
der  Zeit  der  ausgehenden  Republik  nicht  mehr  existiert;  für  die  andere 
Thatsache,  dass  die  Gens  Pinaria  weiterbestand  (Mohhsen,  Rom.  Forsch. 
I  IIB),  ihre  Beteiligung  am  Herculesdienste  der  Ära  maxima  aber  auf- 
gehört hat,  erhalten  wir  keine  Erklärung.  Die  Verstaatlichung  geschah 
in  der  Weise,  dass  von  nun  an  einmal  alljährlich  von  Staats  wegen  an 
der  Ära  maxima  durch  den  Praetor  urbanus  ein  Opfer  dargebracht  wurde, 
während  Aufsicht  und  Tagesdienst  beim  Heiligtume,  also  die  Geschäfte 
des  Aedituus,  von  servi  publici  ausgeübt  wurden.^)  Die  Opferhandlung 
beim  Jahresfeste  fand  graeco  rüu  statt,*)  d.  h.  der  opfernde  Praetor  han- 
delte unbedeckten  Hauptes, s)  aber  mit  Lorbeer  bekränzt;^)  das  Opfei*tier 
war  eine  vom  Joche  noch  nicht  berührte  Färse,^)  die  Weinspende  geschah 
aus  dem  angeblich  von  Hercules  selbst  zurückgelassenen,  mit  Pech  ge- 
dichteten Holzbecher  {scyphus,  Serv.  Aen.  VHI  278);  im  Gegensatze  zu  der 
beim  römischen  Opfer  üblichen  generalis  invocatio  (s.  oben  S.  33)  durfte 
hier  keines  andern  Gottes  Name  genannt  werden  (Yarro  bei  Plut.  Qu. 
Rom.  90).  Ob  dies  Ritual  in  allen  Stücken  genau  dasselbe  ist  wie  das, 
welches  zu  der  Zeit  galt,  als  der  Kult  noch  ein  sacrum  gentilicium  der 
Potitii  und  Pinarii  war,  oder  ob  bei  der  Übernahme  auf  den  Staat  Ab- 
änderungen des  Ceremoniells  im  Sinne  eines  engeren  Anschlusses  an  grie- 
chische Kultsitte  vorgenommen  worden  sind,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu 
entscheiden;  letzteres  wird  dadurch  wahrscheinlich  gemacht,  dass  ein  so 
gut  unterrichteter  Autor  wie  Vergil^)  von  Bekränzung  mit  Pappellaub 
und  von  Tänzen  und  Gesängen  von  Saliern  an  der  Ära  maxima  zu  er- 
zählen weiss:  wollen  wir  darin  nicht  einfach  willkürliche  Erfindungen 
erblicken,  so  können  wir  diese  Angaben  über  ein  von  dem  späteren  vei*- 
schiedenes  Ritual  nur  auf  die  Zeit  vor  der  Verstaatlichung  des  Kultes 
beziehen  und  müssen  annehmen,  dass  die  beiden  wahrscheinlich  aus  Tibur 
stammenden*^)  Familien  der  Potitii  und  Pinarii  den  Gott  zu  Rom  in  der 
Weise  ihrer  Heimat  verehrten,  indem  sie  gentilizische  Salierkollegien  (wie 


^)  Dies  letztere  drückt  die  Ueberliefe- 
rung  so  aus,  dass  die  Potitii  ab  Appio  Clau- 
dio praemio  corrupH  sacra  servis  publicis 
prodiderunt  (Macr.  S.  III  6,  10).  Da  diese 
Staatssklaven  doch  in  keinem  Falle  ein 
Priestertum  wahrnehmen  können,  so  ist 
MoMMSBNs  (De  colleg.  et  sodalic.  p.  12)  Auf- 
fassung des  ganzen  Vorganges  {,,n(m  sacrum 
sed  aacerdotium  cesserunt  reipviblicae*  Po- 
titii) unmöglich. 

«)  Varro  bei  Macr.  S.  III  6,  17.  Serv. 
Aen.  VIII  276.  Liv.  I  7,  3;  ^valay  'EXXfjyixrjy 
Strab.  V  230,  e^eaiv  tlkXfjyixoh  Dion.  Hai.  I 


40,  3. 

»)  Macr.  S.  III  6,  17.  Serv.  Aen.  111  407. 
VIIl  288 

*)  Macr.  S.  III  12,  2.  Serv.  Aen.  VIH  276. 

^)  iuvenca  Varro  de  1.  1.  VI  54;  nCvya 
^itfiaUv  Dion.  Hai.  a.  a.  0. ;  hos  eximia  Liv. 
I  7,  12. 

»)  Aen.  VIII  276  -288  (danach  Prud.  c. 
Symm.  I  120  f.);  die  Priester  heissen  bei 
ihm  V.  282  pellibus  in  moretn  cincti, 

^)  Tiburtinische  Inschrift  des  Gn.  Pina- 
rius  Severus,  Consuls  unter  Trajan,  CIL 
XIV  3604. 


B.  Di  noTensides  italisoher  Herkunft.    41.  HerouleB.  223 

die  Luperci  Quinctiales  und  Fabiani)  bildeten.  Das  praetorische  Opfer  an 
der  Ära  maxima  hat,  wie  die  in  der  Gegend  des  Heiligtums  gefundenen, 
aus  dem  2.-4.  Jahrhundert  n.  Chr.  stammenden  Inschriften  von  Praetores 
urbani  (CIL  VI  312 — 319)  beweisen,  bis  in  die  Zeit  Constantins  bestanden. 
Der  Tag  desselben  ist  nicht  überliefert,  wird  aber  durch  eine  annähernd 
sichere  Kombination  erschlossen:  nach  den  Hemerologien  (fast.  Allif.  und 
Amit.)  fand  am  12.  August  ein  Opfer  statt  Herculi  invicto  ad  circum 
maxim{um)y  es  war  dies  also  der  Stiftungstag  eines  der  Ära  maxima  be- 
nachbarten Herculestempels,^)  der  offenbar  ebenso  neben  diese  getreten 
war,  wie  die  aedes  Martis  in  campo  neben  die  alte  ara  Martis  (oben  S.  133), 
und  dessen  natalis  nach  römischem  Brauche  (s.  Aust,  De  aedib.  sacris 
p.  34  ff.)  ebenso  auf  den  alten  Jahresfesttag  der  Ara  maxima  gelegt  war, 
wie  z.  B.  der  Stiftungstag  des  Saturntempels  auf  die  Saturnalia.  Ein 
zweiter  Tempel  des  Hercules  Invictus  lag  nicht  weit  davon  an  der  Porta 
Trigemina,  also  bei  dem  Altar  des  Juppiter  Inventor,^)  und  beging  nach 
dem  Zeugnisse  der  Fasti  Allif ani  sein  Stiftungsfest  am  13.  August:  es 
bezeugen  also  Lage,  Stiftungstag  und  Beiname  in  gleicher  Weise  die  enge 
Zusammengehörigkeit  beider  Heiligtümer,  ohne  dass  wir  allerdings  diese 
sonst  weiter  zu  verfolgen  im  Stande  wären. 

Wenn  der  Herculeskult  der  Ara  maxima,  wie  oben  wahrscheinlich 
gemacht  wurde,  bei  seiner  Verstaatlichung  Abänderungen  im  hellenisie- 
renden  Sinne  erfuhr,  so  erklärt  sich  das  daraus,  dass  schon  vor  jenem 
Akte  neben  dem  tiburtinischen  Familiendienste  auch  die  rein  griechische 
Verehrung  des  Hercules  in  Rom  Eingang  gefunden  hatte.  Schon  bei  dem 
ersten  Lectisternium,  das  die  Orakelbewahrer  im  Pestjahre  355  =  399 
auf  Veranlassung  sibyllinischer  Orakel  anordneten,  erscheint  Hercules,*) 
und  er  behält  diesen  Platz  auch  bei  den  Wiederholungen  dieser  Cere- 
monie  bis  zu  dem  grossen  Zwölfgötter-Lectisternium  des  J.  537  =  217, 
in  dem  er  keine  Stelle  mehr  findet  (Liv.  XXII  10,  9);  dafür  hatte  er  aber 
im  vorausgehenden  Jahre  536  =218  zusammen  mit  Juventas  ein  eignes 
Lectisternium  und  eine  supplkatio  bei  seinem  Tempel  erhalten,*)  und  30 
Jahre  später  (566  =  188)  wurde  in  aede  Herculis  Signum  dei  ipsius  ex 
decemvirorum  response  aufgestellt  (Liv.  XXXVIII  35,  4).  Bei  all  diesen 
Nachrichten  ist  der  Gedanke  an  den  Hercules  der  Ara  maxima  (und  der 
benachbarten  Heiligtümer)  ausgeschlossen,  da  wir  das  ausdrückliche  Zeugnis 


*)  Es  war  nach  Vitr.  fll  3,  5  ein  araeo- 
atyler  und  nach  etruskischer  Weise  mit  Thon- 
ornamenten  ausgeschmückter,  also  offenbar 
recht  alter  Tempel,   der  von  Gn.  Pompejus 


malte  (Plin.  n.  h.  XXXV  19).  Vgl.  über  die 
Scheidung  dieser  Tempel  Wissowa,  Analecta 
Romana  topographica  p.  9  ff. 

•)  Varro  bei  Macr.  S.  III  6,  10  =  Serv. 


wiederhergestellt   oder   neu   ausgeschmückt      Aen.VlII  363;  auch  Flut.  Qu.  Rom.  60  denkt 


wurde,  weshalb  ihn  Vitruv  als  aedes  Herculis 
Pompeianiy  Plin.  n.  h.  XXXIV  57  als  aedes 
Fotnpei  Magni  bezeichnet  (vgl.  auch  Plin. 
n.  h.  XXXV  157.  Martial.  XIV  178).  Ver- 
schieden von  ihm  ist  ein  am  Forum  boarium 
gelegener  Rundtempel  des  Hercules,  den 
L.  Aemilius  PauUus  baute  oder  wiederher- 
stellte {Äemiliana  aedes  Fest.  p.  242  nach 
ScALiOBRS  Emendation)  und   Pacuvius  aus- 


an  das  Heiligtum  bei  Porta  Trijgemina,  wenn 
er  die  Ara  maxima  als  dveiy  ßoifiüiy  tov 
fieiCoycc  bezeichnet. 

»)  Liv.  V  13,  6.    Dion.  Hai.  XII  9. 

*)  Liv.  XXI  62,  9:  Romae  quoque  et 
lectisternium  luventati  et  supplicatio  ad 
aedem  Hei'cuJis  nominatim,  denique  unirerso 
populo  circa  omnia  pulvinaria  indicta;  s. 
dazu  WissowA  a.  a.  0.  p.  12. 


224  Religion  und  Enltns  der  Römer.    II.  OOtterlehre« 

besitzen:  apud  aram  maximam  observatum,  ne  ledisternium  fiat;^)  obwohl 
griechischer  Herkunft  und  graeco  rüu  verehrt,  hat  dieser  ohne  Mitwirkung 
der  sibyllinischen  Bücher  in  Rom  eingedrungene  Gott  mit  dem  Ritus  der 
Lectisternien  und  den  verwandten  Kultakten  des  decemviralen  Amtskreises 
keine  Berührung.  Es  muss  also  mindestens  im  J.  536  =  218  auch  einen 
auf  Sibyllenspruch  hin  errichteten  Tempel  des  griechischen  Herakles  in 
Rom  gegeben  haben,  und  dies  war  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  aedes 
Herculis  Magni  Custodis  in  circo  Maminio,  deren  Stiftungstag  nach  den  Fasti 
Venusini  und  Ovid  (fast.  VI  209  flf.)  auf  den  4.  Juni  fiel:*)  Ovid  bezeugt, 
dass  seine  Erbauung  durch  sibyllinische  Orakel  angeordnet  worden  war 
(v.  210  Euboico  carmine)  und  dass  die  Inschrift  Sulla  als  den  Vollender  des 
Baues  nannte  (v.  212  SuUa  probavit  opus):  dieser  suUanische  Bau  war  aber 
gewiss  nur  die  Wiederherstellung  eines  älteren  Tempels,  dessen  Bedeutung 
schon  daraus  hervorgeht,  dass  sein  als  sacrum  Herculi  sogar  in  den  Bauern- 
kalender (CIL  P  p.  280)  aufgenommener  Stiftungstag  noch  in  der  Kaiser- 
zeit eine  grosse  Rolle  spielt  und  durch  Circusspiele  gefeiert  wird.')  Wie 
Ovid  hier  den  Wiederhersteller  des  Tempels,  Sulla,  an  Stelle  des  ersten 
Gründers  nennt,  so  hat  er  das  Gleiche  auch  bei  der  Erwähnung  der  eben- 
falls in  Circo  Flaminio  gelegenen  aedes  Herculis  Musarum  gethan,  die  wir 
nach  seinen  Worten  (fast,  VI  797  flf.  zum  30.  Juni)  für  eine  Neuschöpfung 
des  L.  Marcius  Philippus  halten  müssten,  wenn  wir  nicht  durch  anderweitige 
Zeugnisse  darüber  unterrichtet  wären,  dass  jener  nur  der  Wiederhersteller 
des  von  M.  Fulvius  Nobilior  nach  der  Eroberung  von  Ambracia  (565  = 
189)  gestifteten  Tempels  war.^)  Die  griechische  Herkunft  auch  dieses 
Kultes  steht  ausser  Frage;  wir  haben  also  in  Rom  zwei  Gruppen  von 
Herculesheiligtümern,  die  des  tiburtinischen  Hercules  beim  Circus  maximus 
und  die  des  griechischen  beim  Circus  Flaminius,  und  sie  verhalten  sich 
zu  einander  etwa  so  wie  die  beiden  Castortempel  am  Forum  und  beim 
Circus  Flaminius;  die  Regel  des  Vitruv  (I  7,  1),  man  müsse  Tempel  bauen 
Herculi,  in  quibus  civitatibus  non  sunt  gymnasia  neque  amphitheatra,  ad  circum, 
ist  wohl  nur  aus  den  thatsächlichen  römischen  Verhältnissen  abstrahiert 
und  berechtigt  nicht  zu  Schlüssen  auf  eine  innere  Beziehung  des  Hercules 
zu  den  Circusspielen.  Ein  vor  der  Porta  Collina  gelegenes  Herculis  iem- 
plum  wird  nur  einmal  bei  Gelegenheit  von  Hannibals  Erscheinen  vor  Rom 
im  J.  543  =211    erwähnt^)  und  war  vielleicht   ebenso  nur  eine  kleine 


M  Cornelius  Balbos  bei  Macr.  S.  III  6, 16.  ebensowenig  erklärt,  wie  das  von  Lyd.  de 

Serv.  Aen.  VIII  176.  mens.  IV  46  zum  3.  April  notierte  Fest  des 

')  In  den  Fasti  Vallenses  ist  das  Opfer  |   'HgaxX^s  iniyixios  ola  vyielag  ^otiJQ. 

durch  Verwechslung  mit  dem  Hercules  In-  |           *)  Eumen.   de  restaur.  schol.  7.    Suet. 

victus  am  Circus  maximus  zum  12.  August  ,  Aug.  29.  Macr.  S.  I  12,16.   PI ut.  Qu.  Rom.  59. 

notiert;  vgl.  Mommsek,  CIL  I*  p.  324  (gegen  !   Plin.  n.  h.  XXXV  66.     Cic.  pro   Archia  27. 

AusT,  De  aedib.  sacris  p.  28)  und  im  allge-  ;   Serv.  Aen.  I  8 ;    vgl.   Klübgmann  a.  a.  O. 

meinen  Elübomann,  Commentat.  Momnisen.  p.  262  ff. 


p.  266  f.    WissowA  a.  a.  0.  p.  12  f. 

')  Philocal.  und  Polem.  Silv.,  s.  Mom- 
SEK  CIL  I*  p.  319  und  dazu  Bist.  Aug. 
Commod.  16,  5.  Der  bei  Philocalus  mit 
c{ircense8)  m{i8sus)  XXIV  verzeichnete 
fi{atali8)  Herculis  (vgl.  Auson.  de  fer.  23  f. 
natalis  Herculeus)  am  1.  Februar  ist  noch 


^)  Liv.  XXVI  10,  3.  Aus  diesem  Heilig- 
tume  stammt  vielleicht  die  (bei  San  Lorenzo 
fuori  le  mura  gefundene)  Peperinbasis  dee 
Diktators  M.  Minucius  vom  J.  537  =  217 
(CIL  VI  284  =  I  1503:  Hercolei  sacrom 
M.  Miniici  C.  f.  dictator  vovit;  vgl.  Klubo- 
MANN,  Arch.  Zeit.  XXXV  109  f.)  und  die  beim 


B.  Di  noveiiBideB  italisoher  Herknnffc.    41.  Heroules. 


225 


aedicula  privater  Gründung  wie  das  von  L.  Mummius  Achaicus  gestiftete 
Heiligtum,  dessen  Inschrift  (CIL  VI  331  =  I  541)  erhalten,  ist,  und  zahl- 
reiche sonstige  Herculeskapellen  in  und  um  Rom. 

Eine  einschneidende  Bedeutung  für  die  Religionsübung  des  täglichen 
Lebens  haben  die  griechischen  Herakleskulte  des  Circus  Flaminius  nicht 
gewonnen;  um  so  grösser  ist  die  Popularität  des  an  der  Ära  maxima  ver- 
ehrten Gottes.  Die  namentlich  durch  A.  Härtung  und  A.  Reifferscheid 
geistreich  begründete  und  neuerdings  wieder  von  R.  Peter  mit  umfassender 
Gelehrsamkeit  verfochtene  Hypothese,  dass  in  diesem  Kulte  der  griechische 
Name  einen  italischen  Gott  decke  und  man  hier  älteste  einheimische  Re- 
ligionsvorstellungen, ja  sogar  etwas  wie  einen  Ansatz  zu  einer  eignen 
italischen  Mythologie  noch  wiedergewinnen  könne,  findet  bei  einer  kriti- 
schen Betrachtung  der  Thatsachen  des  Kultes  keine  Stütze.  Der  am 
meisten  ins  Auge  fallende  Brauch  im  Gottesdienste  der  Ära  maxima  ist 
die  dort  übliche  Weihung  von  decumae  mit  den  daran  sich  anschliessenden 
Yolksbewirtungen.  Ausgegangen  ist  dieser  Brauch  ganz  sicher  vom  kauf- 
männischen Verkehr,  in  welchem  man  bei  einem  gefahrvollen  und  un- 
sicheren Geschäfte  den  göttlichen  Beistand  sich  dadurch  sicherte,  dass 
man  dem  Hercules  durch  Gelübde  eine  Gewinnbeteiligung  {pars  Herculanea, 
Plaut.  Truc.  562)  in  Aussicht  stellte;  dass  das  die  Grundanschauung  ist, 
zeigen  sowohl  die  Stellen  der  Komödie,  an  denen  dieser  Sitte  gedacht 
wird,i)  als  die  Erzählung  bei  Macr.  S.  IH  6,  11  =  Serv.  Aen.  VIH  363: 
M.  Octavius  Hersenn  us,  von  Haus  aus  Pfeifer,  gibt  diese  Kunst,  in  der 
er  nicht  das  gehörige  Fortkommen  findet,  auf  und  widmet  sich  dem  Handel, 
wobei  er  den  zehnten  Teil  des  Gewinnes  dem  Hercules  als  Anteil  gelobt 
und  weiht;*)  bei  der  Fortsetzung  dieses  Geschäftsbetriebes  wird  er  einst 
von  Seeräubern  überfallen,  bleibt  aber  in  tapferer  Gegenwehr  Sieger,  und 
zwar,  wie  er  nachher  durch  einen  Traum  erfährt,  vermöge  des  Beistandes 
des  Hercules,  dem  er  darum  einen  Tempel  und  eine  Statue  mit  der  Auf- 
schrift Hercules  Victor  weiht.  Da  der  Name  des  Helden  nach  Tibur  ge- 
hört,') so  ist  die  Erzählung  offenbar  für  das  dortige  Heiligtum  des  Her- 
cules Victor  bestimmt,  und  die  Seeräubergeschichte  ist  nur  deshalb  er- 
funden, um  den  mit  der  Verehrung  des  Gottes  durch  die  Kaufleute  scheinbai* 
im  Widerspruche  stehenden  Beinamen  Victor  zu  erklären.  Wenn  später 
Leute  wie  Crassus  von  ihrem  ganzen  Vermögen  den  Zehnten  dem  Her- 
cules darbringen,*)  so  ist  das  nur  eine  protzenhafte  Weiterbildung  jenes 


Bau  des  Finanzministeriams  gefundene  In- 
schrift Ephem.  emgr.  IV  734  =  CIL  VI  30899 
(vgl.  Jordan,  Hennes  XIV  572).  Haltlose 
Kombinationen  bei  G.  Bossi,  Stndj  e  Docu- 
menti  di  Storia  e  Diritto  XI  1890.  75  ff. 

1)  Am  deutlichsten  Plaut.  Stich.  232  f.: 
haec  venüsae  tarn  opus  est  quantum  polest, 
ut  decumam  partetn  HerciUi  polluceam;  386 
HerctUes  decumam  esse  adauctam  tibi,  quam 
rovi,  grcUtdor;  vgl.  Bacch.  665  f.;  Mosteil. 
984.    Naev.  com.  26-29  Ribb. 

')  Wie  eine  Illustration  dazu  liest  sich 

die  Inschrift  der  Vertuleii  von  Sora  CIL  X 

5708  =  I  1175  =  BuEOHELEB,  Anth.  epigr. 

HftDdbnch  der  kla«.  AltertamiwiaeiiMhAft.    Y.  i. 


nr.  4):  quod  re  sua  d[if]feidefis  asper  afteicta 
(vgl.  Macr.  a.  a.  0.  postquam  arti  suae  dif- 
fisus  est)  parens  titnens  heic  vovit,  voto  hoc 
solut[o  de]cuma  facta  poloucta  leibereis  lu- 
betes  donu  danunt  Hercolei  maxsume  mereto, 
semol  te  orant  se  [v]oti  crebro  condemnes. 
Andre  Weihungen  von  decumae  aus  Tibur 
CIL  XIV  3541.  Aquila  IX  3569,  Garsioli  IX 
4071*,  Capua  X  3956. 

')  Ein  Octavius  Hersennius  hat  nach 
Macr.  S.  III  12.  7  ein  Buch  de  sacris  salia- 
ribus  Tiburtium  geschrieben;  vgl.  auch 
Dessau  CIL  XFV  p.  367  Anm.  2. 

*)  Plut  Grass.  2;  vgl.  Sulla  35;  Qu.  Rom. 

15 


226 


Religion  und  Ealtas  der  Römer,    n.  Götterlehre. 


Brauches,  und  auch  wenn  die  Triumphatoren  von  der  Kriegsbeute  den 
Zehnten  dem  Hercules  abgeben,  i)  findet  das  seine  Erklärung  darin,  dass 
nach  ursprünglicher  Auffassung  die  Beute  ebenso  den  Ertrag  des  Kriegs- 
zuges  darstellt,  wie  der  Öeschäftsgewinn  den  der  Handelsfahrt,  nicht  etwa 
in  besonderen  kriegerischen  Eigenschaften  des  Gottes  der  Ära  maxima.^) 
Die  Darbringung  der  Decuma  findet  innerhalb  einer  Frist  von  10  Tagen, 
nachdem  der  Gelobende  voH  reus  geworden  ist,  statt,')  und  zwar  in  Form 
eines  Opferschmauses,  bei  dem  alle  essbaren  und  trinkbaren  Dinge  (omnia 
esculenta  poculenta  Fest.  p.  253)  zugelassen  sind.  Diese  Zehntengabe  wurde 
als  Ganzes  dem  Hercules  geweiht  (dafür  gilt  der  Ausdruck  pollucere^)), 
aber  nur  ein  geringer  Teil  davon  blieb  im  Tempel,  das  Meiste  wurde  am 
Abend*)  dem  Volke  preisgegeben  (profanare)  und  zur  Bewirtung  desselben 
verwendet:  das  Volk  erschien,  ebenso  wie  der  Darbringende,  mit  Lorbeer 
bekränzt,  ö)  bei  der  Darbringung  waren  ursprünglich  die  Potitii,  später 
Staatssklaven  als  Gehilfen  thätig  (Fest.  p.  237);  eine  eigne  Verordnung  be- 
stimmte, dass  von  dem  ganzen  Schmause  nichts  übrig  bleiben  durfte.^) 
Dieses  ganze  Ceremoniell  ist  von  Anfang  bis  zu  Ende  unrömisch:  die  Be- 
kränzung mit  Lorbeer  ist  ebenso  sicher  griechisch,  wie  die  Volksbewirtung 
und  überhaupt  der  ganze  Brauch  der  Zehntendarbringung,^)  die  uns  in 
Rom  sonst  nur  noch  gegenüber  Apollo,  also  ebenfalls  einem  rein  griechi- 
schen Gotte,  begegnet.^)  In  denselben  Anschauungskreis  wie  die  Decuma 
gehört  das  propter  viam  genannte  Opfer,  das  man  in  Rom  dem  Hercules 
—  jedenfalls  an  der  Ära  maxima  —  bei  Antritt  einer  Reise  {proficiscendi 
gratia)  brachte  r^^)  auch  für  dies  Opfer  gilt  die  eben  bei  der  Decuma  er- 
wähnte Bestimmung,  dass  vom  Opfermahle  nichts  übrig  bleiben  durfte, 
sondern  etwaige  Reste  verbrannt  werden  mussten  (Macr.  S.  H  2,  4),  und 
der  innere  Zusammenhang  zwischen  beiden  Akten  ist  offenbar  der,  dass 
man  bei  dem  Opfer  propter  viam  den  Zehnten  gelobte,  den  man  nach  glück- 
lichem Ausgange  der  Reise  darbrachte.  Hier  ist  deutlich  Hercules  überall 
in  erster  Linie  als  göttlicher  Beschützer  des  Verkehrs,  speziell  des  Handels- 

18.  Dion.  Hai.  I  40,  6.  Diod.  IV  21,  3,  wo  He- 
rakles geradezu  verspricht  roTg  ev^afjiipotg 
'HQttxXel  TiyV  ovalay  avfißtjfferav  lov  ßloy 
evdaifjioviaxBQOP  ex6iy. 

»)  CIL  IX  4672  =  I  542.  Posidonius 
FHG  III  262  =  Athen.  IV  163  C,  vgl.  V  221  F. 
Bei  dieser  Gelegenheit  wird  die  Bekleidung 
des  Herculesbildes  mit  dem  Triumphal- 
gewande  erfolgt  sein,  von  der  Plin.  n.  h. 
XXXIV  33  spricht. 

")  Vgl.  MoMMSEH  CIL  P  p.  149  f.  240. 

')  Das  ist  der  Sinn  der  Worte  des  Varro 
sat.  Menipp.  frg.  413  Buech.  =  Macr.  S.  III 
12,  2:  matores  solitos  decimam  Herculi  vovere 
nee  decem  dies  intermittere,  quin  poll'ocerent 
ac  popitlutn  aavfißoXoy  cum  Corona  laurea 
dimitterent  cubitum, 

*)  Ueber  poUucere  und  profanare  s. 
LCbbbbt,  Comment.  pontific  p.  3  fl.  Mab- 
QUABDT,  Staatsverw.  III  148  ff. 

*)  Serv.  Aen.  VIII  269:  ut  mane  et 
vespere  ei  (dem  Hercules)  sacrificaretur ;  per- 
fecto  itaque  matutino  sacrificio  cum  circa 


solis  occasum  essent  sacra  repetenda  u.  s.  w. 
(folgt  die  Erwähnung  des  Schmauses). 

«)  Varro  a.  a.  0.  Macr.  S.  III  12,  3  = 
Serv.  Aen.  VIII  276. 

*)  Serv.  Aen.  VIII  183:  ad  aram  maxi- 
mam  aliquid  servari  de  tauro  nefas  est: 
nam  et  corium  eius  ma^ndunt;  die  ebenda 
gemachte  damit  unvereinbare  Angabe  de  hoc 
hove  immolato  Herculi  cames  carius  vende- 
bantur  causa  religionis  et  inde  alter  redi- 
mehatur,  qui  ex  illius  pretio  comparattts 
quasi  perpetuus  esse  videhati4r,  ist  erfunden, 
um  die  Worte  Vergils  perpetui  tergo  hovi^f 
zu  erklären. 

*)  Ueber  ttjy  xsQ^itoy  dexatBvfAara 
(Callim.  epigr.  39,  6)  vgl.  Hebxakn- Stark, 
Gottesdienstl.  Altert.  §  20,  4;  über  Volks- 
bewirtungen Stengel,  Kultusalt>ert.  S.  80  ff. 

*)  Camillus  bei  der  Belagerung  von  Veji, 
s.  ScHWEGLEB,  Röm.  Gosch.  III  214;  vgl. 
auch  CIL  VI  29  =  I  187. 

'0)  Fest.  p.  229;  vgl.  Plaut.  Rud.  150. 


B.  Di  noTensides  italifloher  Herkunft.    41.  HerouleB.  227 

Verkehrs  und  des  damit  verbundenen  Gewinnes  aufgefasst,^)  eine  Vor- 
stellung, die  im  griechischen  ^HQaxXrjg  rjYs/^ioviog  vorgebildet  ist;  auch  in 
späterer  Zeit  kommt  diese  Anschauung  noch  in  der  geläufigen  Verbindung 
von  Hercules  mit  Mercurius^)  sowie  darin  zum  Ausdruck,  dass  Hercules 
über  die  Richtigkeit  von  Gewicht  und  Münze  wacht.')  Dass  unter  diesen 
Umständen  die  Ära  maxima  als  ein  geeigneter  Ort  erscheint,  um  dort 
Schwüre  abzulegen  und  Verträge  abzuschliessen  (Dion.  Hai.  1 40, 6),  ist  eben- 
sowenig auffallend,  wie  der  Ausschluss  der  Frauen  von  diesem  Kulte  und 
vom  Schwüre  bei  Hercules.*)  Der  ausserordentlich  geläufige  Schwur  mehercle 
ist  es  vor  allem  gewesen,  der  durch  den  Vergleich  mit  der  Beteuerungs- 
formel me  dius  fidius  die  römischen  Gelehrten  veranlasste,  Hercules  mit 
Dius  Fidius  und  damit  auch  mit  Semo  Sancus  (s.  oben  S.  120  f.)  zu  identifi- 
zieren, wobei  die  Etymologie  des  Aelius  Stilo  Dius  Fidius  =  Diovis  filius 
Beistand  leistete;^)  doch  hinderte  das  andere  Gelehrte  nicht,  Hercules 
vielmehr  für  identisch  mit  Mars  zu  halten,  weil  beide  durch  Salier  ver- 
ehrt wurden.^)  Während  diese  letztere  Identifikation  von  der  neueren 
Forschung  mit  vollem  Rechte  als  eine  verunglückte  Hypothese  beiseite 
geschoben  worden  ist,  hat  die  erstgenannte  Aufnahme  und  weitere  Aus- 
bildung gefunden,  indem  man  annahm,  dass  der  vorausgesetzte  italische 
Gott,  der  sich  unter  der  Maske  des  griechischen  Herakles  verstecke,  kein 
anderer  sei  als  eben  Dius  Fidius  oder  der  —  wie  man  annahm  —  im 
Grunde  von  diesem  nicht  verschiedene  Genius  oder  speziell  der  Genius 
Jovis.  Für  diese  Hypothese  hat  Reifferscheid^)  in  bestechender  Argu- 
mentation namentlich  eine  Reihe  von  Bildwerken  ins  Feld  geführt,  in 
denen  Hercules  teils  in  feindlichem  Gegensatze,  teils  in  inniger  Verbindung 
mit  Juno  erscheint,  und  dies  aus  dem  bekannten  Verhältnisse  von  Genius 
und  Juno  als  göttlichen  Vertretern  der  beiden  Geschlechter  (s.  oben  S.  154) 
erklärt.  Aber  so  gern  man  auch  zugeben  wird,  dass  die  anderweit  ver- 
suchten Deutungen  dieser  Darstellungen  nicht  befriedigen,  so  wenig  ist 
es  doch  zulässig,  aus  diesen  Denkmälern  verschiedenster  Herkunft,  von 
denen  keines  zum  Kulte  und  speziell  zum  römischen  Kulte  die  geringste 
Beziehung  hat  —  es  handelt  sich  um  eine  Spiegelzeichnung  aus  Praeneste, 
eine  Kandelaberbasis  aus  Perusia,  einen  Goldring  etruskischen  Fundortes 
und  um  Henkelstützen  etruskischer  Gefasse  — ,  Folgerungen  für  die  reli- 
giösen Vorstellungen  der  Römer  zu  ziehen:  angenommen,  diese  Darstellungen 
brächten  wirklich  —  was  ich  weit  entfernt  bin  zu  glauben  —  mytholo- 
gische Beziehungen  italischer  Götter  zum  Ausdrucke,  so  würden  sie  doch 

>)  Aehnlich  schon  Mommsen,  Rom.  Gesch.   i   Prop.  V  9,  69.    Gell.  XI  6,  2;  vgl.  auch  Ter- 


I  178:  «als  Gott  des  gewagten  Gewinns  und 
der  ausserordentlichen  Vermögensvermeh- 
rung .  .  .  Oberhaupt  der  Gott  der  kaufmän- 
nischen Verträge*. 

«)  CIL  III  633.  VI  46.  VIII  2498.  XII 


tull.  ad  nat.  II  7. 

6)  Varro  de  1.  1.  V  66.  Fest.  p.  229. 
Paul.  p.  147.  Prop.  V  9,  71  flf.  Chans,  p.  198. 
17  K.   Tertull.  de  idol.  20. 

•)  Varro  bei  Macr.  8.  III  12,  5  ff.   Serv. 


1904  und  mehrfach  auf  Bildwerken  (s.  R.  !   Aen.  Vlli  275. 

Pbteb  in  Roschers  Lexik.  I  2961);  Hercules  !           ')  Annali  d.  Inst.  1867,  352  ff.;  danach 

und  Fortuna  z.  B.  CIL  IX  4674.  dann    die    bequeme  Znsammenstellung  und 

■)  Hercules  ponderum  CIL  VI  336,  vgl.  |   Würdigung   des  ganzen  Denkmälervorrates 

282;   Weihungen  von  Münzarbeiten  CIL  VI  mit  Abbildungen   bei  R.  Pbtbr  in  Roschers 

44.  298.  Lexik.  I  2259  ff. 

*)  Plut.  Qu.  Rom.  60.    Macr.  S.  I  12,  28. 


15 


^* 


228  Beligion  und  Kultus  der  Römer,    ü.  GOtterlehre. 

als  Zeugnisse  nur  für  die  Religionsvorstellungen  ihrer  speziellen  Heimat, 
also  Etruriens,  gelten  können,  für  die  Deutung  etruskischer  Denkmäler 
aber  haben  wir  wieder  kein  Recht  dasjenige  heranzuziehen,  was  uns  vom 
römischen  Genius  und  Dius  Fidius  bekannt  ist.^)  Dazu  kommt  weiter, 
dass  die  Annahme  der  Identität  von  Dius  Fidius  und  Genius  oder  Genius 
Jovis,  die  für  die  ganze  Hypothese  Ausgangspunkt  und  Grundlage  bildet, 
nicht  nur  unbeweisbar,  sondern  auch  sicher  unzutreffend  ist.  Für  die 
Identität  von  Dius  Fidius  und  Hercules  würde  die  Nachricht  des  Plutarch 
(Qu.  Rom.  28)  sprechen,  man  habe  die  Knaben  angewiesen,  otuv  ofivvaun 
Tov  ^HgaxXäa  ...  elg  vnai^gov  nQoiävai  (s.  oben  S.  121),  wenn  nicht  offenbar 
Plutarch  hier  einer  Quelle  folgte,  die  von  dem  Brauche  sprach,  bei  Dius 
Fidius  nur  unter  freiem  Himmel  zu  schwören,  und  dabei  einfach  Hercules 
für  den  nach  seiner  Meinung  mit  ihm  identischen  Dius  Fidius  einsetzte. 
Dass  in  der  oskischen  Weihinschrift  von  Agnone  Hereklos  das  Beiwort 
kerriios  =  genialis  erhält,  darf  schon  deshalb  nicht  als  Beweis  für  die 
Identität  von  Hercules  und  Genius  angeführt  werden,  weil  er  dieses  Epi- 
theton dort  mit  einer  ganzen  Reihe  von  Gottheiten  teilt,  ja  es  spricht 
geradezu  gegen  die  Gleichsetzung,  da  man  das  Beiwort  genialis  allen  mög- 
lichen Göttern  zuteilen  kann,  nur  nicht  dem  Genius  selbst;  ebenso  liefern 
einen  Gegenbeweis  die  römischen  Weihinschriften,  in  denen  Hercules 
neben  dem  Genius  erscheint.*)  Die  Notiz  der  Berner  Yergilscholien  end- 
lich (zu  Ecl.  4,  62)  nobilibus  pueris  editis  in  atrio  domus  lunoni  Lucinae 
lecttis,  Herculi  mensa  ponebatur^)  weist  im  Vergleich  mit  der  Angabe  des 
Varro  bei  Nonius  p.  528  (vgl.  Serv.  Aen.  X  76)  natus  $i  erat  vüalis  . . .  diis 
coniugalibus  Püumno  et  Picumno  in  aedibus  lectus  stemebatur  auf  einen  jün- 
geren Brauch,  und  der  aus  der  Kombination  beider  Stellen  gezogene  Schluss, 
dass  auch  Juno  und  Hercules  als  di  coniugales  zu  fassen  seien,  ist  un- 
berechtigt: als  Ehegötter  konnten  doch  nur  der  Genius  des  Hausvaters 
und  die  Juno  seiner  Gattin  verehrt  werden,  hier  ist  aber  Juno  ausdrück- 
lich als  Lucina  bezeichnet,  also  als  Geburtsgöttin  aufgefasst.  Wenn  neben 
sie  Hercules  tritt,  so  thut  er  das  in  seiner  Eigenschaft  als  Hercules  domesticus 
(CIL  XIV  3542),  d.  h.  als  an  dem  Wohlergehen  des  Hauses  interessierter 
und  Unheil  von  ihm  abwehrender  Gott;  als  solcher  wird  er  insbesondere 
auf  dem  Lande  verehrt,^)  wo  er  häufig  mit  den  göttlichen  Beschützern 
des   ländlichen  Anwesens,   Silvanus   und  Liber,  vereint  angerufen  wird^) 

^)  Die  Bemerkung  von  ü.  von  Wila-  j  Ritus  der  Ära  maxima,  wo  man  sitzend, 
xowiTZ-MoBLLBMDOBFF,  EuHp.  Herakles  P  '  nicht  liegend,  schmaust  (Macr.  8.  III  6,  16) 
S.  25  Anm.  49  , übrigens  folgt  aus  der  Eni-      und  auch  eine  mensa  sich  befindet  (Macr. 


lehnung,  dass  es  unerlaubt  ist,  die  Vorstel- 
lungen, die  der  Latiner  mit  Hercules  ver- 
bindet, ohne  weiteres  auf  den  Campaner 
Samniten  Brettier  zu  übertragen,  vielmehr 
wird  nur  die  Differenziirung  ein  wissen- 
schaftlich haltbares  Ergebnis  liefern*,  trifft, 
wie  gewöhnlich,  den  Kernpunkt. 

0  z.  B.  CIL  VI  210-224.  226  f.   237; 


8.111  11,  7). 

*)  Porph.  zu  Hör.  sat.  II  6,  12:  undepu- 
tant  et  quod  res  rt^^tica  in  tutela  8Ü  eitis. 
nam  Uli  sctcrificia  reddunt  rustici,  cum  tu- 
vencos  domaverint.  Wenn  Commodus  einen 
Günstling  sacerdotio  Herculis  Rustici  prae- 
posuit  (Hist.  aug.  Comm.  10,  9),  so  handelt 
es  sich  wohl  um  einen  kaiserlichen  Privat- 


ebenso  steht  auf  den  pompejanischen  Penaten-      kult  auf  seinen  Landgütern. 


bildem  Helbio,  Wandgem.  nr.  69.  69  ^  Her- 
cules neben  dem  Genius. 

')  Dass  Hercules  nicht  einen  lecttu,  son- 
dern eine  sacra  mensa  erhfilt,  stimmt  zum 


B)  Alle  drei  CIL  VI  294,  Hercules  und 
8ilvanu8  sehr  oft,  z.  B.  CIL  VI  288.  293. 
295—297.  309  f.  u.  a.,  vgl.  auch  den  Altar 
bei  ViscoNTi-GuATTANi,  Mus.  Chiar.  Tf.  21. 


B.  Di  noTenaideB  italisoher  HerknnfL   41.  Hercules. 


229 


und  wie  diese  nach  den  einzelnen  Grundstücken  individualisierende  Bei- 
namen ffihrt;^)  auch  das  (in  den  Hemerologien  fehlende)  Opfer,  das  nach 
Macr.  S.  in  11,  10  am  21.  Dezember  dem  Hercules  und  der  Ceres  gemein- 
sam dargebracht  wurde,  sue  praegnate,  panibus,  mulso,  gilt  offenbar  diesem 
ländlichen  Hercules.  Den  Ausgangspunkt  für  diese  Verehrung  des  Her- 
cules als  Tutor  (CIL  X  3799  Herculi  Tutori  domus  Novelliana),  Defensor  (CIL 
VI  210.  308.  333),  Conservator  (CIL  VI  305—307  u.  a.),  Salutaris  (CIL  VI 
237.  338  f.)  u.  ähnl.  bildet  nicht  seine  Identität  mit  dem  Genius,  sondern 
die  griechische  Vorstellung  von  ^H^axl^g  äXs^ixaxog,^)  die  in  der  Anwen- 
dung auf  den  Schutz  des  Privathauses  durch  den  Gott  ihren  klarsten  Aus- 
druck findet  in  der  bekannten  Thüraufschrift  o  tov  Jiog  natg  xaXUvixog 
^HQaxkrjg  iv^dds  xaTOMcT,  fitjiiv  eigiärm  xaxov,^)  oder  in  lateinischer  Wieder- 
gabe (CIL  VI  329  =  BuECHELEB,  Anthol.  epigr.  nr.  23)  Hercules  invicte,  sande 
Silvani  nepos,  huc  advenisti:  ne  quid  hie  fiat  mali.  Damit  erklärt  sich  auch 
das  häufige  Vorkommen  des  Hercules  unter  den  Penaten,  welches  die 
pompejanischen  Bilder^)  und  zahlreiche  kleine  Bronze-Statuetten  des  Gottes 
bezeugen,  und  die  hervorragende  Rolle,  die  Hercules  als  comes  et  conser- 
vator dominorum  nostrorum  (CIL  VI  305)  auf  Weihinschriften  und  Münzen 
der  Kaiserzeit  spielt.  Wenn  sich  dagegen  die  Kaiser  selbst,  wie  nament- 
lich Nero,  Domitian,  Commodus  (s.  oben  S.  83),  Maximian  als  Hercules 
feiern  lassen,'^)  so  ist  dabei  an  den  unbesieglichen  Überwinder  aUer  Ge- 
fahren und  Ungeheuer  gedacht,  wie  ihn  der  griechische  Mythos  darstellte.^) 
Unter  den  Sagen,  in  welche  die  römische  Dichtung  und  Geschicht- 
schreibung in  Anlehnung  an  griechische  Vorbilder  den  Hercules  verflocht, 
ist  die  von  seinem  Abenteuer  mit  Cacus  darum  wichtig,  weil  man  in  ihr 
die  italische  Fassung  eines  uralten  indogermanischen  Mythos  zu  erkennen 
geglaubt  und  darum  aus  ihr  weitgehende  Schlüsse  auf  Alter  und  Wesen- 
heit des  italischen  Herculeskultes  gezogen  hat.^)  Und  doch  ist  gerade  in 
dieser  Erzählung  die  Übertragung  und  aetiologische  Umbildung  einer  grie- 
chischen Sage  aufs  deutlichste  zu  erkennen.  Die  zuerst  bei  Vergilt)  auf- 
tretende Erzählung  vom  feuerschnaubenden  Volcanussohne  Cacus,  der  dem 


0  z.  B.  Hercules  Aelianus  CIL  IX  1095, 
Coceeianus  VI  3687,  lulianua  VI  337  u.  a. 

>)  CIL  VI  309  wird  der  lateinische  Text 
Herculi  defenaori  Papirii  auf  der  Rückseite 
griechisch  mit  den  Worten  wiedergegeben 
HQaxXer  aXe^ixaxt^  naneiQioi. 

*)  Eaibel,  Epigr.  gr.  nr.  1138  und  dazu 
DiLTHET,  Epigrammata  graeca  in  mnris  picta 
duo  (Gottingae  1878)  p.  3-  10. 

«)  Vgl.  z.  B.  auch  Rom.  Mitt.  VIII  26. 

^)  Reiche  Materialsammlung  bei  R.  Pstsb 
in  Roschers  Lexik.  I  2980  ff. 

*)  Die  im  4.  Jhdt.  vorkommende  priester- 
liche Würde  eines  curialis  Herculis  (CIL  VI 
1779,  vgl.  1778,  Vettius  Agorius  Praetextatus) 
oder  ponHfex  Herculis  et  rector  decwriae 
HercuUae  (Bull.  arch.  com.  XX  1892,  57) 
ist  noch  nicht  befriedigend  erklärt;  in  der 
langen  Aafzfihlting  sakraler  Titel  CIL  VI  1779 
steht  sie  hinter  den  Staatspriestertümem 
(augur,  pontifex  Vestcie,  pontifex  Solis,  quin- 


decimvir)  und  vor  den  Priesterschaften  der 
Fremdkulte  (s.  oben  S.  87  Anm.  3). 

')  A.  Kuhn,  Ztschr.  f.  deutsch.  Altert. 
VI  1848,  117  ff.  M.  Bk&äl,  Hercule  et  Cacus, 
Paris  1863.  R.  Pbter  in  Roschers  Lexik.  I 
2279  ff.  Oldenberg,  Religion  des  Veda  S.  144. 
Zum  folgenden  s.  Wissowa,  Real-Encycl.  III 
1165  ff.  Die  etruskische  Spiegelzeichnung 
mit  den  Beischriften  Cacu,  ArtÜe,  Caile  Vi- 
pinaa  und  Avle  Vipinas  (Gbbhakd-EObte, 
Etrusk.  Spiegel  V  Taf.  127,  vgl.  S.  166  ff.) 
wage  ich  bei  der  in  der  Erklärung  dieser 
ganzen  Denkmftlergattung  herrschenden  Un- 
sicherheit nicht  heranzuziehen;  vgl.  auch 
F.  MüHZEB,  Rhein.  Mus.  LIII  598  ff. 

8)Aen.VIII190ff.;  aus  ihm  Prep.  V  9, 1  ff. 
Ovid.  fast.  I  543  ff.;  jüngere  Fassung  bei  Liv. 
I  7,  3  ff.  Dion.  Hai.  I  39;  historisierende  Um- 
deutung  bei  Dion.  Hai.  I  42,  2  f.,  euhemeristi- 
sehe  Auffassung  bei  Serv.  Aen.  VIII  190  = 
Mythogr.  Vat.I  66.  II 153.  [Aur.  Vict.]  origo  6. 


230  Religion  and  KnltiiB  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 

schlafenden  Hercules  mit  listigem  Kniffe  einen  Teil  der  Rinder  des  Geryones 
stiehlt  und  zur  Strafe  dafttr  von  dem  Gotte  nach  vergeblicher  Gegenwehr 
in  seiner  flöhle  am  Aventin  erschlagen  wird,  ist  mit  offenbarer  Anlehnung 
an  die  griechischen  Sagen  von  den  Abenteuern  des  Herakles  mit  Alkyo- 
neus  und  Geryones  und  vom  Rinderdiebstahl  des  Hermes  erfunden  und 
im  einzelnen  derartig  ausgestattet,  dass  sie  der  aetiologischen  Erklärung 
der  römischen  Localität  und  ihrer  Heiligtümer  dient:  durch  den  Namen 
des  Forum  boarium,  die  benachbarten  Kulte  des  Hercules  Invictus,  Jup- 
piter  Inventor  und  vielleicht  auch  des  Euander,^)  endlich  die  von  der 
Gegend  der  Ära  maxima  nach  dem  Palatin  hinaufführenden  scalae  Caciae^) 
waren  alle  Elemente  der  Dichtung  gegeben,  deren  Ursprung  weit  über 
Yergil  hinaufzudatieren  wir  kein  Recht  und  keine  Veranlassung  haben. 
Zum  unmittelbaren  Vorbilde  hat  möglicherweise  eine  unteritalische  Sagen- 
version gedient,  da  die  Zeichnung  eines  capuanischen  Bronzegefässes 
(Monum.  d.  Inst.  V  25)  auf  eine  campanische  Erzählung  verwandten  In- 
haltes von  der  Bestrafung  eines  herdenraubenden  Unholdes  durch  Herakles 
hinzuweisen  scheint;^)  aber  Cacus  ist  der  Gegner  des  Hercules  sicher  erst 
in  Rom  genannt  worden,  wo  eine  alte  Göttin  Caca  bezeugt  und  die  ehe- 
malige Existenz  eines  Götterpaares  Cacus-Caca  sehr  wahrscheinlich  ist 
(s.  oben  S.  144  f.).  Wenn  Timaios  bei  Diod.  IV  21  von  zwei  angesehenen 
Bürgern  der  Palatingemeinde,  Kakios  und  Pinarios,  zu  erzählen  wusste,  die 
den  Herakles  gastlich  aufnahmen,  und  der  Annalist  Gn.Gellius  (bei  Solin.  1,  8) 
den  Cacus  zu  einem  Herrscher  am  Volturnus  machte,  der,  als  er  das  Gebiet 
der  (palatinischen)  Arkader  antastete,  von  Hercules  gestürzt  wurde,  so  sind 
das  selbständige  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ältere  aetiologische  Ver- 
suche, die  Cacustreppe  in  der  Nachbarschaft  des  Herculesbezirks  zu  erklären, 
während  die  ganz  vereinzelte  Angabe  des  Verrius  Flaccus,^)  dass  der  Gegner 
des  Cacus  nicht  Hercules,  sondern  ein  Hirt  Namens  Garanus  gewesen  sei, 
dem  man  wegen  seiner  ausserordentlichen  Körperkraft  den  Namen  Hercules 
gegeben  habe,  nur  eine  recht  nichtsnutzige  euhemeristische  Umdeutung  der 
Geschichte  vom  Kampfe  des  Hercules  und  Cacus  darstellt.  —  Das  burleske 
Märchen  von  Hercules  und  Acca  Larentina'^)  hat  mit  der  Religion  nichts  zu 
thun  und  geht  wahrscheinlich  in  seinen  Grundzügen  auf  eine  unteritalische 
Phlyakenposse  zurück.^)  Die  Erzählungen  endlich,  welche  die  Abschaffung 
der  Menschenopfer  in  Italien  und  die  Einführung  der  Argeerceremonie  mit 
der  Anwesenheit  des  Hercules  in  Rom  in  Verbindung  bringen  oder  ihn  in 
die  Stammbäume  latinischer  Königsgeschlechter  genealogisch  einreihen,  be- 
ruhen auf  dem  Bestreben,  die  älteste  römische  Geschichte  mit  der  griechi- 
schen zu  verknüpfen,  und  lassen  die  aetiologischen  Anhaltspunkte,  von 
denen  sie  ausgehen,  oft  noch  deutlich  erkennen.  7) 

Hennes  III  408  f.  und  zu  Pbbllbk,  Rom. 
Myth.  II  283,  4. 

*)  Macr.  S.  I  10,  12  flF.  Flut.  Rom.  5 ; 
Qu.  Rom.  85.  Tertull.  ad  nat.  II  10.  August, 
c.  d.  VI  7. 

*)  Zi£LiNSKi,Quae8tione8Comicae(PeterB* 
bürg  1887)  p.  113  ff.;  s.  auch  oben  S.  188 
und  WissowA,  Real-Encycl.  I  131  ff. 

7)  SoHWEGLEB,  Röm.  Gesch.  I  352—383. 


1)  Bion.  Hai.  I  32,  2  EväydQi^  &vaias 
dfAtt&oy  vno  'P(o/Aaioiy  änueXovfjiiyas  . . .  ngos 
. .  AvByjiyü)  . . .  rijg  TQidvfAOv  nvXijg  ov  noocto, 

«)  Solm.  1,  18.  Diod.  IV  21,  2;  vgl.  Flut. 
Rom.  20.  Notit.  urb.  reg.  VIII. 

')  Vgl.  dazu  auch  C.  Robbbt,  Hermes 
XIX  1884,  480. 

*)  Serv.  Aen.  VIII  203  {Garanus).  [Aur. 
Vict]  origo  6, 1. 8, 1  {Becaranus);  vgl.  Jobdan, 


B.  Di  noTenaideB  italisoher  Herknnft.    42.  Feronia.  231 

Schliesslich  sei  noch  der  Thatsache  Erwähnung  gethan,  dass  Hercules 
als  interpretatio  Romana  barbarischer  Götter  namentlich  in  den  germanischen 
und  keltischen  Provinzen  eine  hervorragende  Rolle  spielt,  wofür  der  Grund 
einerseits  in  einer  wirklichen  oder  vermeintlichen  Wesensverwandtschaft 
dieser  nordischen  Gottheiten  mit  ihm  zu  suchen  ist,  andererseits,  und  zwar 
in  noch  höherem  Masse,  darin,  dass  der  gegen  Gelobung  der  Decuma  Ge- 
winn und  Beute  verleihende  Gott  sowohl  beim  römischen  Kaufmannsstande 
wie  beim  römischen  Heere  in  besonders  hohem  Ansehen  stand  und  darum, 
etwa  wie  Mars  und  Mercurius,  als  nächstliegende  Gottheit  zur  Gleichung 
mit  den  neu  entgegentretenden  Hauptgöttern  der  fremden  Völker  mit 
Vorliebe  herangezogen  wurde ,  zumal  es  gerade  von  dem  vielgewanderten 
Helden  der  griechischen  Sage  sich  leicht  glaubhaft  machen  liess,  dass  er 
auf  seinen  Abenteuerfahrten  auch  in  die  entlegenen  Länder  des  Westens 
und  Nordens  gekommen  sei  und  dort  seinen  Kult  begründet  habeJ)  Wir 
finden  daher  in  diesen  Ländergebieten  nicht  nur  vielfach  epichorische 
Gottheiten  mit  dem  Namen  des  Hercules  bezeichnet,  wie  den  Hercules 
Saxanus  des  Brohlthales  oder  den  Hercules  Magusanus  der  Bataver,  sondern 
die  Namen  Mars,  Hercules,  Mercurius  bezeichnen  geradezu  eine  germanische 
Göttertrias,  die  nicht  nur  durch  Tacitus  (Germ.  9)  bezeugt  wird,  sondern 
uns  auch  in  den  Weihinschriften  der  keltisch-germanischen  Equites  sin- 
gulares  (s.  oben  S.  77),  vereinzelt  auch  sonst,  entgegentritt. 

Litteratur:  J.  A.  Härtung,  Ueber  den  rOmischen  Hercoles,  Erlangen  1835  und 
Religion  der  Römer  II  21  ff.  W.  Hillen,  De  Herculis  Romani  fabula  et  cultu,  Dissert. 
Monasterii  1856.  A.  Rbiffrbbcheid,  Annali  d.  Inst.  1867,  352  ff.  R.  Peter  in  Roschers 
Lexikon  I  2253  ff.  und  2901  ff. 

42.  Feronia.  Dass  Feronia  unter  die  römischen  Staatsgötter  gehörte 
und  einen  Tempel  im  Marsfelde  besass,  ist  erst  durch  den  Festkalender 
der  Arvalbrüder  festgestellt  worden,  der  zum  13.  November*)  notiert: 
Feroniae  in  [ca]mp(o);  dadurch  tritt  die  Nachricht  des  Livius  (XXII  1,  18), 
dass  im  J.  537  =  217  auf  sibyllinische  Weisung  die  Frauen  freigelassenen 
Standes  eine  Geldsammlung  veranstalteten,  um  der  Feronia  ein  Geschenk 
zu  machen,  erst  in  die  richtige  Beleuchtung;  denn  da  sie  bei  dem  Fehlen 
jedes  andern  Hinweises  zweifellos  auf  den  römischen  Tempel  zu  beziehen 
ist,  so  gewinnen  wir  damit  einen  festen  Terminus  ante  quem  für  die  Re- 
zeption der  Göttin.  Auf  die  Frage  nach  der  Herkunft  des  Kultes  gibt  die 
Behauptung  Varros  (de  1. 1.  V  74),  Feronia  gehöre  mit  Minerva  und  den 
Novensides  zu  den  von  den  Sabinern  entlehnten  Gottheiten,  keine  Ant- 
wort. Inschriftliche  Zeugnisse  lassen  uns  die  Verbreitung  des  Feronia- 
dienstes  im  ganzen  mittleren  Italien  mit  Ausnahme  des  eigentlichen  La- 
tium»)  erkennen:  sie  begegnet  uns  bei  den  Vestinern  (Aveja,  CIL  IX  3602), 
Sabinern,*)  Picentem  (Orelli-Henzen  6000),  ümbrern  (CIL  I  169)  und  im 
südlichen  Etrurien  (Nepet,  CIL  XI  3199);  ihre  beiden  bekanntesten  Kult- 


»)  z.  B.  für  Gallien  Diod.  IV  19,  für 
Germanien  Tac.  Germ.  3,  f&r  Britannien 
Parthen.  erot.  30  n.  b.  w. 

')  Ueber  den  Tag  s.  Elüegmakn,  Philol. 
XXVIII  492  f.    MoMMSKN  CIL  P  p.  335. 

')  FOr  Praeneste  beweist  die  Dichtung 
Vergils  (Aen.  VIII  561  £f.)i  der  den  mit  drei- 
fachem Leben  ausgestatteten  EOnig  Endus 


(oder  HeriUus)  von  Praeneste  zum  Sohne  der 
Feronia  macht,  nichts;  die  Inschrift  Orelli 
1756  =  CIL  XIV  284*  ist  gefluscht.  Mit 
der  ^Qtayitt  noXtg  in  Sardinien  bei  Ptol.  III 
3,  4  ist  nichts  anzufangen,  die  Kombinationen 
von  C.  MüLLBR  z.  d.  St.  sind  ganz  haltlos. 

*)   CIL    IX    4180.    4321    (Amitemum). 
4873—4875  (Trebula  Mutuesca). 


232 


Religion  und  Kultna  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


statten  aber  lagen  die  eine  bei  Tarracina,  die  andre  bei  Capena.  Am 
erstgenannten  Orte  befand  sich  etwas  vor  der  Stadt  (Plin.  n.  h.  11  146. 
Tac.  bist.  Hl  76)  ein  Hain  mit  einer  Quelle  ^)  und  ein  Tempel,  m  welchem 
die  Freigelassenen  mit  geschorenem  Haupte  den  pilleus,  das  Zeichen  der 
Freiheit,  zu  empfangen  pflegten,  und  wo  ein  Sessel  die  Inschrift  trug:  bene 
meriti  servi  sedeant,  surgant  liberi.*)  Weit  berühmter  noch  waren  Hain 
(lucus  Capenatis  Cato  frg.  30  Peter,  vgl.  Verg.  Aen.  VH  697)  und  Heiligtum 
der  Feronia  im  Gebiete  von  Capena  am  Fusse  des  Berges  Soracte,  wo 
sich  gegen  Ende  der  Republik  ein  eignes  Gemeinwesen  Lucus  Feroniae  ent- 
wickelte.') Seit  alter  Zeit  war  dieses  an  der  Grenze  zwischen  Etruskern, 
Latinern  und  Sabinern  gelegene  Heiligtum  die  Stätte  eines  viel  besuchten 
Marktes,*)  und  der  Tempel  hatte  durch  reiche  Spenden  der  Anwohner  und 
Besucher  ein  grosses  Vermögen  erworben,  welches  im  J.  543  =  211  Hanni- 
bal  zur  Plünderung  veranlasste.^)  Es  kann  bei  der  nahen  Nachbarschaft 
und  den  vielen  Beziehungen  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  der 
römische  Feroniakult  ein  Abkömmling  des  capenatischen  ist,  übertragen 
wahrscheinlich  bei  der  Annexion  von  Capena  bald  nach  dem  Falle  Vejis. 
Über  die  Bedeutung  des  Namens  und  der  Göttin  selbst  war  man  völlig 
im  Unklaren:  Varro  fasste  sie,  anknüpfend  an  die  Freilassungen  im  Tempel 
von  Tarracina,  als  eine  Art  Libertas  und  deutete  Feronia  =  Fidonia  (Serv. 
Aen.  Yin  564),  Dionysios  von  Halikarnass  (I  49,  5)  weiss  zu  erzählen,  dass 
die  Sabiner  von  Spartanern  abstammten,  die  einst  an  der  pomptinischen 
Küste  gelandet  wären  und  dort  das  Heiligtum  der  <PoQ<ovia  oder  (PtQcovia 
ccTio  T»;$  nsXayiov  qoQtjaewg  benannt  hätten;  andere  verdolmetschten  den 
Namen  griechisch  als  ^Avx^oifoqoq  oder  (Pikoaräfpavog  oder  negaetporrj  (Dion. 
Hai.  HI  32,  1)  oder  deuteten  die  Göttin  als  Ortsgenossin  des  ebenfalls  in 
Tarracina  verehrten  jugendlichen  Juppiter  Anxurus  (s.  oben  S.  109  Anm.  1) 
als  Inno  virgo,^)  Die  Neueren  haben  gewöhnlich  diese  Paarung  der 
Göttin  mit  dem  Juppiter  Anxurus  von  Tarracina  oder  dem  Apollo  Soranus 
vom  Soracte  zur  Grundlage  ihrer  Deutungsversuche  genommen:^)  aber 
wenn  hier  wirklich  mehr  vorliegen  sollte  als  ein  zufälliges  örtliches  Zu- 
sammentreffen —  eine  Kultverbindung  ist  nicht  bezeugt  — ,  so  würde  uns 


*)  Viridi  gaudens  Feronia  Itico  Verg. 
Aen.  Vll  800  und  Serv.  z.  d.  St.;  manusqtie 
tua  latnmuSy  Feronia,  lympha  Hör.  sat.  1  5, 
24;  daher  nennt  Serv.  Aen.  VIII  564  die 
Feronia  eine  nympha  Campaniae.  Vib.  Sequ. 
p.  153,  10  Riese  verzeichnet  Feronia  Terra- 
cinae  unter  den  lacus. 

')  Serv.  Aen.  VI II  564  und  dazu  Bubohb- 
LER,  Rhein.  Mus.  XLI  1  f.  Vermutungen 
über  das  Kultbild  bei  De  la  Blanchebb, 
Revue  arch^ol.  XLI  1881,  370  ff. 

»)  Strab.  V  24Ü.  Plin.  n.  h.  III  51.  Ptol. 
III  1,  43  (mit  Aovxa  xoXtayia  verwechselt, 
darum  falsch  eingereiht,  s.  C.  Müller  z.  d. 
St.).  Lib.  col.  p.  256,  19,  vgl.  Grom.  lat. 
46,  17.  47,  19  =  77,  20.  78,  14;  Lucofero- 
nenses  CIL  XI  3938.  VI  2584.  Vgl.  E.  Bor- 
XANN  CIL  XI  p.  570  f. 

<)  Liv.  I  30,  5.  Dion.  Hai.  III  32,  1;  vgl 
Strab.  a.  a.  0.,  der  fälschlich  die  dem  Kulte 


des  Apollo  Soranus  (oben  S.  191)  angehörende 
Ceremonie  des  Schreitens  über  glflhende 
Kohlen  (WisaoWAinRoschers  Lexik.  I  2693  f.) 
dem  der  Feronia  zuweist. 

*)  Liv.  XXVI  11, 8  f.  Sü.  Ital.  XUI  83  ff. ; 
Prodigien  werden  von  hier  nach  Rom  ge- 
meldet und  prokuriert  in  den  Jahren  544= 
210  und  558  =  196,  Liv.  XX VII 4, 14  f.  XXXIII 
26,  7.  lieber  Reste  des  Heiligtums  s.  Lan- 
oiANi,  Bull.  d.  Inst.  1870,  26  ff. 

•)  Serv.  Aen.  VII  799;  die  Inschrift  CIL 
V  412  lunoni  Feroniae  ist  wohl  als  Wei- 
hung an  beide  Göttinnen  aufzufassen;  Obblli 
1315  =  CIL  XI  481'*  lunoni  Beg{inae)  et 
Feroniae  ist  gefälscht. 

')  A.  Kuhn,  üerabkunft  des  Feuers 
S.  30  ff.  Mankhardt,  Ant.  Wald-  und  Feld- 
kulte S.  327  ff.  Steudino  in  Roschers  Lexik. 
I  1477  ff. 


B.  Di  noTensides  italiaoher  Herkunft.    48.  VortimmaB. 


233 


das  nicht,  weiter  helfen,  da  die  Auffassung  der  genannten  beiden  Götter 
als  Sonnengötter  eine  ganz  willkürliche,  für  den  Gott  vom  Soracte  sogar 
nachweisbar  falsche  ist.  Das  Bild  der  Feronia,  wie  es  sich  auf  den  De- 
naren des  P.  Petronius  Turpilianus  findet,^)  ein  Kopf  mit  Zackenkrone  und 
Perlenhalsband,  lehrt  nichts.  Dass  die  einzige  stadtrömische  Weihinschrift 
an  Feronia  (CIL  VI  147)  von  einer  ancUla  herrührt,  passt  ja  vortrefflich  zu 
dem,  was  sonst  über  die  Beziehung  der  Göttin  zu  den  Freigelassenen  be- 
kannt ist,  aber  dafür,  dass  in  Aquileja,  wo  die  Verehrung  der  Feronia  mehr- 
fach bezeugt  ist  (CIL  V  776.  8218),  ein  coUegium  aquatorum  sich  als  tero* 
nienses  bezeichnet  (CIL  V  8307  f.),  fehlt  jede  ausreichende  Erklärung,  und 
der  bei  Fest.  p.  197,  13  erwähnte  picu8  Feronius  ist  —  angenommen,  dass 
er  überhaupt  zu  der  Göttin  gehört  —  vollends  rätselhaft. 

43.  Vortnmnns.  Auf  dem  Aventin  lag  ein  Tempel  des  Vortumnus, 
dessen  Stiftungstag  die  Hemerologien  (CIL  V  p.  325)  am  13.  August  ver- 
zeichnen und  von  dem  wir  ausserdem  wissen,  dass  in  ihm  ein  Gemälde 
den  M.  Fulvius  Flaccus  als  Triumphator  in  der  Purpurtoga  darstellte 
(Fest.  p.  209),  offenbar  als  den  Stifter  des  Tempels;  da  nun  überliefert  ist, 
dass  der  Gott  Vortumnus  in  Volsinii  zu  Hause  war  und  diese  seine  Heimat 
itUer  proelia  mit  Rom  vertauschte  (Prep.  V  2,  3  f.),  M.  Fulvius  Flaccus 
aber  im  J.  490  =  264  de  Vulsinimsihus  triumphierte  (CIL  P  p.  172),  so  ist 
damit  die  Gründungsgeschichte  des  Tempels  gegeben  :>)  während  der  im 
genannten  Jahre  gegen  die  mächtige  Etruskerstadt  Volsinii  geführten 
Kämpfe  wurde  der  Hauptgott  der  Stadt,  vielleicht  des  ganzen  etruskischen 
Städtebundes,  3)  evoziert  und  erhielt  seinen  Tempel  in  Rom.  Dass  der  Gott^ 
dessen  Verehrung  wir  sonst  (aus  Rom  stammt  CIL  VI  803)  nur  vereinzelt 
in  Canusium  (CIL  IX  327),  Ancona  (CIL  IX  5892)  und  Segusio  (CIL  V  7235) 
nachweisen  können,^)  unabhängig  von  jener  Rezeption  schon  vorher  in 
Rom  heimisch  gewesen  sei,  wird  durch  nichts  wahrscheinlich  gemacht. 
Varro  freilich  (de  1. 1.  V  74)  rechnete  ihn  unter  die  von  Titus  Tatius  ein- 
geführten Gottheiten,  indem  er  sich  für  das  hohe  Alter  des  Kultes  auf 
eine  vielfach  erwähnte^)  Erzstatue  des  Gottes  im  Vicus  Tuscus  berief, 
deren  Ursprung  man  aUgemein  in  die  entlegene  Vorzeit  hinaufrückte  :^) 
aber  wenn  man  selbst  das  hohe  Alter  des  Bildes  zugäbe,  so  bewiese 
dieses  doch  durchaus  nichts  für  einen  so  alten  Kult,  am  wenigsten  für 
einen  Staatskult  des  Vortumnus;  dass  das  Bild  des  Gottes  von  Volsinii 
gerade  in  der  Tuskergasse  stand,  war  doch  gewiss  kein  Zufall.^)    So  oft 


*)  Babelok,  Mono,  consol.  II 295  £f.;  vgl 
BoBOHBsi,  Oeuvres  II  105  £f. 

')  Vgl.  Jobdan,  De  Vortumni  et  Consi 
aedibus  Avenünensibus  (Festschr  v.  Königs- 
berg z.  Jabil.  d.  aroh.  Instituts),  1879.  Aüst, 
De  aedib.  saoris  p.  15. 

»)  Deus  Etruriae  princeps  nennt  ihn 
Varro  de  1.  1.  V  46.  Auch  die  etruskische 
Göttin  Voltumna,  bei  deren  fanum  im  Ge- 
biete von  Volsinii  die  Bundesversammlungen 
stattfinden  (MOllbb-Debckb,  Etrusker  1 329  £f., 
vgl.  MoxMSBir,  Staatsr.  III 666  f.  Anm.  1),  kann 
von  Vortumnus  nicht  wohl  getrennt  werden. 

*)  CIL  X  129  (aus  Potentia)  Cereri  vert 


8ac{rum)  u.  s.  w.  hat  mit  Vortumnus  gewiss 
nichts  zu  thun. 

»)  Varro  de  1.  L  V  46.  Cic.  Verr.  I  154. 
Liv.  XLFV  16,  10;  ein  sacellum  nennt  fälsch- 
lich Porph.  zu  Hör.  epist.  I  20,  1,  der  auch 
(wie  ebenso  Ps.  Asoon.  z.  Cic.  Verr.  p.  199 
Or.)  nach  Hör.  epist.  II  1, 269  aus  dem  vicus 
Tuscus  einen  vicus  turariiM  macht.  Mehr 
bei  Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  373  f. 

•)  S.  namentlich  Prop.  V  2,  59  ff. 

')  An  eine  tuskische  Invasion,  welche 
den  Romulus  gegen  Titus  Tatius  unterstützt 
hätte,  denken  Varro  de  1. 1.  V  46  und  Prop. 
V  2,  49  ff. 


234 


Beligion  nnd  Kultus  der  Römer,    II.  Götierlehre. 


auch  der  Statue,  deren  Wiederherstellung  noch  zur  Zeit  des  Diocletian 
und  Maximian  die  erhaltene  Basisinschrift  bezeugt, ^)  gedacht  wird,  so 
erfahren  wir  doch  nie  etwas  Genaueres  über  ihr  Aussehen;  nur  dass  der 
Gott  jugendlich  dargestellt  war,  wird  man  nach  den  Andeutungen  der 
Dichter  (z.  B.  Ovid.  met.  XIV  684.  766)  annehmen  dürfen,  wahrscheinlich 
auch,  dass  er  einen  Schurz  trug,  den  man  je  nach  der  Jahreszeit  mit 
verschiedenen  Früchten  zu  füllen  pflegte.')  Doch  gab  das  für  Deutungs- 
versuche eine  zu  unsichere  Basis,  und  man  zog  es  daher  vor,  sich  an  den 
Namen  und  dessen  unbezweifelbaren  Zusammenhang  mit  vertere  zu  halten, 
sei  es  dass  man  —  der  Wahrheit  gewiss  am  nächsten  kommend  —  den 
Gott  als  den  Vertreter  des  annus  vertens  auffasste,^)  sei  es  dass  man  ihn 
(ib  amne  verso  erklärte,  weil  er  die  Gewässer  des  regelmässig  austretenden 
Tiberstromes  vom  Velabrum,  wo  sein  Bild  stand,  zurückgewendet  habe,^) 
oder  auch,  da  der  Vicus  Tuscus  eine  Gegend  reichen  Handelsbetriebes 
war,  als  praeses  vertendarum  verum  hoc  est  emendarum  ac  vendendarum 
deutete,^)  oder  endlich,  und  dies  am  liebsten,  ihm  die  Fähigkeit  zuschrieb, 
sich  in  alle  möglichen  Gestalten  zu  verwandeln;^)  in  diesem  Sinne  machte 
ihn  Ovid  (met.  XIV  623  ff.)  zum  Liebhaber  der  spröden  Pomona,  der  er  in 
allen  Erscheinungsformen  nachgeht,  bis  er  sie  in  seiner  natürlichen  Gestalt 
als  schöner  Jüngling  gewinnt. 

Eine  spezielle  Landsmännin  von  Vortumnus  ist  Nortia,  die  aus- 
schliesslich in  Volsinii  verehrt  wurde  ^)  und  in  den  römischen  Staatskult 
keine  Aufnahme  fand,  weshalb  ihrer  hier  nur  anhangsweise  gedacht  wird. 
Bekannt  ist  von  ihr  durch  das  Zeugnis  des  Antiquars  Cincius  (bei  Liv. 
Vn  3,  7)  aUein  die  Thatsache,  dass  in  ihrem  Tempel  zum  Zwecke  der 
Jahreszählung  Nägel  eingeschlagen  wurden:  da  die  Nageleinschlagung 
zugleich  ein  sehr  geläufiges  Symbol  der  Schicksalsfestigung  ist,®)  so  hat 
man  die  Göttin  in  alter  und  neuer  Zeit  gewöhnlich  als  eine  Schicksals- 
göttin verstanden.®) 

44r.  Venus.  Dass  der  Name  Venus  im  alten  Festkalender  und  über- 
haupt in  den  ältesten  sacralen  Urkunden  fehlte,  fiel  bereits  den  römischen 
Gelehrten  auf  und  wurde  von  ihnen  als  Beweisgrund  allen  denen  gegen- 


>)  CIL  VI  804 ;  vgl.  auch  VI  9393  faber 
arg,  [ad  Vö]rtumnum, 

'^)  Prop.  V  2,  11  flF.;  vgl.  A.  Rbipfbb- 
scHBiD,  Anoali  d.  Inst.  1866,  212  f.  Benn- 
DOBF-ScHOBNB,  Lateran.  Museum  S.  52.  Hbl- 
BIO,  Bull.  d.  Inst.  1877,  55;  verfehlt  L.  A. 
MiLAHi,  Notiz,  d.  Scavi  1884,  270  ff. 

»)  Prop.  V  2,  11  ff. 

*)  Prop.  V  2,  9  f.  Ovid.  fast.  VI  409  f. 
Öerv.  Aen.  VIII  90. 

*)  Porph.  zu  Hör.  epist.  I  20,  1.  Ps. 
Ascon.  zu  Gic.  Verr.  p.  199,  angedeutet  schon 
von  Plaut.  Cure.  484  (vgl.  dazu  Jobdan, 
Hermes  XV  1880,  123);  Colum.  X  308  mer- 
cibu8  et  vemis  dives  Vertumnus  ainmdet 
scheint  diese  Deutung  mit  der  als  Jahres- 
und Frühlingsgott  zu  kombinieren. 

•)  Tib.  IV  2,  3.  Prop.  V  2,  19  ff.  Ovid. 
jnet.  XIV  643  ff.;  fast.  VI  409;  auch  Hör. 


sat.  n  7,  14  geht  daitiuf. 

'')  Als  Spezialgottheit  von  Volsinii  er- 
wähnt sie  Tertull.  apolog.  24;  ad  nat.  II  8, 
als  Beschützerin  des  aus  Volsinii  stammen- 
den Sejan  Juven.  10,  74;  ebendort  ist  der 
Dichter  Rufius  Festus  Avienns  zu  Hanse 
{Jiare  cretus  VulsinieThsi)^  von  dem  wir  ein 
Weihgedicht  an  Nortia  besitzen,  CIL  VI  537  = 
BuBCHBLBB,  Authol.  opigr.  nr.  1530  A.  Weih- 
inschriften an  sie  aus  Volsinii  CIL  XI  2685  f. 

«)  Hör.  c.  I  35,  18.  ÜI  24,  5  m.  d.  Erkl. 
0.  Jahk,  Ber.  d.  sftchs.  Gesellsch.  d.  Wiss. 
1855,  106  ff.  R.  WünscH,  Defixionum  tabellae 
Atticae  (1897)  p.  III. 

»)  Schol.  Juv.  10,  74  Fartunam  vtUt 
intellegi,  Mart.  Cap.  I  88  alü  Sortem  asse^ 
runt  Nemesimque  nonnulli  Tychenque  quam 
plures  aut  Nortiam;  vgl.  Mt^LLBR-DsBCKB, 
Etrusker  II  52  f. 


B.  Di  noTensideB  italisoher  Herkunft.    44.  Venus.  235 

über  zur  Geltung  gebracht,  die  den  Namen  des  Monats  Aprilis  von  Venus- 
Aphrodite  herleiteten.^)  Auf  der  andern  Seite  aber  beweist  der  echt 
italische  Name,  dass  schon  vor  der  Rezeption  des  griechischen  Aphrodite- 
dienstes unter  diesem  Namen  eine  einheimische  Göttin  in  Rom  Verehrung 
gefunden  hatte:  dieser  Name  bezeichnete,  wie  es  scheint,  entsprechend 
dem  griechichen  x^Q^^^  zunächst  appellativisch  den  Reiz  und  die  Blüte  in 
der  Natur,  dann  die  in  diesen  waltende  Göttin,  die  sich  dem  praktischen 
Sinne  des  Römers  zu  einer  Schützerin  der  Gärten  und  des  Gemüsebaues 
spezifizierte;^)  als  dann  das  Appellativum  sich  zur  Bezeichnung  der  An- 
mut und  Schönheit  im  allgemeinen  erweiterte,  hat  zwar  die  italische  Göttin, 
soviel  wir  sehen  können,  diese  Wandlung  nicht  mitgemacht,  aber  der 
Name  war  geeignet  geworden,  die  griechische  Liebes-  und  Schönheits- 
göttin Aphrodite  in  Rom  einzuführen  und  vorzustellen.  Da  uns  nun  be- 
kannt ist,  dass  sich  in  nächster  Nähe  von  Rom  zwei  alte  und  angesehene 
Venusheiligtümer  befanden,  das  eine  unmittelbar  bei  Ardea  gelegen,  das 
andere,  allen  (oder  mehreren?)  latinischen  Gemeinden  gemeinsame,  aber 
ebenfalls  unter  der  Vorstandschaft  der  Ardeaten  stehende  bei  Lavinium,^) 
und  dass  im  J.  537  =  217  auf  Grund  schwerer  Prodigien  die  Decemviri 
sacris  faciundis  u.  a.  auch  in  Ardea,  d.  h.  eben  der  dortigen  Venus,  opfern 
(Liv.  yyn  1,  19),  wie  man  das  bei  den  Mutterheiligtümem  römischer 
Kulte  zu  thun  pflegte,  so  spricht  alles  dafür,  dass  der  römische  Venuskult 
eben  von  dem  ardeatischen  herstammt.  Die  beiden  ältesten  nachweisbaren 
Heiligtümer  der  Göttin  in  Rom,  von  denen  das  eine  im  Haine  der  Libitina, 
das  andere  beim  Gircus  maximus  gelegen  war,  feierten  ihren  Stiftungstag 
am  gleichen  Datum,  dem  19.  August,  am  Tage  der  Vinalia  rustica  (Fest, 
p.  265):  das  Alter  des  ersteren  Tempels,  dessen  Lage  mit  dazu  beitrug, 
die  Identifikation  von  Libitina  und  Venus  zu  empfehlen  (s.  oben  S.  197), 
kennen  wir  nicht,  der  zweite  war  im  J.  459  =  295  von  dem  curulischen 
Aedilen  Q.  Fabius  Gurges  begonnen  und  etwas  später  geweiht  worden.^) 
Die  Ansetzung  beider  Stiftungstage  auf  die  Vinalia  rustica,  welche  zur 
Folge  hatte,  dass  dieses  Juppiterfest  später  gemeinhin  vielmehr  als  eine 
Feier  der  Venus  angesehen  wurde,  ^)  gründet  sich  darauf,  dass  die  italische 
Venus  insbesondere  Gartengöttin  und  Schirmherrin  der  holUores  ist,  die 
den  19.  August  als  ihren  Festtag  begehen  (Varro  de  1. 1.  VI  20):  es  lag 
darum  nicht  fern,  sie  auch  zum  Weinbau,  der  ja  als  Teil  des  Garten- 
baues gerechnet  wird,  in  Beziehung  zu  setzen.  Diese  ursprüngliche  Be- 
deutung ist  zwar  späterhin  keineswegs  ganz  vergessen  worden,^)  aber  sie 

')  Cincms  und  Varro  bei  Macr.  S.  I  12,  *)  Liv.  X  31,  9.  Fast.  Vau.  z.  19.  Aug.: 

12  f.    Varro  de  1.  1.  VI  33.  i    Veneri  ctd  circum  mcuvimum;  die  Bezeich - 

')  Varro  de  1.  1.  VI  20;  de  r.  r.  I  1,  6.  1  nung  dieser  Venus  als  Venus  Obsequens  (vgl. 

Fest.  p.  265,  vgl.  289.   Fun.  n.  h.  XIX  50;  1  die  nicht  verdachtfreie  tiburtinische  Inschrift 

metonymisch  Fenu«  =  ^{«ra  Naev.  com.  frg.  CIL  XIV   3569)   bei  Serv.   Aen.  I  720  ist 

121  Ribb.  bei  Paul.  p.  58  (s.  oben  S.  9).  willkürlich. 

»)  Strab.  V  232:  Aaoviyioy  ^x^y  xotvoV  »)  Varro  de  1.  I.  VI  20;  de  r.  r.  1 1,  6; 
jtay  Aariytay  Uqoy  'JfpQodirtjs  *  inifjieXovyTtt^  ganz  analog  ist  das  Verhältnis  zwischen  dem 
di  avTov  dui  nganoXcjy  ^AQdBaxai.  Btra  Aav-  Marsfeste  der  Quinquatrus  und  dem  auf  den- 
QByjoy.  wiiqxBixa^  di  rovttay  ij  *A^äa  .  .  .  selben  Tag  fallenden  Stiftungstage  der  Mi- 
Ion  da  xai  ravtfjg  nXrjüloy  *Aq)Qodiciovy  ov  nerva  auf  dem  Aventin,  s.  oben  S.  203. 
riaytjyv^lCova$y  Aariyoi;  vgl.  Pomp.  Mela  !  •)  CIL  IV  2776  sie  te  amat  quae  custo- 
l\  71.  Plin.  n.  h.  III  56  f.  du  oriu{m)  Venus;  vgl.  auch  die  inschrift- 


236 


Religion  und  KnltiiB  der  Römer.    II.  Götierlehre. 


ist  doch  stark  in  den  Hintergrund  getreten,  als  die  griechische  Aphrodite 
in  Rom  Aufnahme  fand  und  sich  den  Namen  Venus  aneignete,  ebenso  wie 
sie  bei  den  Oskem  Unteritaliens  mit  der  dort  heimischen  Herentas^)  und 
anderswo  mit  einer  sonst  verschollenen  Göttin  Frutis')  gleichgesetzt 
wurde.  Den  Ausgangspunkt  für  diesen  griechischen  Gottesdienst  bildete 
das  auch  ausserhalb  der  Grenzen  Siciliens  in  ganz  Unteritalien ^)  weitbe- 
rühmte und  hochangesehene  Aphroditeheiligtum  des  Berges  Eryx,^)  das 
die  Römer  noch  später  als  die  Mutterstätte  ihres  Yenuskultes  durch  Opfer 
und  staatliche  Fürsorge  auszeichneten.^)  Die  römischen  Heere  mögen 
während  des  ersten  punischen  Krieges  mit  diesem  Heiligtume  und  seiner 
Bedeutung  näher  bekannt  geworden  sein,  und  als  Tochterkult  (oupdQVfia 
Strab.  VI  272)  erwuchs  dann  seit  der  Zeit  des  hannibalischen  Krieges  in 
Rom  der  Kult  der  Venus  Erucina:  der  erste  Tempel  dieser  Göttin,  auf 
dem  Capitol  gelegen,  wurde  auf  Veranlassung  der  sibyllinischen  Bücher 
im  J.  537  =  217  vom  Dictator  Q.  Fabius  Maximus  gelobt  und  zwei  Jahre 
später  eingeweiht,^)  ein  noch  bedeutenderer  Tempel  vor  der  Porta  Gollina 
wurde  im  J.  573  =  181  auf  Grund  eines  drei  Jahre  vorher  im  ligurischen 
Kriege  vom  Consul  L.  Porcius  gethanen  Gelöbnisses  erbaut:^)  der  Stiftungs- 
tag war  der  23.  April,  der  Tag  der  Vinalia  priora,®)  was  der  falschen  An- 
sicht, dass  die  Vinalia  nicht  dem  Juppiter,  sondern  der  Venus  zugehörten,^) 
weitere  Stützen  zu  geben  schien.  Einen  dritten  Tempel  erhielt  die  grie- 
chische Aphrodite  als  ^Anoa%QOipia,^^)  ebenfalls  auf  Geheiss  der  sibyllini- 
schen Orakel,  unter  dem  Namen  Venus  Verticordia  im  J.  640  =  114  zur 
Sühne  für  den  Incest  dreier  Vestalinnen  und  ein  damit  zusammenhängendes 
Prodigium;^^)  die  Lage  des  Heiligtumes  ist  unbekannt,^^)  der  Stiftungstag 


lieh  mehrfach  bezeugte  Venus  hortorum 
Sallustianorum,  Lanoiani,  Bull.  arch.  com. 
XVI 1888,  8  ff.  und  dazu  Hülsen,  Rom.  Mitth. 
IV  270  ff. 

*)  Herentatei  herukinai  =  Veneri  Em- 
c.nae  steht  auf  einer  Tischplatte  aus  Her- 
calaneum,  Zybtaieff,  Syll.  inscr.  Ose.  nr.  60^; 
sonst  8.  aber  Herentas  Wissowa  in  Roschers 
Lexik.  I  2298. 

*)  Venus  mater  quae  IBVutis  dicitur 
nennt  Cassius  Hemina  bei  Solin.  2,  14  die 
Göttin,  welcher  Aeneas  in  agro  Laurenti 
das  aus  Sicilien  mitgebrachte  Aphroditebild 
weiht;  vgl.  Paul.  p.  90  Frutinal  templum 
Veneris  i^uti,  Jordan  zu  Prblleb,  Rom. 
Mythol.  I  436,  4. 

*)  Venus  Eiucina  (Erycina)  ausser  in 
Sicüien  (CIL  X  7121.  7253-7255.  7257)  in 
Potentia  (CIL  X  134)  und  Puteoli  (X  8042,  1). 

*)  Vgl.  K.  Tümpel  bei  Pault- Wissowa, 
Real-Encycl.  I  2765. 

*)  Diod.  IV  83.  Tac.  Ann.  IV  43.  Suet. 
Claud.  25. 

•)  Liv.  XXII  9,  7  ff.  10,  10.  XXUI  30, 
13  ff.  31,9;  eine  Venus  Capüolina  erwfihnt 
Suet.  Galig.  7;  Galba  18.  Der  Stiftungstag 
ist  nicht  überliefert;  sollte  sich  die  Notiz  der 
Hemerologien  (CIL  1«  p.  331)  zum  9.  Oktober 
Genio  ptiblic{o),  faustae  FelicUati,  Venerii) 


victr{ici)  in  Capüol(io)  auf  diesen  Tempel 
beziehen,  so  mflssten  Name  und  Bedeutung 
der  Göttin  im  Laufe  der  Zeit  eine  wesent- 
liche Aenderung  erfahren  haben. 

')  Liv.  XL  34,  4;  erwähnt  auch  Liv. 
XXX  38,  10.  App.  b.  c.  I  93.  Strab.  VI  272. 
Ovid.  rem.  am.  549,  wahrscheinlich  auch 
CIL  VI  2274.  Lanciani  (s.  oben  S.  235  Anm.  6) 
hält  den  Tempel  für  identisch  mit  dem  der 
Venus  hortorum  Sallustianorum,  deren  aedi- 
tui  mehrfach  erwähnt  werden. 

•)  CIL  P  p.  316;  Ovid.  fast.  IV  863  ff. 
wirft  sowohl  die  Vinalia  rustica  und  priora 
als  auch  die  beiden  Tempel  der  Venus  Eru- 
cina auf  dem  Capitol  und  vor  der  Porta 
CoUina  durcheinander. 

»)  Ovid.  a.  a.  0.  877.  Plut.  Qu.  Rom.  45 ; 
Polemik  dagegen  bei  Varro  de  1.  1.  VI  20. 

^^)  d.  h.  die  vor  leidenschaftlichen  Ver- 
irrungen  bewahrende,  s.  Pbeller-Robbbt,  Gr. 
Myth.  I  368. 

")  Ovid.  fast.  IV  133  ff.  Obseq.  37  (vgl. 
Gros.  V  15,  22);  um  etwa  100  Jahre  früher 
liegt  die  Weihung  eines  Bildes  der  Venus 
Verticordia  durch  Sulpicia,  die  Gattin  des  Q. 
Fulvius  Flaccus,  von  der  Val.  Max.  VIII 15, 12. 
Plin.  n.  h.  VII  120=  Solin.  1,  126  erzählen. 

")  Wenn  Serv.  Aen.  VIII  636  von  einem 
fanum  Veneris  Verticordiae  im  Circusthale 


B.  Di  noTenBldes  Italisoher  Herknnft.    44.  Veniui. 


237 


war  der  1.  April,  der  von  den  Matronen  als  Festtag  begangen  wurde  und 
noch  im  Kalender  des  Philocalus  den  Namen  Veneralia  führt.  ^)  Wissen  wir 
auch  von  den  Einzelheiten  der  Kultübung  in  diesen  Heiligtümern  nichts, 
so  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dass  ebenso  wie  die  Kultbilder^) 
auch  sämtliche  dem  Gottesdienste  zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen  grie- 
chische waren:  der  Kult  der  Erucina  muss  in  seinen  Formen  ausschwei- 
fender gewesen  sein,  als  der  der  Yerticordia,  bei  welchem  die  Beteiligung 
der  Matronen  und  die  Beziehung  des  Dienstes  auf  die  Erhaltung  der  Sitt- 
samkeit stets  hervorgehoben  wird,  während  der  Stiftungstag  des  Tempels 
vor  Porta  CoUina  geradezu  als  Festtag  der  meretrices  galt.')  Der  gleiche 
Name  deckte  also  offenbar  recht  verschiedenartige  Vorstellungen,  und  diese 
Mannigfaltigkeit  wurde  eine  noch  grössere,  als  im  letzten  Jahrhundert  des 
Freistaates  die  Verehrung  der  Venus  in  verschiedenen  Richtungen  durch 
die  damaligen  Machthaber  besondere  Förderung  erfuhr.  Sulla,  der  sich 
für  einen  besonderen  Liebling  der  Aphrodite  hielt  und  seinen  Beinamen 
Felix  griechisch  durch  ^EnatfQodiiog  wiedergab  (Flut,  de  fort.  Rom.  4),  ver- 
ehrte die  Venus  insbesondere  als  Glücksgöttin  unter  dem  Namen  Venus 
Felix,  und  ihr  mit  den  Attributen  der  Fortuna  und  der  Felicitas,  dem 
Steuerruder  und  dem  ramua  felicis  olivae  ausgestattetes  Bild  kennen  wir 
aus  zahlreichen  Darstellungen  der  Venus  Pompeiana,^)  d.  h.  der  Stadtgöttin 
der  suUanischen  Kolonie  {colonia  Veneria  Cornelia)  Pompeji:**)  das  ist  sicher 
nicht,  wie  vielfach  geglaubt  worden  ist,  eine  in  Campanien  heimische^) 
Göttin  weiblicher  Fruchtbarkeit  (vgl.  oben  S.214  Anm.  10),  sondern  eine  erst 
durch  Sulla  eingeführte^)  Vermengung  der  Vorstellungen  von  Venus- Aphro- 
dite und  Felicitas,  die  auch  später  noch  darin  zum  Ausdrucke  kommt,  dass 
sowohl  mit  der  auf  dem  Gapitol  verehrten  Venus  (s.  oben  S.  286  Anm.  6) 
als  mit  der  Venus  Victr ix,  welcher  Gn.  Pompejus  auf  der  Höhe  des  von 
ihm  erbauten  Theaters  einen  am  12.  August  des  J.  699  =  55  eingeweihten 
Tempel  errichtete,®)  Felicitas  als  avvvaoq  verbunden  ist  (s.  oben  S.  215). 
Diese  neue  Gestalt  der  Venus  als  einer  siegverleihenden  Göttin,  die  wahr- 
scheinlich in   der  pergamenischen  Uq>Qoi(Tt]  vixr^tpoQog^)  ihr  Vorbild   hat. 


spricht,  so  meint  er,  wie  der  Zusammenhang 
zeigt,  damit  die  Kapelle  der  Morcia  (s.  oben 
S.  194  Anm.  8),  die  er  willkflrlich  als  Venus 
Yerticordia  deutet. 

»)  CIL  P  p.  814.  Ovid.  a.  a.  0.  Lyd.  de 
mens.  IV  45.  Macr.  S.  1 12, 15.  Flut.  Num.  19. 

')  WissowA,  De  Veneris  simulacris  Ro- 
manis p.  10  ff.;  auf  das  Eultbild  des  Tem- 
pels an  der  Porta  Collina  bezieht  E.  Pbtkbsen, 
Itdm.  Mitt.  VJI  77  ff.  sehr  ansprechend 
einen  Marmorthron  und  Kopf  aus  Villa  Lu- 
dovisi. 

')  Fast.  Praen.  z.  25.  April:  festus  est 
pt^erorum  lenocintorum,  quia  proximus  su- 
perior  meretricum  est.  Ovid.  fast.  IV  865  f. ; 
vgl.  auch  den  Titel  von  Varros  Satura  Me- 
nippea  VincUia  negi  dg>Qodioltav. 

*)  CIL  IV  26.  538.  1520.  2457. 

^)  Nachgewiesen  von  Wissowa  a.  a.  0. 
p.  15  ff. 

*)  Campanien  und  überhaupt  ganz  Unter- 


italien sind  reich  an  Venuskulten,  von  denen 
die  Venus  fisica  von  Pompeji  (CIL  IV  520. 
X  928;  vgl.  oben  S.  198)  und  die  Venus 
lovia  von  Capua  (CIL  X  3776.  Eph.  epigr. 
VIII  460)  hervorzuheben  sind.  Ueber  ge- 
meinsamen Kult  von  Venus  und  Ce»es  s. 
unten  §  46. 

^)  Die  inschriftlichen  Zeugnisse  sind 
jedenfalls  sftmtlich  jfinger:  CIL  VI  781.  782. 
8710  {aedüuus  Veneris  felicis).  IX  3429 
(sctcerdos  Veneris  felicis  in  Peltuinum).  X 
4570;  nicht  hierher  gehörig  CIL  VI  756.  XIV 
2793. 

«)  Tertull.  de  spect.  10.  Plin.  n.  h.  VIII 
20  und  mehr  bei  Gilbert,  Topogr.  d.  Stadt 
Rom  III  823,  2.  CIL  P  p.  824  (fast  Amit. 
AUif.):  Veneri  victricif  Hon{ori)  Virt{uti), 
Felicitati  in  theatro  marmoreo. 

•)  Liv.  XXXII  33  f.  =  Polyb.  XVII  2; 
vgl.  Pbrllbb-Robbbt,  Griech.  Mythol.  I  347, 
5.  350,  3. 


238 


Religion  und  Knltas  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


hat  weiterhin  viel  Anklang  gefunden,  sie  wird  namentlich  in  den  mili- 
tärisch besetzten  Grenzprovinzen ^)  häufig  verehrt,  völlig  im  gleichen  Sinne 
wie  Victoria,*)  die  auf  Denkmälern  auch  nicht  selten  neben  Venus  er- 
scheint. 8)  In  der  nächsten  Zeit  werden  allerdings  Venus  Felix  wie  Venus 
Victrix  völlig  in  den  Schatten  gestellt  durch  die  caesarische  Venus  Geni- 
trix.  Im  Gefolge  des  erycinischen  Venusdienstes  hatte  die  Aeneassage 
und  weiterhin  die  Legende  vom  troischen  Ursprünge  Roms  Verbreitung 
gefunden,  und  manche  Familien,  die  sich  troischer  Abstammung  rühmten, 
wie  die  Julier  und  Memmier,  setzten  das  Bild  der  erycinischen  Venus  auf 
ihre  Münzen.^)  Caesar  selbst  hatte  vor  der  Schlacht  bei  Pharsalos  für 
den  Fall  des  Sieges  der  Venus  Victrix  einen  Tempel  gelobt  (App.  b.  c.  11 
68  f.);  als  aber  dies  Gelübde  zur  Erfüllung  kam,  weihte  er  den  Tempel, 
der  den  Mittelpunkt  des  von  ihm  angelegten  Forum  Julium  bildete,^)  nicht 
der  Venus  Victrix,  sondern  der  Venus  Genitrix,  d.  h.  der  Stammmutter 
der  Aeneaden,  zu  denen  das  julische  Geschlecht  sich  rechnete:  die  den 
Griechen  entlehnte  Verbindung  von  Mars  und  Venus,  die  schon  beim 
Lectistemium  von  537  =  217  übernommen  worden  war  (s.  oben  S.  55), 
erhielt  nunmehr  eine  neue  Bedeutung,  indem  Mars  als  Vater  des  Stadt- 
gründers Romulus  und  Venus  als  Stammmutter  der  herrschenden  Dynastie 
zu  einem  göttlichen  Eltempaare  des  neuen  Staates  verbunden  wurden,') 
das  nicht  nur  in  dem  genannten  Tempel,  sondern  auch  in  dem  von  Augustus 
erbauten  Tempel  des  Mars  Ultor^)  und  im  Pantheon  (Cass.  Dio  LIII  27) 
gemeinsame  Verehrung  genoss.  Die  am  26.  September  708  =  46  erfolgte 
Einweihung  des  Tempels  der  Venus  Genitrix  feierte  Caesar  durch  Spiele 
(Cass.  Dio  XLIII  22),  deren  dauernde  Fortführung  noch  bei  seinen  Leb- 
zeiten ein  Collegium  und  nachher,  als  dieses  seine  Pflichten  vernachlässigte, 
an  dessen  Stelle  Augustus  übernahm:^)  dies  sind  die  in  den  Kalendern 
der  augusteischen  Zeit  vom  20.— 30.  Juli  verzeichneten  ludi  Vidoriae  Cae- 
saris,^)  die  jedoch  das  Ende  der  julisch-claudischen  Dynastie  kaum  über- 
lebt haben  werden;  denn  die  ganz  persönliche  Beziehung  der  Venus  Geni- 
trix zum  julischen  Hause  brachte  es  naturgemäss  mit  sich,  dass  sie  einen 
Kult  in  weiteren  Kreisen  nicht  wohl  finden  konnte.^'^)  Immerhin  aber 
mag  die  durch  Caesar  herbeigeführte  enge  Verbindung  des  Venuskultes 


*)  z.  B.  in  den  Donaalfindern  CIL  III 
864  =  7663.  1115.  1797.  1964  f.  2770.  2805. 
3l6a  4152.  4167. 

«)  Insbesondere  vgl.  CIL  III  2770  Ve- 
neri  victrici  Parthicae  im  Sinne  von  Vic- 
toriae  Parthicae  (s.  oben  S.  129)  und  Momm- 
SKN  z.  d.  Inschr.  nnd  CIL  l*  p.  328.  Varro  de 
1. 1.  V  62. 

•)  WissowA  a.  a.  0.  p.  39. 

*)  WissowA  a.  a.  0.  p.  13  f.  F.  Mabx, 
Bonner  Studien  R.  Kekol^  gewidmet  S.  115  ff. 

*)  Die  Zeugnisse  bei  Jobdan,  Topogr. 
1  2  S.  439  f. ;  Aber  das  von  Arkesilaos  ange- 
fertigte Kultbild  WissowA  a.  a.  0.  p.  25  ff. 
L.  Ublichs,  Arkesilaos  (WOrzburg  1887)  S. 
9  ff. 

^)  Darum  wird  nach  dem  Festkalender 
von  Cumae  (CIL  X  8375)    der   Geburtstag 


Caesars  (12.  Juli)  durch  eine  supplicatio  an 
Mars  Ultor  und  Venus  Genitrix  gefeiert. 

^)  Reiffebschbid,  Annali  d.  Inst.  1863, 
368  f.  WissowA  a.  a.  0.  p.  43  f. ;  s.  auch  oben 
S.  133. 

•)  Cass.  Dio  XLV  6.  Suet.  Aug.  10;  pro 
collegio  Obseq.  68,  vgl.  Plin.  n.  h.  II  93; 
im  J.  722  =  32  nennt  Cass.  Dio  XLIX  42 
die  Consuln  als  Spielgeber. 

*)  Ueber  die  Verschiedenheit  des  Namens 
und  Datums  s.  Momksen,  CIL  I*  p.  322  f. 
Eine  Nachahmung  sind  die  ludi  Veneris  in 
der  Colonia  Julia  Genetiva(MoxMSEK,  Ephem. 
epigr.  III  p.  102). 

'^)  Die  wenigen  inschriftlichen  Erwäh- 
nungen der  Venus  Genitrix  (CIL  II  3270.  IX 
1553.  2199.  XIV  2903)  lassen  keine  sichere 
Beziehung  auf  die  julische  Göttin  zu. 


C.  Di  noTensides  griechisoher  Herkunft.    46.  Apollo.  239 

mit  dem  Gedanken  an  die  Dynastie  und  den  Staat  für  Hadrian  den  Anlass 
geboten  haben,  in  seinem  grossartigen  templum  ürbis,  dessen  Stiftungstag 
auf  den  natalis  urbis  Romae,  d.  h.  den  21.  April,  fiel  (s.  oben  S.  166),  zur 
Stadtgöttin  Roma  gerade  die  Venus  zu  gesellen.^) 


Dritter  Abschnitt. 

Di  novensides  griechischer  Herkunft. 

45.  Apollo.  Unter  allen  in  Rom  rezipierten  griechischen  Kulten 
steht  der  des  Apollo  sowohl  nach  der  Zeit  seiner  Aufnahme  wie  durch 
seine  Bedeutung  obenan.  Dass  die  ,Religion  des  Numa'  den  Apollo  nicht 
kannte,  bedürfte  für  uns  keines  ausdrücklichen  Zeugnisses  ;>)  die  Rezeption 
muss  aber  bereit«  am  Ende  der  Königszeit  erfolgt  sein.  Einen  festen 
Terminus  ante  quem  dafür  gibt  die  erste  sicher  bezeugte  Befragung  der 
sibyllinischen  Bücher  im  J.  258  =  496,  die  zur  Aufnahme  des  Kultes  von 
Demeter,  Dionysos  und  Köre  führte: 3)  denn  da  die  Sibylle  und  ihre  Sprüche 
in  unlösbarer  Verbindung  mit  dem  Dienste  des  Apollo  stehen^)  und  der 
Römer  selbst  die  sibyllinischen  Orakel  als  die  fatorum  praediäiones  ApoU 
linis  (Cic.  de  bar.  resp.  18  =  Yal.  Max.  11,1)  auffasste,  so  kann  kein  Zweifel 
daran  bestehen,  dass  Apollokult  und  Sibyllensprüche  gleichzeitig  ihren 
Einzug  in  Rom  hielten,  während  die  übrigen  griechischen  Gottesdienste 
erst  auf  Grand  sibyllinischer  Weissagungen,  also  gewissermassen  im  Ge- 
folge des  Apollokultes,  Aufnahme  fanden.  Damit  ist  auch  die  Frage  nach 
der  Herkunft  der  römischen  Apolloreligion  entschieden,  denn  an  dem  von 
den  Alten  allerwege  bezeugten  cumanischen  Ursprünge  der  römischen 
Sibyllenorakel  kann  nicht  gerüttelt  werden:^)  dass  der  römische  Apollo 
ein  Abkömmling  des  Burggottes  von  Gumae^)  war,  hat  der  römische  Staat 
selbst  dadurch  anerkannt;  dass  er  bei  bestimmten  Anlässen  durch  die  Staats- 
priester —  wahrscheinlich  die  Decemviri  sacris  faciundis  —  im  cumani- 
schen Apollotempel  opfern  und  Geschenke  aufstellen  liess.^)  Von  Cumae 
scheint  überhaupt  der  nicht  nur  in  Campanien  und  Unteritalien,  sondern 
auch  in  Latium  und  bis  nach  Umbrien  hinein  schon  in  früher  Zeit  nach- 
weisbare ApoUokult^)  durchweg  seinen  Ausgang  genommen  zu  haben. 
Über  Zeit  und  Anlass  seiner  Einführung  in  Rom  fehlen  alle  Nachrichten; 
aber  es  lässt  sich  mit  Sicherheit  behaupten,  dass  ebenso,  wie  zur  Rezep- 
tion der  griechischen  Demeter  eine  Hungersnot  den  Anstoss  gab  (s.  §  46), 


>)  S.  Gilbert,  Topogr.  III  186,  1  und 
unten  §  55. 

')  Amob.  II  73:  doctorum  in  litteris  can- 
tinetur  ÄpoUinis  namen  Pompiliana  indi- 
ffitamenta  nescire. 

s)  Dion.  Hai.  VI  17;  s.  unten  §46. 

^)  Zeugnisse  bei  Marquabdt,  Staats- 
verw.  III  359. 

^)  SoHWEOLEB,  Rom.  Gesch.  I  802;  ygl. 


vgl.  die  cumanische  Inschrift  CIL  X  3688 
und  das  collegium  ApoUinarium  ebd.  3684. 

7)  August,  c.  d.  III  11.  Obseq.  28  [87] 
zum  J.  624  =  130. 

*)  Nachweise  gibt  Wbrnicke  bei  Pauly- 
WissowA,  Real-Encycl.  II  77—79.  Wichtig 
ist  besonders,  dass  unter  den  archaischen 
Weihinschriften  von  Pisaurum  Apollo  sich 
als  einziger  fremder  Gott  findet  (CIL  I  167) 


DiELS,  Sibyll.  Blätter  S.  80  f.  Rbitzerstein,   '   und  dass  er  in  Praeneste  mit  der  Stadtgöttin 
Ined.  poet.  graec.  fragm.  II  10  f.  Fortuna  Primigenia  und  Juppiter  Arcanus  in 

•)  Serv.  Aen.  VI  9.   Liv.   XLIIl  13,  4;      Verbindung  steht  (CIL  XIV  2852,  vgl  2867). 


240 


Religion  und  Kultus  der  Römer.    II«  Götterlehre. 


die  Aufnahme  Apollos  unter  dem  Drucke  einer  schweren  Seuche  erfolgt 
ist.  Denn  Apollo  ist  während  der  älteren  Zeit  in  Rom  stets  in  erster 
Linie  Heilgott  gewesen  und  in  dieser  Eigenschaft  erst  später  hinter  Aescu- 
lapius  zurückgetreten:  darum  fand  er  mit  der  Indigitationsformel  Apollo 
medice,  Apollo  Paean  selbst  in  den  Gebeten  der  Yestalinnen  seine  Stelle 
(Macr.  S.  I  17,  15),  ApoUo  medicus  heisst  er  offiziell  in  dem  sogleich  zu 
erwähnenden  Tempel,  der  in  Zeiten  schwerer  Pestilenz  pro  valetudine  populi 
gelobt  wurde  (Liv.  IV  25,  3.  XL  51,  6),  als  salutaris  et  medicinalis  wurde 
er  von  Hilfesuchenden  verehrt  (CIL  VI  39),  und  heilkräftige  Quellen  galten, 
wie  sonst  in  Italien,^)  so  auch  in  Rom  als  seinem  Schutze  unterstellt.^) 
Seine  älteste  Eultstätte  in  Rom,  das  Apollinar,  lag  —  selbstverständlich 
ausserhalb  des  Pomeriums  —  auf  den  prata  Flaminia  vor  der  Porta  Car- 
men talis:  3)  an  Stelle  dieses  fanum  wurde  ein  wirklicher  Tempel  erst  bei 
Gelegenheit  der  Pest  des  J.  321  =  433  gelobt  und  323  =  431  durch  den 
Consul  Cn.  Julius  eingeweiht  (Liv.  IV  25,  3.  29,  7);  er  lag  zwischen  dem 
Forum  holitorium  und  dem  Circus  Flaminius  und  blieb  nach  dem  be- 
stimmten Zeugnisse  des  Asconius  (p.  81  K.-S.)  bis  auf  Augustus  der  ein- 
zige Apollotempel  in  Rom,  so  dass  sich  mehrere  Zeugnisse,  die  scheinbar 
von  Neugründungen  apollinischer  Heiligtümer  sprechen,  nur  auf  Wieder- 
herstellungen dieses  Tempels  beziehen  können.^)  Sein  Stiftungstag  wurde 
in  augusteischer  Zeit  am  23.  September  begangen  (Fast.  Arval.),  und  der 
Gottesdienst  galt  neben  Apollo  auch  der  Latona  und  Diana, ^)  wie  sich 
insbesondere  bei  der  Einführung  des  neuen  griechischen  Ritus  der  Lecti- 
sternien  im  J.  355  =  399  zeigt,  wo  diese  Göttertrias  die  Reihe  eröffnet 
(Liv.  V  13,  6.  Dion.  Hai.  XII  9).  Wie  hier  steht  dieser  Tempel  auch  sonst 
bei  allen  Kulthandlungen  griechischer  Herkunft  im  Vordergrunde:  die 
Supplikationen  nehmen  von  ihm  ihren  Ausgang  (Liv.  XXVII  37,  11),  und 
die  Leiter  des  gesamten  graecus  ritus,  die  Decemviri  sacris  faciundis,  werden 
von  Livius  (X  8,  2)  als  antistites  ApoUinaris  sacri  bezeichnet.  Einen  be- 
sonderen Aufschwung  nahm  wie  alle  griechischen  Gottesdienste  vor  allem 
auch  der  Apollokult  seit  der  Zeit  des  zweiten  punischen  Krieges:  im 
J.  542  =  212  wurde  durch  die  Orakel  des  Sehers  Marcius  unter  Zustim- 
mung der  sibyllinischen  Bücher  die  Einsetzung  von  ludi  ApoUinares  an- 
geordnet, victoriae,  non  valetudinis  ergo,  wie  Livius,^)  polemisierend  gegen 
eine  abweichende,  vielleicht  richtige  Ansicht,  betont;  nachdem  diese  Spiele 
vier  Jahre  lang  zwar  alljährlich,  aber  als  ludi  votivi  an  nicht  fest  be- 


M  vgl.  z.  B.  die  Inschriften  der  aqtiae 
nüroaes  von  Ischia  CIL  X  6786  ff.  und  der 
Bftder  von  Vicarello  CIL  XJ  3285  ff. 

')  Frontin.  de  aqu.  1 4:  (fontes)  salubrita- 
tem  aegris  corporibua  afferre  creduntur, 
sicut  Camenarum  et  Apoüinis  et  luturncie, 

')  Liv.  III  63,  7.  Ueber  ein  angebliches 
zweites  Apollinar  auf  dem  Quirinal  (also 
intrapomerial!),  das  K.  0.  Müller  in  die  Ar- 
geerurkonde  bei  Yarro  de  1.  1.  V  52  hinein- 
emendieri  hat,  vgl.  Stüdemund,  Philologns 
XLVIII  174.  DiKLS,  Sibyll.  Blätter  S.  82,  1. 
AusT,  De  aedib.  sacris  p.  50,  1. 


*)  NamenÜich  Liv.  VII  20,  9  (zum  J. 
401  =  353)  et  aedea  Äpoüini  dediccUa  est 
und  das  templum  Apoüinis  Sosiani  (C.  Sosius 
Cos.  722  =  32)  bei  Plin.  n.  h.  XXXVl  28 
(vgl.  XIII  53);  s.  auch  C.  Pascal,  Bull.  arch. 
com.  XXI  1893,  46  ff.  =  Studii  di  antichita 
e  mitologia  (1896)  p.  3  ff. 

')  ApoUini  Laton{ae)  ad  tfieatr{um) 
Marc{elli)  fast.  ürb.  CIL  I«  p.  252;  Altar 
aller  drei  Gottheiten  CIL  VI  32. 

•)  Liv.  XXV  12,  15;  vgl.  auch  Macr.  S. 
I  17,  25.  27. 


C.  Di  noTensideB  grieohischer  Herkanft.    46.  Apollo. 


241 


stimmten,  sondern  wechselnden  Tagen  gefeiert  worden  waren,  wurden  sie 
im  J.  546  ==  208  auf  Veranlassung  einer  Seuche  unter  die  ständigen  Spiele 
des  Jahres  aufgenommen  und  auf  den  13.  Juli^)  festgesetzt,  von  wo  sie 
sich  allmälig  auf  die  ganze  Zeit  vom  6. — 13.  Juli  ausdehnten.')  Als  erstes 
ständiges  Jahres-Spielfest  einer  Gottheit  des  graecus  ritus  unterstanden 
sie,  abweichend  von  den  Ludi  Romani  und  Plebei,  der  Leitung  des  Praetor 
urbanus^)  und  unterschieden  sich  auch  sonst  von  den  altrömischen  Spielen, 
namentlich  durch  starkes  Hervortreten  der  scenischen  Vorführungen:  es 
hängt  damit  zusammen,  dass  in  Rom  und  Italien  die  Schauspielergesell- 
schaften sich  als  parasüi  Apollinis  unter  den  besonderen  Schutz  dieses 
Gottes  stellen.^) 

Eine  Angleichung  des  griechischen  Apollon  an  irgend  eine  Gestalt 
des  heimischen  Götterkreises  hat  im  älteren  römischen  Kulte  nicht  statt- 
gefunden, wie  sich  schon  daraus  ergibt,  dass  der  griechische  Name  un- 
verändert beibehalten  wurde.  ^)  Als  es  später  galt,  für  den  altrömischen 
ünterweltsgott  Vejovis  (s.  oben  S.  190  f.)  ein  Tempelbild  zu  schaffen,  wählte 
man  dafür  den  Typus  eines  jugendlichen,  mit  Pfeil  und  Bogen  bewehrten 
Apollo,  wie  ihn  die  griechische  Kunst  als  Todesgott  bildete:  für  die  Gleich- 
setzung beider  Gottheiten  mag  auch  der  Umstand  leitend  gewesen  sein, 
dass  dem  Vejovis  die  Ziege  heilig  war,  die  wie  im  griechischen  so  auch 
im  römischen  Gottesdienste  dem  Apollo  geopfert  zu  werden  pflegte.^)  Auf 
die  Auffassung  des  Apollo  hat  die  Gleichsetzung  mit  Vejovis  ebensowenig 
einen  bestimmenden  Einfluss  ausgeübt  wie  die  Thatsache,  dass  man  auch 
den  Semo  Sancus  Dius  Fidius  unter  seinem  Bilde  darstellte  (s.  oben  S.  121); 
wohl  aber  scheint  das  besonders  intime  Verhältnis,  in  welchem  die  Gens 
Julia  zu  Apollo  stand  (Serv.  Aen.  X  316),  darin  seinen  Grund  zu  haben, 
dass  sie  den  Dienst  des  Vejovis  als  Familienkult  pflegte  (CIL  XIV  2387) 
und  von  ihm  ihre  Verehrung  auf  den  vermeintlich  mit  Vejovis  identischen 
Apollo  übertrug. 7)  Dieser  Umstand  gewann  besondere  Bedeutung  dadurch, 
dass  Augustus,  der  manchen  als  ein  Sohn  des  Apollo  galt  und  sogar 
gelegentlich  die  Attribute  des  Gottes  anlegte  und  in  seiner  Gestalt  ab- 
gebildet wurde,®)  in  den  Mittelpunkt  der  von  ihm  reformierten  Staats- 
religion  die  Verehrung  seiner  Hausgottheiten  Apollo   und  Diana  setzte. 


')  Vielleicht  war  dies  der  ursprüngliche 
StiftuDgstag  des  Apollotempels  beim  Mar- 
cellustheater,  der  dann  erst  bei  der  Re- 
stauration durch  C.  Sosins  auf  den  23.  Sep- 
tember, den  Geburtstag  des  Augustus,  ver- 
legt worden  wäre;  über  die  Beziehungen  des 
Augustus  zu  Apollo  s.  unten. 

«)  Liv.  XXV  12,  8  ff.  Macr.  S.  I  17,  27  If. 
Liv.  XXVI  23,  3.  XXVII  11,  6.  23,  5  f!.  CIL 
P  p.  321. 

*)  MoxMSBN,  Rom.  Staatsr.  II  226. 

*)  Fest.  p.  826.  Martial.  IX  28,  9.  CIL 
VI  10118.  XIV  2113.  2408.  2977.  2988.  3683. 
4198.  4273  (nur  in  Latium). 

*)  Archaisch  überall  Apolo,  Äpolones, 
Apolone  (CIL  VI  29.  X  4632.  XIV  2847), 
auch  Apolenei  (Pisaurum,  CIL  I  167),  Apo- 
line  (IX  5803.   X  7265),  Apolinei  (XI  3073); 

Haodirach  der  klaa«.  AltertanMwinaiacbaft.   Y,  4. 


oskisch  Appelluneis  (Mau,  Bull.  d.  Inst.  1882, 
189  —  Zybtaibff,  Inscr.  Ital.  infer.  dial. 
nr.  156*),  etruskisch  Aplu;  s.  Jordan,  Krit. 
Beitr.  S.  17  ff.,  der  auch  den  von  Paul.  p.  22 
volksetymologisch  gedeuteten,  angeblich  alten 
Namen  Aperta  richtig  würdigt. 

^)  Ziegenopfer  bei  den  Apollinarspielen, 
Liv.  XXV  12,  13.  Macr.  S.  I  17,  29;  ebenso  in 
dem  sibyllinischen  Orakel  bei  Phlegon  mirab. 
10,  vgl.  DiBLs,  Sibyll.  Blätter  S.  50. 

^)  A.  KiBSSLiNO,  Zu  augusteischen  Dich- 
tem S.  92,  36.  C.  Pascal,  Bull.  arch.  com. 
XXII  1894,  59  ff.  =Stud.  d.  antich.  e  mitoL 
p.  51  ff. 

«)  Suet.  Aug.  70.  94,  Serv.  Ecl.  4,  10. 
Comm.  Cruq.  zu  Hör.  epist.  I  3,  17.  Pascal 
a.  a.  0.  S.  62  ff.  =  Stud.  p.  54  ff. 


16 


242 


Religion  nnd  Knltus  der  BOmer.    II.  GöUerlehre. 


Der  am  9.  Oktober  726  =  28  eingeweihte  Tempel  des  Apollo  Palatinus,^) 
der  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  dem  kaiserlichen  Palaste  stand, 
stellte  nicht  nur  durch  die  Pracht  der  Ausstattung  alle  andern  Tempel 
Roms  in   den  Schatten,  sondern  wurde  auch,  obwohl  an  sich  nur  eine 
Stätte  des  kaiserlichen  Privatkultes,   in   seiner  rechtlichen  Stellung  ein 
gefährlicher  Rival  selbst  des  obersten  Staatsheiligtums  auf  dem  Capitol, 
das  u.  a.  die  bisher  in  seinen  Kellern  aufbewahrten  sibyllinischen  Bücher 
an  ihn  abgeben  musste:*)  die  Bedeutung  dieser  Massregel  sowie  die  her- 
vorragende Stellung,  die  der  Kaiser  dem  Götterpaare  Apollo  und  Diana 
bei  den  Saecularspielen  des  J.  737  =  17  anwies,  ist  bereits  oben  S.  67  f. 
ins  gehörige  Licht  gesetzt  worden.    Hat  der  Apollokult  auch  nach  dem 
Tode  des  Augustus  diese  dominierende  Position  nicht  behaupten  können, 
so  ist  er  doch,   wie  namentlich   die  Münzbilder  beweisen,  während  der 
ganzen  Kaiserzeit  bedeutsam  geblieben.    Die  der  gelehrten  Spekulation 
geläufige  Gleichsetzung  mit  dem  Sonnengotte  hat  auf  die  praktische  Reli- 
gionsübung keinen  bemerkenswerten  Einfluss  ausgeübt;')  der  Gott  ist  viel- 
mehr in  Rom  wie  in  den  Provinzen  in  erster  Linie  immer  noch  als  Heii- 
gott  verehrt  worden,^)  und  es  ist  auch  vor  allem  diese  Seite  seines  Wesens 
gewesen,   die  für  die  Gleichsetzung   barbarischer  Gottheiten   mit  Apollo 
das  Tertium   comparationis  abgegeben  hat.    So  ist  der  keltisch-norische 
Belenus  von  Aquileja,  der  seit  der  Belagerung  dieser  Stadt  durch  Maxi- 
minus Thrax  im  J.  288  auch  den  Römern  in  weiterem  umfange  bekannt 
war,^)  der  Gott  einer  Heilquelle^)  und  wird  eben  darum  vielfach  als  Apollo 
Belenus  bezeichnet,  ja  Ausonius  setzt  sogar  ein  paarmal,  um  mit  seiner 
Gelehrsamkeit  zu  prunken,  für  Apollo  einfach  den  Namen  Belenus  ebenso 
ein,  wie  Consus  für  Neptunus.'^J    Ein  Heilgott  ist  sicher  auch  der  eben- 
falls keltische  Apollo  Grannus,^)  während  wir  über  die  Natur  des  west- 
thrakischen  Götterpaares,  das  auf  Soldateninschriften  unter  den  Namen 
Apollo  und  Diana  erscheint,^)  nichts  Sicheres  festzustellen  vermögen. 

Litter atur:  R.  Ubckbr,  De  ApoUinis  apud  Romanos  cultu,  Dissert.  Lipsiae  1879. 
Prsllsr-Jordan,  Rom.  Mythol.  I  299  ff.  K.  Wernickb  bei  Pauly-Wissowa,  Real-Encycl. 
II  77  ff. 

46.  Ceres,  Liber  und  Libera.  Als  im  zweiten  Jahrzehnt  der  Repu- 
blik während  der  Kämpfe  mit  den  Latinern  um  die  Restauration  der  tar- 
quinischen  Dynastie  in  Rom  eine  Missernte  eintrat  und  auch  die  aus- 
wärtige Getreidezufuhr  in  grosse  Unordnung  geraten  war,  befragte  man 


1)  GiLBBBT,  Topogr.  III  107  ff.  Ueber 
die  Tempelbilder  (Apollo,  Diana,  Latona) 
vgl.  HOlsbn,  Rom.  Mitt«il.  IX  1894,  240  ff. 

«)  Verg.  Aen.  VI  72  ff.  und  dazu  Serv. 
Tibull.  II  5,  17  f.  Suet.  Aug.  31. 

')  Soli  Limae  Apollini  Dianae  neben- 
einander in  der  Weihinsohrift  CIL  VI  3720. 

*)  8.  oben  S.  240  Anm.  1  und  vgl.  z.  B. 
auch  die  Apolloinschriften  von  Aquae  calidae 
in  Hispania  Tarraconensis  CIL  II  4487  ff. 

»)  Herodian.  VIII  3,  8.  Bist.  aug.  Ma- 
ximini duo  22,  vgl.  Tertull.  apol.  24 ;  ad  nat. 
II  8.  Weihung  der  Kaiser  Diocletian  und 
Maximian  CIL  V  732;  vollständige  Material- 


sammlung bei  WissowA  in  Roschebs  Myth. 
liOxik.  I  755  f.  und  M.  Ihm  in  Pault-VSTis- 
sowas  Real-Encycl.  III  199  ff. 

•)  Fanti  Beleno  CIL  V  754.  755.  8250. 

')  Auson.  prof.  4,  9.  10.  19;  vgl.  Momx- 
ssN,  CIL  V  p.  84.  WissowA  a.  a.  0.,  anders 
Ihx  a.  a.  0.  201. 

»)  Cass.  Dio  LXXVII  15,  6;  verbunden 
mit  der  sancta  Hygia  CIL  III  5873,  mit  den 
Nymphen  III  5861,  S^ugnisse  und  Litteratur 
in  RoscHBRS  Mythol.  Lexik.  I  1738  ff. 

•)  V.  DoMASZBwsKi,  Wostd.  Zeitschrift 
XIV  53. 


G.  Di  noyenaidea  grieohischer  Herkanft.    46.  CerM,  Liber  and  Libera.     243 

in  solcher  Not  die  sibyllinischen  Bücher  und  erhielt  von  diesen  die  An- 
weisung, die  griechischen  Gottheiten  Demeter,  Dionysos  und  Eore  zu  ver- 
söhnen: ihnen  gelobte  im  J.  258  =  496  der  Dictator  A.  Postumius  einen 
Tempel,  der  sofort  nach  beendigtem  Kriege  in  Angriff  genommen  und 
drei  Jahre  später  261  =  493  durch  den  Gonsul  Sp.  Gassius  eingeweiht 
wurde:  er  lag  seitwärts  von  den  Garceres  des  Circus  maximus  nach  dem 
Aventin  zu  und  war  zwar  nach  tuskischem  Grundschema  gebaut,  aber 
von  griechischen  Künstlern,  Damophilos  und  Gorgasos  mit  Namen,  aus- 
geschmückt. Aus  diesem  durchaus  glaubhaften  Berichte  der  Stadtchronik^) 
sowie  aus  der  Thatsache,  dass  zur  gleichen  Zeit  auch  der  griechische 
Hermes  als  Handelsgott  Mercurius  in  Rom  Aufnahme  findet  (s.  unten  §  47), 
ergibt  sich  der  enge  Zusammenhang,  in  welchem  die  Rezeption  dieser 
Kulte  mit  dem  unteritalisch-sicilischen  Getreideimport  nach  Rom  steht. ^) 
Für  das  eigentliche  Mutterheiligtum  ihres  Geresdienstes  haben  die  Römer 
selbst  den  alten  Tempel  der  Demeter  (und  Persephone)  zu  Enna  in  Sicilien 
angesehen,  wo  im  J.  621  =  133  die  Decemviri  sacr.  fac.  der  antiquissima 
Ceres  auf  Grund  eines  Sibyllenspruches  Staatsopfer  darbrachten:^)  es  ist 
aber  nicht  wohl  glaublich,  dass  die  Aufnahme  im  J.  258  =  496  direkt 
vom  entlegenen  Innern  Siciliens  her  erfolgt  ist,  vielmehr  werden  die  näher 
liegenden  unteritalischen  Griechenstädte  die  Vermittlerrolle  gespielt  haben ; 
dafür  spricht  sowohl  ein  bestimmtes  Zeugnis,*)  nach  welchem  die  Prieste- 
rinnen für  die  Qeheimfeier  der  Geres  überwiegend  aus  Neapel  und  Velia 
bezogen  wurden,  als  auch  die  Thatsache,  dass  gerade  in  Gampanien  nicht 
nur  der  Kult  der  Geres-Demeter,^)  sondern  auch  der  des  Liber-Dionysos 
in  hoher  Blüte  stand  und  das  ganze  Land  als  der  Gegenstand  des  Wett- 
eifers beider  Gottheiten  angesehen  wurde.  ^)  Von  besonderer  Bedeutung  ist 
es,  dass  die  nunmehr  in  Rom  rezipierte  griechische  Göttertrias  nicht  ihre 
einheimischen  Namen  behält  (wie  Apollo,  Gastor,  Hercules,  Aesculapius),  son- 
dern durch  Angleichung  an  altrömische  Indigetes  dem  Verständnisse  näher 
gerückt  wird:  der  Tempel  heisst  offiziell  (z.  B.  bei  Liv.  HI  55,  7.  XLI  28,  2 
u.  s.)  aedes  Cereris  Liberi  Liberaeque,  indem  Demeter  mit  der  alten  Göttin  des 
pflanzlichen  Wachstums  Geres  (s.  oben  S.  159  ff.)  gleichgesetzt  wird,  Dionysos 
und  Köre  aber  mit  Liber  und  Libera,  einem  zum  ältesten  Götterkreise  ge- 
hörenden Paare  schöpferischer  Naturgottheiten  (vgl.  oben  S.  126),  welches 
im  Festkalender  des  Numa  durch  das  am  17.  März  verzeichnete  Fest  der 
Liberalia  vertreten  war.'')  Die  Existenz  dieses  Festes  in  der  ältesten  Re- 
ligionsordnung zeigt,  dass  wir  in  Liber  pater  (so  Lucil.  frg.  8  Baehr.,  vgl. 

')  Dion.  Hai.  VI  17.  94;  vgl.  Tac.  ann.  |  *)  Cic.  pro  Balbo  55  ^  Val.  Max.  11,1; 

II  49.   Vitr.  III  3,  5.   Plin.  n.  h.  XXXV  154.  I  eine  li^eia  JtjfÄtjtQos  SeafÄO<p6Qov  in  Neapel 

GiLBBBT,  Topogr.  II  242  ff.  Hülsen,  Diesert.  '  Kaibel,  Inscr.  graec.  Sicil.  Ital.  756a;  sacra 

d.  Pontif.  Accad.  Roman,   di  Archeol.   ser.  Demetros  in  Gamae,   der   Mntterstadt   von 


U  t.  VI  1896,  237  ff. 

«)  Unter  dem  J.  263  =  491  berichtet 
Liv.  II  34,  8  (vgl.  Dion.  Hai.  VII  1)  zum 
erstenmale  von  Getreideankäafen  der  Con- 
saln  nicht  nur  in  Cumae,  sondern  auch  in 
Sicilien. 

»)  Cic.  Verr.  IV  108  =  Val.  Max.  11,1  = 
Lact.  inst.  II  4,  29;  vgl  auch  Cic.  Verr. 
V  187. 


Neapel,  CIL  X  3685. 

^)  Nissen,  Pompejan.  Studien  S.  326  ff. 

•)  Plin.  n.  h.  III  60=  Flor.  TU;  vgl. 
auch  Auson.  Mos.  208  ff.  Sil.  Ital.  VII 162  ff. 

»)  CIL  I«  p.  312  (die  Beischrift  Libero 
Lib(erae)  haben  die  Fasti  Caeretani);  über 
das  zufällige  Zusammenfallen  des  Tages  mit 
dem  agonium  MarticUe  s.  Wissowa,  De  fe- 
riis  anni  Rom.  p.  XI  f. 

16* 


244  Religion  und  Knltna  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 

oben  S.  23  Anm.  2),  der  einen  Altar  auf  dem  Capitol  besass,^)  einen  alt- 
einheimischen Gott  zu  erkennen  haben,  und  entzieht  einer  bestechenden 
modernen  Hypothese,  die  in  Liber  nur  eine  Übersetzung  des  griechischen 
Avaioq  oder  'EXev&ägiog  sieht, ^)  den  Boden:  dass  sich  Liber  im  Laufe  der 
Zeit  von  Juppiter  Liber  (oben  S.  105  f.)  zu  selbständigem  Dasein  losgelöst 
hat,  wurde  schon  früher  hervorgehoben.  Von  Festbräuchen  der  Liberalia 
erfahren  wir,  dass  alte  Frauen  an  der  Strasse  sitzend  Opferkuchen  (liba) 
feilboten,  von  denen  sie  ein  Stückchen  im  Namen  des  Käufers  auf  einem 
tragbaren  Herde  opferten,')  femer  dass  man  an  diesem  Festtage  auf  offner 
Strasse  zu  speisen  pflegte  (Tert.  apolog.  42),  sowie  dass  man  ihn  mit  Vor- 
liebe wählte,  um  die  Anlegung  der  Männertoga  {toga  libera)  vorzunehmen  >) 
In  manchen  Gegenden  Italiens  wurde  zu  Ehren  des  Liber  ein  grosser 
Phallus  zu  Wagen  auf  dem  Lande  umher  und  in  die  Stadt  gefahren,  so 
namentlich  in  Lavinium,  wo  dem  Gotte  ein  ganzer  Monat  geweiht  war 
und  der  Phallus,  während  dessen  Umfahrt  allerlei  anzügliche  Lieder  und 
Scherze  im  Schwange  waren,  durch  eine  Matrone  öffentlich  bekränzt  wurde. ^) 
Bedeutung,  Alter  und  Herkunft  dieser  Festbräuche  sind  im  einzelnen  nicht 
mehr  zu  ermitteln,  doch  sind  wir  wohl  berechtigt,  dies  Ceremoniell  für 
den  italischen  Liber,  wie  er  vor  seiner  Gleichsetzung  mit  dem  griechischen 
Dionysos  verehrt  wurde,  in  Anspruch  zu  nehmen;  auch  haben  wir  keinen 
Grund,  die  Angabe  Varros,  das  lavinische  Fest  habe  pro  eventibus  seminum 
stattgefunden,  in  Zweifel  zu  ziehen,  zumal  auch  an  andern  Stellen  der 
Gott  gerade  mit  dem  tierischen  und  pflanzlichen  Samen  in  Verbindung 
gebracht  wird.^)  Eine  spezielle  Beziehung  auf  den  Weinbau  hat  Liber 
erst  durch  die  Gleichsetzung  mit  Dionysos  erhalten,  ebenso  wie  Geres  erst 
durch  die  Identifikation  mit  Demeter  zur  Getreidegöttin  geworden  ist. 

Die  führende  Stellung  in  der  neuen  griechischen  Göttertrias  nimmt 
Ceres  ein,  ihre  Kinder  (Cic.  de  nat.  deor.  H  62)  Liber  und  Libera  werden 
nur  als  trvvvaoi  &€oi  neben  ihr  verehrt  wie  Diana  und  Latona  neben 
Apollo;  darum  heisst  der  Tempel  vielfach  auch  schlechtweg  aedes  CererUt 
(Liv.  n  41,  10.  X  23,  13.  XXVH  6,  19  u.  s.),  sein  Stiftungstag  ist  auf  das 
alte  Kalenderfest  der  Cerialia  am  19.  April  gelegt, 7)  und  als  man  dieses  Fest 
mit  Spielen  begeht,  gelten  dieselben  zwar  allen  drei  Gottheiten,^)  heissen 
aber  kurz  nur  ludi  Ceriales;  auch  die  sacerdotes  puhlkae  Cereris  p,  R.  Q.^) 

')  Faat.  Farn.  CIL  I'  p.  312.   CIL  III  p.  !  J.  18  n.  Chr.). 

849  =  X  1402.  I  8)  Cic.  Verr.  V  36;  vgl.  Serv.  Georg.  I  7. 

«)   V.   Hehn,   Kulturpfl.   u.    Haustiere*  .  Ovid.  fast.  III  785  f.    Cyprian.  de  spect.  4. 

S.  66.    GiLBBBT,  Topogr.  II  209  f.  Reitzbn-  i  »)  CILVI2181f.  Priesterinnen  der  Ceres 

8TBIN,  Epigramm  u.  Skolion  S.  216.  finden  sich  sehr  häufig   in  Campanien  (CIL 

«)  Varro  de  I.  L  VI  14.  Ovid.  fast.  III  '  X  812.  1074a  Pompeji;  1585.  1812.  1829  Pu- 

713  ff.  I  teoli;    3912.  3926  Capua;  4793  f.  Teannm 

^)  Ovid.  a.  a.  0.  771  ff.  Cic.  ad  Att.  VI  !  Sidicinum)  und  den   benachbarten  Gebieten 


1,  12. 

•)  Varro  bei  Aueust.  c.  d.  VII  21 ;  vgl. 
0.  Jahn,  6er.  d  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss. 
1855,  71  f. 


9;  vgL  VII  2.  3.  16.  IV  11. 


(CIL  X  5073.  5145  Atina;  6103.  6109  For- 
miae;  6640  Antium;  XI  3933  Capena;  IX 
3170  Corfinium;  3358  Pinna;  4200  Amiter- 
num),    oft  auch    gemeinsame   Priestennnen 


•)  Varro  bei  Angustin.  c.  d.  VII  21.  VI      der  Ceres  und  Venus  (Surrentum  CIL  X  680. 


688;  Pompeji  Ephem.  epigr.  VIII  315  =  855; 


')  Fast.  EsquiL  CIL  I«  p.  315;  auch  !  Casinum  CIL  X  5191 ;  Suimo  IX  3087.  3089. 
ausserhalb  Roms  opfert  man  ihr  XIII  Kai,  \  3090);  eine  sacerdos  Liberi  publica  in  Aqui- 
Mai.,  CIL  XI  3196  (Inschrift  aus  Nepet  vom  |   num  CIL  X  5422. 


G«  Di  noTenaidea  grieohischer  Herkunft.    46.  Ceres,  Liber  nnd  Libera.     245 


dienten  gewiss  der  Verehrung  des  gesamten  Dreivereins.  ^)  Von  grosser 
Bedeutung  ist  es,  dass  die  aedes  Cereris,  deren  Einweihung  ja  zeitlich  mit 
der  Emanzipation  der  Plebs  zusammenfallt,  ein  spezifisch  plebejisches 
Heiligtum  und  für  die  Plebs  geradezu  die  aedes  schlechthin  wurde;  denn 
dass  die  plebejischen  Untermagistrate,  die  aedües,  ihren  Namen  von  der 
aedes  Cereris  Älhren,  lässt  sich  nicht  verkennen,  wenn  man  die  engen 
Beziehungen  beider  zu  einander  ins  Auge  fasst:  im  Cerestempel  befindet 
sich  das  unter  der  Obhut  der  Aedilen  stehende  Archiv  der  Plebs^)  und 
ihre  Kasse,  in  welche  die  von  den  plebejischen  Beamten  verhängten  Straf- 
gelder fiiessen,^)  und  auch  die  cura  annonae  der  Aedilen  zeigt  so  deutlichen 
Zusammenhang  mit  dem  Kulte  der  Geres,^)  dass  Caesar,  als  er  das  von 
ihm  neu  hinzugefügte  Aedilenpaar  aediles  plebei  Ceriales  nannte,^)  damit 
nur  den  alten  Gedanken  und  wahrscheinlich  sogar  auch  den  ursprünglichen 
Namen  wieder  aufnahm ;  auch  die  Ausrichtung  der  ludi  Ceriales  lag  ebenso 
wie  die  der  ludi  plebei  den  Aediles  plebei  ob.^)  In  welchem  Umfange  der 
Tempel  von  Ceres,  Liber  und  Libera  als  sakraler  Mittelpunkt  der  plebeji- 
schen Sondergemeinde  angesehen  wurde,  erkennt  man  nicht  nur  daraus, 
dass  die  Plebs  die  Cerialia,  d.  h.  den  Stiftungstag  des  Tempels,  mit  Gastereien 
festlich  beging,  7)  sondern  mehr  noch  aus  der  Festsetzung,  dass  das  Ver- 
mögen dessen,  der  gegen  die  zum  Schutze  der  plebejischen  Magistratur  er- 
lassenen leges  sacratae  frevelte,  eben  dieser  Göttertrias  verfallen  sein  sollte.^) 
.Die  weitere  Entwicklung  des  Kultes  von  Ceres,  Liber  und  Libera 
lässt  sich  nur  in  grossen  Zügen  verfolgen.  Bei  den  Lectisternien  erscheint 
Ceres  nicht  früher  als  bei  dem  grossen  Zwölfgöttermahle  des  J.  587  =  217, 
wo  sie  mit  Mercurius  gepaart  ist  (Liv.  XXII  10,  9,  vgl.  oben  S.  55);  wieder- 
holentlich  aber  werden  bei  ihrem  Tempel  auf  Anordnung  sibyllinischer 
Sprüche  Supplikationen  abgehalten^)  oder  Geldspenden  (stipes)  niederge- 
legt, ^o)  auch  dass  das  Heiligtum  Asylrecht  besass,  erfahren  wir  gelegent- 
lich, ^i)  Zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Cannae  wurde  in  Rom  alljährlich  im 
August **)  durch  die  Matronen  ein  sacrum  anniversarium  Cereris  begangen, 
dessen  Abhaltung  damals  durch  die  infolge  jener  Niederlage  eingetretene 
allgemeine  Familientrauer  unmöglich  wurde,  so  dass  der  Senat  sich  ver- 
anlasst sah,  für  die  Zukunft  die  Dauer  der  Trauerzeit  auf  30  Tage  zu 
beschränken. ^3)  Diese  erst  kurz  vor  dem  hannibalischen  Kriege  einge- 
führte Pestfeier  (Arnob.  11  73)  ist  eine  völlig  griechische  und  zweifellos 
identisch  mit  denjenigen  Mysterien  der  Ceres,  die  Cicero  in  seiner  Sakral- 
gesetzgebung erwähnt  und  allein  von  allen  Geheimdiensten  den  Frauen 
gestatten   will:^^)   die  Matronen  erschienen   dabei  in  weissen  Gewändern 


')  Vgl.  auch  die  »(teerdos  Cerialia  Deia 
Libera  in  Aesernia  CIL  IX  2670. 

»)  Liv.  III  55,  13;  vgL  Zonar.  VII  15. 

»)  Liv.  X  23,  13.  XXVII  6,  19.  36,  9. 
XXXIII  25,  3  u.  a. 

^)  vgl.  Lacil.  frg.  152  Baehr.:  deficit 
alma  Ceres  nee  plebes  pane  potitur, 

^)  MoMKSEN,  Staatsr.  II  471. 

*)  MoMKSEN  a.  a.  0.  n  509. 

»)  Gell.  XVIII  2, 11 ;  vgl.  Plaut.  Men.  101. 

«)  Dion.  Hah  VI  89.  Liv.  III  55,  7;  vgl. 


Dion.  Hai.  X  42.  Liv.  II  41,  10. 

•)  Liv.  XLI  28,  2;  vgl.  Tac.  ann.  XV  44. 

»0)  Obsequ.  43  [103].  46  [106].  53  [113]. 

**)  Varro  de  vita  p.  R.  bei  Non.  p.  44. 

")  Nach  MoMMSBNS  Vermutung  (CIL  !• 
p.  324)  am  10.  August. 

>»)  Liv.  XXII  56,  4  f.  XXXIV  6,  15.  Val. 
Max.  I  1,  15.  Plut.  Fab.  Max.  18.  Paul.  p.  97 
(wo  f&lschlich  100  Tage  angegeben  werden). 

")  Cic.  de  leg.  II  21.  37:  initienturque 
€0  ritu  Cereri,  quo  Romae  initiantur. 


246  Beligion  and  KnltaB  der  BOmer.    IL  GOtterlehre. 

und  mit  einem  besonderen  Kopfputz,^)  und  die  Hauptceremonie  des  an  die 
griechische  Legende  von  Raub  und  Ruckkehr  der  Persephone  anknüpfenden 
(Paul.  p.  97)  Festes  scheinen  die  den  griechischen  ^coya/jna*)  nachgebildeten 
Orci  nuj)tiae,^)  d.  h.  eine  Vorführung  der  Vermählung  von  Persephone  und 
Pluton,  gewesen  zu  sein,  bei  welchen  kein  Wein  gespendet  werden  durfte,^) 
die  also  nach  dem  Ritus  griechischer  chthonischer  Opfer  als  vr^^dha  tcQa 
begangen  wurden.*^)  Für  die  ganze  Festzeit  war  der  Genuss  des  Brotes  ver- 
boten/) wahrscheinlich  auch  die  Enthaltung  von  geschlechtlichem  Umgang 
gefordert,^)  da  die  Priesterinnen  der  Göttin,  Frauen  griechischer  Herkunft, 
denen  das  römische  Bürgerrecht  verliehen  wurde  (Cic.  pro  Balbo  55),  für 
die  Dauer  ihrer  Funktion  die  gleiche  Verpflichtung  eingehen  und  daher, 
falls  sie  verheiratet  waren,  von  ihren  Männern  sich  trennen  mussten.^) 
Ein  Fest  verwandter  Art,  ieiunium  Cereris,  wurde  im  J.  563  =  191  durch 
die  sibyllinischen  Bücher  zur  Sühnung  schwerer  Prodigien  angeordnet,  um 
alle  5  Jahre  begangen  zu  werden,  in  der  augusteischen  Zeit  fand  es  all- 
jährlich am  4.  Oktober  statt  ;^)  ausserdem  wurde  in  derselben  Zeit  ständig 
am  13.  September,  dem  Stiftungstage  des  Tellustempels  auf  den  Carinae 
(oben  S.  161  f.),  ein  Lectistemium  zu  Ehren  der  Ceres  begangen,  ^^)  und 
am  21.  Dezember  erhielten  Hercules  und  Ceres  ein  gemeinsames  Opfer 
von  einer  trächtigen  Sau,  Brot  und  Met:^^)  dass  es  sich  hier  überall  um 
Kulthandlungen  des  graecus  ritus  handelt,  steht  ausser  Zweifel.  Die  Ludi 
Ceriales,  die  uns  zuerst  im  J.  552  =  202  als  —  damals  bereits  eine  Zeit 
lang  bestehendes  —  ständiges  Jahresfest  bezeugt  sind  (Liv.  XXX  39,  8), 
erstreckten  sich  in  augusteischer  Zeit  vom  12. — 19.  April  und  boten  man- 
cherlei eigenartige  Lustbarkeiten,  insbesondere  Ausstreuen  von  Nüssen 
und  Fuchshetzen,  bei  denen  den  Tieren  Feuerbrände  an  die  Schwänze  ge- 
heftet waren  ;!*)  der  letzte  (im  4.  Jhdt.  n.  Chr.  auch  der  erste)  Tag  war 
Circusspielen  gewidmet,^*)  seit  wann  auch  scenische  Aufführungen  statt- 


')  Tertoll.  de  pall.  4 ;  vgl.  de  fcest.  anim.  j  mit  Arnob.  V  16  castus  tetnperatus  ah  alt- 
2.  Val.  Max.  I  1,  15.  Juven.  6,  50;  auch  an  monio  panis;  die  Ergänzung  der  Inschrift 
den  Cerialia  trug  man  weisse  Kleider  nach  1  CIL  VI  87  (über  sie  neuerdings  G.  Pascal, 
Ovid.  fast.  IV  619.  V  355.  i  Hermes  XXX  1895,  548  ff.  =  Studii  d.  an- 

*)  Namentlich  in  Syrakus,  aber  auch  '  tich.  e  mitol.  S.  207  ff.)  ist  ganz  unsicher, 
sonst  gefeiert,   vgl.  R.  Foebsteb,  Raub  und   I  ')  Die  Schilderung  Ovids  met.  X  431  ff. 

bezieht  sich  aber  nicht  auf  das  rOmische 
Fest,  sondern  auf  eine  griechische  Demeter- 
feier. 


Rückkehr  der  Persephone  S.  23. 

*)  Serv.  Georg.  I  344:  aliud  est  sacrum, 
aliud  nuj)tias  Cereri  celebrare,  in  qutbus 
revera  vinum  adhiberi  nefas  fuerat,   quae  j  *)  Tertull.  de  monog.  17:  Cereris  sacer- 

Orci  nuptias  dicebantur^   quas  praesentia  I  dotes  viventibus  etiam  r«m  et  consentienti' 

bus    amica   separatione    vidtMntur;    durch 


sua  pontifices  (gewiss  ungenau)  ingenti  sol- 
lemnitate  celebrarunt.  Hierher  gehört  wohl 
auch  die  Notiz  Serv.  Aen.  IV  58:  Romae 
cum  Cereris  Sacra  fiuntf  observatur,  ne  quis 


Verallgemeinerung  wird  darum  Ceres  zur 
Göttin  der  Ehescheidung  gemacht,  Serv. 
Aen.  IIl  139.  IV  58. 


patrem    aut   filiam  nominet,   quod  fructus  \  •)  Liv.  XXXVI  37,  4.  CIL  P  p.  331. 

•  p.  336  f.  Arnob  VII 
*)  Serv.  Georg.  I  344.  Dion.  Hai.  I  33, 1 ;      Stelle  Tertull.  de  idol.  10  ist  füschlich  hier- 


matrimonii  per  liberos  constet.  \  ")  CIL  P  p.  336  f.   Arnob  VlI  32;  die 


daher  Plaut.  Aulul.  355  Cereri  nuptias  facere      her  bezogen  worden,   vgl.  Wissowa,   Gott. 


für  ein  Fest  ohne  Wein 

^)  Stengel,  Griech.  Eultusaltert  S.  72  f. 
DiBLs,  Sibyll.  Blätter  S.  71. 


gel.  Anz.  1891,  29  f. 

»*)  Macr.  S.  III  11,  10,  vgL  oben  S.  229. 
")  Fest.  p.  177.  Ovid.  fast.  IV  681  ff. 


*)  Fest.  p.  154  in  casto  Cereris  (unter  ,  >»)  CIL  I«  p.  315;  vgl.  Tac.  ann.  XV  53 

den  Fällen  des  luctus  minutus)  verglichen  |   74.    Cass.  Dio  XLVII  40. 


C.  Di  noTenaides  griechieoher  Herkunft.    46.  Ceres,  Liber  und  Libera.     247 

fanden,  ist  nicht  bezeugt.  Augustus  begann  nicht  nur  einen,  nachher  von 
Tiberius  im  J.  17  n.  Chr.  vollendeten  Neubau  des  im  J.  723  =^  31  durch 
eine  Feuersbrunst  zerstörten  alten  Tempels  von  Geres,  Liber  und  Libera,^) 
sondern  errichtete  auch  im  J.  7  n.  Chr.  im  Vicus  jugarius  einen  gemein- 
samen Altar  der  Ceres  mater  und  Ops  augusta,  dessen  Stiftungstag 
(10.  August)  unter  die  Feriae  des  Jahres  aufgenommen  wurde  (CIL  P 
p.  324),  wahrscheinlich  zu  Ehren  der  Livia,  von  der  wir  auch  aus  andern 
Zeugnissen  wissen,  dass  sie  sich  als  Ceres  feiern  liess.^) 

Was  uns  von  Zeugnissen  des  Gottesdienstes  von  Ceres,  Liber  und 
Libera  aus  spätrepublikanischer  und  kaiserlicher  Zeit  vorliegt,  zeigt,  dass 
man  Ceres  ebenso  ausgesprochen  als  Gottheit  des  Getreidebaues  und  der 
Getreideeinfuhr,  wie  Liber  als  den  Beschützer  des  Weinbaues  verehrte: 3) 
darum  wird  im  Bauernkalender  (CIL  P  p.  281)  der  Monat  der  Getreide- 
ernte, der  August,  als  tutela  Cereris  bezeichnet  und  zum  Oktober  ange- 
merkt: vindemiae  sacrum  Libero,  und  es  erhielten  Liber  und  Libera  ebenso 
bei  der  Weinlese  eine  Erstlingsspende  von  jungem  Most,  sacritna  genannt, 
wie  Ceres  den  ersten  Ährenschnitt,  das  praemetium.^)  Auf  den  Münz- 
bildern wird  Ceres  namentlich  als  Beschützerin  der  hauptstädtischen  Ge- 
treideversorgung vorgeführt,  thronend  mit  Scepter  und  Ähren,  neben  ihr 
ein  Getreidemass  {moditts)  und  —  zum  Zeichen  der  überseeischen  Her- 
kunft des  Getreides  —  ein  Schiffsvorderteil:  als  ihre  Dienerin  und  Be- 
gleiterin steht  häufig  neben  ihr  die  personifizierte  Annona,  die  sich  all- 
mälig  als  selbständige  Figur  loslöst  und  mehrfach  auf  Inschriften  und 
Kunstdenkmälem  begegnet.^)  Zu  den  Verehrern  der  Ceres  gehören  daher 
namentlich  die  mensores  frumentarii,^)  wie  zu  denen  des  Liber  die  Winzer 
und  Weinhändler,  7)  von  denen  die  letzteren  ihn  oft  zusammen  mit  Mer- 
curius  anrufen,  während  er  von  den  ersteren  häufig  durch  individuali- 
sierendQ  Beinamen^)  als  Beschützer  eines  bestimmten  Weingutes  bezeichnet 
und  mit  den  ländlichen  Göttern  Silvanus  und  Hercules  verbunden  wird.^) 
In  den  Provinzen  ist  der  Kult  der  Ceres  am  verbreitetsten  in  Afrika,  wo 
die  Göttin  in  griechischer  Auffassung  (Cereri  graec[ae\  sacr\u\m  CIL  VIII 
14381)  mit  Pluto  verbunden  wird  (CIL  VIH  8442.  9020  f.)  und  häufig  in 
der  pluralen  Namensform  Cereres  erscheint,  was  man  richtig  auf  Ceres 
und  Proserpina  (wie  Castores  für  Castor  und  Pollux)  gedeutet  hat.^^)    Das 


0  Cass.  Dio  L  10, 3.  Strab.  VIII 881.  Tac. 
ann.  II  49. 

')  CoHBN,  Med.  imp^r.  I*  p.  77  nr.  93. 
p.  172  nr.  13;  vgl.  auch  CIL  X  7501. 

»)  DioB.  Hai.  VI  17,  4  ol  di  (nämlich 
Demeter,  Dionysos,  Eore)  vnaxovaayxBg  zijy 
re  y^y  naQeoxevaaay  avsiyM  nXovciovs  xa^ 
novg,  ov  fioyoy  rtjy  anoQifioy  aXXa  xai  xrjy 
dsv^QotfOQoy,  xal  rag  inswxtovg  dyoQug 
imxXvaai  fiäXXoy  rj  n^TSQoy;  daher  werden 
Ceres  nnd  Liber  zusammen  angerufen  bei 
Varro  de  re  rast.  I  1,  5. 

*)  MoMMSBN,  CIL  P  p.  332.  Colnm.  XII 
18,4.    Paul.  p.  319. 

*)   In  der  Litteratur  personifiziert   nur 


1  (Gemme).  VI  22.  8470.  VIII  7960.  XIV  51 ; 
über  Eunstdarstellungen  Brunn,  Annali  d. 
Inst.  1849,  135  ff.;  Sitz.-Ber.  Akad.  München 
1881  II  119  ff.;  vgl.  auch  Mabquabdt,  Staats- 
▼erw.  II*  128,  4.  Im  allgemeinen  Wissowa 
in  RoscHBBS  Mythol.  Lexik.  I  359  f. 

•)  CIL  XrV  2.  409.  III  3835  (vgl.  VI  22); 
ein  horreariu8  in  Beneventum  CIL  IX  1545. 

»)  CIL  V  5543.  VI  467.  8826. 

8)  CIL  VI  463.  466.  1X2631. 

»)  CIL  III  3923.  3957.  VI  294.  IX  3603. 
XII  3132 

»0)  CIL  VIII  580.  1548.  1838.  3303.  6359. 
6709.  11826.  12318.  14438  (auch  in  Puteoli 
eine  sacerdos  Cerentm  CIL  X  1585);   vgl. 


beiStatsilv.  16,  38;  Inschriften  CIL  II 4976,   \  0.  Hibsohpbld,  Annali  d.  Inst.  1866^  51. 


248 


Beligion  und  Knltas  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


in  Rom  selbst  und  Italien  verschollene  Götterpaar  Liber  und  Libera  be- 
gegnet uns  ausserordentlich  häufig  auf  Weihinschriften  von  Dacien,  Dal- 
matien  und  Pannonien,^)  wo  offenbar  zwei  engverbundene  einheimische 
Gottheiten  sich  dieser  Namen  bemächtigt  haben.')  Mehr  noch  als  im  Kulte 
der  Ceres,  in  welchem  seit  Augustus  auch  die  Einwirkung  der  eleusini- 
sehen  Mysterien  sich  geltend  macht,')  tritt  in  dem  des  Liber  in  Rom  wie 
in  den  Provinzen  ein  orgiastisch-mystischer  Zug  hervor.  Nachdem  in  der 
Zeit  nach  dem  hannibalischen  Kriege  die  von  Unteritalien  her  in  Rom 
eindringenden  Geheimkulte  des  Bacchus  von  der  Behörde  gewaltsam  unter- 
drückt worden  waren,^)  hat  nach  einer  vereinzelt  stehenden  Nachricht 
(Serv.  Ecl.  5,  29)  Caesar  einen  neuen  Dienst  des  Liber  in  Rom  eingeführt, 
der  jedenfalls  ein  halborientalischer  war:  diesem  scheint  sowohl  der  von 
Septimius  Severus  erbaute  Tempel  (Cass.  Dio  LXXVI  16)  anzugehören,  als 
die  Mehrzahl  der  aus  den  Inschriften  bekannten  Kultgenossenschaften  des 
Gottes,^)  die  namentlich  in  der  Spätzeit  des  Heidentums  eine  grosse  Rolle 
spielen^)  und  mit  allen  möglichen  andern  Geheim-  und  Fremdkulten,  wie 
Isis,  Mithras,  Magna  Mater  und  Hekate,  in  naher  Beziehung  stehen.  ?) 

Litteratur:  Th.  Bibt  in  Roschers  Mythol.  Lexik.  I  859  ff.  (Geree).  G.  Wissowa 
ebd.  II  2021  ff.  (Liber  and  Libera)  und  Real-Encycl.  III  1970  ff.  (Gerea).  A.  Pbstalozza 
und  G.  Ghieba  bei  Ruooiebo,  Dizion.  epigraf.  II  204  ff.  A.  ScHN£OBLSBBBe,  De  Liberi  apud 
Romanos  cnltu  capita  duo,  Dissert.  Marporgi  1894. 

47.  Mercurius.  Demselben  Anlasse,  der  die  Aufnahme  der  griechi- 
schen Getreidegöttin  Demeter-Ceres  in  Rom  herbeiführte,  verdankt  auch  der 
griechische  Handelsgott  seine  Rezeption:  die  Fürsorge  für  den  Getreide- 
import aus  dem  griechischen  Süden  Italiens  fand  im  J.  259  =  495  ihren 
sakralen  Ausdruck  in  der  Weihung  eines  Tempels  des  Gottes  Mercurius, 
mit  der  zugleich  eine  Art  Getreidebörse  und  die  Stiftung  einer  Kaufmanns- 
gilde verbunden  war.^)  Der  Bericht  über  die  Gelobung  des  Tempels  fehlt 
in  unsern  Quellen  und  damit  die  direkte  Angabe,  dass  dieselbe  auf  Grund 
einer  Befragung  der  sibyllinischen  Bücher  geschah:  dass  das  letztere 
jedoch  der  Fall  war,  können  wir  mit  voller  Sicherheit  daraus  »chliessen, 
dass  Mercurius  schon  beim  ersten  Lectisternium  im  J.  355  =  399  erscheint 
(Liv.  V  13,  6.   Dion.  Hai.  XH  9).    Der  Tempel»)  lag  beim  Circus  maximus 


>)  Dacien:  CIL  IH  792.  1093  f.  1303; 
SuppL  7684.  7916;  Dahnatien:  CIL  IIL  1790 
=  6362  (noch  in  republikanische  Zeit  hinauf- 
reichender Tempel  in  Narona).  2908;  Panno- 
nien:  CIL  HI  3234.  3298.  3466.  3506.  4297; 
Suppl.  10343,  dazu  zahlreiche  Weihungen  an 
Liber  allein. 

')  V.  DoMASZBWSKi,  Westd.  Zeitschrift 
XIV  54. 

»J  Suet.  Aug.  93,  vgl.  Claud.  25.  Aurel. 
Vict.  Caes.  14,  4.  Bist.  aug.  M.  Aurel.  27,  1 ; 
ein  Cereris  mystes  aus  Rom  Ephem.  epigr. 
IV  866;  sacratua  Libero  et  Eleusi[ni]i8  und 
sacrata  Cereri  et  Eleunniis  CIL  VI  1779 
(Ende  des  4.  Jhdts.  n.  Chr.). 

*)  s.  oben  S.  58  und  Wissowa,  Real- 
Encycl.  II  2721  f. 

^)  Ein  thiasus  Placidianus  in  Puteoli 
verehrt  Liber  und  die  Cereres  (CIL  X  1583 
—1585). 


')  Der  eigentliche  Name  dieser  Ge- 
nossenschaften scheint  spirae  gewesen  zu 
sein  (CIL  VI  76.  261.  461  X  6510.  Kaibbl, 
Inscr.  graec.  Sicil.  Ital.  925.  977);  die  Namen 
der  einzelnen  Grade  und  Würden  sind  spi- 
rarches  (CIL  VI  2251  f.),  orgiophanta  (CIL 
X  1583),  parastata  (X  1584),  hierophantes 
(VI  507),  archibucolus  (VI  504.  510). 

'}  z.  B.  CiL  VI  500.  504.  507.  510  u.  a. 

^)  Liv.  II  27,  5:  certamen  consulibus  in- 
ciderat,  uter  dedicaret  Mercuri  aedem,  se- 
flatus  a  86  rem  ad  populum  reiecit:  lUri 
eorum  dedicatio  iussu  populi  data  esset, 
eum  praeesse  annonae,  mercatorum  coh 
legium  instituere,  sollemnia  pro  pontifice 
iussit  suscipere.  Dasselbe  kürzer  II  21,  7; 
vgl.  Val.  Max.  IX  3,  6. 

')  Wahrscheinlich  ein  Rundtempel,  Serv. 
Aen.  IX  408;  vgl.  Jordan,  Tempel  der  Vesta 
S.  77  Anm.  6. 


G.  Di  noTensidea  griechischer  Herkunft.    47.  Xercnrins.  249 

hinter  den  unteren  metae  nach  der  Seite  des  Aventin  hin,^)  jedenfalls 
extra  pomerium;  der  Stiftungstag  fiel  auf  den  15.  Mai  (CIL  P  p.  318),  und 
zwar  war  der  Monat  offenbar  deshalb  gewählt,  weil  man  die  neben  Mer- 
curius  in  seinem  Tempel  verehrte  (s.  unten  Anm.  2)  Mutter  des  Gottes 
Maja  mit  der  gleichnamigen  altrömischen  Göttin,  der  Genossin  des  Vol- 
canus,  welcher  am  1.  Mai  geopfert  wurde  (s.  oben  S.  185),  identificierte. 
Der  Tag  war  ein  Spezialfesttag  der  Eaufmannsgilde,^)  ebenso  wie  der  Stif- 
tungstag des  Minervatempels  auf  dem  Aventin  von  den  Handwerkerzünften 
als  Sonderfest  begangen  wurde;  denn  dieses  collegium  mercatorum^)  be- 
trachtet sich  als  unter  dem  besonderen  Schutze  des  Gottes  stehend  und 
seine  Mitglieder  bezeichnen  sich  daher  auch  als  Mercuriales.^)  Diese  enge 
Verbindung  des  Gottes  mit  dem  Eaufmannsstande  und  die  Ersetzung  des 
griechischen  Eigennamens  durch  die  lateinische  Bezeichnung  Mercurius  (zu 
merces,  mercariy)  lassen  mit  aller  Deutlichkeit  erkennen,  dass  von  den 
verschiedenen  im  Wesen  des  griechischen  Hermes  vereinigten  Seiten  für 
den  römischen  Kult  nur  seine  Eigenschaft  als  Handelsgott  in  Betracht 
kam :  als  solcher  fand  er  auf  dem  Sextans  der  ältesten  römischen  Kupfer- 
prägung seinen  Platz,  und  fast  ausschliesslich  in  dieser  Auffassung  feiern 
ihn  die  inschriftlich  erhaltenen  Denkmäler  seiner  Verehrung,^)  in  denen 
zuweilen  auch  Maja  neben  ihm  erscheint,  7)  sowie  die  aus  zufalligen  Er- 
wähnungen bekannten  römischen  Kapellen  und  Bilder  des  Gottes^)  und 
die  zahlreichen  Bonzestatuetten  unserer  Museen,  die  den  mit  Beutel  und 
Caduceus  ausgestatteten  Mercurius  darstellen;^)  die  auf  Inschriften  und 
Bildwerken  häufige  Verbindung  des  Gottes  mit  Fortuna,  ^^)  vereinzelt  auch 
mit  der  Handwerkergöttin  Minerva,  ^^)  findet  so  ungezwungen  ihre  Erklärung. 
Wenn  bei  den  Dichteiii  vielfach  auch  griechische  Vorstellungen  wie  die 
von  Hermes  als  dem  Erfinder  der  Lyra  oder  dem  Seelenführer  auf  den 
römischen  Mercurius  übertragen  werden,  ^^)  so  kann  das  an  der  engeren 
Begrenzung  der  im  Kulte  zum  Ausdrucke  kommenden  Auffassung  nichts 
ändern,  und  wenn  sich  Augustus  gelegentlich  als  auf  die  Erde  herabge- 
stiegenen Mercurius  feiern  liess,^')  so  hat  er  sich  dabei  wohl  im  wesent- 

«)  Ovid.  fast.  V  669.  Apul.  met.  VI  8;  ')  CIL  X  885  ß,  (Pompeji).  III  740.   V 

vgl.   0.  RiCHTBB,  Topogr.  843  f.    Hülsbn,      6354^  Eph.  ep.  IV  76.   V  1408;  vgl.   auch 
Dissert.  d.  Pontif.  Accad.  Rom.  di  Archeol. 
»er.  II  t.  VI  (1896)  p.  264. 

>)  Macr.  S.  1 12,  19.  Lyd.  de  mens.  IV  53 
(beide  Dennen  Mercurius  u.Maja).  Paul.jp.  148. 

')  Ein  solches  auch  in  Capua,  CIL  X 
3773;  vgl.  Libbenam,  Vereinswesen  S.  89  ff, 

*)  Cic.  ad  Qu.  fr.  II  5,  2.  CIL  XIV 
2105  (identisch  damit  die  'E^fdaXorai  auf 
Delos,  Bull,  de  corresp.  hellen.  VIII  94  ff.), 
vgl.  auch  culiores  Mercurii  CIL  VII  1069  f., 
Mercuresißs)  Eph.  epigr.  III  179.  Daher  die 
Anwendung  von  Mercuriaüs  bei  Hör.  sat  JI 
3,  25  (vgl.  cann.   II  17,  29).    Pers.  5,  112. 

*)  Aeltere  Form  Mircurius  (Mirqurius), 
Vel.  Long.  G.  L.  Vll  77  K.  CIL  I  59.  loOO. 
111  3076.  IX  5350,  vgl.  Solmsbk,  Stud.  z.lat. 
Lautgesch.  S.  140  Anm.  1. 


den  Rundaltar  mit  den  Bildern  beider  Gott- 
heiten, den  E.  Saxtbr,  Rom.  Mitth.  VI  II 
1893,  222  ff.  richtig  erklärt  hat. 

^)  Mercurius  malevolus  Fest.  p.  161, 
Mercurius  sobrius  CIL  VI  9483.  9714,  Mer- 
curius eptUo  CIL  VI  522;  Weihongen  der 
Vicomagistri  an  Mercurius  CIL  VI  34.  288; 
Mercursquelle  bei  Porta  Capena,  Ovid.  fast. 
V  673  ff. 

*)  Fbiedebichs,  Kleine  Kunst  und  In- 
dustrie S.  407  ff.  S.  Reinach,  Rupert,  de  la 
statuaire  II  154  ff. 

^°)  R.  Petbb  in  Roschers  Mythol.  Lexik. 
I  1536  f.  CIL  VI  23845. 

»»)  Samtbb,  Rom.  Mitth.  X  1895,  93  f. 

»*)  z.  B.  Hör.  carm.  I  10.   Ovid.  fast.  V 
665  ff.    CIL  VI  520  =  Büechblbb,  Anthol. 
•)2:/ucrtrcpcr<orCILVI520;vgl.V6594.      epigr.  nr.  1528. 
6596.    Plant.  Amph.  1  ff.  Hör.  sat.  II  3,  68.  ^»)  Hör.  carm.  I  2,  41  ff.  und  obenS.  83; 


250 


Religion  und  Kaltos  der  Römer.    II.  Qötterlehre. 


liehen  als  den  Mann  hinstellen  wollen,  der  nach  den  Wirren  der  Bürger- 
kriege Handel  und  Wandel  in  seinem  Reiche  wieder  zur  Blüte  brachte. 
Als  Gott  des  Handels  und  Verkehrs  ist  Mercurius  endlich  auch  zu  der  be- 
deutsamen Rolle  gekommen,  die  er  auf  keltisch-germanischem  Gebiete 
spielt,  wo  die  eindringenden  Römer  sowohl  in  dem  keltischen  Esus,^)  wie 
in  dem  germanischen  Wuotan  Züge  ihres  Mercurius  wiederfanden  und 
diese  Götter  demgemäss  benannten:')  auch  das  Paar  Mercurius-Maja,  das 
im  Rhein-  und  Moselgebiete  zuweilen  inschriftlich  begegnet,^)  ist  nicht 
das  des  römischen  Staatskultes,  sondern  die  Bezeichnung  eines  einhei- 
mischen Götterpaares,  jedenfalls  wohl  desselben,  das  auf  andern  Denk- 
mälern der  gleichen  Gegend  die  Namen  Mercurius  und  Rosmerta  führt.^) 
48.  Neptunus.  In  tiefem  Dunkel  liegen  infolge  des  Mangels  an 
Zeugnissen  Wesen  und  Geschichte  des  römischen  Neptunuskultes.  Dass 
Neptunus  pater^)  zu  den  altrömischen  Indigetes  gehörte,  beweist,  abgesehen 
von  dem  italischen  Namen  des  Gottes,^)  die  Aufnahme  des  Festes  der 
Neptunalia  in  den  ältesten  Kalender.  Diese  Festfeier  fiel  auf  den  23.  Juli^) 
und  stand  vielleicht  in  einer  gewissen  Beziehung  zu  dem  Hainfeste  der 
Lucaria,  dessen  erster  Tag  (19.  Juli)  durch  den  in  der  römischen  Festord- 
nung bedeutungsvollen^)  Zwischenraum  von  4  Tagen  von  ihr  getrennt  ist 
und  an  welches  auch  der  einzige  für  die  Neptunalia  bezeugte  Festbrauch, 
die  Errichtung  von  Laubhütten  (umbrae,^)  (xxiddsg),  anzuklingen  scheint. 
Vielleicht  war  der  Zweck  dieses  Hochsommerfestes,  den  Gott  um  Abwehr 
allzu  grosser  Trockenheit,  vor  allem  des  Versiegens  der  Quellen  und  Wasser- 
läufe zu  bitten  ;^^)  denn  die  Beziehung  zum  Wasser  scheint  in  Neptunus 
eine  ursprüngliche  zu  sein,  wenn  er  auch  keinesfalls  von  Hause  aus  ein 
Meergott  ist.  Im  Kulte  ist  ihm  eine  Göttin  Salacia  als  Salacia  Neptuni 
gepaart, ^^)  und  auch  eine  zweite  Göttin,  Namens  Venilia,  gehört  zu  seinem 
Kreise  :^^)  von  beiden  war  den  Alten  nicht  mehr  als  der  nackte  Name  be- 


aach  Commodus  trat  als  riog'EQfdfJs  auf,  Cass. 
Dio  LXXII  17.  19. 

^)  Comm.  Bern,  za  Lucan.  I  445;  vgl. 
R.  MowAT,  Bullet,  monument.  5«  sör.  IV  1876 
S.  838  ff.  Lehner,  Eorresp.Bl.  d.  Westd. 
Zeitschr.  XV  1896,  33  ff. 

•j  Caes.  b.  g.  VI  17.  Tac.  Germ.  9; 
ann.  XIII  57.  Paul  Diac.  hiet.  Lang.  I  9; 
vgl.  Zanoemeibteb,  N.  Heidelb.  Jahrb.  V  1895, 
46  ff.  Zahlreiche  Weihungen  an  Mercurius 
in  Gallien  und  Germanien  s.  CIL  XII  p.  926. 
Brambach  GIRhen.  p.  381.  Mercuriusstatue 
für  die  Arvemer  von  Zenodoros,  PHn.  n.  h. 
XXXI V  45;  vgl.  Greg.  Turon.  bist.  Franc.  I 
29  und  Ihm  bei  Pault- Wissowa,  Real-Encycl. 
II  1489  f. 

»)  CIRhen.  721  f.  1763. 1845.  1876  (Maja 
allein  1835).    CIL  XII  2570.  XIII  1769. 

*)  CIRhen.  402.  681.  862  f.  888.  Ch. 
Robert,  Epigraphie  gallo-romaine  de  la  Mo- 
sel! e  p.  65  ff. 

6)  So  Lucü.  frg.  8  Baehr.  GeU.  V  12,  5. 
Act.  Arval.  CIL  VI  2074 1 65.  Inschrift  des 
Catius  Sabinus  CIL  XIV  1  =  Buecheler,  An- 
thol.  epigr.  nr.  251,  6. 


^)  Die  Etymologie  ist  ganz  unsicher: 
a  nando  Cic.  de  nat.  deor.  II  66  =  Firmic. 
Mat.  err.  prof.  rel.  17,  2;  q%u>d  mare  terras 
obnubit  Varro  de  L  1.  V  72.    Arnob.  III  31. 

^)  CIL  I«  p.  323 ;  vgl.  Varro  de  1. 1.  VI  19. 

')  WissowA,  De  feriis  anni  Rom.  p.  VIII  ff. 

•)  Paul.  p.  377 :  umhrae  vocantur  Nep- 
tundlihiM  casae  frondeae  pro  tabemcKMlis; 
über  die  Errichtung  von  axuideg  und  cxrjyal 
bei  griechischen  Festen  vgl.  J.  Toepffer, 
Athen.  Mitteil.  XVI 413  ff.  =  Beitr.  z.  griech. 
Altertumswiss.  S.  208. 

'°)  Dazu  stimmt  es,  dass  der  Bauem- 
kalender  von  Guidizzolo  bei  Mantua  (CILP 
p.  253)  in  seine  vom  Standpunkte  des  Land- 
mannes aus  angelegte  Auswahl  von  Festen 
auch  die  Neptunalia  aufgenommen  hat,  und 
dass  dieselben  auch  in  den  Menologia  rustica 
(CIL  P  p.  281)  erscheinen. 

»»)  Gell.  XIII  23,  2.  Varro  de  L  1.  V  72. 
Serv.  Aen.  X  76.  August,  c.  d.  VI  10.  VII 22, 
s.  auch  unten  S.  253  AnuL  3. 

*•)  Varro  Serv.  August,  aa.  00.  Schol. 
Veron.  Verg.  Aen.  X  76. 


C.  Di  noTensidea  grieohisoher  Herkunft.    48.  Neptuana. 


251 


kannt  und  ihr  Wesen  entzieht  sieh  jeder  Deutung.  Venilia,  die  man  bald 
als  Nymphe  auffasste,  bald  mit  Venus  identificierte,^)  ist  von  den  Dichtern 
verschiedentlich  als  Figurantin  verwendet  worden,  so  als  Mutter  des  Turnus 
und  Schwester  der  Amata^)  oder  als  Geliebte  des  Janus  und  Mutter  der 
Canens;^)  für  Salacia  war  man  ganz  auf  die  Etymologie  des  Namens  an- 
gewiesen, den  man  teilweise  von  der  aalacitas  herleitete,  so  dass  die  Qöttin 
zur  dea  meretricum  wurde  (Serv.  Aen.  I  720),  meist  aber  mit  sdLum  zu- 
sammenbrachte:^) dadurch  erhielt  man  für  den  mit  dem  römischen  Nep- 
tunus  geglichenen  Poseidon  die  passende  Qattin  römischen  Namens,  und 
darum  ist  in  der  Litteratur  die  Einsetzung  von  Salacia  für  Amphitrite,^) 
zuweilen  auch  für  Tethys®)  ganz  geläufig.  Die  Rezeption  des  griechischen 
Poseidonkultes,  als  dessen  Ausgangspunkt  für  Rom  man  am  liebsten  die 
colonia  Neptunia  TBxevLixim'^)  ansehen  möchte,  muss  früh  erfolgt  sein;  einen 
festen  Terminus  ante  quem  gibt  das  erste  Lectisternium  vom  Jahre  355 
=  399,  bei  welchem  Neptunus  mit  Mercurius  ein  Paar  bildet,^)  wohl  mit 
Beziehung  darauf,  dass  sein  Dienst  durch  den  überseeischen  Handel  nach 
Rom  gebracht  wurde.  Ein  Tempel  ist  dem  Gotte  sicher  auf  Grund  sibyl- 
linischer  Weissagungen  gelobt  und  geweiht  worden,  doch  fehlt  es  uns  an 
jeder  Nachricht  über  das  Gründungsjahr;  erst  im  Jahre  548  =  206  wird 
bei  Gelegenheit  eines  Prodigiums  der  Neptuntempel  zuföllig  erwähnt.^) 
Er  lag  in  der  Gegend  des  Circus  Flaminius  und  erfuhr  durch  Cn.  Domitius, 
Cos.  722  =  32,  eine  Erneuerung,  bei  welcher  er  mit  berühmten  Kunst- 
werken des  Skopas,  einer  Reliefdarstellung  von  Poseidon,  Thetis,  Achilleus, 
Nereiden  u.  a.  geschmückt  wurde ;^^)  den  Stiftungstag  verzeichnen  die  Fasti 
Amitemini  am  1.  Dezember,^^)  nach  der  sehr  einleuchtenden  Vermutung 
von  E.  AusT  (De  aedibus  sacris  p.  42)  ist  dies  jedoch  das  Datum  der 
Neueinweihung  durch  Domitius,  während  der  ursprüngliche  Stiftungstag 
dem  Brauche  gemäss  mit  den  Neptunalia  am  23.  Juli  zusammenfiel.  Wenn 
der  Kalender  der  Arvalbrüder  auf  den  23.  September  die  Stiftungsfeier 
eines  Neptuntempels  in  campo  ansetzt,  so  schliesst  die  abweichende  Be- 
zeichnung der  Örtlichkeit  die  von  Mommsen  (CIL  I*  p.  330)  angenommene 
Identität  mit  dem  Tempel  ad  circum  Flatninium  aus:  wahrscheinlich  be- 
zieht sich  die  Notiz  auf  den  berühmten,  von  M.  Vipsanius  Agrippa  im 


*)  Schol.  Veron.  u.  Serv.  aa.  00.;  von 
venire  hergeleitet  August,  c.  d.  IV  11;  vgl. 
Tertull.  ad  nai  II  11. 

«)  Verg.  Aen.  X  76.  Serv.  Aen.  VI  90. 
VII  366.    XII  29. 

>)  Ovid.  met.  XIV  334;  vgl.  oben  S.  95. 

*)  Faul.  p.  327 :  Sälaciam  dicebant  deam 
aqu<i€,  quam  putäbant  aalum  eiere,  hoc  est 
mare  movere.  Varro  bei  August,  c.  d.  VII 
22  (vgl.  de  1.  1.  V  72):  Venüia  unda  est, 
quae  ad  littM  venu,  SalcLcia,  quae  in  scdum 
redit 

»)  Pacuv.  frg.  418  Ribb.  Apul.  met.  IV 
81;  apol.  31.  Serv.  Aen.  I  144. 

•)  Cic.  Tim.  39  =  Serv.  Georg.  I  31. 

')  Vell.  Fat.  I  15,  4.  Hör.  cann.  1  28, 29. 

8)  Liv.  V  13,  6.  Dion.  Hai.  XII  9;  die- 
selbe Zusammenstellung  auch  auf  dem  pom- 


pejanischen  Zwölf gOtterbilde,  HsLBie,  Wand- 
gem.  nr.  7. 

»)  Liv.  XXVUI  11,  4:  ara  Neptuni  multo 
manasse  sudore  in  campo  Flaminio  dice- 
batur;  dass  es  nicht  ein  offener  Altar,  son- 
dern ein  Tempel  war,  zeigt  der  Parallel - 
bericht  des  Cass.  Die  frg.  56,  62  Melb.: 
l^Qwu  noXXtj^  al'  %B  S-vgai  zov  Iloaet- 
öütriov  xai  6  ßtofAog  iQQvij. 

")  Flin.  n.  h.  XXXVI  26  und  dazu  H. 
BBUifN,  Sitz.Ber.  d.  Münch.  Akad.  1876, 342  ff. 
FuBTWANQLEB,  lutermozzi  (1896)  S.  35  ff. 

")  CIL  I«  p.  335;  vgl.  Lyd.  de  mens, 
frg.  CaseoL  p.  117  Bekk.  (wo  mit '^y^ocftr»; 
und  'JfjtwtjQirtj  Venilia  und  Salacia  gemeint 
sind).  Ein  aedituus  aedis  Neptuni  quae  est 
in  Circo  Flaminio  CIL  VI  8423.  Vgl.  über 
den  Tempel  0.  Richteb,  Topogr.  S.  861. 


252 


Beligion  und  Kultus  der  Römer.    IL  GOtterlehre. 


Jahre  729  =  25  zur  Erinnerung  an  seine  Seesiege  erbauten  Neptuntempel 
im  Marsfelde,  0  mit  welchem  die  nach  ihrem  Qemäldeschmuck  so  benannte 
Porticus  Argonautarum  in  Verbindung  stand.')  Sonst  sind  die  Zeugnisse 
für  den  Dienst  des  Gottes  spärlich :  bei  dem  Zwölfgötter-Lectisternium  des 
Jahres  537  =  217  (oben  S.  55)  ist  Neptunus  mit  Minerva  gepaart, 3)  und 
wie  hier,  so  ist  er  auch  bei  den  meisten  sonstigen  Erwähnungen  im  grie- 
chischen Sinne  als  der  Beherrscher  des  Meeres  und  Beschützer  vor  seinen 
Gefahren  gedacht,  Staatsopfer  an  Juppiter  und  Neptunus  werden  gelegent- 
lich erwähnt,  wenn  die  römische  Flotte  in  See  sticht  ;^)  als  Augustus  mit 
der  Flotte  gegen  Sex.  Pompejus  aufbricht,  opfert  er  nach  dem  Berichte 
Appians  (b.  c.  V  98)  dvä/xoig  evdioig  xal  äa^aXsici}  Uwxsidoivi  xai  äxvfiovt 
^aXdaari^  was  eine  glänzende  Illustration  erhält  durch  drei  in  Antium  ge- 
fundene Altäre  mit  den  Inschriften  ara  Ventorum,  ara  Neptunij  ara  Tran- 
quiUüatis.^)  Gelübde  werden  dem  Neptunus  vor  Antritt  oder  während 
einer  Seefahrt  dargebracht,  so  z.  B.  von  den  Arvalbrüdem  im  Jahre  101 
pro  Salute  et  reditu  et  victoria.^)  Nur  ein  anderer  Ausdruck  desselben  Ge- 
dankens ist  es,  wenn  man  anstatt  des  Neptunus  geradezu  die  Stürme  des 
Meeres,  die  Tempestates,  anruft  und  durch  Weihungen  zu  versöhnen 
sucht  :^)  dieselben  besassen  sogar  einen  Tempel  in  Rom  in  der  Nähe  der 
Porta  Capena,  der  sein  Stiftungsfest  am  1.  Juni  beging  und  von  L.  Cor- 
nelius Scipio  im  Jahre  495  =  259  während  eines  Seesturmes  in  den  cor- 
sischen  Gewässern  gelobt  worden  war.^) 

Während  uns  dieselbe  hellenisierte  Auffassung  des  Gottes  auch  in 
den  Weihinschriften  aus  den  italischen  Seestädten  entgegentritt,®)  hat 
nicht  nur  die  Religion  der  italischen  Landbevölkerung  die  älteren  Vor- 
stellungen bewahrt  (s.  oben  S.  250  Anm.  10),  sondern  auch  in  den  Provinzen, 
wo  der  Name  Neptunus  hie  und  da  zur  Bezeichnung  einheimischer  Gott- 
heiten verwendet  worden  oder  mit  diesen  verschmolzen  ist,^^)  begegnet  er 
uns  vielfach  in  der  weiteren  Bedeutung  eines  Beschützers  des  feuchten 
Elementes'  in  allen  seinen  Erscheinungsformen:^^)  so  wird  er  namentlich 
an  den  oberitalischen  Seen^<)  und  als  Quellengott  im  wasserarmen  Afrika^') 


^j  IIoaBidioyioy  nennt  ihn  Cass.  Dio 
LXVI  24,  bciaüica  Nepttmi  Hist.  aug.  Hadr. 
19,  10,  vgl.  CurioB.  orb.  reg.  IX;  als  Tempel 
richtig  gefasst  z.  B.  von  Lanciant,  Annali 
d.  Inst.  1883,  8. 

>)  Cass.  Dio  LIII  27  und  mehr  bei  Gil- 
BBBT,  Topogr.  Ill  247  f. 

»)  Liv.  XXII  10,  9;  vgl.  CIL  VII  11 
[N]eptuno  et  Minervae  tetnplum. 

^)  Beim  Uebergange  Scipios  nach  Afrika 
550  =^  204  Appian.  Pun.  13  (doch  s.  dazu 
V.  DoMASZEwsKi,  Korr.Bl.  d.  Westd.  Zschr. 
XVII  1898  S.  113,4.  114,  10);  vgl.  Liv.  XXIX 
27,  2.  App.Mithr.  70.  Cic.  denat.  deor.IIl  51. 

»)  CIL  X  6642-6644;  vgl.  auch  die  in 
Hadrians  Zeit  von  der  8.  Legion  in  Lambaesis 
geweihten  Altäre  CIL  VUI  2609  lovi  0.  M. 
tempeatatium  divitiarum  j^otenti  (ähnlich 
HaNZBN  5615  I(ovi)  0.  M.  auctori  honarum 
tempeatatium)  und  2610  Ventis  bonarum  tem- 
pestcUium  potentibw. 


«)  CIL  VI  2074;  vgl.  auch  Eckhbl,  D.  N. 
VII 129  und  die  Inschriften  CIL  X  3813(Capua) 
Neptuno  . . .  votum  in  Siculo  fretu  susceptum 
solvü,  XIV  3558  (Tibur)  Neptufio  adiutori, 
^)  CIL  X  4846.  XIV  2093;  vgl.  Hör. 
epod.  10,  24.  Verg.  Aen.  V  772  (auch  UI 
527)  und  v.  Domaszewski  a.  a.  0.  112  ff. 

•)  Ovid.  fast.  VI  193.  CIL  I  32  =  VI  1287. 
Cic.  de  nat.  deor.  III 51 .  Becker,  Topogr.  S.  516. 

•)  Ostia  CIL  XIV  1;  Ravenna  XI  126; 
Parentium  V  328;  Formiae  X  6104;  Antium 
X  6642;  Pompei  X  8157. 

'^)  In  Oberitalien  erscheint  Neptunus  in 
Begleitung  der  Vires  (CIL  V  4285,  vgl.  oben 
S.  141  Anm.  10)  und  der  ebenfalls  einhei- 
mischen di  aquatiles  (CIL  V  5258). 

^^)  S.  zum  Folgenden  v.  Domaszewski, 
Korr.  Bl.  d.  Westd.  Zschr.  XV  1896,  233  ff. 

")  CIL  V  4285  f.  4874.  5098.  5258. 5279. 
6565. 

*•)  Vgl.  namentlich  die  aedes  Neptuni 


G.  Di  noTenaidea  griechischer  Herkunft.    49.  Aescalapins  nnd  Salns.      253 


verehrt  und  allenthalben  von  den  Fischern  und  Schiffern  und  allen  6e- 
werbtreibenden,  die  mit  dem  Wasser  zu  thun  haben,  angerufen;^)  seine 
Bilder  und  Kapellen  stehen  auf  den  Brücken,^)  und  die  Nymphen  er- 
scheinen in  seiner  Gesellschaft.^)  So  spielte  er  in  der  Religion  des  täg- 
lichen Lebens  eine  bedeutsame  Rolle,  und  es  hängt  damit  zusammen,  dass 
sein  Fest,  die  Neptunalia,  nicht  nur  während  der  Eaiserzeit  nachweislich 
fortbestanden,^)  sondern  im  4.  Jahrhundert  auch  mit  mehrtägigen  Spielen 
begangen  wurden<^)  und  sogar  den  Sieg  des  Christentums  geraume  Zeit 
überdauert  haben.  ^) 

Litterat ur:  Pbellsb-Jobdan,  Rom.  Mythol.  II  120  ff.  Wissowa  in  Roschers  Lexik. 
III  201  ff. 

49.  Aesculapius  und  Salus.  Nach  dem  überreichen  Zuströmen 
griechischer  Religionsvorstellungen  während  der  ersten  Jahrzehnte  der 
Republik  trat  begreiflicherweise  ein  Stillstand  oder  vielleicht  gar  ein  Rück- 
gang dieser  Einflüsse  ein,  und  im  ganzen  Verlaufe  des  5.  und  4.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  sind  weitere  Neuaufnahmen  griechischer  Gottheiten  nicht 
nachweisbar.  Als  aber  nach  Vollendung  der  Unterwerfung  Italiens  in  Rom 
die  hellenisierende  Tendenz  mit  verstärkter  Gewalt  einsetzt,  hat  sich  der 
Gesichtskreis  der  Römer  in  dem  Masse  erweitert,  dass  man  nicht  mehr 
ausschliesslich  auf  die  Kulte  des  benachbarten  Grossgriechenland  angewiesen 
ist,  sondern  bereits  vom  griechischen  Mutterlande  selbst  Entlehnungen 
machen  kann.  War  die  Reihe  der  in  Rom  zur  Heimatsberechtigung  ge- 
langten griechischen  Götter  durch  den  Heilgott  Apollo,  den  man  pro  vcUe- 
tudine  populi  anrief  (oben  S.  240),  eröffnet  worden,  so  fand  im  Anfange 
des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  die  berufsmässige  griechische  Arzneikunst  in 
der  Person  ihres  göttlichen  Repräsentanten  Asklepios  Anerkennung  und 
Aufnahme.  Als  im  Jahre  461  =  293  eine  schwere  Seuche  Rom  und  Um- 
gegend heimsuchte,  verhiessen  die  sibyllinischen  Bücher  auf  Befragen  das 
Weichen  des  Unheils,  wenn  man  den  Gott  Aesculapius 7)  aus  seinem  damals 


als  Quellheiligtam  (aedes  fontis)  von  Lam- 
baesis  CIL  VIII  2652-  2656. 

')  Piacatores  CIL  V  7850;  conttU)emium 
nautarum  GIRben.  1668  =  1678;  molinarii 
CIL  III  5866;  vgL  auch  die  noaeidatyiaarai 
auf  Delos,  Ball,  de  corr.  heIMn.  YII  468. 

')  C.  Chbist,  Jabrb.  d.  Altertamsfr.  im 
Rheinl.  LXIl  1878,  20  ff.  v.  Domaszbwski 
a.  a.  0.  235 

'»)  CIL  III  3662.  VI  536.  XII  4186.  Von 
besonderem  Interesse  ist  eine  aus  Wien  stam- 
mende unedierte  Inscbrift,  deren  Mitteilung 
ich  der  Freundlichkeit  A.  v.  Domaszbwskis 
verdanke:  [7.  o.]  m.  Nepiu[no  8]cdaceae 
Nimp[his  Danuv]io  Acanno;  dass  die  halb- 
vergessene  Salacia  hier  in  später  Zeit  (die 
Inschrift  gehört  wahrscheinbch  ins  J.  279 
n.  Chr.)  und  auf  provinzialem  Boden  wieder 
auftaucht,  findet  seine  ParaUele  in  dem  Er- 
scheinen des  Paares  Mercurius-Maja  auf 
rheinischen  Inschriften  (oben  S.  250  Anm.  3) 
oder  in  dem  Vorkommen  von  Weihinschriften 
an  Janus  in  den  Donauländern  und  in  Afrika 
(oben  S.  94  Anm.  9). 


*)  Hör.  c.  III  28  und  oben  S.  250  Anm.  10; 
Neptunalia  als  Jahresfest  auch  in  Gomum 
(CIL  V  5279)  und  in  Ravenna  (CIL  XI  126). 

»)  Philoc.  zum  22.  und  23.  JuH  (vgl. 
MoMMSBN,  CIL  I*  p.  323).  Tertull.  de  spect.  6. 
Auson.  de  fer.  19  f.  CIL  XIV  1  ■=  Bueohelbb, 
Anth.  epigr.  nr.  251. 

^)  Noch  die  frühestens  in  der  zweiten 
Hälfte  des  6.  Jhdts.  abgefasste  Homilia  de 
sacrilegiis  (ed.  C^spari,  Christiania  1886, 
p.  6)  gedenkt  der  Neptunalia,  wenn  auch 
yielleicht  nicht  mehr  aus  eigner  Kenntnis 
(Caspabi  a.  a.  0.  S.  17). 

')  Die  lateinische  (Grundform  Aisclapios 
(Gefftssinschrift  Ephem.  epigr.  I  5;  Aeaclapius 
noch  CIL  III  1766  f.  V  727  f.)  hat  ihre  Vor- 
lage in  korinthischem  ^^/Ha^ioV  (Robhl  IGA 
549  =  Kaibbl,  Inscr.  gr.  Sicil.  Ital.  2282», 
dann  folgen  die  Formen  Äisculapius  (CIL 
VI  12),  Aiscolapius (Noüz.  d.8cavil892,  410), 
Aescolapius  (Notiz,  d.  scavi  1892,  267.  CIL 
X  7856);  häufig  ist  auch  Asclepius  (z.  B. 
CIL  VI  8.  20.  X  1547.  1571.  XI  3294.  3710). 
Vgl.  auch  Jobdan,  Krit.  Beitr.  S.  24  ff. 


254 


Beligion  und  Knltna  der  Römer.    II.  GOtterlehre. 


in  besonderer  Blüte  stehenden^)  Eultorte  Epidauros  nach  Rom  überführe 
(Liv.  X  47,  7) :  nachdem  dem  Gotte  zunächst  eine  eintägige  Supplication 
abgehalten  worden  war  (Liv.  a.  a.  0.),  schickte  man  eine  Gesandtschaft 
nach  Epidauros,  um  die  heilige  Schlange  des  Gottes  zu  holen :  der  Legende 
nach')  folgte  diese  nicht  nur  freiwillig  den  Römern  auf  ihr  Schiff,  sondern 
wählte  sich  auch,  nachdem  sie  bei  der  Ankunft  in  Latium  im  ApoUoheilig- 
tume')  zu  Antium  kurze  Rast  gehalten  hatte,  aus  eigenem  Antriebe  die 
Tiberinsel  zum  Aufenthalte,  die  seitdem  dem  Gotte  geheiligt  blieb^)  und 
zur  Erinnerung  an  jenes  Ereignis  durch  Aufmauerung  der  Ufer  die  Gestalt 
eines  stromaufwärts  fahrenden,  am  Bug  mit  dem  Bilde  des  Aesculapius 
geschmückten  Schiffes  erhielt.^)  An  dieser  Stelle,  auf  der  ausserhalb  des 
städtischen  Pomeriums  gelegenen^)  Insel,  wurde  der  gelobte  Tempel  am 
1.  Januar  des  Jahres  463  =  291  eingeweiht.'')  Wenn  wir  auch  direkte 
Zeugnisse  dafür  nicht  haben,  so  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dass 
der  Gott  seine  Priester  aus  der  Heimat  mitbrachte  und  dass  diese  dann 
als  Vertreter  griechischer  Heilkunst  in  Rom  auftraten;  denn  der  Betrieb 
in  dem  Heiligtume  auf  der  Tiberinsel  war  völlig  der  eines  griechischen 
Asklepieion:  wie  in  Epidauros  wurden  dort  Schlangen  und  Hunde  ge- 
halten,^) die  Kranken  wurden  hingebracht,^)  erhielten  durch  Incubation 
die  nötige  Weisung  für  ihre  Behandlung  und  widmeten  nach  glücklich  er- 
zielter Heilung  dem  Gotte  Dankinschriften  und  Votivgaben.io)  Die  Weih- 
inschriften nennen  häufig  neben  Aesculapius  eine  weibliche  Kultgenossin, 
die  in  den  weitaus  meisten  Fällen  als  Hygia,^^)  zuweilen  aber  auch  mit  dem 
Namen  Salus^^)  bezeichnet  ist.  In  offizieller  Verwendung  begegnet  uns 
der  letztgenannte  Name  für  die  Gefährtin  des  Aesculapius  zuerst  im  Jahre 
574  =  180,  wo  zur  Abwehr  einer  bereits  im  dritten  Jahre  in  Rom  und 
Italien  wütenden  Seuche  die  sibyllinischen  Bücher  die  Stiftung  von  Weih- 
geschenken an  Apollo,  Aesculapius  und  Salus  anordnen  (Liv.  XL  37,2); 
der  Zusammenhang  zeigt  hier  deutlich,  dass  unter  dem  römischen  Namen 
die  griechische  Hygieia  gemeint  ist,  und  es  stimmt  dazu  in  auffallender 


M  Vgl.  DiRLs.  SibvU.  Blätter  S.  62  f. 
und  im  allgemeinen  E.  Thrashbr  bei  Pault- 
WissowA,  Real-Encjcl.  II  1650  f.  1666. 

«)  Ausführlich  bei  Ovid.  met.  XV  622  ff. 
Val.  Max.  I  8,  2.  Aur.  Vict.  vir.  ill.  22; 
kurze  Erwähnungen  bei  Liv.  per.  XI.  Oros. 
III  22,  5.  Plut.  Qu.  Rom.  94.  Plin.  n.  h. 
XIX  72.  Strab.  XII  567.  Amob.  VII  44.  Lact, 
inet.  II  7,  18.     August,  c.  d.  III  17. 

*)  So  richtig  Ovid.  met.  XV  722;  Val. 
Max.  und  Aur.  Vict.  aa.  00.  reden  fälsch- 
lich von  einem  Aesculaptempel. 

*)  Dion.  Hai.  V  13.  Suet.  Claud.  25. 
Apoll.  Sid.  epist.  I  7,  12. 

')  JoBDAM,  Annali  d.  Inst  1867,  889  ff. 
üeber  bildliche  Darstellungen  der  Ankunft 
der  Aesculapschlauge  auf  Münzen  und  Re- 
liefs 8.  V.  DuHN,  Rom.  Mitteil.  I  167  ff. 

•)  Plut.  Qu.  Rom.  94.  Plin.  n.  h.  XXIX 
16;  ist  an  letztgenannter  Stelle  der  Text  in 
Ordnung,  so  muss  es  schon  vor  dem  Insel- 
tempel  ein    älteres   —   natürlich  ebenfalls 


extrapomeriales  -  Heiligtum  des  Aesculapius 
in  Rom  gegeben  haben,  welches  vielleicht 
auch  Varro  de  1.  1.  VII  57  meint,  wenn  er 
Gemälde  in  Aesculapii  aede  vetere  erwähnt ; 
'JaxXtjnteTtt  im  Plural  nennt  in  Rom  Cass. 
Dio  XLVll  2,  8. 

»)  Ovid.  fast.  I  290  ff.  CIL  I«  p.  305; 
über  den  Tempel  vgl.  Jobdan,  Gomment. 
Mommsen.  S.  858  f.  Gilbbbt,  Topogr.  I1172f. 

")  Paul.  p.  110;  über  Epidauros  s. 
Thbabmeb  a.  a.  0.  1681  f. 

^)  Von  dort  ausgesetzten  kranken  Sklaven 
spricht  Suet.  Claud.  25;  vgL  Cass.  Dio  LX  29. 

»0)  CIL  VI  1—20.  Kaibbl,  Inscr.  graec. 
Sicil.  IUI.  966—968;  vgl.  auch  Hülsbn,  Rom. 
Mitt.  VIII  819. 

»)  z.  B.  CIL  VI  17—19.  IX  5823.  X 
1546.  1571.  XI  2092;  beide  als  Patrone  von 
CoUegien,  vgl.  das  Statut  des  rOmischen  col- 
legitim  Äesculapi  et  Hygiae  CIL  VI  10234 
und  mehr  beiLiBBENAM,  Vereinswesen S.  290  f. 

»«)  CIL  VI  20.  VII  164.  VIII  2579.  X  1547. 


C.  Di  novensidea  griechischer  Herkunft.    60.  Dia  Pater  und  Proaerpina«     255 

Weise  die  Thateache,  dass  die  Gleichsetzung  von  Salus  und  Hygieia  nicht 
dem  Plautus,  wohl  aber  dem  Terenz  bekannt  ist.^)  Es  erhält  also  in 
dieser  Verbindung  die  längst  im  römischen  Kulte  heimische  Göttin  des 
allgemeinen  Wohles,  Salus  (s.  oben  S.  122),  eine  engere  Beziehung  speziell 
auf  das  körperliche  Wohlbefinden,^)  offenbar  in  Anlehnung  daran,  dass 
Aesculapius  namentlich  pro  salute  cdicuius^)  angerufen  zu  werden  pflegte 
und  auch  selbst  den  Beinamen  salutaris  führte  (CIL  XI  3710,  vgl.  III  987). 
Der  Kult  der  alten  Salus  ist  davon  im  wesentlichen  unberührt  geblieben, 
nur  in  einem  Punkte  hat  die  jüngere  Salus-Hygieia  auf  sie  zurückgewirkt : 
nachdem  man  nämlich  sich  gewöhnt  hatte,  diese  letztere  im  Typus  der 
griechischen  Hygieia^)  mit  der  für  diese  charakteristischen  Anordnung 
des  Doppelgewandes  darzustellen,  übertrug  man  dieselbe  Bildung  auch 
auf  Salus  als  Personifikation  des  Staatswohles  und  von  ihr  weiter  auf  all 
die  zahlreichen  Abstractionen  und  Personificationen  des  römischen  Vorstel- 
lungskreises (s.  unten  §  54),  indem  man  nur  durch  Beigabe  verschiedener 
Attribute  die  Grundfigur  abwandelte. 

Die  inschriftlichen  Zeugnisse  des  Aesculapkultes  aus  der  Kaiserzeit^) 
lehren  uns  für  die  Auffassung  des  Gottes  nichts  wesentlich  Neues :  überall 
ist  er  der  für  die  leibliche  Wohlfahrt  seiner  Verehrer  sorgende  Arzt  (z.  B. 
auch  beim  Heere,  wo  er  uns  als  Aesculapius  castrorum^)  entgegentritt), 
der  darum  auch  besonders  an  Heilquellen  seine  Kultstätten  findet: 7)  damit 
hängt  es  wohl  auch  zusammen,  wenn  sich  nach  späten  Nachrichten  in 
den  Thermen  Diocletians  ein  templum  Asclepü  befand,^)  auf  welches  Jordan 
wenigstens  fragweise  den  im  Kalender  des  Philocalus  zum  11.  September 
notierten  n{aialis)  Asclepi  (CIL  P  p.  329)  bezieht. 

60.  Dia  pater  und  Proserpina.  Als  im  Jahre  505  =  249  nicht  nur 
der  Krieg  mit  Karthago  eine  verhängnisvolle  Wendung  zu  nehmen  schien, 
sondern  auch  aussergewöhnliche  Schreckzeichen,  insbesondere  die  Zer- 
störung eines  Teiles  der  Stadtmauer  durch  Blitzschlag,  die  Gemüter  er- 
regten, wurden  auf  Geheiss  des  Senates  durch  die  Decemvirn  die  sibyl- 
linischen  Bücher  befragt,  und  ordneten  an,  es  sollten  dem  Dis  pater 
und  der  Proserpina  im  Marsfelde  in  drei  aufeinander  folgenden  Nächten 
ludi  Tarentini  gefeiert  und  schwarze  Opfertiere  (hostiae  furvae)^  dem  Dis 
ein  Stier,  der  Proserpina  eine  Kuh,^)  dargebracht,  sowie  die  Wieder- 
holung dieser  Feier  nach  Ablauf  von  hundert  Jahren  gelobt  werden. ^o)  Eine 


')  Ter.  Hec.  338:  quod  te,  Aesculapi,  et 
te,  Salus,  ne  quid  sit  huiu8  oro;  vgl.  Kbsb- 
BEBO,  Qnaestiones  Plantinae  et  Terentianae 
ad  religionem  spectantes  (Lipsiae  1884)  p.  54. 

')  Vereinzelt  kommt  im  gleichen  Sinne 
auch  eine  Göttin  Valetndo  vor,  so  auf  den 
Inschriften  CIL  IIl  5149.  Vlir  9610.  IX  3812  f. 
und  als  Beischrift  einer  Hygieiadarstellung 
auf  dem  Revers  der  Denare  des  M.*  Acilius 
Glabrio  (Babblon,  Monn.  consul.  1 106),  deren 
Vorderseite  einen  bekränzten  Franenkopf  mit 
der  Beischrift  Salutis  zeigt.  Der  Name  findet 
sich  auch  bei  Mart.  Cap.  I  55,  die  Existenz 
eines  Heiligtums  der  Valetudo  auf  dem  Gapitol 
hat  JoBDAH,  Topogr.  I  2  S.  46  mit  Unrecht 


»)  CIL  VI  13.  19.  XI  2092  f. 

*)  Thbaembb  in  Roschers  Mythol.  Lexik. 
1 2787  ff. 

')  Das  Material  gibt  D.  Vaoubbi  bei 
RüGOiEBO,  Dizion.  epigr.  I  314  ff. 

•)  CIL  VI  15;  vgl.  die  Weihung  eines 
medicus  c6h(prt%8)  V  ebd.  20. 

'')  ÄpoUini  Silvano  Asclepio  Nymphis 
CIL  XI  3294  aus  Vicarello ;  vgl.  CIL  III  1561. 

^)  JoBDAK,  Topogr.  II  524  f. ;  Comment. 
Mommsen.    S.  356. 

»)  Val.  Max.  II  4,  5.    Zosim.  II  3,  3. 

^®)  So  der  zuverlässigste  Bericht,  der  des 
Varro  bei  Censor.  17,  8;  vgl.  August,  c.  d. 
111  18  (ungenau,  wie  die  Hereinziehung  der 


ans  Petron.  88  gefolgert.  \  Pontifices  zeigt).  Verrius  Flaccus  beim  Schol. 


256 


Religion  und  Kultna  der  Römer,    n.  OOtterlehre« 


solche  Wiederholung  hat  auch  —  allerdings  mit  einer  kleinen  Verspätung  — 
im  Jahre  608  =  146  stattgefunden,^)  im  folgenden  Jahrhundert  aber  er- 
hielt die  Feier  durch  Augustus  eine  ganz  neue  Gestalt,  in  der  sie  sich 
vom  Kulte  des  Dis  und  der  Proserpina  völlig  loslöste,  wenn  auch  die  drei 
Nächte  (zu  denen  nunmehr  aber  auch  die  dazwischen  liegenden  Tage 
kamen)  und  vor  allem  die  Örtlichkeit  dieser  nächtlichen  Ceremonie  bei- 
behalten wurden  (s.  oben  S.  68).  Diese  Örtlichkeit,  im  nördlichen  Teile 
des  Marsfeldes  nahe  dem  Tiber  gelegen,  führte  selbst  den  Namen  Tarentum,^) 
und  es  befand  sich  dort  ein  20  Fuss  unterhalb  der  Oberfläche  unterirdisch 
angelegter  Altar  des  Götterpaares,  der  nur  zum  Zwecke  der  Festfeier 
freigelegt  wurde,  s)  Beide  Gottheiten  waren  vor  der  Feier  des  Jahres 
505  =  249  der  römischen  Religion  gänzlich  fremd:  wie  der  Name  Dis, 
dessen  Identität  mit  dem  griechischen  nlovronv  auch  die  Alten  nicht  ver- 
kennen konnten,^)  nichts  anderes  ist  als  die  Übersetzung  dieses  griechischen 
Namens,  so  kann  man  in  Proserpina,  obwohl  Varro^)  den  Namen  von 
proserpere  ableitete,  nur  eine  Zustutzung  und  lautliche  Anpassung  des  grie- 
chischen nsqaBffovrj  erkennen,^)  und  dass  die  Römer  selbst  ihn  als  einen 
griechischen  empfanden,  geht  daraus  hervor,  dass  sie  es  für  notwendig 
hielten,  ihn  sich  durch  Gleichsetzung  der  Göttin  mit  der  einheimischen 
Libera  zu  verdolmetschen. '')  Was  der  varronische  Bericht  über  die  Wan- 
derungen der  Pelasger  in  Italien  von  einem  eng  verbundenen  Kulte  des 
Dis  pater  und  Saturnus  zu  erzählen  weiss,  ^)  bezieht  sich  selbst  in  der 
Überlieferung  gar  nicht  auf  Rom,  sondern  auf  die  Aboriginer  des  Sabiner- 
gaus  bei  Cutilia,^)  und  dass  die  angeblich  früher  in  den  Jahren  406  =  348, 
305  =  449,  ferner  vom  ersten  Konsul  M.  Valerius  Poplicola,  während  des 
Krieges  zwischen  Rom  und  Alba  unter  TuUus  Hostilius,  endlich  in  unbe- 
stimmter Vorzeit  von  einem  Yalesius  aus  Eretum  im  Sabinerlande  an  der 


Cruqa.  zu  Hör.  c.  b.  1.  Liv.  per.  XLIX. 
Zosim.  II  4,  1. 

»)  Censor.  17,  11.    Liv.  per.  XLIX. 

*)  Diese  Schreibung,  die  der  besten  Ueber- 
lieferung  der  Schriftstellen  entspricht  (s. 
ZiBUNSKi,  Quaestiones  comicae  p.  94  ff.],  ist 
nunmehr  durch  die  Akten  der  Saecularspiele 
des  Septimius  Severus  (III  15,  Ephem.  epigr. 
VIII  p.  284)  auch  inschriftlich  gesichert. 

»)  Val.  Max.  II  4, 5.  Zosim.  II  3,  2.  Fest, 
p.  329  (vgl.  dazu  Roth,  Rhein.  Mus.  VIII 
874).  351.  Reste  der  Anlage  sind  vor  einigen 
Jahren  aufgefanden  worden,  vgl.  R.  Lak- 
ciANi,  Monum.  antichi  d.  Lincei  I  540  ff. 
HüLSKir,  ROm.  Mitteil.  VI  127  ff. 

^)  Cic.  de  nat.  deor.  II  66;  vgl.  Enn. 
Euhem.  bei  Lact.  inst.  I  14,  5.  August,  c. 
d.  VII 28 ;  andre  Etymologie  bei  Thurnetsen, 
Zschr.  f.  vgl.  Sprachwiss.  XXXII  559. 

*)  Varro  de  1.  1.  V  68.  August,  c.  d. 
IV  8.  VII  20.  Amob.  III  33. 

*)  So  Jobdan,  Krit.  Beitr.  S.  68  ff.  und 
früher  auch  Usenrr,  Rhein.  Mus.  XXII  435  f., 
der  aber  jetzt  (Göttemamen  S.  77)  sehr  be- 
stimmt sagt:  „dass  Proserpina  und  Flora 
hervorragende  Götter  des  römischeu  Cultus 


waren,  weiss  ein  jeder.' 

')  z.  B.  Cic.  Verr.  IV  106  ff.  Amob.  V 
21.  35. 

^)  Saceüum  Ditis  arae  Satumicohaerens 
Macr.  S.  1  11,  48,  vgl.  I  7,  30:  erectiaque 
Diu  sacello  et  Satumo  ara.  Amob.  II  68. 
Auf  welchen  GrQnden  die  Annahme  des  Varro 
(bei  Macr.  S.  I  7,  30  f.  11,  48  f.)  beruht, 
dass  die  bei  der  Satumalienfeier  zur  Ver- 
wendung kommenden  oscüla  ad  humanam 
effigiem  arte  simulata  in  Beziehung  zu  Dis 
pater  ständen,  ist  nicht  mehr  zu  ermitteln; 
jedenfalls  aber  kann  es  sich  dabei  nur  um 
die  hellenisierten  Satumalien  (s.  oben  S.  170) 
handeln,  so  dass  aus  dieser  Angabe,  auch 
wenn  sie  mehr  als  eine  müssige  Kombination 
sein  sollte,  auf  alte  Beziehungen  zwischen 
Dis  pater  und  dem  römischen  Satumus  nicht 
geschlossen  werden  darf. 

*)  Nach  Rom  wurde  die  Erzählung  erst 
übertragen,  als  man  (wahrscheinlich  war  es 
Verrius  Flaccus)  sie  mit  dem  Sprichworte 
sexagenarios  de  ponte  und  dem  Argeeropfer 
zusammenbrachte;  vgl.  Wissowa,  Real-£n- 
cycl.  II  691  f. 


C.  Di  noTensidea  griechischer  Herkunft.    60.  Die  pater  und  Proserpina.     257 

ara  Ditis  in  Tarento  dargebrachten  Opfer^)  nur  Annalistenerfindung  (des 
Valerius  Antias)  sind  und  in  ähnlicher  Weise  einen  Stammbaum  der  Ludi 
Tarentini  von  505  =  249  fingieren,  wie  die  Commentarii  der  Quindecim- 
virn  den  der  augusteischen  Saecularfeier,  ist  längst  erkannt  und  heute 
wohl  kaum  mehr  ernsthaft  bestritten.')  Der  griechische  Charakter  der 
ganzen  Feier  steht,  auch  wenn  wir  von  Rückschlüssen  aus  den  Akten  des 
augusteischen  Saecularfestes,  in  denen  der  Achivus  ritus  eigens  betont 
wird,  absehen,  ausser  Zweifel  dadurch,  dass  sie  auf  Anordnung  der  sibyl- 
linischen  Bücher  stattfindet  und  bei  ihr  ausdrücklich  Lectistemia  erwähnt 
werden, 3)  eine  Thatsache,  die  in  richtige  Beleuchtung  tritt,  wenn  man  sich 
erinnert,  dass  in  Athen  gerade  auch  dem  Pluton  eine  xiXvri  aufgestellt 
und  ein  Tisch  gedeckt,  d.  h.  ein  Lectisternium  bereitet  wurde  (CIA  II 
948 — 950).  Die  Frage,  von  wo  die  Römer  den  Dienst  von  Pluton  und 
Persephone  entlehnt  haben,  ist  zwar  nicht  mit  voller  Sicherheit  zu  be- 
antworten, doch  weist  der  Name  der  römischen  Kultstätte  so  entschieden 
auf  Tarent  als  Ursprungsort  hin,  dass  man  trotz  des  Fehlens  direkter 
Zeugnisse  nicht  wohl  umhin  kann,  dort  die  Heimat  der  ludi  Tarentini  zu 
suchen.^)  Die  Römer  haben  die  beiden  fremden  Kultgestalten  schlechthin 
übernommen,  ohne  sie  mit  älteren  Figuren  der  eigenen  Religion  zu  iden- 
tificieren  oder  in  Verbindung  zu  bringen;  eine  Anpassung  an  die  ein- 
heimischen Vorstellungen  ist  nur  insofern  erfolgt,  als  die  alUiundertjährige 
Wiederholung  der  Feier  nicht  griechischem  Brauche  entnommen  war,  son- 
dern an  den  italischen  Begriff  des  saeculum  anknüpfte,  der  ja  durch  das 
Einschlagen  des  Saeculai-nagels  (oben  S.  111)  auch  seither  schon  im  Kultus 
zur  Geltung  kam.  Eine  andere  Kultstätte  als  den  Altar  auf  dem  Tarentum 
scheinen  Dis  pater  und  Proserpina  in  Rom  nie  besessen  zu  haben:  denn 
wenn  die  Notitia  urbis  in  der  XL  Region  (Circus  maximus)  aedem  Ditis 
patris  aufführt,  so  hat  die  Vermutung  sehr  viel  für  sich,  dass  damit  die 
aedes  Summani  cui  circum  maximum  gemeint  ist,  da  späterer  Sprachgebrauch 
einfach  Summanus  durch  Dis  pater  ersetzt  (s.  oben  S.  124).  Eine  irgend- 
wie bedeutsame  Rolle  hat  Dis  pater,  abgesehen  von  den  Ludi  Tarentini, 
weder  im  Staats-  noch  im  Privatkulte  gespielt:  wir  finden  seinen  Namen 
in  der  jüngeren  Fassung  der  Devotionsformel,  wie  sie  bei  Macr.  S.  IQ 
9,  10  vorliegt,  neben  Vejovis  und  die  Di  manes  eingestellt;^)  ein  Sibyl- 

0  Val.  Max.   II  4,  5.    Zosim.  II  1—4.  '           ^)  Lectistemia  hat  bei  Val.  Max.  a.  a.  0. 

Ceneor.  17,  10  f.   Plnt.  Poplic.  21.  zweimal  der  voIlstAndige  Text,  während  der 

*)  LitteraturbeiMABQüARDT^Staatsverw.  j   Auszug  des  Paris  beidemal  dafür  sellistemia 

III  387  ff. ;  vgl.  ZiBLursKi  a.  a.  0.  p.  99,  1.  bietet  und  dies  durch  die  Akten  der  auguste- 

MoioiBBN,  Ephem.  epigr.  VIII  p.  237.  Wis-  ischen  Saekularspiele   (Ephem.   epigr.  VIII 

sowA,  Die  Saecularfeier  des  Augustus,  Mar-  i  p.  255  f.)  bestätigt  wird ;  bei  der  urspröng- 

bnrg  1894.   Für  die  Annahme,  dass  ein  alter  liehen  Feier  des  J.  505  =  249  wird  man 

Gentilkultus  der  Valerier  zu  Grunde  liege  '  Lectistemia    für   Dis    und   Sellistemia   für 

(so   früher  Mommsbn,  Chronol.'  S.  182  und  Proserpina  anzunehmen  haben, 

neuerdings  namentlich  G.  Pinza,  Bull.  arch.  \          *)  Auf  Analogien    der    tarentinischen 


com.  XXIV  1896,  195  ff.),  bietet  sich  eben- 
sowenig  ein  sicherer  Anhalt  wie  für  die 
andre,  ,dass  die  sibyllinisch-etruskischen 
Saecularspiele  im  ersten  punischen  Kriege  an 
die  SteUe  des  alten  . . .  Sühnfestes  der  ludi 
Terentini  getreten*  seien  (Diels,  Sibyllin. 
Blätter  S.  44  Anm.). 


'Yaxly^ia  weist  Ziblinski  a.  a.  0.  p.  101  f. 
hin ;  jedoch  setzt  die  römische  Namengebung 
einen  Kult  voraus,  dessen  Träger  offiziell  die 
Namen  nXovttjy  und  JJB^Btpoyri  trugen. 

^)  Da  diese  Fassung  der  Formel  auf 
die  Einnahme  Karthagos  gestellt  ist,  stammt 
sie  frühestens  aus  der  zweiten  Hälfte  des 


Handlmch  der  klaas.  Altertnmgwtocniicbaft.    V,  4.  17 


258  Eeligion  und  Koltas  der  BOmer.    IL  Qotterlehre. 

linenorakel  des  Jahres  629  =  125  ordnet  wegen  des  Prodigiums  einer 
Androgynengeburt  u.  a.  auch  das  Opfer  eines  schwarzen  Stieres  für  'Aidw^ 
vevg  nkovTwv  an,^)  und  auch  ein  Opfer  des  Kaisers  Otho  an  Dis  wird  ge- 
legentlich erwähnt,*)  Weihinschriften  für  Dis  wie  für  Proserpina  sind  ver- 
hältnismässig recht  selten.  3)  Um  so  häufiger  erscheinen  beide  Gottheiten 
in  der  Poesie,  wo  Dis  pater  sowohl  bei  der  Wiedergabe  des  Inhaltes  der 
griechischen  Sage  als  in  den  dichterischen  Schilderungen  der  Unterwelt 
durchaus  für  den  nXov%fov  und  "Aidrfi  der  griechischen  Poesie  eintritt,^) 
ohne  dass  dem  Bilde  ein  besonderer  Zug  römisch-italischer  Götterauf- 
fassung beigemischt  wäre;  auch  in  die  Grabschriften,  namentlich  die 
metrischen,  sowie  in  die  Verwünschungsformeln  (defixiones)  der  Bleitafeln 
dringt  dieser  Sprachgebrauch  ein,  zuweilen  vermengt  mit  der  römischen 
Vorstellung  von  den  Di  manes.^)  Es  ist  unter  diesen  Umständen  kein 
Wunder,  wenn  spätere  Überlieferung  den  so  geläufigen  Namen  des  Gottes 
auch  an  solchen  Stellen  einsetzt,  an  die  von  Haus  aus  nur  die  altrömischen 
Unterweltsgottheiten  gehörten,  und  z.  B.  den  mundus  (s.  oben  S.  188  f.) 
als  dem  Dis  pater  und  der  Proserplna  geweiht  bezeichnet  (Macr.  S.  I  16, 
17).  Schliessh'ch  verwendet  man  den  Namen  Dis  pater  zur  Bezeichnung 
eines  jeden  wirklichen  oder  vermeintlichen  Todes-  und  Unterweltsgottes 
der  eigenen  wie  fremder  Religionen :  wie  man  die  römischen  Götter  Sum- 
manus (oben  S.  124  Anm.  9)  und  Vejovis  (oben  S.  191  Anm.  1),  auch 
Februus  (oben  S.  187)  mit  ihm  identificierte,  so  erklärte  man  durch  die- 
selbe Gleichung  auch  das  Wesen  des  faliskischen  Gottes  vom  Berge  Soracte 
(oben  S.  191)  und  des  etruskischen  Mantus^)  und  meinte  denselben  Gott 
auch  bei  den  Galliern  (Caes.  b.  g.  VI  18,  1)  und  bei  den  Einwohnern  von 
Sinope  (Tac.  bist.  IV  83  f.)  wiederzufinden. 

Auf  einer  Reihe  von  späten  Denkmälern  ausseritalischer  Provenienz, 
in  Rom  nur  auf  dem  berühmten  Grabgemälde  der  Praetextatus-Katakombe 
mit  der  Darstellung  der  Totenfahrt  der  Vibia,^)  begegnet  uns  neben  Dis 
pater  an  der  sonst  von  Proserpina  eingenommenen  Stelle  eine  Göttin  Aera- 
cura,  die  ausserdem  einigemale  auch  allein,  einmal  (CIL  VIII  5526)  auch 
mit  Terra  mater  und  Mater  magna  Idaea  verbunden   auftritt;^)   da  sich 

2.  Jahrhunderts ;  die  ältere  Devotionsformel  VI  6986.  VII  250  {Plutoni  sacrum  steht  auf 

hei  Liv.  VIII  9,  6  weiss  von  Dis  pater  nichts.  einer  Grabschrift  von  Capua  CIL  X  3815), 

>)  Orakel  bei  Phleg.  macr.  10  V.  30  und  '   auf  Bleitafeln  CIL  VI  140  f. 

dazu  DiBLs  a.  a.  0.  S.  50.  l           ^)  Schol.  Veron.  und  Serv.  Aen.  X  200. 

*)  Suet.  Otho  8:  victivia  Diti  patri  caesa  \   Bei  dem  von  Tertull.  ad  nat.  I  10;  apol.  15 


liiavitf  cu/ni  täli  sacrificio  contraria  exta 
potiora  sint. 

»)  CIL  VI  137—139.  V  773.  3225;  die 
Ergänzung  IH[ti]  Diove  VI  136  ist  gewiss 
nicht  zutreffend.  Ausserdem  begegnet  eine 
sacerdos  Ditis  patris  CIL  VI  2243,  eine 
sacerdos  Matris  deum  et  Proaerpinae  VI 
508,  Altar  und  Statue  der  Proserpina  in  Vibo 
X  39,  templum  deae  Proaerpinae  in  Malta 
X  7494 ;  endbch  findet  sich  Peraepona  auch 
in  dem  Weihgedichte  von  Corfinium,  Rhein. 
Mus.  XXXIII  283  f. 

*)  Zahlreiche  Belege  dafür  bei  R.  Peter 
in  Roschers  Mythol.  Lexik.  I  1179  ff. 

^)  So  z.  B.  in  Grabschriften  CIL  III  754. 


berichteten  Brauche  Ditia  pater  . . .  gladia- 
torum  exaequiaa  cum  malleo  deducit  hat  man 
wohl  an  eine  Maske  des  etruskischen  Oharun 
zu  denken,  vgl.  Mülleb-Debobjs,  Etrusker 
II  102.  0.  Waseb,  Charon,  Charun,  Charos 
(Berlin  1898)  S.  68. 

')  Die  Inschriften  CIL  VI  142,  Abbil- 
dungen bei  Qabbücci,  Storia  dell'  arte  christ 
VI  Taf.  493,  zum  Teil  auch  bei  Darbkbbeo- 
Saolio,  Diction.  II  280  fig.  2468;  zuletzt  be- 
handelt von  £.  Maass,  Orpheus  S.  207  ff. 
(m.  Abbild.) 

^)  Die  Zeugnisse  bei  Wissowa,  Real- 
Encycl.  l  667. 


B«  Di  novensidÖB  grieolüsoher  Herkunft.    61.  Mens. 


259 


auf  eioer  istrischen  Inschrift  (CIL  V  8970*)  an  der  gleichen  Stelle  neben 
Dis  der  einfache  Name  Era  findet  und  eine  mit  dieser  sicher  identische 
Hera  oder  Haera  domina  auf  Inschriften  derselben  Gegend  vorkommt  (CIL 
y  8126.  8200),  so  hat  man  den  Namen  in  die  beiden  Bestandteile  Aera 
Cura  zu  zerlegen,  und  von  den  verschiedenen  Deutungsversuchen*)  ist  der 
ansprechendste  der  von  H.  Gaidoz,«)  der  in  Aera  Cura  eine  Entstellung 
oder  volkstümliche  Anpassung  des  griechischen  Namens ''ff^a  Kvqia  sieht: 
für  diese  Erklärung  spricht  nicht  nur  der  Umstand,  dass  die  Auffassung 
der  ünterweltsgottheiten  als  Oegenbilder  und  Parallelen  zu  Zeus  und  Hera, 
als  luppüer  infemus  und  Inno  Stygia  u.  ähnh,  eine  namentlich  in  der 
römischen  Dichtung  weit  verbreitete  ist,^)  sondern  mehr  noch  die  That- 
sache,  dass  auf  afrikanischen  Denkmälern  (CIL  VIII  9020  f.),  auf  denen 
uns  ein  ganz  analoges  Paar,  Pluto  und  Ceres,  entgegentritt,  diese  ebenfalls 
den  Beinamen  Cyria  führt. 

51.  Mens.  In  dem  für  die  römische  Religionsgeschichte  so  wichtigen 
Jahre  537  =  217  (s.  oben  S.  54  f.)  wurden  neben  zahlreichen  andern 
sakralen  Veranstaltungen,  die  man  unter  dem  Eindrucke  der  schweren 
Niederlage  am  trasimenischen  See  traf,  auch  zwei  Tempel  gelobt,  der 
Venus  Erucina  und  der  Mens;  sie  wurden  im  fügenden  Jahre  eingeweiht, 
beide  auf  dem  Capitole  gelegen  und  derart  benachbart,  dass  sie  nur  canali 
uno  discretae  waren;*)  der  von  M.  Aemilius  Scaurus,  Cos.  639  =  115, 
wiederhergestellte^)  Tempel  der  Mens  beging  in  augusteischer  Zeit  sein 
Stiftungsfest  am  8.  Juni.^)  Schon  der  enge  zeitliche  und  örtliche  Zusam- 
menhang mit  der  sicher  griechischen  Göttin  vom  Eryx  (s.  oben  S.  236) 
weist  auch  Mens  dem  hellenischen  Götterkreise  zu,  und  das  wird  dadurch 
bestätigt,  dass,  wie  Livius  ausdrücklich  hervorhebt,  die  Stiftung  des  Kultes 
auf  Grund  eines  Gutachtens  der  Decemvirn  nach  den  sibyllinischen  Orakeln 
erfolgte.  Für  die  Herkunft  der  Göttin  ist  von  Wichtigkeit  die  Thatsache, 
dass  uns  die  durch  Beischrift  gesicherte  Gestalt  einer  Göttin  Bona  Mens 
auf  Münzen  von  Paestum  begegnet,  7)  und  dass  magistri  Mentis  Bonae  (oder 
auch  nur  Menüs),  also  Vorsteher  von  Kultgenossenschaften  der  Göttin,^) 
vielfach  durch  Inschriften  des  südlichen  und  mittleren  Italiens  bezeugt 
sind,»)  so  aus  Paestum  selbst  (CIL  X  472  =  Ephem.  epigr.  VIII  286), 
Puteoli  (CIL  X  1550),  Cales  (X  4636),  Cora  (X  6512—6514),  Alba  Fucens 


1)  MoxMSBN,  Archaeol.  Anz.  1865,  88*  ff. 
sah  in  ihr  die  „Geldschafferin*  neben  dem 
„reichen'  Dis  pater,  Maass  a.  a.  0.  S.  220, 
27  fasst  den  Namen  als  Zusammensetzung 
Yon^'H^a  und  KovQa  =.  KoQtj  wie  Isityche. 

«)  Rev.  arch^ol.  8»  s^r.  XX  1892,  198  ff. 

'}  Belege  bei  Maass  a.  a.  0.  und  mehr 
bei  R.  Pbteb  a.  a.  0.  1186  f. 

*)  Liv.  XXII  9,  10.  10,  10.  XXIII  31, 
9 ;  vgl.  Ovid.  fast.  VI  241  ff. 

»)  Gic.  de  nat.  deor.  II  61.  Plut.  de 
fort.  Rom.  5.  10,  die  beide  von  Scaurus  als 
dem  ersten  Stifter  reden;  wenn  R.  Pbteb 
in  Roschers  Lexik.  II  2799  meint,  die  Besie- 
gung des  Scaurus  durch  die  Cimbern  647  = 
107  habe  den  Anlass  gegeben,  so  s.  dagegen 
£.  Klebs  bei  Pauly-Wissowa,  Real-Encjcl. 


I  587  f. 

«)  Ovid.  a.  a.  0.  CIL  I*  p.  319. 

7)  Cabelli,  Num.  Ital.  vet.  tab.  CXXXI 
84.  Gabbücci,  Monete  d'Italia  tav.  CXXH 
36.    British  Museum  Catal.  Italy  280.   50. 

^)  Wenn  in  den  fast  volistäiidig  erhal- 
tenen Fasti  Maffeiani  (CIL  l*  p.  222  ff.)  von 
den  natales  templorum  einzig  und  allein  der 
der  Mens  in  Capit(olio)  aufgezeichnet  ist,  so 
liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  dieser  Ka- 
lender eben  für  solch  eine  Kultgenossen- 
schaft der  Bona  Mens  bestimmt  war. 

*)  Weihinschriften  einzelner  auch  aus 
Luna  (CIL  XI  1327),  Aquileja  (Arch.  epigr. 
Mitt.  ttus  Oesterr.  XIX  206),  Lugudunum 
(CIL  XIII  1673). 


17 


260 


Beligion  nnd  Knltas  der  BOmer.    IL  Götterlehre. 


(IX  3910  f.)  und  Tibur  (XIV  3564).  Über  die  Auffassung  der  Göttin  von 
Seiten  ihrer  Verehrer  geben  freilich  diese  Inschriften  ebensowenig  einen 
Aufschluss  wie  die  gelegentlichen  Erwähnungen  bei  Schriftstellern,  die, 
soweit  sie  nicht  einfach  Mens  mit  andern  göttlichen  Verkörperungen 
menschlicher  Tugenden  wie  Virtus  Pietas  Fides  zusammenstellen,^)  nichts 
weiter  anzugeben  wissen,  als  das,  was  schon  der  Name  der  Göttin  sagt, 
nämlich  dass  man  zu  ihr  um  Verleihung  von  bona  mens  gebetet  habe  und 
dass  die  bona  mens  der  heranwachsenden  Knaben  als  ihr  Geschenk  ange- 
sehen worden  sei.^)  Jedenfalls  ist  Mens  im  capitolinischen  Kulte  ebenso 
eine  Bona  Mens  wie  anderswo,  und  beachtet  man  die  Verwendung  dieses 
Ausdruckes  und  seines  Gegensatzes  mala  mens  im  römischen  Sprachge- 
brauches) sowie  den  Umstand,  dass  die  durch  die  Unbesonnenheit  und  man- 
gelnde Umsicht  des  Feldherm  herbeigeführte  Niederlage  am  trasimenischen 
See  die  unmittelbare  Veranlassung  zur  Weihung  des  Tempels  gab,  so  erkennt 
man,  dass  man  Mens  als  eine  göttliche  Vertreterin  der  verständigen  Ein- 
sicht, die  in  allen  Lebenslagen  das  Richtige  thun  lehrt,  anzusehen  hat 
und  griechisch  am  besten  mit  2ai<pQ0(fvvYj  wiedergibt,  wenn  auch  dieser 
Begriff  durch  die  römische  Auffassung  vielleicht  nicht  ganz  erschöpft  wird. 
Wenn  man  aus  der  gleichzeitigen  Einführung  der  Dienste  von  Mens  und 
Venus  Erucina  und  der  Nachbarschaft  ihrer  Heiligtümer  gefolgert  hat, 
auch  Mens  müsse  irgend  eine  Seite  der  griechischen  Aphrodite  darstellen, 
so  ist  das  gewiss  ein  Fehlschluss;  und  aus  der  Erzählung  des  Arnobius 
(ni  37),  dass  manche  Gewährsmänner  die  Musen  als  Töchter  des  Juppiter 
und  der  Memoria  vel  Mens  bezeichneten,  ist,  wie  längst  erkannt  ist,  nichts 
zu  entnehmen,  da  hier  nur  eine  Übersetzung  des  griechischen  Namens 
MvrjUoavvYj  vorliegt. 

52.  Sei  und  Luna.  Nur  in  Ermangelung  eines  besser  zu  begrün- 
denden Platzes  lasse  ich  hier  anhangsweise  den  Kult  von  Sol  und  Luna 
folgen,  dessen  Alter  und  Herkunft  auch  nur  mit  annähernder  Sicherheit 
zu  bestimmen  wir  zur  Zeit  ausser  stände  sind;  immerhin  wird  die  An- 
nahme einer  griechischen  Entlehnung  dadurch  nahe  gelegt,  dass  eine  der 
älteren  Kultstätten  des  Sol  ausdrücklich  als  pulvinar  bezeichnet  wird 
(s.  unten)  und  dieser  mit  den  Lectisternien  des  graecus  ritus  untrennbar 
verbundene  Ausdruck  sonst  nie  mit  Beziehung  auf  eine  italisch-römische 
Gottheit  vorkommt.^)    Die  Überlieferung  allerdings  rechnet  Sol  und  Luna 


0  Cic.  de  nat.  deor.  III  88 ;  de  leg.  II 
19.  28.  Plin.  n.  h.  II  14.  Lact.  inst.  I  20,  13. 

«)  August,  c.  d.  VII  8.  IV  21 ;  bei  Ter- 
tull.  ad  Dat.  II  11  ist  die  Ergänzung  des 
verstümmelten  Textes  deam  <Mentem,  qitae 
faciat  mentem  honam  aequ>e  et  tnalam  un- 
sicher und  bedenklich. 

')  Mens  bona^  st  qua  dea  es,  tua  nie 
in  sacraria  condo  Prep.  III  24,  19;  Mens 
bona  ducetur  manibus  post  terga  retortis  et 
Pudor  Ovid.  am.  I  2,  81;  Mens  bona,  Fama, 
Fides  Pers.  2,  8;  mentem  bonam  bonamque 
caletudinem  petere  Petron.  61.  88.  Senec. 
epist.  10,  4 ;  ire  (revertere)  ad  bonam  mentem 
Senec.  epist.  41,  1.    Hist.  aug.  Tac.  2,  4; 


bonae  mentis  iuvenes  Qnintil.  II  12,  12;  vgl. 
auch  Liv.  XXX  80,  16.  Senec.  nat.  qu.  IV 
praef .  7 :  überall  kann  man  hier  bona  mens 
durch  aatg>Qocvvtj  wiedergeben  nnd  ebenso 
umgekehrt  mala  mens  (Gatnil.  15,  14.  40,  1 ; 
turare  se  mala  mente  fuisse  Tibull.  II  5, 
104.  Senec.  de  benef.  III  27,  2)  durch  cr^^o- 
ffvyfj.  Plutarch  de  fort.  Rom.  5.  10  über- 
setzt Mens  mit  rvtofirj  und  EvßovXla, 

*)  Vgl.  £.  AusT  in  Roschers  Lexik.  II 
2158  f.  und  über  den  Kult  yon  Helios  and 
Selene  in  Griechenland  W.  H.Roschbb,  Selene 
und  Verwandtes  S.  7  ff.  und  Nachträge  (War- 
zen 1895)  S.  2  f. 


G.  Di  noTensideB  grieohisoher  Herkunft.    58.  Sol  nnd  Lnna.  261 

zum  ältesten  Bestände  des  römischen  Götterkreises,  und  zwar  (auf  Grund 
der  Autorität  des  Yarro)  zu  den  Gottheiten  sabinischer  Herkunft:  Yarro 
zählte  beide  zu  den  von  Titus  Tatius  in  Rom  eingebürgerten  Gottheiten,^) 
und  er  ist  es  sicher  auch  gewesen,  der  den  Namen  der  angeblich  sabini- 
schen  Aurelii  von  dem  Gotte  Sol  herleitete,  für  dessen  Dienst  der  Gens 
vom  römischen  Yolke  offiziell  ein  Platz  angewiesen  worden  sein  sollte;^) 
der  Tempel  der  Luna  auf  dem  Aventin  galt  als  eine  Gründung  des  Servius 
TuUius  (Tac.  ann.  XY  41).  Aber  gegen  die  Annahme,  dass  göttliche  Yer- 
körperungen  des  Tages-  und  des  Nachtgestirnes  bereits  im  Kreise  der  di 
indigetes  vertreten  gewesen  wären,  spricht  die  Thatsache,  dass  weder  im 
Festkalender  noch  in  der  Priesterordnung  sich  irgendwelche  Spur  dieses 
Gottesdienstes  findet  und  dass  auch  sonst  nirgendwo  in  Italien  alter  Sonnen- 
und  Mondkultus  nachweisbar  ist.  Zu  den  ältesten  Zeugnissen  der  Bekannt- 
schaft mit  diesen  Gottheiten  in  Rom  gehört  das  Erscheinen  der  auf  ihrem 
Zweigespann  fahrenden  Luna  im  Reversbilde  der  ältesten  römischen  Bigati 
etwa  aus  der  Zeit  des  zweiten  punischen  Krieges;^)  der  Typus  schliesst 
sich  durchaus  an  die  seit  Phidias  gebräuchlichste  griechische  Darstellungs- 
form^)  an,  die  den  Sonnengott  auf  einem  Yiergespann,  die  Mondgöttin  auf 
einem  Zweigespann  am  Himmel  auf  und  nieder  steigen  lässt.^)  Es  ist 
sicher  erst  diese  von  den  Griechen  übernommene  Darstellungsform  gewesen, 
die  den  Anlass  gab,  Sol  und  Luna  in  besonders  enge  Yerbindung  mit 
den  Gircusspielen  zu  bringen  und  dem  ersteren  den  Schutz  der  quadrigae, 
der  andern  den  der  bigae  zuzuweisen.^)  Daher  besass  Sol  mitten  im  Gircus 
einen  verhältnismässig  alten  Tempel  mit  dem  Bilde  des  fahrenden  Gottes 
auf  dem  Dachfirst,^)  und  zwar  galt  dieses  Heiligtum  dem  Dienste  von  Sol 
und  Luna  gemeinsam,  wie  daraus  hervorgeht,  dass  das  Regionenbuch 
(reg.  XI)  es  als  templum  Solis  et  Lunae  bezeichnet  und  der  Kalender  des 
Philocalus  auf  den  28.  August  den  durch  Gircusspiele  zu  feiernden  Stif- 
tungstag Solis  et  Lunae  ansetzt.^)  Die  gemeinsame  Yerehrung  von  Sol 
und  Luna  ist  für  Rom  auch  durch  Inschriften  (CIL  YI  706.  3719  f.)  be- 
zeugt,*) und  Yarro  gibt  im  Eingange  der  Schrift  de  re  rustica   (I  1,  5) 


»)  Varro  de  l.  1.  V  74.  Dion.  Hai.  II 
50,  3.    Augast.  c.  d.  IV  23. 

')  Paul.  p.  23:  Aureliam  famüiam  ex 
Sabinis  oriundam  a  Sole  dictam  putant, 
quod  ei  publice  a  populo  Botnano  datas  sü 
loctiSf  in  quo  Sacra  faceret  Soli,  qui  ex  hoc 
Auselii  dicebantur,  danach  zu  emendieren 
Varro  de  1.  1.  V  68  Sol  ausel  (sola  vel  die 
Ueberliefenmg),  quod  ita  Sabini;  vgl.  Cur- 
TIU8,  Griech.  Etymol.^  S.  399  f.  Erbtschmeb, 
Einl.  in  die  Gesch.  d.  griech.  Sprache  S.  83  f. 

')  Elüoxann»  Zeitschr.  f.  Nomism.  Y  62  ff. 

*)  8.  RoBCHBB,  Selene  S.  30.  37  ff.  0. 
Jabh,  Arch.  Beitr.  S.  79  ff. 

^)  Dass  auch  die  andre  griechische  Auf- 
fassung, nach  der  die  Mondgöttin  auf  einem 
Maultiere  reitet  (Pbbllbb-Robebt,  Griech. 
Mythol.  I  444,  3)  in  Rom  bekannt  war,  zeigt 
Paul.  p.  148:  mulus  vehicido  Lunae  habetur. 


')  Vetus  aedes  ap%^  circum  Tac.  ann. 
XV  74 ;  aedes  (Solis)  in  medio  spatio  (drei) 
et  effigies  de  fastigio  aedis  emicat  TertuU. 
de  spect.  8. 

^)  Hierher  gehört  auch  das  Fragment 
der  Fasti  Praenestini  CIL  P  p.  239«:  [So]lis 
et  Ijun\ae\\  einen  Altar  der  Mondgöttin  im 
Circus  nennt  auch  Lvd.  de  mens.  112.  Ueber 
die  Lage  des  Templum  Solis  et  Lunae  vgl. 
HüLSEK,  Dissert.  a.  Accad.  Pontif.  Rom.  d. 
Archeol.  ser.  II  t.  VI  p.  266  f.,  der  die  sehr 
ansprechende  Vermutung  äussert,  dass  in  dem 
auf  den  erhaltenen  Darstellungen  des  Circus 
innerhalb  der  Sitzreihen  erscheinenden  und 
gewöhnlich  für  das  sacellum  Murciae  (s.  oben 
S.  194  Anm.  8)  gehaltenen  Heiligtume  viel- 
mehr dieser  Tempel  zu  erkennen  sei. 

*)  Vgl.  auch  die  Denare  des  L.  Valerius 
Acisculus   mit  dem  Kopfe   des  Sol  auf  der 


*)  TertuU.  de  spect.  9.    Cassiod.  var.  III      Vorderseite  und  der  Biga  mit  Luna  auf  dem 
51,  6.    Anthol.  lat  197,  17  R.  Revers,  Babelon,  Monn.  consul.  II  520  nr.  20. 


262 


Religion  nnd  Kultus  der  Römer,    ü.  Gtttterlehre. 


unter  den  von  ihm  angerufenen  Zwölfgöttern  des  Landbaues  diesem  Paare 
die  zweite  Stelle  sofort  hinter  Juppiter  und  Tellus.  Daneben  aber  haben 
beide  Gottheiten  auch  ihre  besonderen  Kultstätten  gehabt.  Von  Luna  wird 
ein  Tempel  auf  dem  Palatin  erwähnt,  der  nachts  erleuchtet  war  und  von 
dem  die  Göttin  den  Beinamen  Nodüuca  führte,^)  und  die  Fasti  Pinciani  ver- 
zeichnen unter  dem  24.  August  ein  Opfer  Lunae  in  Graecost{asi) :  darauf, 
dass  der  Tag  einer  der  dies  religiosi  ist,  an  denen  der  mundus  offen  stand 
(oben  S.  189),  hat  Momusen  (CIL  P  p.  327)  hingewiesen;  es  kann  sich 
mithin,  da  der  Gedanke  an  eine  Verbindung  der  Luna  mit  dem  Dienste 
der  Unterirdischen  ausgeschlossen  ist,  nur  um  ein  jüngeres  Opfer  handeln, 
bei  dessen  Ansetzung  der  bedenkliche  Charakter  des  Tages  ignoriert  wurde. 
Der  Haupttempel  der  Luna  aber  lag  auf  der  Höhe  des  Aventin;^)  sein 
Stiftungstag  war  der  31.  März, 8)  das  Gründungsjahr  ist  nicht  überliefert;  er- 
wähntwird er  zuerst  bei  Gelegenheit  eines  Prodigiums  im  Jahre  572  =  182,^) 
zuletzt  bei  seiner  Zerstörung  durch  den  neronischen  Brand  (Tac.  ann. 
XV  41).  Ein  Heiligtum  des  Sol  aber  lag  auf  dem  Quirinal  neben  dem 
Tempel  des  Quirinus,  und  wir  wissen  vor  ihm  nur,  dass  es  dort  ein  pul- 
üinar  Solis  gab^)  und  dass  in  einer  ebendaselbst  befindlichen  Inschrift  des 
Abendsternes  {vesperugo)  gedacht  war,^)  zwei  Momente,  die  beide  deutlich 
auf  griechischen  Ursprung  des  Kultes  hinweisen:  unter  dieser  Voraus- 
setzung kann  die  Emchtung  dieser  Kultstätte  nicht  vor  dem  Beginne  des 
2.  punischen  Krieges  erfolgt  sein,^)  da  vorher  die  Zulassung  eines  grie- 
chischen Gottesdienstes  intra  pomerium  ausgeschlossen  war  (s.  oben  S.  55). 
Eine  noch  ungelöste  Schwierigkeit  liegt  darin,  dass  in  den  Kaiendarien 
der  augusteischen  Zeit  der  Stiftungstag  dieses  Tempels  (9.  August)  mit 
den  Worten  Soli  indigiti  in  coUe  Quirinale  (CIL  P  p.  324)  verzeichnet 
wird:  dass  es  der  Annahme,  Sol  habe  zu  den  diindigetes  der  altrömischen 
Religion  gehört,  an  jeder  Stütze  fehlt,  wurde  bereits  hervorgehoben;  aber 
auch  wenn  sie  zuträfe,  bliebe  es  unerklärt,  warum  gerade  Sol  und  nur 
er  allein  von  allen  Indigetes  ausdrücklich  als  solcher  bezeichnet  würde; 
vermutungsweise  habe  ich  (De  dis  Roman,  indig.  p.  VI)  auf  die  Möglichkeit 
hingewiesen,  dass  man  in  augusteischer  Zeit  den  Sol  vom  Quirinal  durch 
das  Beiwort  indiges  als  den  „einheimischen''  bezeichnet  habe,  nicht  im 
Verstände  des  alten  Sakralrechtes,  sondern  im  weiteren  Sinne,  im  Gegen- 


*)  Varro  de  1.  1.  V  68;  der  Beiname 
auch  in  dem  Fragmente  des  Laevius  bei 
Macr.  S.  III  8,  3  und  bei  Hör.  c.  IV  6,  88. 

>)  Ueber  die  Lage  Hülsen  a.a.O.  p.238  ff., 
der  mit  vollem  Rechte  den  Versuchen  (Jor- 
dan, Ephem.  epigr.  III  p.  70 ;  Analecta  epi- 
graph.  latina  p.  7  f.  Mohmsen,  CIL  P  p«  314. 
Gilbert,  Topogr.  II  250),  diese  aedes  Lunae 
in  Aventino  mit  dem  templum  Solis  et  Lunae 
der  XL  Region  zusammenzuwerfen,  entgegen- 
tritt. 

»)  CIL  P  p.  314.  Ovid.  fast.  III  883  f. 

*)  Liv.  XL  2,  2 ;  spätere  Erwähnungen 
bei  Gelegenheit  von  Weihungen  des  L.  Mum- 
mius,  Vitruv.  V  5,  8;  beim  Sturze  des  C. 
Gracchus,  Aur.  Vict.  v.  ill.  65.  Oros.  V  12, 
8;   beim  Tode  des  Cinna,  App.   b.  c.  I  78. 


^)  Sollte  vielleicht  auch  das  von  Augustus 
wiederhergestellte  pu^mnar  ad  cvrcum  (Mo- 
num.  Anc.  4,  4 ;  vgl.  Fest.  p.  364.  Suet.  Aug. 
45;  Claud.  4.  CIL  VI  9822)  mit  dem  dortigen 
Sonnenkulte  zusammenhängen? 

^)  Quintil.  I  7,  12:  in  pulvinari  Solis, 
qui  colitur  iuxta  aedem  Quirini,  VESPER  VG 
[sa-iptum  est),  quod  vesperuginem  accipimus. 

^)  Das  spricht  gegen  die  von  E.  F.  Hbr> 
HANN  vorgeschlagene  Verbesserung  in  der 
Argeerurkunde  (Varro  de  L  1.  V  52):  collis 
Salutaris  quarticeps  adver sum  Solis  pulvinar 
eis  (adversum  est  püonarois  Hs.)  aedem  Sa- 
lutiSy  zumal  das  Pulvinar  nach  der  Angabe 
des  Quintil.  a.  a.  0.  nicht  zum  Collis  Salu- 
taris, sondern  zum  Collis  Quirinalis  (im  en- 
geren Sinne)  gehörte. 


G.  Di  noTensides  griechisoher  Herkunft«    68.  Magna  Mater.  263 

satze  zu  den  orientalischen  Sonnenkulten,  die  gerade  in  jener  Periode  in 
Rom  einzudringen  begannen,  wie  die  beiden  von  Augustus  nach  der  Erobe- 
rung Ägyptens  dem  Sonnengotte  gewidmeten  Obelisken  (CIL  VI  701.  702) 
zeigen.^)  Die  inschriftlichen  Denkmäler  der  Verehrung  von  Sol  und  Luna 
in  Rom  und  Italien^)  beziehen  sich  zum  weitaus  grössten  Teile  eben  auf 
diesen  orientalischen  Gestimdienst,  der  seit  dem  Ende  des  2.  Jahrhunderts 
über  das  ganze  römische  Reich  verbreitet  war  (s.  unten  §  58) ;  das  älteste 
Beispiel  dieser  Art  ist  das  Erscheinen  von  Sol  und  Luna  in  der  Oötter- 
reihe  eines  im  J.  754  =  1  n.  Chr.  geweihten  stadtrömischen  Altars.*) 

53.  Mater  deum  magna  Idaea.  Die  Reihe  der  auf  Grund  sibyllini- 
scher  Orakel  in  Rom  eingeführten  Gottesdienste  wird  beschlossen  durch 
den  Kult  der  grossen  Mutter  von  Pessinus,  auf  welchen  im  J.  549  =  205 
unmittelbar  vor  den  Entscheidungskämpfen  des  hannibalischen  Krieges  ein 
von  den  Decemvirn  aufgefundener  Spruch  hinwies:  der  heilige  Meteor- 
stein, das  Symbol  der  Göttin,  das  wahrscheinlich  kurz  vorher  vom  Könige 
Attalos  aus  Pessinus  entführt  und  in  Pergamon  in  einem  eigenen  Tempel, 
dem  Megalesion,  aufgestellt  worden  war,  wurde  von  diesem  den  Römern 
ausgeliefert  und  auf  einem  Prunkschiffe  nach  Italien  gebracht,  wo  er  im 
folgenden  Jahre  anlangte.^)  Nach  der  feierlichen  Einholung  des  Steines, 
an  die  sich  allerlei  Wundererzählungen  knüpften,^)  wurde  dieser  einst- 
weilen bis  zur  Fertigstellung  des  zu  errichtenden  Heiligtums  im  Tempel  der 
Victoria  auf  dem  Palatin  untergebracht,  und  der  Tag  dieser  Deposition, 
der  4.  April,  wurde  durch  verschiedene  festliche  Veranstaltungen,  eine 
allgemeine  Kollekte,  ein  Lectisternium,  namentlich  aber  durch  Festspiele 
gefeiert  (Liv.  XXIX  14,  13).  Zehn  Jahre  später  (560  =  194)  wurden  an 
diesem  Tage  zum  ersten  Male  scenische  Spiele  gegeben  (Liv.  XXXIV  54,  3. 
Val.  Max.  II  4,  3),  und  nachdem  im  J.  563  =191  der  Tempel  der  Magna 
Mater  auf  dem  Palatino)  dem  Gebrauche  übergeben  und  seine  am  10.  April 
stattfindende  Einweihung  ebenfalls  durch  Bühnenfestspiele  gefeiert  worden 
war  (Liv.  XXXVI  36,  4),  traten  diese  Ludi  Megalenses  in  die  Reihe  der 


^)  Im  orientalischen  Sinne  war  wohl 
auch  der  Sonnengott  gedacht,  zu  dessen  Bilde 
der  colossiM  Neronis  umgeschaffen  wurde, 
vgl.  ßECKBB,  Topogr.  S.  220  f. 

*)  Fflr  Luna  Verzeichnis  der  Inschriften 
bei  AusT  a.  a.  0.  S.  2156  f. 

')  y.  Pbembbstein,  Arch.  epigr.  Mitt.  aus 
Oesterr.  XV  78  ff. ;  vgl.  auch  einen  der  Steine 
des  Equites  singulares  (Hbnzen,  Annali  d. 
Inst.  1885,  260  nr.  28),  auf  dem  Sol  und 
Luna  unmittelbar  hinter  Juppiter  und  Juno 
stehen. 

*)  Liv.  XXIX    10.    14.   Ovid.  fast.  IV 


sei ;  die  im  Texte  gegebene  Auffassung,  die 
L.  Bloch,  Philologus  LH  580  ff.  begründet 
hat,  stützt  sich  auf  Varro  de  1.  1.  VI  15: 
Megalesia  dicta  a  Graecis,  quod  ex  lihris 
Stbyllinis  arcessita  ah  Ättalo  rege  Pergami ; 
ibi  prope  murum  Megalesion  templum  eins 
deae,  unde  advecta  Bomam.  Doch  sahen 
die  ROmer  selbst  das  Mutterheiligtum  zu 
Pessinus  als  die  eigentliche  Heimat  ihres 
Kultes  an  (Val.  Max.  I  1,  1.  Arrian.  tact. 
83,  4). 

^)  Ausser  den  in   Anm.  4    Genannten 
vgl.  Suet.  Tib.  2.  Tac.  ann.  IV  64.  Plin.  n. 


255  ff.    Sil.   Ital.   XVII  1  ff.   Appian.  Hann.  <   h.  VIT  120.  Lact.  inst.  II  7,  12  und  das  be- 

56.  Aur.  Vict.  v.  ill.  46.  Herodian.  111.  Die  kannte  Altarrelief  Müller- Wieselbr  II  68, 

gewöhnliche  üeberlieferung  lässt  den  Stein  816   mit   der   Inschrift    (CIL  VI   492,  vgl. 

direct  aus  Pessinus  holen  (Liv,  XXIX  10,  7.  <  498  f.)  Matri  deum  et  navi  salviae  (dazu 

Herod.   a.  a.  0.    Strab.  XII  567.    Cic.  har.  ,   L.  Bloch  a.  a.  0.  S.  581  f.). 

resp.  27.  Amob.  VII  49.    Julian,  or.  V  159.  *)   Ueber   ihn  s.  Gilbbrt,  Topogr.  HI 

Amm.  Marc.  XXII   9,  5)  und  motiviert  die  104  ff.  und  Hülsen,   Rom.  Mitteil.  X  1895, 

Mitwirkung  des  Attalos  damit,  dass  dieser  '  3  ff.,   wo  auch   die  ältere  Litteratur  ange- 

damals   Herrscher    von   Phrygien   gewesen  ;   geben  ist. 


264 


Eeligion  und  Koltna  der  BOmer.    U.  Qotterlehre. 


ständigen  Jahresfeste  ein  und  füllten  wenigstens  später  die  ganze  Zwischen- 
zeit zwischen  den  genannten  beiden  Tagen,  4. — 10.  April,  aus  (CIL  I* 
p.  314).  Der  Hauptfesttag,  dem  speziell  der  Name  Megalesia  zukam  (Fast. 
Praen.),  war  der  4.  April,  und  an  diesem  Tage  brachte  der  Praetor  ur- 
banus  der  Göttin  in  ihrem  Tempel  ein  Opfer  dar;^)  vielleicht  fällt  auf 
denselben  Tag  auch  die  von  Ovid  (fast.  IV  367  ff.)  erwähnte  Opferung 
eines  Kräuterklosses  (moretum);  auserdem  wurde  der  Festtag  in  den  vor- 
nehmen Häusern  durch  sodalüates,  die  sich  schon  bei  der  Einholung  der 
Göttin  ihr  zu  Ehren  gebildet  hatten  (Cic.  Cato  mai.  45),  mit  üppigen 
Gastereien  {mutitationes)  begangen.^)  Ein  andrer  Festtag  war  die  seit  der 
augusteischen  Zeit^)  nachweisbare  lavatio  am  27.  März,^)  bei  welcher  unter 
Leitung  der  Quindecimvirn  (Lucan.  I  599)  das  Symbol  der  Göttin^)  auf 
einem  von  Kühen  gezogenen  Wagen  (Ovid.  fast.  IV  346)  vor  die  Porta 
Capena  gefahren  und  dort  in  dem  kleinen  in  den  Tiber  mündenden  Flüss- 
chen Almo  gebadet  wurde.  ^)  Nur  auf  diese  Akte  des  Kultes  der  Grossen 
Mutter  beschränkt  sich  die  Mitwirkung  der  Staatsorgane  und  der  römi- 
schen Bürgerschaft;^)  der  ganze  sonstige  Dienst  liegt  in  den  Händen  land- 
fremder, aus  der  Heimat  der  Göttin  mit  ihr  eingewanderter  Priester,  wäh- 
rend den  römischen  Bürgern  die  Beteiligung  an  diesem  Priestertume  aus- 
drücklich untersagt  ist.^)  Durch  die  öffentliche  Reception  des  Kultes  der 
Göttermutter  erhielten  ihre  phrygischen  Priester  die  Berechtigung  zur 
ungestörten  Ausübung  ihres  Dienstes  beim  TempeP)  sowie  das  Privileg, 
an  bestimmten  Tagen  damit  auch  vor  die  weitere  Öffentlichkeit  zu  treten, 
indem  sie  in  ihrem  fremdartig  bunten  Aufzuge,  mit  allerlei  Goldzierat 
und  Bildern  behängt,  die  Strassen  durchzogen,  ihre  wild  aufregende  Kult- 
musik von  Hörnern    und  Pauken  ertönen   liessen   und   dazu  griechische 


*)  Dion.  Hai.  II  19,  4,  der  von  arga- 
Tfiyol  spricht;  Aber  die  Mitwirkung  des 
Praetor  urbanus  gerade  bei  griechischen 
Kulten   vgl.  Wissowa,  Real-Encycl.  II  698. 

«)  Fast.  Praen.  z.  4.  April.  Gell.  II  24, 
2.  XVIII  2,  11.  Ovid.  fast.  IV  353  flf. 

")  Ein  Aufschwung  des  öfifentlichen  Dien- 
stes der  Grossen  Mutter  datiert  vielleicht  von 
der  Wiederherstellung  ihres  im  J.  3  n.  Chr. 
niedergebrannten  (Val.  Max.  18,  11)  Tem- 
pels durch  Augustus  (Mon.  Ancyr.  4, 8) ;  jeden- 
falls scheint  sich  auf  eine  Einweihungsfeier- 
lichkeit bei  jenem  Anlasse  zu  beziehen  Ovid. 
trist.  II  23:  ipse  quoque  Ausanias  Caesar 
matresque  nurusquc  cartnina  turrigerae  di- 
cere  iussit  Dpi  (vgl.  Idaeae  currus  . . .  Opis 
Tibull.  I  4,  68). 

*)  Als  letztes  Fest  des  Mftrz  verzeichnen 
sie  die  Menologia  mstica  (CIL  P  p.  280), 
das  genaue  Datum  geben  erst  Amm.  Marc. 
XXIII  3,  7.  Vib.  Sequ.  p.  146,  20  Riese 
und  die  Kalender  des  Philocalus  und  Pole- 
mius  Silvius. 

^)  In  späterer  Zeit  war  der  heilige  Stein 
{typus  Matris  deum  Eist.  aug.  Heliog.  7, 1. 
CIL  XIV  86)  mit  einem  silbernen  Kopfe  ver- 
kleidet (Prudent.  perist.  X  156  f.,  vgl.  Arnob. 


VII  49).  Ueber  ein  Bild  der  Gdttin  beim 
Tempel  im  griechischen  Rhea-Kjbele-Typus 
s.  Hülsen  a.  a.  0.  S.  7.  25  ff.;  auf  einem 
Löwen  reitend  war  sie  im  Circus  dargestellt, 
s.  E.  HüBNEB,  Annali  d.  Inst.  1863,  160  f. 
K.  Zangbmbistbb  ebd.  1870,  252  f. 

•)  Ovid.  fast.  IV  337  ff.  Val.  Flacc. 
VUI  239.  Sil.  Ital.  VHI  368.  Mart.  HI  47, 
2.  Stat.  silv.  V  1,  223.  Arrian.  tact.  33,  4. 
Arnob.  VII  32.  Ambros.  epist.  I  18,  30. 
Claud.  de  hello  Gild.  I  119.  Prudent.  peri- 
steph.  X  158  ff.  August,  c.  d.  II  4. 

')  Die  der  Lavatio  vorausgehende  Periode 
der  Trauer  (Stat.  Valer.  Flacc.  Arrian. 
aa.  00.)  betrifft  nur  die  (phrygischen)  Ver- 
ehrer der  Göttin,  vgL  Suet.  Otho  8:  die  quo 
cultores  deum  Matris  lamentari  et  plangere 
incipiunt, 

')  Dion.  Hai.  II  19,  4  f.,  ein  FaU  des 
Verstosses  gegen  dieses  Verbot  aus  dem 
J.  677  =  77  bei  Val.  Max.  VI!  7,  6 ;  selbst 
der  Sklave  eines  römischen  Bürgers,  der 
unter  die  Galli  gegangen  war,  wird  Irans 
mare  exportatus,  ne  umquam  Romam  re- 
I  verteretur,  Obsequ.  44  (104). 

')  Varro  sat.  Menipp.  frg.  149.  150,  vgl. 
I   131.  132  Buech. 


C.  Di  noTensideB  griechischer  Herknnft.    68.  Kagna  Mater. 


265 


Hymnen  zu  Ehren  ihrer  Göttin  sangen,^)  um  schliesslich  eine  Kollekte 
zu  Gunsten  ihrer  Tempelkasse  zu  halten.  >)  Die  genauere  Organisation 
und  Gliederung  dieser  Priesterschaft  in  republikanischer  Zeit  kennen  wir 
nicht,  doch  wissen  wir,  dass  schon  damals  in  ihr  die  Verschnittenen  (Galli) 
die  Hauptrolle  spielten  und  dass  ein  Oberpriester  und  eine  Oberpriesterin 
an  ihrer  Spitze  standen  (Dion.  Hai.  H  19).  Die  letzteren  begegnen  uns 
auch  in  den  durchweg  erst  aus  der  Kaiserzeit  stammenden  Inschriften, 3) 
die  uns  ausserdem  den  Vorsteher  der  Galli,  Archigallus,^)  und  ein  ziemlich 
umfangreiches  und  mannigfach  abgestuftes  Musikantenpersonal, ^)  sowie 
zahlreiche  sacerdotes  männlichen  und  weiblichen  Geschlechts^)  kennen  lehren. 
Die  Priester  und  Priesterinnen  sowie  die  Archigalli  sind  in  der  Kaiserzeit 
sämtlich  römische  Bürger  und  Bürgerinnen,  wenn  auch  überwiegend  aus 
dem  Freigelassenenst-ande,  es  muss  also  die  alte  Beschränkung,  welche 
Bürger  vom  Dienste  der  Grossen  Mutter  ausschloss,  später  aufgehoben 
worden  sein.  Wenn  sich  in  den  Inschriften  Priester  und  Priesterinnen 
der  Göttermutter  in  italischen  und  gallischen  Städten  als  sacerdotes  XV- 
virales  bezeichnen,^)  und  wir  erfahren,  dass  ihre  Wahl  der  Bestätigung 
durch  die  Quindecimvim  bedarf,^)  so  ist  diese  ganz  vereinzelt  dastehende 
Unterstellung  munizipaler  Kulte  unter  die  römischen  Quindecimvirn  ofTenbar 
eine  Massregel  der  Sakralpolizei,  die  zu  der  Zeit  eingeführt  wurde,  als 
man  den  Zutritt  zum  Priestertume  der  Grossen  Mutter  den  römischen 
Bürgern  freigab.  Dies  alles  aber  hängt  zusammen  mit  anderen  Neuerungen, 
die  sich  seit  dem  Ende  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.  im  Staatskulte  der 
Göttin  geltend  machen  und  von  denen  die  Erweiterung  und  innere  Um- 
gestaltung der  Märzfeier  die  bedeutsamste  ist.  Hatte  diese  früher  nur 
aus  der  am  27.  März  stattfindenden  Waschung  der  Göttin  bestanden,^)  so 
treten  nunmehr  fünf  weitere  Festtage  hinzu,   von  denen  der  erste,  im 


*)  Dion.  Hai.  a.  a.  0.  Diod.  XXXVI  6, 
vgl.  Polyb.  XXI  37.  Serv.  Georg.  II  894; 
häufig  wird  dieser  Aufzug  von  Dichtem  ge- 
schildert, Catull.  63,  21  ff.  Lucr.  II  610  ff. 
Ovid.  fast.  IV  181  ff.    Sil.  Ital.  XVII  18  ff. 

*)  Cic.  de  leg.  II  22  (vgl.  40) :  praeter 
Idcieae  matris  famulos  eosque  itistis  diehus 
ne  quis  stipem  cogito.  Ovid.  fast.  IV  350; 
ex  Ponte  I  1,  40. 

»)  CIL  VI  508  per  8ac{erdotem)  Phry- 
g{ium)  maonmum;  eine  sacerdoa  maxima 
CIL  VI  502.  2257. 

*)  Ärchigallus  Matris  deum  magnae 
Idaeae  et  Attis  poptdi  Botnani  CIL  VI  2183; 
sonst  in  Italien  CIL  XIV  34  f.  (Ostia).  X 
3810  (Capua).  Relief darstellnng  eines  Ärchi- 
gallus in  vollem  Ornate  Müllbb-Wibsblbr 
II  63,  817. 

*)  Tympanistria  (CIL  VI  2264.  IX  1542), 
cymbalistrta  (CIL  IX  1588  cymbalistria  loco 
secundo.  V  519),  tibicen  (CIL  XII  1745.  XIV 
429),  hymnologus  primus  {BuH.  d.  Inst.  1884, 
155). 

«)  In  Rom  männlich  CIL  VI  2258,  weib- 
lich 2259—2261  (VI  496  bleibt  wegen  Un- 
sicherheit der   Ergänzung    besser  fort);    in 


Italien  Beispiele  fOr  Priester  CIL  XIV  429 
(Ostia).  3534(Tibur).|3956(Nomentum).  IX  734 
(Larinum).  1540  (Beneventum).  5061  (Inter- 
amnia).  6099  (Bmndisium),  für  Priesterinnen 
XIV  871.  408  (Ostia).  X  6074  f.  (Formiae). 
IX  1100  (Aeclanura).  1540  (Beneventum). 

^)  Sacerdos  XVviralis  männlich  CIL 
IX  981  (Compsa).  3764  (Suessula).  XII  1567 
(Dea  Vocontiomm).  XIII  1751  (Lugudunum); 
weiblich  IX  1538. 1541  (Beneventum).  X  129 
(Potentia).  4726  (Forum  Popilii).  V  4400 
(Brizia). 

»)  CIL  X  3698  enthält  das  Protokoll 
über  die  Wahl  eines  sacerdos  Matris  deae 
Baianne  in  Cumae  und  die  Bestätigung 
dieser  Wahl  durch  die  Quindecimvirn  vom 
17.  August  289  n.  Chr.  Auch  die  Dendro- 
phori  (s.  unten)  von  Cumae  stehen  unt«r  der 
Aufsicht  der  Quindecimvirn,  wie  CIL  X  3699 
zeigt,  ein  Verzeichnis  der  cumanischen  Den- 
drophori  vom  J.  251  n.  Chr.  mit  der  Ueber- 
schrift  ex  8.  c,  dendrophari  creati  qui  sunt 
süb  cura  XVvir{orum)  s.  [f.]. 

*)  Dass  die  Feier  der  Lavatio  älter  ist 
als  die  Übrigen  Festtage  hat  zuerst  Mokxsbn 
ausgesprochen,  CIL  P  p.  389  —  V  p.  314. 


266 


Beligion  und  Knltiis  der  BOmer.    IL  (lotterlehre. 


Kalender  des  Philocalus  als  Canna  intrat  bezeichnet,  bereits  am  15.  März 
als  eine  Art  Vorfeier  begangen  wird,  während  die  vier  andern  Ärbor  intrat 
(22.  März),  Sanguen  (24.  März),  Hüaria  (25.  März)  und  Requ(i)etio  (26.  März) 
jenem  Tage  der  Lavatio  unmittelbar  vorangehen  und  mit  ihm  zusammen 
einen  grossen  Festcyclus  bilden,  dessen  Höhepunkt  das  Freudenfest  Hilaria^) 
bezeichnet  zu  haben  scheint.  Der  Symbolik  dieses  Frühlingsfestes  lag 
offenbar  der  Gedanke  an  das  Sterben  und  Wiedererwachen  der  Vegetation 
zu  Grunde,^)  der  in  gleich  ausschweifenden  Äusserungen  des  masslosesten 
Schmerzes  wie  orgiastischer  Freude  zum  Ausdrucke  kam.  Die  Einzel- 
heiten des  Geremoniells  aber,  die  wir  nur  sehr  mangelhaft  kennen,  waren 
durch  den  Mythus  des  Attis  gegeben,  des  Lieblings  der  Göttermutter,  der 
sich  in  der  Raserei  entmannt  und  stirbt,  nachher  aber  zu  neuem  Leben 
erweckt  wird.^)  Das  Schilffest  des  15.  März  enthielt,  wie  es  scheint,  eine 
Erinnerung  an  die  Legende,  dass  Attis  als  Knabe  im  Röhricht  des  Gallos- 
flusses ausgesetzt  wurde  (Julian,  erat.  V  165  B);  es  wurde  an  diesem  Tage 
durch  den  Oberpriester  ein  sechsjähriger  Stier  geopfert  (Lyd.  de  mens. 
IV  36),  und  die  Cannophori,  d.  h.  Schilfträger,  hielten  ihren  Einzug  in  die 
Stadt.  Eine  ähnliche  Rolle  spielten  am  22.  März  die  Dendrophori,  welche 
die  Fichte,  den  heiligen  Baum,  unter  dem  Attis  sich  entmannt  hatte,  in 
feierlicher  Prozession  nach  dem  palatinischen  Tempel  brachten.^)  Den 
Äusserungen  des  Schmerzes  über  den  Tod  des  Gottes  war  dann  der  dies 
sanguinis  (Hist.  aug.  Claud.  4,  2)  am  24.  März  gewidmet,  an  dem  ursprüng- 
lich die  Galli  den  Akt  der  Selbstentmannung  vornahmen,  später  nur  der 
Archigallus  seinen  Arm  ritzte  und  symbolisch  sein  Blut  verspritzte.^)  Dann 
folgte  auf  diese  ganze  Zeit  der  Trauer,  die  durch  Enthaltsamkeit  und 
Fasten  gefeiert  wurde,  ^)  der  Umschlag  in  die  ausgelassenste  Freude  am 
Tage  der  Hilaria,^)  und  nach  einem  Ruhetage  beschloss  das  Bad  der  Göttin 
im  Almo,  das  jetzt  mit  viel  ausschweifenderem  Pompe  als  früher  begangen 
wurde  (die  Stellen  s.  oben  S.  264  Anm.  6),  für  dieses  Jahr  die  Festperiode. 
Eine  späte  Überlieferung  (Lyd.  de  mens.  IV  41),  welche  die  Neu- 
gestaltung des  Märzfestes  unter  Kaiser  Claudius  versetzt,  beruht  jeden- 
falls auf  einem  Missverständnisse,  ^)   denn  nachweisbar  ist  von  all  diesen 


^)  Diese  gehören  im  8.  Jahrhundert  zu 
den  höchsten  Festen  des  Jahres,  Hist.  aug. 
Alex.  Sev.  35,  6;  vgl.  Aurelian.  l,  1. 

*)  Porphyr,  bei  Euseb.  praep.  evang. 
111  11,  12  und  August,  c.  d.  VII  25,  vgl. 
Firm.  Mat.  err.  prof.  rel.  3.  Plut.  Is.  et  Osir. 
69:  4'QvyBs  dlJ  roy  &e6y  oiofisyoi  ;|feijU(üyo; 
xtt&evdeiy,  &^govg  dk  iyQfjyoQ^yat,  tot^  fjiky 
xitJBvyaafAovg^  toik  db  fcyBy^Qaeig  ßax^evoyjeg 
f(vi(o  reXovai.  Andere  Deutung  (nach  Jam- 
blichos)  bei  Macr.  S.  I  21,  7-10.  Julian, 
orat.  V  168  C. 

^)  Genaueres  darüber  bei  Cumont  in 
Pauly-Wissowas  Real-Encycl.  II  2247  ff. 

*)  Lyd.  de  mens.  IV  41.  Julian,  or.  V 
lt)8  C.  Carmen  contra  pagan.  (PLM III  286  ff.) 
V.  108.    Arnob.  V  16. 

*)  Tertull.  apol.  25;  vgl.  Minuc.  Fei. 
24,  4.  Prudent.  perist.  X  1061  f.  Ps.  Cypr. 
carm.  ad  senat.  19  ff.;  die  übrigen  bei  Mar- 


QTJABDT,  Staatsverw.  III  372,  2  zusammen- 
gestellten Zeugnisse,  zum  Teil  aus  älterer 
Zeit  stammend,  beziehen  sich  nicht  speciell 
auf  diesen  Tag,  sondern  auf  Selbstverwun- 
dungen, wie  sie  überhaupt  bei  den  Umzügen 
der  Galli  üblich  waren. 

«)  Hippel,  refut.  haer.  V  9  p.  170  Sehn. 
Julian,  or.  V  174  A.  Arnob.  V  16.  Tertull. 
de  ieiun.  16.  Hieron.  epist.  107,  10;  contra 
Jovin.  II  5  (=  MiGNB  XXII  876.  XXIU  291). 

')  Macr.  S.  l  21.  10.  Julian,  or.  V  168C; 
dass  das  Fest  auf  dem  Palatin  stattfand, 
zeigt  Hist.  aug.  Aurel.  1,  2.  Vgl.  auch  Mar- 
QUABDT  a.  a.  0.  372,  4. 

^)  Den  Anlass  dazu  gab  vielleicht  das, 
was  Hist.  aug.  Claud.  4,  2  vom  Kaiser  Clau- 
dius II.  Gothicus  berichtet  wird:  nam  cum 
esset  nuntiatum  Villi  Kai.  Äprüis  ipso 
in  sacrario  Matris  sanguinis  die  Claudiutn 
imperatoreni  factum. 


G.  Di  noTexusideB  grieohisoher  Herkunft.    58.  Magna  Mater.  267 

Festfeiern  (mit  Ausnahme  der  älteren  Lavatio)  keine  vor  dem  Ausgange 
des  2.  Jahrhunderts,^)  und  auch  die  CoUegia-der  Gannophori  und  Dendro- 
phori,  deren  Existenz  durch  das  Geremoniell  der  neuen  Feier  bedingt  ist, 
erscheinen  nicht  vor  der  Zeit  Marc  Aureis  :^)  früher  als  unter  den  Anto- 
ninen ist  daher  die  Umwälzung  kaum  erfolgt.  Sie  steht  aber  wahr- 
scheinlich weiterhin  im  Zusammenhange  mit  einem  neuen  Elemente,  das 
zu  dieser  nämlichen  Zeit  in  den  römischen  Gottesdienst  der  Magna  Mater 
eindringt,  nämlich  den  Taurobolien.  Der  unmittelbar  auf  den  Schlusstag 
des  beschriebenen  Festcyclus  folgende  Tag,  der  28.  März,  trägt  nämlich 
im  Kalender  des  Philocalus  die  Note  Initium  Caianii  dieses  Gaianum  aber, 
der  vom  Kaiser  Caligula  angelegte  und  von  Nero  erweiterte  Circuskomplex 
im  vatikanischen  Gebiete  am  rechten  Tiberufer,  war  zugleich  Sitz  eines 
Heiligtums  der  Göttermutter  (daher  Oaianum  et  Frigianum  Curios.  urb. 
reg.  XIV),  welches  den  Mittelpunkt  für  den  ganzen  Tauroboliendienst  ge- 
bildet zu  haben  scheint,^)  wie  nicht  nur  die  zahlreichen  beim  Bau  der 
Peterskirche  dort  aufgefundenen  Taurobolienaltäre  des  4.  Jahrhunderts 
(CIL  VI  497—504.  Kaibel,  Inscr.  graec.  SicU.  Ital.  1019.  1020)  zeigen,  son- 
dern mehr  noch  die  Thatsache  beweist,  dass  eine  der  ältesten  datierten 
Taurobolieninschriften,  aus  Lugudunum  vom  J.  160  stammend,  den  lugu- 
dunensischen  Taurobolienkult  ausdrücklich  von  dem  römischen  Vattcanum 
herleitet:^)  der  römische  Tauroboliendienst  muss  also  an  dieser  Stelle 
schon  zur  Zeit  des  Antoninus  Pius  bestanden  haben,  und  der  Umstand, 
dass  keine  der  hier  und  überhaupt  in  Rom  gefundenen  Inschriften  über 
die  Regierung  des  Diocletian  hinaufreicht,  kann  nur  auf  Zufall  beruhen. 
Die  Verbreitung  des  Taurobolienopfers  nach  Ort  und  Zeit,  wie  sie  aus 
den  erhaltenen  Zeugnissen  ersichtlich  ist,  zeigt  allerdings  eine  auffallende 
Erscheinung:  die  zahlreichen  Taurobolieninschriften  aus  Ostia,^)  Lugudu- 
num, ß)  der  Gallia  Narbonensis,^)  Lactora  in  Aquitanien,^)  ebenso  die  ver- 


0  Das   älteste   Zeugnis   für  einen   der  |   Romains  I  (1895)  245  ff. 


neuen  Festtage  ist  Tertull.  apoL  25;  denn 
der  Tag,  für  den  Matemus  im  J.  187  die 
Ermordung  des  Gommodus  geplant  hatte, 
scheint  nach  Herod.  1 10,  5  der  der  Lavatio 
gewesen  zu  sein,  nicht  der  der  Hilaria. 

')  Gannophori  sind  bisher  in  Rom  noch 
nicht  nachgewiesen,  aber  in  Ostia  (CIL  XIV 
34  ff.  40.  116  ff.  284  f.),  Saepinum  (CIL  IX 
2480),   Locri  (CIL  X  21.  8339)  und  Medio- 


»)  Vgl.  A.  Eltrr,  Rhein.  Mus.  XLVI 
1891    132. 

*)  CIL  XllI  1751 :  L.  Äemüius  Carpus 
HIHI  vir  Aug{u8talis)  item  dendropharus 
vires  excepit  et  a  Vaticano  transtiüü;  vgl. 
Orelli  4983:  deae  Virtuti  BelUmote  monte^n 
VcUicanum  vetustatecotUabsum  re8tituerun(t) 
hastiferi  dvitatia  Mattiacor(um). 

6)  CIL  XIV  39  ff.,  seit  Commodus. 


lanium  (CIL  V  5840).    Das  eollegium  den-  \  •)  CIL  XIII  1751-1756,  aus  den  Jahren 

drophorum  Matris  deum  m{agnae)  I(da€ae)   i    160—197,  dazu  auch  CIL  XII  1782  (Tegna) 


et  Ättis  ist  für  Rom  zuerst  bezeugt  durch 
die  aus  der  Antoninenzeit  stammende  In- 
schrift der  Basilica  Hilariana  (Visconti,  Bull, 
arch.  com.  XVIIT  1890,  18  ff.    Hülsbn,  Rom. 


vom  J.  184. 

^)  Seit  Commodus:  CIL  XII  1222  (Arau- 
sio);  unter  Severus  und  Caracalla  XII  251 
(Forum  Jiüii).  4323  (Narbo)  u.  a.,  am  späte- 


Mitteil.Vll891,  109f.  P.BiBHKOWsKi,Eranos  '  sten  XII  1567  aus  Dea  Vocontiorum   vom 

Vindobonensis  S.  2S5  ff.),  vgl.  auch  CIL  VI  30.  Sept.  245  und  XII  4324  (s.  add.  p.  845) 

*>41.    1925.   29691    (vom  J.   206:  eollegium  aus  Narbo  v.  J.  263. 

dendrophor(um)  Romanor{um),  quibus  ex  s.  ")  CIL  XIII  504  ff.    (darunter  auf  das 

c.  coire  licet).    Eine  Verfügung  des  Hono-  ;   erste  in    Lactora   abgehaltene  Taurobolium 

rius  vom  J.  415  (Cod.  Theod.   VI   10,  20)  bezüglich  nr.  504,  die  erste   datierte  Feier 

löste  die  Dendrophori  auf. ,  Vgl.  im   allge-  vom  18.  Oktober  176  nr.  505—507,  am  spÄ- 

meinen   J.   P.  Waltzing,   Etüde   historique  testen  nr.  511—519  vom  8.  December  241). 

sur  les  corporations  professionelles  chez  les  | 


268 


Religion  nnd  Knltas  der  BOmen    U.  QOtterlehre. 


einzelten  Zeugnisse  dieses  Ritus  aus  Italien,^)  Afrika^)  und  Spanien^) 
stammen  sämtlich,  soweit  sie  datierbar  sind,  aus  einem  Zeiträume  von 
etwas  mehr  als  einem  Jahrhundert,  beginnend  mit  dem  J.  160  und  hinab- 
reichend bis  auf  die  Regierung  des  Diocletian  und  Maximian:  aus  dieser 
ganzen  Zeit  aber  besitzen  wir  keine  einzige  stadtrömische  Inschrift  dieser 
Art,  die  lange  Reihe  dieser  Denkmäler  in  Rom  beginnt  erst  mit  dem  J.  295 
(CIL  VI  505)  und  erstreckt  sich  durch  das  ganze  4.  Jahrhundert  bis  zum  J.  390 
(CIL  VI  503.  512);  aus  derselben  Periode  stammen  auch  ausschliesslich 
die  ausführlicheren  litterarischen  Erwähnungen  des  Taurobolium,  während 
ausserhalb  Roms  in  dieser  Spätzeit  nur  noch  Athen  Taurobolieninschriften 
aufweist.^)  Die  bei  dieser  Sachlage  naheliegende  Annahme,  dass  der  ganze 
Ritus  zuerst  in  den  westlichen  Provinzen  Wurzel  gefasst  habe  und  von 
dort  verhältnismässig  spät  nach  der  Hauptstadt  gekommen  sei,  ist  ausge- 
schlossen durch  die  ausdrückliche  Herleitung  des  lugudunensischen  Dienstes 
vom  römischen  Vaticanum  sowie  durch  das  Zeugnis  der  Biographie  des 
Elagabal  (7,  1),  wonach  dieser  Kaiser  Matris  deum  sacra  accepit  et  tauro^ 
boliatus  est:  ein  plausibler  Erklärungsgrund  für  das  Fehlen  aller  stadt- 
römischen Inschriften  des  Tauroboliendienstes  bis  auf  die  Zeit  Diocletians 
und  für  das  Verschwinden  der  ausserrömischen  Monumente  um  dieselbe 
Zeit  ist  noch  nicht  gefunden.  Aber  auch  sonst  liegt  über  Herkunft  und 
Bedeutung  des  Taurobolium  ein  tiefes  Dunkel.  Obwohl  es  in  den  zahl- 
reichen erwähnten  Zeugnissen  ausschliesslich  mit  dem  Dienste  der  Grossen 
Mutter  verbunden  erscheint,^)  kann  es  doch  nicht  ursprünglich  zu  diesem 
gehören,  da  die  älteste  inschriftliche  Erwähnung,  eine  puteolanische  In- 
schrift vom  J.  134  (CIL  X  1596),  seiner  als  eines  Bestandteiles  des  Kultes 
der  Dea  Caelestis  von  Karthago  gedenkt:  es  war  also  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  ein  fremder  Brauch,  der  in  verschiedenen  Gottesdiensten 
vorübergehend  Aufnahme  fand  und  dann  im  Dienste  der  Magna  Mater 
feste  Wurzeln  fasste;  eine  ansprechende  Vermutung«)  sucht  seinen  ür^ 
Sprung  im  Dienste  der  persischen  Anahita  und  leitet  den  Namen  von  der 
Gleichsetzung  dieser  Göttin  mit  "AQvsfiig  TavqonoXoq  ab.  Die  Rätsel  des 
Herganges  beim  Taurobolium  aber  harren  noch  ihrer  Lösung,  die  sie  — 
wie  das  bei  Bräuchen  eines  Geheimdienstes  nicht  wunderbar  ist  —  viel- 
leicht nie  vollständig  finden  werden;  jedenfalls  hat  das  Geremoniell  auch 
im  Laufe  der  mehr  als  zwei  Jahrhunderte,  während  deren  das  Taurobolium 
üblich  war,  Abänderungen  erfahren.  In  der  älteren  Zeit  handelt  es  sich 
in  erster  Linie  um  eine  besondre  Art  von  Opfer,  das  aus  Stier  und  Widder 
besteht^)  und  vielfach  im  Dienste  des  Kaiserkultus  für  das  Wohl  des 
Herrschers  und  seines  Hauses  dargebracht  wird;^)  es  dauert  häufig  meh- 


>)  CIL  IX  1538  (Beneventum  vom  J.  228). 
.3014  (Teate,  um  237). 

>)  CIL  VIII 8203  (Mileu,  unter  Alexander 
Sevems).  Caonat,  Kannte  äpigr.  1892  nr. 
18(Probua)  und  1897  nr.  121  =  1898  nr.46 
(Diocletian  und  Maximian),  beide  aus  Mactar. 

3)  CIL  II   5521  (Corduba)  vom  J.  238. 

*)  CIA  III  172  (ausdrücklich  als  das 
erste  Taurobolium  in  Athen  bezeichnet,  etwa 
unter  Julian).   173  (vom  J.  387). 


^)  Die  Annahme,  dass  es  in  den  Mithras- 
dienst  eingedrungen  sei,  beruht  nur  auf  der 
gefälschten  Inschrift  CIL  VI  736;  vgL  Cu- 
MONT,  Mithras  inscr.  nr.  584. 

^)  F.  CuMONT,  Revue  arch^ol.  XII  1888, 
132  ff.,  vgl.  Revue  de  philol.  XVII 1893, 195  f. 

^)  Daher  taurobolium  et  criobolium; 
criobolium  allein  CIL  IX  1538.  XIV  41.  VIII 
8203,  criobolium  et  aemobolium  IX  3015. 

8)  0.  HlBSCHFELD,  CIL  XII  p.  926. 


C.  Di  noTenflideB  grieohisoher  Herkunft.    68.  Magna  Mater. 


269 


rere  Tage,  ist  aber  nicht  an  bestimmte  Daten  gebunden,  sondern  wird 
aus  ausserordentlichen  Anlässen,  auf  Grund  eines  Traumgesichtes  oder 
einer  vom  Archigallus  ausgehenden  Prophezeiung  begangen;^)  als  ausser- 
ordentlicher Akt  wird  es  auch  durch  die  zur  Erinnerung  daran  errichteten 
Tam*obolienaItäre  bezeichnet,  deren  Inschriften  häufig  genau  datiert  sind 
und  in  der  Regel  den  Namen  des  amtierenden  Oberpriesters  enthalten; 
eine  besondre,  nicht  völlig  aufgeklärte  Rolle  spielen  beim  Opfer  die  Hoden 
{v^ires)  des  Stieres')  und  bestimmte  Opferschüsseln  (cerna),  die  vielleicht 
zur  Aufnahme  der  ersteren  dienten.^)  Die  späteren  stadtrömischen  Denk- 
mäler aber  und  ebenso  die  Beschreibungen  des  Aktes  bei  den  Schrift- 
stellern^) fassen  denselben  vielmehr  als  eine  Reinigungs-  und  Weihecere- 
monie,  bei  welcher  der  Empfänger  des  Tauroboliums  in  einer  mit  einem 
durchlöcherten  Deckel  bedeckten  Grube  stehend  von  dem  Blute  des  über 
dieser  Grube  getöteten  Stieres  überströmt  wurde  und  dadurch  eine  ,  Wieder- 
geburt" erfuhr,  die  einmal  (CIL  VI  510  taurobolio  criobolioque  in  aetemum 
renatus)  als  eine  für  alle  Ewigkeit  gültige  bezeichnet  wird,  sonst  aber 
ihre  Wirkung  auf  20  Jahre  erstreckte  und  nach  Ablauf  dieser  Frist  er- 
neuert zu  werden  pflegte;^)  dieser  Akt  scheint  gleichzeitig  die  Weihe  zum 
Priester  der  Grossen  Mutter  bedeutet  zu  haben. ^)  Bei  diesen  stadtrömi- 
schen Taurobolien  spielen  die  Quindecimviri  sacris  faciundis  eine  hervor- 
ragende Rolle, 7)  es  waren  dies  also  Akte  des  Staatskultes;  aber  auch  auf 
die  Taurobolien  der  sonstigen  römischen  Bürgerstädte  muss  sich  die  Auf- 
sicht der  Quindecimvim  erstreckt  haben,  denn  in  Ostia  werden  bei  einem 
für  das  Wohl  des  Marc  Aurel  und  Commodus  abgehaltenen  Taurobolium 
u.  a.  die  XVviri  s.  f.  ausdrücklich  in  das  Gebet  mit  eingeschlossen  (CIL 
XIV  40),  und  in  Lugudunum  heisst  der  Priester,  unter  welchem  daselbst 
im  J.  160  das  erste  Taurobolium  gefeiert  wird,  a  XVviris  occabo  et  Corona 
exornatus  (CIL  XIII  1751). 

Nach  alledem  werden  wir  anzunehmen  haben,  dass  unter  der  Re- 
gierung des  Antoninus  Pius  der  Staatskult  der  Grossen  Mutter  eine  tief- 
greifende Umgestaltung  erfuhr  durch  die  Einführung  des  Märzfestes  und 
die  Reception  der  Tauroboliensitte,  für  welche  wahrscheinlich  gleichzeitig 
das  neue  Kultlokal  im  vatikanischen  Gebiete  geschaffen  wurde,  ausserdem 
aber  durch  die  Freigabe  des  Priestertums  der  Magna  Mater  an  römische 


«)  CIL  II  5521.  XII  4321.  4323.  4325; 
ex  vaticincUione  archigalli  CIL  VIII  8203. 
XII  1782.  XIII  1752;  vgl.  Frg.  iur.  Vatic. 
§  148:  is  qui  in  portu  pro  salute  impera- 
toris  Sacra  facti  ex  vaticmatione  archigaiU, 
a  tutelis  excusatur. 

«)  Vires  excepü  CIL  XUI  1751;  loco 
vires  conditae  XII  1567;  vires  tauri,  quo 
proprie  per  taurobolium  puh{lice)  factum 
fecerat,  consacravit  CIL  XIII  522.  525. 

*)  Taurobolium  criobol(ium)  caemo  per- 
ceptum  CIL  VI  508 ;  perfectis  rite  sacris  cer- 
norum  crioboli  et  tauroboli  Cagnat  aa.  00.; 
cemophori  CIL  II  179.  X  103. 

^)  AiisfQhrlich  Prudent.  peristeph.  X 
1011  ff. ;  vgl.  damit  Carm.  contra  pagan.  57  ff. 


Firm.  Mat.  err.  prof.  relig.  27,  8. 

*)  CIL  VI  504.  512.  Carm.  c.  pagan.  62. 

")  Vom  sacerdos  als  dem  Empfänger  der 
Bluttaufe  spricht  ausdrücklich  Prudent.  a.  a.  0. 
1011.  1033.  1048;  daher  steht  in  den  In- 
schriften CIL  VI  511.  1675  (vgl.  Ephera. 
epigr.  VIII  648).  1778  f.  tauroboliatus  (ent- 
weder allein  oder  mit  dem  Znsatze  Deum 
Matris)  mitten  unter  den  priesterlichen  Titeln. 

^)  Praesentib{us)  et  tradentib(us)  c{la- 
rissimis)  v{iris)  ex  ampliss{imo)  et  sanc' 
tiss{imo)  coU(egio)  XVvir(um)  s(acris)  flaci- 
undis)  CIL  VI  508;  ein  Quindecimvir  s.  f. 
taurobolium  movit  CIL  XIV  2790;  vgl.  Kai- 
BEL,  Inscr.  graec.  Sicil.  Ital.  1020. 


270  Beligion  und  Koltiis  der  BOmer«    IL  Qötterlehre. 

Bürger  und  durch  die  Unterstellung  des  gesamten  nicht  nur  stadtrömi- 
schen, sondern  auch  italischen  (und  gallischen)  Kultes  der  Göttin  samt 
den  Taurobolien  und  den  zugehörigen  GoUegia  der  Cannophori  und  Dendro- 
phori  unter  die  Obhut  der  Quindecimvirn,  die  früher  mit  diesem  Kulte 
nicht  mehr  zu  thun  hatten,  als  mit  allen  recipierten  Gottesdiensten  des 
graecus  rüus,  und  nur  bei  den  Megalesia  und  der  Lavatio  in  Mitwirkung 
traten.  Erst  seit  dieser  Reform  löst  sich  der  Dienst  der  Magna  Mater 
seinem  ganzen  Wesen  nach  von  den  griechischen  Kulten  los  und  stellt 
sich  vielmehr  in  die  Reihe  der  sacra  peregHna,  da  die  fremdländisch  orien- 
talischen Elemente  jetzt  die  Oberhand  bekommen  haben;  aber  auch  von 
dieser  Reform  an  erst  datiert  der  grosse  und  bestimmende  Einfluss,  den 
er  zusammen  mit  den  Kulten  von  Isis  und  Mithras  auf  das  religiöse  Leben 
des  ausgehenden  Heidentums  geübt  hat.  Die  ganz  überwiegende  Mehrzahl 
der  inschriftlichen  Zeugnisse^)  für  die  Verehrung  der  Grossen  Mutter  in 
Italien  und  den  Provinzen  stammt  erst  aus  dieser  nachantoninischen  Zeit,  und 
in  den  Jahrzehnten  des  Todeskampfes  der  heidnischen  Religion  hat  Magna 
Mater  eben  wegen  des  geheimnisvollen  Reizes  ihrer  Bluttaufe  und  der  sie 
umgebenden  Ceremonien  zusammen  mit  Mithras  die  grösste  Widerstandskraft 
bewiesen;  bei  der  Landbevölkerung  hat  dabei  noch  der  seit  der  Aufnahme 
der  Göttin  in  Rom  gepflegte')  und  nie  ganz  erloschene  Glaube  mitgewirkt, 
dass  die  Grosse  Mutter  den  Feldern  besonders  reichen  Segen  verleihe.^) 
Mit  dem  Kulte  der  Magna  Mater  ist  in  Rom  von  Anfang  an  der 
des  mit  ihr  untrennbar  zusammengehörenden  Attis  verbunden  gewesen; 
dieser  Gottesdienst  hat  keine  eigne  Geschichte,  sondern  die  Priester  und 
Feste  der  Grossen  Mutter  gelten  —  gleichviel  ob  das  eigens  zum  Aus- 
drucke gebracht  ist^)  oder  nicht  —  ihm  mit,  und  überall,  y^o  die  Grosse 
Mutter  verehrt  wird,  finden  wir  auch  Attis,  niemals  aber  unabhängig  und 
ausserhalb  des  Kultes  der  Magna  Mater. ^)  Nur  in  der  Zeit  der  wuchernden 
Theokrasie  tritt  er  etwas  mehr  hervor,  indem  man  ihn  mit  dem  gleich- 
falls phrygischen  Mondgotte  Men   identifiziert  und   durch  den  Beinamen 


')  Materialsammlung  von  Drbxleb  in 
Roschers  Mjthol.  Lexik.  II  2918  ff.  Als  be- 
merkenswert führe  ich  hier  an  ein  collegium 
cuUorum  Magnae  Matris  in  Rom  CIL  VI 
494,  religiosi  a  Matte  Magna  in  Rom  (CIL 
VI  2262,  vgl.  2263  religiosus  de  Capüolio) 
und  Larinum  (CIL  IX  734),  sodales  baüa- 
tores  Cyhelae  (CIL  VI  2265).  Hercolanum 
hatte  einen  alten  Tempel  der  Magna  Mater, 
den  Vespasian  wiederherstellte  (CIL  X  1406), 
in  Beneventum  wird  die  Göttin  unter  dem 
Namen  Minerva  Berecynthia  verehrt  (CIL 
IX  1538—1542),  den  Ed.  Meybr  in  Ersch  u. 
Grubers  Allg.  Encyclop.  Sect.  II  Bd.  XXXII 
S.  384  lieber  auf  belloua  (s.  §  56)  beziehen 
möchte. 

*)  Plin.  n.  h.  XVIII  16:  verum  quo  anno 
Mater  Deum  advecta  Romam  est,  maiorem 
ea  aestate  measetn  quam  antecedenttbus  annis 


oQcaiy  äyQfoy;  in  Augustodunum  wird  im 
4.  Jhdt.  simulacrum  Berecyntiae  .  .  in  car- 
pento  pro  aaliiatione  agrorum  ac  vinearum 
herumgefahren,  Greg.  Turon.  in  glor.  confess. 
76.  Wahrscheinlich  hängt  damit  zusammen 
auch  das  Beiwort  Cereria,  das  Magna  Mater 
in  einer  Inschrift  von  Aquileja  f&hrt  (CIL 
V  796),  und  die  Weihung  einer  sacerdos  XV - 
viralis  aus  Potentia  an  Ceres  (und  Vertum- 
nus  ?  s.  oben  S.  233  Anm.  4)  CIL  X  129. 

*)  ÄrchigaUus  Matris  deum  magnae 
Idaeae  et  Attis  (Genetiv,  falsch  verstanden 
von  Hbnzbk,  Annali  d.  Inst.  1856, 110)  populi 
Bomani  CIL  VI  2183;  hymnologo  prima 
M(atris)  D{eum)  I(daeae)  e[t]  Atti[f^is  publica 
Bull.  d.  Inst.  1884,  155;  collegium  dendro- 
pfiorum  Matris  deum  m(agnae)  I{daeae)  et 
Attis  Bull.  arch.  com.  XVIII  1890,  18  ff. 

^)  Die  inschriftlichen  Zeugnisse  am  voU- 


decem  factam  esse  tradunt.  |   ständigsten    gesammelt    von    Cumont    bei 

^)  Nach  Lyd.  de  mens.  IV  36  opfert  man   i  Rüooibbo  ,  Dizion.  epigr.  I  763  ff.  und   bei 
am  15.  März  (Canna  intrat)  iSnig  itoy  iy  toU   \  Pauly-Wissowa,  Real-Encycl.  II  2247  ff. 


D.  NengeBohafifene  Gottheiten.  64.  Pereonifikationen  abstrakter  Begriffe.     271 

Menotyrannos  =  Mrjv  rvQavvog  charakterisiert, i)  oder  auch  nach  beliebter 
DeutuDgs weise  als  einen  Sonnengott  auffasst  und  derogemäss  mit  der 
Strahlenkrone  abbildet.^) 

Litteratur:  H.  R.  Goehleb,  De  Matris  Magnae  apud  Romanos  cultu,  Dias.  ▼.  Leipzig, 
Misniae  1886  (ungeDügend).  Mabqüardt,  Rom.  Staatsverw.  III  367  ff.  394  f.  A.  Rapp  in 
Roschers  Mythol.  Lexik.  II  1666  ff.  W.  Drexleb,  ebd.  II  2910  ff.  lieber  das  Taurobolium 
Satous,  Revue  de  rhist.  des  relig.  XVI  1887,  137  ff.  EspisAKDiEü,  Inscriptions  antiques 
de  Lectonre  (Paris  1892)  p.  94  ff.  G.  Zippbl  in  der  Festschrift  zum  fünfzigjährigen  Doktor- 
jubilftum  Ludw.  Friedländers  (Leipz.  1895)  S.  498  ff.  Die  Bildwerke  aus  dem  Kulte  der 
Grossen  Mutter  und  des  Attis  bedOrfen  nach  ZofiOA  (Bassirilievi  antichi  I  45  ff.)  dringend 
einer  erneuten  Untersuchung. 


Vierter  Abschnitt. 

Neugeschaffene  Gottheiten. 

54.  Personifikationen  abstrakter  Begriffe.  Wenn  Cicero,  der  grie- 
chischen Theorie  folgend,  die  Gesamtheit  der  Götter  nach  den  drei  Kate- 
gorien der  alten  und  ursprünglichen  Götter,  der  zu  den  Göttern  erhobenen 
Heroen  und  endlich  der  Vergöttlichungen  von  Begriffen  ordnet  und  als 
Beispiele  der  dritten  Kategorie  Fides,  Mens,  Honos,  Virtus,  Ops,  Salus, 
Concordia,  Libertas,  Victoria,  Pietas,  Spes  anführt,  3)  so  umfasst  diese  Liste 
nach  Alter  und  Herkunft  ihres  Kultes  stark  verschiedene  Bestandteile: 
Ops,  von  Haus  aus  keineswegs  rein  abstrakt  (etwa  wie  Copia)  gedacht, 
sondern  eine  Verkörperung  des  in  den  Scheuem  geborgenen  Erntesegens, 
gehört  als  Kultgenossin  des  Consus  der  ältesten  Götterordnung  an  (oben 
S.  168),  dasselbe  gilt  wahrscheinlich  auch  von  Salus  (S.  122);  andre  dieser 
Gottheiten  haben  sich  im  Laufe  der  Zeit  als  Verselbständigungen  be- 
stimmter Eigenschaften  der  alten  Götter  oder  als  Sondervertretungen  ge- 
wisser Seiten  ihrer  Wirksamkeit  von  ihnen  abgespalten,  so  Fides  (S.  123), 
Libertas  (S.  126),  Victoria  (S.  127)  von  Juppiter,  Honos  und  Virtus  (S.  135) 
wahrscheinlich  aus  dem  Marskulte;  Mens  endlich  (S.  259)  verdankt  ihre 
Aufnahme  in  den  Staatskult  den  sibyllinischen  Orakeln,  entstammt  also 
griechischem  Anschauungskreise.  Alle  diese  Gottheiten  und  manche  andre 
verwandter  Art,  wie  Juventas  (S.  125),  Felicitas  (S.  214),  Bonus  Eventus 
(S.  215),  Valetudo  (S.  255  Anm.  2),  Pavor  und  PaUor  (S.  135),  haben  ihre 
Besprechung  bereits  an  früherer  Stelle  gefunden,  es  bleiben  hier  nur  die- 
jenigen göttlichen  Personifikationen  zu  behandeln,  die  ohne  nachweisbare 
Herleitung  aus  einem  bestehenden  Kulte  als  freigeschaffene  Vergöttlichungen 
abstrakter  Vorstellungen  in  die  römische  Religion  eintreten.  Wenn  Cicero 
zwischen  Personifikationen  menschlicher  Tugenden  (z.  B.  Pietas,  Pudicitia) 
und  solchen  erstrebenswerter  Zustände  und  Stimmungen  (z.  B.  Concordia, 
Spes)  unterscheidet,  so  trifft  diese  Scheidung  von  virtutes  und  utilUates 
keinen  Wesensunterschied  innerhalb  dieser  Götterklasse:  denn  man  erhebt 

^)  CIL  VI  499-501.  508.  511;  vgl.  auch  |  lieh  die  Statue  aus  dem  Metroon  von  Ostia 

W.  H.  RoscHBB,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch.  d.  Monum.  d.  Inst.  IX  8*,  2. 
Wiss.  1891,  134  f.     Dbbxlbb  in  Keschers  >)  Cic.  de  leg.  II  19.  28;   de  nat.  deor. 

Mythol.  Lexik.  II  2753  ff.  i  II  61 ;  vgl.  Plin.  n.  h.  II  14,  wo  Pudicitia  und 

*)  Macr.  8. 1  21,  9.  Amob.  V  42.   Carm.  ,  dementia  hinzukommen, 

c.  pagan.  109.  Mart.  Cap.  II  192  und  nament-  j 


272  Eeligion  nnd  Kultus  der  BOmer.    ü.  aotierlehre. 

die  Tugenden  nicht  zu  Götterrang,  um  seine  Achtung  vor  ihnen  zu  be- 
zeugen, sondern  weil  die  Tugend  ebenso  eine  Oabe  der  Gottheit  ist  wie 
jede  wünschenswerte  Schickung.  Wie  man  um  Eintracht  der  Bürger  oder 
um  Erfüllung  der  eigenen  Hoffnungen  betet,  so  erbittet  man  von  den 
Göttern  auch  frommen  Eindessinn  oder  züchtige  Schamhaftigkeit,  und  im 
einen  wie  im  andern  Falle  wird  die  Gabe,  um  die  man  bittet,  selbst  als 
Gottheit  angerufen,  da  man  sicher  gehen  will  und  doch  nicht  weiss,  wel- 
cher Gott  etwa  um  diese  Gnade  gebeten  sein  will:  so  erhalten  Goncordia 
und  Spes,  Pietas  und  Pudicitia  ihre  Altäre  und  Tempel.  Gelöbnis  und 
Stiftung  eines  solchen  Kultes  geht  daher  immer  auf  einen  bestimmten 
Anlass  zurück,  bei  welchem  die  betreffende,  seitdem  göttlich  verehrte 
Eigenschaft  sich  als  besonders  schätzbar  und  wünschenswert  erwiesen 
hatte.  Dies  zeigt  sich  am  deutlichsten  bei  den  Heiligtümern  der  Gon- 
cordia, deren  es  in  ßom  eine  ganze  Anzahl  gab.  Der  Haupttempel  der 
Göttin  oberhalb  des  Forums,  i)  vom  Diktator  M.  Furius  Camillus  387  =  367 
zur  Feier  der  wiederhergestellten  Eintracht  der  Stände  nach  dem  Kampfe 
um  die  licinischen  Rogationen  gegründet,^)  wurde  von  L.  Opimius  im  J.  633 
=  121  nach  Beendigung  der  gracchischen  Unruhen  erneuert^)  und  von 
Tiberius  (zugleich  im  Namen .  seines  verstorbenen  Bruders  Drusus)  am 
16.  Januar  des  J.  10  n.  Chr.  unter  dem  Namen  der  Goncordia  augusta 
von  neuem  geweiht,^)  auch  dies  wohl  nicht  ohne  bestimmte  Beziehung: 
denn  auch  Livia  hat  ein  Heiligtum  der  Göttin  innerhalb  der  von  ihr  er- 
bauten Porticus  Livia  auf  dem  Esquilin  gestiftet  (Ovid.  fast.  VI  637),  und 
wir  wissen,  wie  grossen  Wert  gerade  Tiberius  auch  später  noch  darauf 
legte,  das  gute  Einvernehmen  mit  seiner  Mutter  und  überhaupt  zwischen 
den  Angehörigen  des  kaiserlichen  Hauses  zu  betonen.^)  Ein  anderer  Con- 
cordientempel,  auf  der  Burg  gelegen  und  am  5.  Februar  538  =  216  ein- 
geweiht, war  zwei  Jahre  früher  vom  Praetor  L.  Manlius  in  Gallien  aus 
Anlass  einer  Militärrevolte  gelobt  worden;^)  eine  kleine  eherne  Kapelle 
der  Goncordia  hatte  in  unmittelbai*er  Nähe  des  Haupttempels  450  =  304 
der  Aedil  Cn.  Flavius  für  die  Beilegung  der  durch  die  Censur  des  Ap.  Clau- 
dius Caecus  hervorgerufenen  Zwistigkeiten  gestiftet,^)  eine  Statue  der 
Göttin  stellte  Q.  Marcius  Philippus  als  Censor  590  =  164  auf,^)  da  seine 
ganze  Amtsführung  das  Ziel  verfolgte,  die  durch  die  Strenge  der  letzt- 
vorhergehenden Gensoren  hervorgerufene  Erregung  zu  beschwichtigen.  Als 
sich  nach  den  Wirren  der  Bürgerkriege  die  Verhältnisse  zu  klären  be- 
gannen, erhielt  die  Aussöhnung  der  Gegensätze  durch  Weihungen  an  Gon- 
cordia ihren  religiösen  Ausdruck:^)  im  J.  710  =  44  beschloss  der  Senat, 


»)  JoRDAW,  Topogr.  I  2  S.  332  ff. 

«)  Ovid.  fast.  I  637  ff.  Flut.  Cam.  42. 

*)  Appian.b.  c.  I  26.  August,  c.  d.  III  25. 

*)  CIL  I«  p.  308.  Ovid.  fast.  I  637  ff.  Cass. 
Dio  LV  8,  2.  LVl  25,  1. 

^)  Darum  fassi  auch  A.  Mau  (Ovebbbok- 
Maü,  Pompeji.*  S.  131  ff.;  Rom.  Mitteü.  VII 
1 1 3  ff.  gegen  Nissen,  Pompejan.  Stud.  S.  287  ff.) 
das  Gebäude  der  Eumachia  in  Pompeji,  das 
laut  Inschrift  (CIL  X  810)  Concordiae  augustae 


Livia  und  Tiberius. 

•)  Liv.  XXII  33,  7  f.  XXIII  21,  7.  CIL 
I*  p.  309. 

'')  Liv.  IX  46, 6. 14.  Plin.  n.  h.  XXIII  19. 

«)  Cic.  de  domo  130  f.  136  f. 

^)  Vgl.  auch  den  durch  Beischrift  ge- 
sicherten Concordia-Kopf  auf  Münzen  der 
caesarischen  Zeit  (Babblon,  Monn.  consul.  I 
122  f.  455.  510.  II  242  f.  551,  s.  auch  Klubo- 
MANN,   Zschr.  f.  Numism.  VI    1878,   89  ff.). 


Pietati  geweiht  ist,  als  eine  Huldigung  fflr  |   Weihinschriften  an  Concordia  aus  republi- 


D.  Neugesohaffene  Gottheiten«  64.  Peraonifikationen  abstrakter  Begriffe.     273 

zu  Ehren  Caesars  einen  Tempel  der  Goncordia  nova  zu  bauen  und  ein 
Jahresfest  einzusetzen,  weil  jener  dem  Staate  die  Eintracht  wiedergegeben 
habe  (Cass.  Dio  XLIV  4,  5),  und  Augustus  stellte  im  J.  744  =  10  Altäre 
und  Statuen  von  Goncordia,  Salus  populi  Romani  und  Fax  in  einem  Heilig- 
tume  auf,  welches  am  30.  März  sein  Jahresfest  beging;^)  auch  nach  dem 
Selbstmorde  des  Scribonius  Libo  im  J.  16  n.  Ghr.  wurden  vom  Senate  Dank- 
geschenke an  Juppiter,  Mars  und  Goncordia  beschlossen  (Tac.  ann.  II  32), 
und  von  den  Inschriften  der  in  Ausführung  dieses  Beschlusses  der  Gon- 
cordia von  Beamten  dargebrachten  goldnen  und  silbernen  Weihgeschenke 
haben  sich  noch  mehrere  unter  den  Trümmern  des  Goncordientempels  am 
Forum  vorgefunden.*)  Unter  Nero  tritt  mit  deutlicher  Bezugnahme  auf 
die  Verhältnisse  innerhalb  der  kaiserlichen  Familie  bei  den  Opferhand- 
lungen, die  die  Arvalbrüder  aus  Anlass  der  Geburtstagsfeiern  des  Kaisers 
und  der  Kaiserin-Mutter  Agrippina  begehen,  Goncordia  in  die  Reihe  der 
angerufenen  Götter,  und  das  ¥riederholt  sich  noch  einmal  unter  Vitellius 
beim  Geburtstage  der  Kaiserin  Galeria.')  Die  Goncordia  augusta  oder 
Goncordia  Augustorum,  die  auch  in  den  Städten  des  Reiches  Tempel  und 
Altäre  besitzt,^)  spielt  dann  seit  Nero  eine  grosse  Rolle  auf  den  Münzen 
als  Zeugnis  für  Eintracht  zwischen  den  Mitgliedern  des  kaiserlichen  Hauses, 
namentlich  wenn  diese  nach  vorübergehenden  Trübungen  als  von  neuem 
gesichert  gilt;  aus  derselben  Anschauung  heraus  erklärt  es  sich,  wenn 
zur  Feier  von  Vermählungen  in  der  kaiserlichen  Familie  Münzen  mit  dem 
Bilde  der  Goncordia  geschlagen  werden  und  in  der  Darstellung  der  dex- 
trarum  iunctio  geradezu  Goncordia  an  die  Stelle  der  Juno  Pronuba  (oben 
S.  119)  tritt.  ^)  Ausserdem  verherrlichen  Münzen  auch  die  Concor dia  mili" 
tum,  exercituum,  provinciarum,  imperii  u.  s.  w.,  und  auch  von  einzelnen  Ge- 
meinden oder  GoUegien  finden  wir  die  eigne  Goncordia  verehrt.^) 

Nicht  ganz  so  durchsichtig  stellt  sich  der  Begriff  der  Göttin  Spes 
in  der  Geschichte  ihres  Kultes  dar,  doch  liegt  das  nur  an  der  Dürftigkeit 
der  Überlieferung,  nicht  daran,  dass  die  Wirksamkeit  dieser  Göttin  an 
sich  komplizierter  gedacht  gewesen  wäre  oder  grössere  Wandlungen  durch- 
gemacht hätte.  Mit  vollem  Namen  bona  spes  genannt,^)  ist  sie  das  numen, 
zu  dem  man  betet,  dass  das,  was  man  hofft,  in  Erfüllung  gehe.®)    Der 


kanischer  Zeit  CIL  X  5159  (Casinum).  6508 
(Cora). 

»)  Cass.  Dio  UV  35,  2.  Ovid.  fast.  III 
881  f.,  der  Janus  hinzufügt;  vielleicht  hängt 
die  ganze  Feier  mit  der  in  jenem  Jahre 
wenigstens  beabsichtigten  (s.  Mommsen,  Res 
gestae  Di  vi  Ang.'  p.  50)  Schliessung  des 
Jannstempels  zusammen. 

»)  CIL  VI  91-94;  vgl.  auch  90.  3675*. 

*)  Hbnzbn,  Acta  fratr.  Arval.  p.  57. 

*)  z.  B.  CIL  II  465.  3090.  3349.  4270. 
III  1412.  V  5058.  VIII  4197.  8300  f.;  Suppl. 
14686.  15447.  17829.  18891.  Erwähnenswert 
ist  besonders  der  Tempel  der  Concordia 
augusta  in  Patavium,  von  dem  sich  die  dor- 
tigen Augustalen  Concordiales  Auguatales 
nennen  (Mommsbn  CIL  V  p.  268);  vgl.  auch 
oben  S.  272  Anm.  5. 


^)  Reiches  Material  bei  R.  Petbb  in 
Roschers  Mythol.  Lexik.  I  917  ff. 

*)  z.  B.  Concordiae  coUegi  hrattiariorum 
inauratorum  CIL  VI  95;  Concordiae  Agri- 
gentinorum  CIL  X  7192;  Concordiae  populi 
et  ordinis  Thamugadi  CIL  VIII  2342  und 
mehr  bei  R.  Petes  a.  a.  0.  und  bei  D.  Vaoliebi 
in  RuGGiBBOS  Dizion.  epigr.  II  572  f. 

')  EcKHBL,  D.  N.  VII 154;  vgl.  Mens  und 
bona  mens  (oben  S.  259  f.),  Valetudo  und  hona 
valetudo  (CIL  VIII  9610). 

')  Darum  findet  sich  auch  Spes  in  Ver- 
bindung mit  Fortuna,  so  in  der  Formel  Spea 
et  Fortuna  valete  (Bübcheleb,  Anthol.  epigr. 
nr.  1498  m.  Comm.)  und  im  Kulte  einer  Tvxri 
eveXmg,  deren  im  Vicus  longus  gelegenen 
Altar  Plutarch  (de  fort  Rom.  10;  vgl.  Qu. 
Rom.  74)  erwähnt.    Vgl.  auch  Plaut.  Merc. 


Handbnch  der  klaai.  AltertnmswlaKnaofaafk.   Y,  4.  18 


274 


Religion  nnd  Enltna  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


Gegenstand  der  Hoffnung  ist  natürlich  nach  Beruf  und  Situation  des 
Betenden  ein  verschiedner,  und  wenn  man  aus  Tibull.  1 1,  9  nee  Spes  desti- 
tuat,  sed  frugum  aemper  acervos  praebeat  u.  s.  w;  entnommen  hat,  dass  Spes 
von  Haus  aus  eine  ländliche  Gottheit  gewesen  sei,  so  ist  das  ein  un- 
berechtigter Schluss;  denn  wie  der  Landmann  auf  eine  gute  Ernte,  so 
hofft  der  Kaufmann  auf  reichen  Gewinn  und  der  Soldat  in  misslicher 
Situation  auf  günstigen  Ausgang,  und  gerade  der  letztgenannten  Veran- 
lassung verdankt  der  Haupttempel  der  Göttin  in  Rom  seine  Entstehung. 
Von  A.  Atilius  Galatinus  in  den  Kämpfen  des  ersten  punischen  Krieges 
gelobt,  stand  er  am  Forum  holitorium  (Stiftungstag  1.  August)  und  wurde, 
nachdem  ihn  im  J.  723  =  31  eine  Feuersbrunst  zerstört  hatte  (Cass.  Dio 
L  10,  3),  im  J.  17  n.  Chr.  durch  Germanicus  von  neuem  geweiht.^)  Ein 
templum  Spei  novum  führt  das  Regionenbuch  in  der  7.  Region  auf,  wäh- 
rend die  Stadtgegend  bei  der  späteren  Porta  Labicana  von  einem  dort 
gelegenen,  vielleicht  nur  privaten  Heiligtume  den  Namen  ad  Spem  veterem 
trug.^)  Seit  Augustus  erhält  auch  sie  eine  besondre  Beziehung  auf  das 
Kaiserhaus:  zur  Erinnerung  an  den  Tag,  an  welchem  Augustus  die  Toga 
virilis  angelegt  hatte  (18.  Oktober),  ordnet  das  Festverzeichnis  von  Gumae 
eine  supplicatio  Spei  et  Iuve[ntuti]  an,  und  als  im  J.  63  Nero  und  Poppaea 
nach  der  in  Antium  erfolgten  Niederkunft  der  Kaiserin  wieder  in  Rom 
einziehen,  schieben  die  Arvalbrüder  in  die  Liste  der  Götter,  denen  sie  bei 
solchen  Loyalitätsakten  zu  opfern  pflegen,  Spes  ein:^)  das  ist  die  Spes 
augusta,  die  an  vielen  Orten  Verehrung  fand^)  und  häufig  auf  den  Kaiser- 
münzen begegnet.  Für  ihr  Bild,  das  ausser  durch  die  Münzen  auch  durch 
ein  inschriftlich  gesichertes  statuarisches  Exemplar^)  vertreten  ist,  hat 
man  einen  Typus  der  archaischen  griechischen  Kunst^)  entlehnt:  es  zeigt 
die  Göttin  in  üntergewand  und  Mantel,  mit  der  linken  Hand  zierlich  den 
Zipfel  des  letzteren  fassend,  in  der  Rechten  eine  Blüte  oder  Knospe  hal- 
tend, letztere  gewiss  symbolisch  zu  verstehen,  nicht  als  Attribut  einer 
Frühlings-  oder  Gartengöttin. 

Erheblich  später  hat  als  dritte  in  der  Reihe  dieser  völlig  frei- 
geschaffenen Abstraktionen  auch  Pietas  einen  Tempel  in  Rom  erhalten, 
und  zwar  auf  Grund  eines  Gelübdes,  das  der  Consiü  M'.  Acilius  Glabrio 
in  der  Schlacht  gegen  Antiochos  bei  den  Thermopylen  that  und  sein  Sohn 
gleichen  Namens  10  Jahre  später  einlöste,  indem  er  573  =  181  den  in- 
zwischen auf  dem  Forum  holitorium  erbauten  Tempel  der  Göttin  zur  Ein- 
weihung brachte.^)    Da  pietas  im  technischen  Sinne  ausschliesslich  die  im 


867:  Qui  me  revocat?  Spes  ScUus  Victoria; 
Bacch.  893:  Spe8  Opis  VirttM  Venus. 

^)  Gic.  de  leg.  II  28.  Tac.  ann.  11  49. 
CIL  l*  p.  823;  Prodigium  vom  J.  536  =  218 
Liv.  XXI  62,  4;  Brand  im  J.  542  =  212  Liv. 
XXV  7,  6. 

»)  Liv.  IT  51,  2.  Dion.  Hai.  IX  24,  4  (8 
Stadien  von  der  Stadt  entfernt);  vgl.  Frontin. 
de  aqu.  5.  19.  20.  21.  65.    CIL  XV  5929. 

*)  CIL  VI  2043  II  10;  mit  dem  gleichen 
Anlasse  hängt  vielleicht  das  CoUegium  der 
cultores  Spei  augustae  in  Antium  (CIL  X 
6645)  zusammen. 


*)  CIL  VI  758—760.  V  707.  834;  Prie- 
sterin der  Spea  et  Sodus  aug.  in  Gabii  CIL 
XIV  2804.  Kult  der  Spes  schlechthin  in  Ostia 
XIV  375,  Aricia  XIV  2158,  Capua  X  3775  u.  a. 

*)  CIL  VI  757  =  ScHRKiBBB,  Vüla  Ludo- 
visi  nr.  292 ;  simulacra  der  Spes  werden  er- 
wähnt auch  CIL  XIV  2853.  2867.  IX  4663. 
X  8295. 

")  Bebnoülli,  Aphrodite  (Leipz.  1873) 
S.  68  ff.  HoMOLLB,  Bull,  de  corr.  hellen.  XIV 
(1890)  572  ff. 

')  Liv.  XL  34,  4,  entstellt  bei  Val.  Max. 
II  5,  1. 


D.  Neugesohaffene  Gottheiten.  64.  Persoaiflkationen  abstrakter  Begriffe.     275 

gegenseitigen  Verhältnisse  von  Eltern  und  Kindern  sich  kundgebende 
fromme  und  pflichteifrige  Gesinnung  bezeichnet  (z.  B.  Plaut.  Asin.  506.  509), 
so  kann  man  als  Anlass  zu  jenem  Gelöbnisse  einen  ähnlichen  Vorfall  in 
der  Schlacht  vermuten,  wie  er  aus  dem  Treffen  am  Ticinus  vom  Gonsul 
P.  Cornelius  Scipio  und  seinem  Sohne,  dem  älteren  Africanus,  berichtet 
wird.^)  Die  Legende  freilich  wusste  eine  rührende  Geschichte  zu  erzählen 
von  einer  frommen  Tochter,  die  mit  der  Milch  der  eigenen  Brust  ihre  im 
Gefangnisse  verschmachtende  Mutter  erhalten  habe,^)  eine  farblose  Nach- 
bildung der  griechischen  Erzählung  von  Mykon  und  Pero,')  die  mit  dem 
Tempel  recht  ungeschickt  nur  durch  die  Angabe  in  Verbindung  gesetzt 
wird,  dass  das  Gefängnis,  in  dem  der  Vorfall  sich  zutrug,  an  der  Stelle 
des  späteren  Tempels  gelegen  habe.  Von  diesem  Tempel,  der  im  J.  710 
=  44  den  Vorbereitungen  für  den  Bau  des  späteren  Marcellustheaters  zum 
Opfer  fiel,^)  ist  ein  nicht  sehr  fern  davon  beim  Circus  Flaminius  gelegener 
zu  unterscheiden^  dessen  natalis  der  1.  Dezember  war.^)  Auf  das  Eult- 
bild  eines  dieser  beiden  Tempel  geht  wahrscheinlich  die  Darstellung  der 
Göttin  mit  dem  Storch  als  Begleiter  zurück,  die  uns  zuerst  auf  Münzen 
des  M.  Antonius  vom  J.  713  =  41  begegnet,^)  dann  in  mannigfachen  Varia- 
tionen auf  den  Eaisermünzen  auftritt,  wobei  sie  zunächst  noch  meist  dem 
Hinweise  auf  das  zärtliche  Verhältnis  des  Kaisers  zu  seinen  Eltern  oder 
Kindern  dient,  nachher  aber  allgemeiner  fast  gleichbedeutend  mit  Gon- 
cordia  nur  das  gute  Einvernehmen  zwischen  den  Angehörigen  des  Herr- 
scherhauses versinnbildlicht.  In  ersterer  Auffassung  sehen  wir  sie  z.  B. 
auf  Münzen  der  Livia  und  des  Tiberius  (Eckhel,  D.  N.  VI  150  f.  157),  und 
die  Verherrlichung  desselben  Verhältnisses  bezweckte  auch  der  Altar,  den 
im  J.  22  n.  Chr.  der  Senat  wegen  der  schweren  Erkrankung  der  Livia 
gelobte  (Tac.  ann.  HI  64)  und  Claudius  im  J.  43  Pietati  augustae  dedizierte;^) 
in  anderem,  aber  verwandtem  Sinne  ist  die  Göttin  zu  verstehen,  wenn 
sie  auf  einem  Lageraltar  als  Pietas  leg{ioni8)  XXII  pr{ifnigeniae)  erscheint, 
d.  h.  als  die  Vertreterin  derjenigen  Eigenschaften,  welche  der  Legion  die 
ehrenden  Beinamen  pia  fidelis  eintrugen.®) 

Damit  ist  die  Reihe  derjenigen  Gottheiten  dieses  Kreises,  die  bereits 
in  republikanischer  Zeit  öffentliche  Verehrung  genossen,  abgeschlossen; 
denn  für  Aequitas  wird   durch  die  archaische  Becherinschrift  Aecetiai 


>)  Polyb.  X  8.  Liv.  XXI  46,  7  u.  a. 

«)  Plin.  n.  h.  VII  121.  Val.  Max.  V  4,  7; 
etwas  abweichend  Fest.  p.  209,  bei  dem  es 
der  Vater  ist,  der  so  vom  Hungertode  er- 

•)  Val*  Max.  V  4  ext.  1.  Hygin.  fab.  254, 
vor  aUem  die  poxnpejanischen  Bilder  Helbig 
nr.  1876  und  Sogliano  nr.  599«  auch  Thon- 
reliefs,  Rom.  Mitth.  XllI  1898,  20;  vgl.  G. 
Enaaok,  Zschr.  f.  vergleich.  Litt.(}esch.  N.  F. 
XII  450  fi. 

*)  Plin.  n.  h.  VII  121.  Caas.  Dio  XLIII 
49,  3. 

')  CIL  P  p.  385;  erw&hnt  wegen  eines 
Prodigiums  vom  J.  663  =  91  bei  Obseqn.  54 
[114].  Gic.  de  div.  I  98. 


*)  Babblon,  Monn.  consol.  1 178  f.;  son- 
stige Darstellungen  der  Göttin  oder  ihres 
Kopfes  mit  Beischrift  ebd.  I  859.  II  850.  384. 
Ueber  die  Pietät  der  Störche  gegen  ihre 
Eltern  s.  Aristoph.  Vög.  1353  ff.  Aelian.  hist. 
an.  III  28.  Plat.  Ale.  I  185  E. 

7)  CIL  VI  562;  Pietas  imp.  Caesaris  (des 
Trajan)  ebd.  568;  sonstige  Weihungen  CIL 
II  832.  896.  1474.  1611.  1668.  8265.  VIII 
1478.  IX  2112.  XIV  5826,  besonders  merk- 
würdig ein  Altar  aus  Veji  mit  der  Inschrift 
JPietcUis  8<x€rum,  der  eine  Nachbildung  des 
römischen  Puteal  Libonis  darstellt  (CIL  XI 
8779  =  BEmTDOBF-ScHOBNB,  Lateran.  Museum 
nr.  440). 

")  V.  DoMASZEWSKi,  Wostd.  Zschr.  XIV  43. 

18* 


276 


Religion  nnd  Enltiui  der  Römer.    II.  Götterlehre. 


pocoloni  (CIL  I  43),  auch  wenn  man  die  Identität  von  Aecetia  und  Aequitas 
als  sicher  annimmt,  die  Existenz  eines  Staatskultes  in  Rom  keineswegs 
erwiesen,  und  Copia  ist  zunächst  eine  rein  dichterische  Figur,  deren  Per- 
sonifikation aus  der  Wiedergabe  des  griechischen  xsQccg  Ufiald-eiccg  durch 
cornu  copiae,  nachher  cornu  Copiae,  herstanmit,^)  und  der  Name  der  im 
J.  591  =  193  nach  Thurii  entsendeten  Kolonie  Copia,  die  das  Füllhorn 
auf  ihren  Münzen  führt  (Head,  Hist.  num.  p.  73)  berechtigt  nicht,  auf  einen 
römischen  Staatskult  der  Copia  in  jener  Periode  zu  schliessen.  Ja  auch 
für  die  spätere  Zeit  steht  weder  für  Aequitas  noch  für  Copia  sicher,  dass 
sie  je  einen  Kult  besessen  haben;  denn  die  Copia  einer  Inschrift  von 
Avignon  (CIL  XII  1023)  kann  sehr  wohl  eine  epichorische  Gottheit  sein, 
und  Aequitas  begegnet  zwar,  durch  das  Attribut  der  Wage  gekennzeichnet, 
sehr  häufig  auf  den  Kaisermünzen  seit  Galba,^)  doch  fehlen  für  den  Kult 
zwingende  Zeugnisse.')  Gleichbedeutend  mit  Copia  tritt  auf  den  Münzen 
seit  Elagabal  Abundantia^)  und  später  auch  übertas  (saeculi)  auf,  wäh- 
rend neben  Aequitas  und  sogar  früher  als  sie  (seit  Tiberius)  Justitia 
augusta  erscheint,  welcher  nach  dem  Zeugnisse  der  praenestinischen  Fasten 
am  8.  Januar  13  n.  Chr.  eine  Statue  in  Rom  geweiht  worden  war  und  deren 
göttliche  Verehrung  auch  durch  sonstige  Zeugnisse  gesichert  ist.^) 

Heiligtümer  privater  Weihung  kennen  wir  aus  republikanischer  Zeit 
von  Pudicitia  und  Quies.  Ein  fanum  der  letzteren,  eine  Strecke  weit  vor 
der  Stadt  an  der  Via  Labicana  gelegen,  wird  einmal  beiläufig  erwähnt,^) 
ohne  dass  wir  über  die  diesem  Kulte  zu  Grunde  liegende  Anschauung 
mehr  als  Vermutungen  zu  äussern  im  Stande  wären:  der  Gedanke,  dass 
hier  „eine  Göttin  des  Ausruhens  am  Wege  und  der  stillen  Sammlung  von 
der  Mühe  des  Lebens  und  dem  Geräusche  der  Stadt"  (Preller,  Rom.  Mythol. 
n  222)  verehrt  worden  sei,  enthält  in  dieser  allgemeinen  Fassung  sehr 
viel  Modernes;  einen  Fingerzeig  zum  Verständnisse  eines  solchen  Gottes- 
dienstes, der  natürlich  in  Ereignissen  im  Leben  des  Stifters  jener  Kapelle 
seine  Begründung  gehabt  haben  muss,  geben  eher  die  Münzen  mit  der 
Aufschrift  Quies  Äugustorum,  die  Diocletian  und  Maximian  nach  ihrer  Ab- 
dankung schlagen  Hessen  (Eckhel,  D.  N.  VIII  14).  Pudicitia  besass  als 
Pudicitia  plebeia  eine  Kapelle  im  Vicus  longus,  deren  Ursprung  eine  von 
Liv.  X  23,  3  ff.  wiedergegebene  Tradition  auf  den  Gegensatz  zu  einer  an- 


0  Plaut.  Pseud.  671. 736.  Horat.  c.  s.  60; 
epist.  I  12,  28  und  mehr  bei  R.  Peteb  in 
Röschen  Mythol.  Lexik.  1  927  f.,  ttber  xegag 
'JfAuXddas  auch  Wbrnickb  bei  Pauly-Wis- 
80WA,  Real-Encycl.  I  1721  f. 

')  AüST  bei  Fault- WiBsowA,  Real-En- 
cycl. I  604  f. 

')  Als  ein  solches  kann  weder  die  Wei- 
hung eines  Signum  Aequitatis  im  Tempel  der 
praenestinischen  Fortuna  (CIL  X IV  2860)  noch 
die  Bemerkung  des  Amob.  IV  1  gelten,  der 
Victoria,  Fax,  Aequitas  als  Götter  auffährt; 
ganz  unmöglich  ist  es  jedenfalls  bei  dem 
von  Cass.  Dio  LXXl  34,  3  erwähnten  raog 
EveQyBalas  (s.  unten  S.  279  Anm.  1)  an  Aequi- 
tas zu  denken. 

*)  AüST  a.  a.  0.  125  f. 


B)  lusHtiae  augustae  CIL  IX  5890  (An- 
cona);  sacerdos  lustiticie  CIL  VI  2250;  sta- 
tua  luatüiae  aug,  CIL  IX  4133  (AequicuU) ; 
der  lustitiae  Nemesi  Fatis  geweihte  Altar 
vonCapua  (CIL  X  3812  =  Büechblbb,  Anthol. 
epigr.  nr.  867)  entstammt,  wie  die  griechische 
Ausfertigung  der  gleichen  Aufschrift  (Eaibbl, 
Epigr.  gr.  nr.  837)  zeigt,  griechischer  Reli- 
gionsanschauung (s.  auch  oben  S.  213  Anm.  4). 

•)  Liv.  rV  41,  8 :  iam  consul  via  Labi- 
cana ad  fanum  Quietis  erat;  die  Notiz  de» 
August,  c.  d.  IV  16  Quietem,  cum  aedem 
Juiberet  extra  portam  Collinamf  puhiice  illam 
susdpere  noluerunt  geht  wohl  nur  auf  eine 
missverständliche  Auffassung  der  Liviusstelle 
zurück. 


D.  NeagesohaflSene  Gottheiten.  64.  Pereoniflkationeii  abstrakter  Begriffe.     277 


geblich  einstmals  am  Forum  boarium  verehrten  Pudicitia  patricia  zurück- 
führte; doch  hat  ein  Heiligtum  dieser  Göttin  an  jener  Stelle  nie  bestanden, 
sondern  es  wurde  nur  von  einigen  Gelehrten  das  im  Tempel  der  Fortuna 
stehende  geheimnisvoll  verhüllte  Bild  (S.  207)  vermutungsweise  auf  Pudi^ 
citia  gedeutet.^)  Pudicitia  ist  insbesondere  die  Beschützerin  der  ehelichen 
Keuschheit  der  Frauen  und  wird  daher  nur  von  den  matronae  univiriae 
verehrt.^)  In  der  Kaiserzeit  wird  auch  sie  mit  dem  Herrscherhause  in 
enge  Verbindung  gebracht,  und  nachdem  Plotina  durch  Errichtung  eines 
Altars  der  Pudicitia  augusta  geehrt  worden  war,')  erscheint  das  Bild  der 
Göttin  häufig  auf  den  Münzen  der  Kaiserinnen. 

Bei  allen  bisher  behandelten  Gestalten  dieses  Götterkreises  war, 
ebenso  wie  früher  bei  Salus,  Felicitas,  Victoria,  Virtus  u.  a.,  hervorzu- 
heben, dass  seit  der  Zeit  des  Caesar  und  Augustus  ihr  Dienst  einen  ganz 
neuen  Inhalt  dadurch  erhält,  dass  er  in  nächste  Berührung  mit  dem  Kaiser- 
kulte kommt  und  die  einzelnen  Gottheiten  neben  oder  an  Stelle  ihrer  all- 
gemeinen Bedeutung  eine  besondere  Beziehung  auf  die  Vorgänge  im  Kaiser- 
hause und  die  Eigenschaften  der  Regenten  erhalten.  In  der  gleichen 
Richtung  entwickelt  sich  auch  eine  reiche  Fülle  von  Neuschöpfungen,  in 
welchen  teils  die  durch  das  Kaiserreich  herbeigeführten  Segnungen,  teils 
die  individuellen  Tugenden  der  Herrscher  zum  sakralen  Ausdrucke  kommen 
sollen.  Unter  den  Gottesdiensten  der  ersten  Art  ist  der  bedeutungsvollste 
der  der  Pax,  der  Dank  für  den  Frieden,  den  die  Beendigung  der  Bürger- 
kriege für  das  Reich  bedeutete.  Schon  im  Todesjahre  Caesars  erscheint 
verfrüht  der  Kopf  der  PÄXS  auf  den  Denaren  des  Münzmeisters  L.  Aemi- 
lius  Buca  (Babelon,  Monn.  consul.  H  23),  aber  erst  Augustus  bringt  der 
Welt  wirklich  den  Frieden  und  von  ihm  an  datiert  daher  der  Kult  seiner 
Göttin.*)  Als  Augustus  im  J.  741  =  13  von  dem  Zuge  nach  Spanien  und 
Gallien  zurückkehrte^  beschloss  der  Senat  die  Errichtung  der  Ära  Pacis 
augustae  im  Marsfelde,  und  am  30.  Januar  des  J.  745  =  9  wurde  dieser 
Prachtbau  eingeweiht,^)  nachdem  in  der  Zwischenzeit  auch  Augustus  selbst 
Altäre  der  Pax  augusta,  Salus  publica  und  Concordia  dediziert  hatte  (s.  oben 
S.  273);  seitdem  ist  auch  das  Bild  der  Pax  augusta,  die  als  kennzeich- 
nendes Attribut  den  Caduceus  führt,  auf  den  Münzen  häufig.  Die  Arval- 
brüder  begehen  nicht  nur  noch  unter  Caligula  den  Stiftungstag  der  Ära 
Pacis  durch  ein  Opfer  (CIL  VI  2028  b  8—10),  sondern  opfern  auch  im  J.  66, 
als  Nero  den  Janus  geschlossen  und  den  Lorbeerkranz  im  Capitol  nieder- 


*)  WissowA,  Analecta  Romana  topogra- 
phica  (Balis  Sax.  1897)  p.  5  ff.  Die  vetus 
ara  Pudicitiae,  d.  h.  die  im  Vicus  longus,  er- 
wähnt auch  Juven.  6,  308,  vgl.  Prep.  II  2, 25. 

')  Ueber  die  univiriae  s.  Mabquabdt- 
Mau,  Privatleben  der  Römer«  8.  42,  6.  Wis- 
90WA  a.  a.  0.  p.  8  n.  5  und  oben  S.  208.  Auf 
einer  Grabschrift  CIL  X  6351  (c.  add.)  steht 
Pudicitiae  Caecüiae  gleichbedeutend  mit  Ju- 
noni  Caecüiae, 

*)  Ära  Pudic{itiae)  auf  Mttnzen  der  Plo- 
tina, EcKHBL,  D.  N.  VI465;  vgl.  auch  die 
InschriftClL  VIII 993,  wo  eine  flaminica  Divae 
Plotinae  eine  statua  Pudicitiae  aug{ustae) 


weiht.  Schon  Val.  Max.  VI  1  praef.  unterlässt 
es  nicht,  Pudicitia  mit  der  Kaiserin-Mutter 
Livia  in  Verbindung  zu  bringen. 

*)  Darum  die  häufigen  Erwähnungen  der 
Friedensgöttin  in  der  augusteischen  Poesie, 
z.  B.  TibuU.  I  10,  45.   Hör.  c.  s.  57. 

»)  MoMHSBN,  CIL  P  p.  320.  F.  v.  Duhh, 
Annali  d.  Inst.  1881,  302  ff.  E.  Petersen, 
Rom.  Mitteil.  IX  1894.  171  ff.  X  1895, 138  ff. 
Nachbildungen  dieses  Altars  in  Praeneste 
(CIL  XIV  2898)  und  Narbo  (CIL  XII  4335), 
vgl.  Dbssau,  CIL  XIV  p.  494.  Eckhel,  D.  N. 
VI  268  f. 


278 


Religion  und  EaltaB  der  Römer.    II.  Odtterlehre. 


gelegt  hat,  der  Pax  eine  Euh;^)  das  Friedenaregiment  der  flavischen  Kaiser 
ist  in  dem  grossartigen  Templum  Pacis  mit  dem  zugehörigen  Forum  monu- 
mental verewigt  worden.')  Die  durch  den  Frieden  und  das  ungetrübte 
Glück  ruhiger  Zeitläufte  hervorgerufene  Stimmung  findet  weiter  auch  als 
Securitas  (augusta,  publica,  temporum  u.  a.)  ihre  Verkörperung,  nicht  nur 
auf  den  Münzen, s)  sondern  auch  im  Gottesdienste:  denn  die  Arvalbrüder 
bringen  am  10.  Januar  69,  als  durch  die  Adoption  des  Piso  Licinianus  der 
Fortbestand  der  Regierung  Galbas  gesichert  erscheint,  der  Securitas  ein 
Opfer  (CIL  VI  2051 1  30),  und  in  Praeneste  weihen  Decurionen  und  Volk 
der  Securitas  aug(usta)  einen  Altar  (CIL  XIV  2899) ;  auch  in  Cirta  stiftet 
zur  Zeit  Caracallas  Caecilius  Natalis  eine  statiia  aerea  SecurücUis  (CIL  Vm 
7095).  Wenn  bei  öffentlichem  Gottesdienste  das  Earchengebet  pro  aäemitate 
imperii  lautet*)  und  Nero  eigene  Spiele  pro  aäernüate  imperii  einsetzte 
(Suet.  Nero  11),  so  wird  in  diesem  Sinne  Aeternitas  imperii  selbst  zur 
Göttin,  der  die  Arvalbrüder  nach  der  Entdeckung  der  pisonischen  Ver- 
schwörung im  J.  66  opfern  (CIL  VI  2044 1 6)  und  deren  Name  mit  dem 
Bilde  eines  Tempels  schon  auf  Münzen  aus  der  Zeit  des  Augustus  und 
Tiberius  erscheint.^) 

In  der  Reihe  göttlicher  Personifikationen,  die  der  Verherrlichung 
kaiserlicher  Tugenden  dienen,  steht  obenan  dementia,  die  Verkörperung 
der  kaiserlichen  Gnade.  Unter  den  Huldigungen,  die  Caesar  im  J.  710  =  44 
dargebracht  wurden,  war  eine  der  bedeutsamsten  die  Stiftung  eines  Heilig- 
tumes  der  dementia  Caesaris,  in  welcher  die  Göttin  und  Caesar  Hand  in 
Hand  dargestellt  waren,  ^)  und  ähnliche  Stiftungen  wiederholen  sich  in 
der  nächsten  Zeit  mehrfach  bei  Anlässen,  die  Gelegenheit  boten,  die  Gnade 
und  Milde  des  Kaisers  zu  preisen.  7)  Seit  Hadrian  wird  im  gleichen  Sinne 
auch  Indulgentia  verehrt,  der  wahrscheinlich  auch  ein  von  Marc  Aurel 


>)  CIL  VI  2044  1 12,  vgl.  Hbnzbn,  Acta 
fratr.  Arval.  p.  78.  82. 

*)  Die  Zeugnisse  bei  Gilbsbt,  Topogr. 
m  135,  3,  vgl.  EcKHBL,  D.  N.  VI  334;  darauf 
beziehen  sich  auch  die  Inschriften  CIL  VI 
199.  200,  von  der  tribiM  Sucuaana  iimiorum 
der  Pcuc  augusta  und  der  Pax  aetema  domus 
imp.  Caesaris  Äug,  liberorumque  eius  ge- 
setzt, und  CIL  II  3732,  wo  Titus  conservator 
Pacis  aug{ustae)  heisst;  vgl.  sonst  CIL  II 
1061.  3349.  III  3670.  VIII  6957.  8441. 

')  Stevenson,   Diction.   of  Rom.    coins 

S.  726  f. ;  vgl.  WiBSELBB,  Abhandl.  d.  Götting. 
esellsch.  d.  Wissensch.  XXX  37  ff.  Die  ein- 
zige litterarische  Erwfthnung  findet  sich  bei 
Tac.  Agr.  3:  nee  spem  modo  ac  votum  Se- 
curitas publica,  sed  ipsius  voH  fiduciam  ac 
robur  assumpserit.  Personifikationen  ver- 
wandter Bedeutung,  die  nur  auf  Münzen  vor- 
kommen, sind  Hilaritas  (Stevenson  a.  a.  0. 
E,  462),  Laetitia  (Dbexleb  in  Roschers  Mythol. 
exik.  II  1788),  auch  Tranquillitas  (Eckhsl, 
D.  N.  VII  328  f.  497). 

*)  Act.  Arval.  CIL  VI  2064, 45.  2065  ii  9. 
2067,  40;  vgl.  Plin.  epist.  ad  Trai.  59.  83. 
*)  AüST  bei  Paüly- Wi8S0WA,Real-£ncycl. 


I  694  f.  Ueber  aetemus  und  aeternitas  {aeter- 
nitas vestra  ist  im  4.  Jhdt.  gelftufige  Anrede 
der  Kaiser)  als  Benennung  der  Kaiser  und 
die  Beziehung  dieser  Beiworte  auf  den  Ge- 
stimdienst,  die  sich  auch  in  den  der  Aeter- 
nitas auf  den  Münzbildem  gegebenen  Attri- 
buten von  Sonne  und  Mond  (vgl.  CIL  II  259 
Soli  aeterno  Lunae  pro  aetemitate  imperii) 
ausspricht,  s.  die  schönen  Darlegungen  von 
F.  CuMONT,  Revue  de  Thist.  et  de  littär. 
relig.  I  1896, 435  ff.;  vgl.  auch  C.  L.  Visconti, 
BuU.  arch.  com.  III  1875,  221  flf. 

«)  Appian.  b.  c.  II  106.  Plut  Caes.  57. 
Gass.  Dio  XLIV  6, 4.  Münzen  des  P.  Sepnlliua 
Macer  bei  Babelon  a.  a.  0.  II  29. 

^)  Ära  Clementiae  unter  Tiberius  im  J.  28 
(Tac.  ann.  IV  74;  vgl.  damit  die  Mtlnzen  mit 
Clementiae  s.  c.  und  Moderationi  s.  c,  Eckhbl, 
D.  N.  VI  187),  jährliches  Opfer  unter  Cali- 
gula,  Cass.  Dio  LIX  16, 10;  Opfer  der  Arvalen 
im  J.  66  aus  Anlass  der  gn&digen  Aufnahme 
des  Tiridates  durch  Nero,  CIL  VI  2044  1 18. 
Ueber  die  Münzen  R.  Petes  in  Roschers 
Mythol.  Lexik.  1  910  f.  F.  Quillino,  Zschr.  f. 
Numism.  XX  1897,  210  ff. 


D.  Nengeschaffene  Gottheiten.  64.  Personifikationen  abstrakter  Begrüfe.     279 

auf  dem  Capitol  gestifteter  Tempel  galt,  dessen  Inhaberin  der  griechische 
Gewährsmann  als  EisQyeaia  bezeichnet.^)  Die  vom  Kaiser  bewiesene  Um- 
sicht und  Fürsorge  für  Thron  und  Beich  verkörpert  sich  in  der  Provi- 
dentia augusta,  der  schon  unter  Augustus  ein  Altar  errichtet  worden 
zu  sein  scheint;^)  ihr  wird  namentlich  dann  geopfert,  wenn  eine  dem 
Kaiser  und  seinem  Hause  drohende  Gefahr  glücklich  abgewendet  worden 
ist,  z.  B.  nach  dem  Sturze  des  Sejan  (Dessau  157.  158),  nach  der  Ermor- 
dung der  Agiippina,  nach  der  Entdeckung  der  pisonischen  Verschwörung, 
auch  als  Galba  durch  die  Adoption  des  Piso  Licinianus  seine  Herrschaft 
und  die  Thronfolge  von  neuem  befestigt  hat.^)  Später  verschiebt  sich 
die  Auffassung  der  Göttin  insofern,  als  man  nicht  mehr  sowohl  an  die 
vom  Kaiser  bethätigte  Voraussicht,  als  an  die  über  dem  Kaiser  waltende 
göttliche  Vorsehung  denkt,  also  an  die  Stelle  der  Providentia  augusta 
eine  Providentia  deorum  setzt,  welcher  die  Arvalbrüder  im  J.  183  pro 
Salute  imperatoris  (des  Commodus)  ein  Gelübde  thun  (CDj  VI  2099  in  18) 
und  die  seit  Hadrian  vereinzelt  auch  auf  Münzen  vorkommt.^)  Die  Ent- 
bindung der  Kaiserin  wird  durch  Opfer  an  Fecunditas  gefeiert,  welcher 
Göttin  der  Senat  im  J.  63  n.  Chr.  aus  Anlass  der  Niederkunft  der  Poppaea 
einen  Tempel  dekretiert,^)  die  Heeresreform  des  Hadrian  führt  zur  Grün- 
dung eines  Kultes  der  Disciplina,  die  uns  in  Militärinschriften  entgegen- 
tritt.^) Manchmal  sind  es  ganz  persönliche  Erlebnisse  und  Charakterzüge 
der  Begierenden,  die  auf  ihren  Münzen  neue  Personifikationen  ins  Leben 
rufen,  so  z.  B.  wenn  auf  den  Münzen  des  (Claudius  und  seiner  Mutter  An- 
tonia  Constantia  begegnet  in  Erinnerung  an  die  von  Claudius  stand- 
haft ertragenen  Anfechtungen  seines  Lebens  vor  der  Thronbesteigung, 
oder  auf  denen  des  Hadrian  Patientia  zur  Kennzeichnung  der  geistigen 
und  körperlichen  Abhärtung  und  Ausdauer,  deren  sich  der  Kaiser  rühmte.  7) 
Aber  diese  Beispiele  führen  bereits  über  die  Grenzen  dieser  Betrachtung 
hinaus,  da  es  sich  hier  nicht  mehr  um  eine  Vergöttlichung  von  Begriffen, 
sondern  nur  um  den  metaphorischen  Ausdruck  geschichtlicher  Thatsachen 
handelt,  der  mit  der  Beligion  ebensowenig  zu  thun  hat  wie  die  Personifi- 


>)  Cass.  Dio  LXXI  34,  3:  nXeuJtoy  iy 
€veQy$aiif  difjyey,  o&sy  nov  xal  raoy  avrrjg 
iy  rtä  KtcTUTtaXit^  IdQvatcro,  oyofjiaxi  rtyi  iSito- 
xdxi^  xal  fjLTJnov  dxova&iyti  nQoaxaXiaas 
itvTijy;  dass  hier  evsQyeaia  die  Wiedergabe 
von  indülgentia  ist,  wird  wahrscheinlich  ge- 
macht durch  Inschriften  wie  CIL  VIII  8813  f. 
ex  indiUgentia  (gleichbedeutend  mit  hene- 
ficio)  imp.  Caesaris  Traiani  Hadria/ni  aug. 
fines  adsignati  genti  Nutnidarum  und  durch 
Mflnzaufschriften  wie  Indülgentia  Äugg,  in 
Carthaginem,  in  Itcdiam  (Eckhel,  D.  N.  VII 
183.  190.  204);  eine  ttedicula  tetrastyla  cum 
statua  aerea  IndülgenticK  domini  nostri  in 
Cirta  CIL  VIII  7095. 

')  Die  ara  Providentiae  augiLStae  er- 
wähnen die  Arvalakten  unter  Galigula  und 
Claudius,  CIL  VI  2028  d  15.  2033,  5;  vgl.  die 


»)  Act.  Arv.  CIL  VI  2042  a  14.  2044  i  4. 
2051 1 29.  Providentiae  imp,  Caesaris  (Tra- 
jan)  CIL  X  6310,  Numini  et  Providentiae 
impp.  Severi  et  Antonini  CIL  III 1439,  Pro- 
videntiae auguetae  CIL  V  1871.  VIII  841. 

*)  EoKHBL,  D.  N.  VI  507;  vgl.  Plin. 
paneg.  10. 

*)  Tac.  ann.  XV  23;  vgl.  Hbnzen,  Acta  fr. 
Arv.  p.  85  und  über  die  Münzbilder  R.  Peter 
in  Roschers  Mythol.  Lexik.  I  1471  f. 

•)  CIL VII 896.  VIII 9832. 10657.  Cagnat, 
L'annöe  epigr.  1897  nr.  60;  vgl.  Eokhel,  D. 
N.  VI  503.  V.  Domaszewski,  Westd.  Zschr. 
XIV  44. 

')  Eokhel,  D.  N.  VI  236.  506.  Eine  In- 
schrift von  Lambaesis  aus  der  Zeit  des  An- 
toninus  Pius  (CIL  VIII  2728)  zeigt  über  den 
drei  erhaltenen  Schriftcolumnen   drei  weib- 


Münzen  des  Augustus  mit  einem  Altar  und  '   liehe  Büsten  mit  den  Unterschriften  Patien- 
der  Beischrift  Provident(iae)  8.  c,  Eokhel,      tia,  Virtus,  Spes. 
D.  N  .VI  12.  128. 


280  Religion  und  KnltoB  der  Römer.    II.  Götterlehre. 

kation  als  technisches  Mittel  der  Dichtersprache.  Ein  weiteres  Eingehen 
auf  die  Personifikationen  der  Kaisermünzen  (z.  B.  Clarüas,  Nobilitas,  Utüitas 
publica  u.  s.  w.)  ist  um  so  mehr  ausgeschlossen,  als  das  Vorkommen  des 
Namens  als  Münzlegende  mit  oder  ohne  Beifügung  einer  mit  entsprechenden 
Attributen  ausgestatteten  Figur  noch  keineswegs  beweist,  dass  der  be- 
treffende Begriff  persönlich  und  als  Objekt  göttlicher  Verehrung  gedacht 
ist.  Die  Qrenze  zwischen  Gottheiten  dieser  Art  wie  Concordia,  Fax,  de- 
mentia und  reinen  Appellativen  wie  Adlocutio,  Gloria,  Adventus  u.  s.  w.  ist 
fliessend  und  unsicher:  wenn  z.  B.  zur  Verherrlichung  der  kaiserlichen 
Freigebigkeit,  wie  sie  sich  einerseits  in  Geld-  und  Getreidespenden,  andrer- 
seits in  der  Darbietung  von  Spielen  kundgibt,  Liberalitas  und  Munificenlia 
auf  den  Münzen  genannt  werden,  so  könnte  man  diese  Namen  an  sich 
ebensogut  als  wirkliche  Vergöttlichungen  auffassen  wie  dementia  oder  InduU 
gentia,  zumal  für  Liberalitas  wenigstens  auch  eine  feste  Darstellungsform 
mit  den  ständigen  Attributen  der  Tessera  und  des  Füllhorns  geschaffen 
ist;^)  aber  der  Umstand,  dass  dem  Worte  liberalitas  mit  Beziehung  auf 
die  Wiederholung  der  Spenden  Iterationsziffern  beigegeben  werden,  be- 
weist, dass  es  ebenso  Appellativum  ist  wie  das  gleichbedeutende  congiarium, 
das  ebenfalls  mit  Iterationsziffem  verbunden  wird.  Wenn  es  bei  Tacitus 
heisst:  cum  Vaierius  Messalinus  Signum  aureum  in  aede  Martis  ültariSj  Cae- 
cina  Severus  aram  VUioni  statuendam  censuissent  (ann.  III  18),  oder:  aram 
dementiae,  aram  Amicitiae  effigiesque  circum  Caesaris  ac  Seiani  censuere 
(ann.  IV  74),  so  wird  man  ültio  und  Amicitia  wegen  der  Verbindung  mit 
Mars  ültor  und  dementia  für  die  Gottheiten  zu  halten  geneigt  sein,  denen 
die  Altäre  geweiht  waren,  was  im  ersteren  Falle  auch  durch  den  Dativ  ge- 
fordert wird;  wenn  aber  derselbe  Schriftsteller  erzählt  (ann.  I  14):  aramque 
adoptionis  et  älia  huiuscemodi  prohibuit,  so  scheint  der  Gedanke  an  eine 
Göttin  Adoptio  ausgeschlossen.  Zum  vollen  Verständnisse  dieses  ganzen 
Vorstellungskreises  ist  dringend  erforderlich  eine  genaue  Untersuchung 
der  auf  Münzen  und  teilweise  auch  in  Statuen  und  Reliefs  erhaltenen 
Darstellungen  von  Gottheiten  dieser  Kategorie  mit  spezieller  Berücksichti- 
gung ihrer  Attribute;  denn  die  Römer  haben  es  verstanden,  durch  immer 
neue  Kombinationen  einer  verhältnismässig  kleinen  Anzahl  von  Attributen 
einen  im  wesentlichen  sich  gleichbleibenden  Typus  einer  weiblichen  Ge- 
wandstatue (s.  oben  S.  255)  für  alle  diese  Abstraktionen  (Ausnahmen  bilden 
Spes  und  Virtus)  zu  verwenden  und  zu  grosser  Mannigfaltigkeit  abzu- 
wandeln, indem  sie  eine  klar  verständliche  Bildersprache  schufen,  die  erst 
von  der  Zeit  des  Hadrian  und  der  Antonine  an  mehr  und  mehr  in  Ver- 
wilderung gerät. 

Litteratur:  R.  Ekoelhabd,  De  personificationibus,  quae  in  poesi  atque  arte  Roma- 
norum  inveniuntur,  Dias.  GotÜDgae  1881  (ungenügend;  s.  auch  oben  S.  48  ff.).  Pbbllbr- 
JoRDAN,  Rom.  Mythologie  II  228  ff.  und  die  auf  die  einzelnen  Gottheiten  dieses  Kreises  be- 
züglichen Artikel  von  R.  Pbteb  (in  Roschbbs  Mythol.  Lexikon)  und  E.  Aüst  (in  Pauly- 
WissowAS  Real-Encjclopädie). 

55.  Dea  Borna  und  die  Divi  imperatores.  Die  römischen  Gelehrten 
haben  mit  Aufwand  grossen  Scharfsinns  die  Frage  diskutiert,  welche  Gk)tt- 


^)  Stbtbksov,  Dict.  of  Rom.  coins  p.  515  ff.,  vgl.  564. 


D.  Neugeschaffene  Gottheiten.  66.  Dea  Borna  und  die  Divi  imperatores.     281 


heit  wohl  als  der  eigentliche  deus,  in  cuius  tutela  urbs  Roma  est,  anzusehen 
sei,  durch  dessen  Evocation  seitens  der  Feinde  die  Stadt  ihres  göttlichen 
Schutzes  beraubt  worden  wäre  und  dessen  Name  daher  naturgemäss 
strengstens  geheim  gehalten  werden  musste:  die  Frage  war  thatsächlich 
nicht  schwer  zu  beantworten,  der  auf  Juppiter  0.  M.  und  die  Di  penates 
gestellte  Beamteneid  der  republikanischen  Zeit  (oben  S.  146)  gibt  mit  er- 
wünschter Bestimmtheit  Auskunft,  und  diesen  Bescheid  eigneten  sich  offen- 
bar mit  Recht  diejenigen  Gelehrten  an,  die  Juppiter  als  den  Schutzgott 
B>oms  bezeichneten.  Andre  aber,  denen  diese  Auskunft  zu  simpel  erschien, 
benützten  das  Geheimnis,  in  das  die  Verehrung  der  Penaten  und  ihrer 
Symbole  im  Penus  Yestae  gehüllt  war  (oben  S.  143.  147),  zu  weiteren  Kom- 
binationen und  rieten  auf  alle  möglichen  Gottheiten,  deren  Kult  irgend 
etwas  Geheimnisvolles  an  sich  hatte,  so  auf  Ops,  weil  ihre  Kultstätte  in 
einem  sacrarium  der  Regia  nur  dem  Pontifex  maximus  und  den  Yestalinnen 
zugänglich  war  (oben  S.  168),  auf  Angerona,  weil  der  Gestus  ihres  Bildes 
unverbrüchliches  Schweigen  zu  heischen  schien  (oben  S.  198),  ja  aus  nicht 
mehr  zu  ermittelnden  Gründen  auch  auf  Luna.^)  Diese  Spitzfindigkeiten 
der  Studierstube  haben  mit  der  Religion  des  Staates  und  Volkes  nichts 
zu  thun,  in  welcher  mit  voller  Klarheit  die  Anschauung  hervortritt,  dass 
die  beiden  Kontrahenten  des  Rechtsverhältnisses,  auf  dem  die  ganze  Staats- 
religion beruht,  einerseits  die  römische  Gemeinde,  andrerseits  die  Gesamt- 
heit der  römischen  Staatsgötter  sind,  letztere  im  abgekürzten  Ausdrucke 
vertreten  durch  den  vornehmsten  aus  ihrer  Mitte,  Juppiter  0.  M.  Bei 
dieser  scharfen  Gegenüberstellung  der  Gemeinde  und  ihrer  Götter  ist  es 
selbstverständlich,  dass  die  erstere  nicht  selbst  als  göttliche  Personifikation 
in  den  Kreis  ihrer  Götter  eintreten  kann,  dass  also  der  Gedanke  an  eine 
Dea  Roma  der  römischen  Religion  durchaus  fremd  ist.  In  der  That  ist 
diese  Dea  Roma  auch  den  Römern,  um  einen  glücklichen  Ausdruck  Prellers 
zu  gebrauchen,  nur  von  den  Griechen  „aufgeredet*'  worden,  indem  einer- 
seits die  griechischen  Historiker,  die  sich  die  Grünctungsgeschichte  Roms 
auf  ihre  Art  zurechtlegten,  eine  eponyme  Heroine  erfanden  und  auf  diese 
oder  jene  Weise  in  die  Genealogie  und  die  Geschichtserzählung  verflochten,') 
andererseits  die  gi-iechischen  und  kleinasiatischen  Städte,  wenn  sie  mit 
der  mehr  und  mehr  nach  Osten  übergreifenden  römischen  Macht  in  Be- 
rührung kamen,   ihrem  Eintritte  in   ein  Treuverhältnis  zu  Rom')  durch 


*)  Macr.  S.  III 9, 4:  Nam  propterea  ipH 
Boniani  et  deum,  in  cuius  tutela  urhs  Borna 
est,  et  ipsius  urbis  laiinum  nomen  ignotum 
esse  voluerunt.  sed  dei  quidem  namen  non- 
nullis  antiquarum  licet  inter  se  dissidentium 
libris  insitum  et  ideo  vetusta  persequentibus 
quicquid  de  hoc  putaiur  innotuit,  alii  enim 
lovetn  crediderunt,  alii  LwMim,  sunt  qui 
Angeronam,  quae  digito  ad  os  admoto  süen- 
dum  denuntiat,  alii  autem^  quorum  fides 
mihi  mdeiur  firmior,  Opern  Consiviam  esse 
dixerunt;  vgl.  Plin.  n.  h.  XXVIII  18.  Plut. 
Qn.  Rom.  61.   Serv.  Aen.  II  351. 

»)  Dion.  Hai.  I  72  f.  Plut.  Rom.  1  f.  Fest, 
p.  266—268  B.  Bomam,  Solin.  1, 1—3.  Serv. 


Aen.  I  273;  vgl.  im  aUgemeinen  Niese,  Histor. 
Zschr.  N.  F.  XXIII  481  ff.  Hymnen  auf  diese 
Heroine  Roma  von  Ps.  Melinno  (Stob.  flor. 
VII  13;  vgl.  dazu  Biet,  De  Romae  urbis 
nomine  p.  XII)  und  von  Marianus  (Philarg.  zu 
Verg.  Ed.  1, 20);  wenn  letzterer  Roma  Äescih 
lapi  filia  nennt,  so  kann  damit  der  gemein- 
same Kult  von  Roma  und  Salus  in  Pergamon 
(CIL  in  399)  verglichen  werden. 

•)  Die  Redewendung  rrjy  ruiy  'Pafiaitoy 
niauv  ayaxaXeic&ai  (Diod.  XXVII  5,vgl.  Liv. 
XXIX  18, 19  und  Moxmsen,  Staatsr.  III  651, 2) 
wird  gut  illustriert  durch  die  aus  dem  J.  550 
=  204  stammenden  Münzen  der  italischen 
Lokrer,  auf  denen  PSIMA  von  JIIITII  be- 


282 


Religion  und  Enltas  der  Römer.    IL  Götterlehre. 


einen  Kult  der  Tt;x^  ^PtofiaCaov  oder  Dea  Roma  Ausdruck  gaben :  die  Smyr- 
naeer  rühmten  sieh,  als  erste  bereits  im  J.  559  =  195  ein  templum  ürbis 
Bomae  in  ihrer  Stadt  gegründet  zu  haben  (Tae.  ann.  11  56),  und  andre 
Städte  sind  ihrem  Beispiele  gefolgt,^)  u.  a.  Alabanda  in  Earien,  wo  im 
J.  584  =  170  ein  solcher  Tempel  erstand  und  jährliche  Spiele  zu  Ehren 
der  Dea  Roma  eingeführt  wurden  (Liv.  XLIII  6,  5).  Das  Verhältnis  dieser 
auswärtigen  Romakulte  zur  römischen  Staatsreligion  kommt  am  deutlichsten 
dadurch  zum  Ausdrucke,  dass  auswärtige  Gemeinden  dem  Juppiter  0.  M. 
auf  dem  Capitol  ein  Bild  der  Roma  weihen^)  und  dass  dementsprechend 
auch  die  Juppiterstatue  des  von  Q.  Lutatius  Catulus  restaurierten  Capitols 
eine  kleine  Roma  auf  der  Hand  trägt  ;B)  denselben  Sinn  hat  es,  wenn  auf 
römischen  Münzbildem  etwa  der  sullanischen  Zeit  Roma  durch  den  Qenius 
populi  Romani  bekränzt  wird  (Babelon,  Monn.  consul.  I  401  f.).  Roma 
ist  für  die  Römer  kein  Gegenstand  der  göttlichen  Verehrung,  sondern  ein 
Bestandteil  des  bildlichen  Ausdruckes,  mit  dem  Dichtung  und  bildende 
Kunst  schalten;  auf  den  römischen  Münzen  begegnet  sie  uns  etwa  seit 
dem  letzten  Drittel  des  2.  Jahrhunderts  v.  Chr.,  häufig  namentlich  mit 
Victoria  in  leicht  verständliche  Zusammenstellung  gebracht,^)  und  die 
höfische  Kunst  der  früheren  Kaiserzeit  macht  in  Poesie  und  Plastik  von 
ihrem  Bilde  reichlichen  Gebrauch,  wenn  auch  ein  ganz  fester  Typus  für 
dasselbe  noch  nicht  zur  Herrschaft  gelangt  ist,  da  man  sie  sich  bald  nach 
dem  Vorbilde  kleinasiatischer  Städtegöttinnen  nach  Amazonenart  mit  kurzem 
Gewände  und  entblösster  einer  Brust,  das  Haupt  mit  dem  Helme  oder  der 
Mauerkrone  bedeckt,  vorstellt,  bald  in  der  Auffassung  der  Pallas  Ilohdg 
in  langem  Gewände  mit  Schild,  Speer  und  Helm.^)  Die  letztgenannte 
Darstellungsform  hat  dann  kanonische  Geltung  erhalten  durch  das  Kult- 
bild des  von  Hadrian  gestifteten  Doppeltempels  von  Venus  und  Roma,  in 
welchem  beide  Göttinnen  sitzend  dargestellt  waren  (Gass.  Dio  LXIX  4,5), 
Roma  aber,  wie  es  scheint,  sonst  nach  dem  Vorbilde  der  Parthenos  des 
Phidias:  wenigstens  trug  sie  nach  Ausweis  der  Münzbilder,  wie  jene,  die 
Victoria  auf  der  Hand^)  und  unter  ihren  Schild  schmiegte  sich,  wie  bei 


kränzt  wird;  vgl.  Eckhbl,  D.  N.  I  176  und 
die  spätere  lo&sche  Inschrift  CIL  X  16: 
lovi  optimo  maximo  düs  deabusque  immor- 
talibus  et  B,omae  aetemae  Locrenses. 

')  In  Rhodos  finden  gegen  Ende  des 
2.  Jhdts.  V.  Chr.  VtofAata  als  trieterische  Spiele 
statt  (Inscr.  gr.  ins.  mar.  Aeg.  I  730,  vgl 
46,  2),  in  Astjpalaia  wird  im  J.  649  =  105 
ein  ßfouog  xrjg  Ptofjitjs  erwähnt  (ebd.  III  178, 
50);  Priester  der  Roma  in  Ephesos  und  Sardes, 
Fbankel,  Inschr.  von  Pergamon  nr.  268  E 
35.  36. 

')  Zweisprachige  Inschrift  des  xoiydv  rtSy 
Avx[(oy  CIL  I  589  =  VI  372  =  Inscr.  gr. 
Sicil.  Ital.  nr.  986,  welche  weihen  Boma{m) 
lovei  Capüolino  et  poplo  Romano. 

»)  Cass.  Dio  XL  2, 3  (vgl.  Suet.  Aug.  94). 

*)  Vgl.  die  vortreffliche  Abhandlnng  von 
A.  Elübohann,  L'effigie  di  Roma  nei  tipi 
monetarii  piü  antichi,  Roma  1879,  dem  ich 


namentlich  auch  darin  vollkommen  beistimme, 
dass  die  behelmten  FrauenkOpfe  auf  dem 
Avers  sowohl  des  Triens  nnd  der  Uncia  wie 
der  Denare  (Göttin  mit  dem  FlQgelhelm) 
als  Darstellungen  der  Roma  nicht  gelten 
können. 

^)  Für  die  dringend  nötige  Untersuchung 
der  Roma-Bilder  bietet  nach  der  älteren  Litte- 
ratur  (Zo£ga,  Bassirilievi  antichi  I  141  f. 
A.  Sbnoklbb,  Jahrb.  d.  Ver.  d.  Altertumsfr.  im 
Rheinl.  XIV  1849,  74  ff.  F.  Ebnksb,  Sitz.- 
Ber.  Akad.  Wien  XXIV  1857, 258  ff.)  die  beste 
Vorarbeit  K.  Puroold,  Archaeol.  Bemerk,  zu 
Claudian  und  Sidonius  (Gotha  1878)  S.  20  ff. ; 
vgl.  Miscellanea  Capitolina  (Rom  1879)  8.22  ff. 
und  G.  KöBTE,  Archaeol.  Zeit.  XLIII  1885, 
23  ff. 

*)  üeber  die  analoge  Anordnung  des 
Venusbildes  s.  Wissowa,  De  Veneria  simn- 
lacris  Romanis  p.  52  f. 


D.  Neugeschaffene  Gottheiten.  66.  Dea  Roma  und  die  Divi  imperatores.      283 


jener,  die  heilige  Schlange.^)  Erst  durch  die  Gründung  dieses  templum  Urbis^) 
trat  Roma  in  den  Kreis  der  Staatsgötter  ein :  der  Stiftungstag  wurde  auf 
den  vermeintlichen  Gründungstag  der  Stadt,  d.  h.  auf  das  alte  Palilienfest 
am  21.  April,  gelegt  und  in  besonders  festlicher  Weise  von  Einheimischen 
und  Fremden  alljährlich  begangen,  unter  anderm  auch  durch  Circusspiele;') 
wahrscheinlich  wurde  gleichzeitig  ein  eigenes  Priestertum,  das  der  XII- 
viri  ürbis  Romae,  für  den  Dienst  der  neuen  Gottheit  eingesetzt.^)  Die 
Verehrung  gilt  nicht  sowohl  einer  allgemeinen  Schutzgottheit  des  römischen 
Staates  und  Reiches,  als  vielmehr  einer  göttlichen  Verkörperung  der 
Reichshauptstadt,  die  mit  ihrer  grossen  Vergangenheit  und  der  ganzen 
Pracht  ihrer  Bauten  und  Kunstwerke  um  so  mehr  als  etwas  Hohes  und 
Heiliges  sich  darstellte,  je  mehr  sich  der  Gegensatz  zwischen  Rom  (bezw. 
Italien)  und  den  Provinzen  geltend  machte  und  je  bedeutsamer  die  letzteren 
für  die  Geschicke  des  Reiches  wurden.  Die  Roma  aetema^)  war  gewisser- 
massen  in  demselben  Sinne  zum  penetrale  des  Weltreiches  geworden,  wie 
früher  die  aetemi  Vestae  fod  (Val.  Max.  IV  4,  11)  das  der  Hauptstadt  ge- 
wesen waren,  und  wir  haben  es  als  einen  in  religiöse  Form  gekleideten 
Ausdruck  der  Sehnsucht  oder  des  Heimwehs  nach  Rom  zu  fassen,  wenn 
römische  Officiere  in  fernen  Garnisonen  der  Roma  aetema  zusammen  mit 
Fortuna  Redux  und  Gottheiten  verwandter  Bedeutung  Altäre  stiften.^) 
Als  Rom  den  Rang  der  Welthauptstadt  an  Gonstantinopel  abtreten  musste, 
trat  auch  die  Tyche  der  neuen  Stadt  7)  an  die  Stelle  der  Dea  Roma. 

Eine  sehr  wichtige  Vermittlerrolle  hat  die  Verehrung  der  Roma  in 
den  Anfangen  des  municipalen  und  provinzialen  Kaiserkultes  gespielt. 
Hatte  man  schon  früher  im  Orient,  wenn  man  siegreichen  römischen  Feld- 
herrn göttliche  Ehren  erwies,  ihren  Kult  mit  dem  der  Dea  Roma  ver- 
bunden,^) so  wurde  das  zur  Regel  erhoben  durch  einen  Erlass  des  Augustus 


*)  Das  besagt  die  von  Pbellrb  (Rom. 
Myth.  II  357,  2)  bös  missverstandene  Stelle 
des  Serv.  Aen.  II  227:  colla  vero  cum  copt- 
tibus  erectis  post  clipeum,  id  est  inter  acu- 
tum et  simulaerum  decte,  latebant,  ut  est  in 
templo  ürbis  Eomae. 

')  SoHist.aug.Hadr.  19, 12.  Amm.Marc. 
XVI  10,  14;  ürbis  fanum  Aurel.  Vict.  Caes. 
40,  26 ;  rg  rrjg  noXsatg  Tü/p  yaav  xa&i^Qv- 
(jiivov  Athen.  VIII  861  F;  templum  Botruze  et 
Veneris  Moxiisbk,  Cbron.  min.  I  146.  Notit. 
urb.  reg.  IV,  vgl.  Prudent.  c.  Symm.  I  219  ff.; 
rov  Tfjg  'JtpQOolttjg  ri^c  rs  Ptofzrjg  raov  Gass. 
Dio  LXIX  4,  3  {iy  re  r^  UtpQodiait^  t^  te 
PmfzaUp  ebd.  LXXI  31,  1);  templum  Romae 
MoMXBBv  a.  a.  0. 1  148.  Curios.  urb.  reg.  IV; 
ob  mit  dem  templum  Veneris  Eist.  aug.  trig. 
tjr.  32,  5  dieser  Tempel  gemeint  ist,  scheint 
sehr  fraglich,  die  seit  Panvinius  übliche  Be- 
zeichnung templum  sacrae  urbis  fQr  das  6e- 
bftnde,  an  dessen  Wand  der  capitolinische 
Stadtplan  befestigt  war  (Gilbert,  Topogr.  III 
186  f.  Anm.  3)  ist  ohne  Berechtigung.  Im  all- 
gemeinen s.  Beokeb,  Topogr.  S.  444  ff.  und 
über  die  Darstellung  der  Tempelfront  auf 
einem  Relief  Matz-Duev,  Rom's  antike  Bild- 


werke IIT  nr.  3519.  £.  Petbbsbn,  Rom.  Mit- 
theil. X  244  ff. 

*)  Athen,  a.a  0.  Momksek,  CIL  P  p.  316; 
vgl.  auch  NissEK,  Templum  S.  200  ff.  J.  DCrb, 
Reisen  Hadrians  S.  26  f. 

*  ^)  MoHiiSBN  zu  CIL  VI  510;  in  dieser  In- 
schrift und  CIL  VIII  Suppl.  1 1338  findet  sich 
der  volle  Titel,  CIL  VI  1700  nur  duodecim- 
vir;  verschieden  davon  sind  die  .ausserrOmi- 
schen  sacerdotes  ürbis  Romae  aetemae  CIL 
III  3368.  5443.  V  4484.  6991.  XII  1120. 
Caghat,  L'annöe  epigr.  1894  nr.  47. 

*)  Vgl.  Friedläitder,  S.-G.  I*  f>4.  Gümost, 
Revue  d'hist.  et  de  litt^if  relig.  I  1896,  449  f. 

•)  Fortu/na^  reduci,  Lari  viali,  Romae 
aetemae  CIL  III 1422  (Sarmizegetusa) ;  Genio 
loci,  FortufiJ(ae)  reduci,  Romae  aetern{ae)  et 
Fato  bono  CIL  VII  370,  vgl.  392  (üxello- 
dunum). 

')  BüROKBABDT,  Zeitalter  Constantins^ 
S.  421  f. 

")  Vgl.  namentlich  den  Hymnus  auf  T. 
Quinctins  Flamininus  bei  Plut.  Flam.  16: 
fxiXnexs,  xovgai,  Zijya  (jiiyav  'Piufiay  xe  Tiror 
&*€i(jLa  'PtofAaifoy  re  nlativ  (vgl.  oben  S.  281 
Anm.  3). 


284 


Religion  und  Eultas  der  BOmer«    II.  Götterlehre. 


vom  Jahre  725  =  29,  der  auf  Gesuche  asiatischer  und  bithynischer  Ge- 
meinden hin  anordnete,  dass  für  die  römischen  Bürger  beider  Provinzen 
gemeinsame  Tempel  der  Dea  Borna  und  des  Divus  Julius  in  Ephesos  bezw. 
Nikaia,  für  die  Provinzialen  aber  Tempel  des  Augustus  und  der  Dea  Roma^) 
in  Pergamon  bezw.  Nikomedia  errichtet  werden  sollten.  Seitdem  be- 
gegnen uns  Tempel  und  Priester  Romae  et  Augusti^)  oder  ^eäg  '^Pbifirjg  xal 
Seßaarov  Kaiaaqog^)  ebenso  im  municipalen  wie  im  provinzialen^)  Gottes- 
dienste in  grosser  Menge,  bis  allmälig  aus  dieser  Vereinigung  die  Göttin 
Roma  mehr  und  mehr  verschwindet.  Im  Einzelkulte  der  Gemeinden,  für 
den  es  einer  kaiserlichen  Genehmigung  nicht  bedurfte,  wird  selbst  in  Italien 
schon  bei  Lebzeiten  des  Augustus  dieser  allein  ohne  Zugesellung  der  Dea 
Roma  verehrt,^)  und  auch  die  später  begründeten  Eaiserkulte  ganzer  Pro- 
vinzen, z.  B.  von  Lusitania,  Baetica,  Gallia  Narbonensis,  thun  der  Roma 
keine  Erwähnung  mehr.^) 

Im  Staatskulte  aber  hat  sich  die  göttliche  Verehrung  der  Macht- 
haber in  ganz  anderer  Form  eingeführt,  nämlich  durch  Aufnahme  der  ver- 
storbenen Kaiser  und  eines  Teiles  ihrer  Angehörigen  als  Divi  in  die 
Reihe  der  Staatsgötter,  und  zwar,  da  für  jede  Erweiterung  des  römischen 
Götterkreises  der  Senat  die  zuständige  Behörde  war  (oben  S.  40),  ver- 
mittels Senatusconsultes.  7)  Vorbildlich  dafür  ist  der  Akt  gewesen,  durch 
welchen  Caesar  als  Divus  Julius  unter  die  Götter  der  römischen  Gemeinde 
eingereiht  wurde:  dies  geschah  im  J.  712  =  42^)  durch  Beschluss  von 
Senat  und  Volk,^)  durch  welchen  zugleich  die  Stiftung  der  13  Jahre  später, 


^)  GasB.  Dio  LI  20,  der  allein  die  ganze 
Verordnung  bezeugt,  spricht  allerdings  bei 
den  Tempeln  von  Pergamon  und  Nikomedia 
nur  von  Augustus,  nicht  von  Roma;  dass  sie 
aber  beiden  Gottheiten  gemeinsam  galten, 
wird  von  Tac.  ann.  IV  37  und  Suet.  Aug.  52 
ausdrücklich  hervorgehoben  und  durch  CIL 
III  Suppl.  7086,  12.  Inschr.  von  Pergamon 
nr.  374  (s.  dazu  Fbänkel  S.  262  f.)  bestätigt. 

»)  z.  B.  CIL  XIV  73. 353  (Ostia).  X  6305 
(Tarracina).  6485  (ülubrae).  V  18  (Pola).  XII 
1731  (Tricastini). 

'')  z.  B.  Athen  (CIA  III  63,  vgl.  334  und 
Antike  Denkmäler  I  25.  26),  Mytilene  (Inscr. 
gr.  insul.  mar.  Aeg.  11  656),  Eyme  (GIG  3524), 
Alabanda  (Bull,  de  corr.  hellen.  X  809),  Cae- 
sarea Palaest.  (Joseph,  ant.  XV  339  =  bell. 
Jud.  1  414).  In  Neapel  wurde  im  J.  752  =  2 
(Cass.  Dio  LV  10,  ^,  vgl.  Strab.  V  246)  zu 
Ehren  des  Augustus  ein  pentaeterischer  Agon 
eingerichtet,  der  den  Namen  TraAixa  'PtofÄuia 
Seßaairi  (Eaibbl,  Inscr.  graec.  Sicil.  Ital. 
nr.  748,  vgl.  Dittbnbbboeb-Pubgold,  Inschr. 
v.  Olympia  nr.  56)  führte;  s.  über  ihn  Cass. 
Dio  LVI  29,  2.  LX  6,  2.  Suet.  Aug.  98;  Claud. 
11.  Vell.  Pat.  II  123, 1.  Kaibel  a.  a.  0.  nr.  754. 
755  und  Add.  Civitelli,  Atti  d.  Accad.  di 
Archeol.  etc.  Napoli  XVII  1894.  Wissowa, 
Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  1897  Sp.  763  flF. 

*)  z.  B.  Galatien  in  Ank^a  (Mommsek, 
Res  gestae  D.  Aug.^  p.  X),  die  Tres  GaUiae 


ad  confluentem  Araris  et  Ehodani  (CIL  XIII 
227 ff.),  Hispania  citerior  seit  dem  J.  15  n.Chr. 
(Tac.  ann.  I  78)  in  Tarraco  (CIL  II  Suppl. 
p.  1132). 

*)  CIL  IX  1556  Beneventum;  X  837. 840. 
945  Pompei;  X  8875  Cumae;  XI  1420  Pisae; 
XI  3303  Forum  Clodii;  Hekzbn  5994  Assi- 
sium;  Vitr.  V  1,  7  Fanum  Fortunae. 

^)  Auf  Privatinschriften  kommt  die  Ver- 
bindung von  Roma  und  Augustus  nur  selten 
vor;  Erwähnung  verdient  die  Inschrift  CIL 
XI  1331  (Luna),  die  ex  voto  suscepto  pro 
Salute  impieratoris)  Neronis  geweiht  ist  lovi 
Iuno[n%\  Minervae  Felicitati  Romae  THvo 
Augusto. 

^)  Das  Material  für  die  einzelnen  Fälle 
und  die  Formen  der  Consecration  bei  Bbub- 
LiEB,  Culte  imperial  S.  55  ff. 

s)  Cass.  Dio  XLVII  18,4;  die  Mher  bei 
Lebzeiten  oder  sofort  nach  dem  Tode  Caesars 
dekretierten  göttlichen  Ehrungen  (Suet.  Caes. 
76.  Cass.  Dio  XLIV  6.  Plut.  Caes.  67.  App. 
b.  c.  II  106)  kommen  für  die  Schaffung  eines 
dauernden  neuen  Rechtszustandes  nicht  in 
Betracht. 

»)  CIL  IX  2628:  Genio  Deivi  luli  pa- 
rentis  patriae,  quem  senatus  populusque 
Romanus  in  deorum  numerum  rettvUit;  vgl. 
CIL  I  626  =  VI  872.  IX  5186.  Mommskk, 
Staatsr.  II  733. 


D,  Neagesohaffene  Qottheiten.  66.  Dea  Roma  and  die  Divi  imperatorea.     285 


am  18.  August  725  =  29,  dedicierten  aedea  Divi  lulii  in  foro^)  begründet 
wurde:  Caesar  erhielt  gleichzeitig  einen  eigenen  Flamen^)  und  einen  Fest- 
tag, d.  h.  sein  Geburtstag  wurde  (wegen  der  Kollision  mit  den  Ludi  ApoUi- 
nares  vom  18.  auf  den  12.  Juli  vorgeschoben)  unter  die  Feriae  publicae 
aufgenommen; 3)  der  Gedanke,  dass  der  so  Gonsecrierte  aus  dem  Kreise 
der  Menschen  ausscheide  und  in  den  der  Götter  übertrete,  kam  am  deut- 
lichsten durch  die  Anordnung  zum  Ausdrucke,  nach  welcher  sein  Bild 
nicht  mehr  unter  den  Ahnenbildem  beim  Begräbnisse  von  Familienange- 
hörigen aufgeführt  werden  durfte,^)  dafür  aber  bei  der  Pompa  circensis 
auf  einer  Thensa  unter  den  Götterbildern  mit  aufzog.^)  Seit  jener  Con- 
secration  Caesars  hat  das  Wort  divus  einen  neuen  technischen  Sinn  be- 
kommen, es  ist  nicht  mehr,  wie  früher  (vgl.  CIL  I  632  =  VI  110  «ei  deo 
sei  deivae),  schlechthin  mit  deus  der  Bedeutung  nach  identisch,  sondern 
bezeichnet  die  zu  Götterrang  erhobenen  Sterblichen,^)  also  die  consecrierten 
Mitglieder  der  kaiserlichen  Familie.  Dieser  neuen  Klasse  von  Gottheiten 
wird  jetzt  in  der  Staatsreligion  ihr  fester  und  bevorzugter  Platz  ange- 
wiesen, sie  treten  als  geschlossene  Gruppe  in  alle  Formeln  und  Liturgien 
des  älteren  Gottesdienstes  ein, 7)  z.  B.  in  das  Schema  des  Beamteneides 
(s.  oben  S.  71),  in  die  alten  Kultgesänge  der  Salier,^)  in  die  Opferlitaneien 
der  Arvalbrüder  bei  den  Piacularopfem:^)  namentlich  diese  letzteren,  die 
sich  sonst  ausschliesslich  an  Di  indigetes  wenden  und  alle  Novensides 
ausschliessen,  zeigen,  wie  sehr  der  neue  Dienst  der  Divi  das  ganze  Ritual 
durchdrang;  dass  derselbe  in  den  zu  Ehren  des  Kaisers  und  seines  Hauses 
vorgenommenen  Kulthandlungen  der  Arvalbrüder  (s.  oben  S.  73  f.)  eine  her- 
vorragende Rolle  spielt,  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Wenn  bei  den 
Piacularopfem  die  Aufzeichnung  einfach  lautet  Divis  n{ufnero)  XVI  (bezw. 
XX')  verbec(es)  n{uiner6)  XVI  (bezw.  XX),  so  zeigt  die  der  Zahl  der  Divi 
gleichkommende  Zahl  der  Opfertiere,  dass  jeder  Divus  einzeln  sein  eigenes 
Opfer  erhielt  und  jedenfalls  auch  einzeln  im  Gebete  mit  Namen  angerufen 
wurde,  ebenso  wie  dies  bei  andern  Kultakten  der  Arvalbrüder  (z.  B.  CIL 
VI  2041,  45)  und  im  Beamteneide  (CIL  11  1963  i  80.  ll  1.  1964  iii  15)  ge- 


0  üeber  ihn  vgl.  Jobdan,  Topogr.  I  2 
8.  406  ff.  0.  RiCHTEB,  Jahrb.  d.  archaeol.  Inst. 

IV  1889,  137  ff. 

*)  Das  Amt  des  flamen  lulianus,  das 
M.  Antonios  nach  seiner  Aussöhnung  mit 
Octavian  im  J.  714  =  40  fibemahm  (Plut. 
Ant.  33)  hat  weiter  bestanden,  s.  CIL  III  612. 

V  1812. 

>)  Gass.  Dio  XLVII  18,  5  f.  Mommsbn, 
CIL  P  p.  321. 

*)  Cass.  Dio  XLVII  19, 2;  vgl.  LVI  34, 2. 
46,4. 

*)  Suet.  Claud.  11.  Eckhbl,  D.  N.  VI  128. 
FbibdlIhdeb  bei  Mabquabdt,  Staatsverw. 
III  510. 

')  Serv.  Aen.  V  45:  discreüo,  ut  deos 
perpetuos  dicamua,  divos  ex  hominibtis  fcictos 
quctsi  qui  diem  obierint;  unde  divos  etiam 
imperatores  vocamus;  vgl.  XII 139;  Ecl.  5, 56: 
Oaesarem,  guiprimus  divinos  honorei  meruit 


et  divus  appellatus  est. 

')  Cass.  Dio  LX  4,  6 :  xal  diä  ravta  x6 
(jikv  ovofjLtt  avxov  (des  Caligula)  ovx  Iecxiv  iv 
t(^  xaxaXtyta  xüv  avxoxgaxoQtov,  tov  fjivrjgAfjv 
ini  xs  xolg  oqxoi^  xal  int  Tar$-  evxats  noiov- 
fAS&a;  vgl.  LXXIV  4,  1. 

")  Das  geschieht  allerdings  teilweise  auch 
schon  bei  Lebzeiten  (Cass.  Dio  LI  20.  Monum. 
Anc.  2, 21  von  Augustus)  oder  nach  dem  Tode 
kaiserlicher  Prinzen,  die  nicht  consecriert 
werden  (Tac.  ann.  II  83.  Hist.  aug.  M.  Anrel. 
21,  5);  dass  aber  die  Aufnahme  des  Namens 
ins  Saliarlied  zu  den  regulAren  Folgen  der 
Consecration  gehört,  zeigt  Hist.  aug.  Carac. 
11,  6:  Jiabet  tetnplum,  hiabet  scdios  (Aber  die 
Bedeutung  dieses  Ausdruckes  s.  Mabini,  Atti 
d.  frat.  Arval.  p.  597),  habet  sodales  Antani- 
nianos. 

')  Henzbn,  Acta  fratr.  Arval.  p.  148  f. 


286 


Religion  und  Enltna  der  Römer,    ü.  Göiterlehre. 


schieht.  In  der  That  ist  der  Name  Divi  nur  Gattungsbegriff  für  eine  im 
Laufe  der  Zeit  in  ihrem  Bestände  sieh  verändernde  Anzahl  von  Einzel- 
kulten, deren  jeder  seine  eigne  Geschichte  und  seinen  eignen  Gottesdienst 
hat.  Bemerkenswert  ist  es,  dass,  obwohl  Caesar  zweifellos  der  erste  Divus 
ist  und  Augustus  selbst  sich  in  der  offiziellen  Nomenklatur  als  Imp.  Caesar 
Divi  filius  Augustus  bezeichnet,  sowohl  im  Beamteneide  wie  in  den  Gebets- 
formeln der  Arvalen  die  Reihe  der  Divi  regelmässig  erst  mit  Divus  Au- 
gustus eröffnet  wird:  der  Grund  kann  nur  der  sein,  dass  Caesar  noch  nicht 
Princeps  im  Sinne  des  Staatsrechts  gewesen  ist.  Die  Liste  der  Divi  und 
Divae  lässt  sich  nach  den  Zeugnissen  der  Schriftsteller,  Inschriften  und 
Münzen  zwar  nicht  mit  voller  Sicherheit  und  Vollständigkeit,  aber  wenig- 
stens für  die  Zeit  bis  auf  Diocletian  annähernd  feststellen,  9  wobei  immer  zu 
berücksichtigen  ist,  dass  Gunst  oder  Abneigung  der  augenblicklichen  Macht- 
haber diesen  oder  jenen  Kult  älterer  Divi  mehr  oder  weniger  hervorheben 
oder  zurückdrängen  konnten.^)  Die  Consecration  des  verstorbenen  Kaisers 
wird  im  Laufe  der  Zeit  mehr  und  mehr  zur  Regel:  während  von  den  11 
Kaisern  bis  auf  Nerva  nur  4  (Augustus,  Claudius,  Vespasian,  Titus)  die 
Apotheose  erfahren  haben,  finden  wir  die  Kaiser  von  Nerva  an  in  fast 
ununterbrochener  Folge  in  der  Reihe  der  Divi;  dagegen  scheint  seit  dem 
Ausgange  des  2.  Jahrhunderts  die  früher  sehr  geläufige^)  Consecration  der 
kaiserlichen  Frauen  und  anderer  Anverwandter  des  Herrscherhauses  ausser 
Gebrauch  gekommen  zu  sein.  Aber  auch  sonst  ergab  es  sich  ganz  von 
selbst,  dass  die  Divi  dieser  letzteren  Kategorie  eine  etwas  geringere  Rolle 
spielten  als  die  verewigten  Kaiser:  sie  nahmen  zwar  an  den  allgemeinen 
Ehrungen  der  Divi  teil,  indem  sie  einen  Flamen  bezw.  eine  Flaminica 
erhielten^)  und  ihr  Geburtstag  als  Festtag  in  den  Kalender  aufgenommen 
wurde,  aber  die  Festfeier  war  eine  bescheidenere,  wohl  kaum  je  auf  die 
Dauer  mit  Circusspielen  verbundene,  wie  dies  bei  den  natales  der  Kaiser 
die  Regel  war  (Mommsen,  CIL  I*  p.  302  f.),  und  kam  früher  in  Vergessen- 
heit; der  Kalender  des  Philocalus  und  das  ihm  angehängte  Verzeichnis 
der  natales  Caesarum  (CIL  P  p.  255)  geben  ausschliesslich  die  Geburtstage 
der  consecrierten  Kaiser,  nicht  ihrer  Gattinnen  und  Angehörigen.  Ebenso 
haben  die  zu  Divi  erhobenen  Kaiser  von  Augustus  bis  Marc  Aurel  sämtlich 
jeder  eine  eigene  aedes  publica  erhalten,^)  die  Kaiserinnen  dagegen  sind  in  der 
Regel  nur  als  avvvaoi  ihrer  Gatten  mit  diesen  zusammen  verehrt  worden, 


^)  Versach  einer  Rekonstruktion  nach 
den  Vorarbeiten  von  Eokhbl  (D.  N.  VIII 461  ff.), 
Hbkzen  (Acta  firatr.  Arval.  p.  148  f.),  Mommsen 
(Ephem.  epigr.  III  p.  82),  Dbsjabdins,  Mowat 
bei  Bbubueb,  Culte  imperial  S.  325  ff. 

*)  Beispiele  bei  Suet.  Claud.  45 ;  Vesp.  9. 
Hist.  aug.  Carac.  11,  6. 

')  Wir  kennen  als  consecriert  Augustus' 
Gemahlin  Livia,  Caligulas  Schwester  Drusilla, 
Neros  Tochter  Claudia  und  Gattin  Poppaea, 
Titus'  Tochter  Julia,  von  Träjan  Vater,  Schwe- 
ster (Marciana)  und  Gattin  (Plotina),  von 
Hadrian  Gattin  (Sabina)  nnd  Schwiegermutter 
(Matidia),  endlich  die  beiden  Faustinae,  Ge- 
mahlinnen  des  Antoninus  Pius  und   Marc 


Aurel. 

^)  Wenigstens  wissen  wir  von  flaminicae 
der  älteren  Faustina  (Hist.  aug.  Ant.  Pius  6, 7) 
und  wohl  auch  der  Claudia  Neronis  f.  (Tac. 
ann.  XV  28). 

^)  Wir  kennen  Tempel  von  Augustus, 
Claudius,  Vespasian  und  Titus,  Traian,  Ha- 
drian, Antoninus  Pius,  Marc  Aurel  (die  Zeug- 
nisse bei  GiLBBBT,  Topogr.  III  121  ff.  und  bei 
£.  AüST,  Die  stadtrOmischen  Tempelgrün- 
dungen der  Eaiserzeit,  Frankfurt  a.  M.  1898, 
nr.  2.  3.  7.  15.  30.  36.  37.  39;  die  Liste  bei 
Bbubueb  a.  a.  0.  S.  332  ff.  ist  unvollstftndig); 
von  Nerva  und  L.  Verus  sind  keine  Tempel 
nachweisbar. 


D.  Nengesohaifeiie  Gottheiten.  66.  Dea  Roma  and  die  Divi  imperatoree.     287 


80  Livia  mit  Augustus,^)  Plotina  mit  Trajan,^)  Faustina  mit  Antoninus 
Pius  (CIL  VI  1005),  und  wo  von  eigenen  Kultstätten  die  Rede  ist,')  scheint 
es  sich  durchweg  nur  um  kleinere  sacdla  zu  handeln,  die  nach  kurzer 
Zeit  spurlos  verschwanden  und  einen  eigenen  Tempeldienst  nicht  im  Ge- 
folge hatten.  Insbesondere  aber  ist  auf  die  vergötterten  Kaiser  beschränkt 
geblieben  die  dem  gentilicischen  Kulte  nachgebildete  Form  der  Verehrung 
durch  priesterliche  Sodalitäten,  deren  für  die  Kaiser  von  Augustus  bis 
Marc  Aurel  insgesamt  vier  eingesetzt  worden  sind,  nämlich  die  Sodales 
Augustales  für  den  Dienst  des  Augustus  (nachher  erweitert  zu  Sodales 
Augustales  Claudiales  zugleich  für  den  des  Claudius),  die  Sodales  Flaviales 
für  Vespasian  (später  als  Flaviales  Titiales  zugleich  für  Titus),  die  Sodales 
Hadrianales  und  die  Sodales  Antoniniani.  Der  ursprüngliche  Gedanke  ist 
der,  dass  nur  die  derselben  Familie  angehörigen  Divi  in  dem  Dienste  einer 
und  derselben  Sodalität  vereinigt  werden  können:  daher  werden  die  Sodales 
Augustales  ausdrücklich  als  luliae  genti  bestimmt  (Tac.  bist.  11  95)  und  als 
proprium  eins  domus  sacerdotium  (Tac.  ann.  III  64)  bezeichnet,  und  die 
lebenden  Angehörigen  dieser  Gens,  Tiberius,  Drusus,  Claudius  und  Ger- 
manicus  treten  bei  der  Stiftung  der  Priesterschaft  sofort  in  sie  ein  (Tac. 
ann.  I  54) ;  bei  dem  engen  Zusammenhange  des  julischen  und  des  claudi- 
schen  Hauses  konnten  dann  die  Sodales  Augustales  den  Kult  des  Claudius 
ohne  Bedenken  mit  übernehmen.  Auch  der  gemeinsame  Dienst  des  Vespasian 
und  Titus  durch  die  Sodales  Flaviales  Titiales  beruht  auf  dem  Prinzipe 
des  Geschlechtskultes,  und  vielleicht  stand  diese  Sodalität  zu  dem  von 
Domitian  auf  dem  Quirinal  erbauten  Templum  gentis  Flaviae^)  in  derselben 
Beziehung,  wie  die  Sodales  Augustales  (Claudiales)  zu  dem  in  Bovillae 
gelegenen  aacrarium  gentis  luliae  und  dem  Hauskulte  der  Gens  Claudia 
und  Domitia  zu  Antium.^)  Seit  dem  Erlöschen  der  julisch-claudischen 
Dynastie  hat  sich  aber  das  Verhältnis  vollkommen  verändert.  Ob  für 
den  Divus  Trajanus  eine  Sodalität  überhaupt  geschaffen  wurde,  wissen 
wir  nicht,  vielleicht  stehen  die  seit  der  Consecration  Hadrians  bestehenden 
Sodales  Hadrianales  zu  ursprünglichen  Sodales  ülpiales  in  demselben  Ver- 
hältnisse wie  die  Augustales  Claudiales  zu  den  Augustales,  nur  dass  in 
jener  neuen  Genossenschaft  die  neue  Bestimmung  nicht  neben  die  alte 
trat,  sondern  diese  ganz  verdrängte.  Jedenfalls  aber  waren  die  im  J.  161 
eingesetzten  Sodales  Antoniniani  die  letzte  priesterliche  Sodalität  des  Kaiser- 
kultes und  insofern  im  Vergleiche  mit  den  ersten  Priestertümem  dieser 
Gattung  auf  eine  ganz  andre  Basis  gestellt,  als  sie  mit  dem  Dienste  des 


')  CIL  VI  4222 :  aedüua  tempU  Divi 
Aug{u8ti)  [e]t  Divae  Auguatae  quod  est  in 
PaiaHum;  vgl.  Gass.  Dio  LX  5,  2. 

*)  CIL  VI  966  (dazu  Add.  p.  841).  31215. 

')  z.  B.  Cass.  Dio  LIX  11,  3  (arjxos  fOr 
Drosilla).  LXIII  26,  3  {iJQt^oy  der  PoDpaea). 
Tac.  ann.  XV  23  {ciedes  der  Claudia  Neronis 
f.);  mehr  als  eine  solche  Kapelle  war  gewiss 
auch  das  templum  Matidiae  der  Bleiröhren- 
inschrift CIL  XV  7248  nicht;  das  Regionen- 
buch (reg.  IX,  vgl.  MoMMSBN,  Chron.  min. 
I  545)  kennt  nur  eine  Baailica  MaMiae  et 


MarciafMe, 

*)  8uei  Dom.  1.  5;  vgl.  Hülsen,  Rhein. 
Mus.  XLIX  399  f. 

^)  Tac.  ann.  II 41 :  sacrarium  genti  luliae 
effigiesque  JDivo  Äugusto  apud  Baviüas  di- 
cantiM-  (vgl.  MoMMSBK  zu  CIL  I  807).  XV  23: 
ludicrum  circense  ut  luliae  genti  apud  Bo- 
villas  üa  Claudiae  Domitiaeque  apud  Antium 
ederetur.  Eine  ara  gentis  luliae  lag  auch 
auf  dem  Capitol  in  Rom,  vgl.  Hekzbn,  Acta 
fratr.  Arval.  p.  57.  Mommsbn,  CIL  III  Suppl. 
p.  2034. 


288 


Religion  und  Eoltas  der  BOmer.    n.  Qötterlehre. 


consecrierten  Antoninus  Pius,  für  den  sie  bestimmt  waren,  nachträglich  nicht 
nur  den  der  wenigstens  durch  Adoption  mit  diesem  zusammenhängenden 
Divi  L.  Yerus,  Marc  Aurel  und  Commodus  vereinigten,  sondern  auch  den  des 
Pertinax,  Garacalla  und  Alexander  Severus,  ja  wahrscheinlich  aller  nachher 
noch  consecrierten  Kaiser,  wenn  auch  die  Erweiterung  der  Funktion  später 
nicht  mehr  in  einer  Veränderung  des  Namens  zum  Ausdrucke  kam.^)  Nun 
ist  es  sicher  kein  Zufall,  dass  das  Aufgeben  des  Brauches,  für  jede  kaiser- 
liche Dynastie  eine  neue  Sodalität  zu  begründen,  zusammenfallt  mit  dem 
Aufhören  der  Errichtung  eigener  Tempel  für  jeden  consecrierten  Kaiser. 
Schon  früher  war  gelegentlich  die  Befürchtung  aufgetreten,  dass  die  durch 
die  Kreierung  neuer  Divi  veranlasste  stetige  Vermehrung  der  Gottesdienste 
und  Festtage  zu  grossen  Unzuträglichkeiten  führen  müsse:  im  J.  70  hatte 
der  Senat  eine  Kommission  gewählt  mit  dem  Auftrage,  ut  fastos  adulatione 
temporum  foedatos  exonerarent  modumque  publicis  impensis  facerent,^)  und 
es  steht  jedenfalls  damit  im  Zusammenhange,  dass  im  Dienste  der  Arval- 
brüder  seit  dem  Regierungsantritte  Vespasians  alle  Opfer  an  den  Geburts- 
tagen der  Mitglieder  der  kaiserlichen  Familie,  seit  dem  J.  81  auch  die 
Feier  des  dies  imperii  und  sonstiger  Gedenktage  des  regierenden  Kaisers 
in  Wegfall  kommen  und  aus  den  Gebetsformeln  der  Vota  annua  die  Divi 
verschwinden.  Eine  neue  Reaktion  gegen  die  zu  weite  Ausdehnung  des 
staatlichen  Kaiserkultes  zeigt  sich  200  Jahre  später,  indem  Kaiser  Tacitus 
die  Errichtung  eines  Templum  Divorum  plante,  in  welchem  nur  die  Bilder 
der  principes  boni  Aufnahme  finden  und  Opfer  an  den  Geburtstagen  dieser 
Divi,  ferner  an  den  Palilia,  am  Neujahrstage  und  am  Tage  der  Vota 
(3.  Januar)  stattfinden  sollten  (Hist.  aug.  Tac.  9,  5).  Ob  dieser  Plan  zur 
Ausführung  gekommen  ist,  wissen  wir  nicht;  Thatsache  aber  ist,  dass 
schon  seit  dem  Ende  des  2.  Jahrhunderts  eine  Einschränkung  insofern 
stattgefunden  hatte,  als  —  ebenso  wie  die  Errichtung  neuer  Sodalitäten 
aufhörte  —  nach  Marc  Aurel  kein  consecrierter  Kaiser  mehr  einen  eignen 
Tempel  erhalten  hat.^)  Es  hängt  damit  zusammen,  dass  seit  der  Mitte 
des  2.  Jahrhunderts  ein  Templum  Divorum  auf  dem  Palatin  besteht,  das 
dem  gemeinsamen  Dienste  d^r  Divi  dient  und  in  dem  jeder  einzelne  Divus 
seine   eigene  aedicula  hat;*)    da   die   Flamines   Divorum,   soweit   unsere 


^)  Das  Nähere  s.  im  III.  Teile;  vorläufig 
vgl.  Mabqüardt,  Staats verw.  III  471  ff. 

^)  Tac.  hist.  IV  40;  vgl.  auch  ann.  XIII 
4l:ne  totum  quidem  annum  supplicationibtM 
suffieere  .  . .  eoque  oportere  dividi  sacros  et 
negotiosos  dies,  quis  divina  colerent  et  hu- 
tnana  non  impedirent. 

')  Die  allgemeine  Wendung  Hist.  aug. 
Carac.  11,  6:  habet  templum,  habet  salios, 
habet  sodäles  Äntoninianoa  beweist  nichts 
für  einen  stadtrömischen  Sondertempel  Gara- 
Callas,  noch  weniger  die  Akklamationen  Bist, 
aug.  Alex.  Sev.  7,  5.  8,  3.  10,  7. 

*)  In  templo  Divorum  in  aede  Divi  Titi 
CIL  VI  10234, 8. 10. 23  vom  J.  153 ;  die  Arval- 
brttder  versammeln  sich  in  Palatio  in  aede 
Divorum  im  J.  145  (Eph.  epigr.  VIII  p.  333 
Z.  24),  nochmals  unter  Antoninus  Pius  (CIL 


VI  2087,  41  und  im  J.  218  (CIL  VI  2104,  6); 
&6(0Qiai  Tots  iy  r^  IIaXati(^  ijquhu  erwähnt 
Cass.  Dio  LXXVI  3,  3  zum  J.  203.  Die  An- 
nahme, dass  seit  den  flavischen  Kaisern  die 
aedes  Divi  Äugusti  auf  dem  Palatin  in  ein 
templum  Divorum  umgewandelt  worden  wäre 
(Gilbert,  Topogr.  III  131  f.),  wird  dadurch 
widerlegt,  dass  die  Militärdiplome  seit  dem 
J.  90  regelmässig  (auch  in  der  Zeit  des  Anto- 
ninus Pius,  aus  der  die  Zeugnisse  fOr  die 
aedes  Divorum  in  Palatio  stammen)  das  tem- 
plum Divi  Äugusti  nennen  (CIL  III  Suppl. 
p.  2035) ;  dass  das  letztere  in  den  Arvalakten 
seit  dem  Tode  Neros  nicht  mehr  erwähnt 
wird,  erklärt  sich  daraus,  dass  seit  eben 
dieser  Zeit  die  früher  bei  dem  Augustus- 
tempel  abgehaltenen  Kulthandlungen  aus  den 
Protokollen  verschwinden  (vgl.  üienzek,  Acta 


E.  Sacra  peregrina.    66.  Die  kappadokisohe  lÜL-Bellona. 


289 


Zeugnisse  ein  Urteil  gestatten^  auch  nicht  weiter  als  bis  auf  Septimius 
Severus  hinunterreichen,  so  hat  man  wahrscheinlich  am  Anfange  des 
3.  Jahrhunderts  auch  die  Ernennung  von  Einzelpriestern  für  jeden  Divus 
fallen  gelassen  und  der  Dienst  im  Templum  Divorum  ist  von  den  zu  all- 
gemeinen Eaiserpriestern  gewordenen  Sodales  Antoniniani  wahrgenommen 
worden.  Die  letzte  einem  Divus  gewidmete  Kapelle  ist  der  noch  erhaltene 
kleine  Rundtempel,  welchen  Maxentius  seinem  im  J.  309  verstorbenen  und 
consecrierten  Sohne  Uomulus  weihte:  nach  dem  Siege  des  Constantin  auf 
diesen,  also  den  lebenden  Kaiser,  übertragen,^)  schied  er  aus  der  Beihe 
der  dem  Dienste  der  Divi  geweihten  Baulichkeiten  aus,  und  gleichzeitig 
hat  diese  ganze  Klasse  römischer  Staatsgötter  zu  existieren  aufgehört. 
Denn  wenn  auch  noch  lange  Zeit  weiter  die  Kaiser  nach  ihrem  Tode  den 
Titel  Divus  erhalten,  so  hat  dieser  doch  alle  und  jede  sakrale  Bedeutung 
verloren  und  ist  zu  einem  blossen  rühmenden  Praedikate  geworden,  ebenso 
wie  die  hie  und  da  noch  den  lebenden  Kaisern  in  den  äusseren  Formen 
des  Kultes  dargebotenen  Ehrungen  des  religiösen  Charakters  ganz  ent- 
kleidet und  zu  blossen  Loyalitätskundgebungen  herabgedrückt  erscheinen: 
das  signifikanteste  Beispiel  für  die  veränderten  Zustände  gibt  das  Reskript 
Constantins  an  die  umbrische  Gemeinde  Hispellum  (CUj  XI  5265  =  Dessau 
705),  worin  dieser  die  Erbauung  eines  dem  Provinzialkulte  von  Umbrien 
dienenden  templum  Flaviae  gentis  gestattet  wird,')  jedoch  mit  der  Ein- 
schränkung, ne  aedis  nostro  nomini  dedicata  cuiusquam  contagiosae  super^ 
stüionis  fraudibus  pollucUur. 

Litteratur:  Pbbllbb- Jordan,  Rom.  Mythol.  II  358  ff.  425  ff.  Mabqüabdt,  Staatsverw. 
III  463  ff.  R.  Dbsjardins,  Revue  de  philol.  III  (1879)  33  ff.  R.  Mowat,  Ball,  epigr.  de  la 
Gaule  V  (1885)  221  ff.  308  ff.  VI  (1886)  31  ff.  137  ff.  272  ff.  0.  Hibschfsld,  Sitz.Ber.  Akad. 
Berlin  1888,  833  ff.  £.  Bbxtblibb,  Le  culte  imperial,  son  histoire  et  son  Organisation  depuiB 
Auguste  jusqu'ä  Justinian,  Paris  1891.  M.  Ebasobbitiiinikoff,  Philologus  LIII  (N.  F.  Yll) 
1894,  147  ff. 


Fünfter  Abschnitt. 

Sacra  peregrina. 

56.  Die  kappadokisohe  M&-Bellona.  Für  die  Bekanntschaft  der  Römer 
mit  den  ausschweifenden  Gottesdiensten  Yorderasiens  sind  insbesondere 
die  asiatischen  Feldzüge  des  Sulla  und  Pompejus  bedeutungsvoll  geworden, 
auf  denen  die  römischen  Heere  eine  Reihe  fremdartiger  Gottesdienste  kennen 
lernten  und  von  ihnen  um  so  stärkere  Anregungen  empfingen,  als  die 
ganze  Neigung  der  Zeit  bei  Hoch  und  Niedrig  aller  Art  fremder  Super- 
stition und  allen  auf  sinnlichen  Effekt  berechneten  Eultübungen  sehr  weit 
entgegenkam.    Eine  andre  Yerehrungsform  derselben  mütterlichen  Natur- 


fratr.  Arval.  p.  70).  Uusicher  ist  die  Be- 
ziehung von  Suet.  Galba  1 :  novissimo  Neronia 
anno  .  .  .  tacta  de  caelo  Caesarum  aede 
capita  Omnibus  simul  Statuts  deciderunt, 
Augustt  etiam  sceptrum  e  manibus  excus- 
sum  est» 

')  CIL  VI  1147;   vgl.  De  Rossi,  ßuU. 
archeol.  crist.  1867,  66  ff.     Lanciani,  Bull. 

Handlraoh  der  klua.  Altertnnunrtaenacbalt.    V,  4. 


arcfa.  com.  X  1882,  29  ff. 

')  Auch  in  Afrika  hören  wir  von  einem 
sacerdotium  decretum  Flaviae  genti,  Aur. 
Vict.  Caes.  40,  28  (vgl.  CIL  VI  1736);  unter 
den  römischen  Priestertümem  wird  das  eines 
pontifexFlavialis  aufgezählt  in  dem  Cursua 
honomm  des  L.  Aradiua  Proculns,  Cos.  340 
(CIL  VI  1690  f.). 

19 


290  Religion  und  Knltn«  der  EOmer.    ü.  OOtterlelire. 


gottheit,  die  als  Magna  Mater  in  Rom  bereits  seit  Ausgang  des  3.  Jaht^ 
hunderts  v.  Chr.  ihren  Kult  besass  (oben  §  53),  lernten  die  römischen  Sol- 
daten in  dem  kappadokischen  Eomana  kennen,  als  im  J.  662  =  92  der 
Propraetor  Sulla  in  diese  Landschaft  einrückte:  die  Eigenart  dieses  merk- 
würdigen, in  die  Schluchten  des  Antitauros  eingebetteten  Oottesstaates, 
in  dem  ein  königlicher  Priester  herrschte  und  die  Mehrzahl  der  Bewohner 
als  Hierodulen  und  d-sogiogr/roi,  im  unmittelbaren  Dienste  der  Göttin  stand,  ^) 
mag  auf  die  Soldaten  nicht  minder  wie  auf  den  abergläubischen  Anwand- 
lungen leicht  zugänglichen  Feldherrn  ^)  einen  tiefen  Eindinick  gemacht 
haben,  und  als  weiterhin  sowohl  im  Verlaufe  der  mithradatischen  Kriege 
als  bei  dem  Marsche  Caesars  gegen  Pharnakes  die  Römer  wiederholt  mit 
diesem  Heiligtume  und  seiner  Filiale  in  dem  pontischen  Komana  in  er- 
neute Berührung  kamen,  war  das  Interesse  für  diesen  fremden  Gottes- 
dienst so  gestiegen,  dass  im  Gefolge  der  zurückkehrenden  Heere  die  Prie- 
ster der  Göttin  von  Komana  auch  in  Rom  Einzug  hielten.  Diese  Göttin, 
deren  einheimischen  Namen  Mä  nur  Strabon  (XII  535)  bezeugt,  wurde  von 
den  Griechen  mit  der  taurischen  Artemis,  Selene,  Athena  oder  Enyo,  von 
den  Römern  im  Anschlüsse  an  die  letztgenannte  Gleichung  mit  Bellona 
identifiziert,  3)  wofür  namentlich  der  kriegerische  und  blutige  Charakter 
des  Ceremoniells  massgebend  war,  das  ihre  Priester  bei  ihren  Umzügen 
zur  Darstellung  brachten.  In  unheimlich  düsterer  Gewandung  führen  sie, 
durch  die  anreizende  Musik  von  Pauken  und  Trompeten  in  heilige  Raserei 
versetzt,  wilde  Tänze  auf,  bei  denen  sie  sich  mit  dem  eigentümlich  ge- 
formten Doppelbeile  selbst  an  Leib  und  Armen  verwunden,  um  schliess- 
lich, durch  den  Anblick  oder  gar  den  Genuss  des  aus  den  eigenen  Wunden 
strömenden  Blutes  in  Verzückung  zu  geraten  und  zukunftkündende  Sprüche 
zum  Besten  zu  geben.  ^)  Diese  Diener  der  Bellona  {bellonariij  Schol.  Hör. 
sat.  II  3,  223)  spielen  im  religiösen  Leben  und  im  Strassenbilde  Roms  eine 
ganz  ähnliche  Rolle  wie  die  Galli  der  Grossen  Mutter,^)  Staatspriester 
waren  sie  ebensowenig  wie  jene,  und  wie  jene  haben  sie  sich  nur  aus 
eingewanderten  Anhängern  der  Göttin,  nicht  aus  römischen  Bürgern  rekru- 
tiert. Dass  aber  neben  diesen  unter  bestimmten  Bedingungen  für  die 
Öffentlichkeit  zugelassenen  Religionsübungen  einer  landfremden  Kultge- 
nossenschaft am  Beginne  der  Kaiserzeit  auch  ein  Staatskult  der  Bellona 
bestanden  hätte,  wie  dies  bei  Magna  Mater  thatsächlich  der  Fall  war,  ist 
nicht  nur  nicht  bezeugt,  sondern  wird  auch  dadurch  widerlegt,  dass  im 
J.  706  ==  48  ein  Heiligtum  der  Bellona  von  Staatswegen  zerstört  wurde, 
wobei  man  angeblich  Töpfe  voll  Menschenfleisch  fand  (Cass.  Dio  XLII 26, 2) : 


')  Sia-ab.  XII  535  und  über  das  Tochter-  |           *)  TibuU.  I  6,  43  ff.;  vgl.  Hör.  sat  II  3, 

heiligtum  in   der  gleichnamigen  pontischen  i   223.  Martial.  XII  57, 11.  Juven.  4,  123.  Hist. 

Stadt  XII  557  ff.  575;    vgl.  Th.   Reinach,  aug.  Gommod.  9,  5.  Minuc.  Fei.  30,  5.  TertuU. 

Mithradates  Eupator  (deutsch  von  A.  Gobtz)  '   apol.  9;  de  pall.  4.  Lact.  inst.  I  21,  16  f. 

S.  238  ff.  Dbbxlbr  in  RoscBBRS  Mytbol.  Lexik,  i           ^)  Daher  oft  zusammen  genannt,  z.  B. 

II  2215  ff.  Lucan.  I  565  ff.  Juven.  6, 511  ff.  Lact.  a.  a.  O., 

*)  Nach  Plut.  Sulla  9  erscheint  ihm  vor  auch  zusammen  mit  den  Schaustellungen  der 

dem  Marsche  gegen  Rom  die  kappadokische  Isispriester,  Sen.  de  vita  beata  26,  8;  vgl.  im 

Qdttin  im  Traume.  i   allgemeinen  über  derartige  Aufzüge  0.  Jabn, 

>)  Plut.  Sulla  9.   Strab.  XII  535.    Bell.  I   Abbandl.   Akad.   München    I.  El.   Bd.  VIII 

Alex.  66.  ,   2.  Abt.  S.  251  ff. 


E.  Bftora  peregrina.    66.  Die  kappadokiaohe  MA-Bellona.  291 

dies  beweist,  dass  es  sich  nur  um  einen  zwar  geduldeten,  aber  polizeilich 
überwachten  Fremdkult  handelt.^)  Wann  die  staatliche  Anerkennung  des 
Bellona-Dienstes  erfolgt  ist,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  sagen ;  dass  sie 
erfolgte,  darf  man  aus  der  Existenz  einer  aedes  Bellonae  Ptdvinensis^) 
schliessen,  die  doch  wohl  als  Staatstempel  zu  verstehen  ist;  jedenfalls  liegt 
kein  Grund  vor,  der  uns  nötigte,  dieses  Heiligtum  für  älter  zu  halten  als 
den  Anfang  des  8.  nachchristlichen  Jahrhunderts,  also  als  die  Zeit,  wo 
sich  überhaupt  die  Grenze  zwischen  sacra  Romana  und  peregrina  ver- 
wischt (oben  S.  79).  Die  Lage  jenes  Tempels  ist  in  keiner  Weise  zu  er- 
mitteln, denn  die  allgemein  geltende  Ansicht,  er  habe  benachbart  dem 
Tempel  der  altrömischen  Bellona  (oben  S.  137)  in  der  Nähe  des  Circus 
Flaminius  gelegen,  beruht  auf  der  ganz  willkürlichen  Voraussetzung,  dass 
das  pulvinar,  nach  dem  die  Göttin  ihren  Namen  führt,  ein  dem  bekannten 
pulvinar  ad  circum  {maanmum)  entsprechendes,  sonst  nie  erwähntes  pul- 
vinar  ad  circum  Flaminium  sei;  da  es  in  Rom  zahlreiche  pulvinaria  gab, 
wäre  die  Nachbarschaft  eines  solchen  eine  wenig  passende  Ortsbestimmung 
gewesen,  vielmehr  wird  das  pulvinar,  nach  dem  sich  die  BeUona  Pulvi- 
nensis  nennt,  ebenso  zum  Tempel  und  Dienste  der  Bellona  selbst  gehört 
haben,  ^)  wie  der  daselbst  bezeugte  (CIL  VI  2232)  heilige  Hain.  Das 
Tempelpersonal  wird  unter  dem  Namen  der  fanatici  begriflfen,*)  den  wir 
auch  für  die  Priester  der  Isis  (CIL  VI  2234)  und  der  Magna  Mater*)  an- 
gewendet finden;  ausserdem  wird  ein  cistophorus  erwähnt.^)  Enge  Be- 
ziehungen zum  Dienste  der  wesensverwandten  Grossen  Mutter  zeigen  sich 
nicht  nur  darin,  dass  die  Priester  der  einen  Gottheit  Weihungen  an  die 
andere  veranstalten,^)  sondern  besonders  in  dem  Zeugnisse  einer  Inschrift 
aus  Kastei  bei  Mainz,  wo  die  hastiferi  civitatis  Mattiacor{um)  deae  Vir- 
tuti  Bellonae  montem  Vaticanum  vetustate  cordabsum  restituerun{tY)j  was 
sicher  auf  das  römische  Taurobolienheiligtum  der  Göttermutter  im  vati- 
canischen  Gebiete  (oben  S.  267)  hinweist;  möglicherweise  bezeichnet  der 
zweimal  in  Inschriften^)  der  Bellona  beigelegte  Name  dea  pedisequa  sie 
geradezu  als  zum  Gefolge  der  Grossen  Mutter  gehörig.  ^<>)    Im  übrigen  er- 


^)  Die  Worte  des  Lact.  a.  a.  0.  publica 
üla  Sacra  . .  .,  quorum  alia  sunt  Matris,  in 

quibus  homines  suis  ipsi  virüibus  litant, 

älia  VirttUis,  quam  eandem  Beüonam  vocant, 
in  quibtts  ipsi  sacerdotes  non  alieno,  sed  suo 
cruore  sacrificant,  bezeugen  nicht  einmal  fQr 
des  Lactanz  eigene  Zeit  einen  Staatskalt,  da 
die  Worte  publica  sacra )  nichts  andres  be- 
deuten als  Sacra  in  publica  fieri  solita  im 
Gegensatz  zu  Geheimkulten. 

*)  CIL  VI  490.  2232  f.,  dazu  gehört  ge- 
wiss auch  der  vicus  Bellonae  CIL  VI  2235 
(vgl.  3674^) ;  verschieden  davon  ist  die  ciedes 
Bellonae  Rufiliae  CIL  VI  2234,  wie  der 
Name  zeigt,  eine  private  Gründung. 

')  Dass  bei  den  Fremdkulten  pulvinaria 
vorkamen,  zeigt  die  pompejanische  Inschrift 
CIL  IV  2155  fanatici  tres  a  pulvinar  Syne- 


4,  128. 

')  Juven.2,112.  Prud.  peristeph.  X  1061. 

8)  CIL  VI  2233  mit  einem  Reliefbilde 
dieses  Priesters  im  vollen  Ornate,  Dabbm- 
bbrg-Saolio,  Dict.  I  686  fig.  815. 

')  CIL  VI  490.  IX  3146;  Beziehungen 
von  Bellona  zu  Isis  und  Serapis  CIL  VI  2234. 

*)  Orelli  4983  (Litteratur  darttber  bei 
LiBBBNAM,  Vereinswes.  S.  802  f.);  Bellonae 
montes  erwähnt  Tertull.  de  pall.  4,  eine  Jutsta 
in  aede  Bellona(e)  CIL  VI  2232. 

•)  CIL  VI  3674*.  Cagnat,  L'ann^e  epi- 
graph.  1898  nr.61 ;  vgl.  cistifer  pedisequarius 
und  pedisequaria  als  Titel  von  Eingeweihten 
des  Liber  pater  in  einer  afrikanischen  In- 
schrift, Cagnat  a.  a.  0.  1894  nr.  85. 

*^)  Dagegen  beruht  die  weit  verbreitete 
Annahme,  der  innerhalb  der  Frühlingsfeier 


thaei.  \   der  Magna  Mater  gelegene  Dies  sanguinis 

«)  CIL  VI  490.  2232.  2235;  vgl.Juven.   ;   am  24.  März  (s.  oben  S.  266)  sei  ein  Festtag 


19 


* 


292 


Religion  und  Knltiui  der  BOmer.    IL  OOtterlehre. 


geben  die  Weihinschriffcen,  die  vereinzelt  in  verschiedenen  Gegenden,  in 
etwas  grösserer  Zahl  nur  in  Afrika  vorkommen,^)  für  Kult  und  Auffassung 
der  Göttin  so  wenig,  dass  man  im  einzelnen  Falle  nicht  einmal  immer  mit 
Bestimmtheit  sagen  kann,  ob  dem  Dedicanten  die  alte  römische  Bellona 
oder  die  komanische  Mä  oder  eine  als  Bellona  gedeutete  epichorische 
Gottheit  verwandter  Natur')  vorgeschwebt  hat;  dass  für  die  mehrfach  be- 
zeugte Identifikation  der  Bellona  mit  Virtus^)  der  Weg  über  die  altrömische 
Bellona  und  deren  Gleichsetzung  mit  Nerio-Virtus  (August,  c.  d.  VI  10,  vgl. 
oben  S.  134)  geführt  habe,  ist  zum  mindesten  nicht  nachweisbar,  kaum 
wahrscheinlich. 

Litteratur:  C.  Tibslbb,  De  Bellooae  cultu  et  sacris,  Berolini  1842.  Mabqüabdt, 
Staatsverw.  III  75  f.    £.  Aust  bei  Pault-Wissowa,  Real-Eocycl.  III  255  ff. 

57.  Isis  und  die  Götter  Ägyptens.  Einen  ganz  analogen  Ent- 
wicklungsgang wie  die  Gottesdienste  der  Magna  Mater  und  der  Bellona 
weist  auch  der  römische  und  italische  Kult  der  Isis  und  der  in  ihrem  Ge- 
folge erscheinenden  ägyptisch-alexandrinischen  Gottheiten,  insbesondere 
des  Serapis,  auf.  Wenn  eine  innerhalb  der  römischen  Gemeinde  von  Isis- 
Verehrern  bestehende  Tradition  deren  Anfange  bis  in  die  Zeit  des  Sulla 
zurückführte  (Apul.  met.  XI  30),  so  haben  wir  an  der  Richtigkeit  dieser 
Überlieferung  zu  zweifeln  um  so  weniger  Anlass,  als  der  Dienst  der 
ägyptischen  Götter  in  den  campanischen  Eüstenstädten  mit  Sicherheit 
bereits  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  nachweisbar  ist:^)  namentlich  hat  die 
verkehrsreiche  Hafenstadt  Puteoli  alten  Serapiskult,  ^)  und  der  Umstand, 
dass  dieser  Hafen  nicht  nur  im  allgemeinen  für  den  Austausch  der  Waaren 
mit  dem  Orient  den  Hauptmittelpunkt  bildete,  sondern  namentlich  auch 
enge  Verkehrsbeziehungen  zu  Dolos  unterhielt  (Paul.  p.  91),  wo  die  ägjrp- 
tischen  Gottheiten  seit  dem  3.  Jahrhundert  an  hervorragender  Stelle  ver- 
ehrt wurden,^)  zeigt  uns  zum  mindesten  einen  der  Kanäle,  durch  welche 
diese  Religionsanschauungen  ihren  Weg  nach  Rom  und  Italien  fanden. 
Da  die  Zeitverhältnisse  der  suUanischen  Epoche  dem  Eindringen  eines 
solchen  fremdartigen  und  geheimnisvollen  Gottesdienstes  durchaus  günstig 
waren,  ist  der  zunächst  im  Verborgenen  betriebene  Isiskult  privater  Ge- 
nossenschaften bald  derartig  störend  in  die  Öffentlichkeit  getreten,  dass 
ein  Einschreiten  der  Behörden  gegen  diese  nicht  anerkannte  und  allem 
Anscheine  nach  der  allgemeinen  Ordnung  gefährliche  Religionsübung  not- 
wendig wurde:  nachdem  zuerst  die  Gonsuln   des  J.  696  =  58  die  Altäre 


der  Bellona  gewesen,  auf  evident  falscher 
Interpretation  von  Lyd.  de  mens.  IV  42,  wo 
vielmehr  vom  Tabilustrium  (oben  S.  131)  und 
von  Nerio  die  Rede  ist. 

*)  D.  Vaoliebi  bei  Ruooiebo,  Dizion.  epi- 
graf.  I  988  f.;  s.  auch  Notiz,  d.  scavi  1898, 
66  f. 

>)  Amm.  Marc.  XXVII  4,  4  z.  B.  be- 
zeichnet die  Hauptgottheiten  der  thrakischen 
Skordisker  als  Bellona  und  Mars. 

*)  Lact.  inst.  I  21,  16.  Orblli  4983. 
CIL  V  6507.    Caonat  a.  a.  0.  1898  nr.  61. 

*)  Die  nach  dem  Erdbeben  vom  J.  63 
n.  Chr.  wiederhergestellte  (CIL  X  846J  aedes 


Isidis  in  Pompeji  stammt  sicher  noch  ans 
vorrömischer  Zeit  (Nissen,  Pompejan.  Stud. 
S.  170  ff.  Ovbbbeck-Maü,  Pompeji  8.  105); 
in  Katane  und  Syrakus  geht  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  Serapisdienste  bis  auf  die 
Zeit  des  Agathokles  zurück  (A.  Holx,  Ca- 
tania  S.  11.  44). 

^)  Die  aedes  Serapis  (vgl.  über  sie  na- 
mentlich Th.  Wibgand,  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl. 
XX  697  ff.)  ist  dort  schon  im  J.  649  :==  105 
bezeugt  (CIL  X  1781 1 6;  vgl.  X  1593  f.). 

^)  Litteratur  bei  Dbbxlbb,  Mythol.  Bei- 
träge I  S.  5  Änm.  1. 


E.  Sacra  peregrina.    67.  Isis  und  die  Götter  Aegyptene. 


293 


der  Isis  und  ihres  Gefolges  auf  dem  Capitol  zerstört  hatten,^)  wurde  im 
Verlaufe  des  folgenden  Jahrzehntes  noch  dreimal  ein  ähnliches  energisches 
Vorgehen  nötig, ^)  ein  Beweis  dafür,  dass  der  neue  Kult  bereits  so  er- 
starkt war,  dass  er  trotz  der  Verfolgungen  und  Vertreibungen  immer 
wieder  von  neuem  sich  einzunisten  und  Boden  zu  gewinnen  wusste.  Wenn 
die  Triumvirn  im  J.  711  =  43  mit  dieser  Politik  der  Unterdrückung 
brachen  und  die  Erbauung  eines  Staatstempels  der  Isis,  also  Aufnahme 
ihres  Kultes  unter  die  sacra  publica  p,  R.,  beschlossen  (Cass.  Dio  XL  VE 
15,  4),  SU  war  das  jedenfalls  eine  Concession  an  die  Vorliebe  der  Massen, 
deren  Neigung  man  gewinnen  wollte.  Dass  jener  Beschluss  aber  ausge- 
führt worden  wäre,  ist  weder  bezeugt  noch  auch  wahrscheinUch,  da  im 
Kampfe  zwischen  Oetavian  und  Antonius  die  Götter  Ägyptens  die  Be- 
schützer des  Staatsfeindes  waren b)  und  Augustus  als  Kaiser  seiner  Ab- 
neigung gegen  die  Fremdkulte  (Suet.  Aug.  93)  bei  jeder  Gelegenheit  Aus- 
druck gegeben  hat:  wenn  er  im  J.  726  =  28  die  Errichtung  von  Privat- 
kapellen der  ägyptischen  Gottheiten  innerhalb  des  Pomeriums  verbot  (Cass. 
Dio  Lni  2,  4)  und  Agrippa  während  seiner  Führung  der  städtischen  Ver- 
waltungsgeschäfte im  J.  733  =  21  vorgekommene  Verstösse  gegen  diese 
Verordnung  dazu  benützt  hat,  diese  noch  zu  verschärfen  und  die  Aus- 
schliessungsgrenze bis  zur  Bannmeile  vorzurücken,  so  sieht  man  darin 
deutlich  das  Streben  nach  möglichster  Einschränkung  einer  Bewegung,  die 
ganz  zu  verhindern  man  ausser  stände  war.^)  Dass  Tiberius  im  J.  19  n.  Chr. 
aus  Anlass  eines  sehr  bösen  Vorfalles,  wo  die  Isismysterien  zur  Verge- 
waltigung einer  Matrone  missbraucht  worden  waren,  das  betreffende  Heilig- 
tum zerstören  und  das  Bild  der  Göttin  in  den  Tiber  werfen  liess,^)  wurde 
bereits  oben  S.  79  erwähnt.  All  diese  Massregeln  treffen  eine  staatlich 
nicht  recipierte,  nur  mehr  oder  weniger  geduldete  Religionsübung,  deren 
private  Kultstätten  ein  ziemlich  zahlreiches  Publikum  namentlich  aus  den 
unteren  Volksschichten  und  insbesondere  den  Frauen  der  Halbwelt  um 
sich  vereinigen.^)    Bei  der  starken  Zunahme  der  Privatkapellen ^)  —  von 


>)  Tertull.  apol.  6;  ad  nat.  I  10  (aus 
Varro).  Amob.  II  73;  die  genaue  Angabe 
der  Gonsnlnamen  zeigt,  dass  dies  das  erste 
bekannte  Einschreiten  der  Behörden  gegen 
den  Tsisdienst  war,  und  damit  verliert  die 
an  sich  ansprechende  Konjektur  J.  Ziehens 
(Hermes  XXXllI  341  f.),  der  bei  Cic.  ad  Att. 
II  17,  2  (geschrieben  Anfang  Mai  695  =  59) 
herstellen  möchte  iacet  enim  ille  (Pompejus) 
sie,  ut  prae  hoc  Isis  Curiana  (die  Hss.  sie 
ut  phoeis  euriana)  stare  videatwr  an  Wahr- 
scheinlichkeit. 

«)  Tm  J.  701  =  53  Cass.  Dio  XL  47,  3; 
im  J.  704  =  50  Val.  Max.  epit.  I  3,  4  (über 
die  Datierung  s.Mabqüabdt-Wissowa,  Staats- 
verw.  TU  77,  4);  im  J.  706  =-  48  Cass.  Dio 
XLII  26,  6. 

»)  Verg.  Aen.  Vni  696  ff.  Prop.  IV  11, 
39  ff.    Ovid.  met.  XV  827  f. 

*)  Interessant  ist  es,  dass  in  der  In- 
schrift einer  im  J.  754  =  1  n.  Chr.  von  einem 
L.  Lucretius  L.  1.  Zethus  in  Rom  gesetzten 
ara  Augusta  (v.  Pbbmbrstbin,  Arch.  epigr. 


Mitt.  ans  Oesterr.  XV  1892,  77  ff.)  Isis  be- 
reits mitten  in  der  Reihe  der  angerufenen 
Götter  erscheint;  vgl.  auch  Ovid.  ex  Ponto 
I  1,  37  eequis  ita  est  audax,  ut  limine  cogat 
abire  iactantem  JPharia  tinnula  sistra  manu, 

*)  Joseph,  ant.  XVIII  65  ff.;  vgl.  Tac. 
ann.  II  85.    Suet.  Tib.  36. 

')  Die  ftltesten  Zeugnisse  sind  die  An- 
griffe auf  die  Älexandrini  di  (Serv.  Aen. 
VIII  698)  und  die  im  Namen  des  Serapia 
getriebene  Kurpfuscherei  in  Varros  menip- 
peischen  Satiren  (frg.  128.  152;  vgl.  £.  Nor- 
den, Jahrb.  f.  Philol.  Sunpl.  XVIII  337,  Ober 
Serapis  als  Heilgott  aucn  Eckhbl,  D.  N.  VII 
213)  und  die  Erwähnung  der  Isicici  eoniec- 
tores  bei  Cic.  de  div.  I  132  (vgl.  auch  II 
123;  de  nat.  deor.  III  47),  dann  h&ufig  in 
der  augusteischen  Poesie  (TibuU.  I  3,  23  ff. 
7,  27  ff.  Prop.  III  33,  1  ff.  Ovid.  a.  am.  I 
77  f.;  amor.  I  8,  74.  II  18,  7  ff.;  ex  Ponto 
I  1,  87  f.  51  ff). 

')  Ein  Verzeichnis  römischer  Isiskapellen 
bei  GiLBBBT,  Topogr.  m  112,  1. 


294 


Bellgion  und  Kultas  der  BOmer.    n.  Gdtterlehre. 


einem  wirklichen  Tempel  der  Isis  oder  ihrer  Genossen  ist  unter  den  ersten 
Kaisern  noch  nirgends  die  Rede^  —  hat  man  sich  wahrscheinlich  über 
die  Verordnung,  die  sie  von  der  inneren  Stadt  ausschloss,  vielfach  hinweg- 
gesetzt: wenigstens  bestand  das  im  J.  696  =  58  kassierte  Heiligtum  auf 
dem  Capitol  (oben  S.  298  Anm.  1)  am  Ende  der  Regierung  des  Nero  wieder 
ungestört.*)  Selbstverständlich  aber  musste  die  gesetzliche  Beschränkung 
innegehalten  werden,  als  man  der  Isis  den  ersten  Staatstempel  erbaute:') 
dieser  stand  ausserhalb  des  Pomeriums  auf  dem  Marsfelde,  weshalb  auch 
die  Göttin  de  templi  situ  sumpto  nomine  als  7^  Campensis  bezeichnet  wurde 
(Apul.  met.  XI  26).  Das  Gründungsjahr  ist  nicht  überliefert,  erwähnt  wird 
das  Heiligtum  zum  erstenmale  beim  Triumphe  des  Yespasian  und  Titus 
im  J.  71,  wo  die  beiden  Fürsten  die  Nacht  vor  ihrem  Einzüge  in  die  Stadt 
in  ihm  zubringen;^)  ein  sicherer  Terminus  post  quem  ergibt  sich  jeden- 
falls aus  dem  gewaltsamen  Vorgehen  des  Tiberius  gegen  die  saera  Aegyptia 
im  J.  19,  ein  Terminus  ante  quem  aus  den  Worten  des  im  J.  65  ge- 
storbenen Lucan  VIII  881  ff.:  no8  in  templa  tuam  Romana  accepimus  Isim 
semideosque  canes  et  sistra  iubentia  luctu8  et  quem  tu  plangens  hominem 
testaris  Osirim.^)  Eine  Bestätigung  und  genauere  Bestimmung  dieses  An- 
satzes liefert  die  Geschichte  der  Isisfeste,  insbesondere  desjenigen,  auf  das 
Lucan  anspielt,  der  jährlichen  Trauerfeier  um  den  Tod  des  Osiris  (s.  unten). 
Während  nämlich  der  Kalender  des  Philocalus  die  Tage  vom  28.  Oktober 
bis  1.  November  als  Isia  bezeichnet  und  dem  letzten  Tage  noch  die  Be- 
merkung hinzufügt  ex  se  nato  (das  ist  Osiris)  c{ircenses)  m(i88us)  XXIV, 
notieren  die  sicher  noch  dem  ersten  Jahrhundert  der  Eaiserzeit  angehörigen 
Menologia  rustica  ein  Fest  Heuresis^)  im  November,  und  zwar  nach  dem 
levis  epulum  des  18.  November;  dass  es  sich  in  beiden  Fällen  um  das 
gleiche  Hauptfest  der  Isis  handelt,  unterliegt  keinem  Zweifel,  die  Ver- 
schiedenheit der  Ansetzung  aber  hat  Mommsen  (CIL  P  p.  833  f.)  in  ebenso 


^)  Man  beachte  die  Nomenclatur:  <id 
Sarapm  Gatnll.  10,  26;  ad  Isim  Ovid.  am. 

II  2,  25;   templa  laidia  Ovid.  a.  a.  I  77. 

III  464;  Isidia  aede  Ovid.  trist.  11  297,  später 
Javen.  6,  489  sacraria,  9,  22  fana. 

')  Dies  zeigt  die  ErzAhlung  von  Demi- 
tians  Flucht  im  J.  69,  der  sich  beim  Sturme 
der  Vitellianer  auf  das  Capitol  rettet  IHaci 
celatua  hahüu  mterque  sacrificulos  vanae 
superstitionis  (Snet.  Dom.  1.  Tac.  bist.  III 74; 
eine  ganz  ähnliobe  ErzAhlnng  von  der  Flucht 
eines  im  J.  711  =  43  proscribierten  Aedilen 
M.  Volusius  bei  Val.  Max.  YII  3,  8.  App. 
b.  c.  lY  47).  Auf  dasselbe  Heiligtum  be- 
zieht sich  jedenfalls  auch  Schol.  Veron.  zu 
Verg.  Aen.  11  714  <m  Capüolu»  po{8t)  aedem 
Opie  ara  est  Isidis  deaertae,  Priester  der 
Isis  Capäolina  aus  republikanischer  Zeit 
CIL  VI  2247  f. 

*)  Diese  Periode  extrapomerialen  Staats- 
kultes  vor  der  Oefinung  der  Pomeriums- 
schranke  durch  Caracalla  habe  ich  früher 
▼erkannt  und  darum  oben  S.  78  f.  die  Re- 
ception  des  Isisdienstes  beträchtlich  zu  spät 


angesetzt 

«)  Joseph,  bell.  Jud.  VII  123  (auch  f&r 
die  Lage  des  Tempels  wichtig,  ebenso  wie 
Juven.  6,  528.  Mart.  II 14,  7).  Der  Tempel 
wird  im  J.  80  durch  Feuer  zerstört  (Caas. 
Dio  LXVI  24,  2)  und  von  Domitian  wieder- 
hergestellt (Eutrop.  VII  23,  5  =  Hieron. 
chron.  ad  a.  Abr.  2105.  Moxksen,  Chron. 
min.  I  146),  später  von  Alezander  Severos 
neu  ausgestattet  (Hist.  aug.  Alex.  26,  8)  und 
Yon  Diocletian  und  Maximian  restauriert 
(MoMXSBN  a.  a.  0.  148).  üeber  erhaltene 
Reste  vgl.  LAKOiAia,  Bull.  arch.  com.  XI 
1883,  33  ff. 

^)  Vgl.  auch  TertuU.  apol.  6.  Minne. 
Fei.  22,  2  und  namentlich  Cass.  Dio  XL  47,  4: 
ov  yoQ  <fi7  xot^s  ^sot^g  tovrovg  inl  noXif  iv6- 
fxiaay,  xal  ote  ye  xai  i(6ylxtj<rsy  ägte  xat 
drjfiwriq  avtovg  aißBcBtn,  l|a>  tov  n<ofitj^iov 
atpag  ÜQvcayxo, 

*)  Auch  auf  der  Inschrift  eines  sacierdos) 
piüblicus)  deae  Isidis  et  Serapidis  von 
Acerrae  (CIL  X  3759)  findet  sieh  Heuresi 
als  Ueberschrift. 


E.  Saora  peregrina.    67.  Isis  und  die  Götter  Aegyptens. 


295 


Bcharfsinniger  wie  überzeugender  Weise  damit  erklärt,  dass  man  den  im 
ägyptischen  Kalender  auf  den  19.  Athyr  fallenden  Festtag  der  Auffindung 
des  Osiris  (Plut.  de  Is.  et  Osir.  39)  bald  als  Datum  des  ägyptischen  Wan- 
deljahres bald  als  solches  des  festen  alexandrinischen  Gemeinjahres  auf- 
fasste  und  demgemäss  in  das  julianische  Jahr  übertrug:  im  letzteren  Falle 
entspricht  der  19.  Athyr  dem  15.  November,  also  dem  Datum  der  Bauern- 
kalender, im  ersteren  muss  angenommen  werden,  dass  man  dasjenige 
Datum  des  julianischen  Jahres,  mit  dem  zufällig  im  Jahre  der  Reception 
des  Festes  der  19.  Athyr  des  ägyptischen  Wandeljahres  zusammenfiel,  füi* 
alle  Zeiten  festhielt,  und  es  ist  daher  für  die  Ermittlung  der  Zeit  der 
Reception  entscheidend,  in  welchen  Jahren  der  19.  Athyr  auf  Julian. 
31.  Oktober^)  fiel:  dies  ist  der  Fall  in  den  Jahren  36—39  n.  Chr.,  d.  h. 
am  Ende  der  Regierung  des  Tiberius  und  am  Anfange  der  des  Caligula, 
und  letztgenannter  Kaiser  wird  als  derjenige  anzusehen  sein,  der  in  Oppo- 
sition gegen  das  Verhalten  seines  Vorgängers  die  staatliche  Anerkennung 
des  Isisdienstes  vollzog;  man  kann  dafür  auch  anführen,  dass  bereits 
Seneca  (apocol.  13)  den  bei  der  Auffindung  des  Osiris  üblichen  Jubelruf 
€VQrjxafA€v  avyxcciQOfiev^)  als  etwas  allgemein  Bekanntes  verwendet.  Der 
Verlauf  des  Festes  wird  uns  (freilich  erst  von  späteren  Gewährsmännern) 
häufig  geschildert:^)  Isis  sucht  unter  lautem  Wehklagen  und  den  heftigsten 
Äusserungen  des  Schmerzes,  an  denen  sich  die  ganze  Schaar  der  Priester 
und  Gläubigen  beteiligt,  mit  Hilfe  von  Nephthys  und  Anubis  die  Leiche 
des  von  Typhon  getöteten  und  zerstückelten  Osiris-Serapis,  bis  nach  Auf- 
findung und  Neubelebung  des  wieder  zusammengesetzten  Körpers  die 
Trauer  in  ebenso  lauten  und  ausgelassenen  Jubel  umschlägt;  dieser  Freu- 
denstimmung sind  die  drei  auf  den  Tag  der  Heuresis  folgenden  Tage 
(1. — 3.  November)  gewidmet,^)  von  denen  der  letzte,  wie  der  entsprechende 
Tag  im  Frühlingsfeste  der  Grossen  Mutter  (s.  oben  S.  266),  den  Namen 
Hüaria  führt,  während  der  vorletzte,  vielleicht  nach  einem  von  3x9  ==27 
Beteiligten^)  gesungenen  Chore,  als  Ter  novena  bezeichnet  ist.  Wahr- 
scheinlich gleichzeitig  mit  diesem  Hauptfeste  haben  die  Römer  auch  ein 
Frühlingsfest  der  Isis  aufgenommen,  welches  die  Göttin  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  Beherrscherin  des  Meeres  und  Beschützerin  der  Seefahrer^) 
feiert:  es  ist  dies  das  ebenfalls  bereits  im  Bauernkalender  verzeichnete 


*)  Man  wird  besser  diesen  Tag  als  den 
1.  November  fttr  den  Tag  der  Heuresis  hal- 
ten, da  das  Fest  nach  Plutarch  a.  a.  0.  ein 
viertägiges  war  und  die  römischen  Isia  am 
28.  Oktober  beginnen;  die  Circusspiele  am 
1.  November  sind  wahrscheinlich  ebenso  eine 
Erweiterung  der  ursprünglichen  Feier,  wie 
die  bei  Philocalus  am  2.  und  8.  November 
verzeichneten  weiteren  Festtage  (s.  unten). 

')  Juven.  8,  29  m.  Schol.  Firm.  Mat. 
err.  prof.  rel.  2,  9 ;  vgl.  übrigens  auch  Seneca 
bei  August,  c.  d.  VI  10. 

')  Am  ausführlichsten  Minuc.  Fei.  22,  1 
und  namentlich  Firmic.  Mat.  a.  a.  0.  2,  1—8; 
vgl.  auch  Tert.  adv.  Marc.  I  13.  Lact.  inst. 
I  21,  20.     Carm.   c.  pagan.  98  ff.    Paulin. 


Nol.  c.  19,  110  ff.  82, 116  ff.  Prud.  c.  Sjmm. 
I  629  f.  Serv.  Aen.  IV  609.  VI  154;  Georg. 
I  166.    Rutil.  Namat.  I  375  f.  u.  a. 

*)  Lyd.  de  mens.  frg.  Caseol.  p.  118  Bekk.  : 
tß  nqo  t€C<fd^tay  xai  rgitay  vtaymy  NoBfißQiwy 
(=  2.  8.  Nov.)  iy  r^  yaiS  r^t  taidog  ifvfA" 
nigatXfAa  tioy  ioQtdiy, 

')  üeber  die  Bedeutung  dieser  Zahl  im 
Kultus  8.  DiBLS,  Sibyllin.  Blätter  8.  42  f. 

•)  TibuU.  I  3,  27  ff.  Juven.  12,  24  ff. 
Stat.  silv.  III  2,  101  ff.  Lucian.  dial.  deor.  4; 
diJier  Pelagia  genannt  (aedituus  ab  Isim 
Pelagiam  CIL  VI  8707,  vgl.  Paus.  II  4,  6. 
Inscr.  graec.  insul.  maris  Aeg.  n  118)  und 
als  Erfinderin  des  Segels  gefeiert  (Hygin. 
fab.  277.    Casaiod.  var.  V  17,  4). 


296 


ion  und  Knltiui  der  BOmer.    IL  GUltterlelire« 


Isidis  navigium^)  am  5.  März,  eine  Feier  zur  Wiedereröffnung  der  von 
November  bis  März  geschlossenen  (Veget.  de  re  mil.  IV  89)  Seefahrt, 
wobei  ein  kostbar  ausgestattetes  und  mit  Spezereien  angefülltes  Schiff  ins 
Meer  hinausgestossen  wurde.  So  wenigstens  schildert  Apulejus  (met.  XI 
8 — 17,  vgl.  5)  diese  Feier  in  Eenchreai;  wenn  ihr  die  römische  entsprach, 
müssen  wir  sie  uns,  etwa  in  der  Art  wie  das  ostiensische  Fest  der  Castores 
(s.  oben  S.  219),  als  an  der  Tibermündung  begangen  vorstellen,  wo  ja 
sowohl  in  Ostia  wie  in  Portus  der  Kult  von  Isis  und  Serapis  eine  sehr 
bedeutsame  Stellung  einnahm.')  Ausserdem  notieren  die  Menologia  rustica 
noch  zwei  ägyptische  Feste,  beide  im  April,  das  sacrum  Phariae^)  und  die 
Sarapia,  letztere  nach  dem  Kalender  des  Philocalus  auf  den  25.  April 
fallend,  ersteres  also  früher  anzusetzen ;  sonst  werden  diese  Feiern  nirgends 
erwähnt,  wahrscheinlich  stand  eine  von  ihnen,  wenn  nicht  beide,  mit  dem 
Stiftungstage  des  Iseum  Campense  in  Verbindung.  Ein  weiteres  Fest, 
Pdusia  am  20.  März,  kennen  erst  Philocalus  und  Lydus  (de  mens.  IV  40) 
nach  dem  es  eine  von  den  Römern  übernommene  Feier  der  ägyptischen 
Nilschwelle  gewesen  wäre.*) 

Somit  befand  sich  der  Isiskult  als  Staatsgottesdienst  in  einer  ähn- 
lichen Rechtsstellung,  wie  sie  die  griechischen  Kulte  vor  dem  J.  537  =  217 
eingenommen  hatten  (s.  oben  S.  55).  Das  wurde  anders,  als  Caracalla 
die  Beschränkung  der  sacra  Äegyptia  auf  die  extrapomeriale  Zone  aufhob 
und  seinen  prächtigen  Serapistempel  auf  dem  Quirinal  erbaute,^)  vielleicht 
auch  das  Iseum  et  Serapeum  auf  dem  Caelius,  welches  der  dritten  Region 
ihren  Namen  gegeben  hat:^)  erst  jetzt  standen  diese  Fremdkulte  den 
altrömischen  Gottesdiensten  völlig  gleich,  und  man  konnte  darum  Caracalla 
mit  Fug  und  Recht  als  denjenigen  bezeichnen,  der  sacra  Isidis  Romam 
deportavit,  so  anstössig  auch  diese  Behauptung  angesichts  des  notorischen 
jahrhundertelangen  früheren  Bestehens  römischen  Isisdienstes  dem  Bio- 
graphen des  Kaisers  erschien. 7)  Seitdem  steht  der  Isiskult  durchaus  im 
Vordergrunde  des  religiösen  Lebens  in  Rom  und  Italien,  und  welche  Herr- 
schaft er  über  die  Gemüter  ausübte,  zeigt  nicht  nur  das  Hohelied  von  der 


*)  Lact.  inst.  1 11,  21.  Auson.  de  fer.  24 
p.  105  Peip.  Glandian.  carm.  min.  app.  11 
p.  409  Birt;  der  griechische  Name  ist  UXoia- 
fpiüha^  Lyd.  de  mens.  IV  32.  Apul.  met. 
XI  17,  vgl.  MoMMSKf,  CIL  P  p.  311. 

>)  G.  Gatti,  Bull.  arch.  com.  XIV  1886, 
178  ff.  Dbssau,  CIL  XIV  p.  18;  über  das 
angesehene  CoUeginm  der  yetaxoQoi  des  Sera- 

Sistempels  zn  Portus  (Eaibel,  Inscr.  graec. 
icil.  Ital.  nr.  914-921.  1030.  1102—1104. 
CIL  XIV  188)  vgl.  Dessau,  Bull.  d.  Inst. 
1882,  152  ff. 

")  Phdiria  als  Beiname  der  Isis  häufig, 
z.  B.  Tertull.  ad  nat.  II  8.  Minuc.  Fei.  21,  1. 
Carm.  c.  pagan.  99.  Inscr.  graec.  Sicil.  Ital. 
nr.  1005.    Bokhbl,  D.  N.  VIII  140. 

*)  Die  Worte  Hist.  aug.  M.  Aurel.  23,  8 
lavacra  mixta  summovit;  mores  matronarum 
eomposuit  diffluentes  et  iuvenum  nobüium; 
Sacra  Serapidis  a  vulgaritate  Pelusiae  sum- 


movü  kann  ich  auch  nach  den  Bemerkungen 
MoMMSBirs,  CIL  P  p.  313  nicht  voll  ver- 
stehen. 

»)  CIL  VI  570.  573.  Inscr.  graec.  Sicil. 
Ital.  nr.  1024.  Hülsen,  Rhein.  Mus.  XLIX 
1894,  894  ff. 

^)  Hist.  aug.  trig.  tyr.  25,  4.  Notiz,  d. 
scavi  1888,  626.  Visookti,  Bull.  arch.  com. 
XV  1887,  132  ff. 

')  Hist.  aug.  Carac.  9, 10 f.:  Sacra  Isidos 
Romam  deportavit  (vgl.  Aur.  Vict.  Caes. 
21,  4)  et  templa  übique  magnifica  eidem  decte 
fecit  , , ,  in  quo  quidem  mihi  mirum  videtur, 
quemadmodum  sacra  Isidis  primum  per  hunc 
Romam  venisse  dicantttr,  cum  Äntoninus 
Commodus  ita  ea  celebraverit,  ut  et  Änubin 
portaret  et  pausas  ederet  (vgl.  Commod.  9,  4; 
Pescenn.  Nig.  6,  9);  nisi  forte  iste  addidü 
ceUbritaii,  non  eam  primus  invexit;  vgl. 
GiLBEET,  Topogr.  III  111,  3. 


B.  Baora  peregrina.    67.  Isis  und  die  Götter  Aegyptena. 


297 


Allmacht  und  Güte  der  Isis,  das  Apulejus  im  11.  Buche  seiner  Metamorphosen 
angestimmt  hat,  sondern  vielleicht  mit  noch  grösserer  Deutlichkeit  die  Heftig- 
keit und  Erbitterung  der  christlichen  Polemik  gerade  gegen  diesen  Gottes- 
dienst (s.  oben  S.  84).  Auf  die  schaulustige  Menge  musste  schon  der  bei 
den  öffentlichen  Festen  der  Göttin  hervortretende  fremdartige  Prunk  einen 
tiefen  Eindruck  machen,^)  die  Prozession  der  Gläubigen  und  Priester  mit 
ihren  weissen  Linnengewändern ^)  und  ihren  kahlgeschorenen  Köpfen,^)  die 
reizvolle  Musik  und  das  geheimnisvolle  Klappern  des  Sistrum,^)  das  Ein- 
hei*tragen  wundersam  gestalteter  Symbole  und  Instrumente,^)  endlich  der 
Aufzug  der  von  Priestern  dargestellten  tiergestaltigen  Götter  selbst,  ins- 
besondere des  hundsköpfigen  Anubis  und  der  heiligen  Isiskuh.^)  Aber 
viel  stärker  war  die  intimere  Wirkung  des  inneren  Isisdienstes  und  seiner 
Mysterien  auf  das  ganze  Denken  und  Fühlen  der  Gläubigen,  dessen  er 
sich  mit  einer  den  altrömischen  Kulten  fernliegenden  Ausschliesslichkeit 
bemächtigte:  Isis  die  Königin,^)  die  Trägerin  zahlloser  Namen, ^)  die  aller 
andern  Götter  Eigenschaften  und  Machtbefugnisse  in  sich  zu  vereinigen 
behauptet  (s.  oben  S.  81),  verlangt  von  ihren  Anhängern  die  Beobachtung 
eines  komplicierten  Rituals  und  zahlreicher  symbolischer  Gebräuche,^) 
Fasten^<>)  und  geschlechtliche  Enthaltsamkeit, ^i)  namentlich  auch  das  Be- 
stehen mehrfach  sich  wiederholender  Prüfungen,  auf  Grund  deren  der 
Neophyte   stufenweise   in    die   Geheimnisse  der  Göttin   eingeführt  wird: 


')  Eingehende  SchUdernng  der  Festpro- 
zeseion  des  Navigium  Isidis  bei  Apal.  met. 

XI  8—11,  Tgl.  auch  Claudian.  de  IV  cons. 
Hon.  570  ff.  Eine  wichtige,  noch  keines- 
wegs hinreichend  ausgebeutete  Quelle  bieten 
hier  die  Bildwerke,  uamentlich  Bilder  aus 
Pompeji  und  Herculanum  (Helbig,  Wandgem. 
nr.  1  ff.  1094  ff.  Sooliano,  Pitture  murali 
nr.  487  ff.)  und  zahlreiche  Statuen  und  Re- 
liefs; vgl.  Lafaye,  Gülte  des  divinit^s  d'Ale- 
zandrie  p.  235  ff. 

«)  Ovid.  met.  1 747.  Juven.6,533.  Mart. 

XII  29,  19.  Suet.  Otho  12.  Apul.  a.  a.  0.  10. 
Claudian.  a.  a.  0.  573  u.  a. 

*)  Juven.  Mart.  aa.  00.  Apul.  met.  II 
28.  XI  10.  28.  30.  Minuc.  Fei.  22,  1.  Garm. 
c.  pagan.  98.  Ambros.  epist.  58,  3  (Mionb, 
Patrol.  lat.  XVI  1179).  Hieron.  in  Ezech. 
Xni  44  (MiGNB  XXV  437)  u.  a. 

*)  Apul.  met.  XI  9.  In  Rom  gibt  es 
eine  Ugd  ra^ig  ttoy  naiaytfftwy  xov  iy  'Pvififi 
J^og  HXLov  fxsydXov  lagdrudog  xal  &€(oy  Is^ 
ßaoTtoy  (Inscr.  graec.  Sicil.  Ital.  nr.  1084, 
vgl.  1059).  üeber  das  Klapperblech  (aeungoy) 
s.  Plut.  de  Is.  et  Osir.  63  und  dazu  Pabthby 
8.  256. 

')  Bei  Apul.  met.  XI  10  f.  eine  Lampe 
in  Schiffsform,  Altftre  {auonlia  vgl.  GIL  XI 
816),  Siegespalme,  Caduceus,  eine  geOffhete 
linke  Hand  als  Symbol  der  Gerechtigkeit, 
eiu  Goldgefftss  zur  Libation  in  Gestalt  einer 
weiblichen  Brust,  eine  goldne  Wanne  mit 
Lorbeerzweigen  u.  a.  m.  Interessant  sind 
auch  die  beiden  Inventare  grösserer  Schen- 


kungen von  Ger&tschaften  und  Schmuck- 
sachen an  die  Tempel  der  Isis  und  Bubastis 
zu  Nemi  (GIL  XIV  2215)  und  der  Isis  pud- 
(laris)  zu  Acci  in  Spanien  (GIL  H  3386);  vgl. 
W.  Henzbn,  Hermes  VI  8  ff. 

')  Apul.  a.  a.  0.  11. 

')  Isis  Begina  z.  B.  GIL  VI  354.  IX  1 153. 
XI 1577  ff.  XIV  352.  Ephem.  epigr.  IV  875. 
VII  1194;  ebenso  victrix  z.  B.  GIL  VI  352  f. 
IX  3144.  5179.  XI  695,  triumphdlis  GIL 
VI  355. 

^)  üeber  Isis  myrianyma  s.  Dbbxlbb, 
Mythol.  Beitr.  I  125  ff 

*)  z.  B.  Besprengung  mit  Nilwasser  (Ju- 
ven. 6,  528.  Serv.  Aen.  II  116.  Firm.  Mat. 
err.  prof.  rel.  2, 5),  Ritualbücher  in  geheimnis- 
voller Hieroglyphenschrift  (Apul.  a.  a.  0.  22), 
Gewänder  mit  eingestickten  Gestalten  wun- 
derbarer Tiere  (ebd.  24),  strenge  Auswahl 
der  Opfertiere  (die  Gans  beliebt,  Ovid.  fast. 
I  454;  das  Schaf  ausgeschlossen,  Schol. 
Veron.  zu  Verg.  Aen.  II  714)  u.  a. 

'^)  Fasten  sind  in  doppelter  Art  bezeugt, 
einerseits  als  Enthaltung  von  Fleisch  und 
Wein  (Apul.  a.  a.  0.  23.  28.  30),  andrerseits 
als  temperatus  ab  alimonio  panis  (Amob. 
V  16.  Tertull.  de  ieiun.  16.  Hieron.  epist. 
107,  10;  contra  Jovin.  II  5  =  Mjonb  XXII 
876.  XXIII  291). 

i»)  Ueber  die  puri  Isidos  dies  (Prop.  V 
5,  34)  klagen  die  Verliebten  häufig,  Tib.  I 
3,  26.  Prop.  III  33,  1  ff.  Ovid.  am.  I  8,  74. 
III  9,  34. 


298 


Religion  und  Knltn«  der  B5mer.    TL  MUerlehre. 


aber  dafür  schützt  sie  ihre  Anhänger  nicht  nur  in  allen  Nöten  und  Fähr- 
nissen des  Lebens,  sondern  sichert  ihnen  auch  nach  ihrem  Tode  ein  Fort- 
leben in  einem  glücklichen  Jenseits,  wo  sie  fortfahren,  ihrer  Göttin  an- 
betend zu  dienen.^)  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  wir  von  der 
Art  der  Weihen  (tdetae)  und  der  Geheimlehren  im  einzelnen  nichts  er- 
fahren, Apulejus  (met.  XI  28)  begnügt  sich  mit  der  Andeutung:  accessi 
confinium  mortis  et  calcaJto  Proserpinae  limine  per  omnia  vectus  eUmenta 
remeavi;  node  media  vidi  solem  candido  coruscantem  lumine;  deos  inferos  et 
deo8  superos  accessi  coram  et  adoravi  de  proxumo.  Die  über  das  ganze 
Reich,  wenn  auch  nicht  überall  in  gleicher  Häufigkeit,  verbreiteten')  Ge- 
meinden der  Isisverehrer')  stehen  unter  sich  derart  in  Verbindung,  dass  der 
Gläubige  die  höheren  Grade  der  Weihung  auch  in  einer  andern  Gemeinde 
als  in  der,  in  die  er  zuerst  eingetreten  ist,  erreichen  kann,  es  scheint 
sogar,  als  habe  in  Rom  eine  Art  von  Centralleitung  bestanden.^)  Nach  Apu- 
lejus gab  es  drei  Grade,  von  denen  der  erste  speziell  der  Isis,  der  zweite 
auch  dem  Osiris  galt,')  der  dritte  wohl  die  Aufnahme  unter  die  eigentliche 
Priesterschaft  in  sich  schloss;  der  Held  des  Apulejus  geniesst  den  Vorzug, 
nach  Erlangung  der  dritten  Weihen  sogleich  in  das  C!oIlegium  der  Pasto- 
phori  (und  zwar  als  Vorstandsmitglied,  inter  ipsos  decurionum  quinquennales, 
met.  XI  30)  einzutreten,  d.  h.  diejenigen,  die  das  Ehrenrecht  besitzen,  bei 
den  Processionen  die  kleinen  Kapellchen  mit  den  Bildern  und  Symbolen 
der  Götter  tragen  zu  dürfen;')  eine  ähnliche  Vorzugsstellung  muss  die 
der  Anubiaci'')  und  Bubastiacae^)  gewesen  sein,  die  bei  denselben  Anlässen 
im  Kostüme  der  Gottheiten  Anubis  und  Bubastis  erschienen.  An  der  Spitze 
der  zahlreichen  Priesterschaft')  scheint  ein  profäa^^)  gestanden  zu  haben, 


*).  Apnl.  met  XI  6:  vives  atUem  heattts, 
vives  in  mea  tuiela  gloriosus,  et  cum  apa- 
Hum  saecfüi  tui  permenstM  ad  inferos  de- 
mearis,  tbi  quoque  m  ipso  subterraneo  semi- 
nUundo  me  qtiam  vides  ÄcTierontis  tenehris 
interlucentem  Stygiisqite  penetralibiM  re- 
gnantem  campos  Elysioa  incolens  ipse  iihi 
propüiam  frequens  adorahis.  quodsi  sedtUis 
ohsequiia  et  religiosis  ministeriis  et  teneuiünts 
ceutimaniis  numen  nostrttm  promerueris,  scies 
ultra  statuta  fato  tao  spa^  vitam  quoque 
tibi  prorogare  mihi  tantum  licere. 

')  üebersicht  bei  Dbbxler  in  Rosohbbs 
Myihol.  Lexik.  II  373  ff. 

')  CoUegia  Isidis  CIL  III  882.  VI  355. 
IX  3338;  cultores  X  5049,  corporati  VI  349, 
telestini  XI  574;  sodalicium  vemarum  co- 
lentes  Isidem  II  3730;  Isiaci  CIL  IV  787. 
1011.  XIV  18.  302.  348.  352.  Eph.  epigr. 
VII 1194  {Istaca  VI  1780)  nnd  oft  bei  Schrift- 
stellern, z.  B.  Val.  Max.  VTI  3,  8.  Plin.  n.  h. 
XXVII  58.  Säet.  Dom.  1.  Hisi  aug.  Com- 
med.  9,  6.  Minuc.  Fei.  22,  1.  Fa.  Cypr. 
carin.  ad  senat.  25. 

^)  In  Mutina  nennt  sich  M.  Aemilius 
Phoebns  8<i€rorum  (Isidis)  ab  Roma,  CIL 
XI  819. 

")   Wir  kennen   ftkr   die  Eingeweihten 


die  Namen  scu^orum  Isidis  (MSnner  CIL  Vi 
2244.  XI819,8acronimctt;^orV7682;  Frauen 
VT  2245.  XI  579,  bloss  sacrorum  ohne  Isidis 

VI  2279-2282.  X  1.  XII  263)  ond  pater  sor 
crorum  (CIL  VI  2278  f.,  bloss  pater  III  882; 
naxfJQ  trjg  nQoyay^ufjifüvfi^  rdiemg,  nftmlich 
reSy  naiavicttHy  [s.  oben  S.297  Anm.4]  Inscr. 
gr.  Sic.  Ital.  1084)  bezw.  mater  $acrorum 
(Obblli  2313),  letztere  Bezeichnangen  wohl 
den  Eingeweihten  des  zweiten  Grades  vor- 
behalten. 

•)  Apul.  a.  a.  0.  17.  27.  30.  CIL  V  2806. 
7468.  XII  714,  10.  11.  Eph.  epigr.  IV  874; 
vgl.  Diod.  I  29.  4.  Clem.  Alex.  paed.  III  2,  4 
p.  93  S.;  Strom.  VI  4,  37  p.  269  S. 

')  CIL  XII  3043.  XIV  352.    Eph.  epigr. 

VII  1194;  anuboforus  XII  1919;  vgL  Hist. 
aug.  Comm.  9,  4.  6;  Peso.  Nig.  6,  9;  Carac. 
9,  11.    App.  b.  c.  IV  47. 

«)  CIL  VI  3880.  XIV  21  add. ;  vgl  VI 
2249. 

^)  Sacerdotes  Isidis  m&nnlichen  Ge- 
schlechts sind  auf  Inschriften  sehr  hftufig, 
weibliche  z.  B.  CIL  VI  512.  2246.  IX  1153. 
XII  3224  add. 

'«)  CIL  VI  846.  XII  410  add.  Insor.  gr. 
Sic.  Ital.  961.  1032.  1084.  Apul.  met  U  28 
propheta  primarius. 


B.  Baora  peregrina.    68.  Die  ayriaohen  Gottheiten. 


299 


der  wahrscheinlich  mit  dem  bei  Apniejus  wiederholt  erwähnten  Ober- 
priester^)  identisch  ist;  ein  anderer  Priester  von  hohem  Range  war  der 
Grammateus,')  während  unter  dem  sonstigen  Eultpersonale')  namentlich 
die  pausarii  Erwähnung  verdienen,  die  ihren  Namen  von  den  Stationen 
(pausae)  der  Isisprozessionen  führen.^) 

Im  innem  wie  im  äussern  Gottesdienste  sind,  wie  es  scheint,  mit 
Isis  stets  Serapis  sowie  die  übrigen  ^eol  avvvaoi  xal  avfißafioi^^)  Anubis 
Harpokrates  Bubastis  Eanopos^)  u.  a.,  vereinigt  gewesen,  und  es  hängt 
von  nicht  mehr  feststeilbaren  Elementen  in  der  Gründungsgeschichte  des 
einzelnen  Heiligtums  ab,  ob  in  seiner  Bestimmung  die  eine  oder  die  andere 
Gottheit  in  den  Vordergrund  tritt.'')  Von  sonstigen  Kulten  ist  zunächst 
der  des  Antinous  mit  den  sacra  Aegyptia  in  Verbindung  getreten,^)  später 
vereinigt  sich  das  Priestertum  der  Isis  zuweilen  mit  dem  der  Grossen 
Mutter,^)  auch  dem  der  Dea  Suria;^<>)  als  schicksalsmächtige  Gottheit  endlich 
wird  Isis  auch  gern  mit  Tyche-Fortuna  zusammengebracht^^)  und  sogar  in 
kombinierter  Namensform  als  Isityche^')  verehrt. 

Litteratnr:  G.  Rxiohbl,  De  Isidia  apud  Romanos  caltn,  Berlin  1849.  Pbbllbb- 
JoBDAN,  Rom.  Mythol.  II  773  ff.  6.  Lafatb,  Qistoire  du  culte  des  divinum  d'Alezandrie 
S^rapis  Isis  Harpocrate  et  Anabis  hors  de  TEgypte  (Bibl.  des  ^coles  fran9.  d'Ath^nes  et 
de  Reme  fasc.  33),  Paris  1884.  A.  Pabisotti,  S^dj  e  Documenti  di  Storia  e  Diritto  IX 
1888,  43  ff.  üeberreiche  Materialsammlung  ohne  Sichtung  and  Ordnung  bei  W.  Dbbxlbb, 
Mythologische  BeitrAge  I:  Der  Gultus  der  aegyptischen  Gottheiten  in  den  Donauländem, 
Leipz.  1890  und  in  Rosobbbs  Mythol.  Lexik.  II  373-548. 

58.  Die  syrischen  Gottheiten.  Sehr  viel  langsamer  und  allmäliger 
als  das  Eindringen  der  um  Isis  sich  gruppierenden  ägyptischen  Religions- 
vorstellungen hat  sich  die  Aufnahme  der  Gottheiten  Syriens  in  Rom  voll- 


*)  Summus  saeerdos  Apnl.  a.  a.  0.  16.  20, 
saceräoB  mcuDiiMM  ebd.  17,  primofirvaa  21, 
prctecipuus  22. 

«)  Apul.  a.  a.  0. 17;  Porph.  de  abst  IV  8 
stellt  die  liQOfptjtaty  legoaroXiöTal  und  Ugo- 
ygofAuatkig  als  höhere  Qattnng  dem  Xomoy 
reSv  leQiiüy  re  »ai  naaxotfoQtoy  xal  ysuxoQUfy 
n^^og  gegenüber. 

*)  Fanaticus  ab  Isis  Serapia  CIL  VI 
2234,  Isidis  scoparius  in  Syrakus  X  7129, 
megdloforus  Eph.  epigr.  IV  875,  aeditui  VI 
845.  8707;  eine  Anzahl  griechischer  Titel 
Inscr.  gr.  Sic.  Ital.  914. 

*)  Bist.  aug.  Peso.  Nig.  6,  9:  quibus 
Cammodua  adeo  deditus  fuit,  ut  et  caput 
räderet  et  Änulnm  portaret  et  omnis  pausas 
expleret  (et  pausas  ederet  Carac.  9,  11).  CIL 
VI  348:  pro  salute  domus  augustae  et  cor- 
pore pausariorum  et  argentariorum  Isidi 
et  Osiridi  manstonem  aedificavimus,  XII  734 
ein  pausarius  Isidis. 

*)  CI6  2230  laidi  Ugamdi  'Jyovß^di 
'A^oxqoxu  &€oTi  avyvdoig  xal  avyßtSfioigj  vgl. 
1800.  Aehnliche  Zusammenstellnngen  z.  B. 
auch  bei  Ovid.  am.  II  13,  7 ff.;  met.  IX  687 ff. 

^)  Osiris  kommt  in  Weihinschriften  aus 
Rom  und  Italien  nur  zusammen  mit  Isis  vor 
(CIL  VI  848.  XI  1160.  1543  f.),  ebenso  Bu- 
bastis (XIV  2215.  vgl.  VI  2249),  die  übrigen 
Gottheiten  überhaupt  nicht  (CILV  8210  ^nu6i 


aug{usto)  aus  Aquileja). 

')  Der  römische  Tempel  der  Isis  Cam- 
pensis  (oben  S.  294  Anm.  4)  heisst  vielfach 
Iseum  et  Serapeum  (z.  B.  Cass.  Dio  LXVI 
24,  2.  Eist  aug.  Alex.  Sev.  26,  8.  Eutr. 
VII  23,  5  n.  a.),  und  die  Inschriften  bieten 
massenhaft  Beispiele  gemeinsamer  Weihungen 
an  Isis  und  Serapis,  auch  gemeinsamer  Tempel 
und  Priester,  wobei  bald  die  eine  bald  die 
andere  Gottheit  voransteht  (CIL  VI  573  f. 
3709.  IX  17.  4112.  4772.  X  1.  3759.  6989. 
7514.  XIV  20. 2427.  3941);  der  Serapistempel 
in  Portus  (oben  S.  296  Anm.  2)  ist  geweiht 
Jil  'flXi(^  fĀyaX(a  lagamdi  xal  xoig  avyydoii 
S^eotg,  ebenso  der  Tempel  von  Praeneste  (CIL 
XIV  2901  =  Inscr.  gr.  Sic.  Ital.  1127). 

')  *Ayriy6(f  (rvy&goyt^  zaiy  iy  Aiyvntt^ 
&Büiy  Inscr.  gr.  Sic.  ItaL  960.  961  (Rom). 

«)  CIL  V  4007.  IX  1153.  XI  3123. 
XIV  429. 

i«")  CIL  IX  6099  (Brundisium):  sacierdos) 
Matr(is)  Magn{ae)  et  Suriae  deae  et  sa- 
cror{um)  Isidis;  vgl.  gcdlus  Diasuriaes  ab 
Isis  et  Serapis  Eph.  epigr.  IV  873. 

'*)  Apul.  met.  XI  15;  vgL  R.  Petbb  in 
RoscBEBS  Mythol.  Lexik.  I  1530  ff.  1549  ff. 

•2)  CIL  XIV  2867.  Inscr.  gr.  Sic.  Ital. 
1006.  Arch.  epigr.  Mitt.  ans  Oesterr.  II 1878, 
198  nr.  6.    Bull,  de  corr.  heU.  VI  1882,  889. 


300 


Religion  und  Kultus  der  B5mer.    ü.  Qötterlehre. 


zogen,  und  erheblich  später  erst  sind  diese  zu  staatlicher  Anerkennung 
und  einem  massgebenden  Einflüsse  durchgedrungen:  immerhin  aber  reichen 
die  Anfänge  des  Interesses  für  diese  Gottesdienste  bis  in  die  letzten  Jahr- 
zehnte der  republikanischen  Zeit  zurück,  wo  die  Einverleibung  Syriens  in 
den  römischen  Reichsverband  und  der  starke  Zustrom  von  Eaufleuten 
und  Sklaven  aus  jenen  Gegenden  die  Bekanntschaft  mit  ihnen  vermittelte. 
Der  Kult  des  Adonis  freilich,  dessen  römischen  Gottesdienst  bereits  Ovid 
(a.  a.  I  75)  kennt  und  dessen  Festfeier  später  in  der  Zeit  des  ausgehenden 
Heidentums  mehrfach  erwähnt  wird,^)  ist  wohl  kaum  direkt  aus  der  Heimat 
des  Gottes,  dem  phönizischen  Byblos,^)  nach  Rom  gekommen,  sondern  zu- 
nächst in  hellenisierter  Form,  etwa  wie  der  Dienst  der  Grossen  Mutter, 
übernommen  worden.  Aber  auch  ohne  ihn  ist  die  Reihe  rein  syrischer  Gott- 
heiten, deren  Dienst  uns  in  Rom  begegnet,  lang  genug.  Da  es  sich  überall 
um  die  unter  sich  nach  Wesen  und  Eigenschaften  wenig  verschiedenen 
Gottheiten  einzelner  Stämme  und  Städte  handelt,  so  zeigen  diese  Kulte  bei 
ihrer  Übertragung  nach  dem  Abendlande  nur  selten  charakteristische  Unter- 
schiede von  einander,  ihre  Anziehungskraft  für  den  Römer  liegt  in  dem 
ihnen  innewohnenden  monotheistischen  Zuge  und  in  dem  fremdartig  orien- 
talischen Ritual,  durch  das  sie  sich  von  den  römisch-griechischen  Gottes- 
diensten unterscheiden.  Die  enge  Verwandtschaft  dieser  Kultformen  mit 
den  bei  der  Verehrung  der  Bellona,  der  Magna  Mater  und  zum  Teil 
auch  der  Isis  üblichen  tritt  namentlich  im  Dienste  der  weiblichen  Haupt- 
gottheit des  nördlichen  Syriens  hervor,  die  mit  ihrem  heimischen  Namen 
Atargatis  heisst,^)  von  den  Römern  aber  als  Dea  Suria^)  schlechthin  »ver- 
ehrt wird;  die  Umzüge,  welche  die  verschnittenen  Bettelpriester  mit  dem 
Bilde  der  Göttin  halten,  und  ihre  verzückten  Tänze  und  Selbstverwun- 
dungen, die  schliesslich  auf  eine  Kollekte  bei  dem  schaulustigen  Publikum 
hinauslaufen,^)  gleichen  durchaus  den  analogen  Veranstaltungen  der  Galli 
und  der  Bellonarii,  wenn  sie  auch  im  Strassenleben  Roms  nie  eine  so 
grosse  Rolle  gespielt  haben  wie  jene;  dass  das  Priestertum  der  syrischen 
Göttin  zuweilen  mit  dem  der  Grossen  Mutter  und  der  Isis  in  einer  Person 
vereinigt  wird,^)  weist  ebenfalls  auf  nahe  Beziehungen  dieser  Kulte  zu 
einander  hin.  Das  in  Bambyke-Hierapolis  in  der  nordsyrischen  Land- 
schaft Kyrrhestike  gelegene  Mutterheiligtum  der  Atargatis,  7)  von  dessen 


*)  Hist.  aug.  Heliog.  7,  4  Sälamhonem 
etiam  omni  planctu  et  iadatione  Syriaci 
ctUtus  exhibuü  vgl.  mit  Etym.  M.  p.  747,  48 
laXafxßdg  ij  daififoy  . . .  ort  negiiQX^^^*^  ^9V' 
vovaa  toy  "Jdiüvty.  Firm.  Mat.  err.  prof. 
rel.  9,  1.  Paulin.  Nol.  carm.  32,  139  f.  CIL 
III  Suppl.  10392.   VIII  1211. 

«)  Strab.  XVI  755.  Luc.  dea  Syr.  6. 
Mart.  Cap.  II  192  v.  31.    Macr.  S.  I  21,  1  ff. 

')  Ätargatim  Syrorum  Tert.  ad  oat.  II  8 
m  der  Liste  von  Spezialgöttern  einzelner 
Stämme  (in  der  Parallelstelle  apol.  24  hat 
die  Gesamtüberlieferung  Syriae  Astartes,  nur 
der  Fuldensis  Syriae  Atargatis).  Im  allge- 
meinen 8.  Baudissin  in  Herzogs  Realencycl. 
f.  Protest.  Theol.  II»  171  ß. 


*)  So  CIL  VI  399.  VII  758;  Suria  dea 
IX  6099;  Diasuria  III  SuppL  10398.  Eph. 
epigr.  IV  873;  Diasura  CIL  VI  115;  Da- 
syriia)  X  1554;  Dea  Syria  VI  116.  VII  272. 

^)  Lucian.  Luc.  35  ff.  =  Apul.  met.  VIII 
24  ff. ;  über  die  Verschnittenen  in  ihrem  Dienste 
s.  Luc.  dea  Syr.  50  ff.  und  die  römische  In- 
schrift Eph.  epigr.  IV  873  gaüus  Diasitriaes 
db  Isis  et  Serapis. 

•)  CIL  IX  6099  (8.  oben  S.  299  Anm.  10); 
vgl.  Apul.  met.  VIII  25.  IX  10.  üeber  Be- 
ziehungen zwischen  den  Orgeonen  der  Grossen 
Mutter  im  Piraeus  und  dem  Dienste  der 
*A(pQodltrj  IvQia  s.  Foucaat,  Associat.  relig. 
98  ff.  196  ff.    Maass,  Orpheus  73  ff. 

')  Strab.  XVI  748.    Plin.  n.  h.  V  81  u  a. 


B.  Sacra  peregrina.    68.  Die  syriBohen  Gottheiten. 


301 


Anlage  and  Einrichtung  die  lucianische  Schrift  Ttegl  zrjg  2vQ{r]g&€ov  (c.  28  ff.) 
ein  sehr  anschauliches  Bild  entwirft,  wurde  im  J.  700  =  54  beim  syrischen 
Feldzuge  des  Crassus  von  den  Römern  geplündert  (Plut.  Grass.  17);  aber 
schon  früher  war  die  Göttin  wenigstens  in  Sicilien  nicht  unbekannt  ge- 
wesen, denn  schon  der  Führer  des  grossen  Sklavenaufstandes  von  Enna, 
ein  aus  Apameia  stammender  Sklave  Namens  Eunus,  trat  als  verzückter 
Prophet  der  Syrischen  Göttin  auf  ;^)  auch  in  den  Hafenstädten  Brundisium 
(CIL  IX  6099)  und  namentlich  Puteoli  (CIL  X  1554),  dem  Sammelpunkte 
aller  orientalischen  Gottesdienste,  wird  man  die  freilich  erst  für  spätere 
Zeit  bezeugte  Verehrung  der  Göttin  hoch  hinauf  datieren  dürfen.  Während 
ihr  im  Heere  die  aus  Syrien  stammenden  Truppenteile  Eingang  ver- 
schafften,*) gibt  über  die  Eintrittswege  ihres  Kultes  in  die  Hauptstadt  die 
Thatsache  Aufschluss,  dass  von  den  auf  den  Sklavenmarkt  bezüglichen 
Weihinschriften  CIL  VI  396—399  eine  (399)  lovi  o(j>timo)  m{aximo)  et 
Deae  Suriae  et  Oenio  venalici  gewidmet  ist;  in  dem  Sol  divinus,  der  in 
der  sonst  gleichlautenden  Weihung  nr.  398  an  Stelle  der  Dea  Suria  er- 
scheint, ist  vielleicht  der  in  Hierapolis  an  der  Seite  der  Atargatis  ver- 
ehrte Gott  zu  verstehen,  der  mit  einheimischem  Namen  Hadad  hiess  und 
von  Griechen  und  Römern  für  einen  Sonnengott  angesehen  wurde. ^)  Auf 
zwei  zusammengehörigen  römischen  Altären  (CIL  VI  116.  117),  von  denen 
der  eine  der  Dea  Syria,  der  andere  dem  l(uppiter)  o(j)timu3)  m{aximus)  ge- 
widmet ist,  ist  dasselbe  Götterpaar  gemeint,  wie  die  beigegebenen  Reliefbilder 
(die  Göttin  thronend  zwischen  zwei  Löwen,  der  Juppiter  ebenso  zwischen 
zwei  Stieren)  beweisen,  die  ganz  und  gar  der  von  Lucian  (de  dea  Syr.  31) 
gegebenen  Beschreibung  der  Statuen  im  hierapolitanischen  Heiligtume  ent- 
sprechen.*) Jene  Inschriften  vom  Sklavenmarkte  gehören  dem  ersten  Jahr- 
hundert der  Kaizerzeit  an  und  bestätigen  die  anderweitig  bezeugte  That- 
sache (Suet.  Nero  56),  dass  die  private  Verehrung  der  Göttin  schon  zur 
Zeit  des  Nero  in  Rom  bestand  und  von  Seiten  dieses  Kaisers  zeitweise 
besondere  Förderung  erfuhr,  um  dann  bei  veränderter  Laune  von  ihm 
um  so  verächtlicher  behandelt  zu  werden.  Von  einem  Staatskulte  kann 
in  dieser  Zeit  noch  keine  Rede  sein;  ob  Dea  Suria  einen  solchen  jemals 
genossen,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  ermitteln,  immerhin  hindert  nichts 
anzunehmen,  dass  ihr  für  die  Zeit  des  Alexander  Severus  bezeugter,  wahr- 
scheinlich in  Trastevere  gelegener  Tempel^)  eine  aedes  publica  war.    Die 


»)  Diod.  XXXIV  frg.  2.  Flor.  II  7,  4; 
sp&ter  besteht  eine  KultgenossenBchaft  der 
Syrischen  Göttin  in  Syrakus,  Inscr.  gr.  Sicil. 
Ital.  nr.  9. 

')  Dea  Suria  als  Schatzgottheit  der  co/t(or8) 
I  Hamior[um\  auf  dem  britannischen  Altar 
CIL  VII  758,  vgl.  V.  DoMASzEwsKi,  Westd. 
Zschr.  XIV  52.  Sonstige  Weihinschriften  aus 
den  Provinzen  CIL  VII  272  (vgl.  Inscr.  gr.  Sic. 
Ital.  2553).  III  Suppl.  7864. 10893;  in  letzterer 
Inschrift  ist  die  Göttin  verbunden  mit  Baltis 
dia  divina,  die  auch  ebd.  10964  erscheint  und 
wohl  nicht  als  eine  pannonische  Lokalgott- 
heit, sondern  als  die  osrhoenische  Göttin 
dieses  Namens  zu  verstehen  ist ;  vgl.  Cumont 


bei  Fault- WissowA,  Realencycl.  II  2842. 

»)  Macr.  S.  l  23,  17  ff.,  vgl.  I  17,  66  ff. 
Plin.  n.  h.  XXXVII  186.  Das  Paar  "-^cfacfoff 
und  'Aragyaug  begegnet  seit  dem  Ende  des 
2.  Jhdts.  n.  Chr.  häufig  auf  Dolos  (vgl.  Haü- 
vbtte-Brsmault,  Bull,  de  corr.  hell.  VI  1882, 
470  ff.),  und  wahrscheinlich  hat  demnach  der 
Gottesdienst  des  syrischen  Paares  seinen 
Weg  nach  Italien  über  die  Etappen  Hiera- 
polis—Dolos  -  Puteoli  genommen  (vgl.  oben 
S.  292). 

^)  Dieselben  Darstellungen  finden  sich 
auch  auf  Vorder-  und  Rückseite  einer  Münze 
des  Alexander  Severus,  Egkhbl,  D.  N.  III 262  f. 

')   In   dem    beim  Chronographen   vom 


302 


Beligion  und  Kultus  der  BAmer.    IL  OOUarlehre. 


in  der  gelehrten  Litteratur  vorgetragenen  Spekulationen  über  das  Wesen 
der  Göttin  und  ihre  Identität  mit  dieser  oder  jener  Gestalt  der  griechischen 
Götterwelt^)  haben  auf  die  Ausübung  ihres  Dienstes  keinen  bemerkbaren 
Einfluss  geübt,  ihren  Anhängern  ist  sie  in  universalistischer  Auffassung 
die  allmächtige  und  allschaffende  Gottheit  (pmnipotens  et  omniparens  Dea 
Syria  Apul.  met.  VIII  25),  mit  der  Göttermutter,  der  Dea  Caelestis  u.  a. 
im  letzten  Grunde  identisch.^) 

Während  bei  dem  Götterpaare  Hadad-Atargatis  der  weibliche  Teil 
unzweifelhaft  im  Vordergrunde  steht,  spielt  bei  den  übrigen  Kulten  gleicher 
Herkunft,  in  denen  in  der  Regel  auch  ein  Ba'al  mit  einer  Ba'alath  als 
Herr  und  Herrin  eines  bestimmten  Ortes  vereinigt  ist,  durchweg  der  männ- 
liche Gott  die  führende  Rolle,  und  seine  Genossin  verschwindet  so  gut 
wie  ganz  hinter  ihm.  Das  gilt  insbesondere  von  dem  aus  der  nächsten 
Nachbarschaft  der  hierapolitanischen  Göttin  stammenden  Ba'al  der  kom- 
magenischen  Stadt  Doliche,  der  namentlich  durch  die  seit  den  flavischen 
Kaisern  bestehenden  cohories  Commagenorum  (mindestens  6)  in  den  Pro- 
vinzen weite  Verbreitung  fand:  die  ältesten  Zeugnisse  reichen  bis  in  die 
Zeit  des  Antoninus  Pius  und  Marc  Aurel  hinauf,^)  häufig  werden  sie  jedoch 
erst  seit  der  für  alle  orientalischen  Gottesdienste  so  wichtigen  Regierung 
des  Septimius  Severus  und  Garacalla.  In  Rom  besass  der  Gott  eine  private 
Kapelle  (sacrarium  CIL  VI  414)  auf  dem  Esquilin  (extrapomerial)  bereits 
im  J.  191,^)  dagegen  wird  man  das  auf  dem  Aventin  bei  S.  Alessio  ge- 
legene Heiligtum,  welches  das  Regionenbuch  (reg.  XIII)  als  Dolocenum 
aufführt,  für  einen  Staatstempel  halten  dürfen:  die  hier  gefundenen  in- 
schriftlichen Zeugnisse  gehören  dem  3.  Jahrhundert  an,  das  älteste  (CIL 
VI  410)  fällt  zwischen  198  und  209,  eine  der  Inschriften  (CIL  VI  406) 
lehrt  uns  ein  mannigfaltig  abgestuftes  Kultpersonal  kennen.  Die  zahl- 
reichen bildlichen  Darstellungen^)  zeigen  uns  den  Gott  durchweg  in  der- 
selben Bildung,  als  bärtigen  Mann  mit  Panzer  und  Beinschienen,  der  auf 
dem  Rücken  eines  Stieres  stehend  in  der  linken  Hand  den  Blitz,  in  der 


J.  854  (MouBSN,  ChroD.  min.  I  147)  unter 
Alezander  Severus  erwähnten  templum  la- 
8urae  hat  Jobdak,  Hermes  VI  314  ff.  scharf- 
sinnig iaüwrae  d.  i.  Diaswrcte  erkannt  und 
das  Heiligtum  nach  dem  Fundorte  der  In- 
schrift CiL  VI  115  (wohl  auch  116  f.)  in 
Trastevere  gesucht;  nur  irrt  er,  wenn  er 
Tempel  und  Inschrift  in  die  Zeit  Neros  hinauf- 
rOcken  möchte. 

')  Gewöhnlich  wird  sie  mit  Hera  oder 
Aphrodite  gleichgesetzt  (Plut.  Grass.  17),  aber 
auch  mit  Artemis  (Gran.  Lic.  p.  9  Bonn.,  vgl. 
CIL  IX  4187  aus  Amitemum:  Deanae  ISy- 
ri[<ie]),  und  Lucian  (dea  Syr.  32)  findet  in 
ihrem  Bilde  zu  Hierapolis  der  von  Hera  ent- 
lehnten Grundauffassnng  ZQge  von  Athens, 
Aphrodite,  Selene,  Rhea,  Artemis,  Nemesis 
und  den  Moiren  beigemischt.  Gedeutet  wird 
sie  als  (tQX^^  *^^  cniqfjiattt  näaiy  i|  vyqtav 
naqaaxova«  airla  xai  g>ratg  (Plut.  a.  a.  0.), 
als  Mutter  Erde  (Macr.  S.  I  23,  18  ff.)  u.  a.  m. 

')  Fflr  die  Identifizierung  mitRhea-Magna 


Mater  s.  Comut.  nat.  deor.  6  und  oben  S.  300 
Anm.  6;  für  die  mit  der  Dea  Caelestis  das 
an  letztere  gerichtete  Weihgedicht  CIL  VII 
759  =  BuBCHBLBB,  Auth.  epigr.  nr.  24. 

^)  CIL  VII  506  unter  Antoninus  Pins, 
Inschrift  eines  Centurio  (s.  darüber  v.  Doma- 
szBWSKi,  Westd.  Zschr.  XIV  58).  III  5973 
vom  J.  163;  unter  Commodus  CIRhen.  1752. 
CIL  V  1870  (beide  von  Centurionen  her- 
rührend). XIV  22. 

*)  CIL  VI  406—413,  vgl.  Luoabi,  BulL 
arch.  com.  XXI  1893,  223  ff.,  dessen  Aus- 
führungen ich  jedoch  nicht  beitreten  kann. 

^)  Gute  Sammlung  und  Sichtung  des 
ganzen  Vorrates  von  Denkmälern  und  In- 
schriften bei  F.  Hbttneb,  De  love  Dolicbeno, 
Diss.  Bonn  1877,  an  dessen  Ergebnissen  auch 
das  seitdem  neu  hinzugekommene  Material 
nichts  Wesentliches  geändert  hat;  vgl.  Ed. 
Mbtbb  in  RoscHBBS  Mythol.  Lexik.  I  1191  ff. 
und  die  Abbildungen  bei  v.  Doxaszbwski 
a.  a.  0.  Taf.  III  fi«.  1.  2. 


fi,  Saera  peregina*    ttd.  Die  syrisohen  Gottheiien* 


303 


rechten  ein  Doppelbeil  (dasselbe,  das  wir  aus  dem  Geremoniell  der  Mä- 
Bellona  kennen,  s.  oben  S.  290)  hält;  ihm  gegenüber  finden  wir  zuweilen 
eine  auf  einem  Steinbocke  (oder  einem  verwandten  Tiere)  stehende  Göttin 
im  Typus  der  Hera,  die  auch  inschriftlich  ebenso  als  Juno  bezeichnet 
wird,^)  wie  der  Oott  selbst  ständig  den  Namen  luppüer  optimus  maximus 
Dolichenus  führt.  Diese  Oleichsetzung  mit  Juppiter  optimus  maximus  teUt 
der  Gott  von  Doliche  mit  einer  ganzen  Reihe  von  Ba'alim  anderer  syrischer 
Städte,  die  von  syrischen  Soldaten  und  Händlern  {Suri  negotiatores  CIL  HI 
Suppl.  7761)  nach  dem  Westen  mitgebracht  wurden.  Besonders  reichlich 
sind  diese  Gottheiten  in  den  mit  orientalischer  Kultur  stark  durchsetzten 
Donauprovinzen  verehrt  worden,  doch  sind  viele  von  ihnen  auch  bis  nach 
Rom  selbst  vorgedrungen,  wo  ihnen  ihre  Landsleute  Kapellen  errichteten 
und  auch  wohl  in  den  unteren  Schichten  der  hauptstädtischen  Bevölkerung 
Verehrer  für  sie  warben:  so  wird  z.  B.  der  Inhaber  eines  angesehenen 
Heiligtums  in  der  Nähe  von  Berytos,  Ba'al  Marqod,')  auch  in  Rom  als 
Juppiter  0.  M.  Balmarcodes  von  einem  Legionscenturionen  verehrt,')  und 
ein  zwar  in  seiner  genauen  örtlichen  Zugehörigkeit  nicht  bestimmbarer, 
aber  sicher  syrischer  Gott  Beellefarus  erhält  nicht  nur  einen  Altar 
durch  zwei  aus  Syrien  stammende  Equites  singulares,^)  sondern  hat  auch 
auf  dem  rechten  Tiberufer  in  der  Gegend  der  Porta  Portuensis  ein  Heilig- 
tum besessen,  von  dessen  Statut  neuerdings  ein  Bruchstück  zu  Tage  ge- 
kommen ist.<^)  Nicht  weit  davon,  ausserhalb  des  Thores,  lag  ein  ganzer 
Complex  solcher  Kapellen,  so  eine,  die  einem  als  Sol  bezeichneten,  sonst 
aber  nicht  näher  zu  bestimmenden  orientalischen  Gotte  geweiht  war  und 
sicher  im  J.  102  n.  Chr.  bestand,®)  eine  andere,  in  der  ebenfalls  in  tra- 
janischer  Zeit  der  bald  mit  Mars  bald  mit  Apollo  identificierte  edessenische 
Gott  Azizos  verehrt  wurde,')  eine  dritte  jüngere  endlich,  die  eine  palmy- 
renische  Kultgenossenschaft  den  Göttern  ihrer  Heimat  Bolus  Malacfabelus 
Aglibolus  und  laribolus  geweiht  hatte,®)  Göttern,  deren  Dienst  uns  in  der- 
selben Zeit,  d.  h.  seit  Alexander  Severus,  auch  in  Dacien  und  Pannonien, 
sowie  sonst  vereinzelt  begegnet.^)  Aus  derselben  Stadtgegend  stammt 
auch  die  Stele,  die  ein  Veteran  einer  orientalischen  Legion  dem  Stadt- 
gotte  von  Damaskos,  Juppiter  0.  M.  Damascenus  (CIL  VI  405),  gewidmet 


>)  CIL  VI  865—367.  413.  VII  98. 

*)  Lebab  nr.  1855  ff.  CIL  III  155  ff.; 
Sappl.  6680  ff.  Clbbxont-Ganheau,  Recueil 
d'archöol.  Orient.  I  (1888)  S.  94  ff.  101  ff. 

•)  CIL  VI  403;  in  Potaissa  in  Dacien 
(CIL  III  7680)  weiht  ein  Veteran  einen  Altar 
[I(ovi)  oiptimo)  m{aximo)]  Bal(marcodi)  et 
Jimo[nt],  es  hatte  also  auch  dieser  Ba^al 
eine  göttliche  Genossin  neben  sich  (vgl.  CIL 
HI  159  =  6669). 

*)  Annali  d.  Inst.  1885,  288  nr.  83  du 
deahusque  lavi  BeeUefaro  sacrum  n.  s.  w. 

*)  Notiz,  d.  scavi  1887,  176;  vgl.  G.  La- 
FATB,  Rey.  d.  Fhisi  d.  relig.  XVII  1888, 
219  ff. 

•)  CIL  VI  31034.  52.  709;  vgl.  Borsari, 
Ball.  arch.  com.  XV  1887,  90  ff. 


»)  Inscr.  gr.  SicU.  Ital.  962  "Aqu  »etp 
natQtooD  infjxotp  vom  J.  133  (vgl.  Dbsxlrb, 
Jahrb. 'f.  Philol.  CXLIX  1894,  329  f.),  ge- 
deutet nach  Julian,  or.  IV  150  D.  154  A;  Ober 
den  Kult  dieses  Gottes  in  den  Lagern  von 
Apulum  (CIL  III  1130  ff.;  Suppl.  7652),  Po- 
taissa (III  875),  Lambaesis  (VIII  2665)  und 
Camuntum  s.  v.  Domaszewski  a.  a.  0.  S.  64  ff. 

8)  CIL  VI  50.  51.  710.  31046.  Inscr. 
gr.  Sicil.  Ital.  969-972  (nr.  971  ist  datiert 
auf  235/6  n.  Chr.);  vgl.  Visconti,  Annali  d. 
Inst.  1860,  415  ff.    Hblbio,  Führer  I  nr.  423. 

•)  CIL  m  1108  (deo  Soli  Hierobolo); 
Suppl.  7954  ff.  VIII  2497.  8795.  XII  1277 
(=  BuEOBBLBB,  Auth.  opigr.  nr.  872).  Eph. 
epigr.  VII  801.  Cagnat,  L'ann^e  epigr.  1890 
nr.  100.    1896  nr.  131. 


304  Religion  und  Koltiui  der  EOmer.    IL  GN^iterlehre. 

hat,  und  mehrere  von  syrischen  Soldaten  dem  Gotte  von  Baalbek,  Juppiter 
0.  M.  Heliopolitanus,  geweihte  Altäre,  die  auf  ein  dort  gelegenes  Heilig- 
tum schliessen  lassen.^)  Die  beiden  letztgenannten  Götter  sind  früher  als 
in  Rom  in  Puteoli  durch  die  Mitglieder  der  bedeutenden  tyrischen  Handels- 
faktorei, die  dort  bestand,')  verehrt  worden:  bezeugt  sind  für  Puteoli 
sowohl  sacerdotes  lovis  optimi  maximi  Vamasceni  (CIL  X  1575  —  1577)  als 
cuUores  lovia  Heliopolüani  Berytenses,^)  qui  Puteolis  consistunt  (CIL  X  1634, 
vgl.  1578  f.),  während  sich  im  allgemeinen  der  Dienst  dieses  Gottes  erst 
seit  dem  8.  Jahrhundert^)  in  ähnlicher,  wenn  auch  etwas  spärlicherer  Ver- 
breitung als  der  des  Herrn  von  Doliche  (beide  vereint  CIL  HI  3462.  3908) 
findet.  Wenn  dem  Juppiter  Heliopolitanus  auf  einigen  Inschriften'^)  eine 
als  Venus  bezeichnete  Gottheit  zur  Seite  steht,  so  ist  darin  natürlich  die 
Eultgenossin  des  Gottes  in  seinem  von  Antoninus  Pius  mit  besonderer 
Pracht  neugebauten  (Malal.  XI  p.  280  Dind.)  heliopolitanischen  Tempel  zu 
erkennen,  dessen  angesehenes  Orakel  schon  Trajan  consultiert  hatte. ^)  Das 
Eultbild  dieses  Heiligtums  beschreibt  uns  Macrobius  (S.  I  23,  12)  als  das 
eines  stehenden  bartlosen  Mannes,  der  in  der  erhobenen  Rechten  eine 
Peitsche,  in  der  Linken  Blitz  und  Ähren  vereint  hält;  erhaltene  Nachbil- 
dungen 7)  ergänzen  dies  dahin,  dass  der  Gott  zwischen  zwei  Stieren  stand, 
ähnlich  wie  der  neben  der  Göttin  von  Hierapolis  verehrte  Hadad  (oben 
S.  301). 

So  wenig  individuell  auch  die  Persönlichkeiten  dieser  nur  durch  die 
Verschiedenheit  ihrer  lokalen  Wirkungskreise  und  Verehrungsstätten  unter- 
schiedenen Gottheiten  ausgeprägt  sind,  so  tragen  sie  doch  wenigstens  im 
Namen  noch  die  Bestimmung  ihrer  Herkunft;  daneben  aber  begegnen  uns 
in  den  Provinzen  und  in  Rom  selbst  eine  ganze  Reihe  weiterer  syrischer 
Gottheiten,  die  ihren  einheimischen  Namen  aufgegeben  haben  und  nur  eine 
ganz  allgemeine  Bezeichnung  tragen,  etwa  als  .der  Ewige ''^)  oder  .der 
Himmelsgott ''*)  oder  —  und  das  ist  besonders  häufig  —  als  der  Sonnen- 
gott (Serv.  Aen.  I  642.  729),  eine  Auffassung,  die  für  den  höchsten  Gott 


»)  CIL  VI  422.  423,  vgl.  420  f.  (nr.  420, 
die  älteste  der  Inschriften,  ist  vom  J.  186). 

«)  Vgl.  über  sie  Inscr.  gr.  Sicil.  Ital.  830 
und  dazu  Mommsbn,  Ber.  d.  sächs.  Gesellsch. 
d.  Wiss.  1850,  57  ff. 

")  Berytier  als  Weihende  auch  CIL  XII 
3072.  ClKhen.  1408  (in  der  Herstellung  von 
V.  Dom ASZEWSKi,  Korresp.Bl.  d.  Westd.  Zschr. 
1897,  172  ff.). 

*)  lieber  ältere  Steine  s.  v.  Domaszewski, 
Westd.  Zschr.  XIV  58. 

")  CIL  III  Suppl.  11139  f.  CIRhen.  1408 
(s.  oben  Anm.  3).  Caonat,  L'ann^e  epigr. 
1889  nr.  93. 

•)  Macr.  S.  I  23,  14  ff.;  was  ebd.  17  ff. 
von  dem  Paare  Hadad- Atargatis  erzählt  wird, 
bezieht  sich  nicht  mehr  auf  den  Kult  von 
Baalbek-Heliopolis,    sondern    auf   den    von 


fehlt  uns  zur  genaueren  Bestimmung  dieser 
unter  sich  verwandten,  aber  doch  verschie- 
denen Götterpaare  das  Material. 

')  F.  Lenormant,  Gazette  arch^ol.  II 
1876,  78  ff.  F.  Stüdkiczka,  Arch.  epigr.  Mitt 
aus  Oesterr.  VIII  1884,  61  ff.  P.  Woltbbs, 
Americ.  Joum.  of  Archeol.  VI  1890,  65  ff. 
W.  GuBLiTT,  Arch.  epigr.  Mitt.  aus  Oesterr. 
XIV  1891,  120  ff. 

*)  Aus  Rom  Aeterno  sancto  (CIL  VI 
3671)  mit  dem  Bilde  des  Gottes  (Bull.  arch. 
com.  III  1875  Taf.  21),  ausserdem  zahlreiche 
Steine  aus  den  Provinzen,  namentlich  aus 
Dacien,  sämtlich  nachantoninischer  Zeit;  vgl. 
F.  CüMONT,  Revue  archM.  XI  (1888)  184  ff. 
und  bei  Pauly- Wissowa,  Real-Encyd.  I  696  f. 

^)  Optimus  maximns  Caelus  aetemus 
luppiter  CIL  VT  81,  vgl.  83.  84.    Wissowa, 


Bambyke-Hierapolis.    Dass  auch   der  Ba'al      Real-Encycl.  III  1277.  F.  Cumont,  Benndorf- 
von   Damaskos  eine  solche  Ba'alath  neben      Festschrift  S.  291  ff. 
sich  hatte,  zeigt  Justin.  XXXVI  2,  2.    Doch  , 


E*  Saora  peregrina.    58.  Die  ayriBchen  Qottheiteu. 


305 


dieser  orientalischen  Kulte  besonders  nahe  lag  und  darum  auch  veranlasste, 
dass  manche  der  bisher  erwähnten  Ba^alim  statt  mit  Juppiter  0.  M.  auch 
mit  Sol  geglichen^)  oder  mit  einem  als  Sol  bezeichneten  Gotte  verbunden 
wurden.')  Einer  fili*  Sol  oder  für  Sol  und  Luna  bestimmten  Weihinschrift 
kann  man  es  allerdings  in  den  meisten  Fällen  nicht  ansehen,  ob  sie  sich 
auf  den  römischen  (§  52)  oder  den  orientalischen  Kult  bezieht;  doch  spricht 
seit  der  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  die  Wahrscheinlichkeit  an  sich  für  den 
letzteren,  und  im  dritten  ist  —  um  vonMithras  hier  abzusehen  —  unter 
Sol  kaum  je  ein  andrer  Oott  als  einer  der  syrischen  Ba'alim  verstanden 
worden:^)  Bei  werte  wie  aeternus  (CIL  III  604.  II  259)  oder  divinus^)  sichern 
diese  Beziehung,  insbesondere  aber  ist  der  Name  Sol  invictus  oder  deus 
invictus  ganz  und  gar  diesem  Kultkreise  vorbehalten  geblieben.^)  Dieser 
Sol  invictus  erhält  im  3.  Jahrhundert  eine  ganz  dominierende  Stellung 
dadurch,  dass  er  nach  einander  zur  Bezeichnung  zweier  verschiedenen  in 
den  römischen  Staatskult  aufgenommenen  syrischen  Gottesdienste  wird, 
von  denen  der  erste  allerdings  nach  kurzer  Herrschaft  bald  wieder  gänz- 
lich verschwunden  ist.  Als  im  J.  218  der  Priester  des  zu  Hemesa  in  Ge- 
stalt eines  schwarzen  Steinkegels  verehrten  Gottes^)  den  römischen  Kaiser- 
thron bestieg,  war  seine  erste  und  vornehmste  Sorge  die,  den  Gott,  dem 
er  bisher  gedient  hatte,  zum  Hauptgotte  des  römischen  Staates  zu  machen:^) 
der  Fetisch  wurde  nach  Rom  gebracht  und  erhielt  als  invictus  Sol  Elagabal^) 
(oder  Älagahdl)  den  Platz  an  der  Spitze  der  römischen  Staatsgötter  (Gass. 
Dio  LXXTX  11,  1.  Herodian.  y  5,  7)  dergestalt,  dass  der  Kaiser  seine  durch 
Senatsbeschluss  sanktionierte  Würde  als  Oberpriester  dieses  Gottes  im 
Hange  über  die  des  Pontifex  maximus  stellte  (CIL  III  Suppl.  p.  1997  f. 
X  5827).  Ein  Staatspriestertum  für  den  weiteren  Dienst  des  Gottes  Elagabal 
wurde  eingesetzt^)  und  ein  Jahresfest  geschaffen,  auch  im  Gottesdienste 
des  Heeres  wusste  der  Eindringling  Fuss  zu  fassen. i^)  In  Rom  lagen  die 


0  z.  B.  Hierobolus  und  Melagbelns  CIL 
III  1108;  Suppl.  7956.  VI  31046;  in  der  zwei- 
sprachigen Inschrift  CIL  VI  710  wird  der 
im  palmyrenischen  Texte  als  Malakbel  be- 
zeichnete Gott  im  lateinischen  Sol  sancHasi- 
tnu8  genannt. 

')  z.  B.  Dolichenus  und  Sol  CIL  VI  412. 
30741. 

>)  Interessant  ist  z.  B.  CIL  VI  700:  Soli 
sacrum,  geweiht  von  einem  natua  in  Suria 
Nisybin,  liber  factus  Romae, 

*)  CIL  III  Suppl.  11146.  V  4948.  VI  398 
(vom  J.  86  n.  Chr.,  s.  oben  S.  301).  709. 
Annali  d.  Inst.  1885,  259  nr.  22  (vom  J.  126). 

»)  Das  älteste  datierte  Beispiel  CIL  VI 
717  (Soli  invicto  deo)  stammt  aus  dem  J.  158; 
vgl.  aus  der  nächsten  Zeit  CIL  III  Suppl. 
7483  (deo  invicto),  III  1111  (Soli  invicto). 
VI  740  (Soli  invicto). 

*)  Vgl.  über  ihn  im  allgemeinen  J. 
H.  MoBiKmANN,  ZDMG  XXXI  1877,  91  ff. 
F.  LsKORMANT,  RoY.  de  rhist.  d.  relig.  III 
1881,  310  ff.  Stüdniczka,  Arch.  epigr.  Mitt. 
aus  Oesterr.  VIII   1884,  64  ff.     F.  Habbl, 

Eutdbnch  der  klaas.  AltertuxDswiaseiiMhftft.  Y,  4. 


Comment.  in  honor.  Studemundi  (1889)  S.  93  ff. 

')  Cass.  Dio  LXXIX  11  f.  Herodian. 
V  3  ff.  Bist.  aug.  Heliog.  3.  6  f.  Aurel.  Vict. 
Caes.  23. 

^)  Dies  der  offizielle  Name;  im  übrigen 
gilt  das  bei  den  orientalischen  Gottheiten 
übliche  Schwanken  der  Umnennung  zwischen 
Juppiter  und  Sol  auch  für  den  Gott  Yon 
Hemesa  (Hist.  aug.  Carac.  11,  7;  Heliog.  1,  5. 

17,  8). 

*)  Wir  kennen  nur  einen  8(acerdo8}  Sol(i8) 
Alagabali  Ti.  Julius  BaibiUus  (CIL  VI  2269 ; 
vgl.  708),  der  schon  vor  der  Zeit  des  Elagabal 
sacerdoa  Solis  (CIL  VI  2270.  1663.  2129  aus 
den  Jahren  199.  201.  215),  d.  h.  Priester 
eines  andern  syrischen  Ba'al,  war  und  nun 
dem  neuen  Dienste  sich  zuwendete. 

10)  CIL  III  4300  und  dazu  v.  Dom aszewski, 
Westd.  Zschr.  XIV  60  f. ;  über  die  Bedeutung 
des  hier  dem  Gotte  gegebenen  Beinamens 
Ämmudates  (Commod.  instr.  I  18)  s.  Ed. 
Mbyeb  in  RoscHBBS  MythoL  Lexik.  I  291. 
1229.  Studniczka  a.  a.  0.  S.  65  f.  Tümpel 
bei  Pauly-Wissowa,  Real-Encycl.  I  1868  t 

20 


306  Religion  und  Kultus  der  BOmer.    ü.  Qöüerlehre. 

Heiligtümer  des  neuen  Gottes  in  unmittelbarer  Nähe  der  Residenzstätten 
des  Kaisers,  eines  auf  dem  Palatin,  angrenzend  an  den  kaiserlichen  Palast,^) 
ein  anderes,  in  das   der  Gott  jeden  Sommer  zusammen  mit  dem  Kaiser 
übersiedelte,  bei  der  Sommerresidenz  in  der  Vorstadt  ad  Spem  veterem.') 
In  den  erstgenannten  Tempel  Hess  der  Kaiser  nicht  nur  alle  sonst  in  Rom 
befindlichen    anikonischen  Symbole   der   verschiedensten   Gottheiten,    das 
Feuer  der  Yesta,  die  Schilde  der  Salier,   das  Palladium,   den  Stein   der 
Grossen  Mutter,  zusammenschleppen  (Hist.  aug.  Heliog.  3,  4.  6,  8),  sondern 
er  feierte  hier  auch  in  den  offiziellen  Formen  des  tcgog  yaiioq  die  Ver- 
mählung seines  Gottes  mit  der  karthagischen  Gaelestis  (s.  unten  §  60), 
deren  Bildsäule  nach  Rom  gebracht  und  nach  der  Hochzeitsfeier  im  pala- 
tinischen  Tempel  aufgestellt  wurde.  ^)    Nachdem  dieses  wüste  Treiben,  die 
ärgste  Entwürdigung,  die  römisches  Wesen  und  römische  Religion  je  er- 
fahren haben^  fast  drei  Jahre  gedauert  hatte,  machte  der  Sturz  des  Kaisers 
und  die  darauf  folgende  damnatio  memoriae  dem  Kulte  des  Gottes  Elagabal 
für  Rom   ein  für  allemal  ein  Ende,^)  während  der  Tempel  von  Hemesa 
als  ein  im  ganzen  Orient  weithin  angesehenes  Heiligtum  fortbestand.^)    In 
Rom  aber  hat  fünfzig  Jahre  später  abermals  der  Kult  eines  dem  Sol  in- 
victus,  und  zwar  diesmal  zu  längerer  Herrschaft,  Einzug  gehalten,  indem 
Aurelian  im  J.  274  diesem  Gotte  auf  dem  Campus  Agrippae  einen  gross- 
artigen Tempel  mit  umgebenden  Säulenhallen  und  prunkvoller  Innenaus- 
stattung weihte.^)    Dass  der  Name  des  Sonnengottes  hier  wie  überall  in 
dieser  Zeit  einen  orientalischen  Kult  deckt,  steht  ausser  Zweifel,  doch  hat 
man  darüber   gestritten,  welcher  Gott  gemeint  sei:   die  weit  verbreitete 
Ansicht  (z.  B.  Marquabdt,  Staatsverw.  III  83),  dass  Aurelian  den  Dienst 
des  Elagabal  von  Hemesa  von  neuem  in  Rom  eingeführt  habe,  ist  durch 
die   damnatio   memoriae,    die   mit    dem  Kaiser   notwendig  auch  den  Gott 
treffen  musste,  ausgeschlossen;  aber  auch  der  Gedanke  an  den  persischen 
Mithras'')  wird,  abgesehen  von  der  sonst  hervortretenden  Verschiedenheit  der 
beiden  Kulte  und  der  Unmöglichkeit,  sich  das  spelaeum  des  Mithrasdienstes 
(s.  §  59)  durch  einen  Prachttempel  ersetzt  zu  denken,  widerlegt  durch  das 
Zeugnis    des  Zosimos  I  61,    der   im   Tempel  ^Hkiov  xai  Br^Xov   clydXfjiaTa 
erwähnt,  was  nur  auf  syrische  Ba'alim  passt.    Unter  diesen  aber  liegt  der 
Stadtgott  von  Palmyra,   der  als  Belus  oder  Sol  in  Rom  von  Palmyrenern 
schon    früher    verehrt   worden   war   (oben   S.  303,  vgl.   S.  305    Anm.  1), 


')  Hist.  aug.   Heliog.  3,  4,    vgl.   1,  6.  '  sondern    von    der    Rücklieferung     der    aus 

Herod.  V  5,  8.  Aur.  Vict.  Caes.  23,  1 .  Mohm-  |  den    stadtrömischen  Tempeln  in    das   pala- 

SEN,  Chron.  min.  I  147.    Aust,  Die  stadtröm.  ;  tinische      Elagabalheiligtum      zusammenge- 

Tempeigründ.  d.  Kaiserz.  S.  XXIII  f.  i  schleppten  Göttersymbole  die  Rede  ist. 

*)  Herod.  V  6,  6  ff.,  vgl.  Hist  aug.  Heliog.  ")  Hist.  aug.  Aurel.  25,  4.     Avien.  orb. 


18,  5.  14,  5. 


terr.  1083  ff. 


>)  Herod.  V  6,  4  f.    Cass.  Dio  LXXIX  12;  ö)  Zosim.  1  61.    Hist.  aug.  Aurel.  35,  3. 

vgl.   A.   DiKTERiCH,    Inschrift  des   Aberkios  ;  39,  2,  vgl.  1,  3.  10,  2.  25,  6.  28,  5.  48,  4; 

S.  28  ff.  I  Tac.  9,   2 ;  Firm.  8,   4.     Aurel.  Vict.  Caes. 

*)  Cass.  Dio  LXXIX  21,  2  ö  te  y.Xerd-  ,  35,  7.    Eutr.  IX  15.    Mommsew,  Chron.  min. 

ßttXog  aviog  ix  rrjg  'Pujfitji  nttvxdnttaiv  i^t-  |  I  148.     Not.  reg.  VII.     Hülsen,   Bull.  arch. 

7iiaiv\  vgl.  Herod.  VI  1,  8,  wo  aber  nicht,  1  com.  XXIIl  (1895)  39ff.  Lanciani,  ebd.  94  ff. 

wie  gewöhnlich  angenommen  wird,  von  der  ')  Usener,   Pfailos.   Aufsätze  Ed.  Zeller 

(gewiss  in  der  That  erfolgten)  Rücksendung  '  gewidmet  (1887)  S.  279  f.     Habel  a.  a.  0. 

des  Fetisch   in    den   Tempel    von    Hemesa,  S.  97  f. 


E.  Saora  peregrina.    59.  Der  MiihrasdienBt. 


307 


deshalb  am  nächsten, i)  weil  die  Gründung  des  Tempels  in  unmittelbarem 
Zusammenhange  mit  dem  Triumphe  über  die  Einnahme  Palmyras  stand  und 
die  palmyrenische  Beute  zu  seiner  Ausstattung  verwendet  wurde.')  Dass 
man  Wesen  und  Herkunft  des  durch  Aurelian  zum  Reichsgotte  erhobenen 
Sonnengottes  so  schwer  genau  feststellen  kann,  hat  seinen  Grund  darin, 
dass  dieser  Kaiser,  weit  entfernt  davon,  wie  Elagabal  den  ganzen  Schwulst 
und  Schmutz  eines  semitischen  Ba'alsdienstes  den  Römern  aufdrängen  zu 
wollen,  seinen  Oott  vielmehr  ganz  in  den  Formen  des  römischen  Kultes 
verehren  liess:  nach  römischem  Brauche  wurde  der  Stiftungstag  des 
Tempels,  der  25.  Dezember,  zum  Jahresfeste  des  Sol  invictus,^)  nach  dem 
Vorbilde  des  von  Domitian  eingesetzten  Agon  Capitolinus  (oben  S.  113  Anm.  6) 
wurde  für  den  neuen  Gott  ein  alle  vier  Jahre  wiederkehrender  agon  Solis*) 
begründet,  sein  Dienst  lag  nicht  in  den  Händen  orientalischer  Priester, 
sondern  eines  vornehmen  collegium  publicum,  das  der  ersten  Priesterschaft 
der  alten  Religion  den  Namen  entlehnte  und  unter  dem  Namen  der  pon- 
tifices  Solls  neben  oder  vor  die  alten  Pontifices  (jetzt  auch  pontifices  Vestae) 
trat.^)  Das  Bild  des  Gottes,  wie  es  uns  auf  den  Münzen  Aurelians  sowohl 
wie  der  Kaiser  des  4.  Jahrhunderts  häufig  entgegentritt,  zeigt  daher  nicht  die 
Fremdartigkeit  der  Darstellungen  des  Dolichenus  oder  Heliopolitanus,  son- 
dern gibt  den  Gott  in  griechisch-römischer  Auffassung  wieder,  in  der 
ganzen  Gestalt  dem  auf  den  Münzen  der  gleichen  Zeit  ebenfalls  oft  dar- 
gestellten Genius  populi  Romani  ähnlich:  eine  nur  mit  einem  Mantel  be- 
kleidete nackte  Jünglingsgestalt  mit  der  Strahlenkrone  auf  dem  Haupte, 
die  rechte  Hand  erhoben  (manchmal  mit  der  Peitsche  des  Wagenlenkers), 
in  der  linken  die  Weltkugel  haltend.  Aus  den  Donauländern  stammend, 
in  denen  sich  in  eigentümlicher  Weise  griechische,  römische  und  orien- 
talische Kultur  mischte  und  durchkreuzte,  beabsichtigte  der  Kaiser  in  dem 
Gotte,  den  er  auf  seinen  Münzen  als  dominus  imp{erii)  Romani  feiert 
(EcKHEL,  D.  N.  Vn  483),  die  vielgestaltigen  Religionsanschauungen  der  ver- 
schiedenen Teile  des  Riesenreiches  zu  vereinigen  und  zu  versöhnen,  und 
bis  zu  welchem  Grade  ihm  das  gelang,  zeigt  noch  fast  ein  Jahrhundert 
später  die  (4.)  Rede  Julians  eig  tov  ßaaiUa  "HXiov,  in  der  alle  Mythologie 
und  Religion  der  bekannten  Welt  sich  in  eine  Verherrlichung  des  Königs 
der  Götter,  des  Sonnengottes,  umsetzt. 

Litt  er  a  tu  r:  Pbbller-Jobdan,  Rom.  Mythol.  II  894  ff.  J.  Rbvillb,  Die  Religion  zu 
Rom  unter  den  Severem  (deutsch  von  G.  Krüger,  Leipz.  1888)  S.  67  ff.  236  ff.  F.  Cuxont 
bei  Fault- WiBSowA,  Real-Encycl.  II  2647  ff.  2842  f. 

59.  Der  Miihrasdienst.  Mit  der  Mithrasreligion,  die  von  Persien 
aus  bereits  in  hellenistischer  Zeit  in  die  Länder  des  östlichen  Kleinasiens 
vorgedrungen  war,  sind  die  Römer  dem  Anscheine  nach  zuerst  bei  der 
Niederwerfung  der  kilikischen  Seeräuber  in  Berührung  gekommen,  unter 


')  An  den  Gott  von  Baalbek-Heliopolis 
denken  u.  a.  Hülsen  a.  a.  0.  Aust  a.  a.  0. 
p.  XXVII;  doch  sind  keinerlei  spezielle  Be- 
ziehungen Aurelians  zu  diesem  Gotte  nach- 
weisbar. 

*)  Zosim.  Aurel.  Vict.  aa.  00. 

•)  N[attüi$)  Inincti,  ciircenses)  miissns) 
XXX  Philoc,  vgl.  Julian,  or.  IV  156  B.  C 


und  mehr  bei  Moxmsbn,  CIL  P  p.  338  f. 
Die  vom  19.— 22.  Oktober  bei  Philocalus  ver- 
zeichneten ludi  Solis  sind  ungewisser  Her- 
kunft, vgl.  MoMMSEN,  CIL  V  p.  333. 

*)  MoMKSBN,  Chron.  min.  I  148.  Julian, 
or.  IV  155  B. 

B)  Habbl  a.  a.  0.  S.  100  ff. 


20* 


308 


Religion  und  Knltna  der  BOmer.    II.  Götterlehre. 


denen  sich  auch  Mithrasverehrer  befanden  (Plut.  Pomp.  24).  Eine  wirk- 
liche Einwirkung  dieses  Gottesdienstes  auf  Rom  und  den  Westen  können 
wir  aber  erst  gegen  Ende  des  1.  Jahrhunderts  der  Eaiserzeit^)  bemerken, 
wobei  wohl  die  armenischen  Feldzüge  des  Corbulo  und  die  seit  Yespasian 
in  weiterem  Umfange  stattfindende  Aushebung  von  Auxiliartruppen  in 
jenen  Gegenden  eine  Bolle  gespielt  haben.  Wenn  Statins  bereits  von  der 
Darstellung  des  stiertötenden  Mithras  in  der  Felsgrotte  Kunde  hat^)  und 
Plutarch  (a.  a.  0.)  die  Mithrasweihen  als  zu  seiner  Zeit  bestehend  erwähnt, 
so  stimmt  dazu  vollkommen  die  Thatsache,  dass  die  ältesten  mit  Sicher- 
heit datierbaren  Mithraeen  in  Rom  und  Umgebung  bis  in  die  Regierungs- 
zeit des  Trajan  und  Hadrian  hinaufreichen.^)  Der  eigentliche  Aufschwung 
des  Mithraskultes  aber  datiert  erst  von  Commodus,  der,  wie  an  den  Gottes- 
diensten der  Isis  und  Bellona,  auch  an  den  Mysterien  des  Mithras  selbst 
teilnahm  (Hist.  aug.  Comm.  9,  6)  und  damit  diese  sozusagen  hoffähig 
machte :  nicht  nur  Soldaten  und  kleine  Bürger,  Sklaven  und  Freigelassene^) 
beteiligen  sich  seitdem  an  diesem  Gottesdienste,  sondern  die  höchsten  Be- 
amtenkreise, bis  schliesslich  Diocletian  und  Maximian  samt  ihren  Mit- 
regenten im  Lager  von  Carnuntum  den  Dens  Sol  invictus  Mithi*as  geradezu 
als  den  fautor  imperii  sui  verehren  (CIL  HI  4413).  Sowohl  die  stadt- 
römischen Mithraeen,  deren  wir  aus  Inschriften-  und  Denkmälerfunden 
etwa  ein  Dutzend  kennen,  wie  die  zahlreichen,  zum  Teil  sehr  wohl  er*- 
haltenen  Heiligtümer  des  Gottes  in  Italien  (Ostia,  Capri  u.  a.)  und  allen 
Provinzen  der  westlichen  Reichshälfte,  namentlich  den  Donau-  und  Rhein- 
ländern (Sarmizegetusa ,  Carnuntum,  Neuenheim,  Osterburken,  Gross- 
Erotzenburg,  Heddernheim,  Dormagen,  Saarburg),  zeigen,  von  unwesent- 
lichen Abweichungen  abgesehen,  durchweg  eine  übereinstimmende  Anlage,^) 
die  für  die  Eigenart  des  ganzen  Gottesdienstes  von  hervorragender  Be- 
deutung ist:  aus  einem  Vorräume  steigt  man  auf  einer  Treppe  in  die 
stets  unterirdisch  angelegte  eigentliche  Cella  hinab,  die  an  ihrer  Rück- 
wand in  einer  Nische  das  Reliefbild  des  stiertötenden  Mithras  zeigt, 
während  die  beiden  Längsseiten  von  erhöhten  Podien  eingenommen  werden, 
auf  denen,  wie  ihre  Oberflächenbeschaffenheit  erkennen  lässt,  die  Gläubigen 
knieten ;  im  Mittelraum  der  Cella  vor  dem  Bilde  stehen  gewöhnlich  zwei  Al- 
täre, Spuren  von  Tieropfern  sind  noch  vielfach  erhalten.  Diese  Heiligtümer 
heissen  mit  technischer  Bezeichnung  spelaea^)  und  sind  zum  Teil  wirkliche 


*)  Eine  angeblich  aas  Tiberius'  Zeit 
stammende  Inschrift  CIL  VI  968*  scheidet 
als  Fälschung  aas. 

*)  Stat.  Theb.  I  719  seu  Persei  sub  rupi- 
bus  antri  indignata  sequi  torquentem  con^ua 
Miihram. 

')  Das  älteste  Denkmal  aus  Rom  ist, 
wenn  die  Aasführungen  von  Hülsen  (Berl. 
philol.  Wochenschr.  1889,  683)  zutreffen,  CIL 
VI  718  =  30818  aus  Trajans  Zeit,  nicht  viel 
später  auch  VI  732  =  Inscr.  gr.  Sic.  Ital.  996. 
In  einem  der  Mithraeen  von  Ostia  (Cumont, 
Textes  et  monum.  II  p.  414  ff.  528  f.)  finden 
sich  Inschriften  aus  den  Jahren  142  und  148 
n.  Chr.  (CIL  XIV  67.  33);  in  die  Zeit  des 
M.  Aorel  hinauf  lassen  sich  ein  andres  Mi- 


thraeum  in  Ostia  (CIL  XIV  59)  und  das  von 
Nersa  (CIL  IX  4109)  verfolgen. 

*)  Interessant  ist  CIL  VI  2271,  wo  ein 
Freigelassener  des  Septimius  Severus,  Carä- 
calla  und  Geta  als  pater  et  sacerdos  invicti 
Mithrae  domus  ^u^ustanae  erscheint;  es 
bildete  also  das  kaiserliche  Gesinde  eine 
eigene  Mithrasgemeinde. 

'^)  G.  WoLFF,  Das  Römerkastell  und  das 
Mithrasheiligtum  von  Gross-Erotzenburg  am 
Main  (Cassel  1882)  S.  85  ff.;  Westd.  Zschr. 
XIII  1894,  89  ff.  F.  CuMONT,  Notes  sur  un 
temple  Mithriaque  d'Ostie,  Gand  1891  und 
Textes  et  monum.  I  54  ff. 

«)  z.  B.  CIL  III  Suppl.  11088.  1B283. 
V  810.  5795.  VI  738.  8723.  VIII  6975.  IX 


E.  Sacra  peregrina.    59.  Der  KthraBdienst.  309 

Felsgrotten,  zum  Teil  Eellerräumlichkeiten  oder  künstlich  unterirdisch  an- 
gelegte Gemächer;  ihre  Dimensionen  sind  so  klein,  dass  kaum  mehr  als 
je  hundert  Gläubige  in  einem  solchen  Heiligtume  Platz  gefunden  haben 
können,  aus  welchem  Grunde  bei  einer  weiteren  Ausdehnung  des  Kultes 
am  gleichen  Orte  mehrere  Spelaeen  (in  Heddernheim  3,  in  Carnuntum  4, 
in  Ostia  5)  angelegt  werden  mussten.  Schon  diese  Eigentümlichkeit  der 
äusseren  Yerehrungsformen  scheidet  die  Mithrasreligion  scharf  von  allen 
sonstigen  einheimischen  wie  recipierten  Staatskulten  und  gehört  zu  den 
Gründen,  aus  denen  jene  trotz  ihrer  weitreichenden  Bedeutung  nie  offiziell 
als  Bestandteil  der  Staatsreligion  anerkannt  worden  ist.  Dazu  kommt  die 
damit  zusammenhängende  strenge  Gliederung  der  Mithrasgläubigen  in  Ge- 
meinden von  sacrati,^)  deren  jede  ihre  eigene  Yorstandschaft')  und  eigene 
Priester')  besitzt:  die  Beschränkung  eines  Gottesdienstes  auf  derartige 
Eultgenossenschaften  bedeutet  den  direkten  Gegensatz  zum  Staatskulte. 
Die  Gesamtheit  der  Gläubigen  einer  jeden  Gemeinde  ist  nach  Graden  der 
Einweihung  geschieden,  welche  eigenartige  und  geheimnisvolle  Namen 
tragen:^)  als  Rabe  (corax)  beginnend  erreicht  der  Myste  über  die  Grade 
des  Geheimen  (xQvtpiog)  und  des  Streiters  {miles)  die  Wüi'de  eines  Löwen 
{leo)j  die  ihm,  wie  es  scheint,  die  volle  Zugehörigkeit  zu  der  heiligen  Ge- 
meinschaft erschloss,  während  die  früheren  Stufen  nur  der  Vorbereitung 
dienten;  die  höchsten  Grade  der  Perser  (Persa),  Sonnenläufer  (i^hoigofiog) 
und  Väter  (pater,  auch  pater  sacrorum)  waren  naturgemäss  besonders  be« 
vorzugten  und  eifrigen  Mitgliedern  vorbehalten;  an  der  Spitze  der  patres 
(diese  und  die  leones  sind  die  am  häufigsten  erwähnten  Grade)  stand  ein 
pater  patrum,  der  vielleicht  als  das  geistliche  Oberhaupt  aller  Mithras- 
gemeinden  eines  Ortes  angesehen  werden  darf  und  jedenfalls  mit  dem  von 
TertuUian  (de  praescr.  haer.  40)  erwähnten  summus  pontifex  identisch  ist. 
Bei  der  Aufnahme  aus  einem  niederen  Grade  in  einen  höheren^)  kamen 
nicht  nur  Gebet,  Enthaltsamkeit  und  eine  Anzahl  symbolischer  Akte  zur 
Anwendung,  sondern  es  waren  auch  gewisse  Prüfungen  zu  bestehen,  die, 
wie  die  spärlichen  Andeutungen  unserer  Quellen  erkennen  lassen,  vor 
allem  darauf  hinausliefen,  den  Neophyten  in  Schrecken  zu  setzen  und  seinen 
Mut  und  seine  Standhaftigkeit  auf  die  Probe  zu  stellen;^)  was  spätere 
Zeugen  von  Menschenopfern  und  grässlichen  Qualen  der  Aufzunehmenden 
zu  erzählen  wissen, 7)  gehört  offenbar  in  den  Bereich  der  gruselichen  Fabel. 


8808;  vgl.  Stat.  Theb.  I  719.  Justin.  Mart. 
dial.  c.  Tryph.  70.  Porphyr,  de  antro  nymph.  5. 
TertnU.  de  cor.  15.  Firm.  Mat.  err.  prof. 
rel.  5,  2. 

»)  CIL  VI   730.   737.   742;    ein  album 


VI  737). 

*)  Hieron.  epist.  107,  2  =  Mionb,  Patr. 
lat.  XXII  869.  Porphyr,  de  abst.  IV  16; 
vgl.  Henzbn  zu  CIL  VI  754. 

^)  Der  Terminus  f&r  den  Akt  der  Auf- 


8acrato[ruin]  aus  Portus  CIL  XIV  286,  ein  1  nähme   ist   JUerocoracica    trckdere,    cryfios 


Verzeichnis  der  ctUtorea  d{ei)  S{olis)  i(nvicti) 
Miihrcte  aus  Sentinum  XI  5737. 

«)  MagvstriGXh  VI  47.  717.  734.  1675; 
deeem  primi  VI  86. 

')  Ausser  den  sehr  oft  erwähnten  sacer- 
dotes  (ordo  sacerdotum  CIL  VI  2151),  die 
hftufig  zugleich  patres  sind  (CIL  VI  738. 
2271.  3727.  XIV  63),  begegnen  auch  anti- 
stiies  (CIL  VI  716.  XIV  57.  3567  u.  a.),  deren 
einer  den  Grad  eines  Löwen  bekleidet  (CIL 


tradere  oder  ostendere,  leontica,  persica,  he- 
liaca,  patrica  tradere,  CIL  VI  749  ff. ;  vgl. 
Porphyr,  de  abstin.  IV 16;  de  antro  nymph.  15. 

•)  Hist,  aug.  Comm.  9,  6:  sacra  Mi- 
thriaca  Jicmicidio  vero  polluitt  cum  iUic  ali" 
quid  ad  speciem  timoris  vel  dici  vel  fingt 
soleat.  Tert.  de  cor.  15.  Porphyr,  de  abst. 
IV  16.  August,  quaest.  vet.  et  novi  test.  114 
=  MiowB  XXXV  2343. 

0  Greg.  Naz.  or.  4,  70.  89.  39,  5  = 


310 


Religion  und  Kultus  der  BOmer.    ü.  Götterlehre. 


Über  den  dogmatischen  Inhalt  der  Mithrasreligion  erhalten  wir  fast 
ausschliesslich  durch  die  Denkmäler  der  Mithraeen  Auskunft,  naturgemäss 
oft  nur  eine  recht  unsichere  und  vieldeutige,  weil  uns  der  Schlüssel  zu 
der  fremdartigen  Symbolik  dieser  Darstellungen  fehlt.  Das  in  allen 
Mithraeen  wiederkehrende  Hauptbild  zeigt  Mithras  als  jugendlichen  Oott 
in  persischer  Gewandung,  wie  er  den  nach  rechts  stürmenden  Stier 
von  hinten  niederreisst  und  ihm  ein  breites  Messer  in  den  Hals  stösst, 
während  ein  Hund  nach  der  Wunde  aufspringt,  eine  Schlange  das  ent- 
strömende Blut  aufleckt,  und  ein  Skorpion  die  Hoden  des  gefällten  Tieres, 
dessen  Schwanz  in  ein  Ährenbüschel  ausläuft,  angreift:  Zeuge  der  Hand- 
lung ist  ein  dabei  sitzender  oder  fliegender  Rabe,  um  ein  im  Vordergründe 
befindliches  Gefäss  bewegen  sich  ein  Löwe  und  eine  Schlange,  zu  beiden 
Seiten  der  Gruppe  stehen  zwei  Jünglinge  in  persischer  Tracht,  der  eine 
mit  gehobener,  der  andere  mit  gesenkter  Fackel;  ihre  Namen  Cautes  und 
Cautopates  stehen  jetzt  inschriftlich  fest.^)  Das  Hauptbild  wird  oft  um- 
rahmt von  einer  Anzahl  kleiner  Reliefbilder,  die  in  typischer  Reihenfolge 
und  Wiederkehr  Scenen  eines  tsQog  loyog  vorführen,  in  denen  Mithras 
immer  wieder  die  handelnde  Person  ist,  zuweilen  im  Verkehr  mit  dem 
durch  Strahlenkranz  und  Peitsche  gekennzeichneten  Sonnengotte,  vielfach 
in  Verbindung  mit  dem  Stiere,  den  er  zähmt,  reitet  oder  gar  auf  dem 
Rücken  fortschleppt,  auch  in  andern  Handlungen,  z.  B.  einen  Pfeil  gegen 
einen  Felsen  abschiessend,  aus  dem  eine  Quelle  entspringt,  namentlich 
aber,  wie  er;  als  Kind  gebildet,  nackt  bis  auf  die  persische  Mütze,  in  der 
rechten  Hand  ein  Messer,  in  der  linken  eine  Fackel  haltend,  mit  halbem 
Leibe  aus  einem  Felsen  aufsteigt.  Diese  letztgenannte  Darstellung,  die 
häufig  auch  selbständig  statuarisch  gebildet  ist,  ist  die  einzige,  deren 
Deutung  durch  Inschriften  und  Schriftstellerzeugnisse  völlig  sichergestellt 
ist:  es  ist  die  Geburt  des  Mithras  aus  dem  Felsen,  ein  Mythus,  der  das 
erste  Erscheinen  des  Tageslichtes  auf  den  Berggipfeln  zu  versinnlichen 
scheint.')  Für  alle  andern  Scenen  geben  uns  die  Quellen  wohl  mehr  oder 
minder  künstliche  symbolische  Deutungen, 3)  aber  keinen  Bericht  über  die 
mythischen  Vorgänge,  die  uns  im  Bilde  entgegentreten  und  deren  Kenntnis 
Vorbedingung  wäre  für  die  Deutung  des  religiösen  Inhaltes.  Selbst  die 
Auffassung  des  Hauptbildes  ist  insofern  strittig,  als  die  einen  darin  die 
Darstellung  eines  kosmogonischen  Mythus  der  Perser,  die  andern  ein  von 
Mithras  zu  gunsten  seiner  Anhänger  gebrachtes  Entsühnungsopfer  sehen: 


MiQNB,  Patr.  gr.  XXXV  592.  620.  XXXVl  340 
und  dazu  die  tatoQiai,  des  Nonnos  (Cumont, 
Textes  et  monum.  II  p.  18  ff.)- 

M  Die  BeneunuDg  ist  sicher  gestellt 
durch  die  Inschriften  einer  Stele  im  dritten 
Mithraeum  zu  Heddemheim  (Gümont,  Westd. 
Zschr.  XIII  88  f.),  wodurch  sich  frühere  Ver- 
suche (zuletzt  GuHONT,  Rev.  arch^ol.  XII 1888, 
95  ff.)  erledigen.  Beide  Namen  sind  Bei- 
namen des  Mithras  (CIL  III  4416.  VII  650. 
GIRhen.  1413),  mit  dem  die  Figuren  auch 
in  Aussehen  und  Kleidung  ganz  identisch 
gebildet  sind.  Die  Etymologie  ist  ebenso 
unsicher,  wie  die  eines  andern  Beinamens 


Nabarzes  (CIL  III  1549.  3481 ;  Suppl.  7938. 
VI  722.  742). 

2)  Beog  ix  nhgae  Firm.  Mat.  err.  prof. 
rel.  20,  5;  vgl.  Justin.  Mart.  dial.  c.  Trjrph. 
70.  Commod.  instr.  1 13.  Hieron.  ady.  Jovin. 
I  7  =  MiGNB,  Patrol.  lat.  XXIII  219.  Lyd.  de 
mens.  III  26.  Inschriften  mit  Petrcte  genetrici 
CIL  III  4424.  4543;  Suppl.  8679.  Westd. 
Ztschr.  XIII  84,  vgl.  CIL  V  5020.  Im  allge- 
meinen s.  £.  Maionica,  Arch.  epigr.  Mitt. 
aus  Oesterr.  11  1878,  33  ff. 

')  s.  namentlich  Porphyr,  de  antro  nvmph. 
5.  18.  24.    Schol.  Stat.  Theb.  I  717  ff. 


E.  Saora  peregrina.    59.  Der  Mithrasdienst.  3X1 

für  die  zweite  dieser  —  übrigens  miteinander  keineswegs  unvereinbaren  — 
Ansichten  spricht  die  Bezeichnung  des  aus  der  Wunde  des  Stieres  fliessen- 
den Blutes  als  natna  cunctis,^)  das  für  alle  vergossene  heilige  Nass,  eine 
Wendung,  die  es  uns  gleichzeitig  begreifen  lässt,  wie  die  Christen  den 
Mithrasverehrern  vom  Teufel  eingegebene  Nachahmung  christlicher  Sakra- 
mente vorwerfen  konnten. >)  Neben  den  aus  dem  persischen  Mythus  selbst 
entnommenen  Darstellungen  enthalten  die  Mithraeen  auch  zahlreiche  Hin- 
weisungen auf  den  chaldäischen  Gestirndienst  in  Bildern  nicht  nur  von 
Sol  und  Luna,  sondern  auch  den  Planetengöttern  und  den  Gottheiten  des 
Tierkreises,  ferner  symbolische  Darstellungen  der  Elemente  und  ihres  Zu- 
sammenwirkens, phantastische  Gestalten  des  persischen  Glaubens,  wie  z.  B. 
den  geflügelten  und  von  einer  Schlange  umwundenen  löwenköpfigen  Gott 
mit  seinen  zahlreichen  symbolischen  Attributen,  den  Zoega  Aion  nannte,') 
daneben  wieder  vielfach  die  Bilder  griechischer  und  römischer  Götter,  die 
man  nicht  durchweg  als  Übersetzungen  persischer  Gottheiten  in  die 
Göttertypik  der  griechisch-römischen  Kunst  auffassen  darf,  sondern  als 
einen  Hinweis  darauf,  dass  die  Mithrasreligion  alle  früheren  griechischen 
und  römischen  Götterdienste  sich  unterwirft  und  in  sich  aufgehen  lässt. 
So  rätselhaft  und  geheimnisvoll  auch  der  gesamte  römische  Mithras- 
dienst ist  und  bleibt,  so  ist  doch  soviel  klar,  dass  der  hier  verehrte  Gott 
sowohl  in  seiner  Identifikation  mit  der  Sonne,  die  sich  in  dem  Namen  Sol 
invictus  Mithras  ausspricht,  wie  namentlich  in  der  dominierenden  Stellung, 
die  er  über  allen  andern  Gottheiten  einnimmt,  von  dem  gleichnamigen 
Gotte  des  Avesta  ganz  beträchtlich  verschieden  ist,^)  wie  auch  der  ganze 
Kreis  von  Beligionsvorstellungen,  der  im  occidentalen  Mithraskulte  zum 
Ausdi^ucke  kommt,  sicher  ausser  den  persischen  auch  fremdartige,  ins- 
besonders  chaldäische  Elemente  enthält.  Die  Darstellungen  des  in  den 
Mithraeen  immer  wiederkehrenden  Bildercyklus,  in  denen  Sol  und  Mithras 
als  unter  sich  verschiedene  Gottheiten  neben  einander  stehen,  zeigen  einen 
merkwürdigen  Widerspruch  mit  dem  offiziellen  Namen  des  Gottes:  denn 
die  Bezeichnung  Sol  invictus  Mithras  beweist,  dass  man  in  Rom  Mithras 
prinzipiell  nicht  schied  von  der  langen  Reihe  orientalischer  Gottheiten,  in 
welche  die  ebenfalls  als  Sol  invictus  bezeichneten  Ba'alim  von  Hemesa 
und  Palmyra  gehören.  Man  darf  daraus  vielleicht  schliessen,  dass  die  für 
den  Westen  des  Reiches  massgebend  gewordene  Umbildung  der  ursprüng- 
lichen Mithrasauffassung  eben  in  jenen  Gegenden  erfolgt  ist,  aus  denen 
die  im  vorigen  Abschnitte  (§  58)  charakterisierten  Gottheiten  nach  Rom 
kamen,  etwa  in  Kommagene,  möglicherweise  auch  in  Armenien  oder  Kap- 
padokien.  Auf  alle  Fälle  war  diese  Umbildung  abgeschlossen,  als  der 
Mithraskult  in  Rom  und  den  westlichen  Provinzen  Eingang  fand,  denn  er 
tritt  uns  dort  durchweg  als'  etwas  vollkommen  Fertiges  und  Einheitliches 
entgegen  und  hat  während  der  drei  Jahrhunderte,  aus  denen  unsere  Denk- 


»)  CIL  XIV  3567;  vgl.  VI  719.  781. 
s)  Jostin.  Mart.  apol.  I  66.    Tertull.  de 
praescr.  haeiv  40;  de  bapt.  5. 

>)  CuMOOT,  Westd.  Zschr.  XIII  97  flf. 
*)  Auch  dass  in  den  Mithraeen  dem  Ari- 


manios,  d.  h.  dem  göttlichen  Vertreter  des 
bösen  Prinzips,  Altäre  errichtet  werden  (CIL 
VI  47.  III  3414  f.),  steht  im  Widersproche 
mit  persischer  Anschauung. 


312  Religion  und  Enltufl  der  BOmer.    U.  GOtierlehre. 

inäler  stammen,  irgendwie  nachweisbare  und  erhebliche  Veränderungen 
und  Ausgestaltungen  nicht  erfahren.  Seine  Hauptblüte  fällt  zusammen 
mit  der  der  syrischen  Gottesdienste  in  das  ausgehende  zweite  und  nament- 
lich das  dritte  Jahrhundert  n.  Chr. ;  in  den  Provinzen  erlischt  er  zu  Anfang 
des  4.  Jahrhunderts,^)  in  Rom  hat  er  dagegen  gerade  in  der  zweiten 
Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  noch  einen  erneuten  Aufschwung  genommen, 
wie  nicht  nur  die  heftigen  Angriffe  des  Firmicus  Matemus,  Paulinus  von 
Nola  und  des  sogen.  Carmen  contra  paganos  (oben  S.  88),  sondern  auch 
die  Denkmäler  beweisen,  vor  allem  die  Inschriften  aus  dem  bei  San  Sil- 
vestro  in  Capite  gelegenen  Mithraeum  (CIL  VI  749  flf.),  die  bis  in  das  vor- 
letzte Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  hinunterreichen:  von  der  engen  Ver- 
bindung, die  der  Mithraskult  in  diesen  letzten  Zeiten  des  Heidentums  mit 
dem  Dienste  der  Magna  Mater  und  andern  Fremdkulten  einging,  legen 
zahlreiche  Taurobolienaltäre  der  gleichen  Zeit  (CIL  VI  500  flf.)  Zeugnis 
ab,  deren  Stifter  die  Priestertümer  der  Grossen  Mutter,  des  Mithras,  der 
Hekate,  des  Liber  und  oft  auch  anderer  Gottheiten  in  einer  Person  ver- 
einigen (s.  oben  S.  87  Anm.  3). 

Litteratur.  Dieser  Abschnitt  konnte  kurz  gestaltet  werden  mit  Rücksicht  auf  das 
gediegene  Werk  von  F.  Güvont,  Textes  et  monuments  figur^s  relatifs  aux  myst^res  de 
Mithras,  dessen  2.  Band  (Broxelles  1896)  eine  erschöpfende  Sammlang  und  Wiedergabe 
des  gesamten  litterärischen,  epigraphischen  und  Denkmälermaterials  bietet,  während  von 
dem  die  zusammenfassende  Erörterung  (Introduction)  enthaltenden  1.  Bande  zur  Zeit  erst 
die  erste  Hälfte  (1899)  vorliegt;  für  den  fehlenden  Teil  treten  vorläufig  ergänzend  ein 
GuxoNTS  Darlegungen  in  der  Westd.  Zeitschrift  XlII  1894  S.  69  ff.  und  in  Roschebs  Mythol. 
Lexik.  II  3029  ff.  Aus  der  sehr  reichen  älteren  Litteratur  verdienen  Anführung  noch 
G.  ZofiOA,  Abhandlungen  (herausg.  von  Welckbr)  S.  89  ff.  F.  Lajabd,  Introduction  au  culte 
de  Mithra,  Paris  1847;  Recherches  sur  le  culte  de  Mithra,  Paris  1867.  F.  Windiscqmann, 
Abhandlungen  f.  d.  Kunde  des  Morgenlandes  I  (1859)  8.  1  ff.  E.  B.  Stabk,  Zwei  Mithraeen 
der  Grossherzogl.  Altertumssamml.  in  Karlsruhe,  Heidelberg  1866. 

60.  Sonstige  Fremdkulte.  Die  Masse  fremder  Gottesdienste,  die 
seit  dem  Ausgange  des  2.  Jahrhunderts  in  Rom  irgendwo  private  Aus- 
übung finden,  ist  unübersehbar  und  kann  hier  nicht  erschöpfend  dargestellt 
werden;  nur  einige  Kulte,  die  zeitweise  auch  für  die  weitere  Öffentlichkeit 
eine  massgebende  Bedeutung  gewonnen  haben,  sollen  an  dieser  Stelle 
kurze  Würdigung  finden.  Obenan  steht  in  dieser  Hinsicht  der  Dienst  der 
Stadtgöttin  von  Karthago,  die,  mit  ihrem  einheimischen  Namen  n^n  (Tanith) 
genannt,^)  alsDeaCaelestis  im  ausgehenden  Altertume  auch  im  reli- 
giösen Leben  der  Hauptstadt  und  des  Heeres  eine  wichtige  Rolle  spielte. 
Diese  „ himmlische  Herrin''  des  punischen  Afrika,^)  deren  berühmter  und 
prächtiger  Tempel  zu  Karthago^)  bis  zum  Ende   des  4.  Jahrhunderts  be- 


*)  Das  jflngste  Zeugnis  ist  wohl  CIL  III 
4796  aus  Virunum,  wonach  im  J.  Sil  der 
Praeses  der  Provinz  Noricum  Aurelins  Her- 
modorus  das  templum  vetu8ta{te)  eonläbaum, 
quot  fuit  per  annos  amplitis  L  deserium, 
wiederherstellt. 

')  S.  namentlich  Nöldeke  bei  v.  Doma- 
BZEWSKi,  Westd.  Zschr.  XIV  74  f.  und  im 
allgemeinen  Cumont  bei  Pauly-Wissowa, 
Real-Encycl.  II   1247  ff.    Rosohbb,  Mythol. 


Lexik.  II  612  ff.  .   Ulpian.  reg.  22,  6. 


^)  Caelestis  Afrorum  (dea)  Tert.  ad  nat. 
II  8  =  apol.  24;  vgl.  Salvian.  de  gubem. 
dei  YIII  9.  Arabros.  epist.  I  18,  30  =  Migne 
XVI  980. 

*)  R.  Cagnat,  Rev.  archöol.  XXIV  1894, 
188  ff. ;  vgl.  über  den  karthagischen  Gottes- 
dienst mit  seinen  ausschweifenden  Festen 
und  seinen  Orakeln  namentlich  August,  c.  d. 
II  4.  26.  Eist.  aug.  Pertin.  4,  2;  Macrin. 
3,  1;   tyr.  trig.  29,  1.     Herodian.  V  6,  4, 


E.  Sacra  peregrina,    60.  Sonstige  Fremdkalte. 


313 


stand^)  und  deren  Dienst  von  Karthago  aus  auch  in  Numidien,  Maure- 
tanien und  bis  nach  Spanien  hinein  Verbreitung  gefunden  hatte,')  wurde 
in  Rom  durch  den  aus  Afrika  gebürtigen  Kaiser  Septimius  Severus  heimisch. 
Wenn  eine  späte  Überlieferung')  schon  bei  der  Zerstörung  Karthagos 
durch  Scipio  Africanus  minor  die  Stadtgöttin  vermittels  Evocation  nach  Rom 
kommen  lässt,  so  ist  das  sicher  eine  später  zurechtgemachte  Legende,  die 
sich  einmal  dadurch  widerlegt,  dass  die  Römer  die  Evocation  und  Über- 
nahme von  Gottheiten  unterworfener  und  zerstörter  Städte  nicht  über  eine 
eng  begrenzte  Zone  der  Nachbarschaft  hinaus  ausgedehnt  haben  (oben  S.  44), 
vor  allem  aber  auch  völlig  unvereinbar  ist  mit  dem  Fehlen  aller  Zeugnisse 
für  einen  stadtrömischen  Dienst  der  Caelestis  vor  Septimius  Severus.  Da- 
gegen erscheint  ihr  Bild^)  auf  den  Münzen  des  genannten  Kaisers  (Eokhel, 
D.  N.  yil  183),  und  Julia  Domna  lässt  sich  beim  rheinischen  Heere  als 
Caelestis  dea  Altäre  errichten.^)  Ein  stadtrömisches  Heiligtum,  dessen 
Existenz  für  das  Jahr  259  bezeugt  ist,®)  lag  an  bevorzugter  Stelle,  auf 
der  nördlichen  Anhöhe  des  capitolinischen  Hügels,  und  ist  wegen  dieser 
intrapomerialen  Lage  wohl  erst  als  eine  Gründung  des  Caracalla  anzusehen: 
wenn  dieses  Heiligtum  nicht  nach  Trastevere  oder  in  ein  anderes  entlegenes 
Stadtviertel  verwiesen  wurde,  sondern  recht  im  Herzen  der  Stadt  seinen 
Platz  fand,  so  wird  man  daraus  auf  staatliche  Reception  des  Gottesdienstes 
schliessen  dürfen,  und  für  die  Wahl  des  Ortes  ist,  da  man  die  karthagische 
Göttin  seit  Vergil  ziemlich  allgemein  mit  Juno  gleichzusetzen  pflegte,  7) 
gewiss  die  Nachbarschaft  des  altberühmten  Tempels  der  Juno  Moneta 
massgebend  gewesen.    Welches  Ansehen  die  Göttin  zur  Zeit  des  Kaisers 


')  Er  wurde  im  J.  399  in  eine  christ- 
liche Kirche  verwandelt,  bald  daranf  aber 
ganz  zerstört,  Anct.  de  promiss.  et  praedict. 
dei  III  38  =  Mionb,  Patrol.  lat.  LI  835.  Vict. 
Vit.  bist,  persec.  Vand.  I  8;  vgl.  August, 
enarr.  in  psalm.  62,  7.  98,  14;  serm.  105, 
12  ==  MiowB  XXXVI  752.  XXXVII  1270. 
XXXVin  624. 

')  Die  inschriftlichen  Zeugnisse  bei  Rüg- 
oixHO,  Dizion.  epigraf.  11  4  f.,  vgl.  Gxtvont 
a.  a.  0. 

■)  Serv.  Aen.Xll  841 ;  constat  hello  Punicxt 
secundo  exoratam  lunonem,  tertio  vero  hello 
a  Scipione  sacris  qutbuadam  etiam  Rotnam 
esse  translatam;  wenn  bei  Macr.  S.  III  9,  7 
das  Formular  der  evocatio  auf  Karthago  ge- 
stellt ist,  so  hat  dies  wohl  erst  der  von  Ma- 
crobius  indirekt  benützte  Serenus  Sammoni- 
cus,  ein  Zeitgenosse  des  Septimius  Severus 
(s.  WissowA,  Hermes  XVI  502  ff.),  so  an- 
geordnet. 

*)  Die  Göttin  sitzt  auf  einem  rasch  lau- 
fenden Löwen;  vgl.  Apul.  met.  VI  4  celsae 
Carthaginis,  quae  te  virginetn  vectura  leonis 
commeantem  percolit.  Cass.  Dio  LXXIX 
12,  2.    Tert.  apol.  12. 

*)  Westd.  Zschr.  IX  296  =  Körbeb,  Rom. 
Inschr.  d.  Mainzer  Museums  (1897)  nr.  13; 
vgl.  V.  DoMASZBWSKi  s.  s.  0.  S.  72  ff. ;  andre 
Milit&rinschriften  an  Caelestis  CIL  III  Suppl. 


10407.  10955,  vgl.  auch  III  992  f. 

')  Durch  die  neu  gefundene  Inschrift 
Notiz,  d.  scavi  1892,  407,  die  von  G.  Gatti, 
Dissert.  d.  pontif.  accad.  Rom.  di  archeol. 
ser.  II  t.  VI  (1897)  S.  331  ff.  schön  erläutert 
worden  ist.  Sonstige  stadtrömische  Inschriften 
CIL  VI  77—80.  545.  2242. 

')  z.  B.  Hör.  c.  II  1,  25.  Plin.  n.  h.Vl20. 
Minuc.  Fei  25,  9.  Tertull.  ad  nat.  II  17  = 
apol.  25.  Apul.  met.  VI  4.  Firm.  Mat.  err. 
prof.  rel.  4, 1 ;  letztgenannter  Autor  bezeichnet 
sie  zugleich  als  Venus  virgo  (luno  virgo 
Apul.  a.  a.  0.),  und  diese  Hervorhebung  der 
Jungfräulichkeit  findet  sich  ausserdem  so- 
wohl bei  Augustin.  c.  d.  II  4.  26.  Tert.  apöI. 
23.  Commod.  instr.  I  16,  9  als  auch  inschrift- 
lich (CIL  VIII  9796.  Not.  d.  scavi  1892,  407). 
Das  Beiwort  caelestis  erhalten  ausser  Juno 
(CIL  III  Suppl.  10407.  VIII  1424)  und  Venus 
(CIL  V  8137  f.  VI  780  IX  2562.  X  1596) 
auch  Diana  (CIL  V  5765.  VIII  999.  XIV 
3536,  vgl.  Herodian.  V  6,  4),  Fortuna  (CIL 
VIII  6943;  vgl.  Philastr.  de  baeres.  15:  alia 
haeresis  quae  Reginam,  quam  et  Fortunam 
caeli  nuncupantf  quam^H  Caelestem  vocant 
in  Africa)  und  Bona  Dea  (CIL  X  4849. 
XIV  3530),  ohne  dass  die  Beziehung  auf 
die  punische  Göttin  dadurch  flberall  gesichert 
wäre. 


8U 


Religion  und  Sultiui  der  BOmer.    ü.  Götterlehre. 


Elagabal  genoss,  beweist  die  Thatsache,  dass  er  gerade  sie  für  würdig 
erachtete,  die  Gemahlin  des  Sonnengottes  von  Hemesa  (oben  S.  306)  zu 
werden,  und  darum  ihr  aus  dem  karthagischen  Mutterheiligtume  herbei- 
geholtes Bild  in  der  feierlichen  Form  des  teQcg  ydiioq  mit  seinem  Gotte 
vermählen  liess.^)  Über  die  Formen  des  Kultes  der  Caelestis  fehlt  es  uns 
an  Nachrichten:  die  Verehrung  durch  Gemeinden  von  Eingeweihten')  und 
den  ausgeprägt  monotheistischen  Zug')  hat  sie  mit  den  andern  Fremd- 
kulten östlichen  Ursprungs  gemeinsam,  mit  denen  sie  auch  hin  und  wieder 
in  Verbindung  tritt :^)  ihre  Bedeutung  noch  im  4.  Jahrhundert  beweist  die 
Polemik  des  Firmicus  Maternus  (de  err.  prof.  relig.  4),  der  sie  zusammen 
mit  Isis,  Magna  Mater  und  Mithras  zum  Gegenstande  seiner  heftigsten 
Angriffe  macht,  und  noch  im  5.  Jahrhundert  eifert  Salvianus  (de  gub.  dei 
VIII  9  f.)  erregt  gegen  ihre  Anhänger  in  Afrika.  Dass  die  karthagische 
Göttin  wie  jede  semitische  Ba'alath  auch  einen  männlichen  Kultgenossen 
neben  sich  hatte,  würde  man  auch  ohne  direktes  Zeugnis  anzunehmen  be- 
rechtigt sein:  auf  zwei  Inschriften  wird  dieser  Genosse  als  Aesculapius 
bezeichnet,^)  und  ein  Tempel  dieses  Gottes,  d.  h.  des  phönizischen  Eschmun, 
lag  auf  der  Byrsa  von  Karthago,^)  d.  h.  also  in  unmittelbarer  Nachbar- 
schaft desjenigen  der  Stadtgöttin.  Es  scheint  aber  auch  ein  Zusammen- 
hang zwischen  Caelestis  und  dem  in  römischer  Ausdrucksweise  Juppiter 
optimus  maximus  Hammon^)  genannten  Gotte  bestanden  zu  haben,  in  dem 
sich  der  kyrenäische  Ammon  und  der  phönizische  Ba'al  Chamman  ver- 
einigen. ®) 

Eine  besondere  Gruppe  von  grossem  Interesse  bilden  die  thrakisch- 
phrygischen  Gottheiten,^)  unter  denen  der  von  den  Griechen  meist 
mit  Dionysos, lö)  von  den  Römern  durchweg  mit  Juppiter  identifizierte ^0 
Savazios^')  obenan  steht.   Obwohl  sein  Name  schon  in  der  republikanischen 


>)  Herodian.  Y  6,  4.  Gass.  Bio  LXXIX 
12,  1. 

*)  Sacratae  Not.  d.  scavi  1892,  407  (vgl. 
August,  c.  d.  II  26),  wo  auch  Priesterinnen 
und  canistrariae  erwähnt  werden;  Priester 
mehrfach  in  Afrika,  ein  princeps  sacerdotium 
deae  Caelestis  in  Rom  CIL  VI  2242. 

^)  Bezeichnend  dafür  sind  namentlich 
die  beiden  von  Bübcheleb  mit  Recht  auf 
Caelestis  bezogenen  Gedichte  vom  Hadrians- 
wall  und  aus  Auzia  in  Mauretanien,  CIL  VII 
759.  VIII  9018  =  BuBCHBLEB,  Anth.  epigr. 
nr.  24.  253. 

*)  z.  B.  machen  leanes  des  Mithraskultes 
eine  Weihung  an  Caelestis,  CIL  VI  80. 

^)  Caelesti  augustae  et  Aesculapio  au- 
gusto  et  Genio  Carthaginis  CIL  III  993; 
sacerdos  publiciis  deae  Caelestis  et  Äescu- 
lapi  VIII  Suppl.  16417. 

•)  Strab.  XVII  882.  Liv.  XLI  22,  2. 
XLII  24,  3. 

7)  CIL  IIl  8463.  VI  378.  XI  8077;  vgl 
II  3729.  III  Suppl.  11128. 

')  Interessallt  ist  namentlich  das  Ge- 
dicht CIL  VIII  9018  =  BuBCHBLBB,  Anth. 
epigr.  nr.  253,  wo  Caelestis  angeredet  wird: 


Pan]thea  comigeri  sacris  adiuncta  Tonantis, 
q\ua^  Libycis  Maurisque  simul  venerabüis 
oris  [his]  etiam  colitur  terris,  quam  luppiter 
Hammon  [inter]  utrumque  lai[us\  i?i[e]ätam 
cum  Bite  severe  [dext]er  sede  tegit.  Im  all- 
gemeinen vgl.  y.  Dom ASZBWSKi  und  Nöldsks, 
Westd.  Zschr.  XIV  73  ff.  R.  Pietschmann 
bei  Pauly-Wissowa,  Real-Encycl.  I  1856. 

*)  Ueber  die  ethnographischen  und  reli- 
gionsgeschichtlichen Zusammenhänge  der 
Thraker  und  Fhryger  vgl.  F.  Ebbtschmbb, 
Einl.  in  die  Gesch.  d.  griech.  Sprache  S.  171  ff., 
namentlich  S.  194  ff. 

^»)  Cic.  de  nat.  deor.  III  58.  Flut.  Quaest. 
conv.  IV  6,  2.  Macr.  S.  1  18,  11.  Lyd.  de 
mens.  IV  38. 

")  Inschriftlich  CIL  VI  429  f.  XI  1323. 
XIV  2894. 

^')  Ueber  die  Namensform  s.  üsenbb, 
Göttemamen  S.  43  f.  Ebetsohheb  a.  a.  0. 
S.  195  f.  Ueber  den  Gott  im  allgemeinen 
s.  F.  Lbnobmant,  Rev.  archöol.  N.  S.  XXVIII 
(1874)  300  ff.  380  ff.  XXIX  (1875)  43  ff. 
Fbelleb-Robbbt,  Griech.  Mythol.  S.  701  f.; 
vgl.  auch  Monum.  d.  Inst,  suppl.  t4iv.  28. 


E.  Sacra  peregrina.    60.  Sonstige  Fremdknlte, 


315 


Zeit  den  Römern  bekannt  war  und  mit  dem  des  Gottes  der  Juden  deus 
Sabaoth  vermengt  wurde,  ^)  so  haben  wir  doch  keinen  Anhaltspunkt  für 
die  Annahme,  dass  sein  Gottesdienst  und  seine  Mysterien,  die  sacra  Savadia*)^ 
in  Rom  und  Italien  früher  als  gegen  Ende  des  2.  christlichen  Jahrhunderts 
eingedrungen  wären  :^)  datierte  Zeugnisse,  wie  ein  Lageraltar  aus  Mainz 
(v.  DoMASZEWSKi,  Wostd.  Ztschr.  XIV  41)  und  einer  der  Steine  der  Equites 
singulares  (v.  J.  241,  Henzen,  Annali  d.  Inst.  1885,  273),  führen  uns  nur 
bis  in  die  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  hinauf,  und  sicher  nicht  älter  ist 
auch  der  Vincentius  antistes  Sabazis  (CIL  VI  142),  der  die  mit  den  be- 
kannten Gemälden  geschmückte  Grabkammer  der  Vibia  errichten  liess>) 
Der  Zevq  Bqovxdv  von  Dorylaion^)  hatte  als  Deus  Bronton  oder  luppUer 
sandus  Bronton  in  Rom  Verehrer  und  Priester,^)  während  die  Annahme, 
dass  auch  der  ausschweifende  Geheimdienst  der  thrakischen  Kotyto  in 
Rom  geübt  worden  sei,  auf  einem  Missverständnisse  beruht.  7)  Von  be- 
sonderem Interesse  sind  die  zahlreichen  im  Bereiche  des  Prätorianerlagers 
gefundenen  Votivsteine,  die  im  3.  Jahrhundert  von  thrakischen  Ange- 
hörigen der  cohortes  praetoriae  den  Göttern  ihrer  Heimat  {diis  paternis) 
gesetzt  sind,  z.  B.  dem  Deus  sanctus  Heros,  dem  Asclepius  Zimidrenus, 
dem  Zbelthiurdos  u.  a.^)  Blieben  auch  selbstverständlich  diese  Gottheiten 
fremder  Soldaten  von  den  Staatsgöttern  eben  so  streng  geschieden  wie 
z.  B.  die  von  den  keltischen  und  germanischen  Equites  singulares  verehrten 
Fata,  Suleviae  und  Gampestres  (s.  oben  S.  77),  so  zeigt  doch  das  Beispiel 
der  ebenfalls  keltischen  Epona,  die  seit  dem  1.  Jahrhundert  n.  Chr.  auch 
in  Rom  selbst  in  ziemlich  weitem  Umfange  zur  Schutzgöttin  der  Ställe 
geworden  ist,^)  wie  stark  unter  Umständen  wenigstens  der  Privatkult  von 
solchen  fremden  Religionsvorstellungen  sich  beeinflussen  Hess. 

Zu  den  in  erster  Linie  von  den  Soldaten  verehrten  Gottheiten  ge- 
hört auch  Nemesis, ^^)  und  zwar  weist  nicht  nur  die  grosse  Ausdehnung 


>)  Val.  Max  I  3,  3  (aus  dem  J.  615  = 
139):  It*daeo8f  gut  Sdbazi  lovis  culiu  Ro- 
manos inficere  mores  conati  eranty  repetere 
domos  suas  coegit;  vgl.  F.  Gumont,  Hypsi- 
stos  (Rev.  de  Tinstruct.  publ.  en  Belg.  XL 
1897  Soppl^m.)  S.  5  f. 

')  Sacerdos  sacrorum  Savadiorum  CIL 
X  5197;  vgl.  Sacra  et  ritus  initiationis  ipsius^ 
quibus  Sebadiis  nomen  est,  Amob.  \  2\,  wo 
auch  einige  Angaben  über  den  Inhalt  der 
Mysterien  stehen  (vgl.  Clem.  Alex,  protr.  2. 
Firm.  Mat.  err.  prof.  rel.  lO,  2). 

*)  Apul.  met.  VIII 25 :  omnipotens  et  omni- 
parens  Vea  Syria  et  sanctus  Sabadius  et 
BeUona  et  Mater  Idaea  et  cum  suo  Adone 
Venus  domina  caecum  reddant  beweist  nichts 
f&r  römischen  Kult. 

*)  Dass  diese  Gemälde  eine  direkte  Be- 
ziehung auf  die  Sa vazios- Mysterien  hätten 
(Maass,  Orpheus  S.  207  ff.),  ist  nicht  er- 
weislich. 

*)  CuMOKT  bei  Pauly-Wissowa,  Reai- 
Encycl.  ITI  891. 

•)  CIL  VI  432.  733  (vgl.  unten  S.  317 


Anm.  3).  2241.    Inscr.  gr.  Sicil.  Ital.  982  f. 

^)  Die  Erwähnungen  der  spurca  Cotyttia 
bei  Verg.  catal.  5,  19  und  Hör.  epod.  17,  56 
sind  rein  litterarischer  Natur  und  gehen 
ebensowenig  auf  römische  Verhältnisse  wie 
Juven.  2,  92. 

8)  CIL  VI  2797—2860  und  dazuMoMMSRN 
p.  720;  vgL   HE17ZEN,  Bull.  arch.   com.  III 

1875,  83  ff.    Hekzen  und  Visconti  ebd.  IV 

1876,  61  ff.    Länciani  ebd.  VIII   1880,   12. 
G.  Gatti  ebd.  XVI  1888,  140. 

»)  Juven.  8,  154.  Minuc.  Fei.  27,  7. 
Tert.  ad  nat.  I  11  =  apol.  16.  Prud.  apoth. 
197.  CIL  VI  293.  Annali  d.  Inst.  1881  Tav. 
d'agg.  S;  s.  auch  oben  S.  77  Anm.  2.  3. 

'^)  Unter  den  zahlreichen,  meist  dem 
3.  Jhdt.  angehörenden  Soldateninschriften 
ist  beachtenswert  namentlich  CIL  VI  2821 
(vom  J.  246):  J.  0.  M,  et  Marti  et  Nemesi 
[ei\  Soli  et  Victoriae  et  omnibus  diis  patri- 
ensibus  civ{e8)  ex  prov{incia)  Belgica  Au- 
g{u8ta)  Viromanduoru{m)  (folgen  die  Namen 
zweier  Prätorianer). 


316 


Religion  imd  Kultiui  der  B5mer.    IL  GOtterlehre. 


ihres  Kultes  in  den  Dpnauländern,  sondern  namentlich  auch  die  Thatsache, 
dass  sie  im  Bilde  mit  Diana,  der  Hauptgöttin  der  Westthraker  (oben 
S.  203  Anm.  1)  verschmolzen  wird^),  auf  jene  Gegenden  als  lokalen  Aus- 
gangspunkt ihres  Dienstes  hin:  bei  den  Truppen  wird  sie  einerseits  (an- 
knüpfend an  griechische  Anschauungen)  als  die  Beschützerin  der  Arena,*) 
andererseits  als  eine  der  Schutzgottheiten  des  Exerzierplatzes  verehrt,  in 
welcher  Eigenschaft  sie  den  Namen  Nemesis  campestris  führt.')  Aber  auch 
die  auf  griechischem  Boden  in  der  Eaiserzeit  weit  verbreitete  allgemeinere 
Vorstellung,  die  in  Nemesis  eine  mit  Tyche-Fortuna  identische  oder  min- 
destens nahe  verwandte  Gottheit  sah,^)  hat  in  Rom  Eingang  gefunden. 
Ein  auf  dem  Capitol  befindliches  Nemesisbild  freilich,  dessen  der  ältere 
Plinius  Erwähnung  thut,^)  diente  gewiss  nicht  Eultzwecken,  aber  im 
3.  Jahrhundert  begegnen  uns  nicht  ganz  selten  sichere  Zeugnisse  für  den 
Glauben  an  eine  den  Weltlauf  beherrschende, <^)  aller  übrigen  Götter  Macht 
in  sich  vereinigende  Nemesis-Fortuna,^)  die  von  ihren  Anhängern,  den 
Nemesiaci^),  in  den  ausschweifenden  Formen  der  Fremdkulte^)  verehrt  wird. 
Doch  scheint  sich  ihr  Dienst  mehr  auf  die  unteren  und  mittleren  Schichten 
der  Bevölkerung  beschränkt  zu  haben;  wenigstens  finden  wir  unter  den 
fremden  Gottesdiensten,  deren  Würden  und  Grade  von  den  vornehmen 
Vorkämpfern  des  sinkenden  Heidentums  im  4.  Jahrhundert  bekleidet  werden 
(oben  S.  87),  den  der  Nemesis  nie  erwähnt,  dagegen  —  neben  den  Weihen 
des  Mithras,  der  Grossen  Mutter,  der  Isis  u.  a.  —  fast  ausnahmslos  das 
Priestertum  der  Hekate  {hierophanta  Hecatae),^^)  mit  dem  sich  ziemlich 
regelmässig  die  Würde  eines  archibucolus  dei  Liieri^^)  verbindet.  Da  die 
römischen  Hekatemysterien  aus  Aegina  herstammten  ^<)  und  die  dortigen 
Weihen  als  von  Orpheus  begründet  galten,^')  so  haben  die  Römer  wohl 


1)  CIL  m  4788;  Snppl.  10440  und  mehr 
bei  J.  ZiNOBBLB,  Arch.  epigr.  Mitt.  aus  Oesterr. 
XX  1897,  228  flf. 

')  So  namentlich  bei  den  Amphitheatern 
von  Aqnincnm  (CIL  III  Sappl.  10439  ff.),  Car- 
nuntum  (Arch.  epigr.  Mitt.  aX  205  ff.)  n.  a., 
vgl.  A.  y.  Pbemerstbiv,  Philol.  LIII  (N.  F. 
VII  1894)  407  ff. 

>)  CIL  VI  533  (herrührend  von  einem 
campt  doctor);  vgl.  die  ganz  ähnliche  Wei- 
hung an  Mar 8  campester  CIL  II  4088  und 
M.  SiEBOüRO,  De  Sulevis  Campestribus  Fatis 
(Dias.  Bonn  1886)  p.  86  ff. 

^)  Ueber  die  griechischen  Nemesisvor- 
stellungen 8.  H.  PosNAKSKT,  Nemosis  und 
Adrasteia  [Bresl.  philol.  Abhandl.  V  2],  Breslau 
1890.  0.  RossBAOH  in  Rosohers  Mythol. 
Lexik.  III  117  ff. 

»)  Plin.  n.  h.  XI  251.  XXVIII  22;  vgl. 
Auson.  Mos.  879. 

<)  Regina  heisst  sie  z.  B.  CIL  III  827. 
1488.  4008  u.  a.;  fisydXrj  NifABütg  ij  ßatri- 
XevoviTa  rov  xoafiov  Inscr.  gr.  Sicil.  Ital. 
1012  =  CIL  VI  582. 

')  Amm.  Marc.  XIV  11,  25  ff.  Mart. 
Cap.  I  88.  CIL  III  1125:  deae  Nemesi  sive 
Fortunae,    Hist.  aug.   Max.   et  Balb.  8,  6: 


Nemesis,  id  est  vis  quaedam  Fortunae.  Dasa 
der  Restitutionstag  des  Tempels  der  Nemesis 
in  Aquincum,  der  24.  Juni  214  (CIL  III  Suppl. 
10439),  auf  das  Datum  des  natalis  Fortis 
Fortunae  (oben  S.  206)  fällt  (Moxxsbn, 
Ephem.  epigr.  IV  p.  127),  ist  wohl  nicht  mehr 
als  ein  Zufall. 

^)  Commod.  instr.  I  19.  Paulin.  NoI. 
epist.  16,  4.    Cod.  Theod.  XIV  8,  3. 

*)  Nemesis  und  Magna  Mater  zusammen 
in  Ostia,  CIL  XIV  34;  mit  Isis  wird  Nemesis 
identifiziert  von  Apul.  met.  XI  2,  mit  der 
Sonne  von  Macr.  S.  I  22,  2. 

»0)  CIL  VI  504.  511.  1675.  Eph.  epigr. 
VIII 648;  bloss  Ä^Vro/an^a  CIL  VI  261. 1778  f.; 
${acerdos)  d{eae)  Hecate  VI  500,  hierophanta 
Hecatar(um)  VI  510,  vgl.  507. 

»')  CIL  VI  504.  510.  1675.  Eph.  epigr. 
VIII  648;  8{acerdos)  d{ei)  L{%beri)  VI  500, 
hierophantes  Liberi  patris  et  Heeatarum 
VI  507. 

'*)  Aconia  Fabia  Paulina,  welche  hiero- 
phantria  deae  Hecatae  ist  (CIL  VI  1780), 
nennt  sich  sacrata  apud  Eginam  Hecatae 
(VI  1779;  vgl.  sacrata  apudAeginam  deahus 
1780). 

>^)  Paus.  II  30,  2;  vgl.  A.  Dibtbbich,  De 


E.  Sacra  peregrina.    60.  Sonstige  Fremdkulte. 


317 


die  Geheimdienste  von  Hekate  und  Dionysos  gemeinsam  aus  Aegina  er- 
halten. Wo  von  Hecatae  oder  deae  in  der  Mehrzahl  die  Rede  ist,  sind 
darunter  Hekate  und  Persephone  zu  verstehen  (vgl.  Apul.  met.  XI  2),  die 
Feier  der  Mysterien  in  nächtlichem  Dunkel  und  unter  düsterem  Cere- 
moniell^)  entspricht  dem  Charakter  der  Göttinnen.  Offen  bleibt  die  Frage 
nach  der  Zeit,  in  der  der  gemeinsame  Geheimdienst  von  Hekate  und 
Dionysos  in  Rom  Aufnahme  fand.  Die  angeführten  Zeugnisse  stammen 
sämtlich  erst  aus  dem  4.  Jahrhundert;  da  jedoch  Mysterien  des  Dionysos 
in  Rom  mit  Sicherheit  schon  zur  Zeit  des  Septimius  Severus  nachweisbar 
sind  (CIL  VI  461)  und  die  für  diese  bestimmten  Kultgenossenschaften 
{spirae,  s.  oben  S.  248)  schon  damals  Beziehungen  zum  Hekatedienste  haben,') 
so  werden  wir  annehmen  dürfen,  dass  dieser  ganze  Kult  im  3.  Jahrhundert 
sich  mehr  in  den  niederen  Kreisen  der  Bevölkerung  hielt,  im  4.  Jahr- 
hundert aber  unter  dem  Drucke  des  siegreich  vordringenden  Christentums 
mit  den  übrigen  sacra  peregrina  in  engere  Beziehung  trat')  und  daraufhin 
zu  jenen  vornehmen  Gottesdiensten  gezählt  wurde,  durch  deren  Übung 
und  Erhaltung  man  dem  absterbenden  Heidentume  neues  Leben  einflössen 
zu  können  meinte. 


hymnis  Orphicis  (1891)  S.  44  f.  Maass,  Or- 
phens  S.  176. 

0  Im  J.  377  nennt  sich  Sabina  o^yia 
Jrjove  itai  (poßeQag  'Exatrj^  vvxtag  inuyrafiiyfj 
Inscr.  gr.  Sic.  Ital.  1019;  vgl.  CIL  VI  1779 
=  BuECHELSR,  Anth.  epigr.  nr.  111,  28  He- 
eates  ministram  trina  secreta  edoces,  Zosim. 
IV  3. 

j)  CIL  VI  261  Fla{ma)  Procia  Cal{0' 
caeri)  et  spira;  pro  salu{te)  Augg,  nn.  M. 
A'UT{eliu8)  Sabinus  d.  d,  d.  8uppl(icante)  C. 


Itd{io)  CaXocaero  ierof{anta)  steht  auf  der 
Basis  einer  Hekatestatue ;  vgl.  CIL  XI  671 
sacerdoB  Liberi  et  Ecate, 

*)  Ein  scLcerdoB  dei  Brontofitis  et  Aecate 
gründet  ein  spelaeum  des  Mithras,  CIL  VI 
783;  Annäherung  an  Magna  Mater  beweist 
die  Wendung  Cihelea  triodeia  signa  CIL  VI 
511  =  BuEOHELEB,  Anth.  epigr.  nr.  1529  A  5; 
unter  den  zahlreichen  Gottheiten,  deren  Quali- 
täten Isis  in  sich  vereinigt,  erscheint  Hekate 
schon  bei  Apul.  met.  XI  5. 


Dritter  Teil. 

Die  Formen  der  Götterverehrung. 

61.  Sacralrechtliche  Grundlagen.  Zwischen  dem  Römer,  dem  ein- 
zelnen sowohl  wie  der  Gemeinde,  und  der  Gottheit  besteht  ein  fester 
Rechtsverkehr,  der  sich  nach  den  Sätzen  des  vom  ius  humanum  streng 
geschiedenen  ius  divinum  vollzieht;  0  dieses  ius  divinum  greift  sowohl  in 
öffentliche  wie  in  private  Rechtsverhältnisse  ein,  da  aber  der  Staat  nicht 
nur  im  Namen  der  Gesamtheit  zur  Gottheit  in  Beziehung  tritt,  sondern 
iauch  den  Einzelverkehr  seiner  Bürger  mit  ihr  regelt  und  beaufsichtigt, 
so  bildet  das  ius  sacrum  einen  Teil  des  ius  publicum,^)  Grundlage  und 
Voraussetzung  für  die  gesamte  Götterverehrung  ist  das  Gefühl  der  Ab- 
hängigkeit von  der  göttlichen  Macht  und  Fürsorge  (religio)^)  und  der  Wunsch, 
die  höheren  Gewalten  sich  gnädig  zu  stimmen  und  zu  erhalten,  als  dessen 
Ausfluss  sich  der  gesamte  öffentliche  wie  private  Gottesdienst  giebt:  er 
erhält  seine  bestimmte  Gestaltung  durch  eine  lange  Reihe  von  Einzelfest- 
setzungen, indem  der  Staat  oder  der  Einzelne  in  rechtsverbindlicher  Form 
Verpflichtungen  zu  einmaligen  oder  wiederkehrenden  Leistungen  eingeht 
und  durch  deren  gewissenhafte  Einhaltung  auch  die  Gottheit  an  die  Er- 
füllung der  mehr  oder  weniger  ausdrücklich  ausbedungenen  Gegenleistungen 
für  gebunden  erachtet,  mag  diese  Gegenleistung  in  der  dauernden  Gewäh- 
rung und  Erhaltung  der  göttlichen  Huld,  wie  sie  sich  in  Fernhaltung  alles 
Bösen  und  Herbeiführung  alles  Guten  und  Erwünschten  zeigt,  bestehen 
oder  in  einer  Dokumentierung  dieser  Huld  im  Einzelfalle  durch  Abwen- 
dung einer  bestimmten  Gefahr  oder  Leitung  eines  speziellen  Beistandes. 


*)  Gai.  II  2:  summa  itaque  rerum  divi- 
sio  in  duo8  articulos  diducituff  nam  aliae 
sunt  divini  iuris,  aliae  humani.  Serv.  Georg. 

I  269:  fas  et  iura  stnuntf  id  est  divina  hu- 
manaque  iw/apermittunt:  nam  ad  religionem 
fas,  ctd  homines  iura  pei'tinent. 

*)  Ulpian.  Dig.  II,  1,  2:  publicum  ius 
est,  quod  ad  statum  rei  Bomanae  spectat. 
privatum  quod  ad  singulorum  utilitatem  .... 
publicum  ius  in  sacris,  in  sacerdotibus,  in 
magistratibusconsistit:  vgl.MoMiiSEN,  Staatsr. 

II  52. 


')  Cic.  de  har.  resp.  19:  pietate  ac  re- 
ligione  atque  hac  una  sapientia,  quod  deo- 
rum  numine  omnia  regi  gubemarique  per^ 
speocimuSy  omnis  gentis  nationesque  supera- 
vimus;  de  inv.  II  161:  religio  est,  quae 
superioris  cuiusdam  naiui  ae,  quam  divinam 
vocant,  curam  caerimoniamque  affert,  Cicero 
leitet  das  Wort  von  relegere  (Gegensatz 
neglegere)  ab  (de  nat.  deor.  11  72,  dagegen 
Lact.  inst.  div.  IV  28,  3  ff.,  vgl.  Serv.  Aen. 
VIII  349 :  religio  id  est  meius  ab  eo  quod 
mentem  religet  dicta  religio). 


61.  Saoralrechtliohe  Qnmdlagen.  319 

Der  Grundstock  der  sacralen  Verpflichtungen  des  Staates  geht  zurück  bis 
auf  seine  Anfänge.  Wie  bei  der  Begründung  einer  colonia  civium  Borna- 
norum  auf  die  Konstituierung  des  neuen  Gemeinwesens  sofort  die  Regelung 
seiner  sacralen  Verbindlichkeiten  durch  die  ersten  Magistrate  unter  Mit- 
wirkung des  Gemeinderates  erfolgt,^)  so  denkt  man  sich  in  der  Vorzeit 
die  Begründung  der  römischen  Staatsreligion :  nachdem  Romulus  die  Stadt- 
gründung vollzogen  und  die  junge  Gemeinde  nach  aussen  gesichert  und 
im  Innern  gegliedert  hat,  ordnet  sein  Nachfolger  die  sacra  populi  Romani:*) 
mögen  die  Götter  an  sich  auch  selbstverständlich  älter  sein  als  der  römische 
Staat,  römische  Staatsgötter  gibt  es  erst  nach  der  Begründung  des  römi- 
schen Staates,  die  römische  Religion  ist  eine  Staatseinrichtung  sowohl  was 
die  Auswahl  der  Götter^)  als  was  die  Form  ihrer  Verehrung*)  anlangt. 
Dieser  ganze  Kreis,  der  auf  die  älteste  Religionsordnung  zurückgehenden 
Sacra  patria  bleibt,  einmal  durch  Vertrag  des  die  Gemeinde  vertretenden 
Königs  mit  der  Gottheit  festgesetzt,  für  alle  Zeiten  unverändert  bestehen, 
und  es  ist  oben  S.  15  ff.  dargelegt  worden,  dass  die  Gottheiten,  deren 
Verhältnis  zum  römischen  Volke  als  auf  jenen  ältesten  Sacralverträgen 
beruhend  gedacht  wurde,  die  di  indigetes^  bestimmte  Sonderrechte  genossen, 
indem  sie  allein  Einzelpriester  (flamines)  besassen,  nur  ihre  Festtage  ein 
für  allemal  consecriert  d.  h.  als  feriae  dem  menschlichen  Verkehre  ent- 
zogen waren  und  nur  auf  ihren  Dienst  das  schwierige  und  komplizierte 
alte  Geremonialgesetz  Anwendung  fand.  Dieser  Grundstock  sacraler  Ver- 
pflichtungen des  römischen  Staates  hat  aber  eine  andauernde  Vermehrung 
erfahren,  indem  von  seiten  der  Gemeinde  stets  neue  Verbindlichkeiten 
eingegangen  wurden,  sei  es  zu  neuen  Leistungen  gegen  die  bereits  aner- 
kannten Staatsgötter  sei  es  gegen  neue  Gottheiten  zur  Aufnahme  ihres 
Kultes. 

Die  Form,  in  welcher  sich  die  Übernahme  solcher  neuen  Verbind- 
lichkeiten in  der  Regel  vollzieht,  ist  das  Votum,  d.  h.  die  in  rechts- 
verbindlicher Form  gegebene  Feststellung  sowohl  dessen,  was  der  Ge- 
lobende von  der  Gottheit  erbittet,  als  dessen,  was  er  für  den  Fall  der 
Gewährung  seiner  Bitte  jener  als  Gegenleistung  darzubringen    sich  ver- 


')  Lex.  Colon.  Genet.  (CIL  II  Snppl.  5489)  I  de  divinis,  quia  divinae  istae  ah  hominibus 
0.  64:   -//vfr(t)  quicumque  post  c(H(oniam)  \  constitutae  sunt,  ?iaec  rcUio  est:  ^sictU  prior 


deductam  erunt,  n  in  diebus  X  proxumis, 
quibua  eum  fnag(istratum)  gerere  coeperint, 
at  decuriones  referunto  . .  .  guos  ei  quot  dies 
festos  esse  et  quae  sacra  fieri  pttblice  placeat 
et  quos  ea  sacra  facere  placeat,  Ueber  die 
zu  yerehrenden  Götter  erübrigt  sich  jeder 
Beschlciss,  da  die  Kolonien  als  quasi  effigies 
parvae  simülacraque  populi  Romani  (Gell. 
XVI  13, 9)  natttilich  die  rOmiscben  Staats- 
götter verehren. 

')  Liv.  119.  Cic.  de  rep.  II  26  and  mehr 
bei  ScHWBGLEB,  Rom.  Gesch.  1  540  ff. 

')  Liv.  XXXIX  15,  2:  hos  esse  deos,  quos 
colere  venerari  precarique  maiores  vestri 
instituissent  Varro  ant.  rer.  div.  I  bei  August, 
c.  d.  VI  4 :  Varronis  igitur  confitentis,  ideo 
se  prius  de  rebus  humanis  scripsisse,  postea 


esf^  inquit  „pic^or  quam  tabula  picta,  prior 
faber  quam  aedificium,  ita  priores  sunt  et- 
vitates  quam  ea,  quae  a  civüatibus  instituta 
sunt*,  dicit  autem  prius  se  scripturum 
fuisse  de  dis,  postea  de  hominibtis,  si  de 
omni  natura  deorum  scriberet, 

*)  Liv.  I  20,  5 :  pontificem  deinde  (Numa) 
.  .  .  legit  eique  sacra  omnia  exscripta  ex- 
signataque  attrihuit,  quibus  hostiis,  quibus 
diebus,  ad  quae  templa  sacra  fierent  atque 
unde  in  eos  sumptus  pecunia  erogaretur, 
Cic.  Sest.  91 :  tum  res  ad  communem  utili- 
tatem,  quas  pubTicas  appellamus,  tum  con- 
venticula  hominum,  quae  postea  dviiates 
appellatae  sunt,  domicilia  coniuncta,  quas 
urbes  dicimus,  invento  et  divino  iure  et 
humano,  moenibus  saepserunt. 


320 


Religion  und  Koitus  der  BOmer.    IIL  Knltns. 


pflichtet.  0  Mit  dem  Augenblicke  der  feierlichen  Aussprache  dieses  Ge- 
lübdes^) ist  der  Gelobende  bezw.  die  durch  ihn  vertretene  Gemeinde  an 
diese  Erklärung  gebunden;  bis  zu  dem  Zeitpunkte,  der  über  Erfüllung 
oder  Nichterfüllung  seiner  Bitte  entscheidet,  befindet  er  sich  in  derselben 
Lage  wie  der  Angeklagte  bei  noch  schwebendem  Prozesse,')  sobald  das 
Erbetene  eingetreten  ist,  ist  er  rechtskräftig  zur  Erfüllung  der  gelobten 
Gegenleistung  verurteilt:*)  diese  Erfüllung  (votum  solvere,  reddere)  geschieht 
durch  Vollziehung  der  gelobten  Handlung  oder  durch  Überweisung  der 
gelobten  Sache  an  die  Gottheit,  die  ihren  Teil  des  Pactes  erfüllt  und  da- 
mit die  Gegenleistung  verdient  hat:  votum  solvit  lubens  merüo  ist  darum 
die  offizielle  und  unzählige  Male  wiederkehrende  Formel.^)  Die  Anlässe 
zu  den  vota  publica  sind  ebenso  mannigfacher  Art  wie  die  der  zahlreichen 
aus  den  Weihinschriften  uns  bekannten  Privatgelübde.  Erstreckt  sich 
der  Inhalt  der  Bitte,  für  deren  Erfüllung  das  Gelübde  gethan  wird,  auf 
das  Staatswohl  im  allgemeinen,  so  wird  das  Votum  auf  eine  bestimmte  Zeit 
gestellt  und  nach  deren  Ablauf  nicht  nur  eingelöst,  sondern  zugleich  durch 
ein  neues  für  den  gleichen  Zeitraum  der  Zukunft  ersetzt:  im  Verfolg 
solcher  regelmässig  fortlaufender  vota  pro  reipublicae  salute  erfolgen  sowohl 
die  Antrittsopfer  der  höchsten  Staatsbeamten  am  Tage  des  magistratischen 
Neujahrs^)  wie  am  Abschlüsse  einer  jeden  Gensusperiode  das  Opfer  des 
lustrum'^)  und  in  der  Kaiserzeit  die  diesen  nachgebildeten  Feiern  pro  sa- 
lute imperatoris  einerseits  am  Beginne  eines  jeden  Kalenderjahres,^)  an- 
dererseits für  längere  Perioden  von  5,  10  oder  20  Jahren  {vota  quinquen- 
nalia,  decennalia,  vicennalia).^)  Für  die  Mehrzahl  der  Gelübde  aber  ist 
der  Anlass  ein  spezieller,  eine  ausserordentliche  und  gefährliche  Situation 
des  Staates,  in  der  man  sich  des  besonderen  Schutzes  der  Götter  dadurch  ver- 
sichern will,  dass  man  ihnen  für  den  Fall  eines  guten  Ausganges  bestimmte 
Versprechungen  macht;  so  regelmässig  beim  Auszuge  des  Feldherrn  zum 
Kriege*®)  oder  vor  der  Entscheidung  einer  schweren  Schlacht, *0  bei  Seuche 


')  Zum  Folgenden  vgl.  ausser  Mabquabdt, 
Staatsverw.  III  264  ff.  namentlich  A.  Peb- 
KICE,   Sitz.-Ber.  Akad.  Berlin  1885,   1146  ff. 

^)  Der  Terminus  dafür  ist  vota  nun-- 
cupare  (Varro  de  1 1.  VI  60.  Fest.  p.  178), 
daher  bei  den  Arvidbrüdem  die  Formel  tna- 
gister  coUegi  fratrum  Arvalium  nomine  vota 
ntmcupavit  in  ea  verba  quae  infra  scripta 
sunt  (Henzen,  Acta  S.  95  f.)  und  der  Name 
votorum  nuncupatio  für  den  Festact  des 
8.  Januar  (CIL  1 '  p.  305.  Marqüabdt  a.  a.  0. 
S.  267);  concipere  votum  ist  der  Ausdruck 
für  die  Feststellung  des  Wortlautes,  sus- 
cipere  votum  für  die  Anerkennung  der  durch 
das  Gelübde  begründeten  Verpflichtung. 

")  voti  reus  Verg.  Aen.  V  237.  Macr. 
S.  III  2,  6  (reus  qui  suscepto  voto  se  numi- 
nüms  obligat),  Serv.  Aen.  IV  699;  über  die 
Bedeutung  von  reus  (omnes  quorum  de  re 
disceptatur  Cic.  de  erat.  II  183)  vgl.  Momic- 
SBK,  Strafr.  189  f. 

*)  voti  (oder  voto)  damnatus  Verg.  Ecl. 
5,  80  und  dazu  Serv.  Nepos  Timol.  4,  8.  Liv. 


V25,  4.  VII  28,4.  X  37,  16.  XXVII  45,  8. 
XXXIX  9, 4;  ältere  Zeugnisse  bei  Non.  p.  276. 

*)  vgl.  auch  z.  B.  Ovid.  trist  IV  2,  56 
ei  dabitur  merito  laurea  vota  lovi  und  mehr 
bei  Bbissonius,  De  formulis  1 170.  Für  Votiv- 
gaben  von  Privatleuten  reiche  Materialsamm- 
lung  bei  A.  db-Mabchi,  II  culto  private  dei 
Romani  I  271  ff. 

^)  MoMxsBN,  Staatsr.  I  594  f. 

')  Suet.  Aug.  97  cum  . .  .  lustrum  con- 
der  et  . .  .  vota,  quae  in  proximum  lusirufn 
suscipi  mos  est,  coüegam  suum  Tiberium 
nuncupare  iussit;  mehr  bei  Momksbn,  Staatsr. 
II 406. 

»)  Cass.  Dio  LI  19,  7  zum  J.  724  =  80. 
Henzbn,  Acta  fratr.  Arval.  S.  89  ff.  Mab- 
quABDT  a.  a.  0.  266  f. 

^)  Mabquabdt,  a.  a.  0.  268. 

><>)  Moxmsbn,  Staatsr.  I  61,6. 

>>)  z.  B.  Liv.  X  19, 17:  Bellona,  si  hodie 
nobis  victoriam  duis,  ast  ego  tibi  templum 
voveo. 


61.  Saoralreohtliohe  Ornndlageii. 


321 


und  Misswachs  oder  überhaupt  jeder  Bedrohung  der  Existenz  des  Staates, 
wo  man  durch  vota  quinquennalia  (Liv.  XXXI  9,  9)  oder  decennalia  ge- 
wissermassen  eine  göttliche  Garantie  für  das  Fortbestehen  des  Staates 
zu  erreichen  sucht  ;^)  in  der  Kaiserzeit  begegnen  uns  dann  die  zahlreichen 
ausserordentlichen  Vota  z.  B.  aus  Anlass  einer  Erkrankung  des  Kaisers 
oder  seines  Auszuges  zum  Kriege  {pro  valetudine,  pro  salute  et  incolumitate, 
pro  redüu  et  vidoria  imperatoris).^)  Nach  der  Beschaffenheit  der  im  Ge- 
lübde enthaltenen  Bitte  richtet  sich  die  Wahl  sowohl  der  Gottheit,  an  die 
man  sich  wendet,  als  auch  der  Leistung,  die  man  ihr  darbietet.  Die 
regelmässigen  Vota  am  Jahresanfang  wie .  die  beim  Auszuge  zum  Kriege 
wenden  sich  an  die  Gottheiten  des  Gapitols  als  die  höchsten  Vertreter 
der  gesamten  Staatsgötter,  das  Gelübde  beim  Lustrum  an  den  Kriegsgott 
Mars;  wenn  in  schwankender  Schlacht  Mars,  Bellona,  Victoria,  Juppiter 
Victor,  bei  Seuchen  pro  valetudine  populi  Apollo  und  Aesculapius,  bei  einem 
Erdbeben  Tellus,  im  Seesturm  die  Tempestates  Gelübde  erhalten,  so  ist 
das  leicht  zu  verstehen,  und  die  lange  Reihe  von  Gottheiten,  denen  die 
Arvalbrüder  beim  Auszuge  Trajans  gegen  die  Dacier  Gelübde  darbringen 
(CIL  VI  2074  I  23  ff.),  lässt  die  Gesichtspunkte  der  Auswahl  deutlich  er- 
kennen: überall  ist  es  hier  der  Gott,  in  dessen  Machtbereich  der  erbetene 
Erfolg  oder  die  abzuwendende  Gefahr  fallt.  Aber  auch  andere  Erwägungen 
können  massgebend  sein,  z.  B.  wenn  man  im  Kampfe  den  Gottheiten  der 
Feinde  ein  Gelübde  thut.^)  Nur  eine  besondere  Form  dieses  Gelübdes  ist 
der  Ritus  der  Evocation,  vermittels  dessen  man  vor  dem  Entscheidungs- 
kampfe die  Götter  der  belagerten  feindlichen  Stadt  bat,  die  Sache  ihrer 
bisherigen  Schutzbefohlenen  aufzugeben  und  diese  den  Römern  zu  über- 
lassen, wofür  ihnen  in  Rom  Tempel  und  Gottesdienst  zugesichert  wurde  :^) 
dieses  Gelübde  ist  nichts  anderes  als  die  rechtskräftige  Anerkennung  der 
Verpflichtung  des  römischen  Staates,  in  die  sacralen  Verbindlichkeiten  der 
von  ihm  politisch  oder  thatsächlich  zu  vernichtenden  Gemeinde  seinerseits 
einzutreten  (s.  oben  S.  39),  einer  Verpflichtung,  der  die  Römer  innerhalb 
eines  bestimmten  lokalen  Nachbarkreises  ihrer  Stadt  (oben  S.  44)  un- 
weigerlich nachgekommen  sind,  ohne  sie  aber  über  diesen  hinaus  für  die 
Gottheiten  fernerer   und  fremderer  Stämme    und    Völker    anzuerkennen. 


')  z.  B.  Liv.  XXII  10,  2:  si  res  publica 
populi  Romani  Qudritiutn  ad  quinquennium 
proximum,  sictU  velim  eam  scUvam,  servata 
erü  hisce  duellis,  quod  duellum  poptUo  Bo- 
mano  cum  Carthaginiensi  est  quaeque  duetta 
cum  Gallis  sunt,  qui  eis  Alpes  swnt,  tum 
donum  duit  populus  Bomanus  Quiritium 
u.  B.  w. 

')  Hbnzbn,  Acta  S.  114  ff.  Ueber  die 
Decennalia  (Quinquennalia,  Vicennalia)  der 
Kaiser  s.  Eckhbl,  D.  N.Vm473ff.  Eioh- 
BTAiDT,  Opnsc.  erat.  U  208  ff.  Henzbn  a.  a.  0. 
S.  107.  L.  Schwabe,  Die  kaiaerlichen  De- 
cennalien  nnd  die  alexandrinischen  Münzen, 
Tübingen  1896,  besonders  S.  26  f.  Wissowa, 
Beal-Encycl.  IV  2265  ff. 

')  Das  Musterbeispiel  dafür  in  der  Ueber- 
lieferong  ist  die  Gelobnng  des  Gastortempels 

Bandbiiob  der  klana.  Altertanunriflsenscbaft.   V.  4. 


durch  den  rümischen  Diktator  A.  Postumius 
in  der  Schlacht  am  See  RegiUus  (Liv.  II  20, 
12  ibi  nihil  nee  divinae  nee  humanae  opis 
dictator  praetermittens  aedem  Castori  vo- 
visse  fertur),  weil  Gastor  der  Hauptgott  von 
Tusculum  ist  (oben  S.  217  f.),  unter  dessen 
Führung  die  Latiner  gegen  Rom  kftmpfen; 
diejenige  Form  der  Ueberlieferung,  die  von 
einem  Eingreifen  der  Dioskuren  in  die  Schlacht 
zu  Gunsten  der  Römer  zu  erzählen  weiss 
(ScHWEGLBB,  Rom.  Gosch.  II  64),  verkennt 
das  Motiv  des  Gelübdes. 

^)  evocari  deum,  cuius  in  tuiela  id 
oppidum  esset,  promittique  Uli  eundem  aut 
ampliorem  apud  Romanos  cultum  Plin.  n. 
b.  XXVIII 18,  die  Formel  bei  Macr.  S.  III  9, 
7  f. ;  mehr  oben  S.  39  Anm.  8. 


21 


322 


Religion  und  Koltna  der  Römer,    m.  Enltns. 


Ebenso  ist  eine  spezielle  Gattung  des  Votum  die  Devotion,  d.  b.  ein 
während  des  Kampfes  vom  römischen  Feldherrn  den  Unterirdischen  0  dar- 
gebrachtes Oelübde,  durch  welches  dieser  die  Preisgabe  des  eigenen  Lebens 
oder  desjenigen  eines  von  ihm  bezeichneten  römischen  Kämpfers  verspricht*) 
und  als  Gegenleistung  von  den  Göttern  die  Vernichtung  der  feindlichen 
Heeresmacht  erbittet:  dabei  ist  das  Eigenartige  das,  dass  die  gelobte 
Handlung  im  voraus,  vor  Eintritt  der  göttlichen  Gegenleistung,  vollzogen 
wii'd,  indem  der  Devovierte  den  Tod  im  Kampfe  sucht:  findet  er  ihn,  so 
haben  die  Götter  den  Pakt  angenommen  und  sich  zur  Erfüllung  ihres 
Teiles  verpflichtet,  nehmen  sie  aber  das  Opfer  seines  Lebens  nicht  an,  so 
bleibt  der  Devovierte,  falls  es  der  Feldherr  selbst  ist,  Zeit  seines  Lebens 
als  ein  mit  ungelöster  Gelübdeschuld  Behafteter  impius,  während  der  vom 
Feldherm  devovierte  Legionär  im  gleichen  Falle  durch  eine  symbolische 
Ersatzleistung  und  ein  Piacularopfer  gelöst  werden  kann.^)  Der  Brauch, 
der  uns  nur  aus  den  Erzählungen  vom  Opfertode  der  beiden  Decier  be- 
kannt ist,^)  ist  frühe  verschollen,^)  später  hat  sich  im  privaten  Leben 
wenigstens  der  Name  der  devotio  noch  erhalten  einerseits  in  den  Ver- 
wünschungen feindlicher  Personen,  die  man  den  Unterirdischen  zur  Hin- 
rt^ung  empfiehlt,^)  andererseits  in  der  zur  Phrase  gewordenen  Selbst- 
devotion für  das  Wohl  des  Princeps.') 

Die  im  Votum  den  Göttern  versprochenen  Leistungen  können  sehr 
mannigfacher  Art  sein;  die  bedeutsamste  ist  die  Weihung  eines  Tempels 
oder  Altars,  sei  es  dass  damit  ein  neuer  Gottesdienst  erst  begründet 
wird  oder  ein  alter  eine  neue  Kultstätte  erhält,  aber  auch  jede  andere 
Art  von  Leistung  ist  vertreten,  die  Ansetzung  ausserordentlicher  feriae, 
die  Abhaltung  von  Spielen,  Ausrichtung  von  Opfern  und  sonstigen  sacralen 
Handlungen,  Stiftung  von  Weihgeschenken  u.  s.  w.    Geht  das  Gelübde  auf 


')  Es  sind  die  Di  manes  und  Tellus 
(Liv.  VIII  6,  10.  10,  9.  X  28,  13.  29,  4),  und 
der  Hinweis  darauf  liegt  auch  in  der  Zu- 
sammensetzung de-votio,  wenn  man  auch 
später  häufig  devovere  ohne  besondere  Nuance 
gleichbedeutend  mit  vovere  gebrauchte  (Bei- 
spiele bei  Pernice  a.  a.  0.  S.  1156,  1). 

*)  Liv.  VIIl  10,  11:  ülud  adiciendum 
videtur,  licere  constUi  dictatorique  et  prae- 
tori,  cum  legiones  hostium  devovecU,  non 
utique  se,  sed  quem  velit  ex  legione  Romana 
scripta  civem  devovere. 

')  Liv.  VIII  10,  12:  si  is  homo,  qui  de- 
votus  est,  moritur,  probe  factum  videri;  ni 
tnoritur,  tum  Signum  Septem  pedes  altum 
aut  maius  in  terram  defodi  et  piaculum 
hostiam  caedi sin  autem  sese  de- 
vovere volet,  sicuti  Deciua  devovit,  ni  mori- 
tur, neque  suum  neque  publicum  divinum 
pure  faciet,  sive  hostia  sive  quo  aJio  volet. 

*)  Liv.  VIII 6,  9  flf.  9, 1  flf.  10, 11  ff.  (dort 
aus  guter  antiquarischer  Quelle  das  Formular 
des  cai^men  devotionis  und  Angaben  über 
die  Förmlichkeiten  und  Rechtsgrundlagen 
der  Devotion).  X  28,  13  ff.;  die  Nachricht 
bei  Liv.  V  41,  3  ist  apokryph  (s.  unten  S.  338 


Anm.  7). 

^)  Das  bei  Macr.  S.  III  9, 10  f.  mitgeteilte 
Carmen  verrät  nicht  nur  dadurch,  dass  es 
auf  die  Eroberung  von  Karthago  gestellt  ist 
und  den  griechischen  Dis  pater  erwähnt  (s. 
oben  S.  190  f.),  jüngeren  Ursprung,  sondern 
betrifft  überhaupt  keine  wirlcliche  devotio 
im  technischen  Sinne,  sondern  die  consecratio 
des  Gebietes  von  Karthago  (Gic.  de  leg.  agr. 
1 5.  II  51);  vgl.WissowA,  Real-Encycl.  IV  901 
und  V  n.  d.  W.  Devotio. 

^)  hunc  ego  apud  vostrum  numen  de- 
mando,  devoveo,  desacrifico,  CIL  XI  1823; 
vgl.  Mabqüabdt  a.  a.  0.  S.  111  A.  7  und  das 
ganze  Material  bei  Wünsch,  Defixionum  ta- 
bellae  Atticae  p.  XXV  ff. 

^)  Auch  wo  es  sich  um  wirkliches  Votum 
handelt,  fehlt  doch  die  Vollziehung  im  voraus, 
Cass.  Dio  LIX  8,  3 ;  übrigens  bezeichnet  Cass. 
Dio  LI II  20,  2  den  Brauch  als  tdv  tiay  *lfii^Qmw 
TQonoy  (vgl.  auch  Val.  Max.  II  6,  11);  er  hat 
mit  der  altrömischen  Devotion  ebensowenig 
etwas  zu  thun,  wie  die  bei  Serv.  Aen.  III  57 
(aus  Petron)  erwähnte  massiliensische  Sitte 
(s.  darüber  H.  Usenbr,  Sitz-Ber.  Akad.  Wien 
CXXXVII  1897,  III  59  ff.). 


61.  Saoralreohtliohe  Qrandlagen. 


323 


eine  Handlung,  so  wird  es  eingelöst  durch  deren  Vollziehung,  geht  es  auf 
eine  Darbringung,  gleichviel  ob  es  sich  um  die  Stiftung  einer  Eultstätte 
oder  um  die  Übergabe  einer  beweglichen  Sache  handelt,  so  erfolgt  die 
Überweisung  durch  den  Akt  der  Dedication,  durch  den  sich  der  Ver- 
pflichtete des  Eigentumsrechtes  an  der  gelobten  Sache  entäussert  und  sie 
an  die  Gottheit  auflässt;  geschieht  diese  Überantwortung  an  die  Gottheit 
von  Staatswegen,  so  ist  die  Dedication  zugleich  Gonsecration,  d.  h.  das 
geweihte  Objekt  wird  Göttergut,  res  sacra,  und  damit  dauernd  dem  mensch- 
lichen Rechtsverkehr  entzogen.')  Der  Privatmann  kann  zwar  von  seinem 
Eigentume  der  Gottheit  dedicieren,  aber  diese  private  Dedication  hat  nicht 
jene  Veränderung  des  gesamten  Rechtszustandes  der  geweihten  Sache  zur 
Folge,*)  die  von  einem  Privatmann  geweihte  Örtlichkeit  oder  Weihgabe 
wird  nicht  res  sacra,  sie  bleibt  profaii,  wird  aber  eine  res  religiosa,  d.  h. 
sie  steht  zwar  als  religione  obligata  unter  göttlichem  Schutze,^)  doch  wer 
sich  an  ihr  vergreift,  begeht  kein  sacrilegium.*) 

Wenn  die  Römer  sich  selbst  gern  als  religiosissimi  mortalium  (SalL 
Gat.  12,  3)  bezeichnen  und  die  Griechen,  wenn  sie  sich  die  Frage  nach 
den  Ursachen  der  Stärke  und  der  Erfolge  des  römischen  Staates  vorlegen, 
die  Grösse  Roms  in  seiner  evaäßeia  und  SsKTidaifiovia  begründet  finden,^) 
so  tri£ft  diese  Anschauung  in  der  That  einen  der  Eörnpunkte  des  gesamten 
römischen  Wesens.  Denn  wie  bei  keinem  andern  Volke  ist  bei  den  Römern 
der  Verlauf  des  ganzen  privaten  und  öffentlichen  Lebens  mit  sacralen  Be- 
ziehungen durchsetzt  und  in  jedem  Augenblicke  an  die  Gottheit  geknüpft. 
Am  deutlichsten  tritt  dies  hervor  in  der  der  römischen  Religion  eigen- 
tümlichen Lehre  von  den  Auspicia.^)  Das  Gefühl  der  Abhängigkeit  von 
der  Gottheit  findet  darin  seinen  Ausdruck,  dass  man  weder  im  privaten 
noch  im  öffentlichen  Leben  eine  wichtigere  Handlung  ^)  anders  als  in  Über- 
einstimmung mit  dem  Willen  der  Gottheit  vornehmen  zu  dürfen  meint; 
man  holt  daher  einerseits  vor  einer  jeden  solchen  Handlung  in  ganz  be- 
stimmter, durch  die  alte  disciplina  auguralis  bis  ins  einzelnste  geregelter 
Form   die  Zeichen   der  göttlichen  Zustimmung  ein  (auguria  impetrativä),^) 


')  Ueber  dedicatio  und  conaecratio  s. 
Mabquardt  a.  a.  0.  S.  269  ff.,  der  aber  das 
Verhältnis  der  beiden  Akte  zu  einander  nicht 
richtig  auffasst.  Pbbnice  a.  a.  0.  1150  ff. 
WiBsowA,  Real-Encyd.  IV  896  ff.  2356  ff. 

*)  Fest.  p.  318.  321  Gaüus  Aelius  ait 
scuTum  esse,  quodcumque  more  atque  insii- 
tuto  dvücUis  consecratum  sit,  swe  aedis 
sive  ara  sive  Signum  sive  lociis  sivepecunia 
sive  alitid,  quod  dis  dedicatum  atque  conse- 
cratum Sit;  quod  autem  privati  suae  reli- 
gionis  causa  aliquid  earum  rerum  deo  de- 
dicent,  id  pontifices  Romanos  non  existi- 
mare  sacrum;  vgl.  6ai.  II 5.  Marcian.  Dig. 
I  8,  6, 3. 

*)  Masnrios  Sabinns  bei  GeU.  IV  9,  8 
religiosum  est,  quod  propter  sanctitatem 
aiiquam  remotum  ac  aepositum  a  nohis  est; 
vgl.  Fest.  p.  278.  Pernigb  a.  a.  0.  1153. 
Die  grösste  Bedeutung  hat  der  Begriff  des 
religiosum  in  der  Lehre  von  den  loca  reli- 


giosa,  speziell  im  Gräberrecht  (s.  unten  §  65). 

*)  Daher  die  Scheidung  von  pecuniae 
publicae,  sacrae,  rehgioaae  (Mommsen,  Strafr. 
S.  763,  2)  und  der  Rechtssatz  qui  privata 
Sacra  vel  aediaüas  incustoditas  temptaverunt, 
amplius  quam  fures,  minus  quam  sacrüegi 
merentur  (Paul.  Dig.  XLVIII  13,  11,  1). 

')  s.  namentlich  die  berühmte  Polybius- 
stelle  VI  56  und  Poseidonios  bei  Athen.  VI 
274  A;  vgl.  auch  Marquabdt  a.  a.  0.  S.  54 
A.  3. 

•J  MoMMSEN,  Staatsr.  1 73  ff.  1.  M.  J.  Va- 
LETOH,  Mnemos.  N.  8.  XVII  275  ff.  418  ff. 
XVni  208  ff.  406  ff.  XIX  75  ff.  229  ff. 
WissowA,  RealEncycl.  II  2580  ff.,  vgl.  auch 
2330  ff. 

')  Cic.  de  div.  1 28  (=  Val.  Max.  I1 1 , 1) : 
nihü  fere  quondam  maioris  rei  nisi  auspicato 
ne  privatim  quidem  gerebatur. 

")  Serv.  Aen.  III  89:  augurium  est  ex- 
quisita  deorum  voluntas  per  consultationem 

21* 


324 


Religion  nnd  Kultus  der  BOmer.    IIL  Ealtas. 


andererseits  unterlässt  man  die  bereits  begonnene  Ausführung,  wenn  wäh- 
rend ihres  Verlaufes  die  Gottheit  durch  unverkennbare  Zeichen  ihrer  Miss- 
billigung {auguria  oblativa)  die  vorher  erteilte  Zustimmung  zurücknimmt. 
Im  privaten  Kulte  allmählig  verkümmert,  0  hat  die  Auspication  im  öffent- 
lichen Leben  die  bedeutsamste  Rolle  gespielt:  da  alle  wichtigeren  Hand- 
lungen der  Gemeinde  in  der  Stadt  und  im  Felde  nur  auspicato  vorgenommen 
werden  dürfen, 2)  die  Einholung  der  Anspielen  aber  demselben  Magistrate 
zufallt,  der  die  Handlung  selbst  auszuführen  hat,  so  ist  auspicium  neben 
imperium  der  Ausdruck  für  die  Machtfülle  der  Obrigkeit,  und  da  diese 
Machtfülle  durch  die  immer  wieder  auspicato  erfolgende  Neubestellung  vom 
Vorgänger  auf  den  Nachfolger  übergeht,  so  bilden  diese  nie  unterbrochenen 
auspida  populi  Romani,  d.  h.  Zustimmungserklärungen  der  Gottheit  zu  den 
öffentlichen  Handlungen  des  Staates,  eine  einheitliche  dauernde  Garantie 
der  Gottheit  für  Bestand  und  Wohlergehen  der  Gemeinde.  Dieser  näm- 
lichen Grundanschauung  von  der  Unterstellung  aller  menschlichen  Dinge 
unter  die  göttliche  Billigung  und  Aufsicht  entstammt  es,  dass  in  Rom  das 
gesamte  Privatrecht  nach  Form  und  Inhalt  sich  in  engstem  Zusammen- 
hange mit  dem  ius  sacrum  entwickelt  hat  und  die  eigentlichen  Bewahrer 
des  geistlichen  Rechtes,  die  Pontifices,  auch  seit  alter  Zeit  die  Sätze  des 
ius  civüe  in  ihrer  Obhut  hatten  und  erst  im  Laufe  der  Zeit  diese  Auf- 
gabe an  die  weltliche  Rechtswissenschaft  abtraten.^)  Eine  Erinnerung  an 
diese  frühere  Ordnung  ist  es,  wenn  auch  in  späterer  Zeit  noch  der  Römer 
eine  Reihe  privater  und  öffentlicher  Rechtsgeschäfte  interpositis  rebus  divinis 
(Fest.  p.  329)  vollzieht  und  dadurch  unter  die  Gewähr  der  Götter  stellt.*) 
Dies  ist  der  Fall  bei  der  Eheschliessung  durch  confarreatio,  bei  welcher 
die  certa  et  soUemnia  verba  (Gai.  I  112.  Ulpian.  frg.9),  d.  h.  doch  wohl  die  die 
Ehe  begründende  Erklärung  der  Brautleute,  nicht  nur  vor  zehn  Zeugen, 
sondern  auch  in  Anwesenheit  der  Priester  und  im  Anschlüsse  an  eine 
Opferhandlung  ausgesprochen  werden.^)  In  welcher  Weise  bei  der  sponsio 
das  in  ihr  ursprünglich  enthaltene  sacrale  Element^)  zur  Geltung  kam, 


avium  aut  signorum,  quod  tunc  peti  debet, 
cum  id  quod  animo  agitamus  per  augurium 
a  diis  volumus  impetratum.  VI  190:  auguria 
aut  oblativa  sunt,  quae  non  poscwitur 
(vgl.  XII  259)^  aut  impetrativa,  quae  optata 
veniunt 

')  Die  privaten  Auspizien  (vgl.  Cato  bei 
Fest.  p.  234.  Liv.  VI  41,  6)  bestehen  dem 
Namen  nach  noch  fort  in  den  nuptiarum 
auspices  (Plaut.  Gas.  86.  Varro  bei  Serv.  Aen. 
IV  45.  Cic.  a.  a.  0.  Lucan.  II  371.  Tac.  ann. 
XI  27.  XV  37.  Juv.  10,  336),  die  den  Rest 
einstiger  au^icia  nuptiarum  (Serv.  Aen.  IV 
166;  vgl.  I  346.  IV  45.  Plin.  n.  h.  X  21) 
darstellen;  vgl.  Db-Mabchi,  Gulto  privato 
I  153  flF. 

')  Liv.  I  36,  6:  ut  nihil  belli  domique 
nisi  auspicato  gereretur,  concilia  populi, 
summa  rerum,  übt  aves  non  admisissent, 
dirimerentur,  VI  41, 4:  auspiciis  bello  ac 
pace,  domi  müitu.eque  omnia  geri  quis 
ignoret. 


*)  Fest.  p.  185:  pontifex  maximus  .  .  . 
iudex  atque  arbiter  habetur  rerum  divinarum 
humanarumque  (andere  Stellen  bei  Mab- 
QüABDT,  Staatsverw.  lU  317, 4);  vgl.  Momksek, 
Staatsr.  II  33  ff.  Mabqüardt  a.  a.  0.  302  ff. 
P.  Jobs,  Rom.  Rechtswissensch.  z.  Zeit  d. 
Repnbl.  I  15  ff.  R.  Masohkb,  Profan-  und 
Sakralrecht,  Festschr.  f.  Ludw.  Friedliinder 
(1895)  S.  322  ff. 

*)  Zum  Folgenden  s.  H.  A.  A.  Dakz, 
Der  sakrale  Schutz  im  röm.  Rechtsverkehr, 
Jena  1857.    Pernicb  a.  a.  0.  1159  ff. 

^)  Die  Stellen  oben  S.  104,  vgl.  119;  s. 
A.  RossBAGH,  Unters,  über  die  röm.  Ehe 
S.  95  ff.  Pbbnioe  a.  a.  0.  1161  f.  De-Mabcbi 
a.  a.  0.  I  155  ff.  R.  Lbonhabd  bei  Padlt- 
W188OWA,  Real-Encycl.  IV  862  ff.  (dort  wei- 
tere Litteratur). 

•)  Fest.  p.  329:  Verrius  .  .  sponsum  et 
sponsam  ex  graeco  dictam  ait  quod  ii  anoy^ 
dag  interpositis  rebus  divinis  faciant;  vgl. 
Pebnice  a.  a.  0.  1159  f. 


61.  Saoralreohtliohe  Grundlagen. 


325 


wissen  wir  nicht,  um  so  genauer  sind  wir  Über  die  Form  der  mit  Hilfe 
der  Fetiales  abgeschlossenen  Abmachungen  von  Volk  zu  Volk,  insbesondere 
über  den  Abschluss  des  foedus,^)  unterrichtet:  nachdem  die  einzelnen  Be- 
stimmungen des  durch  die  beiderseitigen  Feldherren  vereinbarten  Ver- 
trages verlesen  worden  sind,  ergreift  der  Priester  das  Wort,  um  die  Götter 
zu  Zeugen*)  für  die  Erklärung  aufzurufen,  dass  das  römische  Volk  an 
diesem  Vertrage  unverbrüchlich  festhalten  wolle;  für  den  Fall  des  bös- 
willigen {publico  consilio  dolo  malo)  Vertragsbruches  ruft  er  die  Strafe  der 
Gottheit  auf  das  römische  Volk  und  auf  sich  selbst  herab,  indem  er 
diese  Verwünschung  anknüpft  an  das  gleichzeitig  von  ihm  in  altertüm- 
licher Weise  vermittels  des  heiligen  sUex  (oben  S.  103)  vollzogene  Opfer 
eines  Ferkels.^)  Dieselbe  Selbstverwünschung  {exsecratio),  nur  ohne  die 
begleitende  Opferhandlung  und  die  symbolische  Beziehung,  finden  wir  in 
jedem  Eide:  denn  auch  in  ihm  wird  die  Erfüllung  einer  Verpiflichtung 
oder  eines  Versprechens  dadurch  unter  höhere  Garantie  gestellt,  dass 
man  die  Gottheit  zum  Zeugen  nimmt  und  ihr  die  Bestrafung  des  Eid- 
bruches anheimstellt:^)  denn  ein  Falscheid  ist  eine  Beleidigung  der  zur 
Zeugenschaft  angerufenen  Gottheit.  Ihr  bleibt  auch  die  Bestrafung  des 
Meineidigen  überlassen,  der  Staat  greift  auf  Grund  der  Anschauung  deorum 
iniuriae  dis  curae  (Tac.  ann.  I  73)  nicht  strafend  ein,^)  nur  die  censorische 
Rüge  stellt  die  Infamie  des  Sacralverbrechers  (impius)  fest.^)  Und  was 
hier  der  Schwörende  für  den  Fall  der  Verletzung  seines  Eides  selbst  auf 
sich  herabruft,  das  verhängt  der  Staat  in  seinen  ältesten  Strafgesetzen  als 
Strafe  über  Verbrecher:  die  Bestrafung  des  Frevlers  an  der  Gemeinde  tritt 
in  ihrer  ältesten  Form  auf  als  consecratio  capitis  et  bonorum,'^)  der  Verbrecher 
samt  seiner  Habe  wird  als  sacer  erklärt,^)  d.  h.  als  der  Gottheit,  oder  viel- 


0  MoiofSBN,  Staater.  1237  ff.  Marquabdt, 
SUatsverw.  III  428  ff. 

*)  audi  luppiter  Liv.  I  24,  7  (Juppiter 
Mars  Quirinus  nennt  genauer  Polyb.  III 25, 6); 
dieselbe  Anmfong  samt  der  Selbstverwün- 
schung  für  den  Fall  der  Ungerechtigkeit  der 
eigenen  Sache  auch  bei  der  clarigatio  (Liv. 
I  32,  6  f.,  vgl.  10),  dagegen  fehlt  beides  bei 
der  Kriegserklärung  (Liv.  I  32,  13.  Gell. 
XVI  4,  1). 

')  twn  illo  die,  luppiter,  populum  Ro- 
manum  sie  ferito,  ut  ego  hunc  porcum  hie 
hodie  feriam  Liv.  1  24,  8  (vgl.  IX  5,  3.  XXI 
45,  8);  darauf  wird  das  Ferkel  mit  dem  silex 
erschlagen  und  dieser  fortgeworfen  mit  der 
Verwünschung  der  eigenen  Person :  evoQxovyji 
fiiy  noieiy  xaya&a'  ei  d^aXXtog  dtayofj&eitjy 
T(  17  n^^aifjLi,  nayttoy  rtoy  aXXtoy  ato^o/Ä^y(oy 
iy  tttif  i&ittig  nargiaiy,  iy  roTg  i&ioig  yofjtotg, 
ini  XdSy  iditoy  ßltay  IsQuy  xdtptoy,  iyto  fioyog 
ixniaoi/Äi  ovratg  <og  o&b  Xif^og  yvy  Polyb.  III 
25,  6;  vgl.  Paul.  p.  115:  si  sciena  fallo,  tum 
me  Diespiter  scUva  urhe  arceque  bonis  eiciat, 
uti  ego  hunc  lapidem.    Plut.  Sulla  10. 

*)  Plut.  Qu.  Rom.  44:  nag  ogxog  eig 
xattcgay  TfAftrr^  r^g  iniogxiag;  Beispiele 
Liv.  XXII  53,  11:  si  sciens  fallo,  tum  me 
luppiter  0,  M.  domum    famüiam   remque 


meam  pessimo  leto  adficiat,  Plin.  pan.  64 : 
nie  iuravit  expressit  explanavitque  vei'ba, 
quibus  Caput  auum,  domum  suam,  si  sciens 
fefellisset,  deorum  irae  consecraret.  CIL  II 
172:  si  sciens  falle  fefellerove,  tum  me 
liberosque  meos  luppiter  .0.  M,  ae  divus 
Äugustus  ceterique  omnes  di  immortales 
expertem  patria  incolumitate  fortunisque 
Omnibus  faxint. 

»)  Cod.  Just.  IV  1,  2  (vgl.  IX  8,  2):  tum 
iurandi  contempta  religio  satis  deum  ultorem 
fiabet;  ganz  konsequent  gilt  der  Meineid  beim 
Genius  des  Kaisers  als  crimen  maiestatis, 
s.  oben  S.  156  und  MoiofSBir,  Strafr.  S.  586. 

•)  Cic.  de  leg.  II 22 :  periurii  poena  di- 
vina  exitiumj  humana  dedecus;  vgl.  Momm- 
SBN,  Staatsr.  II  366.   Pebniob  a.  a.  0. 11 64  ff. 

^)  MoimsKN,  Strafr.  900  ff.;  Litteratur 
bei  Mabquabdt  a.  a.  0.  S.  276  A.  7. 

^)  Fest.  p.  318:  sacratcte  leges  sunt, 
quibus  sanctum  est,  qui  quid  adversus  eas 
fecerit,  sacer  alicui  deorum  sü  sicut  familia 

pecuniaque at  homo  sacer  is  est,  quem 

populus  iudicavit  ob  maleficium;  neque  fas 
est  cum  immölari,  sed  qui  occidit  parricidi 
non  damnatur;  nam  lege  tribunicia  prima 
cai^etur  *si  quis  cum,  qui  eo  plebei  sdto  sacer 
Sit,  occiderit,  parricida  ne  sit\ 


326 


Religion  und  Koltns  der  BOmer.    III.  Knltaa. 


mehr  einer  bestimmten  Gottheit,*)  verfallen:  die  Habe  wird  zu  Gunsten 
der  Tempelkasse  verkauft,^)  der  Verbrecher  selbst  ist  durch  die  Sacration 
ausserhalb  des  ius  humanum  gestellt,  und  die  Ausführung  der  Strafe  ist 
ursprünglich  wohl  der  Gottheit  oder  demjenigen,  der  sich  freiwillig  zu 
ihrem  Werkzeuge  machen  wollte,^)  anheimgegeben  worden,  bis  der  Staat 
selbst  den  Strafvollzug  übernahm.^)  Eine  Erinnerung  an  dieses  alte  sacrale 
Strafrecht  hat  sich  noch  erhalten  in  der  in  historischer  Zeit  mehrfach  von 
den  Volkstribunen  als  Goercitionsmittel  in  Anwendung  gebrachten  conse- 
oratio  bonorum^  die  in  voller  Abweichung  vom  profanen  Rechtswege  ohne 
Prozessverfahren  und  sogar  mit  Ausschluss  der  Provocation  in  den  Formen 
einer  Opferhandlung  vor  sich  ging.^) 

Vollziehen  sich  so  eine  Menge  bedeutsamer  Handlungen  des  privaten 
und  staatlichen  Lebens  dis  itnmortalibus  interpositis  tum  iudicibus  tum  testi- 
bus  (Cic.  de  leg.  II  16),  so  entbehrt  auch  der  Verlauf  des  alltäglichen  Lebens 
nicht  der  standigen  Bezugnahme  auf  die  Gottheit.  Wie  im  häuslichen 
Leben  bei  jeder  Mahlzeit  des  Lar  familiaris  gedacht  wird,  bei  jeder  Reise 
und  Rückkehr  der  letzte  und  erste  Gruss  den  Hausgöttern  gilt,  alle  Familien- 
feste und  alle  wichtigeren  Abschnitte  der  Arbeit  in  Haus  und  Feld  von 
gottesdienstlichen  Handlungen  begleitet  werden,^)  so  wird  keine  Versamm- 
lung des  Volkes  oder  Senates  ohne  Gebet  abgehalten,  keine  wichtigere 
Massregel  der  Verwaltung  oder  Kriegführung  ohne  sacrale  Einleitung  vor- 
genommen, kein  bedeutsames  Vorkommnis  regelmässiger  oder  ausserordent- 
licher Natur  spielt  sich  im  Staatsleben  ab,  das  nicht  zu  Äusserungen  der 
Bitte  oder  des  Dankes  an  die  Gottheit  Anlass  gäbe.^)  Wie  sehr  solche 
sacrale  Akte  das  ganze  öffentliche  Leben  begleiten  und  wiederspiegeln, 
beweist  die  Thatsache,  dass  die  Publicationstafeln,  auf  denen  der  Pontifex 
maximus  alle  im  Laufe  des  Jahres  von  Staatswegen  zum  Vollzuge  ge- 
langenden gottesdienstlichen  Handlungen  samt  ihren  Anlässen  bekannt 
machte,  die  Grundlage  der  Stadtchronik  und  der  Geschichtschreibung  werden 


*)  Die  Belege  bei  Mommsbn  a.  a.  0. 903, 
3—8. 

')  Liy.  in  55,  7:  ut  qui  tribunis  plebis 
.  .  .  nocuisset,  eius  caput  lovi  sacrum  esset, 
famüia  ad  aedem  Cereris  Liberi  Liberaeque 
venum  iret.  YIII  20,  8:  bona  Semoni  Sanco 
censuerunt  consecranda  u.  a. 

")  Fest.  a.  a.  0.  Macr.  S.  III  7,  5:  cum 
cetera  sacra  violari  nefas  sit,  hominetn 
sacrum  ius  fuerit  occidi,  Dion.  Hai.  II  10 
n.  a. 

^)  Das  kommt  zum  Ausdrucke  in  der 
merkwürdigen  Fassung  des  Zwölf  tafelgesetzes 
bei  Plin.  n.  h.  XVIII 12:  frugem  aratro  quae- 
sitam  noctu  pavisse  ac  secuisse  puberi  XII 
tabulis  Capital  erat  suspensumque  Cereri 
necari  iubebant.  Die  Auffassung  der  Todes- 
strafe als  Opferung  (Mommsbn  a.  a.  0.  902. 
918)  scheint  mir  unmöglich,  nicht  nur  weil 
die  altrömische  Sacralordnung  keine  Men- 
schenopfer kennt,  sondern  vor  allem  darum, 
weil  die  Opferung  des  Verbrechers  dem 
Grundsatze  widersprechen  würde,  dass  die 
Opfergabe  rein  und  vollkommen  sein  muss: 


der  mit  Strafschuld  beladene  Verbrecher 
konnte  ebensowenig  als  eine  Ehrung  den 
Qöttern  dargebracht  werden,  wie  die  Miss- 
gehurt,  die  man  stillschweigend  beseitigt 
(MoMMBEN  a.  a.  0.  904). 

^)  capite  velato,  contione  advocata,  fo- 
culo  posito  (Cic.  de  domo  124),  foculo  posito 
adhibitoque  tibicine  (ebd.  123);  Beispiele  aus 
den  Jahren  585  =  169  (Liv.  XLIU  16,  10), 
623  =  131  (Plin.  n.  h.  VII  143  f.  Cic.  a.  a.  O. 
123),  684  =  70  und  696  =  58  (Cic.  a.  a.  O. 
124). 

•)  Beispiele  bei  Plaut.  Aul.  23 f.  385  ff.; 
Merc.  834  ff.;  Mil.  glor.  1339;  Rud.  1206  ff.; 
Trin.  39  ff.  Cato  de  agric.  2.  5.  83.  132.  134. 
139.  141.  143.  Mehr  bei  De-Mabchi,  Culto 
private  I  129  ff.  209  ff. 

^)  Gebet  vor  der  Verhandlung  mit  der 
Bürgerschaft  Mommsbn,  Staatsr.  III  890,  2; 
Opfer  vor  der  Senatssitzung  ebd.  III  935,  2. 
Bitt-  und  Dankceremonien  am  Anfang  des 
hannibalischen  Krieges  bezw.  nach  Hanni- 
bals  Abzug  aus  Italien  Liv.  XXI  17,  4.  XXX 
21,  10  u.  a.  m. 


61  Saoralrechtliche  Grundlagen. 


327 


konnten;')  noch  in  der  Eaiserzeit  sind  die  Protokolle  der  Arvalbrüder  eine  der 
wichtigsten  Quellen  für  die  Zeitgeschichte,  da  alle  Gedenktage  und  wichti- 
geren Tagesereignisse  durch  entsprechende  Opferhandlungen  bezeichnet  sind. ') 
Diese  Durchsetzung  des  gesamten  öffentlichen  Lebens  mit  sacralen  Be- 
ziehungen hat  zur  Vorbedingung  das  Bestehen  eines  durchaus  sicheren 
Rechtszustandes,  eines  völlig  ungetrübten  Friedensverhältnisses  zwischen 
dem  Staate  und  der  Gottheit,  und  der  erstere  hat  die  Pflicht,  für  die 
dauernde  und  unverminderte  Erhaltung  dieser  pax  et  venia  deum^)  Sorge 
zu  tragen.  Das  Mittel,  durch  welches  man  einer  Gefährdung  dieses  Zu- 
standes  vorbeugt,  ist  die  Lustration,  unter  welchem  Namen  man  die- 
jenigen Eultusakte  begreift,  die  den  doppelten  Zweck  verfolgen,  einmal 
das  zu  lustrierende  Objekt  von  jeder  bewussten  oder  unbewussten  Be- 
fleckung zu  reinigen^)  und  damit  jeden  Anlass  zu  etwaigem  Missfallen  der 
Gottheit  zu  beseitigen,^)  und  zweitens  es  auf  Grund  der  neu  gesicherten 
göttlichen  Gnade  vor  allen  von  aussen  her  drohenden  Gefahren  sicher  zu 
stellen.^)  Der  doppelte  Zweck  der  Lustrationen  kommt  zum  Ausdrucke 
einerseits  in  der  Anwendung  von  allerlei  symbolischen  Keinigungsmitteln, 
wie  Wasser,  Feuer,  Räucherwerk  (suffimenta),  andererseits  in  dem  Brauche, 
das  Opfertier  vor  der  Schlachtung  um  das  zu  lustrierende  Objekt  herum- 
zuführen und  dieses  dadurch  in  einen  Kreis  einzuschliessen,  in  welchen 
kein  Unheil  eindringen  kann:  bei  den  unter  die  jährlichen  Feste  auf- 
genommenen Lustrationsakten  tritt  bald  die  eine  bald  die  andere  Seite 
mehr  hervor,  die  Reinigung  und  Sühnung  an  den  Palilien  (S.  166)  und  an 
den  —  freilich  in  ihrem  speziellen  Geremoniell  nicht  bekannten  —  Festen 
des  Armilustrium  und  Tubilustrium  (S.  131),  die  schützende  Umkreisung 
bei  den  Ambarvalia,  dem  Amburbium  und  der  privaten  lustratio  agri  (S.  130) 
sowie  wahrscheinlich  ursprünglich  auch  bei  den  Robigalia  (S.  162),  beides 
vereint  bei  den  Lupercalia  (S.  172  f.),  wo  die  Einkreisung  nicht  durch 
Herumführung  des  Opfertieres,  sondern  in  wohl  noch  älterer  Form  durch 
Umlauf  der  Priester  erfolgt.  Solche  Lustrationen  geschehen  aber  auch 
ausserordentlicher  Weise,  so  oft  eine  neue  Sicherung  der  pax  deum  er- 
forderlich erscheint,  so  bei  dem  speziell  als  lustrum  bezeichneten  Schluss- 
akte des  Census,')  bei  der  Überschreitung  der  Grenze  oder  vor  der  Schlacht 
als  lustratio  exercitus^)   oder   lustratio  classis,^)  insbesondere   aber,    wenn 


0  Vgl.  über  die  tabula  dealbata  des 
Pontifex  maximus  (Serv.  Aen.  I  373)  und  die 
annales  maximi  zuletzt  Cichobius  bei  Pauly- 
WiBSowA,  Real-Encycl.  1 2248  ff.  (auch  E.  tioR- 
MANN,  Verhdl.  d.  Pbilol.  Versamml.  Bremen 
1899  S.  105). 

')  Henzen,  Acta  fratr.  Arval.  S.  49  ff. 

•)  Cic.  Rab.  perd.  5;  Fontei.  3o.  Liv. 
I  31,  7.  XXXIX  10,  5  und  mebr  bei  Bris- 
soNius,  De  formulis  I  138,  aucb  das  Gebet 
der  Hersilia  bei  Gell.  XIII  23,  13:  Nerio 
Martis  te  öbsecro  pacem  da,  Jobdak,  Her- 
mes XVI  236  fasst  die  pax  deum  zu  eng 
als  'yerzeihung\ 

*)  lustratio  qua  quid  aolvitur  ac  libe- 
ratur  Paul.  p.  120;  vgl.  Serv.  Aen.  HI  279: 
lustramur,  id  est  puryamur,  ut  lovi  sacra 


faciamus;  aut  certe  ^lustramur  lovi''  id  est 
expiamur. 

^)  Daher  die  ständige  Formel  j^acem  deum 
exposcere  (hezw, petere,  impetrare  u.a.),  z.  B. 
Liv.131,7. 1115,14.  7,7.  8,1.  VII2,2.XLII2,3. 

^)  luendis  periculis  publicis  Liv.X  28, 13. 

')  MoMMSEN,  Staatsr.  II406;  vgl.  nament- 
lich Cic.  de  div.  1  102:  in  litstranda  colonia 
ab  eo,  qui  eam  deduceret,  et  cum  imperator 
exercitum,  censor  populum  lustraret,  bonis 
nominibus  qui  hostias  ducerent  eligebantur. 

*)  V.  DoMASZEWSKi,  Arch.  epigr.  Mitteil, 
aus  Oesterr.  XVI  1893,  19  ff.  und  Korr.Blatt 
d.  Westd.  Ztschr.  XVII  1898,  153  f. 

•)  Liv.  XXXVI  42,  2;  vgl.  XXIX  27,  5 
und  die  Beschreibung  des  Aktes  bei  Appian. 
b.  c.  V  96. 


328  Beligion  und  Enltns  der  BOmer.    m.  Knlins. 

aussergewöhnliche  Naturereignisse  und  Schreckenszeichen  {prodigia)  darauf 
hinweisen,  dass  das  normale  Verhältnis  zwischen  Gemeinde  und  Gottheit 
eine  Störung  erfahren  hat  und  der  erster en  ernste  Gefahren  drohen.  >) 
Diese  Anzeichen  konnten  ihrer  Art  nach  sehr  verschieden  sein,  von  dem 
häufigsten  und  am  wenigsten  bedrohlichen,  dem  Blitzschlage,  an  bis  zu 
Sonnenfinsternissen,  Stein-  und  Blutregen,  Missgeburten  (namentlich  Zwitter- 
geburten) und  anderen  beängstigenden  Abweichungen  vom  natürlichen 
Laufe  der  Dinge.  Wurden  solche  Prodigia  nach  Rom  gemeldet,  so  hatte 
zunächst  der  Senat  auf  Bericht  der  Gonsuln  darüber  zu  entscheiden,  ob 
die  Meldung  zuverlässig  sei  und  ob  das  Geschehnis  den  Staat  angehe;^) 
erkennt  er  das  an,  so  müssen  dann  die  Gonsuln  nach  Anhörung  des  Senates 
und  im  Bedarfsfalle  unter  Heranziehung  priesterlicher  Gutachten  die  Er- 
ledigung (procuratio)  des  Prodigiums  herbeiführen ;  die  Formen  dieser  Pro- 
curation  sind  nach  Art  und  Schwere  des  Prodigiums  verschieden,  die  wich- 
tigste Geremonie  aber,  die  ursprünglich  wahrscheinlich  ziemlich  allgemein 
zur  Anwendung  kam'  und  erst  allmählig  durch  die  complizierteren  Akte 
des  graecus  ritus  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurde,  ist  die  lu- 
stratio  urbis,^)  d.  h.  eine  ausserordentliche  Wiederholung  des  alljährlich 
regulär  gefeierten  Amburbium:  ganz  gleichartig  ist  das  Verfahren  der 
Arvalbrüder,  die  in  ihrem  Haine  eingetretene  Prodigien  (Blitzschlag  bezw. 
Hervorwachsen  eines  Feigenbaumes  aus  dem  Tempelgiebel)  durch  ein  lustrum 
missum  erledigen,  d.  h.  durch  Herumführung  und  Darbringung  von  Suove- 
taurilia  nebst  Opfern  an  Dea  Dia  und  alle  in  ihrem  Haine  verehrten  oder 
zu  dem  Prodigium  in  Beziehung  stehenden  Gottheiten;  dieses  lustrum  missum 
ist  nichts  anderes  als  eine  ausserordentlicher  Weise  angeordnete  Wieder^ 
holung  der  von  den  Arvalen  an  ihrem  Jahresfeste  begangenen  lustratio 
segetum.^)  In  ähnlicher  Weise  ist  ein  bei  der  staatlichen  Procuration  be- 
stimmter Arten  von  Prodigien  (Steinregen)  nach  altrömischem  Brauche  zur 
Anwendung  kommender  Sühnbrauch,  das  novemdiale  sacrum,^)  nichts  anderes 
als  die  ausserordentliche  Ausübung  eines  im  häuslichen  Gottesdienste  regel- 

^)  Zum  Folgenden  s.  F.  Luterbachbb,   ;  gesch.  Unters.  I  307  ff.,   der  nui*  darin  irrt, 


Prodigienglaube  und  Prodigienstil  der  Römer, 
Progr.  Burgdorf  1880.  Mabqüardt,  Staats- 
verw.  m  259  ff.  Mommsbiv,  Staatsr.  HI  1059  ff. 

2)  Liv.  V  15,  1 :  prodigia  intei'im  multa 
nuntiari,  qtiorum  pleraque  et  quia  singuli 
auctorea  erant,  parum  credita  spretaque  et 
quin  hostibus  Etruscis  per  quos  ea  procura- 
rent  JiartMpices  non  erant,  XLIII  13,  6: 
diM  non  suscepta  prodigia  sunt,  cUterum 
quod  in  privato  loco  factum  esset  .  .  .  . 
alterum  quod  in  loco  peregrino.  Vgl.  Moiai- 
SEN  in  0.  Jahns  Ausgabe  von  T.  Livi  periochae 
p.  XXVIII  ff. 

')  Capitolium  lustratum  Liv.  III  29,  9; 
urbs  lustrata  Liv.  XXI  62,  7.  XXXV  9,  5. 
XXXIX  22, 4.  XLII 20, 3.  XLV  16, 6.  Obseq. 
12.  13.  44.  46.  49.  52.  63.  Plin.  n.  h.  X  36. 
Tac.  ann.  XIII  24;  bist.  I  87  (vgl.  IV  53  über 


dass  er  die  lustratio  urbis  zu  den  Akten 
des  graecus  ritus  rechnet. 

*)  Henzen,  Acta  fratr.  Arval.  8.  140  ff. 
Die  von  Henzen  u.  a.  für  diesen  Akt  ge- 
wählte Bezeichnung  piactda  maiora  wird 
dem  in  der  Verschiedenheit  des  Namens, 
des  Anlasses  und  des  Opferritus  hervortre- 
tenden Unterschiede  von  lustrum  und  sacri- 
ficium  piaculare,  den  nur  H.  Oldenbbrg, 
De  sacris  fratr.  Arval.  quaest.  S.  46  ff.  richtig 
gewürdigt  hat,  nicht  gerecht. 

')  Liv.  131, 4:  Bomanis  quoque  ab  eodem 
prodigio  novemdiale  sacrum  publice  suscep- 
tum  est  ...  .  mansU  certe  soüemne,  ut, 
quandoque  idetn  prodigium  nuntiaretur, 
feriae  per  novem  dies  ageientur.  XXX  38, 9 : 
in  Palatio  lapidibus  pluit;  id  prodigium 
more  patrio  novemdiali  sacro,  cetera  hostüs 


die  Lustration  der  area  des  Gapitols).    Eist.  ,   maioribus  expiata.    Die  Beispiele  bei  Luter- 
aug.  Aurel.  20,  3.     Vgl.  die  Schilderung  bei  ;  bacher  a.  a.  0.  25,  106. 
Lucan.  I  592  ff.  und  dazu  üsbker,  Religions- 


61.  Saoralreohtliche  Chrnndlagen. 


329 


massig  am  neunten  Tage  nach  einer  Qeburt  oder  nach  einem  Begräbnis 
vorgenommenen  Lustrationsritus.  >) 

Dem  Zwecke  nach  mit  der  Lustration  nahe  verwandt,')  aber  doch 
in  der  Grundanschauung  von  ihr  wesentlich  verschieden,  ist  das  Piacular- 
opfer;  beide  Eultakte  dienen  dazu,  das  gestörte  oder  von  einer  Störung 
bedrohte  Verhältnis  zur  Gottheit  wiederherzustellen  und  zu  sichern,  aber 
während  die  Lustration  durchaus  in  der  Form  einer  Bitte,  sei  es  um  die 
pax  deum  im  allgemeinen,  sei  es  um  Schutz  vor  bestimmten  Gefahren, 
auftritt,')  ist  das  Piacularopfer  in  erster  Linie*)  die  Einlösung  einer  ver- 
fallenen Straf busse  für  eine  Unterlassung  oder  einen  Verstoss  gegen  die 
Sätze  des  ins  sacrum,  die  sacralrechtliche  Parallele  zu  der  muUa  des  welt- 
lichen Strafrechts.  ^)  Alle  Bestimmungen  des  ius  s(icrum,  insbesondere  die 
der  ältesten  Religionsordnung,  verlangen  die  genaueste  und  buchstäblichste 
Beachtung,  und  nicht  nur  wer  eine  nach  jenen  alten  Sacralverträgen  der 
Gottheit  geschuldete  Leistung  unterlässt,  sondern  auch  wer  nur  in  der 
Form  der  Darbringung  im  geringsten  gegen  die  komplizierten  Ritualvor- 
schriften verstösst  oder  aus  Unachtsamkeit  eine  nach  «den  Sätzen  des 
Sacralrechtes  überhaupt  oder  zur  Zeit  unzulässige  Handlung  vornimmt, 
begeht  ein  piaculum,  eine  Verletzung  des  ius  sacrum.^)  Die  Rechtsfolgen 
sind  verschiedene :  zunächst  ist  die  Darbringung  an  die  Gottheit,  bei  deren 
Begehung  etwa  ein  piaculum  vorfiel,  ohne  weiteres  ungiltig,  sie  wird  als  nicht 
geleistet  angesehen  und  muss  wiederholt  werden  ;^)  der  Schuldige  aber  hat  eine 


^)  Macr.  S.  I  16,  36:  est  etiam  Nundina 
Bomanorutn  dea  a  nono  die  nascentium, 
gut  lustricus  dicütAr;  est  autetn  dies  lastriciM, 
quo  infantes  lustrantur  et  nomen  accipiunt, 
sed  %8  maribus  nonus,  octavus  est  femims 
(die  flbrigen  Zeugnisse  bei  Marquabdt-Mau, 
Privatl.  d.  Rom.  S.  83|).  Porph.  zu  Hör.  epod. 
17,  48:  novemdiode  dicitur  sctcrificium,  quod 
mortuo  fit  nona  die  qua  sepultiis  est  (mehr 
bei  De-Mabchi,  Culto  private  I  197  f.). 

*)  Daher  finden  wir  im  untechnischen 
Sprachgebrauche  zuweilen  das  Wort  piaculum 
fOr  die  zur  Prokuration  von  Prodigien  an- 
geordneten Lustrationen  gebraucht,  z.  B. 
Liv.  XL  37, 2:  C.  Servüius  pontifex  maximus 
piacula  irtie  deum  canquirere  iussus.  Gell. 
XVI  6,  10  (=  Macr.  S.  VI  9,  2) :  ostentum 
enim  est  et  piacuiis  factis  procwrandum. 

')  Es  genügt,  auf  der  einen  Seite  an 
die  Wendung  pacem  deum  petere,  exposcere 
(S.  327  Anm.  5),  auf  der  anderen  an  das  Gebet 
bei  der  privaten  lustratio  agri  (Gate  de  agric. 
141)  zu  verweisen. 

^)  Dass  man  auch  beim  Piacularopfer 
betet  ut  sies  volens  propitius  mihi  domo 
famüiaeque  meae  Itberisque  meis  (Cato  de 
agric.  139)  ist  selbstverständlich;  ein  Ver- 
gleich der  Gebetsformel  beim  Piaculum 
(a.  a.  0.)  und  bei  der  lustratio  agri  (ebd.  141) 
zeigt  den  charakteristischen  Unterschied,  dass 
nur  bei  der  ersteren  Handlung  die  Wendung 
vorkommt  uti  tibi  ius  est  porco  piaculo 
faeere. 


')  VgL  namentlich  das  Haingesetz  von 
Spoleto  (ScHNKiDER,  Excmpla  nr.  95) :  sei  quis 
scies  violasit  dolo  mcUo,  lovei  bovid  piadum 
datod  et  a(sses)  CCC  moltai  suntod. 

®)  Serv.  Aen.  IV  646:  et  sciendum,  si 
quid  caerimoniis  non  fuerit  observatum, 
piacidum  admitti,  Amob.  IV  31 :  siin  caeri- 
moniis vestris  rebusque  divinis  postüionibus 
locus  est  et  piaculi  dicitur  contracta  esse 
commissio,  si  per  imprudentiae  lapsum  aut 
in  verbo  quispiam  aut  simpuvio  deerrarit, 
aut  si  rursus  in  soUemnibus  ludis  curri- 
culisque  divinis  commissum  omnes  statim  in 
religiones  clamatis  sacras,  si  ludtus  con- 
stiterit  aut  tibicen  repente  conticuerit  aut  si 
patrimus  et  matrimus  iüe  qui  vocitatur  puer 
omiserit  per  ignorantiam  lorum  aut  tensam 
tenere  non  potuerit  (=  Gic.  de  harusp.  resp. 
23).  Beispiele  Fab.  Pict.  bei  GeU.  X  15,  10: 
eo  die  verberari  piactdum  est.  Varro  bei 
Macr.  1 1 6, 19 :  viros  vocare  feriis  non  oportet ; 
si  vocavit,  piaculum  esto. 

')  z.  B.  Liv.  XLI 16,  1:  Latinae  feriae 
fuere  ante  diem  tertium  noncts  Maias,  in 
quibus  quia  in  una  hostia  magistratus 
Lanuvinus  precatus  non  erat  populo  Bo- 
mano  Quiritium  religioni  fuit.  id  cum  ad 
senatum  rdatum  esset  senatusque  ad  ponti- 
ficum  collegium  reiecisset,  pontificibus,  quia 
non  rede  factae  Latinae  essent,  instauratis 
LcUinis  placuit  Lanuvinos,  quorum  opera 
instauratae  essent,  hostias  praebere. 


1 


380 


Beligioa  nnd  Knltiui  der  BOmer.    m.  KnltiiB. 


Strafe  verwirkt.  Ist  der  Verstoss  wissentlich  und  absichtlich  geschehen, 
so  ist  für  ihn  persönlich  eine  Wiederherstellung  des  zerstörten  Verhält- 
nisses zur  Gottheit  ausgeschlossen,  er  hat  sich  seinerseits  ausserhalb  des 
ius  divinum  gestellt  und  ist  darum,  ohne  die  Möglichkeit  einer  Sühnung, 
als  impius^)  zwar  nicht  weltlicher,*)  wohl  aber  göttlicher  Strafe  verfallen,*) 
Ist  dagegen  die  Verfehlung  unwissentlich  und  versehentlich  begangen 
worden  oder  ist  sie  erfolgt  unter  dem  Zwange  einer  unausweichlichen  Not- 
wendigkeit,^) so  geschieht  die  Ausgleichung  durch  eine  sühnende  Dar- 
bringung, die  ebenfalls  piaculum  heisst.^)  Der  Verpflichtung  zu  einer  solchen 
Sacralbusse  kann  die  Gemeinde  ebenso  verfallen  wie  der  Einzelne,  soweit 
das  piaculum  bei  einer  in  ihrem  Namen  vollzogenen  Handlung  vorgefallen 
ist^)  oder  sonst  eine  die  ganze  Gemeinde  belastende  Verfehlung  enthält) 
Über  Art  und  Umfang  der  Piacularleistung  geben  meist  besondere  Straf- 
bestimmungen der  alten  Religionsordnung  Auskunft,^)  im  Zweifelsfalle  ent- 
scheidet priesterliches  Gutachten.^) 

Überall  treten  uns  die  Kulthandlungen  der  römischen  Religion,  mögen 
sie  vom  Einzelnen  oder  vom  Staate  ausgehen,  entgegen  als  Akte  eines 
durch  feste  Normen  geregelten  und  in  streng  vorgeschriebenen  Formen 


*j  Varro  de  1. 1.  VI  30:  praetor  qui  tum 
(an  einen  dies  nefaatus)  fatus  est,  si  impru- 
dens  fecü,  piaculari  hostia  facta  piaiur;  si 
prudens  dixit,  Q,  Mucius  ambigebat  cum 
expiari  ut  impium  non  posse;  vgl.  Macr.  S. 
I  16,  10. 

')  Das  vom  Staate  bestrafte  Eigentums- 
verbrechen an  Göttergut  (sacrilegiunif  Momm- 
SBN,  Straf r.  S.  760  ff.)  ist  anderer  Art,  hier 
geht  weltliche  Strafe  neben  der  göttlichen  her, 
vgl.  das  Haingesetz  von  Spoleto  (E.  Schneidbb. 
Exempla  nr.  95) :  sei  quis  violasity  love  bovid 
piaclum  datod;  sei  quis  scies  violasit  dolo 
malOf  lovei  bovid  piaclum  datod  et  a(sses) 
CCC  moltai  suntod. 

*)  Sacrum  commitsum,  quod  neque  ex- 
piari poterit,  impie  commissum  esto,  Cic.  de 
leg,  n  22,  vgl.  I  40.  II  19.  25. 

*)  So  namentlich  bei  Bruch  der  Ferien- 
feier, Macr.  S.  1 16, 10  f.:  adfirmabatur  cum, 
qui  talibus  diebus  imprudens  aliquid  egisset, 
porco  piaculum  dare  debere;  prudentem 
expiari  non  posse  Scaevola  poniifex  ad- 
severabat  (s.  oben  Anm.  1).  sed  Umbro  negat 
eum  pollui,  qui  opus  vel  ad  deos  pertinens 
sacrorumve  causa  fecisset  vel  aliquid  ad 
urgentem  vitae  utilitatem  respiciens  acti- 
tasset,  Scaevola  denique  consuUus,  quid 
feriis  agere  liceret,  respondit:  quod  prae- 
termissum  noceret,  Dass  auch  in  diesem 
Falle  ein  piaculum  nötig  war,  zeigen  z.  B. 
das  wegen  Vornahme  dringender  ländlicher 
Arbeiten  an  feriae  zu  bringende  Hundeopfer 
(Golum.  II  22, 4)  und  noch  mehr  die  Piacular- 
opfer  der  Arvalbrflder  ob  ferrum  inlatum 
in  aedem  {de  aede  elaium)  scripturae  causa 
(Hbnzbn,  Acta  S.  128  ff.).  Ebenso  kann  die 
mit  Genehmigung  der  Pontifices  vor  sich 
gehende  translatio  cadaveris  nur  geschehen 


piactUo  prius  dato  operis  faciendi  ove  atra 
(CIL  X  8259,  vgl.  VI  1884),  denn  qui  corpus 
perpetuae  sepulturae  traditum  .  .  nudaverit 
.  .  .  piaculum  committit  (Paul.  sent.  I  21,  4). 

^)  Zuerst  so  im  Haingesetze  von  Spoleto 
(oben  Anm.  2)  und  in  der  Lex  spoliorum 
opimorum  (Fest.  p.  189  cuius  aiispicio  capta, 
dis  piaculum  dato),  dann  Gato  de  agric.  139: 
porco  piaculo  facito.  Gell.  II  28,  3:  eas 
ferias  si  quis  polluisset  piaculoque  ob  hanc 
rem  opus  esset  n.  s.  w. 

®)  Liv.  XXII  9,  9:  (Decemviri)  inspedis 
fatalibus  libHs  rettulerunt  patribus,  quod 
eius  belli  causa  votum  Marti  foret,  id  non 
rite  factum  de  integro  atque  amplius 
faciundum  esse;  das  amplius  weist  auf 
Hinzufttgung  eines  Piacularopfers. 

')  z.  B.  wenn  ein  durch  lex  sacrcUa 
Verdammter  begnadigt  und  dadurch  der 
Gottheit  das  ihr  durch  die  consecratio  capitis 
überwiesene  Eigentum  entzogen  wird  (Liv. 
I  26,  12  f.  und  dazu  Mommsbn,  Sirafr.  S.  903), 
oder  wenn  der  durch  den  römischen  Feld- 
herrn  Devovierte  den  Tod  im  Kampfe  nicht 
findet  (oben  S.  322  Anm.  3),  oder  wenn  ein 
Magistrat  sich  an  fremdem  Tempelgut  ver- 
griffen hat  (Liv.  XXIX  19,9.  21,4.  XXXI  12,4. 
XXX II  1,8.  XUiy,  10). 

^)  Vgl.  z.  B.  ausser  dem  Haingesetzc 
von  Spoleto  (oben  Anm.  2)  die  Lex  Numae 
bei  Gell.  IV  3,  3.  Paul.  p.  222:  paelex  aram 
lunonis  ne  tangito;  si  tagit,  lunoni  crinibus 
demissis  agnum  feminam  caedito. 

%)  z.  B.  Liv.  XXIX  19.  8:  sacrum  piacu- 
Iure  fieri,  ita  ut  prius  ad  collegium  pontift- 
cum  referretur,  quod  sacri  tfiensauri  moti 
violati  essent,  quae  piacula,  qutbus  diis, 
quibus  hostiis  fieri  placeret. 


61.  fikoralreohtliohe  Grundlagen. 


331 


sich  vollziehenden  Rechtsverkehrs,  die  sich  von  den  privatrechtlichen  Vor- 
gängen, trotz  vielfach  hervortretender  Ähnlichkeit,  0  doch  in  einem  Punkte 
wesentlich  unterscheiden:  es  sind  durchweg  einseitige  Rechtsgeschäfte,^) 
indem  bei  den  sacralen  Verträgen  (Votum)  und  Eigentumsübertragungen 
(Dedication)  von  den  beteiligten  beiden  Rechtssubjekten  nur  das  eine  eine 
Erklärung  abgibt,  während  von  Seiten  der  Gottheit  keinerlei  Äusserung 
des  Beitritts  oder  der  Annahme  erfolgt  und  eine  solche  f Qr  das  Zustande- 
kommen des  Rechtsgeschäftes  auch  nicht  für  ei-forderlich  erachtet  wird. 
Wo  bei  öffentlich  sacralen  Akten  neben  den  Magistraten  die  Staatspriester 
in  Wirksamkeit  treten,  geschieht  das  nicht  etwa  in  dem  Sinne,  dass  sie 
als  Rechtsvertreter  der  Gottheit  von  der  Seite  dieser  das  Vertragsverhält- 
nis zum  Abschlüsse  brächten :  die  Äusserungen  von  Magistrat  und  Priester 
bei  Votum  (Devotion),  Dedication  und  ähnlichen  Akten  stehen  nicht  im 
Verhältnisse  von  Erklärung  und  Gegenerklärung,  sondern  sind  miteinander 
identisch,  indem  der  Priester  als  Sachkundiger  dem  Magistrate  die  zur 
Anwendung  kommende  Gebetsformel  vorspricht  (praeU),  auch  wohl  die 
symbolischen  Handlungen  und  Gesten  vormacht,')  und  damit  den  korrekten 
und  rechtskräftigen  Verlauf  des  ganzen  Vorganges  sichert.  Eben  diese 
korrekte  Abwicklung  des  sacralen  Rechtsgeschäftes  von  der  menschlichen 
Seite  ersetzt  nach  römischer  Anschauung  die  mangelnde  Beitrittserklärung 
von  der  andern  Seite;  die  Gottheit  gilt,  ohne  dass  sie  einen  besonderen 
Zustimmungsakt  zu  vollziehen  hätte,  als  in  das  Rechtsgeschäft  eingetreten 
und  an  dessen  Abmachungen  gebunden,  sobald  der  menschliche  Gontrahent 
an  die  richtige  Gottheit  mit  der  richtigen  Darbringung  und  in  der  richtigen 
Form  sich  wendet.  Darüber,  wie  man  in  allen  drei  Richtungen  das  Rechte 
treffen  kann,  geben  im  Zweifelsfalle  die  Priester  auf  Befragen  ihr  Gutachten 
(decretum)  ab,  und  zwar  zunächst  die  Bewahrer  der  altrömischen  caeri- 
moniae  et  sacra,  die  Pontifices,^)  dann  je  nach  Befinden  des  Senates  auch 
die  Ausdeuter  der  griechischen  Orakel  (Decemviri  sacris  faciundis)  oder 
die  Träger  der  disciplina  Etrusca,  die  Haruspices.^)  Insbesondere  bedarf 
es  eines  derartigen  Ermittlungsverfahrens  über  die  Gottheit,  an  die  man 
sich  zu  wenden  hat,  häufig  bei  der  Procuration  von  Prodigien  und  bei 
vorgefallenen  piacula:  gibt  nicht  etwa  der  Ort,   wo   das  Prodigium   ein- 


*)  z.  B.  voti  spansio,  qua  ohligamvr  deo 
Cic.  de  leg.  II  41 ;  votum  debere  Cic.  Verr. 
IV  123.  Val.  Max.  1 1,  8  (voti  dehitor  Mar- 
tial.  IX  42,  8)  n.  a. ;  Feroniae  mancipio  do 
CIL  IX  4874;  hunc  loeum  monimentumque 
dia  manibus  do  legoque  CIL  V  2915. 

')  AusgefQhrt  von  Psbnice  a.  a.  0. 1 146  ff. 

')  Praeeunte  pontifice  maximo  werden 
vom  Magistrate  vota  nuncupiert  (z.  B.  Liv. 
IV  27, 1),  Tempel  dediciert  (z.  B.  Liv.  1X46, 6), 
die  Devotionsformel  gesprochen  (Liv.  VIII 
9,  4.  X  28,  14;  vgl  V  41,  3);  die  obsecratio 
wird  vom  Volke  vollzogen  duumviris  prae- 
euntibus  (Liv.  IV 21, 5;  vgl.  Plin. n. h.  XXVIII 
1 1).  Bei  der  Dedication  macht  der  Pontifex 
dem  weihenden  Magistrate  das  symbolische 
postem  teuere  vor,  daher  die  Formel,  mit  der 
der   Magistrat  den  mitwirkenden   Pontifex 


requiriert:  adea^  .  .,  dum  dedico  ,  ,  ,,  ut 
mihi  praeeas  postemque  teneas  (Cic.  de  domo 
13H).  Sammlang  von  Beispielen  bei  Bbis- 
soNius,  De  formulis  I  103.  178.  192,  s.  auch 
Marqüardt,  Staatsverw.  III  177.  265.  272. 

^)  Cic.  de  harusp.  resp.  14:  pontifices, 
quorum  auctoritati  fidei  prudentiae  maiores 
nostri  sacra  religionesque  et  privatas  et 
publicas  commendarunt ;  vgl.  Jobs,  Rom. 
Rechtswissensch.  I  16  ff. 

^)  Im  privaten  Kulte  tritt  an  Stelle  des 
priesterlichen  Gutachtens  oft  direkte  Offen- 
barung der  Gottheit  durch  Traumgesicht  oder 
Orakel,  daher  die  zahllosen  Gelübde  und 
Weihungen  ex  visu,  ex  responso,  iussu, 
monitu,  somnio  monitus  u.  s.  w.  Beispiele 
bei  Mabquabdt  a.  a.  0.  S.  100  A.  7.  Ds- 
Mabobi,  Culto  private  I  285  ff. 


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332 


Religion  nnd  Enltiia  der  Römer.  4J1»  EnltoB. 


getreten  ist,  oder  die  Handlung,  bei  welcher  der  V erstoss  begangen  wurde, 
die  nötige  Auskunft,  so  müssen  die  Priester  feststellen,  welche  Gottheiten 
es  sind,  deren  Ungnade  die  Gemeinde  sich  zugezogen  hat,  und  zugleich 
mit  ihnen  auch  die  Art  der  Darbringungen  bezeichnen  (edere),  die  man 
ihnen  zur  Wiedergewinnung  der  pax  deum  zu  machen  habe;0  ist  die  Frage 
nach  der  in  Betracht  kommenden  Gottheit  nicht  sicher  zu  beantworten, 
so  hilft  man  sich  damit,  dass  man  sich  an  eine  unbestimmte  Adresse 
wendet,  entweder  mit  der  Formel  sive  deo  sive  deae  (oben  S.  33)  oder  durch 
Bildung  eines  neuen  Namens,  der  nur  darauf  hinweist,  in  welchem  Sinne 
man  die  Gottheit  anruft,  ohne  die  betreffende  göttliche  Person  bestimmt 
zu  bezeichnen.^)  Bei  Bittgelöbnissen  legte  der  Anlass  meist  die  Wahl 
einer  bestimmten  Gottheit  nahe  (s.  oben  S.  321),  aber  es  gab  auch  Fälle, 
wo  man  keinem  der  bekannten  Götter  die  Macht  zutraute,  das  Erbetene 
zu  gewähren:  die  Kulte  des  graecus  ritus  sind  durchweg  in  der  Weise  in 
Rom  rezipiert  worden,  dass  die  Decemvirn  nach  Einsichtnahme  in  die 
sibyllinischen  Bücher  erklärten,  die  Gewährung  dieser  oder  jener  Bitte 
(z.  B.  reiche  Ernte,  Ende  einer  Seuche)  stehe  bei  dieser  oder  jener  in  Rom 
bisher  noch  nicht  verehrten  griechischen  Gottheit  (Demeter,  Apollon),  an 
die  man  sich  daher  mit  dem  Gelübde  eines  dauernden  Kultes  zu  wenden 
habe.')  Die  Wahl  der  Darbringung  wird  teilweise  durch  die  Vorschriften 
des  betreffenden  Kultes  und  durch  das  Herkommen  erleichtert,  aber  da 
sie  sowohl  auf  die  angerufene  Gottheit  als  auf  den  Anlass  des  Kultaktes 
Rücksicht  nehmen  muss,  ergeben  sich  auch  hier  vielfache  Schwierigkeiten, 
die  priesterlichen  Beirat  zur  Lösung  erfordern :  *)  namentlich  bei  der  Pro- 
curation  von  Prodigien  ist  die  Frage,  ob  Opfer  oder  Spiele,  Lectistemien 
oder  Supplikationen,  Tempel  oder  Feriae  darzubringen  sind,  nur  auf  Grund 
genauer  Kenntnis  der  Ritualvorschriften  und  der  gottesdienstlichen  Praxis 
zu  entscheiden  und  daher  bei  ihrer  wesentlichen  Bedeutung  für  die  Wirk- 
samkeit des  Lustrationsaktes  in  der  Regel  den  Priestern  zur  Beantwortung 
Überwiesen  worden,  s)  Endlich  aber  ist  von  der  allergrössten  Wichtigkeit 
die  richtige  Art  der  Darbringung,  sowohl  was  die  Bewahrung  aller  für 
die  betreffende  Sacralhandlung  vorgeschriebenen  und  üblichen  Formalitäten^) 


')  Der  SeDatsbeschluss  lautet:  consul 
P.  Cornelius  quibus  dis  quiimsqiie  hostiis 
edidissent  decemviri  (an  anderen  Stellen  sind 
es  die  Pontifices,  z.  B.  XXX  2^  13,  oder  die 
Haruspices,  z.  B.  XLI  13,  3)  sacrificaret,  Liv. 
XXXVI  37,  5. 

')  Beispiele  dafttr  sind  neben  „ Augen- 
blicksgöttern'^  wie  Ajus  Locutius  (oben  S.  49) 
und  den  vom  Flamen  Cerialis  beim  Saat- 
opfer angerufenen  Beschützern  der  länd- 
lichen Arbeiten  (oben  S.  22)  die  bei  dem 
Itistrum  missutn  der  Arvalbrüder  mit  Opfern 
verehrten  numina  Adolenda,  Commolenda, 
Coinquenda,  Deferunda  für  die  Thätigkeiten 
des  Herunterholens  {deferre),  Zerstückeins 
{commolere)j  Zerhackens  (coinquere)  und  Ver- 
brennens  (adolere)  der  zu  beseitigenden  Baum- 
stücke; vgl.  W^issowA,  Real-Encycl.  II 1482  f. 

')  Die  Typik  des  Vorganges  gibt  z.  B. 


Dion.  Hai.  VI  17  in  der  Erzählung  von  der 
Stiftung  des  Tempels  von  Ceres,  Liber  und 
Libera. 

*)  Als  z.  B.  im  J.  546  =  208  Marcellus 
ein  den  Gottheiten  Honos  und  Virtus  ge- 
machtes Gelübde  einlösen  will,  erklären  die 
Pontifices  die  Stiftung  eines  gemeinsamen 
Tempels  beider  Gottheiten  für  unzulässig 
(oben  S.  135). 

^)  Die  Zeugnisse  bei  Lütebbachkb  a.  a.  0. 
S.  20  f. 

^)  z.  B.  das  Anfassen  der  Thtlrpfosten 
bei  der  Dedication  (Serv.  Georg.  III  16  und 
mehr  bei  Mabqüardt,  Staatsverw.  III  272), 
das  Stehen  auf  einer  Lanze  bei  der  Devotion 
(Liv.  Vni  9,  5),  vorgeschriebene  Handbewe- 
gungen beim  Gebete  zu  bestimmten  Gott- 
heiten (Macr.  S.  III  9, 12:  cum  Tellurem  dicU, 
manibus  terram  tangit;    cum  lavem  dicit, 


61,  Saoralreohtliohe  Grandlagen. 


333 


und  die  Fernhaltung  jeder  Störung  ^)  anlangt,  als  namentlieh  was  Fassung 
und  Vortrag  der  zur  Anwendung  kommenden  Gebetsformel  ^)  betrifft.  Denn 
das  Gebet  ist  nach  römischer  Vorstellung  nicht  sowohl  ein  selbständiger 
Akt  der  Frömmigkeit,  als  vielmehr  die  zu  jeder  sacralen  Handlung  und 
Darbringung  notwendig  gehörende  ^)  mündliche  Erklärung,  die  das  sacrale 
Rechtsgeschäft  von  Seiten  des  Sterblichen  perfekt  macht  und,  wenn  in 
richtiger  Form  abgegeben,  zugleich  auch  die  Gottheit  in  dasselbe  einzu- 
treten zwingt.^)  Dazu  gehört  aber  zunächst,  dass  man  die  Gottheit  mit 
dem  richtigen  Namen  anrede,  und  die  Verzeichnisse  dieser  Anrufungs- 
formeln {indigüamenta)  bildeten  einen  wichtigen  Bestandteil  des  pontifikalen 
Archivs ;  ^)  wegen  der  zwingenden  Gewalt,  die  in  einem  mit  der  richtigen 
Anrede  an  die  Gottheit  sich  wendenden  Gebete  lag,  musste  der  Staat  diese 
Anrufungsformeln  mit  dem  tiefsten  Geheimnisse  umgeben,^)  damit  sie  nicht 
von  feindlicher  Seite  zu  seinem  eigenen  Schaden  zur  Anwendung  gebracht 
werden  konnten.^)  Femer  musste  aber  auch  die  ganze  Fassung  des  Ge- 
betes und  sein  Vortrag  durchaus  den  strengsten  Anforderungen  entsprechen ; 
es  muss  in  fest  vorgeschriebener  Formulierung  schriftlich  abgefasst^)  und 


manus  ad  ccuHum  tollü;  cum  votum  recipere 
dicit,  tnanibus  pectus  tangit),  die  Wendung 
von  rechts  nach  links  nach  beschlossenem 
Gebete  (Plin.  n.  h.  XXVIII  25.  Plant.  Cure. 
70  und  mehr  bei  Valbton,  Mnemos.  N.  S. 
XVII  312  f.,  vgl.  £.  Samtbb,  Qoaestiones 
Varronianae,  Berol.  1891  S.  13  f.)  u.  a.  m. 

*)  Bei  der  Auspication,  für  die  unbe- 
dingte Stille  notwendig  ist,  genügt  das  Pfeifen 
einer  Maus,  um  die  ganze  Handlung  ungültig 
zu  machen  (Plin.  n.  h.  VIII 223),  ebenso  führt 
beim  Opfer  jeder  störende  Laut  oder  Zwischen- 
fall ein  piactdum  herbei  (Cic.  de  har.  resp.  23. 
Amob.  IV  31.  Serv.  Aen.  VIII  110.  Flut. 
Coriol.  25);  aber  es  gilt  dabei  (wie  bei  den 
auguria  oblcttiva)  der  Satz,  dass  nur  die- 
jenige Störung  in  Betracht  kommt,  die  der 
Handelnde  bemerkt  (Cato  bei  Fest.  p.  234 
von  der  hftnslichon  Auspication:  servi,  an- 
cülae,  si  quis  eorutn  sub  centone  crepuit, 
quod  ego  non  sensi,  nullum  mihi  Vitium 
facü.  si  cui  ibidem  servo  aut  anciUae  evenü, 
quod  comitia  prohibere  solet,  ne  id  quidem 
mihi  vüium  facü.  Plin.  n.  h.  XXVIH  17. 
Serv.  Aen.  XII  260),  und  darum  verhüllt  nach 
römischem  Ritus  der  Auspicierende  oder 
Opfernde  sein  Haupt  mit  der  rückwilrts  in 
die  Höhe  gezogenen  Toga  (andere  Erklärung 
bei  DiSLS,  Sibyllin.  Blätter  S.  122.  E.  Samteb, 
Philol.  LIII  1894,  537;  die  Zeugnisse  bei 
Mabqüarot  a.  a.  O.  S.  176  A.  6). 

')  BoUemne  precatiania  Carmen  Liv. 
XXXIX  15,  1.  Val.  Max.  IV  1,  10;  soUemnes 
precationes  Liv.  X  28,  16;  sollemnis  deorum 
comprecatio  Liv.  XXXIX  15,  2;  soliemnia 
pontificalis  carminis  verba  Sen.  cons.  ad  Marc. 
13,  1  u.  a.  m. 

*)  Plin.  n.  h.  XXVIH  10:  victimas  caedi 
sine  precatione  non  videtur  referre  aut  deos 
rite  eonsuli. 


*)  Die  Gegenüberstellung  bei  Val.  Max. 
1  1,  1:  prisco  etiam  insiituto  rebus  divinis 
opera  datur,  cum  aliquid  commendandum 
e$t,precatione,cumexpo8cendum,voto, 
cum  solvendum,  gratulatione,  cum  inquiren- 
dum,  vel  extis  vel  aorttbus  <vel>  impetrito, 
cum  aollemni  ritu  peragendum,  aacrificio^  quo 
etiam  oatentorum  ac  fulgurum  denuntiationea 
procurantur  ist  nur  rhetorisch,  nicht  technisch. 

')  Dass  diese  indigitamenta  die  An- 
rufungsformeln an  alle  Gottheiten  der  alten 
Religionsordnung  enthielten,  geht  daraus 
hervor,  dass  man  das  Fehlen  des  ApoUo  in 
ihnen  als  Beweis  fClr  das  geringere  Alter 
dieses  Gottesdienstes  anführte  (Amob.  II  73); 
sie  waren  also  nicht  verschieden  von  den 
comprecationea  deorum  immortcdium,  qtiae 
ritu  Romano  fiunt,  expoaitae  in  libria  aacer- 
dotum  poptdi  Romani  (Gell.  XllI  23,  1). 
Vgl.  WissowA,  De  dis  Roman,  indigetibus 
et  novensidibus  p.  V. 

')  Darum  der  Ausschluss  bestimmter 
Kategorien  von  Menschen  von  der  Gegen- 
wart bei  der  Opferhandlung  (Paul.  p.  82: 
exeatOf  extra  eato;  aic  enim  lietar  in  quibus- 
dam  aacria  clamitabat:  hoatia,  vinctua,  mulier, 
virgo  exeato,  acüicet  intereaae  prohibebatur), 
namentlich  der  (landfremden)  Sklaven  (Serv. 
Aen.  VIII 179.  Suet.  Claud.  22.  Zosim.  II  5, 2, 
vgl.  Dibls  Sibyll.  Blätter  S.  96  f.). 

')  Serv.  Aen.  II  351:  iure  poniificum 
cautum  eat,  ne  auia  nominibua  dii  Romani 
appellarentur,  ne  exaugurari  poaaent;  vgl. 
Georg.  I  498.  Plin.  n.  h.  XXVIII 18.  Macr.  S. 

ni  9,  3. 

^)  verba  certa  Cic.  de  nat.  deor.  II  10 
(Devotion).  Paul.  p.  88  (Dedication);  aoUem- 
nibua  verbia  Cic.  de  domo  122.  Val.  Max.  V 
10,  1  (Dedication);  conceptia  aollemnibua 
verbia  Senec.  epist.  67, 9  (Devotion),  vgl.  oben 


334 


Religion  und  Knltas  der  Römer.    III.  Knltne. 


wörtlich  übereinstimmend  mit  dem  Formular  vorgetragen  werden,  jedes 
Abirren  in  einem  Worte  oder  jedes  Versprechen  oder  Stocken  macht  den 
ganzen  Akt  rechtsungiltig.  ^  Darum  musste  man  auch  den  ganzen  schwer- 
fälligen Tenor  der  alten  Qebetsformeln  unverändert  beibehalten,  selbst 
wenn  dieser,  wie  es  bei  den  cannina  der  Salier  und  Arvalbrüder  sicher 
der  Fall  war,  den  Vortragenden  selbst  unverständlich  geworden  war.') 
Besondere  Sorgfalt  verlangt  aber  auch  die  Fassung  des  speziellen  Inhaltes 
des  Einzelgebetes:  da  alle  aus  dem  ius  sacrum  sich  ergebenden  Rechts- 
fragen nach  ius  stridum  entschieden  werden  und  für  sie  der  Grundsatz 
gilt,  uti  lingua  nuncupassü,  ita  ius  esto,^)  so  muss  der  Wortlaut  des  Ge- 
betes z.  B.  beim  Votum  so  gefasst  sein,  dass  er  bei  buchstäblicher  Aus- 
deutung weder  über  Art  und  Umfang  der  dem  Gotte  gelobten  Darbringung^) 
noch  über  den  Inhalt  der  von  diesem  erwarteten  Gegenleistung  den  ge- 
ringsten Zweifel  zulässt.^)  Ist  aber  allen  den  genannten  Anforderungen 
an  Anrufung  und  Gebet  unter  Wahrung  aller  Vorschriften  und  Fernhaltung 
jedes  Verstosses  Genüge  geschehen,  so  ist  der  Beitritt  der  Gottheit  zu  dem 
Rechtsgeschäfte  gesichert,  und  da  so  eine  Bindung  der  Gottheit  durch  den 
Sterblichen  erfolgt,  so  kann  man  geradezu  von  einer  legum  dictio  auf  Seiten 
des  letzteren  reden,  wie  dies  bei  der  Einholung  der  auguria  impetrativa  ge- 
schieht: vorausgesetzt,  dass  der  auspicierende  Magistrat  und  sein  sachver- 
ständiger Assistent,  der  Augur,  die  richtige  Formel  anwenden,  ist  die  Gottheit 
gehalten,  ihre  Zustimmung  —  falls  sie  dieselbe  überhaupt  erteilen  will  — 
eben  in  der  erbetenen  und  nicht  in  einer  anderen  Form  kundzugeben.^) 
Je  nachdem  der  menschliche  Contrahent  im  sacralen  Rechtsgeschäfte 
die  Gemeinde  oder  ein  einzelner  Bürger  bezw.  eine  Gruppe  von  Einzel- 
bürgem  ist,  ergeben  sich  die  streng  und  ohne  Übergänge  geschiedenen 
Rechtskreise  der  sacra  publica  und  sacra  privata.'^)  Zu  den  letzteren  ge- 
hören ausser  den  sacralen  Beziehungen  der  einzelnen  Individuen  auch  die 


Anm.  2.  Das  de  scripto  praeire  bezeugt 
Plin.  XXVIII  11,  und  Übereinstimmend  damit 
tragen  die  Arvalbrüder  ihr  Carmen  vor  libellis 
acceptis  (Hstizbh,  Acta  S.  33);  vgl.  auch  Fest 
p.  173:  Vota  nuncupata  dicuntur,  quae  can- 
siUes,  praetores,  cum  inprovinciamprofick- 
cuntur  facivmt;  ea  in  tabulas  praesentihus 
muliis  referuntur, 

')  Gic.  de  har.  resp.  23:  si  aedüis  verbo 
aut  eimpuvio  aherravit,  ludi  sunt  non  rite 
facti.  Plin.  n.  h.  XXVIII  11:  ne  quid  ver- 
barum  praetereatur  aut  praeposterum  di- 
catur;  vgl.  XI  174.    Cic.  de  domo  139  f. 

')  Quinfc.  inst.  or.  I  6,  40:  saliorum  car- 
mina  vix  sacerdottbus  suis  satis  intellecta; 
sed  üla  mutari  vetat  religio  et  consecratis 
utendum  est. 

')  Fest.  p.  173.  Gic.  de  orat.  I  245;  vgl. 
Danz,  Der  sacrale  Schutz  S.  8  ff. 

*)  So  konnte  im  J.  554  =  200  innerhalb 
des  PontificalkoUegiums  eine  Meinungsver- 
schiedenheit darüber  entstehen,  ob  die  Ge- 
lobung von  Spielen  und  Weihgeschenken  ex 
incerta  pecunia,  d.  h.  ohne  Festlegung  der 
dafür  bestimmten  Summe,  zulässig  sei,  Liv. 


XXXI  9,  7  ff.  Die  Arvalbrüder  formulieren 
ihr  Votum  praecis:  [tum  tibi  donumj  auri 
p(ondo)  XxVargentip(ondo)  IV  ex  pecunia 
fratrum  [Arjvaiium  nomine  eorum  posOum 
tri  voveo,  CIL  VI  2028  a  5. 

')  Darum  die  in  den  Gebetsformeln  der 
Arvalbrüder  geläufigen  Formeln  uH  (oder 
quem)  nos  sentimus  dicere  (vgl.  auch  das 
Carmen  devotionis  bei  Macr.  S.  III  9,  11:  si 
haec  ita  faxitis,  ut  ego  sciam  sentiam  tn- 
tellegamque  und  das  Gelübde  des  Ver  sacrum 
bei  Liv.  XXII  10,  2:  si  res  publica  popuU 
Romani  .  , .  sicut  velim  eam  salvam,  servata 
erit)f  wodurch  die  Auffassung  des  Erbetenen 
im  Sinne  des  Bittenden  gesichert  wird. 

*)  Serv.  Aen.  ni  89:  et  est  species  ista 
augurii,  quae  legum  dictio  appellatur;  legum 
dictio  autem  est,  cum  condicio  ipsius  augurii 
certa  nuncupatione  verborum  dicitur. 

')  publica  privataque  sacra  Liv.  I  20,  6 ; 
Sacra  religionesque  et  privatas  et  publicas 
Cic.  de  har.  resp.  14;  diaiQovfxsyoi  jb  d^xi 
tu  legd  xal  xd  /nkv  avTtJv  xoivd  noiotJytsg 
xttl  noXmxdy  rd  di  tdta  xal  avyysvixd  Dion. 
Hai.  II  65,  1. 


61.  Saoralreohtliohe  Grundlagen. 


335 


der  Familien,  Geschlechter  und  Corporationen,  ^)  zu  den  sacra  publica  nicht 
nur  diejenigen  Akte,  die  im  Namen  der  Gesamtgemeinde  (pro  populo)  aus 
Staatsmitteln  durch  die  dazu  befugten  Magistrate,  Priester  oder  sonstigen 
Beauftragten  vollzogen  werden,  sondern  auch  diejenigen,  die  innerhalb  der 
sacralen  Unterabteilungen  der  Gemeinde  in  der  Weise  vor  sich  gehen,  dass 
zwar  z.  B.  jede  Berg-  bezw.  Gaugemeinde  {montani  und  pcyani)  oder  jede 
Curie  oder  die  Anwohner  jsines  jeden  Compitum  durch  ihre  Vertreter  für 
sich  opfern,  die  Gesamtheit  dieser  Opfer  aber  das  Gemeindeopfer  darstellt.') 
Durchgängig  wird  bei  diesen  sacra  publica,  sowohl  bei  den  sacra  pro  po- 
pulo als  bei  denen  der  Unterverbände,  die  Gemeinde  durch  dazu  befugte 
Personen  vertreten,  die  Gesamtheit  beteiligt  sich  an  den  Kultakten  der 
alten  ßeligionsordnung  nur  ausnahmsweise, 3)  z.  B.  an  den  Palilien,  wo  die 
Vestalinnen  an  jedermann  die  suffimenta  zur  Reinigung  des  eigenen  Hauses 
abgeben  (oben  S.  166),  und  an  den  Fornacalia,  wo  jeder  an  einem  be- 
stimmten Tage  in  seiner  Curie  opfert  und  ein  eigener  Tag  für  die  Nach- 
zügler vorgesehen  ist,  die  das  Opfer  ihrer  Curie  verpasst  haben  (oben  S.  142). 
Die  auf  Grund  der  sibyllinischen  Bücher  angeordneten  Handlungen  des 
graecus  ritus  freilich  setzen  eine  allgemeine  oder  doch  weitgehende  Be- 
teiligung der  ganzen  Bevölkerung  z.  B.  an  den  Supplikationen  und  Opfeiii 
ad  omnia  pulvinaria*)  voraus  und  geben  dafür  bestimmte  Vorschriften,^) 
wie  auch  bei  diesem  Anlasse  jeder  Bürger  das  zum  Opfer  ^)  oder  zur 
Reinigung  0  Nötige  von  Staatswegen  erhält.  Aber  auch  hier  ist  wohl  ein 
rechtlicher  Zwang  auf  den  Bürger  nicht  ausgeübt  worden,^)  denn  die  ganze 
römische  Anschauung  führt  sehr  ausgeprägt  dahin,  vom  einzelnen  Bürger 


^)  Die  geniüicia  sacra  stellt  in  Gegen- 
satz zu  den  publica  sacra  Liv.  V  52, 4  (vgl. 
auch  ebd.  g  3  deos  ptiblicos  privatosque)^  die 
Familiensacra  Varro  bei  Non.  p.  510:  üaque 
ut  deos  colere  debet  comtntmitus  civüas,  sie 
singtUae  famüiae  debemus. 

*)  Fest.  p.  245 :  publica  sacra^  quae  pu- 
blico  sumptu  pro  populo  fiunt,  quaeque  pro 
moniibus  pagis  cuHis  sacellis;  at  privata, 
quae  pro  singulis  hominü)us  familiis  genti- 
bus  fiunt:  bei  den  sacra  pro  moniibus  ist 
an  das  Septimontinm  zu  denken  (Fest.  p.  848. 
340),  bei  denen  pro  pagis  an  die  Paganalia 
(Dion.  Hai.  IV  15, 3  nnd  mehr  bei  Mabquabdt, 
Staatsr.  III  199  f.),  bei  den  sacra  pro  curiis 
an  die  Fornacalia  (S.  142),  bei  denen  pro 
sacellis  an  die  Compitalia  (S.  149),  da  sacdla 
speziell  die  Larenkapellen  an  den  compita 
bezeichnet  (s.  unten  g  65). 

')  Das  ist  offenbar  die  Gruppe  von  Festen, 
welche  Fest  p.  253  meint:  popularia  sacra 
suntf  ut  aü  Labeo,  quae  otnnes  cives  faciunt 
nee  certis  familiis  attributa  sunt:  Fornacalia, 
Parüia,  Laralia  {=  Compitalia),  Porca  prae- 
cidanea  (dafür  auch  feriae  praecidaneae 
Gell.  IV  6, 10,  B.  oben  S.  160),  aber  der  Sinn 
hat  beim  Excerpieren  gelitten;  denn  den 
Gegensatz  zu  den  vom  Gesamtvolke  be- 
gangenen Festfeiem  bilden  nicht  die,  welche 
certis  familiis  attributa  sunt,  sondern  die. 


deren  Ausföhrung  Magistraten,  Priestern  oder 
Familien  (gentes)  zugewiesen  ist. 

*)  vgl.  auch  Monum.  Anc.  2, 18 :  fprivatjim 
etiam  et  municipatim  universi  [cives  sacrifi- 
eaverunt  sempejr  apud  omnia  pulvinaria 
pro  valeßudine  mea], 

*)  z.  B.  Liv.  VU  28, 8.  XXÜ  10, 8.  XXXIV 
55,  3.  XL  37,  3  und  mehr  bei  Marquabdt 
a.  a.  0.  50  f.  Obseqn.  13:  pestüentia  fameque 
ita  labortUum,  lU  ex  Sibyllinis  popuius  circa 
compita  sacdlaque  operatus  sederit.  Sehr 
lehrreich  ist  es,  dass  die  Saturnalien  erst 
mit  der  EinfQhrung  des  grciecus  ritus  (s. 
oben  S.  170)  ein  scusrum  populäre  wurden, 
Liv.  XXII  1,  20:  populusque  cum  diem 
festum  habere  ac  servare  in  pcrpetuum  iussus. 

^)  Liv.  X  23,  2 :  publice  vinum  ac  tus 
praebitum. 

^)  So  werden  vor  den  Saecularspielen 
des  Augustus  suffimenta  verteilt,  Eph.  epigr. 
VIII  p.  249  f. 

*)  Eine  Strafandrohung  für  Nichtbeteili- 
gung  an  einer  öffentlichen  Kulthandlung  ent- 
hält nur  das  Ausnahmegesetz,  welches  die 
Teilnahme  an  der  Geburtstagsfeier  des  Divns 
Julius  bei  Kapital-  und  Geldstrafe  (erstere 
in  der  Form  lovi  0.  M.  et  Divo  lulio  sacer 
esto)  zur  Pflicht  machte,  Cass.  Dio  LI  19,  5 
vom  J.  712  ==  42. 


336 


Religion  nnd  KnltnB  der  Römer.    III.  Knltos. 


wohl  negativ  zu  verlangen,  dass  er  in  keiner  Weise  den  öffentlichen  Gottes- 
dieinst  störe,  nicht  aber  ihm  obligatorische  Kulthandlungen  aufzuerlegen 
und  eine  positive  Mitwirkung  an  den  ^acra  publica  von  ihm  zu  erwarten.^) 
Die  Opfer  und  Weihegaben,  die  je  nach  den  Umständen  auch  der  Privat- 
mann in  bestimmten  Staatstempeln  darbringt,')  werden  durch  den  Ort 
ihrer  Darbringung  nicht  etwa  zu  sacra  publica,  sondern  bleiben  Akte  pri- 
vater, nur  teilweise  durch  das  Herkommen  verallgemeinerter  Gottesver- 
ehrung. Aber  die  sacra  privata  selbst  unterstehen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  der  staatlichen  Aufsicht  und  Unterweisung.  Zwar  die  Übernahme 
sowohl  wie  die  Lösung  sacraler  Verpflichtungen  durch  den  Privatmann  ist 
durchaus  dessen  eigene  Angelegenheit,  der  Staat  greift,  soweit  nicht  etwa 
bei  Ausübung  privater  Kulte  die  öffentliche  Ordnung  gestört  und  damit 
polizeiliches  Einschreiten  herausgefordert  wird,^)  weder  durch  besondere 
Vorschriften  und  Anforderungen  in  den  Privatkult  ein,^)  noch  übt  er 
gegen  den,  der  seine  privaten  Pflichten  gegen  die  Götter  vernachlässigt, 
eine  Straf  justiz,  ^)  nur  ist  der  Schuldige  als  impius  bescholten  und  damit 
der  censorischen  Rüge  verfallen.^)  Aber  wenn  auch  der  Einzelne  die  Aus- 
übung seines  Hausgottesdienstes  ohne  priesterlichen  Beistand  vornehmen 
kann,  so  steht  ihm  dieser  doch  zur  Verfügung,  sobald  er  seiner  benötigt:  0 
ist  sich  der  Bürger  über  Art  und  Umfang  der  etwa  durch  ein  Votum  über- 
nommenen Verbindlichkeiten  oder  über  eine  im  speziellen  Falle  vorzu- 
nehmende Sacralhandlung  im  Unklaren,  so  wendet  er  sich  an  die  Ponti- 
fices  und  erbittet  von  ihnen,  wie  auf  dem  Gebiete  des  civilen  Rechtes  die 
Formel  der  legis  actio,  so  hier  die  auf  seinen  Fall  passende  Anrufungs- 
und Gebetsformel  oder  die  geeigneten  Verbal tungsmassregeln.^)  Ebenso 
stellen  diese  Priester  bei  einer  sacralen  Verfehlung  des  Bürgers  fest,  ob 


^}  8.  auch  MoMMBBN,  Strafr.  S.  567  ff. 

')  z.  B.  das  Opfer  auf  dem  Capitol  bei 
Anlegung  der  Toga  virilis  (oben  S.  113) 
und  anderen  Anlässen  (s.  über  Capüolium 
aacendere  Jordas,  Topogr.  1 2  S.  89  Anm.  38), 
die  Weihung  der  Mädchenkleider  an  For- 
tuna Yirgo  bei  der  Verheiratung  (oben  S.  207) 
u.  ä.  Auch  die  bei  Geburten,  Sterbefällen 
und  bei  Anlegung  der  Toga  virilis  an  die 
Tempelkassen  der  Juno  Lucina,  Libitina  nnd 
Juventas  zu  leistende  Abgabe  (Piso  bei  Dion. 
Hai.  IV  15,  5)  trug  ursprünglich  gewiss  nur 
den  Charakter  eines  zwar  üblichen,  aber 
freiwilligen  Weihgeschenkes  und  wurde  erst 
obligatorisch,  als  man  die  Anmeldungen  bei 
diesen  Tempeln  zu  ausserhalb  des  sacralen 
Gebietes  liegenden  Zwecken  der  Statistik 
und  Verwaltung  benützte. 

*)  MoMMSBN,  Strafr.  S.  578  f. 

*)  Eine  Ausnahme  ist  das  Senatusconsult 
von  724  =  30,  wonach  angeordnet  wurde: 
iy  avüairloig  ov^  oie  toh  xtuvolg  aXXa  xal 
ToTs  idloig  ndvtag  avrw  an^ydeiy  (Cass.  Dio 
LI  19,  7),  d.  h.  dass  man  in  jedem  Privat- 
hause dem  Augustus  die  für  die  Hausgötter 
übliche  Tischspende  bringen  solle. 

^)   MoMxsBN,   Staatsr.  II  50  f.;   Strafr. 


S.  36  f. 

®)  Fest.  p.  344:  Cato  in  ea  quam  acripsü 
de  L.  Veturio  de  sacro  (stwrificio  Hs.)  com* 
misso,  cum  ei  equum  ademit:  „gui^d  tu, 
quod  in  te  fuit,  aacra  aiata  aollemnia  fca- 
pite  aancta  deaeruiati"  (wo  MoimssH,  Stn^. 
S.  568  mit  Unrecht  an  ein  aacrum  publicum 
denkt);  vgl.  Dion.  Hai.  XX  13. 

'')  liv.  I  20,  6:  cetera  quoque  omnia 
publica  privataque  aacra  pontificia  aciHs 
aubiedt,  ut  eaaet,  quo  conauitum  plebea  vent- 
ret,  ne  quid  divini  iuria  neglegendo  pairios 
rüua  peregrinoaque  adaciacendo  turbaretur, 
Cic.  de  leg.  II  20:  qiwque  kaec  privcAim  et 
publice  (et  publice  tilgt  Bubohslsb)  modo 
rituque  fiant  diacunto  ignari  a  publicia 
aacerdoHbua;  vgl.  ebd.  30;  de  harusp.resp.  14. 
Dion.  Hai.  II  73.    Plut.  Numa  9. 

")  z.  B.  Cic.  de  domo  182:  si  quid  de- 
liberarea,  ai  quid  tibi  aut  piandum  aut 
inatituendum  fuiaaet  religione  domeaüca, 
tarnen  inatituto  ceterorum  vetere  ad  pontt-- 
ficem  rettüliaaea.  Fest.  p.  321 :  ai  qua  aacra 
privata  auacepta  aunt,  quae  ex  inatituto  pontu 
ßcum  atato  die  aut  eerto  loco  facienda  aint, 
ea  aacra  appellari  tamquam  aacrificium. 


61.  SaoralreohUiche  Grundlagen. 


337 


sie  eine  unsühnbare  ist,  die  den  Schuldigen  zum  impius  macht,  oder  ob 
eine  Sühnung  vorzunehmen  ist  und  in  welcher  Form.  ^)  Andererseits  aber 
übernimmt  der  Staat  gewissermassen  eine  Garantie  gegenüber  der  Gottheit 
für  den  Fortbestand  der  sacra  privata  in  ihrer  Gesamtheit:^)  er  fördert 
die  Übung  der  religio  privata  nicht  nur  dadurch,  dass  er  ihre  Anforde- 
rungen im  Falle  einer  CoUision  mit  den  bürgerlichen  Pflichten  des  Trägers 
als  voUgiltigen  Entschuldigungsgrund  anerkennt,^)  sondern  vor  allem  da- 
durch, dass  er  das  Erlöschen  der  sacralen  Yerpfdchtungen  innerhalb  der 
Familie  und  Gens  verhindert.  Darum  sind  alle  die  Akte,  die  eine  Ver- 
änderung im  sacralen  Rechtsstande  des  Einzelnen  zur  Folge  haben,  der 
pontificalen  Eontrole  und  Mitwirkung  unterworfen,  so  namentlich  die  den 
Übertritt  der  Frau  in  die  sacra  des  Mannes  herbeiführende^)  Gonfarreation'^) 
und  ebenso  die  Arrogation,^)  mit  der  die  Aufgabe  der  bisherigen  sacra 
von  Seiten  des  Arrogierten  verbunden  ist,^)  aber  auch  die  testamenti  f actio ;^) 
denn  während  die  sacralen  Verpflichtungen  des  Einzelnen  mit  seinem  Tode, 
die  der  Gens  mit  ihrem  Aussterben  erlöschen,  gehen  nach  römischem 
Sacralrecht  ^)  die  sacra  familiae  durch  Erbgang  mit  der  Habe  auch  auf 
ausserhalb  der  Familie  Stehende  über,^^)  und  darum  haben  die  Pontifices 


*)  Gic.  de  leg.  II 22 :  sacrum  commisaum, 
quod  neque  expiari  potent,  impie  commissum 
esto;  qw)d  expiari  potent,  publici  sacerdotes 
expianto,  37:  publicus  scLcerdos  impruden- 
tiam  consüio  expiatam  metu  liberet,  auda- 
dam  .  .  .  damnet  atque  impiam  iudicet, 

')  Cic.  de  leg.  II  22:  sacra  privata  per- 
petua  manento.  47:  de  sacris  autem,  gut 
loctts  patet  latius,  haec  sit  una  sententia, 
iU  conserventur  semper  et  deinceps  famUiis 
prodantur  et,  ut  in  lege  posui,  perpetua  sint 
Sacra. 

*)  GeU.  XVI  4,  3  f.:  müüibus  scripHs 
dies  praefinibatur,  quo  die  adessent  .  .  . 
his  additis  exceptionibtts:  nisi  harunce  quae 
causa  erit,  funus  famüiare  feriaeve  deni- 
cäles  .  .  .  morbus  sonticus  auspiciumve^  quod 
sine  pictcuilo  praeterire  non  liceat,  sacrificium 
anniversarium,  quod  rede  fieri  non  possit, 
nisi  ipsus  eo  die  ibi  sit, 

*)  Dion.  Hai.  II  25,  2:  yvyaixa  yafisxrjv 
tijy  xara  yäfiovg  Is^odg  avyeXd-ovaay  ardgl 
xoivavoy  dndyrtby  styai>  /^/uctrtt)»'  te  xal 
IsQtiSy. 

^)  Die  Gegenwart  des  Pontifex  maximos 
bezeugt  Serv.  Georg.  1 31,  vgl.  Boeth.  ad  Cic. 
Top.  p.  299  Or. ;  ein  besonderer  sacerdos  con- 
farrecttionum  et  diffarreationum  CIL  X  6662; 
Litteratar  s.  oben  S.  324  Anm.  5. 

•)  Gell.  V  19,  5  f.  Gai.  I  99.  Tao.  bist, 
I  15.  Cic.  de  domo  34  £f.,  namentlich  §  34: 
quae  deinde  causa  cuique  sit  adoptionis, 
quae  ratio  generum  ac  dignitatis,  quae  sa- 
rorum,  quaeri  a  pontificum  collegio  solet; 
ebd.  36:  ita  adoptet,  ut  ne  quid  aut  de  di' 
gnitate  generum  aut  de  sacrorum  religione 
miniMtur.  Vgl.  im  allgemeinen  MoiofSBH, 
Staatar.  III  38  f. 

Hftndbneh  der  klau.  AltertnmswlfHenflcluift.   V.  4. 


')  Die  Adoption  hat  die  hereditas  no^ 
minis  pecuniae  sacrorum  (Cic.  de  domo  35) 
znr  Folge,  und  darum  muss  der  Arrogierte 
sich  von  seinen  bisherigen  sacra  lossagen; 
das  geschieht  durch  die  detestatio  sacrorum, 
wie  sie  Gell.  XV  27,  3  (vgl.  VII 12, 1),  oder 
aliencUio  sacrorum,  wie  sie  Cicero  (orat.  144, 
vgl.  de  leg.  III  48)  nennt. 

")  Labeo  bei  GeU.  XV  27,  1:  ecdata 
comitia  esse,  quae  pro  coüegio  pontificum 
Jiabentur  ...  §  3:  isdem  comitiis,  quae 
calata  appellan  diximus,  et  sacrorum  de- 
tesia^io  (s.  Anm.  7)  et  testamenta  fieri  solc' 
bant.    MoiCmsen  a.  a.  O.  III  319  f. 

')  Anders  in  andern  Staaten,  z.  B.  Cato 
bei  Priscian  III  p.  129.  VII  p.  337  H.:  si  quis 
mortuus  est  Ärpinatis,  eius  heredem  sacra 
non  sequuntur, 

'^)  Cic.  de  leg.  II 48:  exposite  haec  iura 
pontificum  auctoritate  consecuia  suwt,  ut, 
ne  motte  patris  familias  sacrorum  memoria 
occideret,  iis  essent  ea  adiuncta,  ad  quos 
eiusdem  morte  pecunia  venerit;  ebd.  52: 
Sacra  cum  pecunia  pontificum  auctoritate, 
niUla  lege  coniuncta  sunt  Fest.  p.  290: 
sine  sacris  hereditas  in  provcrbio  dici  solet, 
cum  aliquid  obvenit  sine  Ulla  incommodi 
appendice,  quod  olim  sacra  non  solum  pu- 
blica curiosissime  admvnisträbant,  sed  etiam 
privata,  relictiMque  Tieres  si  pecuniae  etiam 
scurorum  erat;  vgl.  Momxsbn,  Staatsr.  III 
20  ff.,  der  aber  an  die  sacra  gentüicia  denkt, 
was  mir  unmöglich  scheint,  da  doch  die 
gentiliciscfaen  Verpflichtungen  sich  ebenso- 
wenig über  die  (xrenzen  der  Gens  hinaus 
vererben  können,  wie  die  gentilicischen 
Rechte;  richtig  Pbbfiob,  Siiz.-Ber.  Akad. 
Berlin  1886,  1197  ff. 

22 


338 


Religion  und  Kultus  der  BOmer.    HI.  Kaltns. 


die  Verpflichtung,  die  Gestaltung  des  Erbganges  im  Auge  zu  behalten  und 
dafür  zu  sorgen,  dass  nicht  das  Vermögen  in  andere  Hände  komme,  die 
Götter  aber  dabei  mit  ihren  Ansprüchen  ausfallen.^)  Der  Staat  fasst  also 
auf  diesem  Gebiete  seine  Aufgabe  so  auf,  dass  er  zwar  nicht  den  Ein- 
zelnen zur  Erfüllung  seiner  sacralen  Pflichten  anzuhalten,  wohl  aber  dafür 
zu  sorgen  habe,  dass  stets  ein  Verpflichteter  vorhanden  sei,  an  den  die 
Gottheit  mit  ihrer  Strafe  sich  halten  mag,  falls  er  das  Seine  nicht  thot 
-In  allen  Handlungen  des  sacralen  Rechtsverkehres  wird,  wie  die 
Familie  durch  den  Paterfamilias,')  so  jeder  Verband,  gleichviel  ob  privater 
oder  öffentlich  rechtlicher  Natur,  durch  seinen  Vorsteher^)  und  die  Gemeinde 
durch  ihre  regelmässige  Obrigkeit  vertreten.^)  Die  Beamten  cum  imperio 
vermögen  sowohl  durch  votum  die  Gemeinde  rechtskräftig  zu  verpflichten  ^) 
als  bei  der  Einlösung  des  Gelübdes  durch  Auflassung  des  gelobten  Ob- 
jektes an  die  Gottheit  {dedicatio)  das  Gemeindegut  auf  diese  zu  übertragen,^) 
ebenso  können  nur  sie  die  Devotion  in  rechtlich  wirksamer  Weise  aus- 
sprechen ;  ^)  ihnen  fällt  ferner  die  Ansetzung  ausserordentlicher  oder  wandel- 
barer Feste, ^)  d.  h.  die  Überweisung  bestimmter  Tage  an  den  Dienst  der 
Götter  und  damit  ihre  Entziehung  aus  dem  Exeise  menschlicher  Geschäfte, 
zu,  sie  vollziehen  die  zur  Lustration  der  Gemeinde  aus  Anlass  von  Pro- 
digien  angeordneten  Eultakte  ^)  ebenso  wie  die  in  Erfüllung  stets  sich 


>)  Die  auBgebUdete  Kftwiifltik  der  pontifi- 
kalen  FestBetzongen  und  die  zur  Vermeidung 
der  tnolestia  sacrarum  von  den  Verpflich- 
teten angewandten  Kniffe  und  Umgehungs- 
N,  versuche  lernen  wir  aus  den  Darlegungen 
Ciceros  de  leg.  11  48  ff.  (vgl.  pro  Mur.  27} 
kennen;  s.  dazu  Sayiony,  Verm.  Schriften  1 
151  ff.  H.  BüBCKHARD,  Zschr.  d.  Savigny- 
Stift.  IX  1888  Roman.  Abt.  S.  286  ff.  B.  Eüb- 
LBB  ebd.  XI  1890,  87  ff. 

')  Cato  de  agric.  143:  rem  divinam 
(vilica)  ni  faciat  neve  tnandet,  ^gfut  pro  ea 
faciat,  inittssu  domini  atU  dominae  (vgl.  c.  5). 
scito  dominum  pro  tota  famüia  rem  divtnam 
facere, 

')  Gewöhnlich  fCLhrt  er  den  Namen 
magister,  so  die  magistri  vicorum  (oben 
S.  151  f.),  femer  bei  den  montani  und  pagani 
(Bull.  com.  XV 1887, 156  ff.  Moicmsen,  Staatsr. 
III  117),  sowie  an  der  Spitze  verschiedener 
Priesterschaften  (Quindecimvim ,  Arvalen, 
Salier,  Luperci)  und  privater  coüegia.  Ganz 
ebenso  steht  in  der  Curie  der  Curio  (Mokksen, 
Staatsr.  ITl  101),  der  deshalb,  weil  dieThätig- 
keit  der  Gurien  später  eine  rein  sacrale,  nicht 
mehr  politische  war,  noch  lange  kein  eigent- 
licher Priester  ist  {magister  curiae  heisst  er 
in  Afnka  CIL  VIII  14683).  Nur  der  Gens 
fehlt  die  Vertretung  durch  ein  Oberhaupt 
(MoMMSEH  a.  a.  0.  III  17). 

*)  MoMMSEN,  staatsr.  I  233  ff.  n  126  ff. 

')  Eine  Ausnahme  findet  im  J.  580  =174 
statt,  wo  auf  Veranlassung  der  Decemviri  s.  f. 
das  ganze  Volk  auf  dem  Forum  das  Gelübde 
zweitägiger  Ferien  und  einer  Supplication 
ablegt  (Votum  concepit),  Liv.  XLI  21,  11. 


*)  liv.  IX  46,  6:  cum  more  maiormm 
negaret  (der  Pontifez  maximus)  nisi  con- 
sulem  aut  impercUorem  posse  templum  de- 
dicare, 

')  liv.  VIII  10,  11:  ülud  adiciendum 
videtur,  licere  consiUi  dictatorique  et  prcie^ 
tori,  cum  legionea  hostium  devoveat,  non 
utique  se,  sed  quem  velü  ex  legUme  Bamana 
scripta  civem  devovere;  wenn  es  also  bei  liv. 
V  41, 3  von  den  beim  Einrücken  der  Gallier 
in  der  Stadt  zurückgelassenen  Greisen  heisst: 
sunt  qui  M,  Folio  pontifice  mcußimo  praefante 
Carmen  devovisse  eos  se  pro  p{Uria  Quiri- 
tibusque  Romanis  tradant,  so  verkennt  diese 
Ueberlieferung  das  Wesen  der  Devotion. 

^)  Macr.  S.  I  16,  6:  conceptivae  {feriae) 
sunt  quae  quotannis  a  magistratibus  vel 
sacerdotibus  concipiuniur  in  dies  vel  certos 
vel  etiam  incertos,  ut  sunt  Lcttinae  (indiciert 
von  den  Konsuln,  Mommsen  a.  a.  O.  II  128, 
vgl.  III  1055,  3),  SemenHvae  (nicht  von  den 
Pontifices  angesetzt,  denn  Varro  de  1. 1.  VI  26 
ist  korrupt),  PagancUia,  Compitaiia  (kon- 
cipiert  durch  den  Praetor,  Gell.  X  24,  3  == 
Macr.  S.  1 4, 27);  imperativae  sunt  quas  eon- 
süles  vel  praetores  pro  arbitrio  potestatis 
indicunt  (solche  feriae  imperativae  waren  es 
z.  B.,  die  Bibulus  auf  alle  Comitialtage  an- 
setzte, um  Obstruktion  zu  treiben,  Cass.  Dio 
XXXV III 6, 1 ;  anders  freilich  jetzt  Momiasir, 
Staatsr.  III  1058,  2). 

*)  z.  B.  Liv.  XXXIV  55, 2:  neque  senatus 
haberi  neque  respuhliea  administrari.poterat 
sacrificando  expiandoque  occupatis  con- 
sulib^. 


61.  Saoralreohtliohe  Grandlagen. 


339 


erneuernder  Vota  in  jährliehen  oder  grösseren  Abständen  wiederkehrenden 
sacralen  Akte  und  Darbringungen. ^)  Der  Privatmann  kann  die  Gemeinde 
weder  vertreten  noch  verpflichten  noch  über  ihr  Eigentum  verfügen,  es 
sei  denn,  dass  er  durch  Spezialauftrag  (nominatim)  vom  Volke  dazu  bestellt 
ist,^)  wie  es  z.  B.  bei  der  Bestellung  von  duoviri  aedi  dedicandae^)  ge- 
schieht; auch  die  des  imperium  entbehrenden  Beamten,  selbst  die  Censoren,^) 
bedurften  einer  solchen  Ermächtigung  durch  Volksbeschluss.^)  Dieser  Grund- 
satz der  ausschliesslichen  Berechtigung  der  Obermagistratur  zur  sacralen 
Vertretung  der  Gemeinde  erfährt  aber  eine  sehr  bedeutsame  Einschränkung, 
indem  der  gesamte  regelmässige  Dienst  der  Staatsgötter  den  Magistraten 
abgenommen  und  den  Priestern  überwiesen  ist.^)  Wird  in  Einlösung  eines 
Gelübdes  ein  neuer  Kult  begründet,  so  überweist  der  consecrierende  Magi- 
strat dabei  ein  für  allemal  die  Ausübung  der  laufenden  gottesdienstlichen 
Handlungen,  deren  Art  und  umfang  durch  das  Gelübde  im  einzelnen  ge- 
geben ist,  an  bestimmte,  in  Zukunft  sich  selbst  ergänzende  und  erneuernde 
Träger,^)  und  diese  Handlungen  scheiden  damit  für  alle  Zeit  aus  dem 
magistratischen  Funktionskreise  aus.  Ganz  ebenso  stellt  man  sich  den 
Hergang  bei  der  Festsetzung  der  ältesten  Religionsordnung  durch  Numa 
vor:  die  stetige  Vollziehung  des  regelmässigen  Gottesdienstes  musste  durch 
Bestellung  eigener  Träger  sichergestellt  werden  gegen  jede  Unterbrechung 
und  Störung,  wie  sie  bei  der  häufigen  Abwesenheit  des  Oberbeamten  von 
der  Stadt  sonst  unvermeidlich  gewesen  wäre.^)    Die  älteste  Praxis  war 


0  Es  genügt,  an  die  Opfer  des  magi- 
siratisohen  Neigahrs  (Mommsbn,  Staatsr.  I 
594  f.)»  an  das  Latiar  (oben  S.  109)  und  an 
die  Ceremonie  des  Sftkularnagels  (oben  S.  111 
und  MoMMSEN,  Staatsr.  II  148  f.)  zu  erinnern; 
auch  das  Lustrum  gehörte  ja  ursprünglich 
zum  Oberamte  (Mommsen  a.  a.  0.  323). 

')  Das  Gutachten  der  Pontifices  über 
die  Consecration  von  Ciceros  Haus  lautet: 
8%  neque  popuU  iussu  neque  plebia  8cüu  is, 
gut  se  dedicasse  diceret,  nominatim  et  rei 
praefectiM  esset  neque  populi  iussu  atU  ple- 
bis  scitu  id  fctcere  iussus  esset,  videri  posse 
sine  religione  eam  partem  areae  M.  Tidlio 
restitui  (Gic.  ad  Att  IV  2,  3,  vgl.  de  domo 
106 — 141);  ebenso  Cic.  de  domo  136:  quod 
in  loco  puhlico  Lidnia  Gai  ßia  ininssu 
populi  dedicasset,  sacrum  non  viderier. 

')  Ueber  sie  Mohxsen,  Staatsr.  II  601  ff. 

*)  Gegenüber  dem  Censor  des  J.  600  = 
154  C.  Cassius  Longinus,  der  die  Curie  samt 
dem  Bilde  der  Concordia  dieser  Qöttin  weihen 
will,  entscheiden  die  Pontifices:  nisi  eum 
populus  Bomanus  nominatim  praefecisset 
atgue  eius  iussu  faceret,  non  videri  eam 
posse  rede  dedicari  (Gic.  de  domo  180. 136). 

^)  Auch  der  Träger  des  imperium  kann 
durch  Volksbeschluss  veranlasst  werden,  eine 
Weihung  zu  machen  (Liv.  IV  20, 4:  dictaior 
eoronam  auream  libram  pondo  ex  publica 
pecunia populi  iussu  in Capitolio lovidonum 
posiiit)  oder  ein  Gelübde  zu  thun  (Liv.  XXll 
10,  1 :  pontifex  maximus  .  .  .  poptUum  con- 


sulendum  de  vere  sacro  censet;  iniussu  pO' 
puli  voveri  non  posse);  aber  bei  der  Wei- 
hung ist  der  Volksbeschluss  nur  eine  Auf- 
forderung etwas  vorzunehmen,  wozu  der 
Diktator  auch  von  sich  aus  befugt  gewesen 
wäre,  und  die  Forderung  der  Zustimmung 
des  Volkes  zu  dem  ganz  eigenartigen  und 
tief  eingreifenden  Gelübde  des  Ver  sacrum 
ist  eine  wohl  verständliche  Ausnahme ;  übri- 
gens thut  das  Gelübde  auch  in  diesem  Falle 
nicht  das  Volk,  sondern  der  Magistrat  (Liv. 
XXXni  44,  2:  ver  sacrum  .  .  .  quod  .  . 
praetor  voverat  de  senatus  sententia  po^ 
pulique  iussu), 

«)  MoxMSBN,  Staatsr.  II  17  ff.  126  f. 

^)  Zu  den  Obliegenheiten  des  mit  der 
Dedication  der  aedes  Mercurii  (oben  S.  248  f.) 
betrauten  Konsuls  gehört  nach  Liv.  II  27,  5 
praeesse  annonae  (weil  Getreidenot  Anlass 
zur  Weihung  gegeben  hatte),  mercatorum 
collegium  instituere,  sollemnia  pro  pontifice 
suscipere  (d.  h.  Aussprechen  der  Dedications- 
formel  samt  der  für  die  künftige  Gestaltung 
des  Gottesdienstes  massgebenden  lex  templi). 

•)  Liv.  I  20,  1 :  tum  sacerdotibus  cre- 
andis  animum  adiecit,  quamquam  ipse  plu- 
rima  sacra  obibcU  .  .  .  sed  quia  in  civitate 
bellicosa  plures  Romüli  quam  Numae  simües 
reges  putäbat  fore  iturosque  ipsos  ad  bella, 
ne  Sacra  regiae  vicis  desererentwr,  flaminem 
lovi  adsiduum  sacerdotem  creavit  u.  s.  w. ; 
vgLI  33, 1 :  Äncus  demandata  cura  sacrorum 
flaminibus  sacerdottbusque  cUiis . .  .profectus, 

22» 


340 


Religion  und  Knltns  der  BOmer.    UL  KnltaB. 


die,  die  Fürsorge  für  einen  bestimmten  Kult  einem  einzelnen  Geschlechte 
zu  übertragen/)  so  dass  dieses  nun  ausser  seinen  privaten  sacra  gentüicia 
auch  Sacra  publica  zu  vollziehen  hatte;')  an  die  Stelle  der  Geschlechter 
traten  dann  freie  coUegia  oder  sodalüates  ohne  gentilicischen  Zusammen- 
hang,^) die  zunächst  einen  rein  sacerdotalen  Charakter  trugen;  die  Organi- 
sation des  coUegium  pontificum  (einschliesslich  der  Flamines  und  Vestalinnen, 
dazu  noch  der  Hex  sacrorum),  die  mit  dem  Abschlüsse  der  ältesten  Reli- 
gionsordnung zusammenfällt,  bedeutet  die  Concentrierung  der  sacra  sol- 
lemnia  der  di  indigetes  in  der  Hand  einer  vom  Staate  bestellten  Piiester- 
schaft.^)  Ergänzend  tritt  dazu  dann  für  den  Gesamtkreis  der  Eultobliegen- 
heiten  des  graecus  ritus  das  Collegium  der  duoviri  bezw.  decemviri  sacris 
faciundis;  alle  später  zur  Verehrung  bestimmter  Gottheiten  oder  Übernahme 
bestimmter  Funktionen  vom  Staate  eingesetzten  Genossenschaften  ent- 
behren der  priesterlichen  Qualität.*^)  Eine  gewisse  Modifikation  erfahren 
die  für  die  Verteilung  der  sacralen  Akte  massgebenden  Grundregeln  in 
Bezug  auf  die  öffentlichen  Spiele.  Soweit  diese  integrierende  Bestand- 
teile regelmässiger  Festfeiern  älterer  Ordnung  sind,  fallt  ihre  Ausrichtung 
durchaus  den  Priestern  und  Eultgenossenschaften  zu;^)  die  Spiele  des 
jüngeren  Typus  aber  (s.  darüber  §  64),  gefasst  als  Einlösung  stetig  sich 
erneuernder  Gelübde,  sind  stets  magistratisch  geblieben,  nur  sind  sie,  so- 
bald sie  ständig  wurden,^)  durch  Volksbeschluss  dem  Oberamte  abgenonmien 
und  an  die  beiden  Aedilencollegien  übertragen  worden ;  ^)  der  Grund  dafür, 
dass  hier  nicht  Priester,  sondern  Beamte  niederer  Gattung  an  Stelle  der 
Obermagistratur  treten,  liegt  darin,  dass  die  Spiele,  wenn  auch  von  Haus 
aus  sacrale  Veranstaltungen,   doch  bei  der  reichen  und  eigenartigen  Aus- 


^)  Arnob.  III38:  solere  Romanos  reit- 
giones  urbium  superatarum  partim  privatim 
per  famüias  spargere  partim  publice  con- 
secrare  meint  trotz  falschen  Ausdruckes  offen- 
bar diese  Praxis;  vgl.  im  allgemeinen  Momm- 
Bss,  De  coUeg.  et  sodalic.  7  ff. 

')  Die  Scheidung  beider  Arten  von 
Sacra  der  Geschlechter  ist  im  einzelnen 
Falle  bei  der  Dürftigkeit  der  Nachrichten 
sehr  unsicher;  zu  den  sacra  publica  ge- 
hörte sicher  der  Kult  des  Sol  durch  die 
Gens  Aurelia  (oben  S.  261),  des  Hercules 
durch  die  Gens  Potitia  (oben  S.  221  f.),  des 
Tigillum  Sororium  (oben  S.  92)  durch  die 
Gens  Horatia  (Liv.  1  26,  13),  dagegen  war 
der  Minervendienst  der  Nautii  (Sery.  Aen. 
II  166.  V  704)  und  der  Vejoviskult  der  Julii 
(CIL  XIV  2887,  vgl.  oben  S.  241)  wohl  pri- 
vater  Natur. 

')  Am  deutlichsten  erkennbar  bei  den 
Luperci,  deren  Bezeichnung  als  Quinctiales 
und  Fabiani  die  gentilicisohe  Herkunft  un- 
widerleglich bezeugt;  dasselbe  spricht  sich 
im  Namen  der  so  dal  es  Titii  und  auch  der 
fratres  Ärvales  aus. 

*)  Daher  heissen  sie  auch  sacerdotes 
publici  oder  sacerdotes  schlechthin,  z.  B. 
Varro  de  1. 1.  VI  21.  Gell.  XIII  23, 1.  Tertull. 
de  spect.  5. 


')  Hierher  gehören  das  collegium  merca- 
torum  des  Merkurtempels  (oben  S.  249),  die 
collegia  compitalicia  Ar  den  Larendienst  an 
den  compita  (S.  151),  das  collegium  Capito^ 
linorum  für  die  Ausrichtung  der  Ludi  Gapi- 
tolini  (oben  S.  1 12)  und  das  für  die  der  Ludi 
Victoriae  Caesaris  (oben  S.  238);  dagegen 
waren  die  bei  der  Einführung  des  Dienstes 
der  Magna  Mater  gestifteten  sodalitates 
(Cic.  Cato  mai.  45)  private  Vereinigungen, 
wie  schon  die  Mehrzahl  zeigt. 

')  So  bei  den  Consualia  (Varro  de  1. 1. 
VI  20:  ab  sacerdotibus)  und  wohl  auch  bei 
dem  Wagenrennen  an  den  Equirria  und  am 
15.  Oktober  (s.  oben  S.  131  f.)  den  Pontifices^ 
bei  den  Ludi  Capitolini  den  magistri  des 
collegium  Capitolinorum  (s.  Anm.  5). 

')  Ausserordentliche  Spiele  werden  stets 
von  den  Beamten  cum  imperio  ausgerichtet, 
z.  B.  Cic.  pro  Sest.  117. 

»)  MoHMSEN,  Staatsr.  II  128  f.  505  ff. 
Doch  liegt  eine  Erinnerung  daran,  dass 
eigentlich  die  Aedilen  als  Spielgeber  nur  die 
Magistrate  cum  imperio  verireten,  darin, 
dass  es  einer  der  letzteren  sein  muss,  der 
den  Vorsitz  bei  den  Ludi  Romani  führt,  im 
Notfalle  sogar  ein  eigens  dazu  gewählter 
DikUtor  (Liv.  VHI  40,  2;  vgl.  XXVII  33,  6). 


61.  Sacralreohtliche  Grundlagen. 


341 


gestaltung,  die  sie  erfuhren,  diesen  Charakter  nicht  rein  bewahrt  habend 
und  stark  in  das  öffentliche  Leben  eingriffen,  so  dass  eine  Angliederung 
der  cura  ludorum  an  den  Funktionskreis  der  mit  der  städtischen  Polizei- 
verwaltimg betrauten  niederen  Magistrate  zweckmässig  erschien.')  Weder 
an  die  Priesterschaft  noch  an  die  niedere  Magistratur  übertragen  worden, 
sondern  mit  dem  magistratischen  imperium  in  Verbindung  geblieben  ist  die 
Ausrichtung  der  ältesten  Spiele  des  graecus  rituSj  der  Ludi  ApoUinares,') 
sowie  die  Ausübung  einiger  weiterer  Jahresakte  griechischer  Observanz, 
so  die  Darbringung  des  Herculesopfers  an  der  Ära  maxima  (oben  S.222), 
die  Leitung  der  Argeerprozession  *)  und  —  durch  Vermittlung  der  Gattin 
des  Magistrates  —  der  Nachtfeier  der  Bona  Dea  (oben  S.  178):  nur  ist  hier 
überall,  wenn  nicht  durchweg  rechtlich,  so  doch  thatsächlich  an  die  Stelle 
der  durch  ihre  Thätigkeit  oft  von  Rom  ferngehaltenen  Consuln  der  Träger 
des  niederen  imperium,  der  Praetor  urbanus,  getreten,  dessen  ständige  An- 
wesenheit in  Rom  die  regelmässige  Ausübung  solcher  wiederkehrender 
und  an  den  Tag  gebundener  Akte  ermöglichte;  im  Anschlüsse  daran  ist 
in  der  Eaiserzeit  die  Praetur  die  spielgebende  Magistratur  schlechthin  ge- 
worden.') Eine  starke  Einengung  hat  die  Wirksamkeit  der  Magistrate  als 
sacraler  Vertreter  der  Gemeinde  durch  die  immer  steigende  Mitwirkung 
des  Senates  erfahren.  Denn  je  wichtiger  für  den  Bestand  des  Staates  die 
korrekte  und  prompte  Abwickelung  des  Rechtsverkehres  mit  den  Staats- 
göttem  war,  um  so  begreiflicher  ist  es,  dass  es  gerade  bei  den  ins  Sacral- 
wesen  gehörenden  Akten  der  Magistrate  zur  Regel  wurde,  den  Senat  zu 
befragen  und  weiterhin  seiner  Meinung  sich  zu  fügen,  während  man  aus 
demselben  Grunde  die  sacralen  Angelegenheiten  den  Zufälligkeiten  der 
Volksabstimmung  möglichst  entzog.^)  Bei  der  Einrichtung  neuer  Priester- 
tümer  oder  Vermehrung  der  Stellenzahl  innerhalb  der  alten,  ^)  sowie  bei 
der  Einrichtung  von  ständigen  Spielen  und  Verlängerung  ihrer  Dauer  ^) 
wird  ein  Beschluss  der  Bürgerschaft  herbeigeführt,  dagegen  ist  für  die 
Aufnahme  neuer  Gottheiten  in  den  Kreis  der  römischen  Staatsgötter  (con- 
secratio)  die  Zustimmung  des  Senates  ausreichend,  aber  auch  unerlässlich 
gewesen,^)  und  die  Entscheidung  über  die  Erneuerung  {instauratio)  von 


')  Der  UnterBchied  yon  Opfern  und 
Spielen  tritt  deutlich  hervor  hei  der  ersten 
Anordnung  der  Ludi  Apollinares,  wo  die 
ersteren  den  Decemyiri  s.  f. ,  die  letzteren 
dem  Praetor  urbanus  zugewiesen  werden: 
his  ludis  faciendis  praeerit  praetor  is,  gut 
iiM  popülo  pleheique  däbtt  summum,  decem- 
viri  graeco  ritu  hostiis  sacra  fadant  (Liv. 
XXV  12,  10). 

')  Die  polizeiliche  Befugnis  der  Spiel- 
geher kommt  auch  dadurch  zum  Ausdrucke, 
dass  sie  in  allen  Fällen,  auch  die  magistri 
vicorum  und  die  pnvaten  domint  ludorum 
fwnebrium,  Lictoren  führen  (Mohm  sen,  Staatsr. 
I  375  f.). 

»)  Liv.  XXV  12, 10.  Macr.  S.  I  17,  28; 
nicht  ganz  sicher  einzureihen  sind  die  vom 
Praetor  ausgerichteten  ludi  piscatorii  (Fest, 
p.  238,  8.  oben  S.  184). 


*)  Dion.  Hai.  1 38, 3,  vgl.  Jobdan,  Topogr. 
1 1  S.  288. 

^)  MoMMSEN  a.  a.  0. 11  226  f.;  über  kon- 
sularische und  kaiserliche  Spielgebung  s.  ebd. 
11129.  910  f.;  CIL  Pp.  306. 

•)  MoMXSBN  a.  a.  0.  III  1049  ff. 

')  So  bei  der  Einsetzung  der  Tresviri 
epulones  (Liv.  XXXIII  42,  1),  bei  der  Ver- 
mehrung der  Stellenzahl  der  Duoviri  s.  f. 
auf  10  (Liv.  VI  37,  12),  der  der  Pontifices 
und  Augures  durch  die  Lex  Ogulnia  (Liv.  X 
6,  6)  und  nachher  aller  drei  PriestertUmer 
durch  Sulla  (Liv.  epit.  89). 

8)  Liv.  XXVII  23,  7.  Macr.  S.  I  11,  5. 
Gic.  Phil.  II  110;  vgl.  Momusen  a.  a.  0. 
m  339. 

®)  Tertull.  apol.  5:  vetus  erat  decretutn, 
ne  qui  det^  ab  imperatore  consecraretur  nisi 
a  senatu  prohatua  (s.  oben  S.  40);  vielleicht 


342 


Beligion  und  Knltua  der  Römer.    IIL  Kultus. 


Kultakten  wegen  vorgefallener  Verstösse  und  über  die  Procuration  von 
Prodigien  erfolgt  regelmässig  im  Senate.  0  Für  Votum  und  Dedieation  ist 
eine  Zustimmung  des  Senates  nicht  erforderlich,')  sofern  der  gelobende 
Magistrat  die  Kosten  aus  den  zu  seiner  immittelbaren  Verfügung  stehenden 
öffentlichen  Mitteln,  insbesondere  bei  Kriegsgelübden  aus  dem  ^Erlöse  der 
Beute  {manubiae),  zu  bestreiten  vermag;')  ist  dies  aber  nicht  der  Fall  und 
muss  er  für  die  Einlösung  seines  Gelübdes  den  Staatsschatz  in  Anspruch 
nehmen,  so  ist  eine  Bewilligung  der  Mittel  durch  den  Senat  notwendig, 
der  auch  die  Höhe  der  auszuwerfenden  Summe  festsetzt.^) 

Die  Kosten  des  gesamten  Staatskultes  werden  aus  öffentlichen  Geldern 
bestritten.^)  Nicht  der  Gott  selbst  erhält  seinen  Tempel  und  Gottesdienst 
aus  eigenen  Mitteln,  zum  Göttergut  gehört  nur  der  Tempel  mit  dem  Götter- 
bilde und  den  Geräten  und  Weihgeschenken,  Dinge,  die  nicht  werbendes 
Vermögen  bedeuten,  sondern  für  ihre  Unterhaltung  Kosten  verursachen; 
werbendes  Gut  kann  der  Gott  nicht  besitzen^)  und  nicht  erwerben,^)  er 
bedarf  dessen  aber  auch  nicht,  denn  mit  der  Beception  eines  Gottesdienstes 
übernimmt  die  Gemeinde  die  Verpflichtung  nicht  nur  zur  Instandhaltung 
des  Tempels  und  der  übrigen  res  sacrae,^)  sondern  auch  zur  dauernden 


bezieht  sich  daraaf  das  angeblich  im  J.  450 
=  304  erlassene  Gesetz  ne  quis  templum 
aramve  iniussu  senatiM  aut  trtbunorum 
plehei  partis  maioris  dedicaret,  Liv.  IX  46,  7. 

')  Es  ist  damit  nicht  ausgeschlossen, 
dass  in  ganz  einfachen  Fällen,  wo  die  Art 
der  Erledigung  eines  Prodigiums  durch  feste 
Tradition  oder  sacrale  Anordnung  gegeben 
ist,  die  Konsuln  selbständig  vorgehen;  für 
die  Prokuration  des  in  loco  publico  einge- 
fahrenen Blitzes  (oben  S.  107)  sind  wahr- 
scheinlich wie  für  eine  regelmässig  wieder- 
kehrende Kulthandlung  ein. für  allemal  die 
Pontifices  bestellt  gewesen  (Liv.  I  20,  7. 
Schol.  Juv.  6,  587). 

')  Natürlich  kann  sie  aber  eingeholt 
werden,  z.  B.  Liv.  VII 11, 4:  (dictator)  ex  auc- 
toritate  patrum,  si  proapere  id  bellum  eve- 
nissett  ludos  magnos  vovü  u.  a.;  die  zur 
Prokuration  von  Prodigien  vorgenommenen 
Gelobnisse  erfolgen  alle  ex  aucioritate  ae- 
7iatu8, 

")  Die  im  Kriege  gelobten  Tempel,  bei 
deren  Dedieation  von  einer  Befragung  des 
Senates  nie  die  Rede  ist,  sind  offenbar  sämt- 
lich de  manibiis  gebaut  worden;  wenn  dies 
nur  Liv.  X  46, 14:  reliquo  aere  aedem  Fortis 
Fortuncte  de  manubiis  faciendam  locavit 
erwähnt  wird,  so  geschieht  dies  darum,  weil 
hier  kein  Gelübde  vorangegangen  war.  Diese 
Weihung  steht  also  auf  gleicher  Stufe  mit 
denen,  welche  die  Aedilen  ex  pecunia  mid' 
taticia  machen  (Mommsen,  Staatsr.  1  233; 
Strafr.  S.  1025). 

*)  Ablehnung  eines  solchen  Antrags  Liv. 
XXXVI  36,  2:  censfierunt,  quos  ludoa  in- 
consulto  aenatu  (in  der  Schlacht)  ex  aua 
uniua  aententia  voviaaet,  eoa  vel  de  manu&tts, 


ai  quam  pecuniam  ad  id  reaervaaaetj  vel  sua 
ipae  impenaa  faceret;  dagegen  Bewilligiing 
Liv.  XL  52,  1 :  alter  ex  cenaaribua  .  .  petüt 
ab  aenatUf  ut  aibi  dedicationia  templorum  .  ., 
quae  bello  Liguatico  ante  annia  odo  vovisset, 
pecunia  ad  ludoa  decemeretur.  viginti  müia 
aeria  decreverunt,  Bewilligung  aus  den  be- 
reits ins  Aerar  abgeführten  Kriegsgeldem 
Liv.  XXVIII 38, 14;  Normierung  des  Maximal- 
verbrauchs Liv.  XXXIX  5, 8—10.  XL  44. 9  f. 

')  Zum  Folgenden  s.  Mommsbn,  Staatsr. 
II  57  ff.    Mabquabdt,  Staatsverw.  II  79  ff. 

^)  Das  zeigt  sich  am  deutlichsten  darin, 
dass  das  durch  den  Verkauf  von  Göttergnt 
gewonnene  Geld  nicht  rea  aacra,  sondern 
profan  ist,  Tempelgesetz  von  Furfo  (CIL  IX 
3513):  aei  quod  ad  eam  aedem  donum  datum 
donatum  dedicatumque  erit,  utei  liceat  oeti, 
venum  dare;  übet  venum  datum  erit,  id  pro- 
fanum  eato.  Auch  die  Thatsache,  dass  das 
römische  Sacralrecht  keine  Tempelsklaven 
kennt,  gehört  hierher. 

n  Darum  kann  die  Gottheit  auch  nicht 
zum  Erben  eingesetzt  werden,  wovon  erst 
die  Kaiserzeit  u.  zw.  fast  nur  zu  Gunsten 
auswärtiger  Götter  Ausnahmen  zuliess.  Ulpian. 
regul.  22,  6:  Deoa  heredea  inatituere  non 
possumiM  praeter  eoa,  quos  aenatus  consulto 
conatitutionibuave  principum  inatituere  con- 
ceaaum  est,  aicuti  lovem  Tarpeium  (dazu 
MoMHSBN,  Staatsr.  II  60,  3.  PbbnIce,  Sitz.- 
Ber.  Akad.  Berl.  1885,  1144),  Apoüinem 
Didymaeum  Mileti,  Mortem  in  Gallia,  Mi- 
nervam  Iliensem,  Herculem  Gaditanum, 
Matrem  Deorum  Sipylenen,  Nemeaim,  quae 
Smymae  colitur,  et  Caeleatem  Saiinenaem 
Carthagini. 

^)  In  dieser  Hinsicht  wird  Gemeindegut 


61.  Sacralreohtliohe  Grundlagen. 


343 


Bestreitung  aller  für  die  regelrechte  und  bei  der  Dedieation  genauer  be- 
stimmte Ausübung  des  Kultes  nötigen  persönlichen  und  sachlichen  Aus- 
gaben. XTm  die  Rechte  der  Götter  gegen  jede  Willkür  sicher  zu  stellen, 
wurden  diese  schlechthin  dauernden  Ausgaben  der  magistratisch-senatori- 
schen Bewilligung  ganz  entzogen,  indem  man  sie  durch  Anweisung  auf 
den  Nutzungsertrag  bestimmter  Staatsländereien  fundierte^)  oder  in  be- 
stimmten Geldbeträgen  ein  für  allemal  fixierte;')  auch  wurden  ursprüng- 
lich die  Strafgelder  wohl  dm*chweg  in  sacrum  überwiesen,  3)  jedenfalls  die 
Succumbenzbusse  der  im  Prozesse  unterlegenen  Partei  (sacramentum),^) 
später  fielen  wenigstens  die  vom  Pontifex  maximus  den  Priestern  seines 
Amtskreises  auferlegten  multae  und  die  Gräberbussen  an  die  arca  ponti- 
ficum.^)  Diese,  von  der  die  Kasse  der  Yestalinnen  eine  besondere  Ab- 
teilung darzustellen  scheint,^)  ist  ein  vom  Aerarium  abgezweigter,  für  die 
Unterhaltung  der  sacra  soUemnia  der  ältesten  Religionsordnung  bestimmter 
Fonds,  also  eine  Art  sacraler  Centralkasse,  deren  Verwaltung,  soweit  es 
sich  um  die  feststehenden  Ausgaben  für  den  regelmässigen  Gottesdienst 
handelt,  wohl  in  den  Händen  der  Pontifices  lag.  Ähnliche  Kassen  haben 
auch  die  übrigen  Priesterschaften  ^)  und  die  einzelnen  Tempel  für  die  Er- 
ledigung der  ihnen  zufallenden  regulären  Aufgaben  besessen,  und  zwar 
wurden  sie  ausser  durch  die  fundierte  staatliche  Dotation  und  etwaige 
Geschenke  gespeist  durch  die  Antrittsgelder  der  Priester  und  Beamten  des 
CoUegiums^)  und  durch  die  von  den  Benutzern  der  Tempel  erhobenen 
Sportein.  ^)  Für  alle  ausserordentlichen  Sacralhandlungen  aber,  d.  h.  alle 
diejenigen,  deren  Ausführung  nicht  den  Priestern  überwiesen  ist,  sondern 
den  Magistraten  obliegt  (oben  S.  338  f.),  muss  das  Aerarium  die  Kosten 
tragen  und  der  Senat  die  erforderlichen  Bewilligungen  machen.  >o) 

Der  Geltungsbereich  des  römischen  ius  saa-um  und  damit  zugleich 
des  pontificalen  Aufsichtsrechtes  hat  sich  vom  ursprünglichen  ager  Romanus 
ausgedehnt  auf  die  italischen  Bürgergemeinden  ^^)  und  umfasst  seit  dem 


und  Göttergut  nicht  getrennt  behandelt,  die 
Fürsorge  für  die  Unterhaltung  beider  liegt 
den  Censoren  ob. 

0  Gros.  V 18, 27  (vgl.  Appian.  Mithr.  22): 
cum  penitfis  exhaiMtum  esset  aercmum  .  .  . 
loca  publica,  qtuie  in  circuitu  Capitolii  pon- 
iificibus,  augunbus,  decemviris  et  flaminibus 
in  possessionew  tradita  erant,  cogente  inopia 
vendita  sunt.  Grom.  lat.  p.  l62  L.:  collegia 
sacerdotum  itemque  virgines  habent  agrns 
et  terrüoria  quaedam  etiam  determincUa  et 
quaedam  aliquibus  sacris  dedicata,  in  eis 
etiam  lucos,  in  quibusdam  etiam  aedes  tem- 
plaque;  vgl.  p.  117.  235.  283.  Fest.  p.  189: 
locus  in  agro  Veienti,  quo  frui  soliti  pro- 
duntur  augures  Romani. 

')  so  namentlich  die  Spielgelder,  Momm- 
SBN,  Staatsr.  I  282  f.  III 1129. 

*)  MoMMSBK,  Strafr.  8.  902.  1026;  vgl. 
auch  Lex  colon.  Genet.  c.  65  und  dazu 
MoHMssir,  Ephem.  epigr.  III  p.  106. 

*)  Fest.  p.  347 :  sticramenti  autem  nomine 
id  aes  dici  coeptum  est,  quod  et  propter 


aerari  inopiam  et  sacrorum  pt^licorum  mu2' 
titudinem  consumebatur  id  in  rebus  divinis, 
MoMMBEN,  Staatsr.  II  65  f. 

^)  MoMHSBN,  Strafr.  S.  559.  818  f. 

«)  MoMXSBN,  Staatsr.  II  67,  7. 

^)  Bezeugt  für  die  Arvalen  (Henzen, 
Acta  S.  101)  und  die  Sacerdotes  Laurentes 
Lavinates  (CIL  VI  2197). 

^)  Benzen,  Acta  fratr.  Arv.  S.  160. 

•)  vectigalia  templorum  Tertull.  apol. 
42,  vgl.  ad  nat.  I  10  (=^  apol.  13):  exigitis 
mercedem  pro  solo  templi,  pro  adiiu  sacri^ 
pro  stipibus,  pro  hostiis.  vetiditis  totam  di- 
vinitatem,  non  licet  eam  gratis  coli.  Ein 
Opfertarif  ist  CIL  VI  820. 

•0)  z.  B.  Liv.  XXV  12,  12:  censuerunt 
patres  Apollini  ludos  vovendos  fadendosque 
et,  quando  ludi  facti  essent,  duodecim  müia 
aeris  praetori  ad  rem  divituim  et  diMS  hostias 
maiores  dandas. 

'')  Fest.  p.  157:  municipalia  sacra  vo- 
cantur,  q'uae  ab  initio  habtAcru/nt  ante  civi- 
totem  Romanam  acceptam;  qwie  observare 


344 


Beligion  und  Kultus  der  BAmor.    IIL  EnltuB. 


Bundesgenossenkriege  ganz  Italien ;  ^)  dagegen  sind  die  Provinzen ')  aUezeit 
ausserhalb  dieses  Rechtskreises  geblieben.  Nur  innerhalb  dieses  Bereiches 
kann  die  Auspication  in  rechtsgiltiger  Weise  vorgenommen  werden,')  nor 
solche  Frodigia,  die  in  diesem  Bereiche  in  agro  piMico  vorgefallen  sind, 
werden  nach  Born  gemeldet  and  von  Staatswegen  procuriert,^)  nur  für 
diesen  Kreis  gilt  der  römische  Festkalender,^)  nur  in  agro  Italico  ist  es 
möglich,  ein  Grundstück  der  Gottheit  mit  der  Wirkung  zu  dedicieren,  dass 
es  in  die  Rechtsstellung  der  loca  sacra  eintritt,^)  in  der  Provinz  dagegen 
trägt  auch  der  vom  römischen  Volke  geweihte  Tempel  nur  den  Charakter 
einer  Quasi-Sacertät,  ^)  ebenso  wie  dort  die  Grabstätte  nicht  zum  locus 
religiosus  im  Rechtssinne  wird,  sondern  nur  pro  religibso  habetur  (Gai.  11  7). 

Litteratur:  Grundlage  fClr  die  gesamte  Darstellung  sind  die  Darlegungen  Th.  Mokm- 
SEHs  im  Rom.  Staatsrecht,  namentlich  I  73  ff.  (Lehre  von  den  AnspiciiO-  233  ff.  (Rechts- 
geschftfte  zwischen  der  Gemeinde  nnd  einer  Gottheit).  II  17  ff.  (Verhältnis  von  Magistratur 
und  Priestertum).  126  ff.  (Fürsorge  der  Konsuln  f&r  den  Götterdienst).  III  1049  ff.  (Stellung 
des  Senats  zum  Sacralwesen).  Ausserdem  vgl.  Mabqüabdt,  Staatsverw.  III  256  ff.  302  ff. 
A.  Th.  Wobhigeb,  Das  Sacralsystem  und  das  Provocationsverfahren  der  Römer,  Leipzig  1843. 
H.  A.  A.  Dahz,  Der  sacrale  Schutz  im  römischen  Rechtsverkehr,  Jena  1857.  E,  Lusbbkbt, 
Commentationes  pontificales,  Berolini  1859.  A.  Pbbhicb,  Zum  römischen  Sacralrechte,  Sitz. 
Ber.  Akad.  Berlin  1885,  1143  ff.  1886,  1169  ff. 

62.  Die  gottesdienstlichen  Handlungen.  Die  einfachste  und  nächst- 
liegende gottesdienstliche  Handlung,  an  der  auch  später  noch  der  Aus- 
druck rem  divinam  facere^)  schlechthin  gehaftet  hat,  ist  das  Opfer,   die 


eo8  voluerunt  pontifices  et  eo  tnore  facere, 
quo  adsuessent  antiquüus;  vgl.  Mommsek, 
Staatsr.  III  579  f. 

^)  Tac.  ann.  Ill  71:  cunctasque  (Meri- 
monias  ItcUicis  in  oppidis  templaque  et  nu- 
minum  effigies  iuris  atque  itnperii  Bomani 
esse, 

')  Nur  Gallia  Narbonensis,  das  ja  Italia 
verius  quam  provincia  ist  (Plin.n.  h.  III 31), 
ist  vielleicht  in  dieser  Beziehung  mit  zu 
Italien  gerechnet  worden;  wenigstens  er- 
streckt sich  das  dem  pontifikalen  analoge 
quindecimyirale  Aufsichtsrecht  über  den  Kult 
der  Grossen  Mutter  (oben  S.  265)  ausser  auf 
Italien  auch  auf  Gallia  Narbonensis,  freilich 
auch  auf  Lugudunum  (CIL  XIII 1751). 

')  Liv.  XXVII  5,  15:  patres  extra  Bo- 
manum  agrum  —  eum  autem  in  Italiu 
terminari  —  negabant  dictatorem  dici  passe, 
vgl.  dazu  MoMMSBN,  Staatsr.  II  144,  2  und 
CasB.  Dio  XLl  48,  2.    Serv.  Aen.  II  178. 

*)  MoMMSEN  in  0.  Jahns  Ausgabe  von 
T.  Livi  periochae  p.  XVIIl  S. 

')  Dass  in  9aza  die  römischen  Gonsualia 
gefeiert  worden  wären,  wie  Mabqüardt, 
Staatsverw.  III  35,  8  behauptet,  ist  nicht 
richtig;  die  dafQr  angeführte  Stelle  des 
Hieron.  vita  S.  Hilarionis  20  =  Mionb,  Pa- 
trol.  lat.  XXIII  36  f.  redet  von  gewöhnlichen 
Cirkusspielen,  die  nach  einer  bekannten  ge- 
lehrten Kombination  (vgl.  z.  B.  Tertull.  de 
spect.  5)  mit  Consus  zusammengebracht  wer- 
den, lieber  die  seit  der  Einverleibung  in 
Rom  nur  noch  ad  sacra  konservierten  Ka- 


lender italischer  Bürgergemeinden  (Ovid.  fast. 
III  87  ff.  VI  57  ff.  Censor.  20, 1  f.  22, 6)  vgL 
MoxKSEN,  Chronol.S.217ff.;  Staatsr. III 580, 2. 
706  f. 

*)  Traian.  ad  Plin.  50:  cum  solum  pere^ 
grinae  civitatis  capax  non  sit  dedicationis, 
quae  fit  nostro  iure. 

^)  Gai.  II  7*:  item  quod  in  provinciis 
[non  zu  tilgen]  ex  auctoritate  popiUi  Bomani 
consecratum  est,  proprie  sacrum  non  est, 
tarnen  pro  Sacra  hfibetur;  die  Tilgung  des 
non  wird  vom  Sinne  verlangt,  denn  der  Satz 
sacrum  quidem  hoc  salum  existimaUtr,  quod 
ex  auctoritate  papuli  Bomani  consecratum 
est  (Gai.  II  5)  gilt  auch  für  den  ager  Ita- 
licus,  während  die  Eigentümlichkeit  des 
salum  pravinciale  darin  besteht,  dass  hier 
auch  die  au^toritas  populi  Bomani  eine 
wirkliche  consecratio  herbeizuführen  nicht 
im  stände  ist. 

^)  Qtto  die  res  deina  anua  fiet , . .  quod 
rei  dinai  causa  fiat  Haingesetz  von  Spoleto, 
Schubideb,  Exempla  nr.  95;  sei  quei  ad 
templum  rem  deivinam  fecerit  Tempelgesetz 
von  Furfo  (CIL  IX  8513)  und  sehr  oft  bei  den 
Schriftstellern;  dann  abgektlrzt  bloss  facere 
bezw.  fieri  mit  dem  Abi.  Instrum.  der  dar- 
gebrachten Opfergabe  (porco  piaculo  facito 
Cato  de  agric.  139;  babus  auratis  Ilvavemus 
esse  futurum  Act.  Arval.,  mehr  bei  Brissonius, 
De  formulis  I  28,  wo  auch  für  den  tech- 
nischen Gebrauch  von  operari  =  rem  di- 
vinam facere  Belege  gesammelt  sind). 


62.  Die  gotteBdienatlioben  Handlungen. 


345 


Darbringung  einer  Abgabe  oder  eines  Geschenkes  an  die  Gottheit  von 
Seiten  des  Einzelnen  oder  der  Gemeinde.  Zur  Zeit  des  alten  Kultes,  wo 
noch  reine  Naturalwirtschaft  herrscht,  bestehen  diese  Gaben  natur- 
gemäss  nicht  aus  Geld  und  Geldeswert,  sondern  von  dem,  was  er 
erntet  und  was  er  geniesst,  bringt  der  Mensch  der  Gottheit  den  ihr  zu- 
kommenden Teil  dar,  wie  der  Hörige  seinem  Grundherrn.  So  erhalten  die 
Götter  des  Landbaus  und  des  vegetativen  Lebens  die  primitiae  der  Ernte, 
den  ersten  Ährenschnitt,  ^)  die  erste  Bohne,  ^)  die  erste  Traube  imd  den 
ersten  Most,^)  und  bei  der  Gründung  der  Stadt  werden  Erstlinge  der 
Früchte  und  andere  Gaben  in  den  mundus  der  unterirdischen  Götter  ge- 
worfen (oben  S.  188  f.);  auch  das  in  historischer  Zeit  fast  ganz  verschollene^) 
Opfer  des  ver  8a4:rum,^)  bei  dem  alles,  was  ein  Frühjahr«)  von  Nachwuchs 
an  Mensch  und  Vieh  ^)  brachte,  der  Gottheit  gelobt  und  geweiht  wurde, 
trägt  durchaus  den  Charakter  eines  ausserordentlichen  Tributes.  Für  ge- 
wöhnlich aber  und  speziell  im  häuslichen  Gottesdienst  erfolgt  die  Abgabe 
an  die  Gottheit  in  der  Weise,  dass  diese  dauernd  an  der  Nahrung  des 
Menschen  teilnimmt:  vor  dem  Sitze  des  Lar  familiaris  am  Herde  nimmt 
der  Hausherr  oder  der  Vogt  mit  dem  Gesinde  die  täglichen  Mahlzeiten 
ein  und  legt  dem  Gotte  seinen  Anteil  auf  sein  Schüsselchen  {patella),^) 
und  der  Totenkult  vollzieht  sich  noch  in  späterer  Zeit  in  der  Weise,  dass 
man  den  di  parentum  als  inferiae  am  Grabe  Mahlzeiten  von  bestimmter, 
an  ältere,  einfachere  Zeiten  erinnernder  Zusammensetzung  aufstellt.^)  Auch 
aus  besonderen  Anlässen  rüstet  der  Hausherr  den  Göttern,  deren  Beistand 
er  benötigt,  sein  Opfer  in  Form  einer  Mahlzeit,  für  die  der  alte  Cato  ge- 
naue Vorschriften  gibt:  so  dem  Juppiter  (dapalis)  vor  Beginn  der  Aussaat 
Bratenstücke,  Früchte  und  einen  Krug  Wein,  ^o)  und  pro  buhus  uti  valeant 
dem  Mars  und  Silvanus  (oben  S.  176)  3  Pfund  Speltbrod,  iV«  Pfund  Speck, 
4  Va  Pfund  Fleisch  und  3  Schoppen  Wein.  ^  *)  Die  sehr  bestimmt  auftretende 
Behauptung  der  antiken  Geschichtskonstruktion,  dass  der  älteste  römische 
Opferdienst  ein  durchaus  unblutiger  gewesen  sei  und  das  Tieropfer  ver- 


^)  Paul.  p.  319  {praemetium)f  vgl.  p.  91 
{Florifertum), 

»)  Fest.  p.  277  (refriva  faha).  Plin.  n.  h. 

XVIII  119. 

•)  Varro  de  1.  1.  VI  16.  Paul.  p.  319 
(sacrima),  vgl.  p.  65  (calpar), 

*)  Das  einzige  Bei^iel  ist  das  im  J.  537 
=  217  gelobte  (Liv.  XXII  9,  10—10,  6;  zur 
Formel  vgl.  F.  HasbnmülIiBB,  Rhein.  Mus. 

XIX  402  ff.),  im  J.  559  =  195  vollzogene 
(Liv.  XXXIII 44, 1  f.)  und  im  folgenden  Jahre 
wegen  eines  bei  der  Ausflihrung  begangenen 
Fehlers  wiederholte  (Liv.  XXX IV  44, 1—3.  6) 
Ver  sacrum. 

»)  Paul.  p.  379.  Fest.  p.  158.  321.  Serv. 
Aen.  VII  796.  Sisenna  bei  Non.  p.  522.  Strab. 
V  250;  vgl  Dion.  Hai.  I  16.  II  1,  2. 

^)  pectts  quod  natum  esset  inter  Kai. 
MartÜM  et  pridie  Kai.  Maias  P.  Camelio 
et  Ti.  Sempronio  consulibus  Liv.  XXXIV44, 3. 

^)  quod  ver  cUttUerü  ex  suillo  ovülo 
caprino  bovülo  grege  quaegueprofana  erunt, 


lavi  fieri  Liv.  XXII 10,  3 ;  der  menschliche 
Nachwuchs  ist  hier  nicht  mehr  mit  einge- 
schlossen. 

^)  quocirca  oportet  bonum  civem  legibus 
parere,  deos  colere,  in  patellam  dare  fjuxgoy 
xQ^tts  Varro  sat.  Men.  265  Buech.,  mehr  s. 
oben  S.  149  A.  11. 

»)  Varro  de  1.  1.  VI  13.  CatuU.  59,  2. 
Gic.  pro  Flacco  95  und  mehr  bei  Marqüardt, 
Staatsverw.  III  312  f. 

'^)  daps  lovi  assaria,  pecunia  (dazu 
Paul.  p.  244:  pecunia  sacrificium  fi^  dice- 
batur,  cum  fruges  fructusque  offerebantur), 
uma  vini  (vorher  ciUigna  vint),  Cato  de  agr. 
132;  vgl.  Paul.  p.  68 :  daps  apud  antiquos 
dicebatur  res  divina,  quae  fiebat  aut  hibema 
setnenti  aut  vema, 

> »)  farris  l  III  et  lardi  p,  IUI  S  et 
pulpae  p,  IUI  S,  vini  s,  III,  Cato  de  agr. 
83  (vgl.  131 ,  wo  von  der  Ausfuhrung  des 
hier  Gelobten  die  Rede  ist). 


346 


Beligion  und  Ealtua  der  BOmer.    m.  KaltnB. 


schmäht  habe,^)  was  zur  Voraussetzung  haben  würde,  dass  damals  auch 
den  Menschen  der  Fleischgenuss  fremd  gewesen  wäre,  trifft  jedenfalls  auf 
die  älteste  für  uns  historisch  erreichbare  Entwicklungsstufe  des  römischen 
Gottesdienstes,  die  durch  die  alte  Festordnung  repräsentierte,  ebensowenig 
zu,  wie  die  behauptete  Ausschliessung  des  Weines  vom  sacralen  Gebrauche:^) 
die  Festnamen  einerseits  der  Fordicidia,  andererseits  der  Vinalia  genügen 
zum  Beweise  des  Gegenteils.  Es  steht  natürlich  damit  nicht  im  Wider- 
spruche, dass  nicht  nur  in  ältester  Zeit  die  privaten  Opfergaben  einer 
bäuerlichen  und  Hirtenbevölkerung  vorwiegend  aus  denjenigen  Dingen  be- 
standen haben  werden,  die  die  bescheidene  Nahrung  der  Darbringenden 
ausmachten,  gesalzenem  Speltschrot  (mola  salsay)  oder  Brei  (puls)  aus 
SpeltmehH)  oder  Bohnen, <^)  allerlei  Kuchen,^)  Honig,  Früchten,  Käse  und 
Milch,  ^)  sondern  dass  auch  solche  staatliche  Opfer,  die  eben  aus  diesem 
einfachen  Anschauungskreise  herstammen,  dieselbe  schlichte  Ausstattung 
zeigen  und  an  ihr  auch  später,  nicht,  wie  man  meinte,  in  tiefsinniger 
Symbolik,  sondern  einfach  aus  historischen  Gründen  festgehalten  haben.  ^) 
Im  allgemeinen  aber  hat  bereits  in  der  ältesten  für  uns  erkennbaren 
Periode  der  römischen  Religion  das  Tieropfer  auch  im  Privatkulte  seine 
bestimmte  Stellung,  namentlich  bei  Lustrationen  und  Piacularopf ern :  das 
Opfer  von  suovetaurUia  lactentia  bei  der  lustratio  agri  (Cat.  de  agric.  141), 
das  Hammelopfer  an  den  Lar  familiaris  zur  Reinigung  der  funesta  famüia 
nach  einem  Todesfalle  (Cic.  de  leg.  TL  55),  das  Piacularopfer  eines  Hundes 
bei  Vornahme  ländlicher  Arbeiten  am  Feiertage  (Colum.  II  21,  4)  sind  offen- 
bar sehr  alten  Ursprunges.  Das  weitaus  beliebteste  Opfertier  des  Privat- 
kultes ist  das  Schwein  als  das  häufigste  und  billigste  Schlachttier :^)  die 
für  gewöhnlich  durch  unblutige  Opfergaben  verehrten  Haus-  und  Compi- 
tallaren  erhalten  bei  ausserordentlichen  Gelegenheiten,  z.  B.  bei  der  Hoch- 
zeit, ^^)  das  Opfer  eines  porcus,  und  namentlich  bildet  ein  solches  die  regel- 


>)  z.  B.  Plut.  Rom.  12;  Numa  8,  16. 
Dion.  Hai.  II  74, 4.  Plin.  n.  h.  XVIII  7.  Ovid. 
fast.  I  337  ff.  and  dazu  A.  Schkbkel,  De  Ovi- 
diana  Pytbagoreae  doctrinae  adumbratione 
(Diss.  Gryphisw.  1885)  33  ff. 

2)  Plin.  n.  h.  XIV  88,  vgl.  Hblbio,  Ita- 
liker  in  der  Poebene  S.  71.  110. 

»)  Serv.  Ed.  8,  82;  vgl.  Jordan,  Tempel 
der  Vesta  S.  64. 

*)  Val.  Max.  II  5,  5.  Plin.  n.  h.  XVIII 
83  f.;  vgl.  Hblbio  a.  a.  O.  S.  71  f. 

*)  Varro  bei  Non.  p.  341.  Plin  n.  h. 
XVIII  118.  Macr.  S.  I  12,  33;  vgl.  Hblbio 
a.  a.  0.  S.  70  f. 

®)  8.  darüber  Lobboks  nocb  beute  klas- 
siscbe  «pemmatologia  sacra",  Aglaopbamus 
II  1050  ff.,  vgl.  Marqüardt  a.  a.  0.  S.  169 
A.  3. 

0  Kilse  und  Milcb  neben  Kuchen  und 
Scbafen  als  Opfergaben  beim  Latiar,  Dion. 
Hai.  IV  49,  3;  vgl.  Fest.  p.  194 »>  26.  Cic.  de 
div.  I  18. 

^)  Hierher  gehört  es  z.  B.,  wenn  die 
Opfer  an  die  Hirtengöttin  Pales  (Plut.  Rom. 
12.  Solin.  1,  19.  Prob,  zu  Verg.  Georg.  III  1. 


Ovid.  fast.  IV  743  ff.)  oder  an  den  l&ndlichen 
Grenzgott  Terminus  (Plut.  Numa  16.  Dion. 
Hai.  1174,4;  doch  finden  wir  hier  später 
auch  Tieropfer,  Ovid.  fast.  II 655  f.  Hör.  epod. 
2,  59.  Plut.  a.  a.  0.)  als  ayalfiamo^  ^vclai 
begangen  werden,  oder  wenn  im  Dienste  der 
Rumina  (Varro  de  re  rust.  II  11,  4  f.  und 
bei  Non.  p.  167.  Plut.  Qu.  Rom.  57;  Rom.  4), 
Cunina  (Varro  bei  Non.  p.  167)  und  der 
Gamenae  {eis  non  vino,  sed  aqua  et  Ificte 
sacrificari  solet  Serv.  Ecl.  7,  21)  Milch  die 
Stelle  der  sonst  üblichen  Weinspende  vertritt. 

»)  Polyb.  II  15,  3.  Varro  de  re  rust.  II 
4,  9. 

^^)  Varro  de  re  rust.  II  4,  9;  ähnlich 
Opfer  eines  porcus  beim  Begräbnis,  Cic.  de 
leg.  II  57  (vgl.  die  praesentanea porca  Fest. 
p.250.  Mar.  Vict.  p.  25  E.);  sonstige  Schweine- 
opfer an  die  Laren  Plaut.  Rud.  1207.  Tibull. 
110,26.  Hor.cIII  17,15.  23,4;  sat.  II  3,165. 
Prep.  IV  1,  23  (vgl.  auch  die  pompejanischen 
Wandbilder,  z.  B.  Db-Marobi,  Culto  private 
I  91  ff.),  auch  an  Vesta  (Annali  d.  Inst.  1883 
tav.  L),  Silvanus  (Juven.  6,  447),  Terminus 
(Ovid.  fast.  II  656)  u.  a. 


62.  Die  gottMdienstlidhen  Handlnngen. 


347 


massige  Ausgleichung,  wenn  ein  piaculum  begangen  worden  ist  oder  ein 
unvermeidliches  piaculum  im  voraus  unschädlich  gemacht  werden  sollJ)  Die 
unblutigen  Opfergaben,  ausser  den  genannten  Speisen  namentlich  auch  die 
Spende  von  Wein  und  Weihrauch,')  beschränken  sich  mehr  und  mehr  auf 
die  täglichen  Darbringungen  im  Dienste  der  Hausgötter,')  bei  ausserordent- 
lichen und  feierlicheren  Opfern  bilden  sie  die  praefatio  sacrorum,  indem 
die  vor  dem  eigentlichen  Empfänger  des  Opfers  angerufenen  Götter 
Wein,  Weihrauch  und  Kuchen  als  Spende  erhalten;^)  ein  Rest  der  alten 
Darbringung  von  mola  salsa  und  Wein  ist  auch  der  Brauch,  das  Opfer- 
tier mit  diesen  beiden  Stoffen  zu  bestreuen  bezw.  zu  begiessen  (s.  unten 
S.  352). 

Wie  der  Gottesdienst  der  Gemeinde  überall  aus  dem  häuslichen  her- 
vorgegangen und  im  Prinzipe  mit  diesem  identisch  ist,  so  unterscheidet 
sich  auch  das  Staatsopfer  von  dem  häuslichen  nur  dadurch,  dass  die  Gabe 
in  demselben  Masse  eine  grössere  und  reichere  ist,  wie  die  Gemeinde  an 
umfang  und  Bedeutung  über  der  Familie  steht.  Daraus  ergibt  sich  nicht 
nur  das  ganz  entschiedene  Überwiegen  des  Tieropfers  im  Staatskulte  und 
das  Zurücktreten  der  bescheidenen  unblutigen  Opfergaben  in  die  Stellung 
nebensächlicher  Zuthaten,  sondern  auch  die  Thatsache,  dass  der  Staat  für 
die  wichtigeren  Opferhandlungen  des  ständigen  Gottesdienstes  das  Schwein 
fast  ganz  verschmäht^)  und  die  grösseren  und  wertvolleren  Opfertiere  des 
genus  oviUum  und  boviUum^)  bevorzugt;  innerhalb  jeder  Gattung  bilden 
dann  wieder  das  Alter  (man  scheidet  im  allgemeinen  victimae  bezw.  hostiae 
maiores  und  lactentes,  speziell  bos,  iuvencus,  vUulus  —  ovis,  agnus),  das  Ge- 
schlecht {bos  mas  und  bos  femina,  ebenso  ovis  mas  und  ovis  femina),'')  die 


0  z.  B.  beim  lucutn  conlucare  (Gato  de 
agr.  189),  beim  Brache  der  Feiertagsruhe 
(Macr.  S.  I  16,  10),  beim  Opfer  der  porca 
praecidanea  (oben  S.  160;  pittculi  grcUia 
Gell.  IV  6,  8)  und  des  propudianus  porcus 
(Fest.  p.  238),  bei  bestimmten  Verstössen 
gegen  die  Bestattungsordnung  (Cio.  de  leg. 
II  57)  u.  a. 

*)  Hat  der  Gebrauch  des  Weihrauches 
wirklich  erst  in  verhältnismftssig  später  Zeit 
in  Italien  Eingang  gefunden  (Amob.  VII  26. 
Ovid.  fast.  I  341  u.  a.),  so  muss  im  ältesten 
Opferdienste  ein  altes  einheimisches  Räucher- 
werk an  seiner  Stelle  gestanden  haben. 

')  Plaut.  Aul.  24:  aut  iure  aut  vino  aut 
äliqui  semper  suppUcat  (dem  Lar  familiaris). 
Ovid.  fast.  II  631.  635;  daher  erhalten  auch 
im  J.  458  =  296  die  Barger,  um  die  öffent- 
liche Supplication  im  Hause  mitzufeiern,  auf 
Staatskosten  vinutn  ac  ttts  (Liv.  X  23,  2). 

*)  lanum  lovem  vino  praefaniino  Cato 
de  agric.  141  bei  den  lustratio  agri,  wo  das 
Opfer  dem  Mars  gilt;  ttire  vino  lano  lovi 
lunoni  praefato,  priusquam  porcum  femtnam 
[d.  h.  die  porca  praecidanea  an  Ceres]  tm- 
tnolabis  ebd.  134 ;  die  folgenden  Gebete  zeigen, 
dass  Janus  und  Juppiter  auch  strues  und 
fertum  erhalten,  und  diese  beiden  Euchen- 
arten  (s.  darüber  Paul.  p.  85.    Fest.  p.  310. 


Gell.  X  15,  14)  begegnen  uns  auch  bei  den 
Arvalbrüdem,  wo  piacula  gesühnt  werden 
porca  et  agna^  struibus  et  feriis  (Hbnzen, 
Acta  S.  135.  139  f.);  über  das  ture  et  vino 
facere  der  Arvalen  s.  Hbuzbn  a.  a.  0.  S.  93. 

^)  Bei  den  Arvalbrüdem  kommt  es  nur 
als  Piacularopfer  vor  (die  porcae  piaculares 
duae  lud  coinquendi  ei  operis  faciendi  am 
zweiten  Tage  des  Maifestes,  Hbkzbn  S.  19ff., 
und  porca  et  agna  bei  anderen  scusra  pia^ 
culariaf  Hbnzen  S.  128  ff.). 

^)  Diese  Scheidung  deckt  sich  so  ziem- 
lich mit  der  in  hostiae  und  victimae  (Mar- 
QüABDT  a.  a.  0.  S.  171  A.  1),  nur  dass  den 
hostiae  auch  alle  anderen  kleineren  Opfer- 
tiere (Schwein,  Ziege,  Hund  u.  s.  w.)  zu- 
gerechnet wurden  und  man  das  Wort  viel- 
fach ungenau  auch  allgemein  von  allen 
Opfertieren  mit  Einscbluss  der  Rinder  ge- 
brauchte. Zum  Folgenden  vgl.  Löbbbrt. 
Gomment.  pontific.  107  ff.  M abquabdt  a.  a.  O. 
S.  170  ff.  und  namentlich  C.  Ebausb,  De  Ro- 
manorum hostiis  quaestiones  selectae,  Diss. 
Marpurgi  1894. 

')  Das  sind  die  ursprünglichen  Bezeich- 
nungen, nicht  taurus  und  vacca^  aries  und 
(ms;  vgl.  Paul.  p.  195.  Fest.  p.  286  und  dazu 
Ebausb  a.  a.  0.  S.  11  f. 


348 


Religion  nnd  Kultus  der  Bömer.    IIL  KnltiiB. 


Scheidung  der  männlichen  Tiere  in  verschnittene  und  unverschnittene 
(taurus,^)  bo8  —  vervex,  aries)  weitere  Unterabteikingen.  Für  jede  Gott- 
heit und  für  jeden  Fall  die  richtige  Wahl  des  Opfertieres  zu  treffen,  ist 
eine  schwierige  und  bei  der  ausschlaggebenden  Bedeutung,  die  die  Dar- 
bringung der  richtigen  Oabe  für  die  Wirksamkeit  des  ganzen  Aktes  bat 
(s.  oben  S.  331  f.),  sehr  wichtige  Aufgabe,  für  deren  Lösung  die  Be- 
obachtung einer  Menge  peinlicher  und  vielfach  sich  durchkreuzender 
Ritual  Vorschriften  notwendig  ist:*)  denn  sowohl  der  Oott,  der  die  Oabe 
empfangt,  wie  die  Art  der  Kulthandlung  und  endlich  der  spezielle  An- 
lass  derselben  bedingen  besondere  Erwägungen.  Durchgehender  Grund- 
satz des  alti'ömischen  Ceremonialgesetzes  ist  es  zunächst,  dass  aUen 
männlichen  Gottheiten  männliche,  den  weiblichen  weibliche  Opfertiere 
geschlachtet  werden;')  aber  auch  ausser  dieser  Übereinstimmung  des 
Geschlechtes  sucht  man  eine  gewisse  innere  Beziehung  zwischen  der 
Beschaffenheit  des  Opfertieres  und  dem  Wesen  der  Gottheit,  der  es  dar- 
gebracht wird,  auf:  die  Himmelsgottheiten  Juppiter  und  Juno  erhalten 
mit  Vorliebe  schnee weisse  Rinder,^)  Gottheiten  der  Unterwelt  und  des 
Todes  Opfertiere  von  dunkler,^)  Gottheiten  des  Feuers  solche  von  brand- 
roter Farbe,*)  trächtige  Tiere  bilden  eine  passende  Darbringung  für  die 
alles  in  ihrem  Schosse  zur  Reife  bringende  Tellus  und  ihre  Genossin 
Geres.  ^)  Auch  die  Wahl  aussergewöhnlicher  Opfertiere  für  bestimmte 
Gottheiten  ergibt  sich  aus  der  Beziehung,  die  diese  Tiere  zum  Macht- 
bereiche der  betreffenden  Gottheit  haben,  so  z.  B.  wenn  dem  Mars  allein 
das  Pferdeopfer  zukommt  (oben  S.  131  f.)  oder  wenn  dem  Gotte  der  ani- 
malischen Befruchtung  Faunus  und  der  Göttin  der  weiblichen  Empfängnis 
Juno  Ziegenbock  und  Ziege  dargebracht  werden  (oben  S.  118  f.  173).  Aber 
auch  der  Rangunterschied  der  Götter  in  der  Sacralordnung  (vgl.  oben  S.  20) 
kommt  dadurch  zum  Ausdrucke,  dass  innerhalb  derselben  Tiergattung  ver- 
schiedenen Göttern  Tiere  von  verschiedener  Wertschätzung  geopfert  werden , 


0  Dass  tauTus  ursprflnglich  nicht  der 
Stier,  sondern  der  verschnittene  Ochse  ist 
{taura  =  vacca  sterüis,  Varro  de  re  rust. 
II  5,  6.  Fest.  p.  352.  Serv.  Aen.  II  140)  hat 
Krause  a.  a.  0.  S.  9  f.  erwiesen. 

*)  Cic.  de  leg.  II  29:  nam  illud  ex  in- 
stitutis  pantificum  et  karuspicum  non  mu- 
tandum  est,  quibus  hostiis  immolandum 
cuique  deo,  cui  maioriöus,  cui  lactentibua, 
cui  maribfM,  cui  feminie. 

')  Amob.  VII  19:  diis  feminis  feminas, 
inares  martbus  hostias  immolare  ahstriMa 
et  interior  ratio  est  vulgique  a  cognitione 
dimota ;  über  angebliche  Ausnahmen  s.  Ebause 
a.  a.  0.  S.  20  ff. 

*)  boves  niveos  Ovid.  ex  Ponte  IV  4,  31 
(vgl.  Serv.  Georg.  II  146),  bobus  albis  Hör. 
c.  s.  49,  nivei  tauros  candoris  Amob.  II  68, 
hostia  alba  lovis  Paul.  p.  10;  boves  femineae 
albae  Liv.  XXVII  37,  11  (vgl.  oben  S.  114 
A.  12)  u.  a.;  in  Ermangelung  schneeweisser 
Tiere  half  man  der  Farbe  mit  Kreide  nach, 
Lucil.  frg.  697  Baehr.  Juven.  10,  65. 


^)  bos  et  Ovis  atri  erhalten  die  Di  manes 
nach  den  Cenotaphia  Pisana  (CIL  XI  1420), 
verveces  atri  II  Summanus  bei  den  Arvalen 
(Heivzen  S.  146),  bei  der  Devotion  einer 
Stadt  (doch  s.  oben  S.  822  A.  5)  wird  ovibus 
atris  tribus  geopfert  (Macr.  S.  III  9,  11). 
Auch  im  griechischen  Kulte  des  Dis  pater 
kommen  furvae  hostiae  zur  Verwendung 
(Gensor.  17,  8.  Val.  Max.  II  4,  5  u.  a.). 

•)  vitulo  robeo  wird  dem  Volcanus  ge- 
opfert (CIL  VI  826),  rutilae  canes  beim 
augurium  canarium  (Fest.  p.  285,  s.  oben 
S.  163). 

^)  fordae  boves  der  Tellus  (oben  S.  159), 
stis  plena  der  Tellus  (Ephem.  epigr.  VIII 
p.263.  Fest.  p.  288.  Amob.VlI22.  Ovid. fast. 
I  671.  Cic.  de  divin.  I  101),  Ceres  (Macr.  S. 
III  11,  10,  vgl.  Serv.  Georg.  I  345),  Maja 
(Macr.  S.  I  12,  20);  das  Gegenstück  bildet 
das  griechische  Opfer  einer  unfruchtbaren 
Kuh  an  Proserpina  (Verg.  Aen.  VI  251. 
Amob.  VII  21). 


62.  Die  gQtteadienBtliohen  Handlangen, 


349 


z.  B.  dem  Juppiter  der  bos  mos,  dem  Mars  der  taurus,  0  dem  Yolcanus  der 
vitulus  (CIL  VI  826),  oder  dem  Janus  der  aries  (oben  S.  91),  dem  Quirinus 
ein  agnus  (Fest.  p.  189).  Jedoch  ist  diese  Vorliebe  der  einzelnen  Oötter 
für  bestimmte  Opfertiere,  die  ihnen  nach  ihrer  Eigenart  und  ihrem  Range 
zukommen,')  nicht  überall  und  unbedingt  massgebend:  am  deutlichsten 
kommt  sie  zur  Geltung  bei  den  sacra  sollemnia,  d.  h.  den  ständigen  und 
regelmässigen  Opferhandlungen  eines  jeden  Kultes,  für  die  wie  alle  Einzel- 
heiten so  auch  die  Wahl  des  Opfertieres  durch  das  Grundgesetz  des  Gottes- 
dienstes gegeben  ist;  aber  auch  hier  begegnen  je  nach  der  Bedeutsamkeit 
der  einzelnen  Opferhandlung  mancherlei  Abstufungen,  z.  B.  wenn  Juppiter 
und  Juno  zwar  in  der  Regel  Rinder,  aber  bei  dem  allmonatlich  wieder- 
kehrenden Opfer  an  den  Idus  bezw.  den  Kalendae  nur  ovis  bezw.  <igna 
erhalten.')  Von  diesen  auf  uralte  Festsetzung  zurückgehenden  und  dem- 
gemäss  verhältnismässig  bescheidenen  Opfern  heben  sich  die  im  Laufe  der 
Zeit  als  Äusserungen  der  Bitte  und  des  Dankes  oder  auf  Grund  einmaliger 
oder  sich  erneuernder  Vota  hinzukommenden  Opferhandlungen  durch  ihre 
sehr  viel  grössere  Üppigkeit  ab:  bei  den  ArvsJbrüdem  z.  B.  nimmt  sich 
das  Opfer  der  agna  opima^  das  Dea  Dia  an  ihrem  Maifeste  erhält,  fast 
ärmlich  aus  im  Vergleiche  mit  den  langen  Reihen  von  Rinderopfern,^)  die 
bei  den  zahlreichen  Opfern  und  Gelübden  für  das  Wohl  des  Kaisers  und 
seines  Hauses  zur  Darbringung  gelangen.  Die  Veränderung  des  Wertver- 
hältnisses und  die  Steigerung  der  Ansprüche  kommt  auch  darin  zum  Aus- 
drucke, dass  man  bei  den  sacra  sollemnia  den  durch  die  alte  Satzung  vor- 
geschriebenen Opfergaben,  an  denen  nichts  geändert  werden  darf,  aus 
freien  Stücken  weitere  honoris  causa  hinzufügt,  wie  z.  B.  die  Arvalbrüder 
am  Maifeste  ihrer  Göttin  ausser  dem  Hauptopfer  der  agna  opima  und  dem 
Voropfer  der  porciliae  piaculares  regelmässig  auch  eine  vacca  honoraria  alba 
schlachten.^)  Insbesondere  tritt  diese  Neigung  zur  Steigerung  der  Opfergaben 
bei  den  Lustrationen  hervor,  wo  man  glaubt,  auf  diese  Weise  der  Bitte  um 
die  pax  et  venia  deum  (s.  oben  S.  327)  einen  um  so  grösseren  Nachdruck  zu 
verleihen:  schon  die  gewöhnliche  Lustration  der  Bürgerschaft  beim  Census, 
des  Heeres  vor  der  Schlacht,  des  Feldes  bei  der  lustratio  agri  u.  a.  lässt 
dies  erkennen,  indem  bei  dieser  Gelegenheit  und  zwar  bei  ihr  allein^) 


^)  Bei  den  Loyalitätsopfem  der  Arval- 
brüder erhält  Mars  regelmässig  den  taurus 
zum  Opfer  (vgl.  auch  Macr.  S.  III  10,  4),  und 
auch  im  Opfer  der  Snovetaurilia  an  Mars 
ist  der  taurus  so  die  Hauptsache,  dass  Cicero 
de  orai.  II  268  sagen  kann:  (Africanus) 
lustrum  condidit  et  taurum  immolavit, 

')  Der  Terminus  dafür  scheint  hostia 
propria  zu  sein,  vgl.  Mommsen  und  F.  Schoell, 
Ephem.  epigr.  VIII  p.  261. 

*)  porcam  vel  agnam  sagt  zwar  Macr. 
1 15,  19,  doch  macht  die  Analogie  des  ovis 
Iduiia  (oben  S.  101)  wahrscheinlich,  dass  die 
agna  das  Hauptopfer  war,  die  porca  viel- 
leicht ein  einleitendes  Piacularopfer,  wie  die 
porcüiae  piaculares  der  Arvalbrüder,  Hbhzbn 
S.  22. 


*)  Ueber  den  kolossalen  Verbrauch  von 
Rindern  zu  Loyalitätsopfem  in  der  Kaiserzeit 
vgl.  Stellen  wie  Suet.  Cal.  14.  Sen.  de  benef. 
ni  27,  1.  Ammian.  Marc.  XXY  4,  17. 

^)  HsNZBi«,  Acta  S.  22  und  über  die  Be- 
deutung dea  Beiwortes  honoraria  Momxssn, 
£ph.  epigr.  VIII  p.  269  f.:  das  Wort  steht 
geradezu  im  Gegensatze  zu  sollemnia,  welches 
das  durch  Grundgesetz  und  Herkommen  Ge* 
forderte  bezeichnet. 

*)  Der  Charakter  des  Opfers  zur  Feier 
der  Spolia  opima  (Fest.  p.  189)  ist  nicht  deut- 
lich, jedenfalls  aber  ist  der  Empfänger  der 
solitaurüia  hier  wie  bei  den  oben  genannten 
Lustrationen  (s.  oben  S.  130)  Mars.  .Nie  er- 
hält ein  anderer  Gott  dieses  Opfer,  denn 
dass  auch  die  stwvetaurilia  beim  lustrum 


350 


Religion  und  Knltns  der  Bömer.    III.  Knltna. 


das  grosse  Opfer  der  Saovetaurilia ,  ^)  d.  h.  von  Vertretern  aller  drei 
Arten  von  pecora  (Schwein,  Schaf  und  Rind)  zur  Anwendung  kommt,*) 
noch  mehr  aber  zeigt  sich  die  gleiche  Erscheinung  bei  den  auf  Grund 
von  Prodigien  angeordneten  ausserordentlichen  Akten  ähnlicher  Art, 
wo  man  nicht  nur  durch  Vornahme  immer  neuer  Sacralhandlungen 
(Opfer,  Lectisternien,  Supplicationen  u.  s.  w.)  die  Wirksamkeit  der  Bitte 
zu  erhöhen  sucht,  sondern  auch  in  der  Bestimmung  der  Opfertiere  stets 
sehr  freigebig  ist;  es  sind  fast  immer  hostiae  maiores,^)  oft  in  sehr 
grosser  Zahl,^)  die  bei  dieser  Gelegenheit  allen  nach  der  Meinung  der 
Sachverständigen  in  Betracht  kommenden  Göttern  dargeboten  werden.^) 
Viel  bescheidener  sind  die  Piacularopfer;  ist  das  piaculum  bei  einer  Opfer- 
handlung begangen  worden,  so  wird  es  ausgeglichen  durch  Wiederholung 
dieses  Opfers,®)  bestand  es  in  dem  Verstösse  gegen  irgend  eine  sacrale 
Vorschrift,  so  geben  die  leges  sacrae  des  betreffenden  Kultes  meist  die 
Strafbestimmung  an;  in  der  Regel  verlangen  sie  als  Piacularopfer  die  Dar^ 
bringung  desjenigen  Opfertieres,  das  der  betreffenden  Gottheit  als  sacrum 
sollemne  geopfert  zu  werden  pflegt,^)  zuweilen  tritt  an  die  Stelle  oder  an 
die  Seite  dieses  Opfers  das  geläufige  Schweineopfer. ^) 


tnissum  der  Arvalbrüder  dem  Mars  gelten, 
hat  H.  Oldbnbbbo,  De  sacris  fratr.  Arval. 
quaestiones  S.  42  ff.  nachgewiesen.  Die  Be- 
hauptung des  Serv.  Aen.  IX  624,  dass  triumphi 
namine  dem  Jnppiter  Suovetaurilia  geopfert 
worden  seien,  widerspricht  seiner  eigenen  rich- 
tigen Angabe  Georg.  II  146  (de  cUbis  tauris) 
und  beruht  wahrscheinlich  auf  einer  Ver- 
wechslung mit  der  Feier  der  Spolia  opima,  bei 
der  Juppiter  einen  bo8  mos,  Mars  aber  soli- 
taurilia  erhält.  Das  Opfer  von  vacca  ovia 
alba  porca  an  Diana  Maxima  in  der  spani- 
schen Opferurkunde  CIL  II  3820  führt  nicht 
den  Namen  Suovetaurilia  und  ist  erst  römi- 
schem Ritus  nachgebildet 

*)  Das  Verhältnis  der  beiden  Wortformen 
suovetatirilia  und  solitaitrüia  (s.  Fest.  p.  161. 
189.  293.  Charis.  p.  108  K.  Val.  Max.  IV 1, 10) 
ist  noch  nicht  gentlgend  aufgeklärt,  die 
Versuche  einer  sachlichen  Scheidung  beider 
Begriffe  (Krause  a.  a.  0..  S.  16  ff.)  sind  ge- 
scheitert. 

*)  Beim  liMirumYarro  de  re  rust.II  1, 10. 
Val.  Max.  IV  1,  10.  Dion.  Hai.  IV  22,  1;  bei 
der  ItMtratio  exereitus  Tac.  ann.  VI  37,  bei 
der  Lustration  der  area  GapitoUi  Tac.  bist. 
IV  53,  beim  lustrum  missum  der  Arvalbrflder 
Hbnzen  S.  143,  endlich  als  siwvetaurilia 
lactentia  d.  h.  porcua  agnus  vituliis  bei 
der  privaten  liMtrcUio  agri  Gate  de  agric. 
141. 

')  Ausnahmen  Li v.  XXII 1, 15:  decretum 
ut  ea  prodigia  partim  maioribiM  partim 
ladentibus  procurarentur,    XXXVII  3,  6. 

^)  viginti  hostiis  matort&u«  Liv.  XL2,4; 
guadraginta  maioribua  hostiisLiY.  XLIII 13, 7 ; 
mctumae  maiores  CXX  Liv.  XXX  21,  10; 
bubus  lavi  trecentis  Liv.  XXII  10,  7;    quin- 


quaginta  capris  Liv.  XLV  16,  6. 

^)  Bei  dem  Lustrationsakte  der  Arval- 
brüder im  J.  224  (CIL  VI  2107)  werden  ausser 
suovetaurilia  maiora  (fQr  Mars,  s.  oben  S.  349 
Anm.  6),  zwei  KtLhen  für  Dea  Dia  und  einem 
tauru^  für  den  Genius  des  regierenden  Kaisers 
nicht  weniger  als  50  Tiere  des  genus  avülum 
verschiedenen  Gottheiten  geopfert. 

^)  Gato  de  agrio.  141 :  si  minus  m  omnis 
litabü,  sie  verba  concipito:  „Mars  pater^  si 
quid  tibi  in  illisce  suovetaurüibus  lactenttbus 
neque  satisf actum  est,  te  hisce  su>avetaurüibus 
piaculo/*  si  in  uno  duobusve  dubitabit,  sie 
verba  concipito:  „Mars pater,  quod  tibi  iüuc 
porco  neque  satisfactum  est,  te  hoc  porco 
piaculo"  Dieses  zweite  Opfertier  heisst 
hostia  su^cidanea  (Gell.  IV  6,  6:  si  primis 
hostiis  litatum  non  erat,  aliae  post  easdem 
diuUae  liostiae  caedebantur,  quae,  quia  prio- 
ribus  iam  caesis  luendi  piaculi  gratia  sub- 
debantur  et  succidebantur,  succtdaneae  no- 
minatae,  Paul.  p.  803.  Serv.  Aen.  II  140; 
zu  Serv.  Aen.  VIII  641  vgl.  E[baübb  a.  a.  O. 
S.  31). 

^)  z.  B.:  sei  quis  molasit,  love  bovid 
piaclum  datod  Haingesetz  von  Spoleto, 
SoHNEiDBB,  Exempla  nr.  95;  paelex  aram 
lunonis  ne  tangito;  si  tagit,  lunoni  crinibus 
demissis  agnum  feminam  (s.  oben  S.  849 
Anm.  3)  caedito  Lex  Numae  bei  Paul  p.  222; 
telo,  super  quod  stans  constU  precatus  est, 
hostempoiiri  fas  non  est;  si  potiatur,  Marti 
suovetaurüibus  piaculum  fieri  Lrv.VIII  10, 14 ; 
wenn  die  Reparatur  eines  Grabmals  erfolgt 
piacfüo  prius  dato  operis  faciendi  ove  atra 
(GIL  X  8259),  so  gilt  das  Opfer  der  ovis  atra 
den  Manen  (vgl.  S.  348  Anm.  5). 

^)   Die  Arvalbrüder  opfern   am   Uaupt- 


62,  Die  gQtteBdienBtliohen  Handlangen. 


351 


Vor  der  Vollziehung  des  Opfers  muss  eine  genaue  Prüfung  des  Opfer- 
tieres stattfinden/)  denn  nur  tadellose  und  von  jeder  Befleckung  —  auch 
der  durch  Arbeit  im  Dienste  des  Menschen^)  -—  unberührte  Exemplare 
sind  eine  der  Gottheit  wohlgefällige  Opfergabe;')  ja  sogar  der  Schein  muss 
vermieden  werden,  als  werde  das  Tier  gewaltsam  :zum  Opfer  geschleppt: 
muss  man  es  zerren  oder  tragen  oder  macht  es  gar  einen  Fluchtversuch, 
so  ist  das  ein  Zeichen,  dass  die  Gottheit  es  verschmähte)  Mit  Stirnbinden 
{infulae)  und  lang  herabhängenden  Bändern  {viUae)  geschmückt,  auch  be- 
kränzt und  die  Rinder  mit  vergoldeten  Hörnern,  so  werden  die  Opfertiere 
unter  Yorantritt  des  opfernden  Magistrates  oder  Priesters  und  deren  Ge* 
folge  von  dem  Dienstpersonale  zu  dem  vor  dem  Tempel  stehenden  Altar 
geführt;^)  neben  dem  Altar  steht  ein  tragbarer  Feuerherd  (foculus)  zur 
Empfangnahme  der  einleitenden  Wein- und  Weihrauchspende,  ^)  der  Opfernde 
erscheint  in  der  in  eigenartiger  Weise  gegürteten  und  mit  dem  Rücken- 


tage des  Maifestes  lud  coinquendi  et  operis 
faciendi  porcilias  piaculares  duM  (Hkkzen 
S.  20  f.),  dagegen  bei  allen  ausserordentlichen 
piacula  (ob  ferrum  inlatum  in  aedem,  oh 
ramum  vetustate  delapsum  a.  s.  w.)  stets 
porcam  et  agnam  opimam  (Hbnzbn,  Acta 
S.  128  ff.). 

')  Tertoll.  ad  nat.  1  10:  Gdbinius  consuJ 
kalendis  lanuarOs  cum  vix  hostias  proharet 
prae  popularium  eoetu.  Cic.  de  leg.  agr.  11 93 : 
erant  hostiae  maiorea  in  foro  constüutae, 
quae  ab  his  praetoribus  de  tribunali  aicut 
a  nobis  constUibus  de  consüii  sententia  pro- 
hatae  ad  praeconem  et  tibicinem  immola- 
hantur.  Fest.  p.  186:  optatam  hostiam,  alii 
optimam  appeUant  eam,  quam  aedüis  (dazu 
MoMxsBN,  Staatsr.  II 498, 2)  tribus  constitutis 
hostiis  optat,  quam  immolari  velit;  auf 
was  alles  sich  die  PrQfung  erstreckte, 
zeigt  Plin.  n.  h.  Vlll  188:  quam  ob  rem 
victimarum  probatio  in  vitulot  ut  {eauda) 
articulum  suffraginis  contingat;  breviore 
nan  litant. 

*)  Macr.  S.  III 5, 5.  Paul.  p.  113;  dagegen 
werden  die  Tiere  zum  Opfer  gemästet  (boves 
altüea  ad  aacrificia  publica  sagincUi  dicuntur 
opimi  Varro  de  re  rust.  II  1,20;  opimae 
victimae  Plin.  n.  h.  VIII 183.  X  49  u.  a.). 

')  Der  technische  Ausdruck  dafür  ist 
purus,  Paul.  p.  14:  Agnus  dicitur  a  Graeco 
dno  xuv  ayvoVf  quod  significat  castum,  eo 
quod  Sit  hostia  pwra  et  immolationi  apta, 
Varro  de  re  rust.  II  1,  20:  e  quis  qui  iam 
puri  stmt  ad  sacrificium,  ut  immolentur, 
olim  appeUati  sacres,  II  4,  16:  a  partu 
decimo  die  Jiabentur  puri  et  ab  eo  appeUa- 
bantur  ab  antiquia  saeres,  quod  tum  ad 
sacrificium  idonei  dicuntur  primum,  Plin. 
n,  h.  VIII  206 :  suis  fetus  sacrificio  die  quinto 
purus  est,  X  156:  {gallinae)  ad  rem  dimnam 
luteo  röstro  purae  nan  videntur,  ad  oper- 
tanea  sacra  nigrae, 

«)  Plin.  n.  h.  VIII  183:  hoc  quoque  na- 


tatum,  vüulos  ad  aras  umeris  hominis  ad- 
latos  non  fere  litare,  sicut  nee  claudicante 
nee  aliena  hostia  deos  placari  nee  trahente 
se  ab  aris,  Macr.  S.  III 5, 8.  Serv.  Aen.  II  140 
und  mehr  bei  Brissomius,  De  formulis  1 21-24. 
Mabqüardt  a.  a.  0.  S.  180  A.  6.  Das  geflohene 
Opfertier  wird,  nachdem  es  eingeholt  ist, 
getötet,  nicht  geopfert:  sacrorum  est  ut  fu- 
giens  victima,  ubicumque  inventa  sit,  occi- 
datur,  ne  piaculum  committatur,  Serv.  Aen. 
n  104. 

^)  Die  Belege  fQr  das  gesamte  Detail 
des  Opferceremoniells,  auf  das  hier  nicht 
eingegangen  werden  kann,  s.  bei  Bbissohius 
a.  a.  0.  I  1—69.  Schsiffelb  in  Paulys  Beal- 
Encycl.  VI  670  ff.  (sehr  unkritisch).  Mas- 
QüABDT  a.  a.  0.  S.  174  ff.  Lübbebt,  Gommeni. 
pontific.  S.  117  ff.  Hbnzen,  Acta  fratr.  Arval. 
S.  22  ff.  92  ff.  Von  besonderem  Werte  sind 
die  zahlreichen  Opferdarstellungen  auf  Altären 
(z.  B.  aus  Pompeji  Mau,  Pompeji  S.  100,  aus 
Caere  Monum.  d.  Inst  VI  13,  aus  Rom  Rom. 
Mitt.  IV  266;  vgl.  auch  0.  Jahn,  Ber.  d.  sächs. 
Gesellsch.  1868  Taf.  4)  und  öffentlichen  Ehren- 
denkmälem  (z.  B.  auf  der  Ära  Pacis  Monum. 
d.  Inst.  XI  36 ,  auf  einem  Denkmale  Marc 
Aureis  Bbunn-Bbückmasn  Taf.  269,  vgl. 
Hblbio,  Führer«  II  377  nr.  561,  auf  der 
Trajans-  und  der  Marc  -  Aureis  -  Säule, 
CiCHOBius  Taf.  10.  38.  62.  63.  66.  72.  76. 
Pbtebsen-y.  Domaszbwski  •  Caldbbini  Taf. 
13  A.  38  B). 

•)  Serv.  Aen.  III  134:  sane  Varro  rerum 
divinarum  refert,  inter  sacratas  aras  focos 
quoque  sacrari  solere  (vgl.  XII  118)  ...  nee 
Heere  vel  privata  vel  publica  sacra  sine  foco 
fieri.  Willkürlich  und  mit  den  Thatsachen 
nicht  übereinstimmend  ist  die  Angabe  Varros 
bei  Serv.  Ecl.  5,  66:  diis  superis  aUaria, 
terrestribus  aras,  inferis  focos  dicari  (vgL 
Serv.  Aen,  III  134:  quidam  aras  superorum 
deorum  voluMt  esse,  medioximorum  id  est 
marinorum  focos,  inferorum  vero  mundos). 


352 


Religion  nnd  Kaltas  der  Bömer.    in.  KnltoB. 


teile  über  den  Hinterkopf  heraufgezogenen  Toga,^  ein  Herold  gebietet 
Schweigen  und  ein  Flötenspieler  begleitet  den  Opferakt  mit  den  Tönen 
seines  Instrumentes.')  Die  von  dem  ausführenden  Magistrate  oder  Priester 
vollzogene  Opferhandlung  geht  in  drei  Abschnitten  vor  sich:  der  Opfernde 
bringt  zunächst  auf  dem  Feuerherd  die  Yorspende  von  Weihrauch  und 
Wein  dar  {iure  et  vino  in  igne  in  foculo  fecit),^)  sodann  vollzieht  er  die  eigent- 
liche imtnolatio  (immolavitque  vino  mala  cuüroque),  d.  h.  er  besprengt  das 
Opfertier  mit  Wein,  bestreut  es  mit  mala  salsa*)  und  deutet  die  Tötung 
symbolisch  durch  einen  bestimmten  Gestus  mit  dem  Messer  an;^)  diese  selbst 
aber  erfolgt  in  historischer  Zeit  nicht  mehr  durch  den  Opfernden  in  eigener 
Person,  sondern  durch  die  vidimarii;  der  erstere  hat  nur  noch  den  Schluss- 
akt des  Opfers  zu  vollziehen,  nämlich  die  zur  Darbringung  an  die  Gott- 
heit bestimmten  Teile  des  Tieres,  nachdem  sie  gekocht  und  angerichtet 
sind,  durch  Hinsetzen  auf  den  Altar  dem  Empßlnger  zu  übergeben  {exta 
aulicocta  reddidit).  Denn  bei  allen  Arten  der  Opfer  ^)  erhält  die  Gottheit 
vom  Opfertiere  nur  die  exta,  d.  h.  Leber,  Lunge,  Galle,  Herz  und  Netz, 
die  in  einer  durch  die  Ritualgesetze  ganz  genau  vorgeschriebenen  Weise 
zugerichtet,  durch  Stücke  des  Fleisches  {augmenta  und  magmentd)  ergänzt 
und  dann  als  prosiciae  auf  den  Altar  gesetzt  und  dort  verbrannt  werden;^) 
bei  einem  vom  Schiffe  aus  den  Meergöttem  gebrachten  Opfer  werden  sie 
roh  ins  Meer  geworfen.^)    Die  Schlachtung  des  Tieres  und  die  Zubereitung 


*)  Die  offizielle  Opfertracht  ist  der 
cincttM  Gabin%i8  (vgl.  Maü  bei  Paült-Wis- 
80WA,  Real-Encycl.  III 2558),  der  noch  in  den 
Genotaphia  Pisana  als  solche  erwähnt  wird 
(CIL  XI  1420,  25:  imfmolaverjint  cincti  Ca- 
bino  ritu),  aber  von  den  beiden  Eigentüm- 
lichkeiten dieser  Tracht,  der  velatio  capitis 
(togae  parte  caput  velati  Serv.  Aen.  V  755) 
and  der  die  Arme  frei  lassenden  Gürtung 
{toga  sie  in  tergum  reiecta,  ut  una  eins 
lacinia  a  tergo  revocata  hominem  cingat 
Serv.  Aen.  VII  612),  hat  sich  nur  die  erste 
dauernd  erhalten  (s.  darüber  auch  oben 
S.  333  A.  1),  die  andere  wurde  gegenstands- 
los, seit  der  Opfernde  die  Tötung  des  Tieres 
nicht  mehr  selbst  vollzog. 

«)  PUn.  n.  h.  XXVIII  11:  alium  vero 
praeponi,  qui  favere  Unguis  iubeat,  Ubicinem 
canere,  ne  quid  cdiud  exaudiatur  (der  Flöten- 
spieler fehlt  auf  keiner  Opferdarstellung, 
auch  nicht  auf  denen  häuslicher  Opfer  auf 
den  pompejanischen  Wandbildern,  vgl.  De- 
Marchi,  Gulto  privato  191  ff.).  Darum  wird 
die  Opferhandfung  charakterisiert  durch 
Wendungen  wie  Cic.  de  domo  128:  foculo 
posito  adhibitoque  tibicine;  ebd.  124:  capite 
velato  .  .  foculo  posito;  de  leg.  agr.  II  93: 
ad  praeconem  et  ad  tibicinem.  Plin.  n.  h. 
XXII  11:  ad  tibicinem  foculo  posito. 

>)  Musterbeispiel  ist  das  Opfer  des  stell- 
vertretenden Magister  der  Arvalbrüder  bei 
den  Vota  annua  des  J.  87  n.  Chr.  (CIL  VI  2065 
I  18  ff.),  vgl.  dazu  Hbnzbn,  Acta  S.  92  ff. 

*)  Cic.  de  div.  II  87.   Paul.  p.  110.  140. 


Serv.  Aen.  11 133.  IV  57.  IX  641.  X  541. 

^)  Serv.  Aen.  XII 173:  öbliquum  etiam 
cultrum  a  fronte  usqu^  ad  catuU^m  ante 
immolationem  ducere  consueverant;  das  Ab- 
schneiden und  Verbrennen  der  Stirnhaare 
(Verg.  Aen.  VI  245)  ist  als  rOmischer  Opfer- 
brauch nicht  bezeugt. 

®)  Dass  hier  zwischen  Piacular-  nnd 
anderen  Opfern  kein  Unterschied  stattfindet, 
zeigt  das  Protokoll  der  Arvalen  über  die 
Opferhandlung  am  Vormittage  des  zweiten 
Tages  des  Maifestes;  der  Promagister  ad 
aram  extas  reddidit  porcüiares  (der  porcüiae 
piacuJares)  .  .  tn  foculo  argenteo  cespiti 
omato  extam  vacdnam  (der  vacca  honorariä) 
reddidit,  CIL  VI  2104  a  18  f.  Ebenso  wird 
bei  den  Piacularopfem  der  Arvalen  db  ferrum 
inlatum  {elatum)  eigens  erwähnt  extae  red^ 
ditcie  simt,  Henzen,  Acta  S.  135.  Holocausta 
(Serv.  Aen.  VI  253)  kennt  das  altrOmische 
Ritual  nicht,  wenn  man  nicht  dahin  den 
Brauch  rechnen  will,  an  den  Volcanalia 
lebendige  Fische  ins  Feuer  zu  werfen  (Varro 
de  1. 1.  VI  20.   Fest.  p.  238). 

')  Vortreffliche  Erörterung  der  Einzel- 
heiten bei LüBBBBT,  Comm.  pontific.  S.  121  ff.; 
vgl.  auch  die  interessante  Inschrift  CIL  II 
2395  =  Cagkat,  L'annöe  öpigr.  1898  nr.  2: 
huius  hostiae  quae  caduMt  hie  itnmolantur, 
exta  intra  quadrata  contra  cremantwr,  san' 
guds  hiciculis  iuxta  superfufndißur. 

^)  cruda  exta  victimae,  uti  mos  est,  in 
mare  porricit  Liv.  XXIX  27,5;  vgL  Verg. 
Aen.  V  237.   Cic.  nat.  deor.  III  51. 


62.  Die  gotteadieiiBtliohen  Handlungen« 


353 


der  exta  nimmt  eine  geraume  Zeit  in  Anspruch,  denn  es  findet  dabei  auch 
eine  genaue  Untersuchung  der  inneren  TeUe  statt  (inspicere  exta):  diese 
bUdet  den  zweiten  TeU  der  vor  dem  Opfer  bereits  begonnenen  Prüfung 
{probatio)  des  Opfertieres,  i)  und  ist  ihr  Ergebnis  ein  ungünstiges,  d.  h. 
zeigt  sich  an  den  eocta  irgend  welche  Abnormität,^)  so  verläuft  der  Opfer- 
akt ebenso  ergebnislos,  wie  eine  auyncato  begonnene  Handlung  beim  Ein- 
tritt von  auguria  oblativa,  oder,  wie  es  mit  dem  Eunstausdrucke  heisst, 
die  litatio  ist  nicht  eingetreten.')  Im  Sinne  einer  solchen  nochmaligen  Fest- 
stellung der  Tadellosigkeit  und  Wohlgefälligkeit  des  Opfertieres  gehört  die 
Untersuchung  der  exta  nach  altrömischem  Ritus  zu  den  Erfordernissen 
eines  jeden  Opfers,^)  und  darum  notiert  auch  das  Protokoll  der  Arvalbrüder 
am  Haupttage  ihres  Maifestes:  per  •  .  promagistrum  agnam  opimam  immo- 
larunt  et  hostiae  lüationem  inspexerunt  {CIL  VI  2104  a  23  f.).  Dagegen  ist 
die  gesamte  sehr  komplizierte  Theorie  der  Extispicin,^)  die  sich  nicht 
darauf  beschränkt,  Geeignetheit  oder  Nichtgeeignetheit  des  Opfertieres  fest- 
zustellen, sondern  aus  der  Beschaffenheit  der  exta  und  speziell  der  Leber 
Schlüsse  auf  zukünftige  Ereignisse  zu  ziehen  sich  bemüht,^)  durchaus  un- 
römisch und  eine  spezifisch  etruskische,  nur  von  den  Haruspices  geübte 
Kunst/)  die  seit  der  Zeit  etwa  des  hannibalischen  Krieges  bei  bestimmten 
Gattungen  von  Staatsopfern  üblich  wurde  (s.  unten  g  69).  Nach  der  Dar- 
bringung der  exta  {extis  redditis)  ist  der  Rest  des  Tieres  (die  viscera)  profan 
und  wird  verzehrt,  beim  privaten  Opfer  von  dem  Darbringenden  und  den 
etwa  von  ihm  Geladenen,^)  bei  den  sacerdotalen  Staatsopfern  von  den  be- 
treffenden Priestern;^)  wie  es  bei  den  magistratischen  Opfern  gehalten 


^)  cum  hostiae  prohant%Mr  penes  vos  a 
vitiosissimis  scicerdoiibus,  cum  cuivis  prae- 
cordia  poHus  vicHmarum  quam  ipsorum 
sacrificantium  examwumtwr,  Tert.  apol.  30. 

')  Cic.  de  div.  I  118:  tum  ipaum,  cum 
immolare  veiis,  extorum  fieri  mutatio  polest, 
ut  aut  absü  tUiguid  aut  supersit,  vgl.  II  35. 
Am  hftufigsten  wird  das  Fehlen  des  Herzens 
oder  des  caput  iecinoris  gemeldet,  Panl.  p.  244 : 
pestifa'a  auspicia  esse  dicebant,  cum  cor  in 
extis  aut  caput  in  iocinore  non  fuisset; 
Beispiele  bei  Bbissoniüs,  De  formulis  I  34. 

»)  z.  B.  Liv.  XXVII  23,  4:  per  dies  ali- 
quot hostiae  maiores  sine  litatione  caesae, 
XLI  15,  4:  senatus  maioribus  hostiis  usque 
ad  litcvtionem  sacrificcm  iussü.  Plant.  Poen. 
489 :  si  hercle  istuc  umquam  factum  est,  tum 
me  luppüer  faciat  ut  semper  sacrificem  nee 
umquam  litetn.  Mehr  bei  Henzbn,  Acta  S.  29. 
Mabqüabdt  a.  a.  0.  S.  182  A.  10. 

*)  Die  Unterscheidung  von  hostiae  con- 
suUatoriae  (Macr.  S.  III  5,  5)  und  hostiae 
anin.aies  (cum  enim  Trebatitis  libro  primo 
de  religionibus  doceat  hostiarum  genera  esse 
duo,  unum  in  quo  volimtas  dei  per  exta 
disquirüur,  alterum  in  quo  sola  anima  deo 
sacraiur,  unde  etiam  haruspices  animales 
has  hostias  vocant  Macr.  S.  III  5,  1  =  Serv. 
Aen.  IV  56,  vgl.  II  119.  III  281.  V  483)  ge- 
hört ansschlieeulich   der  Haruspicin  an  und 

HAndbuch  der  kUw.  AltertnmswiBBeziflcbaft.  V,  4. 


ist  mit  Unrecht  von  Lübbbbt  a.  a.  0.  S.  104  f. 
und  Mabqüabdt  a.  a.  0.  S.  185  f.  f&r  das 
altrömische  Sacndrecht  in  Anspruch  ge- 
nommen worden. 

^)  s.  über  diese  Müllbb-Dbbcke,  Etrus- 
ker  II  183  ff.  W.  Dbbokb,  Etrusk.  Forsch. 
V  65  ff.    Mabqüabdt  a.  a.  0.  S.  181  f. 

«)  z.  B.  Plin.  n.  h.  XI  190:  Divo  Augusto 
Spoleti  sacrificanti  primo  potestatis  suae  die 
sex  victimarum  iocinera  replicata  intrinsecus 
ab  ima  fibra  reperta  sunt  responswnque, 
duplicaturum  intra  annum  imperium, 

^)  Der  Ausdruck  Jiaruspicatio  findet  sich 
daför  in  den  Acta  lud.  saec.  Sever.  Z.  78 
(Ephem.  epigr.  VIII  p.  286). 

®)  Cato  de  agric.  83:  übi  res  divina 
facta  erity  stcUim  ibidem  consumito.  50:  übi 
daps  profanaia  comestaque  erit,  vgl.  132. 
Plaut.  Mil.  glor.  711:  sacrificant,  dant  inde 
partem  mihi  maiorem  quam  sibi,  abducunt 
ad  exta;  vgl.  Serv.  Aen.  I  211:  viscera  non 
tantum  intestina  dicimus,  sed  quicquid  sub 
corio  est  (vgl.  VI  253  viscera  sunt  quicquid 
inter  ossa  et  cutem  est),  ut  in  Alhano  Latinis 
viscercttio  dabaiwr,  id  est  coro, 

')  pordlias  piaculares  epulati  sunt  et 
sanguem  heisst  es  von  den  ArvalbrQdern 
CIL  VI  2104a  22,  woraus  folgt,  dass  auch 
das  Fleisch  der  Piacularopfer  von  den  Dar- 
bringenden (denn  das  sind  hier  die  Arvalen) 

23 


354 


Religion  und  KnltaB  der  Bömer.    in«  KnltoB. 


wurde,  ist  nicht  überliefert,  es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  nicht  nur  die 
Magistrate  und  die  etwa  ids  Sachverständige  beteiligten  Priester  an  der 
Opfermahlzeit  teilnahmen,  sondern  auch  der  Senat  sein  epulandi  publice  ius 
(Suet.  Aug.  35)  bei  dieser  Gelegenheit  ausübte.  Verkauf  des  Opferfleisches 
zu  Gunsten  der  Tempelkasse  ^)  und  Preisgebung  desselben  an  Unbeteiligte, 
also  zur  Yolksbewirtung,^)  begegnet  nur  in  ausserhalb  des  altrömischen 
Religionskreises  stehenden  Gottesdiensten;  in  diesen  findet  sich  auch  ge- 
legentlich die  Bestimmung,  dass  vom  Opfertier  nichts  übrig  bleiben  darf, 
sondern  etwaige  Reste  zu  verbrennen  sind.^) 

Die  in  Rom  recipierten  fremden  Kulte  italischer  und  namentlich  grie- 
chischer Herkunft  brachten  jeder  seine  eigene  Eultordnung  und  Opfer- 
satzung mit,  von  denen  namentlich  diejenigen  des  graecus  ritus  mancherlei 
Abweichungen  von  den  Grundregeln  des  altrömischen  Opferdienstes  zeigten.^) 
Die  wichtigste  Neuerung  in  dieser  Richtung  war  die,  dass  die  sibyllinischen 
Bücher  in  schweren  Fällen  staatlicher  Not  auch  zur  Anordnung  von 
Menschenopfern  griffen,  die  das  altrömische  Ceremonialgesetz  nicht 
kennt;  denn  so  sehr  sich  alte  und  neue  Mythologen  bemüht  haben,  in  be- 
stimmten Gebräuchen  des  römischen  Kultes  symbolische  Ablösungen  ehe- 
maliger Menschenopfer  zu  finden,^)  so  ist  doch  thatsächlich  im  alten  Gottes- 
dienste nichts  der  Art  nachzuweisen,  und  zum  Beweise  dafür,  dass  die 
römische  Religionsanschauung  das  Menschenopfer  ausschloss  {hostiis  hu- 
maniSj  minime  Romano  sacro,  sagt  Liv.  XXII 57, 6 ;  vgl.  auch  Cic.  pro  Font.  31), 
genügt  schon  der  Hinweis  auf  die  verschiedene  Behandlung  der  Menschen 
und  der  Tiere  beim  Yer  sacrum :  letztere  werden  geopfert,  erstere  als  sacri 
ausser  Landes  gejagt  und  in  die  Verfügung  der  Gottheit  gestellt.®)     Da- 


venEehrt  wurde;  die  Angabe  des  Serv.  Aen. 
III  231  sunt  atUem  hae  animdles  hostiae, 
quae  tantum  immolantur  et  caro  sacerdotibus 
proficit,  auf  die  Piacularopfer  zu  beziehen  ist 
schon  darum  unmöglich,  weil  die  Worte 
tantum  immolantur  die  reddüio  extorum 
ausschliessen,  diese  aber  für  die  Piacularopfer 
der  Arvalen  feststeht  (s.  oben  S.  352  A.  6). 

0  Serv.  Aen.  VIII  188;  vgl.  Paul.  p.  350 
8.  ▼.  Tatmi  litdi, 

*)  Das  sind  wohl  die  hostiae  prodigivae 
der  augusteischen  Saecularakten  (Z.  90  f. 
[Moeris  . .  hostias]  prodigivas  Ächivo  rtYu), 
denn  in  der  Angabe  des  Fest.  p.  250  pro- 
diguae  kostiae  vocantur,  ut  ait  Veranius, 
quae  consumwntur  fehlt  etwas  Wesentliches, 
da  in  dem  consumi  an  sich  (vielleicht  a  po- 
pulo  conaumuntur)  nichts  Unterscheidendes 
liegt.  Ueber  die  Volksbewirtungen  an  der 
Ära  maxima  s.  oben  S.  226. 

»)  Serv.  Aen.  VIII  188.   Macr.  S.  II  2,  4. 

^)  So  gilt  z.  B.  das  Gesetz,  dass  das 
Opfertier  im  Geschlecht  mit  der  Qottheit 
übereinstimmen  müsse,  nicht  für  die  grie- 
chischen Kulte  (P.  Stenobl,  Jahrb.  f.  Philol. 
CXXXIII  1886,  324  ff.;  Apollo  z.  B.  erhält 
Ziegenopfer,  Liv.  XXV  12, 13.  Macr.  1 17,29), 
und  manche  ihrer  Opfertiere,  z.  B.  die  dem 
Aescalapius  dargebrachte  Henne  (Paul.  p.  1 10}, 


sind  dem  römischen  Ritus  fremd. 

*)  z.  B.  in  den  maniae  und  püae  der 
Compitalienfeier  (oben  S.  149),  Macr.  S.  I  7, 
35.  Paul.  p.  239;  in  dem  Brauche,  sich  an 
den  Saturnalia  mit  sigülaria  und  Kerzen  zu 
beschenken  (oben  S.  170),  Macr.  I  11,  49; 
in  der  Verbrennung  lebender  Fische  bei  den 
Volcanalia(obenS.  185),  Fest.  p.  238.  Varrode 
1. 1.  VI  20;  in  den  Bräuchen  bei  der  Blitzsühne, 
Ovid.  fast.  III  389  ff.  u.  a.  m.  Dagegen  weisen 
die  Worte  des  Gell.  V  12,  12  immolaturque 
(dem  Vediovis)  ritu  human o  capra  nicht 
auf  ein  ehemaliges  Menschenopfer,  sondern 
auf  Totendienst;  vgl.  Paul.  p.  103:  humanum 
sacrificium  dicebant,  quod  mortui  causa 
fiebat 

^)  Td  f^iy  xaji&vaayj  rä  da  xa&iiQatoay 
Strabo  V  250;  die  Annahme,  dass  die  Ausstos- 
sung  an  die  Stelle  ursprünglicher  Opferung 
getreten  sei  (Paul.  p.  379:  sed  cum  crudeU 
videretur,  pueros  ac  puellas  innocentes  inter^ 
ficere,  perductos  in  adultam  aetatem  veHäbant 
atque  ita  extra  fines  auos  exigebant),  ist 
blosse  Konstruktion,  die  Ausstossung  oder 
Preisgabe  ist  vielmehr  die  gegebene  AusfÜh- 
rungsform  der  consecratio  lebender  Wesen; 
vgl.  Suet.  Gaes.  81 :  equorum  greges,  quo8 
in  traiciendo  Bubicone  flumine  consecrarat 
ac  vagoa  sine  custode  dimiserat. 


62.  Die  gotteBdienstliohen  Handlangen. 


355 


gegen  sind  durch  die  sibyllinischen  Bücher  mindestens  zweimal  Menschen- 
opfer angeordnet  worden,  beide  in  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts 
V.  Chr.,  nämlich  einerseits  die  Tötung  von  27  Griechen  (Ärgei)  durch 
Herabstürzen  vom  Pens  sublicius  in  den  Tiber,  ^)  andererseits  die  Opferung 
je  eines  Paares  von  Galliei?i  und  Griechen  (GaUus  et  Gaüa,  Oraecus  et  Oraeca) 
durch  Lebendigbegraben  auf  dem  Forum  boarium ;  ^)  beide  Riten  haben  das 
gemeinsam,  dass  die  Opfer  Landesfeinde  sind  und  dass  ihre  Tötung  in 
einer  von  der  festen  Form  des  Tieropfers  ganz  abweichenden  Art  erfolgt,^) 
beide  sind  nicht  nur  als  einmalige  Akte  gedacht,  sondern  in  kürzeren  oder 
längeren  Abständen  wiederholt  worden,^)  nur  dass  bald^)  an  die  Stelle 
der  wirklichen  Menschenopfer  stellvertretende  Ceremonien  traten,^)  wie 
überhaupt  gerade  der  graecus  rüus  von  derartigen  stellvertretenden  und 
symbolischen  Opfem  gelegentlich  Gebrauch  macht,  um  in  Rom  schwer 
durchzuführende  Vorschriften  des  heimischen  Rituals  wenigstens  zum 
Scheine  festzuhalten.^) 

Während  sich  der  laufende  Opferdienst  der  recipierten  Kulte  ab- 
gesehen von  Sondervorschriften  der  einzelnen  Gottesdienste  im  wesent- 
lichen in  denselben  Formen  vollzieht,  wie  der  der  alten  Religionsordnung, 
sind  wie  die  Menschenopfer,  so  auch  andere  dem  römischen  Sacralwesen 
ursprünglich  fremde  Eultakte  zur  Anwendung  gelangt  insbesondere  bei 
den  Lustrationen  nach  Prodigien  oder  in  Fällen  grosser  öffentlicher  Not, 
in  denen  die  gewöhnlichen  Mittel  zur  Erlangung  der  pax  deum  nicht  aus- 
zureichen schienen  und  der  Senat  deshalb  eine  Befragung  der  sibyllini- 
schen Bücher  durch  die  dazu  bestellte  Priesterschaft  veranlasste.  Unter 
den  auf  diesem  Wege  angeordneten  Eultakten  (von  der  Reception  neuer 
Gottesdienste  auf  Grund  sibyllinischer  Weisung,  über  die  oben  S.  44  f.  ge- 
handelt worden  ist,  wird  hier  abgesehen)  stehen  obenan  die  Lectisternia 
oder  Götterbewirtungen.  ^)     Die  römischen  Tempel  der  auf  Geheiss  der 


^)  Ueber  Alter  und  Herkunft  der  Argeer- 
Ceremonie  s.  Wissowa,  Real-Encycl.  II 689  ff., 
wo  auch  die  Zeugnisse  und  die  neuere  Litte- 
ratur  vollständig  verzeichnet  sind. 

»)  Zuerst  im  J.  528  =  226  (Oros.  IV 13, 3. 
Cass.  Dio  frg.  48  Melb.  Plut.  Marc.  3),  dann 
wieder  538  =  216  (Liv.  XXII  57,  6.  Plut. 
Qu.  Rom.  83). 

*)  Dagegen  ist  es  wirklich  eine  üeber- 
tragnng  der  Formen  des  Tieropfers  auf  Men- 
schen, wenn  Caesar  im  J.  708  =  46  zwei 
meuternde  Soldaten  auf  dem  Marsfelde  durch 
die  Pontifices  und  den  Flamen  Martialis 
opfem  und  ihre  EOpfe  an  der  Regia  anheften 
(Cass.  Dio  XLIII  24,  4),  d.  h.  das  Opfer  des 
Oktoberrosaes  (oben  S.  131  f.)  an  ihnen  voll- 
ziehen lässt. 

*)  Der  Brückensturz  der  Ärgei  findet 
alljährlich  am  14.  Mai  statt  (Ovid.  fast  V 
621  ff.,  vgl.  Plut.  Qu.  Rom.  32.  86.  Dion.  Hai. 
1 38),  die  Begrabung  des  Gallier-  und  Griechen- 
paares wurde  noch  zu  Plutarchs  Zeit  all- 
jlüirlich  im  November  begangen  (Plut  Marcell. 
8);  vgl.  auch  Plin.  n.  h.  XXVIII  12:  boario 
vero  in  foro  Chrcteeum  CHraecamque  defoseos 


aut  cdiarutn  gentium,  cum  quibus  tum  res 
esset,  etiam  nostra  aetas  vidit. 

»)  Vgl.  Plin.  n.  h.  XXX  12:  DCL  VII  de- 
mum  anno  urbis  Cn,  Cornelia  Lentulo 
P.  lAcvnio  Grosso  coss,  sencUitsconsuUum 
factum  est,  ne  hämo  immolaretur,  palam- 
que  füit  in  tempus  iUud  sacra  prodigiosa 
celebrtxtio;  von  der  apokryphen  Opferung 
eines  bestiarius  bei  den  Feriae  Latinae  (oben 
S.  109  A.  3)  weiss  also  Plinius  nichts. 

®)  Beim  Argeeropfer  sind  es  simuicicra 
hominum  scirpea  (Varro  de  1.  1.  VII  44  u.  a.), 
bei  dem  Opfer  von  GaUus  et  GaUa  erwähnt 
Plut  Marc.  3   dnoQ^tjjovs  xal  d^sdtag  Is^ 

^)  z.  B.  bei  der  cervaria  ovis,  quae  pro 
cerva  immolabatur  (Paul.  p.  57),  offenbar  im 
Kulte  der  Diana-Artemis  (Ovid.  fast.  I  327. 
Sil.  Ital.  XII  136).  Im  allgemeinen  vgl.  Serv. 
Aen.  II  116:  et  sciendum,  in  sacris  simtUata 
pro  veris  accipi;  unde  cum  de  animdlibtAS, 
quae  difficHe  inveniuntwr,  est  sacrificandum, 
de  pane  vel  cera  fiuMt  et  pro  veris  accipi- 
untur, 

*)  Zum  Folgenden  vgl.  F.  Dbnbkbn,  De 

23* 


356 


Religion  and  Knltos  der  BOmer.    in,  Knltna. 


sibyllinischen  Bücher  aufgenommenen  griechischen  Gottheiten  enthalten 
als  bezeichnendes  Ausstattungsstück  je  ein  pulvinar,  d.  h.  eine  heilige  xiUiTy, 
auf  der  zunächst  bei  der  Gründung  des  Heiligtums,^)  dann  in  regelmässiger 
Wiederkehr  am  Stiftungstage  *)  und  ausserordentlicher  Weise  bei  sonstigen 
Anlässen  ^)  ein  puppenartiges  Bild  der  Gottheit  niedergelegt  wird,  um  das 
Opfer  in  Gestalt  einer  Mahlzeit  auf  einem  vor  den  ledus  gestellten  Tische 
dargebracht  zu  erhalten:^)  als  ausserordentlicher  Lustrationsakt  aber  tritt 
das  Lectisternium  in  der  Weise  auf,  dass  eine  Mehrzahl  von  Gottheiten 
dieses  Kreises  zu  einem  gemeinsamen  Mahle  an  öffentlichem  Orte^)  ver^ 
einigt  wird:  zum  ersten  Male  aus  Anlass  einer  Seuche  im  J.  355  =  399 
angeordnet,  und  zwar  mit  achttägiger  Dauer  für  die  drei  Götterpaare 
Apollo  und  Latona,  Hercules  und  Diana,  Mercurius  und  Neptunus,^)  ist 
diese  Geremonie  im  Laufe  der  nächsten  Jahrzehnte  aus  dem  gleichen 
Grunde  noch  viermal  genau  in  der  gleichen  Weise  und  Ausdehnung  wieder- 
holt worden  7)  und  dann  zum  letzten  Male  in  der  Form  des  grossen  Zwölf- 
götter-Lectistemiums  vom  J.  537  =  217  (s.  oben  S.  55)  aufgetreten  (Liv. 
XXn  10,  9).  Wie  bei  diesem  die  Scheidung  griechischer  und  einheimischer 
Gottheiten  verwischt  war,  so  dringt  in  der  Folgezeit  der  Ritus  des  Lecti- 
sterniums  auch  in  solche  Gottesdienste  ein,  die  nicht  dem  graecus  rüus 
angehören,  und  treten  diese  Göttermahlzeiten  an  die  Stelle  des  altrömi- 


Theoxenlis,  Dias.  Berol.  1881.  Wackerkakn, 
Ueber  das  Lectisternium,  Progr.  Hanau  1888. 
G.  Pascal,  Rivista  di  filologia  XXII  1894, 
272  ff.  =  Studii  di  antich.  e  mitol.  S.  19  ff. 
Mabquabdt  a.  a.  0.  S.  45  ff.  187  f. 

^)  So  bei  der  Reception  der  Grossen 
Mutter,  Liv.  XXIX  14,  14:  lectisiemiumque 
et  ludi  fuerunt,  Megalesia  appellata.  Aus 
diesem  Zusammenfallen  der  Gründung  des 
Heiligtums  und  der  Bewirtung  des  Gottes 
durch  ein  Lectisternium  erklärt  es  sich,  dass 
nach  Antisttus  Labeo  (bei  Fest.  p.  351)  fana 
Sfstere  gleichbedeutend  war  mit  lectistemia 
certis  locis  et  du  habere;  vgl.  dazu  Britzen- 
STEIN,  Inedita  poet.  graec.  fragm.  II  10,  4. 

*)  Hierher  gehört  das  lectisternium  Cereris 
am  18.  Dezember  (oben  S.  246),  und  es  be- 
zieht sich  darauf  der  Ausdruck  des  Livius 
XXXVI 1, 2  und  XLII 30,  8  in  omnibtM  fanis, 
in  quibtAS  lectisternium  maiorem  partem  anni 
fieri  solet. 

>)  Dahin  gehören  die  Lectisterm'en  für 
die  Fortuna  in  Caere  und  die  Juventas  im 
J.  536  =  218  (Liv.  XXI  62,  8  f.)  und  für 
Juno  Regina  und  Satumus  im  folgenden  Jahre 
(Liv.  XXII  1,  18  f.). 

*)  Daher  pulvinar  geradezu  synonym 
mit  lectistemium  in  der  Lex  col.  Jul.  Genet. 
c.  128  ludos  circenses  sacrfijficia  pulvinaria- 
que  facienda  curent  und  dazu  Mohjcsen, 
Ephem.  epigr.  IT  p.  130,  1. 

*)  Ueber  den  Ort  derEollektivlectistemien 
findet  sich  keine  direkte  Angabe,  es  kann 
aber  nicht  wohl  der  Tempel  einer  der  be- 
teiligten Gottheiten  gewesen  sein,  der  kaum 


für  die  Bewirtung  einer  Mehrheit  vor  Göttern 
Platz  bot;  darum  wird  bei  Liv.  XL  59,  7 
in  foris  publicis,  übt  lectistemium  erat, 
deorum  capita,  qui  in  lectis  erant,  averterunt 
se  nichts  zu  ändern  sein  (in  fanis  publicis 
Dtjkbb). 

')  Liv.  Y 13, 6:  duumviri  saeris  faciwndis 
lectistemio  tunc  primum  in  urbe  Romana 
facto  per  dies  octo  ApoUinem  Latonamgue, 
Herculem  et  Dianam,  Mercurium  atque 
Nepttmum  tribus  quam  amplissime  tum 
apparari  poterat  stratis  lectis  pUicavere. 
privatim  quoque  id  sa4:rum  celebratum  est, 
tota  urbe  patentibus  ianuis  promiscttogue 
iMu  rerum  omnium  in  propatulo  posito  notos 
ignotosque  passim  (idvenas  in  ?io^itium 
dudos  ferunt,  et  cum  inimicis  quoque  beni- 
gne ac  comiter  sermones  habitos,  iurgOs  ac 
litibiM  temperatum;  vinctis  quoque  dempta 
in  eos  dies  vincula;  religioni  deinde  fuisse, 
quibus  eam  opem  dei  tiäissent,  vinciri,  Dion. 
Hai.  XII  9  f.;  vgl.  August,  c.  d.  III 17. 

^)  Das  zweite  Lectistemium  wird  nicht 
erwähnt,  das  dritte  fällt  390  =  364  (Liv. 
VH  2,  2),  das  vierte  405  =  349  (Liv.  VII 
27,  1),  das  fünfte  428  =  326,  Liv.Vni25,  1: 
eodem  anno  lectistemium  Bomae,  quinto 
post  conditam  urbem,  iisdem  quibus  ante 
pUtcandis  habitum  est  dis.  Noch  Marc  Aorel 
begeht  bei  der  grossen  Seuche  vor  dem 
Markomanenkriege  Bomano  ritu  (Gegensatz 
ist  nicht  graecus  rituSf  sondern  die  vorher 
erwähnten  peregrini  rittts,  d.  h.  Branche 
orientalischer  Superstition)  lectistemia  per 
Septem  dies,   Hist.  aug.  Anton.  phi}os.  13,  2. 


62.  Die  goitesdienatlichen  Handlangen. 


357 


sehen  Brauches,  dem  unpersönlich  gedachten  Gotte  einen  Tmbiss  {daps) 
oder  Schmaus  (epulum)  hinzustellen,  ^)  insbesondere  im  Dienste  des  Juppiter 
Optimus  Maximus  vom  Capitol.  Jedenfalls  ist  der  Stiftungstag  des  Tem- 
pels, der  13.  September,  von  jeher  in  der  Form  eines  epulum  gefeiert 
worden,  indem  man  dem  Gotte  eine  Mahlzeit  bereitstellte,  und  dieser 
Brauch  ist,  als  der  Tag  zum  Mittelpunkte  der  Ludi  Romani  geworden 
war,  als  ludorum  epulare  sctcrificium  (Cic.  de  erat.  111  73)  beibehalten  worden ; 
bei  den  jüngeren  Ludi  plebei  ist  dieses  epulum  zunächst  nur  ein  ausser- 
ordentlicher Akt  gewesen,  der  in  den  Jahren  von  542  =  212  bis  558  =  196 
im  ganzen  siebenmal,  und  zwar  stets  bei  der  Instauration  der  Spiele,  er- 
wähnt wird.')  Da  in  das  letztgenannte  Jahr  558  =  196  die  Einsetzung 
der  eigenen  Priesterschaft  der  Tresviri  epulones  fällt  (Liv.  XXXIII  42,  1), 
so  spricht  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  damals  auch  das  lovis  epu- 
lum der  plebejischen  Spiele  (am  13.  November)  ständig  und  zugleich  für 
beide  epula  der  griechische  Ritus  der  Lectisternien  eingeführt  wurde.  Denn 
dass,  nachdem  schon  im  hannibalischen  Kriege  einmal  auf  Geheiss  der 
sibyllinischen  Bücher  ein  Lectisternium  auf  dem  Capitol  gefeiert  worden 
war  (Macr.  S.  I  6,  13)^  in  den  letzten  Zeiten  der  Republik  die  epula  lovis 
sich  vollkommen  in  den  Formen  der  Lectisternien  vollzogen,  indem  Bilder 
der  Götter,  wie  Menschen  geschmückt  und  zugerichtet,  mit  Speisen  be- 
dient wurden,')  steht  vollkommen  fest.  Nur  in  einem  Punkte  wurde  der 
römischen  Anschauung  eine  Concession  gemacht,  indem  die  weiblichen  Gott- 
heiten^ die  bei  den  früheren  Lectisternien  mit  den  männlichen  den  lectus 
geteilt  hatten,  auf  Sesseln  sitzend  am  Mahle  teilnahmen,^)  und  solche 
sellistemia  sind  in  der  Folgezeit  auch  bei  Akten  des  ursprünglichen  graecus 
rüu8  für  weibliche  Gottheiten  an  die  Stelle  des  lectisternium  getreten.<^) 

In  engem  Zusammenhange  mit  den  Lectisternien  stehen  die  Suppli- 
cationen,®)  d.  h.  die  Bitt-  und  Dankfeste,  welche  auf  Anordnung  der 


')  Nur  ein  HinsteUen  einer  solchen  daps 
liegt  zu  Grunde,  wenn  nach  der  Geburt  eines 
Kindes  dem  Pilumnus  und  Picunmus  im 
Hause  ein  lectus  gerüstet  wird  (Varro  bei 
Non.  p.  528,  vgl.  Serv.  Aen.  X  76),  wof&r 
dann  später  in  vornehmen  Häusern  (Schol. 
Bern.  Verg.  Ecl.  4,  62 ;  vgl.  TertuU.  de  anim. 
89)  die  Aufstellung  von  lectus  und  mensa 
für  Juno  (Lucina)  und  Hercules  eintritt  (s. 
oben  S.  228).  Der  lectus  mag  jüngere  Zu- 
that  sein,  aber  ein  griechisches  Lectisternium 
ist  darum  aus  dem  Brauche  nie  geworden, 
weil  das  dafür  wesentliche  Hinlegen  der 
Götterpuppen  fehlt.  Altrömische  Lectistemia 
gibt  es  nicht,  denn  die  Behauptung,  dass  sie 
in  einer  lex  Numae  bei  Plin.  n.  h.  XXXIl  20 
erwähnt  gewesen  wären,  beruht  auf  Miss- 
verständnis, da  die  Worte  ut  convivia  pu- 
blica et  privata  cenaeque  ad  pulvinaria 
facüius  compararentur  nicht  Worte  des  Ge- 
setzes sondern  des  referierenden  Annalisten 
(Cassius  Hemina)  sind. 

')  Joris  epulum  fuü  ludorum  causa 
Liv.  XXV  2,  10.  XXVII  36,  9.  XXIX  38,  8. 


XXX  39, 8.  XXXI 4, 7.  XXXII 7, 13.  XXXIII 
42,  11. 

')  Sehr  anschauliche  Schilderung  des 
Seneca  bei  August,  c.  d.  VI  10;  über  Musik- 
begleitung Cic.  Tusc.  IV  4  et  dearum  ptU- 
vinaribus  et  epulis  magistratuum  fides  prae- 
cinunt;  über  die  Teilnahme  des  Senates  an 
diesen  Mahlzeiten  Gell.  XII 8, 2.  Liv.  XXX  VUI 
57,  5.  Cass.  Dio  XXXIX  30,  4.  XLVIH  52,  2. 

*)  Val.  Max.  II  1,  2:  lovis  epulo  ipse  in 
lectulum,  luno  et  Minerva  in  sellas  ad 
cenam  invitabantur. 

^)  So  halten  bei  der  Saecularfeier  in  allen 
drei  Nächten  die  Matronen  sellisternia  (ao 
auch  Val.  Max.  II  4,  5)  lunoni  et  Dianae 
duabus  sellis  positis  (£ph.  epigr.  VIII  p.  255), 
nnd  bei  der  Sühnfeier  nach  dem  neronischen 
Brande  propiiiata  luno  per  matronas  .  .  . 
et  sellistemia  ac  pervigüia  celebravere  fe- 
mvnae  quihv^  mariti  erant,  Tac.  ann.  XV  44. 

•)  Mabqüakdt  a.  a.  0.  S.  48  «.  260  f., 
dessen  Scheidung  von  altrömischer  obsecratio 
und  griechischer  supplicatio  jedoch  unhalt- 
barist. LuTBRBACHBR,  Prodigieuglaube  S.  2 1  f. 


358 


Beligion  und  Knltna  der  Bömer.    IIL  Knltna. 


Consuln  bezw.  des  Senates  vom  ganzen  Volke  begangen  werden.  Alt^ 
römischer  Brauch  war  es,  aus  Anlass  drohender  Prodigien  oder  in  son- 
stiger öffentlicher  Not  ausserordentliche  feriae  anzusetzen,  die  naturgemäss 
vom  Volke  dazu  benützt  wurden,  sich  den  Göttern  mit  frommer  Bitte  um 
Femhaltung  aller  Gefahren  und  Schrecknisse  zu  nahen ; ')  gelegentlich  hat 
der  Senat  auch  geradezu  das  Volk  zu  solchen  Akten  der  Frömmigkeit  auf- 
gefordert.^) Aber  zu  einer  fest  geregelten  gottesdienstlichen  Handlang 
wurden  die  Supplicationen  erst  innerhalb  des  gra^ecus  rüus:  dass  sie  zu 
diesem  gehören,  zeigt  einerseits  die  Thatsache,  dass  die  öffentliche  Für- 
bitte oder  Danksagung  geschieht  ad  (oder  circa)  omnia  pulvinaria,^)  anderer- 
seits der  Umstand,  dass  sie  in  der  Regel  ^)  nach  Befragung  der  sibyllini- 
schen  Bücher  von  den  Decemviri  sacris  faciundis  angeordnet  werden  und  den 
letzteren  auch  die  Leitung  zusteht.^)  Das  ganze  Volk,  Männer  und  Frauen, 
oft  über  den  Umkreis  der  Stadt  hinaus,  <^)  wird  aufgerufen,  bekränzt  and 
Lorbeerzweige  in  den  Händen  haltend^)  zieht  man  zu  den  Tempeln,  die 
sämtlich  während  dieser  Tage  offen  stehen  ^)  und  in  denen  man  Wein  and 
Weihrauch  opfert,^)  während  die  Frauen  knieend,  mit  gelöstem  Haare  und 
allen  Zeichen   bittender  Demut   den  Göttern  nahen.  ^^)    Ursprünglich   er- 


>)  Liv.  III 5, 14:  his  avertendis  terroribiM 
in  trvduum  feriae  indictcu,  per  quas  omnia 
deluhra  pacem  deum  exposcentium  virorum 
mulierumque  turba  implebantur, 

■)  Liv.  III 7,  7  (bei  einer  Seuche) :  inops- 
que  senatfM  auxüii  hutnani  ad  deos  poptUum 
ac  Vota  vertit:  iussi  cum  coniugibus  ac  liberis 
siipplicatum  ire  pacemque  exposcere  deum. 
ad  id,  quod  stut  guemque  mala  cogebant, 
auctoritate  publica  evocati  omnia  delttbra 
implent,  stratae  passim  matrea  crinibua  templa 
verrentes  veniam  irarum  caelestium  fmemque 
pesti  exposcunt 

')  Vollerer  Ansdrack:  supplicatio  Omni- 
bus dis,  quorum  pulvinaria  Romae  essent, 
indicta  est  (Liv.  XXIV  10,  13)  oder  suppli- 
catio  popülö  in  diem  unum  edicta  et  ad 
omnia  pulvinaria  res  divinae  factae  (Liv. 
XXXII 1, 14).  Selten  finden  die  Supplicationen 
aus  bestimmtem  Anlasse  nur  bei  einem  ein- 
zelnen Tempel  statt,  z.  B.  supplicatio  ad 
aedem  Herculis  nominatim,  deinde  universo 
populo  circa  omnia  pulvinaria  indicta  (Liv. 
XXI  62, 9)  oder  ad  Vestae  (Liv.  XXVIII  11,7), 
Aesculapio  (Liv.  X  47,  7),  Volcano  et  Cereri 
Proserpinaeque  (Tac.  ann.XV  44),  auch  ausser- 
halb Roms,  Fortunae  in  Älgido  (Liv.  XXI 
62,  8),  in  Capenaii  agro  ad  Feroniae  lucum 
(Liv.  XXVII  4,  15),  in  Crustumino  (Liv.  XLI 
13,  3). 

*)  Ausnahmen :  ex  decreto  pontificum  Liv. 
XXVII 37,4.  XXXIX 22,4;  ex  response  haru- 
spicum  Liv.  XXXII 1, 14;  vgl  XLI  13, 3 :  editis 
ab  haruspicibus  dis  quibus  supplicaretur. 

*)  praeeunte  Ilviro  (bezw.  Xviro)  Liv. 
IV  21,  5.  XLI  21,  11;  pro  coUegio  Xvirum 
Liv.  XXXVIII  36, 4;  Xviri  nocte  lactentibus 
rem  divinam  fecerunt  Liv.  XXXVII  8,  6. 


')  in  urbe  et  per  omnia  fora  concüio' 
bulaque  Liv.  XL  37,  3;  non  tribus  tantum, 
sed  finitimos  etiam  populos  Liv.  VII  28,  8; 
per  totam  Italiam  Liv.  XL  19,  5;  sonstige 
Vorschriften  über  Art  und  Umfang  der  Be- 
teiligung B.  oben  S.  835  A.  5. 

')  maiores  duodecim  annis  omnes  coro- 
nati  et  lau/ream  in  manu  tenentes  supplica- 
verunt  Liv.  XL  37,  3;  vgl.  XXXIV  55,  4. 
XXXVI  87,  5.  XLIII  13,  8. 

^)  itaque  praetor  extemplo  edixit,  uti 
aeditui  aedes  sacras  tota  urbe  aperireni, 
circumeundi  salutandiqtte  deos  agendique 
grates  per  totum  diem  populo  potestas  fieret, 
Liv.  XXX  17,  6;  vgl.  XXX  40,  4.  XLV  2,  6. 

*)  publice  vinum  ac  tus  praebitum,  sup- 
plicatum  iere  frequentes  viri  feminaeque  Uv. 
X  23,  1 ;  ausserdem  finden  von  Staatswegen 
Tieropfer  statt:  uti  supplicatio  fieret  cuncH- 
que  magistratus  circa  omnia  pidvinaria  vic- 
tumis  maioribus  sacrificarent  poptdusque 
coronatus  esset,  Liv.  XIJII  13,8.  Interessant 
sind  namentlich  die  Bestimmungen  an  der 
Ära  Narbonensis  (CIL  XII  4833) :  tres  eqtdtes 
Romani  a  plebe  et  tres  libertini  fiostias 
singulas  immolent  et  colonis  et  incolis  ad 
supplicandum  numini  eius  thus  et  vinum  de 
su^  ea  die prctestent  (ähnlich  mehrfach);  iure 
et  vino  supplica/re  ist  ständige  Redensari, 
z.  B.  Suet.  Aug.  35;  Tib.  70  u.  a. 

^^)  undique  matronae  in  ptiblicum  effusae 
circa  deum  deluhra  discurrunt  crinibus  passis 
aras  verrentes,  nixae  genibus,  supinas  manus 
ad  caelum  ac  deos  tendentes,  Liv.  XXVI 9,  7 ; 
vgl.  V  18, 11.  Varro  de  1. 1.  VII 66:  Claudius 
scribü  axitiosas  demonstrari  consupplica" 
trices. 


62   Die  gotteadienstlichen  Handlangen. 


359 


streckten  sich  die  Supplicationen  nur  auf  je  einen  Tag,  und  nur  in  schweren 
Fällen  sind  sie  auf  zwei  oder  drei  Tage  ausgedehnt  worden,')  sofern  es 
sich  wenigstens  um  Bittfeste  handelt;  bei  den  Dankfesten  nach  glücklich 
beendeten  Kriegen  und  erfochtenen  Siegen  zeigt  sich  schon  frühe  die 
Neigung  zur  Verlängerung  der  Festfeier,  ^)  die  am  Ausgange  der  Republik 
oft  eine  ganz  ungebührliche  Ausdehnung  erhielt.^)  Diese  Dank-Suppli- 
cationen,  die  als  Auszeichnung  erfolgreicher  Feldherren  nächst  dem  Triumphe 
die  gi*össte  Rolle  spielen,^)  hängen  mit  den  Bittfesten  gleichen  Namens 
insofern  aufs  engste  zusammen,  als  oft  beim  Beginne  eines  Krieges  ein 
solches  Bittfest  abgehalten  wurde  und  dabei  Gelegenheit  war,  für  den  Fall 
des  glücklichen  Ausganges  ein  Dankfest  gleicher  Art  zu  geloben.^)  Der 
Verlauf  beider  Feiern  ist  durchaus  der  gleiche,  nur  dass  die  Dankfeier  in 
der  gratulatio,^)  dem  Dankgebete,  die  Bittfeier  aber  in  der  obsecratio'^) 
gipfelt,  weshalb  beide  Ausdrücke  auch  neben  supplicatio  oder  an  Stelle 
dieses  Namens  gebraucht  werden.®)  In  der  Kaiserzeit  spielen  die  Suppli- 
cationen als  ausserordentliche  Dankfeste  bei  Erfolgen  der  kaiserlichen 
Politik  oder  freudigen  Anlässen  im  kaiserlichen  Leben  eine  grosse  Rolle,  ^) 
und  ein  derartiges  Dankfest,  die  Erinnerung  an  die  Übergabe  des  Lepidus 
im  J.  718  =  36,  ist  sogar  nach  dem  Zeugnisse  der  Kalender  zum  ständigen 
Jahresfeste  (am  3.  September)  geworden;  ^^)  insbesondere  aber  vollziehen 
sich  die  einzelnen  ständigen  Akte  des  municipalen  und  provincialen  Kaiser- 
kultes überwiegend  in  der  Form  der  Supplication,  bei  der  das  Volk  Weih- 
rauch und  Wein  darbringt,  während  das  Tieropfer  auf  die  bedeutsamsten 
Festfeiern  dieses  iCreises  beschränkt  bleibt.  ^  i)    Von  Bittfesten  bei  der  Pro- 


»)  2  Tage  Liv.  X  23, 1.  XL  37, 8 ;  3  Tage 
Liv.  XXII  1,15.  XXXI  8,  2.  XXXIV  55,  3. 
XXXVIII  36,  4.  44,  7. 

')  sencUtts  in  unum  diem  aupplicationes 
cansulum  nomine  decrevit,  populvts  iniussu 
et  altero  die  frequens  üt  8upplic(xtum  Liv. 
III  63,  5. 

*)  10  Tage  Gic.  de  prov.  cons.  27;  15  ebd. 
26.  Caes.  b.  ü.  II  35, 4;  20  ebd.  IV  38,  5.  VII 
90,  8;  das  höchste  sind  50  Tage,  Gic.  Phil. 
XIV  29.  37.  Augustus  ¥nirden  im  ganzen 
55  Supplicationen  mit  einer  GesamtziSil  von 
890  Tagen  zuerkannt,  Mon.  Anc.  1,  24  ff. 

*)  Mabqüabdt,  Staats verw.  II  581. 

*)  Ganz  so  bei  einer  Pest  im  J.  580  = 
174:  ea?  decreto  earum  (der  Decemvim)  diem 
unum  auppliccUio  fuit  et  Q.  Marcio  Philippo 
verba  praeeunte  populus  in  faro  votum  con- 
cepit,  si  morbus  pestilentiaque  ex  agro  Ro- 
mano emota  esset,  biduum  ferias  ac  suppli- 
cationem  ae  hcU)iturum,  Liv.  XLI  21,  11. 

«)  Gic.  de  prov.  cons.  26;  Phil.  XIV  7; 
Verr.  IV  94  in  precibtts  et  gratulationibus; 
vgl.  ad  fam.^XI  18,  3. 

^)  obsecrare  est  opem  a  sacris  petere 
Paul.  p.  188;  ob  vos  sacro  in  quibusdam  pre- 
coHonibus  est,  pro  vos  obsecro,  ut  siib  vos 
pUico  pro  supplico  Fest.  p.  190  vgl.  309. 

^)  gratulatio  für  supplicatio  z.  B.  Gic. 
Gatil.  IV  10.  20  vgl.  mit  m  15;  supplicatio^ 


nibus  ac  gratulationibus  Liv.  VIII  33,  20. 
Ebenso  obsecratio  für  suppliccUio  Liv.  IV  2 1,5. 
XXVI 23, 6.  Suet.  Glaud.  22.  Macr.  S.  I  6, 14; 
beide  Ausdrücke  neben  einander  Liv.  XXVII 
11,  6.  XXXI  8,  2.  9,  6.  XLII  20,  3. 

")  z.  B.  supplicationes  apud  omnia  pul- 
vinaria  nach  der  Ermordung  der  Agrippina 
(Tac.  ann.  XII  12.  Hbnzen,  Acta  fr.  Arval. 
S.  77),  anderes  z.  B.  Tac.  ann.  II  32.  XIII  41. 
XIV  59.  Suet.  Nero  10.  Hist.  aug.  Diadum. 
3,  1;  Maxim,  duo  26,  6;  Tac.  12,  1. 

*®)  fer(iae)  et  supplicationes  apwt  omnia 
pulvinaria,  quod  eo  die  Caes(ar)  Divi  f(üius) 
vicit  in  Sicüia  Fast.  Amit.,  vgl.  Fast.  Arval. 
und  MoiofSEir  GIL  P  p.  328. 

>>)  Das  Feriale  Gumanum  (GIL  X  8375) 
verzeichnet  an  sämtlichen  17  (Gedenktagen, 
die  es  enthält,  supplicationes  mit  Bestimmung 
der  Gottheit,  der  eine  jede  gilt;  nur  eine 
davon  ist  von  einem  Tieropfer  begleitet 
(immolatio  Caesari  hostia  am  Geburtstage 
des  Augustus);  in  ähnlicher  Weise  werden 
die  Festtage  an  der  Ära  Narbonensis  mit 
Supplicationen  (zum  Teil  auch  mit  Opfern) 
begangen  (GIL  XII  4383,  s.  o.  S.  358  A.  9). 
Vgl.  auch  Mon.  Anc.  2,  18  [privat] im  etiam 
ei  mwfdcipatim  universi  [cives  sacrificaverunt 
sempejr  apud  omnia  pulvinaria  pro  valepu- 
dine  meaj. 


360 


Religion  nnd  Knltns  der  Bömer.    in.  Kultus. 


curation  von  Prodigien  nnd  ans  ähnlichen  Anlässen  ist  wenig  mehr  die 
Rede. «) 

Mit  der  Snpplication  verwandt  und  aus  ihr  hervorgegangen  ist  die 
Bittprozession  mit  dem  Jnngfrauenchore,  wie  sie  zuerst  aus  An- 
lass  einer  Zwittergeburt  im  J.  547  =  207  und  nachher  noch  verschiedene 
Male  aus  dem  gleichen  Grunde  oder  auch  wegen  anderer  Prodigien  an- 
geordnet wird;^)  der  Hergang  ist  durch  die  Beschreibung  der  erstmaligen 
Vollziehung  dieses  Aktes  bei  Liv.XXVÜ  37,  11  ff.  und  durch  ein  auf  eine 
solche  Procuration  bezügliches  Sibyllenorakel')  wohl  bekannt:  die  Prozession 
bewegt  sich  vom  Tempel  des  Apollo  vor  der  Porta  Carmentalis  nach  dem 
der  Juno  Regina  auf  dem  Aventin,  der  das  Opfer  zweier  weissen  Kühe 
gilt;  dargebracht  wird  dieses  von  den  Decemviri  s.  f.,  die  auch  den  Mittel- 
punkt der  Prozession  bilden,  vor  ihnen  aber  schreiten  in  langem  Gewände 
27  Jungfrauen,  die  bestimmt  sind,  das  Festlied  zu  Ehren  der  Juno  zu 
singen:  zu  diesem  Zwecke  macht  der  Zug  auf  dem  Forum  Halt,  wo  die 
Mädchen,  die  Hände  an  ein  sie  verbindendes  Seil  legend  {per  manus  reste 
data)  und  die  Weise  mit  angemessenen  Tanzbewegungen  begleitend,  das 
Lied  vortragen;  das  letztere  ist  eigens  fQr  diesen  Zweck  verfasst,  und  zwar 
jedenfalls  in  ziemlich  enger  Anlehnung  an  griechische  Partheneia.  Denn 
griechisch  ist  der  ganze  Brauch  von  Anfang  bis  zu  Ende.  Zwar  sind  dem 
altrömischen  Ritual  Bittprozessionen  keineswegs  fremd,  wie  namentlich  die 
Ceremonie  der  Einholung  des  lapis  manalis  (s.  oben  S.  106)  und  lustrierende 
Bittgänge  wie  an  den  Ambarvalia  und  Robigalia  (s.  oben  S.  162)  beweisen, 
ebenso  kennen  wir  den  Vortrag  heiliger  carmina  unter  Begleitung  ritueller 
Tänze  als  uralte  Bestandteile  des  Rituals  der  Salier  und  Arvalbrüder;*) 
aber  bei  den  geschilderten  Prozessionen  der  ter  novenae  virgines  zeigt  die 
Anordnung  durch  die  sibyllinischen  Orakel,  die  Yorstandschaft  der  Decem- 
viri s.  f.  und  das  Detail  des  Rituals  mit  voller  Deutlichkeit  die  Zugehörig- 
keit zum  graecus  ritus  an ;  es  steht  damit  in  voller  Übereinstimmung,  dass 
bei  der  augusteischen  Saecularfeier  ein  Doppelchor  derselben  Art,  bestehend 
aus  pueri  XXVII  patrimi  et  matrimi  et  puellae  totidem,  das  von  Q.  Horatius 
Flaccus  verfasste  Festlied  zum  Preise  von  Apollo  und  Diana  singt.  ^) 

Die  um  den  Jungfrauenchor  sich  gruppierende  Prozession  führt  der 
Juno  Regina  nicht  nur  die  ihr  gebührenden  Opfertiere  zu,  sondern  bringt 


1)  Suet.  Glaud.  22:  observavüqt^  sediUo 
.  .  .  utque  dira  ave  in  Capitolio  visa  ohse- 
cratio  haberetur  eamque  ipse  iure  maximi 
pontifids  pro  rostris  populo  praeiret.  Ueber 
die  von  den  sibyllinischen  Büchern  nach  dem 
neronischen  Brande  angeordneten  Lustrations- 
acte  s.  Tac.  ann.  XV  44. 

«)  Liv.  XXVII  37,  7  fiF.  XXXI  12,  9  f. 
Obseq.  27.  34.  36. 43. 46.  48.  53.  Verschieden 
davon  ist,  was  Liv.  XXXVII  8,  6  von  einer 
Snpplication  des  J.  564  =190  erzählt:  deoem 
ingenui,  decem  virgines,  patrimi  omnes  ma- 
trimique,  ad  id  sacrificium  adhibiti;  vgl. 
Macr.  6.  I  6,  14:  acta  igitur  obsecratio  est 
pueris  ingenuis  itemque  libertinis  sed  et  vir- 
ginibus  patrimis  matrimisqiie  pronuntianti- 


&US  Carmen.  Obseq.  40:  ex  Sibyllinis  in 
instUa  Gimolia  sacrificatum  per  triginta  tn- 
genuos  patrimos  et  matrimos  totidemque 
virgines. 

^)  Bei  Phleg.  mirab.  10,  erkannt  and 
ausgezeichnet  erläutert  von  H.  Diels,  Sibyl- 
linische  Blätter,  Berlin  1890;  8.  namentlich 
S.  37  ff.  nnd  88  ff. 

*)  Liv.  I  20,  4:  {salios)  per  urbem  ire 
canentes  carmina  cum  tripudiis  soUemnique 
saltatu.  Von  den  Arvalbrüdem  heisst  es 
CIL  VI  2104a  31:  ibi  sacerdotes  dusi  suc- 
cincti  libellis  acceptis  Carmen  descindentes 
tripodaveru/nt. 

»)  Eph.  epigr.  Vni  p.  256. 


62.  Die  gottesdienatliohen  Handlungen. 


361 


ihr  auch  als  Oeschenk  duo  signa  cupressea  lunonis  Beginae  (Liv.  XXYII 
37,  12. 15.  Obsequ.  46;  ^eava  ^oava  im  Orakel).  Derartige  Geschenke  als 
Mittel  znr  Erreichung  der  pax  deum^)  sind  ebenfalls  erst  unter  griechi- 
schem Einflüsse  üblich  geworden.  Weihgeschenke  freilich  gibt  es  auch 
in  alter  Zeit,  solange  es  einen  an  bestimmte  Eultstätten  gebundenen  Gottes- 
dienst gibt:  seitdem  die  Verehrung  der  Gottheit  im  Gotteshause  üblich  ist, 
wird  zwar  zugleich  mit  der  aedes  sacra  das  für  den  Gottesdienst  nötige 
Tempelinventar,  d.  h.  das  Götterbild,  die  Altäre,  Herde  und  Tische,  con- 
secriert,  die  Ausschmückung  des  Tempels  aber  geschieht  im  Laufe  der  Zeit') 
durch  Gaben  von  der  Gemeinde  und  von  Privatleuten.^)  Aber  solche  Gaben 
sind  von  Hause  aus  nicht  Lustrationsmittel,  sondern  sie  erfolgen  nach 
glücklichem  Feldzuge  aus  den  Beutestücken^)  oder  de  manibiis,  d.  h.  aus 
dem  Erlöse  der  Beute, ^)  ferner  e  pecunia  muUaticia^)  oder  auch  als  Geschenke 
befreundeter  oder  abhängiger  Völkerschaften  namentlich  an  Juppiter  0.  M. 
auf  dem  Capitol.'')  Auch  die  bona  consecrata  werden  veräussert  und  der 
Erlös  zur  Anschaffung  solcher  Wertstücke  für  die  Ausstattung  des  Heilig- 
tums verwendet,^)  wie  umgekehrt  auch  Weihgeschenke  verkauft  werden 
können,  sofern  nur  die  Kaufsumme  wieder  für  die  Ausschmückung  des 
Tempels  verbraucht  wird.^)  Seit  dem  hannibalischen  Kriege  werden  häufig 
derartige  Weihgeschenke  durch  die  sibyllinischen  Bücher  zur  Procuration 
von  Prodigien  gefordert,  ^o)  und  zwar  mit  der  Besonderheit,  dass  derartige 


*)  vgl.  die  Bestimmimg  bei  Gic.  de  leg. 
II  22:  impius  ne  audeto  placare  donis  iram 
dearum, 

')  Macr.  S.  III  11,  6  (unter  Berufung  auf 
das  iiis  Papirianum)  namque  in  fanis  alia 
vasorutn  siMt  et  sacrae  supeUectüis,  alia 
omamentorum:  quae  vasorum  swnt,  instru- 
menii  instar  hahent,  quHms  semper  sacrificia 
canficiuntur,  quarum  rerum  principem  locum 
obtinet  mensa,  in  qua  epulae  libationesque 
et  stipes  reponuntur;  omamenta  vero  sunt 
clipei  coronae  et  huiuscemodi  donaria.  neque 
enim  dedicantwr  eo  tempore,  quo  delubra 
sacrantur;  at  vero  mensae  arulaeque  eodem 
die,  quo  aedes  ipsae,  dedicari  solent,  unde 
mensa  hoc  ritu  dedicata  in  templo  arae  usum 
et  religionem  ohtinet  pidvinaris;  vgl.  Serv. 
Aen.  VIII  279. 

')  üeber  die  mannigfachen  Votivgaben 
von  Privatleuten,  auf  die  hier  nicht  einge- 
gangen werden  soll,  s.  die  reichen  Samm- 
lungen von  Db-Marchi,  Gulto  private  I  292  ff. 

*)  z.  B.  Liv.  VI  29,  8:  T,  Quinctius  .  .  . 
Signum  Praeneste  devectum  lovis  Imperatoris 
in  Capitolium  tulit.  dedicaium  est  inter  cellam 
lovis  ac  Minervae  tabulaque  sub  eo  fixa, 
monumentum  rerum  gestarum,  his  ferme 
incisa  litteris  fuit:  „luppiter  cUque  divi 
omnes  hoc  dederunt,  ut  T.  Quinctius  dictator 
oppida  novem  caperef'  (vgl.  Cic.  Verr.  IV 129). 

*)  z.  B.  Liv.  VI  4,  2 :  captivos  .  .  .,  qui- 
bus  sub  ?M8ta  venumdatis  tantum  aeris 
redactum  est,  ut , , , ,  ex  eo,  quod  supererat, 
tres  pcUerae  aureae  factae  sint,  qtuis  cum 


titulo  nominis  Camitti  ante  Capitolium  m- 
censum  in  lovis  ceüa  consUU  ante  pedes 
lu/nonis  positas  fuisse, 

')  Die  curulischen  Aedilen  pflegen  ihre 
Weihgeschenke  aus  den  Strafgeldern  auf 
das  Capitol  (Liv.  X  23, 12.  XXIX  38, 8.  XXXV 
10, 12.  41, 10;  vgl.  aber  XXX  39, 8),  die  ple- 
bejischen in  den  Tempel  von  Ceres  Liber 
und  Libera  zu  stiften  (X  23,  13.  XXVII  6, 19. 
86,  9). 

')  Zuerst  Liv.  II  22,  6  (Latini)  coronam 
auream  lovi  donum  in  Capitolium  mittunt, 
nachher  gerade  in  der  Form  der  Widmung 
eines  goldenen  Kranzes  sehr  oft  wiederholt; 
s.  über  die  Weihgeschenke  auf  dem  Capitol 
Jobdan,  Topogr.  I  2  S.  13  ff. 

•)  Liv.  Vin  20,  8:  bona  Semoni  Sanco 
censuerunt  consecranda;  quodque  aeris  ex 
eis  redactum  est,  ex  eo  aenei  orbes  facti  positi 
in  sacello  Sancus  adversus  aedem  Quirini, 

»)  Tempelgesetz  von  Furfo  CIL  LX  3513: 
sei  quod  ad  eam  aedem  donum  datum  do^ 
fMxtum  dedicatumque  erit,  utei  licecU  oeti 
venum  dare.  utei  venum  datum  erit,  id  pro- 
fanum  esto  ....  quae  pequnia  recepta  erit, 
ea  pequnia  emere  conducere  locare  dare,  quo 
id  templum  melius  honestius  seit,  lieeto. 
quae  pequnia  ad  eas  res  data  erit,  profana 
esto,  quod  d(olo)  m(alo)  non  erit  factum, 
quod  emptum  erit  aere  aut  argento,  ea 
pequnia,  quae  pequnia  ad  id  templum  data 
erit,  quod  emptum  erit,  eis  rebus  eadem  lex 
esto,  quasei  sei  dedicatum  sit 

^^)  Liv.  XXI  62, 8:  donum  ex  auripondo 


362 


Religion  und  KnltuB  der  Bömer,    in.  Kultus. 


Geschenke  nicht  nur,  wie  die  übrigen  zum  Zwecke  der  Lustration  angeord- 
neten Darbringungen,  aus  Staatsmitteln  gestiftet  werden,  sondern  teilweise 
auf  Orund  von  Sammlungen  {ex  pecunia  conlata)  unter  dem  Publikum,  ins- 
besondere den  Matronen.^)  Eine  solche  Heranziehung  der  Privaten  zur 
Bestreitung  der  Kosten  öffentlicher  Kulthandlungen,  wie  sie  auch  für  die 
Lectistemien  ^)  und  die  nach  griechischem  Ritus  gefeierten  Apollinarspiele^) 
bezeugt  ist,  ist  dem  altrömischen  Gottesdienste  ebenfalls  fremd  und  wohl 
zu  unterscheiden  von  dem  Brauche  des  Geldopfers,  der  zwar  zweifeUos 
jünger  ist  als  die  Darbringung  von  Naturalien,  aber  doch  in  bestimmter 
Anwendung  sicher  in  die  Zeit  vor  dem  Überwiegen  des  griechischen  Ein- 
flusses hinaufreicht.  Die  ganze  Natur  der  Opferhandlung  verlangt,  dass 
nicht  nur  der  Darbringende  sich  der  für  die  Gottheit  bestimmten  Gabe 
entäussere,  sondern  dass  diese  überhaupt  dem  menschlichen  Gebrauche  und 
Verkehre  entzogen  werde:  darum  wird  nicht  nur  das  Speiseopfer  (beim 
Tieropfer  die  der  Gottheit  zukommenden  Teile)  verbrannt,  sondern  das 
Gleiche  geschieht  auch,  wenn  man  auf  Grund  eines  Gelübdes  nach  der 
Schlacht  die  dem  Feinde  abgenommenen  Waffen  den  Göttern  weiht  ;^)  die 
Geldspende  als  Opfergabe  findet  sich,  in  Übereinstimmung  mit  dieser  An- 
schauung, nur  im  Dienste  einerseits  der  unterirdischen,  andererseits  der 
Quellgötter,  indem  man  die  für  sie  bestimmten  Geldmünzen  in  den  mundus^) 
oder  ins  Wasser  ^)  wirft  und  so  dauernd  ausser  Verkehr  setzt.  Der  Name 
für  dieses  Geldopfer  ist  stips,'^)  und  nur  allmählig  hat  sich  dieser  Be- 
griff auch  ausgedehnt  auf  die  zu  Gunsten  der  Tempelkasse  gemachten 
Geldspenden,  für  deren  Herkunft  schon  das  für  sie  eigentlich  geltende 


qwidraginia  Lanumum  lunoni,  XXII 1,  17: 
lovi  fulmen  aureum  pondo  quinquagmta 
et  Iwnoni  Minervaeque  ex  argento  dona. 
XXX Vni  35,  4:  in  aede  Herculis  Signum  dei 
ipsius.  XL  37, 2 :  Äpollini  AesctUapio  Saluti 
dona  vovere  et  dare  signa  inaurata.  XLII 
28,  8:  dona  circa  otnnia  pulvinaria  dari. 

')  Liv.  XXII 1, 18:  matronaeque  pecunia 
conlata,  quantum  conferre  cuique  commodum 
esset,  donutn  lunoni  Beginae  in  Aventinum 
ferrent  (vgl.  XXI  62,  8)  .  .  c*  ut  liberiinae 
et  ipsae,  unde  Feroniae  donutn  darelur,  pe- 
cuniam  pro  facultatibus  suis  conferrent, 
XXVII  37,  8 :  prodigiumque  id  ad  mati'onas 
pertinere  Jiaruspices  cum  respondissent  do- 
noque  divam  placandam  esse,  aedilium  curu- 
lium  edicto  in  Capitolium  convocatae,  quibus 
in  urbe  Bomana  intraque  decimum  lapidem 
ab  urbe  domicilia  essent,  ipsae  inter  se 
quinque  et  XX  delegerunt,  ad  qiMS  ex  do- 
tibus  stipem  conferrent,  inde  donum  pelvis 
aurea  facta  lataque  in  Aventinum;  pure 
casteque  a  matronis  sacrificatum, 

^)  Macr.  S.  I  6,  13:  lectistemiumque  ex 
conlata  stipe  faciendum,  Liv.  XXII  1,  19: 
ad  aedem  Satumi  Bomae  immolatum  est 
lectistemiumque  imperatum,  ei  eum  lectum 
senatores  straverunt, 

»)  Liv.  XXV  12, 14  (Feier  der  Ludi  Apol- 
linares):  ludos  praetor  in  circo  maocimo  cum 


facturus  esset,  edixit  ut  populus  per  eos 
ludos  stipem  Apoüini,  quantum  commodum 
esset,  conferret.  Paul.  p.  23:  Apoüinares 
ludos  .  .  .  populus  laureatus  spectabat  stipe 
data  pro  cuiusque  copia  (die  Angabe  des 
Plin.  n.  h.  XXXIII 138,  dass  zuerst  im  J.  586 
=  168  populus  Bomanits  stipem  spargere 
coepit  ist  also  unrichtig). 

*)  Liv.  1 37, 5.  Vni  1, 6. 10, 18.  X  29, 18. 
XXin  46,  5.  XXX  6,  9.  XLV  33,  2. 

^)  Darauf  geht  doch  wohl  das  ffinein- 
werfen  von  Münzen  in  den  Lacus  Curtios 
(Suet.  Aug.  57 :  omnes  ordines  in  lacum  Curti 
quotannis  ex  voto  pro  salute  eius  stipem 
iaciebant)  und  in  die  Baugrube  eines  Tempels 
(Tac.  bist.  IV  53  beim  Wiederaufbau  des 
Gapitols:  passimque  iniectae  fundamentis 
argenti  aurique  stipes). 

•)  Plin.  epist  VIII 8. 2.  CIL  XI  4123:  ex 
stipe  quae  ex  lacu  Vfelino  ejxsemta  erat; 
dazu  mehrfache  MQnzfunde  in  Quellen,  Aber 
die  vgl.  R.  Wünsch,  Strena  Helbigiana  (1^00) 
S.  344  ff. 

^)  Ftlr  die  Scheidung  von  Weihgeschenk 
und  stips  namentlich  Sen.  de  benef.  VII 4, 6 : 
dis  donum  posuimus  et  stipem  iedmiM;  die 
Wendung  stipem  iacere  oder  iactare  (Liv.  II I 
18, 11.  XXVI  11,9)  erklärt  sich  aus  der  Er- 
innerung  an  das  ursprüngliche  Versenken 
des  Geldopfers. 


62.  Die  gotteedieiiBtlichen  Handlungen. 


363 


griechische  Lehnwort  thesaurus  beweisend  istJ)  Sie  sind  in  der  That 
auch  zwar  nicht  ausschliesslich,  aber  doch  überwiegend  in  den  griechi- 
schen Gottesdiensten  zur  Anwendung  gekommen,*)  und  zwar  in  der  Form, 
dass  man  die  Münze  auf  die  sacra  mensa^)  oder  in  den  Opferkasten 
(thesaurus,  s.  unten  Anm.  1)  legte;  das  öffentliche  Abhalten  von  Kollekten 
auf  der  Strasse  und  von  Haus  zu  Haus  {stipem  cogere)  ist  nur  den  An- 
hängern bestimmter  fremdartiger  Gottesdienste,  wie  der  Magna  Mater 
(oben  S.  265  A.  2)  oder  der  Isis,^)  für  die  Zwecke  ihres  Kultes  gestattet 
worden.  Verwendet  darf  die  stips  natürlich  nur  werden  im  Interesse  des- 
jenigen Tempels,  dem  sie  zugewendet  wurde,  ^)  zu  seiner  Ausschmückung 
oder  zu  Ankäufen  zu  gottesdienstlichen  Zwecken.*)  Eine  besondere  Art 
der  Geldspende  ist  die  Darbringung  der  decuma  von  der  Kriegsbeute  oder 
dem  Handelsgewinne,  wie  wir  sie  nur  im  Dienste  des  Apollo  ^  und  nament- 
lich des  Hercules  an  der  Ära  Maxima  (s.  oben  S.  225  f.)  kennen ;  von  der 
stips  unterscheidet  sie  sich  insofern,  als  diese  eine  freiwillige  Gabe  dar- 
stellt, während  das  Zehntenopfer  auf  vorangegangenem  Gelübde  beruht.^) 
Um  andere  nur  ausnahmsweise  vorkommende  Lustrationsmassregeln, 
wie  die  Anordnung  allgemeiner  Fasten  (ieiunium),^)  hier  zu  übergehen,  sei 
nur  noch  eines  Lustrationsaktes  gedacht,  der,  ursprünglich  italisch,  nachher 
in  den  Bereich  des  graecus  ritus  hineingezogen  und  mit  allen  Mitteln  des 
griechischen  Ceremoniells  ausgestattet  worden  ist,  der  Feier  des  Saeculum. 
Unter  saeculum  versteht  man  die  längste  Dauer  eines  Menschenlebens  in  der 
Weise,  dass  das  an  einem  bestimmten  Tage  beginnende  Saeculum  an  dem 
Tage  sein  Ende  findet,  an  dem  der  letzte  der  am  Ausgangstage  lebenden 


')  Vgl.  das  Androgynenorakel  (oben  S. 
360  A.  8)  y.  10.  29  und  dazu  Dibls  a.  a.  0. 
S.  46,  3 ;  foras  ad  aram  reverai  thesauros 
dederunt  heiaat  es  beim  Maifeate  der  Arvalen, 
CIL  VI  2104  a  26,  vgl.  Hbnzek,  Acta  S.  31. 
Sonst  bezeichnet  stips  die  Gabe  und  tfiesaurus 
den  Opferkasten,  Varro  de  1.  1.  V  182:  ut 
tum  insiitutum,  etiam  nunc  diis  cum  ihe- 
sauris  asses  dant,  stipem  dicunt,  Senec. 
epist.  115,  5:  colitur  autem  non  taurorum 
opimis  carporibus  contrueidaiis  nee  attro 
argentoque  suspenso  nee  in  tJiesauros  stipe 
infusa;  bei  Obsequ.46  popvdus  stipem,  ma- 
tronae  thesawrum  et  virgines  dona  Cereri 
et  ProserpintLC  tulenmt  liegt  wohl  eine  Ver- 
wirrung vor  (vgl.  ebd.  c.43. 53).  Die  Inschrift 
eines  solchen  Opferkastens:  P.  Crastinus  P. 
f.  Paulus,  C.  Tittienus  Q.  f.  Macer  tesaurum 
f.  c,  BuU.  d.  Inst.  1876,  36  =  CIL  XI  4988. 

')  populus  stipem  Cereri  et  Proserpinae 
tiUit  Obsequ.  43.  46.  53;  in  stipe  Apollinis 
Apul.  apol.  42;  de  ttipe  templi  des  Hercules 
August,  c.  d.  VI  7;  Aesculapius  CIL  VI  7, 
Juppiter  Jurarius  CIL  VI  379,  Diana  CIL  X 
3787. 

')  mensa,  in  qtM  epulae  libationes  et 
stipes  conferuntur,  Maor.  III 11,  6. 

*)  Ovid.  ex  Pento  I  1,  37.  Val.  Max. 
VII3,  8. 

>)  Lex  col.  Jul.  Genet.  (CIL  11  Suppl. 


5439)  c.  72:  quotcumque  pecuniae  st^is 
nomine  in  aedis  sacras  datum  inlatum  erit, 
quot  eius  pecuniae  eis  sacris  superfuerit, 
quae  sacra,  ut  h(ac)  l(ege)  d(ata)  oportebit, 
ei  deo  deaeve,  cuius  ea  aedis  erit,  facta 
fuerinty  ne  quis  facito  neve  curato  neve  m- 
tercedüo,  quo  minus  in  ea  aede  consumatur, 
ad  quam  aedem  ea  pecunia  stipis  nomine 
data  conlata  erit,  neve  quis  eam  pecuniam 
cdio  consumito  neve  quis  facito,  quo  magis 
in  cdia  re  consumatur, 

')  locus  de  stipe  Dianas  emptus  CIL  X 
3787 ;  de  stipe  Aesculapi  faciundum  locavere 
CIL  VI  7,  vgl.  379.  XI  4123.  XII  2388. 

')  Liv.  V  21,  2  und  die  ParaUelberichte 
(ScHWBOLBB,  R.  G.  III  214).  CIL  VI  29:  3f. 
Mindios  L,  fi.  P.  Condetios  Va.  fi.  aidHes 
vicesma  parti  Apolones  dederi. 

^)  Liv.  V  25, 5 :  nihü  de  conlatione  dicere 
stipis  verius  quam  decumae,  quando  ea  se 
quisque  privatim  obligaverit,  liberatus  sit 
populus, 

')  Fasten  als  Akt  des  Staatsgottesdienstes 
ist  dem  altrOmischen  Ritus  fremd,  begegnet 
dagegen  im  Kulte  der  Ceres  (S.  246)  und 
weiterhin  bei  den  sacra  peregrina  der  Magna 
Mater  (oben  S.  266  A.  8)  und  Isis  (oben 
S.  297  A.  10);  vgl.  auch  Wissowa,  Real- 
Encyd.  III  1780. 


364  Religion  und  Knltna  der  Römer,    in.  EqUqb. 

Menschen  stirbt;*)  für  die  staatliche  Verwendung  hat  man  dann  eine  feste 
Durchschnittsdauer,  und  zwar  zunächst  von  100  Jahren,  angenommen,  und 
diese  Periode  hat  eine  dem  der  Regel  nach  f&nfjährigen  Zeiträume  des 
censorischen  lustrum  analoge  Bedeutung  gewonnen.«)  Für  die  Lustra- 
tion kommt  die  Feier  des  Saeculum  in  der  Weise  in  Anwendung,  dass 
man  in  schwerer  Not  und  Bedrängnis  die  Beschliessung  des  alten  und  die 
Eröffnung  des  neuen  Saeculum  anordnet,  an  dessen  Ende  dieselben  Cere- 
monien  wiederholt  werden  sollen,  mit  denen  man  jetzt  das  neue  Saeculum 
eröffnet;  zu  Grunde  liegt  offenbar  der  Gedanke,  dass  das  Unheil,  unter 
dem  man  gegenwärtig  leidet,  die  sacral  gesicherte  Grenze  der  Zeiten  nicht 
überschreiten  könne  und  darum  vom  neuen  Saeculum  ausgeschlossen  bleibe. 
Die  Ceremonie,  durch  die  man  die  Scheide  zweier  Saecula  bezeichnet,  kann 
verschiedener  Art  sein.  Die  älteste  Reihe  römischer  saecula,  die  mit  der 
grossen  Pest  des  J.  291  =  463  begann  und  zu  der  die  Feiern  in  den  J. 
391  =  363  und  491  =  263  gehören,  bringt  den  Gedanken  des  Abschlusses 
einer  Zeitperiode  durch  die  Einschlagung  eines  Nagels  in  die  Seitenwand 
der  cdla  lovis  auf  dem  Capitol  am  Stiftungstage  des  Tempels  (13.  Sept.) 
zum  Ausdruck ;  ^)  eine  neue  Reihe,  beginnend  im  J.  505  =  249  unter  dem 
Drucke  unglücklicher  Ereignisse  im  Kriege  mit  Karthago  sowie  erschrecken- 
der Vorzeichen  und  fortgesetzt  in  der  um  drei  Jahre  verschobenen  Feier 
des  J.  608  =  146,^)  vollzieht  sich  in  der  Form  einer  nach  griechischem 
Ritus  auf  Anordnung  der  sibyllinischen  Bücher  begangenen  Totenfeier  für 
das  abgelaufene  Saeculum  durch  die  an  der  ara  Ditis  in  Tarento  gefeierten 
ludi  Tarentini  und  nächtliche  Opfer  (s.  oben  S.  255  f.).  Griechisch  ist  der 
ganze  Akt  auch  bei  seiner  Neubegründung  durch  Augustus  im  J.  737  =  17 
geblieben,  wenn  auch  der  Charakter  der  Feier  ein  völlig  änderer  wurde, 
indem  diese  sich  in  erster  Linie  an  die  obersten  Schutzgottheiten  des 
Staates  und  des  Kaisers,  Juppiter  0.  M.  und  Juno  Regina,  Apollo  und 
Diana  vom  Palatin,  wendete  und  aus  einer  Totenfeier  zu  dem  Eröffnungs- 
feste ^)  einer  neueren  besseren  Zeit  wurde  (s.  oben  S.  68);  abweichend  von 
der  früheren  Übung  wird  dieser  augusteischen  Saecularfeier  im  Anschlüsse 
an   eine  damals   in  Rom  eindringende  griechische  Anschauung  von  den 


^)  Saeculum  est  spatium  vitae  humanae 
longissimum  partu  et  morte  definitum  Cen- 
8or.  17,  2;  daher  die  tibliche  Aufforderung 
durch  den  Herold  ad  ludos,  quos  nee  spec- 
tasset  quisquam  nee  spectaturus  esset  (Suet. 
Claud.  21.  CIL  VI  877  II  6.  Act.  lud.  saec. 
Aug.  Z.  56.   Zosim.  U  5,  1). 

«)  K.  L.  Roth,  Rhein.  Mus.  VIII  1853, 
865  ff.  MoMMSEN,  Rom.  Ghronol.  S.  172  ff.; 
Eph.  epigr.  Vin  p.  237  ff.  Marquabdt,  Rom. 
Staatsverw.  II I  886  ff.  G.  Conrad,  De  sae- 
culo  Romanorum,  Gymn.  Progr.  Posen  1900. 

»)  Liv.  VII  3,  3  ff.  Fast.  Cap.  z.  J.  391 
u.  491  (CIL  P  p.  20.  22).  Mommse»,  Rom. 
Chronol.  S.  176  ff.;  mehr  bei  v.  Pbemerstein 
in  Paüly-Wissowas  Real-Encycl.  IV  2  ff., 
der  aber  mit  Unrecht  zu  der  alten  Ansicht 
zurückkehrt,  dass  die  Nageleinschlagung  all- 
jährlich erfolgt  sei.  Der  Dictator  clavi  figendi 
causa  im  J.  423  =  331  bei  Liv.  VIII  18, 12  f. 


beweist,  auch  wenn  er  nicht  apokryph  sein 
sollte,  nichts  gegen  den  Saeculamagel,  da 
die  gleiche  Zeremonie  unter  Umständen  auch 
ausserordentlicherweise  angeordnet  werden 
konnte.  Im  allgemeinen  s.  über  die  sym- 
bolische Bedeutung  der  Nageleinschlagung 
oben  S.  234  A.  8  und  E.  Eühkebt  in  Pault- 
WissowAS  Real-Encycl.  IV  2374. 

*)  Censorin.  17,  8.  10  f.  Liv.  ep.  XLIX. 
Zosim.  II  4,  1.  2.  Schol.  Cruq.  zu  Hör.  es.  1. 
August,  c.  d.  ni  18. 

5)  Darum  fasst  Vergil.  Aen.  VI  762 
Augustus  Caesar  Divi  genus  aurea  condet 
saecula  und  mit  ihm  Stat.  silv.  IV  1,  37  die 
Wendung  saeculum  condere  als  Begründung 
eines  (neuen)  Saeculum  auf,  während  sie 
ursprünglich  die  Beisetzung  des  (alten)  Sae- 
culum bedeutete,  vgl.  Useneb,  Rhein.  Mus. 
XXX  1875,  204  ff. 


68.  Die  FestKeiten. 


365 


Weltaltern  und  der  Palingenesie  ein  saeculum  von  110 jähriger  Dauer  zu 
Grunde  gelegt,  dessen  Einführung  in  Rom  man  mit  Hilfe  eines  fingierten 
Stammbaumes  so  hoch  hinauf  datierte,  dass  die  augusteische  Feier  als  die 
fünfte  in  dieser  Reihe  und  damit  als  die  Erfüllung  der  auf  den  Schluss 
der  4  X  11^0  Jahre  umfassenden  Periode  angesetzten  Wiedergeburt  erschient) 
Diese  augusteische  Feier  ist  in  Abständen  von  je  110  Jahren  durch  Do- 
mitian  im  J.  841  =  88  n.  Chr.  (statt  847  =  94  n.  Chr.)«)  und  durch  Sep- 
timius  Severus  im  J.  957  =  204  von  neuem  begangen,')  im  J.  1067  =  314 
aber  unterlassen  worden,^)  während  nebenher  eine  andere  Serie  von  Saecu- 
larfeiem  lief,  die  an  die  hundertjährige  Wiederkehr  des  Gründungstages 
der  Stadt  Rom  anknüpften  und  demgemäss  in  den  Jahren  800  =  47,^) 
900  =  147«)  und  namentlich  1001  =  248  (mit  einjähriger  Verschiebung) ') 
zur  Ausführung  kamen ;  die  Festlichkeiten  der  ersten  Reihe  wurden  weiter- 
hin in  dem  durch  Augustus  eingeführten  Ceremoniell  begangen,^)  ob  die 
Jahrhundertfeiern  der  Stadt  einen  anderen  Festritus  zu  Grunde  legten, 
wissen  wir  nicht,  jedenfalls  wurden  offiziell  die  beiden  Reihen  jede  für 
sich  gezählt.  9) 

Litteratur:  B.  Bbissonius,  De  formnlis  et  soUemn.  pop.  Rom.  verbis  I  1—69. 
ScBEiFFBLB  in  Paults  Real-Eücycl.  VI  474  ff.  665  ff.  E.  Lübbebt,  Gommentaiiones  pontifi- 
calea  (Berolini  1859)  S.  79  ff.    MABgüABDT,  Staatsverw.  III  121  ff.  169  ff. 

68.  Die  Festzeiten.  Die  Darbringungen,  durch  die  sich  die  Verehrung 
des  Sterblichen  gegenüber  der  Gottheit  und  die  Anerkennung  seiner  Ab- 
hängigkeit von  ihr  äussert,  bestehen  nicht  nur  in  der  Vollziehung  be- 
stimmter gottesdienstlicher  Handlungen,  sondern  auch  in  der  Überweisung 
bestimmter  Zeiten  und  Zeitabschnitte  in  das  ausschliessliche  Eigentum  der 
Götter:  ebenso  wie  er  ein  Opfer  darbringt  oder  ein  Weihgeschenk  spendet. 


1)  Gensor.  17,  10  f.  Da  nach  der  Theorie 
von  den  4  Weltaltem  die  Feier  des  Augustus 
notwendig  die  fünfte  sein  musste,  waren  damit 
die  Termine  der  angeblieh  vorangegangenen 
Saecularfeiem  und  der  Anfangspunkt  der 
ganzen  Reihe  (298  u.  c.  =  456  v.  Chr.)  ge- 
geben, und  man  darf  sich  an  der  Thatsache, 
dass  dieser  Anfangspunkt  auf  ein  bedeutungs- 
loses Jahr  fällt,  nicht  stossen,  wie  dies 
Th.  Bbrok,  Augusti  ind.  rer.  a  se  gest.  S.  75  ff. 
und  0.  HiBSCHFBLD,  Wiener  Studien  III  1881, 
99  ff.  thun.  Dass  die  Feier  von  Augustus 
ursprünglich  für  ein  früheres  Jahr  geplant 
war  und  mehrfach  verschoben  wurde  (s.  da- 
zu auch  E.  Norden,  Rhein.  Mus.  LIV  1899, 
491  f.),  hat  damit  nichts  zu  thun;  in  der 
Ansehung  der  früheren  Saecula  macht  sich 
dieses  Schwanken  nur  insofern  geltend,  als 
sie  auf  eine  erst  im  J.  738  =16  abzuhal- 
tende Feier  berechnet  sind,  die  nachher  um 
ein  Jahr  vorgeschoben  wurde. 

')  Tac.  ann.  XI 11.  Suet.  Dom.  4.  Gensor. 
17, 11.  Stat.  silv.  IV  1,  88.  Martial.  IV  1,  7. 
X  68,  3.  Zosim.  U  4,  8.  H.  Dbbssel,  Ephem. 
epigr.  VIII  p.  310  ff. 

')  Censorin.  17,  11.  Herodian.  III  8,  10. 
Zosim.  II  4,  8.  Mommsbn,  Ephem.  epigr.  VIII 
p.  274  ff. 


^)  Zosim.  II  7;  auch  das  Jahr  1100  der 
Stadt  (=  347  n.  Chr.)  wurde  nicht  mehr  ge- 
feiert, vgl.  Vict.  Gaes.  28,  2;  über  Münzen 
des  Gallien  und  Maximian  mit  der  Aufschrift 
saecularea  Äug,  (oder  Augg,)  vgl.  Eokhbl, 
D.N.  V11409f.  VIII  20  ff. 

»)  Tac.  ann.  XI  11.  Suet.  Glaud.  21  (vgl. 
Vitell.  2;  Domit.  4).  Plin.  n.  h.  VII  159. 
VIII  160.  Gensorin.  17,  11.  Vict.  Gaes.  4,  14. 
Zosim.  II  4,  3. 

•)  Vict.  Gaes.  15,  4. 

')  Vict  Gaes.  28, 1 .  Bist.  aug.  Gord.  33, 2. 
Eutrop.  IX  3.  Gros.  VII  20,  2.  Hieron.  chron. 
a.  Abr.  2262.  Jord.  Rom.  283;  Get.  16,  89; 
vgl.  auch  GIL  VI  488.  Eokhkl,  D.  N.  VII 
823  ff.  K.  J.  Nbüxann,  Der  röm.  Staat  und 
die  allgem.  Kirche  I  245  ff. 

')  Das  beweisen  für  die  Feier  Domitians 
die  Münzen  (H.  Dbbssel  a.  a.  0.),  für  die 
des  Septimins  Severus  die  Bruchstücke  der 
Protokolle,  Eph.  epigr.  VIII  p.  274  ff. 

')  Darum  werden  die  ludi  saecularea 
des  Septimius  Severus  in  den  Protokollen 
als  die  siebenten  bezeichnet  (s.  Ephem.  epigr. 
VIII  p.  295),  während  sie  für  Gensorin.  17, 
11,  der  beide  Reihen  kombiniert  und  daher 
die  Feier  des  Glaudius  mitzählt,  die  achten 
sind. 


366 


Religion  und  Knltaa  der  Römer.    QI.  Knltoe. 


kann  der  Mensch  auch  auf  sein  Yerfügungsrecht  über  einen  Arbeitstag  zu 
Gunsten  der  Gottheit  Verzicht  leisten,  feriaa  observare;^)  Opfer  oder  son- 
stige sacrale  Akte  können  damit  verbunden  sein,  gehören  aber  nicht  not- 
wendig dazu,  das  Wesen  der  feriae  (im  weiteren  Sinne)  liegt  in  dem  Aus- 
schlüsse der  profanen,  im  Geschäftsinteresse  des  Darbringers  liegenden 
Thätigkeit.^)  Diese  Verzichtleistung  auf  die  profane  Verwendung  eines 
Tages  kann  wie  jede  andere  Darbringung  an  die  Gottheit  erfolgen  entweder 
freiwillig  auf  Grund  eines  Gelübdes  oder  aber  gebotener  Weise  zum  Zwecke 
der  Lustration  oder  der  Lösung  eines  piaculum,  ebensowohl  als  dauernd 
festgelegte  und  in  bestimmten  Abständen  oder  bei  bestimmten  Anlässen 
ständig  wiederkehrende  wie  als  einmalige  und  ausserordentliche  Leistung, 
endlich  sowohl  von  Seiten  eines  Einzelnen  oder  irgend  welcher  Gruppe 
von  Einzelpersonen  mit  privater  Verbindlichkeit  wie  von  Seiten  des  Staates 
im  Namen  aller  seiner  Angehörigen.  Aus  letzterem  Gesichtspunkte  ergibt 
sich  die  grundlegende  Scheidung  von  feriae  publicae  und  feriae  privatae,^) 
von  denen  die  letzteren  wieder  in  ünterabteUungen  sich  gliedern,  je  nach- 
dem der  Darbringende  eine  Einzelperson,  eine  Familie,  eine  Gens  oder 
ein  sonstiger,  künstlich  geschaffener  Verband  ist.  Wenn  die  Flaminica 
(Dialis),  sobald  sie  einen  Donnerschlag  gehört  hat,  feriata  ist  bis  zur  Voll- 


*)  Feriae  (ursprünglich  fesiae,  vgl.  ital. 
fesna  =  Tempel,  Bübchbleb,  Lexic.  Italic, 
p.  IX)  bezeichnet  im  ursprünglichen  weiteren 
Sinne  dasselbe  wie  das  etymologisch  davon 
untrennbare  festus  dies,  in  dieser  Anwen- 
dung kann  also  die  von  Macr.  S.  1 16, 2  ge- 
gebene Definition  der  dies  feati  {feeti  dis 
dicati  8t4nt,  profesti  hominibus  ob  admini- 
atrandatn  rem  privatam  püblieamque  con- 
cessi;  vgl.  Varro  de  1. 1.  VI  12 :  dicam  priiM 
qui  [dies]  dearum  cattsa,  tum  qui  hominum 
sunt  instituti)  ohne  weiteres  auch  auf  die 
fericte  fibertragen  werden,  und  es  ist  ganz 
richtig,  wenn  Fest.  p.  258  {diem  profestum 
diem  sine  feriis  esse)  und  Plin.  n.  h.  TiWilhiO 
dies  profestus  (vgl.  profanus)  und  feriae  in 
Gegensatz  stellen ;  bei  Non.  p.  434  profesti 
sunt  a  festivitate  vacui  ist  das  verwischt. 
Für  die  fericie  publÜMe  hat  sich  dann  der 
Begriff  feriae  verengt  (s.  unten  S.  369),  und 
in  diesem  Sinne  macht  Macr.  1 16, 3  die  feriae 
zu  einer  Unterabteilung  der  dies  festi  und 
scheidet  I  14, 11  si  cui  fere  tertius  ab  Idi- 
b%M  dies  festus  aut  feriatus  fuit;  um- 
gekehrt ist  das  Verhältnis  bei  Paul.  p.  86 : 
ferias  antiqui  fesias  voccibant  et  aliae  erant 
sine  die  festo  ut  nundinae,  aliae  cum  feste 
ut  Saturnaiia,  wo  feriae  der  weitere  Begriff 
ist  (vgl.  auch  ebd.  p.  85  feria  a  feriendis 
victimis  vocata). 

')  Feriarum  festorumque  dierum  ratio 
in  liberis  requietem  habet  litium  et  iurgiorum 
(vgl.  11  19;  de  div.  1 102),  in  servis  operum 
et  laborum  Gic.  de  leg.  II 29.  Für  die  Grund- 
ansehauung  der  feriae  ist  wichtig  die  That- 
sache,  dass  der  Flamen  Dialis  cotidie  feriatus 
est  (Gell.  X  15,  16),  seine  Zeit  ist  also  voll- 


ständig der  Gk)ttheit  und  ihrem  Dienste  ge- 
widmet. Wenn  Macr.  I  16,  3  sagt  festis 
(diebus)  insunt  sacrificia  epulae  ludi  feriae, 
so  sind  damit  nicht  verschiedene  Arten  von 
Festtagen  gemeint,  sondern  die  (natürlich 
nicht  in  jedem  Falle  sämtlich  vertretenen) 
Bestandteile  einer  Festfeier,  die  Arbeitsmfae 
mit  den  jeweiligen  herkömmlichen  Fest- 
bräuchen, das  Opfer,  der  Festschmans  (vgl. 
Paul.  p.  86  quibus  —  nämlich  feriis  — 
adiungebantur  epulationes  ex  praventu  feius 
pecorum  frugumque)  und  die  Festspiele;  so 
scheidet  auch  Dion.  Hai.  IV  49,  2  f.  bei  der 
Beschreibung  des  Latiar  deutlich  ioQxai 
(feriae),  &vßiai,  (sacrificia) ,  cvreüxiacsH 
(epulae),  während  die  Spiele  (ludi  Latinaeque 
Liv.  V  19,  1)  anderweitig  bezeugt  sind  (s. 
oben  S.  109).  Ebenso  steht  in  den  Akten 
der  Saeculaifeier  des  Augustus  (Eph.  epigr. 
Vin  p.  227  ff.)  nebeneinander  Z.  39  loedi 
feriae  sellistemia  (diese  entsprechen  den 
epulae). 

')  Fest.  p.  242:  privatae  feriae  voeantur 
sacrorum  propriarum,  velut  dies  natdles, 
operationes,  denicales,  Macr.  S.  I  16,  7: 
sunt  praeterea  feriae  propriae  famüiarum, 
ut  familiae  6laudiae  vel  Aemüiae  seu  luUae 
sive  Comeliae  et  si  quca  ferias  proprias 
quaeque  familia  ex  usu  domesticae  ceiebri- 
tatis  observat;  sunt  singuilorum,  utinatalium 
fulgurumque  susceptiones ,  item  funerum 
atque  expiationum,  Gate  de  agric.  140:  «t 
. .  fericie  puhlicae  atU  famüiares  intereesse^ 
Hnt  Tertnll.  de  idol.  16:  circa  officia  vero 
privatarum  et  communium  soüemnitaium, 
ut  togae  purae,  ut  sponsalium,  ut  nuptia- 
lium,  ut  nominalium. 


68.  Die  FeBtseiten. 


S67 


Ziehung  des  dafür  vorgeschriebenen  Lustrationsaktes  (donec  placasset  deos) 
oder  wenn  demjenigen,  der  die  Namen  bestimmter  geheimnisvoller  Gott- 
heiten versehentlich  ausgesprochen  hat,  als  piaculum  auferlegt  wird  ferias 
observare  (Macr.  S.  I  16, 8),  so  sind  das  deutlich  feriae  singulorum,  die  nur 
die  eine  betroffene  Person  angehen.  Dagegen  die  Festtage  des  eigent^ 
liehen  Hauskultes,  so  die  Parentalia  und  das  Yerwandtschaftsfest  der 
Caristia  (oben  S.  187),  femer  die  Geburtstagsfeiern  (oben  S.  155)  und  die 
feriae  denicaies^)  nach  einem  Todesfalle,  die  Lustrationsfeiem,*)  z.B.  nach 
einem  innerhalb  des  Grundstücks  niedergegangenen  Blitzschlage,  sowie  alle 
für  Schutz  und  Gedeihen  der  eigenen  Wirtschaft  abgehaltenen  Festfeiern 
gehören  zu  den  feriae  famüiarum,  da  sie  den  ganzen  Hausstand  mit  Ein- 
schluss  des  Gesindes  und  teilweise  auch  der  Haus-  und  Arbeitstiere  an- 
gehen.') Von  den  feriae  der  einzelnen  gentes  (Macr.  S.  I  16,  7  nennt  sie 
ungenau  feriae  familiarum)  wissen  wir  nichts  Näheres,^)  dagegen  sind 
zahlreich  die  Beispiele  für  private  feriae  bestimmter  Verbände  oder  Gruppen 
von  Personen,  z.B.  der  artifices  an  den  Quinquatrus  (S. 203)  und  der  tibi- 
eines  an  den  Quinquatrus  minusculae  (S.  204),  der  mercatores  am  Stiftungs- 
tage des  Mercurtempels  am  Circus  (S.  249)  und  der  aquatores  an  den 
Juturnalia  (S.  183),  der  holüores  an  den  Vinalia  rustica  (3.  235)  und  über- 
haupt aller  coUegia  am  natcUis  ihres  Schutzgottes  und  an  sonstigen  selbst- 
gewählten Gedenktagen;^)  auch  die  Feier  der  Matronalia  durch  die  Haus- 
frauen (S.  116)  und  des  Stiftungsfestes  der  Diana  in  Äventino  (S.  201)  bezw. 
der  Nonae  Caprotinae  (S.  118)  durch  die  Sklaven  bezw.  Sklavinnen  gehört 
hierher.^)  All  diese  feriae  haben  natürlich  nur  für  den  abgeschlossenen 
Kreis  der  Beteiligten  Geltung;  ebenso  wie  nie  eine  Sache  durch  private 
Dedication  zur  res  sacra  werden  kann,  sondern  es  dafür  der  Consecration 
durch  den  Staat  bedarf  (oben  S.  323),  ebenso  kann  auch  der  Staat  allein 
einen  Tag  mit  allgemein  verbindlicher  Rechtskraft  aus  der  Zahl  der  dies 
profesti  einmal  oder  dauernd  streichen  und  dem  Dienste  der  Gottheit  über- 
weisen. Nach  der  allgemein  recipierten  römischen  Vorstellung  hat  der 
Schöpfer  der  römischen  Sacralverfassung,  König  Numa,  wie  das  Ceremonial- 
gesetz  und  die  Priesterordnung  auch  die  Festsetzung  des  Eigentumsrechtes 
der  Gottheit  einerseits,  der  Gemeinde  und  ihrer  Bürger  andererseits  an 


*)  Naiales  und  deniccUes  nennt  Fest, 
p.  242  unter  den  fericie  privatae,  natdles 
und  funerum  susceptümes  Macr.  a.  a.  0.  unter 
den  feriae  singulorum  (f&lschlich).  Ueber 
die  /ertoe  deniccdes,  die  nach  Gell.  XVl  4,  4 
und  Lex  Gol.  Genet.  c.  95  vom  Staate  als 
triftiger  Verhinderungsgrund  fOr  den  zur 
Teilnahme  Verpflichteten  anerkannt  werden, 
vgl.  Paul.  p.  70:  deniccdes  feriae  colebantur, 
cum  Jiominis  mortui  causa  familia  purga- 
batur  und  Cic.  de  leg.  II  55.  Serv.  Georg. 
I  270. 

*)  Solche  meint  Fest.  p.  242  mit  den 
operciianes  und  Macr.  a.  a.  0.  mit  den  ftd- 
gurum  susceptianes  atque  expiationum, 

*)  Cato  de  agric.  132:  eo  die  feriae  bubus 
et  bubulcis  et  qui  dapem  facient.   138:  mtUis 


equis  asinis  feriae  nuüae,  nisi  si  in  fami- 
lia sunt, 

^)  Indes  setzen  Acte  wie  das  saerificium 
gentis  Claudiae  bei  Fest.  p.  238  und  das 
saerificium  statum  in  coüe  Quirinali  genti 
Fdbiue  bei  Liv.  V  46,  2  gewiss  bestimmte 
feriae  der  betreffenden  Gentes  voraus. 

')  Namentlich  an  den  häufig  erwähnten 
Bosaria  und  dem  dies  violae;  vgl.  z.  B.  CIL 
X  444  und  mehr  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw. 
III  811  ff. 

*)  Für  den  Sprachgebrauch  vgl.  Varro 
de  1. 1.  VI  17 :  tibidnes  tum  feriati  vaganiur 
per  urbem,  VI  20:  tum  sunt  feriati  holt' 
tores.  Serv.  Aen.  XII 139:  lutumae  ferias 
celebrant,  qui  artificium  aqua  exercent, 
Polem.  Silv.  z.  7.  Juli:  anciüarum  feriae. 


368 


Religion  und  Knltas  der  BOmer«    m.  Enltne. 


den  Tagen  des  Jahres  ein  für  allemal  vorgenommen ;  an  dieser  Festsetzung 
ist  während  der  Dauer  der  Republik  nichts  geändert  worden,  und  auch 
Caesars  Kalenderreform  hat  zwar  10  Tage  neu  hinzugefügt,  die  rechtliche 
Stellung  der  alten  aber  unangetastet  gelassen,  so  dass  die  erhaltenen  Stein- 
kalender (über  sie  s.  oben  S.  2  f.)  uns  noch  ein  fast  lückenloses  Bild  der 
alten  Jahresordnung  geben.  ^)  Die  den  einzelnen  Tagen  beigeschriebenen 
Siglen  scheiden  die  beiden  grossen  Kategorien  von  Tagen,  die,  welche  den 
Göttern  gehören  und  deren  profane  Verwendung  daher  ein  nefas  bedeuten 
würde,  und  die,  an  denen  es  Rechtens  {fas)  ist,  den  bürgerlichen  und  staat- 
lichen Geschäften  obzuliegen,  also  die  Gruppen  der  dies  nefasti  (n)  und 
dies  fasti  (f);^)  wenn  aber  die  Natur  des  bürgerlichen  Werktages  dem 
Römer  vor  allem  darin  entgegentritt,  dass  er  den  Praetor  auf  dem  Forum 
anwesend  findet,  bereit  den  Parteien  das  Recht  zu  weisen,')  so  muss  der 
Staat  sich  für  den  Fall  einer  Collision  der  Einzelinteressen  und  der  öffent- 
lichen Zwecke  den  Vorrang  sichern  und  hat  sich  darum  an  einer  grossen 
Zahl  von  dies  fasti  ein  Vorrecht  in  der  Art  vorbehalten,  dass  diese  dies 
comüiales  (C)  in  erster  Linie  für  die  Ausübung  des  magistratischen  $1^ 
agendi  cum  populo  reserviert  bleiben  und  nur  dann,  wenn  sie  dafür  nicht 
zur  Verwendung  kommen,  für  die  praetorische  Rechtsprechung  und  das 
bürgerliche  Geschäftsleben  frei  werden.^)  Eine  Mittelstellimg  zwischen 
den  dies  nefasti  und  den  dies  fasti  und  comüiales  nehmen  11  Tage  ein,  in 
welche  sich  ins  divinum  und  humanum  teilen,  einerseits  die  acht  dies  inter- 
cisi  (en,  d.  h.  endotercisi)j  deren  erste  und  letzte  Stunden  nefast  sind, 
während  die  Mitte  dem  profanen  Verkehr  verfügbar  bleibt,'^)  und  die  dies 
fissi  (Serv.  Aen.  VI  37),  die  erst  nach  Vollendung  einer  bestimmten  sacralen 
Handlung  der  privaten  Verwendung  freigegeben  sind.^)  Von  den  nach  Ab- 
zug dieser  11  gespaltenen  Tage  verbleibenden  344  Tagen  des  vorcaesari- 
schen  Jahres  gehören  235  den  Menschen  (davon  192  dies  comüiales)^  109 


')  Unsicher  bleiben  nur  einerseits  die- 
jenigen Tage,  bei  denen  die  verschiedenen 
Exemplare  der  Kalender  in  der  Note  des 
Tagescharakters  von  einander  abweichen, 
andererseits  diejenigen,  die  durch  Ansetzung 
neugeschaffener  feriae  in  der  caesarisch- 
augusteischen  Zeit  zu  Festtagen  gemacht 
wurden,  so  dass  deren  Zeichen  die  alte  Note 
verdrängte.  Vgl.  darüber  Mommsen,  CIL  I^ 
p.  294,  von  dessen  Feststellungen  ich  aus 
Gründen,  die  ich  bei  andrer  Gelegenheit  dar- 
legen werde,  insoweit  abweiche,  als  ich 
glaube,  dass  dem  6.  April  und  dem  14.  Juni 
die  Note  N  (Mommsek  beidemal  F)  und  dem 
15.  Sept.  die  Note  C  (Momxsen  N)  ursprüng- 
lich zukam.    S.  den  Kalender  in  Anhang  I. 

*)  Liv.  1 19, 7:  idem  nefastoa  dies  fastos- 
que,  quia  aliquando  nihü  cum  populo  agi 
utile  futurum  erat 

')  Daher  die  geläufige  Definition  der  dies 
fasti  als  derjenigen,  quibus  licet  fari  prae- 
tori  tria  verha  sollemnia:  do,  dico,  addico 
(Macr.  S.  116,  14;  vgl.  Varro  de  1. 1.  VI  29  f. 
53.  Fast.  Praen.  z.  2.  Jan.  Ovid.  fast.  I  47  f. 


Paul.  p.  93.  Gai.  IV  29  u.  a.). 

*)  Macr.  a.  a.  0. :  comitidles  sunt,  quibus 
cum  populo  agi  licet;  et  fastis  quidem  lege 
agi  polest,  cum  populo  non  potest,  comiHa- 
libus  utrumque  potest;  vgl.  Varro  de  L  1. 
VI  29.  Fast.  Praen.  z.  3.  Jan.  Ovid.  fast.  1 53. 
Paul.  p.  38. 

^)  Intercisi  sunt,  per  quos  mane  et 
vesperi  est  nefas,  medio  tempore  inter  Jwstiam 
caesam  et  exta  porrecta  (s.  darüber  oben 
S.  352  f.)  fas;  a  quo,  quod  fastum  intercedit 
aut  eo  est  interdsum  nefas,  intercisi,  Varro 
de  1.  1.  VI  31 ;  vgl.  Fast.  Praen.  z.  10.  Jan. 
Ovid.  fast.  I  49  ff.  Macr.  S.  1 16,  3. 

*)  Es  sind  die  beiden  Tage  24.  März 
und  24.  Mai,  die  beide  die  Note  Q{uando) 
R{ex)  C(omitiavit)  F{a8)  tragen,  und  der 
15.  Juni  mit  der  Beischrift  Q{uando) 
STiercus)  D{elatum)  f{as).  Ueber  die  Be- 
deutung 8.  Varro  de  1. 1.  VI  31  f.  Fast  Praen. 
z.  24.  März.  Ovid.  fast.  V  727  f.  VI  225  ff. 
und  zu  den  sehr  verstümmelten  Glossen  des 
Fest.  p.  258.  278  (vgl.  Paul.  p.  259.  279) 
MoMMSEN  CIL  I '  p.  289. 


68.  Die  Featzeiteiu 


369 


den  Göttern;  unter  den  letzteren  befinden  sich  sämtliche  Idus,  die  Hälfte 
der  Ealendae  (Februar,  März,  Juni,  Juli,  Oktober,  Dezember),  ^)  ein  Drittel 
der  Nonae  (Februar,  April,  Juni,  Juli)  und  sämtliche  45  durch  Individual- 
namen  ausgezeichnete  Tage,  deren  Bedeutung  als  feriae  publicae  der  älte- 
sten Religionsordnung  früher  (S.  17  ff.  26)  gewürdigt  worden  ist.  Die  Ver- 
teilung dieser  dies  nefasti  über  das  bürgerliche  Jahr  ist  eine  ausserordent- 
lich ungleichmässige :  während  manche  Monate,  wie  der  November  und 
der  September,  nach  der  alten  Ordnung  nur  einen  oder  zwei  Festtage  auf- 
weisen, steigt  die  Zahl  der  letzteren  im  Dezember  auf  10,  im  Juni  auf  11, 
im  Juli  auf  15,  im  Februar  und  April  auf  je  20,  so  dass  in  diesen  Monaten 
die  Zahl  der  Gerichts-  und  Versammlungstage  auf  ein  Minimum  (im  Februar 
sind  es,  von  zwei  dies  intercisi  abgesehen,  nur  sechs)  zusammenschrumpft. 
Dabei  zeigen  sich  grosse  zusammenhängende  Festperioden;  im  Februar 
sind  ohne  Unterbrechung  nefast  die  Tage  vom  1.— 15.,  im  April  vom 
5.-23.,  im  Juni  vom  5. — 14.,  im  Juli  vom  1.— 9.,  im  Dezember  vom  1. — 3. 
Die  Anlässe  der  Festperioden  lassen  sich  nur  zum  Teil  noch  ermitteln; 
im  Februar  sind  es  die  diesem  Monate  eigentümlichen  Lustrationsriten,') 
die  mit  dem  Amburbium  beginnen^)  und  mit  den  Lupercalia  am  15.  (S.  172) 
schliessen,  im  Juni  die  Reinigung  des  Vestatempels  (S.  143),  im  April  und 
Juli  handelt  es  sich  wahrscheinlich  um  agrarische  Fürbitten,  im  April  für 
das  Gedeihen  der  Saaten,  im  Juli  für  die  Abwehr  von  Dürre  und  Trocken- 
heit (vgl.  oben  S.  162  und  250).  Wie  sich  innerhalb  der  dies  fasti  die  dies 
comüiales  als  eine  besondere,  sozusagen  bevorzugte  Klasse  abheben,  so 
stehen  innerhalb  der  dies  nefasti  unter  eigenem  Rechte  die  im  engeren 
Sinne  feriae  pMicae  genannten  Tage,  nämlich  die  45  durch  Individual- 
namen  ausgezeichneten  Tage,  ferner  alle  Idus  als  feriae  lovis  (S.  101),  von 
den  Ealendae^)  die  des  März  (altes  Marsfest,  S.  131),  Juni  (Carnaria,  S.  190) 
und  Oktober  (Tigillum  Sororium,  S.  92),  von  den  Nonae  die  des  Juli  (Nonae 
Gaprotinae,  S.  118),  insgesamt  also  61  Tage.  Die  Anordnung  dieser  feriae 
publicae  innerhalb  der  Jahrestafel  lässt  eine  Reihe  bestimmter  Gesetze 
erkennen.  Mit  Ausnahme  der  Poplifugia  (5.  Juli,  S.  102)  fällt  keines  der 
Feste  in  den  zwischen  Ealendae  und  Nonae  des  Monats  liegenden  Zeit- 
raum, was  damit  zusammenhängt,  dass  ursprünglich  die  Ansetzung  der 
feriae  des  Monats  erst  an  den  Nonae  erfolgte;^)  femer  tritt  der  die  ganze 


1)  Die  Angabe  des  Macr.  S.  I  15,  21 
KctUndas,  Nonas  et  Idus  .  , ,  hi  enim  dies 
praeter  Nonas  fericUi  sunt  ist  also  ungenau. 

*)  Macr.  8. 1  13,  8:  secundum  {tnensem) 
dieavü  Februo  deo,  qui  lustrationum  potens 
credüur;  lustrari  autem  eo  mense  civitatem 
necesse  erat,  quo  statuit  ut  iusta  dis  mani- 
hiM  solverentur;  vgl.  Varro  de  1.  1.  VI  84. 
Ovid.  fast.  II 19  ff.  Paul.  p.  85.  Gensor.  22, 14. 
Solin.  1,  40.  Plut.  Numa  19.  Lyd.  de  mens. 
IV  20.    Non.  p.  114. 

*)  UsBNBBS  Ansetzung  des  Amburbium 
auf  den  2.  Februar,  der  ich  oben  8.  130  und 
Real-Encyd.  1 1817  gefolgt  bin,  hat  das  Be- 
denkliche, dass  der  Tag  ein  dies  postriduanus 
ist  (s.  unten  S.  376);  wahrscheinlich  handelt 
es  sich  dabei  um  feriae  conceptivae,  die  in 

Handbtiob  der  klMu.  Altertiiiunri«eiiaoluft.  T,  4. 


dies  certos  (Macr.  S.  I  16,  6)  d.  h.  auf  einen 
der  ersten  Tage  des  Februar  concipiert  wur< 
den,  ebenso  wie  die  Gompitalia  (s.  oben  S.  149) 
auf  einen  der  ersten  Tage  des  Januar;  dass 
man  dabei  den  dies  postriduanus  nicht  immer 
respektierte,  zeigt  die  Feier  der  Gompitalia 
am  2.  Januar  704  =  50  y.  Ghr.,  Gic.  ad  Att. 
VII  7,  8. 

*)  Nur  die  drei  genannten  Kalendae 
tragen  fOr  sich  alleinstehend  das  Zeichen  des 
dies  nef(uius,  während  die  des  Februar,  Juli, 
Dezember  im  Zusammenhange  längerer  Fest- 
perioden stehen ;  über  Gamaria  und  Tigillum 
Sororium  als  feriae  publicae  vgl.  Wissowa, 
De  feriis  anni  Rom.  p.  XIII,  Aber  die  Nonae 
Gaprotinae  Wissowa,  Real-Encycl.  III  1551. 

*)  Varro  de  1.  1.  VI  28:   in  sacris  No- 

24 


370 


Beligion  nnd.  Kultus  der  ROmer.    IIL  Knltne. 


römische  Zeitrechnung  beherrschende  Glaube  an  die  segenbringende  Ge- 
walt der  ungeraden  Zahl  (Mokmsen,  Ghronol.  S.  12)  darin  hervor,  daas  mit 
Ausnahme  des  in  jeder  Beziehung  rätselhaften  Festes  des  Regifugium^ 
(24.  Februar)  und  der  zweiten  Equirria  (14.  März)  alle  diese  Staatsfeste 
auf  ungerade  Monatstage  fallen.  Es  folgt  daraus,  dass  mit  der  durch  die 
erwähnten  beiden  Ausnahmen  verursachten  Abweichung')  nie  zwei  feriae 
publicae  an  zwei  unmittelbar  auf  einander  folgenden  Tagen  stattfinden, 
sondern  mehrtägige  oder  zusammengehörige  Feste  durch  einen  festfreien 
Zwischenraum  getrennt  werden,  der  meist  drei  Tage,^)  selten  nur  einen 
Tag^)  beträgt.  Erkennbar  ist  femer  die  Häufimg  der  Marsfeste  in  zwei 
parallelen  Gyclen  im  März  und  im  Oktober,  d.  h.  am  Anfang  und  am  Ende 
des  Sommei^eldzugs  (S.  131  f.),  und  die  den  Feldarbeiten  entsprechende 
Verteilung  der  agrarischen  Feste,  die  je  nach  Abschluss  der  einzelnen 
Arbeiten  der  Gampagne  angesetzt  sind,^)  über  die  verschiedenen  Monate, 
von  dem  Feste  der  Winteraussaat  (Satumalia,  17.  Dezember)  bis  zu  den 
Feiern  der  Ernte  (Gonsualia,  21.  August)  und  Weinlese  (19.  August),  wenn 
auch  durch  die  langandauernde  Gonfusion  und  willkürliche  Gestaltung  des 
bürgerlichen  Kalenders  die  Daten  mancher  solcher  Feste  mit  der  natür- 
lichen Zeit  nicht  mehr  übereinstimmten.^)  Ein  Zusammenfallen  mehrerer 
Feste  auf  einen  Tag  findet  sicher  statt  am  15.  Mäi'z  (Idus,  d.  h.  feriae  lonis, 
und  feriae  Annae  Perennae,  S.  101.  194),  17.  März  (Agonium  Martiale  und 
Liberalia,  S.  131.  243),  15.  Oktober  (Idus,  d.  h.  feriae  lovis,  und  Equos  Oo- 
tober,  S.  101.  131)  und  23.  Dezember  {feriae  lovis  und  Larentalia,  S.  102. 


naltbas  in  arce,  quod  tunc  ferias  publicas 
(so  wird  f&r  das  überlieferte  primas  zu 
schreiben  sein)  tnenstruaa,  quae  futwrae  sinl 
eo  mense,  rex  edicit  popülo;  vgl.  VI  13. 
Macr.  I  15, 12. 

>)  Fast.  Praen.  z.  24.  Mftrz.  Ovid.  fast. 
II  685  ff.  V  727  f.  Paul.  p.  279.  Plut.  Qu. 
Rom.  63.  Der  Tag  ist  wohl  ebenso  als 
Nachtag  zu  den  Terminalia  (23.  Februar)  zu 
betrachten,  wie  die  beiden  mit  Q  •  R  •  C  •  F 
bezeichneten  Tage  zu  den  beiden  Tubilustria 
(s.  oben  S.  368  A.  6  und  unten  S.  372);  dass 
auch  beim  Regifugium  das  comiHum  (vgl. 
quando  rex  comitiavit)  eine  Rolle  spielt, 
zeigt  Plut.  a.  a.  0.,  und  dass  alle  drei  Tage 
auf  den  24.  Monatstag  fallen  (Februar,  März, 
Mai)  ist  schwerlich  ein  Zufall. 

')  Die  Folge  Equirria  14.  Mftrz,  Idus 
feriae  lovis  15.  März  (zugleich  feriae  Ännae 
Perennae,  8.  194)  könnte  man  ja  vielleicht 
so  auffassen,  dass  die  erstgenaunte  Feier  die 
Vorfeier  der  zweiten  wäre  (vgl.  darüber 
unten  S.  372) ;  aber  die  nicht  zu  bezweifelnde 
Beziehung,  in  der  diese  Equirria  zu  dem 
Opfer  des  Oktoberrosses  am  15.  Oktober 
stehen  (oben  S.  131  f.),  lassen  es  sehr  wahr- 
scheinlich erscheinen,  dass  auch  sie  ur- 
sprünglich auf  die  Idus  fielen  und  aus  einem 
nicht  mehr  nachweisbaren  Grunde  eine  Ver- 
schiebung stattfand.  Wissowa,  De  feriis 
anni  Rom.  p.  IX,  anders  Moxmsen  CIL  I^ 
p.  332. 


*)  Garmentalia  11.  15.  Jan.;  Quinquatma 
19.,  Tubilustrium  23.  März;  Fordicidia  15., 
Cerialia  19.  April;  Gonsualia  21.,  Opioonsivia 
25.  August;  £fquus  October  15.,  AnmloBtrinm 
19.  Oktober;  Gonsualia  15.,  Opalia  19.  Dez. 
u.  a.,  Wissowa  a.  a.  0.  p.  VIII  ff.  Der  dop- 
pelte Abstand  (sieben  Tage  d.  h.  zweimal 
post  diem  quintum)  liegt  zwischen  den  bei- 
den Tagen  der  (conceptiven)  Feriae  Semen- 
tivae  (Lyd.  de  mens.  III  6). 

*)  Lucaria  19.  21.  Juli,  Lemuria  9.  11. 
13.  Mai  (doch  liegt  hier  der  dreitägige  Zwi- 
schenraum zwischen  dem  ersten  und  letzten 
Tage),  vielleicht  auch  Poplifugia  5.,  Nonae 
Gaprotinae  7.  Juli. 

^)  Gic.  de  leg.  II 19:  feriis  iurgia  anuh 
vento  easque  m  famulis  operibua  patratis 
hahento;  idque  ut  ita  ccuUU,  in  annttie  an- 
fractibus  descripttwi  esto;  vgl.  II  29:  quas 
(feriae)  compositio  anni  conferre  debet  ad 
perfectionem  operum  rusticorum, 

^)  Gic.  a.  a.  0.  II  29 :  quod  ad  temptu 
ut  sacrificiorum  libamania  aerventur  fehu- 
que  pecorum  -  .  ,,  düigenter  Jiabenda  ratio 
intercalandi  est;  quod  insHtutum  perüe  a 
Numa  posteriorum  pontificum  neglegenHa 
dissolutum  est  (vgl.  Antiaa  bei  Maor.  118, 20). 
Suet.  Gaes.  40:  fastos  correxit  iam  pridem 
vitio  pontificum  per  interccdandi  UcenÜam 
adeo  turhatos,  ut  neque  messium  feriae 
aestati  neque  vindemiarum  auctuvmo  com- 
peterent.    Vgl.  Mohkssn,  Ghronol.  S.  69  ff. 


68.  Die  Festseiten. 


371 


188);  die  Ealendarien  notieren  in  diesem  Falle  fast  stets  nur  einen  Na- 
men, 0  ebenso  fällt  der  Festname  ganz  fort,  sobald  er  mit  den  Kaien  dae, 
Nonae  oder  Idus  zusammentrifift,  was  sich  aus  der  Bestimmung  der  Kaien- 
darien  für  den  praktischen  Gebrauch  des  Datierens  (sie  geben  die  civilia 
vocabula  dierum,  Varro  de  1. 1.  VI  12)  vollkommen  erklärt.  In  den  Aufzeich- 
nungen der  Steinkalender  sind  die  Tage  der  feruie  publicae  von  den  übrigen 
dies  nefasti  ebenso  geschieden  wie  die  comitiales  von  den  fctöti]  wie  hier 
die  Note  C  neben  F,  so  steht  in  der  Bezeichnung  der  Feiertage  neben 
der  gewöhnlichen  Note  N  in  weitaus  den  meisten  Steinkalendern  eine 
andere  von  der  Form  N=>,^)  die  offenbar  zur  Hervorhebung  der  feriae  pu- 
blicae dienen  soll.  Denn  von  den  oben  erwähnten  61  Tagen  der  feriae 
publicae  tragen  52  dieses  Beizeichen,  und  dieses  findet  sich  bei  keinem 
einzigen  Tage,  den  wir  nicht  auf  Grund  direkter  Zeugnisse  (namentlich 
Varro  de  1. 1.  VI  12  ff.)  oder  sicherer  Combination  als  zu  den  Staatsfesten 
ältester  Ordnung  gehörig  nachweisen  können.  Noch  nicht  ermittelt  ist 
freilich  der  Grund,  aus  dem  neun  dieser  ältesten  Staatsfeste,  nämlich  Regi- 
fugium  24.  Februar,  Lemuria  9.  11.  13.  Mai,  Carnaria  1.  Juni,  Vestalia 
9.  Juni,  Matralia  11.  Juni,  Nonae  Caprotinae  7.  Juli,  Tigillum  Sororium 
1.  Oktober  nicht  die  Note  N=>,  sondern  N  tragen.')  Die  nach  vielen  ver- 
geblichen Deutungsversuchen  des  Zeichens  N=>^)  jetzt  meistenteils  ange- 
nommene Auffassung  Mohhsens,  wonach  die  Siglen  N  und  N=>  eine  Scheidung 
in  nefasti  tristes  und  nefasti  hüares  begründen  sollen,  scheitert  an  der  That- 
sache,  dass  gerade  Lustrations-  und  Totenfeste  {^tristes  ei  cum  religione 
coniuncti*^  Mohhsen,  CIL  I'  p.  290)  wie  die  Lupercalia  und  Feralia  den 
Charakter  hP  tragen,  während  von  den  mit  N  bezeichneten  feriae  die  Vestalia 
und  die  Nonae  Caprotinae  in  historischer  Zeit  gerade  zu  den  ^hilares  et 
populari  laetitia  celebrandae*^  gehören.^)  Ausserdem  zeigt  sich  eine  nähere 
Verbindung  zwischen  den  N  und  N=>-Tagen  darin,  dass  alle  diejenigen  N- 


')  Nur  zum  17.  März  haben  die  fasti 
Caeretani  und  Vaticani  L\B(eralia)  und 
AGON(»um)  nebeneinander,  während  die 
übrigen  Kalender  nur  den  ersteren  Namen 
geben  und  dieser  auch  allein  zur  Datierung 
gebraucht  wird,  s.  Wissowa,  De  feriis  p.  XI  f. 

')  In  den  fasti  Pinciani  und  Venusini 
sind  alle  dies  nefasti  ohne  Unterschied  nur 
mit  N  bezeichnet,  die  fasti  Pighiani  haben 
anstatt  N'  die  Form  M=;  nimmt  man  hinzu, 
dass  in  drei  Fällen,  nämlich  bei  den  Feralia 
(F*  P  Gaer.,  F  Maff.)  und  den  beiden  Vinalia 
am  23.  April  (F  •  P  Gaer.,  F  Praen.,  N=>  Maff.) 
und  19.  August  (F  *  P  Maff.  Amit.,  F  Antiat. 
Allif.,  hP  Vall.)  anstatt  hP  die  Variante  FP 
vorkommt,  die  kaum  eine  andere  Deutung 
zulässt  als  F{ericie)  P{iU)li€ae),  so  gewinnt 
die  von  Soltau  (Jahrb.  f.  Philol.  CXXXVII 
1888,  83(5)  ausgesprochene  Vermutung,  dass 
die  Note  ursprünglich  N  *  F  *  P  d.  h.  nefas, 
feriae  publicae  (auch  die  Siglen  N  und  F 
sind  in  nefas  und  fas,  nicht  nefastus  und 
fastua  aufzulösen)  gelautet  habe,  grosse 
Wahrscheinlichkeit;  darauf  führt  auch  die 
verstümmelte  Glosse  des  Festus  p.  165*'  17, 


wo  für  das  überlieferte  nep  (NEP)  nicht  N' 
zu  lesen  sein  wird,  sondern  N  *  F  *  P. 

')  Immerhin  mag  notiert  werden,  dass 
für  6  dieser  Tage  (9. 11. 13.  Mai,  1.  9. 11.  Juni) 
der  Gharakter  N  nur  auf  dem  Zeugnisse  der 
Fasti  Maffeiani  beruht,  da  die  sonst  noch  in 
Betracht  kommenden  Fasti  Venusini  N  und 
N'  nicht  scheiden  (s.  oben  Anm.  2),  und 
dass  der  1 .  Oktober  in  den  Fasti  Arval.  das 
Zeichen  tP  trägt  (N  Maff.  Paul.  Amit.). 

^)  MAsguABDT,  Staatsverw.  III  292. 
MoiocsBN  GIL  I  *  p.  289  f. 

')  Für  die  Vestalia  genügt  es,  auf  die 
pompejanischen  Bilder  (Helbio,  Wandgem. 
nr.  777.  Maü,  Rom.  Mitt.  XI  80;  Pompeji 
S.  328)  zu  verweisen,  für  die  Nonae  Gapro- 
tinae  beweist  es,  abgesehen  von  den  Schil- 
derungen des  Festes  selbst  (Real-Encvcl.  III 
1552),  der  am  folgenden  Tage  (8.  Juli)  sich 
anschliessende  Akt  der  Vüi^latio  (Macr.  S. 
m  2,  14),  der  sicher  ein  freudiger  Opferakt 
ist  (Varro  etiam  in  libro  quinto  decimo 
rerutn  divinarum  ita  refert,  qtwd  pontifex 
in  sacris  quibusdam  vitulari  soleai,  qiiod 
Graeci  naiaylCeiy  vocant,  Macr.  a.  a.  0.  11). 

24* 


372 


Beligion  nnd  Knltne  der  ROmer.    m.  Kultus. 


Tage,  die  nicht  entweder  selbst  ferias  publicae  sind  oder  in  eine  längere 
geschlossene  Reihe  von  dies  nefaMi  gehören,  unmittelbar  vor  fer%€ie  publicae 
stehen,  ^)  und  da  ausserdem  sämtliche  8  dies  intercisi  Vortage  von  solchen 
Staatsfesten  sind,^)  so  werden  wir  beide  Oruppen  im  gleichen  Sinne  auf- 
zufassen haben  als  Tage,  die  für  die  Vorbereitung  der  am  nächsten  Tage 
abzuhaltenden  feriae  publicae  teils  ganz  teils  nur  bruchstückweise  vom  pro- 
fanen Geschäftsbetriebe  eximiert  sind:  es  dürfte  nicht  allzu  gewagt  sein, 
diese  Vorfeiern  unter  den  überlieferten  Terminus  feri(ie  praecidaneae  zu 
stellen.^)  Ganz  analog  sind  die  dies  fissi  (oben  S.  368)  Nachtage,  die  beiden 
mit  Q{uand6)  R{ex)  C{omüiavU)  F{as)  bezeichneten  Nachtage  der  beiden 
Tubilustria  am  23.  März  bezw.  23.  Mai,  der  mit  der  Note  Q{uando)  ST{ercus) 
D{elatum)  F{as)  der  Schlusstag  der  Reinigungszeit  desVestatempels  (S.  148), 
also  Tage,  die  noch  mit  ihrer  ersten  Hälfte  zu  der  vorausgehenden  Feier- 
tagszeit gehören.^) 

Die  Festtafel  des  Kalenders  enthält  nicht  alle  Staatsfeste.  Aus- 
geschlossen sind  zunächst  diejenigen  feriae  publicae,  die  nicht  vom  Volke 
als  Gesamtheit  {pro  populo),  sondern  getrennt  in  seinen  verschiedenen 
Unterabteilungen  begangen  werden  (s.  oben  S.  335).  Ein  Musterbeispiel 
dafür  ist  das  auf  den  11.  Dezember  fallende  Fest  des  Septimontium,^)  wel- 
ches die  sieben  alten  Berggemeinden  einer  älteren  Stadtform  an  einem 
Tage,  aber  jede  für  sich  getrennt,  feierten ;  ein  Staatsfest  war  es,  obwohl 
diese  ältere  Stadtform  längst  durch  die  Wirklichkeit  überholt  war,  ebenso 
wie  die  von  Haus  aus  auf  das  antiquum  oppidum  Palatinum  beschränkten 
Lupercalia,  aber  die  Fasten  verzeichnen  es  nicht,  ^)  sondern  notieren  nur 
ein  zufällig  auf  den  gleichen  Tag  fallendes  Agonium,  von  dem  wir  nicht 
wissen,  welchem  Gotte  es  galt.^)  Die  sacralrechtlich  dem  Septimontium 
gleichartigen  Feste  der  pagi,  compUa  (saceUa,  s.  oben  S.  335  A.  2)  und  curiae^ 
nämlich  die  Paganalia,^)  Compitalia  (S.  149)  und  Fomacalia  (S.  142),  sind 


1)  Es  sind  die  Tage  22.  März  (vor  dem 
Tubilostrium),  22.  Mai  (ebenfalls),  24.  Juli 
(vor  den  Furrinalia),  12.  Sept.  (vor  den  Jup- 
piierferiae  der  Idos).  Im  Februar  reicht  die 
geschlossene  Reihe  der  N-Tage  vielleicht  nur 
von  den  Kalendae  bis  zu  den  Idus,  so  dass 
der  14.  Februar  mit  seiner  Note  N  als  Vor- 
tag der  Lupercalia  aufzufassen  wäre;  ebenso 
kann  man  im  April  die  N-Tage  am  18.  20. 
22.  als  Vortage  der  Gerialia,  Parilia,  Vinalia 
verstehen  und  die  geschlossene  Periode  nur 
von  den  Nonae  bis  zum  17.  April  rechnen. 

')  Es  sind  10.  und  14.  Januar  (Carmen- 
talia),  16.  Februar  (Quirinalia),  26.  Februar 
und  13.  März  (Equirria),  22.  August  (Vol- 
canalia),  14.  Oktober  und  12.  Dezember  (Idus). 

s)  Ateius  Capito  bei  Gell.  IV  6,  10: 
Tib,  Cortmcanio  pontifici  maximo  feruie  prae- 
cidaneae in  atrum  diem  inauguratae  sunt, 
coUegium  decrevit,  non  hahendum  religioni, 
quin  eo  die  feriae  praecidaneae  essent;  vgl. 
ebd.  §  7 :  praecidaneae  hostiae  dicuntur,  quae 
ante  sacrificia  soUemnia  pridie  caeduntur, 

^)  Umgekehrt  beginnt  die  Trauerzeit  der 
Parentaiia  (oben  S.  187)  erst  um  die  sechste 


Tagesstunde  (also  am  Mittag)  des  18.  Fe- 
bruar, der  Vormittag  bleibt  unberührt,  Lyd. 
de  mens.  IV  24. 

*)  Fest.  p.  348.  340.  Varro  de  1. 1.  Yl  24. 
Plut.  Qu.  Rom.  69.  Lyd.  de  mens.  frg.  CaseoL 
p.  118  Bekk.  und  mehr  bei  Wissowa,  Saiora 
Viadrina  (1896)  S.  1  ff. 

*)  Um  dieses  Fehlen  zu  motivieren, 
nennt  sie  Varro  a.  a.  0.  fericie  nan  popuU 
sed  montanorum  modo,  dass  sie  aber  pubUca 
Sacra  sind,  zeigt  deutlich  Fest.  p.  245. 

')  Beide  Feste  sind  deutlich  geschieden 
bei  Lyd.  a-  a.  0. :  ineriXovy  di  xal  koQxrjv 
Xeyofjiiyfjy  *Jy(oyttXi,a  dafpprjfpoQ^  xal  yera^XB 
'HXl(ü  (welcher  altrömische  Gott  dahinter 
steckt,  vermag  ich  nicht  zu  erkennen) .  .  iy 
tavtjj  xal  ij  Xeyofxiyrj  na^*  ttvttSr  lenr^ 
(jLovvdio^  ioQjtj  inereXetto  u.  s.  w.  Gegen 
MoMMSEKS  Auffassung,  der  diese  Ägonalia 
und  das  Septimontium  identifiziert  und  auf 
Grund  des  Steinmetzfehlers  der  fast.  Amit^ 
AG  IN  (statt  AGON)  lesen  möchte  ^^(onio^ 
In(ui)  (CIL  P  p.  336)  s.  Wissowa  a.  a.  O. 
S.  2f. 

^)  Erwähnt  von  Varro  de  1.  1.  VI  26 


68.  Die  FeatEeitan. 


373 


ausserdem  noch  durch  einen  zweiten  Grund  vom  Kalender  ausgeschlossen, 
indem  es  nicht  ein  für  allemal  auf  einen  bestimmten  Tag  fixierte  Feiern 
sindJ)  Denn  wenn  das  Sacralrecht  drei  Gattungen  von  feriae  unter- 
scheidet, die  feriae  stativae,  conceptivae  und  imperativae,^)  so  haben  von 
diesen  im  Festkalender  nur  die  erstgenannten,  die  feriae  statae  annuae, 
ihren  Platz ;')  die  alljährlich  durch  die  Magistrate  innerhalb  gewisser 
durch  Ritus  und  Tradition  mehr  oder  weniger  genau  bestimmter  Grenzen 
anberaumten  Wandelfeste  {feriae  conceptivae)  ^)  gehören,  abgesehen  von  dem 
Bundesfest  des  Latiar  (S.  109),  fast  durchweg  in  den  Kreis  der  agrarischen 
Kultakte,  für  die  mit  Rücksicht  auf  den  in  jedem  Jahre  verschiedenen 
Stand  der  Felder  und  Feldarbeiten  die  Bindung  an  ein  festes  Kalender- 
datum unratsam  erscheinen  musste,  so  das  Saatfest  (Sementivae,  S.  160),  der 
Flurumgang  (Ambarvalia,  S.  130),  das  Blütenfest  (Florifertum,  S.  164),  das 
Augurium  canarium  (S.  163)  und  gewiss  noch  manche  andere  Feste  verwandter 
Art,  die  eben  darum,  weil  sie  im  Kalender  nicht  verzeichnet  waren,  ver- 
schollen sind.  ^)  Als  Beispiel  der  dritten  Gattung  von  feriae  ^)  führt  Yarro 
(de  1.  1.  VI  26)  die  häufig  erwähnten  feriae  novemdiales  an,  welche  üblicher- 
weise zur  Procuration  des  Prodigiumd  eines  Steinregens  angeordnet  werden 
(oben  S.  328) ;  es  gehören  in  dieselbe  Kategorie  alle  die  zahlreichen  von  den 


unter  dem  Namen  paganiciie  (feriae),  als 
Paganalia  bei  Macr.  S.  I  1 6, 6  und  Dion.  Hai. 
ly  15,  3;  sie  sind  ein  agrarisches  Fest  {agrü 
ctUturcte  causa  ausceptae  Varro  a.  a.  0.)  zu 
Ehren  der  ^Biav  iniaxono^y  ts  xai  (pvkaxaty 
rov  nayov  (Dion.  a.  a.  0.)»  verschieden  so- 
wohl von  den  Feriae  Sementivae  (S.  160), 
mit  denen  sie  oft  zusammengeworfen  wer- 
den, wie  von  der  lustrcUio  pagi  (S.  130). 

^)  Paganalia  und  Compitalia  sind  mehr- 
fach angeführte  Beispiele  aer  feriae  concep- 
tivae (Macr.  Varro  a.  a.  0.,  vgl.  Paul.  p.  62), 
für  die  Fomacalia  s.  Ovid.  fast.  II  527  f.: 
curio  legüimis  nvmc  Fomacalia  verbia  ma- 
ximus  indicit  nee  stata  sacra  facU, 

^)  Feriarum  atUem  publicarum  genera 
sunt  quattuor;  aut  enim  stativae  sunt  aut 
conceptivae  aut  imperativae  aut  nundinaCf 
Macr.  S.  I  16,  5 ;  Varro  de  1. 1.  VI  25  f.  unter- 
scheidet im  gleichen  Sinne  (der  Text  nicht 
ganz  sicher)  feriae  annales  die  siatuiae, 
feriae  annales  nee  die  statutae  =  concep' 
Hvae  und  feriae  conceptivae  quae  non  sunt 
annales  =  imperativae.  Die  von  Macrobius 
zu  den  feriae  gerechneten  Nundinae  (s.  Macr. 
a.  a.  0.  §  28  ff.  Varro  bei  Serv.  Georg.  1 275. 
Fest.  p.  173.  Paul.  p.  85, 8.  Plin.n.h.XVIlI  13. 
Plut.  Qu  Rom.  42)  sind  thatsAchlich  niemals 
im  sacralrechtlichen  Sinne  feriatae  gewesen 
(MoMM SBN,  Ghronol.  S.  245  ff. ;  Staatsr.  111 373) ; 
dass  fiaminica  omnibus  nundinis  in  regia 
lovi  arietem  solet  immolare  (Macr.  a.  a.  0. 
§  80)  beweist  f&r  den  Charakter  der  Nun- 
dinae als  feriae  ebensowenig  etwas  wie  die 
scura  Non€dia  in  arce  (Varro  de  1. 1.  VI  28) 
f&r  die  Nonae. 

*)  Et  sunt  stativae  universi  poptUi  com-  \ 


munes  certis  et  cofwtttutt»  diebua  ac  mensi- 
bus  et  in  fastis  stcUis  observationibus  ad" 
notatae,  Macr.  a.  a.  0.  §  6.  Häufig  verbunden 
statas  sollemnisque  caerimonias  (Gic.  de  har. 
resp.  9;  vgl.  Tusc.  I  113.  Liv.  V  52,  8  u.  ä.), 
worin  soUmnis  die  regelmässige  Wiederkehr, 
Status  die  Bindung  an  ein  festes  Kaien  der- 
datum  bezeichnet;  vgl.  Fest  p.  344 :  stcUa 
saerificia  sunt,  quae  certis  diebus  fieri  debent 
....  sollemnia  sacra  dicuntur,  quae  certis 
temporibus  annisque  fieri  solent, 

*)  Conceptivae  sunt,  quae  quotannis  a 
magistratibus  vel  sacerdotibus  concipiuntur 
in  dies  vel  certos  vel  etiam  incertos,  Macr. 
a.  a.  0.  §  6;  vgl.  Paul.  p.  62.  Die  durch  die 
Worte  condpere  in  dies  certos  (vgl.  Ovid. 
fast.  I  661  f.  von  den  Sementivae:  wtque  dies 
incerta  sacro,  sie  tempora  certa,  seminibus 
iactis  est  übi  fetus  ager)  angedeutete  Be- 
schränkung in  der  Wahl  der  Tage  zeigt  sich 
sowohl  bei  den  Compitalia  (Moiocsbn  CIL  I' 
p.  305)  wie  namentlich  bei  dem  Maifest  der 
Arvalbrader  (Wissowa,  Real-Encycl.  II 1473). 

^)  Das  Fehlen  von  Festen  von  Pomona 
und  Falacer,  die  doch  eigene  Flamines  haben, 
wird  sich  wohl  auf  diese  Weise  erklären. 

')  Imperativae  sunt,  quas  consules  vel 
praetores  pro  arbitrio  potestatis  indicunt. 
Macr.  I  16,  6;  neben  imperare  (z.  B.  Cic.  de 
div.  I  102.  Liv.  XXXVI  2,  2.  öeU.  II  28,  2) 
ist  der  gewöhnliche  Ausdruck  indicere  ferias 
(Serv.  Aen.  111  264:  indicit]  sacrorum  verbo 
usus  est,  nam  supplicationes  et  dies  festi 
indici  dicebantur;  s.  z.  B.  Liv.  III  5,  14. 
XXXIV  55, 1.  4  und  namentlich  die  indictio 
des  sacrum  Deae  Diae,  Eüwzbk,  Acta  fratr. 
Arval.  S.  4  ff.). 


374 


Beligion  nnd  KaltnB  der  Römer,    m.  Knltiu. 


Oberbeamten  auf  Grund  von  Prodigien^)  oder  zu  Bitt-  und  Dankzwecken 
angesetzten  ausserordentlichen  Festtage  und  Supplicationen.')  Alle  feriae 
conceptivae  und  imperativae  machen  selbstverständlich  den  dies  fastus  oder 
eomüialis,  auf  den  sie  angesetzt  werden,  ebenso  zum  dies  nefastus,  wie  die 
ständigen  Jahresfeste.  ^)  Da  bei  allen  dies  nefasti  der  Staat  der  Darbringer 
ist,  so  liegt  ihr  Hauptcharakter  in  der  Femhaltung  aller  nicht  sacralen 
staatlichen  Thätigkeit,  also  im  Ruhen  sowohl  des  ifis  agendi  cum  populo 
als  der  Civilrechtsprechung,^)  auch  der  Kriegführung,  soweit  es  sich  wenig- 
stens um  Offensive  handelt;*)  aber  auch  von  allen  seinen  Bürgern  ver^ 
langt  der  Staat,  wenn  auch  nicht  an  allen  dies  nefasti,  so  doch  an  allen 
feriae  publicae^)  Arbeitsenthaltung  oder  doch  wenigstens  Einschränkung 
der  Werktagsarbeit  auf  die  Erledigung  des  ünerlässlichen.^)  Freilich  ge- 
rieten diese  sacralrechtlichen  Forderungen  in  historischer  Zeit  bei  ge- 
steigertem Verkehr  und  Wirtschaftsbetrieb  mit  den  Anforderungen  des 
Lebens  in  heftigen  Conflikt;  man  gefiel  sich  infolgedessen  nicht  nur  darin, 
in  sehr  verzwickter  Casuistik  alle  möglichen  Arbeiten  als  auch  am  Feiertage 
gestattet  nachzuweisen, b)  sondern  die  überlieferte  Bestimmung,  dass  be- 
stimmte Priester  an  Feiertagen  die  Vornahme  einer  Werktagsarbeit  nicht 
sehen  durften  und  daher  durch  einen  vorantretenden  Herold  ihr  Nahen  ver- 
künden Hessen,  den  dennoch  bei  der  Arbeit  Betroffenen  aber  in  Geldstrafe 
nahmen,^)  ist  wohl  so  aufzufassen,  dass  sich  der  Staat  mit  der  Aufgabe, 
die  Bürger  zur  Festtagsruhe  anzuhalten,  nach  dem  Prinzipe  quod  ego  non 
sensi,  nullum  mihi  vitium  facit  (Cato  bei  Fest.  p.  234)  abfand;   die  sacrale 


')  z.  B.  nach  Erdbeben  Liy.  XXXIV  55, 
1.  4.  XXXV  40,  7.  GeU.  II  28,  2.  Suet.  Claud. 
22,  aber  auch  sehr  oft  sonst,  z.  B.  Liv.  III 
5,14.  XL  19,  5.  XLI21,ll.  XLII2,7.  20,6. 

*)  MoMKSSN,  Staatsr.  II  128. 

')  Varro  de  1. 1.  VI  29:  comüidles,  quod 
tum  ut  esset  populus  constitutum  est  ad 
s\ifjragiuin  ferundum,  nisi  si  quae  feriae 
conceptae  essentj  propter  quas  non  liceret. 
Conceptionsfonnel  der  Gompitalia  bei  Gell. 
X  24,  3:  Dienoni  populo  Romano  QuiritibtM 
Compitalia  erunt ;  quando  conceptae  fuerint, 
nefas,  Cic.  de  div.  I  102:  inque  feriis  im- 
perandis,  ut  litibus  et  iurgiis  se  ahstinerent 
{imperahatur). 

*)  Daher  ist  indictio  feriarum  ein  be- 
liebtes Mittel  magistratischer  Obstmktions- 
politik  in  der  Revolutionszeit,  z.  B  Cass.  Dio 
XXXVIII  6,  1.  Cic.  ad  Qu.  fr.  II  6,  4. 

*)  Fest.  p.  226 :  proeliares  dies  appellan- 
tut,  quihus  fas  est  hostem  hello  lacessere; 
erant  enim  quaedam  feriae  puhlicae,  quibus 
nefas  fuit  id  facere.     Varro   bei  Maor.  S. 

I  16,  19:  vtros  vocare  feriis  non  oportet;  si 
vocavit,  piaculum  esto  (vgl.  ebd.  §  20);  anders 
eine  Entscheidung  Trajans  bei  Ulpian.  Dig. 

II  12,  9:  ferias  a  forensihus  tantum  negotiis 
dare  vacationem,  ea  autem,  quae  ad  dis^ 
ciplinam  müitarem  pertinent,  etiam  feriaiis 
diebus  peragenda. 

*)  So  mnss  man  es  auffassen,  wenn 
schlechthin  von  ferias  polluere  (Gell.  II  28,  3. 


Macr.  I  16,  9.  Serv.  Georg.  I  268)  oder  quod 
feriis  fieri  non  licet  (Fest  p.  253)  a.  fthnl. 
die  Rede  ist,  da  ein  Verhältnis  von  109 
ganzen  und  11  halben  Feiertagen  zu  235 
Werktagen  doch  undenkbar  ist.  So  gemeint 
ist  vielleicht  Serv.  Georg.  I  268:  sane  feriis 
terram  ferro  tangi  nefas  est,  quia  feriae 
deorum  causa  instituuntur,  festi  dies  homi- 
num  quoque. 

^)  Macr.  I  16,  9:  adfirmabant  autem 
sacerdotes  poUui  ferias,  si  indictis  concep- 
tisque  opus  aliqu^d  fieret;  dann  folgen  die 
Ausnahmen,  insbesondere  opus  vel  ad  deos 
pertinens  sacrorumve  causa  vel  aliquid  ad 
urgentem  vitae  necessitatem  respiciens  (§  10) 
oder  allgemein  quod  praetermissum  noceret ; 
bei  Serv.  Georg.  I  270  kommt  hinzu  quicquid 
fieri  sine  institutione  novi  operis  potest  (vgl. 
Macr.  I  15,  21.  III  2,  11). 

^)  Verzeichnis  der  gestatteten  ländlichen 
Arbeiten  bei  Cato  de  agric.  2,  4  (vgl.  Plin. 
n.  h.  XVIII  40).  Verg.  Georg.  I  268  ff.  Colum. 
II  22.  XT  1,  20;  vgl.  auch  die  in  der  vorigen 
Anm.  angeführten  Stellen. 

•)  Macr.  I  16,  9:  praeterea  regem  sacrO" 
rum  flaminesque  non  licehat  videre  feriis  opus 
fieri;  et  ideo  per  praeconem  denuntidbant, 
ne  quid  tale  ageretur,  et  praecepti  neglegens 
multdbatur;  ebenso  Fest.  p.  249  (flaminxbus 
Diali  Quirinali  Martiali).  Paul.  p.  224  {fla- 
minibus) ;  vgl.  Serv.  Georg.  I  268  {pontifices). 
Flut.  Qu.  Rom.  25  [ol  legets). 


68.  Die 


375 


Verpflichtung  des  Übertreters  zur  Darbringung  eines  Piacularopfers  0  wird 
dadurch  nicht  berührt,  doch  kümmert  sich  der  Staat  darum  nicht.  Auf 
der  anderen  Seite  sind  aber  manche  Feste  viel  ausgedehnter  gefeiert 
worden,  als  die  offizieUe  Ansetzung  es  verlangte;  um  von  den  Spieltagen 
hier  abzusehen,  über  welche  im  folgenden  Abschnitte  zu  handeln  sein  wird, 
geben  dafür  interessante  Beispiele  die  Gompitalia,  Quinquatrus  und  Satur- 
nalia,  alles  von  Haus  aus  eintägige  feriae;  aber  die  Gompitalia,  ein  wegen 
der  Üppigkeit  des  Schmausens  und  Poculierens  (unda  Compüalia  Yerg. 
catal.  18,  27;  vgl.  Gate  de  agr.  57)  namentlich  beim  Gesinde  sehr  populäres 
Fest,  wurden  in  Augustus'  Zeit  bereits  durch  drei  Tage  gefeiert  (Fest.  p.  254) 
und  haben  im  Kalender  des  Philocalus  offizielle  Anerkennung  dieser  Aus- 
dehnung (8. — 5.  Januar)  gefunden;  das  Gildefest  der  Quinquatrus  war  auf 
Grund  einer  falschen,  aber  den  festfreudigen  Handwerkern  sehr  gelegen 
kommenden  Etymologie  schon  im  J.  586  =  168  auf  fünf  Tage  (19.— 28.  März) 
ausgedehnt  worden,^)  die  Satumalia  aber,  der  optimus  dierum,  füllten  — 
ohne  dass  der  staatliche  Kalender  einen  anderen  Tag  als  den  17.  Dezember 
anerkannt  hätte  —  im  letzten  Jahrhundert  der  Republik  volle  sieben  Tage,') 
und  die  Kaiser  des  ersten  Jahrhunderts  haben  der  Vorliebe  des  Volkes  für 
diese  Feier  durch  Verlängerung  der  Gerichtsferien  erst  auf  drei,  dann  auf 
fünf  Tage  nachgegeben.^)  Hand  in  Hand  damit  mag  eine  Vernachlässigung 
der  minder  volkstümlichen  Feste  durch  das  grosse  Publikum  gegangen 
sein;  es  ist  eine  interessante  Thatsache,  dass  der  aus  der  ersten  Kaiser- 
zeit stammende  Bauernkalender  von  Guidizzolo  bei  Mantua  (GHj  P  p.  258) 
für  die  Zeit  vom  12.  Juli  bis  18.  Dezember,  in  der  die  Steinkalender  16 
(oder  mit  den  Augustalia  17)  feriae  publicae  verzeichnen,  deren  nur  vier 
nennt  (Neptunalia,  Volcanalia,  Satumalia  und  das  in  den  Kalendern  nicht 
aufgeführte  Septimen tium),  dazu  die  Ludi  Apollinares  und  das  Stiftungs- 
fest der  Diana  in  Aventino,  sowie  ein  lokales  Fest  der  Epona;  die  un- 
gefähr der  gleichen  Zeit  angehörigen  sog.  Menologia  rustica  (GIL  P  p.280f.) 
geben  eine  ähnliche,  wenn  auch  etwas  reichere  Auswahl.^)  Auch  die 
Schule  der  Kaiserzeit  respektierte  nur  einen  kleinen  Teil  der  Staatsfeste,  ^) 


>)  Golam.  II  22,  4.  Macr.  I  16,  10.  Gell. 
II  28,  3. 

»)  Liv.  XLIV  20,  1  QuinqwUribua  ulti- 
mis.  Varro  de  1.  1.  VI  14.  Fest.  p.  254.  Ovid. 
fast.  III  810;  trist.  IV  10,  13  f. 

')  Novius  bei  Macr.  I  1 0,  3 ;  vgl.  Cic.  ad 
Att.  XIII  52,  1.  Martial.  XIV  72. 

*)  MOMMSKN   CIL  I '  p.  887.    MASgüABDT, 

Staatsyerw.  11 1  587. 

')  z.  6.  werden  von  den  feriae  publicae 
des  Februar  nnr  Lupercalia  and  Terminalia 
aufgeführt  (nicht  Quirinalia,  Regifugium, 
Equirria),  an  Stelle  der  Feralia  die  privaten 
Parentalia  und  die  Gara  Gognatio  (s.  oben 
S.  187),  im  Juli  nur  die  Neptunalia  (nicht 
Poplifugia,  Lucaria,  Furrinalia)  und  die  Ludi 
Apollinares.  Eine  ganz  ähnliche  Auslese 
zeigen  die  von  Plinius,  Colnmella  u.  a.  zur 
Datierung  ländlicher  Arbeiten  verwendeten 
Festnamen.  Als  die  höchsten  Feste  des 
Jahres,  an  denen  nach  der  Tafelordnung  des 


Alezander  Severus  ein  Fasan  auf  den  Tisch 
kam,  nennt  dessen  Biograph  87,  6  die  Ea- 
lendae  Januariae,  HilariaMatris  Deum  (S.  266), 
die  Ludi  Apollinares,  das  Epulum  Jovis  und 
die  Satumalia. 

')  Es  sind  ausser  den  schon  von  Hör. 
epist.  II  2,  197  in  diesem  Sinne  erwähnten 
Quinquatrus  (vgl.  auch  Symm.  epist.  V  85) 
die  Satumalien  (vgl.  Martial.  V  84,  1  f.  Plin. 
epist.  VIII  7,  1),  das  Septimontium,  die  Gara 
Cognatio,  femer  die  Ealendae  Januariae 
{strenae,  s.  MARguABDT-MAU,  Privatl.  d.  Rom. 
S.  251)  und  die  Brama  (Bramalia,  24.  Nov., 
vgl.  darflber  Tomasobek,  Sitz.Ber.  Akad.  Wien 
LX  1869,  858  ff.  R.  Foerstbb,  Index  lection. 
Vratislav.  Wintersem.  1891/92  p.  5  ff.  Momm- 
SBN  GIL  P  p.  287),  dazu  die  Nundinae  (vgl. 
Varro  Menipp.  frg.  279  Buech.),  s.  Tertull. 
de  idol.  10  (vgl.  14,  wo  zwar  nicht  als  Schul- 
ferien, aber  als  angesehenes  Fest  noch  die 
Matronalia  hinzukommen).  Hieronym.  conun. 


376 


Beligion  und  Knltiui  der  BOmer.    III.  Kultus, 


und  allmählig  löst  sich  der  Begriff  feriae  von  der  sacralrecbÜichen  Be- 
deutung ganz  los  und  bezeichnet  die  Sommervakanz  der  Schulen  und  die 
in  dieselbe  Zeit  fallenden  Gerichtsferien.  ^) 

Völlig  ausserhalb  der  Scheidung  von  dies  nefasti  und  fasti  steht  der 
Begriff  der  dies  religiosi.  Denn  während  jene  Namen  das  Eigentumsrecht 
der  Götter  bezw.  der  Menschen  an  dem  betreffenden  Tage  zum  Ausdrucke 
bringen,  sind  die  dies  religiosi  oder,  wie  sie  vereinzelt  mit  einem  noch 
prägnanteren  Ausdrucke  heissen,  dies  vitiosi*)  Tage,  die  aus  bestimmten 
Gründen  für  gewisse  Akte  sowohl  sacraler  wie  profaner  Natur  disqualifiziert 
erscheinen:  Eheschliessung  oder  überhaupt  der  Beginn  irgend  einer  bedeut- 
samen Handlung,  staatliche  Akte  comitialer  oder  militärischer  Art,  Dar^ 
bringung  von  Opfern  sind  an  diesen  Tagen  ausgeschlossen  oder  wenigstens 
bedenklich,  so  dass  man  all  dies  nur  im  äussersten  Notfalle  vornimmt.') 
Das  Verbot  der  Opfer  und  der  damit  zusammenhängende  Verschluss  der 
TempeH)  stellt  diese  Tage  in  geraden  Gegensatz  zu  den  dies  nefasti^  wenn 
auch  nachlässiger  Sprachgebrauch  beide  Begriffe  zuweilen  durcheinander 
wirft.  ^)  Die  Festsetzung  solcher  dies  religiosi  erfolgt  durch  den  Senat 
(MoMMSEN,  Staatsr.  m  1053  f.),  indem  nach  einer  besonders  traurigen  Er- 
fahrung der  betreffende  Tag  oder  auch  aUe  gleichartigen  als  tristi  omine 
infames^)  für  alle  Zeiten  charakterisiert  werden.  So  ist  nicht  bloss  der 
Tag  der  schweren  Niederlagen  an  der  Cremera  und  an  der  Allia,  die  beide 
auf  das  gleiche  Datum  (18.  Juli)  fielen,  unter  die  dies  religiosi  gesetzt  wor- 
den,^) sondern  in  Erinnerung  an  das  zwei  Tage  vor  der  Schlacht,  d.  h. 
postridie  idus  Quindiles,  von  dem  Militärtribunen  Q.  Sulpicius  belli  gerendi 
gratia  dargebrachte  Opfer  und  in  Erwägung,  dass  schon  früher  wiederholt 
solche  an  den  Nachtagen  der  Kalendae,  Nonae  und  Idus  vorgenommene 
Kampfopfer  zu  üblen  Erfolgen  geführt  hatten,  machte  der  Senat  alle  diese 


in  epist.  ad  Ephes.  III  6  =  Mignb,  Patrol. 
lat.  XXVI  540. 

»)  z.  B.  Gell.  IX  15, 1.  XVIII 5, 1.  Minuc. 
Fei.  2,  3.  Cod.  Theod.  II  8,  2. 

^)  Fast.  Praen.  Maff.  Caer.  z.  14.  Jan.: 
dies  vitio8U8  ex  s,  c. 

^)  Macr.  S.  I  16,  24:  ut  hi  dies  neque 
proeliares  neque  puri  (d.  h.  zum  sacralen  Ge- 
branche  geeignet,  vgl.  die  hostia  pura  oben 
S.  351  Anm.  3)  neque  comitiales  essent.  Fest 
p.  156:  nihil  eo  tempore  in  re  publica  gen 
voluerunt ;  itaque  per  eo8  dies  non  cum  hoste 
manus  canserebant,  non  exercitus  scribebatur, 
non  comiiia  Jiabebantur,  non  cUiud  quicquam 
in  republica,  nisi  quod  ultima  necessitaa  ad- 
monebat,  administrabatu/r,  Macr.  1  16,  18, 
wo  hinzukommt  uxorem  liberum  qiiaeren- 
dorum  causa  ducere  (vgl.  115, 22.  Ovid.  fast. 
II  557  ß.  III  393  ff.  V  487  f.  VI  219  ff.  Plut. 
Qu.  Rom.  86).  Gell.  IV  9,  5:  res  divinw  fa- 
cere  et  rem  quampiam  novam  exordiri;  vgl. 
V  17,  2.  Fest.  D.  278.  Liv.  VI  1,  12,  Lehr- 
reich dafür  ist  der  Beschlnss  der  Decurionen 
von  Pisae,  durch  welchen  der  Todestag  des 
G.  Caesar  zum  dies  religiosus  erklärt  wird, 
CIL  XI  1421,  25  ff.:  difemjque  eum,  quo  die 


C,  Caesar  obit,  qui  dies  est  a.  d.  Villi  k. 
Martias,  pro  Alliensi  lu[gub]rem  memoriae 
prodi  notarique  in  praesenHa  omnium  iussu 
ac  voflunjtate  caverique,  ne  quod  scuarifidum 
piiblicum  neve  quae  supplicaftiojnes  nive 
sponsaiia  nive  convivia  publica  postea  m 
eum  diem  eofve  djie,  qui  dies  erü  a,  d.  Villi 
k.  Mart.f  fiant  concipiantur  indieantufrve] 
nive  qui  ludi  scaenici  circiensesve  eo  die 
fiant  spectenturve. 

*)  Ovid.  fast,  n  563  f.  V  485  f.;  auch 
dass  die  Flaminica  Dialis  an  solchen  Tagen 
ihr  Haar  nicht  kämmt  (Ovid.  fast.  lil  397  f. 
VI  229  f.  Gell.  X  15,  30.  Plut.  Qu.  Rom.  86), 
wird  damit  zusammenhängen. 

^)  z.  B.  Suet  Tib.  53 :  absumptam  crtmi- 
nosissime  insedatus  est,  cum  diem  quoque 
natalem  eius  inter  nefastos  referendum 
suasisset;   vgl.  Gell.  IV  9,  5.   Non.  p.  73,  81. 

«)  Gell.  IV  9,  5;  vgl.  inominalem  Gell. 
V  17,  3.  Macr  1 16,  26;  dies  qui  essent  no- 
tcUi  rebus  cutversis  Macr.  I  16,  19. 

»)  Liv.  VI  1,  11.  Cic.  bei  Gell.  IV  9,  6. 
Fast.  Ant.  Amit.  und  mehr  bei  Mommbin, 
Chronol.  S.  26  A.  32;  CIL  I>  p.  322. 


68.  Die  Featzeiten. 


377 


dies  atri,^)  d.  h.  Nachtage  der  genannten  Monatstage,  zu  dies  rdigiosi.^) 
Eine  ähnliche  Verfügung  für  alle  a.  d.  IV  Kalendas,  Nonas,  Idus  liegenden 
Tage  scheint  wegen  der  a.  d.  IV  Non.  Sext  erlittenen  Niederlage  bei  Cannae 
getroffen,  aber  dann  wieder  in  Vergessenheit  geraten  zu  sein.')  Als  son- 
stige dies  religiosi  kennen  wir  die  drei  Tage  (24.  August,  5.  Oktober, 
8.  November,  s.  oben  S.  189),  quibus  mundus  patet,^)  ferner  die  Tage,  an 
denen  der  Tempel  der  Vesta  offen  stand,  ^)  die  Festzeiten  der  Salier  im 
März  und  Oktober,  quibus  ancilia  moventur,^)  zwei  Tage  nach  den  feriae 
Latinae  (Cic  ad  Qu.  fr.  11 4, 2),  endlich  die  Gedenktage  der  Toten  im  Februar 
(ParentaJia,  S.  187)  und  Mai  (Lemuria,  S.  189).^)  Auf  den  Tagescharakter 
als  dies  fastus  oder  nefastus  hat  die  an  einem  Tage  haftende  religio  keinerlei 
Einfiuss,')  die  dies  atri  sind,  soweit  sie  nicht  in  die  zusammenhängenden 
Oruppen  von  dies  nefasti  im  Februar,  April,  Juni,  Juli  und  Dezember  (oben 
S.  369)  fallen,  dies  fasti  (der  14.  Januar  intercisus),  die  der  Öffnung  des 
mundus  alle  drei  comitiales,  ebenso  der  dies  Älliensis,  unter  den  neun  Tagen 
der  Parentalia  (mit  Einschluss  der  Feralia)  befinden  sich  vier  feriae  publicae 
(mit  N=>),  ein  nefastus  (n)  als  Vortrag  der  Lupercalia,  ein  intercisus  vor  den 
Quirinalia  und  drei  dies  comüiales  (ähnlich  steht  es  mit  den  Zeiten  der 
Salierumzüge);  es  geht  daraus  mit  Sicherheit  hervor,  dass,  wenn  die  drei 
Tage  der  Lemuria  und  die  ganze  Zeit  der  Reinigung  des  Vestatempels 
den  Charakter  N  tragen,  dies  mit  der  Stellung  dieser  Tage  als  dies  religiosi 
durchaus  nichts  zu  thun  haben  kann.  Es  ist  überhaupt  nicht  sowohl  eine 
rechtliche  Festsetzung,  als  eine  Warnung,  die  der  Senat  durch  die  Ein- 
reihung eines  Tages  unter  die  dies  religiosi  ausspricht,  und  nicht  nur  hat 
man  in  einzelnen  Fällen  ausserordentliche  Opfer  an  dies  religiosi  für  zu- 
lässig erklärt,*)  sondern  die  Kalender  selbst  liefern  mehrere  Beispiele 
ständiger  sacrificia  publica  an  solchen  Tagen.  >^) 


»)  Fest.  p.  278.  Varro  de  1.  1.  VI  29. 
Ovid.  fast.  I  57  f.  Macr.  I  15,  22.  16,  21. 
Non.  p.  73.  Afran.  frg.  163  Ribb. ;  über  den 
Namen  vgl.  0.  Gruppe,  Hermes  XV  624. 

»)  Gell.  V  17,  1  f.  Macr.  S.  I  16,  21  ß. 
Paul.  p.  178  (entstellt).  Liv.  VII,  12  (daraus 
entstellt  Plut.  Qu.  Rom.  25). 

»)  Gell.  V  17,  3  flf.  Macr.  S.  I  16,  26. 

*)  Fest.  p.  278.  157.  Macr.  8.  I  16.  18. 

*)  Fest.  p.  250.  Ovid.  fast.  VI  219  ß.; 
Philocalus  notiert  zum  7.  Juni  Vesta  aperit, 
zum  15.  Juni  Vesta  cludüur, 

•)  Liv.  XXXVIl  33,  6.  Tac.  bist.  II  89. 
Suet.  Otho  8.  Ovid.  fast.  III  393  ff.  Lyd.  de 
mens.  IV  37.  Da  die  Argeerprozession  am 
16.  17.  März  in  diese  Zeit  fällt,  so  geht 
wahrscheinlich  darauf  die  Notiz  des  Gell. 
X  15,  30,  dass  die  Flaminica  Dialis  cum 
it  ad  Ärgeos,  neque  comit  caput  neque 
capillum  depeetü;  Plut.  Qu.  Rom.  86  bezieht 
das  auf  die  Argeerprozession  des  14.  Mai, 
die  unmittelbar  nach  den  Lemuria,  also  auch 
in  religiöse  Zeit  fällt. 

»)  Ovid.  fast.  II  557  ff.  V485  ff.  Lyd.  de 
mens.  IV  24. 

")  Mit  Unrecht  habe  ich  Real-Encycl. 


II 1922  MoMHsxNS  Ansicht  (Chronol.  S.  238  f.) 
gebilligt,  dass  die  dies  religiosi  im  republi- 
kanischen Kalender  mit  N  bezeichnet  ge- 
wesen seien  und  erst  Augnstus  das  geändert 
habe;  sie  beruht  auf  einer  Verkennung  des 
Gegensatzes  zwischen  dies  nefasti  und  reli- 
giosi. 

*)  Gegenüber  einer  rigorosen  Auffassung, 
die  am  dies  ater  sogar  die  parentatio  für  un- 
zulässig erachtete,  quia  tunc  quogue  lanum 
lovemqtie  praefari  necesse  est,  quos  nomi- 
nari  atro  die  non  oportet  (Macr.  I  16,  25), 
erklärten  in  einem  Spezialfälle  die  Ponti£ces 
die  Ansetzung  von  feriae  praecidaneae  auf 
einen  dies  ater  für  unanstössig  (Gell.  IV  6, 10) 
und  enthielt  das  Gelöbnis  des  Ver  saomm 
nach  Liv.  XXII  10,  6  die  Bestimmung:  8t 
atro  die  faocit  insdens,  probe  factum  esio. 

>^)  Die  vitülatio  am  8.  Juli,  also  postri- 
die  idiM,  ist  ein  Staatsopfer  (Macr.  III 2, 14, 
vgl.  11),  ein  Opfer  Lunae  m  Graecost(asi) 
(oben  S.  262)  fällt  auf  den  24.  August,  also 
einen  der  Tage,  quibus  mundus  patet,  in 
die  religiöse  Periode  zur  Zeit  des  Offen- 
stehens des  Vestatempels  faUen  die  ncUales 
mehrerer  Tempel :  der  Mens  auf  dem  Capitol 


378 


Beligion  und  Kultus  der  BAmer.    m.  Enltiui. 


Caesar  hat  bei  seiner  Kalenderreform  im  J.  709  =  45  die  Festord- 
nung in  keiner  Weise  alteriert;  im  Gegenteil  hat  er  die  neu  hinzugefügten 
zehn  Tage,  die  sämtlich  mit  F  bezeichnet  sind,  durchweg  erst  ganz  gegen 
Ende  des  Monats  nach  den  letzten  feriae  publicae  desselben  eingereiht,  0 
so  dass  die  letzteren  alle  auf  dem  gleichen  Monatstage  (von  vorn  an  ge- 
zählt) verblieben  und  nur  die  durch  Rückrechnung  von  den  folgenden 
Ealendae  gewonnenen  Daten  der  nach  den  Idus  fallenden  Tage  sich 
änderten;^)  dass  Caesar  den  sacralrechtlichen  Charakter  auch  nur  eines 
einzigen  Tages  verändert  hätte,  lässt  sich  durch  nichts  beweisen  oder 
wahrscheinlich  machen.  Dagegen  wurde  kurz  vor  Caesars  Tode  im  J.  710 
=  44  nicht  nur  Caesar  zu  Ehren  der  Monat  Quinctilis  in  Julius  umgenannt, 
sondern  auch  die  Gedenktage  der  wichtigsten  Ereignisse  aus  Caesars  Leben 
in  die  Reihe  der  feriae  publicae  (mit  dem  Zeichen  bP)  aufgenommen.  >)  Es 
sind  in  der  Reihe  des  Jahres  folgende  Feste: 

17.  März,  Sieg  bei  Munda  709  =  45. 

27.  März,  Fall  von  Alexandria  707  =  47. 
6.  April,  Sieg  bei  Thapsus  708  =  46. 

12.  Juli,  Caesars  Geburtstag. 

2.  August,  Siege  in  Spanien  705  =  49  und  bei  Zela  707  =  47. 
9.  August,  Schlacht  bei  Pharsalus. 

In  gleicher  Weise  ist  dann  während  des  Triumvirats  und  weiterhin 
in  der  ganzen  Kaiserzeit  verfahren  worden,  und  die  erhaltenen  Kalender, 
die  bis  in  die  Zeit  des  Claudius  reichen,  lehren  uns  folgende  Staatsfeste 
(sämtlich  rp)  neuer  Observanz  kennen,  die  ich  in  der  zeitlichen  Abfolge 
ihrer  Einsetzung  aufführe:*) 

718  =  36,  3.  September,  Sieg  über  S.  Pompejus. 

723  =  31,  2.  September,  Schlacht  bei  Actium. 

724  =  30,  1.  August,  Tod  des  Antonius. 

724  =  30,  23.  und  24.  September,  Geburtstag  des  Augustus.*) 

725  =  29,  28.  August,  Weihung  der  ara  Vidoriae  in  curia  (S.  129). 

734  =  20,  12.  Mai,  Weihung  der  aedicula  Martis  in  Capitolio  (S.  133). 

735  =  19,  12.  Oktober,  Augustalia  (Rückkehr  des  Augustus  aus  dem 

Orient,  Constitution  der  Ara  Fortunae  Reducis,  S.  212). 
nach  735  =  19,  15.  Dezember,  Weihung  der  Ara  Fortunae  Reducis. 

741  =  13,  4.  Juli,  Rückkehr  des  Augustus  aus  Spanien  und  Gallien 
(Constitution  der  Ara  Pacis  Augustae,  S.  277). 


(S.  259),  der  Fortuna  und  der  Mater  Matnta 
auf  dem  Forum  Boarium  (8.  207.  98),  der 
Concordia  in  particu  lAviae  (S.  272),  des 
Juppiter  Invictus  (S.  108);  über  die  Gompi- 
talia  8.  oben  S.  369  A.  3. 

^)  Macr.  S.  I  14,  8  ff.  Censorin.  20,  9. 

^)  Die  Vinalia  rustica  z.  B.  fielen  nach 
dem  alten  Kalender  ante  diem  XII  Kalendas 
Septembrea  (so  Varro  de  1.  1.  VI  20),  nach 
dem  julianischen  a.  d.  X/F(Fest.  p.  265  und 
Kalend.),  der  Tag  ist  aber  beiaemal  der 
19.  August.  Ueber  die  gleiche  Verschiebung 
bei  den  Satumalien  (17.  Dez.  =  XIV  K(ü, 
lan,  vorcaesar.   =  XVI  Kai,  lan.  Julian.) 


8.  Macr.  S.  I  10,  2  ff.  und  dazu  Wissowa,  De 
feriis  anni  Rom.  p.  IV  f. 

»)  Appian.  bell  106.  Gase.  Dio  XLIV  4, 4, 
vgl.XLVlI18,5.  MoMMSEV,  StAatsr.  III  1052 f. 

*)  Uebergangen  sind  der  29.  Januar  und 
5.  6.  August,  die  zwar  das  Zeichen  hP  tragen, 
ohne  dass  jedoch  dessen  Begründung  in  den 
vorliegenden  Kalendern  erhalten  wäre. 

^)  Den  Beschluss,  des  Augustus  Geburts- 
tag unter  die  Jahresfeste  au&unehmen,  er- 
zählt Cass.  Dio  LI  19,  2  zusammen  mit  der 
Feier  über  den  Sturz  des  Antonius  724=  30; 
über  die  Zweitägigkeit  der  Feier  und  ihren 
Anlass  s.  Mommben  CIL  P  p.  330. 


68.  Die  FeBtseiten. 


379 


742  =  12,  6.  März,    Übernahme    des    Pontificatus    maximus    durch 

Augustus. 
742  ^  12,  28.  April,  Weihung  der  aedicula  Vestae  auf  dem  Palatin 

(S.  144). 
745  =    9,  30.  Januar,  Weihung  der  Ära  Pacis  Augustae  (S.  277). 
752  =    2,  5.  Februar,  Verleihung  des  Titels  pater  patriae  an  Augustus. 
4  n.  Chr.,  26.  Juni,  Adoption  des  Tiberius. 

7  n.  Chr.,  10.  August,  Constitution  der  arae  Opis  et  Cereris  in  vico 
iugario  (S.  169.  247). 

14  n.  Chr.,  17.  September,  Consecration  des  Augustus. 

15  n.Chr.,  10.  März,  Übernahme  des  Pontificatus  max.  durch  Tiberius. 

16  n.Chr.,  13.  September,  Tod  des  Libo. 

17  n.  Chr.,  26.  Mai,  Triumph  des  Qermanicus. 

20  n.  Chr.,  28.  Mai,  Triumph  des  Drusus  (CIL  P  p.  319). 
nach  31  n.  Chr.,  31.  August,  Geburtstag  des  C.  Caesar  (Caligula). 
nach  37  n.Chr.,  1.  August,  Geburtstag  des  Claudius.^) 

Es  sind  dies  durchweg  wirkliche  Staatsfeste,  auf  Anordnung  des 
Senates  unter  diese  eingereiht,^)  also  streng  geschieden  von  der  unter  um- 
ständen ebenfalls  auf  offizielle  Anordnung  erfolgenden  Beischreibung  be- 
merkenswerter Ereignisse  in  den  Fasten,  die  den  Charakter  des  Tages 
nicht  verändert;*)  die  grosse  Mehrzahl  der  Tage  verdankt  ihre  Feier  An- 
lässen profaner  Art,  auch  wo  es  sich  um  sacrale  Weihungen  handelt,  sind 
es  nie  einfache  natales  templorum,  sondern  Erinnerungen  an  Stiftungen  von 
Kapellen  und  Altären  (nicht  eigentlichen  aedes  sacrae),  die  mit  den  Tages- 
ereignissen eng  zusammenhängen.^)  Da  es  sich  überall  um  Gedenktage 
handelt,  so  ist  das  Datum  ein  gegebenes  und  irgendwelche  Gesetze  konnten 
bei  der  Auswahl  der  Tage  nicht  beachtet  werden;  die  feriae  von  Caesars 
Geburtstag  wurden  zwar  gegen  das  wirkliche  Datum  um  einen  Tag  vor- 
geschoben, weil  auf  den  13.  Juli  der  Haupttag  der  Ludi  ApoUinares  fiel 
(s.  oben  S.  241),  für  den  angeblich  ein  Orakelspruch  die  Abhaltung  ander- 
weitiger Festlichkeiten  ausdrücklich  verbot  (Cass.  Dio  XLYII  18,  6),  sonst 
aber  vermied  man  weder  das  Zusammentreffen  dieser  neuen  feriae  mit 
solchen  der  alten  Ordnung  (17.  März,  13.  September,  15.  Dezember)  noch 
unter  sich  (L  August),  noch  auch  ihre  Ansetzung  auf  dies  religiosi  (6.  April, 
2.  August,  2.  September).  Die  Protokolle  der  Arvalbrüder  ergänzen  unsere 
Kenntnis  der  an  die  Gedenktage  der  Kaiser  und  ihrer  Familie  anknüpfen- 
den Staatsfeste,  deren  Zahl  bis  zum  Tode  des  Nero  sehr  hoch  gestiegen 
sein  muss,^)  so  dass  die  Reaktion  gegen  dieses  Übermass  (vgl.  Tac.  ann. 


')  Ueber  die  Zeit  der  Aufnahme  der 
beiden  letztgenannten  Geburtstage  in  die 
Zahl  der  Staatsfeste  s.  Mommsbn  CIL  P 
p.  827.  323. 

')  Seit  der  Schlacht  bei  Actium  (Momm- 
SEK,  Staatsr.  HI  1053)  lautet  die  Formel 
regelmässig  feriae  ex  efenatus)  c(onsulto), 
guod  eo  die  n.  s.  w. 

»)  Cic.  Phil.  II  87;  epist.  ad  Brut.  1 15.  8. 
Von  den  erhaltenen  Steinkalendem  haben 
namentlich  der  praenestinisohe  und  der  (junge) 


antiatische  zahlreiche  derartige  Notizen. 

*)  So  die  aedicula  Vestae  mit  dem  Ober- 
pontifikat  des  Kaisers  (S.  69),  die  Kapelle  des 
Mars  Ultor  mit  der  Wiedergewinnung  der 
an  die  Parther  verlorenen  Feldzeichen  ( Cass. 
Dio  LIY  8,  3).  die  Altäre  der  Fortuna  Redux 
und  der  Paz  Augusta  mit  den  grossen  Ex- 
peditionen des  Kaisers  nach  Syrien  und  nach 
uispanien  und  Gallien. 

>)  Ausser  den  Augustalia  (12.  Okt.),  dem 
Qeburtstage  des  Augustus  (23.  24.  Sept.)  und 


380 


BeUgion  und  EvltuB  der  BAmer.    HI.  Enltiui. 


Xm  41),  die  unter  Yespasian  eintrat  (Tac.  bist.  lY  40),  durchaus  begreif- 
lich und  berechtigt  erscheint.  Vom  J.  70  an  verschwinden  all  diese  Ge- 
denktage vollständig  aus  der  Reihe  der  jährlichen  Opferakte  der  Arval- 
brüder,  0  und  wir  müssen  annehmen,  dass  damals  diese  ganze  Gattung  von 
ferias  kassiert  worden  ist,  mit  Ausnahme  der  Geburtstage  der  consecrierten 
Kaiser  (oben  S.  286),  die  auch  für  die  Folgezeit  in  den  Festkreis  auf- 
genommen wurden  und  die  darum  auch  der  Kalender  des  Philocalus  so- 
wohl zu  den  einzelnen  Tagen  als  in  einer  besonderen  Liste  (CIL  P  p.  255) 
verzeichnet.  Für  die  sacralrechtliche  Klassificierung  der  Tage  haben  wir 
seit  dem  Aufhören  der  Steinkalender  keine  zusammenhängende  Über- 
lieferung mehr;  wenn  Marc  Aurel  bei  seiner  Reorganisation  des  Gerichts- 
wesens die  Anzahl  der  Gerichtstage  wieder  auf  230  brachte  ^)  und  damit  un- 
gefähr das  Verhältnis  des  vorcaesarischen  Kalenders  wiederherstellte  (oben 
8.  368),  so  fiel  der  verbleibende  Rest  von  135  Tagen  sicher  zum  grösseren  Teil 
nicht  auf  feriae  im  alten  Sinne,  sondern  auf  Spieltage  (s.  darüber  §  64). 
Im  Kalender  des  Philocalus,  der  uns  den  offiziellen  Rechtszustand  nicht  nur 
der  Zeit  seiner  Abfassung  (354),  sondern  wohl  im  wesentlichen  auch  des 
3.  Jahrb.  n.  Chr.  wiedergibt,  erscheinen  von  den  46  mit  Individualnamen 
versehenen  Festtagen  des  alten  Kalenders  (die  Augustalia  12.  Oktober  ein- 
gerechnet) noch  20  oder  21,')  wenn  auch  teilweise  mit  etwas  verändertem 
Namen,^)  daneben  manche  früher  nicht  in  die  Jahrestafel  aufgenommene 
Feste  älterer  Observanz,^)  namentlich  aber  als  neue  Zuthaten  einerseits 
die  Feste  der  recipierten  sacra  peregrina  (Isis  und  Serapis  5.  und  20.  März, 
25.  April,  28.  Oktober  bis  3.  November,  S.  294  ff.;  Magna  Mater  15.  22. 
24. — 28.  März,  S.  265  f.,  dazu  wohl  die  nicht  näher  bekannten^)  Lychnapsia 


dem  Stiftungsfeste  der  Ära  Pacis  (SO.  Jan.) 
sowie  den  Geburtstagen  des  Caligula  (31.  Aug.) 
und  Claudius  (1.  August)  finden  wir  von  den 
Arvalen  durch  regelmässige  Jahresopfer  ge- 
feiert die  Consecration  der  Livia  (17.  Jan.) 
und  die  Geburtstage  des  Tiberius  (16.  Nov.), 
der  Livia  (80.  Jan.),  Antonia  (81.  Jan.),  des 
Germanicus  (24.  Mai),  der  beiden  Agrippinae 
(die  jttngere  am  6.  Nov.),  der  Caesonia  (An- 
fang Juni,  Ephem.  epigr.  VIII  p.  825),  des 
Nero  (15.  Jan.),  des  Vitellins  (im  Sept.)  und 
der  Galeria  (8.  Juni),  die  wohl  sAmtlicn  recht- 
lich zu  den  feriae  publicae  gehörten;  die 
Nachweise  bei  Hbkzen,  Acta  fratr.  Arval. 
S.  49  ff. ,  vgl.  auch  Marqüabdt,  Staatsverw. 
III  268,  10.  Dagegen  ist  dies  zweifelhaft  bei 
den  Opfern,  die  am  Jahrestage  des  Regie- 
rungsantritts des  regierenden  Kaisers  und 
der  Uebemahme  der  einzelnen  Würden  dar- 
gebracht werden,  Hbnzen  a.  a.  0.  S.  68  ff. 

')  Eine  versprengte  Ausnahme  ist  das 
Opfer  [ob  cojtnitia  trtbunicia  des  Domitian 
am  80.  Sept.  81,  CIL  VI  2060,  88. 

')  Eist.  aug.  M.  Aurel.  10,  10:  fastis  die- 
bu8  iudiciarioa  addidit,  üa  ut  ducentos  tri- 
ginta  dies  annuos  rebus  agendis  Utibusque 
disceptandis  constüueret. 

*)  Es  fehlen  Eqnirria  27.  Februar  und 
14.  März  (wenn  nicht  die  am  letztgenannten 


Tage   aufgeführten  Mamurcdia  mit  diesen 
identisch  sein  sollten);  Fordicidia  15.  April 
Vinalia  28.  April;    Robigalia  25.  April;    Le- 
muria    9.  11.  18.  Mai;    Agonium    21.  Mai 
Tubilustrium    28.  Mai;    Poplifugia   5.  Juli 
Lucaria    19.  21.  Juli;    Furrinalia    25.  Juli 
Vinalia  19.  August;    Consualia  21.  August 
Opiconsivia  25.  August  ;Voltumalia  27.  August 
Meditrinalia   11.  Okt.;    Fontinalia   13.  Okt. 
Armilustrium   19.  Okt. ;    Agonium   11.  Dez. 
Consualia  15.  Dez.;  Opalia  19.  Dez.;  Divalia 
21.  Dez.;  Larentalia  23.  Dez. 

*)  z.  B.  Natalis  urbis  statt  Parilia  (S.  166), 
Tiberinalia  statt  Portunalia  (S.  99),  Libe- 
rcdici,  Cerealici,  Neptunalici,  Vulcanaiici, 
Augustales  (n&mlich  ludi)  anstatt  Liberalia, 
Cerialia,  Neptunalia,  Volcanalia,  Augustalia, 
endlich  lano  patri  c(ircenses)  m(i8SU8) 
XXII II  am  7.  Januar  doch  wohl  an  Stelle 
des  alten  Agonium  vom  9.  Januar  (S.  91);  über 
Mamurälia  =  Equirria  14.  März  s.  Anm.  8. 

^)  Caristia  22.  Februar,  Septimontiam 
11.  Dez.,  dann  lunoncdia  7.  März  (wohl  ver- 
schobene Matronalia  statt  1 .  März),  Veneraiia 
1.  April  (S.  287),  das  nicht  näher  bestimm- 
bare Annae  sacrum  18.  Juni  und  das  Fest 
Fortis  Fortu/nae  24.  Juni  (8.  206  f.).  Ueber 
die  verzeichneten  natcdes  deorum  s.  §  65. 

«)  Vgl.  darüber  Mokmbsn  CIL  I*  p.  824. 


64.  Die  Spiele. 


381 


12.  August),  andererseits  das  in  der  ersten  Eaiserzeit  zum  Bange  von  fericie 
staiivae  erhobene  Fest  der  Voiorum  nuncupatio  am  3.  Januar,  ^)  an  dem  im 
ganzen  römischen  Reiche  die  Beamten  und  die  Priester  Gelübde  für  Leben  und 
Wohlfahrt  des  Princeps  thun,')  die  Bruma  (s.  o.  S.  375  A.  6)  und  die  Geburts- 
tage der  consecrierten  Kaiser ;  ^)  das  von  Marc  Aurel  festgestellte  Verhältnis 
hat  sich  wieder  stark  zu  Ungunsten  der  Werktage  verschoben,  denn  die  Zahl 
der  Spiel-  und  Festtage  (die  Grenze  der  letzteren  ist  freilich  nicht  fiberall 
mit  voller  Sicherheit  zu  ziehen)  beläuft  sich  in  runder  Summe  auf  200.^) 

Litteratur.  Bahnbrechend  und  gnmdlegend  Th.  Momxsbiv,  Römische  Chronologie  bis 
auf  Caesar,  2.  Aufl.,  Berlin  1859,  und  CIL  l*  p.  283  ff.;  ausserdem  vgl.  Ph.  £.  Huschkb,  Das 
alte  römische  Jahr  und  seine  Tage,  Breslau  1869.  Mabquabdt,  Rom.  Staatsverw.  III  281  ff. 
WissowA,  De  feriis  anni  Romanorum  vetustissimi  observationes  selectae,  Marburg  1891. 
R.  BovGHi,  Le  feste  Romane,  Milano  1891  (deutsch  Wien  1892,  dilettantisch).  C.  Jüllian 
bei  Darsmbbbo-Saglio,  Dict.  des  antiqu.  II  1042  ff.  W.  Wabde  Fowlbb,  The  Roman 
Festivals  of  the  Period  of  the  Republic,  London  1899. 

64.  Die  Spiele.  Der  Begriff  der  feriae  schliesst  in  sich  nicht  nur 
die  Enthaltung  von  der  Arbeit  des  Werktages,  dem  opus  f(icere,  sondern 
auch  für  Mensch  und  Tier  Anlass  und  Gelegenheit  zu  fröhlicher  Gebahrung 
und  der  Übung  zweckloser,  nur  auf  das  Vergnügen  gerichteter  Thätig- 
keit  (ludere);  otium  und  ludus  sind  nicht  sich  gegenseitig  ausschliessende, 
sondern  zusammengehörige  und  einander  ergänzende  Begriffe.^)  Äusse- 
rungen dieses  am  dies  feriatus  in  sein  Recht  tretenden  Spieltriebes,  der 
vielfach  auch  ursprünglich  symbolisch  gemeinte  Bräuche  *)  sich  aneignet, 
begegnen  uns  in  einer  durch  die  Tradition  mehr  oder  minder  fixierten 
Form  bei  vielen  Festen  der  alten  Religionsordnung:  hierher  gehört  z.  B.  der 
Brauch  des  Schaukeins  an  den  Feriae  Latinae  (S.  109  A.  8),  allerlei  Ver- 
kleidung und  Mummenschanz  bei  verschiedenen  Festen,^)  vor  allem  aber 


*)  Zuerst  mit  den  allgemeinen  vota  pro 
Salute  reipubliccLe  am  1.  Januar  verbunden 
(Gass.  Dio  LI  19,  7),  dann  als  eigenes  Fest 
losgetrennt;  auf  den  8.  Januar  fixiert  zuerst 
in  den  Arvalakten  des  J.  38  n.  Chr.  (CIL 
VI  2028,  vgl.  Hevzin,  Acta  fratr.  Arval. 
S.  89  f.)»  dann  stftndiges  Fest  an  diesem 
Tage,  z.  B.  Gaius  Dig.  L  16,  233,  1.  Plut. 
Cic.  2.  Cass.  Dio  LIX  24,  6.  Lucian.  Pseudo- 
log.  8.  Eist.  aug.  Pertin.  6,  4.  Feriale  Cuman. 
(CIL  X  8792)  Z.  8.  Lyd.  de  mens.  IV  10;  der 
Name  votorum  nuncupatio  (s.  oben  S.  320 
Anm.  2)  ausser  bei  Philocalus  noch  bei 
Tac.  ann.  XVI  22.  Snet.  Nero  46.  Tert.  de 
cor.  mil.  12,  sonst  vota  (Bvxal)  schlechthin; 
mehr  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw.  III  267. 

<)  MoMMSBN,  Staatsr.  II  784  f.  798  f. 

')  Interessant  ist  die  Auswahl  von  Fest- 
tagen, die  Kaiser  Tacitus  für  sein  Templum 
Divorum  (oben  S.  288)  trifft,  Eist.  aug.  Tac. 
9,  5:  u^  isdem  (d.  h.  den  Divi)  natcUibus  suis 
et  Parüibtu  et  Kai,  lamMrüs  et  Votis  liba- 
mina  ponerentur. 

')  Den  Kalender  des  Polemius  Silvius 
lasse  ich  hier  beiseite,  da  er  nicht  den 
Rechtsstand  seiner  Zeit  gibt,  sondern  aus 
litterarischen  Studien  alte  Feste  in  seinen 
Kalender  einträgt.  Dabei  ist  sein  Eifer  bald 
erlidimt;  denn  während  er  von  Januar  bis 


April  noch  7  der  alten  Feste  mit  Individual- 
namen  gibt  (Carmentalia,  Lupercalia,  Quiri- 
nalia,  Terminalia,  Regifugium,  Quinquatria, 
Parilia),  hört  das  in  den  folgenden  Monaten 
ganz  auf  (auf  die  abnehmende  Reichhaltig- 
keit dieser  Festtafel  weist  mit  Recht  Moim- 
SBN  hin  CIL  I''  p.  300,  unrichtig  dagegen 
meint  er  ebd.  p.  301,  dass  bei  Polemius  Silvius 
„ex  diebus  certi  nominis  n  soli  relicti  sunt, 
gut  non  prae  se  ferrent  cultum  idolorum**) 
und  nur  noch  das  Septimontium  findet  Er- 
wähnung, selbst  notorisch  so  widerstands- 
fähige Feste  wie  die  Volcanalia  und  Satur- 
nalia  fehlen.  Damit  verbieten  sich  alle  Rttck- 
schlflsse  auf  das  thatsächliche  Leben. 

')  vgl.  namentlich  Horaz  carm.  III  18, 
9  ff.:  ludit  herboso  peeus  omne  prato  .  . 
festus  tn  pratis  vacat  otioso  cum  hove 
pagus,  s.  auch  Tibull.  11 1, 24.  Prep.  IV  4,  75. 

^)  z.  B.  der  Sprung  durchs  Feuer  an 
den  Parilien  (S.  166),  die  Fnchshetze  an  den 
Cerialia  (S.  168),  das  Winteraustreiben  an 
den  Mamuralia  (S.  134)  mit  dem  vielleicht 
verwandten  Brauche  der  Versteigerung  eines 
alten  Krflppels  an  den  Ludi  Capitolini  (S.  1 12). 

')  z.  B.  der  SatumalienkOnig  (S.  171), 
die  Sklavinnen  in  den  Gewändern  der  Ma- 
tronen an  den  Nonae  Caprotinae  (Anson.  de 
fer.  9,  s.  oben  S.  118). 


382 


Beligion  und  ^vltui  der  BAmer.    IIL  EvltoB. 


der  Tanz,^)  der  nicht  nur  als  Lustbarkeit  der  Menge,  sondern  aucb  als 
sacraler  Akt  der  Priester  zur  Begleitung  des  Vortrages  der  heiligen  carmina 
(oben  S.  860)  eine  wichtige  Rolle  spielt.  Wenn  die  Salier  im  März  und 
Oktober  im  vollen  Waffenschmucke  ihre  heiligen  Reigentänze  an  bestimmten 
Stellen  der  Stadt  aufführen,  so  ist  das  ein  dem  Kriegsgotte  wohlgefälliges 
Spiel ;^)  ein  Parallelbrauch  dazu  ist  der  früh  verschollene  und  erst  am  Ende 
der  Republik  und  in  der  Eaiserzeit  wieder  in  Aufnahme  gekommene  und 
seitdem  mit  den  gewöhnlichen  Gircusspielen  verbundene  ludus  Troitu,^)  von 
Haus  aus  ein  bei  den  Festen  der  Waffenweihe  am  19.  März  (Quinquatrus) 
und  19.  Oktober  (Armilustrium)  stattfindender^)  Waffenreigen  zu  Pferde, 
aufgeführt  von  Knaben  edler  Abkunft  unter  Führung  der  ursprünglich 
militärischen,  nachher  nur  cul  sacra  noch  fortexistierenden  Tribuni  celerum.^) 
Mit  dem  Spiele  verbindet  sich  dann  der  Wettkampf  und  die  Auszeichnung 
derjenigen  Menschen  und  Tiere,  die  durch  Geschicklichkeit,  Kraft  und 
Schnelligkeit  die  andern  übertreffen:  so  begegnet  bei  den  Consualien  und 
den  Capitolinischen  Spielen  das  Schlauchhüpfen  {daxcoi^aaficg),^)  bei  den 
Robigalia  Wettlauf  sowohl  von  Knaben  wie  von  Erwachsenen/)  insbeson- 
dere aber  das  Wettfahren,  einerseits  mit  den  ländlichen  Zugtieren  bei  der 
Erntefeier  der  Consualia,®)  andererseits  mit  den  Streitrossen  an  den  Mars- 
festen der  Equirria  und  des  Equus  October  (S.  131  f.).  Wo  der  Ort  dieser 
Spiele  bekannt  ist,  ist  es  die  Kultstätte  des  Festgottes  (an  den  Robigalia 
der  Hain  an  der  Via  Claudia,  bei  den  Consualia  die  ara  Consi  im  Gircus- 
thale,  bei  den  Marsfesten  die  ara  Martis  in  campo),  der  enge  Zusammen- 


*)  Daher  wird  ludere  geradezu  Bynonym 
mit  aaUare  gebraucht,  vgl.  die  Lares  ludentea 
Naev.  com.  frg.  102,  femer  Verg.  ecl.  6,  28. 
Hör.  oarm.  11  12,  19  u.  a. 

')  Darum  leitet  Varro  den  Festnamen 
Armilustrium  (oben  8. 181)  ab  ab  ludendo 
.  .  .  quod  circumibant  ludenies  ancilibus 
armati  (de  1. 1.  VI  22 ;  conitMor^  nennen  sich 
auch  die  Mitglieder  der  Saliergenossenschaft 
in  Saguntum,  CIL  II 8853);  ihm  war  auch  der 
Luperkerumlauf  ein  lu4u^  (lupercos  ludios 
appellabant,  quod  ludendo  diacurrani,  Varro 
bei  Tertull.  de  spect.  5). 

')  Vgl.  darüber  namentlich  A.  Gobbbl, 
De  Troiae  ludo,  Düren  1852.  F.  Rasoh,  De 
ludo  Troiae,  Jena  1882.  0.  Bbnnoobf,  Sitz.- 
Ber.  d.  Akad.  Wien  GXXin  1890  lU  47  ff. 
und  bei  W.  Rbiohbl,  Ueber  homerische  Waffen 
(Abhandl.  d.  arch.  epigr.  Semin.  Wien  XI) 
S.  188  ff.  Die  Parallele  zu  den  Reigen  der 
Salier  liegt  schon  im  Namen  troia  {truia), 
der  sicher  mit  den  gerade  von  den  Evolu- 
tionen des  Saliertanzes  gebrauchten  Worten 
amptrua/re  und  redamptruare  (Fest.  p.  270, 
vgl.Paul.  p.  9)  zusammenhängt,  etwa  =  Reigen. 

*)  Das  hat  A.  v.  Pbbmbbstbin,  Benndorf- 
Festschrift  (1898)  S.  261  ff.  scharfsinnig  nach- 
gewiesen aus  Senec.  Troad.  777  ff.  nee  stato 
lustri  die  sollemne  referens  Troici  lusus 
sacTum  (vgl.  U^d  Innod^ofAia  Plut  Cato 
min.  8)  puer  citataa  nobilis  turmaa  ages 
vgl.  mit  Fast.  Praen.  z.  19.  März  [Sali]  fa- 


ciunt  in  comitin  saltu  fadstantibus  pojnti- 
ficibus  et  trib(uni8)  celer(um).  Vielleicht  sind 
die  in  der  augusteischen  Zeit  bei  der  Quin- 
quatrusfeier  üblichen  Gladiatorenkftmpfe 
(Cass.  Dio  LIV  28,  3.  Ovid.  fast.  lU  811  ff.) 
ein  Ersatz  für  den  ludus  Troiae, 

*)  MoMMSEN,  Staatsr.  II  169.  v.  Pbbmbb* 
STEIN  a.  a.  0.  Dion.  Hai.  II  64,  8  zählt  die 
TjyBfAoys^  ttüy  xekeglioy  als  Träger  von  xetay- 
fAivah  xivH  Ugovgylai  zwischen  den  Guriones 
und  Flamines  einerseits  und  den  Auguren 
und  Vestalinnen  andererseits  auf;  vgl.  den 
drjfAOJBXtJs  fnvatrjgluy  Uqovgyo^  (}alen.  XIV 
212  E.  und  dazu  v.  Pbbmbbstbut  a.  a.  0.  S.  261. 

')  Varro  de  vita  pop.  R.  bei  Non.  p.  21. 
Schol.  Bern.  Verg.  Georg.  II  884;  letztere 
Stelle  erwähnt  bei  den  Ludi  Capitolini  auch 
Faustkämpfe  und  Wettläufe.  Ueber  die  Art 
der  Spiele  bei  der  Gompitalienfeier  (S.  149) 
ist  nichts  überliefert,  auf  Faustkämpfe  zu 
schliessen  erlaubt  das  horazische  circum 
compita  pugnax  (epist.  I  1,  49)  nicht,  da 
hier  griechische  Verhältnisse  vorschweben. 

')  Fast.  Praen.  z.  25.  April:  sacrifidum  et 
ludi  cursoribus  maiartbus  minoribusque  fiunt. 

»)  Dion.  Hai.  H  81,  2.  PauL  p.  148. 
Serv.  Aen.  VHI  635  f.  Ps.  Ascon.  p.  148  Or. 
u.  a.;  nach  Varro  de  1. 1.  VI  20  müssen  die 
Spiele  an  den  ersten  Consualia  (21.  August) 
stattgefunden  haben,  die  Fast.  Praen.  z. 
15.  Dez.  reden  aber  von  equi  et  [muH  . . .  auch 
bei  den  zweiten;  s.  im  allgemeinen  oben  S.  167. 


64.  Die  Spiel«. 


383 


hang  mit  dem  Gottesdienste  zeigt  sich  namentlich  bei  dem  Marsfeste  des 
15.  Oktober,  wo  das  Handpferd  des  siegreichen  Zweigespannes  dem  Ootte 
geopfert  wird.  Ausrichtung  und  Leitung  der  Spiele  gehört  —  soweit  nicht 
für  bestimmte  Spiele  eigene  coUegia  mit  ihren  magistri  eintreten,  wie  für 
die  Ludi  Gompitalicii  (S.  149,  vgl.  151)  und  die  Ludi  Capitolini  (S.  112)  — 
den  Priestern  (bezeugt  für  die  Gonsualia  durch  Yarro  de  1. 1.  VI  20),  wie 
noch  in  der  Eaiserzeit  auch  die  Arvalbrüder  die  das  Jahresfest  der  Dea  Dia 
beschliessenden  Spiele  im  Haine  der  Göttin  selbst  ausrichten  und  durch 
ihren  magister  leiten  *)  und  bei  der  Saecularfeier  die  Spielgebung  den  Quin- 
decimviri  s.  f.  zufällt,  >)  weil  diese  Spiele  einen  integrierenden  Bestandteil 
der  ganzen  Feier  bilden  und  diese  -—  wenigstens  in  der  Fiktion  —  zu  den 
laufenden  gottesdienstlichen  Handlungen  gehört,  die  ein  für  allemal  be- 
stimmten Priestern  oder  Genossenschaften  überwiesen  sind  (s.  oben  S.  339). 
Im  ausgesprochenen  Gegensatze  zu  diesen  sacralen  und  sacerdotalen 
Spielen  stehen  die  grossen  Spiele  der  republikanischen  Zeit,  von  den 
Ludi  Bomani  angefangen,  insofern  einerseits  hier  Ausrichtung  und  Vor- 
sitz ausschliesslich  den  Magistraten  zufallt,^)  andererseits  sie,  obwohl  an 
bestimmte  Kulte  angeschlossen,  doch  einen  sehr  viel  weniger  ausgeprägt 
sacralen  Charakter  tragen,  wie  schon  daraus  hervorgeht,  dass  diese  Spiele 
jüngerer  Ordnung  nicht  bei  einem  bestimmten  Altar  oder  Heiligtum  statt- 
finden, sondern  im  Gircus,^)  und  dass  sie  den  Tag,  auf  den  sie  fallen, 
nicht  im  sacralrechtlichen  Sinne  zum  dies  nefastus  machen,^)  während  die 
älteren  alle  mit  feriae  publicae  zusammenfielen;  auch  die  Bestreitung  der 
Kosten  erfolgt  bei  den  beiden  Gattungen  der  Spiele  auf  verschiedene 
Weise,  natürlich,  da  beide  ludi  publici  sind,  bei  beiden  aus  öffentlichen 
Mitteln^  aber  bei  den  sacerdotalen  Spielen  aus  dem  Nutzungsertrage  der 
heiligen  Haine,  ^)  bei  den  magistratischen  aus  einer  bei  der  Ständigkeits- 
erklärung  vom  Senate  fixierten  Pauschalsumme,  die  der  spielgebende  Be- 
amte im  Falle  der  Unzulänglichkeit  aus  eigenen  Mitteln  zu  ergänzen  hat.'') 

Tages  duroh  ständige  Jahresspiele  auf  die 
Note  dea  Tageechaiakters  keinen  Einfiuss 
gettbt  hat. 

*)  Daher  der  technische  Ansdrack  lucar 
fOr  das  Spielgeld  (Plat.  Qo.  Rom.  88.  Paul, 
p.  119;  vgl.  Tac.  ann.  1  77.  Tertoll.  Scorp.  8. 
CIL  X17  375,  12),  offizieU  bezeugt  für  die 
sacerdotalen  Saecnlarspiele  (CIL  VI  877  a  1 
de  lucari  ludorum  aafeciUariumJ;  vgl.  Momx- 
8BN,  Staatsr.  II  63,  1). 

^)  Wir  kennen  z.  B.  die  ursprünglich 
angesetzten  Spielsummen  fOr  die  Ludi  Ro- 
mani  (200000  Sest.,  Dion.  Hai.  VII  71.  Ps. 
Ascon.  p.  142  Or.;  über  die  Erhöhung  auf 
.833  338 '/s  Sest.  im  J.  537  =  217,  Liv.  XXH 
10,  7,  s.  DiBLS,  Sibyll.  Bl&tter  S.  40  A.  1)  und 
Apollinares  (12000  As,  Liv.  XXV  12,  12), 
ausserdem  die  Ansätze  für  dieselben  Spiele 
(Romani  760000  Sest.,  Apollinares  380000 
Sest.)  sowie  die  Plebei  (600000  Sest.)  und 
Augustales  (10000  Sest)  aus  der  Regierungs- 
zeit des  Claudius  durch  den  Kalender  von 
Antium  (CIL  I*  p.  248  f.);  Qber  die  Nor- 
mierungen der  aus  eigenen  Mitteln  der  Spiel- 


>)  Hbnzih,  Acta  fratr.  Arv.  S.  36  ff. 

>)  MoMMSBN,  Eph.  epigr.  VIII  p.  268  ff. 
Auch  diese  ludi  aoüemnes  finden  an  der 
Stätte  des  Saecularopfers  selbst,  d.  h.  der 
Ära  Ditis  im  Marsfelde  (S.  256),  statt. 

')  Ueber  die  Scheidung  priesterlicher 
und  magistratischer  Spiele  vgl.  Mommsbn, 
Rdm.  Forsch.  II 55  ff. ;  Ephem.  epigr.  II  p.  128  f. 
m  p.  102.  Vm  p.  243  ff. 

^)  Darum  waren  die  zur  Zeit  des  Latiar 
in  Rom  abgehaltenen  Rennen  von  quadrigcte 
auf  dem  Capitol  (Plin.  n.  h.  XXVII  45) 
wohl  sacerdotu;  auffällig  ist  die  Abhaltung 
der  am  7.  Juni  stattfindenden  ludi  piscatoHi 
{frans  TiheHm  Fest.  p.  213.  238;  in  gramine 
catnpi  Ovid.  fast.  VI  237)  durch  den  Praetor 
urbanus  (s.  S.  184  und  341  A.  3). 

^)  Anders  Mommskn,  CIL  I*  p.  299; 
Staatsr.  in  1055  f. ;  aber  der  Umstand,  dass 
man  thatsächlich  die  Spieltage  durch 
Aussetzen  der  Gerichtsverhandlungen  respek- 
tierte, kann  für  die  rechtliche  Auffassung 
nichts  beweisen  gegen  das  Zeugnis  der  Stein- 
kalender, nach  denen  die  Besetzung  eines 


384 


Belig^on  und  Enltiui  der  BAmer.    HI.  Enltas. 


Auch  die  Überlieferung  scheidet  beide  Gruppen  von  Spielen  in  der  Art, 
dass  sie  die  sacerdotalen  Spiele  auf  Bomulus  oder  Numa  zurückführt,  ^j 
während  als  der  Schöpfer  der  Ludi  Romani  und  damit  dieser  ganzen  Gattung 
von  2Ko{i  Tarquinius  Priscus  gilt,^)  mit  Recht,  insofern  diese  Schöpfung  auf  das 
engste  mit  der  Begründung  des  capitolinischen  Heiligtums  und  den  übrigen 
sacralen  und  politischen  Neugestaltungen  der  tarquinischen  Epoche  (s.  oben 
S.  33  ff.)  zusammenhängt.  Ein  unterscheidendes  Kennzeichen  der  Ludi 
Romani  und  aller  jüngeren  nach  demselben  Typus  gestalteten  Gircusspiele^) 
ist  der  feierliche,  nach  ganz  bestimmten  Vorschriften  gestaltete  Festzug 
{pompa  circensis),  der  ein  unverkennbares  Abbild  des  Triumphzuges  ist;^) 
es  ist  eine  zwingende  Schlussfolgerung  Mommsens  (Rom.  Forsch.  II  45  f.), 
dass  ursprünglich  Triumph  und  Circusspiele  derart  zusammenhingen,  dass 
der  Triumphalaufzug  des  Siegers  nicht  auf  dem  Capitol  endete,  sondern 
sich  von  da  zum  Circus  fortsetzte  und  in  den  Rennspielen  seinen  Abschluss 
fand,  später  aber  beide  Teile  sich  von  einander  lösten,  indem  sowohl 
Triumphe  ohne  Spiele  als  Spiele  ohne  Triumphe  gefeiert  wurden.  Der 
Zusammenhang  mit  der  Siegesfeier  brachte  es  von  selbst  mit  sich,  dass 
diese  neuen  Spiele,  verglichen  mit  den  Feiern  etwa  der  Consualia  oder 
Equirria,  sehr  viel  prunkhafter  wirkten,  zumal,  wenn  nicht  alles  trügt,  die 
Ausstattung  zum  guten  Teile  eine  fremdartige,  von  den  Etruskem  entlehnte 
war;'^)  es  ist  also  wohl  zu  verstehen,  dass  man  sie  als  ludi  magni  von  den 
bescheidenen  Darbietungen  älteren  Stiles  unterschied.^)  Wie  der  Triumph 
so  sind  diese  Spiele  ihrer  ganzen  Natur  nach  eine  ausserordentliche,  un- 


geber  zuzuschiessenden  Summen  nach  oben 
und  nach  unten  s.  FbibdlIndbb-Mabqüardt, 
Staatsvervr.  III 488  f.  Mokmsbk,  Ephem.  epigr. 
m  p.  102  f. 

')  TertuU.  de  spect.  5  führt  die  Consu- 
alia und  Equirria  (vgl.  Paul.  p.  81)  auf  Ro- 
mulus,  die  Robigalia  auf  Numa  zurück;  für 
die  Ludi  Capitolmi  schwankt  die  Ueberliefe- 
rang,  indem  die  einen  sie  von  Romulus  zu 
Ehren  des  alten  Juppiter  Feretrius  eingesetzt 
sein  lassen  (Ennius  in  Sohol.  Bern.  Verg. 
Georg.  IL  384.  Sueton.  bei  Tertull.  a.  a.  0. 
Flut.  Qu.  Rom.  58;  Romul.  25),  während  nach 
Liv.  y  50,  4.  52,  1 1  ihre  Begründung  erst 
nach  dem  Abzüge  der  Gallier  von  Rom  364 
=  390  V.  Chr.  erfolgte  und  dem  Juppiter 
0.  M.  galt;  s.  oben  S.  112. 

*)  Liv.  I  85,  9.  Gio.  de  rep.  U  86. 
Eutrop.  I  6. 

*j  Bezeugt  ausser  für  die  Ludi  Romani 
und  magni  (Dion.  Hai.  V  57, 5.  Suet.  Aug.  43) 
auch  für  die  ApoUinares  (Juven.  X  86.  XI 195. 
Plin.  n.  h.  XXXIV  20),  Megalenses  (Ovid.  fast 
IV  391)  und  Augustales  (Tac.  ann.  I  15,  vgl. 
Gass.  Dio  LVI  46,  5). 

^)  Beschreibung  der  Fompa  nach  Fabius 
Pictor  bei  Dion.  Hai.  VU  72,  vgl.  damit  die 
von  Mabquardt,  Staatsverw.  U '  584,  1  auf- 
gezählten Triumphbeschreibungen,  nament- 
lich Appian.  Fun.  66.  Das  Triumphalgewand 
des  spielgebenden  Magistrates  ist  ausser  der 
Andeutung  bei  Liv.  Y  41,  2  bezeugt  erst  für 


die  Eaiserzeit  (Juven.  X  86  ff.  XI  194  f. 
Plin.  n.  h.  XXXIV  20.  Martial.  VUl  83,  1,  wo 
überall  der  Praetor,  als  damals  xor'  i^oxrjr 
spielgebender  Magistrat  genannt  ist;  die  all- 
gemein übliche  Beziehung  dieser  Stellen  auf 
die  praetorischen  ApoUinarspiele  ist  nicht 
nur  willkürlich,  sondern  bei  Juven.  XI 194  f., 
wo  es  sich  deutlich  um  die  Megalesien  han- 
delt, direkt  ausgeschlossen),  aber  sicher 
uralt. 

^)  Ueber  die  Herleitung  der  Triumphal- 
insignien  (Strab.  V  220.  Flor.  I  5,  6)  und  der 
Pompa  (Appian.  Pun.  66)  sowie  der  Spiele 
selbst  (Liv.  I  85,  9  ludicrum  fuit  egui  pugt" 
lesque  ex  Etruria  tnaxime  acciti;  die  bei 
Tac.  ann.  XIV  21  wiedergegebene  Ansicht 
a  Tuads  tzccitoa  hiatrionea,  a  Thuriis  equo- 
rum  certamina  steht  ganz  vereinzelt)  vgl. 
Mülleb-Dbbckb,  Etrasker  I  846  f.  II  219  ff. 

*)  Die  Ausdrücke  ludi  votivi  und  ladt 
magni  bezeichnen  also  unter  Umständen  die- 
selbe Sache  (z.  B.  nennt  dieselben  Spiele  des 
J.  263  =  491  V.  Ghr.  Liv.  II  36, 1  ludi  magni, 
Gic.  de  div.  I  55  ludi  voHvi,  beide  mit  Recht, 
dagegen  unrichtig  August,  o.  d.  IV  26  ItuU 
Bomani)f  indem  die  Spiele  als  magni  von 
den  alten  Sacralspielen,  als  votivi  von  den 
ständigen  Jahresfesten  gesondert  werden; 
Livius  gebraucht  ludi  magni  regelmässig 
von  den  ausserordentlichen,  ludi  Bomani 
von  den  ständigen  Spielen  (Mommsbn,  Rüm. 
Forsch,  n  51  f.). 


84.  Die  8pi«le. 


385 


ständige  Feier,  sie  werden  beim  Auszuge  zum  Kriege  gelobt  und  bei  der 
siegreichen  Rückkehr  begangen;  allmählig  wiederholen  sich  aber  diese 
Feste,  da  mehrere  Jahre  nacheinander  glückliche  Feldzüge  geführt  werden, 
immer  häufiger  und  regelmässiger,  bei  Kriegen  von  mehrjähriger  Dauer 
gelobt  man  auch  bei  der  Abhaltung  der  Siegesspiele  für  das  eine  Jahr 
bereits  die  gleiche  Feier  für  den  gleichen  Erfolg  des  nächsten  Jahres,  und 
so  werden  die  Spiele  erst  thatsächlich  ständig,  bis  sie  dann  auch  rechtlich 
unter  die  Jahresfeiern  aufgenommen  und  damit  auf  bestimmte  Tage  fixiert 
werdend)  Aber  neben  der  nunmehrigen  Jahi*esfeier  können  auf  Grund 
besonderer  Anlässe  auch  weiterhin  ausserordentliche  Spiele  der  gleichen 
Art  gelobt  und  begangen  werden  {ludi  votivi),  gewissermassen  als  aus- 
nahmsweise gebotene  Verdoppelung  der  normalen  Spielgebung.^)  Zu  stän- 
digen, an  bestimmte  Kalendertage  gebundenen  Jahresfesten  wurden  die 
ludi  magni^  die  von  da  an  offiziell  ludi  Romani  heissen,')  nach  Mommsens 
(a.  a.  0.  II  53)  sehr  einleuchtender  Vermutung  im  J.  388  =  366,  in  welchem 
die  Einsetzung  der  curulischen  Aedilität  und  die  Bestimmung  der  neuen 
Beamten  als  curatores  ludorum  soUemnium  (Cic.  de  leg.  lU  7)  auf  grosse 
Neuerungen  auf  dem  Gebiete  des  staatlichen  Spielwesens  schliessen  lässt>) 
Da  die  Spiele,  so  lange  sie  ausserordentliche  Feiern  waren,  immer  dem 
Hauptgotte  des  Staates,  dem  Juppiter  0.  M.,  gelobt  worden  waren,  so 
traten  sie  nunmehr  auch  als  ständiges  Fest  in  engste  Beziehung  zum 
capitolinischen  Tempel,  indem  sie  sich  unmittelbar  an  den  Stiftungstag 
dieses  Heiligtums  anschlössen :  ^)  die  Spieltage,  deren  Zahl  damals  auf  -vier 
erhöht  wurde, ^)  folgten  dem  durch  das  epulum  lavis  ausgezeichneten 
Tempeltage  an  den  Idus  des  September  (oben  S.  112)  in  der  Weise, 
dass  der  als  dies  ater  ungeeignete  nächstfolgende  Tag  (14.  September) 
für   die   Musterung   der  Pferde    (equorum  probatio),    die    weiteren  Tage 


^)  liv.  I  ^,  9:  soUemnea,  deinde  annuiy 
mansere  ludi,  Bomani  magnique  varie  ap- 
pellati.  Typisch  für  den  Verlauf  ist  die 
Geschichte  der  ludi  ÄpoUinares,  die  542 
=  212  zum  erstenmale  aasserordentlicher- 
weise  gelobt  und  gefeiert  (Liv.  XXV  12),  im 
folgenden  Jahre  wiederholt  (Liv.  XXVI  23,  3) 
und  dann  545  =  209  in  der  Weise  jährig 
gemacht  werden,  dass  die  Praetoren  sie  m 
unum  annum  vovebant  dieque  incerto  fade- 
bant  (Liv.  XXVII  23,  5);  im  folgenden  Jahre 
546  =  208  aber  entschliesst  man  sich,  sie  in 
Perpetuum  in  statam  diem  zu  vovieren  (Liv. 
a.  a.  0.  §  7). 

')  Aofzählung  der  bekannten  F&Ue  von 
ansserordentlicherweise  gelobten  Spielen  bei 
MoKMSSN,  Rom.  Forsch.  II  51,  16.  Frisd- 
LANDER -Mab<)uabdt,  Stsatsverw.  III  497,  4. 
Dass  die  ludi  voHvi  die  gleiche  Zahl  von 
Tagen  füllen,  die  zur  Zeit  den  ordentlichen 
Spielen  zukommt,  zeigt  Mommsen  a.  a.  0.  54 
an  dem  Beispiele  der  ludi  votivi  des  Pom- 
pejus  im  J.  684  =  70  (Cic.  in  Verr.  act.  I  31). 

•)  Paul.  p.  122  (vgl.  Fest.  p.  262).  Ps. 
Ascon.  p.  142  dr. ;  die  gelegentlich  auftretende 
Bezeichnung  ludi  maximi  (Liv.  VI  42,  12. 

Huidbnoh  der  Uaas.  AlteiiamswiaBenaohttft.  V  4, 


Cic.  de  rep.  II 35)  ist  wohl  erst  aufgekommen, 
als  man  die  Ludi  Romani  gegenüber  den 
jüngeren  Spielen  gleicher  Art  hervorheben 
wollte.  In  demselben  Sinne  bezeichnet  dann 
Nero  die  Spiele,  die  er  pro  aeternitate  im- 
perU  abhält,  als  ludi  maximi  (Suet.  Nero  11). 

*)  Den  Ausdruck  ludi  Bomani  braucht 
Livius  zum  ersten  Male  für  das  J.  432  =  322 
V.  Chr.  (Vlll  40,  2). 

^)  Die  Annahme  L.  Holzapfels  (Philol. 
N.F.  II  1889,  369  ff.),  dass  die  Fixierung 
der  Ludi  Romani  ai^  den  September  erst 
erheblich  später  erfolgt  sei  als  ihre  Ein- 
reihung unter  die  ständigen  Jahresfeste,  und 
dass  sie  noch  in  den  J.  538  =  216  und 
557  =  197  am  Ende  des  von  März  zu  März 
laufenden  Amtsjahres  stattgefunden  hätten, 
beruht  auf  einer  Verkennung  der  bei  Liv. 
XXIII  30  und  XXXI U  24  f.  befolgten  Anord- 
nung der  Ereignisse. 

*)  liv.  VI  42, 12;  über  die  vorhergehende 
successive  Erweiterung  von  einem  auf  zwei 
und  drei  Tage,  die  von  der  Ueberlieferung 
verschieden  dargestellt  wird,  vgl.  Mommsbn, 
Rom.  Forsch.  II  48  f. 


25 


386 


Religion  und  KnltnB  der  BOmer.    IIL  Koltiui. 


(15. — 18.  September)  für  die  Gircusspiele  verwendet  wurden;^)  die  Zahl 
der  Circustage  ist  späterhin  im  J.  710  =  44  nach  Caesars  Tod  (Cic.  Phil. 
II 110)  noch  um  einen  (19.  September)  vermehrt  worden,  alle  übrigen  Er- 
weiterungen fielen  den  im  J.  890  =  364  zur  Einführung  gelangten  ludi 
scaenici  zu  und  erstreckten  sich  von  dem  den  Iden  vorausgehenden  Tage 
(12.  September)  nach  rückwärts,  in  der  Zeit  der  Steinkalender  bis  zum 
4.  September,  so  dass  sich  damals  die  Gesamtdauer  dieser  Spiele  auf  16  Tage 
(4.— 19.  September)  belief.  In  ganz  paralleler  Gestaltung  entwickelt  sich 
dann  das  zweite  Jahresfest  dieser  Art,  die  Ludi  Plebei,  ständig  nachweislich 
zuerst  im  J.  538  ^216  (Liv.  XXIII  30,  17),  wahrscheinlich  aber  schon  seit 
534  =:  220,  da  in  diesem  Jahre  der  Gircus  Flaminius  erbaut  wurde,  der 
ebenso  das  regelmässige  Lokal  für  den  circensischen  Teil  der  Ludi  Plebei 
ist,  wie  der  Circus  maximus  für  die  Ludi  Romani.')  Wie  diese  von  den 
curuUschen,  so  werden  die  Ludi  Plebei  von  den  plebejischen  Aedilen  aus- 
gerichtet, wie  dort  die  Iden  des  September,  so  bilden  hier  die  Iden  des 
November,  seit  dem  J.  558  =  196  (s.  oben  S.  357)  ebenfalls  durch  ein  epulum 
lovis  bezeichnet,  den  Mittelpunkt,  in  beiden  Fällen  folgt  auf  diesen  Tag  erst 
die  equorum  probatio  und  nachher  die  Reihe  der  Circustage,  während  die 
Tage  der  ludi  scaenici  den  Iden  vorangehen,  beide  Festperioden  werden  ab- 
geschlossen durch  einen  mehrtägigen  Markt  {merk[aius]^  20. --23.  September 
bezw.  18.— 20.  November),  wie  er  sich  sonst  nur  noch  bei  den  Ludi  Apol- 
linares  findet.  Weder  die  Vorgeschichte  des  Festes  noch  das  Anwachsen 
der  Spieltage  lässt  sich  verfolgen,  nach  den  Steinkalendem  stehen  die 
plebejischen  Spiele  in  der  augusteischen  Zeit  hinter  den  Ludi  Romani  an 
Ausdehnung  nur  um  zwei  Circustage  zurück  und  füllen  die  Zeit  vom  4. 
bis  17.  November.  Beide  Feste  haben  stets  gegenüber  allen  anderen 
Spielen  ihre  Sonderstellung  bewahrt,^)  nicht  nur  gegenüber  den  alten 
Sacralspielen,  sondern  auch  gegenüber  allen  jüngeren  Schöpfungen  ver- 
wandter Art:  das  zeigt  sich  schon  darin,  dass  nur  für  sie  das  Gebot  der 
instauratio,  d.  h.  der  Wiederholung  des  durch  eine  Störung  oder  einen  Ver- 
stoss ungiltig  gewordenen  Teiles  der  Festfeier  besteht;^)  diese  Instaurationen 


^)  MoKKSBN  CIL  I'  p.  828  f.;  vgl.  auch 
Rom.  Forsch.  II  55,  25. 

*)  MoKMSBN,  Staatsr.  II  508. 

')  Irrig  ist  aber  die  Meinung,  dass  sie, 
weü  allein  mit  ep%ila  verbanden,  speziell 
den  Namen  ludi  aacri  geführt  hätten  (Mir- 
KBL,  Proleg.  ad  Ovid.  fast.  p.  IX.  Mommsbn 
CIL  I'  p.  300.  Fbibdlaitdbr  -  Mabquabdt, 
Staatsverw.  III  488);  denn  die  Worte  des 
Cass.  Dio  LI  1,  2  aydava  .  .  fsoov  —  ovtoi 
yaQ  Toüs  tijy  irurjair  l/oKror;  cjyofAaCoy  — 
(von  den  penteterisohen  "Jxtia  in  Nikopolis) 
haben  kernen  Bezug  auf  römische  Verhält- 
nisse; vgl.  über  die  griechischen  kgol  dytSysi 
und  die  den  Siegern  derselben  zukommende 
üitrjüis  iy  ngvrayeit^  £.  Kbisoh  bei  Pauly- 
WissowA,  Real-EncycL  I  847  ff.  Auch  die 
certamina  sacra  bei  Ulp.  Dig.  III  2, 4  pr.  und 
Bist.  aug.  Alex.  Sev.  42,  2  sind  die  griechi- 
schen IbqoI  aytüyeS' 

*•)  Wie  viele  Spieltage  von  neuem  be- 


gangen wurden,  wird  in  der  Form  ludi  .  . 
per  triduum  instaurati  oder  ludi  .  .  ter  in- 
staurati  oder  auch  ludi  .  .  toti  instauraU 
angegeben  (s.  Wbissbnbobn  -  H.  J.  Müllbb 
zu  Liv.  XXIII  80,  16);  auf  die  Zahl  der  nor- 
malen Spieltage  kann  man  aus  diesen  An- 
gaben keinen  Schluss  ziehen  (also  auch  ans 
Liv.  XXIX  11,  12  plebei  septiens  instaurati 
nicht,  dass  im  J.  549  =  205  die  Spieltage 
der  Ludi  Plebei  schon  mindestens  7  gewesen 
wären),  da  öfters  eine  Wiederholung  der 
Störung  oder  des  Verstosses  eine  mehr  als 
einmalige  instauratio  nötig  machte,  z.  B. 
Liv.  XXXVIII  35,  6  ludi  Romani  ter,  plebei 
quinguiens  toti  instaurati]  Cass.  Dio  LX  6, 4 
spricht  von  8,  4,  5,  ja  1  Omaligen  Wieder- 
holungen, wogegen  Caligula  Instaurationen 
der  Gircusspiele  nur  in  unum  diem  (d.  h. 
einmalige  Zufügung  eines  Instaurationstages) 
zuliess.  Liste  der  Instaurationen  aus  Livius 
bei  RiTscHL,  Parerga  S.  810  f.  Anm. 


64.  Die  Spiele. 


887 


bflden  ebenso  eine  Verdoppelung  oder  Yervielfachimg  der  Feier,  wie  die 
Ansetzung  von  eigenen  ludi  votim  {mcigni)  neben  den  regelmässigen  Jahres- 
feiern (oben  S.  385)^  vielleicht  ist  auch  die  Instauration  gar  nicht  immer 
wegen  solcher  Verfehlungen  angeordnet  worden,  sondern  als  ausserordent* 
liches  Dankfest,  wie  dies  bei  der  Wiederholung  der  feriae  Latinae  nach- 
weislich der  Fall  gewesen  ist.  *)  In  späterer  Zeit  wird  der  gleiche  Zweck 
dadurch  erreicht,  dass  die  Spielgeber  der  durch  die  Spielordnung  für  die 
ludi  sollemnes  festgesetzten  Tageszahl  noch  weitere  Spieltage  in  der  Form 
von  ludi  honorarii  aus  eigener  Liberalität  hinzufügten.^) 

Die  übrigen  öffentlichen  Spiele,  die  in  rascher  Folge  innerhalb  der 
nächsten  Jahrzehnte  in  die  Reihe  der  ständigen  Jahresfeste  eintreten,  nämlich 
die  Ludi  Apollinares  (546  =  208,  s.  S.  241  und  885  A.  1),  Ceriales  (vor  552 
=  202,  8.  S.  246),  Megalenses  (563  =  191,  s.  S.  263  f.),  Florales  (581  =  173, 
s.  S.  163),  geben  im  allgemeinen  den  Typus  der  Ludi  Bomani  und  plebei 
wieder,  weichen  aber  in  der  Gesamtanordnung  insofern  von  diesen  ab,  als 
sie  sich  zwar  auch  an  einen  Festtag  desjenigen  Kultes,  zu  dem  sie  ge- 
hören, anschliessen,  die  Spieltage  aber  diesen  nicht  auf  beiden  Seiten  um- 
geben, sondern  sich  von  ihm  aus  nur  nach  rückwärts  oder  vorwärts  aus- 
dehnen, so  dass  der  Haupttag  nicht  die  Mitte,  sondern  entweder  den  An- 
fang oder  den  Schluss  der  ganzen  Reihe  bildet;^)  das  letztere  ist  der  Fall 
bei  den  beiden  ältesten  Spielen  dieser  Gattung,  indem  die  Ludi  Apollinares 
ursprünglich  auf  den  13.  Juli,  wahrscheinlich  den  Stiftungstag  des  Apollo- 
tempels beim  Circus  Flaminius  (oben  S.  240  und  241  A.  1),  fielen  und  in  der 
augusteischen  Zeit  die  Tage  vom  6. — 13.  Juli  füllten,  die  Ludi  Ceriales 
aber  von  dem  Stiftungstage  der  aedes  Cereris  Liberi  Liberaeque  (S.  244)  am 
19.  April  ausgehend  sich  über  die  Zeit  vom  12.  — 19.  April  ausdehnten;  um- 
gekehrt setzen  sich  die  Ludi  Megalenses  vom  4.  April  (dem  Tage  der  An- 
kunft der  Grossen  Mutter  in  Rom,  S.  263)  und  die  Ludi  Florales  vom 
28.  April  (Stiftungsfest  des  Floratempels  beim  Circus,  S.  163)  an  nach  vor- 
wärts fort  (4. — 10.  April  bezw.  28.  April  bis  3.  Mai).*)  Gleichzeitig  zeigt 
sich  ein  Zurücktreten  der  ursprünglich  alleinherrschenden  Circusspiele  in 
sofern,  als  bei  den  Ludi  Apollinares  und  Ceriales  nur  je  ein  Tag,  und 
zwar  der  ursprünglich  einzige,  nachher  letzte  Tag,  ihnen  gewidmet  wurde, 
während  die  Ludi  Megalenses  und  Florales  in  erster  Linie  ludi  scaenid 
waren  und  nur  am  letzten,  d.  h.  wenigstens  bei  den  Florales  dem  am 
spätesten  hinzugetretenen  Tage  auch  Vorführungen  im  Circus^)  enthielten. 


')  MoMMBBN,  Rom.  Forsch.  TI  105  ff. 
Chb.  V^bbnrb,  De  feriis  Latinis  (Lipe.  1888) 
8.  38  ff. 

*)  So  die  Quindecimvini  bei  der  auga- 
Bteischen  Saecularfeier  (£ph.  epigr.  V  HI  p.  233 
Z.  156  ludoa  quos  honorarioa  dierutn  VII 
cuUecimua  ludis  sollemnibus;  letztere  waren 
dreitägig  gewesen);  vgl.  Paul.  p.  102  hono- 
rarioa ludos,  qtios  et  liberalia  dicebant. 
Snet.  Aug.  32  und  Mommsbn,  Ephem.  epigr. 
VIII  p.  269  f. 

*)  Uebersicfat  Qber  die  üeberliefemng 
der  Ealendarien  bei  Momxsin  CIL  T^  p.  321. 
315.  314.  317. 


^)  Der  Grund  der  Abweichung  ist  bei 
den  Megalenses  der,  dass  für  sie  ausser  dem 
4.  April  auch  der  10.  April  als  natalis  des 
palatinischen  Tempels  gegeben  war  (S.  264), 
bei  den  Florales  der,  dass,  wenn  man  die  Spiel- 
tage vom  28.  April  aus  nach  rückwärts  gehend 
geordnet  hätte,  man  zu  nahe  an  die  bis  zum 
19.  April  reichenden  Ceriales  gekommen  wäre, 
was  um  so  mehr  zu  vermeiden  war,  als  vor 
den  Ceriales  bereits  die  Megalenses  eine 
längere  Reihe  von  Tagen  besetzt  hielten. 

')  Bei  den  Ludi  Florales  haben  Wagen* 
rennen  wohl  überhaupt  nicht  stattgefunden, 
sondern  nur  Tierhetzen  im  Circus,  und  zwar 

25* 


388 


Beligion  nnd  Kultus  der  Bömer.    HI.  Enltiui. 


Sonst  folgen  diese  Spiele  dem  Vorbilde  teils  der  römischen  teils  der  ple- 
bejischen Spiele,  indem  ihre  Ausrichtung  —  abgesehen  von  den  dem  Stadt- 
praetor  überwiesenen  Ludi  ApoUinares  (s.  oben  S.  341)  —  teils  dem  einen 
teils  dem  anderen  Aedilencollegium  zufällt  ^)  und  wahrscheinlich  auch  dem 
entsprechend  für  die  Rennspiele  teils  der  grosse,  teils  der  flaminische 
Gircus  zur  Anwendung  kommt.  ^)  Die  ausserordentlichen  Spiele  dieser  Zeit 
—  mit  Ausnahme  der  mit  den  Romani  übereinstimmenden  ludi  magni 
(s.  oben)  —  lassen  regelmässig  nach  dem  Vorbilde  der  ApoUinares  und 
Ceriales  auf  mehrtägige  Bühnenspiele  einen  Circustag  folgen,')  dagegen 
fehlen  bei  den  zahlreichen  privaten  ludi  funebres  die  Circusspiele  und  neben 
den  scenischen  Aufführungen  erscheinen  hier  Gladiatorenkämpfe, ^)  die  erst 
im  J.  649  =  105  in  die  staatliche  Spielgebung  eindringen  (s.  unten  S.  397  f.). 
Seit  den  Bürgerkriegen  tritt  eine  neue  Oattung  von  Spielen  auf, 
deren  Zusammenhang  mit  dem  Kultus  noch  viel  lockerer  und  äusserlicher 
ist,  als  bei  den  bisher  behandelten,  und  die  in  der  Hauptsache  nur  Er- 
innerungsfeiern an  Grossthaten  und  Erfolge  der  jeweiligen  Machthaber 
darstellen.  Die  Ealendarien  der  früheren  Eaiserzeit  verzeichnen  von 
Spielen  dieser  Art  die  Ituii  Vidoriae  Sullanae  (27.  Oktober  bis  1.  November), 
zur  Erinnerung  an  Sullas  Sieg  an  der  Porta  CoUina  (1.  November  672  ^  82) 
eingesetzt,^)  die  ludi  Vidoriae  Caeaaris  (20. — 30.  Juli),  anknüpfend  an  die 
Einweihung  der  aedes  Veneris  Genetricis  am  26.  September  708  =  46  (oben 
S.  238),  aber  erst  später  rechtlich  ständig  geworden,  und  die  ludi  divi 
Äugusti  et  Fortunae  Reducis  (3.— 12.  Oktober),  angeschlossen  an  die  Feier 
der  Rückkehr  des  Augustus  aus  dem  Orient  und  die  Constitution  der  Ära 
Pacis  (Augustalia,  12.  Oktober,  s.  S.  212),  seit  743  =  11  v.  Chr.  wohl  all- 
jährlich gefeiert,  aber  erst  im  J.  14  n.  Chr.  offiziell  unter  die  Jahresspiele 


von  Rehen  und  Hasen  (Ovid.  fast.  V  371  f.). 
Es  ist  möglich,  dass  solche  Besonderheiten, 
wie  namentlich  auch  die  Fuchshetze  an  den 
Ludi  Ceriales  (S.  246),  viel  älter  sind  als  die 
Einführung  der  Spiele  und  zu  den  ludicra 
der  altrömischen  Feste  Cerialia  und  Flori- 
fertom  (S.  163.  164)  gehörten. 

')  Jedenfalls  steht  fest,  dass  die  Ludi 
Megalenses  den  curulischen,  die  Ceriales 
den  plebejischen  Aedilen  zufielen  (die  Zeug- 
nisse bei  MoMMSBN,  Staatsr.  II  509),  die  Um- 
kehrung des  Verhältnisses  bei  Cic.  Yerr.  V  86 
muss  auf  einem  Irrtume  beruhen ;  seine  wei- 
tere Angabe,  dass  die  Ludi  Florales  den 
curuüschen  Aedilen  gehörten,  können  wir 
nicht  kontrollieren. 

')  Zeugnisse  dafür  gibt  es  nicht;  nur 
dass  die  ApoUinarspiele  im  Circus  mazimus 
gefeiert  wurden,  geht  aus  Liv.  XXX  38, 10  und 
für  die  Kaiserzeit  aus  der  Erzählung  von  dem 
unter  Antoninus  Pius  stattgefundenen  Un- 
glück hervor,  Chronogr.  v.  J.  354  bei  Momm- 
SBN,  Chron.  min.  I  146;  vgl.  Hist.  aug.  Pius 
9,  1.  Im  Circus  Flaminius  finden  ausser  den 
Ludi  Plebei  nach  Yarro  de  L  1.  V  154  auch 
die  ausserordentlichen,  e  libria  fcUcdibus 
(Serv.  Aen.  II  140)  angeordneten  ludi  Taurii 
(Serv.  a.  a.  0.  Fest.  p.  351.  360.  Paul.  p.  350) 


statt,  für  die  das  einzige  historische  Beispiel 
eine  zweitägige  Feier  im  J.  568  =  186  ist 
(Liv.  XXXIX  22,  1  ludi  Taurü  per  hiduum 
facti  religionis  causa;  in  dem  folgenden 
decem  der  lückenhaften  Stelle  steckt  viel- 
leicht eine  Erwähnung  der  decemviri  8.  f. 
als  Spielgeber). 

'j  z.  B.  bei  Dedicationsf eiern:  Liv.  XL 
52,  3  ludosque  acaenicoa  triduum  post  dedi- 
cationem  tetnpli  lu/nonis,  hiduum  post  IHanae 
et  singuJos  dies  fecit  in  circo,  XLII  10,  5 
acaenicos  ludos  per  quadriduum,  tmum  diem 
in  Circo  fecit. 

M  Zuerst  490  =  264  v.  Chr.  Val.  Max. 
II  4,  7  (vgl.  Liv.  per.  XVI);  weiterhin  z.  B. 
Liv.  XXIII  30,  15.  XXVIII  21,  1.  10.  XXXI 
50,  4.  XXXIX  46,  2.  XLI  28,  11.  Mehr  s. 
bei  Fribdlandbb-Marquabdt,  Staatsverw.  III 
554,  5;  die  bei  solchen  Leichenspielen  ge- 
botenen Schmause  (Liv.  XXXIX  46,  2.  XU 
28,  11)  haben  mit  den  eputa  lovis  der  Ludi 
Romani  und  Plebei  ebensowenig  etwas  zu 
thun,  wie  die  in  der  Eaiserzeit  bei  den  Spielen 
zuweilen  gegebenen  Bewirtungen  (Mab<)uabi>t 
a.  a.  0.  S.  350  und  FribdijLndbb  ebd.  S.  496). 

»)  Voll.  Paterc.  II  27,  6.  Cic.  in  Verr.  act. 
I  31  nnd  dazu  Ps.Ascon.  p.  148.  CIL  P 
p.  333. 


64.  Die  Spiele. 


389 


aufgenommen.  1)  Von  diesen  drei  Spielen  sind  die  ersten  und  die  letzten 
ganz  auf  den  Typus  der  Apollinarspiele  eingerichtet,  der  Haupttag  (l.No* 
vember,  12.  Oktober)  hat  allein  Gircusspiele,  die  übrigen  Tage  gehen  ihm 
voran,  Spielgeber  ist  der  Praetor;')  die  caesarischen  Ludi  Yictoriae  sind 
anders  geordnet,  indem  von  11  Tagen  die  vier  letzten  mit  Circusspielen 
gefeiert  werden;  ein  Haupttag  des  Festes  ist  nicht  zu  erkennen,  da  sie 
kalendarisch  vom  Stiftungstage  des  Yenustempels  losgelöst  sind  (darüber 
MoMMSEN,  CIL  P  p.  322),  Spielgeber  scheinen,  seit  die  Spiele  ständig  sind, 
die  Consuln  zu  sein.^)  Daneben  begegnet  uns  ein  anderer  Festtypus,  ver- 
treten durch  die  ludi  Martiales  am  12.  Mai  ^)  und  1.  August,^)  zusammen- 
hängend wahrscheinlich^)  der  erste  Tag  mit  der  Stiftung  der  aedicula 
Martis  in  Capüolio  734  =  20,  der  zweite  mit  dem  Stiftungstage  des  Mars- 
Ultor-Tempels  752  =  2  (S.  133),  femer  durch  die  seit  dem  J.  746  =  8  v.  Chr. 
ständigen  Spiele  am  Geburtstage  des  Augustus  (23.  September) ;  ^)  alle  diese 
Feste  sind  eintägig,  enthalten  nur  Circusspiele  und  fallen  auf  feriae  (Tages- 
zeichen hp),  ähnlich  also  darin  den  Spielen  ältester  Ordnung  wie  Consualia 
und  Equirria;  Spielgeber  sind  aber  nicht  Priester,  sondern  Magistrate.^) 
In  diesen  Bahnen  hat  sich  die  Spielgebung  der  Kaiserzeit  weiter  bewegt. ') 
Eintägige  Circusspiele  an  den  Gedenktagen  der  Geburt  (yeve&lia)  und  des 
Regierungsantrittes  (dies  imperii)  des  regierenden  Kaisers  ^<')  und  an  den 
Geburtstagen  der  consecrierten  Kaiser  {yeväitui)  sowie  zur  bleibenden  Er- 
innerung an  bestimmte  glückliche  Ereignisse  der  äusseren  oder  inneren 
Politik  der  jüngsten  Vergangenheit'^)  bilden  die  Hauptmasse  der  neu  hin- 
zukommenden Spieltage,  wozu  gelegentlich  auch  ausserordentliche  ludi 
votivi  für  das  Glück  und  Wohlsein  der  Herrscher  treten;^')  auch  manche 
der  noch  bestehenden  feriae  publicae  alter  Ordnung'^)  werden  nach  dem- 


>)  Caas.  Dio  LIV  84,  2.  LVI  46,  4.  Tao. 
ann.  1 15.    Mommsbn  CIL  P  p.  382. 

')  Das  bezeugt  für  die  snllanischen 
Spiele  der  Denar  des  Sex.  Nonius  Sufenas 
bei  Babblok,  Monn.  consul.  II  256:  Sex. 
Noni(u8)  pr(aeior)  Ifudos)  V(ictoriae)  p(ri- 
mus)  f(ecU)  (vgl.  Mommsbn,  Mübzw.  8.  625  f.), 
für  die  Ludi  Angustales  Tac.  ann.  I  15. 

')  Diese  nennt  wenigstens  Cass.  Dio 
XLIX  42,  1  im  J.  722  =  82,  also  vor  der 
allgemeinen  Uebertragung  der  Spiele  an  die 
Praetor  im  J.  732  =  22  (Mommsen,  Staatsr. 
II  227    1). 

''i  Lud(i)  Martfi)  in  circ(o)  Fast.  Maff. 
Ovid.  fast.  V  597. 

»)  Cass.  Dio  LX  5,  3;  vgl.  LV  10,  5. 
LVI  27,  4.  46,  4.  Mon.  Anc.  4,  88.  Suet. 
Claad.  4. 

«)  Nach  Mommsbn  CIL  I*  p.  818;  Res 
gestae  D.  Ang.*  S.  93;  dagegen  Jobdan, 
Topogr.  I  2  S.  448  Anm.  18. 

')  Cass.  Dio  LV  6,  6;  vgl.  LIV  8,  5.  26, 2. 
34,  1.  LVI  46,  4.  LVII  14,  4;  vgl.  Mommsbn 
CIL  P  p.  880. 

*)  Dass  sie  sämtlich  consularisch  waren, 
lasst  sich  ans  Cass.  Dio  LVI  46, 4  sohliessen, 
wonach  nach  Aagnstos  Tode  u.  a.  angeordnet 


wird  jd  yeyiüia  (d.  i.  der  Geburtstag  des 
Angnstus)  ol  vnaio^  i^  taov  totg  ^AgBioig 
(=  Ludi  Martiales)  ayotyojeSuSüi,;  für  die 
Martiales  ist  es  auch  durch  Monum.  Ancyr. 
gr.  12,  15  f.  bezeugt. 

')  Auch  die  sacerdotalen  Spiele  zeigen 
dieselben  Tjrpen:  eintägige  Circusspiele  die 
liMii  der  Arvalbrüder,  mehrtftgige  ludi  scaentci 
abgeschlossen  durch  einen  Circustag  die  der 
Quindecimvim  bei  der  Saecularfeier,  u.  zw. 
sowohl  die  ludi  aoUemnea  wie  die  ludi 
honorarii  (S.  387  A.  2). 

»0)  Mommsbn  CIL  I«  p.  802  f. 

**)  Tertull.  de  spect.  6:  reliqui  ludorum 
de  natalibus  et  soüemnibus  regum  et  publici8 
prosperitatibus  .  .  causas  habent.  Solche 
Erinnerungsfeiem  durch  eintägige  Circus- 
spiele werden  z.  B.  angeordnet  beim  Sturze 
Sejans  (Cass.  Dio  LVIII  12,  5),  beim  Tode 
der  Agrippina  (Tac.  ann.  XIV  12)  u.  a. 

*')  z.  B.  für  die  Genesung  der  Livia 
(Tao.  ann.  III  64,  wo  ludi  magni  wohl  nichts 
anderes  als  ludi  votivi  bedeuten  soll),  für 
die  Regierung  Elagabals  (Hbnzbn,  Acta  fratr. 
Arval.  S.  108). 

*')  z.  B.  die  Parilia  seit  der  Gründung 
von  Hadrians  Templnm  Urbia  (S.  288;  dass 


390 


Religion  und  Enltna  der  RQmer.    ni.  Enltiui. 


selben  Typus  mit  eintägigen  Circusspielen  ausgestattet,  mehrtägige  sceni- 
sche  oder  aus  ludi  scaenici  und  ludi  circenses  zusammengesetzte  Spiele 
treten  selten  aus  sacralen  Ursachen,')  in  der  Regel  nur  zur  dauernden 
Feier  wirklicher  oder  angeblicher  grosser  Eriegserfolge^)  in  die  Jahres- 
tafel ein;  auch  die  kaiserlichen  Privatspiele,  für  deren  Gestaltung  natur- 
gemäss  das  souveräne  Belieben  der  Stifter  mehr  als  bei  den  öffentlichen 
Spielen  massgebend  war,')  fanden  vorübergehend  oder  dauernd  in  ihr  Auf- 
nahme. Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  die  Liste  der  Spieltage 
einer  immerwährenden  Umgestaltung  unterlag,  da  bei  dem  fortwährenden 
Zutreten  neuer  Spieltage  die  Rücksicht  auf  das  Geschäftsleben  des  Tages 
und  namentlich  den  Fortgang  der  Rechtsprechung  die  Aufgabe  älterer 
Ludi  verlangte;  die  zu  Ehren  des  Geburtstages  eines  Kaisers  eingesetzten 
Spiele  wurden  über  seinen  Tod  hinaus  festgehalten  nur  dann,  wenn  er 
unter  die  Divi  aufgenommen  wurde  (S.  286),  die  Feier  des  dies  imperii  und 
der  zu  Ehren  der  Grossthaten  seiner  Regierung  eingesetzten  Spiele  hörten 
in  der  Regel  beim  Regierungswechsel  oder  unter  einem  der  nächsten  Kaiser 
von  selbst  auf,^)  manche  Kaiser  haben  auch  eigens  Revisionen  und  Säube- 
rungen der  Spieltafel  vorgenommen.^)  Eine  volle  Kenntnis  von  Umfang 
und  Anordnung  der  Spiele  innerhalb  des  Jahres  besitzen  wir  für  die  Zeit 
des  Kaisers  Constantius  ü.  durch  den  Kalender  des  Philocalus.  Er  ver- 
zeichnet (mit  Einschluss  der  zehntägigen  munera  im  Dezember,  worüber 
unten  S.  398)  176  Spieltage,  die  sich  ihrer  Herkunft  und  Bestimmung  nach 
folgendermassen  verteilen:  1.  Von  den  bis  auf  Augustus  einschliesslich  ein- 
geführten Spielen  sind  verschwunden  die  Ludi  Yictoriae  SuUanae  und  Yic- 
toriae  Caesaris,  sowie  die  Ludi  Martiales  vom  1.  August,  dagegen  erscheinen 
die  Ludi  Romani  mit  4,  die  Plebei  mit  5,  Apollinares  mit  9,  Ceriales  mit 


diese  Spiele  noch  im  5.  Jahrh.  begangen 
worden,  zeigt  Prosper  ohron.  z.  J.  444  = 
MoMxsBV,  Ghron.  min.  I  479),  die  Volcanalia 
jedenfalls  vor  dem  J.  217  n.  Chr.  (Gass.  Dio 
LXXVIII  25,  4),  die  Liberalia  (Auson.  de 
fer.  29). 

M  Die  Neptunalia,  die  Tertull.  de  spect.  6 
zwiscnen  den  grossen  Spielen  (Megalenses, 
Apollinares,  Ceriales  und  Latiares,  Florales) 
aaf führt,  waren  im  4.  Jahrh.  zweitägig,  aber 
nicht  circensisch. 

^)  Die  von  Hadrian  zum  Andenken  an 
Trajans  Parthersiege  gestifteten  ludi  Par- 
thici  (Cass.  Dio  LXIX  2,  3)  waren  gewiss  ein 
ausgedehntes  Fest,  da  fttr  ihre  Ausrichtung 
ein  eigener  praetor  ParthicariiM  bestellt  war 
(MoMMSEN,  Staatsr.  II  227,  5). 

^)  So  waren  die  von  Livia  im  J.  14  n.  Chr. 
zu  Ehren  des  Augustus  eingesetzten  drei- 
tägigen Ludi  Palatini  (Suet.  Calig.  56.  Cass. 
Dio  LVI  46,  5.  LIX  16,  10.  29,  5.  Joseph, 
ant.  Jud.  XIX  75.  Tac.  ann.  I  78)  nur  scenisch ; 
die  Juvenalia  des  Nero,  bei  denen  er  selbst 
als  Kitharoede  auftrat  (Tac.  ann.  XIV  15. 
XV  33.  Cass.  Dio  LXI  19.  20  u.  a.),  spotr 
teten  in  ihrem  Arrangement  jeder  herkömm- 
lichen Spielordnung,  so  dass  Sueton.  Nero  11 


geradezu  die  iuvenaies  als  besondere  Grattung 
neben  circenses,  scaenici  Zudt  und  gladia- 
torium  mtmus  aufführt;  die  Quinquatrusfeier 
Domitians  (Gass.  Dio  LXVII  1,  2.  Suet.  Dom. 
4)  vereinte  mit  Tierhetzen,  Gladiatoren- 
kämpfen und  Bühnenspielen  auch  Agone  der 
Dicht-  und  Redekunst  und  wurde  durch  die 
magistri  eines  vom  Kaiser  nach  älteren  Vor- 
bildern (s.  S.  840  A.  5)  bestellten  eoüegium 
Minervae  ausgerichtet,  lieber  die  privaten 
Gircusspiele  der  späteren  Kaiserzeit  am 
2.  Januar  {circus  privatus  Polem.  Silv.,  vgl. 
Julian,  misopog.  p.  839  G.  Apoll.  Sidon.  carm. 
28,  805  ff.  Lyd.  de  mens.  IV  9),  die  vielleicht 
bis  auf  Nero  zurückgehen,  s.  Mommsen  CIL 
I«  p.  305. 

*)  Von  den  in  Anm.  2  erwähnten  Ludi 
Parthici  sagt  Cass.  Dio  LXIX  2,  8:  ^<  noXXd 


h 


ti  iyiyoyto'  varsQoy  ydq  nal  avttj  ScnsQ 
xal  aXXa  noXXd  xazsXv^.  Hist.  ang.  Pertin. 
15,  5:  circenses  et  imperii  natalis  addüi, 
qui  a  Severo  postea  sttblati  sunt,  et  geni- 
talicii  qui  manent. 

'^)  z.  B.  Gass.  Dio  LXVIII 2, 3  (von  Nerva) 
I  xal  noXXag  fAky  ^vaiai  noXXdg  ifi  InnodgofÄias 
I  äXXas  xi  nras  ^^«s  xaxiXvcs  nvcxiXXny  nq 
I    otoy  xe  xd  danayijf4axtt. 


64.  Die  Spiele. 


891 


8,  Megalenses  mit  6,  Florales  mit  4  Tagen,  Augustales  und  Martiales  mit 
je  1  Tage,  dazu  die  früher  nicht  ständigen  und  daher  im  Kalender  nicht 
notierten  Ludi  compitales  mit  8  und  die  an  Augustus'  Tod  anknüpfenden 
Ludi  Palatini  mit  5  Tagen ;  möglicherweise  gehören  hierher  auch  die  sechs- 
tägigen Ludi  Jovi  Liberatori  (18. — 19.  Oktober),  die  der  Zeit  nach  mit  den 
alten  Ludi  Capitolini  (oben  S.  112)  zusammenhängen  könnten.  2.  Feriae 
des  alten  Kalenders,  die  früher  nicht  durch  Spiele  begangen  wurden, 
repräsentiren  die  Ludi  Fabarici  (4  Tage,  s.  S.  190),  Neptunalici  (2  Tage), 
Natalis  Martis  (am  I.März),  Liberalici,  Yolcanalici,  Natalis  ürbis  {=  Parilia), 
femer  wahi*8cheinlich  die  Spiele  für  Janus  Pater  (7.  Januar,  anstatt  des 
Agonium  vom  9.  Januar)  und  für  Juppiter  Stator  an  den  Idus  des  Januar 
(s.  S.  108  Anm.  1),  also  alten  feriae  lovis,  endlich  die  früher  nicht  offiziell 
feriierten  Veneralia  (1.  April),  die  letztgenannten  sämtlich  eintägig.  8.  Erst 
in  der  Kaiserzeit  eingeführte  Götterspiele:  Ludi  Genialici  (11.  12.  Februar, 
s.  S.  157),  Ludi  Fatales  (29.  80.  September,  s.  S.  218  Anm.  4),  Ludi  Solis 
(viertägig,  S.  807  Anm.  8),  dazu  eintägige  an  die  natales  templorum  an- 
knüpfende *)  Spiele  zu  Ehren  von  Hercules  (1.  Februar  und  4.  Juni,  s.  oben 
S.  224),  Juppiter  Cultor  (18.  März),  Quirinus  (8.  April),  Castor  und  PoUux 
(8.  April),  Salus  (5.  August,  s.  S.  122),  Sol  und  Luna  (28.  August),  Osiris 
(1.  November,  s.S.  294)  und  Sol  Invictus  (25.  Dezember,  s.  S.  807);  rechnet 
man  dazu  noch  18  natales  divorum  imperatorum,  so  beläuft  sich  die  Ge- 
samtzahl der  mit  dem  Gottesdienste  noch  unmittelbar  zusammenhängenden 
Spieltage  auf  gerade  100;  die  verbleibenden  66  Tage  sind  Gedenktage  an 
publicae  prosperitateSj  darunter  7  schlechthin  mit  ludi  votivi  bezeichnete  Tage 
(28.  Februar,  19.  26.  Juli,  8.  August,  80.  81.  Oktober,  9.  November),  femer 
die  Tage  des  Regierungsantrittes  des  regierenden  Kaisers  Constantius  II. 
(8.  November)*)  und  seines  Vaters  Constantin  d.  Gr.  (25.  Juli),  9  weitere  durch 
eintägige  Circusspiele  bezeichnete  Erinnerungsfeiern  an  denkwürdige  Er- 
eignisse aus  der  Regierung  dieser  beiden  Kaiser^)  und  9  grosse  Siegesfeiern 
im  Umfange  von  je  4 — 7  Tagen,  durchweg  ebenfalls  auf  Erfolge  derselben 
beiden  Herrscher  bezüglich.^)    Diese  letztgenannten  Feiern  sind  mit  einer 


*)  Zwischen  Notierangen  des  Philocalos 
wie  Solis  et  Lwnae  cfircensea)  m(%88ti8) 
XXIIII  (28.  Aug.)  und  n(aialis)  Herculis 
c(ircen8e8)  m(i88U8j  XXIIII  (1.  Febr.)  be- 
steht gewiss  kein  prinzipieller  Unterschied, 
es  handelt  sich  in  beiden  FäUen  um  Stif- 
tungstage von  Tempeln;  beide  Formen  der 
Notierung  kommen  auch  ohne  Spiele  vor, 
z.  B.  Fortis  Fortunae  (24.  Juni)  und  n(atali8) 
Dianea  (13.  Aug.).  Die  Notierungen  lano 
patri  c(ircen8e8)  m(isaus)  XXIIII  (7.  Jan.), 
lovi  Statari  c(ircen8e8)  m(i88tut)  XXIIII 
(18.  Jan.)  und  n(atali8)  Martis  c(ircense8) 
m(i88us)  XXIIII  (verschrieben  XXVIII, 
1.  Mftrz)  tragen  die  gleiche  Form, -sind  aber 
oben  unter  die  alten  Feriae  eingereiht. 

^)  Zählt  in  der  Gesamtsumme  nicht  mit, 
weil  mit  dem  ncUalis  Divi  Nervae  zusammen- 
fallend. 

')  z.  B.  an  drei  verschiedene  Besuche 


Constantius  d.  Gr.  in  Rom  (adventas  IHvi 
18.  21.  Juli,  29.  Okt.;  profeciio  Divi  27.  Sept., 
vgl.  MoMMSBN  CIL  I  ^  p.  322),  an  den  Sieg 
ttber  Licinius  (fugato  lAcinio  8.  Juli)  und 
verschiedene  andere,  zum  Teil  nicht  mehr 
festzustellende  Ereignisse  (Vict(orias)  Sar- 
maticas  27.  Juli,  Vict(oria8)  Marcomanntis 
30.  Juli,  Vict(oria)  senati  4.  Aug.);  auffallend 
ist  wegen  des  weit  zurückliegenden  Anlasses 
die  Gedenkfeier  an  die  Adoption  des  An- 
toninus  Pius  durch  Hadrian  (Lorio  c(ircen8e8) 
m(issu8)  XII,  25.  Febr.,  erklärt  nachO.  Hibsoh- 
FBLD  von  MoimsxN  CIL  P  p.  310). 

*)  Ludi  Adiabenici  (28.— 31.  Jan.),  Gottici 
(4.-9.  Febr.),  Maximati  (4.-9.  Mai),  Persici 
(13.— 17.  Mai),  Francici  (15.-17.  20.  Juli), 
triumphales  (18.  20.— 22.  Sept.),  Alamannici 
(5.— 10.  Okt.),  Sarmatici  (25.  Nov.— 1.  Dez.), 
Lancionici  (12.— 14.  16.-18.  Dez.). 


392 


Beligion  und  Enltiui  der  BAmer.    m.  Enltiui. 


Ausnahme  *)  derart  angeordnet,  dass  nur  der  letzte  Tag  mit  Circusspielen  aus- 
gestattet ist,  und  in  derselben  Weise  werden  grösstenteils^)  auch  die  zum 
Kulte  gehörigen  Spiele  begangen,  sowohl  die  alten,  wie  Romani,  Apolli- 
nares,  Megalenses,  Florales,  als  die  später  hinzugetretenen,  wie  die  Fabarici, 
Jovis  Liberatoris,  Solis;  von  den  mehrtägigen  Spielfeiern  entbehren  der 
ludi  circenses  nur  die  Compitales,  Palatini,  Neptunalici  und  Fatales,  die 
eintägigen  sind  ganz  überwiegend  circensisch.^)  Collisionen  waren  natür- 
lich bei  der  Masse  und  Ausdehnung  der  Spiele  nicht  zu  vermeiden;  man 
hat  sich  so  geholfen,  dass  man  beim  Zusammenfallen  zweier  durch  Wagen- 
rennen zu  begehender  Tage  die  Feste  vereinigte  und  darum  die  Zahl  der 
Rennen  verdoppelte/)  eintägige  Spiele,  gleichviel  ob  circensisch  oder 
scenisch,  die  in  eine  längere  Folge  scenischer  Spieltage  fielen,  hatten  vor 
diesen  den  Vorrang  und  unterbrachen  die  Reihe.  ^) 

Nach  Beschaffenheit  und  örtlichkeit  ^)  zerfallen  die  Spiele  in  die 
beiden  grossen  Klassen  der  ludi  circences  und  ludi  scaenici.  Die  ersteren 
schliessen  sich  sowohl  in  der  Art  der  Darbietungen  als  in  der  Wahl  der 
Örtlichkeit  eng  an  die  alten  Rennspiele  der  Consualia  und  Equirria  an, 
denn  es  ist  unverkennbar,  dass  durch  die  Lage  der  Altäre  des  Gonsus  im 
Thale  zwischen  Palatin  und  Aventin  und  des  Mars  im  Campus  Martins  die 
Plätze  für  die  Anlagen  des  Gircus  Maximus  und  Circus  Flaminius  bestimmt 
worden  sind.^)  Bei  den  Wagenrennen  der  Ludi  magni  und  nachher  Ro- 
mani^) sowie  aller  übrigen  späteren  Spiele  trat  an  Stelle  der  wenigstens 
für  die  Equirria  bezeugten  bigae  (Fest.  p.  378)  das  Viergespann,  wie  schon 
die  Herleitung  dieser  Spiele  aus  dem  Triumphalaufzuge  ergab,  für  den  ja 
die  mit  dem  Kulte  des  Juppiter  0.  M.  zusammenhängende  (oben  S.  111) 
quadriga  charakteristisch  ist;')  die  bigae  treten  nur  sekundär  ein.^^')    Da- 


^)  Die  Lndi  trinmphales,  gestiftet  zur 
Erinnerung  an  den  Sieg  über  Licinins  bei 
Ealchedon  am  18.  Sept.  823,  setzen  die  Circns- 
spiele  auf  diesen  Tag  und  lassen  die  drei 
übrigen  Tage  nicht  vorausgehen  (was  wegen 
der  bis  zum  15.  Sept.  reichenden  Ludi  Ro- 
mani nicht  möglich  war),  sondern  am  20. 
bis  22.  Sept.  (der  19.  war  durch  den  Geburts- 
tag des  Antoninus  Pius  besetzt)  folgen;  s. 
MoMMSEiT  CIL  I '  p.  329. 

^)  Ausnahmen  bilden  die  Ceriales,  die 
ausser  am  letzten  (19.  April)  auch  am  ersten 
Tage  (12.  April)  Circusspiele  haben,  die 
Plebei,  an  denen  dies  ausser  am  letzten  Tage 
(16.  Nov.)  auch  am  zweiten,  dem  lovis  epu- 
lum  (13.  Nov.),  der  Fall  ist,  endlich  die  zwei- 
tAgigen  Qenialici,  an  denen  der  Circustag 
vorausgeht. 

')  Ausnahmen  die  Veneralia  (1.  April), 
ludi  in  Minicia  (4.  Juni  =  Natalis  Berculis, 
s.  MoMKSEN  CIL  I'  p.  319)  und  die  7  ludi 
votivi. 

^)  48  missus  statt  der  normalen  24  sind 
notiert  zum  18.  Sept.  (Circustag  der  Ludi 
triumphales,  s.  oben  Anm.  1,  und  Geburtstag 
des  Divus  Traianns)  und  zum  8.  Nov.  (Ge- 
burtstag des  Divus  Traianus  und  des  Con- 
stantius  IL). 


')  18.  Januar  Geburtstag  Gbrdians  inner- 
halb der  Ludi  Palatini;  8.  April  natcUia  des 
Castor  und  Polluz  innerhalb  der  Megalenses; 
18.  und  19.  Juli  adventus  Divi  und  Itudi 
votivi  innerhalb  der  Ludi  Francici ;  19.  Sept. 
Geburtstag  des  Antoninus  Pius  innerhalb  der 
Ludi  triumphales;  15.  Dez.  Geburtstag  des 
Yerus  innerhalb  der  Ludi  Lancionici. 

^)  Ludi  publicif  qu(miam  sunt  eavea 
circoque  divisi  Cic.  de  leg.  II  38  (die  Worte 
des  Gesetzes  selbst  II  22  sind  schwer  ver- 
derbt). 

^)  MoMMSBN,  Köm.  Forsch.  II  42. 

>)  s.  namentlich  Liv.  VIII  40,  2  f.  (die 
tator  .  .  creatus)  ut  esset  qui  ludis  Ro- 
manis  .  .  .  Signum  mittendis  qucidrigis  daret; 
auch  bei  den  römischen  Spielen  des  Latiar 
(S.  109)  rennen  quadrigae  (Plin.  n.  h.  XXVII 
45). 

•)  z.  B.  Liv.  XXVIII  9,  10.  Flor.  I  5,  6 
und  mehr  bei  Marqüardt,  Staatsverw.  II 586. 

'°)  Bei  den  Spielen  der  Arvalbrüder  er- 
scheinen bigae  nur  im  J.  219  (CIL  VI  206*;^, 
11),  genannt  werden  sie  sonst  neben  den 
quadrigae  z.  B.  Snet.  Dom.  4  sollemnes  higa-- 
rum  quadrigarumque  cutius;  vgl'.  Caes.  39. 
Dion.  Hai.  VII  73.  Cass.  Dio  LI  22,  4  u.  a. 


64.  Die  Spiele. 


393 


gegen  weist  die  Rolle,  die  bei  den  Spielen  sowohl  der  Saecularfeier  wie 
des  Arvalenfestes  neben  den  quadrigae  die  desuUores,  d.  h.  von  dem  einen 
zweier  nebeneinander  rennenden  Pferde  aufs  andere  springende  Reiter,^) 
spielen,')  auf  hohes  Alter  auch  dieses  Bestandteiles  der  Spiele  hin;  von 
den  schon  bei  der  Einführung  der  Spiele  unter  Tarquinius  Priscus  er- 
wähnten (Liv.  I  35,  9)  Faustkämpfem,  sowie  von  ebenfalls  nach  Schluss 
der  Wagenrennen  stattfindenden  Wettkämpfen  im  Ringen  und  Laufen »)  ist 
nur  selten  die  Rede;  Kämpfe  griechischer  Athleten  und  Tierhetzen,*)  mili- 
tärische Exerzitien  zu  Fuss  und  zu  Pferde,')  sowie  auch  der  ursprünglich 
sacrale  Ludus  Troiae^)  traten  erst  in  den  letzten  beiden  Jahrhunderten  der 
Republik  vereinzelt  hinzu,  bis  dann  in  der  Kaiserzeit  die  Mannigfaltigkeit 
und  Pracht  der  circensischen  Darbietungen  sich  mehr  und  mehr  ins  Un- 
gemessene steigerte.^)  Der  Preis  des  Sieges  ist  ursprünglich,  dem  sacralen 
wie  dem  triumphalen  Ursprünge  der  Spiele  entsprechend,  ein  Kranz,^)  zu 
dem  im  J.  461  =  293  nach  griechischem  Vorbilde  die  Palme  trat.  ^) 

Über  das  erste  Jahrhundert  der  im  J.  390  =  364  eingeführten  ludi 
scaenici^^)  sind  wir  nur  sehr  mangelhaft  unterrichtet;  dass  sie  ebenfalls  auf 


^)  Liv.  XX III  29,  5  desultorum  in  mo- 
dum  binos  trdhentibus  equoa  .  .  in  recentem 
equum  ex  fesso  transuUare  mos  ertU.  Hygin. 
fab.  80.  Prop.  IV  2,  35  f.  Manil.  V  85  flF.  Isid. 
orig.  XV 111  89  und  mehr  bei  FbibdlXiideb- 
Mabqüabdt,  Staatsverw.  III  524,  5 ;  die  von 
Dionys.  Mal.  VII  73,  3  gegebene  Erklärang, 
dass  es  ein  Wettlauf  der  na^aßätai  gewesen 
wäre,  beruht  wohl  nur  auf  falscher  Etymo- 
logie von  destUtarea  {quod  olitn,  prout  quia- 
que  ad  finem  cttrsua  venerat,  desüiebat  et 
cwrehat  Isid.  a.  a.  0.). 

')  Act.  lud.  saeo.  August.  Eph.  epigr.  Vm 
p.  238  Z.  154:  metae  positae  qiuidr%gaeq(ue) 
(vgl.  die  equi  quadrigarii  bei  Fest.  p.  351) 
8unt  missae  et  desuitarea,  Henzbr,  Act.  Arv. 
S.  36  f . :  magister  .  .  .  Signum  quadrigis  et 
desultoribus  misit;  vgl.  Liv.  XLIV  9,  4  (bei 
den  Ludi  Romani)  nam  aemel  quadrigis, 
semel  desultore  misso  vix  univa  horae  tem- 
pus  utrumque  curriculum  complehat;  qtM- 
drigae  und  desultarii  auch  bei  Cic.  Muren. 
57,  quadrigae,  higae,  equi  destUtorii  bei  Suet. 
Caes.  39  und  Cassiod.  var.  III  51,  6.  Wenn 
Cass.  Dio  LI  22,  4  neben  avpoiQideg  und 
i^&Qinna  auch  xiXijreg  nennt,  meint  er  da- 
mit sicher  die  Desultores,  und  darum  wird 
man  auch  die  von  Serv.  Aen.  VIII  635  bei 
den  Consualia  erwähnten  celetes  auf  sie  be- 
ziehen dürfen. 

')  Nach  Dion.  Hai.  a.  a.  0.  fanden  nach 
Schluss  der  Innixol  ^QofAtu  Wettkämpfe  von 
SQOfABig,  nvxTM,  naXaicrai  statt.  Cic.  de  leg. 
11  38  nennt  als  Bestandteile  der  Circusspiele 
cursus,  pugüatus,  luctatio,  curricuia  equarum. 
Die  Grabschrift  eines  Fuscus  Cursor  prasini 
vom  J.  85  n.  Chr.  zählt  53  Siege  Bomae,  2  ad 
deam  Diam  (also  bei  den  Spielen  der  Arval- 
brfider)  auf  (Notiz,  d.  Scavi  1894,  280);  vgl. 
ausserdem  Sueton.  Aug.  48.  Plin.  n.  h.  VU  84 


und  die  oben  S.  382  A.  6.  7  fQr  den  Wettlauf 
an  den  Ludi  Capitolini  und  den  Robigab'a 
angefahrten  Zeugnisse. 

^)  Bei  den  ludi  votivi  des  M.  Fulvius 
Nobilior  im  J.  568  =186  athletarum  quoque 
certamen  tum  primo  Bomanis  spectacido 
fuit  et  venatio  data  leanum  et  pantherarum ; 
diese  hier  (xthletae  genannten  Leute  sind  die 
pugües  graeci,  die  bei  Suet.  Aug.  45  den 
pugües  latini  gegenübergestellt  werden. 

'')  So  im  J.  585  =  169  nach  der  aus- 
fahrlichen  Beschreibung  bei  Liv.  XLIV  9,  3  ff. 
Die  Bezeichnung  dieser  Uebungen  als  pyr- 
rhicha  militaris  (Hist.  aug.  Hadr.  19,  8)  oder 
armatura  (Veget.  de  re  mil.  II  23)  findet  sich 
erst  in  der  Eaiserzeit. 

')  Zuerst  wohl  in  der  sullanischen  Zeit, 
Plut.  Cato  min.  8,  dann  häufig  in  der  früheren 
Eaiserzeit;  die  Zeugnisse  bei  FbibdlIrdbr- 
Mabquardt,  Staatsverw.  III  526,  Litteratur 
oben  S.  382  A.  3. 

^)  Nachweise  bei  FbibdlIndbb,  Sitt.- 
Gesch.  II »  257  ff. 

8)  Plin.  n.  h.  XXI  7  (vgl.  Cic.  de  leg.  II 
60).  Paul.  p.  69  donaUcae  caronae  dictae, 
quod  his  victores  in  Ittdis  donahantur; 
ebenso  bei  den  Ludi  scaenici  Varro  de  1. 1. 
V  178  a  coroUis,  quod  eae,  cum  placu^erant 
actores,  in  scaena  dari  solitae.  Suet.  Vesp.  19. 

^)  Liv.  X  47,  8  pdlmaeque  tum  primum 
(bei  den  Ludi  Romani)  translato  e  Graecia 
more  victoribus  datae;  daher  bei  den  Spielen 
der  Arvalbrüder  die  regelmässige  Notiz 
magister  ,  .  .  victores  palmis  et  coronis 
argenteis  (CIL  VI  2060,  19  bloss  coronis 
argenteis)  honoravit,  Hbbzbn,  Act.  fr.  Arv. 
S.  36  f. 

>^)  Liv.  VII  2, 8:  aus  Anlass  einer  Seuche 
ludi  quoque  scaenici,  nova  res  bellicoso  po- 
pulo  —  nam  drei  modo  spectaculum  fuerat  — 


394 


Beligion  und  Enltna  der  Bömer.    m.  Knltas. 


von  Etrurien  kommende  Anregungen  zurückgehen  und  zunächst  aus  pan- 
tomimischen Tänzen  unter  Flötenbegleitung  bestanden,  ist  glaubhaft  über- 
liefert, ^  dass  dazu  bald  volkstümlich  urwüchsige  Aufführungen  dramati- 
scher Art  von  der  Gattung  traten,  die  später  in  der  Fabula  Atellana  sogar 
litterarische  Ausgestaltung  erfuhr,  müssen  wir  annehmen,  obwohl  die  An- 
gaben der  alten  Gewährsmänner  nicht  auf  wirklichen  Nachrichten,  son- 
dern auf  willkürlicher,  namentlich  eine  durchgehende  Parallelisierung  mit 
griechischen  Verhältnissen  verfolgender  Gonstruktion  beruhen.*)  Dem 
Namen  nach  kennen  wir  von  Darbietungen  dieser  Art  den  von  dem  bis 
auf  die  Knöchel  reichenden  Gewände  der  Darsteller  so  genannten  ludus 
talarius  oder  talaris^^)  eine  nach  den  Zeugnissen^)  recht  ausgelassene,  unter 
Musikbegleitung  aufgeführte  Vorstellung,  die  so  populär  war,  dass  selbst 
die  strengen  Gensoren  des  J.  639  ^  115  bei  ihrem  Einschreiten  gegen  die 
Auswüchse  der  ars  ludicra  sie  ausdrücklich  verschonten.^)  Eine  tief- 
greifende Neuerung  wurde  im  J.  514  ==  240  vom  Senate,  dem  die  gesamte 
Spielpolizei  oblag,  ^)  vorgenommen,  indem  —  wahrscheinlich  nur  für  einen 
Teil  der  damals  für  ludi  scaenici  bestimmten  Spieltage  der  Romani  —  an 
Stelle  der  bisherigen  rohen  Produkte  einheimischer  Kunst  griechische  Tra- 
gödien und  Komödien  in  lateinischer  Übertragung  (fabulae)  zur  Aufführung 
bestimmt  wurden;'')  der  Beschluss  mag  in  Kürze  gelautet  haben  ludos 
seaenicos  graecos  esse  faciundos.  Denn  seitdem  gehen  bei  den  Ludi  scaenici, 
nach  Tagen  getrennt,  nebeneinander  her  die  ludi  graeci,  an  denen  die 
Tragödien  des  Livius,  Ennius,  Pacuvius,  Accius,  die  Komödien  des  Naevius, 
Plautus,  Terenz  aufgeführt  werden,  und  die  ludi  latini,  für  die  ausser  der 
fortdauernden  unlitterarischen  Volksposse  die  Praetextae,  die  Togatae  und 
sonstige  lateinische  Originaldramen  den  Spielplan  füllen.  Noch  bei  der 
Saecularfeier  des  Augustus^)  umfassen  die  das  Fest  beschliessenden  ludi 
sollemnes  nur  ludi  (scaenici)  latini,  deren  Abschluss  am  dritten  Tage  Rennen 


inter  alia  caelestis  irae  placamina  instituti 
dicuntur.  Fest.  p.  326  (and  dazu  Mommsen, 
Staatsr.  II 472, 3).  0.  Ribbeck,  Rom.  Tragoedie 
S.  19  Anm.  erinnert  daran,  dass  auch  das  regel- 
mässige Passionsspiel  zu  Oberammergau  auf 
ein  Gelübde  in  Pestzeiten  zurückgeht. 

*)  Liv.  VII  2,  4:  sine  carmine  ullo,  sine 
imitandorum  carminum  actu  ludiones  ex 
Etruria  accüi  ad  tibicinis  modos  saltantes 
haud  indecoros  motus  more  Tusco  ddbant 
(aus  ihm  Val.  Max.  U  4,  4);  vgl.  Ovid.  ars 
am.  I  111  f. 

*)  Ausser  dem  bei  Liv.  a.  a.  0.  vorliegen- 
den Berichte  des  Varro  (0.  Jabk,  Hermes 
II  225)  s.  Verg.  Georg.  II  885  ff.  Tibull.  II 
1,  51  ff.  Hör.  epist.  II  1,  139  ff.;  vgl.  im  all- 
gemeinen F.  Leo,  Hermes  XXIV  67  ff.  G.  L. 
EIendriokson,  Americ.  Joum.  of  Philology 
XV  1894,  1  ff. 

*)  M.  Hbbtz,  De  ludo  talario  s.  talari, 
Ind.  lect.  Vratislav.  1878;  unter  den  Arten 
der  xtü(X(a^ia  zählt  Lyd.  de  magistr.  I  40 
neben  naAkuixa,  toyäta,  UteXXdvtj  u.  a.  auch 
die  xmaaroXaQia  auf,  in  der  Reiffersobeid 
(Bursians  Jabresber.  XXIII  267)  richtig  den 


Ludus  talaris  erkannt  hat. 

')  Cic.  ad  Att.  I  16,  3;  de  off.  I  150. 
Quintil.  XI  8,  58.    Fronte  p.  160  Nah. 

^)  Cassiod.  Chron.  z.  J.  689  u.  o.  (Momx- 
SEN.  Chron.  min.  II  181  f.)  his  conss.  L.  Me- 
tellus  et  Cn.  Domitius  cenaores  artem  ludi- 
cram  ex  urbe  removerunt  praeter  latinum 
tibicinem  cum  cantare  et  ludum  tcUarium 
(so  Mommsen,  überl.  talanum).  Die  Maas- 
regel bedeutet  wohl  nicht  weniger  als  eine 
zeitweilige  Aufhebung  der  ludi  scaenici  graed 
(s.  unten  S.  895). 

^)  MoMMSBK,  Staatsr.  III  1178. 

')  Varro  bei  Gell.  XVII  21,  42:  consulü 
bu8  Claudio  Centhone  Äppii  Caeci  filio  et 
M.  Sempronio  Tuditano  primtis  omnium 
L.  Livius  poeta  fahula»  docere  Romae  coepit, 
Cic.  Brut.  72 :  Livius  primus  fabulam  C.  Clau- 
dio Caeci  filio  et  M,  Tuditano  coss,  docuit; 
die  Ludi  Romani  nennt  ausdrücklich  Cassiod. 
chron.  z.  J.  239,  der  thOricht  fabula  durch 
tragoedia  et  comoedia  ersetzt. 

')  Zum  folgenden  s.  Mommsen,  Ephem. 
epigr.  VIII  p.  268  ff. ,  vgl.  auch  W.  Christ, 
Sitz.Ber.  Akad.  München  1893  I  146  ff. 


64.  Die  Spiele. 


395 


von  quadrigae  und  desuUores  (S.  393  A.  2)  bilden,  dagegen  die  aus  eigenen 
Mitteln  von  den  Quindecimvim  hinzugefügten  ludi  honorarii  (s.  o.  S.  387  A.  2) 
sowohl  ludi  latini  wie  ludi  graeci;^)  diese  beiden  Gattungen  unterscheiden 
sich  auch  durch  das  Lokal  der  Aufführung;  denn  während  die  ludi  graeci 
in  den  beiden  neuen  Theatern,  dem  des  Pompejus  und  dem  des  Marcellus 
zur  Aufführung  kommen,  wird  für  die  ludi  latini  am  Orte  des  Saecular- 
opfers,  d.  h.  bei  der  ara  Ditis  in  campo,  eine  Bühne  aufgeschlagen,  und  zwar 
in  der  ersten  Nacht  ohne  Herrichtung  eines  Zuschauerraumes  und  einer 
Sitzgelegenheit  für  das  Publikum,^)  nachher  unter  Hinzufügung  eines  höl- 
zernen theatrum.  Das  entspricht  durchaus  dem  Brauche  der  älteren  Zeit, 
wo  die  ludi  scaenici  in  unmittelbarer  Nähe  des  Tempels  der  Gottheit,  wel- 
cher die  Feier  galt, 3)  und  auf  einer  nur  für  die  Aufführung  vorübergehend 
aufgeschlagenen  Bühne  stattfanden,  um  welche  herum  die  Zuschauer  standen 
oder  auf  mitgebrachten  Sesseln  sassen;^)  gegen  die  Versuche,  dauernde  Vor- 
richtungen für  die  Bühnenspiele  mit  festen  Sitzplätzen  zu  schaffen,  hat  der 
Senat  lange  gekämpft,^)  und  wenn  auch  die  Herstellung  von  Holzbänken 
für  die  jeweilige  Vorstellung  (theatrum  ligneum)  in  der  zweiten  Hälfte  des 
2.  Jahrh.  v.  Chr.  sich  durchgesetzt  hatte,  so  hat  doch  erst  die  Revolutions- 
zeit in  dem  im  J.  699  =  55  vollendeten  Theater  des  Pompejus  das  erste 
dauernde  und  massive  Schauspielhaus  gebracht.*)  Die  ludi  sccienici  graeci 
der  Saecularfeier  zerfallen  wieder  in  die  beiden  Unterabteilungen  der  ludi 


^)  Dieselbe  Scheidung  auch  in  der  In- 
schrift von  Caere  CIL  XI  3618  {ludos  latinos 
et  graecos  fecer(unt)  VI.  V,  IUI.  III. 
pr(tdie)  K(alend€u)  et  K(alendi8)  Mart(i%s) 
des  J.  25  n.  Chr.).  Vgl.  für  einen  ähnlichen 
Gegensatz  Suet.  Aug.  45:  spectavit  autem 
sttidiosissime  pugües  et  mcueime  latinos,  .... 
quo8  etiam  committere  cum  graecis  solebat 
und  den  latmus  tihicen  oben  S.  394  Anm.  5. 
Die  omnium  linguarum  Mstriones,  durch 
welche  Caesar  und  August  regianatim  und 
vicatim  allerlei  Schaustellungen  auftflhren 
lassen  (Suet.  Caes.  39;  Aug.  43),  haben  mit 
der  Scheidung  von  ludi  graeci  und  latini 
nichts  zu  thun,  eher  kann  man  daran  denken» 
wenn  Nero  bejahrte  Vornehme  beiderlei  Ge- 
schlechts zwingt,  bei  seinen  Juvenalia  (s.  oben 
S.  390  A.  3)  auszutreten  und  nichts  sie  davor 
bewahren  kann,  quominus  graeci  latinive  hi- 
strionis  artem  exercerent  (Tac.  ann.  XIV  15). 

»)  Eph.  epigr.  VIU  p.  233  Z.  100  f.:  ludi- 
que  noctu  aacrificio  [cojnfecto  sunt  commissi 
m  scaena,  quoi  theatrum  adiectum  non  fuit 
(vgl.  Zosim.  II  5,  3  xaTaaxevaa&eiatjg  axtjyrjg 
dixa  &säTgov)f  nullis  posüis  sedüibus; 
Z.  108  f.:  deinde  ludi  latini  in  thefajtro 
ligneo,  quod  erat  constitutum  in  campo 
sfecujndum  Tiberim,  sunt  commissi;  Z.  153 f.: 
ludis  scaenicis  dimissis  h(ora)  . .  iuxta  cum 
locum,  ubi  sacrificium  erat  factum  supenori- 
bu8  noctibus  et  theatrum  positum  et  scfaejna, 
metae  positae  u.  s.  w.  Ebenso  bei  den  ludi 
honorarii  Z.  156  latinos  in  theatro  ligneo. 

')  So  die  Megalenses  vor  dem  Tempel 


der  Magna  Mater  auf  dem  Palatin  (Cic.  de 
harusp.  resp.  24,  dazu  HOlsbh,  Rom.  Mit- 
teil. X  28),  vgl.  auch  Angustin.  civ.  dei  II  26; 
dass  auch  der  scenische  Teil  der  Ludi  Apol- 
linares  im  Circus  abgehalten  worden  w&re, 
geht  aus  Liv.  XXV  12,  14  nicht  hervor,  und 
die  von  Varro  de  1.  1.  V  158  im  Circus  er- 
wähnten  spectacula  haben  mit  Bflhnenspielen 
nichts  zu  thnn. 

«)  RiTSOBL,  Parerga  Plaut  S.  212  ff. 

»)  Val.  Max.  II  4,  2  vom  J.  599  =  155 
senatus  consulto  cautum  est  ne  quis  in  urbe 
propiusve  passus  müle  subsellia  posuisse 
sedensve  ludos  spectare  vellet  (poptUusgue 
aliquamdiu  stans  ludos  spectavü  fttgt  Liv. 
per.  XLVIII  hinzu).  In  diesem  Jahre  wurde 
das  von  den  Censoren  M.  Valerius  Messalla 
und  C.  Cassius  Longinus  (a  Lupercali  tn 
Paiatium  versus  Vell.  I  15,  3,  also  an  der 
bisherigen  Stelle  der  Megalenses)  erbaute  höl- 
zerne Theater  auf  Senatsbeschluss  kassiert 
(Liv.  Val.  Max.  Vell.  aa.  00.  Gros.  IV  21,  4. 
Appian.  b.  c.  I  28.  August,  c.  d.  I  31 ;  verall- 
gemeinert von  TertulL  de  spect.  10;  apol.  6). 

')  Tac.  ann.  XIV  20 :  quippe  erant,  qui 
On.  quoque  Pompeium  incusatum  a  seniori- 
bus  ferrent,  quod  mansuram  theatri  sedem 
posuisset.  nam  antea  suhitariis  gradibus  et 
scaena  m  tempus  structa  (vgl.  Vitruv.  V  5,  7 
multa  tlieatra  qtAotannis  Bomae  facta  esse) 
ludos  edi  solHos;  vel  si  vetustiora  repeias, 
stantem  populum  apectavisse;  ein  d^^aigoy 
ntjxtor  noch  bei  den  Ludi  Palatini,  Joseph, 
ant.  XIX  90. 


396 


Religion  und  Enltiu  der  ROmer.    IIL  EaltiiB« 


astki  1)  und  ludi  thymelici,^)  erstere  Darstellung  von  Tragödien  und  Komö- 
dien, letztere  alle  diejenigen  künstlerischen  Veranstaltungen  umfassend,  die 
nicht  auf  der  Bühne,  sondern  in  der  Orchestra  stattfanden,^)  also  ins- 
besondere Vorträge  von  Chor-  und  Sologesängen  und  von  Musikstücken, 
sowie  Aufführung  von  Tänzen.*) 

Wie  sich  die  ludi  graeci  zu  den  ludi  latini  verhalten,  so  stehen  die 
Agones  zu  den  Ludi  im  ganzen,  es  sind  nach  griechischer  Art  angelegte 
Wettspiele  in  den  drei  Abteilungen  der  aywvBq  yvfjtvixoi,  fiovaixoi  und 
Innixoi,^)  Nachdem  vereinzelt  schon  in  der  späteren  republikanischen  Zeit 
nicht  nur  Kämpfe  von  griechischen  Athleten,*^)  sondern  auch  musische 
Agone  griechischer  Einrichtung  bei  ausserordentlichen  Spielen  vorgeführt 
worden  waren, ^)  wird  in  der  Kaiserzeit  diese  Form  die  übliche  für  solche 
Feiern,  die  nicht  alljährlich,  sondern  in  längeren,  meist  vierjährigen 
Zwischenräumen  stattfanden.^)  Das  erste  Fest  dieser  Art  waren  die  im 
J.  60  eingerichteten  penteterischen  Neronia,^)  die  aber  bald  durch  den  von 
Domitian  im  J.  86  zu  Ehren  des  Juppiter  0.  M.  gestifteten  ebenfalls  pen- 
teterischen Agon  Gapitolinus,'®)  der  ein  römisches  Seitenstück  zu  den 
olympischen  Spielen  bilden  sollte  {Kannoikeia  'OkvfjLma  CIO  2180b),  in 
den  Schatten  gestellt  wurde  und  in  Vergessenheit  geriet,  bis  ihn  Gordian 


*)  Dieser  Tennmus,  der  von  den  Jio- 
yvaia  iv  aatei  und  den  aarixal  vtxai  ent- 
lehnt ist,  auch  bei  Säet.  Tib.  6;  Calig.  20. 

*)  SvfÄeXixol  xai  axtji/ixol  aytuyeg  CIG 
2826,  vgl.  Athen.  VIII  350  B.  Häufig  ist 
die  Erwähnung  der  ^v/äsXixoI,  thymelici  im 
Gegensatze  zu  den  Schauspielern  (Ulpian. 
Dig.  in  2,  4  pr.  Artemid.  oneir.  11  3),  s.  im 
allgemeinen  Mommsbn,  Ephem.  epigr.  VIII 
p.  270  f.  J.  Frei  ,  De  ceiiaminibus  thyme- 
licis  (Diss.  Basel  1900)  S.  5  ff. 

•)  Vitr.  V  7,  2:  tragici  et  comici  tictorea 
in  scaena  peragunt,  reliqui  autem  artifices 
suas  per  orchestram  praestant  actione»; 
itaque  ex  eo  scaenici  et  thymelici  graeee 
separatim  notninantur, 

*)  Isid.  orig.  XVIII  47:  thymelici  autem 
erant  musici  scaenici,  qui  in  organis  et  ttbiis 
(überlief,  liris)  et  citharis  praecinehant.  et 
dicti  thymelici,  quod  olim  in  orchestra  stantes 
cantäbant  super  ptUpitum,  quod  thymele 
vocahatur;  vgl.  Cic.  de  leg.  II 38  cavea  cantu 
vigeat,  fidibus  et  tibiis;  zu  den  in  der  Or- 
chestra stattfindenden  Aufführungen  gehörte 
ausser  konzertartigen  Musikvorträgen  (Fribd- 
lXnder-Marqüardt,  Staatsverw.  III  553  f. 
FaiBDLiLNDBR,  Sitteugesch.  O^  305  ff.;  vgl. 
J.  Frbi  a.  a.  0.)  insbesondere  der  Pantomimus 
und  die  pantomimische  pyrrhicha  (Fribd- 
lIndbr-Marqüabdt  a.  a.  0.  551  ff.  Fried- 
LANDER  a.  a.  0.  n»  406  ff.). 

^)  s.  über  die  griechischen  Agone  E.  Reisch 
bei  Pauly-Wissowa,  Real-Encycl.  I  836  ff. 
und  die  dort  angeführte  Litteratur. 

')  s.  oben  S.  393  A.  4  und  andere  Bei- 
spiele bei  Appian.  b.  c.  I  99.  Val.  Max.  II 4,  7. 
Plin.  n.  h.  XXXVI  120;  vgl.  Polyb.  XXX  14 


über  die  Triumphalspiele  des  L.  Anioina 
Gallus  587  =  167. 

')  Bei  der  Einweihung  des  Theaters  gab 
Pom pejus  u.  a.  ay(oy<tg  yvuyixovg  xaltiov- 
aixovg  (Plut.  Pomp.  52.  Cass.  Dio  XXXIX 
38,  1). 

')  Die  im  J.  726  =  28  von  den  sacer- 
dotum  quattuor  amplissima  coUegia  dem 
Actischen  Apollo  pro  vaietudme  Caesaria 
gelobten  Quinquennalspiele  (Momxsek,  Res 
gestae  D.  Aug.  '  S.  40  ff.)  hatten  wahrschein- 
lich nach  dem  Vorbilde  der  "Axxm  in  Niko- 
polis  (über  diese  s.  Rbisob  bei  Paült-  Wissowa, 
Real-Encycl.  I  1213  f.)  die  Form  des  drei- 
fachen griechischen  Agon.  Auf  die  Gestal- 
tung der  späteren  römischen  Agone  haben 
die  berühmten  'Ixahxd  Paffiala  £€ßaard  in 
Neapolis  (s.  oben  S.  284  Anm.  3)  einen  wesent- 
lichen Einfluss  geübt. 

^)  Instituit  et  quinquennäle  certamen 
primiM  omnium  Bomae  more  graeco  triplex 
musicum  gymnicum  equestre,  quod  appeüavit 
Neronia,  Suet.  Nero  12  (ebd.  21  Neroneua 
agon).  Tac.  ann  XIV  20.  Cass.  Dio  LXI  21, 1. 
Eck  BEL  D.  N.  VI  264.  FribdlInder,  Sitt.-Gescfa. 
II  486  f. ;  die  gymnischen  Spiele  fanden  in 
den  Saepta  statt  (Suet.  Nero  12),  die  musi- 
schen im  Theater  des  Pompejus  (Vita  Lucani 
in  Reifferscheids  Sueton.  p.  77,  17),  die 
hippischen  wahrscheinlich  in  dem  circus  Gai 
et  Neronis  principum  in  Vaticano  (Plin.  n.  fa. 
XXXVI  74,  vgl.  Hülsen  bei  Pauly-Wissowa, 
Real-Encycl.  m  2581  f.). 

^®)  Suet.  Dom.  4.  Censorin.  18,  15  und 
mehr  bei  Friedl'Ajxveb.  a.  a.  0.  S.  437  ff.  575  ff. 
Wissowa,  Real-Encycl.  III  1527  ff. 


64.  Die  Spiele. 


397 


im  J.  240  unter  dem  Namen  Agon  Minervae  von  neuem  ins  Leben  riefJ) 
Bei  all  diesen  Feiern,  zu  denen,  abgesehen  von  rasch  wieder  verschollenen 
Stiftungen  verwandter  Art,')  im  J.  274  noch  ein  von  Aurelian  eingerich- 
teter tetraetischer  Agon  Solls  (oben  S.  307)  trat,  spielen  die  hippischen 
Wettkämpfe,  offenbar  deshalb,  weil  sie  den  Römern  das  wenigste  Neue 
brachten,  die  bescheidenste  Rolle,  um  so  reicher  waren  die  gymnischen 
und  musischen  Agone  ausgestattet,  für  welche  Domitian  in  den  von  ihm 
erbauten  Gebäuden  des  Stadium  und  Odeum')  würdige  Räumlichkeiten 
schuf;  eine  besonders  grosse  Mannigfaltigkeit  weisen  die  musischen  Dar- 
bietungen auf,  unter  denen  namentlich  Wettkämpfe  in  griechischer  und 
lateinischer  Poesie  und  Beredsamkeit  im  Vordergründe  stehen.^)  Der  dem 
Sieger  vom  Kaiser  persönlich  aufgesetzte  Eichenkranz  des  capitolinischen 
Agon  war  noch  im  4.  Jahrh.  die  höchste  dem  Dichter  vorschwebende  Aus- 
zeichnung.^) 

In  prinzipiellem  Gegensatze  zu  den  ludi  stehen  die  munera,^)  d.  h. 
Gladiatorenkämpfe  (munus  gladiatorium,  auch  munus  allein  im  engeren 
Sinne)  und  Tierhetzen  (venatianes).'')  Jeder  Verbindung  mit  dem  Gottes- 
dienste entbehrend,  haben  sie  in  die  staatliche  Spielgebung  erst  verhältnis- 
mässig spät  und  mit  Beschränkung  auf  ausserordentliche  Veranstaltungen 
Eingang  gefunden  und  sind  auch  in  der  Kaiserzeit,  wo  sie  eine  der  be- 
liebtesten Darbietungen  waren,  von  den  offiziellen,  mit  ludi  circenses  und 
scaenici  gefeierten  Spielen  strengstens  ausgeschlossen  geblieben.^)  Die 
Gladiatorenkämpfe  sind,  von  den  Etruskem,^)  bei  denen  sie  wahrschein- 
lich an  die  Stelle  ehemaliger  Menschenopfer  am  Grabe  ^^)  getreten  waren, 
entlehnt,  zur  Feier  privater  Leichenspiele  in  Rom  zuerst  im  J.  490  =  264 
und  dann  häufig  (oben  S.  388  A.  4)  vorgeführt  worden,  aber  erst  mehr  als 
150  Jahre  später  wagen  es  die  Consuln  des  J.  649  =  105,  P.  Rutilius  Rufus 


^)  MoMMSBN,  Ghron.  min.  I  147.  Aarel. 
Vici  Caes.  27. 

'^  Fbibdl&ndbb  a.  a.  0.  S.  439  f. 

')  Hieron.  ohron.  ad  a.  Abr.  2105.  Momm- 
8EK,  Chron.  min.  I  146.  Amm.  Marc.  XVI 
10,  14  u.  a. 

*)  Eaibbl,  Inscr.  gr.  Sicil.  Ital.  2012. 
Stat.  silv.  m  5,  31  ff.  V  3.  231.  Flor.  p.  183 
RoBsb.;  solche  Wettkämpfe  fanden  auch  bei 
dem  privaten  agon  Albanas  des  Domitian 
an  den  Qoinqaatrus  (Stat.  silv.  III  5,  28  ff. 
IV  2,  65  ff.  V  3,  227  ff.)  und  bei  der  ara 
Lugudwnensis  (Suet.  Galig.  20.  Juven.  I  44) 
statt. 

^)  Anson.  prof.  V  5  ff.  (p.  53  Peip.)  und 
mehr  bei  Fibbiobb  in  Fault- Wissowas  Real- 
Encycl.  IV  1642. 

')  Ludi  und  munera  im  Gegensatz  zu 
einander  z.  B.  Suet.  Aug.  45;  Tib.  34;  strenge 
Trennung  beider  Gattungen  ist  auch  überall 
dnrchge&rt  in  den  Berichten  über  die  kaiser- 
liche Spielgebung,  z.  B.  Monum.  Anc.  4,  31  ff. 
Suet  Caes.  39;  Aug.  43;  Tib.  7;  Nero  11; 
Dom.  4.  Vgl.  im  allgemeinen  Ritschl,  Opusc. 
IV  637  ff. 

')  Cic.  de  off.  n  55.  Paul.  Dig.  XXX  122 


pr.  und  dazu  Mommsbh,  Ephem.  epigr.  VII 
p.  402,  1 ;  vgl.  auch  den  kaiserlichen  curator 
munerum  ac  venationum  (Suet.  Calig.  37). 

^)  Der  Ersatz  der  circenses  durch  onXo- 
fÄUxlai'  an  den  Ceriales  des  J.  712  =  42 
wird  von  Gass.  Dio  XL VII 40, 6  ausdrücklich 
als  ungesetzlich  bezeichnet;  die  in  augu- 
steischer Zeit  mit  den  Quinquatrus  verbun- 
denen Gladiatorenkämpfe  (s.  oben  S.  382 
A.  4)  fallen  erst  auf  die  Tage  nach  dem 
Feste  (Ovid.  fast.  HI  813),  die  weder  feriae 
noch  ludi  sind. 

•)  Nicol.  Damasc.  bei  Athen.  IV  158  F, 
vgl.  Müllbb-Dbbckb,  Etrusker  ü  223  f. 

^^)  Serv.  Aen.  III 67:  Varro  quoque  dicit 
mulieres  in  exsequiis  et  luctu  ideo  solitas 
ora  lacerare,  ut  sanguine  ostenso  inferis 
satisfaciant;  quare  etiam  institutum  est,  ut 
apud  sepuicra  et  victimae  caedantur,  apud 
veteres  etiam  hamines  interfidebantur,  sed 
morttu)  IiMio  Bruto  (vgl.  Liv.  per.  XVI. 
Val.  Max.  II  4,  7)  cum  mtätae  gentes  ad  eius 
funus  captivos  misissentf  nepos  ülius  eos 
qui  missi  erant  vnter  se  composuit,  et  sie 
pugnavenmt  et  quod  mtmere  missi  erant, 
inde  munus  appellatum. 


898 


Beligion  und  Enltos  der  BOmAr.    m.  Kvltoa. 


und  G.  Manlius,  unter  Berufung  auf  die  militärische  Bedeutsamkeit  der 
Gladiatorenkämpfe,  diese  bei  öffentlichen  Spielen  ausserordentlicher  Art 
zu  bieten.  1)  Fast  ebensolange  dauert  die  Periode,  in  welcher  diese 
munera  gladiatoria  eine  zwar  überaus  populäre  und  begehrte,  aber  in  der 
magistratischen  Spielgebung  nur  ausserordentlicher  Weise  zulässige  Dar- 
bietung') bilden,  in  den  letzten  Jahrzehnten  der  Republik  durch  die  Gesetz- 
gebung de  ambitu  eingeschränkt,')  von  den  Kaisern  zur  Gewinnung  der 
Yolksgunst  oft  veranstaltet,  aber  wegen  der  in  der  Verfügung  über  grössere 
Qladiatorenbanden  liegenden  Gefahr  für  ihre  Herrschaft  nur  selten  anderen 
Personen  gestattet.^)  Ständig  wurden  die  munera  gladiatoria  im  haupt- 
städtischen Spielplane  erst,  als  Claudius  im  J.  47  den  Quaestoren  die  Pflicht 
auferlegte,  beim  Antritte  ihres  Amtes  aus  eigenen  Mitteln  Gladiatoren- 
spiele zu  geben ;<^)  von  Nero  vorübergehend  aufgehoben,^)  von  Domitian 
wiederhergestellt,  ^)  ist  diese  Ordnung  von  Alexander  Severus  in  der  Weise 
modifiziert  worden,  dass  nur  die  als  candidati  principis  zur  Quaestur  Ge- 
langten die  Kosten  dieser  munera  selbst  zu  tragen  hatten,  während  die 
übrigen  bescheidenere  Gladiatorenspiele  aus  Mitteln  der  kaiserlichen 
Staatskasse  (arca  fisci,  daher  quaestores  arcarii)  bestritten,  dafür  aber 
auch  keine  Anwartschaft  auf  weitere  magistratische  Garridre  erhielten.^) 
Demgemäss  verzeichnet  noch  der  Kalender  des  Philocalus  an  10  Tagen 
des  Dezember,  die  sich  um  den  quaestorischen  Amtsantrittstag  (5.  De- 
zember) gruppieren  (2.  4.  5.  6.  8.  19. — 24.  Dezember),  das  quaestorische 
munus  (mit  der  Beifügung  arca  bezw.  kandida)  als  ständige  Jahresfeier,®) 
und  diese  hat  bis  zum  Anfange  des  5.  Jahrb.  bestanden.  ^^)  Die  vena^ 
tiones,  die  erheblich  minder  aufregend  und  gefährlich  erschienen  und  da- 
her auch  bei  sacerdotalen  und  magistratischen  ludi  zuweilen  als  Neben- 


^)  Ennod.  paneg.  in  Theod.  85  p.  213,  25 
Vogel  (vgl.  Val.  Max.  II  3,  2)  und  dazu 
BüBCHBLER,  Rhein.  Mus.  XXXVIII  476  ff. 

*)  Aus  diesem  Grunde  ist  die  Auf- 
fassung von  muntis  im  Sinne  einer  dem 
Bürger  im  öffentlichen  Interesse  pflichtmässig 
obliegenden  Leistung  (=  XeirovQyiay  Momx- 
SBN,  Rom.  Forsch.  I  345,  38;  Staatsr.  I  9; 
Ephem.  epigr.  VII  p.  401,  3)  auf  die  stadt- 
rOmischen  munera  =  Gladiatorenspiele  (an- 
ders liegen  die  Verhältnisse  in  den  Muni- 
cipien  und  Provinzen,  s.  Mommsbn,  Ephem. 
epigr.  VII  p.  399  ff.)  nicht  wohl  anwendbar; 
nohtiger  scheint  die  Erklärung  Tertullians 
de  spect.  12:  munus  dictum  est  ab  officio, 
quoniam  officium  etiam  muneris  nomen  est; 
officium  autem  mortuis  hoc  spectaculo  facere 
se  veteres  arbitrabantur. 

')  Cic.  pro  Sest.  133  (und  dazu  Schol. 
Bob.  p.  309  Or.);  de  har.  resp.  56 ;  in  Vatin.  37. 
Ascon.  p.  78  f. 

*)  Cass.  Die  LIV  2,  5  und  mehr  bei 
MoMMSBR,  Ephem.  epigr.  VII  p.  396. 

")  Tao.  ann.  XI  22.  Suet.  Claud.  24. 

>)  Tac.  ann.  XIII  5. 

^)  Suet.  Dom.  4;  es  steht  wohl  damit 
in    Verbindung    die    Vollendung    des    von 


Vespasian  begonnenen,  schon  von  Titus  im 
J.  80  dedicierten  Amphitheatrum  Flavium, 
welches  das  beim  neronischen  Brande  zer- 
störte älteste  steinerne  Amphitheater,  das 
des  Statilius  Taurus  (erbaut  725  =  29),  er- 
setzte; die  Zeugnisse  bei  Gilbbbt,  Topogr. 
m  329  ff 

^)  Eist.  aug.  Alex.  Sev.  43,  8:  quaestores 
candtdatos  ex  sua  pecunia  iussü  munera 
populo  dare,  sed  üa,  ut  post  quaesturam 
praeluras  acciperent  et  deinde  provincias 
regerent;  arcarios  vero  instituU,  qui  de  arca 
fisci  ederent  munera  eademque  parciora; 
die  im  Znsammenhange  damit  erwähnte  Ab- 
sicht des  Kaisers,  die  Tage  der  Gladiatoren» 
kämpfe  auf  30  zu  erhöhen  und  über  das 
ganze  Jahr  zu  verteilen,  kam  nicht  zur  Aus- 
führung. 

»)  MomsBN  CIL  I*  p.  336;  aus  der  Nähe 
der  Satumalien  erklärt  sich  die  irrige  An- 
sicht, die  Gladiatorenspiele  fänden  zu  Ehren 
des  Satumus  statt,  Lact.  inst.  VI  20,  35. 
Auson.  de  fer.  35  f. 

1«)  ÜSENBB,  Rhein.  Mus.  XXXVU  479  f., 
vgl.  auch  LiBBBKAM,  Städteverwaltung  S. 
378  f. 


66.  Die  OertUohkeiten  des  Kultus. 


399 


leistung  vorgeführt  wurden, >)  haben  sie  um  mehr  als  ein  Jahrhundert 
überdauert.') 

Litteratur.  Momksbh  CIL  I*  p.  299  ff.  L.  FbxbdlIitdbb,  Sitt.-Gesch.  II  •  255  ff.  und 
bei  Marqvardt,  Staatsverw.  III  482  ff.  F.  Bitsohl,  Parerga  Plautina  et  Terentiana  (1845) 
S.  209  ff.  286  ff.  and  p.  XVIII  ff.  (Ludi  scaenici).  Büssem akbb  und  Saglio  bei  Darbmbbbg- 
Saglio,  Diot.  des  antiqnit.  I  1187  ff.  (Circus).  Q.  LijrATB  ebd.  II  1563  ff.  (Gladiatores). 
£.  PoLLAOK  und  Chb.  Hülsen  bei  Fault- Wissowa,  Real-Encycl.  III  2571  ff.  (Circus);  hier 
Oberall  ausfdhrliche  Behandlung  des  reichen  antiquarischen  Details,  auf  das  im  Rahmen 
dieser  Darstellung  nicht  eingegangen  werden  kann,  und  Verzeichnisse  der  umfangreichen 
Speziallitteratur.    Madyig,  Verfassung  n.  Verwaltung  d.  röm.  Staates  II  695  ff. 

65.  Die  Ortlichkeiten  des  Kultus.  Die  sacra  stata  soUemnia  sind 
durch  das  Grundgesetz  ihrer  Einführung  wie  an  eine  bestimmte  Zeit,  so 
auch  an  eine  bestimmte  Örtlichkeit  gebunden,^)  und  zur  Begründung  eines 
staatlichen  Gottesdienstes  gehört  notwendig  auch  die  Bestimmung  der 
Kultstätte,  die  Eigentum  der  Gottheit  und  damit  dem  menschlichen  Rechts- 
verkehr ein  für  allemal  entzogen  ist.  Dem  Eigentum  des  Privatmannes 
am  Boden  steht  einerseits  das  der  Gemeinde,  andererseits  das  der  Gott- 
heit gegenüber,^)  die  beiden  Kategorien  der  loca  publica  und  loca  sacra 
gehören  aber  insofern  eng  zusammen,^)  als  einerseits  der  Gemeinde  die 
Pflicht  des  Schutzes  und  der  Instandhaltung  der  loca  sacra  obliegt,^)  anderer- 
seits auch  nur  sie  berechtigt  ist,  durch  den  Akt  der  consecratio  die  Eigen- 
schaft einer  Örtlichkeit  als  locus  sacer  zu  begründen;^)  es  können  also  die 
loca  sacra  nur  aus  den  publica,  nicht  aus  den  privata  hervorgehen,^)  und 
sie  bleiben  auch  nach  dem  Übergange  in  das  Eigentum  der  Gottheit  unter 
Aufsicht  und  Verwaltung  des  Staates.  Während  die  Bezeichnung  locus  sacer 
ebenso  wie  dies  nefastus  nur  negativ  die  Exemption  aus  dem  menschlichen 
Rechtsverkehre  zum  Ausdrucke  bringt,*)  ist  der  positive  Name  dafür 
fanum;  wie  die  Tage  in  festi  und  profesti,  so  scheiden  sich  die  Örtlich- 
keiten in  fana  und  profana.^^)    Der  Begriff  der  Sacertät  haftet  zunächst 


>)  So  am  Schlüsse  der  ludi  honorarü 
der  augusteischen  Saecularfeier  verbunden 
mit  dem  Rennen  der  qucidrigae,  wie  auch  die 
Kaiser  zuweileh  bei  Circusspielen  nach  einer 
bestimmten  Zahl  von  Rennen  eine  venatio 
einschoben  (Suet.  Calig.  18;  Claud.  21.  Cass. 
Dio  LX  28,  5;  vgl.  XL  VIII  33,  4);  s.  Momm- 
sbn,  £phem.  epigr.  VIII  p.  272. 

")  Das  späteste  Zeugnis  für  Rom  ist 
Caaaiod.  var.  V  42  vom  J.  523,  vgl.  Fbibd- 
lXndbb,  Sitt.Gesch.  U  ^  379  f. 

*)  Liv.  V  52,  2:  sacrificiis  soUemnibus 
non  dies  magis  statt  quam  loca  sunt  in 
quibus  fiant, 

^)  Mommbbn,  Staatsr.  II  47  ff.,  vgl.  auch 
I  3,  1. 

^)  aut  sacrom  aut  poublicom  ese  [locomj 
CIL  IX  439  f. ;  qua  sacrum  qua  publicum 
Plaut.  Trin.  1044;  in  publice  sacrove  loco 
Liv.  XXV  I,  12.  In  der  Lex  Julia  municip. 
(CIL  I  206)  Z.  29  heisst  es:  quae  via  inter 
aedem  sacram  et  aedifidum  locumve  publi- 
cum et  inter  aedificium  privatum  est  erit; 
fiber  loca  publica  und  sacra  einerseits,  pri- 
vata und  religiosa  andererseits  s.  MomiSBir, 
Strafr.  S.  812  A.  2;  Zeitschr.  d.  Savigny-Stift. 


XVI  Roman.  Abt.  S.  204  A.  I. 

^)  Frontin.  Grom.  p.  56 :  locorum  autem 
scusrorum  secundum  legem  popitli  Born, 
magna  religio  et  custodia  haberi  debet  .  .  . 
lucos  aacros  ,  .  .,  quorwn  solum  indubitate 
p.  B.  est,  etiam  si  in  finibus  coloniarum  et 
munidpiorum.    Mommsbn  a.  a.  0.  II  61. 

')  Gai.  U  5:  sed  sacrum  quidem  hoc 
solum  existimatur,  quod  ex  auctoritate  po- 
püli  Bomani  consecratum  est,  veluti  lege  de 
ea  re  lata  aut  senatusconsülto  facto,  Ulpian. 
Dig.  I  8,  9  pr.:  sacra  loca  ea  sunt,  quae 
ptUflice  sunt  dedicata,  sive  in  civitate  sint 
sive  in  agro, 

")  Ulp.  Dig.  I  8,  9,  1 :  sciendum  est  locum 
publicum  tunc  sacrum  fieri  posse,  cum 
princeps  cum  dedicavit  vel  dedicandi  dedit 
potestatem. 

•)  Paul.  Dig.  XLI  2,  30,  1 :  locum  relir 
giosum  aut  8<icrum  non  possumus  possidere, 
Ulp.  ebd.  XLIIi  8,  2,  19:  in  loco  enim  sacro 
non  solum  facere  vetamur,  sed  et  factum 
restituere  iubemur;  vgL  XVIII  1,  62,  1. 
XLm  6.  1  pr. 

'•)  Varro  de  1. 1.  VI  54:  fana  nominata, 
quod  pontifices  in  sacrando  fcUi  sunt  finem. 


400 


Religion  und  Enlti»  der  ROmer.    m.  Enltiu. 


am  Boden  ;^)  die  Gestaltung  der  auf  diesem  heiligen  Boden  befindlichen 
Eultstätte  ist  erst  von  sekundärer  Bedeutung,  es  kann  ein  Hain,  eine 
Quelle,  eine  Grube  (mundus),  eine  Höhle  (Faunus),  ein  Thor  (Janus),  eine 
bedeckte  Feuerstelle  (Vesta)  sein,  aber  auch  ein  Altar  (arä),  eine  Nische 
oder  Kapelle  (aedicula),  ein  Gotteshaus  (ciedes  sacra),  je  nach  der  Eigenart 
der  verehrten  Gottheit,  den  Mitteln  des  Weihenden,  dem  mehr  oder  minder 
bedeutsamen  Anlasse  der  Weihung  und  den  bescheideneren  oder  anspruchs- 
volleren Anschauungen  der  Zeit,  in  der  die  Weihung  erfolgt;  die  Rechts- 
stellung der  Örtlichkeit  ist  jedoch  in  allen  Fällen  die  gleiche.')  Die  Ter- 
minologie der  verschiedenen  Gattungen  von  loca  sacra  weist  zwar  manche 
Schwankungen  und  Unsicherheiten  auf,  doch  treten  die  Hauptunterschiede 
deutlich  hervor.  Der  allgemeine  Ausdruck  fanum  verengt  sich  vielfach 
derart,  dass  er  entweder  im  Gegensatze  zu  aedes  das  schlichte  Heiligtum 
alten  Stils  ^)  oder  aber  den  Tempel  ausserrömischer  Gottheiten  bezeichnet,^) 
umgekehrt  erweitert  sich  deliibrum,  ursprünglich  die  beim  Heiligtume  ge- 
legene Stelle,  die  mit  fliessendem  Wasser  für  die  vor  der  Opferhandlung 
erforderliche  Waschung  Gelegenheit  bietet,^)  zur  Bedeutungsidentität  mit 
fanum ;  ^)  mit  dem  Worte  sacellum  ^)  werden  einerseits  von  staatlichen  Eult- 
stätten  die  loca  dis  sacrata  sine  tecto^)  bezeichnet,  andererseits  alle  Arten 


Paul.  p.  88.  93;  daher  fana  aistere  im  Sinne 
von  locum  conaecrare  (Fest.  p.  351,  vgl.  oben 
S.  856  A.  1),  ferner  fanatica  pecwnia  (CIL  V 
3924  f.)  und  fanatica  arhor  (Paul.  p.  92) 
gleichbedeutend  mit  sacra  pecunia,  sacra 
arbor  und  die  Gegenüberstellung  von  sacrum 
und  pro  fanum  (Paul.  p.  228:  pro  fanum  quod 
non  est  sacrum.  Plautus  *sacrum  an  pro- 
fanum  habeas  parvi  penditur*).  Die  Deutung 
profanum  sei  quod  ex  religioso  vel  sacro  in 
Jiominum  usum  proprietatemque  conversum 
est  (Trebat.  bei  Macr.  S.  m  3,  3 ;  vgl.  Serv. 
Aen.  XII  779  und  Varro  de  1. 1.  VI  54  pro- 
fanum quod  ante  fanum  coniunctum  fano 
„profanum  ist  was  vorher  fanum  d.  h.  zum 
Heiligtume  gehörig  war*)  beruht  auf  Ver- 
mengung der  Begriffe  profanum  und  prO' 
fanatum. 

1)  Marcian.  Dig.  I  8,  6,  3 :  semel  autem 
aede  sacra  facta  etiam  diruto  aedificio  locus 
sacer  manet;  vgl.  Plin.  ad  Trai.  71:  ülud 
tamenparum  expressisti,  an  aedes  in  peri- 
stylio  Claudio  facta  esset,  nam  si  facta  est, 
licet  coüapsa  sit,  religio  eius  occupavit 
solum. 

*)  Aus  den  Worten  des  Gaius  II  4 
sacrae  sunt,  quae  diis  sttperis  consecratae 
sunt,  rdigiosae,  quae  diis  manibus  relictae 
sunt,  darf  man  nicht  folgern,  dass  nur  die 
Eultstätte  der  oberen  (jötter  locus  sanier, 
die  der  Unterirdischen  bloss  locus  religiosus 
sei ;  das  Grab  ist  nicht  sacrum  sondern  bloss 
religiosum  nicht  weil  es  den  Manen  geweiht 
ist|  sondern  weil  es  nur  auf  privater  Dedi- 
oation  beruht,  dagegen  sind  die  staatlich 
consecrierten  Eultstätten  der  di  inferi  ebenso 
loca  Sacra,  wie  ihre  Feste  feriae  publicae  sind. 


*)  z.  B.  Cato  bei  Fest  p.  162  (bei  dem 
Bau  des  Capitols):  fana  in  eo  loco  compluria 
fuere;  ea  exauguravit,  praeterquam  quod 
Termine  fanum  fuit;  id  nequitum  exau- 
gurari, 

*)  Beispiele  bei  Jobdan,  Hermes  XIV 
577  f.  RuGOiBBOy  Dizion.  epigr.  III  34;  daher 
die  Bezeichnung  fanatici  Sil  das  Tempel- 
personal der  Bellona,  Isis  und  Magna  Mater 
(S.  291). 

')  Delubrum  esse  locum  ante  templum, 
ubi  aqua  currit,  a  deluendo  (also  =  dnoQ- 
QarrtJQioy,  vgl.  poluhrum),  Gincins  bei  Serv. 
Aen.  II  225,  dort  auch  andere  Etymologien; 
vgl.  IV  56.  Macr.  S.  UI  4,  2.  Ps-Ascon.  p.  101 
Gr.  Paul.  p.  73.  Isid.  orig.  XV  4,  9.  Ps.  Fronto 
de  diff.  Gr.  L.  VU  528,  25  K. 

^)  Im  Gegensatze  zu  aedes  z.  B.  Varro 
de  vita  pop.  Rom.  I  bei  Non.  p.  494 :  haec 
aedis,  quae  nunc  est,  multis  annis  post  fac* 
tast;  namque  Numae  (so  Luo.  MOllkr;  in 
quae  omnia  Hss.)  regis  temporibus  delubra 
parva  facta;  neben  fana  und  templa  in  der 
Lex  col.  Genet.  o.  128;  mehr  bei  Josdav 
a.  a.  0.  S.  578  ff. 

')  Davon  streng  zu  scheiden  sacrarium, 
der  Aufbewahrungsraum  ftkr  die  sacra  sup' 
pellex,  der  nicht  notwendig  consecriert  zu 
sein  braucht.  Ulpian.  Dig.  I  8,  9,  2:  sacer 
locus  est  locus  eonsecratus,  scusrarium  est 
locus  in  quo  sacra  reponuntur,  quod  etiam 
in  aedificio  privato  esse  potest  (s.  auch  ülp. 
ebd.  XLIII  6,  1,  1);  vgl.  Jordan,  Topogr.  II 
271  ff. 

^)  Fest.  p.  318;  vgl.  Trebai  bei  Gell. 
VII  12,  5:  sacellum  est  locus  parvus  deo 
sacratus  cum  ara.    Die  Definition  umfaast 


65.  Die  Oertliohkeiten  des  Kultus. 


401 


von  Privatheiligtümern,  also  Örtlichkeiten,  denen  der  Charakter  der  Sacer- 
tat  nicht  zukommt.^)    Seit  dem  Beginne  der  Republik  hat  die  eigentliche 
aedes  sacra,  d.  h.  der  als  Wohnraum  des  Gottes  gedachte,  das  Götterbild 
einschliessende  Tempelbau  etruskischer  oder  griechischer  Anlage  alle  anderen 
Formen  der  Eultstätte  verdrängt,  die  neben  dieser  Normalform  allmählig 
aussterben  oder  sich  nur  als  versteinerte  Überreste  einer  älteren  Kultus- 
periode erhalten.  Die  heiligen  Haine  (lud  sacri,^)  wohl  zu  unterscheiden  von 
solchen  Staatswaldungen,  deren  Nutzungsertrag  zur  Bestreitung  bestimmter 
sacraler  Ausgaben  diente,  s.  oben  S.  383,  vgl.  S.  343  A.  1)  wurden  in  Italien 
und  besonders  in  der  nächsten  Umgebung  Roms  infolge  der  Dichtigkeit  der 
Bevölkerung  und  der  Nötigung  zur  Ausnutzung  des  Bodens  an  Zahl  und 
Umfang  mehr  und  mehr  beschränkt;')  es  sind  durchweg  Gottheiten  älterer 
Provenienz,  deren  Verehrung  in  Hainen  in  und  bei  Rom  bezeugt  ist,^)  und 
wo  ihr  Kult  eine  wirklieh  eifrige  Pflege  geniesst,  wie  es  z.  B.  bei  Dea  Dia 
seit  Augustus  wieder  der  Fall  ist,  wird  mitten  im  Hain  ein  Gotteshaus 
gebaut,  zu  dessen  Annex  der  erstere  herabgedrückt  wird.    Ähnlich  steht 
es  mit  den  offenen  Altären  des  älteren  Gottesdienstes;  aUeinige  Kultstätte 
bleiben  sie  nur  für  solche  Gottheiten,  deren  Verehrung  mehr  oder  weniger 
in  Vergessenheit  geraten  ist,^)  während  im  übrigen  neben  den  alten  Altar 
ein  Tempel  neuen  Stils  tritt,   der  den  Mittelpunkt  des  Kultes  bildet,  wie 
das  z.  B.  bei   der  ara  Martis  in  campo  (S.  133),   der  ara  Consi  in  circo 
(S.  167),   der  ara  maxima  des  Hercules  (S.  223)  u.  a.  geschehen  ist;   erst 
in  der  Zeit  des  Augustus  rückt  bei  Neugründungen  von  Kultstätten  die 
Altarform  wieder  in  den  Vordergrund,  aber  unter  dem  Einflüsse  der  monu- 
mentalen Altarbauten  der  hellenistischen  Zeit  in  Gestalt  von  umfangreichen 
Terrassenanlagen  mit  Balustraden  und  Treppen,   wie  das  am  besten  be- 
kannte Beispiel,  die  ara  Pacis  augustae  in  campo  (S.  277),  zeigt;  Bauwerke 
ähnlicher  Art  waren   die  ara  Fortunae  Reducis  (S.  212)  und  die  wohl  in 
derselben  Zeit  in  grossartigen  Dimensionen  erneuerte  ara  Ditis  in  Tarento 
(S.  256),  bescheidener  jedenfalls  die  im  Vicus  Jugarius  gelegenen  Altäre 
der  Ceres  Mater  (S.  247)  und  Ops  Augusta  (S.  169),  die  ara  gentis  luliae 
auf  dem  Capitol  (S.  287  A.  5),  die  ara  Providentiae  augustae  (S.  279  A.  2)  u.  a. 
Unter  den  als  saceUa  charakterisierten  staatlichen  Kultstätten  finden  wir, 
abgesehen  von  solchen  Heiligtümern  älterer  Herkunft,   die  später  durch 


nicht  nur  offene  Altäre  mit  Einfriedigung 
(saeptum),  sondern  namentlich  all  die  zahl- 
reichen Heiligtümer  in  Kapellenform,  in  denen 
das  GötterbUd  zwar  in  einer  Nische  oder 
aediciUa  untergebracht  ist,  der  Opfernde 
aber  davor  auf  dem  locus  sacer  sine  Udo 
steht. 

^)  Hier  bringt  also  die  Deminutivform 
nicht  den  kleinen  Umfang,  sondern  die  un- 
vollkommene Eigenschaft  zum  Ausdrucke, 
denn  diese  Privatheiligtümer  sind  nur  quasi 
consecraia  (Gic.  ad  Att.  XII  19,  1). 

')  So  heisst  ausdrücklich  der  Hain  der 
Dea  Dia  (CIL  VI  2107. 4.  15  f.  2110, 9),  femer 
z.B.  CIL  VI  114.  X4104. 

•)  Varro  de  1.  L  Y  49:   lucus  MefiHs  et 

Handbaoh  der  Irliw.  Altertamawitaenaoluift.    V,  4. 


lunonis  Lucinae,  quorum  angusti  fines, 
non  mirum;  iam  diu  enim  late  avaritia 
nunc  est.  Frontin.  Grom.  p.  56, 19:  in  Italia 
autem  densitas  possessorum  multum  improbe 
facit  et  lucos  sacros  occupat. 

*)  z.  B.  Robigus,  Anna  Perenna,  Furrina, 
Camenae,  Albionae,  Stimula,  Libitina,  Mefitis, 
Lavema;  Beispiele  heiliger  Haine  in  Italien 
ausserhalb  der  römischen  Staatsreligion  s.  bei 
Mabquabdt,  Staatsverw.  III  151,  2. 

')  z.  B.  Febris,  Lavema,  Ajus  Locutius, 
Juppiter  Elicius  u.  a.,  s.  das  Verzeichnis 
stadtrOmischer  Altäre  bei  Ruooiebo  a.  a.  0. 
I  603  ff.;  vgL  EiBFKBT-HüLSEN,  Formae  nrb. 
Rom.  S.  4  ff. 


26 


402 


Religion  und  Enltiia  der  ROmer.    m.  Enltna. 


Gotteshäuser  ersetzt  wurden,  0  solche  einer  Reihe  sehr  alter,  nachher  so 
gut  wie  ganz  verschollener  Gottheiten,')  insbesondere  aber  fallen  unter 
diesen  Begriff  die  Larenkapellen  an  den  Gompita  (S.  151  f.),  die  geradezu 
xaT  i^oxrjv  saceUa  heissen;^)  daneben  ist  für  diese  Larenkapellen,  wie  über- 
haupt für  alle  diese  eine  Tempelcella  en  miniature  darstellenden  Heiligtümer 
(S.  400  A.  8),  der  nur  die  bauliche  Form,  nicht  die  sacralrechtliche  Qualität 
treffende  Ausdruck  aediculae  im  Gebrauche.^)  Alte  Sonderformen  der  Eult- 
stätte  haben  sich  nur  ausnahmsweise  bis  in  die  spätere  Republik  und 
weiterhin  erhalten.  Die  einzige  Gottheit,  die  sich  dauernd  und  erfolgreich 
gegen  die  Annahme  der  herrschenden  Tempelform  gesträubt  hat,  istVesta; 
denn  ihr  Heiligtum  heisst  zwar  allgemein  aedes  Vestae  (anstatt  bloss  vesia^ 
d.  h.  Herd,  wie  ianus  =  Thor)  und  hat  die  griechischen  Architekturformen 
angenommen,  aber  sowohl  die  kleinen  Dimensionen,  wie  die  aussergewöhn- 
liche  Gestaltung  als  Rundtempel  ^)  und  namentlich  das  Fehlen  eines  Eult- 
bildes  zeigen  deutlich,  dass  wir  es  hier  nicht  mit  dem  Wohnhause  der 
Göttin,  sondern  trotz  der  modernen  äusseren  Ausstattung  noch  in  alter 
Anschauung  mit  Herd  und  Vorratskammer  (penus)  der  römischen  Gemeinde 
zu  thun  haben  (s.  S.  29  und  143);  aber  ein  Ausgleich  war  in  sofern  geschaffen, 
als  wahrscheinlich  schon  in  Ciceros  Zeit,  jedenfalls  in  der  Kaiserzeit  in 
unmittelbarer  Nachbarschaft  des  Tempels  eine  staatlich  geweihte  aedicula 
mit  dem  Bilde  der  Göttin  errichtet  war.^)  Janus  und  Faunus  erhielten 
nicht  nur  Gotteshäuser  modernen  Stils,  der  eine  am  Forum  holitorium 
(S.  94),  der  andere  auf  der  Tiberinsel  (S.  174),  sondern  auch  ihre  alten 
Kultstätten,  der  Janusbogen  am  Forum  und  die  Wolfshöhle  am  Palatin, 
wurden  durch  Aufstellung  eines  Kultbildes  zu  einer  Art  zweithürigen 
Gotteshauses  bezw.  einer  höhlenförmigen  Bildnische  umgeschaffen.     Sonst 


')  z.  B.  das  saceüum  Quirini  (Fest, 
p.  254*  22,  vgl.  Paul.  p.  255,  4)  an  der  Stelle 
der  späteren  aedes  Qtiirini  (S.  140). 

'}  z.  B.  Naenia,  Diva  Rumina,  Volupia, 
Strenia,  Mutnnus  Tutunus  a.  a.  Es  sind  das 
alles  di  incei'ti  im  yarronischen  Sinne  (S.  65), 
und  wenn  Varro  in  der  de  locis  überschriebenen 
Abteilung  der  Antiqu.  rer.  divin.  in  Buch  V 
de  sacellis  und  in  Buch  VI  de  sacris  aedü)U8 
handelte,  so  fiel  diese  Scheidung  zum  guten 
Teile  mit  der  in  di  incerti  und  certi  zu- 
sammen. 

')  z.  B.  Obsequ.  13  circa  compita  saceU 
laque,  Liv.  IV  30,  10  in  omnibv^  vicis  sa- 
cellisque.  Prop.  IV  3,  57  flore  sacella  tego, 
verbenis  compita  velo.  Daher  hat  man  unter 
den  viel  besprochenen  sacra  publica  pro 
sacellis  (Fest.  p.  245,  s.  oben  S.  335  A.  2)  die 
Gompitalia  zu  verstehen,  und  der  cur(ator) 
8acel(lorum)  p(ublicorum)  der  stadtrömischen 
Inschrift  £ph.  epigr.  IV  863  hat  zum  min- 
desten in  erster  Linie  mit  den  Larenkapellen 
zu  thun  gehabt. 

*)  So  mehrfach  in  den  Bauinschriften 
z.  B.  aedicülam  regionis  VI  vico  portae  Col- 
lifMe  CIL  VI  450,  ebenso  451.  Ephem.  epigr. 
IV  746;  femer  Bull.  com.  XV  1887,  33  aedi- 


I 


culas  Lairum]  .  ,  restituerufnt  magistri  vi- 
earumj  urbis  reg(ionum)  fXIlIIJ;  vgl.  über 
den  Begriff  der  aedicula  im  allgemeinen 
RüooiEBo  a.a.O.  I  139  ff.,  über  die  miss- 
bräuchliche  Verwendung  von  aedes  für  aedi- 
cula JoBDAN,  Herm.  XIV  571  ff. 

*)  Serv.  Aen.  IX  408  aedes  rotundas  tri- 
bus  dis  dicunt  fieri  debere,  Vestae  [Dianae, 
gestrichen  von  Jobdan,  Tempel  der  Vesta 
S.  77  A.  6]  vel  Herculi  vel  Mercurio.  Dass 
Hercules  am  Forum  boarium  einen  Rund- 
tempel besass,  steht  fest  (oben  S.  223  A.  1), 
die  Annahme  der  gleichen  Banform  für  die 
aedes  Deae  Diae  ist  als  irrig  erkannt  (Hül- 
sen, Ephem.  epigr.  VIII  p.  350),  den  Inhaber 
des  erhaltenen  Rundtempels  am  Tiber  (S.  Maria 
del  Sole)  kennen  wir  nicht  (Hülsbns  Deutung 
auf  das  Portunium,  oben  S.  99,  ist  unbeweis- 
bar), alle  anderen  Beispiele  (s.  Jobdan,  Topogr. 
I  1  S.  34  A.  58;  Tempel  d.  Vesta  S.  7  f.)  sind 
ausserrömisch  oder  gehören  erst  der  Zeit  seit 
Augustus  an. 

")  Ueber  die  Reste  dieser  aedicula  Vestae 
und  die  etwa  aus  hadrianischer  Zeit  stam- 
mende Weihinschrift  Senatus  populusque 
BomanufsJ  faciendam  curavit  s.  Josdan, 
Tempel  d.  Vesta  S.  25  ff.  68. 


65.  Die  Oertliohkeiten  des  Enltiis. 


403 


herrscht  das  Tempelhaus  unbedingt,  Indigetes  und  Novensides,  einheimische 
und  fremde  Qötter  bedienen  sich  derselben  Form  der  Kultstätte,  die  Be- 
deutung der  Gottheit  macht  so  wenig  einen  unterschied,  dass  man  ohne 
Bedenken  auch  Göttern  der  Unterwelt,  wie  Vejovis  (S.  191),  und  Quellgott- 
heiten, wie  Föns  (S.  182)  und  Jutuma  (S.  183),  solche  Wohnhäuser  in  der 
Stadt  erbaute.  Die  Anlage  des  Gotteshauses  geschieht  in  fest  bestimm- 
ten Formen.  Bei  der  Wahl  der  Örtlichkeit  kommen  bestimmte  sacrale 
Rücksichten  in  Betracht,  indem  z.  B.  der  Kriegsgott  Mars  seine  Tempel 
ausserhalb  des  Pomeriums  (S.  133)  erhält  und  ebenso  wenigstens  in  älterer 
Zeit  (S.  55)  landfremde  Gottheiten  von  der  Innenstadt  ausgeschlossen  sind, 
während  man  andererseits  das  Haus  eines  der  alten  Götter  gern  in  un- 
mittelbarer Nähe  oder  an  der  Stelle  seines  ursprünglichen  fanütn  erbaut.^) 
Der  Tempel  soll  in  der  Regel  nach  allen  Seiten  hin  freiliegen,')  und  in 
der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  geschieht  die  Absteckung  des  Grundplanes 
unter  Heranziehung  der  Augum  (s.  unten  §  68),  die  unter  Wahrung  der 
komplizierten  Vorschriften  ihrer  Wissenschaft  und  mit  Anwendung  be- 
stimmter Spruchformeln  einerseits  die  Örtlichkeit  von  allen  etwa  sonst  auf 
ihr  ruhenden  sacralen  Ansprüchen  und  Verpflichtungen  befreien,')  anderer- 
seits sie  durch  genaue  Bezeichnung  der  Grenzlinien  gewissermassen  aus 
dem  umgebenden  Terrain  herausschneiden.^)  Alle  Gotteshäuser,  die  in 
dieser  Weise  inauguriert  sind,^)  haben  rechteckigen  Grundriss  und  es 
kommt  ihnen  Name  und  Qualität  eines  templum  zu  (s.  darüber  §  68);  sie 
sind  damit  zur  Verwendung  für  bestimmte  staatliche  Zwecke,  die  nur  in 
loco  per  augurem  constüuto,  quod  templum  appellaretur  (Gell.  XIV  7,  7),  wahr- 
genommen werden  konnten,  geeignet,^)  aber  ihre  Rechtsstellung  unter  den 
loca  Sacra  erfährt  dadurch  keine  Veränderung;  denn  wenn  seit  Augustus 


')  £.  AusT,  De  aedibus  sacris  S.  50  ff. 

')  Daher  hatte  Varro  die  Ansicht  auf- 
gesteUt  ideo  loca  sacra  civitates  habere 
voluisse,  ne  per  conünua  aedifida  incendia 
prolaberentwr  et  ut  esset  quo  confugerent 
plerique  cum  famüia  sua  in  periculis  (Serv. 
Aen.  II  512).  Was  VitruT.  IV  5  (vgl.  Hygin. 
Grom.  lat.  I  p.  169  f.)  Aber  Teippelorientie- 
rang  lehrt,  Jf^  ^"^  römische  'N^rhältnisse 
in  keiner  Weise  und  stammt  jedenfalls 
aus  einem  griechischen  Handbuch;  Nissens 
geistreiche  Theorie  (Templum  S.  162  ff.,  dazu 
Rhein.  Mus.  XXVIII  513  ff.  XXIX  369  ff.) 
von  einer  Orientierung  der  Tempel  nach 
dem  Sonnenaufgangspunkte  des  Stiftungs- 
tages leidet  an  der  verhängnisvollen  Unklar- 
heit darüber,  welcher  Tag  der  Stiftungstag 
ist;  denn  die  Festlegung  der  Regionen  des 
Tempels  musste  doch  bei  der  Inauguration, 
also  vor  Inangrifihahme  des  Baues  erfolgen, 
der  fiberlieferte  Stiftungstag  aber  ist  durch- 
weg der  der  Dedication  nach  vollendetem 
Bau  (vgl.  JoRDAK,  Ephem.  epigr.  I  p.  233). 
Vor  allem  aber  sind  alle  Fälle,  in  denen  es 
in  neuerer  Zeit  gelungen  ist,  die  frfiher  un- 
bekannten Inhaber  bestimmter,  ihrer  Lage 
nach  bekannter  Tempel  mit  Sicherheit  fest- 
zustellen und  eine  Probe  auf  die  Richtigkeit 


von  NissBNS  Hypothese  zu  machen,  gegen 
ihn  ausgeschlagen. 

')  Das  ist  die  exaugtirtttio  älterer  Heilig- 
tümer, die  z.  B.  b^im  Bau  des  Capitols  er- 
folgte (Gate  bei  Fest.  p.  162.  Liv.  I  55,  2  f. 
V54,  7.  Serv.  Aen.  II  351). 

*)  Serv.  Aen.  I  446  antigui  enim  aedes 
sacras  ita  templa  faciebant,  ut  prius  per 
augures  locus  liberaretur  effareturque,  tum 
demum  a  pontificibus  consecraretur  ac  post 
ibidem  sacra  edicerentur.  Yarro  de  1. 1.  VI.  53 
effari  templa  dicuntur  ab  auguribus,  effantur 
qui  in  his  fines  stmt.  Man  muss  effatus  im 
Sinne  von  fando  exemptus  fassen,  vgl.  Fest, 
p.  157  locus  ita  effatus  aut  ita  saeptus.  Liv. 
X  37, 15  locus  templo  effatus.  Varro  de  1. 1. 
VII  8  quibusdam  conceptis  verbis  finüus, 

')  Dass  es  die  Mehrzahl  war,  sagt  Varro 
de  1. 1.  VII 10  quod  in  wrbe  Borna  pleraeque 
aedes  sacrae  sunt  templa  und  bei  Gell.  XIV 
7,  7  non  omnes  aedes  sacras  templa  esse  et 
ne  aedem  quidem  Vestae  templum  esse  (vgl. 
Serv.  Aen.  VTI 153).  Rundtempel  wie  der  der 
Vesta  konnten  ja  keine  templa  sein,  ob  alle 
Gotteshäuser  mit  rechteckigem  Grundrisse 
es  waren,  ist  schwer  zu  entscheiden. 

')  Insbesondere  zu  Senatssitzungen,  s. 
MoKMSEN,  Staatsr.  III  926  ff, 

26» 


404 


Religion  und  Knltna  der  ROmer.    m.  Enltna. 


es  üblich  wird,  die  vom  Kaiser  in  solo  private  erbauten  Gotteshäuser  als 
templa  von  den  aedes  sacrae  des  Staates  zu  unterscheiden,^)  so  ist  das  nur 
eine  willkürliche  Differenzierung  in  der  Anwendung  der  beiden  nach  und 
nach  so  gut  wie  identisch  gewordenen  Ausdrücke  und  hat  mit  der  tech- 
nischen Bedeutung  von  templum  nichts  mehr  zu  thun.')  Ist  das  Tempel- 
gebäude im  Bau  fertig  gestellt,  so  erfolgt  die  Dedication  durch  den  dazu 
befugten  oder  eigens  dazu  bestellten  Magistrat  (oben  S.  338  f.)  unter  Assi- 
stenz des  Pontifex  Maximus  oder  eines  der  Pontifices,  der  ihm  die  Formel 
vorspricht  (oben  S.  331),  wobei  beide  mit  den  Händen  die  Thürpfosten  be- 
rühren.^) Mit  der  Aussprache  der  sollemnia  pontificcUis  carminis  verba 
(Seneca  cons.  ad  Marc.  13,  1)  durch  den  Magistrat  vollzieht  sich  die  conse- 
oratio,  indem  die  Gemeinde  sich  ihres  Eigentumsrechtes  zu  Gunsten  der 
Gottheit  entäussert  und  der  Tempel  Eigentum  der  Gottheit,  also  res  sacra^ 
wird.^)  Diese  Dedicationsformel  enthält  nicht  nur  die  Angabe  des  Em- 
pföngers,  des  Dedicierenden  und  der  Grenzen  der  überwiesenen  Eultstätte,^) 
sondern  auch  die  näheren  Bedingungen  der  Überweisung,*)  d.  h.  das  für 
den  Tempeldienst  in  Zukunft  geltende  Statut  {lex  dedicationis)^  für  das  bei 
manchen  Abweichungen  im  einzelnen  doch  ein  einheitliches  Formular  zu 
Grunde  gelegt  zu  werden  pflegt. '')  Das  Musterexemplar  ist  die  lex  arae 
Dianae  in  Aventino  (oben  S.  34),  auf  die  für  alle  allgemein  geltenden  Be- 
stimmungen einfach  verwiesen  wird,^)  nur  neu  hinzutretende  oder  ab- 
weichende Festsetzungen  werden  eigens  formuliert.  Sie  beziehen  sich  auf 
Schutz  des  Heiligtums  gegen  profane  Inanspruchnahme,  Verletzung  und 
Beraubung,")  auf  die  vermögensrechtliche  Behandlung  der  Gaben  und  Weih- 
geschenke, ^<')  auf  Zulässigkeit  oder  ünstatthaftigkeit  bestimmter  Opfer  und 


»)  Jordan,  Hermes  XIV  567  flf.;  vgl. 
MoMMSBn,  Res  gestae  divi  Augusti  '  p.  78  f. 

')  Wenn  zuweilen  aedes  als  der  engere 
Begriff  neben  templum  gebraucht  wird  (CIL 
VI  10234,  8.  10.  23  in  femplo  Divorum  in 
aede  Divi  Tili.  Rom.  Inschrift  Bull.  com.  XV 
1887,  223  aedem  ipsius  [des  Silvanus]  mar- 
moratam  a  solo  sua  pecunia  fecit  et  templum 
marmoris  stravit  idemq(ue)  dedic(avit)) ,  so 
bedeutet  templum  das  ganze  Gfotteshaus, 
aedes  eine  innerhalb  desselben  aufgestellte 
Kapelle. 

•  »)  postem  tenere  Liv.  II  8,  7  f.  Plut. 
Popl.  14  (vgl.  Val.  Max.  V  10,  1.  Seneca  con- 
sol.  ad  Marc.  13,  1).  Gic.  de  domo  133  (vgl. 
119.  121).    Serv.  Georg.  III  16. 

^)  Das  vollständige  Material  bei  Wis- 
sowA,  Real-Encycl.  IV  896  ff.  2356  ff. 

*)  z.  B.  olleis  legibus  illeis  regionibus, 
utei  extrema  [fjundafmenta  sunt]  lapide 
facta  Jioiusque  aedis  ergo  uteique  ad  eam 
aedem  scdlasque  lapiie  stfrjuctob  [strujen- 
dfas]  columnae  stant  citra  scalas  ad  aedem 
verstis  stipitesque  aedis  hufiusj  tabulamenta- 
que  CIL  IX  3513. 

•)  in  dedicatione  et  quis  dedicet  et  quid 
et  quo  modo  quaeritur  Cic.  de  domo  127. 

^)  Im  ausfahrlichen  Wortlaute  erhalten 


I 


sind  insbesondere  die  lex  der  aedes  lovis  Liberi 
zu  Purfo  vom  13.  Juli  696  =  58  v.  Chr.  (CIL 
IX  3513  =  Furf.),  der  ara  Augusti  zu  Narbe 
vom  22.  Okt.  12  n.  Chr.  (CIL  X II 4333  =  Narb.) 
und  der  ara  lovis  zu  Salona  vom  9.  Okt.  137 
(CIL  m  1933  =  Salon.);  mehr  oben  S.  6  A.  1  ; 
vgl.  dazu  Jobdan,  Erit.  Beitr.  z.  Gesch.  d.  lat. 
Sprache  S.  250  ff.  Ruogibbo,  Dizion.  epigr.  I 
149  ff.  Das  Nichtvorhandensein  einer  solchen 
lex  wird  als  auffallend  eigens  angemerkt: 
huius  (der  Ops)  aedis  lex  nuUa  exstat  neque 
templum  habeat  necne  scitur,  Fest  p.  189. 

^)  eeterae  leges  huic  arae  eaedem  sunto, 
q'uae  arae  Dianae  sunt  in  Aventino  monte 
dictae  Salon.  Narb.;  vgl.  CIL  XI  361. 

')  CIL  VI  826:  hoc  lege  dedicata  est 
(ara),  ne  cui  liceat  intra  hos  terminos  aedi- 
ficium  extruere,  manere,  negotiari,  arboreni 
ponere  aiiudve  quid  serere.  Dahin  gehören 
auch  die  Ausnahmen  von  dem  Verbote,  irgend 
etwas  zum  Heiligtum  Gehörendes  zu  ent- 
fernen oder  zu  vernichten:  si  quis  tergere 
Omare  reficere  volet,  quod  beneficii  causa 
fiat,  iu8  fasque  esto  Narb.,  vgl.  Furf. 

*°)  Si  quis  huic  arae  donum  dare  au- 
gereque  volet,  liceto,  eademq(ue)  lex  ei  dono 
esto,  quae  huic  arae  est  Narb.,  ausftthrlicher 
Furf.  (s.  oben  S.  361  A.  9). 


65.  Die  Oertliohkeiton  des  EnltiiB. 


405 


Sacralhandlungen,^  auf  Zulassung  oder  Ausschluss  einzelner  Klassen  von 
Personen,')  auf  die  Sportein')  und  die  Beobachtung  bestimmter  Ritual- 
vorschriften,^)  endlich  auf  die  dem  Tempel  etwa  zustehenden  Privilegien,**^) 
wie  z.B.  das  Asylrecht;*)  alles,  was  uns  über  rituelle  Eigentümlichkeiten 
mancher  Kulte  und  Heiligtümer  berichtet  wird,  geht  in  letzter  Linie 
auf  die  betreffenden  leges  dedkationis  zurück.  Auch  über  die  von  Staats- 
wegen bei  dem  Tempel  regelmässig  darzubringenden  Opfer  und  sonstigen 
Festlichkeiten  enthält  die  lex  dedicationis  die  nötigen  Anordnungen,^)  doch 
erübrigen  sich  solche,  falls  —  wie  es  bei  den  meisten  Tempeln  der  Fall 
war  —  nur  einmal  alljährlich,  nämlich  am  Stiftungstage,  ein  Staatsopfer 
dargebracht  wurde,  dessen  Beschaffenheit  vielleicht  auch  bereits  in  der  lex 
arae  Dianae  allgemein  geregelt  war.  Denn  alle  aedes  sacrae  begehen  die 
Wiederkehr  des  Tages,  an  dem  die  Dedication  erfolgte,  als  ihres  natalis  ^) 
durch  ein  8<icrificium  publicum,^)  dessen  Darbringung  —  soweit  nicht  für 
den  betreffenden  Gottesdienst  eigene  Priester  oder  Genossenschaften  be- 
stellt sind  —  jedenfalls  den  Pontifices  oder  ihrem  ünterpersonal  (s.  darüber 
unten  §  67)  oblag:  obwohl  durch  diese  Opferhandlungen  der  sacralrecht- 
liche  Charakter  des  Tages  nicht  affiziert  wird,  verzeichnen  doch  die  jüngeren 
Zusätze  der  Steinkalender  sie  ebenso  wie  die  epula,  ludi  und  merkatus  in 
ganz  bestimmter  Form,^^)  mit  Angabe  des  Gottes  und  der  Örtlichkeit:  lano 


^)  Si  quis  hie  JiOsHa  acicrum  fcLxit,  quod 
magmentum  nee  protoUcU,  ücirco  tarnen 
probe  factum  esto  Salon.  Narb.  YorschrifteD 
dieser  Art  sind  in  grosser  Zahl  überliefert, 
es  gehört  dahin  z.  B.  das  Verbot  des  Lee- 
tistemium  bei  der  Ära  Maxima  (S.  224). 

')  z.  B.  der  Ansschluss  der  Weiber  vom 
Gottesdienste  der  Ära  Maxima  (S.  227),  der 
Männer  vom  Tempel  der  Bona  Dea  (S.  178), 
der  unfreien  von  dem  der  Mater  Matnta 
(S.  98)  und  sonst  (oben  S.  338  A.  6). 

*)  Sei  quei  ad  hoe  templum  rem  dei- 
vinam  fecerit  lovi  Libero  aut  lovia  Genta, 
pdleis  eoria  fanei  stmto  Forf. 

*)  z.  B.  Varro  de  1. 1.  VIl  84  in  aliquot 
aacria  et  sacellis  scriptum  Jiabemu8  ne  quod 
scorteum  adhibeatur  (vgl.  oben  S.  181  A.  5). 

*)  Eine  lange  Reihe  solcher  Privilegien 
enthielt  die  lex  templi  Martis  Ultoris,  ans 
der  Gass.  Dio  LV  10, 2—5  (vgl.  Suet.  Aug.  29) 
einen  Auszug  gibt  (s.  oben  S.  70). 

*)  Serv.  Aen.  II 761 :  hoc  autem  (asylum) 
non  est  in  omnibus  templis  nisi  quibua  con- 
secrationis  lege  conceasum  est.  Die  Einrich- 
tung ist  entschieden  unrOmisch  (über  das 
angebliche  Asyl  des  Romulus  s.  Schwbolsb, 
Rom.  Gesch.  1  464  ff.),  wir  begegnen  ihr  beim 
griechischen  Tempel  der  Geres  (Varro  bei 
Non.  p.  44)  und  bei  dem  des  Divus  Julius 
(Cass.  Dio  XLVn  19,  2). 

')  In  der  Inschrift  von  Narbo  steht  die 
Aufzfthlung  der  Jahresfeste  zwar  nicht  im 
Texte  der  lex  dedicationis,  aber  in  dem  des 
Votum  auf  der  Vorderseite  des  Steines. 

')  Gic.  ad  Att.  IV  1,  4:  idem  natalis  erat 
et  Brundisinae  eoloniae  et  tuae  vieinae  Sa- 


lutis.  Ovid.  fast.  ÜI  837  f.:  Captae  delubra 
Minervae,  quae  dea  natali  coepit  habere  suo 
(vgl.  III  812).  Amob.  Vü  32:  Tellwris  natalis 
est)  vgl.  TertuU.  de  idol.  11.  Lact  inst.  VI 
20,  34.  Sehr  häufig  findet  sich  diese  Be- 
zeichnung im  Kalender  des  Philocalus,  der 
die  Stiftungstage,  soweit  sie  noch  oAziell 
anerkannt  sind,  in  den  meisten  Fftllen  (über 
Ausnahmen  s.  oben  S.  391  A.  1)  mit  derselben 
Note  (N-  =  n(atalis))  versieht,  wie  die  Ge- 
burtstage der  konsekrierten  Kaiser,  z.  B. 
n(ataiis)  Minerves  (21.  Mftrz),  n(atalis)  Mer- 
curi  (15.  Mai),  n(atalis)  M%iLsarum  (18.  Juni), 
n(atcdis)  Dianes  (18.  August),  n(atal\s)  Äs- 
clepi  (11.  Sept.)  u.  a.  Sonst  findet  sich  die 
gleiche  Bezeichnung  —  abgesehen  von  dem 
n(atälis)  ürbis  an  den  ParHien  —  noch  in  den 
beiden  Beischriften  n(atalis)  ehartis  (25.  Jan.) 
und  n(atalis)  annonis  (17.  Mai),  über  deren 
Bedeutung  Momxsbn  GIL  P  p.  308.  818  zu 
vergleichen  ist. 

')  Diese  Bezeichnung  gebrauchen  die 
Fasti  Vallenses  (GIL  I*  p.  240)  zum  5.  August 
{Sdluti  in  coUe  Quirinali  sacrifidum  publi- 
cum) und  8.  August  (8ol(is)  indigitis  in  coUe 
Quirinale  sacrifidum  publicum);  bloss  sacri- 
fidum ebd.  zum  21.  und  27.  August. 

*^)  Dass  auch  diese  jflngeren  Zusätze 
der  Steinkalender  auf  ein  orazielles  Exemplar 
zurückgehen,  was  Mommsbr  GIL  I*  p.  303 
in  Abrede  stellt,  scheint  mir  bei  der  grossen 
üebereinstimmung  der  einzelnen  erhaltenen 
Kalender  untereinander  in  Inhalt  und  Form 
(nur  die  Fasti  Praenestini  geben,  da  sie  die 
Form  eines  gelehrten  Kommentars  tragen, 
ein  anderes  Bild,  in  dem  aber  anch  noch 


406 


Religion  und  Kultus  der  BOmer.    m.  Enltiui. 


ad  theatrum  MarcellU)  Bei  der  Wahl  des  Stiftungstages  hat  man  sich 
insofern  an  eine  gewisse  Norm  gebunden,  als  man  die  Dedication  von 
Tempeln  der  Götter  ältester  Ordnung,  die  eigene  feriae  besassen,  eben  an 
ihrem  Festtage  vornahm,  so  dass  von  nun  an  die  feriae  publicae  und  das 
Tempelopfer  auf  einen  Tag  fielen:  beide  Akte  werden  in  den  Kalendern 
deutlich  geschieden  in  der  Form  OP^L{ia),  fer(iae)  Opi,  Opi  ad  forum.^)  Der 
Stiftungstag  konnte  eine  Änderung  erfahren,  wenn  der  Tempel,  nachdem 
er  verfallen  oder  zerstört  worden  war,  von  Qrund  auf  (a  solo)  wiederher- 
gestellt wurde :  es  erfolgte  dabei  freilich  keine  neue  Consecration,  da  diese 
am  Boden  haftete  und  durch  die  Beseitigung  des  Gebäudes  nicht  aufgehoben 
war  (s.  oben  S.  400  A.  1),  aber  das  Gebäude  war  ein  neues ')  und  wurde 
neu  dediciert,  und  der  Tag  dieser  letzten  Dedication  wurde  von  nun  an 
als  Jahrestag  des  Tempels  begangen:  hatte  man  nicht  absichtlich  die  Neu- 
einweihung auf  den  alten  Stiftungstag  gelegt  —  was  gewiss  oft  geschehen 
ist  — ,  so  wurde  nunmehr  dieser  aus  dem  offiziellen  Verzeichnisse  der 
Staatsopfer  getilgt  und  der  neue  dafür  eingesetzt.^)  Bei  drei  Altären  der 
augusteischen  Zeit  (4.  Juli  Fax  Augusta,  10.  August  Ceres  Mater  und  Ops 
Augusta,  12.  Oktober  Fortuna  Redux)  wurde  ausser  dem  Dedicationstage 
(der  von  dem  Doppelaltare  der  Geres  und  Ops  zufällig  nicht  überliefert 
ist)  auch  derjenige  Tag  als  Jahresfest  (und  zwar  als  volle  feriae  s.  oben 
S.  378  f.)  begangen,  an  dem  der  Beschlus?  ihrer  Errichtung  gefasst  worden 
war  {quod  . .  ara  . .  constituta  est  lautet  die  Formel),  doch  waren  das  nicht 
sowohl  sacrale  als  politische  Gedenktage  zur  Erinnerung  an  die  Anlässe, 
welche  die  betrefiTenden  Beschlüsse  herbeigeführt  hatten.^) 

Der  Tempel  selbst  ist  gedacht  als  die  Wohnstätte  der  Gottheit:  auf 
dem  Vorplätze  vor  dem  Eingange  liegt  der  massive  Opferaltar,*)  das  Tempel- 
haus umschliesst  das  Götterbild  sowie  das  Besitztum  des  Gottes,  den 
heiligen  Hausrat  {sacra  suppellex),  zu  dem  namentlich  die  Opfertische 
(mensae)'')  und  tragbaren  Feuerherde  (foci)^)  gehören,  femer  die  Opfei^ 


die  Züge  der  Vorlage  m  erkennen  sind)  nicht 
zu  bezweifeln;  dieses  offizielle  Exemplar  gab 
jedenfalls  die  Tempelopfer  vollständig,  die 
Willkürlichkeit  der  Aaswahl  liegt  erst  bei 
den  Redaktoren  der  einzelnen  Steinkalender 
(über  die  Fasti  Maffeiani  s.  oben  S.  259  A.  8). 

^)  Nar  in  seltenen  Ausnahmefällen  be- 
ziehen sich  die  in  dieser  Form  gegebenen  No- 
tizen, für  welche  die  Fasti  Praenestini  auch  die 
ausfEihrlichere  Formulierung  bieten  lunfojni 
Lucinae  Efsjquüns  quod  eo  die  aedia  eitM 
Idedicajta  est  per  maironas  u.  ähnl.,  auf  an- 
dere als  die  Stiftungsfeiern ;  eine  sichere  Aus- 
nahme ist  das  Eollektivopfer  an  die  in  Feuers- 
nöten hilfreichen  Gottheiten  am  28.  August 
(S.  185),  ebenso  wahrscheinlich  das  Opfer 
lAmae  in  Ghraecostfasi)  am  24.  August  (S.  262), 
die  gemeinsame  Feier  für  Genius  publicus, 
Fausta  Felicitas  und  Venus Victrix  inÖapüolio 
am  9.  Oki  (S.  157)  und  das  nur  von  Ovid 
(fast.  III  881  f.)  erwfthnte  Opfer  an  Janus, 
Conoordia,  Salus  und  Pax  am  80.  März  (S.  278). 

*)  AüST,  De  aedibus  sacris  p.  34  ff., 


dessen  Aufstellungen  inzwischen  in  mehreren 
Punkten  durch  neu  gefandene  Zeugnisse  be- 
stätigt worden  sind.  Ueber  Veranlassungen 
zur  Durchbrechung  der  allgemeinen  Norm 
B.  WissowA,  Analecta  Rom.  topogr.  p.  13  f. 

*)  fecif  nicht  re/*ect,  sagt  Augustus  im 
Monum.  Anc.  4,  8  von  seinen  Wiederherstel- 
lungen älterer  Tempel. 

^)  Erwiesen  von  Ausr  a.  a.  0.  p.  44  ff. 
gegen  Jordan,  Ephem.  epigr.  I  p.  235  ff. 

^)  Ueber  die  falsche  Annahme,  dass 
auch  für  den  alten  Tempel  der  Fortuna 
Muliebris  an  der  Via  Latina  (oben  S.  207  f.) 
sowohl  der  Tag  der  Constitution  wie  der 
der  Dedication  überliefert  sei  vgl.  Wissowa 
a.  a.  0.  p.  15  f. 

')  Mahquasdt,  Staatsverwalt.  III  163. 
E.  Rbisoh  bei  Fault- Wissowa,  Real-Enoycl. 
I  1650  f. 

')  Fest.  p.  157 :  menscte  in  aedüms  sacris 
ararum  vicem  ohtinent.  Macr.  S.  in  11,  5  f. 
Serv.  Aen.  VllI  279. 

8)  Serv.  Aen.  HI  134:  Vairro  rerum  dwi- 


65.  Die  Oertliohkeiten  des  Kvltiui. 


407 


gefässe  (vasa)  und  sonstigen  Gerätschaften,  in  den  auf  sibyllinische  An- 
ordnung geweihten  (später  auch  in  anderen)  Tempeln  auch  das  pulvinar, 
d.  h.  das  für  die  öffentliche  Speisung  des  Götterbildes  hergerichtete  Polster.  >) 
Diese  ganze  Ausstattung  (instrumentum)  wird  zugleich  mit  dem  Tempel 
consecriert  und  ist  unveräusserliches  Göttergut;  dazu  kommt  dann  als 
omamentum  der  sich  allmählig  ansammelnde  Vorrat  von  Weihgeschenken,') 
dessen  rechtliche  Behandlung  durch  die  lex  dedicationis  geregelt  wird  (oben 
S.  404  A.  10).  Die  Aufwartung  beim  Gotte  liegt  dem  aedüuus^)  ob,  der  beim 
Tempel  wohnt  ^)  und  die  gesamte  Verwaltung  desselben  von  der  Reinigung 
des  Tempels  bis  zur  Aufsicht  über  das  Tempelgut  und  die  etwa  dort 
niedergelegten  Dokumente  und  Wertstücke^)  zu  führen  hat:®)  von  wem 
und  auf  welche  Zeitdauer  er  bestellt  wird,  ist  unbekannt,  er  untersteht 
aber  denjenigen  Magistraten,  denen  die  cura  aedium  sacrarum  anvertraut 
ist.^)  Da  der  Tempel,  abgesehen  von  dem  Opfer  am  Stiftungstage  und 
sonstigen  etwa  durch  die  lex  dedicationis  angeordneten  Feiern,  geschlossen 
ist,  ist  es  die  Hauptaufgabe  des  Aedituus,  den  Zutritt  zum  Tempel  zu 
regeln;  er  lässt  Privatleute,  die  etwa  ein  Gelübde  an  den  Gott  des  Tempels 


narum  .  .  refert,  inter  sacratM  araa  focos 
quoque  sacrari  solere,  %U  in  Capüolio  lovi 
lunoni  Minervae  nee  minus  in  pluribus 
urbtlms  oppidisque,  et  id  tarn  publice  quam 
privatim  solere  fieri  .  .  .  nee  licere  vel  pri- 
vata  vel  publica  sacra  sine  foeo  fieri  (vgl. 
dazu  oben  S.  351  A.  6  und  S.  352  A.  2).  üeber 
die  Verwendung  der  foci  s.  Hbnzsn,  Acta 
fratr.  Arval.  S.  93. 

*)  So  weiht  die  Yestalin  Licinia  der 
Bona  Dea  aram  et  aediciUam  et  pulvinar 
(Cic.  de  domo  136);  von  Caesar  heisst  es 
bei  Cic.  Phil.  II  110  (vgl.  Suet.  Caes.  76)  ut 
haberet  pulvinar  simulacrum  fastigium  fla- 
mvnem, 

')  Macr.  S.  m  11,  6:  namque  in  fanis 
alia  vaaarum  sunt  et  sacrae  suppeÜectilis, 
alia  omamentorum.  quae  vasorum  stmt,  in- 
strumenti  instar  hcibent,  quibus  semper  sacri- 
ficia  conficiuntur;  quarum  rerum  principem 
locum  obtinet  mensa,  in  qua  epulae  liba- 
tionesque  et  stipes  repornrntttr,  omamenta 
vero  sunt  clipei,  coronae  et  huiuscemodi 
donaria;  neque  enim  dedicantur  eo  tempore, 
quo  delubra  sacrantur,  at  vero  mensa  aru- 
laeque  eodem  die,  quo  aedes  ipsae,  dedicari 
solent.  unde  mensa  hoc  ritu  dedicata  in 
templo  arae  usum  et  rdigionem  obtinet 
puJvinaris,    Vgl.  Mommsbn,  Staatsr.  ü  58  f. 

')  Das  Material  vollständig  bei  Mah- 
QUABDT,  Comment.  Mommsen.  S.  378  ff.  und 
Staatsverw.  IH  214  ff.  D.  Vaolibri  bei  Ruo- 
GiBRO,  Dizion.  epigr.  I  271  ff.  P.  Habbl  bei 
Pauly-Wissowa,  Real-Encycl.  I  465  f.  Die 
von  Mabquabot  aufgestellte  Unterscheidung 
zweier  dem  Range  und  Personalstande  nach 
verschiedener  Arten  von  Aeditui  {aedüwi 
magistri  und  ministri  CIL  VI  2212  f.)  wird  von 
Vaglibbi  und  Habbl  mit  Recht  verworfen. 


üeber  die  von  Mabquabdt  fälschlich  mit 
den  aeditui  identifizierten  magistri  ad  fana 
templa  ddubra  der  Lex  Col.  Jul.  Genet 
c.  128  vgl.  L.  Ohkbssbit,  Philol.  XLIV  527  ff. 

*)  So  schon  in  der  Argeerurkunde  bei 
Varro  de  1. 1.  V  52:  apud  aedem  Dii  Fidü 
in  delübro,  ubi  aeditumus  habere  solet.  Mehr 
bei  Mabquabdt,  Staatsverw.  III  216,  6. 

»)  Digest.  XXXI  77,  26.  XLIU  5,  3,  3. 
XLVIII  13,  11,  2.  Serv.  Aen.  IX  645.  üeber 
die  strafrechtliche  Behandlung  des  Diebstahls 
an  solchen  res  privatorum  in  aedem  sacram 
depositae  (Dig.  XLVIII  13,  6)  vgl.  Mommsen, 
Strafr.  S.  762  f.  Nur  beim  Tempel  der  Vesta 
nahmen  die  Vestalinnen  selbst  wichtige  Do- 
kumente zur  Aufbewahrung  (wahrscheinlich 
nicht  im  Tempel,  sondern  im  Atrium  Vestae, 
s.  Jobdan,  Tempel  der  Vesta  S.  72  A.  1)  ent- 
gegen, Suet.  Caes.  83;  Aug.  101.  Tac.  ann.  1 8. 
Cass.  Dio  XLVIII  37,  1.  Appian.  b.  c.  V  73. 
Plut.  Anton.  58. 

')  Paul.  p.  13:  aedis  sacrae  tuitor,  id 
est  cur  am  agens,  Varro  de  1. 1.  VII  12:  qui 
curat  aedes  sacras  (vgl.  VIII  61).  Gell.  Xli 
10,  5:  qui  aedibus  praeest.  Der  Ausdruck 
custos  aedis  im  Sinne  von  aedituus  findet 
sich  für  die  Tempelhttter  militärischer  Cor- 
pora (CIL  III  1158.  5822.  IX  1609),  in  der 
stadtrbmischen  Inschrift  CIL  VI  435  beruht 
er  auf  unsicherer  Erg&nzimg;  der  curatoi- 
templi  CIL  VI  406  gehOrt  zu  einem  Doli- 
chenusheiligtume,  konmit  also  für  die  amt- 
liche Nomendatiur  nicht  in  Betracht 

')  Der  aedituus  aedis  TeUuris  L.  Fun- 
dilius  arcessihts  erat  ab  aedUe,  cuius  pro- 
cwatio  huius  templi  erat  (Varro  de  re  rust. 
I  2,  2;  über  die  Aedilen  als  Träger  der  sa- 
crarum aedium  procurtxHo  s.  Cic.  Verr.  V  36. 
Varro  de  1.  L  V  81.   Paul.  p.  13). 


408 


Religion  und  Kultiu  der  Römer,    m.  Kultus. 


einzulösen  haben,  gegen  Erlegung  der  vorgeschriebenen  Gebühren  (S.  343 
A.  9)  und  unter  Anwendung  der  Spezialvorschriften  des  Tempelstatutes 
zum  Opfer  zu^)  und  öffnet  auch  auf  Verfügung  der  zuständigen  Magi- 
strate ausserordentlicher  Weise  den  Tempel  zur  allgemeinen  Benützung,^) 
soweit  nicht  die  Eultvorschriften  (z.  B.  beim  Vestatempel,  S.  143)  dem  ent- 
gegenstehen; die  Funktion  als  Hausverwalter  erfüllt  er  auch  dadurch, 
dass  er  etwa  im  Bereiche  seines  Tempels  vorfallende  Prodigien  meldet.') 
Die  Heiligtümer  privater  Weihung,  mögen  sie  von  Einzelpersonen 
oder  von  Geschlechtsverbänden,  CoUegien,  Kultgenossenschaften,  militäri- 
schen Corpora  u.  s.  w.  errichtet  sein,  folgen  wie  in  der  Benennung  (sacellum, 
aedicula,  aedes)  und  baulichen  Anlage,  so  auch  im  ganzen  Ceremoniell  der 
Analogie  der  Staatstempel:  die  Dedication  wird  vom  Weihenden  oder  von 
den  befugten  Vertretern  der  weihenden  Corporation  vollzogen,  das  Heilig- 
tum steht  unter  einem  besonderen  Statut  (lex)^)  und  feiert  seinen  natalis,^) 
Da  aber  die  private  Dedication  eine  consecratio  nicht  im  Gefolge  hat,^) 
gehören  diese  Eultstätten  nicht  zu  den  loca  sacra,  sie  werden  sacralrecht- 
lich  in  die  Klasse  der  profana  gerechnet. '')  Sie  fallen  aber  in  eine  andere 
Kategorie,  die  ebenso  neben  den  loca  sacra  (fana)  und  profana  steht,  wie 
die  dies  rdigiosi  neben  der  Scheidung  in  dies  fasti  und  nefasti  (oben  S.  376), 
sie  sind  mit  einer  religio  behaftet,  die  sie  zwar  zunächst  nicht  rechtlich, 
aber  doch  thatsächlich  in  derselben  Weise  ausser  Verkehr  {extra  commercium) 
setzt,  wie  die  loca  sacra.^)  Dies  gilt  ausser  von  den  Privatheiligtümern ^)  und 
den  ausserhalb  des  solum  Italicum  gelegenen  (oben  S.  344  A.  7)  Tempeln  ^^) 


>)  Seneca  episf^.  41,  1:  non  sunt  ad 
cckelum  elevandae  maniM  nee  exonmdus 
aedituuSf  tut  nos  ad  aurem  simülacri  qwm 
magis  exaudiri  possimus  admittat. 

')  Liv.  XXX  17,  6:  iUique  praetor  ex- 
templo  edixit,  uti  aedüui  aedea  sacraa  tota 
urbe  aperirent;  vgl.  oben  S.  358  A.  8. 

')  Liv.  XLIII 13,  4  f.:  m  urhe  Bomana 
duo  aedüui  nuntiaruntf  alter  in  aede  For- 
tunae  anginem  iubatum  a  compluribiis  visum 
esse,  alter  in  aede  Fortunae  Primigeniae, 
quae  in  colle  est,  duo  diversa  prodigia, 

*)  2.  B.  CIL  XI 944:  Äninia  Sex,  l(iberta) 
Ge  lunonihtts  hanc  aram  locumque  iia  legi- 
bus dedicavit:  si  quis  sarcire  reficere  omar(e) 
coronar(e)  volet,  licet(o).  si  quit  sacrifici 
quo  volet  ferre  et  ibi  iM  volet  uti,  sine  sce- 
lere  sine  fraude  lic[et(o)J.  Vgl.  CIL  V  Suppl. 
Ital.  1273. 

°)  Lehrreich  dafOr  sind  die  inschriftlich 
erhaltenen  Statuten  des  collegium  salutare 
cuUorum  Dianae  et  Äntinoi  zu  Lanuvium 
(CIL  XIV  2112  II  11  f.  30  f.)  und  des  römi- 
schen collegium  Äesculapi  et  Hygiae  (CIL  VI 
10234,  11),  auch  die  Inschrift  eines  coüegium 
Silvani  CIL  X  444. 

*)  Dass  missbräuchlich  zuweilen  das 
Verbum  consecrare  anstatt  oder  neben  dedi- 
care  auch  von  privater  Weihung  gebraucht 
wird  (z.  B.  CIL  VI  360.  X  444,  21.  XI  1322. 
4174.  Catull.frg.  1,1  Schwabe  u.a.),  beweist 
natürlich  nichts  dagegen. 


^)  Marcian.  Dig.  I  8,  6,  3:  si  quis  ergo 
privatim  sibi  sacrum  constituerit,  sacrum 
non  est  sed  profanum.  Fest.  p.  321 :  si  qua 
Sacra  suscepta  sunt,  quae  ex  instüuto  pon- 
tificum  stato  die  aut  certo  loco  facienda  sint, 
ea  Sacra  appellari  tamquam  sacrificium,  tue 
locuSf  ubi  ea  sacra  privata  facienda  sunt, 
vix  videtur  sacer  esse  (d.  h.  der  Name  sacra 
bezieht  sich  hier  nur  auf  die  Opferhandlung, 
nicht  auf  die  Rechtsstellung  der  Oertlich- 
keit);  s.  oben  S.  323  A.  2. 

^)  Fest.  p.  278  (aus  Aelius  Gallus) :  idem 
religiosum  quoqtie  esse,  quoniam  sit  aliquid, 
qtMd  ibi  homini  facere  non  liceat;  quod  ei 
faciat,  adversiM  deorum  voluntatem  vtdeatur 
facere.  Masur.  Sabin,  bei  Qell.  IV  9,  8  (vgl. 
Macr.  S.  III 3, 8):  religiosum  est,  quod  propter 
sanctitatem  aliquam  remotum  ac  seposUum 
a  nobis  est. 

*)  Das  nach  Cic.  de  har.  resp.  32  von 
Piso  kassierte  maximum  et  sanctissimum 
Dianae  saceUum  in  Caeliculo  war  ein  Heilig- 
tum des  Qentilkultes,  also  privat,  ebenso 
jedenfalls  die  HeiligtOmer,  von  denen  es  ebd. 
heisst:  a  Sex.  Serrano  sanctissima  saeeUa 
suffossa  inaedificata  oppressa  summa  deni- 
que  turpitudine  foedata  esse  nescimusi  dass 
dabei  nicht  das  ius  sacrum,  sondern  die 
religio  verletzt  wurde,  zeigen  die  Worte 
§  38:  tu  meam  domum  religiosam  facere 
potuisti? 

^^)  Plin.  ep.  ad  Trai.  71  heisst  es  von 


66.  Die  Oertliohkeiten  des  Knltua. 


409 


auch  von  den  Blitzgräbern  oder  bidentalia,^)  femer  von  manchen  durch 
verhängnisvolle  Ereignisse  der  Vorzeit  gekennzeichneten  Örtlichkeiten  der 
Stadt,*)  vor  allem  aber  von  den  Gräbern,  die  so  sehr  den  Hauptbestand- 
teil der  loca  religiosa  ausmachen,  dass  die  Juristen  der  Kaiserzeit  gemein- 
hin unter  diesem  Ausdrucke  nur  sie  verstehen.  3)  Für  sie  allein  ist  auch 
an  die  Stelle  der  blossen  Warnung  vor  Versündigung  durch  Beschädigung 
oder  profane  Benützung  ein  wirklicher  privatrechtlicher  Schutz  getreten.*) 
Es  hat  sich  auf  diese  Weise  ein  recht  kompliziertes  Gräberrecht  ^)  heraus- 
gebildet, indem  einerseits  das  Privatrecht  die  res  religiosae  ebenso  von 
Besitz,  Veräusserung,  überhaupt  vom  ganzen  Rechtsverkehr  ausschliesst, 
wie  die  res  sacrae,^)  und  ausserdem  die  Verletzung  des  Grabes  (nicht 
nur  durch  böswillige  Beschädigung,  sondern  auch  durch  Einrichtung  zur 
Wohnstätte  oder  durch  Bestattung  eines  nicht  dafür  zugelassenen  Toten) 
unter  eine  praetorische  Deliktsklage  stellt,^)  andererseits  aber  die  Ponti- 
fices  ein  weitgehendes  Aufsichtsrecht  über  das  gesamte  Gräberwesen  aus- 
üben, so  dass  ihre  Genehmigung  zur  Anlage  von  Gräbern,^)  zu  baulichen 
Veränderungen  an  ihnen,  soweit  durch  sie  die  Lage  der  Leiche  berührt 
wird,^)  und  zu  der  Überführung  der  Leiche  in  eine  andere  Grabstätte  ^<') 


einer  (privaten)  (tedes  Claudii  in  Prosa: 
nam  8%  facta  est,  licet  collapsa  sit,  religio 
eins  occupavit  solum;  vgl.  Gai.  11  7*:  proprie 
socrutn  nan  est,  tarnen  pro  sacro  habetur, 

*)  Panl.  p.  92:  frdguritum  .  .  .  qui  locus 
statim  fieri  putabatur  religiostut ;  dalier  triste 
bidental  Her.  a.  p.  471.  Pers.  2,  27. 

')  z.  B.  die  Stelle,  wo  das  Bild  des  vom 
Feldherm  devovierten  aber  nicht  gefaUenen 
Bürgers  vergraben  war  (Liv.  Vni  10,  12; 
vgl.  oben  S.  322  A.  3);  über  den  loctM  qui 
vocatur  DcUola  ad  Cluacam  maxutnam  s. 
Varro  de  1. 1.  V 157 :  Numae  Pompüii  religiosa 
quaedam  post  mortem  eius  infossa.  Anderes 
(zum  Teil  unsicheres)  bei  Mbbkbl,  Proleg. 
ad  Ovid.  fast.  d.  CXLV  ff.,  vgl.  LObbebt, 
Comment.  pontinc.  p.  52  f. 

*)  Schon  bei  Aelius  Gallus  (Festp.  278) 
sind  die  Beispiele  für  sacrum,  eanctum, 
religiosum  —  aedificium  consecratum  deo, 
murus,  septUcrum  in  quo  mortuus  sepultus 
aut  humatus  sit.  Dann  definiert  Qaius  II  4 
religiosae  res,  quae  dis  manibus  relictae  sunt 
(s.  oben  S.  400  A.  2)  und  erklärt  das  II  6 
religiosum  (locum)  nostra  voluntate  facimus 
mortuufti  inferentes  in  locum  nostrum,  si 
modo  eius  mortui  funus  ad  nos  pertineat 
(ebenso  Instit.  II  1,9.  Marcian.  Dig.  1 8, 6, 4). 
Panl.  sent.  I  21,  7  vendito  fundo  religiosa 
loca  ad  emptorem  non  transeunt  nee  in  his 
ius  inferre  mortuum  habet, 

*)  A.  Pbbviob,  Sitz.-Ber.  Akad.  Berlin 
1885,  1152  ff. 

*)  G.  Fbbbini,  De  iure  sepnlcromm  apud 
Romanos  [aus  dem  Archivio  giuridico],  Bo- 
noniae  1883.  F.  Wämser,  De  iure  sepulcrali 
Romanomm  quid  titnli  doceant,  Diss.  v.  Gies- 
sen,  Darmstadt  1887  (dort  S.  2  auch  ältere 


Litteratur).  Mommsbv,  Zeitschr.  d.  Savigny- 
Stift.  XVI  Rom.  Abt.  (1895)  S.  203  ff. 

*)  z  B.  locum  religiosum  aut  sacrum 
fhon  possumus  possidere  Paul.  Digest.  XLI 2, 
80,  1;  sacram  vH  religiosam  rem  vel  usibus 
publicis  in  perpetuum  relictam  . . .  inutüiter 
stipulor  Paul  Dig.  XLV  1,  83, 5;  ebenso  Dig. 
XVIII  1,  6  pr.  XVm  1,  22.  XVill  1,  62,  1. 
Frontin.  Grom.  I  p.  56.  CIL  X  3334.  Vgl. 
W.  Rein,  Privatr.  u.  Civilprozess  der  Rümer 
S.  181  ff. 

^)  Praetor.  Edict  Dig.  XLVU  12,  3  pr. : 
cuius  dolo  malo  sepulcrum  violaium  esse 
dicetur,  in  eum  in  factum  iudicium  dabo 
u.  s.  w.    MoMMSEN,  Strafr.  S.  812  ff. 

*)  Erlaubnisurkunde  mit  dem  fieri  placet 
des  Promagister  pontificum  CIL  VI  2120; 
Anlage  von  Grabstätten  ex  permissu  ponti- 
ficum CIL  IX  1729,  «o;  auctoritate  et  iudicio 
pontificum  VI  10675;  ex  permissu  pontifi- 
corum  fecerunt  stbi  et  suis  ex  decreto  ponti- 
ficum CIL  VI  8875;  auf  Erlegung  einer  Ab- 
gabe für  die  Erlaubnis  weisen  Wendungen 
wie  ex  arca  pontificum  comparavit  VI  10812; 
empta  olla  ab  arka  publica  VI  14413. 

*)  Ulpian.  Dig.  XI  8,  5,  1 :  si  religiosus 
locus  iam  f actus  sit,  pontifices  exphrare 
debent,  quatenus  salva  religione  desiderio 
reficiendi  operis  medendum  sit  (vgl.  Marcian. 
ebd.  XLVII  12,  7:  corruptum  et  lapsum 
monumentum  corporibus  non  contactis  licet 
reficere).  CIL  VI  2963:  .  .  .  petiit  a  ponti- 
fices, ut  sibi  permitterent  reficere  n(ovum) 
monumentum  iuris  sui.  VI  22120:  permissu 
pontificum  cc.  tw.  restituü. 

'°)  Paul.  sent.  I  21,  l :  ob  incursum  flu- 
minis  vel  metum  ruinae  corpus  iam  per- 
petuae  sepulturae  traditum  sollemnibus  red- 


410 


Religion  und  Kultus  der  Römer,    m.  Knltiui. 


eingeholt  werden  muss.  Diesem  doppelten  Rechtsstande  entsprechend  gibt 
es  für  Verletzung  des  Grabes  und  seines  Rechtes  ausser  der  praetorischen 
Deliktsklage  auch  eine  andere  Sühnung,  indem  der  Stifter  dem  Schädiger 
oder  auch  dem  Käufer  und  Verkäufer  des  Grabes  eine  dem  Aerarium  oder 
der  arca  pontificum  zufallende  Geldbusse  (poena)  androht,  ^  über  deren 
Verwirkung  eintretenden  Falles  das  Pontificalcollegium  entscheidet.') 

Litteratar.  £.  Lübbbbt,  Gommentationes  pontifioales  (1859)  S.  1  ff.  70  ff.  H.  Job- 
dan, Ueber  die  Aasdrücke  aedea  templum  fanum  delttbrum,  Hermes  XIV  1879,  567  ff. 
Marquardt,  Staats verw.  III*  145  ff.  307  ff.  £.  Aust,  De  aedibus  sacris  populi  Romani 
inde  a  primis  liberae  reipublicae  temporibus  osque  ad  Augusti  imperatoris  aetatem  Romae 
conditis,  Diss.  Marpurgi  1889;  Die  stadtrOmischen  Tempelgründongen  der  Eaiserzeit,  Progr. 
Frankfurt  a.  M.  1898.  £.  db  Bügoibbo,  Dizionario  epigri^co  I  139 — 202  {aedes,  (udiculä). 
594—607  (ara),    S.  auch  Anhang  IL 

66.  Die  Priesterordnnng.  Die  römischen  Staatspriester,  sacerdotes 
publici  p.  B.  Quir.,^)  sind  nicht  Vertreter  der  Gottheit  in  dem  Sinne,  dass 
sie  in  deren  Namen  mit  der  Gemeinde  und  ihren  Beamten  zu  verhandeln 
und  an  ihrer  Statt  Rechtsgeschäfte  abzuschliessen  hätten,  auch  nicht  Ver- 
mittler zwischen  Gottheit  und  Mensch,  durch  deren  Hände  der  Verkehr 
des  Sterblichen  mit  der  Gottheit  gegangen  wäre,  sondern  wie  der  ganze 
Staatskult  ein  Zweig  der  Staatsverwaltung  ist,  so  sind  die  Priester  Organe 
dieser  Verwaltung,  bestimmt  zur  Ausführung  der  laufenden,  der  Gemeinde 
obliegenden  Leistungen  an  die  Gottheit  und  zur  Pflege  und  Bewahrung 
der  für  den  Verkehr  mit  der  Gottheit  massgebenden  Traditionen  und 
Satzungen.  Zur  Magistratur  steht  das  Priestertum,  seitdem  die  ursprüng- 
lich in  der  Person  des  Königs  gegebene  Vereinigung  von  Gemeindeamt 
und  Gemein  depriestertum  aufgegeben  ist,  nach  Rechtsstellung  und  Organi- 
sation in  ausgesprochenem  Gegensätze;^)  da  die  Abtrennung  des  Priester- 
tums  von  der  Magistratur  vor  allem  durch  das  Bestreben  veranlasst  war, 
die  ungestörte  Handhabung  des  regelmässigen  Gottesdienstes  besser  zu 
sichern,  als  dies  bei  den  durch  ihre  Amtspflichten  stark  in  Anspruch  ge- 
nommenen und  oft  von  Rom  ferngehaltenen  Oberbeamten  möglich  war  (s. 
oben  S.  339  A.  8),  so  muss  ursprünglich  die  Priesterwürde  mit  der  Magi- 
stratur unvereinbar  gewesen  sein,  ein  Rechtssatz,  der  freilich  in  seiner 
ganzen  Strenge  nur  für  den  Rex  sacrorum,  mit  starken  Einschränkungen 


düis  sacrificiis  per  noctem  in  älium  locum 
transferri  potest,    CIL  X  8259  enthält  die 

J^ontificale  Erlaubnis  zu  einer  solchen  trana- 
atio  cadaveris;  sie  geschieht  piactUo  priiM 
dato  operis  faciendi  ove  atra,  ebenso  CIL 
VI  1884  reliquiae  traiectae  eius  .  .  ex  per- 
missu  collegii  pontific(uin)  piaculo  facto; 
vgl.  auch  CIL  IX  4881  corpus  pontificum 
permfi88uj  monimento  in  hoc  tralfatum]. 
Die  Erlaubnis  wird  auch  vom  Kaiser  als 
Pontifez  maximus  erteilt  (CIL  III  1812.  VI 
8878),  in  den  Provinzen,  deren  Gräber  nicht 
loca  religiosa  sind,  sondern  nur  pro  religiosia 
hdbentur  (Gai.  II  7),  durch  den  Proconsul 
(Plin.  ad  Trai.  68  f.). 

0  Ueber  solche  Gräberbussen  s.  die 
reichen  Zusammenstellungen  bei  Wamsbr 
a.  a.  0.  8.  6  ff.  39  ff. ;  dass  ihre  Ansetzung 
auf  genereller  oder  spezieller  Genehmigung 


der  Pontifices  beruhte,  zeigt  CIL  VI  29909: 
ne  veneat,  ne  fiduciare  liceat,  nee  de  nomine 
exire  liceat  secundum  eententiaa  pontificum 
cc,  w,  8(upra)  8(cripta8), 

*)  CIL  VI  10284:  alioquin  8Ü  facultas 
cuicumque  ex  famüia  nostra  adeundi  per 
querellam  pontifices  cc,  w,,  quorum  de  ea 
re  notio  est,  et  poenam  hs.  L  m.  n.  arcae 
collegii  eorum  inferendorum  exsequendi. 
VI  10791  compellabitur  a  pontifices  poenae 
nomine  ss.  XXX  n,  Notiz,  d.  scavi  1885,  226 
quisq(ui8)  autem  secus  ara  igne  feeer(ü), 
sciat  se  ad  pontifices  disputaturu(m), 

')  sacerdotes  publici  z.  B.  Liv.  XXYI 
28,  7.  XUI  28,  10.  Cic.  de  leg.  II  20;  Aber 
die  engere  Beziehung  dieses  Ausdruckes  nur 
auf  die  Pontifices  s.  oben  S.  840  A.  4. 

*)  MoHXSBN,  Staatsr  K  17  ff. 


66.  Die  PriaBterordnung. 


ui 


noch  für  den  Flamen  Dialis  und  eine  Zeit  lang  auch  für  die  beiden  andern 
grossen  Flamines  in  Geltung  geblieben  ist  (unten  §  67),  0  während  er  sich  im 
übrigen  in  das  gerade  Gegenteil  verkehrte:  denn  die  Bedeutung,  die  das 
Priestertum  für  das  öffentliche  Leben  gewonnen  hat,  beruht  in  erster  Linie 
darauf^  dass  seine  Träger  zugleich  die  höchsten  Staatsämter  bekleideten 
und  damit  im  Senat  die  entscheidende  Rolle  spielten;')  aber  eine  Erinnerung 
an  die  frühere  Incompatibilität  von  Magistratur  und  Priestertum  hat  sich 
darin  erhalten,  dass  die  Priestertümer  niemals  (auch  nicht  als  die  politisch 
bedeutsamsten  von  ihnen  durch  Yolkswahl  vergeben  wurden)  in  die  offizielle 
Rangliste  der  Amterfolge  rechtlich  eingeordnet  worden  sind,  sondern  als 
incommensurabel  neben  den  Magistraturen  stehen.^)  Höher  als  die  Magi- 
straturen gewertet  wurden  die  Priesterstellen  erst  in  der  Kaiserzeit,  als 
die  alten  republikanischen  Ämter  unter  Beibehaltung  der  stolzen  Namen 
zur  thatsächlichen  Bedeutungslosigkeit  verkümmert  waren>) 

Der  Bestellung  besonderer  Staatspriester  ist  eine  Zeit  vorausgegangen, 
in  welcher  die  Gemeinde  die  Ausübung  der  ihr  zufallenden  sacralen  Ver- 
pflichtungen innerhalb  des  Dienstes  einer  bestimmten  Gottheit  einem  ein- 
zelnen Geschlechte  übertrug  (oben  S.  340),  das  dann  aus  seiner  Mitte  die 
für  die  Ausführung  der  verschiedenen  sacralen  Akte  geeigneten  Personen 
zu  stellen  hatte.  Eine  Priesterschaft  wurde  daraus  erst,  als  nicht  mehr 
das  ganze  Geschlecht,  sondern  eine  geschlossene  Zahl  von  Einzelpersonen, 
zunächst  noch  unter  Beibehaltung  der  Bindung  an  ein  bestimmtes  Geschlecht, 
Träger  von  sacralen  Funktionen  im  Namen  der  Gemeinde  wurde:  die 
Luperci  enthalten  in  ihrer  Bezeichnung  als  Quinctiales  und  Fabiani  noch 
eine  Erinnerung  an  diesen  Rechtszustand,  ebenso  liegt  im  Namen  der 
fratres  Arvales  und  wohl  auch  des  pater  patratus  bei  den  Fetialen  der 
Hinweis  auf  ehemalige  Blutsgenossenschaft  innerhalb  der  Priesterschaft. 
Mit  dem  Aufgeben  dieser  gentilicischen  Zusammengehörigkeit  entstanden 
dann  die  priesterlichen  sodalüates,  wie  die  sodales  Titii,  zuweilen  ur- 
sprünglich auf  einen  zwar  nicht  verwandtschaftlichen,  aber  lokalen  Zu- 
sammenhang ihrer  Mitglieder  basiert,  wie  die  Salier  vom  Palatin  und  vom 
Quirinal.    Es  ist  allen  priesterlichen  Genossenschaften,  mit  Ausnahme  der 


^)  Dem  Salier  gibt  die  Wahl  zu  einer 
Magistratur  das  Recht  zum  Austritt  (dass 
Val.  Max.  I  1,  9  gtiamvis  vacationem  huius 
officii  honoris  beneficio  haberet  so,  nicht  von 
einem  blossen  Dispens  von  der  Beteiligung 
am  Tanz  zu  verstehen  ist,  beweist  CIL  VI 
1978,  2.  1980,  9,  wonach  der  Consul  gewor- 
dene Salier  austritt  und  sein  Platz  neu  be- 
setzt wird),  zwingt  ihn  aber  nicht  dazu  (Val. 
Max.  a.  a.  0.  Macr.S.  III 14, 14);  dass  jedoch 
die  Pflichten  des  Saliers  mit  denen  des  Be- 
amten in  bedenklicher  Weise  in  Kollision 
geraten  konnten,  zeigt  das  Beispiel  des 
älteren  Africanus,  der  im  J.  564  =  190  als 
Legat  seines  Bruders  zu  SOtftgiger  Unthätig- 
keit  verurteilt  war,  weil  er  während  der 
Festzeit  seiner  Priesterschaft  den  Aufenthalt 
nicht  wechsebi  durfte  (Polyb.  XXI 13, 10—12. 
Liv.  XXXVII  33,  6). 


^)  Gic.  de  domo  1 :  cum  muUa  divinittu, 
pontifices,  a  maioribua  nostris  invewta  (Uque 
instituta  stmt,  tum  nihil  prcteclarius,  quam 
quod  eosdem  et  religionibus  deorum  immor- 
tcUium  et  summae  reipuhUctte  praeesse  vo^ 
luertmt,  ut  amplissimi  et  clarissimi  cives 
repüblica  bene  gerenda  religiones,  religioni' 
bu8  sapienter  interpretandis  rem  publicam 
conservarent, 

')  Daher  werden  in  den  Cursus  bonorum 
in  der  Regel  Magistraturen  und  Priester- 
tümer in  getrennten  Reihen  nebeneinander 
aufgeführt,  Mommbbn,  Staatsr.  I  544. 

*)  Tac.  bist  I  77:  Otho  pontificatua 
auguraiusque  honoratis  iam  senibus  cumu- 
lum  dignitatis  addidit  Suet.  Vitell.  5:  non 
solum  hononhus  verum  et  actcerdotiis  am- 
plissimis  auctus.  Seneca  de  ira  III  81,  2. 
Plin.  ad  Trai.  13.   Uist.  aug.  Aurelian.  49,  6. 


412 


Religion  und  Knltiu»  der  Bömer.    IIL  Knltiui. 


Fetiales,  die  als  Vollzieher  der  völkerrechtlichen  Sacralacte  eine  umfassende 
und  in  mancher  Hinsicht  mit  der  der  Pontifices  und  namentlich  der  Augum 
vergleichbare  Thätigkeit  üben,  das  gemeinsam,  dass  ihnen  nicht  die  Aus- 
übung je  eines  Gottesdienstes  im  ganzen  Umfange  seiner  Anforderungen, 
sondern  die  Vollziehung  bestimmter  einzelner  feierlicher  Kulthandlungen 
(des  Lupercalienumlaufes,  des  Flurumganges,  der  Kriegstänze)  zugewiesen 
ist,  und  in  dieser  Wirksamkeit  haben  sie  sicher  lange  schon  neben  dem 
Gemeindepriestertum  des  Königs  bestanden.  Ihnen  gegenüber  stellen  die 
übrigen  Priestertümer  eine  jüngere  Schicht  insofern  dar,  als  sie  zwar  auch 
noch  in  die  Königszeit  hinaufreichen,  aber  nicht  als  selbständige  sacerdotia 
populi  Romani,  sondern  entweder  als  vom  Könige  bestellte  und  unter  seiner 
Verantwortung  handelnde  Vollzieher  des  Dienstes  einzelner  Gottheiten,  wie 
die  Flamines  und  die  Vestalinnen,  oder  als  sachkundige  Berater  auf  ver- 
schiedenen Gebieten  sacralen  Lebens,  wie  die  Pontifices  und  die  Augum. 
Erst  mit  dem  Ende  des  Königtums  wurden  daraus  zwei  selbständige  nicht 
mehr  auf  gentilicischer  Grundlage  aufgebaute ^  coUegia  sacerdotum,^)  indem 
die  Augurn  als  Träger  einer  Spezialwissenschaft  für  sich  blieben,  die 
Pontifices  aber  die  Flamines,  Vestalinnen  und  den  an  Stelle  des  Königs 
getretenen  Rex  sacrorum  mit  sich  zu  einem  gemeinsamen  GoUegium  ver- 
einigten, das  die  gesamte  priesterliche  Thätigkeit  des  Königs  auf  sich 
nahm ;  daneben  bestanden  jene  alten  Sodalitäten  für  ihre  Spezialfunktionen 
weiter  fort  und  wurde  die  ursprünglich  wahrscheinlich  nur  von  Fall  zu 
Fall  bestellte  unständige  Kommission  {Ilviri  sacris  fctciundis)  für  Auf- 
schlagung und  Ausdeutung  der  sibyllinischen  Orakel  zu  einem  neuen 
Priestertume,  das  für  den  ganzen  graecus  ritus  die  Centralstelle  bildete. 
Weitere  Neugründungen  sind  —  abgesehen  von  der  bedeutungslosen  Ab- 
zweigung der  Illviri  epulones  vom  PontificalcoUegium  —  bis  zum  Aus- 
gange der  Republik  nicht  erfolgt,  die  durch  Erweiterung  des  Götterkreises 
und  Vermehrung  der  sacralen  Leistungen  neu  erwachsenden  Aufgaben 
wurden  entweder  vom  PontificalcoUegium  übernommen  oder  durch  mit 
dem  neuen  Gottesdienste  in  Rom  eingewanderte  und  nun  staatlich  aner- 
kannte Sonderpriester  erledigt  oder  endlich  ad  hoc  gebildeten  Kultgenossen- 


')  Sie  stehen  sogar  im  direkten  Gegen- 
satze zn  den  gentilicischen  Priestergenossen- 
schaften durch  die  Bestimmung,  dass  nicht 
zwei  Angehörige  derselben  (patricischen) 
Gens  dem  gleichen  CoUegium  angehören 
dürfen  (Cass,  Dio  XXXIX  17, 1,  dazu  Babdt, 
Priester  der  vier  grossen  CoUegien  S.  34  ff. ; 
für  die  Sodalitftten  gilt  der  Grundsatz  nicht, 
denn  bei  den  Saliern  finden  wir  Vater  und 
Sohn  gleichzeitig  in  der  Priesterschaft,  Val. 
Max.  I  1,  9);  andererseits  erinnert  an  die 
früher  in  den  Prieetertümem  herrschende 
Blutsverwandtschaft  die  —  wenigstens  als 
Forderung  —  zwischen  den  Mitgliedern  des 
einzelnen  Gollegiums  bestehende  Intimität 
(Cic.  epist.  Ill  10,  9:  -  amplissimi  sacerdotii 
coUegium,  in  quo  non  modo  amicitiam  via- 
lari  apud  maiores  nostros  fas  non  erat,  sed 
ne  cooptari  quidem  aacerdotem  licebat,  qui 


cuiquam  ex  collegio  esset  inimicus)  und  das 
Pietätsverhältnis,  das  den  einzelnen  Priester 
speziell  mit  demjenigen  Kollegen  verknüpft, 
der  ihn  ins  Amt  eingeführt  hat  {et  cooptatum 
me  ah  eo  m  collegium  .  ,  ,  et  inauguratum 
ah  eodetn,  ex  quo  augt^rum  instituits  in 
parentis  eum  loco  colere  dehebam  Cic.  Brut.  1). 
')  Die  Bezeichnung  als  coUegium  be- 
schränkt sich  zunächst  im  strengen  Sinne 
auf  Pontifices  und  Augures  im  Gegensätze 
sowohl  zur  Magistratur  (Mommsen,  Staatsr. 
I  32)  wie  zu  den  priesterlichen  SodaUtftten 
(ungenau  collegium  fetialium  Liv.  XXXVI 
3,  7;  collegium  saliorum  Val.  Max.  I  1.  9); 
die  Decemviri  sacris  faciundis  und  Tresviri 
epulones  sind  erst  durch  ihre  äusserliche 
Gleichstellung  mit  dem  Pontificat  und  Augurat 
mit  unter  den  Begriff  der  collegia  gezogen 
worden ;  vgl.  auch  Mommsbn,  Staatsr.  III 999, 3. 


66.  Die  FrieBterordnimg. 


413 


Schäften  (coüegia)  übertragen,  die,  ebenso  wie  früher  die  Geschlechter, 
staatliche  Eultakte  vollzogen,  ohne  ihrerseits  sacerdotalen  Charakter  zu 
tragen.  Erst  die  Einsetzung  der  Sodales  Augustales  im  Jahre  14  n.  Chr. 
bringt  wieder  ein  neues  Staatspriestertum,  organisiert  nach  dem  Typus 
der  alten  Sodales  Titii,  und  dieses  ist  (da  die  übrigen  Sodalitäten  des 
Kaiserkultes  nur  als  seine  Fortsetzungen  anzusehen  sind)  die  einzige  Neu- 
gründung  der  Kaiserzeit  geblieben  bis  auf  die  Schaffung  der  Pontifices 
Solis  für  den  Sonnenkult  Aurelians.^ 

Sämtliche  altrömischen  Priesterschaften  (mit  Ausnahme  der  wahr- 
scheinlich von  Haus  aus  unständigen  Ilvin  sacris  faciundis  und  der  jungen 
Illviri  epulones)  führen  Individualnamen,  die  zum  guten  Teil  nicht  erst  in 
Rom  geprägt,  sondern  in  Latium  und  über  dessen  Grenzen  hinaus  seit 
alter  Zeit  heimisch  sind  (Fetiales,  Salii,  Pontifices) ;  ihre  Bestimmung  tritt 
selten  im  Namen  so  deutlich  hervor,  wie  es  bei  den  Salii  und  Arvales  der 
Fall  ist,  die  meisten  Namen  sind  etymologisch  dunkel  {Fetiales,  Titii,  auch 
Augures)  oder  trotz  durchsichtiger  Wortbildung  {Pontifices,  Luperci)  in  dem 
Grunde  ihrer  Bedeutung  nicht  recht  fassbar.  Das  Wort  flamen  ist  nicht 
die  Bezeichnung  einer  Priesterschaft,  sondern  einer  bestimmten  Funktion, 
der  des  Opfervollziehers,  und  begegnet  darum  ausser  bei  den  3  grossen  und 
den  12  kleinen  Flamines  des  PontificalcoUegiums  auch  bei  andern  Priester- 
tümern  (z.  B.  bei  den  Arvalen),  in  den  Gurion^)  und  namentlich  im  municipalen 
und  provinzialen  Gottesdienste;^)  der  allgemeine  Ausdruck  sacerdos  unter 
Beifügung  des  Namens  der  Gottheit  ist  von  der  offiziellen  Nomenclatur 
der  Staatspriestertümer  ausgeschlossen  geblieben,  er  findet  sich,  um  die 
sacerdotes  Albani,  Lanuvini,  Caeninenses  u.  s.  w.  als  von  Haus  aus  zur  Kate- 
gorie der  Municipalkulte  gehörig  hier  bei  Seite  zu  lassen,  nur  bei  den 
Priesterinnen  der  staatlich  anerkannten  griechischen  Kulte,  so  den  sacerdotes 
publicae  Cereris  p.  jB.  Quir.  (S.  244),  sacerdotes  Bonae  deae  (S.  179),  sacerdotes 
Matris  Deum  Magnae  XVvirales  (S.  265),  und  bei  untergeordneten  priester- 


*)  Die  Begründung  des  hier  Ausgeführ- 
ten 8.  oben  S.  339  f.  und  in  den  die  einzelnen 
Priestertümer  behandelnden  §§  67—70. 

')  Paul.  p.  64  curiales  flamines  curiarum 
sacerdotes  (vgl.  Dion.  Hai.  II  21,  3);  sie 
stehen  ebenso  neben  den  Curiones  wie  bei  den 
inontctni  montis  Oppi  nebeneinander  mag(i' 
strei)  et  flamin(e8)  erscheinen  (Bull.  com.  XV 
1887,  156  ff.);  das  zeigt  deutlich  die  Inschrift 
der  Curia  levis  von  Simitthus  (CIL  VIII 
14683),  in  der  es  einen  magister  (=  Curio, 
vgl.  CIL  Vlil  11008)  und  einen  flamen  (vgl. 
auch  CIL  V  in  2596)  gibt.  Daraus  geht  her- 
vor, dass  der  Curio  Vorsteher  der  Curie, 
nicht  aber  Priester  ist;  wenn  Varro  de  1. 1. 
V  83  und  Dion.  Hai.  11  64,  1  (vgl.  auch  Paul, 
p.  49)  die  Curiones  unter  die  Priester  rech- 
nen, so  tragen  sie  damit  den  Verhältnissen 
ihrer  Zeit  Rechnung,  wo  die  Curien  nach 
Wegfall  aller  politischen  Bedeutung  nur  noch 
sacralen  Zwecken  dienten  und  die  Curiones 
nur  noch  sacrale  Obliegenheiten  hatten;  in 
der  Kaiserzeit  ist  daher  das  Amt  des  sacer- 


dos curio  sacris  faciwndis  (CIL  VIII 1174) 
oder  curio  p(opuiiJ  EComani}  sacris  fad' 
undis  (Notiz,  d.  scavi  1894,  283)  thatsächlich 
eines  der  ritterlichen  Priesterämter  geworden 
(CIL  II 1262.  VI  2169.  2174.  VIII 1174. 3845. 
IX  2213.  X  3761.  6439  [=  VI  1578].  XI 1331. 
XII  4354.  Notiz,  d.  scavi  a.  a.  0.). 

')  Beispiele  (die  sich  aus  den  Indices  des 
CIL  vervollständigen  lassen)  bei  H.  Hbbbst, 
De  sacerdotiis  Romanorum  municipalibus 
quaestio  epigraphica  (Diss.  Halis  Saz.  1883) 
S.  5  ff.  0.  HiRSCHFBLD,  Sitz.-Ber.  Akad.  Ber- 
lin 1888,  849  ff.  Wie  hier  flamen  mit  sacer- 
dos gleichbedeutend  geworden  ist,  so  hat 
sich  auch  pontifex  stellenweise  zu  der  glei- 
chen Bedeutung  verallgemeinert,  so  nament- 
lich in  Spanien  (0.  Hirsohfbld,  GOtting.  gel. 
Anz.  1870  S.  1109  f.  Hbbbst  a.  a.  0.  S.  9. 
CIL  II  Suppl.  p.  1133);  vgl.  insbesondere  den 
pontifex  Pälahuilis  =  flamen  Palatualis 
(CIL  VIII 10500.  XI  5031),  ponHfex  Flavialis 
(CIL  VI  1690  f.),  pontifex  Herculis  (Bull, 
com.  XX  1892,  57). 


414 


Religion  und  Knltas  der  Bömer.    IIL  Kiiltas. 


liehen  Organen  wie  dem  sacerdos  virginum  Vestalium  (CIL  VI  2150),  den 
sacerdotes  sacrae  urbis^)  und  den  sacerdotes  bidentales  (S.  121).  Noch  fremder 
ist  der  offiziellen  Nomenclatur  die  ausserhalb  Roms  und  namentlich  bei 
den  Sacra  peregrina  häufig  auftretende  Bezeichnung  antistes,  die  mit  Be- 
ziehung auf  die  römischen  Staatspriestertümer  nur  in  gewählter  und  un- 
technischer Ausdrucksweise  vorkommt.') 

Eine  Rangordnung  der  Priestertümer  unter  einander  —  denn  der 
alte  ordo  sacerdotum  (Fest.  p.  185,  s.  oben  S.  20)  gilt  nur  f&r  die  im 
Pontificalcollegium  vereinigten  Vertreter  des  Dienstes  einzelner  Gottheiten 
—  hat  sich  erst  allmählig  und  nur  für  einen  Teil  derselben  herausgebildet. 
An  die  Pontifices  und  Augures,  die  als  die  für  den  Staat  bedeutsamsten 
CoUegia  auch  allein  auf  die  römischen  Kolonien  übertragen  worden  sind, 
rücken  zunächst  die  Decemviri  sacris  faciundis  heran,')  und  durch  die 
Einführung  der  Volks  wähl  für  diese  drei  Priesterschaften  samt  den  mit 
den  Pontifices  durch  ihre  Entstehung  eng  verbundenen  Epulones  bildet 
sich  der  Begriff  der  sacerdotum  quattuor  amplissima  coUegia*)  heraus,  welche 
in  der  Kaiserzeit  in  der  Weise  eine  Einheit  darstellen,  dass  bis  zum  Anfange 
des  3.  Jahrhunderts  kein  Privatmann  zwei  dieser  Priesterwürden  in  seiner 
Person  vereinigen  konnte  (unten  S.  423)  und  das  Streben  der  Aspiranten 
dahin  ging,  den  nächsten  frei  werdenden  Platz  in  einem  dieser  Collegien, 
gleichviel  welchem,  zu  erhalten;^)  während  man  in  der  republikanischen 
Zeit  Wert  darauf  legte,  in  demselben  Gollegium  einen  Platz  einzunehmen, 
dem  der  Vater  angehört  hatte,®)  ist  in  der  Kaiserzeit  innerhalb  der  Ämter- 
und  Priestemobilität  oft  der  Sohn  in  ein  andres  der  vier  grossen  Collegien 
aufgenommen  worden  als  der  Vater.  ^)  Dieser  Kreis  hat  dann  insofern  eine 
Erweiterung  erfahren,  als  die  im  J.  14  n.  Chr.  gegründeten  Priester  des  Divus 
Augustus,  die  Sodales  Augustales  (samt  ihren  späteren  Fortsetzungen)  den 
vier  grossen  Collegien  zwar  nicht  völlig  gleichgestellt,  aber  doch  im  Range  sehr 
nahe  gerückt  wurden.^)    Von  den  sonstigen  Priesterschaften  beanspruchen 


')  CIL  VI  21S6  f.;  nach  Moxmsbn  z.  d. 
InBchr.  sind  sie  mit  den  sacerdotes  virginum 
Vestcdium  identisch. 

')  z.  B.  Cic.  de  domo  2.  104;  de  har. 
reap.  14.  Liv.  I  20,  3.  CIL  VI  2143.  Symm. 
epist.  1 68.  II 36.  IX  147  nnd  mehr  bei  Habel 
in  Paüly-Wissowas  Real-Encycl.  I  2536  f. 

')  Mit  dieser  Dreiheit  rechnen  sowohl 
Varro  (in  dessen  Antiqu.  rer.  div.  die  Bücher 
II—IV  de  pontificihua,  de  augurihus,  de 
quindecimviris  sacrorum  handelten,  August, 
c.  d.  VI  3)  wie  Cicero  an  vielen  Stellen  (de 
leg.  II  20.  80;  de  nat.  deor.  III  5;  de  harusp. 
resp.  18);  als  die  höchsten  Priestertamer  er- 
scheinen sie  noch  Bist.  aug.  Alex.  Sev.  22,  5: 
pantificibiM  tantum  dettUit  et  quindecimviris 
cUque  auguribus,  ut  quasdam  causas  sctcro- 
rum  a  se  finitcu  iterari  et  aliter  distingui 
pateretur, 

*)  Monum.  Anc.  2,  16;  sacerdotes  sum- 
morum  coUegiorum  Suet.  Aug.  100;  Aufzäh- 
lung Cass.  Dio  Lin  1 , 5.  Fast.  Praen.  z.  1 7.  Jan. 
CIL  VI  903.  921.  V  6416.  II 2062.  X  8088  n.  a. 


^)  Plin.  ad  Trai.  13:  rogo  dignüati,  ad 
quam  me  provexit  indulgentia  tua,  vel  au^ 
guratum  vel  eeptemviratum ,  quia  vcu:ant, 
adicere  digneris,  ut  iure  sacerdotU  precari 
deo8  pro  te  publice  possim,  quo8  nunc  precor 
pietate  privata.  Daher  reden  die  Quellen 
ganz  tlherwiegend  nur  von  sacerdotium  ohne 
genauere  Angabe,  z.  B.  Voll.  Fat  II  100,  4. 
Sen.  de  ira  III  31,  2.  Tac.  ann.  IV  40;  hist. 
III  86.  Suet.  ViteU.  5;  Vesp.  4.  Hist.  aug. 
M.  Aur.  16,  1;  Commod.  1,  10. 

*)  z.  B.  Suet.  Nero  2:  pontificibus  offen- 
sior,  quod  alium  qu<im  se  in  patris  sui  locum 
cooptassent,  Cic.  Phil.  XIII  12:  pcUemum 
auguratus  locum,  in  quem  ego  eum  . . .  mea 
nominatione  cooptabo,  Serv.  Aen.  XI  768 : 
cuius  etiam  maiores  sacerdotes  fuissent,  ^ut- 
hus  apud  veteres  in  sacra  quoque  suecede- 
batur.  Tac.  hist.  I  77 :  nobiles  cululescentulos 
avitis  ac  patemis  sacerdotiis  .  .  recoluit, 

^)  Beispiele  bei  Habel,  De  pontif.  condic. 
publ.  S.  88  A.  88. 

»)  Tac.  ann.  m  64.  Cass.  Dio  LVIII 12, 5 ; 


66.  Die  Prlesterordniuig. 


415 


diesen  höchsten  Würden  zunächst  zu  rangieren  die  FetialenO  und  die  Salier,*) 
ohne  dass  sie  eine  feste  Rangstellung  gegenüber  den  andern  vornehmen 
Sodalitäten  der  Arvalen  und  Titier  besessen  hätten ;  die  Luperci  aber  sind, 
trotz  ihres  hohen  Alters,  durch  eine  weite  Kluft  getrennt,  sie  scheinen  gegen 
Ende  der  Republik  an  Ansehen  sehr  verloren  zu  haben  3)  und  sind  darum  von 
Augustus  dem  zweiten  Stande,  den  Rittern,  zugewiesen  worden  (s.  u.  S.  422). 
Die  übrigen  genannten  Priestertümer  aber  sind  dadurch  ausgezeichnet  und 
gehoben  worden,  dass  der  Kaiser  selbst  und  die  kaiserlichen  Prinzen  in  sie 
eintraten;  als  sacerdotes  coUegiorum  omnium^)  sind  sie  nicht  nur  Mitglieder 
der  vier  grossen  GoUegien  sowie  der  Sodalitäten  des  Kaiserkultes,  sondern 
nachweislich  auch  der  Fetialen,  der  Sodales  Titii  und  der  Arvalbrüder,^) 
und  übernehmen  in  diesen  Priesterschaften  zeitweise  auch  die  Geschäfte 
des  Obmannes  und  andre  Ämter  ;^)  nur  im  Pontificalcollegium  hat  der  Kaiser 
seit  dem  J.  742  =  12  den  Vorsitz  und  damit  die  Leitung  des  gesamten 
Sacralwesens  dauernd  und  unlöslich  an  seine  Person  geknüpft. 

Die  für  jedes  Priestertum  von  vorn  herein  fest  normierte  Stelien- 
zahl  ist  auffallend  verschieden  bei  den  priesterlichen  Sodalitäten  einerseits 
und  den  coUegia  der  Pontifices  und  Augures  andererseits.  Bei  den  Sodali- 
täten handelt  es  sich  stets  um  grössere  Gruppen,  u.  zw.  herrschen  hier 
die  Zahlen  12  (bei  den  Arvalen  und  den  beiden  Saliern,  wahrscheinlich 
ebenso  bei  den  beiden  Luperci)  und  20  (Fetialen  und  vielleicht  Titier)  vor. 


über  das  Rangverhältnis  zu  den  vier  grossen 
CoUegien  s.  Dessau,  Ephem.  epigr.  III  p.  208  f. 

')  Im  J.  *22  n.  Chr.  wird  ein  (yergeb- 
licher)  Versuch  gemacht,  sie  mit  den  vier 
grossen  Collegien  und  den  Sodales  Augu- 
stales gleichzustellen,  Tac.  ann.  III  64 ;  auch 
sind  es  die  einzigen  Priester,  die  Cicero  (de 
leg.  II  21)  ausser  den  Pontifices,  Augures, 
Quindecimviri  s.  f.  noch  erwähnt. 

«)  Wenn  Polyb.  XXI  18,  11  sie  nennt 
TcSy  tQitSy  iy  avattjfAa,  di>*  tor  avfAßalyei  las 
inifpaysatäxns  9wfiaq  iy  tß  ^iafiu  avvte- 
Xeia&ai  rot;  &€oTs,  so  stellt  er  sie  wohl  mit 
den  Flamines  und  den  Vestalinnen  zusammen. 

")  Wir  finden  Leute  geringen  Standes 
und  sogar  Freigelassene  unter  ihnen  (CIL 
VI  1933.  X  6488.  XIV  2105.  Notiz,  d.  Scavi 
1898,  406),  und  nicht  nur  das  Auftreten  des 
Consuls  M.  Antonius  als  Lupercus  Julius  er- 
regt höchsten  Anstoss  (Cic.  Phil.  II 85  f.  III 12. 
Cass.  Dio  XLV  80),  sondern  auch  Ciceros 
Aeusserung  Aber  die  Luperci  pro  Caelio  26 
fera  quaedam  8od€Uü(u  et  plane  pastoricia 
atque  agrestis  germanorutn  lupercorum,  quo- 
rum  coüio  illa  süvestris  ante  est  instüuta 
quam  humanitas  atque  leges,  klingt  auch 
nach  Abzug  der  humoristischen  Uebertreibung 
stark  geringschätzig. 

*)  coüegiorum  omniutn  sacerdoa  heisst 
Titus  Eph.  epigr.  IV  779,  sacerdos  cooptatua 
in  omnia  coüegia  aupra  numerutn  ex  8.  c, 
Nero  (als  Prinz),  Eckhbl  D.  N.  VI  261. 

^)  Augustus  war  nach  Mon.  Anc  gr.  4, 
5  fF.  aQXi€^6vSi  avyovQ,  ruir  dexanByre  ay- 


ffQüiy  %(oy  iBQonouSy,  raiy  inrtt  aydQijy 
IsQonouSyy  d[d€]X(p6g  aQOvdXig,  haiQos  Titiog, 
(ptjTMkis,  und  dass  auch  alle  folgenden  Kaiser 
diesen  Priesterschaften,  zu  denen  seit  dem 
J.  14  n.  Chr.  noch  die  Sodales  Di  verum  treten, 
angehörten,  zeigen  die  Inschriften,  namentlich 
die  Mitgliederverzeichnisse  derSodalitäten  des 
Kaiserkultes  (s.  besonders  CIL  VI  2001.  2009) 
und  die  Protokolle  der  Arvalbrüder.  Die 
Salier  blieben  ausgeschlossen,  weil  ihr  Dienst 
mit  der  Bekleidung  eines  andern  Priester- 
tums  unvereinbar  war  (s.  unten  S.  428); 
wenn  Marc  Aurel  als  ach^ähriger  Knabe 
Salier  wurde  (Hist.  aug.  M.  Aurel.  4,  2),  so 
ist  er  jedenfalls,  als  er  10  Jahre  später  in 
die  couegia  sacerdotum  aufgenommen  wurde 
(ebd.  6,  3),  wieder  ausgetreten. 

*)  Das  zeigen  die  Arvalakten,  nach  denen 
die  Kaiser  und  kaiserlichen  Prinzen,  wenn 
die  Reihe  sie  traf,  sowohl  als  magistri  wie 
als  flawines  fungierten  (s.  -die  Listen  bei 
Gatti  in  RüooiBBOs  Dizion.  epigr.  I  687  f.); 
bei  den  Quindecimvim  ist  im  J.  737  =  17 
Augustus  einer  der  5  magistri,  die  Saecular- 
feier  des  J.  88  richtet  Domitian  als  (alleiniger) 
Magister  aus  (CILI'*  p.  29,  vgL  Mommsbn, 
Rom.  Forsch.  II  59  f.).  Die  Ansicht,  dass  der 
Kaiser,  wie  bei  den  Pontifices,  so  auch  bei 
den  Quindecimvim  ständiger  Vorsitzender 
gewesen  sei  (Hasel  a.  a.  0.  S.  91),  ist  durch 
die  Auffindung  der  Saecularakten  vom  J.  204 
widerlegt,  aus  denen  hervorgeht,  dass  so- 
wohl 203  wie  204  Private  die  Würde  des 
Magister  bekleideten. 


416 


Religion  nnd  Kultus  der  Bömer.    IIL  Knltue. 


Die  Pontifices  (im  engeren  Sinne)  dagegen  und  die  Augurn  gehen  von 
der  kleinsten  mit  dem  Begriffe  des  coUegium  vereinbaren  Zahl,  der  Drei- 
zahl, ^)  aus  und  kommen  durch  Vervielfältigung  derselben  stufenweise  auf 
6  und  9  Mitgliederstellen;  die  Priesterschaft  sacria  fdciundis  zeigt  wie  in 
der  Bildung  ihres  Namens  so  auch  in  der  anderen  Gestaltung  ihrer  Mit- 
gliederzahl; die  wie  beim  Volkstribunate  von  2  auf  10  steigt,  eine  charak- 
teristische Abweichung,  die  auf  ihren  jüngeren  Ursprung  und  verschiedene 
Entstehungsart  hinweist  (s.  §  69).^)  Seit  Sulla  besitzen  alle  drei  Priester- 
tümer  die  gleiche  Stellenzahl  von  15,  seit  Caesar  von  16  Mitgliedern, 
während  die  vom  Pontificate  abgezweigten  Epulones  von  ursprünglicher 
Dreizahl  durch  Sulla  auf  7,  durch  Caesar  auf  10  Stellen  gebracht  wurden.') 
In  der  Eaiserzeit  ist  dann  bei  allen  diesen  Priestertümern  und  auch  bei 
den  vornehmen  Sodalitäten^)  der  Stellenbestand  insofern  ein  schwankender 
gewesen,  als  dem  Kaiser  das  Recht  zustand,  auch  ohne  vorliegende  Vakanz 
Priesterernennungen  vorzunehmen,^)  also  die  Stellenzahl  mindestens  vor- 
übergehend zu  erhöhen,  und  insbesondere  die  kaiserlichen  Prinzen  seit 
dem  J.  51  n.  Chr.  durch  Senatsbeschluss  supra  numerum  in  die  höheren 
Priestertümer  aufgenommen  zu  werden  pflegten^):  da  die  so  geschaffenen 
Stellen  nach  Erledigung  nicht  stets  wieder  eingezogen,  sondern  zuweilen 
weiter  besetzt  oder  wenigstens  für  künftige  Gelegenheiten  offen  gehalten 
wurden,^)  so  hat  diese  Praxis  stellenweise  zu  dauernder  Erhöhung  der 
Mitgliederzahl  einzelner  Collegien  geführt.^)    Die  meisten  Priesterschaften 


0  Big.  L  16,  85:  Neratius  PrisoM  tres 
facere  existimat  coUegium, 

^)  Die  Vestalinnen  imd  die  Flamines 
haben  nie  ein  Gollegiom  gebildet,  man  darf 
daher  die  3  Flamines  maiores  nnd  die -6  Vesta- 
linnen ebensowenig  mit  den  3  bezw.  6  Pon- 
tifices (Angnres)  zusammenstellen,  wie  die 
12  Flamines  minores  mit  den  12  Arval- 
brüdern. 

')  Liv.  per.  LXXXIX  (Sulla)  pontificum 
augurumque  coUegium  ampliavit,  ui  eseeni 
quinäecim  (Vict.  de  vir.  ill.  75  numerum 
sacerdotum  auxit);  die  Vermutung,  dass  er 
es  auch  war,  der  die  Xviri  sacris  faciundis 
auf  ebenfalls  15  und  die  Illviri  epulones 
auf  7  Stellen  brachte,  ist  so  gut  wie  sicher. 
Cass.  Dio  XLII  51,  4  (zum  J.  707  =  47)  roig 
TB  ytxQ  noytlg>i$i  xal  roig  oitoviGxaU  .  •  toig 
XB  nsytexai^exa  xaXovuivo^q  iva  ixaütoig 
nqogipBiue  (Caesar).  XLIII  51, 9  bX^  tb  tovs 
TiBytBxaidBxa  iya  xal  ig  todg  inta  av  xa- 
XovgÄivovg  TQBTg  it^Qovg  ad  ngoganodBi^ag 
(710  =  44). 

*)  Bei  den  Ärvalbrüdem  sind  im  J.  57 
ohne  den  Kaiser,  dessen  Zugehörigkeit  sicher 
steht,  12  Mitglieder  anwesend  (CIL  VI  2039, 
1  ff.),  was  sich  daraus  erklärt,  dass  Nero 
noch  als  Prinz  im  J.  51  in  omnia  coUegia 
aupra  numerum  aufgenommen  worden  war 
(s.  unten  A.  6). 

^)  Zuerst  erwtimt  im  J.  718  =  36,  Gobs. 
Dio  XTJX  16,  1    toy   TB  MBOodXay  roy  Ova- 


Xi^oy  ,  .  ig  rovg  oiayuftag  vn^Q  x6y  a^»^- 
uoy  igiyQatpB;  dann  zum  J.  724  =  30  ebd. 
Lil  20,  3  iBQ^ag  tB  avtoy  (Auffustus)  xal  vnäg 
toy  agi^fjioy,  öaovg  dv  olbI  i&BXfjon,  algBUf' 
&ai  nQogxarsctijaayto  *  oitbq  nov  Ü  ixBiyov 
nagadodiy  ig  doQurtoy  intjviij&tjy  mcxB  fifjdiy 
hi  XQV'^''^  f*^  ^^Q^  ^^^  nXij&ovg  ttvrtoy  dxQ^- 
ßoXoyBUf&ai,  Uebrigens  ist,  soviel  wir  sehen 
können,  von  dieser  Befugnis  zur  Schaffung 
überzähliger  Stellen  zu  Qunsten  von  Pri- 
vaten durchaus  kein  weitgehender  Gebrauch 
gemacht  worden. 

^)  Im  Jahre  51  wurde  Nero  8acerd(o8) 
coopt(atu8)  in  omn(ia)  conl(egia)  supra 
num(erum)  ex  8(enatus)  con8(%üto)  (Eokhil, 
Doctr.  num.  VI  261),  als  [ajdkctus  ad  nu- 
merum ex  s(enatu8j  c(onnUto)  verzeichnet 
ihn  in  demselben  Jahre  das  Album  der  So- 
dales Augustales  Glaudiales  (GIL  VI  1984). 

^)  Bei  den  Sodales  Augustales  ist  die 
fQr  Nero  geschaffene  Stelle  (s.  Anm.  6)  nach 
seinem  Tode  dauernd  anderweitig  besetzt 
worden,  dagegen  die  im  J.  71  fOr  den  Kron- 
prinzen Titus  geschaffene  Stelle  ist  nach 
dessen  Tode  frei  geblieben  bis  zum  J.  197, 
wo  Garacalla  in  sie  eintritt;  vgl.  Habbl,  De 
pontific.  Roman,  condic.  publica  S.  72  f. 

<*)  So  zählt  das  GoUegium  der  Quin- 
decimvim  im  J.  737  =  17  mindestens  21, 
204  n.  Ghr.  mindestens  24  Mitglieder,  s. 
MoMKSKN,  Ephem.  epigr.  VIII  p.  242.  292. 


66.  Die  PrieBterordnnng. 


417 


haben,  wenigstens  in  der  Eaiserzeit,  Listen  ihrer  Mitglieder  inschriftlich 
aufgestellt,  teils  einfach  chronologisch  von  Jahr  zu  Jahr  die  Abgänge  und 
Ergänzungen  verzeichnend,  i)  teils  nach  den  einzelnen  Stellen  {decuriae) 
in  der  Weise  geordnet,  dass  die  auf  einander  folgenden  Inhaber  derselben 
Stelle  eine  Reihe  bilden.^) 

Seit  dem  Ende  des  Königtums  erfolgt  die  Ergänzung  aller  Priester- 
schaften durch  Cooptation;')  nur  eine  scheinbare  Ausnahme  bilden  der  Rex 
sacrorum,  die  Flamines  und  die  Vestalinnen,  die  als  den  Pontifices  ange- 
gliederte Zugehörige  dieses  CoUegiums  ebenso  vom  Pontifex  maximus  er- 
nannt werden,  wie  die  Flamines  und  Vestalinnen  früher  vom  Könige  ernannt 
worden  waren. ^)  Die  Cooptation  kommt  in  gleicher  Weise  bei  den  coUegia 
sacerdotum  wie  bei  den  priesterlichen  Sodalitäten  zur  Anwendung^)  und  ist 
das  Ergebnis  einer  Abstimmung  unter  den  Mitgliedern,  welche  in  der  Form 
der  nominatio  erfolgt:  jedes  Mitglied  macht  unter  der  eidlichen  Versicherung, 
nur  den  Würdigsten  nennen  zu  wollen,  einen  Kandidaten  namhaft,®)  wobei 
später,  wir  wissen  nicht  seit  wann,  die  Bestimmung  galt,  dass  nicht  mehr 
als  zwei  Mitglieder  denselben  Bewerber  nominieren  durften.'')  Dieses  ur- 
sprüngliche Rechtsverhältnis  hat  dann  in  doppelter  Weise  Verschiebungen 
erfahren :  einmal  drang  die  Praxis  der  Nomination  auch  in  die  Besetzung 
derjenigen  Stellen  ein,  für  die  das  Ernennungsrecht  des  Pontifex  max. 
galt,  so  dass  dieser  jetzt  für  die  Ernennung  des  Rex  und  der  grossen 
Flamines    an    eine    durch    Nomination    gebildete    Präsentationsliste    von 


^)  So  z.  B.  in  dem  Mitgliederverzeich- 
nisse  der  Salii  Palatini,  von  dem  wir  Frag- 
mente aus  den  Jahren  170—202  n.  Chr.  be- 
sitzen (CIL  VI  1977—1988,  vgl.  Borghbsi, 
Oeuvres  IVölOff.);  die  Arvalbi'üder  haben 
keine  eigenen  Mitgliederlisten  aufgestellt, 
aber  alle  Veränderungen  im  Mitglieder- 
bestande in  ihre  Protokolle  aufgenommen. 
Verzeichnisse  der  Cooptationen  von  Personen 
des  Kaiserhauses  in  zwei  Sodalitäten  der 
Divi  sind  CIL  VI  2001.  2009. 

')  So  namentlich  das  älteste  dieser  Ver- 
zeichnisse, das  der  Augum  (CIL  VI  1976.  Bull, 
arch.  com.  XII  1884,  6  nr.  708.  Notiz,  d.  scavi 
1899,  489,  letzteres  Fragment  hinaufreichend 
bis  46*5  =  289  v.  Chr.),  sowie  das  der  Sodales 
Augustales  Claudiales  (CIL  VI  1984,  vgl. 
Dessau,  Ephem.  epigr.  III  p.  74  f.),  auch  das 
der  im  Tempel  des  Juppiter  Propugnator 
zusammentretenden  Priesterschaft  (CIL  V[ 
2004). 

')  BoBOBBsi,  Oeuvres  HI  409  ff.  428  ff. 
L.  Mergkliv,  Die  Cooptation  der  Römer, 
Mitau  und  Leipzig  1848.  A.  Qbmoll,  De 
cooptatione  sacerdotum  Romanorum,  Berolini 
1870.    WissowA,  Real-Encycl.  IV  1208  ff. 

^)  Dass  auch  die  SaUer  vom  Pontifex 
max.  ernannt  worden  wären,  folgt  aus  der 
Bestellung  von  Saliern  durch  die  Kaiser 
(CIL  V  8117.  Eist.  aug.  M.  Aurel.  4, 2)  keines- 
wegs; vgl.  unten  S.  419  A.  2. 

^)  Bezeugt  ist  sie  fQr  die  Pontifices 
(Dion.  Hai.  H  73,  8.   Liv.  XXXIX  46,  1.    XL 

Quidbnob  der  HUmb.  AltertnmiwlaBenaoliaft.   V,  4. 


42,11.  Suet.  Nero2),  die  Augum  (Liv.  XL 
42, 13.  Cic.  Brut.  1. 101;  PhU.XIII  12;  epist. 
III  10,  9.  Plin.  epist.  IV  8,  3),  die  Decemviri 
s.  f.  (Liv.  XL  42,  12),  die  Epulones  (Liv.  XL 
42,  7)  und  die  Arvalbi'üder  (Hknzbn,  Acta 
fratr.  Arval.  S.  150  ff.). 

')  Da  die  Cooptation  aus  der  Nomination 
folgt,  werden  die  beiden  Begriffe  oft  ver- 
bunden, auch  insofern  vertauscht ,  als 
cooptare  nicht  nur  vom  Collegium  oder 
dem  in  dessen  Namen  handelnden  Obmanne, 
sondern  auch  vom  nominierenden  Priester 
gebraucht  wird ;  z.  B.  Cic.  Brut.  1  cooptatum 
me  ab  eo  in  collegium  recordabar,  in  quo 
iuratu^  iudicium  dignitatia  meae  fecercU; 
Phil.  XIII  12  mea  nominatione  cooptabo 
{nomvMUio  allein  epist.  ad  Brut.  I  7,  1). 
Plin.  epist.  IV  8,  8  qui  me  nominationis 
die  pen'  hos  continuos  cmnos  inter  sacer- 
dotes  nomindbat,  tamquam  in  locum  suum 
cooptaret.  Suet.  Claud.  22  in  cooptandis  per 
collegia  sacerdoHbus  neminem  nisi  iuratus 
nominavit, 

^)  Cic.  PhiL  II  4:  me  augurem  a  toto 
coUegio  expetitum  Cn.  Pompeiua  et  Q,  Hör- 
tensius  nominaverunt  —  nee  enim  licebat  a 
pluribus  nominari;  die  Bestimmung  stammt 
wahrscheinlich  aus  der  Lex  Domitia,  dass 
sie  jedoch  zur  Zeit  der  ciceronischen  Rede 
(711  =  43),  etwa  durch  die  Lex  Julia  de 
sacerdotOa,  aufgehoben  gewesen  sei,  ist 
aus  dem  Imperfect  licebat  keineswegs  zu 
folgern. 

27 


418 


Religion  und  Knltns  der  Römer.    IIL  Knltne. 


drei  Kandidaten  gebunden  war,  0  während  er  für  die  Bestellung  der  Vesta- 
linnen  seinerseits  anstatt  der  Ernennung  ein  Nominationsrecht  übte  und 
unter  den  von  ihm  genannten  20  Kandidatinnen  das  Los  entschied;^) 
andererseits  schob  sich  für  die  Ergänzung  der  vier  grossen  GoUegien  der 
Pontifices,  Augures,  Decemviri  s.  f.  und  Epulones^)  zwischen  Nomination 
und  Gooptation  ein  Wahlakt  des  Volkes  ein.  Denn  nachdem  ein  im  J.  609 
=  145  vom  Volkstribunen  C.  Licinius  Crassus  gemachter  Versuch,  für  die 
Priesterbestellung  Volkswahl  an  die  Stelle  der  Gooptation  zu  setzen,  ge- 
scheitert war,*)  dehnte  im  J.  651  =  103  ein  Plebiscit  des  Tribunen  Cn. 
Domitius  Ahenobarbus  das  bisher  für  die  Wahl  des  Pontifex  max.  geltende 
Verfahren  in  der  Weise  auf  die  Ergänzung  der  genannten  Priestertümer 
aus,  dass  eine  Versammlung  von  17  durchs  Los  aus  der  Gesamtzahl  aus- 
gewählten Tribus  aus  einer  durch  öffentliche  ^)  Nomination  der  betreffenden 
Priesterschaft  hergestellten  Kandidatenliste  die  Wahl  vornahm  und  der  so  Ge- 
wählte dann  im  Gollegium  durch  den  Obmann  formell  cooptiert  wurde ^}:  daniit 
wurde  die  Nomination  zur  Präsentation,  dieGooptation  zur  blossen  Renuntiation. 
Durch  die  suUanische  Gesetzgebung  vorübergehend  aufgehoben  (Ps.  Ascon. 
p.  102  Or.),  wurde  die  Lex  Domitia  im  J.  691  =  63  durch  ein  Plebiscit  des  T.  La- 
bienus  wiederhergestellt  0  und  hat  auch  für  die  Priesterbestellung  der  Kaiserzeit 
mit  der  Abänderung  die  rechtliche  Grundlage  gebildet,  dass  seit  dem  J.  14 
n.  Ghr.  die  Wahl  vom  Volke  auf  den  Senat  überging®)  und  vor  den  Gomitien 
nur  noch  die  Verkündigung  des  Wahlergebnisses  erfolgte.^)  Seit  der  Lex 
Domitia  wurde  auch  die  Ergänzung  der  Priesterschaften  nicht  mehr  sofort 
nach  eingetretener  Vakanz  vorgenommen,  sondern  die  comüia  sacerdotum 
fügten  sich  an  fester  Stelle  in  die  Reihe  der  alljährlichen  Wahlcomitien 
ein,^o)  später  nahm  auch  jedes  der  grossen  Gollegien  alljährlich  einmal  an 


»)  Liv.  XL  42,  11.  Tac.  ann.  IV  16; 
s.  S.  438  A.  8. 

*)  Gell.  I  12,  11  und  mehr  unten  S.  439 
A.  1. 

3)  Bezeugt  für  die  Pontifices  (Suet.  Nero 
2.  Cic.  epist.  ad  Brut.  I  5,  3) ,  Augum  (Gio. 
Phü.  II 4.  Xm  12),  Quindecimvirn  (Cic.  epist. 
VIIl  4,  1). 

*)  Cic.  Lael.  96  (cooptatio  enim  colle- 
giorum  ad  populi  beneficium  transferebatur). 

^)  Auct.  ad  Her.  I  20  lex  iubet  augurem 
in  demortui  locum  gut  petat  in  contione 
nominare, 

*)  Cic.  de  leg.  agr.  II  18  fMC  idem  de 
sacerdotüs  Cn.  Domitius  tribunus  plebis 
tulit,  quod  populus  per  religionem  sacerdotia 
mandare  non  poterat,  ut  minor  pars  populi 
(sortis  beneficio  ebd.  §  17)  vocaretur;  ab  ea 
parte  qui  esset  factus,  is  n  collegio  coopta- 
retwr,  Suet  Nero  2.  Vell.  Fat.  II  12,  3;  die 
vorausgehende  Nomination  zeigt  Cic.  epist. 
ad  Brut.  I  5,  3.  7,  1;  Phil.  II  4.  XÜI  12  u.  a. 

')  Cass.  Dio  XXXVII  37,  1.  Die  Aus- 
führungen von  J.  Lenole,  Untersuchungen 
über  die  suUanische  Verfassung  (Studien  aus 
dem  Colleginm  Sapientiae  zu  Freiburg  im 
Breisgau,  III  1899)  S.  3  ff.  sind  in  dem,  was 


sie  Neues  bieten,  grösstenteils  verfehlt. 
Namentlich  ist  es  ganz  verkehrt,  aus  der 
revolutionfiren  Bestellung  des  Caesar  zum 
Flamen  Dialis  durch  C.  Marius  (Vell.  Fat  II 
43,  1;  vgl.  Suet.  Caes.  1),  die  eben  wegen 
ihrer  Illegalität  von  Sulla  kassiert  wurde 
und  von  deren  Form  wir  nebenbei  gar  nichts 
wissen,  zu  folgern,  dass  durch  die  Lex  Do- 
mitia auch  die  Bestellung  der  grossen  Fla- 
mines der  Volkswahl  überwiesen  worden  sei. 
Vom  Inhalte  der  lex  ItUia  de  sacerdotus 
(Cic.  epist.  ad  Brut  I  5,  3)  ist  uns  nichts  be- 
kannt. 

")  Auch  die  Losung  der  Vestalinnen 
findet  nun  nicht  mehr  in  einer  contio  (Gell. 
I  12,  11),  sondern  im  Senate  statt  (Cass.  Dio 
LV  22,  5). 

«)  MoMMSRN,  SUatsr.  III  348  f.;  die 
comitia  sacerdotior(um)  imp,  Othonis  Aug. 
erwähnen  die  Arvalakten  CIL  VI  2051  i  70; 
comitia  pontific(um)  augurumq(ue)  in  den 
Colonien  Lex  col.  Gen.  c.  68. 

^®)  Nach  Cic.  epist.  ad  Brut.  I  5,  4  zwi- 
schen den  Consnlar-  und  Fraetorencomitien ; 
vgl.  auch  Cass-  Dio  XLI  86,  3.  Sen.  de  benef. 
VII  28,  2. 


66.  Die  PrieBterordniing. 


419 


einem  bestimmten  Tage  die  Nomination  yor,0  so  dass  beim  Eintreten  einer 
Lücke  stets  eine  Kandidatenliste  bereit  lag.  Die  priesterlichen  Sodalitäten  ^) 
haben  dagegen  ihr  Gooptationsrecht  auch  späterhin  in  der  alten  Weise 
ausgeübt.')  Nur  hat  in  der  Kaiserzeit  bei  der  Besetzung  aller  Arten  von 
Priesterstellen  die  Praerogative  des  Princeps  eine  grosse  Rolle  gespielt: 
Rex  sacrorum,  Flamines  und  Vestalinnen  werden  vom  Kaiser  in  seiner 
Eigenschaft  als  Pontifex  max.  ernannt,  und  dasselbe  gilt,  wie  es  scheint, 
auch  für  sämtliche  ritterliche  Priesterämter;  ^)  bei  den  Wahlen  zu  den 
grossen  CoUegien  im  Senate  übt  der  Kaiser  ein  im  Ergebnis  dem  Er- 
nennungsrechte gleichkommendes  Commendationsrecht^)  in  solchem  Umfange 
aus,  dass  der  Senat  sein  Wahlrecht  im  wesentlichen  nur  bei  Aufnahme 
des  Kaisers  und  der  kaiserlichen  Prinzen  in  die  PriestercoUegien  zu  be- 
thätigen  in  der  Lage  ist;^)  in  den  vornehmen  Sodalitäten  endlich,  denen 
der  Kaiser  selbst  angehört,  besitzt  er  wie  jedes  andre  Mitglied  die  Be- 
fugnis der  Nomination,  nur  dass  seinem  Vorschlage  natürlich  ein  besondrer 
Nachdruck  innewohnt  und  darauf  wohl  stets  eine  nur  der  Form  wegen 
erforderliche  Zustimmung  durch  Akklamation  erfolgt.'') 


')  Plin.  epist  11  1,  8:  üh  die,  quo 
sacerdotes  solent  nominare,  quos  dignissimos 
sacerdotio  iudicant,  tne  aemper  nofninabat. 
IV  8,  3 :  me  nomincUionis  die  per  hos  con- 
tinuos  annos  inter  sctcerdotes  nominfibat. 

')  UnBioher  bleibt  die  Einreihang  der 
Sodales  Aogustales  samt  den  übrigen  Soda- 
litAten  des  Eaiserkultes;  für  Wahl  scheint 
die  Verbindung  dieses  Priestertums  mit  den 
vier  coüegia  der  Lex  Domitia  in  der  Rang- 
Stellung  zu  sprechen,  fOr  Gooptation  dagegen 
nicht  nur  der  Charakter  als  sodcUitaSf  son- 
dern mehr  noch  der  Umstand,  dass  bei  den 
Sodales  Antoniniani  (CIL  VI  2001,  3;  vgl. 
auch  2004,  14)  Cooptationen  ex  litteris  im- 
peratoris  statt&iden  wie  bei  den  Arval- 
brüdem  (s.  unten  A.  7),  was  doch  wohl 
auf  kaiserliche  Nomination  innerhalb  der 
Priesterschaft  (nicht  Commendation  im  Se- 
nate) hinweist;  die  Wendung  sacerdotio  Fla-' 
viali  TUiali  iudicio  imperatoris  exomatus 
CIL  VIII  7062  braucht  nicht  mehr  als  kaiser- 
liche Nomination  zu  bedeuten.  Dagegen  sind 
die  Salier  vielleicht  direkt  vom  Kaiser  er- 
nannt worden  (ein  ab  imperatore  adscttus 
in  numerum  saliorum  CIL  V  3117),  da  er 
dieser  Priesterschaft  nicht  selbst  angehörte. 

')  Wie  die  Arvalakten  zeigen,  erfolgt 
hier  die  Neubesetzung  der  Stelle  in  der 
Regel  (doch  s.  Olderbebo,  De  sacris  fratrum 
Arvalium  S.  7)  sofort  nach  eingetretener 
Vakanz,  und  die  abwesenden  Mitglieder,  ins- 
besondere der  Kaiser  und  die  kaiserlichen 
Prinzen,  können  ihr  Nominationsrecht  auch 
schriftlich  (per  tabelUM)  ausüben,  z.  B.  CIL 
VI  2023  a  15.  24. 

*)  Belegt  für  die  Pontifices  minores 
(CIL  VI  1598.  X  3901.  XIV  2922,  auch  CIL 
VI  2126  vgl.  mit  Athen.  I  2  C  und  dazu 
Dbbsau,  Hermes  XXV  156),  die  Caeninenses 


(CIL  VI  1598;  vgl  XI  3103)  und  die  Lau- 
rentes  Lavinates  (CIL  VIII 10501  [aUeJctus 
in  numerum  [LaurenJtiumLavinatium,  n&m- 
lich  vom  Kaiser);  s.  Mohxsbk,  Staatsr.  III 
569. 

')  Auf  Commendation  weisen  deutlich 
hin  Beispiele  wie  Tac.  ann.  III  19  (Tiberius) 
auctor  senatui  fuit  ViteüiocUque  Veranio 
et  Servaeo  sacerdotia  tribt^endi  und  in  der 
Rede  des  Claudius  II  12  f.  cuius  liberi  fru- 
antur  quaeao  primo  sacerdotiorum  gradu, 
Dass  daraus  allerdings  thatsftchlich  eine  Er- 
nennung der  Priester  durch  den  Kaiser 
geradezu  tlber  den  Senat  hinweg  und  ohne 
Benachrichtigung  des  letzteren  geworden  war, 
zeigt  die  Milderung  dieses  Uebelstandes  durch 
Alexander  Severus,  Eist.  aug.  Alex.  49,  2 
pantificatus  et  quindedmviratus  et  augu^ 
ratus  codiciUares  fecit  ita,  tU  in  aenatu 
aüegarentur. 

*)  Gbmoll  a.  a.  0.  Habbl,  De  pontific. 
condic.  S.  82  ff,  (der  aber  mit  Unrecht 
den  Uebergang  der  Priesterwahlen  von 
den  Comitien  der  17  Tribus  auf  den  Senat 
in  Abrede  stellt) ;  die  von  Hbivzen,  Acta  fratr. 
Arval.  S.  154  dagegen  angeftihrten  Gründe 
treffen  den  Kern  der  Sache  nicht;  denn  an 
den  von  ihm  angeführten  Stellen  handelt  es 
sich  durchweg  um  Sodalitäten,  in  denen 
Cooptation  innerhalb  des  CoUegiums  statt- 
findet, nicht  um  die  vier  grossen  Priester- 
tümer,  die  der  Senatswahl  unterliegen.  Bei- 
spiele für  kaiserliche  Priesterbestellung  zu 
den  grossen  Collegien:  Pontificat  Tac.  ann. 
I  3;  bist.  I  77;  Agr.  9,  Augurat  Tac.  bist.  I 
77.  Plin.  epist.  IV  8,  1 ;  ad  Trai.  13,  Quin- 
decimvirat  Suet.  Galba  8,  Septemvirat  Plin. 
ad  Trai.  13  u.  a.  m. 

')  [Ex  litjterie  imp(eratori8)  . .  [et  om- 
nium  consenjsu  [(actus)  CIL  VI  2001,  3;  ex 

27* 


420 


Religion  und  Knltnn  der  Römer,    m.  Knltoe. 


Sowohl  wenn  die  Wahl  im  Senate  als  wenn  sie  in  der  Priesterschaft 
selbst  stattgefunden  hat,  wird  sie  perfekt  durch  den  formellen  Akt  der 
cooptatio,  den  der  Obmann  vollzieht.  0  Es  folgt  darauf  der  Amtsantritt 
des  Neugewählten,  der  in  den  meisten  Fällen  als  Einführung  des  neuen 
Mitgliedes  in  seinen  Wirkungskreis  durch  den  Obmann,*)  beim  Rex  sacrorum 
und  den  grossen  Flamines  (denen  in  der  Eaiserzeit  auch  die  Flamines 
Divorum  zugezählt  werden)  aber,  sowie  bei  den  Augum  in  der  feierlichen 
Form  der  inauguratio  vor  sich  geht:')  diese  Ceremonie  bedeutet  die  Zu- 
stimmungserklärung der  Gottheit  zu  der  vollzogenen  Wahl  oder  Ernennung.*) 
Die  Inauguration  der  Augum  ist  wahrscheinlich  pro  coUegio  erfolgt,  die 
des  Rex  und  der  grossen  Flamines  geschieht  in  Gegenwart  vom  Pontifex 
max.  einberufener  und  geleiteter  Comitia  calata  (Gell.  XV  27, 1),  der  Voll- 
zieher  des  Aktes   aber   ist  stets   und   allein  der  Augur, ^)  der  im  letzt- 


lüteris  impercUoris  .  .  fratrem  Arvalem  co- 
optartmt  heiast  es  bei  den  AryalbrQdem 
(Hbhzen,  Acta  S.  152),  und  der  Hergang  wird 
genau  beschrieben  in  dem  Protokolle  vom 
7.  Febr.  120  (CIL  V[  2080,  24  ff ,  vgl.  2078 

I  30  ff.  n  39  ff.) :  ibique  taimlae  apertae  signo 
signatae  quod  exprimit  [cajput  Aug(usti}, 
in  quibtis  scriptum  fuit:  imp(er<Uor)  Cafe]- 
sar  Traianus  HadrianiLS  Augfustus)  fratri- 
bu8  ArvcUibus  collegü  sfuijs  scUutem.  in 
locum  Q.  Büi  Proc!üi  coUegam  nohis  mea 
sententia  coopto  P.  Manlium  Carbonem, 
Ffir  diese  Sodalitäten  (s.  auch  oben  S.  419 
A.  2)  hat  Hbnzen  a.  a.  0.  S.  154  sicher  Recht, 
wenn  er  gegen  Gemoll  (a.  a.  0.  S.  17  ff.)  die 
kaiserliche  Nomination  nur  fQr  diejenigen 
Priester  annimmt,  bei  denen  die  litterae 
imperatoris  ausdrücklich  erwähnt  werden. 

0  Bei  den  Arvalbrfldem  lautet  die  For- 
mel in  den  älteren  Protokollen  mag  ister 
cooptavitj  in  den  jüngeren  fratres  Arvcdes 
per  magistrum  cooptarunt;  die  Cooptation 
geschieht  habita  sollemni  precatione  (der 
Wortlaut  CIL  VI  2104b  21  ff.),  Hbnzen  a.  a.  0. 
S.  152. 

')  cooptavit  et  ad  sacra  vocavit  (später 
cooptarunt  et  ad  sacra  vocaverunt)  heisst 
es  bei  den  Arvalen,  worauf  dann  in  der 
Präsenzliste  am  Ende  des  Sitzungsprotokolles 
der  Neugewählte  bereits  als  mit  anwesend 
aufgeführt  wird. 

*)  Die  Inauguration  ist  bezeugt  für  den 
Flamen  Dialis  (6ai.  I  130.  III  114.  Ulp.  frg. 
10,5.  Liv.  XXVII8,  4.  XL128,  7),  Flamen 
Martialis  (Liv.  XXTX  38,  6.  XLV  15,  10. 
Macr.  S.  III  13,  11),  Flamen  Quirinalis  (Liv. 
XXXVII  47,  8),  Flamen  Divi  lulii  (Cic.  Phil. 

II  110),  Rex  sacrorum  (Liv.XXVH  36,  5.  XL 
42,  8)  und  die  Augurn  (Liv.  XXVII  36,  5. 
XXX  26,  10.  XXXIII  44,  3.  Cic.  Brut.  1. 
Suet.  Cal.  12),  nicht  für  die  Pontifices  (bei 
Liv.  XXX  26, 10  geht  inauguratus  nur  auf  den 
Augur;  das  Zeugnis  des  Dion.  Hai.  II  73,  3 
nagoXa/ißäpei  d^  trjy  Ugarelay  6  doxifiaa^elsj 
idy  Bvogyi^eg  ttvxt^  xvx<*iOi'y  oltayoi  yBvofÄSPOij 


beweist,  auch  wenn  damit  die  InangoratioD 
gemeint  sein  sollte,  nicht  viel,  da  dieser  Autor 
II  22,  3  sicher  unrichtig  ganz  allgemein 
Ibqbi^  xal  Xsitovqyol  xmy  ^etov  dnodBiKwaO-ui 
(iiy  vno  ttiSy  g>QarQ(oyj  inMVQOöü&M  d^  vno 
ttßy  i^fiyovfAiytay  ta  d^eia  did  fiayr^xi^^, 
d.  h.  vor  Comitia  calata  inauguriert  werden 
lässt)  und  die  Vestalinnen  (ihre  von  Cato 
bei  Fest.  p.  241  und  Gell.  VII  7,  4  bezeugte 
exauguratio  beweist  nichts,  da  diese  nioht 
eine  inauguratio  voraussetzt,  sondern  all- 
gemein eine  Lösung  durch  augurale  Spmoh- 
formel  ist;  dass  die  Vestalinnen  nicht  in- 
auguriert wurden,  geht  aus  Gai.  I  130.  Ulp. 
frg.  10,  5  hervor,  wo  der  inauguratio  des 
Flamen  Dialis  die  captio  der  Vestalin  gleich- 
gestellt wird),  noch  weniger  für  die  Salier 
(dass  Hist.  aug.  M.  AureK  4,  4  muitos  m- 
auguravit  aique  exauguravit  nemme  prae- 
eunte  nicht  eine  wirkliche  Inauguration, 
sondern  nur  eine  ad  sacra  vocatio  bedeutet, 
ist  schon  deshalb  sicher,  weil  der  Ausfah- 
rende nicht  der  Augur  sondern  der  Magister 
der  Salier  ist)  oder  gar  für  die  Decemviri 
sacris  faciundis  (P.  Reobll,  Jahrb.  f.  Philo]. 
CXXXV  1887.  781  f.). 

*)  Dass  nicht  erst  die  Inauguration  den 
Uebergang  der  Priesterwürde  auf  den  Neu- 
eintretenden herbeiführt,  zeigt  der  Vorgang 
des  J.  574  =  180  bei  Liv.  XL  42,  8  ff.:  der 
Pontifex  max.  ernennt  einen  Rex  sacronun 
und  befiehlt  ihm  vor  der  Inauguration  die 
Niederlegung  eines  Staatsamtes,  verhängt 
auch,  als  dieser  sich  weigert,  eine  multa  über 
ihn,  was  beides  nicht  möglich  wäre,  wenn 
der  Betreffende  nicht  durch  die  blosse  captio 
bereits  Priester  geworden  und  damit  dem 
Pontifex  max.  unterstellt  worden  w&re; 
schliesslich  wird  in  diesem  Falle  die  In- 
auguration gar  nicht  vollzogen,  sondern  ein 
andrer  ernannt  und  inauguriert. 

»)  Das  geht  aus  Cic.  Brut.  1;  Phil.  II  110; 
de  leg.  II  20.  Macr.  S.  III  3,  11  sowie  ana 
dem  Berichte  des  Liv.  I  18,  6  ff.  mit  voller 
Deutlichkeit  hervor  und  ist  von  H.  Oldkh- 


66.  Die  PrieBterordnung. 


421 


genannten  Falle  auf  Aufforderung  des  Pontifex  max.  erscheint  und  handelt.  0 
Die  Feier  des  Amtsantrittes  wurde  beschlossen  durch  ein  von  dem  neuen 
Mitgliede  gegebenes  Festmahl  {ceTia  aditialia);^)  dass  für  die  Aufnahme  in 
die  Priesterschaft  auch  ein  Eintrittsgeld  gezahlt  werden  musste,  erfahren 
wir  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Galigula,^)  ohne  zu  wissen,  ob  diese  Ein- 
richtung eine  dauernde  gewesen  ist. 

Zu  den  Vorbedingungen  für  die  Bekleidung  der  Priesterwürde  gehört 
zunächst  allgemeine  körperliche  Fehlerlosigkeit^)  und  bürgerliche  Unbe- 
scholtenheit, ^)  Besitz  der  römischen  Civität^)  und  freie  Geburt ;'')  Bestim- 
mungen über  Altersqualifikation  scheint  es  ausser  für  die  Vestalinnen  und 
vielleicht  die  Salier^)  nicht  gegeben  zu  haben,  jedenfalls  finden  wir  schon 
in  früher  Zeit  Priester  von  sehr  jugendlichem  Alter.  ^)  Die  Forderung 
patrizischer  Abkunft  hat  ursprünglich  wohl  für  sämtliche  Priestertümer 
alter  Ordnung  —  das  für  die  Bewahrung  der  sibyllinischen  Bücher  ein- 
gesetzte Priestertum  war  wohl  niemals  ausschliesslich  patrizisch  —  ohne 
Ausnahme  gegolten,^®)  erhalten  hat  sie  sich  nur  für  den  Rex  sacrorum, 


BBBG,  Gomment.  Mommsen.  S.  159  ff.  mit 
Recht  gegen  Moxxsbn,  Staatar.  11  32  ver- 
fochten worden. 

*)  Fest.  p.  343  [cum]  Metellus  pant, 
[max.  Claudium  augurem  iussisjset  adesae, 
ut  eum  [,  .  .  Suljpici  Ser,  f.  inaugfarcUioni 
ctdhiberetj.  Daraus  erklärt  es  sich,  wenn 
Liv.  XL  42,  8.  10  ungenau  die  Handlung  des 
inaugurare  selbst  dem  Pontifex  max.  oder 
den  Pontifices  beilegt  (vgl.  auch  XXVII  8, 4 
flaminem  Dialem  invitutn  inaugurari  coegü 
.  .  pontifex  maximus). 

'^)  adüiali  cena  sacerdotii  (Antritts- 
scbmaus  des  Augurs  Q.  Hortensius)  Plin.  n.  h. 
X  45 ;  Antrittsschmaus  des  Flamen  Martialis 
L.  Cornelius  Lentulus  Macr.  S.  lll  13,  10  ff.; 
adüiales  cenae  oder  epulcke  allgemein  Sen. 
epist.  95,  41.   Plin.  n.  h.  XXIX  58. 

>)  Suet.  Calig.  22 ;  Claud.  9.  Gass.  Dio 
L1X28,  5. 

^)  fÄtj^iy  fjXaTTtofiiyovg  xüv  negl  tö  atofAa 
Dion.  Hai.  II  21, 3 ;  aacerdos  integer  sit  Seneca 
contr.  IV  2;  Vestalin  kann  nicht  werden 
quae  lingua  debüi  aensuve  aitrium  deminuta 
aliave  qita  corporis  labe  inaignita  aü  (Gell. 
I  12,  8;  vgl.  Fronte  p.  149  Nab.);  ein  Augur, 
der  eine  Wunde  an  sich  hat,  darf  keinen 
Dienst  thun  (Plut.  Qu.  Rom.  73). 

^)  Nach  der  Lex  col.  Genei  c.  67  findet 
eine  Neubesetzung  statt  in  demortui  dam- 
native  loco;  vgl.  Plut.  Qu.  Rom.  99  rwv  aXXiay 
Ug^oiy  roy  xaxadtxaa&et^a  xai  (pvyoyra 
Ttavoyxeg  itSQoy  algovyiai;  vgl.  Cic.  Brut.  127 
hie  (C.  Sulpicius  Galba,  644  =  110),  gut  in 
collegio  aacerdotum  esset,  primua  poat  Bomatn 
conditam  iudicio  publica  eat  condemnatus, 

•)  Sacra  pro  civibus  civem  facere  volu- 
erunt  Cic.  pro  Balbo  55. 

^)  Als  Vestalin  war  ausgeschlossen  quae 
ipaa  aut  cuius  pater  emancipatus  sit,  etiamsi 
vivo  patre  in  avi  poteatate  ait;  item  cuiua 


parentes  alter  ambove  aervitutem  aervierunt 
aut  in  negotiis  sordidis  versanttir  (Gell.  I 
12,  4);  doch  Hess  Augustus  TOchter  von  Frei- 
gelassenen zu  (Cass.  Die  LV  22,  5).  Ein 
Freigelassener  als  lupercus  Quinctial(is) 
vetus  (CIL  VI  1933)  gehört  wohl  der  Zeit 
der  Verwirrung  vor  der  augusteischen  Reform 
der  Priestertümer  an,  sicher  der  Clesipus 
Geganius  mag(ister)  Gapit(olinorum)  ma- 
g(i»ter)  luperc(orum)  CIL  X  6488  und  der 
C.  Julius  Caesaris  Iftbertus)  Salvius  accensus 
mag(i8ter)  luperc(orum)  viat(or)  trib(uni' 
cius)  Notiz,  d.  scavi  1898,  406.  lieber  Frei- 
gelassene unter  den  Sacerdotes  Laurentes 
Lavinates  Mommsbn,  Staatsr.  III  569,  1 ;  vgl. 
566,  3. 

^)  Die  Vestalin  muss  beim  Antritt  höch- 
stens 10,  mindestens  6  Jahr  alt  sein  (Gell. 
I  12,  1;  vgl.  Suet.  Aug.  31.  Sozom.  bist.  eccl. 
I  9.  Prudent.  in  Symm.  II  1065);  dass  zu 
Saliern  junge  Männer  genommen  wurden, 
sagt  Dion.  Hai.  H  70,  1.  71,  2  (Beispiele  CIL 
VI  1439.  IX  4855,  namentlich  aber  Hist.  aug. 
M.  Aurel.  4,  2);  für  Vestalinnen  und  Salier 
bestand  auch  allein  die  Forderung;  dass  ihre 
beiden  Eltern  noch  am  Leben  sein  mussten, 
s.  unten  A.  10. 

•)  Liv.  XXV 5, 3.  XXVII  8,5.  XXIX  38, 7. 
XXXIII  42,  6.  XL  42,  7.  XLII  28, 13.  Cic.  de 
domo  118;   pro  Sest.  144.    CIL  X  7257  u.  a. 

^^)  Auch  fQr  die  Vestalinnen  muss  man 
dies,  obwohl  ausreichende  Zeugnisse  weder 
nach  der  einen  noch  nach  der  andern  Seite 
hin  vorliegen  (Mommsbn,  Rom.  Forsch.  I  79  f., 
vgl.  JoBDAV,  Tempel  d.  Vesta  S.  84  f.),  wohl 
annehmen,  es  folgt  aus  ihrer  ganzen  Stellung 
zum  Pontifex  max.,  und  auch  in  der  noch  später 
geltenden  Forderung,  dass  die  Vestalin  pa- 
trima  et  matrima  sein  müsse  (Gell,  l  12,  2), 
liegt  ein  Hinweis  darauf,  denn  patrimi  et 
malTimi  können  ursprOnglich  nur  aus  con- 


422 


Religion  und  Kultus  der  Römer,    m.  Kultus. 


die  drei  grossen  Flamines  (dazu  später  die  Flamines  Divorum)  und  die 
Salier;^)  für  die  Pontifices  und  Augum  ist  im  J.  454  =  300  durch  die  Lex 
Ogulnia  die  Bestimmung  getroffen  worden,  dass  die  grössere  Hälfte  der 
Stellen  (5  von  9)  in  jedem  Gollegium  den  Plebejern  reserviert  blieb,  die 
übrigen  der  Bewerbung  beider  Stände  offen  standen,  wenn  sie  auch  that- 
sächlich  bis  zum  Ende  der  Republik  so  gut  wie  regelmässig  mit  Patriziern 
besetzt  wurden.*)  Für  alle  andern  Priestertümer  ist  in  historischer  Zeit 
die  Standeszugehörigkeit  bedeutungslos,  ohne  dass  wir  von  gesetzgeberischen 
Massregeln  erführen,  durch  welche  das  alte  Reservatrecht  des  Patriziats 
aufgehoben  worden  wäre;  wahrscheinlich  hat  die  Lex  Ogulnia  der  Plebs 
ganz  allgemein  mit  wenigen  besonders  motivierten  Ausnahmen  den  Zutritt 
zu  den  Priesterämtern  eröffnet  mit  der  Zufügung,  dass  im  Pontificat  und 
Augurat  bestimmte  Stellen  plebejisch  besetzt  werden  mussten.  Seitdem 
die  Pontifices  und  Augurn  auf  15  vermehrt  waren,  scheinen  8  Stellen  den 
Plebejern  vorbehalten  gewesen  zu  sein,')  in  der  Kaiserzeit  aber  hat  sich 
dieser  Unterschied  verwischt.  Statt  dessen  tritt  seit  Augustus  die  Scheidung 
in  senatorische  und  ritterliche  Priestertümer  auf,  wonach  die  vier  grossen 
Gollegien  samt  den  ihnen  nahestehenden  Sodalitäten  der  Divi  imperatores, 
femer  die  alten  Genossenschaften  der  Fetialen,  Salier,  Arvalbrüder  und  Titier 
ausschliesslich  aus  Männern  senatorischen  Ranges  ergänzt  werden,  dagegen 
die  aus  Subaltembeamten  der  Pontifices  bezw.  Salier  hervorgegangenen 
sacerdotia  der  Pontifices  minores,  Flamines  minores,  Tubicines  sacrorum  p.  R. 
sowie  das  der  Luperci^)  und  die  nach  Rom  übernommenen  Priestertümer 
altlatinischer  Städte  (Lavinium,  Alba,  Caenina  u.  s.  w.)  dem  Ritterstande 
zufallen.^)  Die  einzelnen  Priestertümer  waren  zwar  unter  sich  an  Geltung 
und  Ansehen  verschieden,  aber  zu  einer  festen  Rangfolge  und  etwa  einer 
Bindung  der  einzelnen  an  die  verschiedenen  Rangstufen  der  senatorischen 
und  ritterlichen  Ämterlaufbahn  ist  es  bei  keiner  der  beiden  Klassen  ge- 
kommen.^) Für  die  Zulässigkeit  der  Vereinigung  mehrerer  Priestertümer 
in  einer  Hand  haben  sich  feste  Regeln  erst  nach  und  nach  herausgebildet. 


farreirten  d.  h.  patricischen  Ehen  hervor- 
gehen (Serv.  Georg.  181;  auch  die  stets  pa- 
&ici8ch  gehliebenen  Salier  mflssen  dfjKpi&aXeis 
sein,  Dion.  Hai.  II  71,  4). 

^)  Cic.  de  domo  88:  ita  (wenn  es  keine 
Patricier  mehr  gäbe)  populus  Ramaniia  brevi 
tempore  neque  regem  sacrorum  neque  flu- 
minea  (dass  damit  die  drei  grossen  gemeint 
sind,  zeigt  Paul.  p.  151  maiorea  flamines 
appeüabantur  patricii  generis,  minores  ple- 
hei)  nee  saiios  Tuibebit  nee  ex  parte  dimidia 
religuoa  sacerdotes  (vgl.  Liv.  VI  41,  9);  für 
die  Salier  s.  ausserdem  Dion.  Hai.  II  70,  1. 
Lucan.  IX  479.  CIL  IX  1123.  üeber  den  Pa- 
triciat  der  Flamines  Divorum  s.  Dbssau, 
Ephem.  epigr.  HI  p.  223  ff. 

')  Liv.  X  6,  6.  9,  2  und  dazu  Mommsen, 
Rom.  Forsch.  I  80  ff.  und  Babdt,  Priester  der 
vier  grossen  Gollegien  8.  32  ff. 

')  Dies  geht  aus  dem  Yeizeichnisse 
der  Pontifices  Vom  J.  697  =  57  bei  Cic.  de 
bar.  resp.  12  hervor;  vgl.  Mommbbh  a.  a.  0. 


S.  88  ff. 

«)  Ausnahmen  CIL  XI  2106.  VI  1397.  BulL 
arch.  com.  XV  1887,  176  (über  die  beiden 
letztgenannten  Fälle  Momxsen,  Staatsr.  III 
568, 3,  der  erste  betrifft  einen  Angehörigen  der 
mit  dem  Dienste  der  Lnperci  von  Alters  her 
eng  verbundenen  Gens  Fabia).  Die  Curiones 
in  ihrer  Mittelstellung  zwischen  Beamten  und 
Priestern  (s.  oben  S.  418  A.  2)  rechne  ich  hier 
nicht  mit  (s.  Mommsen  a.  a.  0.  S.  568  A.  1). 

^)  MoxMSEV  a.  a.  0.  8. 566  ff. 

*)  Das  zeigen  z.  B.  fOr  die  Pontifices  die 
Zusammenstellungen  von  Habbl,  De  pontif. 
condic.  publ.  8.  78  f.,  fttr  die  sacerdotia 
equestria  Moxmsbn  a.  a.  0.  8.  568  f.  In  den 
ProtokoUen  der  Priesterschaften  pflegt  man 
in  älterer  Zeit  die  Mitglieder  nach  der  Rang- 
folge der  von  ihnen  bekleideten  Aemter  aiS*- 
zufahren ,  vgl.  E.  Hula  ,  Arch.  epigr.  Miti 
ans  Oesterr.  XVII 1894, 73  f.  Momxsbn,  Ephem. 
epigr.  VIII  p.243.  307  ff. 


66.  Die  Priesterordttiing. 


428 


Dass  niemand  zugleich  Bex  sacrorum  oder  Flamen  und  Pontifex  sein  konnte, 
ergab  sich  von  selbst  aus  der  Zugehörigkeit  der  erstgenannten  beiden  Priester- 
steilen  zum  Pontificalcollegium,^)  gleichzeitige  Bekleidung  zweier  Priester- 
iümer  aus  der  Zahl  der  grossen  Collegien  kommt  in  der  älteren  republikani- 
schen Zeit  in  einigen  wenigen  FäUen  vor,*)  um  nach  dem  hannibalischen  Kriege 
bis  auf  Caesar,  der  zugleich  Pontifex  (maximus)  und  Augur  war,  ganz  zu 
verschwinden;  in  der  Kaiserzeit  taucht  diese  Cumulation,  abgesehen  vom 
Kaiser  und  den  kaiserlichen  Prinzen,  erst  im  8.  Jahrhundert  wieder  ver- 
einzelt auf,^)  und  erst  während  des  Todeskampfes  der  alten  Religion  am 
Ausgange  des  4.  Jahrhunderts  finden  wir  die  höchsten  priesterlichen  Würden 
massenhaft  und  ohne  Einschränkung  in  den  Händen  der  letzten  Vertreter 
des  absterbenden  Heidentums  vereinigt  (Beispiele  oben  S.  87  A.  3).  Ver- 
bindung der  Mitgliedschaft  eines  der  grossen  CoUegien  mit  der  einer 
Sodalität,  sei  es  einer  der  älteren^)  oder  einer  für  den  Dienst  der  Divi 
imperatores  bestimmten,^)  begegnet  sehr  häufig,  ebenso  die  Zugehörigkeit 
zu  mehreren  dieser  Sodalitäten,  so  dass  nicht  selten  eine  dreifache  Cumu- 
lation nachweisbar  ist.^)  Sogar  die  Würde  des  Rex  sacrorum  findet  sich 
vereinzelt  mit  dem  Augurat  kombiniert,  ^  nur  die  Stellung  des  Saliers 
scheint  mit  der  Bekleidung  eines  andern  Priestertums  unverträglich  ge- 
wesen zu  sein,  da  nach  Ausweis  der  erhaltenen  Mitgliederverzeichnisse 
der  Salii  Palatini  (CIL  VI  1977  ff.)  aus  diesem  CoUegium  ausschied,  wer 
Pontifex,  Flamen  (d.  h.  einer  der  Flamines  maiores  oder  der  Flamines 
Divorum)  oder  Augur  wurde,  und  wohl  anzunehmen  ist,  dass  das  Gleiche 
auch  für  die  Übernahme  eines  andern  Priestertumes  galt,  und  der  Austritt 
nicht  fakultativ,  sondern  notwendig  erfolgte.^)    Für  die  Vestalinnen  kam. 


^)  F.  Manilias  Yopiscos  (Cos.  114)  pon- 
tifex  flamen  .  .  .  scditu  Coüinus  (CIL  XIV 
4242)  war  wahrscheinlich  einer  der  Flamines 
des  Eaiserkultes,  und  dasselbe  gilt  von  dem 
regt  sacfrorj  flamfini  .  .  .  der  Inschrift  CIL 
1X2847. 

*)  Sichere  Beispiele  sind  nur  M.  Pom- 
ponins  Matho,  Augur  und  Decemvir  s.  f. 
(t  550  =  204,  Liv.  XXIX  38,  7),  Q.  Fabius 
Maximus,  Pontifex  und  Augur  (f  551  =  208, 
Liv.  XXX  26, 10.  CIL  P  p.  193  elog.  XIII),  und 
C.  Servilius  Geminus,  Pontifex  (maximus)  und 
Decemvir  s.  f.  (t  574  =  180,  Liv.  XL  42. 11); 
fiber  die  unsicheren  Fälle  des  T.  Otacilius 
Crassus  (Liv.  XXVII 6, 15)  und  Tib.  Sempro- 
nius  Longus  (Liv.  XXVII  6, 16.  XLI21,8)  s. 
Bardt  a.  a.  0.  S.  19. 

')  Das  älteste  Beispiel  ist  C.  Octavius 
Sabiaus  (Cos.  214  n.  Chr.),  Pontifex  und  Augur 
(CIL  X  5398),  dann  T.  Flavius  Postumius 
Varus  (Praef.  urb.  271  n.  Chr.),  Augur  und 
Quindecimvir  (CIL  VI  1417).  Vgl.  Dbssau, 
Ephem.  epigr.  III  p.  208  f. 

*)  z.  B.  Pontifex  und  Fetialis  CIL  V  4329, 
Augur  und  Fetialis  Eph.  epigr.  IV  830,  Quin- 
decimvir und  Fetialis  CIL  a  6658 ;  Augur  und 
Sodalis  Titius  CIL  VI  1343,  Quindecimvir  und 
Sodalis  Titius  Suet.  Galba  8;  bei  den  Fratres 
Arvales  bietet  der  Index  von  Hbnzbn  zahl- 


reiche Beispiele  fOr  die  Vereinigung  mit  Pon- 
tificat,  Augurat,  Quindecimvirat. 

^)  Für  die  Vereinigung  des  Pontificates 
mit  der  Mitgliedschaft  einer  dieser  Sodali- 
täten s.  Beispiele  bei  Habbl  a.  a.  0.  S.  82, 
desgleichen  Ült  das  Augurat  bei  Spinazzola, 
Gli  augures  S.  69  ff.,  Quindecimvir  und  Sodalis 
Flavialis  CIL  VI  1333  (vgl.  Suet.  Galba  8), 
Septemvir  epulonum  und  Sodalis  Augustalis 
CIL  III 4013  -f  XI  571.  CIL  VI  1511  f.  u.  a. 

^)  z.  B.  Poutifex,  Sodalis  Augustalis, 
Frater  Arvalis  CIL  III 6073;  Pontifex,  Sodalis 
Antoninianus  Verianus,  Fetialis  CIL  VI  1497; 
Augur,  Sodalis  Augustalis,  Sodalis  Titius  CIL 
III 2974  f. ;  Augur,  Sodalis  Hadrianalis,  Sodalis 
Antoninianus  CIL  XI 3865  u.  a. 

')  Rex  sacrorum  und  Augur  ist  unter 
Trajan  Cn.  Pinarius  Severus  (CIL  XIV  3604), 
vgl.  auch  VI  2123.  Ob  die  grossen  Flaminate 
mit  andern  Priesterwürden  vereinbar  waren, 
ist  sehr  zweifelhaft;  der  Flamen  Dialis  P. 
Cornelius  Sulla  (Gell.  I  12,  16)  und  der  De- 
cemvir s.f.  P.  Cornelius  Rufns(SnUa)  beiMacr. 
S.  I  17,  27  sind  sicher  nicht  identisch  mit 
einander,  und  die  Inschrift  CIL  VI  2152,  von 
der  blos  die  Worte  auguri  flammt  übrig  sind, 
lässt  nicht  erkennen,  was  für  ein  Flaminat 
gemeint  ist. 

")  Die  Inschriften,    welche   denselben 


424 


on  mid  KnltiiB  der  BOmer.    IIL  Knltiu. 


da  sie  die  einzigen  Staatspriesterinnen  sind,  die  Möglichkeit  einer  Cuma- 
lation  garnicht  in  Frage. 

Im  Gegensatze  zur  Magistratur  wird  die  Priesterwürde  im  Prinzipe 
durchaus  auf  Lebenszeit  übertragen ;  nur  für  die  Salier  ist,  wie  soeben  dar- 
gelegt wurde,  der  Austritt  aus  der  Genossenschaft  geboten,  wenn  sie  zu  einem 
anderen  Priestertume  gelangen,  den  Yestalinnen  steht  er  nach  SOjähriger 
Dienstzeit  frei:')  in  beiden  Fällen  vollzieht  er  sich  in  feierlicher  Form.*) 
Eine  Amtsentsetzung  gibt  es  im  älteren  Rechte  nicht,  nur  kann  der  dem 
Pontifex  max.  untergeordnete  Priester,  der  sich  grobe  Verstösse  gegen  die 
Amtspflicht  hat  zu  Schulden  kommen  lassen,  durch  jenen  zur  Abdication 
genötigt  werden,')  und  der  Verlust  der  bürgerlichen  Ehrenrechte  durch 
strafrechtliche  Verurteilung  zieht  auch  den  Verlust  der  Priesterwürde  nach 
sich  (oben  S.  421  A.  5),  nur  für  die  Augum  ist  selbst  diese  Konsequenz  aus- 
geschlossen geblieben.*)  Auch  die  Vorstandschaft  ist  in  den  beiden  hervor- 
ragendsten CoUegia,  denen  der  Pontifices  und  der  Augum,  eine  lebens- 
längliche gewesen  und  zwar,  wie  es  scheint,  in  der  Weise,  dass  dem  an 
Lebensjahren  ältesten  Mitgliede,  dem  Pontifex  maximus  bezw.  Augur  maximus, 
der  Vorsitz  zufiel;^)  doch  ist  noch  vor  dem  hannibalischen  Kriege  die  Be- 
stellung des  Pontifex  maximus  aus  der  Zahl  der  Pontifices  der  Volkswahl 


Mann  als  Salier  und  Träger  einer  andern 
Priesterwfirde  bezeichnen  (z.  B.  CIL  VI  1339. 
1422.  1553.  XI  5743.  XIV  2501.  2803.  3604. 
3609.  3713.  4237.  4240.  4242)  sind  so  zu 
deuten,  dass  sie  nur  die  Bekleidung  der 
Salierwflrde  vor  Uebemahme  des  andern 
Priestertums  bezeugen;  denn  M.  Nummius 
Albinus,  Cos.  206  n.  Chr.,  der  nach  CIL  VI 
1982/83,  6  im  J.  199  aus  den  Saliern  aus- 
schied, um  Pontifex  zu  werden,  nennt  sich 
CIL  V  4347  doch  sowohl  salius  PalatiniM 
wie  pontifex;  vgl.  Habel  a.  a.  0.  S.  81.  Auch 
aus  republikanischer  Zeit  liegt  kein  Beispiel 
der  gleichzeitigen  Funktion  vor,  denn  der 
Ap.  Claudius  vir  triumphdlis,  qui  saliiis 
adusque  senectutetn  fuit  (Macr.  S.  III 14,  14), 
ist  verschieden  von  dem  Augur  gleichen 
Namens,  dem  Collagen  Ciceros  (s.  Paült- 
WissowA  Real-Encycl.  u.  d.  W.  Claudius 
Nr.  295  und  297),  und  dass  M.  Aemilius  Scaurus 
gleichzeitig  Pontifex  und  Augur  gewesen 
wäre,  folgt  aus  Cic.  pro  Scauro  34  nicht. 
Wegen  dieser  Unverembarkeit  des  Salier- 
dienstes mit  anderen  Priesterwürden  ist 
dieses  das  einzige  senatorische  Priestertum, 
das  die  Kaiser  nicht  bekleidet  haben  (s.  oben 
S.415A.5). 

»)  Gell.  VII  7, 4.  Dion.  Hai.  II 67, 2.  Plut. 
Numa  10  u.  a. ;  dass  thatsAchlich  die  meisten 
Vestalinnen  von  diesem  Rechte  keinen  Ge- 
brauch machten,  sagen  Dion.  Hai.  und  Plut. 
a.  a.  00.  und  erläutern  bekannte  Beispiele 
einer  Amtsdauer  von  57  (Tac.  ann.  II  86)  und 
64  Jahren  (CIL  VI  2128). 

')  Das  Wort  exaugurare  wird  gebraucht 
von  den  Saliern  CIL  VI  1978,  13  und  Hist. 
aug.  M.  Aurel.  4, 4,  von  den  Vestalinnen  Gell. 


VII  7, 4.  Fest.  p.  241.  Darttber,  dass  diese 
exauguratio  nicht  eine  inaugurctHo  voraus- 
setzt, s.  oben  S.  420  A.  3. 

»)  Val.  Max.  I  1,  4  f.  Liv.  XXVI  23,  8. 
Plut.  Marc.  5;  s. unten  S.  439  A.  5. 

^)  Plut.  Qu.  Rom.  99:  tov  di  avyopgog 
i(og  Cjf  xav  inl  rots  fieyiatoig  ddixtjfiact  xa- 
xayvoiaiVy  ovx  afpaiQovyiM  Jtjv  leQwavyijy, 
Plin.  epist.  IV  8,  1  sacerdotium  .  .  scurum 
plane  et  insigne  est,  quod  non  adimitur  vi- 
venti.  Fflr  die  Colonien  galt  diese  Aus- 
nahmestellung nicht,  wie  Lex  col.  Genet 
c.  67  zeigt. 

*)  Die  Lebenslänglichkeit  der  Wftrde  des 
Pontifex  maximus  ist  vielfach  bezeugt  (Caas. 
Dio  XLIX  15,  3.  LIV  15,  8.  Appian.  b.  c.  V 
131 .  Suet.  Aug.  3 1 .  Seneca  de  dem.  1 10, 1 ;  vgl. 
Cassiod.  var.  VI  2,  3),  dass  es  ursprünglich 
der  Alterspräsident  war,  zeigt  der  Name,  ver- 
glichen mit  dem  der  Vestalis  maxima  {quae 
natu  maxima  virgo  est  Ovid.  fast.  IV  639, 
alf>o  Lebens-,  nicht  Dienstalter).  Dass  bei  den 
Augum  der  an  Jahren  älteste  den  Vorsitz 
führte,  wird  nach  der  Angabe  Ciceros  Cato  mai. 
64  multa  in  collegio  vestro  praedara,  sed 
Jwc . .  in  primis,  quod  ut  quisque  aetate  ante- 
cedit,  ita  sententiae  principatum  tenet,  neque 
solum  honore  antecedenttbus,  sed  Os  etiam, 
qui  cum  imperio  sunt,  maiores  natu  augures 
anteponuntur,  sehr  wahrscheinlich,  und  der 
Name  augur  maximus  ist  für  die  numidiscfaen 
Städte  Cuicul  (CIL  VITI  Suppl.  20152)  und  Cirta 
(CIL VIII  7103)  bezeugt;  dass  das  Amt  dort 
ein  befristetes,  wahrscheinlich  jährliches  ist, 
steht  mit  der  Bedeutung  des  Titels  im  Wider- 
spruche und  bestärkt  die  Annahme,  dass 
dieser  aus  Rom  entlehnt  ist. 


66.  Die  Priesterordniing. 


425 


(durch  die  Gomitien  der  17  Tribus)  überwiesen  worden.')  Die  Sodalitäten 
haben  wohl  durchweg  unter  jährlich  wechselnden,  von  den  Mitgliedern  ge- 
wählten mcyistri  gestanden,^)  bei  den  Quindecimviri  sacris  faciundis  und 
den  Sodales  Augustales  Claudiales  (CIL  XIV  2391)  finden  wir  einen  eben- 
falls auf  Jahresfrist  gewählten  mehrgliedrigen  Vorstand  von  5  oder  3  magistri^), 
doch  ist  das  erstgenannte  CoUegium  schon  in  der  früheren  Eaiserzeit  zu  der 
Organisation  unter  einem  magister  übergegangen.^)  Sonstige  Funktionäre 
bestellt  jede  Priesterschaft  je  nach  ihren  Bedürfnissen  ebenfalls  durch 
Wahl  auf  bestimmte  Zeit  aus  ihrer  Mitte,  so  die  Arvalbrüder  (und  wahr- 
scheinlich auch  alle  sonstigen  Priesterschaften,  denen  ein  Opferdienst  oblag) 
einen  jährlich  wechselnden  Flamen,  ^)  die  Salier  einen  Yortänzer  {praesut) 
und  einen  Vorsänger  (vcUes) ;  ^)  für  eine  etwa  nötig  werdende  Stellvertretung 
des  Magister  oder  eines  andern  Würdenträgers  sorgt  nicht  die  Priester- 
schaft, sondern  der  Verhinderte  selbst  durch  Bestellung  eines  Ersatzmannes 
aus  der  Zahl  der  Kollegen.^)  Von  der  ursprünglichen  Einrichtung,  dass 
nicht  nur  der  Priester  selbst,  sondern  mit  ihm  sein  ganzes  Haus  der  Gott- 
heit dient  (Dion.  Hai.  II  22, 1),  hat  sich  ein  Rest  noch  in  der  Beteiligung 
der  Gattinnen  des  Bex  sacrorum  und  des  Flamen  Dialis  am  Opferdienst 
ihrer  Männer  erhalten,  noch  mehr  aber  erinnert  daran  der  Ministranten- 
dienst, den  unerwachsene  Kinder  beiderlei  Geschlechts  bei  den  verschiedenen 
Priesterschaften  und  Kulthandlungen  ausüben.  An  die  Stelle  der  eignen 
Kinder  der  Priester,  die  offenbar  zunächst  in  dieser  Art  verwendet  wurden, 
traten  in  dem  Falle,  dass  jene  fehlten  oder  nicht  ausreichten,  andere  Kinder 
noch  lebender  Eltern  aus  guter  Familie  {pueri  et  pueUae  ingenui  patnmi  matri- 
mique)  für  den  Dienst  beim  Opfer,  beim  Mahle  und  bei  den  sonstigen  Sacral- 
handlungen;^)  im  Ritual  des  Flamen  Dialis  und  der  Flaminica  hat  sich,  wie 


')  comüia  pontificis  mcunmi  Cic.  de  leg. 
agr.  II  18;  8.  darüber  Mommsbn,  Staatsr.  II 
25  ff.,  über  die  Form  der  Uebertragung  des 
PoDtificatas  max.  an  den  Kaiser  Habbl  a.  a.  0. 
S.  51  ff. 

*)  Am  genauesten  bekannt  bei  den  Arval- 
brüdern,  die  alljährlich  am  zweiten  Tage  ihres 
Festes  den  magister  wählen  ex  Saturnalibiis 
primis  ad  Satumalia  secunda,  d.  h.  für  das 
von  Satnmalien  zu  Saturnalien  laufende  Ge- 
schäftsjahr der  Priesterschaft;  er  ist  eponym 
für  das  ganze  Jahr,  auch  wenn  er  innerhalb 
desselben  stirbt  und  ein  auffectus  gewählt 
wird;  Wiederwahl  nach  Intervall  ist  zu- 
lässig (ÜBNZBN,  Acta  fratr.  Arval.  S.  IV  f.). 
Sonst  ist  bezeugt  der  magister  der  Salier 
(Val.  Max.  11,9.  Hist.  aug.  M.  Aurel.  4,  4) 
und  der  Luperci  (CIL  X  6488.  XIV  2105. 
Notiz,  d.  scavi  1898,  406). 

')  üeber  die  Quindecimviri  s.  f.  Mommsbn, 
Eph.  epigr.  VTII  p.  243,  über  die  Sodales 
Augustales  Claudiales  Hülsbn,  Eph.  epigr. 
IV  p.  482  f.  (Bruchstücke  von  Listen  der 
magisteria  sodalium  Äugustalium  Claudia- 
lium  annua  CIL  XIV  2388—2391). 

*)  magistri  nennt  Tac.  ann.  VI  12  im 
J.  82  n.  Chr.,  einen  magister  für  seine  Zeit 
Plin.  n.  h.  XXVni  12. 


*)  Hbnzbf  a.  a.  0.  S.  V  f. 

^)  Hist.  aug.  M.  Aurel.  4, 4.  Fest.  p.  270. 
Vict.  vir.  iU.  3,  9. 

^)  Das  zeigt  sich  deutlich  bei  den  Ar- 
valbrüdem,  wo  zuweilen  als  Vertreter  des 
Magister  in  demselben  Jahre  zwei  verschie- 
dene Personen  auftreten  und  der  Titel  nicht 
lautet  promagister  fratrum  Arvalium,  son- 
dern z.  B.  promag(ister)  C  luni  Mefitani 
(d.  h.  des  Magister,  CIL  Vi  2060,  35. 41).  Der 
für  den  Kaiser  eintretende  Promagister  der 
Pontifices  und  Quindecimvim  ist  vielleicht 
auf  dieselbe  Weise,  d.  h.  hier  durch  kaiser- 
liche Ernennung,  bestellt  worden. 

")  Beim  Opfer  der  Decemviri  s.  f.  werden 
zugezogen  decem  ingenui  decem  virgines 
patrimi  omnes  matrimique  (Liv.  XXX VII 
3,  7),  dieselben  Priester  opfern  in  insula 
Cimolia  per  triginta  ingenuos  patrimos  et 
matrimos  totidemque  virgines  (Obsequ.  40), 
die  Vestalinnen  besprengen  die  Area  des 
Capitols  cum  pueris  puellisque  patrimis  ma- 
trimisque  (Tac.  Hist.  IV  53),  die  rica  der 
Flaminica  Dialis  wird  angefertigt  von  vir- 
gines ingenuae  pairimae  matrimaeque  (Paul, 
p.  288),  bei  der  Pompa  führt  puer  ille  pa- 
trimus  et  matrimus  die  Rosse  der  die  Götter- 


426 


Religion  und  KaltnB  der  BOmer.    m.  Kaltiu. 


so  vieles  Ursprüngliche,  auch  der  alte  Name  dieser  Ministranten,  camiUus 
bezw.  camiUa,  erhalten.^)  Im  regelmässigen  Opferdienste  ist  freilich  für 
die  von  Haus  aus  von  diesen  edelgeborenen  Gehilfen  verrichteten  Hand- 
reichungen mehr  und  mehr  die  Thätigkeit  von  unfreien  Dienern  ^)  getreten, 
von  denen  jeder  Priesterschaft  eine  gewisse  Anzahl  zur  Verfügung  steht, 
nicht  als  Eigentum,  sondern  vom  Staate  aus  seinem  Vorrate  von  Gemeinde- 
sklaven (der  familia  publica)  ihm  zugewiesen  und  je  nach  Bedarf  auch  zu 
anderer  Beschäftigung  wieder  abgerufen  und  durch  andere  ersetzt.  ^)  Über 
die  Verwendung  der  Sklaven  innerhalb  der  Priesterschaft  entschied  diese 
selbst  oder  vielmehr  der  Vorsteher;  ausser  dem  Hilfsdienste  bei  den 
Opfern^)  fällt  ihnen  besonders  die  Fürsorge  für  Aufzeichnung  und  Auf- 
bewahrung der  Protokolle  {commentarii)  zu,^)  die  in  allen  Priesterschaften 
mit  grösserer  oder  geringerer  Ausführlichkeit  geführt  und  teilweise,  wie 
die  erhaltenen  Arvalakten  zeigen,  auch  inschriftlich  aufgezeichnet  wurden;^) 


exuvien  tragenden  Tbensa  (Cic.  de  har.  resp. 
23  =  Arnob.  IV  31),  beim  Festschmause  der 
Arvalbrttder  essen,  abgesondert  von  den 
Priestern,  pueri  praetextati  patrimi  et  ma- 
trimi  senatorum  fUi  nfumeroj  IUI  mit  und 
thun  Handreichungen  bei  Mahl  und  Libation 
(Henzbk,  Acta  S.  12  f.;  Aehnliches  thaten 
nach  Athen.  X  425 A  ol  svyBviaxaxoi  xtav 
natdioy  bei  den  epula  piiblica);  besonders 
häufig  singen  sie  das  Festlied  (Macr.  S.  I  6, 
14  pueris  ingenuis  itemque  libertinis  [dies 
hier  als  Ausnahme],  sed  et  virginibus  patrimü 
matrimisque  pronuntiantibus  Carmen,  Act. 
lud.  saec.  'Aug.  Z.  20  [per]  pueros  virgines- 
que  patrimos  mcUrimfosgue],  vgl.  Mommsen, 
Eph.  epigr.  VIII  p.  256.  Cass.  Dio  LIX  7,  1 
svyBviaxaxoi  naiaas  dfKpi&aXeis  fjiexd  noQ- 
&iv(av  ofxoitav,  16,  8  vno  X(ov  evyeyecxäxtoy 
naldüty,  ygl.  Suet.  Cal.  16  nobilibtis  pueris  ac 
puellis), 

0  Bofnani  pueros  et  puellas  nobües  et 
investes  (dazu  s.  Paul.  p.  868)  camillos  et  ca- 
mülas  appeUant,  flaminicarum  et  flaminum 
praeministros  Macr.  8.  III  8,  7  =  Serv.  Aen. 
XI  543,  vgl.  558.  Paul.  p.  98  flaminius  ca- 
mülus  puer  dicebatur  ingenuus  (vgl.  p.  43) 
patrimes  et  matrimes  (vgl.  p.  126),  qui  fla- 
mini  DicUi  ad  sacrificia  praeministrabat ;  vgl 
Plut.  Numa  7.  Auch  der  nuptiis  camiUus 
qui  cumerum  fert  Varro  de  1. 1.  VII  34  ge- 
hört in  den  Dienst  des  Flamen  Dialis,  da 
es  sich  um  die  Confarreation  handelt,  bei  der 
dieser  mitwirkt  (Serv.  Georg.  I  31). 

')  Beim  Feste  der  Arvalbrüder  tragen  die 
pueri  patrimi  et  matrimi  und  die  publici 
zusammen  die  Libation  auf  den  Altar  (Henzbn 
a.  a.  0.  S.  12  f.),  bei  den  Piacularopfem  aber 
wirken  die  ersteren  gar  nicht  mehr  mit, 
sondern  der  Magister  oder  Kalator  bringt 
das  Opfer  ministranttbus  publicis  (Henzek 
a.  a.  0.  S.  132  f.).  Man  darf  daher  aus  der 
Nichtbetheiligung  der  Knaben  am  Opfer 
nicht  folgern,  dass  sie  von  den  camilli  prin- 
cipiell  verschieden  wären  (Mommsen,  Grenz- 


boten 1870  1 172.  Herzen  a.  a.  0.  S.  VII.  15). 
Der  von  Mommsen  herangezogene  Brauch, 
dass  die  unerwachsenen  SOhne  ihre  Vftter 
zum  Gastmahle  begleiteten  (Tac.  ann.  XIII 
16.  Suet.  Claud.  32),  steht  zu  ihrer  Verwen- 
dung als  Ministranten  keineswegs  im  Gegen- 
satze, sondern  ist  nur  eine  andre  Aeusserong 
der  gleichen  Grundanschauung. 

*)  Act.  Arval.  CIL  VI  2086,  64:  [in  locum 
Cajrpi  publici  Cameliani  promoti  ad  tabu- 
los  quaestorias  transscribendas  suhstiJtu[tus] 
est  Epictetus  Cuspianus  publicus  ex  litteris 
M,  Fulvi  Äproniani  promagistri;  vgl.  VI 
2065  n  18:  dllectus  Narcissus  Annianus 
loco  Nymphi  Numisiani  ad  fratres  Arvdles. 
Inschriften  von  publici  der  Priesterschaften, 
die  ausser  für  die  Arvalen  auch  fOr  die  vier 
grossen  Collegien,  die  Sodalitäten  des  Kaiser- 
kultes  (Bruchstücke  eines  Verzeichnisses  der 
Publici  der  Sodales  Augustales  Claudiales 
CIL  XIV  2400-2404).  die  Fetiales,  Titier 
(CIL  VI  3882)  und  Curiones  nachweisbar  sind 
und  wahrscheinlich  keiner  Priesterschaft  ge- 
fehlt haben,  CIL  VI  2307  ff. 

*)  Auf  diesen  weist  die  Bezeichnung 
a  sacris  CIL  VI  2328.  Notiz,  d.  scavi  1883, 
448  nr.  1.    Henzen  a.  a.  0.  S.  184. 

^)  Wir  kennen  einen  publicus  a  com- 
mentaris  XVvir(um)  s.  f.  CIL  VI  2313, 
einen  publtc(us)  a  commentarüs  (auch  com^ 
m(entariensis)  CIL  VI  2105,  18)  bei  den  Ar- 
valbrüdem  (CIL  VI  2103,  4.  11.  2104  b  30) 
und  einen  a  comme[nt(arii8)  sajcerdoti  VII 
virum  epulonu(m)  (CIL  VI  2319).  Zur  Be- 
stellung von  Briefen  wird  ein  publicus  der 
Pontifices  benützt  CIL  VI  2120,  ein  a  libris 
pontifical(ibus)  CIL  VI  2195.  Auf  eine  kai- 
serliche Aufsicht  über  die  Priesterarchive 
scheint  der  kaiserliche  Freigelassene  pro- 
x(imu8j  a  Ubr(is)  sacerdotal(ibus)  CIL  VI 
8878  hinzuweisen. 

*)  Dass  die  früher  allgemein  angenom- 
mene Scheidung  von  libri  und  commentarü 
pontificum,  augurum  u.  s.  w.  verkehrt  ist, 


66.  Die  Prieaterordnimg. 


427 


auch  bei  der  Verwaltung  der  priesterlichen  Kassen  (oben  S.  343)  sind  die 
Sklaven  der  GoIIegien  beschäftigt.^)  Ausserdem  aber  steht  den  verschie- 
denen Priesterschaften  noch  ein  mehr  oder  minder  ausgedehntes  Per- 
sonal von  Subalternbeamten  zur  Verfügung.  Bei  allen  Priesterschaften 
finden  wir  die  Galatores,  Pedellen,  die  der  einzelne  Priester  aus  der  Zahl 
seiner  Freigelassenen  bestellt*)  und  die  zunächst  zu  seinem  persönlichen 
Dienste  bei  den  Amtshandlungen  bestimmt  sind,  aber  doch  dem  Gesamt- 
coUegium  unterstehen  und  in  dessen  Kasse  ein  Eintrittsgeld  zahlen.^) 
Während  sonst  die  Kalatoren  ihre  Anknüpfung  an  den  Einzelpriester  be- 
wahrt zu  haben  scheinen,^)  sind  die  Calatores  pontificum  et  flaminum  als 
Korporation  zu  besonderem  Ansehen  gelangt  und  haben  sogar  aus  sich  heraus 
die  Priesterstellen  der  Pontifices  minores  entwickelt  (s.  unten  S.  447).  Zum 
mindesten  die  grossen  CoUegien  besassen  ferner  eigene  Amtsdiener  in  den 
Viatores,  ^)  Lictoren  führen  nur  der  Flamen  Dialis  und  die  vestalischen 
Jungfrauen  bei  jedem  öffentlichen  Auftreten  (s.  unten  S.  436  A.  4),  sonst 
treten  jene  nur  bei  den  Staatsopfern  in  Wirksamkeit  und  sind  nicht  den 
einzelnen  Priesterschaften  aggregiert,  sondern  bilden  —  im  Gegensatz  zu 
den  magistratischen  Lictoren  —  eine  decuria  Uctorum  curiatia,  quae  sacris 
publicis  apparet.^)  Das  eigentliche  Opferpersonal  von  popae,'')  cuürarii 
(Suet.  Cal.  32)  u.  a.  stellte  für  die  magistratischen  (und  kaiserlichen)  wie 
für  die  priesterlichen  Opfer  ein  und  dieselbe  Körperschaft,  das  coUegium 
victimariorum,^)  ebenso  wie  auch  die  Musikbegleitung  für  beide  Gattungen 
von  Opfern  dem  einen  coUegium  tibicinum  et  fidicinumy  qui  sacria  publicis 
praesto  sunt,^)  zufiel;  nur  die  mit  den  Saliern  zusammenwirkenden  Tubicines 
haben  eine  Sonderstellung  eingenommen  und  allmälig  Priesterrang  erworben 
(s.  §  70).  Die  pullarii  gehören  nicht  zu  den  priesterlichen,  sondern  zu  den 
magistratischen  Apparitoren  (s.  unten  §  68). 

Die  Privilegien  und  Ehrenrechte,  welche  die  Priester  geniessen   {sacer- 
dotum  commoda  Suet.  Aug.  31),  sind  zum  grössten  Teile  rein  persönlicher  Natur. 


haben  P.  Preibisoh,  De  libris  pontificiis  S.  4 
und  namentlich  F.  Kbobll,  De  anguram  publ. 
libris  S.  30  ff.  gezeigt.  Ueber  cotnmentarii 
im  allgemeinen  s.  A.  y.  Frehebstein  bei 
PAULY-Wi880WA,Real-Encycl.  IV  726 ff.,  über 
die  einen  Theil  der  Commentarien  bildenden 
Mitgliederverzeichnisse  oben  S.  417. 

')  Ein  pontificalis  arcarius  Symm.  epist. 
I  68,  ein  arcarius  Lawentium  Lavinatium 
CIL  VI  2197. 

')  Suet.  gramm.  12:  Syllae  dictaioris 
libertua  calaiarque  in  sacerdotio  augurali, 
für  die  Arvalbrüder  Hbmzen,  Acta  8.  VII  f. 

•)  CIL  VI  2080,  45 ff.:  Verhandlung  der 
AryalbrQder  über  die  beantragte  Rückzahlung 
des  Eintrittsgeldes  eines  Kalator,  die  ab- 
gelehnt wird;  dabei  die  bezeichnenden  Worte 
cum  cdlator  accessio  sit  sacerdotis. 

*)  Wir  kennen  solche  bei  den  Augum 
(CIL  VI  2187.  Suet.  gramm.  12),  Quindecim- 
virn  (CIL  VI  3878),  Epulones  (CIL  X  6227. 
8388),  den  SodalitAten  der  Divi  imperatores 
(CIL  VI  2188.  2190.  Notiz,  d.  scavi  1888, 236) 


und  den  Arvalbrttdem  (s.  o.  A.  2). 

»)  Bezeugt  für  Augum  (CIL  VT  1847), 
Quindecimvim  (CIL  XIV  2940),  Epulones 
(CIL  VI  2194)  und  Sodales  Augustales  (CIL 
XIV  8647);  ein  apparitor  pontificum  CIL 
VI  2196. 

•)  CIL  XIV  296,  vgl.  VI  1892:  lictor  cu- 
ria[t(ius)  a]  sacris  publicis  p.  R.  Quiritium, 

')  Serv.  Aen.  XII  120:  limus  est  vestis, 
qua  ah  umbilico  %Lsque  ad  pedes  teguntur 
pudenda  poparum;  daher  succincti  popae 
Prop.  IV  3,  61.  vgl.  Suet.  Cal.  32. 

•)  Mit  vollem  Namen  CIL  VI  971  coU 
leg  (tum)  victimariorum  qui  ipsi  —  d.  h.  dem 
Kaiser  —  et  sacerdotibus  et  magistr(at%busj 
et  senatui  apparent. 

•)  So  CIL  VI  2191;  sonst  getrennt  das 
coUegium  tibicinum  Romanorum  q.  s,  p,  p.  s. 
(CIL  VI  240.  3696.  1054.  3877.  3877»,  s.  oben 
S.  204)  und  das  coll(egium)  fid(icinumj  Ro- 
m(anorum)  (CIL  VI  2192);  verschieden  wohl 
das  collegium  sympf^oniacorum  qui  sacris 
publicis  praestu  sunt  (CIL  VI  2193). 


428 


Beligion  und  Kaltiis  der  BOmer.    m.  Knltas. 


Der  magistratischen  Kompetenz  nahekommende  Befugnisse  hat  im  wesent- 
lichen nur  der  Pontifex  maximus,  alle  Priesterschaften  aber  besitzen  das  ins 
contionandi  et  edicendi,  d.  h.  das  Recht  innerhalb  ihres  Wirkungskreises  auf 
mündlichem  oder  schriftlichem  Wege  Mitteilungen  an  das  Volk  ergehen  zu 
lassen,  >)  sowie  das  Recht,  im  Senate  Vortrag  zu  halten,^)  während  Sitz  und 
Stimme  im  Senate  und  die  Sella  curulis  nur  dem  Flamen  Dialis  zustehen  (unten 
S.  436  A.  5).  Die  den  Beamten  zukommende  Ehrentracht,  die  purpurgesäumte 
Toga,  tragen  auch  die  Priester,^)  sobald  sie  im  Dienste  der  Götter  auf- 
treten und  wenn  sie  bei  den  Spielen  erscheinen,^)  falls  nicht  etwa  die 
besondere  Art  ihres  Dienstes  nach  geheiligtem  Herkommen  eine  andere 
Tracht  erheischt :  so  tragen  die  Augurn  und  Salier  das  alte-Eriegsgewand, 
die  purpurne  Trabea,^)  und  auch  die  Kleidung  des  Flamen  Dialis  und  der 
Flaminica  war  ursprünglich  eine  besondere.  ^)  Im  Gegensatze  zum  Beamten 
trägt  der  Priester  nach  alter  Ritualordnung  den  Kopf  bedeckt;  wie  die 
Frauen  die  Haube  {tutulus),'')  so  tragen  die  männlichen  Priester  beim 
Opferdienste  eine  kegelförmige  Woll-  oder  Fellmütze  (galerus),^)  die  beim 


*)  Act.  lud.  saec.  Aug.  Z.  26  ff.  edicieren 
die  Qaindecimvim :  [de  ea  re]  quae  more 
exsemploque  maiorum  in  contione  pfalam 
ediocimtM  .  .  .  item  in  albo  proposuijmus, 
uti  si  qui  a  contione  afuissent  aut  non 
satps  intellexissentj  cognoscerent,  quid  quem- 
que  eorum  quoque  dpe  facere  oporteretj; 
dadurch  wird  die  Auffassung  Mommsens, 
Staatsr.  I  196.  199  f.  berichtigt;  vgl.  Paul, 
p.  38 :  conho  significat  conventum,  non  tatnen 
alium  quam  eum,  qui  a  magistratu  vel 
sacerdote  publico  per  praeconem  con- 
vocatur;  in  einer  contio  findet  die  Losung 
der  Vestalinnen  (Gell.  I  12,  11)  und  die 
Nomination  der  Priester  für  die  comitia 
sacerdotum  (Auct.  ad  Her.  I  20)  statt. 

')  Act.  lud.  saec.  Sept.  Sev.  (Eph.  epigr. 
Vlir  p.  278)  15  f.;  vgl.  Mommsbn,  Staatsr. 
in  959. 

•)  Liv.  XXXIV  7, 2 :  purpura  viri  utemur, 
praetextati  in  magistratibus,  in  sacerdotiis, 
XXXIII  42,  1  (Pontifices  und  Epulones). 
XXVII  37,  13  (Decemviri  s.  f.)  und  mehr  bei 
MoKMSEN,  Staatsr.  l  406. 

*)  Lex  col.  Genet.  c.  66:  eisque  pontifi- 
cib(u8)  auguribusque  ludis,  quot  publice 
magistratus  facient,  et  cum  ei  poniific(es) 
augures  sacra  publica  c(oloniae)  G(enetivaeJ 
I(uliae)  facient,  togas  praetextas  habendi 
itis  potestasq(ue)  esto.  Das  Statut  über  den 
Provinzialflaminat  der  Narbonensis  (CIL  XII 
6038)  ordnet  ffir  den  gewesenen  Flamen 
an  Z.  16:  eisque  diebua,  quibus,  cum  flamen 
esset,  sacrificium  fecei'it,  ea  veste  pufblice 
uti,  qua  in  eo  faciendo  usus  est];  daher  er- 
scheiut  der  Flamen  Dialis,  der  stets  im 
Dienste  ist,  immer  in  der  Praetexta  (Serv. 
Aen.  Vni  552),  und  die  Arvalen  legen  die 
Praetexta  an  den  Tagen  ihres  Mai  festes 
nur  zu  den  eigentlichen  gottesdienstlichen 
Handlungen    an,     nach    deren    Beendigung 


wieder  ab  (Hbnzbn,  Acta  S.  14.  28). 

')  Serv.  Aen.  VII  612:  Suetonius  inlibro 
de  genere  vestium  dicit  tria  esse  genera  tra- 
beai'um :  unum  dis  sacratum,  quod  est  tan- 
tum  de  purpura;  aliud  regum,  quod  est 
purpureum,  höhet  tarnen  album  aliquid; 
tertium  augurale  de  purpura  et  cocco  (vgl. 
VII  188);  in  der  Angabe  ebd.  VII 190:  ancHe 
et  trabea  communia  sunt  {augurt)  cum  Diali 
vel  Martiali  sacerdote  erregen  die  letzten 
Worte  schon  durch  ihre  Fassung  Bedenken ; 
das  ancile  weist  auf  die  Salier,  die  that- 
sächlich  die  Trabea  tragen  (Dion.  Hai.  II  70,2). 
MoKMSBNs  (Staatsr.  I  414)  Auffassung  der 
Trabea  als  des  Kriegsgewandes  scheint  mir 
durch  E.  Samter,  Philol.  N.  F.  X  394  ff.  nicht 
widerlegt. 

^)  Der  Flamen  Dialis  trägt  eine  Toga 
aus  doppeltem  Wollstoff,  Ictena  genannt  (Serv. 
Aen.  IV  262  f.;  vgl.  Suet.  frg.  167  Reiff.;  vom 
Flamen  Carmentalis  Cio.  Brut.  56),  welcher 
als  Frauentracht  das  ricinium  (Varro  de  1. 1. 
V  133)  oder  die  rica  der  Flaminica  ent- 
spricht (Fest.  p.  277.   Paul.  p.  288). 

^)  Fest.  p.  355:  tutulum  vocari  eUunt 
flaminicarum  capitis  omamentum,  quod  fiat 
vitta  purpurea  innexa  crinibus  et  exstruc-^ 
tum  in  altitudinem;  vgl.  Varro  de  1.1.  VII  44 
und  die  tutulutae  {tovroXaiai)  bei  Dion.  Hai. 
II  22,  2 ;  übertragen  wird  auch  die  Spitzmtttze 
der  Pontifices  und  Flamines  tutulus  genannt 
(Fest,  und  Varro  a.  a.  0.). 

^)  Serv.  Aen.  U  683:  Suetonius  tria  ge- 
nera pilleorum  dixit,  quibus  sacerdotes  utun- 
tur,  apicem,  tutulum,  galerum:  sed  apicem 
pilleum  sutile  circa  medium  virga  eminente, 
tutulum  pilleum  lanatum  metae  figura,  ga- 
lerum pilleum  ex  pelle  hostiae  caesae  (die 
Definitionen  sind  willkürlich).  Paul.  p.  10: 
albogiderus  a  galca  nominatus,  est  enim 
jnleum    capitis,   quo  Diales  flamines,    i.  e. 


66.  Die  PrieBterordnnng. 


429 


Flamen  Dialis  noch  durch  einen  spitzen  Aufsatz  aus  Ölbaumholz  (apex) 
gekrönt  wird;^)  nur  bei  diesem  Priester  und  bei  den  Saliern  hat  sich  das 
Tragen  der  altertümlichen  Kopfbedeckung  erhalten,*)  während  sonst  die 
rituelle  Verhüllung  des  Hinterhauptes  durch  die  heraufgezogene  Toga  (oben 
S.  333  A.  1)  an  ihre  Stelle  trat.  Bei  den  öffentlichen  Spielen  steht  den 
Staatspriestern  ein  Ehrenplatz  zu,^)  ausserdem  üben  sie  in  weitem  Um- 
fange das  ins  publice  epulandi,  indem  sie  die  Hauptfesttage  ihres  Gottes- 
dienstes nach  dem  Opfer  durch  ausgedehnte  Festmahlzeiten  auf  Staats- 
kosten begehen.^)  Endlich  befinden  sich  sämtliche  Priester  im  Besitze 
der  vacatio  müitiae  tnunerisque  publici,  ^)  eine  Rechtsstellung,  die  ursprünglich 
aus  der  allgemein  geltenden  Unvereinbarkeit  des  Priesteramtes  mit  jeder 
öffentlichen  Thätigkeit  (oben  S.  410)  folgte,  nachher  aber  zu  einem  wert- 
vollen Privilegium  wurde.  ^ 

Ob  aUe  Priesterschaften  offizielle  Insignien  besassen,  ist  nicht  mit 
Sicherheit  auszumachen.  Der  durch  weisse  Binden  zusammengehaltene 
Ährenkranz,  den  die  Arvalbrüder  führen,  ^)  ist  das  einzige  direkt  bezeugte 


sacerdotes  lovis  utebantur;  fiehat  enim  ex 
hostia  alba  lovi  caesa,  cui  affigebatur  apex 
virgula  oleaginea.  Gell.  X  15,32:  verba  M. 
Varronia  ex  sectmdo  rerum  divinarum  super 
flamine  Diali  haec  sunt:  'is  solum  dlbum 
habet  galerum,  vel  quod  nuiximus,  vel  quod 
lovi  immolata  hostia  alba  id  fieri  oporteat* 

*)  Dass  apex  zunächst  nur  diesen  Auf- 
satz bezeichnet,  ist  nach  Paul.  p.  10.  Serv. 
Aen.  II  683.  X  270  zweifellos,  das  Wort  ist 
dann  aber  oft  von  der  ganzen  mit  dem  Apex 
versehenen  Kopfbedeckung  gebraucht  worden 
(z.  B.  Gell.  X  15, 17:  sine  apice  sub  divo  esse 
licitum  non  est,  vgl.  Serv.  Aen.  I  305) 

*)  Besonders  deutlich  ist  der  Apex  des 
Flamen  Dialis  zu  erkennen  auf  der  Opfer- 
darstellung Brünn-Bruokmakn  Taf.  269,  vgl. 
auch  O.Jahn,  Sachs.  Berichte  1868  Taf.  IVa 
und  die  eindringende  Erörterung  aller  die 
priesterliche  Kopfbedeckung  betreffenden 
Fragen  von  W.  Hblbio,  S.  Ber.  Akad.  Mün- 
chen 1880  I  487  ff.;  über  die  Ersetzung  der 
Motze  durch  eine  Wollbinde  (filum,  Varro  de 
1. 1.  V  84.  Serv.  Aen.  VIII  664;  auch  bei  den 
Fetialen,  Liv.  1  82,  6)  s.  E.  Samtbb,  Philol. 
N.  F.  VII  585  ff. 

•)  Lex  col.  Gen.  c.  66:  eisque  pontifici- 
b(us)  auguribfusjqfue)  ludos  gladiatoresq(ue) 
inter  decuriones  spectare  tus  potestasque  esto. 
CIL  XII  6088,  5:  [inter  decuriones  sjena- 
toresve  subsellio  primo  spectanfdi  ludos  ius 
esto].  Amob.  IV  34  und  mehr  bei  Mommsbn, 
Staatsr.  I  390,  5.  Den  Arvalbrüdem  werden 
durch  Kaiser  Titus  im  neuerbauten  Amphi- 
theatrum  Flavium  Plätze  angewiesen,  CIL 
VI  2059,  25  ff.  und  dazu  Hülsen,  Bull.  arch. 
com.  XXII 1894,  312  ff. 

*)  Die  Arvalbrüder  erhalten  für  jede 
Mahlzeit  ihres  Maifestes  eine  sportula  von 
je  100  (später  25)  Denaren,  Hbkzeh,  Acta 
iS.  16.  45.   Die  collegiorum  cenae  (Varro  de  re 


mst.  III  2,  16)  als  Beispiele  des  höchsten 
Tafelluxus  werden  häufig  erwähnt,  eine 
cena  auguralis  bei  Cic.  epist.  VII  26,  2,  die 
dapes  pontificum  bei  Martial.  XII  48, 12.  Hör. 
carm.  U  14, 28  (vgl.  auch  Fun.  n.  h.  XXVIII 
27)  und  insbesondere  die  sprichwörtlich  ge- 
wordenen epulae  saliares  (Cic.  ad.  Att.  V9, 1. 
Hör.  carm.  I  37,  2  m.  Schol.  Suet.  Claud.  33. 
Fest.  p.  329.  Apul.  met.  IV  22.  VII  10.  IX  22. 
Auson.  epist.  5,  13  p.  227  Peip.  Symm.  epist. 
I  23.  Tertull.  apol.  39). 

^)  Lex  col.  Gen.  c.  66:  iisque  pontifidbus 
augurifbjusque,  qui  in  quoque  eorum  collegio 
eru/nt,  liberisque  eorum  milüiae  tnunerisque 
publici  vacatio  sacro  sanctius  esto,  uti  pon- 
tifici Romano  est  erit,  [ajefrjaque  militaria 
ei  omnia  merita  sunto,  und  dazu  die  Erläu- 
terung von  MoMMSEN,  Eph.  epigr.  III  p.  100  f. 
Die  vacatio  militiae  gilt  extra  tumultum 
Gallicum  ItaUcumque  (Plut.  Camill.  41  vgl. 
mit  Cic.  Phil.  V  53),  über  die  Ausdehnung 
der  vaccUio  muneris  (Cic.  Acad.  pr.  II  121) 
konnten  gelegentlich  Meinungsverschieden- 
heiten entstehen  (z.  B.  Cic.  Brut.  117.  Digest. 
IV  8,  32,  4).  Dass  diese  Immunität  alle 
Priesterschaften,  nicht  nur  die  grossen  Col- 
legien,  traf,  zeigt  die  Thatsache,  dass  auch 
die  Sacerdotes  Lanuvini  (CIL  IX  4206—4208. 
4311)  und  Caeninenses  (CIL  X  8704)  sie  be- 
sitzen. Vgl.  Ulpian.  Frg.  iur.  Vatic.  173a. 
Cod.  Theodos.  VIII  5,  46. 

•)  Ein  Versuch  der  Priester  (ab  augu- 
ribus  pontificibusque),  ausser  der  Personallast 
des  Militärdienstes  auch  die  Reallast  des 
Tributum  von  sich  zu  weisen,  wurde  im  J. 
55S  =  196  vereitelt  (Liv.  XXXIII  42,4). 

^)  Plin.  n.  h.  XVIII  6:  spicea  Corona, 
quae  vitta  alba  colligaretur,  sacerdotio  ei 
pro  religiosissimo  insigni  data.  Gell.  VII  7, 8 : 
insigne  est  spicea  Corona  et  albae  infulae: 
vgl.  Henzbn,  Acta  S.  28. 


430 


Religion  und  Knltas  der  BOmer.    m.  KnltnB. 


Insigne  dieser  Art,  der  Lituus  der  Augurn  und  das  Ancile  der  Salier  hängen  so 
eng  mit  ihrer  Thätigkeit  zusammen,  dass  ihre  Verwendung  als  Wappenzeichen 
leicht  zu  verstehen  ist,  und  auch  dass  der  Dreifuss  im  Dienste  der  Quin- 
decimvirn  eine  wichtige  Rolle  spielte ,  ist  bezeugt  (Serv.  Aen.  III  332) ; 
aber  inwieweit  die  Führung  solcher  Embleme  auf  fester  Satzung  beruhte, 
ist  zweifelhaft,  und  die  zu  Ehren  der  Aufnahme  der  Kaiser  und  kaiser- 
lichen Prinzen  in  die  grossen  Priestertümer  geschlagenen  Münzen  ^)  geben 
in  so  fern  keine  unzweideutige  Antwort,  als  sie  vielfach  variierende  Com- 
binationen  von  Sacralgerätschaften,  oft  nicht  einmal  unter  Bewahrung  der 
Vierzahl,  darbieten;  namentlich  für  den  Pontificat  finden  wir  nicht  nur  die 
seit  BoBGHEsi  als  sein  Symbol  geltende  Schöpfkelle  (simpulum),  sondern 
auch  Messer,  Kanne,  Weihwcdel,  Apex  und  andere  Gerätschaften  ver- 
wendet, so  dass  die  amtliche  Anerkennung  eines  bestimmten  Emblems  als 
Insigne  sehr  unsicher  erscheint.^) 

Litteratar.  L.  Mbrcklin,  Ueber  die  Anordnung  nnd  Einteilung  des  römischen 
Priestertums,  Mölanges  gröco-romains  I  (1852)  S.  305  ff.  Momksen,  Rom.  Staatsr.  II  17  ff. 
Mabquabdt,  Rom.  Staatsverwaltmig  III  218  ff.  Madvio,  Verfassung  und  Verwaltung  d. 
röm.  Staates  II  599  ff. 

67.  Das  PontificalcoUegium.  Das  collegium  pontificum  in  seiner 
Gesamtheit')  stellt  diejenige  priesterliche  Behörde  dar,  welcher  die  Wahr- 
nehmung der  caerimonias  et  sacra*)  im  ganzen  Umfange  des  pattius  rüus 
obliegt:  denn  während  die  übrigen  Priesterschaften  alter  Ordnung  durch* 
weg  Träger  von  Spezialfunktionen  sind,  bestellt  entweder  zur  Wahrung 
und  Anwendung  bestimmter  priesterlicher  Wissenschaften  und  Satzungen, 
wie  die  Augurn  und  die  Fetialen,  oder  zur  Ausführung  genau  bezeichneter 
Kulthandlungen  einzelner  Gottesdienste,  wie  die  Salii,  Luperci,  Arval- 
brüder  und  Sodales  Titii,  fallen  den  Pontifices  alle  Obliegenheiten  des 
regelmässigen  staatlichen  Gottesdienstes  ältester  Ordnung  zu,  über  die  nicht 
durch  besondere  Anordnung  anderweitig  verfügt  ist.    Wenn  ursprünglich 


^)  Übersicht  bei  Hasel,  De  pontif.  condic. 
publ.  S.  66  ff.,  der  die  Meinung  Bobohbsis, 
wonach  der  Stierschädel  {hucranium)  das 
Insigne  der  Sodales  Augustales  gewesen 
wäre,  mit  Recht  zurückweist;  s.  auch  Philol. 
N.  F.  V  351  ff. 

*)  Nach  BoBGHBSi,  Oeuvres  I  348  ff.  III 
428  ff.  sind  Simpulum,  Lituus,  Dreifuss  und 
Patera  die  Insignien  der  Pontifices,  Augurn, 
Quindecimvim  und  Epulones;  sie  finden  sich 
so  vereinigt  auf  ie  2  Münzen  des  August us  und 
des  Nero  und  sollen  dort  sicher  die  genannten 
4  Collegia  repräsentieren;  aber  bei  den  zahl- 
reichen Variationen  auf  andern  Münzen  der- 
selben Beziehung  (Habbl  a.  a.  0.)  und  der 
wenig  ausgeprägten  Bedeutung  von  Simpulum 
und  Patera  kann  in  diesen  Fällen  die  Aus- 
wahl dieser  beiden  Symbole  für  die  Ponti- 
fices und  Epulones  sehr  wohl  auf  freier 
Entscheidung  des  Münzstempelschneiders 
bezw.  seines  Auftraggebers  beruhen. 

')  Wo  im  technischen  Sprachgebrauche 
vom  coüeffium  pontificum  die  Rede  ist,  ist 
dieses  immer  im  weiteren  Sinne  gemeint,  d.  h. 
mit  Einschluss  des  Rex  und  der  Flamines;  das 


zeigt  Cic.  de  domo  135:  praesertim  cum  ex 
coUegio  tanto  non  regem,  nan  flaminem,  Kon 
pontificem  videret  (vgl.  auch  127)  und  die 
Aufzählung  der  an  der  Abgabe  des  Ponti- 
ficaldecretes  über  Ciceros  Haus  beteiligten 
collegae  de  har.  resp.  12,  unter  denen  sich 
auch  der  Rex  und  die  Flamines  Martialis 
und  Quirinalis  (die  Stelle  des  Diab's  und 
wohl  alle  kleinen  Flaminate  waren  damals 
unbesetzt,  s.  oben  S.  64  f.)  befinden  und 
zwar  der  Anciennität  nach  mit  den  Ponti- 
fices in  derselben  Reihe  rangierend,  sowie 
am  Schlüsse  die  Pontifices  minores  (s.  unten). 
Da  Frauen  von  der  Beratung  natürlich  aus- 
geschlossen sind,  so  fehlen  hier  die  Vesta- 
linnen;  sie  erscheinen  aber  (neben  Pontifices, 
Rex,  Pontifices  minores)  bei  der  cena  adi- 
ticUis  eines  Flamen  Martialis,  Macr.  S.  III 
18, 11 ;  vgl.  über  beide  Listen  Mommsbf,  Röm. 
Forsch.  1  87  f.  Anm.  34  f. 

^)  ünum  {gentis  sctcerdotum)  quod 
praesü  ccierimoniis  et  sacriSj  Cic.  de  leg. 
ü  21  vgl.  30:  gut  sacris  praesint  soUemni- 
bus;  de  har.  resp.  18:  statcu  soüemnisgue 
caerimonias  ponttficatu  {continert). 


67.  Das  PontifloalooUegiam. 


431 


der  König,  dem  als  Walterin  am  Staatsherde  seine  Gattin  und  als  Opfer- 
diener und  Gehilfen  seine  Söhne  zur  Seite  gestanden  haben  mögen,  die 
Ausführung  der  sacra  publica  in  derselben  Weise  gehandhabt  hat,  wie  der 
Paterfamilias  den  häuslichen  Gottesdienst,  so  hat  sieh  beim  Anwachsen  der 
Gemeinde  und  bei  der  Zunahme  der  sacralen  Anforderungen  für  den  König 
die  Notwendigkeit  einer  Entlastung  herausgestellt,  die  teilweise  durch 
Heranziehung  eines  consilium  zur  Entscheidung  strittiger  Fragen  des  ins 
divinum,  teilweise  durch  Bestellung  von  Stellvertretern  für  die  Ausführung 
von  Opferhandlungen  erreicht  wurde.  So  hat  sich  Schritt  für  Schritt  eine 
allmälige  Loslösung  des  Priestertumes  vom  Königsamte  vollzogen,^)  bis 
mit  dem  Beginne  der  Republik  das  PontificalcoUegium  die  Gesamtheit  der 
einstmals  vom  Könige  in  seiner  Eigenschaft  als  Gemeindepriester  ausge- 
übten Funktionen  in  der  Weise  übernahm,  dass  ihm  der  ganze  vorschrifts- 
mässige  Kultus  der  von  der  Gemeinde  anerkannten  Götter  alter  Ordnung 
und  die  Bewahrung  der  heiligen  Rechtssatzungen  und  Traditionen  zufiel, 
während  den  Magistraten  die  Vertretung  der  Gemeinde  durch  Gelübde  und 
Weihung,  Gebet  und  Opfer  im  besonderen  Falle  kraft  ihres  imperium  zu- 
stand (s.  oben  S.  888  ff.).  Eine  Erinnerung  daran,  dass  das  Pontifical- 
coUegium der  Rechtsnachfolger  des  Königs  ist,  hat  sich  für  alle  Zeiten 
darin  erhalten,  dass  die  Regia,')  das  alte  Königshaus  an  der  heiligen 
Strasse,  das  Amtslokal  des  GoUegiums  geblieben  ist,  in  welchem  dieses 
seine  Versammlungen  abhielt,^)  Opferhandlungen  stattfanden,^)  heilige  Ge- 
räte und  Symbole  aufbewahrt  wurden,^)  und  wahrscheinlich  auch  das  Archiv 
der  Priesterschaft  seinen  Platz  hatte,  ^)  während  die  Dienstwohnungen  der 
verschiedenen  zum  Collegium  gehörenden  Priester  in  der  nächsten  Nach- 
barschaft gelegen  waren.  ^) 


*)  Die  Gberliefemng  laset  dies  auf  ein- 
mal geschehen,  indem  sie  dem  Nama  Pom- 
pilius  die  Einsetzung  der  Pontifices,  Flamines 
und  Vestalinnen  (von  den  sonstigen  Priester- 
tümem  abgesehen)  znschreibt;  das  Material 
bei  ScHWB6LBB,  Rom.  Gesch.  I  542  S. 

')  Sie  ist  als  fanum  consecriert,  Fest, 
p.  278;  vgl.  Cass.  Dio  XLVIIl  42,  6.  Im  all- 
gemeinen s.  Jordan,  Topogr.  I  2  S.  423  ff. 
ÜÜU9BN,  Jahrb.  d.  arch.  Instit.  IV  1889  S.  228  ff. 

»)  Plin.  epist  IV  11,  6  (Domitian)  pon- 
tifices  non  in  regiam  sed  in  Albanam  vülam 
convocavit;  auch  die  Arvalen  treten  im 
J.  14  n.  Chr.  in  der  Regia  zusammen,  CIL 
VI  2023  a  9.  18.  Ein  in  der  Regia  vorge- 
fallenes Prodigium  wird  von  den  Pontifices 
dem  Senate  gemeldet.  Gell.  lY  6,  2. 

*)  So  an  den  Opiconsivia  (25.  August, 
CIL  I '  p.  327)  im  sacrarium  Opis  Consivae 
(Varro  de  1.  1.  VI  21,  vgl.  Pest.  p.  186);  an 
allen  Kalendae  opfert  die  Regina  sacrorum 
porcam  vel  agnam  in  regia  lunani  (Macr. 
S.  I  15,  19),  ebenso  an  aUen  Nundinae  die 
Flaminica  in  regia  lovi  arietem  (Macr.  S.  I 
16,  30);  ebendaselbst  findet  das  Opfer  des 
Widders  an  Janus  durch  den  Rex  am  Ago- 
nium  (9.  Jan.)  statt  (Varro  de  1. 1.  VI  12);  das 
Blut   aus  dem  Schwänze  des  Oktoberrosses 


wird  auf  den  Herd  der  Regia  geträufelt,  das 
Haupt  des  Pferdes  an  ihrer  Wand  angenagelt 
(Fest.  p.  178,  vgl.  Cass.  Dio  XLIH  24,  4). 
Endlich  kennen  wir  auch  ein  sacrificium, 
das  die  aaliae  virgines  zusammen  mit  dem 
Pontifez  in  der  Regia  vollziehen  (Fest.  p.  329). 

^)  So  die  htutae  Mortis  (in  sacrario 
regiae  Gell.  IV  6, 2)  und  praefericulum  und 
secespita  im  sacrarium  der  Ops  Consiva 
(Fest.  p.  249.  348  mit  der  Herstellung  von 
JoBDAiT,  Topogr.  II  274  f.). 

*)  Man  kann  das  aus  der  Thatsache 
schliessen,  dass  die  Consularfasten  auf  den 
marmornen  Aussenw&nden  der  von  Cn.  Do- 
mitius  Calvinus  im  J.  718  =  36  prächtig 
restaurierten  Regia  eingegraben  waren ;  vgl. 
HÜU9BN  a.  a.  0.  S.  247  ff.;  Hermes  XXIV  1889 
8.  185  ff  CIL  Pp.  5  ff. 

')  Dicht  dabei  liegt  der  Tempel  der 
Vesta  mit  dem  Hause  der  Vestalinnen  {atrium 
Vestae,  s.  unten),  das  deshalb  auch  zuweilen 
atrium  regium  genannt  wird  (Liv.  XXVI 27, 3. 
XXVll  11,  16);  an  dieses  stösst  {ofAoxoixog 
Cass.  Dio  LIV  27,  8,  der  aber  die  Wohnung 
des  Rex  sacrorum  mit  der  des  Pontifex  ma- 
ximus  verwechselt;  ähnliche  Confusion  bei 
Serv.  Aen.  VIII  363,  der  ausserdem  noch  die 
Regia  mit  der  Wohnung  des  Pontifex  max. 


482 


Religion  und  Knltiui  der  BOmer.    III.  Knltiui. 


Das  collegium  pontificum  setzt  sich  zusammen  aus  einer  Mehrheit  nach 
Namen,  Alter  und  Bangstellung  verschiedener,  aber  in  ihrer  Wirksamkeit 
zu  einer  einheitlichen  Organisation  zusammengefasster  Priestertümer,  die 
sämtlich  schon  in  alter  Zeit  auch  ausserhalb  Roms  in  Latium  nachweisbar 
sind^)  und  wahrscheinlich  nach  Benennung  und  Funktion  zum  Gemeingut 
latinischer  Sacral Verfassung  gehören.     Es  umfasst  folgende  sacerdotia' 

1)  die  Pontifices,*)  von  Haus  aus  ein  beratendes  consüium  des  Königs 
wie  nachher  des  Pontifex  maximus,')  von  ursprünglicher  Dreizahl  nach 
und  nach  auf  6,  9,  15  und  durch  Caesar  auf  16  vermehrt;^) 

2)  den  Rex  sacrorum,  ^)  Träger  derjenigen  priesterlichen  Funktionen, 
die  der  König  bis  zuletzt  in  eigener  Person  ausgeübt  hatte  und  deren 
Vollziehung  an  den  Königsnamen  gebunden  schien; 

3)  die  Flamines,  Einzelpriester  für  je  eine  bestimmte  Gottheit,  deren 
Namen  sie  auch  im  Titel  führen/)  insgesamt  15  (Fest.  p.  154),  nämlich 
die  3  flamines  maiores  DibUs^  Martialis,  Quirinalis^)  und  12  flamines  minores, 
von  denen  wir  nur  noch  10  namhaft  machen  können;^) 


identificiert)  die  dem  Pontifex  maximoe  zur 
Amtswohnung  angewiesene  domiM  piiblica 
(Suet.  Caes.  46,  vgl.  Gase.  Dio  a.  a.  0.)>  und 
dicht  bei  der  Regia  liegt  auch  die  Schola 
der  kalatores  pontificum  et  flaminum  (s. 
unten  S. 447),  HüL8BN,Röm.Mitt.XIV  262.  Die 
flaminia  (sc.  domus),  d.  h.  die  Amtswohnung 
des  Flamen  Dialis  (Gell.  X  15,  7.  Paul.  p.  89. 
106.  Serv.  Aen.  II  57.  VIII  368),  kann  nach 
der  Erzählung  des  Gass.  Dio  LIV  24, 4  nicht 
weit  vom  Vestatempel  entfernt  gewesen  sein, 
und  der  Rex  sacrorum  hat  sein  Haus  am 
andern  (östlichen)  Ende  der  Sacra  via  (Fest. 
p.  290).  Die  übrigen  Flamines  und  die  Ponti- 
nces  hatten  wohl  sicher  keine  Amtswohnung. 

')  Vgl.  die  Indices  zu  GIL  XIV,  auch 
IX.  X.  Die  Frage,  ob  die  Benennung  des 
Priestertums  ursprünglich  oder  von  Rom 
übernommen  ist,  muss  für  jeden  Ort  beson- 
ders entschieden  werden;  von  Wichtigkeit 
ist  namentlich  die  Wiederkehr  der  römischen 
Priesterbezeichnungen  in  zahlreichen  lati- 
nischen  Gottesdiensten,  in  denen  nicht  wohl 
überall  Übertragung  von  Rom  her  ange- 
nommen werden  kann;  so  finden  wir  Ponti- 
fices  in  Praeneste  (Serv.  Aen.  VII  678),  Tibur 
(GIL  XIV  3650.  3674.  4258)  und  Ostia  {pon- 
tifex Volcani  et  aedium  sacrarum^  GIL  XIV 
p.  5),  Vestalische  Jungfrauen  in  Tibur  (GIL 
XIV  3677.  3679),  einen  Rex  sacrorum  in 
Tusculum  (GIL  XIV  2634)  und  in  Velitrae 
(GIL  X  8417),  einen  Flamen  Dialis  in  Tibur 
(GIL  XIV  8586),  Flamen  Martialis  in  Aricia 
(GIL  XIV  2169),  alle  diese  Würden  endlich 
in  den  zu  römischen  Priestertümem  gewor- 
denen sacerdotia  altlatinischer  Städte,  wie 
Lavinium,  Alba  u.  a.  (die  Belege  s.  unten 
S.  448  A.  8.  5.  11). 

')  Der  Name  ist  seiner  Zusammensetzung 
nach  eben  so  klar  (denn  trotz  aller  alten 
und  neuen  Versuche  erweist  sich  jede  andere 
Ableitung   als  die  von  pons  und  facere  als 


unmöglich;  s.  die  Etymologien  bei  Rospbb, 
Lucubrationum  pontificalium  primitiae,  Gedani 
1848 S.5ff.  MABQUABDT.Staatsverw.  III 235 ff.) 
wie  seiner  Bedeutung  nach  rätselhaft;  seine 
Entstehung  liegt  wahrscheinlich  schon  in  vor- 
römischer Zeit. 

*)  MoMMSBN,  Staatsr.  II  21. 

^)  Drei  Pontifices  hat  die  Golonie  ürso 
(Lex  col.  Genet.  c.  67),  6  die  Golonie  Gapua 
(Gic.  de  leg.  agr.  II  96),  und  auf  letztere  Zahl 
fuhrt  auch  die  Geschichtskonstruktion  (Cic 
de  rep.  11,  26),  die  den  Numa  5  Pontifices 
einsehen  lässt,  da  diesen  der  König  als  Vor- 
gänger des  Pontifex  maximus  hinzuzurechnen 
ist.  Dass  nach  der  Lex  Ogulnia  die  Zahl 
der  Pontifices  wie  die  der  Augum  9  betrug, 
hat  (gegenüber  der  falschen  Angabe  des  Liv. 
X  6,  6.  8,  3.  9,  2:  octo  pontificnm  . .  numerus 
factus)  C.  Babdt,  Priester  der  vier  grossen 
Gollegien  S.  32  f.  nachgewiesen.  Über  die 
Erhöhung  der  Stellenzahl  auf  15  (durch  Sulla) 
und  16  s.  Liv.  per.  LXXXIX.  Gass.  Dio 
XLU  51,  4. 

')  Dies  ist  die  einzige  offizielle  Form  des 
Namens  in  den  Inschriften  und  sonst  im 
technischen  Sprachgebrauche;  daneben  un- 
technisch  rex  sacrificiorum,  rex  aacrificulus 
und  rex  schlechthin,  s.  Momxsbf,  Staatsr. 
II 14,  3. 

•)  Gic.  de  leg.  U  20  (vgl.  29):  divisgue 
t  aliis  sacerdotes,  omnibus  pontifices,  singulis 
jflamines  sunto.  Varro  de  1.  1.  V  84:  Fla- 
mines quod  in  Lotio  capüe  velato  erant 
semper  ac  caput  cinctum  habebant  filo,  fla- 
mines dicti  (vgl.  Paul.  p.  87.  Serv.  Aen.  Vm 
664.  X  270.  Dion.  Hai.  n  64, 2.  PlutNuma?); 
homm  singuli  cognomina  Jhobeni  ab  eo  deo, 
cui  Sacra  faciunt. 

')  Paul.  p.  151.  Gaius  1 112;  vgl.  Cic. 
Phü.  II  110.  Liv.  I  20,  2.  Plut.  Numa  7. 

^)  Paul.  Gaius  a.  a.  0.  Die  6  letzten  der 
Reihe  (dass  es  diese  sind,  zeigt  Fest.  p.  154) 


67.  Das  Pontifloaloolleginm. 


483 


4)  die  Virgines  Vestalee,  in  historischer  Zeit  sechs  an  der  Zahl,^) 
Vertreterinnen  der  Hausfrau  an  der  vesta  publica  p.  R,  Quir.  zur  Wahrung 
des  heiligen  Herdfeuers  und  Bereitung  der  für  den  Opferdienst  erforder- 
lichen Stoffe. 

All  diese  Priestertümer  bilden  seit  Beginn  der  Republik  eine  recht- 
liche Einheit:  sie  stehen  alle  im  gleichen  Abhängigkeitsverhältnisse  zum 
Pontifex  maximus  (s.  unten),  vertreten  sich  gegenseitig  in  ihren  Amts- 
funktionen'),  kommen  zu  gemeinsamen  Verhandlungen  zusammen  und 
rangieren  in  einer  gemeinsamen  Anciennitätsliste  (s.  oben  S.  480  A.  8),  wes- 
halb auch  die  Bekleidung  zweier  Würden  dieses  Kreises  durch  dieselbe  Person 
ausgeschlossen  ist  (oben  S.  428).  Soweit  sie  dem  Dienste  bestimmter  ein- 
zelner Gottheiten  geweiht  sind,  stehen  sie  unter  sich  in  einer  festen  Rang- 
ordnung, die  durch  die  im  Kulte  gegebene  Reihenfolge  der  repräsentierten 
Gottheiten  bestimmt  ist  (s.  oben  S.  20),  obenan  der  Rex  sacrorum  als  Ver- 
treter des  Janus  und  zugleich  als  nomineUer  Träger  der  Würde,  von  der 
das  ganze  Gemeindepriestertum  seinen  Ausgang  genommen  hat,  nach  ihm 
die  drei  grossen  Flamines  des  Juppiter,  Mars  und  Quirinus,  dann  erst  der 
Pontifex  maximus,  nicht  in  seiner  Stellung  als  Leiter  des  ganzen  Collegiums, 
sondern  als  männlicher  Vertreter  der  Vestalinnen;  den  Schluss  machen  die 
Flamines  minores  in  fester  Abfolge  bis  hinunter  zum  letzten,  dem  Pomo- 
nalis.')  In  ähnlicher  Weise  stuft  sich  auch  Strenge  und  Kompliziertheit 
der  für  die  einzelnen  Priestertümer  geltenden  Ceremonialvorschriften  ab, 
wobei  es  allerdings  schwer  zu  entscheiden  ist,  inwieweit  es  sich  um  ur- 
sprüngliche Verschiedenheit  der  Ritualbestimmungen  oder  aber  um  eine 
spätere  Abänderung  auf  Grund  veränderter  äusserer  Verhältnisse  handelt; 
aber  auch  wo  der  letztere  Fall  vorliegt,  weist  die  Thatsache,  dass  für 
den  Rex  sacrorum  und  den  Flamen  Dialis  oder  überhaupt  die  drei  grossen 
Flamines  —  um  von  den  durch  ihr  Geschlecht  in  eine  Sonderstellung  ver- 
wiesenen Vestalinnen  zunächst  abzusehen  —  an  den  alten  Sacralsatzungen 
trotz  ihrer  Unverträglichkeit  mit  den  praktischen  Anforderungen  späterer 
Zeit  viel  zäher  festgehalten  worden  ist,  als  für  die  Pontifices  und  die 


fahrt  EnnioB  bei  Varro  de  1.  1.  VII  45  an: 
Yolturnalis  (Paul.  p.  379),  Palatualis  (Fest. 
p.  245;  die  Inschriften  CIL  VID  10500.  XI 
5031  nennen  ihn  pontifex  PcUattMilis),  Forri- 
nalis  (Varro  de  1.  1.  V  84.  VI  19),  Floralis 
(CIL  IX  705),  FaUcer  (Varro  de  1.  1.  V  84), 
Pomonalis  (Fest.  p.  154.  CIL  DI  Sappl.  12732), 
dazu  kommen  durch  andre  Zeugnisse  der 
Flamen  Volcanalis  (Varro  de  1.  L  V  84.  Macr. 
S.  I  12,  18.  CIL  VI  1628),  Cerialis  (CIL  XI 
5028),  Carmentalis  (Cic.  Brut.  56.  CIL  VI 
3720  =  Eph.  epigr.  IV  759)  und  Portnnalis 
(Fest  p.  217). 

>)  Nach  Dion.  Hai.  II  67,  1.  HI  67,  2. 
Plut.  Numa  10  waren  es  ursprünglich  vier,  die 
dann  auf  sechs  vermehrt  wurden  (die  Sechs- 
zahl auch  hei  Fest.  p.  344);  ganz  am  Aus- 
gange des  Heidentums  hören  wir  von  sieben 
Vestalinnen,  Ambros.  epist.  I  18,  II.  Expos, 
tot.  mundi  p.  120  Riese. 

Bftndbuoli  der  klaM.  AltertnaMwineiiBchaft.  V,  4, 


*)  Sowohl  der  Rez  (Fest.  p.  258)  wie 
der  Flamen  Dialis  (Tac.  ann.  III  58:  aciepe 
pontifices  Diaiia  sacra  fecisse,  ai  flamen 
väletudine  aut  munere  publice  impediretur) 
kann  durch  einen  Pontifex  vertreten  werden. 

*)  Fest  p.  185:  ordo  scuierdotum  aesti- 
mcUur  deorum  fordine  et  ut]  mciximus  quis- 
que:  nuiximus  videtur  rex,  dein  Diaiis,  post 
hunc  Martialis,  quarto  loco  Quirinalis,  quinto 
pontifex  mcixifnus,  itaque  in  [convimia] 
soha  rex  supra  omnis  accubat  (Serv.  Aen. 
II  2),  8ic  et  Dialis  supra  Martiaiem  et  Qui- 
rinaiem  (Gell.  X  15, 21),  Martialis  supra  pro- 
ximum,  omnes  item  supra  pontificem.  Fest, 
p.  154:  maximae  dignationis  flamen  Dicdis 
est  inter  quindecim  flami/nes,  et  cum  certa 
discrimina  maiestcUis  suae  haheant,  minimi 
habetur  Pomonalis,  quod  Pomona  levissimo 
frudui  affrorum  praesidei  pomis. 


28 


434 


OD  und  Knltui  der  BOmor.    IIL  Knltiui. 


kleineren  Flamines,  auf  höhere  Ehrwürdig^eit  und  damit  auf  höheres 
Alter  jener  Priestertümer  hin.^)  Der  ursprünglich  viel  weiter  greifeude 
(s.  oben  S.  410)  Grundsatz  von  der  Unvereinbarkeit  priesterlicher  und  magi- 
stratischer  Funktion  ist  in  seiner  vollen  Strenge  nur  für  den  Rex  sacromm 
bis  in  die  Eaiserzeit  hinein  aufrecht  erhalten  worden,*)  fQr  den  Flamen 
Dialis^)  wurde  er  dahin  eingeschränkt,  dass  bei  ihm  wenigstens  die  Be- 
kleidung stadtischer  Ämter  toleriert,*)  ihm  dagegen  eine  Thatigkeit  in  der 
Provinz  mit  Rücksicht  auf  die  für  ihi)  geltenden  Verbote,  länger  als  eine 
Nacht  von  der  Stadt  fem  zu  bleiben,  ein  Pferd  zu  besteigen  oder  ein 
Heer  in  Waffen  zu  sehen,  versagt  wurde,  ^)  während  den  Flamines  Martialis 
und  Quirinalis  diese  ihnen  lange  ebenfalls  verschlossene  kriegerische  Wirk- 
samkeit am  Ende  der  Republik  und  in  der  Eaiserzeit  zugestanden  war;^) 
die  Pontifices  aber  unterlagen  in  Bezug  auf  die  Ämterbekleidung  in  histo- 
rischer Zeit  keiner  Beschränkung,  wenn  auch  die  Pontifices  maximi  ans 
gebotener  Rücksichtnahme  auf  die  cura  sacrorum  es  ablehnten,  ein  Kom- 
mando ausserhalb  Italiens  zu  übernehmen,^)  ein  Brauch,  der  zum  ersten 
Mal  im  J.  623  =  131  durchbrochen  wurde.®;  Nur  vom  Rex  und  den  drei 
grossen  Flamines  wird  verlangt,  dass  sie  nicht  nur  von  patricischer  Ab- 
kunft sein,^)  sondern  aus  einer  confarreierten  Ehe  stammen  und  selbst  in 


')  Die  Stelle  des  Rex  saGrorum  kann 
als  älteste  im  Colleginm  natürlich  nur  inso- 
fern gelten,  als  ihr  Inhaber  die  priesterliche 
Thatigkeit  des  Königs  unmittelbar  fortsetzt. 
Dass  es  einen  Rex  sacromm  erst  seit  dem 
Ende  des  Königtums  gibt,  ist  nicht  nur  über- 
liefert (Liv.  II  2, 1.  Dion.  Hai.  IV  74, 4.  Flut. 
Qu.  Rom.  63.  Fest.  p.  318),  sondern  auch  so 
selbstverständlich,  dass  es  bei  der  Diskus- 
sion über  die  iotucmenta-lnBchnfi  nicht  hätte 
in  Zweifel  gezogen  werden  sollen. 

^)  Dion.  Mal.  Flut.  aa.  00.;  ein  Versuch, 
diesen  Grundsatz  zu  durchbrechen,  wird  im 
J.  574  =180  gemacht,  bleibt  aber  erfolglos 
(Liv.  XL  42,  8  ff.).  In  Trajans  Zeit  freilich 
wird  Cn.  Finarius  Severus  Consul,  Augur, 
Rex  sacrorum  genannt  (CIL  XL V  8604;  vgl. 
ein  andres  Beispiel  CIL  IX  2847). 

•)  Liv.  IV  54,  7:  salii  flaminesque  nus- 
quam  alio  quam  ad  sucrificandum  pro  po- 
pulo  sine  imperüs  ac  potestatibus  relinquan- 
tur.    Flut.  Qu.  Rom.  23. 

^)  Flamen  Diaiis  als  curulischer  Aedil 
554  =--  200,  Liv.  XXXI  50,  7  ff.;  als  Praetor 
inter  peregrinos  571  =  183,  Liv.  XXXIX 
45,  4. 

^)  Gell.  X  15,4:  equo  Dialem  flaminem 
vehi  religio  est  (Paul.  p.  81.  Flut.  Qu.  Rom. 
40.  Plin.  n.  h.  XXVIII  146),  item  religio  est 
classem  procinctam  extra  pomerium  id  est 
exercitum  armatum  videre  (Fest.  p.  249); 
idcirco  rarenter  flamen  Dialis  creatus  consul 
est,  cum  bella  consulibus  mandabantur»  Liv. 
V  52, 13:  flamini  Diali  noctem  unam  manere 
extra  urbem  nefas  est  (drei  Nächte  Flut. 
Qu.  Rom.  40.  Gell.  X  15,  14).  Tac.  ann.  III  71 : 


decretum  pontificum,  quotiens  non  valehtdo 
adversa  flaminem  Dialem  incessisset,  ut  pon- 
tificis  maximi  arbitrio  plus  quam  hinodhtm 
abesset,  dum  ne  diebus  publici  sacrificH  neu 
saepius  quam  bis  eundem  in  annum;  quae 
principe  Augusto  constituta  satis  ostende" 
bant  annuam  absentiam  et  provinciarumi 
administrationem  Dialibus  non  concedi, 

')  Serv.  Aen.  VIII  552:  veteri  sacrorum 
ritu  neque  Marticdis  neque  Quirinalis  flamen 
Omnibus  caerimoniis  tenebcUur,  quibus  flamen 
Dialis :  neque  diumis  sacrificiis  destinabantur 
et  abesse  eis  a  finibus  Italiae  licebat  neque 
semper  praetextam  neque  apicem  nisi  tem- 
pore sacrificii  gestare  soliti  erant,  Tac. 
ann.  III  58:  frustra  vulgatum  dictitans,  non 
licere  Dialibus  egredi  Italia,  neque  aliud 
itis  suum  quam  Martialium  Quirinaliumque 
flaminum ;  porro  si  hi  duxissent  provindaa, 
cur  Dialibus  id  vetitum?  Aber  in  dem  J.  512 
=  242  (Liv.  per.  XIX.  Val.  Max.  1  1.  2.  Tac. 
ann.  III  71)  und  628  =  131  (Cic.  Fhil.  XI  18) 
hatten  Consuln,  die  zugleich  Flamines  Mar- 
tiales  waren,  in  die  Provinz  nicht  gehen 
dürfen,  ebensowenig  im  J.  5G5  —  189  ein 
Flamen  Quirinalis  als  Praetor  (Liv.  XXXVII 
51,  Iff.);  vgl.  Liv.  XXIV  8,  10. 

')  Liv.  XXVIII  38,  12.  44,  11.  Cass.  Die 
frg.  56,  63  Melb.  Diod.  XXVII  3.  Flut.  Ti. 
Gracch.  21 ;  Serv.  Aen.  VIII  552:  cum . .  pon- 
tifidbus  non  liceat  equo  vehi  scheint  auf 
Verwechslung  mit  dem  Flamen  Dialis  zu  be- 
ruhen (oben  Anm.  5). 

«)  Liv.  per.  LIX,  vgl.  Gros.  V  10,  1. 

*)  Gio.  de  domo  38.    Paul.  p.  151. 


67,  Das  Pontifioaloolleginm. 


435 


einem  solchen  Ehebunde  leben  müssen/)  und  diese  Vorschrift  hängt  damit 
zusammen;  dass  an  dem  Priestertume  des  Rex  sacrorum  sowohl  wie  des 
Flamen  Dialis*)  ihre  Gattinnen,  die  Regina  sacrorum  3)  und  die  Flaminica, 
einen  grossen  Anteil  haben,  weshalb  sie  auch  mit  ihren  Gatten  den  strengen 
Bestimmungen  des  Geremonialgesetzes  unterstehen.  Die  komplizierte  speziell 
für  den  Flamen  Dialis  geltende  Sacralordnung^)  zeigt,  wie  dieser  Priester 
mit  seinem  ganzen  Leben,  seinem  ganzen  Hause,  all  seinen  Angehörigen, 
Tag  und  Nacht  dem  Dienste  der  Gottheit  geweiht  ist;^)  er  ist  cotidie  feriatus 
(s.  oben  S.  866  A.  2)  und  darf  an  Feiertagen  nicht  einmal  sehen,  dass 
jemand  anderes  arbeitet,^)  trägt  stets  die  priesterliche  Kopfbedeckung  und 
Kleidung,  selbst  bei  seinem  Bette  müssen  allezeit  Opfergaben  {strues  und 
fertum)  bereit  stehen;  in  seinem  Bett  darf  keine  andere  Person  schlafen, 
von  seinem  Herde  darf  Feuer  nur  zu  sacralen  Zwecken  genommen  werden, 
sein  Haar  darf  nur  ein  Freier  scheren  und  die  Ab&Ue  von  Haar  und 
Nägeln  werden  unter  einer  arbor  felix  vergraben;^)  nichts  darf  an  ihm 
sein,  was  einer  Fessel  gliche,  er  darf  nicht  schwören,^)  das  für  die  Priester 
allgemein  geltende  Verbot  des  feralia  attrectare^)  ist  für  ihn  und  seine 
Gattin  in  eine  Menge  von  Einzelvorschriften  zerlegt,  die  so  weit  gehen, 
dass  er  von  Dingen  wie  der  Ziege,  der  Bohne,  dem  Epheu  nicht  einmal 


')  Gai.  I  112:  quod  ius  etiam  nostris 
temporüms  in  usu  est;  nam  flamines  maiares, 
id  est  Diätes  Martiales  Quirinales,  itetn  reges 
sacrorum  nisi  ex  farrecUis  nati  non  leguntur 
ac  ne  ipsi  quidem  sine  ctmfarreatione  sacer- 
dotium  habere  possunt;  vgl.  Sery.  Aen.  IV 
374;  damit  h&ngt  es  zusammen,  dass  der 
Flamen  Dialis  sich  von  seiner  (Vau  nicht 
scheiden  darf  {matrimanium  flaminis  nisi 
motte  dirimi  ius  non  est  Gell.  X  15, 23,  vgl. 
Faul.  p.  89.  Sery.  Aen.  IV  29,  wonach  auch 
die  Flaminica  univiria  sein  muss;  mehr  bei 
Mabqüabdt,  Staatsverw.  III  828,  8)  und,  falls 
sie  stirbt,  sein  Amt  niederzulegen  hat  (Gell, 
a.  a.  0.  22.  Flut.  Qu.  Rom.  50). 

')  Schon  der  Umstand,  dass  flaminica 
ohne  Zusatz  stets  die  Gattin  des  Flamen 
Dialis  bezeichnet,  beweist,  dass  mindestens 
in  der  historischen  Zeit  die  Frauen  der  an- 
dern Flamines  keine  priesterlichen  Funktionen 
ausübten;  bei  dem  Antrittsschmause  des 
Flamen  Mariialis  bei  Macr.  III  13,  11  (s. 
oben  S.  430  A.  8)  ist  dessen  Gattin  nicht 
amtlich,  sondern  (mit  ihrer  Mutter)  als 
Hausfrau  anwesend. 

»)  CIL  VI  2123  f. 

*)  Caerimoniae  impositae  flamini  Dicdi 
mvXtae,  item  casttis  mültiplices  sagt  Gell.  X 
15,  1;  nach  dem  Vorbilde  dieser  Sacralord- 
nnng,  aber  mit  Weglassung  aller  Iftstigen 
Bestimmungen  und  Beibehaltung  nur  der 
Ehrenrechte  und  Privilegien  ist  das  Statut 
für  den  Flamen  des  provinzialen  Eaiserkultes 
an  der  Ära  Narbonensis  (CIL  XII  6038)  ge- 
staltet. 

^)  Die   Belege  zum  Folgenden  stehen 


meist  bei  Gell.  X  15,  die  übrigen  Zeugnisse 
sind  am  besten  gesammelt  bei  R.  Peter, 
Quaestionum  pontificalium  specimen  (Diss. 
Argentorati  1886)  S.  42  ff. ;  ich  beschränke 
mich  auf  eine  Auswahl  aus  den  Bestim- 
mungen. 

*)  Das  letztere  ist  ihm  mit  dem  Rex  und 
den  beiden  andern  grossen  Flamines  gemein- 
sam, Macr.  S.  I  16,  9;  vgl.  Fest  p.  249  und 
oben  S.  374  A.  9. 

')  Auch  über  die  Beseitigung  des  ab- 
geschnittenen Haares  der  Vestalinnen  be- 
stehen besondere  Vorschriften,  Plin.  n.  h. 
XVI 235.  Paul.  p.  57. 

^)  Das  gilt  auch  von  den  Vestalinnen, 
denn  das  praetorische  £dikt  enthält  die 
Worte  sacerdotem  Vestalem  et  flaminem 
Dialem  in  omni  mea  iurisdictione  iurare  non 
cogam  (vgl.  CIL  Xu  6038  Z.  7  neve  invita 
iitrato  von  der  provinzialen  Flaminica);  aber 
während  das  Verbot  für  den  Flamen  Dialis 
unbedingt  gilt  (vgl.  ausser  Paul. j>.  104.  Plut. 
Qu.  Rom.  44  namentlich  Liv.  XXXI  50,  7), 
ist  der  Schwur  der  Vestalin  in  gewissen 
Fällen  sogar  vorgeschrieben  (Plut.  Numa  10), 
nur  muss  er  unbedingt  bei  Vesta  geschehen 
(Sen.  contr.  VI  8,  1);  ähnlich  dürfen  die  Pon- 
tifices  nicht  per  liberos  iurare,  sed  per  deos 
tantummodo  (Serv.  Aen.  IX  298). 

*)  Tac.  ann.  I  62:  neque  imperatorem 
auguratu  et  vetusiissimis  caerimoniis  prae- 
ditum  adtrectare  feralia  debuisse;  vgl.  Serv, 
Aen.  VI  176.  III  64.  Seneca  consoL  ad  Marc. 
15,  3  (vgl.  mit  Cass.  Dio  LIV  28,  4,  s.  auch 
85,  4.  LVI  31,  3.  LX  13,  3). 


28 


436 


Religion  und  Knltiui  der  BOmer.    in.  Kultiui. 


sprechen  und  seine  Gemahlin  keine  Schuhe  aus  dem  Leder  eines  gefallenen 
Tieres  tragen  darf;  Verstösse,  auch  geringfügiger  Art,  gegen  die  Sacral- 
Ordnung  beim  Opfer  ziehen  fttr  ihn  den  Verlust  seiner  Würde  nach  sich. ') 
Eine  gewisse  Entschädigung  für  diesen  sein  ganzes  Leben  einengenden 
Ceremonialzwang  bieten  dem  Flamen  Dialis  verschiedene  Ehrenrechte,  die 
er  vor  den  anderen  Priestern  voraushat:  er  kann  einem  zur  körperlichen 
Züchtigung  geführten  Delinquenten,  der  seinen  Schutz  anfleht,  diesen  in 
so  weit  verleihen,  als  die  Strafe  am  laufenden  Tage  nicht  vollzogen  werden 
darf,')  er  scheidet  mit  Antritt  seines  Amtes  sofort  aus  der  väterlichen  Gewalt 
aus,')  endlich  geniesst  er  nicht  nur  die  Auszeichnung  der  Toga  praetexta, 
die  er  allezeit  trägt  (oben  S.  428  A.  4),  und  des  Lictors,^)  sondern  hat 
allein  von  allen  Priestern  auf  die  Sella  curulis  sowie  insbesondere  den 
Sitz  im  Senate  Anspruch.^)  Ähnliche  Ehrenrechte  ausserordentlicher  Art 
gemessen  auch  die  Vestalinnen;  so  teilen  sie  z.  B.  mit  dem  Bex  und  den 
grossen  Flamines  das  Vorrecht,  zur  Vornahme  bestimmter  Opferhandlungen 
in  der  Stadt  auf  einem  Wagen  fahren  zu  dürfen  ;<^)  besonders  wertvoll 
aber  ist  das  ihnen  im  Gegensatze  zu  der  sonstigen  Rechtsbeschränkung  der 
Frauen  zustehende  Brivilegium,  Zeugnis  ablegen  und  über  ihr  Vermögen 
selbständig  durch  Testament  verfügen  zu  dürfen,^)  wie  überhaupt  ihre  Be- 
freiung von  der  Tutel. »)  Dafür  aber  führen  auch  sie  ein  von  schweren 
Verpflichtungen  beherrschtes  Leben:  schon  im  jugendlichen  Alter  von 
6—10  Jahren  in  das  Priestertum  aufgenommen,  müssen  sie  demselben 
volle  30  Jahre  angehören,^)  nicht  nur  ihi*e  Jungfräulichkeit  während  dieser 
Zeit  bewahren,  sondern  auch  in  strenger  Klausur  all  ihre  Zeit  in  dem 
ihnen  zugewiesenen  Amtsgebäude,  dem  Atrium  Vestae,  verbringen,  das  sie 
nur  in  Ausübung  ihres  Dienstes  verlassen  ;^^)  dieser  selbst  ist  ausserordent- 
lich anstrengend,  da  das  Feuer  auf  dem  Herde  der  Vesta  Tag  und  Nacht 
Wache  und  Fürsorge  verlangt  und  sie  ausserdem  die  Reinigung  des  Tem- 
pels und  die  Herbeischaffung  des  Wassers  für  den  heiligen  Gebrauch  aus 


')  Val.  Max  I  1,  4  f.  Liv.  XXVI  28,  8. 
Plat.  Marc.  5. 

«)  Gell.  X  15,  10.  Serv.  Aen.  ÜI  607. 
Flut.  Qa.  Rom.  111;  es  entspriolit  diesem  das 
Vorrecht  der  Vestalinnen,  einen  zum  Tode 
geführten  Verbrecher  zu  retten,  wenn  sie 
ihm  zufällig  begegnen  (Flut.  Numa  10). 

*)  Ebenso  bei  den  Vestalinnen,  Gaios  I 
130:  praeterea  exeunt  liheri  virilis  seams  de 
parentis  potestate,  si  flamines  Diales  m- 
augurentur,  et  feinini  sexus,  si  virgines 
Vestales  capiantur;  vgl.  III  114.  Ulpian. 
frg.  10,  5.   Tac.  ann.  IV  16.   Gell.  I  12,  9. 

*)  Faul,  p  93.  Flut.  Qu.  Rom.  113.  Ovid. 
fast.  II  23.  CIL  XII  6038  Z.  2 ;  einen  Lictor 
haben  auch  die  Vestalinnen,  Flut.  Numa  10. 
Gass.  Dio  XLVII  19,  4.  Sen.  contr.  I  2,  3. 

»)  Liv.  XXVn  8,  8.  Serv.  Aen.  VIII  552. 
Flut.  Qu.  Rom  113;  auch  der  Frovinzialfiamen 
in  Narbo  geniesst  das  Recht  in  decurionibiM 
senatuve  [senientiae  dicendaej,  CIL  XII 6038 
Z.  4. 

•)  Lex  Julia  munic.  (CIL  I  206)  Z.  62  f. 


lässt  den  Gebranch  des  Wagens  in  der  Stadt 
zu  quibua  diehus  virgines  Vestales  refgemj 
sacrorum  flamines  plostreis  in  urbe  sacrorum 
publicorum  p(opuli)  B(omani)  causa  veki 
oportebit;  vgl.  Tac.  ann.  XII 42.  Liv.  I  21,  4. 
Frudent.  c.  Symm.  11  1088  f. 

')  Gell.  VII  7,  2:  ins  quoque  testimami 
dicendi  tribuitur  testabilisque  una  omnium 
feminarum  ui  sit  datur.  I  12,  9:  ius  testa- 
menti  faciendi  adipiscitur,  Flut.  Numa  10. 
Machen  sie  kein  Testament,  so  fällt  ihr  Ver- 
mögen nicht  an  ihre  Familie,  sondern  an 
den  Staat  (Gell.  1 12,  18). 

*)  Gaius  I  145.  Flut,  a  a.  0. 

»)  Gell.  I  12,  1.  Vn  7,  4.  Dion.  Hai.  II 
67,  2.  Flut  Numa  10  u.  a.  Dass  die  angeb- 
liche Eintheilung  dieser  Dienstzeit  in  drei 
zehnjährige  Ferioden  des  Lernens,  Ausflbens 
und  Lehrens  (Dion.  Hai.  Flut.  aa.  00.  Flui, 
an  seni  ger.  resp.  24.  Sen.  de  otio  sap.  2,  2} 
eine  Erfindung  ist,  hebt  Jobdan,  Tempel  der 
Vesta  u.  Haus  d.  Vestal.  S.  60  f.  richtig  hervor. 

'^)  Darüber  Jobdan  a.  a.  0.  S.  56  ff. 


67.  Das  PontificalooUeginm. 


437 


dem  entfernten  Quell  der  Camenae  —  wenigstens  ursprünglich  —  persön- 
lich zu  besorgen  haben  ;0  strenge  Strafen  treffen  die  pflichtvergessene 
Priesterin,  körperliche  Züchtigung  die,  durch  deren  Fahrlässigkeit  das 
heilige  Feuer  erlischt,  >)  grausamer  Tod  durch  Lebendigbegraben  auf  dem 
Campus  sceleratus  die,  welche  ihre  Jungfräulichkeit  preisgab.»)  Vergleicht 
man  diesen  starren  Priesterkanon,  unter  welchem  Rex,  Flamines  maiores 
und  Vestalinnen  stehen,  mit  der  weltlichen  üngebundenheit  der  Pontifices, 
so  findet  man  darin  einen  deutlichen  Beweis  dafür,  dass  diese  den  jüngsten 
Bestandteil  des  GesamtcoUegiums  bilden. 

An  der  Spitze  des  GesamtcoUegiums  steht  der  seit  dem  6.  Jahrhundert 
d.  St.  auf  dem  Wege  der  Wahl  durch  die  Comitien  der  17  Tribus*)  aus 
der  Zahl  der  Pontifices  auf  Lebenszeit  ernannte  Pontifex  maximus;  nach- 
dem diese  Würde  seit  dem  J.  742  =  12  dauernd  mit  dem  Kaisertum  ver- 
knüpft ist,  begegnet  ausserdem  das  Amt  eines  zur  Wahrnehmung  der  lau- 
fenden Geschäfte  bestellten  promagister,  über  dessen  Funktionsdauer  und  Er- 
nennungsart nichts  sicheres  feststeht.^)  Die  rechtliche  Stellung  des  Pontifex 
maximus  ist  eine  eigenartige  und  komplizierte.  Den  übrigen  Pontifices 
steht  er  nicht  als  ein  primus  inier  pares  gegenüber  wie  etwa  der  Magister 
der  Arvalbrüder  seinen  GoUegen,  auch  nicht  als  College  höheren  Banges 
wie  die  Flamines  maiores  gegenüber  den  minores,  sondern  die  Ponti- 
fices bilden  eine  einheitliche,  in  ihrer  Unteilbarkeit  durch  den  Pontifex 
max.  dargestellte  und  nur  aus  praktischen  Gründen  der  Dienstführung  zu 
einer  Mehrheit  von  Personen  verstärkte  Priesterwürde,«)  ebenso  wie  die 
sechs  Vestalinnen  zusammen  sozusagen  nur  eine  Sacralperson  darstellen, 
nach  aussen  vertreten  durch  die  virgo  Vestalis  maxima; ')  wie  Rex  sacrorum 
und  Regina  so  stehen  der  Pontifex  maximus  und  die  Virgo  Vestalis  maxima, 
jedes  von  beiden  die  übrigen  Angehörigen  des  Pries tertums  rechtlich  mit 
in  sich  schliessend,  neben  einander,^)  und  wie  Regina  und  Vestalinnen  in 


')  Flui  Nama  13  und  mehr  bei  Jobdan 
a.  a.  0.  S.  60  ff. 

»)  Paul.  p.  106.  Dion.  Hai.  H  67,  3.  Plut. 
Numa  10.  Liv.  XXVIH  11.  6  (=  Val.  Max. 
I  1,  6).  Obsequ.  8;  vgl.  auch  San.  contr. 
I  2,  10. 

>)  MoMMSBN,  Strafr.  S.  928  f. 

*)  MoxMBEK,  Staatsr.  II  25  ff.;  das  erste 
Beispiel  im  J.  542  =  212  Liy.  XXV  5,  2. 
Ueber  die  Wahrscbeinlichkeit,  dass  Yorher 
der  an  Lebensjahren  älteste  der  Pontifices 
diese  Würde  beLleidete,  s.  oben  S.424  A.  5 ;  ein 
Zeugnis  gibt  es  dafür  ebensowenig  wie  für 
die  gewöhnlich  angenommene  Wahl  durch 
die  Pontifices  (über  Cass.  Dio  XLIV  53,  7  s. 
MoMMBBN,  Staatsr.  II  29,  7). 

>)  Das  älteste  Beispiel  (CIL  VI  2120) 
stammt  aus  dem  J.  155  n.  Chr.;  dass  die 
Würde  auf  keinen  Fall  eine  lebenslängliche 
war,  zeigt  CIL  VI  1100  pontifici  maiori,  pro 
magistro  Herum,  über  die  vermutliche  Er- 
nennung durch  den  Kaiser  als  Pontifex  ma- 
ximus s.  oben  S.  425  A.  7;  vgL  Habbl,  De 
pont.  Rom.  condic.  publ.  S.  90  ff. ,  und  über 


den  Oberpontificat  der  Kaiser  ebd.  S.  45  ff. 

*)  Darum  tritt  für  den  verstorbenen 
(Liv.  XXV  5,  2)  oder  abwesenden  Pontifex 
max.  (Cic.  de  har.  resp.  21)  ohne  Weiteres 
ein  andrer  Pontifex  ein. 

')  Die  Inschriften  der  virgines  Vestcdes 
maocimae  aus  dem  Atrium  Vestae  CIL  VI 
2127  ff.  Notiz,  d.  scavi  1883  S.  448  ff. ,  die 
litterarischen  Zeugnisse  für  die  Würde  bei 
Mabquabdt,  Staatsverw.  in  340,  1.  Dass  die 
Vestalis  maxima  nicht  nur  die  Vorstand- 
schaft unter  den  Jungfrauen  führt,  sondern 
das  ganze  Priestertum  in  sich  verkörpert, 
zeigt  besser  noch  als  CIL  VI  2143  in  caeri- 
moniis  anttstüi  deorum  Terentiae  Rufiüae 
v(%rg%n%)  V(estali)  maxfimae)  die  Thatsache, 
dass  die  im  Atrium  Vestae  gesetzten  Ehren- 
statuen ausnahmslos  Virgines  Vestales  maxi- 
mae,  nie  einer  einfachen  Vestalin  gelten; 
wo  von  der  virgo  (Vestalis)  in  der  Einzahl 
die  Rede  ist  (z.  B.  Philoc.  z.  23.  Febr.  virgo 
Ve8ta(lis)  pturentat  u.  a.)  ist  immer  die  Ve- 
stalis maxima  gemeint. 

•)  Diese  Zusammengehörigkeit  tritt  na- 


438 


Religion  und  Koitus  der  Römer,    m.  Enltna. 


die  sacralen  Funktionen  der  königlichen  Hausfrau/)  so  teilen  sich  Rex 
und  Pontifex  (max.)  in  die  priesterlichen  Obliegenheiten  des  Königs.  Aber 
während  dem  Rex  sacrorum  von  diesen  nur  die  Vollziehung  bestimmter 
Opferhandlungen  zuAllt,')  liegt  in  den  Händen  des  Pontifex  (max.)  die 
ganze  früher  vom  Könige  geübte  sacrale  Centralgewalt.  Diese  bethätigt 
er  zunächst  innerhalb  des  GesamtcoUegiums,  nicht  nur  durch  die  Führung 
des  Vorsitzes  bei  seinen  Verhandlungen,')  sondern  vor  allem  durch  die  Aus- 
übung des  Ernennungsrechtes  und  der  Disziplinargewalt  gegenüber  seinen 
Angehörigen.  Die  Pontifices  freilich,  die  nicht  sowohl  unter  dem  Pontifex 
max.  stehen,  als  mit  ihm  zusammen  eine  Einheit  bilden,  werden  nicht 
von  ihm  ernannt,  sondern  ergänzen  sich  durch  Gooptation  (s.  S.  417);  im 
übrigen  aber  „greift'  sich  der  höchste  Vertreter  des  Gemeindepriestertums 
bei  eintretender  Vakanz  die  zur  Ausfüllung  der  Stellen  des  Rex,^)  der 
Flamines ^)  und  der  Vestalinnen^)  geeigneten  Persönlichkeiten,  mit  zwin- 
gender Gewalt  und  auch  gegen  ihren  Willen,^)  und  führt  ihre  Aufnahme 
in  das  GoUegium  (bei  den  erstgenannten  durch  den  Akt  der  Inauguration 
s.  S.  420)  herbei;  dass  später  für  die  Bestellung  des  Rex  und  der  grossen 
Flamines  der  Pontifex  max.  an  eine,  wahrscheinlich  vom  GoUegium  auf- 
gestellte Praesentationsliste  gebunden  ist^)  und  diejenige  der  Vestalinnen 


menüioh  in  der  gemeinsamen  Ausübung  des 
Vestadienstes  hervor  {in  penum  Vestae  quod 
»olae  virgines  solique  pontifices  adewnt  Bist, 
aug.  Elag.  6,  6;  ebenso  beim  sacrcvrium  Opia 
Consivae,  das  praeter  virginea  Vestales  et 
sacerdotem  publicum  niemand  betreten  darf, 
Varro  de  1.  1.  VI  21),  weshalb  auch  der 
Pontifex  max.  im  ordo  sacerdotum  an  der 
der  Vesta  zukommenden  Stelle  rangiert  (oben 
8.  433)  und  die  Pontifices  sp&ter  auch  pon- 
tifices Vestae  heissen  (oben  S.  144);  sie  zeigt 
sich  aber  auch  in  der  Parallelität  yon  In- 
stitutionen, wie  z.  B.  den  fictores  pontificum 
und  fii^tores  virginum  Vestalium  (unten  S.  446 
A.  5)  oder  arca  pontificum  und  arca  vir- 
ginum Vestalium  (oben  S.  843),  für  welch 
letztere  auch  der  Ausdruck  utraeque  arcae 
pontificum  vorkommt  (CIL  VI  10682). 

*)  Dass  die  Vestalin  (bezw.  die  durch 
die  sechs  Jungfrauen  repräsentierte  eine 
Person)  zum  Pontifex  (maximus)  nicht  im 
Verhältnisse  der  Tochter  (so  noch  Mommsbn, 
Strafr.  S.  18),  sondern  der  Ehefrau  steht,  geht 
aus  ihrer  bräutlichen  Tracht  und  dem  Oere- 
moniell  bei  der  captio  (s.  unten  Anm.  6)  her- 
vor, wie  dies  nach  Jobdan  a.  a.  0.  S.  47  ff. 
namentlich  H.  Dbaosndobff,  Rhein.  Mus.  LI 
1896  S.  281  ff.  gut  dargelegt  hat. 

')  Dass  er  in  älterer  Zeit  auch  das 
Ehrenrecht  der  Eponymität  in  sacralen  Da- 
tierungen genossen  nat,  zeigt  Plin.  n.  h. 
XI  186:  L.  Postumio  L.  /".  Albino  rege  sa- 
crorum post  CXXVI  olympiadem^  cum  rex 
Pyrrhus  ex  Itdlia  decessisset,  cor  in  extis 
haruspices  inspicere  coeperunt. 

>)  Das  ist  zwar  nicht  bezeugt,  aber 
selbstverständb'ch,   und    geht   auch    daraus 


hervor,  dass  der  Pontifex  max.  pro  ponH- 
ficum  collegio  (Cic.  de  domo  136;  de  har. 
resp.  21)  den  Beschluss  verkündigt;  z.  B. 
Liv.  XXXIV  44,  2:  cum  P.  lAcinius  ponii" 
fex  (max.)  non  esse  rede  factum  eoUegio 
primum,  deinde  ex  auctoritate  coüegii  pa- 
tribus  renuntiasset. 

*)  Wenn  Dion.  Hai.  V  1,  4  Pontifices 
{leQog>ayTag)  und  Augum  {oiatpo/navTsig)  als 
diejenigen  bezeichnet,  die  den  Rex  ernennen 
(anode^ai)  sollteu,  so  vermengt  er  captio 
und  inauguratio. 

»)  Liv.  XXVII  8,  7:  C.  Flaccus  flamen 
(Dialis)  eaptus  a  P.  Licinio  pontifice  ma- 
ximo  erat.  Gell.  I  12,  15  f.  (die  Uebertragung 
des  Ausdruckes  capi  auch  auf  die  Pontäces 
und  Augum  in  dem  Fragmente  des  Cato 
bei  Gell.  a.  a.  0.  17  ist  untechnisoh).  Obwohl 
es  sich  in  beiden  Zeugnissen  um  den  Flamen 
Dialis  handelt,  darf  man  unbedenklich  den 
gleichen  Sachverhalt  für  alle  Flamines  (auch 
die  kleinen)  voraussetzen ;  vgl  auch  Wissowa, 
Real-Encycl.  III  1509. 

^)  Das  capere  der  Vestalin,  nach  den 
Rechtsquellen  ausführlich  dargestellt  von 
Gell.  I  12,  vollzieht  sich  als  Heimfühnmg 
der  Braut,  wie  insbesondere  die  Bin  Weisung 
auf  den  Brautraub  (pontificis  manu  prensa 
ab  eo  parente,  in  cuius  potestate  erat,  veluH 
beUo  capta  abducüur  Gell.  a.  a.  0.  §  13)  und 
die  Formel  ita  te,  amata,  eapio  (ebd.  14) 
zeigt;  vgl.  Dbaobndobff  a.  a.  0.  8.  299. 

0  Liv.  XXVII  8,  2  vom  Flamen  Dialis; 
für  die  Vestalinnen  gibt  Gell  I  12,  5  f.  die 
Excusationsgründe  an. 

»)  Für  den  Rex  Liv.  XL  42,  11  (wo  frei- 
,  lieh  das  entscheidende  Wort  nomincUus  zu 


07.  Pas  Pontiflcaloollegiiim. 


439 


auf  Grund  einer  Lex  Papia  unbestimmter  Zeit  durch  Losung  aus  zwanzig 
vom  Pontifex  max.  nominierten  Mädchen  erfolgt,*)  sind  Abänderungen,  die 
dazu  bestimmt  sind,  die  Willkür  des  Oberpontifex  zu  beschränken,  aber 
den  ursprünglichen  Bechtszustand  noch  immer  erkennen  lassen.  Über 
denselben  Kreis  von  Priestern^)  übt  der  Pontifex  max.  aber  auch  die 
Disziplinaraufsicht')  und  eine  Strafgewalt  aus,  die  sich  gegenüber  dem 
Rex  und  den  Flamines  in  der  Auferlegung  einer  muüa*)  und  gegebenen 
Falles  in  der  Nötigung  zur  Amtsniederlegung  i^)  äussert,  gegenüber  den 
Vestalinnen  aber  die  gesamte  eheherrliche  Gewalt  ältester  und  weitester  Aus- 
dehnung umfasst  und  das  Recht  zu  körperlicher  Züchtigung  und  im  Falle 
des  Incestes  selbst  zur  Tötung  in  sich  schliesst;^)  dass  die  Anwendung 
des  Tötungsrechtes  in  historischer  Zeit  nur  unter  Zuziehung  des  Collegiums 
erfolgt  ist,^)  ist  eine  wohl  verständliche  thatsächliche  Einschränkung. 

Während  so  der  Pontifex  maximus  innerhalb  des  Collegiums  weit- 
gehende Machtbefugnisse  ausübt,  greifen  diese  unter  gewissen  Umständen 
auch  über  diesen  engeren  Kreis  hinaus  und  nehmen  den  Charakter  einer 
magistratischen  Competenz  an,  die  allerdings  in  feste  Grenzen  einge- 
schlossen und  in  der  Praxis  zum  guten  Teile  zur  blossen  Form  erstarrt 
ist.  Zunächst  haben  wir  wenigstens  ein  Beispiel  dafür,  dass  der  Pontifex 
max.  einem  ausserhalb  des  Collegiums  stehenden  Priester  eine  Geldstrafe 
auflegt,  weil  er  die  durch  das  Sacralgesetz  erforderte  Mitwirkung  an  einer 
pontificalen  Amtshandlung  verweigert,^)  ferner  hat  er,  da  gegen  die  von 
ihm  über  einen  Priester  verhängte  muUa  die  Entscheidung  des  Volkes 
angerufen  werden  konnte,^)  nach  aller  Analogie  das  Recht  gehabt,   die 


dem  siDnloseii  mauguratus  entstellt  ist), 
für  den  Flamen  Dialis  Tac.  ann.  IV  16  (pa- 
tricios  confarreaii»  parentibus  genttos  tres 
simul  nominari,  ex  quis  untts  legeretur  ve- 
tugto  more). 

^)  Qell.  I  12,  11:  sed  Papiam  legem  in- 
venimus,  qua  cavetwr  ui  pontificis  maximi 
arbitratu  virgmes  e  poptHo  viginti  legantwr 
sortüioque  in  contione  ex  eo  numero  fiat  et 
cuius  virginis  ducta  erit,  ut  eam  pontifex 
maximus  capiat  eaque  Vestae  fiat  (vgl.  Suet. 
Aug.  31.  Senec.  contr.  I  2,  3.  Cass.  Dio  LV 
22,  5  und  über  Ausnahmen  Gell.  a.  a.  0.  §  12. 
Tac.  ann.  II  86). 

')  Für  eine  Mnltierung  eines  Pontifex 
durch  den  Pontifex  max.  nndet  sich  nicht 
nur  kein  Beispiel,  sondern  sie  war  wohl 
auch  rechtlich  ebenso  ausgeschlossen,  wie 
die  Ernennung  des  einen  durch  den  andern. 

')  Daher  gewährt  er  dem  Flamen  Dialis 
Urlaub  ^u  kürzerer  Abwesenheit  von  der 
Stadt  (Tac.  ann.  III  71)  und  Erleichterung 
von  gar  zu  lästigen  Bestimmungen  des  Ce- 
remoniells  (Gell.  X  15,  17:  sine  apice  «üb 
divo  esse  licitum  non  est;  sub  tecto  uti  li' 
ceret  non  pridem  a  pontificibus  constitutum 
Maswrius  Sabinus  scripsit), 

«)  Gegenfiber  dem  Rex  Liv.  XL  42,  9, 
gegenüber  den  grossen  Flamines  Liv.  XXXVII 
51,4,   Val.  Max.  II,  2.   Cic.  Phü.  XI 18. 


s)  In  den  oben  S.  424  A.  3  erw&hnten  Fällen, 
wo  Flamines  Diales  wegen  Verstössen  beim 
Opferdienste  gezwungen  werden  zu  abdicieren 
(flamonio  ahire  iussi  sunt  coactique  etiam 
Val.  Max.  I  1,  5;  tag  IsQtocvyag  agiffgiStjcay 
Plut.  Marc.  5),  wird  zwar  nicht  ausdrücklich 
angegeben,  wer  den  Zwang  ausübte,  es  kann 
aber  nur  der  Pontifex  max.  gewesen  sein. 

«)  Dion.  Hai.  II 67,  3.  Plut.  Numa  10  und 
mehr  oben  S.  437  A.  2. 

»)  Liv.  IV  44,  12.  VIII  15,  8.  Cic.  bar. 
resp.  13.  Ascon.  p.  40.   Plin.  epist.  IV  11,  6. 

*)  Fest.  p.  343  (in  der  Herstellung  von 
MoMXSBN,  Staatsr.  II 32,  3):  [Saturno]  sacri- 
ficium  fit  capfite  aperto,  itaque  cum]  Me- 
tellus  pont.  [max.  Claudium  augurem  iussis-] 
set  adesse,  ut  eum  [regis  sacrorum  (?) . .  Sul]- 
pici  Ser,  /.  inaug[urationi  adhiberet,  Clau- 
dius excujsaret  se  Sacra  sibi  fam[üiaria  esse 
SattArni,  ob  quae  sibi  supjplicandum  esset 
capite  [aperto,  itaque  si  ad  iussum  ad] esset, 
futurum  ut  cum  ap[erto  capite  inauguratio] 
facienda  esset,  pont[ifex  eum  multavitj,  Clau- 
dius provocavit.  [popülus  negavit  id  ius 
ponjtifici  esse  et  Claudius  fafmüiaria  qucte 
oportebat]  ScUumo  sacra  fecit  reilfigione 
canfirmcUaJ. 

")  Als  der  Pontifex  max.  P.  Licinins  im 
J.  565  =  189  dem  Praetor  und  Flamen  Qui- 
rinalis  Q.  Fabius  Pictor  verbietet  in  die  Pro- 


440 


Religion  und  Enltui  der  Römer,    m.  Eoltui. 


über  diese  Provocation  abstimmenden  Tribuscomitien  zu  berufen  and  zu 
leiten.^)  Aber  auch  andre  Verhandlungen  des  Volkes  werden  pro  coUegio 
pontificum  abgehalten  und  von  einem  der  Mitglieder  des  Gollegiums  prae* 
sidiert.  So  hat  in  den  Gomitien  der  17  Tribus,  die  die  Wahl  des  Pontifex 
max.  vornahmen,  wenigstens  im  6.  Jahrhundert  d.  St.  ein  Pontifex  den  Vor- 
sitz geführt;^)  insbesondere  aber  sind  pontificale  Gomitien  die  schon  durch 
ihren  Namen  von  den  andern  Versammlungen  des  Volkes  unterschiedenen 
comitia  calata,^)  die  wir  in  mehrfacher  Anwendung  kennen.  In  solchen  Gomitia 
calata  werden  der  Rex  sacrorum  und  die  drei  grossen  Flamines  inaugu- 
riert,^) an  den  Nonae  eines  jeden  Monats  die  bis  zu  den  nächsten  Ealendae 
fälligen  feriae  statae  sollemnes  publiziert,^)  Testamente  errichtet*)  und 
endlich  die  Arrogation,  d.  h.  der  Übertritt  eines  selbständigen  erwachsenen 
Bürgers  in  ein  andres  Geschlecht,  samt  der  zugehörigen  detestatio  sacrorum, 
d.  h.  der  Loslösung  von  dem  bisherigen  Sacralverbande,  vollzogen.  0  In 
dem  letzgenannten  Falle  findet  wenigstens  der  Form  nach  eine  Antrag- 


vinz  zu  gehen,  t»  sencUu  et  ad  populum 
magnis  contentionibus  certatum  et  itnperta 
inhibüa  uUro  citroque  et  pignera  capta  et 
mtdtae  dictae  et  tribwni  appeUati  et  prO' 
vocatum  cut  populum  est.  religio  cid  poetre- 
mum  vicit,  ut  dicto  audiena  esset  flamen 
pontifici  iussus,  et  multa  iussu  popuJi  ei 
remissa  (Liy.XXXVII  51,4f.);  dieselbe  Ent- 
scbeidnng  des  Volkes  auch  in  Provocations- 
faUen  vom  J.  574  =  180  (Liv.  XL  42,  9  f.) 
und  623  =  131  (Cic.  Phil.  XI  18);  gegen 
den  Pontifex  max.  entscheidet  das  Volk 
Fest.  p.  348  (s.  yorige  Anm.). 


■ 


0  MoMMSEN,  Staatsr.  I  192.  II  57;  die 
Tribus  werden  ausdrttcklich  genannt  Liy.  XL 
42,  10. 

«)  Liv.  XXV  5,  2  (vom  J.  542  =  212); 
sp&ter  liegt  die  Leitung  der  comitia  sacer- 
dotum  bei  den  Consuln,  Mommsbn,  Staatsr. 

nso. 

')  Zeugnisse  und  neuere  litteratur  voll- 
ständig bei  B.  EüBLBB  in  Pauly-Wissowas 
Real-Encvcl.  III  1330  ff. 

*)  dalata  comitia  esse,  quae  pro  con- 
legio  pontificum  hahentur  aut  regis  aut  fla- 
minum  inaugurandorum  causa,  Labeo  bei 
Gell.  XV  27,  1. 

')  Varro  de  1.  1.  VI  28:  eodem  die  (an 
den  Nonae)  in  wbem  ab  agris  ad  regem 
conveniehat  populus,  fiarum  rerum  vestigia 
in  sacris  noncdibus  in  arce,  quod  tunc  ferias 
publicas  menstruas  quae  futurae  sint  eo 
mense,  rex  edidt  populo  (vgl.  VI  13 :  rex  cum 
ferias  menstruas  nonis  Fehruariis  edidt, 
hu/nc  diem  februatum  appellat),  Macr.  S.  1 
15,  12 :  oportebat  nonarum  die  populäres  qui 
in  agris  essent  eonfluere  in  urbem  accep- 
turos  causas  feriarum  a  rege  sacrorum  sei- 
turosque  quid  esset  eo  mense  faciendum. 
Die  Anberaumung  und  Einberuftmg  dieser 
Versammlung  geschieht  regelmässig  an  den 
Ealendae  (so  richtig  Mommsen,  Staator.  II 39  f. 


Anm.  1)  und  heisst  technisch  cdlare  (Varro 
de  1. 1.  VI  27.  Fast  Praen.  2.  1.  Jan.  Macr.  I 
15,  9),  also  sind  es  comiHa  calata,  aacb 
wenn  der  Ausdruck  niö  direkt  auf  sie  an- 
sewandt  wird 

•)  Labeo  bei  GeU.  XV  27,  3.  Gai.  U  101 
(vgl.  Ulp.  frg.  20,  2.  lust.  Inst.  IIIO,  1):  te- 
stamentorum  autem  genera  inüio  duo  fu- 
erunt;  nam  aut  calcUis  comüiis  testamenta 
faciebant,  quae  comitia  bis  in  anno  testa- 
mentis  faciendis  destinata  erant,  awt  in  pro- 
cinctu  u.  s.  w.  Dass  diese  Testaments-Comi- 
tien  an  den  beiden  mit  der  Note  Q{uando) 
R(ex)  Cipmitiavit)  F(a«)  bezeichneten  Tagen 
(s.  oben  8.  368  A.  6  und  S.  370  A.  1)  statt- 
gefunden hätten,  vermuthet  Mommsbn,  Rom. 
Chronol.  S.  241  f.;  aber  dann  würden  diese 
Gomitien  in  die  Zeit  des  nefas  fallen,  was 
ganz  unmöglich  ist. 

')  Labeo  a.  a.  0. :  isdem  eomitHs,  quae 
calata  appellari  diximus,  et  sacrorum  de- 
testatio (s.  oben  S.  337  A.  7)  et  testamewta 
fieri  solebant;  für  die  adrogatio  gibt  Gell. 
V  19,  6  an:  comitia  arbitris  pontificibus 
praebentur,  quae  curiata  appelkmtur,  und 
von  der  Adoption  lege  curiata  apud  pon- 
tifices,  ut  moris  est,  spricht  Tac.  bist.  I  15 
(vgl.  auch  die  Bleitessere  mit  der  Inschrift 
adoptio  auf  der  Vorderseite  und  coUegium 

t nämlich  pontificum]  unter  drei  sitzenden 
'ontifices  auf  der  Rückseite,  Hblbio,  Gompt. 
rend.  de  FAcad.  d.  Inscr.  1893,  350);  dass 
diese  beiden  Akte  zusammen  und  vor  die- 
selben Gomitien  gehören,  betont  jetzt  richtig 
Mommsbn,  Staatsr.  III  38  f.  Wenn  die  Gon- 
farreation,  die  ja  auf  den  Rechtsstand  der 
Sacra  ähnlich  verändernd  einwirkt  wie  die 
Arrogation  (oben  S.  337),  zwar  in  Gegenwart 
des  Pontifex  max.  (Serv.  Georg.  I  81),  aber 
nicht  vor  Gomitia  calata  stattfindet,  so  liegt 
der  Grund  wohl  in  der  UnfUiigkeit  der  Frau, 
vor  den  Gomitien  zu  erscheinen. 


67.  Das  PonüfioalooUeginm. 


441 


Stellung  und  Beschlussfassung  statt,  ^)  in  den  übrigen  Gomitia  calata,  von 
denen  die  an  den  Nonen  abgehaltenen  seit  der  Publication  des  Kalenders 
überflüssig  waren  und  in  Wegfall  kamen,*)  nimmt  die  Versammlung  nur 
Mitteilungen  entgegen  oder  fungiert  als  Zeuge  ;^)  Einberuf  er  und  Leiter 
ist  in  allen  Fällen  der  Pontifex  maximus.^) 

Damit  ist  aber  der  Kreis  deijenigen  Befugnisse,  durch  welche  der 
Oberpontifex  in  die  magistratische  Funktionssphäre  übergreift,  geschlossen ; 
ein  magistratisches  Befehls-  oder  Goercitionsrecht  gegenüber  Beamten  oder 
Privaten  hat  er  niemals  besessen.^)  Vielmehr  beruht  die  hervorragende 
Bedeutung,  die  dem  colUgium  pontificum  für  das  ganze  bürgerliche  und 
öffentliche  Leben  zukommt,  darauf,  dass  in  seinem  Archive^)  sich  die  Nieder- 
schriften all  deijenigen  Satzungen  und  Vereinbarungen  befinden,  nach 
denen  sich  der  gesamte  B.echtsverkehr  mit  der  Gottheit  vollzieht,  und 
dass  ihm  die  Aufgabe  zufällt,  bei  der  Anwendung  dieser  Satzungen  auf 
die  einzelnen  Fälle  des  privaten  und  staatlichen  Lebens  durch  Auskunft, 
Unterstützung  und  Gutachten  mitzuwirken.  So  bewahren  die  Pontifices 
den  Festkalender,  d.  h.  die  Urkunde  über  die  auf  alter  Sacralordnung 
beruhende  Verteilung  der  Tage  des  Jahres  an  das  Eigentum  der  Gottheit 
und  der  Menschen  (S.  367  f.)»  und  teilen  daraus,  bevor  der  Kalender  ver- 
öffentlicht ist,  allmonatlich  dem  Volke  die  Lage  der  bevorstehenden  Fest- 
tage mit  (oben  S.  440  A.  5) ;  auch  publizieren  sie  den  Eintritt  der  Schalt- 
perioden, welche  ebenfalls  durch  alte  Satzung  geregelt  sind,  um  die  auch 
aus  sacralen  Gründen  nötige  Übereinstimmung  zwischen  dem  bürgerlichen 
Jahre  und  dem  natürlichen  Wechsel  der  Jahreszeiten  zu  erhalten  (oben 
S.  370  A.  6),  und  deren  Ansetzung  durch  die  Lex  Acilia  vom  J.  563  =  191 
sogar  ganz  ihrem  Ermessen  überlassen  wurde.'')  In  ihrer  Obhut  stehen 
femer  die  indigüamenta,  d.  h.  die  gegenüber  den  verschiedenen  Gottheiten 
bei  den  verschiedenen  Festen   und  Anlässen  gebotenen  Gebetsformeln,^) 


*)  Gell.  V  19,  9  gibt  die  Rogationsformel, 
die  mit  velüis  iiibeatis  beginnt  und  mit  haec 
üa,  uti  dixi,  iki  vos  Quirües  rogo  schliesst; 
ygl.  Gai.  I  99:  dicitur  adrogatio  quia  .  .  . 
populus  rogatur  an  id  fieri  itibecU,  Cic.  de 
domo  77. 

')  Darom  nennt  sie  Labeo  bei  Gell.  XY 
27  nicht  mehr. 

')  Sie  fügen  sich  also  nicht  in  die 
strenge  staatsrechtliche  Scheidung  yon  co- 
müia  und  contiones,  wahrscheinlich  weil  sie 
älter  sind  als  diese  Scheidung. 

^)  Das  zeigt  namentlich  das  Verhalten 
der  Pontifex  max.  Caesar  in  der  Adoptions- 
angelegenheit des  P.  Clodius  (Mommsbk, 
Staiatsr.  II  85,  3);  auch  die  Versammlung  an 
den  Nonae  wird  der  Pontifex  max.  geleitet 
haben,  wenn  auch  der  Rex  die  Verkündigung 
der  fericLe  vornahm. 

')  Wenn  derjenige,  der  am  Feiertage 
beim  Herrannahen  des  Rex  sacrorum  oder 
der  grossen  Flamines  bei  der  Arbeit  bleibt 
(s.  oben  S.  874  A.  9),  einer  multa  verfällt 
(Macr.  S.  I  16,  9),  so  muss  deren  Beitreibung 
durch  den  Magistrat  erfolgt  sein,  ebenso  wie 


es  im  Haingesetze  von  Spoleto  (Sghksidbb, 
Exempla  nr.  95)  nach  Festsetzung  von  pia- 
culum  und  mülta  für  böswillige  Schädigung 
des  Haines  heisst:  eins  piaeli  moltaique  di- 
cator[eiJ  exactio  estfod], 

")  J.  A.  Ajcbbosoh,  Observationum  de 
sacris  Romanorum  libris  particula  prima, 
Vratislaviae  1840.  P.  Prsibisch,  Quaestiones 
de  libris  pontificiis,  Diss.  Vratislaviae  1874; 
Fragmenta  librorum  pontificiorum,  Gymn. 
Progr.  Tilsit  1878.  R.  Petbb,  Quaestionum 
pontificalium  specimen,  Diss.  Argentorati 
1886.  Eine  vollständige  kritische  Sammlung 
der  Fragmente,  wie  sie  Peter  für  einen  kleinen 
Abschnitt  der  Pontificalschriften,  die  libri  de 
sacerdotibus  publicia  (Gell.  X  15, 1),  gibt,  ist 
ein  dringendes  Bedürfnis 

0  Macr.  S.  1 13,  21.  14,  1.  Censorin.  20, 
6.  Solin.  1,  48,  vgl.  Amm.  Marc.  XXVI 1,  12. 
MoMMSEN,  Rom.  Chronol.  S.  40  ff. 

")  Die  Ergebnisse  von  Ambrosch's  be- 
rühmter Abhandlung  über  die  Indigitamenta 
(Ueber  die  Religionsbücher  der  Römer,  Bonn 
1848)  bedürfen  dringend  der  Revision  nnd 
Korrektur;  Zeugnisse  und  Litteratur  am  voll- 


442 


Religion  und  Eiilti»  der  Bttmer.    in,  Eoltas. 


von  deren  richtiger  Anwendung  die  Giltigkeit  des  betreffenden  Sacralaktes 
abhängt  (oben  S.  332  f.),  und  die  zum  wirksamen  Abschlüsse  sacraler 
Rechtsgeschäfte,  wie  Yotum^  Dedication,  Devotion  u.  s.  w. ,  erforderlichen 
Formulare  (carmina),  deren  Wortlaut  der  Pontifex  max.  gegebenenfalls 
dem  vollziehenden  Magistrate  vorspricht  (oben  S.  331  A.  3).  Weiter  waren 
im  Archiv  der  Pontifices  alle  Kultsatzungen  und  Opferregeln  nieder- 
gelegt, sowohl  die  auf  die  älteste  Religionsordnung  zurückgehenden,')  als 
die  im  Laufe  der  Zeit  hinzugekommenen  leges  templorutn,  nach  denen 
der  Gottesdienst  bei  jedem  Heiligtume  geübt  wurde  (s.  oben  S.  404  f.), 
insbesondere  auch  die  Vorschriften  über  die  im  Falle  eines  Verstosses 
zu  leistenden  piacula  (S.  330),  über  welche  sie  auf  Befragen  auch  den 
Privaten  Auskunft  erteilen  (S.  336  f.),  sowie  die  Straf bestimmungen,  die 
angesichts  bestimmter  Sacraldelikte  jede  Sühnung  ausschliessen  und  den 
Thäter  als  impius  mit  der  Formel  des  sacer  esto  der  Strafe  der  beleidig* 
ten  Gottheit  ausliefern:  von  diesen  Vorschriften  und  Straf bestimmungen, 
die  man  als  leges  regiae  den  einzelnen  Königen  zuschrieb,  ist  später  ein 
Teil  unter  dem  Namen  des  ius  Papirianum  veröffentlicht  und  von  den 
Juristen  kommentiert  worden.  >)  Aber  nicht  nur  auf  der  Bewahrung  und 
Mitteilung  der  Urkunden  des  iua  sacrum  beruht  der  mächtige  Einfluss 
des  PontificalcoUegiums,  sondern  noch  mehr  auf  der  neues  Recht  schaf- 
fenden Thätigkeit,  die  es  durch  Ausdeutung  und  Weiterbildung  der  alten 
Satzungen  Jahrhunderte  lang  ausgeübt  hat:  allerdings  ist  dies  stets  nur 
in  der  Form  des  Gutachtens  {decretum,  responsum)  auf  Anfragen  der  Magi- 
strate oder  des  Senates  geschehen,^)  aber  die  gebotene  Ehrfurcht  vor 
dem  in  seinem  Detail  nur  den  Pontifices  bekannten  und  zugänglichen^) 
Sacralrechte  schloss  eine  Abweichung  von  der  in  dem  Gutachten  gegebenen 
Weisung  thatsächlich  aus,  während  andererseits  die  altüberkommenen 
Satzungen  unmöglich  für  die  Mannigfaltigkeit  der  im  wirklichen  Leben 
sich  ereignenden  Fälle  und  Komplikationen  ausreichen  konnten  und  darum 
der  sinngemässen  Anpassung  und  Interpretation  durch  die  Pontifices  weiten 
Spielraum  liessen."^)  Zur  Abfassung  des  decretum  tritt  das  GesamtcoUegium 
zusammen,  wobei  jedoch  bei  Einhelligkeit  der  Meinungen  schon  die  An- 
wesenheit von  3  Mitgliedern  genügt,^)  und  beschliesst  mit  Stimmenmehrheit, 


ständigsten  bei  R.  Pbtbb  in  Roschebs  Mythol. 
Lexik.  II  129  ff. 

*)  Liv.  I  20,  6:  eique  (Numa  dem  Pon- 
tifex) Sacra  omnia  exscripta  exsignataque 
attrihwtf  guibus  hostiü,  quibtis  diehus,  ad 
quae  templa  sacra  fierent  atque  unde  in  eos 
sumptus  pecunia  erogaretur.  Cic.  de  leg. 
II  29 :  iam  illud  ex  instüutis  pontificum  et 
haruspicuni  non  mutandum  est,  quibus  ko- 
stiis  immolandum  quoique  deo,  cui  maiori- 
bus  cui  lactentibus,  cui  maribus  cui  fetninis. 

')  MoMMSBN,  Staatsr.  II  41  ff.;  Fragmente 
bei  Bruns,  Fontes  iuris  Rom.  ant.  ^  p.  1  ff. 

')  Die  Ausdrücke  dafür  sind  consulere 
coUegium  pontificum,  referre  ad  c.  p.,  ad- 
hibere  c.  p.  (Cic.  de  domo  130 — 132  und  oft 
bei  Livius). 

*)  Liv.  VI  1,  10:  alia  ex  eis  —  den  foe- 


dera  et  leges  —  edita  etiam  in  vulgus;  quae 
autem  ad  sacra  pertinebant,  a  pontificibu^ 
maxime,  ut  religione  obstrictos  haherent 
multitudinis  animos,  suppressa.  Cic.  de  domo 
138:  nihil  me  de  scientia  vestra,  nihä  de 
sacris,  nihil  de  abscondito  iure  pontificum 
dicturum  (vgl.  33.  121). 

*)  Cic.  de  domo  107 :  equidem  sie  accepi, 
pontifices,  in  religionibus  suscipiendis  caput 
esse  interpretari,  quae  voluntas  deorum  im- 
mortoUium  esse  videatur  (vgl.  g  1  religionibus 
sapienter  interpretandis  rem  pt^blicam  con- 
servarent.  §  4  quos  ab  inconstantia  gra- 
vitas,  a  libtdinosa  sententia  certum  et  de- 
finitum  ius  religionum,  vetustas  exemplorum, 
auctoritas  litterarum  monumentorumque  de- 
terret). 

*}  Cic.  har.  resp.  12:  de  sacris  publids. 


J 


67.  Da«  Pontifloaloollegiiim. 


443 


wobei  auch  der  Pontifex  maximus  überstimmt  werden  kann.')  Die  Gegen- 
stände der  Decrete  sind  ausserordentlich  mannigfaltig;  bei  Prodigien  (oben 
S.  328)  stellen  die  Pontifices  unter  Berücksichtigung  der  sacralen  Tradition 
und  der  Eigenart  des  speziellen  Falles  die  Lustrationsmittel  und  die  Götter 
fest,  denen  diese  darzubringen  sind,^)  bei  sacralen  Verstössen  im  Staats- 
gottesdienste geben  sie  das  zur  Ausgleichung  nötige  piactdum  an,')  sie 
entscheiden  über  die  Zulässigkeit  eines  beabsichtigten  Votum  ^)  und  die 
Korrektheit  seiner  Ausführung,^)  über  die  Aktivlegitimation  einer  conse- 
crierenden  Person^)  und  die  Berechtigung  einer  Dedication, ^)  über  die 
Zugehörigkeit  einer  örtlichkeit  zu  den  Kategorien  der  loca  sacra  oder 
religiosa,^)  über  den  Charakter  eines  Tages  als  dies  feriatus  oder  profestus 
und  über  die  gebotene  Ausdehnung  der  Feiertagsruhe,®)  auch  ihre  Ober- 
aufsicht über  die  sacra  privata  (S.  337)  und  die  iura  deorum  manium 
(S.  192)  führen  sie  in  der  Weise,  dass  sie  durch  Decret  sowohl  die  all- 
gemeinen Rechtsnormen  feststellen  wie  Einzelfälle  entscheiden J^)  So 
bildete  sich  ein  umfangreiches  und  weitverzweigtes  ins  pontificium,  das 
bei  dem  engen  Zusammenhange,  in  dem  alle  Seiten  des  römischen  Lebens 
mit  dem  Gottesdienste  stehen  (oben  S.  323  ff.)*  B^uch  einen  grossen  Teil 
des  privaten  und  öffentlichen  Rechtes  mit  umfasste*^)  und  von  dem  sich 
das  Civilrecht  erst  verhältnismässig  spät  und  langsam  emancipierte. 


de  ludis  truiximis,  de  deorum  penatium 
Vestaeque  matris  caerimoniis,  de  ülo  ipso 
sacrifido  (der  Bona  Dea),  quod  fit  pro  Sa- 
lute populi  Bomani  .  .  .  quod  tres  ponti- 
fices statuissent,  id  semper  populo  Eomano, 
setnper  senatui,  semper  ipsis  dis  immorta- 
libus  satis  sanctum,  satis  augustum,  satis 
religiosum  esse  visum  est. 

')  Im  J.  554  =  200  macht  im  Senate 
der  Pontifex  max.  gegen  die  Form  eines 
beabsichtigten  Votum  (s.  oben  S.  334  A.  4) 
Bedenken  geltend,  darauf  legt  der  Consul 
auf  Gebeiss  des  Senates  die  Frage  dem  Pon- 
tificaloollegium  vor  und  dieses  entscheidet 
gegen  den  Pontifex  max.  (Liv.  XXXI  9,  7  f.). 

*)  Nach  Liv.  I  20,  7  hatte  Numa  be- 
stimmt ut  pontifex  edoceret,  quae  prodigia 
fulminibus  aliove  quo  visu  missa  suspiceren- 
tur  atque  curarentur;  die  Procuration  ge- 
schieht ex  decreto  pontificum  Liv.  XXIV 
44,  9.  XXVII 4.  15.  37,  4.  7.  XXX  2,  13. 
XXXIV  45,  8.  XXXIX  22,  4.  XL  37,  2.  XLI 
16,  6  (auch  die  Wendung  prodigia  per  pon- 
tifices procurari  placuit  Liv.  XXX VII  3,  1 
sagt  nur,  dass  die  Pontifices  die  Procuration 
angaben,  nicht  aber,  dass  sie  sie  selbst  aus- 
führten; vgl.  Cic.  de  domo  120:  si  .  .  domum 
eius  per  pontificem  dedicaverit). 

')  So  geschieht  die  instauratio  der  Fe- 
riae  Latinae  pontificum  decreto  (Liv.  XXXII 
1,  9),  und  bei  Verletzung  ft'emder  Tempel 
durch  römische  Feldherm  geben  die  Pon- 
tifices ihr  Gutachten  über  die  Expiation  ab 
(Liv.  XXIX  20,  10.  XXXVIII  44,  5).  die  Aus- 
führung der  von  ihnen  angeordneten  sacra 
picusularia    fällt    den  Magistraten   zu  (Liv. 


XXIX  21,  4);  erst  in  der  Eaiseraeit  sind  die 
Pontifices  selbst  auch  mit  der  Vollziehung 
der  Piacularopfer  beauftragt  worden,  Tac. 
ann.  XII  8:  addidit  Claudit^  scura  ex  le- 
gibus TuUi  regis  piactilaque  apud  lucum 
Dianae  per  pontifices  danda  (vgl.  Philarg. 
zu  Verg.  Georg,  ü  162:  nuniiatum  .  .  simu- 
lacTum  Avemi  sudasse,  propter  quod  ponti- 
fices ibi  piacularia  sacra  fecerunt). 

*)  Liv.  XXII  9,  11.  10,  1.  XXXI  9,  7  f. 
(oben  A.  1). 

*)  Liv.  V  23,  8  ff.    25,  7.    XXXHI  44,  2. 

xxxrv  44, 2.  xxxrx  5,  9. 

«)  Cic.  de  domo  136;  ad  Att.  IV  2,  3. 

7)  Liv.  XXVn  25,  7. 

*)  Macr.  S.  III,  3,  1 :  inter  decreta  pon- 
tificum hoc  mtujcime  quaeritur,  quid  scurum, 
quid  sanctum,  quid  religiosum;  vgl.  Cic.  de 
leg.  II  58.  Cass.  Dio  XLVIII  53,  6.  Aehnlich 
Liv.  XXVI  34,  12:  Signa,  staiuas  aeneas, 
quae  capta  de  hosttbus  dicerentur,  quae 
eorum  sacra  ac  profana  essent,  ad  ponH- 
ficum  coUegium  reiecerunt. 

•)  Macr.  I  16,  24  (GeU.  V  17,  2).  28;  vgl. 
Serv.  Georg.  I  272 :  sane  quae  feriae,  a  quo 
genere  kominum  vel  quüfus  diebus  obser- 
ventur  vel  quae  festis  diebus  fieri  permissa 
sint  (vgl.  Macr.  I  16,  9  ff.  und  oben  S.  374 
A..7.  8)  si  quis  scire  desiderat,  libros  pon- 
tificales  legat.  Colum.  11,  22, 2.  7.  Macr.  S. 
III  3,  11.  Gell.  IV  6,  10. 

<<))  Cic.  de  leg.  II  48;  über  die  Pontifical- 
decrete  in  Sachen  des  Gräberrechtes  s.  oben 
S.  409  f. 

**)  Auf  die  civilrechtliche  Th&tigkeit 
der  Pontifices,  insbesondere  ihre  Stellung  zu 


444 


Religion  und  Enltos  der  Bttmer.    m.  Enltna. 


Stellt  diese  beratende  und  begutachtende  Th&tigkeit  die  eine  Seite 
der  pontificalen  Wirksamkeit  dar,  so  wird  die  andre  gebildet  durch  die 
Wahrnehmung  des  gesamten  laufenden  Gottesdienstes  der  sacra  patria,^) 
und  zwar  nehmen  an  diesen  Opferhandlungen  nicht  nur  die  von  Haus  aus 
als  Einzelpriester  je  eines  Gottes  bestellten  Flamines  teil,  sowie  Rex  und 
Vestalinnen  für  den  Dienst  von  Janus  und  Yesta,^)  sondern  auch  die 
Pontifices  selbst,  die  das  Opfermesser  ebenso  von  Amtswegen  führen  wie  die 
Flamines  und  die  Vestalinnen.')  Als  man  mit  der  Praxis  brach,  für  jeden 
Gottesdienst  einen  eigenen  Opferpriester  zu  bestellen,,  mussten  die  durch 
Erweiterung  des  Götterkreises  neu  erwachsenden  Obliegenheiten  auf  die 
bereits  vorhandenen  Mitglieder  des  PontificalcoUegiums  verteilt  werden; 
einige  dieser  neuen  Aufgaben  haben  die  Flamines  zu  ihren  ursprünglichen 
Verpflichtungen^)  hinzu  übernommen,^)  die  Mehrzahl  der  Opfer  aber  fiel 
den  Pontifices  zu,  und  das  allmälige  Anwachsen  ihrer  Zahl  entspricht 
der  Vermehrung  der  sacralen  Geschäfte.«)  Was  die  Überlieferung  von 
der  Bethätigung  der  Pontifices  bei  den  ständigen  Opferhandlungen   be- 


den  legis  actiones,  kann  hier  ebensowenig 
eingegangen  werden,  wie  auf  die  auf  ihren 
Aufzeichnungen  beruhenden  armales  maximi 
(s.  oben  S.  327  A.  1)  und  Consularfasten. 

*)  respondendi  iuris  und  conficiendarum 
religianutn  facultas  unterscheidet  Gic.  de  leg. 
II  29;  die  Aufz&hlung  der  pontificalen  Com- 
petenzen  bei  Liv.I  20,  5—7  und  Dionys.  Hai. 
II  73,  2  lässt  diesen  zweiten  Abschnitt  ihrer 
Thfttigkeit  fast  ganz  unberücksichtigt. 

')  Der  Rex  erscheint  als  Priester  des 
Janus  beim  Agonium  am  9.  Januar  (oben 
S.  91)  und  gemeinsam  mit  der  Regina  sa- 
crorum  beim  Ealendenopfer  (Macr.  S.  1 15, 
10.  19),  ausserdem  bei  den  so  gut  wie  gänz- 
lich unbekannten  Ceremonien  des  Regifugium 
und  der  mit  Q(ando)  R{ex)  C(omitiavit)  F{as) 
bezeichneten  Tage  (s.  oben  8.  370  AI)  und 
bei  den  sacra  nonalta  in  arce  (Varro  de  1. 1. 
VI  28,  ygl.  oben  S.  440  A.  5).  Zu  den  hausfrau- 
lichen Obliegenheiten  der  Vestalinnen  gehört 
ausser  dem  Dienste  im  Tempel  und  Atrium 
der  Vesta  (S.  143  f.)  auch  die  Herrichtung 
und  Vertheilung  der  für  die  Parilia  erforder- 
lichen Sahnmittel  (Ovid.  fast.  IV  731  ff., 
ygl.  639  f.)  und  die  parentatio  am  13.  Februar 
(oben  S.  187). 

')  Fest.  p.  348  (ergänzt  nach  Serv.  Aen. 
IV  262):  [sjecespüam  esse  Antisti[us  Labeo 
ait  cultrum]  ferreum  ohlongum,  mani[hrio 
ebumeo  rottmdjo  solido,  vincto  ad  cafpu- 
lum  argento  auroquej,  fixum  clavis  aeneis 
aefre  Cyprio,  quo  flaminjes  flaminicae  vir- 
gifnes  pontificesque  (vgl.  Suet.  Tib.  25)  ad 
sacjrificia  utuntur,  eafque  tarn  sacra  est]; 
der  Opferbecher  aus  Thon  {culullus)  gehört 
wohl  auch  dem  Gesamtcollegium,  wenn  er 
auch  nur  für  Pontifices  und  Vestalinnen  be- 
zeugt ist  (Proph.  zu  Hör.  c.  I  31,  11),  und  das 
Gleiche  wird  von  den  sonst  als  Pontifical- 
abzeichen  durch  Zeugnisse  und  Münzen  be- 


kannten Opfergerätschaften  (vgl  auch  oben 
S.  430)  gelten,  dem  Weihwedel,  dem  Opfer- 
beil {scena  sive  sacena  doldbra  p<mHficaiis 
Paul.  p.  319,  vgl.  pontificum  securim  Hör. 
carm.  III  23,  12)  und  der  Schöpfkelle  (nm- 
pulum  Paul,  p  337.  Varro  de  1. 1.  V  124). 

*)  Der  Flamen  Dialis  tritt  als  Priester 
des  Juppiter  auf  bei  der  Idusfeier  (a  flamine 
Macr.  S.  I  15,  16;  lovis  sacerdos  Ovid.  fast. 
I  587;  s.  oben  S.  103)  und  bei  den  Vinaüa 
(oben  S.  101),  sowie  bei  der  Confarreation 
(oben  S.  104),  die  Flaminica  ist  Priesterin 
der  Juno  (Plut.  Qu.  Rom.  86),  und  wenn  Macr. 

I  16,  30  angibt,  dass  sie  an  allen  Nundinae 
in  der  Regia  dem  Juppiter  einen  Widder 
opferte,  so  ist  damit  wohl  ein  gemeinsames 
Opfer  von  Flamen  und  Flaminica  Dialis 
an  Juppiter  und  Juno  gemeint.  Der  Flamen 
Martiaiis  fungiert  beim  Opfer  des  Oktober- 
rosses  (oben  S.  131). 

^)  So  leitet  der  Flamen  Quirinalis  die 
Feier  der  Robigalia  (Ovid.  fast.  IV  910)  und 
bringt  a^i  den  Larentalia  das  Opfer  am 
.Grabe'  der  Larenta  dar  (Gell.  VII  7,  7;  o 
Tov  "jQ^oq  hqevq  falsch  Plut.  Rom.  4;  per 
flamines  Macr.  I  10,  15;  pontifices  Cic.  ep.  ad 
Brut.  I  15,  8;  sacerdotes  nostri  Varro  de  L  1. 
VI  23);  die  Consualia  am  21.  August  feiert 
er  zusammen  mit  den  Vestalinnen  (Tert.  de 
spect.  5);  dagegen  finden  wir  auffallenderweise 
den  Flamen  Portunalis  im  Dienste  des  Qui- 
rinus  thätig  (Fest.  p.  217:  persülum  voeant 
saicerdotes  rudusculum  picatum,  ex  quo 
unguine  flamen  Portunalis  arma  Quirini 
tinguit). 

^)  Darum  wird  bei  Liv.  X  7,  10  als  Ob- 
liegenheit des  Pontifex  angegeben  capiie 
velato  victimam  cnedere;  vgl.  Ulpian.  Dig. 

II  4,  2 :  in  ius  vocari  non  oportet  .  .  .  pon- 
tificem  dum  sacra  facit. 


67.  Das  Pontifioalcolle^nm. 


445 


richtet,^)  ist  ausserordentlich  dürftig  und  beruht  ganz  auf  Zufälligkeiten; 
für  die  grosse  Mehrzahl  der  Opfer  an  den  alten  feriae  und  für  die  Ge- 
samtheit der  sacrifida  publica  an  den  natales  temphrum  ist  überhaupt  nicht 
überliefert,  wer  die  Opferhandlung  voUzog,  es  kann  aber  nach  der  Natur 
der  Sache,  soweit  es  sich  nicht  um  Gottesdienste  des  graecus  ritus  handelt, 
die  ihre  eignen  Priester  und  Priesterinnen  mit  sich  brachten,  niemand 
anderes  in  Frage  kommen,  als  eben  die  Pontifices^)  als  sacerdotes  publici 
schlechthin  (oben  S.  340  A.  4).  Mehrfach  begegnet  uns  ein  gemeinsames 
Wirken  zweier  Priester  des  CoUegiums,  am  häufigsten  von  Pontifex  (max.) 
und  Vestalin,^)  aber  auch  in  andrer  Gruppierung;  so  finden  wir  den  Pontifex 
max.  mit  dem  Flamen  Dialis  vereinigt  bei  der  Confarreation  (Serv.  Georg. 
I  31),  mit  den^  Flamen  Martialis  beim  Opfer  des  Oktoberrosses  (Cass.  Dio 
XLIII  24,  4),  den  Flamen  Quirinalis  mit  der  Vestalin  bei  den  Gonsualia  des 
21.  Aug.  (Tert.  de  spect.  5),  auch  zwischen  dem  Rex  und  den  Vestalinnen 
bestehen  amtliche  Beziehungen  (oben  S.  141  A.  12),  und  zum  Opfer  der  Fides 
fuhren  die  drei  grossen  Flamines  gemeinsam  (Liv.  I  21, 4).  Eine  Beteiligung 
an  den  von  andern  Priestern  vorgenommenen  heiligen  Handlungen  ist 
mehrfach  bezeugt,  und  zwar  nicht  nur  an  denen  altrömischer  Priester,  wie 
der  Salii^)  und  Luperci,^)  sondern  später  auch  an  solchen  des  graecus 
rituSj  wie  an  der  Argeerprocession  wahrscheinlich  das  ganze  GoUegium 
teilnimmt^)  und  die  Nachtfeier  der  Bona  Dea  von  den  Vestalinnen  (zu- 


')  Sie  ist  bezeugt  fOr  die  Carmentalia 
{sacrum  pontificale  Ovid.  fast.  I  462),  For- 
dicidia  (Ovid.  fast.  IV  630;  aQx^BQetg  Lyd.  de 
mens.  IV  49;,  Carnaria  (Ovid.  fast.  VI  106), 
ein  Consusopfer  am  7.  Juli  (Teri  de  spect. 
5),  die  Vitolatio  am  8.  Juli  (Macr.  S.  ni  2, 
11.  14)  und  die  Angeronalia  (Macr.  I  10,  7); 
ihrer  Bedeutung  nach  ganz  dunkel  sind  das 
pro  coUegio  pantificum  qumto  quoque  anno 
stattfindende  Opfer  der  caviares  hostiae 
(Paul.  p.  57)  una  ein  nur  einmal  im  J.  716 
=  38  erwähntes  Opfer  der  Pontifices  in  der 
Casa  Romuli  (Cass  Dio  XLVIII  43,  4). 

')  Dass  auch  die  di  novensides  italischer 
Herkunft  dem  pontificalen  Amtskreise  zuge- 
wiesen wurden,  kann  man  daraus  schliessen, 
dass  diesen  auch  die  Fürsorge  für  die  sacra 
municipalia  obliegt  (S.  88). 

*)  Wie  Pontifex  und  Vestalin  die  einzigen 
sind,  die  den  Penus  Vestae  betreten  dürfen 
(Dion.  Hai.  II  6ß,  3.  Bist.  aug.  Elagab.  6, 6),  so 
haben  sie  auch  allein  zum  sacrarium  Opia 
Consivae  in  der  Regia  Zutritt  (Varro  de  1. 1.  VI 
21);  welches  Opfer  Hör.  c.  III  80, 8  dum  Capi- 
toUum  scandet  cum  tacita  virgine  pontifex 
meint,  muss  dahingestellt  bleiben;  die  von 
den  meisten  Erklärem  angenommene  Be- 
ziehung auf  die  sctcra  Idtdia  ist  dadurch 
ausgeschlossen,  dass  dies  Opfer  nicht  vom 
Pontifex,  sondern  vom  Flamen  Dialis  yoll- 
zogen  wird  (s.  oben  8. 444  A.  4).  Auch  an  der 
von  den  Pontifices  geleiteten  (Varro  bei  Non. 
p.  547.  Serv.  Aen.  III  175)  Bittprocession  des 
Aquaelicium  (oben  S.  106)   werden   wie  die 


Matronen  auch  die  Vestalinnen  teilgenonmien 
haben.  In  augusteischer  Zeit  feiern  Ponti- 
fices und  Vestalinnen  die  sacrifida  anni- 
versaria  zur  Erinnerung  an  die  Stiftung  der 
Ära  Fortunae  Reducis  (15.  Dez.)  und  der  Ära 
Pacis  Augustae  (80.  Jan.),  Mon.  Anc.  2, 30. 40. 

^)  So  sind  bei  der  Feier  des  Armi- 
lustrium  (19.  März)  die  Pontifices  mit  den 
Saliern  und  den  Tribuni  celerum  vereint 
(Fast.  Praen.,  s.  oben  S.  382  A.  4),  und  an 
einer  Opferhandlung  der  Pontifices  in  der 
Regia  sind  die  Saliae  virgines  beteiligt  (Fest 
p.  829);  an  den  Kulthandlungen  der  mit 
Q(uando)  R{ex)  C{omü%avit)  f(a8)  bezeich- 
neten Tage  wirken  (das  ist  das  einzige,  was 
die  verstümmelte  Stelle  des  Fest.  p.  278 
deutlich  erkennen  lässt)  ausser  dem  Rex 
sacrorum  auch  die  Salier  mit. 

*)  Vor  den  Lupercalia  findet  innerhalb 
des  CoUegiums  eine  Verteilung  der  fehrua 
durch  den  Rex  und  die  Flamines  statt  (Ovid. 
fast.  II  21  f.:  pontifices  ab  rege  petunt  et 
flamine  lanas,  quis  veterum  lingua  februa 
nomen  erat,  vgl.  v.  27  f.:  ipse  ego  flamini- 
cam  poscentem  februa  vidi,  fehrua  poscenti 
pinea  virga  dcUast),  die  Vestalinnen  bereiten 
die  mola  salsa  (Serv.  Ed.  8,82)  und  an  der 
Luperealienfeier  selbst  ist  der  Flamen  Dialis 
irgendwie  beteUigt  (Ovid.  fast.  U  282). 

*)  Pontifices  und  Vestalinnen  nennt  Dion. 
Hai.  I  38,  3  (a  sacerdotibus  Varro  de  1. 1.  VII 
44),  die  Vestalinnen  allein  Paul.  p.  15.  Ovid. 
fast.  V  621,  die  Flaminica  Plut.  Qu.  Rom.  86 
(vgl.  Gell.  X  15,  80  und  oben  S.  377  A.  6). 


446 


Religion  ttnd  Kultiu  der  BÖmer.    TU.  Kultne. 


sammen  mit  der  Gattin  eines  Magistrates)  begangen  wird  (s.  oben  S.  178 
A.  4).  Vereint  mit  den  Magistraten  finden  wir  das  Collegium  bei  dem 
Opfer,  das  die  Cionsnln  alljährlich  bald  nach  ihrem  Amtsantritte  der  Yesta 
und  den  Penaten  in  Lavinium  zur  Feier  der  sacra  prtncipia  poptdi  Romani 
Quiritium  nominisque  Latini,  quae  apud  Laurentis  coluntur  (CLL  X  797), 
darbringen,  1)  und  in  der  Kaiserzeit  wird  die  Feier  der  Votorum  nuncnpatio 
von  allen  Magistraten  und  Priesterschaften  begangen.*) 

Eine  Entlastung  des  durch  das  Anwachsen  der  sacralen  Obliegen- 
heiten sehr  stark  in  Anspruch  genommenen  Pontificalcollegiums  erfolgte 
im  J.  558  =  196  durch  die  Abzweigung  eines  eigenen,  zunächst  3,  später 
7  und  zuletzt  10  Mitglieder  umfassenden  Priestertums  für  die  Ausrichtung 
des  ludorum  epulare  sacrifidum^)  der  Ludi  Romani  und  PIet)ei,  indem  das 
epulum  der  letzteren  wahrscheinlich  damals  zur  ständigen  Feier  erhoben 
und  beide  epula  wohl  gerade  seit  jener  Zeit  mit  dem  Prunk  der  griechi- 
schen Lectistemien  begangen  wurden  (s.  darüber  oben  S.  357).  Als  aus 
den  Pontifices  hervorgegangen  sind  diese  Illviri  bezw.  Vllviri  (den  letz- 
teren Namen  haben  sie  auch  nach  der  Vermehrung  ihrer  Zahl  behalten) 
epulones  nach  Bang,  Ehrenrechten  und  Bestellungsform  mit  den  drei 
grossen  Priesterschaften  der  Pontifices,  Augum  und  Quindecimvim  gleich 
behandelt  worden  (s.  oben  S.  414),  rechtlich  aber  haben  sie,  obwohl  sie 
ein  eigenes  collegium  bilden,  immer  eine  gewisse  Abhängigkeit  vom  Pon- 
tificalcoUegium  bewahrt.^) 

Beträchtlicher  war  die  Erleichterung,  welche  die  Pontifices  auf  andre 
Weise  in  ihrer  Wirksamkeit  erfuhren.  Bei  dem  grossen  umfange  ihres 
Qeschäftskreises  müssen  sie  zu  allen  Zeiten  mehr  als  die  übrigen  Priester- 
schaften auf  die  Mitwirkung  von  Dienern  und  Subalternbeamten  angewiesen 
gewesen  sein,'^)  und  wir  werden  anzunehmen  haben,  dass  rät  grosser  TeU 


')  Schol.  Veron.  Verg.  Aen.I239:  Äenecie 
Indigeti  templum  dicavit,  ad  quod  ponti- 
fices quot  annis  cum  consulibtts  [ire  solent 
sacrificaturi],  Serv.  Aen.  VIII  664:  {fla- 
min  es)  cum  sacrificarent  apud  Laurola- 
vinium. 

')  vno  xiap  ttQxoytOiy  xttl  xoSp  Isgiiov 
Cass.  Dio  UX  3,  4  (vgl.  LI  19,  7 :  xovg  xb 
IsQiag  xal  xdg  U^eias).  Tac.  ann.  IV  17;  s. 
oben  S.  381  A.  1.  Die  Priester  der  vier 
grossen  Collegien  zusammen  werden  genannt 
bei  einem  Opfer,  das  die  Fast.  Praen.  znm 
17.  Januar  notieren:  Pontifices  afugures 
X  Vviri  s(acris)  f{aciundis)  VII]  mr(i)  epu- 
lonum  victuma^  imm[ol]ant  nfumini  Auguati 
ad  aram  qjuam  dedicavit  Ti,  Caesar.  Vgl. 
Mon.Anc.2,15-17.  Cas8.DioLlIl  1,5.  LVIII 
12,  5.  Tac.  ann.  III  64. 

•)  Cic.  de  or.  Hl  78:  pontifices  veteres 
propter  sacrificiorum  multitudinem  tresviros 
epulones  esse  voluerunt,  cum  essent  ipsi  a 
Numa,  ui  etiam  ülud  ludorum  epulare  sacri- 
ficium  faeerent,  instituti  (vgl.  Paul.  p.  78). 
Das  Jahr  der  Einsetzung  durch  tribunicisches 
Gesetz  gibt  Liv.  XXXÜI  42,  1,  die  Vermeh- 
rung von  7  auf  10  durch  Caesar  Cass.  Dio 


XLlü  51,  9. 

*)  Sie  legen  innerhalb  ihres  Amtskreises 
vorgekommene  Verstösse  den  Pontifices  zur 
Entscheidung  vor  (Cic.  har.  resp.  21 :  panü- 
fices,  ad  quos  epuiones  lovis  0.  M,,  si  quid 
est  praetermissum  aut  commissum,  afferunt) 
und  werden  in  ihren  Obliegenheiten  von 
diesen  vertreten  (Cass.  Dio  XLVIII  32,  4). 

^)  Ausser  den  allgemeinen  priesterlichen 
Apparitoren  und  Sklaven  (s.  darüber  S.  426  f.) 
finden  wir  speziell  bei  den  Pontifices  die 
fictores  pontificum  (Varro  de  1.  1.  VIF  44. 
Cic.  de  domo  139.  CIL  V  3352.  VI  786. 1074. 
10247.  2125  =  XIV  2413,  auch  fictores  vCH^- 
ginum)  V(estdlium)  CIL  VI  2134.  2136.  No- 
tiz, d.  scavi  1883  S.  449  nr.  4;  S.  452  nr.  9, 
vgl  ebd.  S.  465  ff.),  strufertarii  (Paul.  p.  85, 
vgl.  295  und  über  strues  und  fertum  oben 
8.  847  A.  4),  praeciae  (speziell  bei  den  gros- 
sen Flamines,  Fest.  p.  249,  wo  mit  Madvig 
praeciae  viatores  statt  praeciamüaUires  ra 
lesen  ist.  Paul.  p.  224;  in  der  gleichen  Funk- 
tion nennt  Macr.  S.  I  16,  9  pra^conem^  Serv. 
Georg.  I  268  ccUatores)  und  den  saeerdos 
virginum  Vestcdium  (Freigelassener  CIL  VI 
2150,  8.  oben  a  414j. 


67.  Dyi  PonüficalooUeginm. 


447 


der  Opferhandlnngen,  insbesondere  die  Opfer  an  den  naiales  templorum^ 
im  Namen  und  Auftrage  der  Pontifices  von  dem  Unterpersonale  ausgeführt 
wurden,  wie  dies  auch  anderweitig  bekannt  ist.  ^)  Die  Hauptrolle  scheinen 
dabei  die  calatores  pontificum  et  ftaminum  zu  spielen,  die  ursprünglich  an 
den  Einzelpriester  attachierte  Pedellen  waren  (oben  S.  427),  später  aber 
eine  geschlossene  Korporation  bildeten,')  ihr  Amtslokal  bei  der  Regia  be- 
sassen  (s.  oben  S.  431  A«  7)  und  bestimmte  Gompetenzen  gegenüber  dem 
opfernden  und  weihenden  Publikum  ausübten.^)  Aus  diesen  Ealatores  scheint 
sich  auch  die  Würde  der  Pontifices  minores  entwickelt  zu  haben, ^)  die 
aus  ursprünglichen  Dienern  der  Pontifices^)  zu  ihren  CoUegen  geworden 
sind:  am  Ende. der  Republik  wenigstens  nahmen  sie,  drei  an  der  Zahl  und 
unter  sich  in  festem  Rangverhältnisse  stehend,  an  den  Sitzungen  und  Be^ 
ratungen  des  OesamtcoUegiums  teil,^)  und  in  der  Kaiserzeit  ist  das  Amt 
eines  pontifex  minor  publicorum  p.  S.  sctcrorum  (CIL  XI  1421,  vgl.  X  3901) 
eines  der  angesehensten  unter  den  ritterlichen  Priesterämtern.  0 

Nicht  zum  PontificalcoUegium  zugehörig,  aber  ihm  unterstellt  waren 
eine  Reihe  von  Priesterschaften,  denen  die  Pflege  der  sacra  einiger  teils 
untergegangener,  teils  dem  römischen  Staate  einverleibter  altlatinischer  Ge- 
meinden übertragen  war.^)  Während  im  allgemeinen  die  Halbbürger- 
gemeinden nach  dem  Verluste  ihrer  Selbständigkeit  ihre  alten  Gottesdienste 
behalten  und  sie  nunmehr  als  römische  unter  der  Oberaufsicht  der  Ponti- 
fices weiter  ausüben,  die  Götter  einer  zerstörten  Stadt  aber  durch  evocatio 
nach  Rom  gezogen  und  dort  unter  die  Staatsgötter  eingereiht  werden 
(oben  S.  39),  haben  die  ehemaligen  engen  sacralen  Beziehungen  Roms 
zu  seinen  nächsten  latinischen  Nachbarstädten  zu  einer  besonderen  Rechts- 
stellung von  deren  sacra  geführt.  Die  uralte  Verbindung  mit  Lavinium, 
das  seit  dem  J.  416  =  338  als  politische  Gemeinde  zu  existieren  aufgehört 
hatte  und  dessen  Sacra  seitdem  auf  das  benachbarte  Laurentum  über- 
gegangen waren,  findet  ihren  Ausdruck  nicht  nur  in  dem  alljährlich  von 


^)  Der  Magister  der  Arvalbrüder  läset 
die  Piacularopfer  im  Haine  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  per  calatorem  et  publi- 
C08  darbringen,  Hsnzbn,  Acta  S.  132  f.  1B9. 

')  Verzeichnisse  der  kalatores  pontificum 
et  flaminum  miib  36  bezw.  27  Namen  (Frei- 
gelassene) CIL  VI  2184.  2185  (dazu  Bull.  arch. 
com.  XV  1887,  94);  ein  einzelner  kalator 
pontif(icum)  CIL  X  1726,  kalatores  pon(ti' 
flcum)  Notiz,  d.  scavi  1899,  431. 

*)  permissu  kal(Uor(um)  pon[tif(icum)J 
et  flaminum,  cui  immunitaa  data  est  ab  eis 
sacrum  faciendfij  CIL  VI  712.  2186,  vgl.  2185. 

*)  Freilich  sagt  Liv.  XXII  57,  3:  scriba 
pontificis,  quos  nunc  minores  pontifices  ap- 
pellant  (ausgeschrieben  Bist.  aug.  Opil.  Macr. 
7, 2);  aber  dass  der  Pontifex  minor  ursprüng- 
lich ein  calator  war,  zeigt  die  Thatisache, 
dass  seine  Hauptaufgabe  das  calare  an  den 
Kalendae  ist  (Macr.  I  15,  9  f.,  vgl  ebd.  §  19. 
Fast.  Praen.  z  1.  Jan.);  eine  ähnliche  Aufgabe 
erffiUte  vielleicht  der  tusculanisohe  monitor 
sacrorum  (CIL  XIV  2603,  vgl.  2580). 


')  Fest.  p.  165:  in  commentario  sacro- 
rum usurpatur  hoc  modo:  ,pontifex  minor 
ex  stramentis  napwras  nectito*,  id  est  funi- 
cuios  facitOj  quibus  sues  adnectantur. 

")  Fest.  p.  161 :  minorum  pontificum  ma- 
ximus  dicitur,  qui  primus  in  id  collegium 
renit,  itetn  minimus  qui  novissimus.  An  der 
Beratung  über  Ciceros  Haus  nehmen  die  drei 
Pontifices  minores  teil,  sie  stehen  in  der 
Liste  der  Teilnehmer  (Cic.  har.  resp.  12)  zu- 
letzt, an  derselben  Stelle  (hinter  den  betei* 
ligten  Mitgliedern  des  PontificalcoUegiums 
und  vor  dem  ebenfalls  eingeladenen  Augur) 
finden  sie  sich  unter  den  Gästen  beim  An- 
trittsessen des  Flamen  Martialis  (Macr.  S.  III 
13,  11)  verzeichnet,  hier  sogar  ohne  Hervor- 
hebung ihrer  Eigenschaft  als  {pontifices) 
minores. 

^)  Habbl,  De  pontificum  Roman,  condio. 
publ.  S.  93  ff. 

^)  G.  WiLMAMNS,  De  sacerdotiorum  p.  p. 
R.  quodam  genere,  Berolini  1868.  Mommsbn, 
Staatsr.  III  579  f. 


448 


Religion  und  Kaltiu  der  ROmnr.    m.  Enltne. 


den  Cionsuln  bald  nach  ihrem  Amtsantritte  zusammen  mit  den  Staats- 
priestern in  Lavinium  dargebrachten  Staatsopfer  ^  und  in  der  ebenfalls  all- 
jährlich 10  Tage  nach  den  Feriae  Latinae  feierlich  vollzogenen  Erneuerung 
des  Bündnisses  mit  Laurentum,*)  sondern  auch  darin,  dass  die  gesamte 
nach  Art  der  römischen  gegliederte^)  Priesterschaft  der  vereinigten  Sacral- 
gemeinde  Laurentum-Lavinium  unter  die  römischen  scxerdotia  publica  auf- 
genommen wird.^)  Ein  ganz  ähnliches  römisches  Staatspriestertum  bestand 
für  die  sacra  des  frühzeitig  zerstörten  Alba  Longa,  ^)  die  ebenso  mit  denen 
von  Bovillae  vereinigt  waren  wie  die  lavinatischen  mit  denen  von  Lau- 
rentum,^)  ein  drittes  für  die  des  ebenfalls  in  sehr  früher  Zeit  unter- 
gegangenen Caenina;^)  endlich  haben  die  sacerdotes  Cabenses^)  und  sacerdotes 
Suciniani^)  in  ihrem  Namen  noch  die  Erinnerung  an  zwei  längst  ver- 
schollene Latinerstädte  erhalten,  deren  sacrale  Pflichten,  insbesondre  beim 
latinischen  Bundesfeste,  *^)  sie  wahrzunehmen  haben.  Etwas  verschieden^ 
artig  ist  die  Stellung  der  römischen  sacerdotes  Lanuvini^^)  und  s<»cerdaies 
Tusculani^*)  insofern,  als  es  sich  hier  um  Kulte  von  als  politische  und 
sacrale  Gemeinden  noch  fortbestehenden  Städten  handelt;  die  sacra  dieser 
Gemeinden  finden  eine  doppelte  Pflege,^')  einerseits  durch  die  municipalen, 


*)  Macr.  S.  UI  4,  11.  Serv.  Aen.  II  296. 
III  12  (Aber  die  Beteiligimg  der  Pontifices 
imd  Flamines  s.  oben  S.  446);  Beispiele  Val. 
Max.  I  6,  7.  Aecon.  p.  18  f. 

')  Liy.  Vin  11»  15:  cum  Laurentibus 
renovari  foedus  iussum,  renovtxtwrque  ex  eo 
quotannis  post  diem  decimum  Latinarutn; 
daher  der  pater  patratws  poptdi  Laurentis 
foederis  ex  libris  SibuUmis  percutiendi  cum 
p(opulo)  E{omano),  CIL  X  797. 

*)  Nachweisbar  ist  der  Titel  des  ponUfex 
(CIL  VI  1635.  Vm  9868.  XII  408.  XIV  171. 
854),  flamen  (CIL  m  1198;  flamen  lucularis 
XI  5215),  salius  (CIL  XIV  890  f.  Caokat, 
L'ann^e  ^pigr.  1896  nr.  86),  ja  unter  Claudius 
ist  ein  und  derselbe  Mann  sacrorum  prin- 
cipiorum  p(opuli)  B(oman%)  Quirü(ium)  no- 
mifixsque  Latini,  quai  apud  Lawrentis  co- 
luntur,  flamfen)  lHalis,  fiam(en)  Martialfis), 
8cdiu8  praesul,  augur,  pontifex  (CIL  X  797; 
vgl  XIV  4176). 

*)  Der  Name  ist  sacerdos  Laurens  La- 
vinas  (CIL  IX  4686.  Notiz,  d.  scavi  1888, 
408)^  sacerdos  Laurentium  Lavmatium  (CIL 
III  1180.  6270.  V  6357.  VI  2176.  VÜI 1489. 
7978),  sacerdos  aput  Laurentes  Lavinates 
(Notiz,  d.  scavi  1888,  286),  oft  auch  bloss 
Laurens  Lavinas;  vgl.  Bruzza,  Iscrizioni 
Vercellesi  (Roma  1874)  S.  68  ff.  Dessau,  CIL 
XrV  p.  187  f.  MoMMSEN,  Rom.  Mitt.  III  78  f. 

*)  Bezeugt  pontifex  (CIL  VI  2161.  2168. 
IX  1595.  XIV  2264),  salius  (CIL  VI  2170  f. 
XIV  2947),  virgo  Vesialis  (CIL  VI  2172.  XIV 
2410.  Ascon.  p.85.  Symm.  epist.  IX  147  f.,  ygl. 
JuY.  4,  61.  LiY.  I  20,  3)  und  wahrscheinlich 
ein  rex  sacrorum  (CIL  VI  2125  =  XIV  2413 
L,  Manlio  L.  f  Pal(atina)  Severe  regt  sa- 
crorum, fictori  pontificum  p.  B.,  IUI  viro 
JBovülensium;  derselbe  Mann  kann  unmög- 


lich Rex  sacrorum  in  Rom  und  Fictor  der 
Pontifices  gewesen  sein;  daher  gehört  die 
Wflrde  offenbar  zu  den  nach  Bovillae  Aber- 
tragenen  siusra  Älbana), 

•)  Dessau,  CIL  XIV  p.  281. 

"*)  sacerdos  Caenmensium  {CIL  XI 2699) 
oder  Caeninensis  (auch  Caeniniensis),  CIL  V 
4059.  5128.  VI  1598.  IX  4885  f.  X  8704.  XI 
2699.  8103.  XII 671;  ein  vnaxog  Kaireiytjring 
UQüiy  &ij(Aov  'Ptofiaiatr  CIA  111628,7  =  624,4, 
vgl.  Mabquardt,  Ephem.  epigr.  I  p.  203. 

^)  sacerdotes  Udbenses  feriarum  Lati- 
narum  montis  Älbani  CIL  VI  2021  =  2173 
=  XIV  2228;  sacerdotes  Cabenses  montis 
Älhani  CIL  VI  2174  f.  Über  die  Ortschaft 
(Plin.  n.  h.  III 64.  Dion.  Hai.  V  61, 3)  s.  Mon- 
SBN,  BuU.  d.  Inst.  1861,  205  ff.;  Hermes  XVII 
50.  G.B.deRossi,  Annali  d.  Inst.  1873, 168  ff. 

•)  CIL  VI  2178-2180. 

^®)  Darauf  weist  der  volle  Name  der 
Sacerdotes  Cabenses,  s.  oben  Anm.  8. 

")  CIL  IX  4206-4208.  4399  (hier  fiberaU 
zugleich  j)on^t/ea;).  X  4590.  V  6992.  7814;  der 
flamen  maximus  in  Lanuvium  (CIL  XIV  2092 ; 
vgl.  Cic.  pro  Mil.  27.  46.  Ascon.  p.  27)  gehört 
sicher  ebenso  dem  municipalen  Kulte  au  wie 
der  Rex  sacrorum  und  Flamen  Dialis  (CHj 
XIV  2689). 

>*)  sacerdos  Tusculanus  CIL  V  27.  IX 
2565  (sacerfdos)  Tuscul(anus)  fanüdlis); 
sodalis  sacrorum  Tusculanorum  CIL  V  5086 ; 
praesul  sacerdoti  Tusculanorum  CIL  VI  2177 
(ein  sechsjähriges  Mftdchenl);  municipal  da- 
gegen sind  die  Würden  des  tusculanischen 
augur  (CIL  XTV  2580.  2628),  rexs  sacr&rum 
(ebd.  2684),  monitor  sacrorum  (ebd.  2603, 
vgl.  2580)  u.  a. 

'')  Liv.  VIII 14, 2 :  Lanuvinis  civiUu  data 
sacrague  sua  reddita  cum  eo,  ut  aedes  *lucu9^ 


67,  Das  Pontifloaloollegiam. 


449 


andererseits  durch  die  römischen  Priester.  Wir  kennen  diese  römischen 
Priester  latinischer  Stadtkulte,  deren  Zahl  vielleicht  noch  grösser  war,0 
durchweg  nur  aus  Inschriften  der  Kaiserzeit,  in  welcher  Weise  in  repu- 
blikanischer Zeit  für  diesen  Zweig  der  Sacralverwaltung  gesorgt  war,  ist 
völlig  unbekannt;  die  uns  bekannte  Organisation,  nach  welcher  all  diese 
Priestertümer  zu  den  sacerdotia  equestria  zählen^)  und  vom  Pontifical- 
coUegium  ressortieren,^)  geht  jedenfalls  auf  die  Reorganisation  des  Sacral- 
und  Priesterwesens  unter  Augustus  zurück. 

In  anderer  Weise  waren  wahrscheinlich  dem  PontificalcoUegium  die 
Flamines  Divorum  angegliedert.  Diese  Einzelpriester,  von  denen  bis 
ins  3.  Jahrhundert  hinein  (s.  oben  S.  288  f.)  jeder  Divus  einen  erhielt 
und  deren  Zahl  daher  im  ständigen  Steigen  begriffen  war,^)  bildeten  kein 
Gollegium  und  müssen  mit  einem  der  grossen  Priestertümer  verbunden 
gewesen  sein;  dass  es  das  PontificalcoUegium  war,^)  geht  aus  dem  um- 
stände hervor,  dass  für  die  Organisation  der  Flamines  Divorum  durchaus 
die  drei  grossen  Flamines  vorbildlich  gewesen  sind*):  wie  diese  waren 
jene  lebenslängliche  Priester,  die  wahrscheinlich  vom  Kaiser  als  Pontifex 
max.  ernannt  wurden,  sie  mussten  Patrizier  sein  (s.  oben  S.  422  A.  1)  und 
wurden  inauguriert  (oben  S.  420  A.  3);  dass  aber  ihr  Verhältnis  zu  den 
Pontifices   immerhin  lockerer   war,   als   das  der  Flamines  des  Juppiter, 


que  Sospüae  lunonis  communis  Lanuvinis 
miinicipibua  cum  populo  Romano  esset  (wenn 
MoMMSBN,  Staatsr.  UI  579«  4  das  dahin  aus- 
legt, ,das8  die  socra  alle  übergehen  auf  die 
römische  Bürgerschaft,  das  PontificalcoUe- 
gium aber  die  Priester  dafür  aus  den  cives 
Bomani  Lanuvini  nimmt*,  so  scheint  mir 
diese  Deutung  mit  dem  Wortlaut  der  Stelle 
unvereinbar);  hier  fand  wahrscheinlich  das 
von  Cic.  pro  Mur.  90  erwähnte  alljährliche 
consularische  Opfer  statt;  über  den  stadt- 
römischen Kult  der  Juno  Lanuvina  s.  oben 
S.  117. 

^)  MoMMSBN  a.  a.  0.  S.  580  A.  5  rechnet 
auch  den  ftamen  Virbialis  (CIL  X  1493)  hier- 
her, kaum  mit  Recht,  da  in  der  Inschrift 
diese  Würde  dicht  neben  den  sicherlich 
municipalen  des  augur  und  aedilis  ÄuffustoUis 
(von  Neapolis)  steht. 

*)  MoMXSBN,  Staatsr.  111567  f.;  am  höch- 
sten im  Range  stand  das  sacerdotium  Cae- 
ninense,  s.  ebd.  S.  568  A.  7. 

")  Darauf  weist  sowohl  die  evidente  Er- 
gänzung der  Inschrift  CIL  XI  8103  Caenini- 
ensis  a  pofntificibus  factus]  als  auch  die 
gelegenüiche  Bezeichnung  des  albanischen 
Pontifex  als  pontifex  Albanus  minor  (CIL 
IX  1595),  die  doch  wohl  im  Gegensatze  zu 
den  römischen  Pontifices  gemeint  ist.  Dazu 
stimmt  die  Ernennung  idl  dieser  Priester 
durch  den  Kaiser  als  Pontifex  maximus  (s. 
oben  S.  419  A.  4). 

^)  Bezeugt  sind  solche  Flamines  für 
Caesar  (Cass.  Dio  XLIV  6,  4.  Suet.  Caes.  76. 
Cic.  Phil.  II 110.  Xni  41. 47.  Plut.  Anton.  13; 

B«ndbnoh  der  klaas.  Altertmaswiaaeiiaoliaft.  Y,  4. 


flamen  lulianus  CIL  VI  8 1 2),  Augustus  [flamen 
AugustaXis  häufig,  z.  B.  CIL  II  1517.  2198. 
V  3223  c.  add.  VI  909.  913.  921  u.  a.),  Clau- 
dius (ilamen  Claudiaiis  CIL  IX  1123.  X  6566), 
Nerva  (Plin.  Paneg.  1 1),  Trajan  {flamen  Ul- 
pialü  CIL  VI  1383),  Hadrian  (Bist.  aug.  Hadr. 
27, 3),  Antoninus  Pius  (ebd.  Anton.  Pius  13, 4; 
M.  Aurel.  7,  11),  L.  Verus  (ebd.  15, 4),  M.  Au- 
relius  (ebd.  18,  8),  Commodus  (ebd.  Comm. 
17,  11;  flamen  Commodianus  CIL  VI  1577), 
Pertinax  (Bist.  aug.  Pert.  15,  4;  Sever.  7,  8) 
und  Septi'mius  Severus  (flamen  Divi  Severi 
CIL  V  7783);  über  flaminicae  einzelner  Divae 
s.  oben  S.  286  A.  4. 

*)  Die  Annahme  Bobohbsis  (Oeuvres  in 
402.  V  202),  dass  sie  Mitglieder  der  ent- 
sprechenden Genossenschaft  von  Sodales  Di- 
vorum gewesen  wären,  hat  Dbssau,  Ephem. 
epigr.  III  S.  221  ff.  widerlegt 

*)  Vom  Flamen  Julianus  sagt  Cass.  Dio 
XLIV  6,4:  tSsneg  xiydJidXioy;  vgl.  Cic.  PhiL 
II  110:  est  ergo  flamen,  ut  lovi,  ut  Marti, 
ut  Quirino,  sie  Divo  lulio  M.  Antonius; 
darum  ist  auch  das  Statut  des  Provinzial- 
flamen  der  Narbonensis  (CIL  XII  6038)  dem 
des  Flamen  Dialis  nachgebildet  (oben  8.  435 
A.  4)  und  heissen  die  staatiichen  Flamines 
Divorum  nicht  flamen  Divi  lulii,  flamen  Divi 
Augusti  (diese  Bezeichnung  führen  die  pro- 
vinzialen  und  municipalen  Eaiserpriester), 
sondern  flamen  lulianus,  Augustalts,  Clau- 
dialis  u.  s.  w.  (oben  Anm.  4,  Ausnahme  erst 
der  flamen  Divi  Severi)  wie  flamen  Diaiis 
Mariialis  Quirinalis, 


29 


450 


Religion  imd  Enltiu  der  Römer.    IIL  Eoltas. 


Mars  und  Quirinus  zeigt  die  Thatsache,  dass  die  gleichzeitige  Bekleidung 
des  Pontificats  und  eines  der  Eaiserflaminate  möglich  war.^ 

Qehoben  durch  die  Vornehmheit  seiner  Träger')  und  durch  die  Yor- 
standschaft  des  Princeps  ist  der  Pontificat  auch  während  der  ganzen 
Kaiserzeit  nicht  nur  das  weitaus  angesehenste  und  bedeutsamste  Priester^ 
tum  Roms  geblieben,  sondern  hat  auch  in  der  Oberaufsicht  über  das  ge- 
samte Sacralwesen  und  speziell  in  der  Gräberpolizei  (oben  S.  409  f.)  als 
Organ  der  kaiserlichen  Verwaltung  eine  erheblich  umfangreichere  und 
tiefer  eingreifende  Thätigkeit  ausgeübt  als  früher.')  Als  Aurelian  fOr  die 
Priester  seines  Sonnengottes  den  ehrwürdigen  Namen  usurpierte  (oben 
S.  307),  nannten  im  Gegensatze  zu  diesen  pontifices  Solis  die  Vertreter  des 
alten  Priestertums  sich  stolz  pontifices  maioresy  eine  Bezeichnung,  die  sich 
neben  der  bescheideneren  als  pontifices  Vesiae  oder  mit  ihr  zu  dem  Titel 
pontifices  maiores  Ve8t(ie  kombiniert  bis  zum  Ausgange  des  Altertums  be- 
hauptetet) Die  Ämter  des  Kex  und  der  Flamines  können  wir,  wie  weitaus 
die  meisten  römischen  Priestertümer,  nicht  über  die  Mitte  des  3.  Jahr- 
hunderts hinaus  verfolgen,  die  Pontifices  aber  und  die  vestalischen  Jung- 
frauen haben  noch  die  Niederlegung  des  Oberpontificates  durch  Gratian 
überlebt  und  sind  erst  untergegangen,  als  im  letzten  Jahrzehnt  des 
4.  Jahrhunderts  auch  in  der  Stadt  Rom  der  heidnische  Staatskult  erstarb 
(s.  oben  S.  88). 

Litteratar.  J.  A.  Ambrosch,  Quaestionam  pontificalium  prooemium,  caput  I,  II,  ITI. 
Univ.'Progr.  von  Breslau  1847 — 1851.  A.  Bouoh]£-Lbolbboq  ,  I^s  Pontifes  de  rancienne 
Rome,  Paris  1871.  C.  Schwede,  De  pontificum  coliegii  pontificisqae  maximi  in  repablica 
potestate,  Dias.  Lipsiae  1875.  Mommsek,  Staatsr.  II  17  ff.  Mabqüabdt,  Siaatsverw.  II l  2B5  ff. 
Madyio,  Verfass.  u.  Verwaltung  d.  röm.  Staates  II  612  ff.  H.  Jordan,  Der  Tempel  der  Vesta 
und  das  Hans  der  Vestalinnen,  Berlin  1886.  P.  Habbl,  De  pontificum  Romanoram  inde 
ab  Auguste  usque  ad  Aurelianum  condicione  publica  (Breslauer  philol.  Abhandl.  in  1), 
Vratislaviae  1888. 

68.  Die  Augares.  Den  im  PontificalcoUegium  vereinigten  priester- 
lichen Vertretern  des  gesamten  altrömischen  Opferdienstes  steht  das 
collegium  augurum^)  weder  an  Alter  noch  an  Bedeutung  nach;  dass  man 
beide  nebeneinander  als  die  Grundbestandteile  der  ältesten  römischen 
Sacerdotalverfassung  ansah,  zeigt  nicht  nur  die  Überlieferung,  die  die 
Einsetzung  beider  Priestertümer  auf  Numa  zurückfährt,^)  sondern  viel 
deutlicher  noch  die  Thatsache,   dass  man   die  römischen  Bürgercolonien 


')  Pontifez  und  Flamen  Augustalis  CIL 
V  3223  c.  add.,  Pontifex  und  Flamen  Divi 
Severi  CIL  V  7783,  nur  Pontifex  und  Flamen 
(jedenfalls  eines  Divus,  s.  oben  S.  423  A.  1) 
CIL  XIV  4242,  ebenso  Rex  sacrorum  und 
Flamen  CIL  IX  2847. 

*)  Vollständiges  Verzeichnis  der  bekann- 
ten Pontifices  maximi  und  Pontifices  aus 
republikanischer  Zeit  bei  Bardt,  Priester  der 
vier  grossen  Collegien  S.  2—17,  fflr  die  Zeit 
von  Augustus  bis  Aurelian  bei  Habel,  De 
pontific.  Rom.  condic.  publ.  S.  3  ff. 

")  Mommsek,  Staatsr.  II  70. 

^)  Die  Belege  bei  Habel  a.  a.  0.  S.  99 
A.  8. 

»)  CIL  VI  1283;  vgl.  Pest.  p.  161.  Cic. 


de  div.  I  28;  Cato  mai.  64;  epist.  III  10,  9 
u.  a.  Dion.  Hai.  IH  70  {üvatfifAu);  augurea 
publicipopuli  Ramani  QuirUium  CIL  VI  503. 
504.511.  1449.  X  211.  1695  f.  1700. 4752  (vgL 
augures  pMici  oder  papuli  Romani  Varro 
de  1. 1.  V  33.  Cic.  epist.  VI  6,  7.  XÜI  14,  1); 
griechisch  oitoyictai  (Casa.  Dio  XLII  21. 
XLIX  16),  oitovoaxonoi  (Dion.  Hai.  III  70,  71). 
oiütyonoXtn  (ebd.  II  64),  oltayouayrets  (ebd. 
III  69)  u.  a. 

•)  Liv.  IV  4,  2,  vgl  Dion.  Hai.  U  64,  4; 
anders  Cic.  de  rep.  II  16  (vgl.  Liv.  I  18.  6) 
und  die  Quelle  des  Dion.  Hai.  U  22,  3,  der 
aber  f&r  die  Augum  fälschlich  die  Hamspices 
einsetzt. 


68.  Die  Angiirea. 


451 


bei  ihrer  Gründung  eben  mit  diesen  beiden  Priestertttmem,  und  nur  mit 
ihnen,  ausstattete J)  Dem  entsprechend  ist  auch  die  äussere  Geschichte 
des  Augurates  in  völliger  Parallelität  zu  der  des  Pontificats  verlaufen:  die 
Vermehrung  der  Stellenzahl  von  3  auf  6,  9,  15  und  schliesslich  (durch 
Caesar)  auf  16,*)  die  Verteilung  der  Stellen  unter  Patrizier  und  Plebejer 
durch  die  Lex  Ogulnia  (oben  S.  422),  die  Ersetzung  der  Selbstergänzung 
durch  die  Volkswahl  aus  einer  vom  Gollegium  aufgestellten  Praesentations- 
liste  (oben  S.  418)  sind  für  die  Augurn  in  gleicher  Weise  und  zur  gleichen 
Zeit  eingetreten,  wie  für  die  Pontifices;  als  mit  der  Abgrenzung  des  Be- 
griffes der  quattuor  amplissima  coUegia  (oben  S.  414)  die  Festsetzung  einer 
bestimmten  Rangordnung  unter  diesen  notwendig  wurde,  mussten  die  Ponti- 
fices wegen  der  Universalität  ihrer  Obliegenheiten  und  der  magistratischen 
Befugnisse  des  Oberpontifex  den  ersten  Platz  erhalten,  aber  eine  dienstliche 
Unterstellung  der  Augurn  unter  Aufsicht  und  Disziplinargewalt  des  Pontifex 
maximus  ist  damit  keineswegs  erfolgt,^)  sondern  ihre  Wirksamkeit  hat 
sich  in  völliger  Unabhängigkeit  abgespielt.  Mit  den  caerimoniae  et  sacra^ 
auf  welche  sich  die  Thätigkeit  der  Pontifices  erstreckt,  haben  die  Augurn 
nichts  zu  thun,  die  ihnen  obliegenden  selbständigen  Kulthandlungen  — 
mit  technischem  Namen  auguria  genannt^)  —  tragen  nicht  den  Charakter 
von  Opfern,  sondern  es  handelt  sich  dabei  um  eine  unter  Beobachtung 
genau  vorgeschriebener  Formen  an  die  Gottheit  gerichtete  Fragestellung^) 
und  Einholung  ihrer  Zustimmung  oder  Bürgschaft  für  bestimmte  Ange- 
legenheiten im  Gebiete  des  öffentlichen  Wohls;  ist  mit  dem  augurium 
eine  Opferhandlung  verbunden,  so  fällt  ihre  Ausführung  den  Pontifices 
zu,^)  im  AugurencoUegium  gibt  es  keinen  Flamen.  Da  aU  diese  auguralen 
Kultakte  mit  dem  Schleier  tiefsten  Geheimnisses  bedeckt  gehalten  wurden,^) 


^)  Lex  col.  Jnl.  Qenet.  o.  66.  67;  ygl. 
M0M1I8SN,  Eph.  epigr.  III  p.  99  ff.  Libbbnam, 
StAdteverwaltnng  S.  342  f. 

')  Die  Dreizahl  als  Grandlage  steht  fest 
durch  Liv.  X 6,  7.  Cic.  de rep. III 6;  vgl. Dion. 
Hai.  II  22,  3,  vor  allem  aber  durch  die  Drei- 
zahl  in  den  Colonien  (Lex  col.  Gen.  a.  a.  0.), 
die  Neiinzahl  seit  der  Lex  Ogulnia  durch 
Liv.  X  6,  6.  9,  2.  Lvd.  de  mens.  I  45 ;  als 
Zwischenstufe  ist  nicht  wohl  eine  andre  Zahl 
als  6  möglich,  fQr  die  auch  die  Analogie 
der  Pontifices  spricht  (s.  oben  S.  432).  Üeber 
die  Erhöhung  der  Zahl  auf  15  (durch  Sulla) 
und  16  s.  Liy.  per.  LXXXIX  und  Cass.  Dio 
XLII  51,  4. 

")  Eine  solche  liegt  nicht  darin,  dass 
der  Pontifex  max.  für  die  Inauguration  eines 
Priesters  seines  Ressorts  den  Augur  requi- 
riert und  ihm  im  Weigerungsfalle  eine  muUa 
auferlegt  (Fest.  p.  343,  s.  oben  S.  439  A.  8), 
denn  das  ist  einfach  einAusfluss  der  magi- 
stratiscben  Competenz  des  Pontifex  max.; 
ganz  ebenso  requiriert  der  Magistrat  z.  B. 
fEbr  die  Dedication  den  Pontifex  zur  Mitwir- 
kung (Cic.  de  domo  133). 

*)  Die  Handlung  heisst  augurium  agere 
(Varro  de  1.  1.  VI  42.  Cic   de  div.  I  32;   de 


off.  III  66.  Serv.  Aen.  III  20)  oder  augurare, 
inaugurare  (diese  beiden  gleichbedeutend: 
certasque  res  auguraniur  L.  Julius  Caesar 
bei  Pnsc.  VI II  15,  augures  ex  aree  profecti 
soletU  inaugurare  Varro  de  1.  1.  V  47;  vgl. 
Liv.  I  6,  4.  36,  4). 

^)  Varro  de  1.  1.  VI  42:  augures  augu- 
rium agere  dieuntur,  cum  in  eo  plura  dicant 
quam  fäeiant,  Serv.  Aen  III  265:  invoeatio 
autem  est  preeatio  uti  avertantur  maia,  cuius 
rei  causa  id  saerifieium  auguräle  peragitur. 
XII  176:  hoc  per  speciem  augurii,  quae  pre- 
eatio maxima  appeüatur,  dicit;  preeatio  autem 
maxima  est,  cum  plures  deos  quam  in  eeteris 
partibus  auguriorum  precantur  eventusque 
rei  bonae  poscitur;  Bruchstücke  solcher  pre- 
eatUmes  augurum  z.  B.  Cic.  de  nat.  deor. 
III  52,  vgL  Serv.  Aen.  VIII  95.  Fest  p.  157. 

')  Dass  das  Opfer  der  rötlichen  Hunde 
beim  Augurium  canarium  von  den  Pontifices 
vorgenommen  wurde,  sagt  Philarg.  zu  Verg. 
Georg.  IV  425  ausdrücklich  {saeerdotespublici ; 
vgl.  Plin.  n.  h.  ZVIll  14:  in  commentariis 
pontificum);  ich  habe  das  Real-Encycl.  II 
2329  nicht  richtig  beurteilt 

')  Paul.  p.  16:  areani  sermonis  signifi- 
catio  trahitur  .  .  . .  a  genere  sacrifieii,  quod 

29* 


452 


Beli^on  nnd  Xnltiui  der  Römer,    m.  XnltiiB. 


80  haben  wir  von  ihnen  nur  sehr  sp&rliche  Kunde;  doch  werden  wir  uns 
im  allgemeinen   den  Hergang  nach  Analogie  der  einzigen  einigermassen 
bekannten  Ceremonie  dieser  Art,  ^)  der  Inauguration  der  Priester  (s.  darüber 
oben  S.  420),  vorstellen  dürfen :  die  Handlung  findet  auf  der  Burg  statt,  wo 
die  Augum  ein  eigenes  für  ihre  Eultakte  bestimmtes  Lokal,  das  augura- 
culumj*)  besitzen,  vollzogen  wird  sie  durch  den  Augur,  der  mit  verhülltem 
Haupte  (Fest.  p.  343^  6  ff.,  vgl.  oben  S.  352  A.  1)  und  ausgerüstet  mit  dem 
charakteristischen  Kennzeichen  seiner  Würde,  dem  Krummstabe  (lituusX^) 
an  der  linken  Seite  des  zu  inaugurierenden  Priesters  steht  und,   mit  der 
Rechten  dessen  Haupt  berührend,  in  feierlichem  Gebete  an  Juppiter  O.  M. 
die  Bitte  richtet,  falls  ihm  die  Person  des  Vorgeführten  genehm  sei,  seine 
Zustimmung  durch  deutliche  Zeichen    innerhalb   bestimmter  Grenzen    zu 
erkennen  zu  geben.^)    Die  erbetenen  Zeichen  sind  bei  diesen  Akten  stets 
auguHa  caelestia  (Paul.  p.  64),  d.  h.  Blitze  oder  andere  Erscheinungen  am 
Himmel,  ihre  Bedeutung  richtet  sich  nach  dem  Orte  ihres  Erscheinens  im 
Verhältnisse  zur  Stellung  des  Augurs^):  daher  stellt  sich  der  Augur  nicht 
nur  mit  fester  Orientierung  des  Blickes  auf,  sondern  nimmt  auch  ver- 
mittels seines  Lituus  eine  ganz  bestimmte  Abgrenzung  der  Himmelsgegenden 
(regiones  caeli)  in  der  Weise  vor,  dass  er  eine  von  ihnen  als  die  pars  antica 
und   damit  die  übrigen  als  postica,  dextra,  sinistra  bezeichnet.*)     In  dem 
einen  uns  näher  bekannten  Beispiele  einer  Priesterinauguration  wendet  der 
Augur  sein  Gesicht  nach  Osten,  so  dass  Norden  die  pars  sinistra,   Süden 
die  pars  dextra  bezeichnet,^)  aber   wir  haben  auch  sichere  Zeugnisse  für 
eine  Südorientierung   der  auguralen  Beobachtung  (Osten  sinistra,  Westen 
dextra),^)  und  wahrscheinlich   war  die  Art  der  Aufstellung  ganz  in    das 


in  arce  fU  ab  auguribua  adeo  remotutn  a 
notitia  vulgari,  nt  ne  litteris  quidem  mande- 
tur,  sed  per  memoriam  successorum  eelebre- 
tur;  ygl.  Plut.  Qu.  Rom.  99.  Cic.  de  domo  39. 

')  Der  Name  dafür  war  nach  Analogie 
Yon  atigurium  aalutis  wohl  augurium  aacer' 
dotii,  da  Cic.  de  leg.  11  21  die  auguralen 
Knitakte  mit  den  Worten  charakterisiert: 
saeerdotesque  et  vineia  virgetaque  (s.  darüber 
unten  S.  458  A.  3)  et  salutem  populi  augu- 
ranto. 

')  Paul.  p.  18:  auguraculum  appelUt- 
hant  antiqui,  quam  no8  arcetn  dicitnus,  quod 
ibi  augures  publice  auspicarentur  (vgl.  Varro 
de  1. 1.  VII  8);  ein  anderes  auguraculum  lag 
auf  dem  Quirinal  (Argeerurkunde  bei  Varro 
de  1.  1.  V  52),  ein  auguratorium  auf  dem 
Palatin  (Notit.  reg.  X,  vgl.  CIL  VI  976),  ohne 
dass  über  die  Bedeutung  dieser  örtlichkeit 
sonst  etwas  bekannt  wäre. 

')  baculum  sine  nodo  aduncum  Liv.  1 
18,  7,  vgl.  Cic.  de  div.  1  30.  Serv.  Aen.  VII 
187.  190. 

*)  Juppiter  pater,  si  est  fas  hunc  Nu- 
mam  Pompilium,  cuius  ego  caput  teneo,  regem 
Ramae  esse,  uti  tu  signa  nobis  certa  adclü' 
rassis  inter  eos  fines  quös  fecV.  tum  peregit 
verbis  auspicia,  quae  mitti  vellet,  Liv.  1  18,  9; 


vgl.  Plut.  Numa  7. 

^)  Günstig  sind  insbesondere  die  zur 
Linken  des  Beschauers  erfolgenden  Himmels- 
erscheinungen (Varro  de  1. 1.  VII  97  und  bei 
Fest.  p.  339.  Fest.  p.  351.  Dion.  Hai.  II  5,2. 
6,  2.  Cic.  de  div.  II  74.  Plin.  n.  h.  n  142. 
Axnob.  IV  5.  Serv.  Aen.  11 893  u.  a.),  im  Gegen- 
satz zur  griechischen  Anschauung  (Cic.  de 
divin.  II  82). 

")  Serv.  Ecl.  9,  15:  augures  designant 
spatia  lituo  (vgl.  Aen.  VII  187  IUuub  .  .  . 
quo  utebantur  ad  designanda  eatli  spatia. 
VI  191;  post  designatas  eaeli  partes  Serv. 
Aen.  IX  4.  Isid.  orig.  XV  4,  7 ;  regiones  CHc 
de  div.  I  30  f.;  de  leg.  II  21.  Liv.  I  18,  7) 
et  eis  dant  nomina,  ut  prima  pars  dicatur 
anterior,  posterior  postica,  item  dextra  et 
sinistra, 

')  Liv.  I  18,  7:  inde  ubi  prospedu  in 
urbem  agrumque  capto  deos  preeatus  regiones 
ab  Oriente  ad  occasum  determinavit,  dextras 
ad  meridiem  partes^  laevas  ad  ssptentrionem 
esse  dixit,  Signum  contra,  quoad  longissime 
conspectum  oculi  ferebant,  animo  finivit.  Die- 
selbe Orientierung  setzen  Serv.  Aen.  II  693. 
Isid.  orig.  XV  4, 7.  Dion.  Hai.  II 5, 2  f.  voraua. 

8)  Varro  de  l.  L  VII  7:  caelum  .  .  dic- 
tum templum  .  .  .  eius  templi  partes  quaituor 


68»  Die  Angures. 


453 


Belieben  der  Augurs  gestellt,  nur  dass  er  in  seiner  Spruchformel  genau 
bezeichnen  musste,  was  für  ihn  als  vom,  hinten,  links  und  rechts  zu  gelten 
habe,  damit  über  die  Bedeutimg  der  Zeichen  ein  Zweifel  nicht  aufkommen 
konnte.^)  Ebenfalls  auf  der  Burg  fand  alljährlich  ein  wohl  in  ähnlichen 
Formen  vor  sich  gehender  auguraler  Festakt  statt,  an  den  sich  eine  feier- 
liche, über  die  sucra  via  ziehende  Procession  schloss,')  andre  Geremonien 
dieser  Art  bezogen  sich  auf  das  Gedeihen  der  Felder  und  Fluren^)  und 
wurden  teils  im  Frühjahr  {vemisera  auguria  Paul.  p.  379)  teils  zur  Zeit 
der  grössten  Sommersglut  (augurium  canarium,  oben  S.  163)  gefeiert, 
endlich  gehört  hierher  das  seiner  ganzen  Bedeutung  nach  wenig  klare*) 
augurium  scUutis,  das  zwar  als  Jahresakt  eingesetzt  war,  in  späterer  Zeit 
aber  oft  eine  lange  Reihe  von  Jahren  hindurch  ausfallen  musste,  weil  es 
nur  begangen  werden  durfte,  wenn  am  Tage  seiner  Fälligkeit  kein  römisches 
Heer  im  Felde  stand^):  die  Geremonie  fiel  also  jedenfalls  in  die  Winter- 
monate*) und  stammt  aus  einer  Zeit,  die  nur  Sommerfeldzüge  kannte. 

Aber  wie  die  Wirksamkeit  der  Pontifices  ihren  eigentlichen  Schwer- 
punkt nicht  in  den  von  ihnen  oder  unter  ihrer  Aufsicht  vollzogenen  Opfer- 
handlungen und  religiösen  Geremonien  hat,  sondern  in  der  Thätigkeit,  die 
sie,  die  berufenen  Kenner  des  gesamten  Ritualgesetzes  und  des  ius  ponti- 
ficium^  als  sachverständige  Gehilfen  und  Berater  der  Staatsbehörden  in  ihrem 
Verkehre  mit  der  Gottheit  entfalten,  so  gründet  sich  ebenso  die  wesentliche 
Bedeutung  des  Augurncollegiums  nicht  auf  die  bisher  besprochenen  selb- 
ständigen Kulthandlungen,  sondern  darauf,  dass  die  durch  sie  vertretene, 
in  ihi*en  Orundzügen  allgemein  italische^)  Kunst,  den  Willen  der  Götter 
mit  Beziehung  auf  einen   bevorstehenden   oder   eben   sich  vollziehenden 


dicuntur,  Hnisira  ab  Oriente,  dextra  ah  oc- 
caeu,  antica  ad  meridiem,  poetiea  ad  eepten- 
trionem;  vgl.  Varro  bei  Fest.  p.  339.  Paul, 
p.  220:  ea  caeU  pars,  quae  sole  iüuatratur 
ad  meridiem,  antica  nominatur,  quae  ad 
septentrionem  postica.    Gic.  de  div.  I  81. 

')  Darin  besteht  die  legum  dietio  (Serv. 
Aen.  III 89:  cum  condicio  ipsius  augurii  certa 
nuncupatione  verborum  dicitur),  die  ich  oben 
S.  334  f&lsohlich  mit  Mommsbn  (Staatsr.  I 
74,  4)  u.  a.  auf  die  Einholung  der  auguria 
impetrativa  durch  den  Magistrat  bezogen 
habe. 

•)  Varro  de  1.  1.  V  47:  sacra  via  .  ,  , 
per  qttam  augures  ex  arce  profecti  solent 
inattgurare;  darauf  bezieht  sich  auch  das 
eacrificium,  quod  in  arce  ftt  ab  auguribtu 
Paul.  p.  16  (s.  oben  S.  451  A.  7)  und  das  au- 
gurium ex  arce  capere  Liv.  X  1,  10  (vgl.  Cic. 
de  off.  in  66).  Dass  dieser  Akt  mit  dem 
Augurium  salutis  identisch  gewesen  wäre, 
ist  möglich,  aber  nicht  zu  erweisen. 

*)  Cic.  de  leg.  II  20  f.:  auguree  .  .  . 
vineta  virgetaque  .  .  .  auguranto,  und  über 
die  Bedeutung  dieser  Worte  Wissowa,  Real- 
Encycl.  11  2328  f. 

*)  Cass.  Dio  XXXVn  24,  1:  tovro  c« 
(xayxelag  xiq  rgono^  iatl  nvauy  rftvn   l/aiv 


ei  innginei  atplair  6  S-eos  ^yletay  xta  ^iuk^ 
airijaai,  (6g  ovx  oatov  ov  ovih  attipuy  avr^g 
ngly  avyx^Q^^vM  yeyia&ai,.  Jedenfalls 
also  enthielt  der  Akt  ebenfalls  eine  Be- 
fragung der  Gottheit  {nvaxig),  auf  welche 
damals  eine  ablehnende  Antwort  erfolgte 
(Cass.  Dio  ebd.  25,  1.  Gic.  de  div.  I  105: 
augur  eonsuli  nuntiapit,  addubitato  salutie 
augurio  bellum  damesticum  triste  ac  turbu- 
lentum  fore). 

')  Cass.  Dio  XXXVII  24,  2  bei  Gelegen- 
heit der  Feier  des  J.  691  =  63;  die  Gere- 
monie wird  dann  wieder  erwähnt  zusammen 
mit  der  Schliessung  des  Janus  im  J.  725  = 
29  (Cass.  Dio  LI  20,4;  vgl.  Suet.  Aug.  31) 
und  im  J.  47  n.  Chr.  (Tac.  ann.  XII 23:  salutis 
augurium  quinque  et  septuaginta  annis  omis- 
sum  repeti  ac  deinde  continuari  plaeitum). 

^)  An  den  Jahresanfang  denkt  Jordan, 
Topogr.  I  2  S.  104  A.  103 ;  eine  AnfQhrung 
aus  der  dabei  zur  Anwendung  kommenden 
Gebetsformel  bei  Fest.  p.  161. 

')  Über  die  Übereinstimmung  der  rö- 
mischen Auguralwiasenschaft  mit  dem  Ritual 
der  Tabulae  Iguvinae  vgl.  Bubchblbb,  Um- 
brioa  S.  42  ff.  84  ff.  Für  die  Institution  der 
Augum  selbst  lässt  sich  vorrOmischer  Ur- 
sprung nicht  nachweisen;  die  augures  inTibnr 


454 


Religion  nnd  KnltttB  der  Römer.    IIL  Knltos, 


Vorgang  zu  erkunden  und  die  erbeten  oder  unerbeten  eintretenden  Zeichen  *) 
richtig  zu  deuten,  in  ihrer  Anwendung  weit  über  das  rein  sacrale  Gebiet 
hinausgreift.  Das  reiche  Archiv  der  Augum,  in  welchem  einerseits  die 
als  uralte  Überlieferung  der  Vorzeit  geltenden  Grundregeln  der  discipUna 
augurcdis,^)  andererseits  die  im  Laufe  der  Zeit  von  den  Augum  bei  ihren 
allmonatlichen  Zusammenkünften')  oder  aus  Anlass  von  Anfragen  fest- 
gestellten Entscheidungen  und  Gutachten  {decreta,  responsa)  niedergelegt 
sind,^)  enthält  nicht  nur  die  Vorschriften  über  den  Vollzug  jener  auf^uralen 
Eultakte,  sondern  als  wichtigsten  Bestandteil  die  gesamte  Lehre  von  den 
auspicia  populi  Romani,^)  und  je  bedeutsamer  diese  das  ganze  öffentliche 
Leben  der  Römer  durchzieht  (oben  S.  323  f.),  um  so  wichtiger  ist  die 
Thätigkeit,  welche  die  Augum  als  ihre  Bewahrer  und  Ausdeuter  vorbe- 
reitend, begutachtend  und  assistierend  neben  den  Magistraten  ausüben: 
das  ist  geradezu  ihre  Hauptaufgabe  geworden.^) 

Einer  Vorbereitung  bedarf  die  magistratische  Auspication  insofern, 
als  sowohl  die  Einholung  der  auspicia  impetrativa  wie  die  Vornahme  der 
au8picato  zu  vollziehenden  Staatshandlungen  nur  in  einer  nach  den  Vor- 
schriften der  Auguralwissenschaft  abgegrenzten  und  hergerichteten  Ört- 
lichkeit erfolgen  darf,  welche  technisch  den  Namen  templum  führt.'')  Für 
diese  templa  ist  eine  bestimmte  Grundrissform  vorgeschrieben,  es  sind  aus- 
nahmlos Vierecke,  deren  Endpunkte  fixiert  und  deren  Seitenlinien  so  ge- 
zogen sind,  dass  die  Umgrenzung  nur  an  einer  den  Eingang  bildenden 


(CIL  XIV  8672  f.)  und  Tascnlmn  (ebd.  2580. 
2628)  können  den  rOmischen  nachgebildet 
sein. 

')  Die  fünf  Hanptgattongen  solcher 
Zeichen  zählt  Fest.  p.  261  aaf :  ^inque  ge- 
nera  signorum  öbservant  auguret  puhliei:  ex 
caelo,  ex  atnbue,  ex  tripudiis,  ex  quadripe- 
dibua,  ex  diris;  als  auguria  oblativa  (s.  dar- 
über oben  8.  323  f.)  können  alle  diese  Zeichen 
auftreten,  als  impetrativa  dagegen  gelten 
von  Haus  aus  nur  die  signa  ex  caelo  und 
ex  avibuSt  und  zwar  die  ersteren  nur  für  die 
auguralen  KultiÜLte,  die  letzteren  nur  fUr  die 
magistratische  Auspication.  Die  auspicia  ex 
acuminibtu  (Cic.  de  div.  11  77;  de  nat.  deor. 
n  9.  Amob.  I[  67)  nennt  Festus  nicht,  nicht 
nur  darum,  weil  sie  frflh  ausser  Gebrauch 
kamen,  sondern  weil  sie  ausschliesslich  ein 
atispieium  milUare  waren,  während  die  Thä- 
tigkeit der  Augum  sich  wesentlich  auf  die 
s^dtische  Auspication  beschränkte  (vgl.  Liv. 
VIII  23,  16:  neque  augures  divinare  Romae 
sfdentes  pciuisse,  quid  in  eastris  consuli 
vitii  obvenisset). 

*)  augures  .  .  disciplinam  tenento  Cic. 
de  leg.  n  20,  vgl.  82  f. ;  de  div.  II  74.  Suet. 
de  gramm.  1;  ius  augurium  Cic.  Cat.  mai. 
12  u.  a. 

•)  Cic.  de  div.  I  90:  magif  gui  eongre- 
gantur  in  fano  commentandi  causa  aique 
inter  se  eonloquendi,  quod  etiatn  idem  vos 
quondam  faeere  Nanis  soUbatis;  Lael.  liprO' 


ximis  Nonis,  cum  in  hartos  D.  BruH  auguris 
commentandi  causa,   ut  adsolet,  venissemus. 

*)  Cic.  de  nat.  deor.  11  11;  de  domo  38. 

')  A.  Bbausb,  Libromm  de  disciplina 
augurali  ante  Angusti  mortem  Bcriptornm 
reliquiae,  I.  Diss.  Lips.  1875.  P.  Rbqbll»  De 
augurum  publicorum  libris,  I.  Diss.  Vraüal. 
1878;  Fragmenta  auguraUa,  Progr.  Hirsdi- 
berg  1882;  Commentarii  in  librorum  aogu- 
ralium  fragmenta  specimen,  ebd.  1893 ;  Com- 
ment.  in  honorem  A.  Reifferscheidii  (Vmtisl. 
1884)  S.  61  ff. 

^)  Cic.  de  nat  deor.  I  122:  saeris  pot»' 
tifices  .  .  auspiciis  augures  praesunt.  In  der 
Lex  col.  Genet.  c.  66  wird  als  Obliegenheit 
der  Augum  einzig  und  allein  angegeben :  de 
auspiciis  quaeque  ad  eas  res  pertinAunt, 
augurum  iuris  dictio  iudicatio  esto. 

')  Gell.  XIV  7,  7 :  in  loeo  per  augurem 
constituto,  quod  templum  appeüaretur,  Varro 
de  1.  1.  VII  8:  in  terris  dictum  templum 
locus  augurii  (d.  h.  für  die  selbst&ndigeii 
Kulthandlungen  der  Augum)  aut  auspieU 
(fUr  die  magistratische  Auspication)  causa 
quibusdam  conceptis  verbis  finitus.  Man  be- 
zeichnet den  Raum  auch  als  tempium  minus 
(Fest.  p.  157),  da  im  weiteren  Sinne  andi 
das  Himmelsgewölbe,  an  dem  die  Augoni 
die  Signa  caelestia  beobachten,  templum  ge- 
nannt wird  (Varro  de  1. 1.  VII  7,  vgl.  Serr. 
Aen.  I  92). 


68.  Die  Angures. 


455 


Stelle  unterbrochen  ist.  ^)  Die  Begrenzung  muss  nicht  unbedingt  eine  reale 
durch  Mauern  oder  Wände  sein,')  es  genügt  an  sich,  wenn  durch  die 
Spruchformel  des  Augurs')  die  Grenzlinien  und  Eckpunkte  klar  und  un- 
verkennbar bezeichnet  sind:  darum  lautet  der  Terminus^)  für  die  Her- 
stellung eines  templum  durch  den  Augur  effare  locum,  im  Sinne  von  fando 
eximerej  durch  Anwendung  bestimmter  Worte  die  örtlichkeit  von  ihrer 
Umgebung  loslösen  und  gegen  sie  abgrenzen  ;^)  eine  Wirkung  dieser  Los- 
lösung ist  die  liberatio  der  Örtlichkeit,  d.  h.  die  Aufhebung  aller  etwa  auf 
ihr  ruhenden  älteren  sacralen  Verpflichtungen  und  Bindungen,  die  ihrer 
Verwendung  im  Sinne  der  disciplina  auguralis  hinderlich  sein  könnten.^) 
Zum  Zeichen  des  vollzogenen  auguralen  Aktes  wurde  dann  an  dem  templum 
ein  Stern  aus  Metallblech  angebracht. '')  Die  Inauguration  kann  in  gleicher 
Weise  an  hca  aticra  wie  profana  vorgenommen  werden  und  übt  auf  diesen 
ihren  Charakter  keinerlei  Einfluss,  das  Eigentumsrecht  der  Götter  oder  der 
Menschen  an  der  betreffenden  Örtlichkeit  bleibt  völlig  unberührt;  wenn 
sich  auch  unter  der  grossen  Zahl  der  templa,  die  es  in  Ei;Om  gab,^)  die  Mehr- 
zahl der  aedes  sacrae  befand  (s.  oben  S.  403)^  so  gehörten  in  diese  Kategorie 
doch  auch  eine  Menge  profaner,  für  Staatsakte  bestimmter  Örtlichkeiten, 
wie  die  Curie,  das  Comitium,  die  Rostra,  und  selbst  vom  augur<iculuin  der 
Augurn  haben  wir  kein  Recht  anzunehmen,  dass  es  consecriert  war. 

Aber  der  Begriff  des  locus  liberatus  et  effatus  reicht  erheblich  weiter 
als  der  des  templum.  Derselbe  Akt  der  Grenzbestimmung  und  Lösung, 
durch  den  der  Augur  bestimmte  Örtlichkeiten  für  die  Einholung  der 
Auspicien  und  die  Vornahme  auspicato  zu  vollziehender  Staatshandlungen 
geeignet  macht,  wird  von  ihm  auch  an  grösseren  räumlichen  Bezirken 
vollzogen,  um  die  Grenzen  festzulegen,  innerhalb  deren  die  verschiedenen 


')  Pest.  p.  157  (vgl.  Sery.  Aen.  IV  200): 
minora  templa  fluni  ab  auguribus,  cum  loca 
aliqua  tahulU  aut  linteia  saepiuntur,  ne  uno 
ampUtu  o9tio  pateant,  certU  verbis  definita, 
Uaque  templum  est  locus  ita  effatus  aut 
ita  saeptus,  ut  ea  una  parte  pateat  angu- 
losque  IUI  (so  Valbton,  MnemoB.  XX  369; 
angtUtu  quod  Hs.)  adfixos  kabeat  ad  terram, 
Serv.  Aen.  II  512:  Varro  locum  quattuor 
angulis  conclusum  aedem  (vielmehr  templum) 
docet  vocari  debere;  daher  konnte  die  rnnde 
aedes  Vestae  kein  templum  sein  (Gell.  XIV 
7,  7.  Serv.  Aen.  VU  153). 

')  Gewöhnlich  war  dies  natflrlich  der 
Fall,  nicht  nur  in  den  als  templa  inaugn- 
rierten  Gebäuden,  sondern  auch  bei  den 
tabernacula,  von  denen  aus  der  Magistrat 
die  Auspication  vornahm  (Fest.  p.  157.  Serv. 
Aen.  IV  200). 

')  quibusdam  conceptis  verbis  Varro  de 
1.  1.  Vn  8;  certis  verbis  definUa  Fest.  p.  157. 
Dass  die  Formel  bei  verschiedenen  Örtlich- 
keiten eine  verschiedene  war  {concipitur 
verbis  non  isdem  usque  quaque)  sagt  Varro 
a.  a.O.,  der  dann  die  Anfangss&tze  der  Formel 
anfahrt,  mit  der  die  Angum  ihr  auguraculum 
in  arce  abgrenzten  (daza  Jobdan,  Krit.  Beitr. 


8.  89  ff.). 

*)  Die  Wendung  augurare  (Liv.  VTQ  5,8) 
oder  inaugurare  locum  (Cic.  Vatin.  24;  de 
domo  137.  Serv.  Aen.  VIl  174  u.  a.)  ist  nicht 
Specialterminus  fdr  die  Herstellung  eines 
templum,  sondern  weist  nur  im  allgemeinen 
auf  die  Wirksamkeit  der  Augurn  (s.  oben 
S.  451  A.  4),  ohne  diese  näher  zu  bestimmen. 

*)  Varro  de  1.  1.  VI  53:  effari  templa 
dicuntur  ab  auguribus;  effantur  qui  in  his 
flnes  sunt.  Cic.  ad  Att.  aHI  42,  3 :  ad  tem- 
plum effandum.  Serv.  Aen.  III  463:  loca 
Sacra  id  est  ab  auguribus  inaugurcUa  effata 
dici.    Fest.  p.  157. 

')  Serv.  Aen.  1 446 :  itä  templa  faeiebant, 
ut  .  ,  .  .  per  augures  locus  liberaretur  effa- 
returque.  Cic.  de  leg.  II  21.  Liv.  V  54,  7: 
cum  augurato  liberaretur  Capitolium;  im 
Hinblick  auf  diese  älteren  Bindungen  und 
Verpflichtungen  des  Ortes  stellt  der  Akt 
eine  exauguratio  dar,  eine  Lösung  durch 
augurale  Sprachformel,  s.  oben  8.  408  A.  3. 

^)  Fest.  p.  351 :  steUam  quae  ex  lamella 
aerea  adsimilis  steüae  loeis  inauguratis  in- 
figatur. 

")  Reiches  Material  bei  Valbtoh,  Mne- 
mos.  XXIII  24  ff. 


456 


Religion  nnd  Kultus  der  BOmer.    IIL  Knltus. 


Gattungen  von  auspieia  zur  Anwendung  kommen.  So  wird  das  Gebiet  der 
auspicia  urbana  im  engeren  Sinne  beschloBsen  durch  die  die  urbs  Roma 
umziehende  Grenzlinie  des  potneriunty^)  und  ausserhalb  derselben  liegt  eine, 
nach  aussen  ebenfalls  durch  eine  feste  GrenzUnie  abgeschlossene  Zone,  der 
cyer  effatus^*)  innerhalb  dessen  zwar  noch  zum  städtischen  Amtskreise 
{Imperium  dornt)  gehörende,  aber  verfassungsmässig  von  der  Innenstadt 
ausgeschlossene  Staatsakte  (wie  z.  B.  die  Centuriatcomitien)  vorgenommen 
nnd  fär  sie  die  Auspicien  eingeholt  werden.')  All  diese  Grenzlinien  werden 
von  den  Augum  nicht  nur  nach  den  Regeln  ihrer  Wissenschaft  abgesteckt 
und  durch  Grenzsteine  bezeichnet,^)  sondern  auch  dauernd  unter  Aufeicht 
gehalten,  damit  nicht  etwa  durch  Yerrückung  der  Grenzlinie  oder  sonstige 
Störungen  die  Wirkung  des  liberare  et  effare  angehoben  und  damit  die 
reguläre  Auspication  unmöglich  gemacht  werde.  ^)  Auch  in  der  weiteren 
Rom  umgebenden  Landschaft  scheidet  die  Auguraldisziplin  noch  mehrere 
Zonen,  deren  jede  mit  Bezug  auf  die  Auspicien  eine  verschiedene  Rechts- 
stellung einnimmt,*)  doch  wissen  wir  nicht,  ob  z.  B.  die  Abgrenzung  des 
ager  Romanus  gegen  die  Umgebung  ebenso  wie  die  Feststellung  des 
Pomeriums  oder  der  Grenzlinie  des  ager  effcUus  unter  Anwendung  auguraler 
Spruchformeln  erfolgt  ist.^) 

Erheblich  umfangreicher  und  bedeutsamer  gestaltet  sich  die  Wirk- 
samkeit der  Augum  insofern,  als  alle  bei  der  Auspication  sich  ergebenden 
Zweifel  und  Schwierigkeiten  ihrem  Gutachten  unterbreitet  werden.  Wie 
überhaupt  der  einzige  Rechtsvertreter  des  Staates  im  Verkehre  mit  den 
Göttern  der  Magistrat  ist  (oben  S.  338),  so  ist  die  Einholung  der  göttlichen 
Zustinmiung  zu  einer  bevorstehenden  Staatshandlung  durchaus  Sache  des- 
jenigen Magistrates,  der  diese  Handlung  selbst  zu  vollziehen  hat;  eine 
Mitwirkung  des  Augurs  findet  nicht  einmal  in  der  Form  der  Assistenz 
statt  ;^)   auch  ist  diese  magistratische  Einholung  der  auspicia  impetrativa 


')  Gell.  Xm  14,  1:  pamerium  est  loeuB 
inira  agrum  effatum  per  totius  urhis  eircul- 
tum  pone  muros  regionibus  certeis  determi- 
natuSy  gut  faeit  finem  urbani  auspieii,  Varro 
de  1. 1.  V  143:  quod  erat  po9t  murum  patt- 
moerium  dictum  eoque  attspicia  urbana  fini- 
utUur,  Über  das  tiM  pomerii  (Gic.  de  div. 
II  75)  vgl.  MoMMSBN,  Rom.  Forsch.  U  23  ff. 
H.  NissBH,  Pompej.  Stadien  S.  466 ff.  A.  Nissbh, 
Beitrftge  zum  r5m.  Staatsrecht,  Strassburg 
1885.  A.  DsTLBFSBN,  Hermes  XXI 497  ff.  I.  M. 
J.  Valrov,  Mnemos.  XXm  64  ff.  XXV  93  ff. 
861  ff:  XXVI  1  ff. 

')  Senr.  Aen.  VI  197 :  ager  post  pameria 
(vgl.  6elL  a.  a.  0. :  pomerium  est  locus  inira 
agrum  effatum),  ubi  captabantur  auguriä, 
dicebatur  effatus;  vgl.  Varro  de  1.  1.  VI  53: 
augures  finem  auspiciarum  caelestium  agris 
sunt  effati  ubi  esset. 

*)  MoMMSBH,  Staatsr.  I  65  ff. 

*)  Varro  de  1.  1.  V  143:  eippi  pomeri 
Stent  et  eirca  Ariciam  et  drea  Bomam, 

')  Cic.  de  leg.  n  21 :  urbemqtu  et  agros 
et  templa  Uberata  et  effata  habento;  vom  cd- 


legium  augurum  ex  s(enaJtus)  e(onsuito)  auc- 
tore  imp(eratore)  .  .  .  Hadriano  emeaerte 
Pomeriamscippen  CIL  VI  1233,  dam  HöLsnr, 
Hermes  XXÜ  615  ff. 

^)  Varro  de  1. 1.  V  33:  ut  nostri  augures 
publiei  disserunt,  agrorum  sunt  genera  quim^, 
que:  Romanus,  Oabinus,  peregrinus,  hosiieus, 
incertus  .  .  .  peregrinus  ager  paeatus,  qui 
extra  Bomanum  et  Gabinum^  quod  uno  modo 
in  his  servantur  auspicia  .  .  .  quoeirca  Ga- 
binus  quoque  peregrinus,  sed  quod  auspieia 
hcibet  singularia,  ab  reliquo  diseretus;  vgl. 
daza  EuBiTscHSK  bei  Fault- Wissowa,  Real- 
Encycl.  I  780  ff. 

')  Ob  bei  der  fictiven  Constitatioii  eines 
Stfickes  fremden  ßodens  znm  ager  Bomanus, 
die  gelegentlich  vorkommt  (Gass.  Bio  XLI 
43,  2.  Serv.  Aen.  ü  178),  die  Aogom  zuge- 
zogen worden,  ist  nicht  sicher;  aber  man 
kann  es  schliessen  aus  Liv.  lU  20,  6  augures 
iussos  adesse  ad  RegiUum  laeum  famä  exierat 
locumque  inaugurari,  ütn  auspieato  cum  po- 
pulo  agi  posset. 

*)  Dass  die  vom  Magistrate  keraiigeao- 


68.  Die  Angares. 


457 


von  den  Sacralakten  der  Augurn  ihrer  ganzen  Natur  nach  verschieden; 
wie  bei  diesen  ausschliesslich  die  auguria  caelestia,  so  kommen  hier  ur- 
sprünglich nur  die  signa  ex  avibus  in  Betracht,^)  daher  findet  eine  Ein- 
teilung des  Himmelstemplums  in  Regionen  nicht  statt,  ^)  der  diesem  Zwecke 
dienende  augurale  Lituus  tritt  nicht  in  Wirksamkeit.  Aber  die  Lehre 
von  der  Bedeutung  des  Yogelfluges  und  der  Vogelstimmen  ist  eine  ausser- 
ordentlich umfangreiche  und  komplizierte,^)  und  der  Schlüssel  zu  dieser 
Rätselsprache,  der  sich  die  Oötter  zur  Kundgebung  ihres  Einverständnisses 
bedienen,  ist  in  der  Verwahrung  der  Augurn ;  dazu  sind  bei  der  Einholung 
der  Auspicien  eine  Menge  von  Formalitäten  zu  beobachten,  über  deren 
etwaige  Verletzung  leicht  Bedenken  entstehen  können,^)  schwere  Verwick- 
lungen können  sich  durch  gleichzeitigen  Eintritt  verschiedenartiger  oder 
sich  widersprechender  Zeichen^)  oder  durch  die  Kollision  der  von  mehreren 
Magistraten  zu  verschiedenen  Zwecken  eingeholten  auspicia  ergeben,^) 
endlich  führte  die  zeitliche  und  räumliche  Beschränkung,  welcher  die 
Geltung  erhaltener  Impetrativauspicien  unterlag,^)  zu  mannigfachen  Zweifeln, 


genen  Gehilfen  (in  auspieium  adhibere  Cic. 
de  div.  II  72;  äuspieio  itUereste  oder  adesse 
Liv.  X  40,4. 11)  nicht  Augurn  sind,  hat  Va- 
LBTON,  Mnemos.  XVIII  406  ff.  mit  Recht  be- 
tont. Cicero  freilich  in  seiner  Vorliebe  fUr 
das  CoUegium,  dem  er  selbst  angehört, 
scheint  in  seiner  Gesetzgebung  den  Augurn 
sogar  das  Recht,  an  Stelle  der  Magis&ate 
die  speetio  (d.  h.  die  Einholung  der  Impe- 
trativauspicien) auazufiben,  zuschreiben  zu 
wollen  (II  20:  quique  agent  rem  duelli  quique 
populärem  auspieium  prciemonento  ollique 
obtemperanto,  wo  praemonento  deutlich  auf 
die  Impetrativauspicien  weist,  vgl.  II  31.  Liv. 
IV  18,  6)  im  Gegensatze  zu  seiner  eignen 
Aeusserung  Phil.  II  88:  nos  enim  (die 
Augurn)  nuntiationem  solum  hdbemus,  con- 
8ule8  et  reliqui  mctgistratus  etiam  spectionem, 

*)  Das  beweist  sowohl  das  Wort  auspi- 
eium =  avispicium,  das  im  technischen  Sinne 
ebenso  ausschliesslich  vom  Magistrate  ge- 
braucht wird,  wie  augurare,  inaugurare  nur 
vom  Augur,  als  auch  die  Wendungen  ave 
sinistra,  lUfi  aves  admisissetU  u.  ähnl.  (Momm- 
SKN,  Staatsr.  I  75,  8). 

')  Dass  diese  Einteilung  nur  fttr  die 
auguria  eaelestia  in  Anwendung  kommt, 
sagt  ausdrücklich  Cic.  de  leg.  II  21 :  caelique 
ftUgara  regionibus  ratis  temperanto. 

*)  Nur  eine  beschränkte  Anzahl  von 
Vögeln  kommt  fUr  die  signa  ex  avibus  in 
Betracht  (Cic.  de  div.  II  76.  Seneca  nat.  qu. 
II  32,  5),  daher  enthalten  die  Auguralbflcher 
Verzeichnisse  der  aves  augurales  (Serv.  Aen. 
I  398;  vgl.  Mart.  Cap.  I  26.  Amm.  Marc.  XV 
7,  8);  diese  zerfallen  in  alites  und  oscines, 
je  nachdem  sie  durch  den  Flug  oder  durch 
die  Stimme  Zeichen  geben  (Fest.  p.  197.  Paul, 
p.  3.  Varro  de  1.  1.  VI  76.  Plin.  n.  h.  X  43. 
Cic.  nat.  deor.  II  160;  de  div.  I  120),  die 
ersteren  werden,  je  nachdem  ihr  Flug  Gutes 


oder  Böses  bedeutet,  praepetes  oder  inferae 
(inebrae  Serv.  Aen.  III 246;  vgl.  Paul.  p.  109) 
genannt  (Gell.  VII 6, 3. 10.  Serv.  Aen.  III 361) ; 
diejenigen  Vögel,  die  als  alites  günstige 
Zeichen  geben,  sind  als  oscines  ungünstig 
und  umgekehrt  (Serv.  Aen.  IV  462). 

*)  z.  B.  macht  jede  Störung  der  Stille 
während  der  Auspication  die  Handlung  un- 
wirksam, schon  das  Herabfallen  eines  Gegen- 
standes, das  Knarren  des  Sessels,  das  Pfeifen 
einer  Maus  (Paul.  p.  64.  Fest.  p.  348.  Plin. 
n.  h.  Vm  223). 

^)  Darum  enthielt  die  Augurallitteratur 
Angaben  über  die  Rangordnung  der  ver- 
schiedenen Vogelzeichen.  Serv.  Aen.  U  374: 
si  parra  vel  picus  atispieium  dederit  et  deinde 
eontrarium  a^Ha  dederit,  auspieium  <iquilae 
praevalet  .  .  .  notum  est  esse  apud  augures 
auspieiorum  gradus  plures;  Ed.  9,  13:  mi- 
nor a  enim  auguria  maioribus  cedunt  nee 
uUarum  sunt  virium,  licet  priora  sint. 

')  Hier  entschied  die  Rangstellung  des 
beobachtenden  Magistrates,  die  Beobachtung 
des  höheren  Magis&ates  turbat  ac  retinet  au- 
spieia  des  niederen  (ausführliche  Darlegung 
aus  des  Augurs  Messala  de  auspieiis  Itberpri- 
mus  bei  Gell.  XIII  15,  4),  z.  B.  die  des  Con- 
suls  gegenüber  der  des  Praetors  (Val.  Max. 
n  8,  2). 

')  Sie  gelten  nur  fttr  den  Tag  der  Ein- 
holung, von  Mittemacht  bis  Mitternacht  ge- 
rechnet (Censor.  23,  4.  Gell.  III 2, 10  =  Macr. 
S.  I  3,  7),  und  nur  für  einen  bestimmten 
räumlichen  Bezirk,  so  dass  z.  B.  extra  po- 
merium  eingeholte  Auspicien  ihre  Kraft 
verlieren,  wenn  der  einholende  Magistrat 
vor  Vollziehung  der  Handlung  die  Innen- 
stadt betritt  (Cic.  de  nat.  deor.  II 1 1  und  dazu 
MoMMSBN,  Staatsr.  I  100,  3).  Ebenso  hebt  die 
üeberschreitung  eines  Flusses  die  Wirkung 
der   Auspicia   auf  (Serv.  Aen.  IX  24)    und 


458 


Religion  und  Knltii«  der  Römer,    m.  KnltiiB. 


und  in  allen  diesen  Fällen  ist  es  das  Augumcollegium,  welchem  der  Senat 
die  Sache  zur  Begutachtung  unterbreitet >)  und  auf  dessen  decretum  hin, 
falls  es  einen  Verstoss  (vitium)  konstatiert,')  die  Annullierung  der  betref- 
fenden Staatshandlung  erfolgt.^) 

Besonders  reichlicher  Anlass  zur  Anzweifelung  der  Rechtsgiltigkeit 
staatlicher  Akte  ergab  sich,  wenn  im  Verlaufe  einer  auspicato  begonnenen 
Handlung  auguria  oblativa  eintraten,  d.  h.  unerbetene  Zeichen  der  Gottheit, 
die  darauf  hinzuweisen  schienen,  dass  diese  ihre  bereits  erteilte  Zustimmung 
wieder  zurückziehe.  War  es  auch  Sache  des  leitenden  Magistrates,  ob  er 
von  dem  Eintritt  eines  solchen  Zeichens  Notiz  nehmen  wollte  oder  nicht, ^) 
so  schloss  dieses  Recht  doch  nicht  aus,  dass  absichtliche  Nichtbeachtung 
eines  evident  eingetretenen  und  zweifellos  ungünstigen  Zeichens  die  nach- 
trägliche Anfechtung  des  betreffenden  Aktes  zur  Folge  hatte,  über  deren 
Berechtigung  dann  wiederum  die  Augurn  gutachtlich  zu  hören  waren.  Um 
solche  Weiterungen  zu  vermeiden,  hat  man  zum  mindesten  im  letzten 
Jahrhundert  der  Republik  für  die  wichtigste  und  am  häufigsten  angefoch- 
tene Staatshandlung,  die  Abhaltung  der  Gomitien,  das  augurale  Outachten 
gewissermassen  vorweggenommen,  indem  man  dem  leitenden  Magistrat  einen 
oder  mehrere^)  Augurn  zur  Assistenz  und  Eontrole  beigab,  die  ihn  einer- 
seits im  Zweifelsfalle  über  Eintritt  und  Bedeutung  eines  Zeichens  beraten 
sollten,*)  andererseits  aber  auch  mit  dem  selbständigen  Rechte  der  nuntiatio'^) 
ausgestattet  wurden,  d.  h.  der  Befugnis,  nach  eigner  oder  fremder  Be- 
obachtung den  Eintritt  ungünstiger  Oblativauspicien  unanfechtbar  zu  kon- 
statieren und  damit  Abbruch  und  Vertagung  der  Verhandlimg  herbeizu- 
führen.^)   Damit  haben  die  Augurn  ein  der  magistratischen  obnuntiatio^) 


macht  die  Einholung  neuer  auspicia  peretn- 
nia  nötig  (Fest.  p.  245,  vgl.  250.  Cic.  de  div. 
II  76;  de  nat.  deor.  II  9). 

^)  <id  augiires  relatum  est  Liv.  XLV  12, 
10;  ad  coUegium  deferre  Cic.  Phil.  II  83; 
augures  vocati  Liv.  XXIII  31,  13;  consulti 
augures  Liv.  Vni  23. 14. 

')  Die  Formel  lautet  vitio  tabernacidum 
captutn  esse  (Cic.  de  nat.  deor.  II  11;  de  div. 
I  33  =  Val.  Max.  11,3.  Liv.  IV  7,  3.  Serv. 
Aen.  II  178)  oder  je  nach  dem  Gegenstande 
der  Verhandlung  vitio  creatum  videri  (z.  B. 
Liv.  VIII  15,  6.  XXin  31,  13),  vitio  diem  die- 
tarn  esse  (Liv.  XLV  12,  10)  u.  s.  w. 

')  Der  Hergang  ist  deutlich  hei  Cic.  de 
nat.  deor.  II  11:  der  Consul  trägt  brieflich 
aus  der  Provinz  dem  Augumcollegium  Be- 
denken über  ein  vitium  vor,  das  bei  der 
Ausnication  der  von  ihm  geleiteten  Gonsul- 
wahlen  vorgefallen  sei;  augures  rem  ad  se- 
natum (mit  ihrem  decretum,  das  die  Ansicht 
des  Briefschreibers  vitio  creatos  consules  esse 
bestätigt),  senatus  ut  abdicarent  consules,  ab- 
dicaverunt;  vgl.  auch  Cic.  epist.  X  12,  3. 
Dass  die  Augurn  hätten  die  Abdankung  von 
Beamten  und  die  Aufhebung  von  Gesetzen 
wegen  vitium  verfügen  kOnnen,  ist  also  eine 
Uebertreibung  der  Darstellung  von  Cic.  de 


leg.  n  31. 

*)  Serv.  Aen.  XII  260 :  in  oblativia  au- 
guriis  in  potestate  videntis  est,  utrum  id  ad 
se  pertinere  velit  an  refutet  et  abominetur, 
Plin.  n.  h.  XXVIII  17:  in  augurum  certe  dis- 
ciplina  constat  neque  diras  neque  uüa  o«- 
spieia  pertinere  ad  eos,  quicumque  rem  in- 
gredientes  öbservare  se  ea  negaverint;  vgl. 
Cato  bei  Fest.  p.  234. 

^)  Varro  de  re  rust.  III  7,  1.  Cic.  ad  Att 
IV  18,  2. 

')  ut  consuli,  si  quid  usus  poposeisset, 
esset  praesto  Varro  de  re  rast,  in  2,  2 ;  vgl. 
in  7,  1;  de  1. 1.  VI  95;  der  technische  Aus- 
druck f&r  die  Funktion  dieser  dienstthuenden 
Augurn  ist  in  auspicio  esse  consuli  (Cio.  ad 
Att.  II  12,  1.  Messala  bei  Gell.  Xni  15,  4). 

')  Cic.  Phil.  II  81.  Fest.  p.  383  (mit  der 
Erörterung  von  Valbton,  Mnemos.  XV11I 
455  f.);  obnuntiare  gebraucht  fSllschlich  von 
den  Augurn  Donat.  zu  Ter.  Ad.  IV  2,  8:  pro- 
prie  obnuntiare  dicuntur  augures,  qui  aU- 
quid  mali  ominis  scaevumque  viderint. 

*)  Der  Augur  l5st  die  Versammlung  auf 
{dimittit  comitia)  mit  den  Worten  alio  die 
(Cic.  de  leg.  n  31 ;  Phil.  II 83  f.). 

•)  MoMMSBN,  Staatsr.  I  106  ff.  Valbtof. 
Mnemos.  XIX  75  ff.  229  ff. 


68.  Die  AngUTM. 


459 


analoges  Recht  gewonnen,  das  fQr  die  politische  Bedeutung  des  Priester- 
tums  von  grosser  Wichtigkeit  war;  auf  der  anderen  Seite  verkümmerte 
ihre  Wirksamkeit  in  Folge  des  Verfalles  der  Auspication,  die  auf  einfachere 
Verhältnisse  berechnet;  für  die  Anforderungen  eines  ausgedehnten  Staats- 
wesens als  viel  zu  umständlich  und  langwierig  sich  herausstellte.  Zuerst 
gab  man  im  militärischen  Amtskreise  die  dort  schwer  durchführbare  Be- 
obachtung des  Vogelfluges  auf  und  ersetzte  sie  durch  die  signa  ex  tripudiis, 
d.  h.  die  Beobachtung  des  Fressens  mitgenommener  Hühner,  welches  als  gün- 
stiges Vorzeichen  (tripudium  sinistrum  solistimum^))  galt,  wenn  den  Hühnern 
dabei  ein  Teil  der  aufgenommenen  Nahrung  wieder  aus  dem  Schnabel 
fiel.')  Das  war  ursprünglich  ein  günstiges  augurium  oblcUivum  gewesen, 
das  nicht  nur  von  Hühnern,  sondern  auch  von  andern  Vögeln  und  ebenso 
von  vierfüssigen  Tieren  ausgehen  konnte,^)  zum  augurium  impetrativum 
machte  man  es  erst  später  aus  Bequemlichkeitsrücksichten,  weil  es  leicht 
war,  ein  günstiges  Zeichen  herbeizuführen,  indem  man  die  Hühner  erst 
hungern  liess  und  ihnen  dann  das  Futter  in  Breiform  (puls  Paul.  p.  244) 
reichte,  so  dass  es  ihnen  nicht  wohl  möglich  war  zu  fressen,  ohne  etwas 
herabfallen  zu  lassen  (Cic.  de  div.  H  73).  Im  städtischen  Amtskreise  sind 
diese  pullaria  auguria  (Serv.  Aen.  VI  198)  höchstens  ausnahmsweise^)  zur 
Anwendung  gekommen,  aber  der  zu  ihr  gehörige  Subaltembeamte,  der 
pullarius,  gehört  wenigstens  im  letzten  Jahrhundert  der  Republik  zum 
regulären  Gefolge  der  Magistrate^)  und  kommt  auch  bei  der  städtischen 
Auspication  zur  Thätigkeit.  In  dieser  ist  an  die  Stelle  der  Vogelschau  die 
Blitzbeobachtung  getreten,^)  d.  h.  auch  hier  ist  ein  ursprüngliches  augurium 
oblativum  zum  Impetrativzeichen  gemacht  worden;  denn  dass  der  Blitz  in 
der  magistratischen  Auspication  ursprünglich  nur  ein  Oblativzeichen  ge- 
wesen ist  —  und  zwar  wahrscheinlich  durchweg  ein  ungünstiges,  wie  er 
es  für  die  Comitien  zu  allen  Zeiten  geblieben  ist^)  — ,  ist  bei  einer  ver- 


^)  Dieser  volle  Ausdruck  findet  Bich  nur 
in  dem  leider  sehr  verstQmmelten  Schol. 
Veron.  zu  Verg.  Aen.  X  241  (Herstellungs- 
versuch  bei  Mommsen,  Staatsr.  I  81,5),  wo 
eine  Beschreibung  der  vor  der  Schlacht  vor- 
genommenen Auspication  ex  tripudiis  ge- 
geben wird;  tripudium  solistimum  bei  Fest, 
p.  298.  Cic.  de  div  I  28.  II  72.  Liv.  X  40.  4; 
tripudium  sonivium  (a  sono)  Serv.  Aen.  III 
90.  Fest.  p.  290.  297.  Cic.  epist.  VI  6,  7.  Plin. 
n.  h.  XV  86. 

*)  Dass  dies,  nicht  das  blosse  Fressen, 
welches  oft  allein  erwähnt  wird  (z.  B.  Liv. 
VI  41.  8.  X  40, 4 ;  per.  XIX.  Snet.  Tib.  2.  Cic. 
nat.  deor.  II  7;  de  div.  1 77  u.  a.)  das  Wesent- 
liche ist,  sagt  ausdrücklich  Cic.  de  div.  II  72: 
qiuie  pascantur  necne,  nihil  ad  auspicia,  sed 
.  .  cum  offa  cecidit  ex  ore  puUi,  tum  auspi- 
eanti  tripudium  solistimum  nuntiatur,  und 
setzt  die  Etymologie  tripudium  =  terripu^ 
vium,  puvire  enim  ferire  est  (Paul.  p.  244, 
vgl.  Fest.  p.  863.  Cic.  a.  a.  0.)  voraus. 

>)  Cic.  de  div.  II  73:  quo  (das  Tripudium) 
antiquissimos  augures  non  esse  usos  argU" 


mento  est,  quod  deeretum  collegii  vetus  habe- 
mus,  omnem  avem  tripudium  faeere  posse. 
Plin.  n.  h.  VIII  83  sagt  vom  Wolfe:  eundem 
in  fame  vesci  terra,  inter  auguria,  ad  dex- 
teram  eammeantium  praeciso  itinere  si  pleno 
id  ore  fecerit,  nullum  omnium  praestantius. 
Vgl.  Valetoh,  Mnemos.  XVIII  211  ff. 

*)  MoMMSBN,  Staatsr.  I  82,  2. 

^)  Cic.  de  leg.  agr.  11  32:  omnia  sunt 
haec  (nämlich  die  Zuweisung  von  scriba, 
lictor,  praeco,  pullarius)  huius  modi,  Qui- 
rites,  ut  ea  qui  habeat  sine  vestris  suffragiis 
aut  rex  non  ferundus  aut  privatus  furiosus 
esse  videatur.  Inschriften  der  ptälarii,  die 
eine  deeuria  pullaria  (CIL  VI  1008.  1897) 
bilden,  CIL  VI  2198-2200. 

•)  Cic.  de  div.  II  71 :  etenim  tä  sint  au- 
spicia, quae  nulla  sunt,  haec  certe,  quibus 
utimur,  sive  tripudio  sive  de  caelo,  simulaera 
sunt  auspieiorum,  auspicia  nullo  modo. 

')  Cic.  de  div.  II  74:  fulmen  sinistrum 
auspicium  optimum  habemus  ad  omnis  res 
praeterquam  ad  eomitia.  Cass.  Dio  XXXVIU 
13,  4 ;  vgl.  den  Satz  love  tonante  fulgurant 


460 


Religion  and  Enltas  der  Römer,    m.  Knltn«. 


hältnismässig  so  seltenen  Himmelserscheinung  selbstverständlich;  wenn 
man  daraus  ein  für  jede  auspicato  stattfindende  Staatshandlung  erforder- 
liches augurium  impetrativum  machte,  so  war  das  nur  möglich  auf  dem 
Wege  der  Fiction,  und  in  der  That  ist  in  der  Zeit  des  ausgehenden  Frei- 
staates, mag  es  sich  um  Impetrativauspicien  oder  um  die  Unterbrechung 
von  Comitien  durch  Meldung  des  prohibitiven  Oblativzeichens  handeln, 
de  caelo  servare  vollkommen  gleichbedeutend  mit  der  Eonstatierung  eines 
Blitzes;')  für  die  auguria  impetrativa  nahmen  die  Magistrate  sogar  nicht 
einmal  zum  Scheine  mehr  eine  Himmelsbeobachtung  vor,  sondern  liessen 
dies  durch  den  puUarius  thun,  der  dann  das  angeblich  von  ihm  konstatierte 
Blitzzeichen  meldete.')  So  war  die  alte  Sacralwissenschaft  der  Augural- 
disziplin  zu  einer  ihres  Inhaltes  beraubten  leeren  Form  erstarrt,  die  nur 
noch  als  Kampfmittel  im  Ringen  der  politischen  Parteien  ihren  Wert  hatte,') 
und  wenn  man  hinzunimmt,  dass  im  städtischen  wie  im  militärischen  Amts- 
kreise die  von  den  Haruspices  geübte  Kunst  der  Eingeweideschau  (s.  unten 
S.  473  f.)  sich  mehr  und  mehr  an  die  Stelle  der  Auspication  setzte,^)  so  ist 
es  begreiflich,  dass  in  Ciceros  Zeit  die  Augum  selbst  von  ihrer  Kunst  nichts 
Rechtes  mehr  wussten.^^)  Wahrscheinlich  hat  auch  hier  Augustus  manches 
Alte  wiederhergestellt,  da  sich  sonst  das  Priestertum  kaum  in  so  hohem 
Ansehen  bis  zum  Ende  des  Heidentums  erhalten  haben  würde  ;<^)  davon 
freilich,  wie  sich  die  Wirksamkeit  der  Augurn  in  Rom  und  der  ihnen  nach- 
gebildeten AugurncoUegien  in  den  Municipien  und  Oolonien^)  praktisch 
gestaltete,  können  wir  uns  bei  dem  Fehlen  aller  Zeugnisse^)  keine  klare 
Vorstellung  machen. 

Litteratar.    Mabquabdt,  Staatsverw.  III  897  ff.  (mit  Angabe  der  älteren  Litterator). 
RüBiNO,  untersuch.  Aber  r5m.  Verfass.  a.  Geschichte  S.  34  ff.    Mommsbv,   Staatsr.  I  73  ff. 


comitia  popuU  habere  nefas  (Cic.  de  div.  II 
42,  vgl.  in  Vatin.  20;  Phil.  V  7).  Die  Schei- 
dang  von  fulmina  sinietra  und  dextra  {bXxb 
ivaiaiov  bXxb  iMoioy  Gass.  Dio  a.  a.  0.)  ge- 
hört von  Haus  ans  nicht  in  die  magistratische, 
sondern  in  die  augurale  Himmelsbeobachtung. 

^)  Cic.  de  div.  II  74;  de  domo  19.  40;  in 
Vatin.  15.  17;  ad  Att.  IV  3,  3;  Sest.  129.  Gell, 
in  15.  1  u.  a. 

*)  Cic.  de  div.  II  74:  tarn  de  caelo  ser- 
vare non  ipaos  censea  solitos  qui  auapiea- 
hantur?  nunc  imperant  puUario.  Dion.  Hai. 
II  6,  2:  roiy  di  ntt^yrtav  nyh  ogvi^oaxonaty 
fAUS&ov  ix  xov  dtjfÄoalov  (pego/ieyoi,  (also  Ap- 
paritoren,  nicht  Priester)  darguTit^y  avrorg 
(den  Magistraten)  fii^vveiy  ix  ttHy  agiaregtöy 
g)aaiy  ri^y  od  yeyofiiytjy;  vgl.  auch  Cic. 
epist.  X  12,  3. 

»)  Dion.  Hai.  II  6,  2:  ninavTtti^  öi  iy 
ToTs  xa9*  fjfJtäg  /^Voi^,  nX'^y  oloy  eixaiy  tig 
avxov  Xeincrai  tijg  oalag  avxijg  iy$xa  yiyo- 
fiiyfj'  Cic.  de  div.  11  70 :  retinetur  autetn  et 
ad  opinionem  vulgi  et  ad  magnas  tUilitatea 
reipublicae  mo8,  religio,  disciplina,  ius  attgu- 
rium,  collegii  auctoritas. 

*)  Cic  de  div.  I  28 :  nam  ut  nunc  extis  ~ 
qiiamquam  id  ipsum  aliquanto  minus  quam 
olim  -  ,  sie  tum  avibua  magnae  res  impetriri 


solebant;  vgl.  I  95  und  die  von  Valbtok, 
Mnemos.  XVII  447,  7  angeführten  Stellen. 

^)  Auspicia,  quae  quidem  nunc  a  Ro- 
manis  auguribus  ignorantur,  Cic.  de  div.  I 
25;  vgl.  de  leg.  II  28:  Sed  dubium  non  est, 
quin  haec  disciplina  et  ars  augurum  evanu- 
erit  iam  et  vetustate  et  neglegeniia;  de  nat 
deor.  U  9 :  sed  neglegentia  nobilitatis  aug^rii 
disciplina  amissa,  veritas  auspiciorum  spreta 
est,  species  tantum  retenta. 

^)  Die  letzten  bekannten  Träger  der 
Würde  sind  Vettius  Agorius  Praetextatus 
(t  384,  CIL  VI  1778  f.)  und  L.  Ragonios 
Vetustus  (CIL VI  503  vom  J.  503);  Sammlung 
der  inschriftlichen  Zeugnisse  für  die  Augum 
der  Eaiserzeit  bei  Spinazzola,  Gli  augures 
S.  75  ff. 

^)  Sammlung  der  Zeugnisse  bei  Spi- 
nazzola a.  a.  0.  S.  139  ff. 

')  unter  Hadrian  erneuern  die  Augum 
die  Pomeriumscippen  (CIL  VI  1233,  s.  oben 
S.  456  A.  5)  und  der  Kaiser  stellt  im  J.  186  ein 
auguratofrium]  dilaps(um)  a  solo  wieder  her 
(CIL  VI  976,  vgl.  oben  S.  452  A.  2);  auf  ein  de 
caelo  servare  in  den  Municipien  weist  der 
Stein  von  Apisa  major  CIL  VIII  774  mit  der 
Darstellung  eines  Blitzes  und  der  Beischrift 
Deo  loci  ubi  auspicium  dignitatis  tale. 


69.  Die  Qniiicleoiiiiviri  Baoris  faciandis  und  die  Haraspioes. 


461 


A.  BoucbI^-Lbclbboq,  Histoire  de  la  divination  IV  180  ff.  und  bei  Dabembbbg-Saglio,  Diction. 
d.  antiq.  I  550  ff.  580  ff.  V.  Spikazzola,  Gli  Aogures,  Roma  1895  und  bei  Ruogiero,  Di- 
zionario  epigrafico  I  778  ff.  Wisbowa,  Real-Enoyd.  II  2313  ff.  2580  ff.  I.  M.  J.  Valbton, 
De  modis  aaspicandi  Romanorum,  Mnemosyne  XVII  1889,  275  ff.  418  ff.  XVIII  1890,  208  ff. 
406  ff.;  De  iure  obnuntiandi  comitiis  et  conciliis,  ebd.  XIX  1891,  75  ff.  229  ff.;  De  inaugn- 
rationibus  Romanis  caerimoniarum  et  sacerdotum,  ebd.  XIX  1891,  405  ff.;  De  templis  Ro- 
manis, ebd.  XX  1892,  338  ff.  XXI  1893,  62  ff.  397  ff.  XXin  1895,  15  ff.  361  ff.  XXVI 
1898,  1  ff. 

69.  Die  Quindeciniyiri  sacris  faciundis  und  die  Harnspices.    Das 

mit  der  Aufbewahning  und  Ausdeutung  der  sibyllinischen  Bücher  ^)  und  der 
Vornahme  der  von  diesen  angeordneten  Kulthandlungen  des  graecus  ritus*) 
betraute  Priestertum  unterscheidet  sich  von  den  andern  beiden  grossen 
CoUegien,  Pontificat  und  Augurat,  schon  rein  äusserlich  sowohl  durch  die 
Stellenzahl  wie  durch  die  Benennung:  gegenüber  der  bei  den  Pontifices, 
Augurn  und  vestalischen  Jungfrauen  zu  Grunde  liegenden  Dreizahl  finden 
wir  hier  ein  Fortschreiten  vom  Duovirat  zum  Decemvirat,  und  erst  die  sul- 
lanische  Reorganisation  der  summa  sacerdotia  bringt  alle  drei  Collegien  auf 
die  gleiche  Zahl  von  je  fünfzehn  Mitgliedern;^)  in  der  Benennung  aber 
ist  charakteristisch  das  Fehlen  eines  Individualnamens  und  dessen  Er- 
setzung durch  die  Angabe  der  Stellenzahl  des  Collegiums  und  seiner 
Funktion,  wie  wir  sie  in  der  Magistratur  im  Gegensatze  zu  den  ordent- 
lichen Beamten  bei  den  ausserordentlichen  Trägern  von  Spezialaufträgen 
(z.  B.  tresviri  agris  dandis  assignandis  u.  a.)  finden.  Alles  das  weist  nicht 
nur  darauf  hin,  dass  die  Einsetzung  dieses  Priestertums  einer  jüngeren  Zeit 
angehört  als  die  übrige  Sacerdotalverfassung,  und  dass  der  Überlieferung, 
welche  Pontifices  und  Augures  von  Numa,  die  Duoviri  s.  f.  von  den  Tar- 
quiniem  eingesetzt  sein  lässt,^)  eine  richtige  Vorstellung  zu  Grunde  liegt, 
sondern  macht  es  auch  wahrscheinlich,  dass  —  entgegen  der  Überlieferung 
—  diese  sacrale  Würde  ursprünglich  keine  ständige  war,  sondern  die  Be- 
fragung der  Sprüche  und  die  Vornahme  der  von  ihnen  angeordneten 
heiligen  Handlungen  einer  für  jeden  einzelnen  Fall  besonders  bestellten 
ausserordentlichen  Kommission  von  zwei  Mitgliedern  aufgegeben  wurde. 
Jedenfalls  bestand  aber  seit  dem  J.  887  =  367  diese  Priesterschaft  als 
ein  ständiges  Collegium  von  10  Mitgliedern,  die  zu  gleichen  Teilen  dem 
Patriciatund  der  Plebs  entnommen  waren,  ^)  und  die  zunehmende  Bedeutung 


')  Interpretes  {Sibyllae)  ist  die  geläu- 
figste BezeichnuDg,  z.  B.  Gic.  de  nat.  deor. 
III  5;  de  divin.  I  4;  de  leg.  U  20.  Liv.  X  8,2. 
Gell.  IV  1,  1  (=  Amm.  Marc.  XXX  4,  II), 
librorum  Sihyllinorum  antistites  Serv.  Aen. 
in  332;  ol  rd  l^ßvXXeia  inufxenrofieyoi  d^xa 
äydQes  Appian.  Hann.  56  (vgl.  Dion.  Hai.  IV 
62,  5.  XIV  20),  auch  UgofÄvijfÄoyes  (Phleg. 
mirab.  10),  meist  ol  ncyrexaidexa  oder  ol 
dsxaniyje  avdQsg  {xviydsxBfÄOviQov  Genet.  in- 
schriftlich  Arch.  epigr.  Mitth.  aus  Oesterr. 
XVI  147). 

')  Varro  de  1. 1.  VU  88 :  et  nas  dieimus 
XVviros  graeco  ritu  non  Romano  facere; 
vgl.  Liv.  XXV  12,  13;  "Axaiaxi  im  Andro- 
gynenorakel  bei  Phleg.  a.  a.  0.  v.  16;  Achivo 
ritu  Act.  lud.  saec.  Ephem.  epigr.  VKI  p.  230 
Z.  91,  graeco  Achivo  ritu  ebd.  p.  287  frg.  IV  6. 


*)  Entstellt  bei  Serv.  Aen.  VI  73:  seien- 
dum  sane  primo  duos  librorum  fuisse  eusto- 
deSf  inde  decem,  inde  ^indecim  ueque  ad 
tempora  Sulla  na  f  postea  crevit  numerus; 
nam  et  sexaginta  fuerunt  (dieselbe  Zahl  bei 
Lyd.  de  mens.  IV  34,  beidemal  in  Verwechs- 
lung mit  den  Haruspices),  sed  remansit  in 
his  quindeeimvirorum  vocahidum, 

*)  Dion.  Hai.  IV  62,  4  f.  Zonar.  VII 11. 

*)  Liv.  VI  37,  12:  novam  rogationem  pro- 
mulgant,  ut  pro  duumviris  sacris  faciundis 
decemviri  creentur  ita,  ut  pars  ex  plebe,  pars 
ex  patribus  fiat,  42,  2 :  de  decemviris  sacro- 
rum  ex  parte  de  plebe  creandis  legem  per- 
tulere,  creati  quinque  patrum,  quinque  plebis 
(vgl.  X  8,  2  f.).  Listen  der  Decemviri  bezw. 
Quindecimviri  republikanischer  Zeit  bei 
MoMMSBN,  Bdm.  Forsch.  I  84  f.  und  G.  Bardt, 


462 


Religion  und  Knltii«  der  Bftmer.    IIL  Kvltwi. 


der  Sibyllenorakel  und  des  grciecus  rüua  hat  sie  mehr  und  mehr  dem  Pbn- 
tificat  und  Augurat  nahegerückt;  die  vollzogene  Gleichstellung  gibt  sich 
darin  kund,  dass  die  Lex  Domitia  vom  J.  651  =  103  (s.  oben  S.  418)  für 
die  Decemviri  s.  f.  ebenso  wie  für  jene  alten  Priestertümer  die  Ergänzung 
durch  Cooptation  aufhebt  und  die  Wahl*  der  17  Tribus  an  ihre  Stelle  setzt.  0 
Als  eines  der  quattuor  amplissima  collegia  spielen  die  Quindecimvirn  während 
der  ganzen  Eaiserzeit  bis  zum  Ausgange  des  4.  Jahrhunderts  eine  hervor- 
ragende Bolle:  ihre  Zahl,  schon  von  Caesar  auf  16  erhöht,')  hat  durch 
kaiserliche  Ernennungen  supra  numerum  (Gass.  Dio  LI  20,  3)  in  der  Regel 
mehr  als  20  betragen,^)  den  Vorsitz  führten  jährlich  wechselnde  Magistri, 
in  der  Zeit  des  Augustus  5  an  der  Zahl  (darunter  der  Kaiser  selbst^)) 
später  einer, ^)  neben  den,  falls  der  Kaiser  selbst  diese  Würde  übernahm, 
ein  promagister  trat.^)  Einzelheiten  über  die  innere  Organisation  des  Col- 
legiums  sind  nicht  bekannt;  von  den  beiden  griechischen  Dolmetschern, 
die  bei  der  Einsetzung  der  Priesterschaft  den  Duovim  zur  Unterstützung 
bei  der  Lesung  und  Deutung  der  Orakel  beigegeben  worden  sein  sollen,^) 
ist  später  nie  wieder  die  Rede,  denn  dass  die  den  Quindecimvirn  wie  allen 
anderen  PriestercoUegien  zugewiesenen  Staatssklaven  (publici)  eine  solche 
Thätigkeit  geübt  haben  sollten,^)  ist  bei  der  strengen  Geheimhaltung  des 
Inhaltes  der  Orakel  nicht  glaubhaft.®) 

Die  gesamte  Thätigkeit  der  Quindecimvirn  gründet  sich  auf  die  ihrer 
Obhut  anvertrauten  libri  Sibyllini,^^)  eine  aus  Gumae^^)  am  Ausgange  der 


Die  Priester  der  vier  grossen  Gollegien  S. 
28  ff.  Dass  an  ihrer  Spitze  zwei  ma^gistri, 
je  einer  aus  jedem  Stande,  gestanden  hätten, 
wfirde  sich  aus  der  nachträglich  beigefügten 
Notiz  der  capitolinischen  Consularfasten  er- 
geben Itidi  saecülares  tert(ii)  M.'  Äemilio  M? 
f.  M,  lAvio  M,  f.  M,  w.  Salinatare  m<ig{istris) 
Xvir(um)  (CIL  I '  p.  29),  wenn  nicht  diese 
angeblich  dritte  Saecularfeier  518  =  236  nur 
fingiert  (s.  oben  S.  365)  und  damit  auch  die 
Zuverlässigkeit  der  Personenangabe  zweifel- 
haft wäre. 

*)  Beweis  die  Wahl  des  P.  Cornelius 
Dolabella  zum  Quindecimvir  im  J.  703  "=  51, 
Cael.  bei  Cic.  epist.  VIII  4,  1  (zugleich  der 
älteste  Beleg  für  die  15-Zahl). 

«)  Cass.  Dio  XLII  51,  4.  XLIII  51,  9. 

')  Die  aus  den  Saecularakten  der  augu- 
steischen und  der  seyerischen  Feier  sich  er- 
gebenden Listen  stellt  Momhsbn,  Ephem. 
epigr.  VIII  p.  240  f.  292  ff.  zusammen. 

^)  Genannt  im  Nachtrage  der  capi- 
tolinischen Consularfasten  CIL  r-  p.  29; 
magistri  in  der  Mehrzahl  auch  unter  Ti- 
berius,  Tac.  ann.  VI  12,  einer  bei  Plin.  n.  h. 

xxvm  12.. 

^)  So  in  der  Zeit  des  Septimius  Severus, 
MoMMSBN  a.  a.  0.  p.  243  n.  1  und  292. 

•)  CIL  X  6422  (213  n.  Chr.).  3698  (289 
n.  Chr.). 

^)  Zonar.  YII 11:  laq  di  ov  naw  rtov  ye- 
yQafifÄ^yioy  avyieaay,  eis  tfjy  ^ElAacfa  <rrfii- 
XayxBq    dvo   ayögag  ixei&sy  f4ia&otf   ^yayoy 


(also  keine  Sklaven)  xwg  ayayywrofiäyov^ 
javra  xal  iQfirjyevaoytag. 

«)  So  fasst  offenbar  Dion.  Hai.  IV  62, 4  f. 
die  Sache  auf,  der  von  dtjfjioaioi  9$qanoyt$g 
spricht;  damit  steht  aber  im  Widerspräche, 
dass  nach  ihm  diese  dt^fiocKn  den  DuGvirn 
in  der  Weise  beigegeben  sind,  dass  diese 
ohne  jene  die  Bflcher  nicht  anÜBohlagea 
dürfen,  eine  ganz  undenkbare  Eontrole  von 
Staatspriestem  durch  Sklaven! 

*)  Mussten  doch  auf  Anordnung  des 
Augustus  die  Quindecimvirn  die  unleserlich 
gewordenen  Sibyllensprflche  eigenhändig  ab- 
schreiben, um  kein  fremdes  Auge  darüber 
kommen  zu  lassen,  Cass.  Dio  UV  17,  2;  der 
publicus  a  catnmetUaris  XVvirfum)  a.  f.  CIL 
VI  2312  hat  also  gewiss  von  den  Orakeln 
selbst  nichts  zu  sehen  bekommen. 

'<')  Die  Ausdrflcke  libri  StbyUini,  libri 
faialea  und  libri  schlechthin  sind  fär  Rom 
durchweg  identisch  (Lutrbbaobbb,  Prodigien- 
glaube  S.  21  A.  82);  lihH  fataies  andrer  Art 
gab  es  natfirlich  auch  anderswo,  z.  B.  in 
Veji  (Liv.  V  15,  11.  Cic.  de  div.  1 100).  Die 
spät  auftauchende  Meinung  (Symm.  ep.  lY 
34.  Claudian.  bell.  Poll.  232),  dass  die  Bttolier 
auf  Leinwand  geschrieben  gewesen  seien,  be- 
ruht nur  auf  Verwechslung  mit  den  bekann- 
ten libri  litUei;  die  Angabe  Varros  in  foUis 
palmarum  Sibyllam  seribere  aciere  (Serv. 
Aen.  [II  844,  vgl.  VI  74)  bezieht  sich  nicht 
auf  die  römische  Sammlung. 

' ')  Diese  einstimmige  Ueberliefemng  des 


d9.  Die  QnindeoiniTiri  Baoris  faoiandiB  nnd  die  HamspioeB. 


463 


Eönigdzeit^)  nach  Rom  gekommene  und  dort  offiziell  recipierte  griechische 
Orakelsammlung,  deren  ursprünglicher  Bestand  zu  Zeiten  auch  durch 
staatliche  Anerkennung  und  Aufnahme  anderweit  auftauchender  Sprüche 
verwandter  Art  ergänzt  und  vervollständigt  wurde.')  Da  die  Bücher  in 
den  Eellerräumlichkeiten  des  capitolinischen  Heiligtums  aufbewahrt  wurden, 
gingen  sie  bei  dem  Brande  des  Capitols  im  J.  671  =  88  zu  Grunde,^) 
wurden  aber  durch  eine  neue  Sammlung  ersetzt,  indem  von  Staatswegen 
eine  Kommission  nach  allen  Orten,  die  durch  die  Wirksamkeit  von 
Sibyllen  berühmt  waren, ^)  gesandt  wurde  und  etwa  1000  Verse  solcher 
Orakel  in  Abschrift  zurückbrachte,  die  nun,  im  J.  678  =  76  im  neuerbauten 
Gapitol  deponiert,  völlig  an  die  Stelle  der  früheren  Sammlung  traten.^) 
Die  Thatsache,  dass  sich  mancherlei  mit  bestimmter  politischer  Absicht 
zurechtgemachte  Fälschungen  eingeschlichen  hatten,^)  veranlasste  sowohl 


Altertoms  (daher  aach  die  Bezeichnung  der 
Sprflche  bei  den  Dichtem  als  Eubaicum  oder 
Chaleidieum  earmen  z.  B.  Ovid.  fast.  IV  257. 
VI  210.  Stat  silv.  V  8,  182)  findet  in  der 
Eigenart  der  Orakel  selbst  und  der  von  ihnen 
eingeführten  Gottesdienste  volle  Bestfttigung 
(DiBLS,  Sibyll.  Blätter  S.  80  f.  Rbitzknstbih, 
Inedita  poet.  graec.  fragm.  II  9  ff.) ;  die  Zeug- 
nisse bei  SoHWBGLBR,  Rom.  Gesch.  I  802.  Mit 
den  erst  verhältnismftssig  späten  (Disls  a.  a. 
Ö.  S.  46  A.  3)  Beziehungen  Roms  zu  Delphi 
haben  die  Decemvim  nichts  zu  thun. 

')  Die  bekannte  Erzählung  von  den  dem 
Könige  Tarquinius  Superbus  (Tarquinius 
Priscus  Lact  Lyd.)  zum  Kaufe  angebotenen 
9  Bflchem,  die  die  Verkäuferin  auf  Grund 
seiner  Weigerung,  die  verlangte  Summe  zu 
zahlen,  durch  zweimaliges  Verbrennen  bis 
auf  drei  reduziert  (ursprünglich  drei  Bücher, 
schliesslich  nur  eines  nennen  Plin.  Lyd.,  und 
als  Variante  Dio,  Zonar.),  bis  er  diese  fOr  den 
vollen  Preis  ersteht,  geben  nach  Varro  antiq. 
rer.  div.  B.  IV  Dionys.  Hai.  IV  62.  Lact.  inst. 
I  6,  10  f.  Serv.  Aen.  VI  72,  ausserdem  Gell. 
I  19.  Cass.  Dio  frg.  10,  8  Melb.  =  Zonar.  VII 
11.  Plin.  n.  h.  XIII  88.  Lyd.  de  mens.  IV  34 
u.  a. 

^)  Verhandlungen  vom  J.  32  n.  Chr.  über 
die  von  einem  der  Quindecimvim  beantragte 
Aufnahme  eines  liber  Sibtdlae  in  die  Samm- 
lung bei  Tac.  ann.  VI  12.  Dass  die  lateini- 
schen earmina  Mareiana  mit  der  griechi- 
schen Sibyllinensammlung  vereint  gewesen 
wären,  sagt  nur  Serv.  Aen.  VI  72:  hi  libri 
in  templo  Apollinis  servabantur,  nee  ipsi 
tantum  sed  et  Marciarum  et  Begoea  nymphae, 
quae  artetn  scripserat  fulgurüarum  apud 
Tu3C08f  dessen  Zeugnis  aber  wertlos  ist,  da 
einerseits  der  ars  der  Begoe  doch  sicher  zur 
dUciplina  Etru8ca  gehörte  und  daher  gewiss 
nicht  unter  der  Verwahrung  der  Quindecim- 
vim stand,  andererseits  aber  die  earmina 
Mareiana  doch  im  J.  83  mit  dem  Capitol 
verbrannt  sein  mflssten  und  daher  nicht  in 
den  Tempel  des  Apollo  Palatinus  gelangen 


konnten.  Livius  sagt  davon  nichts,  sondern 
bei  ihm  XXV  12,  11  wird  die  Anordnung  der 
earmina  Mareiana  nach  Einsichtnahme  in 
die  libri  Sibgüini  von  den  Decemvim  bestä- 
tigt (ebenso  Macr.  1 17, 25:  ex  paticinio  Marcii 
vatia  carmineque  Sibyllae,  vgl.  auch  die  wei- 
tere Erzählung  ebd.  §  27  ff.).  Alle  Zeugen, 
die  sonst  den  Cn.  Marciua  vates  (Fest.  p.  165) 
oder  die  Mareii  frcUrea  (Cic.  de  div.  I  89. 
II  113.  Serv.  Aen.  VI  70)  erwähnen  (Cic.  de 
div.  I  115.  Fest.  p.  326.  Plin.  n.  h.  Vü  119. 
Amob.  I  62.  Porph.  zu  Hör.  epist.  II  1,  26. 
Symm.  eoist.  IV  34.  Isid.  orig.  VI  8,  12) 
kennen  ihn  nur  aus  der  Erzählung  dieses 
Vorgangs,  und  er  ist  ebenso  schattenhaft  wie 
der  nur  von  Cic.  de  div.  I  115.  n  113  er- 
wähnte Publiciua  vates.  Die  angebliche  An- 
gabe des  Lact  inst.  I  6,  12,  dass  auch  die 
Sprüche  der  Albunea  von  Tibur  mit  den  si- 
byllinischen  Orakeln  vereint  gewesen  wären, 
kommt  in  Fortfall,  da  die  entscheidenden 
Worte  euiu$  aortes  aencUus  in  Capitolium 
abstulerit  in  der  ältesten  und  besten  Ueber- 
lieferung  fehlen. 

•)  Dionys.  Hai.  IV  62,  6.  Cass.  Dio  frg. 
102,  2  Melb.;  ineenao  Apollinis  templo  sagt 
irrtümlich  Serv.  Aen.  VI  36.  321. 

*)  Genannt  werden  insbesondere  Samos, 
nion,  Africa,  Sicilien  und  Italicae  coloniae 
(Tac.  ann.  VI  12),  namenlich  aber  Ervthrae 
(die  Stellen  in  der  folgenden  Anmerkung), 
dessen  hochberühmte  Sibylle  von  Timaeus 
und  Varro  für  identisch  mit  der  cumanischen 
erklärt  wurde  (Gbffokbn,  Timaeus  Geogra- 
phie des  Westens  S.  145  f.,  vgl.  Serv.  Aen. 
VI  36);  über  die  verschiedenen  Sibyllen  und 
ihre  Verzeichnisse  s.  E  Maass,  De  Sibyllarum 
indicibus,  Diss.  Greifswald  1879. 

*)  Varro  und  Fenestella  bei  Lact.  inst. 
I  6,  1 1.  14;  de  ira  dei  22,  6.  Dion.  HaLIV  62, 
6.  Tac.  ann.  VI  12. 

")  Gegenüber  dem  in  den  Verhandlungen 
über  die  Rückführung  des  Königs  Ptolemaios 
Auletes  von  Aegypten  im  J.  697  =  57  po- 
litisch   verwerteten    Sibyllensprache    (Cass. 


464 


Religion  und  Kultna  der  Römer,    in.  KnltoB. 


Augustus,^)  der  die  Überführung  der  Bücher  in  den  Tempel  des  Palatinischen 
Apollo  vornahm  (oben  S.  68),  als  auch  Tiberius^  eine  umfassende  Sichtung 
und  Säuberung  der  vorhandenen  Bestände  anzuordnen  und  alles  nicht  ge- 
nügend Verbürgte  verbrennen  zu  lassen.*)  Die  Benützung  und  Befragung 
der  Bücher  hat  durch  die  ganze  Kaiserzeit  bis  auf  Maxentius  und  Julian 
fortgedauert,^)  bis  im  ersten  Jahrzehnt  des  5.  Jahrhunderts  Stilicho  sie 
als  einen  gefährlichen  Rückhalt  des  Heidentums  den  Flammen  übergab.^) 
Wie  der  Senat  gegenüber  den  in  Zeiten  innerer  oder  äusserer  Krisen 
oft  massenhaft  in  den  Händen  von  Privatleuten  zirkulierenden  und  die 
Stimmung  des  Volkes  beunruhigenden  .wilden''  Orakeln  und  Sibyllen- 
sprüchen eine  strenge  Polizeiaufsicht  übte,^)  so  hat  er  auch  die  Benützung 
der  staatlichen  Sammlung  durch  weitgehende  Kautelen  beschränkt.  Nicht 
nur  war  sie  selbstverständlich  jedem  unbefugten  imzugänglich,^)  auch  die 
Quindecimvim  selbst  durften  nur  auf  Grund  eines  Senatsbeschlusses  die 
Befragung  vornehmen.^)  Ein  solcher  Beschluss  erfolgte,  wenn  besonders 
schwere  Prodigien  eine  verhängnisvolle  Trübung  des  Verhältnisses  zu  der 
Gottheit  erkennen  Hessen  und  man  für  die  Wiedererlangung  der  pax 
deum  mit  den  durch   den  patrius  ritus  gebotenen  sacralen   Massnahmen 


Dio  XXXIX  15,  vgl.  Appian.  Syr.  51 ;  b.  c.  11 
24.  Gic.  pro  Rab.  Post.  4)  tritt  der  Verdacht 
der  Fälschung  ziemlich  anverhohlen  hervor 
(Gic.  epist.  I  4,  2.  7,  4);  sicher  steht  die  Fftl- 
schang  bei  dem  Orakel,  auf  das  sich  Gati- 
linas  Mitverschworener  Lentalus  berief  (Sali. 
Cat.  47.  Gic.  Gatü.  III  9.  11.  Plut.  Gic.  17), 
und  bei  dem,  durch  welches  Gaesars  Freunde 
den  Antrag  auf  Verleihung  der  Königswttrde 
begründen  wollten  (Gic.  de  div.  II  110.  Gass. 
Dio  XLIV  15,  2;  vgl.  Plut.  Gaes.  60.   Appian. 

b.  c.  II 110),  doch  scheinen  die  beiden  letzt- 
genannten Sprtlche  gar  nicht  auf  dem  ver- 
fassungsmässigen Wege  den  Büchern  ent- 
nommen worden  zu  sein. 

»)  Suet.  Aug.  31 ;  vgl.  Tac.  ann.  VI  12. 

»)  Gass.  Dio  XLVH  18,  4. 

*)  Tiberius  verhält  sich  auch  ablehnend 
gegen  Anträge  auf  Befragung  der  Orakel, 
Tac.  ann.  I  76;  Nero  aber  veranstaltet  nach 
dem  Brande  Roms  eine  grosse  Sühnfeier 
auf  Grund  der  sibyllinischen  Bücher,  Tac. 
ann.  XV  44  (vgl.  S.  469). 

*)  Lact,  de  mort.  persec.  44,  8.  Ammian. 
Marc.  XXni  1,  7  (vgl.  auch  XXIII  3,  3).  Die 
Scriptores  historiae  augustae  erwähnen  Si- 
byllmenorakel  ziemlich  häufig  (Hadr.  2,  8; 
Gordiani  tres  26,  2 ;  Gallieni  dno  5,  5 ;  Aure- 
lian.  18,  5;  Florian.  3,  6,  vgl.  auch  Aurel. 
Vict.  Gaes.  34,  3),  aber  die  bei  Vopisc.  Aurel. 

c.  19.  20  eingelegten  Dokumente  der  Verhand- 
lungen über  die  Befragung  der  Bücher  sind 
Fäbchungen,  wie  schon  daraus  hervorgeht, 
dass  nach  ihnen  (c.  19,  6)  die  Pontifices  es 
sind,  die  die  Bücher  aufschlagen  sollen. 

*)  S.  oben  S.  88  mit  Anm.  2;  zur  Zeit 
der  Abfassung  von  Prudentius  apoth.  439  f.: 
non  spumat  anhelis  fata  SibylHnis  fanaticus 


edita  libris  ist  die  Sibylle  bereits  verskunmt. 

•)  Liv.  XXV  1,  12:  {praetor  urbanus) 
. . .  edixit,  ut  ^ieumque  libros  vatieinos  pre- 
catianesve  aut  artem  saerifieandi  conMcrip^ 
tarn  haberet,  eo8  lihros  amnia  litUrasque  ad 
se  ante  Kai.  Aprües  deferret,  vgl.  XXXIX 
16,  8.  Tac.  ann.  VI  12:  quia  mülta  vana  sub 
nomine  celebri  volgabantur,  sanxisse  Äuffw 
etum,  quem  intra  diem  ad  praetorem  urba- 
num  deferrentur  neve  habere  privatim  lieeret 
(vgl.  Suet.  Aug.  31).  Solche  illegitime  Si- 
byllensprüche (cJf  xal  Tjfff  lißvXXrjs  Syra)  er- 
wähnt z.  B.  Gass.  Dio  XLI  14,  4.  LVn  18,  4. 
LXII  18,  3  f. 

7)  Gic.  de  leg.  n  30:  od  interpretanda 
alii  prctedicta  vatium,  neque  multorum,  ne 
esset  infinitum,  neque  ut  ea  ipsa,  quae  sus- 
cepta  publice  essent,  quisquam  extra  eoUe- 
gium  nosset,  Lact.  inst.  1  6,  18:  Cymaeae 
\SibyUae\  cuius  libri  a  Romanis  ocetätantur 
nee  eos  ab  uUo  nisi  a  XVviris  inspici  fas 
est.  Hierher  gehört  die  Erzählung  von  einem 
der  ersten  Duovim,  M.  Atilius,  der  sich  be- 
stechen Hess,  Fremden  aus  dem  Inhalte  der 
Orakel  Mitteilungen  zu  machen,  und  dafür 
den  Tod  des  parricida  erlitt  (Dion.  Hai.  FV 
62,  4.  Val.  Max.  I  1,  13.  Zonar.  VII  11). 

*)  Gic.  de  div.  II  112:  quam  ob  rem  Si- 
byllam  quidem  sepositam  et  eonditam  habea- 
mus,  ut,  id  quod  proditum  est  a  maioribus, 
iniussu  senatus  ne  legantur  quidem^  libri, 
Dion.  Hai.  IV  62,  5 :  /^wi^at  o*avToTs  otay 
^  ßovXtj  yprjfflaTjxai,  üeber  das  Verhältnis 
von  Senat  und  Quindecimvim  bei  den  die 
Saecularfeier  betreffenden  Anordnungen  s. 
MoMMBEN,  Ephem.  epigr.  VHI  p.  242  f.  292. 
295. 


69.  Die  QnindeoiiiiYiri  saoriB  faoiimdiB  and  die  HamapioeB. 


465 


nicht  auskommen  zu  können  glaubte.^)  Die  Quindecimvim  suchten  hierauf 
aus  dem  Orakelvorrat  den  auf  das  gegebene  Prodigium  und  die  sonstige 
Sachlage  passenden  Spruch  aus,  legten  ihn  mit  der  nötigen  Erläuterung  in 
Form  eines  schriftlichen  Gutachtens  dem  Senate  vor*),  und  dieser  traf  dann 
nach  Prüfung  des  Sachverhaltes  die  nötigen  Anordnungen,')  zu  denen  unter 
umständen  auch  die  Veröffentlichung  des  Orakelspruchs  selbst  gehören 
konnte.^)  Was  die  Sibyllensprüche  gaben,  waren  nicht  Deutungen  der 
schreckhaften  Vorgänge  und  Voraussagungen  der  Zukunft,  sondern  Auf- 
klärungen über  das,  was  geschehen  müsse,^)  um  den  drohenden  Unsegen 
abzuwenden  und  die  Huld  der  Oötter  wiederzugewinnen;  da  aber  die 
Sprüche  gern,  um  ihre  Glaubwürdigkeit  zu  dokumentieren,  auf  früher  ein- 
getretene Dinge  Bezug  nahmen  und  am  Ende  auf  später  bevorstehende 
Verwicklungen  und  Lösungen  hinwiesen,^)  so  war   bei  der  Interpretation 


')  Liy.  XXII  9,  8:  pervieit,  ut,  guod  non 
ferme  deeernitur,  nisi  cum  taetra  prodigia 
nufUiata  sunt,  decemviri  libros  Sibyllinoa 
adire  iuberentur.  Gerade  diese  Ausnahme 
zeigt,  dass  der  Regel  nach  das  die  Be- 
fragung veranlassende  Prodigium  bezeichnet 
sein  musste.  Als  daher  im  J.  700  =  54  die 
Gegner  des  A.  Gabinius  eine  Befragung  der 
Bücher  wünschen  in  der  Hofbung,  in  ihnen 
eine  Strafandrohung  wegen  des  Verstosses 
gegen  einen  früheren  Sibyllenspruch  (oben 
S.  468  A.  6)  zu  finden,  beschliesst  der  Senat 
demgemäss,  benützt  aber  eine  üeberschwem- 
mung  des  Tiber  zur  Motivierung  der  Be- 
fragung (Gass.  Dio  XXXIX  59—61). 

')  Liv.  XLn  2,  3:  Bocrifieatumque  est  \U 
decemviri  scriptum  ediderunt, 

')  Dieser  zweite  Senatsbeschluss,  der 
erst  die  eigentliche  Anordnung  der  von  den 
Quindecimvim  vorgeschlagenen  Massregeln 
enthält,  wird  in  der  Berichterstattung  des 
Livius  manchmal  mit  dem  Gutachten  der 
Priester  vermengt  und  in  eins  zusammen- 
gezogen, am  deutlichsten  XXX VI  37,  4: 
eorum  prodigiarum  causa  libros  StbyUinos 
ex  senatus  consulto  decemviri  cum  adissentf 
renuntiaverunt,  ieiunium  instituendum  Cereri 
et  id  quinto  quoque  anno  servandum;  et  ut 
novemdiale  sacrum  fieret  et  unum  diem 
supplicatio  esset,  coronati  supplicarent ,  et 
consul  P.  Cornelius  qutbus  dis  quibusque 
hostiis  edidissent  decemviri  sacrificaret  (hier 
gehört  von  et  ut  novemdiale  an  alles  dem 
Senatsbeschlusse).  Dabei  muss  vor  dem  Irr- 
tum gewarnt  werden,  als  erfolgten  alle  in 
dem  letzten  Senatsbeschlusse  angeordneten 
Sühnriten  auf  Vorschlag  der  Decemvim; 
vielmehr  hört  der  Senat  oft  auch  die  Ponti- 
fices  und  Haruspices  gutachtlich  an  und  ver- 
eint dann  in  seinem  Beschlüsse  alle  von  den 
verschiedenen  Priestern  empfohlenen  oder 
sonst  durch  das  Herkommen  nahegelegten 
(so  hier  das  novemdiale  sacrum,  s.  S.  328  A.  5) 
piacula  irae  deorum. 

*)  Gran.  Licin.  p.  23  Bonn.:  placuit  et, 

BMidbuob  der  kUa.  Altertnmsiriwenflcliaft.  V,  4. 


quod  numquam  alias,  pro  coÜegio  quid  in 
libris  fatalibus  scriptum  esset  palam  recitare 
(667  =  87).  Cass.  Dio  XXXIX  15,  8  ov  yctg 
i^y  ox6ky  xiav  XißvXXsiioy,  ei  fAtj  ij  ßovktj 
^pfjfpiaaito,  iq  to  nX^&os  i^ayyiXUa&ai  (gtio- 
niam  exitiosum  est  versus  Sibyllae  publice 
dicere  Comm.  Bern.  Lucan.  I  564);  in  der 
Erzählung  des  Cass.  Dio  a.  a.  0.  nötigt  Gato 
die  Quindecimvim,  nachdem  sie  auf  Senats- 
beschluss  die  Bücher  eingesehen  haben,  den 
Inhalt  des  gefundenen  Orakels  dem  Volke 
in  einer  Contio  mitzuteilen,  noch  ehe  sie 
ihren  Bericht  im  Senate  erstattet  haben,  weil 
er  befürchtet,  der  Senat  werde  nicht  Publi- 
kation, sondern  Geheimhaltung  des  Spruches 
beschlieasen. 

')  Varro  de  re  rust.  I  1,  3:  ad  cuius 
(Sibyllae)  libros  tot  annis  post  publice  sole- 
mus  redire,  cum  desideramus,  quid  faeien- 
dum  Sit  nMs  ex  aliquo  portento;  vgl.  Gell. 
I  19,  11.  Dion.  Hai.  IV  62,  5.  Ganz  richtig 
redet  daher  Plin.  n.  h.  XI  105  von  Sibyllina 
remedia  und  stellt  Cicero  de  div.  I  34  sie  mit 
den  xa&oQfjtol  des  Epimenides  zusammen 
(vgl.  DiKLs,  Sitz.Ber.  Akad.  Berlin  1891, 400f.). 

*)  Die  ganze  Eigenart  dieser  Orakel 
lässt  sich  vortrefflich  erkennen  an  den  bei 
Phlegon  mirab.  10  erhaltenen  beiden  Andro- 
gynenorakeln  (datiert  auf  629  =  125),  die 
von  H.  DiBLS,  Sibyllinisohe  Blätter,  Berlin 
'  1890  als  echte  Bestandteile  der  auf  dem 
Capitol  verwahrten  Orakelsammlung  nach- 
gewiesen und  ausgezeichnet  erläutert  worden 
sind;  nur  seine  Meinung,  dass  die  Orakel 
gegen  Ende  des  hannibalischen  Krieges  ent- 
standen seien  und  wahrscheinlich  den  Q. 
Fabius  Pictor  zum  Verfasser  hätten,  hat  mit 
Recht  entschiedenen  Widerspruch  gefunden 
(Rbitzbnstbik,  Ined.  poet.  graec.  fiagm.  II  9  f. 
MoMMSEN,  Ephem.  epigr.  VIII  p.  284).  Das 
ebenfalls  im  Wortlaut  erhaltene  Orakel,  auf 
Grund  dessen  die  Saecularspiele  des  Augustus 
im  J.  737  =17  gefeiert  wurden  (Phlegon 
macr.4  =  Zosim.  II  6.  Diels  a.  a.  0.  S.  133  ff.), 
ist  erst  kurz  vor  diesem  Jahre  entstanden, 

30 


466 


Religion  and  Knltos  der  BOmer.    IIL  Knltos. 


dieser  in  den  echten  alten  Sibyllensprüchen  ja  gamicht  auf  römische  Yer^ 
hältnisse  gemünzten  Andeutungen  dem  Scharfsinn  und  der  Willkür  der 
Quindecimvirn  reiche  Gelegenheit  zur  Bethätigung  gegeben,  zumal  die 
Sprüche  mit  aller  Orakelpoesie  die  Dunkelheit  und  Zweideutigkeit  des 
Ausdruckes  teilten^)  und  diese  noch  dadurch  gesteigert  wurde,  dass  sie 
zur  Sicherung  gegen  willkürliche  Änderungen  und  Verkürzungen  oder  Er- 
weiterungen in  die  Zwangsjacke  der  Akrostichis  gepresst  waren')  in  der 
Weise,  dass  der  erste  Vers  des  Spruches  (bezw.  deren  mehrere)  die  An- 
fangsbuchstaben aller  Verse  bestimmte.')  So  kam  es,  dass  man,  andi 
wo  nicht  böswillige  Unterschiebung  gefälschter,  d.  h.  für  den  speziellen 
Zweck  angefertigter  Sprüche  vorlag,  aus  den  griechischen  Orakeln  ausser 
den  sacralen  Anweisungen  allerlei  Warnungen,  Aufforderungen  und  Voraas- 
sagungen  herauslesen  konnte  und  herauslas,  deren  nachher  die  Parteien  als 
Waffen  im  politischen  Kampfe  sich  bemächtigten.^)  Jedenfalls  aber  ge- 
hören diese  Hinweisungen  nicht  zum  eigentlichen  Wesen  der  sibyllinischen 
Sprüche,  die  vielmehr  nur  die  Aufgabe  haben,  die  im  bestimmten  Falle 
geeigneten  Versöhnungsmittel  für  den  aus  den  Prodigien  ersichtlichen 
Groll  der  Oötter  namhaft  zu  machen:  da  man  sich  aber  die  Procuration 
der  Prodigien  um  so  eifriger  angelegen  sein  lässt,  je  dringender  die  augen- 
blickliche Lage  des  Staates  thatkräftigen  Beistand  der  göttlichen  Macht 
erfordert,  so  erhofft  man  naturgemäss  von  einer  prompten  Ausführung  der 
durch  die  Orakel  angeordneten  sacralen  Akte  zugleich  auch  die  ersehnten 
äusseren  Erfolge  oder  Lösung  der  augenblicklichen  Schwierigkeiten,  und 
die  Orakel  sowie  ihre  Ausleger  verfehlen  auch  nicht,  diese  Wirkung  in 
Aussicht  zu  stellen.^) 


fingiert  aber  für  die  nächstvorangehenden, 
angeblich  im  J.  628  =  126  gefeierten  Saecu- 
larspiele  bestimmt  zu  sein  (Momxsbn  a.  a.  0. 
S.  2S5  f.).  Es  unterscheidet  sich  von  den 
Androgynenorakeln  durch  das  Fehlen  der 
Akrostichis  (mit  Ausnahme  der  offenbar  aus 
einem  echten  Orakel  herttbergenommenen 
Verse  25 — 80,  Diels  a.  a.  0.  S.  15)  ebenso 
wie  die  im  Tone  ganz  verschiedenen  angeb- 
lichen Sibyllenverse  bei  Pausan.  VII  8,  9  = 
Appian.  Maced.  2  und  Gass.  Dio  LYII  18,  5. 

')  Cic.  de  div.  JI  110:  callide  enim,  qui 
illa  composuit,  perfecit,  tU,  quodcumque 
accidisset,  praedictum  videretur  hominum  et 
temporum  definitione  sublata,  adhibuit  etiam 
latebram  obscuritaiis,  ut  iidem  versus  alias 
in  aliam  rem  passe  accotnmodari  viderentur. 

*)  Dass  das  für  alle  Orakel  der  Samm- 
lung gelten  sollte,  haben  die  Worte  des 
Varro  bei  Dion.  Hai.  IV  62,  6it^  ols  evQia- 
xovtai  tiys^  ifinenoifjfji^yai  toTg  SißvXXsioiSf 
iXiyxoytai  di  raig  xaXov/Ä^yats  ttXQocTixidi 
zur  Voraussetzung. 

')  Cic.  de  div.  Ulli:  atque  in  Sibyllinis 
ex  primo  versu  cuiusque  sententiae  primis 
litteris  illius  sententiae  carmen  praetexitur, 
erläutert  an  dem  Androgynenorakel  durch 
PiBLs  a.  a.  0.  S.  25  ff. 


*)  Daa  älteste  ßeispiel  ist  die  Wamuiig 
vor  der  Ueberschreitung  des  Taums  (Liv. 
XXXVIII  45,  3,  im  J.  567  =  187),  dann  der 
von  Frontin.  de  aqu.  7  erzählte  Fall  aus  dem 
J.  611  =  143  (decemviri,  dum  aliis  ex  causis 
lihros  Sibyllinos  inspieiunt,  invenisae  dicun- 
turf  non  esse  aquam  Marciam  aed  Anionem 
in  Capitolium  perdueendum),  die  Grfindnng 
der  Colonie  Eporedia  Sibyllinis  iusais  (PÜn. 
n.  h.  III  123,  im  J.  654  =  100,  Vellei.  I  15, 
5),  dann  zahlreiche  Fälle  in  der  Revolutions- 
zeit (Verbannung  des  Ginna  mit  6  Tribunen 
667  =  87,  Gran.  Licin.  p,  23;  RttckfOhrnng 
des  Ptolemaios  Auletes  s.  oben  S.  463  A.  6; 
Hinweis,  dass  die  Parther  nur  durch  einen 
König  besiegt  werden  könnten,  ebd.),  wo  der 
Verdacht  absichtlicher  Nachhilfe  nahe  liegt 

«)  z.  B.  Liv.  XXIX  10,  4:  eivitatem  eo 
tempore  recens  religio  invaserat  invento  ear- 
mine  in  libris  Sibyllinis  propter  erebrius  eo 
anno  de  caelo  lapidatum  inspectis,  quandoque 
hostis  alienigena  terrae  Italiae  bMum  intU" 
lissety  eum  pelli  Italia  vincique  passe,  si  Mater 
Idaea  a  Pessinunte  Eomam  advecta  forei. 
Im  J.  611  =  143  werden  die  Bücher  wegen 
der  Missgeburt  eines  Knaben  mit  8  Fümoo 
und  wegen  eines  ßlutquelles  befragt»  sie 
geben  mit  Bezugnahme  auf  die  Kämpfe  dea 


69.  Die  QnindeoimYuri  aaoriB  faoiandis  und  die  HarnBpioes. 


467 


In  der  Auswahl  der  angeordneten  Sühnriten  lässt  sich  deutlich  einer- 
seits der  grossgriechische  Ursprung  der  Sibyllinensammlung  andererseits 
die  rasche  Abnutzung  der  Procurationsmittel  und  das  Bedürfnis  nach 
immer  erneuter  Steigerung  der  Lustrationsakte  erkennen.  Das  Ergebnis 
der  ersten  Befragungen  der  Bücher,  über  die  uns  direkte  Berichte  grössten- 
teils fehlen,  ist  die  Absiedlung  einer  Reihe  griechischer  Gottheiten  in  Born, 
zuerst  des  Gottes,  der  durch  den  Mund  der  Sibylle  spricht^)  und  dessen 
Diener  die  Quindecimvirn  in  erster  Linie  sind,*)  des  Apollo  samt  seinen 
Genossinnen  Leto  und  Artemis  (s.  S.  239),  femer  der  Trias  Demeter  Dionysos 
und  Köre  (Dion.  Hai.  VI  17,  3,  vgl.  oben  S.  242 f.),  des  Hermes  (S.  248), 
des  Poseidon  (S.  251)  und  einer  unteritalischen  Verehrungsform  des  Herakles 
(S.  224).  Diesen  Göttern  galten  die  Sühnopfer,  welche  die  Orakel  an- 
ordneten,') und  die  Bittprocessionen  (supplicationes)  ad  omnia  pulvinaria 
(S.  358),  d.  h.  eben  zu  den  nach  griechischer  Art  ausgestatteten  Kultstätten 
(S.  356),  sowie  die  im  J.  355  =  399  zum  ersten  Male  und  dann  wiederholt 
angeordneten  Lectisternien  (S.  355  f.).  Dabei  ist  das  Verfahren  im  all- 
gemeinen der  Art,  dass  man  eine  einmal  bewährte  Procuration  von  Senats^ 
wegen  aus  gleichem  Anlasse  auch  ohne  erneute  Befragimg  der  Bücher 
wiederum  anordnet;^)  zuweilen  verfügen  die  Orakel  selbst  auch  nur  die 


Ckinsnls  Ap.  Claudius  Pulcher  mit  den 
Salassern  den  Bescheid  qiMtiens  bellum  GeUlis 
iUcUuri  essent,  sacrificari  in  eorum  finibus 
apartere  (Obseq.  21),  und  es  werden  zwei  der 
Decemvirn  behufs  Anordnung  dieses  Opfers 
zum  Gonsul  geschickt  (Cass.  Dio  frg.  74,  1 
Melb.).  Auf  eine  Drohung  für  den  FsJl  nicht 
gewissenhafter  Vollziehung  der  angeordneten 
Sahnhandlungen  weist  die  bei  Plin.  n.  h.  XVII 
243  gegebene  Fassung:  subaedit  in  Cumano 
arbar  gravi  astento  paula  ante  Pompei  Magni 
bella  civüia  paueis  ramis  eminentiSus,  inven- 
tum  SibyUinis  libris  intemeeionem  haminum 
fare  tantaque  maiorem,  quanto  prapius  ab 
urbe  f  paatea  facta  esset;  vgl.  auch  Cass.  Dio 
frg.  49,  1 :  XQV^f^^^  ^*f  ^V^  IißvXXrjg  xovg 
Ptofialovg  idsiudtov  (pvXd^aa&m  rovg  FaXd' 
ras  dety  xeXavoty,  otav  xsgavyog  ig  ro  Kant- 
twXioy  nXrjaioy  'JnoXXioyiov  xataaxijnTii. 

')  Fatarum  veter  es  praedictiones  Apot- 
Unis  nennt  Cic.  de  bar.  resp.  18  die  sibylli* 
nischen  Bücher,  vgl.  auch  de  div.  I  115.  IT 
113  Apoüinis  cperta;  Tibull.  II  5,  15  f.  redet 
ApoUon  an:  te  duce  Romanos  numquam 
frustrata  SibyUa,  abdita  quae  senis  fata 
canit  *7edibus, 

')  ^legoHFvytj  rov  *jin6XX(oyog  heisst  der 
Quindecimyirat  bei  Plut.  Cato  min.  4;  antisti- 
tes  Äpollinaris  sacri  caerimoniarumque  oZi- 
arum  Liv.  X  8,  2;  stg  dexdneyt*  dydgwy, 
^oißov  are(pttyfjq>6Qog  l^evg  Kaibel,  Inscr. 
gr.  Sioil.  Ital.  nr.  1020.  Daher  liegen  seit 
Augustus  nicht  nur  die  sibyllinischen  Bücher 
im  palatinischen  Apollotempel,  sondern  die 
Quindecimvirn  halten  dort  auch  ihre  Sitzun- 
gen ab  (MoMHSEN,  Ephem.  epigr.  Vm  p.  292, 


vgl.  2471 ;  die  apollinischen  Symbole  Dreifuss 
und  Delphin  spielen  eine  Rolle  bei  ihren 
Kulthandlungen  (Sery.  Aen.  III  382 :  hodieque 
quindecimvirorum  cortinis  delphintu  in  summo 
ponitur  et  pridie  quam  sacrifleium  faciunt 
veltU  sf/mbolum  delphinus  eircumfertur  ob 
hoc  scilicet,  quia  quindecimviri  librorum 
Sibyllinorum  sunt  onHstites,  SibyUa  autem 
Apoüinis  vates  et  delphinus  Apoüini  saeer 
est)  und  dienen  als  Abzeichen  ihrer  Würde 
auf  Münzen  (Borghbsi,  Oeuvres  I  845  ff.). 

')  Die  Berichte  über  Prodigien  und  Pro- 
curationen  vor  dem  J.  505  =  249  (s.  oben 
S.  53  A.  3)  sind  sehr  dürftig  und  vielfach 
apokryph,  z.  B.  über  das  angebliche  Sibyllen- 
orakel vom  J.  293  =  461  bei  Liv.  III  10,  7. 
Dion.  Hai.  X  2  (vgl.  Nibbuhb,  Rom.  Gesch.  I 
562)  und  über  die  Beseitigung  des  Lacus 
Curtius  durch  Befragung  der  sibyllinischen 
Bücher  392  =  362  (Dion.  Hai.  XIV  20,  die 
übrigen  Zeugen  reden  nur  allgemein  von 
einem  Orakel,  Varro  de  1. 1.  V  148  von  den 
Haruspices). 

*)  So  erklären  sich  die  zahlreichen  FiQle, 
in  denen  Livius  ohne  Erwähnung  der  Sibyl- 
linensprüche  Procurationen  durch  Opfer  oder 
Supplicationen  aufführt,  z.  B.  XXVII  11,  6: 
ea  prodigia  hostiis  maioribus  procurata  et 
suppliccUio  circa  omnia  piUvinaria,  obsecratio 
in  unum  diem  indicta;  bei  den  fünf  ersten, 
unter  sich  gleichartigen  Lectisternien  (oben 
S.  356  A.  6.  7)  thut  der  Bericht  des  Livius 
beim  ersten  und  vierten  der  Befragung  der 
Bücher  Erwähnung,  beim  dritten  und  fünften 
(das  zweite  fehlt  bei  ihm)  nicht. 


80' 


468 


Beligion  und  Xnliiis  der  BOmer.    Hl«  Knltns. 


Erneuerung    bereits    früher    bei    ähnlicher   Gelegenheit   von    ihnen    vor- 
geschriebener CSeremonien,!)  meist  aber  liegt  schon  in  der  erneuten  Be- 
fragung der  Hinweis  darauf,  dass  man  neue  Sühnmittel  erwartet  und  für 
erforderlich  hält.    Solche  treten  namentlich  im  Verlaufe  des  3.  und  2.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  in  reicher  Menge  ein.    Neu  eingeführt  werden  die  Gottes- 
dienste des  Asklepios  (S.  253),  der  Damia  (S.  177),  der  griechischen  Unter- 
weltsgottheiten (S.  255),  einer  mit  der  altrömischen  Flora  gleichgesetzten 
griechischen  Göttin  (S.  163j,  der  Hebe  (S.  126),   der  Aphrodite  vem  Eryx 
und  der  Aphrodite  *Anoa%QOip(a  (S.  236),  einer  mit  dem  lateinischen  Namen 
Mens  bezeichneten  Göttin  (S.  259)  und  der  grossen  Mutter  von  Pessinus 
(S.  263),    womit  die  Erstreckung    des  graecus  rüus  auch  auf  Kulte  ein- 
heimischer Ordnung  und  damit  die  Hellenisierung  des  alten  Gottesdienstes 
Hand  in  Hand  geht  (s.  oben  S.  55).    Dazu  treten  dann  von  neuen  Sühn- 
riten ^)  die  an  Vertretern  feindlicher  Nationen  vollzogenen  Menschenopfer 
(S.  355),  die  Darbringung  von  Geschenken  ex  pecunia  conlata  an  bestimmt 
bezeichnete  Götter  (S.  362),   die  Anordnung  von   Spielen   zu  Ehren   des 
Apollo,')  Jungfrauenprocessionen  zu  Ehren  der  Juno  Regina  (S.  360),  Fasten/) 
Feier  der  ihrer  Art  und  Bestimmung  nach  fast  unbekannten  Ludi  Taurii,^) 
Opfer  der  Orakelbewahrer  bei  auswärtigen  griechischen  Kultstätten')  u.a.  m. 
Aus  der  Zeit  nach  der  Vernichtung  der  alten,  im  J.  671  =  83  verbrannten 
Sammlung  kennen  wir  ausser  der  augusteischen  Saecularfeier,   die   aber 
nicht   auf  Grund   einer   eigens   vorgenommenen    Befragung    der   Bücher, 
sondern  unter  Berufung  auf  einen  angeblich  bereits  bei  einer  früheren 
Feier  gleicher  Art  zur  Ausführung  gekommenen  Sibyllenspruch  erfolgte,^) 


*)  Liv.  XXXI  12,  9:  decemviri  ex  libris 
res  divincis  easdem,  quae  proxime  seeundum 
id  prodigium  fctctae  easent,  imperarunt, 

*)  Die  alten  Mittel,  Opfer  and  Suppli- 
cation,  bleiben  natürlich  daneben  bestehen; 
die  Formel  für  den  Senatsbeschluss  ist  con- 
8ul  quibus  dis  quibusque  hostiis  edidiasetU 
decemviri  sacrificaret  (Liv.  XXXVI  37,  5,  vgl. 
XXXVU  d,  5 :  supplicatio  quoque  earum  rdi- 
gionum  causa  fuit,  quibus  dis  decemviri  ex 
libris  ut  fieret  ediderunt). 

')  Liv.  XXV  12,  11  f.  and  dazu  oben 
S.  468  A.  2.  Auf  das  bei  dieser  Gelegenheit 
gegebene  Sibyllinum  geht  wahrscheinlich 
das  Verbot  jedes  einem  andern  Gotte  gel- 
tenden Opfers  für  den  Haupttag  der  Spiele 
zurück  (Xoylov  nyog  IißvXXeiov  anayoQev- 
otrtog  fifjdeyi  Setoy  iots  nXtjy  tt^  'JnoXXtoyi 
ioQja^ec^ai,  Gass.  Dio  XLVII  18,  6). 

«)  Liv.  XXXVI  87,  4  and  dazu  oben 
S.  246. 

>)  Liv.  XXXIX  22,  1  (s.  oben  S.  888  A.  2), 
ex  libris  fatalibus  gefeiert  nach  Serv.  Aen. 
II  140,  nach  Fest.  p.  351  den  di  inferi 
seweiht 

•)  So  wird  im  J.  582  =-  172  auf  Grund 
der  Sibyllinensprüche  u.  a.  angeordnet  victi- 
mis  maioribus  sacrificandum  et  in  Capitolio 
Romae  et  in  Campania  ad  Minervae  pro- 
munturium  (Liv.  XLII 20, 8),  im  J.  621  =  183 


Cererem  antiquissimam  placari  oporiere, 
was  durch  ein  Opfer  der  Decemvim  bei  der 
Demeter  in  Enna  zur  Ausführung  kommt 
(CicVerr.  IV  108  =  Val.  Max.  I  1, 1  ==  Lact 
II  4,  29),  im  J.  624  =  180  ein  Opfer  und  Ge- 
schenke an  den  Apollon  von  Cumae  (Obsequ. 
28;  vgl.  August  c.  d.  III  11),  im  J.  646  =  108 
ein  durch  je  80  Jünglinge  und  Jongfranen 
edler  Gebart  darzubringendes  Opfer  auf  der 
Insel  Gimolus  (Obseq.  40);  auch  die  Wieder- 
herstellung der  ara  Circes  sanctissimae  n 
Circeji  (vgl.  dazu  Cic.  de  nat  deor.  III  48l 
Strab.  V  232)  im  J.  213  n.  Chr.  ex  auctoritaU 
imp(erataris)  et  decreto  cdll(egii)  XV(virum) 
sac(ri$)  fac(iundis)  durch  den  Promagister 
(CIL  X  6422)  gehört  in  dieses  Gebiet.  Da- 
gegen sind  die  Opfer  und  LecUstemien  in 
den  Rom  benachbarten  Heiligtümern  von 
Caere,  Lanuvium  (Juno  Sospes),  dem  Moos 
Algidus  (Fortuna)  und  Ardea  in  den  J.  286 
=  218  und  237  =  217  (Liv.  XXI  62,  8.  XXU 
1,  18  f.)  etwas  anderer  Art. 

^)  Zosim.  II  4,  2  sagt  nur  xot^  &6Cfi6ir 
'Atfjiov  Kttnirtoyog  i^tjyijaaficyov,  tovg  dir 
XQoyovg,  xa^*  ovg  Hdei  irjy  S-vaiav  ysyäüStu 
xal  tt}y  &6(0Qiay  (r;|r^yai,  rtoy  neytBxaldsMu 
aVdipcJy,  oV  Tff  JißvXXfjg  &^a(pata  tpvXanety 
itdx^fl^tftyy  dyeQSvyfjcäyxay;  vgl.  MonsBii, 
Ephem.  epigr.  VIII  p.  286. 


69.  Die  Qiiiiideoimyiri  saoris  faoiimdis  und  die  Harnspioes. 


469 


nur  die  nach  dem  neronischen  Brande  von  der  Sibylle  angeordneten  Sühn- 
riten, die,  soweit  es  die  sehr  knappe  Beschreibung  des  Tacitus  erkennen 
lässt,  mit  dem  Ceremoniell  der  früheren  Sühnungen  und  der  Saecularfeier 
sich  eng  berührten.  0 

Einen  eigenen  ständigen  Opferdienst  versehen  die  Quindecimvirn  nicht 
(darum  befindet  sich  auch  kein  Flamen  im  Collegium),  denn  die  griechischen 
Gottesdienste  brachten,  wie  es  uns  von  dem  der  Ceres  direkt  bezeugt  ist 
(s.  S.  243),  ihre  Priester  und  Priesterinnen  aus  der  Heimat  mit.  Dagegen 
ist  es  eine  sehr  wahrscheinliche  Vermutung,  dass  die  Oberaufsicht  *über 
alle  griechischen  auf  Grund  der  libri  SibyUini  recipierten  Kulte  von  den 
Quindecimvirn  ausgeübt  wurde,  wenn  es  auch  an  direkten  Zeugnissen  dafür 
fehlt.  Nur  für  einen  der  in  Rom  anerkannten  Gottesdienste  des  graecus 
ritus,  den  der  Magna  Mater,  lässt  sich  die  Unterstellung  unter  die  Quin- 
decimvirn als  sacrale  Oberbehörde  klar  nachweisen:  die  Quindecimvirn 
wirken  nicht  nur  in  der  ersten  Eaiserzeit  bei  dem  Feste  der  Lavatio  an  leiten- 
der Stelle  mit  (s.  S.  264),  sondern  üben  auch  im  Laufe  des  3.  und  4.  Jahr- 
hunderts ein  Bestätigungsrecht  gegenüber  den  ebendarum  als  sacerdotes 
XVvircUes  bezeichneten  Priestern  und  Priesterinnen  der  Grossen  Mutter') 
und  die  Aufsicht  über  den  Tauroboliendienst  (S.  269),  beides  nicht  nur  in 
Rom,  sondern  auch  in  den  italischen  und  gallischen  Bürgerstädten.  Welche 
Bedeutung  diesem  Teile  ihrer  Thätigkeit  zukommt,  ergibt  sich  nicht  nur 
daraus,  dass  sich  die  Erwähnungen  des  Auftretens  der  Quindecimvirn  in 
der  Eaiserzeit,  abgesehen  von  ihrer  Mitwirkung  bei  den  Saecularf eiern,") 
fast  ausschliesslich  auf  diese  Akte  des  Magna-Mater-Eultes  beziehen,  sondern 
auch  daraus,  dass  schon  Zeugen  der  neronischen*  und  domitianischen  Zeit 
die  Aufgabe  dieses  Priestertums  als  eine  doppelte,  einerseits  der  Grossen 
Mutter,  andererseits  der  Deutung  der  Sibyllensprüche  gewidmete  charak- 
terisieren.*) 

In  einem  ähnlichen  Verhältnisse  zur  römischen  Staatsreligion  wie  die 
xa&aQfxoi  der  Sibylle  steht  die  Divination  der  discipUna  Etrusca,  nur  dass 
ihr  Einfluss  wenigstens  in  älterer  Zeit  ein  wesentlich  geringerer  gewesen 
ist  und  ihre  Vertreter,  die  Haruspices^  niemals  sacerdotes  publici  p.  R, 
geworden  sind.  Hier  wie  dort  werden  auf  Senatsbeschluss,  sobald  gegen- 
über besonders  schweren  Prodigien  die  eigene  Religion  versagt,  die  Hilfs- 


>)  Tao.  ann.  XY  44:  max  petita  dis  pia- 
cula  aditique  Sibyllae  Jibri,  ex  quibus  suppli- 
catum  Volcano  et  Cereri  Proeerpinaeque  (zu 
dem  Feaergotte  treten  Demeter  und  Perse- 
phone,  die  auch  in  den  Androgynenorakeln 
obenan  stehen)  ac  propitiata  luno  per  ma- 
troncLs  (entsprechend  sowohl  der  Androgynen- 
sühnung  wie  der  Saecolarfeier),  pritnum  in 
Capitolio  (Saecnlarf.),  deinde  apud  proximum 
mare,  unde  hausta  aqua  templum  et  «tmu/o- 
crum  deae  perapereum  est  (vgl.  dazu  Cass. 
Dio  XLVni  48,  5,  wo  auf  die  mchricht,  dass 
Uget^g  ayaXfia  ngo  nvXtoy  t^viSv  kmoq  ineaev 
int  atofia  die  IißvXXeia  htij  aufgeschlagen 
werden  und  anordnen  to  ayaXfjka  ini  re  rtjv 
&aXaccay  xatax^ijva^  tuhI  T(p   vifart  avrijg 


xa9ttQ&^yttt);  et  eellietemia  ac  pervigüia 
eelebravere  feminae  quibus  mariti  erant 
(beides  wie  bei  der  Saecularfeier). 

*)  s.  namentlich  die  wichtige  Inschrift 
aus  Cumae  CIL  X  8698  (vgl.  auch  8699)  und 
mehr  oben  S.  265. 

*)  Tac.  ann.  XI 11  und  die  Saecularakten. 

*)  Lucan.  I  599  f. :  qui  fata  deum  secre- 
taque  carmina  servant  et  loiam  parva  revo- 
eant  Almone  Cybeben.  Stat.  silv.  I  2,  176  f. 
von  dem  Quindecimvir  L.  Ammtius  Stella: 
certe  iam  nunc  Oybeleia  movit  limina  et 
Euboicae  earmen  legit  iüe  SibyUae  (letzteres 
allein  V  8, 182 :  eui  ChaHeidieutn  fas  volvere 
earmen). 


470 


Beligion  und  Knltui  der  ROmer.    IIL  Knltm. 


mittel  eines  fremden  Glaubens  zur  Bettung  des  Staates  herbeigezogen;^) 
aber  die  Ausleger  der  Sibyllensprüche  sind  römische  Staatsprieeter,    und 
die  Grundlage  ihres  Gutachtens  bildet  ausschliesslich  eine  vom  Staate  an- 
erkannte, in  seinem  Besitze  befindliche  Sammlung,  während  die  Haruspicin 
nur  in  der  Weise  zur  Anwendung  kommt,  dass  man  ihre  Vertreter  von 
Fall  zu  Fall  aus  ihrer  Heimat  beruft  und  es  ihnen  überlässt,  fQr  die  Ge- 
staltung ihrer  Aussage   die  reiche  Litteratur   ihrer  Wissenschaft')   nach 
eigenem    Ei'messen   heranzuziehen  und  zu   benützen.    Denn  während   die 
Orakel  der  Sibylle  als  auf  Inspiration  beruhend  angesehen  werden,  gehört 
die  Haruspicin  zu  dem   artificiosum  divinandi  genus  (Cic.  de  div.  11  26),    sie 
verfährt  nach  einem  komplizierten  Systeme  vielfach  sich  durchkreuzender 
Lehrsätze  und  Begeln  und  gewinnt  durch  deren  sachgemässe  Anwendung 
auf  den  vorliegenden  Fall  die  gewünschten  Aufschlüsse.    Von  den  drei 
Gebieten,  auf  denen  diese  Divinationskunst  der  Etrusker  zur  Anwendung 
kommt,   Eingeweideschau,  Blitzlehre  und  Ausdeutung  naturwidriger    Er- 
eignisse (ostenta),^)  führen  die  beiden  letzteren  sie  in  direkte  Konkurrenz 
mit  der  Wirksamkeit  der  sibyllinischen  libri  fatales,   aber  das  Ziel  beider 
ist  ein   verschiedenes;    nicht   die  Sühnmittel   für  den   durch   Blitz    oder 
Wunderzeichen   kundgegebenen    göttlichen   Zorn    bieten    die    Haruspices, 
sondern  Aufklärung  über  die  Bedeutung  dieser  Äusserungen  einer  höheren 
Macht  und  über  die  in  ihnen    liegenden  Vorverkündigungen  zukünftiger 
Geschehnisse.    Die  zahlreichen  in  der  Litteratur  berichteten  Fälle^  in  denen 
von   Staatswegen  die  Haruspices  gehört  werden,  lassen  sowohl  den  ge- 
schäftlichen Verlauf  der  Sache  als  die  Art  der  haruspicinen  Gutachten 
erkennen.    Aus  Anlass  eines  bestimmten  Prodigiums  beschliesst  der  Senat, 
Haruspices    aus  Etrurien    herbeizuziehen^)    und    ihnen    den    Fall    vorzu- 


>)  z.  B.  Cic.  de  div.  I  97:  quatiens  ae- 
nattu  deeemviros  ad  libro8  ire  iu88U,  quatUia 
m  rebus  quamque  saepe  respanais  Jiaruapicum 
paruU;  Dat.  deor.  III  5:  »i  quid  praedictUmU 
eatua  ex  portentis  et  monstris  Sibtfllae  inter- 
pretea  haruspieeave  manuerunt;  vgl.  de  har. 
resp.  18.  Arnob.  Vn  38. 

')  Hier  sind  streng  zn  scheiden  die  auf 
nralie  Offenbaning  zurückgef&hrten  heiligen 
Bttcher  der  diseipUna  Etruaca  in  etroskischer 
Sprache  (s.  Anm.  3)  und  die  seit  dem  letzten 
Jahrhundert  der  Repnblik  auftretenden  la- 
teinischen litterarischen  Bearbeitungen  des 
Gegenstandes  (vgl.  G.  Scbmbisseb,  Die  etruski- 
sche  Disciplin  S.  5  ff.)  durch  M.  Tarquitius  Pris- 
cus  (über  inn  s.  Bormikn,  Archaeol.  epigr.  Mitt 
aus  Oesterr.  XI 94  ff. ;  Jahreshefte  d.  österr.  arch. 
Instit.  ni  29  ff.),  A.Gaecina  (Münzbb,  Beitr.  z. 
Quellenkritik  d.  Naturgesch.  d.  Plin.  S.244  ff.), 
Julius  Aquila  u.  a.,  auf  welche  —  z.  Th.  durch 
Vermittlung  des  Varro  und  Nigidius  Figulus 
—  die  erhaltenen  Zeugnisse  (namentlich  die 
Darstellung  der  Blitzlehre  bei  Seneca  nat. 
quaest.  II  81—41.  Plin.  n.  h.  H  137  -148, 
einzelner  Punkte  aus  der  Extispicin  bei  Plin. 
a.  a.  0.  XI  186.  189  f.  197  und  viele  einzeke 
Netizen  bei  Festus  und  ServiuB)  zurflckgehen. 


')  Diese  oft  hervorgehobene  Dreiteilimg 
(Gic.  de  div.  1 12.  35.  93.  H  26.  28.  42.  49. 
109)  liegt  auch  den  heiligen  Schriften  der 
Disziplin  zu  Grunde,  die  nach  Gic.  de  div. 
I  72  m  lihri  haruspicini  (im  engeren  Sinne, 
die  Extispicin  behandelnd),  ful^rcUea  und 
rituaJes  zerfielen  {libri  faUües  bei  Gensorin. 
14, 6  scheint  ebensowenig  Terminus  wie  libri 
recandUi  bei  Serv.  Aen.  1398.  n  649);  die 
libri  rituales  enthielten  nicht  nur  Anweisungen 
über  die  bei  bestimmten  Gelegenheiten  zur 
Anwendung  kommenden  Geremonien  (Fest, 
p.  285.  Gensor.  11,  6.  17,  5),  sondern  auek 
die  Etegeln  Über  die  Deutung  der  ositmta 
{ostentaria  Macr.  III  7,  2.  20,  3),  vieUeicbt 
geordnet  nach  den  verschiedenen  G^bietoi 
des  Lebens,  für  die  sie  Bedeutung  haben 
(libri  erercituales  Amm.  Marc.  XXTTT  5^  lO 
über  die  Vorzeichen  beim  Heere).  Daneben 
finden  sich  Bezeichnungen  hergenommen  von 
der  sagenhaften  Herkunft  der  Bücher,  nament- 
lich libri  Tagetici  (Amm.  Marc  XVII  10,  2. 
Macr.  S.  V  19,  13.  Isid.  orig.  VHI  9,  34), 
Vegonici  (Amm.  Marc.  a.  a.  0.  Grom.  lat  I 
p.  350  f.,  vgl.  348.  Serv.  Aen.  VI  72),  Aehe- 
runtici  (Arnob.  U  62.  Serv.  Aen.  VIII  398). 

^)  haruspices  aeciendos  ex  JEkruHa  Gic. 


69.  Die  (JiiiiideoimYiri  aaoria  ÜRoimidis  und  die  Haraspioee. 


471 


legen:')  in  mündlicher  Verhandlung  vor  dem  Senate')  geben  sie  ihre  Meinung 
{responsum)  ab,  wobei  der  älteste  von  ihnen  das  Wort  führt.')  Dieser 
Bescheid,  der  wohl  in  der  Regel  auch  schriftlich  niedergelegt  wurde,^) 
erstreckte  sich  auf  vier  Punkte,  die  aber  nicht  in  jedem  Falle  sämtlich 
zu  erledigen  waren,  sondern  von  denen  je  nach  der  Sachlage  dieser  oder 
jener  mehr  in  den  Vordergrund  trat.  Zunächst  ist  zu  ermitteln,  von  welchen 
Gottheiten  das  Zeichen  ausgeht,  und  für  die  Beantwortung  dieser  Frage 
sind  bei  den  ostenta  Art,  Ort,  Zeit  und  Nebenumstände  des  Vorganges 
sorgfältig  in  Erwägung  zu  ziehen,  bei  den  Blitzen  aber  gibt  eine  bis  ins 
Kleinste  ausgebildete  Theorie  von  den  blitzwerfenden  Göttern  und  von  der 
Wirksamkeit  jedes  einzelnen  von  ihnen  in  bestimmten  Regionen  des  nach 
etruskischer  Doktrin  in  16  Felder  geteilten  Himmels^)  Auskunft  über  den 
Urheber,  wobei  natürlich  die  Göttemamen  der  tuskischen  libri  fulgurcUes 
nach  einem  festen  Schema  mit  bestimmten  Gottheiten  der  römischen 
Staatsreligion  gleichgesetzt  werden  mussten.')  Sodann  liegt  es  den  Haru- 
spices  ob  festzustellen,  aus  welchem  Anlasse  die  betreffende  Gottheit  das 
Zeichen  gesandt  hat,  insbesondere  ob  sie  über  die  Unterlassung  einer  ihr 
geschuldeten  Leistung  oder  einen  Verstoss  gegen  die  heiligen  Satzungen  zu 
klagen  habe.^)   In  diesem  Falle  weisen  die  Haruspices  auf  die  geeigneten 


har.  resp.  25;  vgl.  de  div.  11  11.  Liv.  I  55,  6. 
XXVII  87,  6.  Tac.  aun.  XI 15.  Appian.  b.  c. 
lY  4.  Lucan.  1 584  f.  Gell.  VI  5, 2.  In  welcher 
Weise  die  Persönlichkeiten  bestimmt  worden, 
ist  nicht  überliefert,  vielleicht  erbat  man  von 
einzelnen  etruskischen  Städten  die  Zuweisung 
ihrer  eigenen  Haruspices  und  zwar  je  nach 
der  Wichtigkeit  des  Anlasses  von  einer 
grösseren  oder  geringeren  Zahl  von  Städten ; 
nur  so  versteht  man  die  in  besonders  schweren 
Fällen  gebrauchte  Wendung,  dass  die  Haru- 
spices ex  tot a  Etruria  berufen  worden  seien 
(Cic.  Catil.  m  19.  Tac.  bist.  IV  53). 

')  ad  haruspices  referre  Varro  de  1.  1. 
V  148.  Cic.  de  nat.  dcor.  H  10;  de  leg.  1121: 
prodigia  portenta  ad  Etruscos  haruspices,  si 
senatus  iussit,  deferunto,  Liv.  XUI  2, 2,  vgl. 
XXXIX  16,  7.  Plut.  Sulla  7. 

')  haruspices  introdueti  responderunt  Cic. 
de  nat.  deor.  ü  10.  Liv.  XXXII  1,  14. 

*)  Appian.  b.  c.  IV  4.  Lucan.  I  585.  Cic. 
de  div.  II  52. 

^)  Das  zeigt  Ciceros  im  J.  698  =  56  ge- 
haltene Rede  de  haruspicum  respanso,  aus 
der  sich  das  zur  Verhandlung  stehende  Gut- 
achten der  Haruspices  in  indirekter  Rede 
folgendermassen  wiedergewinnen  lässt:  quod 
in  agro  Latiniensi  auditus  est  strepitus  cum 
fremitUf  postiliones  esse  lovi  Saturno  Neptuno 
Telluri  dis  caelestibus;  ludos  minus  diligenter 
factos  poüutosque,  loca  sacra  et  religiasa  pro- 
fana  haberi,  oratores  contra  ius  fasque  inter- 
fectos,  fidem  iusque  iurandum  negtectum, 
sacrificia  vetusta  occultaque  minus  diligenter 
facta  pollutaque;  (videndum  esse)  ne  per 
optimatium  discordiam  dissensionemque  pa- 
tribus  principibusque  caedes  periculaque  cre- 


entur  auxilioque  divini  numinis  deficiantur, 
quare  ad  unius  imperium  res  redeat  exer- 
eitusque  apulsus  deminutioque  aceedat,  ne 
occultis  consiliis  res  publica  laedcUur,  ne 
deterioribus  repulsisque  honos  augeatur,  ne 
reipublicae  Status  eommutetur  (a.  a.  0.  §  20. 
21.  9.  34.  86.  37.  40.  55.  56.  60). 

^)  üeber  die  blitzwerfenden  Qötter  s. 
Seneca  nat.  quaest.  U  41.  Plin.  n.  h.  H  138. 
Serv.  Aen.  142.  Vm  427  (vgL  dazu  auch 
ScHMBissBB,  Comment.  in  honor.  A.  Reiffer- 
scheidii  S.  29  ff.),  ober  die  Wohnungen  der 
Götter  in  den  16  (nach  römischer  Theorie 
nur  4,  Cic.  de  div.  U  42.  Plin.  n.  h.  H  143) 
Regionen  des  Himmels  Mart.  Cap.  I  45  -  61 
(dazu  Etssenbardt  in  seiner  Ausg.  p.  XXXIVff. 
NissBN,  Templum  S.  182  ff.  Dbbckb,  Etrusk. 
Forsch.  rV  14  ff.). 

^)  Die  Art  dieser  Gleichsetzungen  wird 
klar  durch  eine  Vergleichung  der  etruskischen 
Göttemamen  der  Bronzeleber  von  Piacenza 
mit  den  in  analoger  Weise  angeordneten 
römischen  Namen  bei  Martian.  Cap.  a.  a.  0., 
vgl.  Dbbokb  a.  a.  0.  S.  21  ff. 

')  Das  sind  die  postulatoria  fulgura 
(Seneca  nat.  quaest.  VL  49,  1),  quae  votorum 
aut  sacrificiorum  spretam  religionem  deside- 
rani  (Fest.  p.  245);  vgl.  Liv.  V  17, 2:  inven- 
tumque  tandem  est,  ubi  neglectas  caerimonias 
intermissumw  soüemne  di  arguerent  Die 
Forderung,  die  durch  das  Schreckzeichen 
zum  Ausdrucke  kommt,  heisst  postilio  (Varro 
de  L  1.  V  148:  responsum  —  von  den  Haru- 
spices in  Betreff  des  Laous  Curtius  —  deum 
manium  postÜionem  postulare  •  •  id  est 
civem  fortissimum  eo  demitti.  Cic.  de  har. 
resp.  20.  81  [s.  oben  Anm.  4].  Amob.  IV  81]). 


472 


Beligion  und  XaltiiB  der  BOmer.    m.  Kuli««. 


sacraleD  Mittel  der  Procuration  hin ;  aber  abweichend  von  der  Praxis  der 
Sibyllenausleger  verlangen  sie  niemals  die  Reception  etruskischer  Gottheiten 
oder  die  Ausführung  von  Kulthandlungen  Etrusco  ritu,  sondern  durchweg 
nur  Darbietungen  an  bereits  anerkannte  Gottheiten  und  in  den  üblichen 
Formen,  je  nach  der  Eigenart  der  beteiligten  Götter  im  altrömischen 
oder  im  griechischen  Ritus;  ^)  daher  haben  sie  auch  mit  der  Vollziehung 
der  durch  ihr  Gutachten  empfohlenen  Handlungen  nichts  zu  thun,*)  sondern 
diese  erfolgt  durch  die  zuständigen  Staatspriester.')  Die  Anordnungen 
der  Haruspices  beziehen  sich  aber  weiterhin  auch  darauf,  in  welcher  Weise 
die  Spuren  des  Schreckzeichens  zu  beseitigen  sind  und  was  mit  den  leben- 
den Wesen  oder  leblosen  Gegenständen^  an  denen  es  sich  gezeigt  hat,  ge- 
schehen soll:  die  Spuren  des  Blitzschlages  werden  gesammelt  und  ebenso 
wie  die  Leiche  des  vom  Blitze  getroffenen  Menschen  an  der  Stelle  selbst 
begraben,^)  Missgeburteu'und  sonstige  Naturwidrigkeiten  fortgeschafft,  ver- 
brannt und  ihre  Asche  ins  Meer  gestreut,^)  auch  sonst  alle  Massregeln 
getroffen,  welche  geeignet  erscheinen,  die  Nachwirkungen  des  unheil- 
drohenden Ereignisses  zu  entfernen.^)  Die  Hauptsache  aber  und  das,  was 
die  Eigenart  der  Haruspicin  als  Divinationskunst  ausmacht,  ist  die  Beant- 
wortung der  Frage  quid  portendat  prodigium,  nicht  blos  die  Ermittelung, 
ob  das  Vorzeichen  ein  günstiges  oder  ungünstiges  sei,  sondern  auch  welche 


')  Varro  de  1.  1.  Vn  88:  cum  aruapex 
praedpit,  ut  suo  quisque  ritu  saerifieium 
faeiat.  So  finden  ex  responso  haruspieum 
Sapplioationen,  JongfrauenproceBsionen  and 
andre  Akte  des  graecus  rittu  statt  (z.  B.  Tay. 
1XXU  1,14.  XLI  13,3.  Ob8equ.43),  aber 
auch  die  lustratio  urbis  (Tao.  ann.  XIII  24), 
und  für  Opfervorschriften  werden  mehrfach 
die  Pontifices  und  die  Haruspices  zusammen 
als  Gewährsmänner  angeführt  (Cic.  de  leg. 
n  29.  Macr.  S.  m  2,  3). 

*)  Wenn  Lucan.  I  608  ff.  den  Haruspex 
das  Opfer  bringen  lässt,  so  ist  das  bestimmt 
dichterische  Willkflr. 

*)  Lehrreich  ist  auch  der  von  Gio.  de 
nat.  deon  II  10  f.  mitgetheilte  Fall,  wo  die 
Haruspices  aus  Anlass  eines  osttntum  eine 
innerhalb  des  Auspicienrechtes  liegende  Ver- 
fehlung feststellen,  deren  Ausgleichung  aber 
auf  Gutachten  der  Augum  erfolgt. 

*)  Lucan.  I  606  f.:  disperses  fulminis 
ignes  colHgit  et  terrae  maesto  cum  murmure 
e&ndit,  Quintil.  decl.  274:  quo  quis  locoful- 
mine  ictus  fuerit.  eodem  sepeliatur.  Der  Voll- 
zug dieser  Handlung  wird  bald  den  Pontifices 
(Schol.  Juv.  6,  587),  bald  den  Haruspices  zu- 
geschrieben (Seneca  de  dem.  I  7,  1.  Lucan. 
a.  a.  0.  Pers.  2,  26  und  Schol.  Apul.  de  deo 
Soor.  7,  28  p.  10,  14  Lfi^.  Apoll.  Sidon.  carm. 
9, 193) ;  aber  dass  die  Blitzbestattnng  römisch 
ist,  zeigt  die  in  den  Aufschriften  der  Blitz- 
gräber sich  findende  Scheidung  in  füJgur 
Dium  und  fulaur  Summanium  (S.  107)  und 
die  enge  Beziehung  der  sacerdotes  hidentales 
zu  Semo  Sancus  Dius  Fidius  (S.  121).    Vgl. 


Mabquardt,  StaatsYerw.  IH  262  f.  Wibsowa, 
Real-Encycl.  m  429  f. 

*)  z.  B.  Obsequ.  25 :  puer  ex  ancüla  quat' 
tuor  pedibus  manibus  oculis  auribus  et  du- 
plici  obsceno  natus  .  .  aruspicum  itusu  cre- 
matus  cinisque  eius  in  mare  deiectus;  ähn- 
lich wird  mit  Hermaphroditen  verfahren  (liv. 
XXVII  37,  6:  extorre  agro  Romano,  procui 
terrae  contactu  aUo  mergendum.  vivum  in 
arcam  condidere  proieetumque  in  mare  pro- 
iecerunt;  vgl.  XXXIX  22,  5  [die  Haruspices 
erwähnt  Obsequ.  3].  Obsequ.  22)  oder  mit 
Ochsen,  die  auf  das  Dach  eines  Hauses  ge- 
stiegen sind  (Liv.  XXXVI  37,  2;  dagegen 
wird  ein  Ochs,  der  mit  Menschenstimme  ge- 
redet hat,  sorgfältig  erhalten  und  gef&ttert, 
Liv.  XXXV  21,  5.  XLI  13,  3)  oder  mit  einem 
auf  dem  Forum  erschienenen  Wespen- 
Bchwarme  (Liv.  XXXV  9,  4);  vgl.  auch  Lucan. 
I  589  ff.  Es  gab  besondere  Listen  der  ar- 
bores  infelices,  quibus  portenta  prodigiaque 
mala  comburi  itihere  oportet  (Macr.  HI  20, 3). 

*)  Dahin  gebOrt  die  Neuaufstellung  durch 
Blitz  oder  Sturm  umgestürzter  Statuen  an 
andrer  Stelle  (Gell.  IV  5)  oder  in  anderer 
Orientierung  (Cic.  Gatil.  HI  19  f.,  vgl,  de 
divin.  I  20.  Amob.  Vü  40.  Cass.  Dio  XXXVH 
9,  1  f.  34,  3  f.),  femer  die  Aufsuchung  und 
Auffindung  des  vom  Blitze  abgeschlagenen 
Hauptes  der  Statue  des  Summanus  (Cic.  de 
div.  I  16.  Liv.  per.  XIV)  und  die  Mitwirkung 
der  Haruspices  bei  dem  Wiederaufbau  des 
niedergebrannten  Oapitols  unter  Vespasian 
(Tac.  bist.  IV  53). 


69.  Die  QnindecimTiri  saoris  faoiimdis  und  die  Hamspioes. 


473 


EreigDisse  der  Zukunft  es  ankündige.  0  Manche  Zeichen  sind  auf  alle 
Fälle  verhängnisvoll,*)  andre  können  je  nach  den  begleitenden  Umständen 
Gutes  oder  Schlimmes  bedeuten,')  manche  treten  als  consüiaria  auf,  d.  h. 
sie  empfehlen  oder  widerraten  die  Ausführung  einer  geplanten  Unter- 
nehmung,^) andre  weisen  auf  bestimmte,  manchmal  erst  in  geraumer  Zeit 
drohende  Gefahren  und  Verwicklungen  hin.^) 

Diese  Art  von  Zukunftserkundung  durch  die  etruskische  Divinations- 
kunst,  die  vermittels  herumziehender  Winkelharuspices  auch  in  privaten 
Kreisen  eine  nicht  geringe  Rolle  spielte,')  ist  von  Staatswegen  seit  der 
Zeit  etwa  des  hannibalischen  Krieges^)  in  stets  wachsendem  Umfange 
benützt  worden,  und  der  römische  Senat  hat  sogar  wahrscheinlich  im 
2.  Jahrhundert  v.  Chr.  Füi*sorge  dafür  getroffen,  dass  aus  den  einzelnen 
Städten  Etruriens  eine  hinreichende  Anzahl  von  Söhnen  vornehmer  Familien 
in  dieser  Kunst  unterrichtet  wurde,  damit  es  nie  an  geeigneten  Vertretern 
derselben  fehle.')  Daneben  begegnen  uns  seit  der  gleichen  Zeit  Haru- 
spices  unter  dem  Beamtenpersonal  der  Magistrate  mit  der  Aufgabe,  bei 
gewissen  Opfern,')  namentlich  vor  dem  Beginne  eines  Feldzuges  ^<^)  oder 
vor  einer  Schlacht«  ^0  ^^^  ^^^  Eingeweiden  des  Opfertieres  (s.  oben  S.  353) 
den  glücklichen  oder  unglücklichen  Ausgang  der  geplanten  Unternehmung 
zu  verkündigen.     Diese  Art  der  Divination   verdrängte   namentlich   im 


0  Im  J.  582  =  172  z.  B.,  wo  der  Senat 
beschlieBst  et  ad  haruspicea  referri  et  de- 
cemviro8  adire  libroa,  ordnen  die  Sibyllini- 
Bchen  Bücher  eine  Iwftratio  urbis,  Suppli- 
cation,  Opfer  n.  s.  w.  an,  die  Hamspices 
dagegen  geben  die  Erklärung  in  bonum  ver- 
surum  id  prodigium  prolalionemque  finium 
et  interitum  perduellium  portendi  (Liv.  XLIl 
2,4). 

')  z.  B.  wenn  ein  Maultier  ein  Junges 
wirft  (Cic.  de  diy.  I  36),  wenn  die  Mftuse 
Eisen  benagen  (Cic.  a.  a.  0.  99),  ein  Bienen- 
schwarm an  ungewohnter  Stelle  sich  nieder- 
Iftsst  (Plin.  n.  h.  XI 55);  vgl.  die  Aufzählung 
bei  Juven.  18,  62  ff. 

»)  z.  B.  Liv.  XLn  2,  4.  Obsequ.  56.  Tac. 
ann.  XV  47. 

*)  Das  sind  die  eonsiliaria  fulgura,  die 
geschehen  ante  rem,  sed  post  eogitationem, 
cum  dliquid  in  animo  versantibus  aut  sua- 
detur  fulminis  ictu  aut  diasuadetur  (Seneca 
nat.  quaest.  II  39,  1,  vgl.  Amm.  Marc.  XXIII 
5,  13). 

*)  Sali.  Cat.  47,  2 :  ab  incenso  Capitolio 
ülum  e88e  vigesimum  annum,  quem  Baepe  ex 
prodigiis  haruspiees  respondisaent  bello  civili 
eruentum  fore  (vgl.  Cic.  Catil.  III  9).  Cic. 
har.  resp.  18:  portentorum  expiationes  Etrua- 
corum  diseiplina  contineri,  quae  quidem  tanta 
eet,  ut  nostra  memoria  primum  Italici  belli 
funesta  iUa  principia,  post  SuUani  Cinnani- 
que  tempori»  extremum  paene  discrimen,  tum 
hanc  recentem  .  .  .  eoniurätionem  .  .  .  prae- 
dixerint.  Beispiele  bei  Obsequ.  18.  29.  Plut. 
Sulla  7.  App.  b.  c.  IV  4. 

')  Auf  solche  bezieht  sich  Catos  War- 


nung haruspieem  augwrem  hariclum  Ckal- 
daeum  ne  quem  conauluisse  velit  {vilieus,  de 
agricult.  5,  4  vgl.  Colum.  I  8.  XI 1)  und  sein 
Spott  mirari  ee  quod  non  rideret  haruspex, 
haruapieem  cum  vidisaet  (Cic.  de  div.  U  51); 
s.  auch  den  vicanua  haruapex  Cic.  de  div. 
1132. 

^)  Apokryph  sind  die  Erzählungen  von 
der  Befragung  der  Hamspices  beim  Bau  des 
Capitols  (Liv.  I  55,  6,  vgl.  56,  5.  81,  4),  beim 
Enege  gegen  Veji  (Liv.  V  15.  17)  und  bei 
der  Selbstaufopferung  des  Decius  (Liv.  VUI 
6,  12.  9, 1),  auch  bei  Macr.  1 16,  22  und  Dion. 
Hai.  IX  6,  2  f.,  der  irrtümlich  unter  Romulus 
Hamspices  als  Staatspriester  u.  zw.  einen 
aus  jeder  Tribus  ansetzt  (II  22,  3,  s.  oben 
S.  450  A.  6). 

")  Cic.  de  div.  I  92:  bene  apud  maiorea 
noatroa  aenattu,  tum  cum  florebiu  imperium, 
decrevit,  ut  de  principum  filiia  X  ex  (die  Hss. 
aeXf  vgl.  BoBMAHV,  Oesterr.  Jahresh.  11 134, 5) 
aingulia  Etruriae  populia  in  diaciplinam  tra- 
derentur,  ne  ara  tanta  propter  tenuitatem  ho- 
minum  a  religionia  auetoritate  abdueeretur 
ad  mercedem  atque  quaeatum  (schlecht  wieder- 
gegeben bei  Val.  Max.  11,1),  vgl.  de  leg.  II 
21 ;  epist.  VI  6,  8.  Tac.  ann.  XI  15. 

*)  Es  sind  das  die  hoatiae  conauUatoriae 
der  etmskischen  Lehre,  s.  oben  S.  353  A.  4. 

^^)  Der  gttnstige  Bescheid  lautet  in  die- 
sem Falle  laeta  exta  fuisae  et  prolationem 
finium  victoriamque  et  triumphum  portendi 
(Liv.  XXXI  5,  7.  XXXVI  1,  3.  XLÜ  80,  9; 
vgl.  Amob.  Vn  38). 

")  Liv.  XXm  86, 10.  XXIV 16, 13.  XXVI 
l  26,  14.  XXVU  16, 15. 


474 


Religion  nnd  Kultus  der  BOmer.    m.  KnltiiB. 


imperium  müüiae^)  schon  wegen  der  grösseren  Bequemlichkeit  mehr  und 
mehr  die  augurale  Beobachtung  des  Yogelfluges')  und  die  auguria  ex 
tripudiis  (s.  oben  S.  459  f.),  so  dass  in  Ciceros  Zeit  der  Haruspex  zu  den  stän- 
digen Apparitoren  der  höheren  Beamten  gehörte.')  Nur  diese  apparitori- 
sehen  Vertreter  der  Extispicin  umfasste  wahrscheinlich  der  seit  Ende  der 
Republik^)  nachweisbare  ordo  haruspicum  LX,  der  unter  einem  haruspex 
maximus^)  steht  und  dessen  Mitglieder  Besoldung  erhalten/)  woraus  hervor^ 
geht,  dass  es  sich  um  ein  Staatspriestertum  nicht  handeln  kann.  Sie 
werden  bei  den  kaiserlichen^)  und  magistratischen  Opfern  ihren  Dienst 
geübt  haben,  während  daneben  die  private  Haruspicin  ein  zwar  häufig  von 
den  Machthabern  beargwöhntes  und  eingeschränktes,^)  aber  doch  wohl 
recht  einträgliches  bürgerliches  Gewerbe  war,  das  von  Alexander  Severus  da- 
durch zu  Ehren  gebracht  wurde,  dass  er  für  Haruspices  wie  für  Grammatiker, 
Rhetoren,  Ärzte  u.  a.  besoldete  Stellen  errichtete.')  Die  Abgabe  von  Gut- 
achten auf  Aufforderung  des  Senates  hat  gewiss  weder  jenem  Ordo  noch 
den  in  Rom  ihren  Erwerb  suchenden  Privatharuspices  obgelegen,  sondern 
ist  nach  wie  vor  durch  aus  Etrurien  herbeigezogene  Vertreter  geübt  worden : 
anders  wäre  es  nicht  zu  verstehen,  wie  der  Kaiser  Claudius  im  J.  47,  zu 
einer  Zeit,  wo  der  Ordo  längst  bestand  und  die  Privatharuspicin  blühte,  über 
den  Verfall  dieser  Divination  klagen  und  einen  Senatsbeschluss  herbeiführen 
konnte:    viderent   pontificesj    quae    retinendae   firmandaeque  haruspicitKie.^^) 


*)  Gic.  de  diy.  I  95:  omitto  noatroa,  qui 
nihil  in  hello  sine  extis  agunt,  nihil  aine 
auapiciis  domi. 

')  Gic.  de  diy.  I  28 :  nam  ut  nunc  extis 
(quamquam  id  ipaum  aliqu^nto  minue  quam 
olim)  sie  tum  avibus  magnae  res  impetriri 
aolebant.  In  den  ältesten  Beispielen  stehen 
beide  Arten  von  Divination  nebeneinander, 
so  Liv.  XXin  86|  10:  oeeupatus  primo  auspi' 
CÜ8  repeiendia,  dein  prodigiia,  quae  alia  auper 
alia  nuntiabantur,  expiantique  ea  haud  faeile 
litari  haruapieea  reapondebant,  XXVII 16, 15: 
Fabio  auapicanti  .  .  .  avea  aemel  atque  iterum 
non  addixerunt;  hoatia  quoque  eaeaa  con- 
aulenti  deoa  haruapex  cavendum  a  fraude 
hoatili  et  ab  inaidiia  praedixit. 

»)  Gic.  Verr  H  27.  75.  III  187;  auch  in 
den  Golonien  haben  die  Gollegien  sowohl 
der  Dnoviri  wie  der  Aediles  je  einen  Ha- 
ruspex unter  ihren  Apparitoren  (Lex  col. 
Genet.  c.  62;  Inschriften  solcher  municipaler 
Haruspices  z.  B.  GIL  IX  1540.  X  8680  f.  XI 
2955). 

*)  Dieser  Zeit  gehOrt  die  von  G.  Gatti, 
Bull.  arch.  com.  XVIII  1890,  140  veröffent- 
lichte Inschrift  eines  ariapex  ex  aexaginta 
an;  vgl.  sonst  GIL  VI  2161—2166.  XI  8382. 
XIH  1821.  XIV  164.  Ephem.  epigr.  IV  853. 
Dass  sich  vereinzelt  Personen  von  Ritterrang 
unter  den  Mitgliedern  dieses  Ordo  befinden 
(GIL  VI  2164  f.,  vgl.  2168)  beweist,  dass  sie 
zu  den  vornehmen  Apparitoren  gehörten  (wie 
Scribae  nnd  Viatores),  die  Anftiahme  eines 
Haruspex  in  den  römischen  Senat  (Gic.  epist 


VI  18,  1)  ist  nur  ein  Willkttrakt  der  Revo- 
lutionszeit. Vgl.  auch  BoBMANV  a.  a.  0. 
S.  184  ff. 

^)  GIL  VI  2164.  2165;  magiater  pMicua 
haruapicum  ebd.  2161.  XIV  164,  vgL  Lact,  de 
mort  persec.  10,  3;  primua  haruapex  de  LX 
CIL  XIII  lh21. 

^)  L.  Fonteius  Flavianus  nennt  sich  CIL 
VI  2161 :  haruapex  Aug(uatorum)  (ducena- 
riua);  vgl.  auch  die  Besoldungssätze  der 
Haruspices  in  der  Lex  col.  Genet.  c.  62. 

^)  Daher  haruapicea  Juguatorum  GIL 
VI  2161.  2163.  2168.  X  4721. 

")  Zeugnisse  bei  Scbvbissbb,  Die  etrusk. 
Discinlin  S.  23  ff. 

*)  Hist.  aug.  Alex.  Sev.  44,  4:  rhetoribua 
grammaticia  medieia  haruapicibua  mathema- 
tieia  mechanicia  architectia  a<Uaria  inatituit 
et  auditaria  deerevit, 

><»)  Tac.  ann.  XI  15:  reUulU  deinde  ad 
aenatum  de  coliegio  haruapicum  (gewiss  nicht 
identisch  mit  dem  ordo),  ne  vetuatiaaima 
Italiae  diaeiplina  per  deaidiam  exoleaceret, 
aaepe  adveraia  reipublicae  temporibua  accitoa, 
quorum  monitu  redintegrataa  eaerimoniaa  et 
in  poaterum  rectiua  habitaa;  primoreaque 
Etruriae  aponte  aut  patrum  Romanorum  im- 
puiau  retinuiaae  acientiam  et  in  familiaa  pro- 
pagaaae,  quod  nunc  aegniua  fieri  publica  circa 
bonaa  artea  aocordia  et  quia  exiemae  auper- 
atitionea  vcdeacant.  et  laeta  quidem  in  prae- 
aena  omnia,  aed  benignitati  deum  gratiam  re- 
ferendam,  ne  ritua  aacrorum  inter  ambigua 
cuiti  per  proapera  oblitterarentur. 


70.  Die  priMterlioheii  Sodalit&ten. 


475 


Welchen  Erfolg  diese  Bemühungen  hatten,  wissen  wir  nicht,  dass  aber  die 
Heranziehung  der  Haruspicin  durch  Senatsbeschluss  während  der  Eaiserzeit 
weiter  üblich  blieb,  beweist  trotz  des  Fehlens  spezieller  Zeugnisse  die 
Thatsache,  dass  noch  im  4.  Jahrhundert,  als  die  christlichen  Kaiser  gegen 
die  Haruspicin,  wie  überhaupt  gegen  alle  heidnische  Zukunftserkundung, 
streng  vorgingen,  diese  offizielle  Befragung  der  Haruspices  ausdrücklich 
gestattet  blieb.  ^)  ^' 

Litteratar.  üeber  die  Sibyilinen  und  ihre  Ansdentiing  s.  Mabquabdt,  Staatsverw. 
III  350  ff.  Madvio,  Verfass.  u.  Verwalt.  d.  röm.  Staates  II  643  ff.  A.  Bouoh^-Lbolbroq, 
Histoire  de  la  divioation  IV  286  ff.  H.  Disls,  Sibyllinische  Blfttter,  Berlin  1890.  Th.  Momm- 
SBN,  Ephem.  epigr.  YIII  p.  225  ff.  E.  Schultbss,  Die  sibylliniBchen  Bücher  in  Rom,  Ham- 
burg 1895.  £.  HoFFMAHN,  Rhein.  Mas.  L  1895,  90  ff.  (ohne  Förderung),  üeber  die  Ettusca 
discipUna  E.  0.  MOllbb-Dsbckb,  Etmsker  II  1—195.  G.  Scbveibsbr,  Quaestionum  de  dis- 
ciplina  Etrusca  particala,  Dias.  Vratisl.  1872;  Die  etruskische  Disciplin  vom  Bnndesgenossen- 
kriege  bis  zum  Untergange  des  Heidentums,  liegnitz  1881;  Beiträge  zur  Technik  der  etru- 
skischen  Haruspices,  Landsberg  a.  W.  1884.    Mabquabdt  a.  a.  0.  S.  410  ff.    Madyig  a.  a.  0. 

II  352  ff.     A.  BoüOHi-LEGLBBOQ  a.  a.  0.  IV  1  ff.  und  bei  Dabbxbebo-Saglio,  Dict.  des  anti^u. 

III  17  ff.,  wo  die  gesamte  Theorie  und  Technik  der  Haruspicin,  auf  die  hier  nicht  em- 
gegangen  werden  konnte,  auafllhrlich  behandelt  ist. 

70.  Die  priesterlichen  Sodalitäten.  Von  den  genossenschaftlich 
organisierten  Priestertümem  stehen  nach  Rang  und  Bedeutung  den  grossen 
Collegien  am  nächsten  die  Fetiales  (Tac.  ann.  HE  64),  eine  Priesterschaft 
von  20  Mitgliedern,  >)  der  die  Wahrung  und  Anwendung  eines  besonderen 
sacralen  Rechtsgebietes,  des  ius  fäiale,^)  in  derselben  Weise  obliegt,  wie 
den  Pontifices  und  Augures  die  des  itts  pontificium  und  der  discipUna 
auguralis,  und  die  fQr  die  religiöse  Sicherung  der  völkerrechtlichen  Be- 
ziehungen des  römischen  Staates  in  ähnlicher  Weise  thätig  sind,  wie  die 
Pontifices  z.  B.  bei  der  Gonfarreation  für  die  Begründung  sacralrechtlicher 
Ehegemeinschaft  und  die  Augurn  durch  ihre  Vorbereitung  und  Unter- 
stützung der  magistratischen  Auspication  fttr  die  Erzielung  einer  dauernden 
Übereinstimmung  zwischen  den  Staatshandlungen  des  römischen  Volkes 
und  dem  Willen  seiner  Götter.  Der  Rechtszustand  zwischen  zwei  von 
einander  unabhängigen  Völkern  beruht  auf  der  freien  gegenseitigen  Ver- 
einbarung, dem  foedus;  jede  Verletzung  dieser  Abmachung  erfordert  ebenso 
eine  Sühnleistung  durch  den  schuldigen  Teil,  wie  der  Verstoss  gegen  die 
Vorschriften  des  ius  scuirum  ein  piaculum  nötig  macht,  und  wie  derjenige, 
der  sich  der  Darbringung  des  Piacularopfers  entzieht,  damit  zum  impius 
wird,  d.  h.  nunmehr  ausserhalb  des  ius  divinum  steht,  so  führt  im  völker- 
rechtlichen Verkehr  die  Verweigerung  der  Sühne  die  Aufhebung  des 
Rechtszustandes  herbei  und  berechtigt  das  geschädigte  Volk  zur  Erklärung 
des  Krieges.  Ob  und  unter  welchen  Bedingungen  ein  foedus  abgeschlossen 
werden  soll,   welche  Sühne  zu  verlangen  oder  zu  gewähren  ist,  ob  der 


>)  Cod.  Theod.  XVI  10,  l  (vom  J.  321): 
ai  quid  de  Palatio  nostro  aut  ceteria  operibus 
publicia  degustatum  fulgure  esse  eonstiterit, 
retetUo  tnore  veteris  obaervantiae  quid  par- 
tendai  ab  haruapicibus  requiratur  et  diligen^ 
tissitne  ecriptura  eoUecta  ad  noatram  scien- 
tiam  referatur, 

')  Yarro  bei  Non.  p.  529,  32;  die  alte 
Ueberlieferung  über  ihre  Einsetzung  durch 


Numa,  Tullus  Hostilius  oder  Ancus  Marcius 
s.  bei  ScHWBOLBB,  Rdm.  Gesch.  I  545,  1.  555. 
603 

»)  z.  B.  Cic.  de  oflf.  I  36.  Liv.  I  32,  5.  IX 
9,3.  XXXV1II46, 12.  Auct.  depraen.  1.  Vici 
de  vir.  iU.  5,  4.  Senr.  Aen.  VII  695.  X  14. 
Amob.  II  67,  namentlich  CIL  I  *  p.  202  elog. 
XU:  i8  preimue  ius  fetiaJe  paravit,  inde 
p(op%Uu8)  R(amanu8)  diecipleinam  exeepit. 


476 


Religion  und  KnltoB  der  BOmer.    m.  Knltns. 


Krieg  eröffnet  und  wie  er  geführt  werden  soll,  darüber  steht  die  Entp- 
Scheidung  allein  dem  römischen  Volke  und  seinen  Magistraten  zu,  die 
formalen  Akte  aber  des  Bündnisbeschlusses,  der  Sühneforderung  und  Sühne- 
leistung, endlich  der  Kriegserklärung  i)  so  zu  vollziehen,  dass  die  Götter 
selbst  als  Zeugen  die  Gewähr  der  internationalen  Abmachung  übernehmen 
(dis  arbüris  foederis  Liv.  IX  1,  7,  vgl.  oben  S.  325)  und  der  aus  ihrer  Ver- 
letzung folgende  Krieg  ein  nach  göttlicher  und  menschlicher  Satzung  ge- 
rechter') ist,  das  ist  die  Sonderwissenschaft  der  Fetialen:  der  Rechtsverkehr 
von  Volk  zu  Volk  voUzieht  sich  ursprünglich  ausschliesslich  durch  die 
Vermittelung  der  beiderseitigen  Fetialen,»)  der  materielle  Inhalt  der  Ab- 
machungen aber  wird  durch  den  Staat  bestimmt,  in  dessen  Auftrage  sie 
handeln;^)  denn  der  Fetiale  ist  der  publicus  nutitiuspopuU  Romani  (Liv.  1 32, 6) 
und  wird  dazu  erst  durch  die  ausdrückliche  Autorisation  von  Seiten  des 
berufenen  Magistrates.^)  Die  ganze  Priesterschaft  tritt  nur  zusammen  zu 
Beratungen,  um  auf  Befragen  den  Magistraten  Gutachten  zu  erstatten, 
z.  B.  über  die  Zulässigkeit  einer  bestimmten  Form  der  Kriegserklärung^)  oder 
über  die  Notwendigkeit  der  Auslieferung  bestimmter  Personen.'')  Wenn 
die  Fetiales  aber  als  Botschafter  im  völkerrechtlichen  Verkehre  fungieren, 
treten  sie  in  jedem  Falle  in  Gruppen  zu  zweien  auf,^)  von  denen  der  eine. 


^)  Die  Dedition,  deren  Formular  Liv.  I 

88,  2  gibt,  steht  nicht  unter  Fetialrecht. 

')  Liv.  IX  8,  6  fi«  quid  divini  humanive 
obstet,  quo  minus  iustutn  piumque  de  integro 
inecUur  bellum  (vgl.  III  25,  3.  Cic.  de  rep.  II 
31);  dass  von  diesen  beiden  Worten  pium 
die  üebereinstimmung  mit  dem  ius  fetiale 
bedeutet,  zeigen  Varro  bei  Non.  p.  529,  25. 
Liv.  I  82.  12. 

*)  Dass  beide  Völker  Fetiales  besitzen, 
ist  die  Voraussetzung  der  Wirksamkeit  dieser 
Priester,  und  daraus  noch  mehr  ab  aus  den 
antiken  Zeugnissen  (Liv.  1 24, 4.  82, 5. 11.  YIÜ 

89,  14.  Dion.  Hai.  I  21,  1.  II  72,  2.  CIL  X 
797)  geht  deutlich  hervor,  dass  diese  Insti- 
tution in  ganz  Latium  und  ftber  dessen 
Grenzen  hinaus  in  Mittelitalien  heimisch  war. 

^)  Beide  Factoren  sind  deutlich  ge- 
schieden bei  Ijiiy.  IX  5,  1  negarunt  iniussu 
pojmli  foedus  fieri  posse  nee  sine  fetialibus 
eaerimoniaque  <üia  sollemni.  Die  von  Seiten 
des  Staates  beteiligten  Factoren  (König,  Volk, 
Senat,  Magistrate)  scheide  ich  absichtlich 
hier  nicht,  weil  die  Stellung  der  Fetialen 
allen  gegenüber  die  gleiche  ist. 

^)  Der  Fetialis  fragt  den  König:  reo?, 
fcLcisne  me  tu  regium  nuntium  populi  Ro- 
mani Quiritium,  vasa  comitesque  meos  und 
erhält  die  Antwort  quod  sine  fraude  mea 
populique  Romani  Quiritium  fiat,  facio,  Liv. 
I  24,  5;  im  J.  558  =  201  beschliesst  der 
Senat  auf  Antrag  der  Fetialen  uti  praetor 
Romanus  iis  imperaret,  ut  foedus  ferireni, 
Liv.  XXX  43,  9. 

•)  Liv.  XXXVI  3,  7 :  consul  deinde  AT. 
Acilius  ex  senatus  consulto  ctd  coUegium 
fetialium  rettulit,  ipsine  utique  regi  Antiocho 


indieeretur  bellum,  an  satis  esset  ad  praesi- 
dium  (Uiquod  eius  nuntiari  (dieselbe  Frage 
schon  früher  XXXI  8,  8,  vgl.  auch  XXXVIII 
46,  11),  et  num  Äetolis  quoque  separatim 
indici  iuberent  bellum,  et  num  prius  societas 
et  amicitia  eis  renuntianda  esset,  quam  bei' 
lum  indicendum;  fetiales  responderunt  u.  s.  w. 

')  Plut.  Gam.  18.  Varro  bei  Non.  p.  529:  si 
cuius  legati  violati  essent,  qui  id  fecissent  uti 
dederentur  statuerunt  fetialesque  viginti,  qui 
de  his  rebus  cognoscerent  iudiearent  et  statue- 
rent,  constituerunt;  diese  Stelle  zeigt,  dass  in 
den  heillos  corrupten  Worten  des  Cic.  de  leg.  II 
21  foederum  pacis  belli  indotiarum  oratorum 
fetiales  iudices  non  sunto,  bella  disceptatio 
das  iudices  non  sunto  auf  alle  Fälle  unhalt- 
bar ist;  dass  sich  oratorum  auf  die  Fetialen 
beziehen  muss,  beweist  dieselbe  Varrostelle: 
fetiales  . .  mittebant . .,  quos  oratores  voeabant. 

^)  Sicher  steht  die  Zweizahl  bei  Liv. 
IX  5,  4,  wo  der  Ausweg,  dass  von  einer 
grösseren  Zahl  nur  zwei  genannt  seien, 
ausgeschlossen  ist;  darum  ist  auch  Liv.  I 
24,  6  so  zu  verstehen,  dass  nur  die  beiden 
hier  genannten  Fetialen  thätig  waren.  Wenn 
Varro  a.  a.  0.  von  4  Fetialen  spricht,  die 
man  res  repetitum  schickte,  so  möchte  ich 
das  nicht  so  deuten,  dass  bei  diesem  Acte 
eine  andere  Zahl  von  Fetialen  mitgewirkt 
hätte,  als  beim  foedus^  auf  welches  sich  die 
beiden  Liviusstellen  beziehen,  sondern  an- 
nehmen, dass  später  die  Zahl  der  dienst- 
thuenden  Fetialen  verdoppelt  wurde  in  der 
Weise,  dass  2  Verbenarii  und  2  Patres 
patrati  auszogen;  darauf  weist  Liv.  XXX 
43,  9  die  vom  Senate  gebilligte  Forderung 
der  Fetialen  ut  privos  (=  singulos)  lapides 


70.  Die  priesterliohen  Sodalitäten. 


477 


der  verbenarius,^)  die  auf  der  Burg  gepflückten  heiligen  Kräuter  (sagmina) 
trägt,  die  das  Abzeichen  ihrer  Sendung  sind  und  sie  auch  im  fremden 
Lande  gegen  jede  Verletzung  schützen,«)  der  andre  aber,  der  pater  patratus,^) 
den  eigentlichen  Bevollmächtigten  darstellt,  im  priesterlichen  Gewände^) 
und  mit  den  dem  Tempel  des  Juppiter  Feretrius  entnommenen  Symbolen, 
dem  Scepter  und  dem  heiligen  Feuerstein  (oben  S.  103),  ausgerüstet.^) 

Die  Thätigkeit  der  Fetialen  beginnt  damit,  dass  der  für  diesen  Fall 
als  Verbenarius  fungierende  Fetiale  vom  Magistrat  erst  den  allgemeinen 
Auftrag  zur  Handlung  {iubesne  me,  rex,  cum  patre  patrato  populi  Albani 
foedus  ferire?),  dann  die  Autorisation  zur  Übernahme  der  sagmina  (sagmina 
te,  rex,  posco),  endlich  die  ausdrückliche  Ernennung  zum  Gesandten  (rex, 
facisne  me  tu  regium  nuntium  populi  Romani  Quiritium  vasa  comitesque  meos?) 
erbittet  und  erhält,  worauf  er  einen  andern  Fetialen  durch  Berührung  mit 
den  sagmina  an  Haupt  und  Haar  zum  Pater  patratus  macht.  Diese  vor- 
bereitenden Akte  (beschrieben  bei  Liv.  I  24,  4 — 6)  spielen  sich  offenbar 
bei  allen  Arten  des  fetialischen  Dienstes  in  gleicher  Weise  ab,  das  Weitere 
vollzieht  sich  je  nach  der  Verschiedenheit  der  Aufgabe  in  verschiedener 
Weise.  Das  foedus  wird  in  Anwesenheit  der  Feldherrn  und  Heere 
beider  Völker  durch  die  beiderseitigen  Patres  patrati  in  der  Weise  ab- 
geschlossen, dass  jeder  von  ihnen  nach  Verlesung  des  Wortlautes  des 
Bündnisses  in  festgelegter  Formel')  die  feierliche  Erklärung  abgibt,  sein 
Volk  wolle  treu  daran  halten,  und  zu  Zeugen  dieser  Erklärung  nicht  nur 
die  Anwesenden,  sondern  vor  allem  die  Götter  des  eigenen  Staates  anruft, 
deren  Strafe  er  für  den  Fall  böswilliger  Verletzung  des  foedus  auf  sein 
Volk  und  sich  selbst  herabbeschwört;  zum  Zeichen  dessen  tötet  er  das 
dafür  übliche  Opfertier,  das  Ferkel,^)  durch  einen  Schlag  mit  dem  heiligen 


silicea  privasque  verhenaa  secum  ferrentf  d.  h. 
dass  jeder  VerbeDarins  und  jeder  Pater  pa- 
tratus seine  eigene  Ausrüstung  erhalte. 

^)  Plin.  n.  h.  XXII  5.  Varro  bei  Non. 
p.  528,  18. 

')  Dig.  I  8,  8,  1 :  sunt  autem  sagmina 
quaedam  herbae,  quas  legati  populi  Romani 
ferre  aolent  (eine  Bekränzung  macht  nur 
Serv.  Aen.  XU  120  daraus),  ne  quis  eos  vio- 
laret,  8ictU  legati  Graecorum  ferunt  ea  quae 
vocantur  cerycia.  Fest.  p.  821:  sagmina  vo- 
cantur  verbenae,  id  est  herhae  purae  (vgl. 
Liv.  I  24,  5),  quia  ex  loco  sancto  arcis  carpe- 
bantur  {saneto  arcebantur  Hs.,  dass  die 
sagmina  ex  arce  genommen  wurden,  bezeugen 
Liv.  I  24,  5.  Plin.  n.  h.  XXII  5  gramen  ex 
arce  cum  sua  terra  evolsum;  Serv.  a.  a.  0. 
falsch  de  loco  sacro  Capitolii)  a  consule 
praetoreve  legatis  proficiscentibus  ad  foedus 
faciendum  bellumque  indicendum, 

')  Die  Bedeutung  des  Wortes  ist  nicht 
klar,  doch  spricht  die  Gegenüberstellung  von 
pater  patratus  dedidit  und  pater  suus  popu- 
lusve  vendidit  bei  Gic.  pro  Caec.  98;  de  erat. 
I  181  für  die  Deutung,  die  in  ihm  eine  künst- 
lich geschaffene  Analogie  zum  pater  familias 
sieht,  also  patrare  als  zum  pater  machen  auf- 


fasst.  Plut.  Qu.  Rom.  62  verwechselt  paier 
patratus  und  pater  patrimus  (Fest.  p.  234). 

^)  xsxoafitjudyos  ia&iJTt  xal  g>o^ijua<Fiy 
IsQots  Dion.  Bai.  II  72,  6;  die  Kleider  dürfen 
nicht  von  Linnen  sein  (Serv.  Aen.  XII  120), 
und  er  trägt  wie  der  Flamen  (oben  S.  429 
A.  2)  Caput  velatum  fUo,  Liv.  I  82,  6. 

*)  Paul.  p.  92:  Feretrius  luppiter  .  ,  .  ex 
cuius  templo  sumebant  sceptrum,  per  quod 
iurarent,  et  lapidem  silicem,  quo  foedus 
ferirent,    Serv.  Aen.  XII  206. 

•)  Carmen  Liv.  I  24,  6.  9;  vgl.  82,  8; 
precatio  IX  5,  3;  vetus  fetialium  praefatio 
Suet.  Glaud.  25. 

0  Varro  de  re  rust.  II  4,  9.  Paul.  p.  235. 
Suet.  Claud.  25.  Verg.  Aen.VHI  641.  XH  170 
und  dazu  Serv.  Liv.  IX  5,  3.  Die  Tötung 
vermittels  des  silex  ist  wohl  specifisch 
römisch  oder  wenigstens  latinisch,  aenn  auf 
den  oskischen  Münzen  mit  der  Darstellung 
des  Bündnisschwures  (Fbiedlandbb,  Die  oski- 
schen Münzen  S.  81  ff.  nr.  9-12;  S.  86  f. 
nr.  18.  19,  vgl.  auch  S.  11  nr.  9;  S.  16  nr.  2) 
schwören  Krieger  mit  gezücktem  Schwerte 
über  dem  von  einem  Knaben  gehaltenen 
(vgl.  Cic.  de  inv.  II  91)  Ferkel;  s.  auch  Job- 
DAN  zu  Pbbllbb,  Rom.  Mythol.  II  825,  8. 


478 


Religion  und  Kultus  d«r  ROmer.    m.  Snliiis. 


süex  und  wirft  diesen  dann  von  sich  mit  der  Verwünschung,  im  Falle  des 
Eidbruches  möge  die  Gottheit  sein  Volk  schlagen,  wie  er  das  Ferkel  ge- 
schlagen, und  ihn  selbst  so  verwerfen,  wie  er  den  Stein  verworfen  habe.  ^ 
Die  schriftliche  Ausfertigung  des  foedus  wird  von  den  beiderseitigen 
Fetialenpaaren  unterzeichnet  (Liv.  IX  5,  4).  Ist  das  foedus  von  einem  der 
beiden  Teile  gebrochen,  so  treten  die  Fetialen  des  geschädigten  Volkes 
im  Auftrage  des  Magistrates  mit  der  Forderung  der  Genugthuung  {res 
repetere)  an  die  des  anderen  heran,')  und  zwar  liegt  auch  hier  der  Nach- 
druck darauf,  dass  der  Pater  patratus  die  Gerechtigkeit  seiner  Forderung 
eidlich  erhärtet  {iurati  repeterent  res  Liv.  IV  30,  14)  und  die  Götter  seines 
Volkes  zur  Zeugenschaft  und  zur  Bestrafung  des  etwaigen  Falscheides 
aufruft:')  in  feierlicher  Formulierung  wiederholt  er  diese  clariffatio^)  mehr- 
fach, beim  Überschreiten  der  Grenze  des  fremden  Landes,  beim  ersten  Be- 
gegnen mit  einem  Bürger  desselben,  am  Thore  der  Stadt,  endlich  vor  dem 
Volke  auf  dem  Markte.^)  Wird  seiner  Forderung  Folge  gegeben,  so  voll- 
zieht der  Pater  patratus  des  schuldigen  Teiles  die  Auslieferung  der  für 
den  Vertragsbruch  verantwortlichen  Personen  und  die  Bückgabe  der  etwa 
unrechtmässig  angeeigneten  Sachen,')  wird  sie  verweigert,  so  nimmt  der 
Pater  patratus  der  Genugthuung  fordernden  Partei  nach  Ablauf  einer  von 
ihm  gestellten  Überlegungsfrist')  abermals  in  feierlicher  Formel  die  Götter 
zu  Zeugen,  diesmal  für  den  begangenen  Rechtsbruch, ^)  und  zieht  nach 


')  Die  ansfQhrliohe  Darstellong  des  Li- 
▼iuß  I  24,  6—9  wird  ergftnzt  durch  Polyb. 
III  25,  6  und  Paul.  p.  115;  aus  diesen  Stellen 
ergibt  sich  die  Doppelheit  der  exsecratio; 
einerseits  Schlagen  des  Tieres  (vgl.  auch 
Liv.  XXI  45,  8),  andererseits  Wegwerfen  des 
Steins  (vgl.  auch  Flut.  Sulla  10),  aus  Polyb. 
a.  a.  0.,  dass  das  carmen  der  Fetialen  an 
Juppiter  Mars  und  Quirinus  gerichtet  ist 
{audi  luppiter  et  tu  Jane  Quirine  Liv.  I 
32,  10,  bloss  audi  luppiter  I  24,  8.  32,  6; 
roy  ts  Jia  xal  tovs  aÜov^  &sovf  fAagrvgo- 
/Asvos  Dien.  Hai.  II  72,  6). 

')  Dass  auch  hier  die  Verhandlung  von 
Pater  patratus  zu  Pater  patratus  stattfindet, 
zeigt  die  Formel,  mit  der  nach  vergeblicher 
rerum  repetUio  die  Beratung  Aber  die  £r- 
dffiiung  des  Krieges  eingeleitet  wird:  quarum 
rerum  lUium  causa  (so  MIdvig,  cauearum  Hss.) 
condixit  pater  patratus  populi  Romani  Quiri- 
tium  patri  patrato  Priscorum  Latinorum 
hominibusque  Priseis  Latinis,  Liv.  I  32,  11. 

*)  audi  luppiter  .  ,  ,  si  ego  iniuste  im- 
pieque  illos  Jiomines  illasque  res  dedier  mihi 
exposco,  tum  patriae  compotem  me  numquam 
siris  esse  Liv.  I  82,  7  (als  iusiurandum  be- 
zeichnet ebd.  §  8),  ebenso  Dion.  Hai.  II 72, 6  f. 

*)  Livius  gebraucht  das  Wort  bei  der 
Beschreibung  der  Fetialriten  nicht,  mit  dem 
Acte  des  res  repetere  identifiziert  wird  es 
von  Plin.  n.  h.  aXII  5.  Serv.  Aen.  IX  52, 
vgl.  X  14.  Arnob.  11  67;  dass  aber  das  früh 
verschollene  (Quintil.  VII  3,  13)  Wort  den 
auf  völkerrechÜicher  Grundlage  beruhenden 


Bussanspruoh  bedeutet,  zeigt  Lfv.  VIII  14,  6 
(gegen  Velitrae)  ut  eius,  qui  ds  Tiberim  de- 
prehensus  esset,  usqus  ad  mitte  assium  elari- 
gatio  esset. 

*)  Liv.  l  32,  6—8,  vgl.  Varro  de  1.  1.  V 
86.  Dion.  Hai.  a.  a.  0.  Serv.  Aen.  IX  52.  X 
14;  Beispiele  Liv.  IV  30,  14.  58,  1.  X  12,  2, 
v^.  auch  MoMVSEK,  Staatsr.  H  669,  4. 

*)  Ein  Beispiel  ist  die  Auslieferung  des 
Brutulus  Papius  und  seiner  Habe  an  die 
Römer  durch  die  Fetialen  der  Samniter,  Liv. 
VIII  39, 13  f.  (vgl.  IX  1,  8).  Dass  man  spftter, 
wenn  der  Gonsul  in  kriegerischer  Notlage 
mit  dem  Feinde  ohne  Zuziehung  der  Fetialen 
einen  Vertrag  schliesst  (auf  die  Frage,  ob 
dies  foedus  oder  sponsio  ist,  gehe  ich  hier 
nicht  ein,  s.  Mommsen,  Staatsr.  I  237  ff.),  statt 
diesen  zu  ratifizieren,  den  Gonsul  durch  die 
Fetialen  an  die  Gegenpartei  ausliefern  lässt, 
wie  es  im  J.  617  =  137  mit  G.  Hostilius 
Mancinus  geschah  (s.  über  diesen  Fall  und 
die  ihm  nachgebildete  Erzählung  vom  cau- 
dinischen  Vertrage  [Liv.  IX  5  ff.,  wo  IX  9,  9 
auch  die  Deditionsformel  mitgeteilt  wird] 
NissBN,  Rhein.  Mus.  XXV  46  ff.),  beruht  nur 
auf  einer  künstlichen  und  illoyalen  Inter- 
pretation des  alten  ius  fetiale. 

^)  30  Tage  Dionys.  Hai.  H  72,  8  (nu't 
Wiederholung  der  Forderung  nach  je  10 
Tagen),  vgl.  Liv.  I  22,  5;  33  Tage  Liv.  I  32,  9 
(daraus  Serv.  Aen.  IX  52). 

^)  audi  luppiter  et  tu  lane  Quirine 
diique  omnes  caelestes  vosque  terrestres  POs- 
que  inferni  audite:  ego  vos  testor  populum 


70.  Die  prieaterlichen  Sodalitäten. 


479 


der  Heimat,  wo  dann  auf  seinen  Bericht  hin  die  Beratung  Qher  die  Er- 
öffnung des  Krieges  erfolgt  (Liv.  I  32,  11  f.):  wird  der  Krieg  beschlossen, 
so  tritt  vor  dem  Beginne  der  Feindseligkeiten  der  Pater  patratus  noch 
einmal  in  Thätigkeit,  indem  er  sich  an  die  Grenze  des  feindlichen  Gebietes 
begiebt  und  unter  Zuziehung  von  mindestens  3  mannbaren  Zeugen  eine 
in  Blut  getauchte  Lanze  ^)  in  das  feindliche  Land  hinüberwirft  und  dabei 
die  Formel  der  Kriegserklärung  ausspricht.^) 

Die  Wirksamkeit  der  Fetialen  ist  durch  die  veränderten  thatsäch- 
lichen  Verhältnisse,  als  Rom  entfernte  und  überseeische  Kriege  führte 
und  mit  Völkern  zu  thun  hatte,  die  ihrerseits  kein  entsprechendes  sacrales 
Rechtsinstitut  besassen,  mehr  und  mehr  eingeengt  worden.  Insbesondere 
die  der  etwaigen  Kriegserklärung  vorangehenden  Verhandlungen  der  Sühne- 
forderung sind  schon  frühe  von  den  Fetialen  auf  politische  Senatsboten 
(legati)  übergegangen,  länger  hielt  sich  die  Thätigkeit  der  Fetialen  beim 
Abschlüsse  des  foedus,^)  am  längsten  bei  der  formalen  Kriegserklärung,^) 
die  freilich  nunmehr  zu  einem  symbolischen  Akte  zusammenschrumpft : 
der  Fetiale  reist  nicht  mehr  an  die  feindliche  Grenze,  sondern  in  der  Nähe 
des  Tempels  der  Bellona  beim  Gircus  Flaminius  (oben  S.  138)  war  durch 
Rechtsfiction  ein  Stück  Landes  ein  für  allemal  zum  Feindesland  erklärt 
und  in  dieses  warf  der  Pater  patratus  von  der  Grenzsäule  aus  die  Lanze 
hinein.^)  In  dieser  Form  hat  noch  Augustus  im  J.  722  =  32  den  Krieg 
gegen  Kleopatra  (Cass.  Dio  L  4,  5)  und  im  J.  178  Marc  Aurel  den  Marco- 
manenkrieg erklärt  (Cass.  Dio  LXXI 33,  3),  während  Claudius  sogar  Bundes- 
verträge mit  auswärtigen  Königen  zu  Rom  auf  dem  Forum  nach  altem 
Fetialritus  abschloss;®)  in  allen  diesen  Fällen  handeln  die  Kaiser  in  der 
Rolle  des  Pater  patratus;  denn  wie  das  Priestertum  der  Fetialen  über- 
haupt während  der  ganzen  Kaiserzeit  durch  den  Rang  seiner  Mitglieder 
seine  alte  vornehme  Stellung  bewahrt  hat,  so  haben  ihm  auch  die  Kaiser 
seit  Augustus  regelmässig  angehört. 

In  viel  engeren  Grenzen  verläuft  die  Thätigkeit  der  übrigen  priester- 
lichen Sodalitäten  alter  Ordnung,  denen  durchweg  nur  die  Vornahme  be- 
stimmter, durch  das  alte  Ritualgesetz  nach  Zeit  und  Art  genau  geregel- 
ter Kulthandlungen  zugewiesen  ist  und  die  darum  im  Laufe  des  Jahres 


illum  .  .  .  iniustum  esse  neque  ius  persoU 
vere  Liv.  I  32,  10. 

')  Liv.  I  32,  12:  hastam  ferratam  aut 
praeustam  sanguineam  (so  richtig  Madvio, 
aut  sanguineam  praeustam  Hss.).  GeU.  XVI 
4,  1.  Cass.  Dio  LXXI  33,  3.  Amm.  Marc.  XIX 
2,  6.  Serv.  Aen.  IX  52. 

>)  Die  Formel  bei  Gell.  XVI  4,  1  und 
besser  bei  Liv.  I  32,  13:  quod  papuU  Pris- 
carum  Latinarum  hominesqus  Prisci  Laiini 
adversus  papulum  Ramanum  Quiritium  fece- 
runt  deliquerunt,  quod  popultis  Romanus 
Quiritium  bellum  cum  Priscis  Latinis  iussit 
esse  senatusque  populi  Romani  Quiritium 
eensuit  consensU  conscivit,  ut  bellum  cum 
Priscis  Latinis  fieret,  ob  eam  rem  ego  popu- 
lusque  Romanus  populis  Priscorum  Latino- 


rum  hominibusque  Priscis  Latinis  bellum 
indico  facioque;  eine  Annifang  der  Götter 
zu  ZeugeD  findet  bei  diesem  Akte  nicht 
mehr  statt. 

»)  Varro  de  1. 1.  V  86:  fetiales,  quod  fidei 
publicae  inter  populos  praeerant  ,  .  .  ex  his 
mittebantur  antequam  conciperetur  {beU 
lum),  qui  res  repeterent,  et  per  hos  etiam 
nunc  ftt  foedus. 

*)  Polyb.  XIII  8,  7^  /Jp«/t'  f^  uXsinetM 
na^n  *P(Ofjiaioig  t^yog  in  rrj^  aQ^aiag  alQe- 
aeiDS  nsQl  td  noXsfjUxd '  xal  ydg  TiQoXiyovct 
tovg  TioXifjLovg, 

»)  Ovid.  fast.  VI  205  ff.  Paul.  p.  83.  Serv. 
Aen.  IX  52.  Placid.  p.  14,  2  Deaerl. 

^)  Suet.  Glaud  25;  vgl.  v.  Doxaszewski, 
Jahresh.  d  österr.  arch.  Instit.  11 1899  S.  188. 


480 


Beligion  nnd  Knltoa  d«r  BOmer.    IIL  Snltns. 


jede  nur  ein  oder  wenige  Male  in  Funktion  zu  treten  Anlass  haben.  Die 
reichste  Wirksamkeit  unter  ihnen  entfalten  noch  die  Salier,  eine  uralte 
Priesterschaft  des  Eriegsgottes,  den  sie  alljährlich  bei  Anfang  und  Beginn 
der  Eriegszeit  durch  Waffentänze  und  begleitende  Gesänge  zu  verherrlichen 
und  gnädig  zu  stimmen  die  Aufgabe  haben.  0  Wie  der  Brauch  des  priester- 
lichen Eriegstanzes  in  ganz  Latium  herrschte,')  so  haben  auch  die  beiden 
Gemeinden,  die  später  zur  Stadt  Rom  verschmolzen,  die  palatinische  und 
die  quirinalische,  jede  ihre  eigene  Tanzpriesterschaft  besessen,  die  auch  nach 
Vollendung  des  Synoikismus  neben  einander  bestehen  blieben  als  Salii 
Palatini  und  Salii  Collini  oder  Agonenses;')  es  sind  zwei  getrennte  Priester- 
schaften von  je  zwölf  Mitgliedern,^)  jede  unter  einem  Magister  stehend,^)  mit 
getrennten  Dienstgebäuden <')  und  eigenen  Ritualbüchem  und  Protokollen;^) 
aber  im  Dienste  treten  sie  in  historischer  Zeit  stets  vereint  auf:  wenn  ur- 
sprünglich die  palatinischen  Salier  dem  Mars,  die  collinischen  dem  Quirinus 
Renten, ^)  so  steht  das  vereinigte  Priest ertum  unter  dem  Schutze  der  Götter- 
trias Juppiter  Mars  Quirinus.^)  Als  Priester  kriegerischer  Bedeutung  kenn- 
zeichnet sie  ihre  Tracht,  die  für  beide  Elassen  von  Saliern  die  gleiche  ge- 
wesen sein  muss:  über  dem  blutroten  Eriegsgewande,  der  Trabea,^^)  trugen 


*)  /o^cvra^  uy^g  sUn  xal  vfiytjTal  xtoy 
MnXtay  »stuy  Dion.  Hai.  II  70,  2 ;  die  Ab- 
leitung a  saliendo  ist  ganz  allgemein,  Varro 
de  1. 1.  V  85 :  aalii  ab  salUando  quod  faeere 
in  certis  sacris  (Hs.  in  eomitiis  in  8<icri8) 
qiwtannis  et  solent  et  debeni.  Dion.  Hai.  II 
70,  4.  Ovid  fast.  HI  387;  Fest.  p.  326.  829. 
Plut.  Numa  18.  Serv.  Aen.  VIII  285.  663  (vgl. 
II  825)  haben  daneben  noch  eine  hellenisie- 
rende  Ableitung. 

')  Salier  kennen  wir  ausser  in  Alba  und 
Lavinium  (oben  S.  448  A.  8.  5)  auch  in  Tus- 
culum  (Serv.  Aen.  Vm  285),  Aricia  (CIL  XTV 
2171),  Anagnia  (CIL  X  5925  f.)  und  besonders 
in  Tibur,  wo  sie  dem  Hercules  dienten  (Maor. 
S.  m  12, 7.  Serv.  a.  a.  0.  CIL  XIV  3601. 3609, 
18.  8612.  8673.  8674.  8689).  Die  Salier  in 
Obentalien  (CIL  V  1978.  2851.  4492.  6481) 
und  Saguntum  (CIL  ü  3853  f.  3859.  8864  f. 
6055)  beruhen  sicher  auf  Entlehnung  von 
Rom  oder  Bomanisierung  eines  verwandten 
einheimischen  Eultbrauches. 

')  Die  Inschriften  kennen  nur  die  beiden 
Namen  Salii  Palatini  und  Salii  Collini;  für 
die  letzteren  ist  durch  Varro  de  1.  1.  VI  14 
auch  der  Name  Agonenses  {^AyioyaXeTs  Dion. 
Hai.  II 70, 1)  bezeugt;  nach  Fest.  p.  254  (vgl. 
Paul.  p.  10)  war  Agonus  der  alte  Name  des 
Quirinal,  und  für  diese  Ableitung  von  Ago- 
nenses spricht  das  die  lokale  Herkunft  be- 
zeichnende Suffix  ^enses  und  die  Analogie 
der  Salii  Palatini. 

*)  Die  Zwölfzahl  der  älteren  Salier  be- 
zeugen Dion.  Hai.  II  70,  1.  Liv.  I  20,  4,  die 
Verdoppelung  der  Zahl  durch  Hinzufügung 
der  zweiten  Genossenschaft  Dion.  Hai.  ]Ü82,4. 
Liv.  1 27, 7 ;  über  die  angeblichen  Salii  Pavorii 
und  Pallorii  s.  oben  S.  135  A.  8.   Eine  Schei- 


dung in  iuniores  und  aenioinu,  wie  man  sie 
auf  Grund  von  Verg.  Aen.  VIII  285  ff.  {tum 
salii  .  .  adsunt  .  .  hie  iuvenum  horus,  iüe 
senum)  angenommen  hat,  ist  praktisch  eben- 
sowenig durchführbar,  wie  die  angebliche 
Drittelung  der  Dienstzeit  der  Vestalinnen 
(oben  S.  436  A.  9),  und  wird  durch  Diomed. 
p.  476  E.  cum  (Numa)  salios  iuniores  aequis 
gressibus  cireulantes  induceret  nicht  bezeugt. 

')  Das  muss  jedenfalls  angenommen 
werden,  obwohl  es  nirgends  bezeugt  ist;  ge- 
nannt wird  ein  magister  bei  den  Saliern 
Val.  Max.  1 1,  9.  Hist.  aug.  M.  Anrel.  4,  4, 
auch  in  Alba  (CIL  VI  2170)  und  Saguntum 
(CIL  n  3864  f.). 

A)  tay  iy  JlaXarit^  xsttai  rd  Ugd  DiOD. 
Hai.  II  70,  1  von  den  Palatini,  aiy  t6  Uqih 
(pvXdxioy  iifxiy  int  tov  KoXXiyov  Xotpov  (thö- 
rieht)  von  den  Collini;  die  curia  sdliorum 
quae  est  in  Palatio  erwähnt  Cio.  de  div.  I  30 
(sacrarium  saliorum  bei  derselben  Gelegen- 
heit Val.  Max.  1 8, 11,  xaXuig  ror  "Jgeog  Dion. 
Hai.  XIV  5.  Plut.  CamiU.  32). 

^)  in  libris  saliorum  auorum  cognomen 
est  Agonensium  Varro  de  1.  1.  VI  14;  Mit- 
gliederverzeichnis der  Salii  Palatini  CIL  VI 
1977  ff. 

')  Mars  als  Gott  der  älteren  Salier  Liv. 
I  20,  4,  vgl.  Serv.  Aen.  VUI 285,  Mars  und 
Quirinus  ids  Götter  der  ancüia  Liv.  V  52,  7, 
Quirinus  allein  Stat.  silv.  V  2,  129  ff. 

*)  salios,  qui  sunt  in  tutela  lovis  Mortis 
Quirini  Serv.  Aen.  VIII  663. 

*^)  ttjßiyyas  ifjmsnoQnfjfjtiyoi  negMog<pv^ 
Qovg  (poiyixonaQVfpovg,  ag  xaXovci  toaßiag, 
Dion.  Hai.  II  70,  2;  g>oiyixo€g  Msavfiiyo^ 
Xixtovicxovg  Plut.  Numa  18;  tunicapicta  Liv. 
I  20,  4. 


70.  Die  prieBterlichen  Sodalit&ten. 


481 


sie  einen  metallenen  Brustschutz,  0  zur  Seite  das  Schwert,  auf  dem  Haupte 
eine  helmartige  Kopfbedeckung  mit  aufragender  Spitze,^)  insbesondere  aber 
führen  sie  bei  ihren  Umzügen  die  dem  Kriegsgotte  heiligen  Lanzen  und 
Schilde,^)  die  für  gewöhnlich  in  einem  Räume  der  Regia  aufbewahrt^)  und 
zum  jedesmaligen  Gebrauche  unter  besonderen  Feierlichkeiten  hervorgeholt 
werden;^)  die  ganze  Zeit,  während  der  diese  heiligen  Waffen  aus  ihrem 
Gewahrsam  entfernt  in  den  Händen  der  Priester  sich  befinden,  gehört  zu 
den  dies  religiosi  (oben  S.  377  A.  6).  Solche  Zeiten,  in  denen  die  Salier  die 
Waffen  hervorholen  und  ihre  Umzüge  mit  ihnen  halten  {arma  ancüiamovent), 
sind  der  März  und  der  Oktober  (s.  darüber  oben  S.  131),  und  insbesondre 
sind  die  beiden  einander  entsprechenden  Festakte  der  Waffenweihe  vor  und 
nach  dem  Feldzuge,  die  Quinquatrus  am  19.  März  und  das  Armilustrium 
am  19.  Oktober,  diejenigen  Tage  gewesen,  an  denen  die  Salier  ihre  Kunst 
zu  zeigen  hatten.  In  Gegenwart  der  ganzen  Staatspriesterschaft  und  unter 
dem  Schalle  der  Kriegshörner  treten  sie  zusammen  mit  der  vom  Tribunus 
celerum  angeführten  römischen  Knabenreiterei  auf,  um  so  einen  doppelten 
Waffenreigen,  zu  Fuss  und  zu  Pferde,  dem  Kriegsgotte  zu  Ehren  aufzu- 
führen ;  nur  der  Ort  der  Feier  ist  ein  verschiedener,  im  März  das  Comitium, 
im  Oktober  ein  nach  dem  Feste  benannter  Platz  auf  der  Höhe  des  Aventin.^) 


')  aeneum  pectori  tegumentum  Liy.  a.  a.  0., 
j^ixtavaq  noixiXovg  }[aXxttt^  fjLixQaig  xaieCtoa- 
fiivoi  Dion.  Qal.  Plut.  aa.  00.,  Über  zur  Ver- 
anschaolichung  geeignete  Grftberfande  s. 
Hblbig  bei  Marqüasdt,  Staatsverw.  III 432, 5. 

')  tag  »aXovuivag  dnixag  inixeifißyoi- 
ratg  xefpaXaig,  niXovg  wjnjXoi^g  Big  <iXVf*^ 
üvyayofAäyovg  xatyoBidig  .  .  .  naQ^^toatai 
d*ixaütog  avttoy  Hfpog  Dion.  Hai.  a.  a.  0., 
XQaytj  /ailxa  Plnt.  a.  a.  0. 

fj  n  xoiovS^  itSQoy  xgaXBt,  xj  d^ettayv/Ato 
xaräxBt  n^Xxrjy  Sgffxiay  Dion.  Hai.  a.  a.  0., 
iyXWidloig  fiixQotg  xa  onXa  XQOvoyxeg  Plnt. 
a.  a.  0.  Die  Form  des  Salierschildes,  ancile, 
nach  mehrfach  erzählter  Sage  (Dion.  Hai.  Ü 
71,  1  f.  Plnt.  Numa  13.  Ovid.  fast.  EI  373  ff. 
Paul.  p.  131 ;  vgl.  Senr.  Aen.  VII  188  u.  a.) 
dem  unter  Numa  vom  Himmel  gefallenen 
Schilde  nachgebildet,  war  sowohl  nach  der 
ausdrücklichen  Angabe  des  Dion.  Hai.  II  70,3 
als  nach  den  Beschreibungen  der  Alten  (Varro 
de  1.  1.  Vn  43:  aneüia  dieii  ab  athbecisu, 
quod  ea  arma  ab  tUraque  parte,  ut  Thracum, 
incisa.  Paul.  p.  10:  quia  ex  utroque  latere 
erat  reeisum,  %U  summum  infimumque  eins 
latiiis  tnedio  pateret;  vgl.  Plut.  Numa  13)  die 
des  thrakischen  Schildes,  oval  mit  halbkreis- 
förmigen Einschnitten  an  beiden  Seiten,  wie 
ihn  auch  die  Juno  Lanuvina  trägt  (z.  B.  an 
dem  Münchener  Eandelaberfasse  Müllbb- 
WiBSBLBR,  Denkm.  I  299  b  und  ähnlich  auf 
den  Münzen,  s.  oben  S.  117  A.  10).  Die  angeb- 
lichen Salierdarstellungen  mit  runden  Schil- 
den auf  Münzen  des  Domitian  (Cobbn,  m^d. 
imp.  I'  476  nr.  72)  und  Reliefs  (Bbnndorf, 
Annali  d.  Inst.  1869,  70  ff.  E.  Sohvlzb,  Alte 

HandbQoli  der  klui.  AltertnmiirlneiMchaft.   V,  4 


Handzeichnung  eines  Reliefs  mit  Darstellung 
eines  Salierumzuges,  St.  Petersburg  1873) 
haben  mit  den  Saliern  nichts  zu  thun;  s. 
MoMMSBN,  Ephem.  epigr.  VIII  S.  246  Anm.  1 
und  E.  Pbtbbshv,  Rom.  Mitteil.  VII  1892  S. 
259  ff. 

*)  Dass  das  sacrarium  Martis,  in  dem 
die  ancilia  lagen  (SerY.  Aen.  VII  603 :  nam 
moria  fuerat  indicto  hello  in  Martis  aacrario 
aneüia  commovere),  identisch  war  mit  dem 
sacrarium  regiae,  das  die  hastae  Martis  barg 
(Gell.  IV  6,  2),  zeigt  Serv.  Aen.  Vill  3:  nam 
is  qui  heUi  suseeperat  curam,  sacrarium 
Martis  ingressus  primo  aneüia  commovebat, 
post  hastam  simulacri  ipsius  dieens  ,Mar8 
vigüa\ 

^)  Hierher  gehört  vielleicht  das  sacri- 
fieiumf  das  die  Saliae  virgines  in  regia 
cum  pontificibus  darbringen;  diese  Saliae 
virgines  wirken  gegen  Entgelt  mit  {eonduc- 
ticiae),  tragen  also  keinen  priesterlichen 
Charakter,  doch  erscheinen  sie  wie  die  Salier 
in  kriegerischer  Ausstattung  (paludatas  cum 
apicibus  in  modum  saliorum)^  Fest.  p.  329. 

*)  So  wird  man  die  Nachrichten  über 
beide  Feste  kombinieren  dürfen;  für  die 
Quinquatrus  Charis.  p.  81:  Quinquatrus  .  . 
o  quinquando  id  est  lustrando,  quod  eo  die 
arma  ancilia  lustrari  sint  solita  und  Fast. 
Praen.  z.  19.  März:  [sali]  faciunt  in  comitio 
saltu  [adstantüms  pojntificibus  et  tribunis 
celerum,  für  das  Armilustaium  Varro  de  1. 1. 
VI  22:  Armilustrium  ab  eo  qtu>d  in  armi- 
lustrio  armati  sacra  faciunt,  nisi  locus  potius 
dictus  ab  his;  sed  quod  de  his  prius,  id  ab 
ludendo  aut  lustro,  id  est  quod  circumibunt 
ludentes  ancüibus  armati.   Paul.  p.  19:  Armi- 

31 


482 


Beligion  und  Knltna  der  BOmer.    IIL  Xnlias. 


Die  Kriegshörner,  die  bei  diesen  Festen  nur  die  Begleitung  abgeben, 
spielen  die  Hauptrolle  an  den  beiden  als  Tubilustrium  bezeichneten  Tagen, 
am  23.  März  und  am  23.  Mai,  die,  wie  ihr  Name  zeigt,  für  die  Weihe 
und  Sühnung  der  tubae  bestimmt  waren  und  an  denen  auch  die  Salier  in 
nicht  mehr  genauer  zu  ermittelnder  Weise  mitwirkten  ;i)  in  erster  Linie 
aber  waren  an  diesen  beiden  Festen  die  tubicines  sacrorum  populi  Bomani 
beteiligt,^)  Leute,  die  ursprünglich  gewiss  ebenso  zu  den  Apparitoren  der 
Priester  gehörten  wie  die  Tibicines  (oben  S.  427),  dann  aber  zu  Staata- 
priestem  erhoben  wurden  und  in  der  Eaiserzeit  Männer  von  Bitterrang 
waren.  3)  Vom  Verlaufe  der  saliarischen  Festlichkeiten  im  einzelnen  haben 
wir  nur  eine  sehr  unvollkommene  Vorstellung:  jedenfalls  durchzogen  die  Salier 
genau  vorgeschriebene  Strassen,  um  dann  an  bestimmten  Örtlichkeiten ^) 
Halt  zu  machen  und  zum  Reigentanze  anzutreten,  der  sich  natürlich  auch 
in  durch  Ritual  und  Überlieferung  streng  vorgeschriebenen  Formen  be- 
wegte und  den  Späteren  plump  genug  vorkam  (Seneca  epist.  15,4):  bald 
als  Ganzes,  bald  in  Zügen  und  Qegenzügen  bewegten  sie  sich  in  kunst- 
vollen Windungen  im  Dreitakt,  unter  reichlichem  Aufstampfen  und  lautem 
Zusammenschlagen  der  Schilde  und  Lanzen.^)    Dazu  sangen  sie  ihr  altes, 


lustrium  festum  erat  apud  Romanos,  quo  res 
divinas  armati  faciebant  ac  dum  sacrificarent 
tubis  canerent.  Ueber  die  Anffühnuig  des 
Ladus  Troiae  durch  die  römischen  Knaben 
8.  oben  S.  382;  über  die  Oertlichkeit  des 
Armilastriom  Hülsbk  bei  Fault -Wissowa, 
Real-Encycl.  U  1189  f. 

')  Direkt  bezeagt  das  nur  Ljd.  de  mens. 
IV  42  far  den  23.  März  (xa&uQiÄog  aaXmyyos 
xal  »iyrjais  rtSv  Önkiov)^  es  geht  aber  daraus 
hervor,  dass  dabei  der  in  der  curia  saliorum 
auf  dem  Palatin  (oben  S.  480  A.  6)  aufbewahrte 
sog.  Lituus  des  Bomulus,  der  thatsftchlich 
vielmehr  eine  Tuba  war  (Mommsbn,  Staatsr. 
m  386,  6),  eine  Rolle  spielte  (Fast.  Praen. 
z.  23.  M&rz:  [feriaej  Mortis,  hie  dies  appel- 
taiur  ita,  quod  in  atrio  sutorio  tubi  lustran-- 
tur,  quibus  in  sacris  utuntur  [ebenso  Varro 
de  1.  1.  VI  14].  LtUatius  quidem  clavam  eam 
ait  esse  in  ruinis  P<tfa[ti  ijncensi  a  Gallis 
repertam,  qua  Romulus  urbem  inauguraverit; 
auf  den  Palatin  weist  auch  Fest.  p.  352: 
[tubüustria]  quibus  diebus  adscriptum  in 
[fastis  est,  in  atrjio  sutorio  agna  tubae  ßu- 
strantur,  quosj  tubos  appeÜant,  quod  genus 
flustrationis  exJArcadia  Pallanteo  trans- 
[latum  esse  dieuntj)  und  dass  an  den  mit 
Q{uando)  R{ex)  C{omitiavit)  F(as)  bezeich- 
neten Tagen  (24.  M&rz  u.  24.  Mai),  welche 
Nachtage  zu  den  beiden  Tubilustria  dar- 
stellen (oben  S.  372),  ausser  dem  Rex  auch 
die  Salier  in  Thätigkeit  sind  (Fest.  p.  178). 
*)  Fest.  p.  352 :  tubicines  etiam  hi  appeU 
lantur,  qui  sacerdotes  viri  speciosi  publice 
Sacra  faciunt  tubarum  lustrandarum  gratia, 
Varro  de  1.1.  V  117:  tubae  a  tubis,  quos  etiam 
nunc  ita  appeUant  tubicines  sacrorum;  nach 
Gell.  I  12,  7  hat  tubicinis  sacrorum  fUia  va- 


catio  vom  Amt  der  Vestalin  wie  die  sponsa 
pontificis,  Inschriften  von  Tubicines  sacro- 
rum p.  R.  CIL  IX  3609.  X  5393  f.  6101. 

>)  MoMMSEN,  Staaiar.  m  567  f. 

*)  ifiä  r^g  noXstog  ayotfci  rovc  x^^f 
etg  te  xtjv  dyogdy  xai  ro  KaniraiXioy  xal 
nokXotig  dXXovg  i^iovg  xe  »al  dtjfjioiriovg  ro« 
novs  Dion.  Hai.  II  70,  2;  von  letzteren 
kennen  wir  noch  das  Comitium  und  das 
Armilustrium  (oben  S.  481  A.  6);  dass  sie  auch 
auf  dem  Pens  Sublicius  tanzten,  ist  nicht 
bezeugt,  denn  Serv.  Aen.  II  166:  pontifiees  a 
ponte  sublicio  .  .  appeÜaios  tradunt,  sieut 
saliorum  carmina  loquuntur,  besagt  nur,  dass 
die  Etymologie  aus  Aelius  Stilos  Kommentar 
zum  Salierliede  stammt,  und  Catull.  17,  5: 
pons  .  . .,  in  quo  vet  Salisubsüi  saera  sus- 
cipiantur  bezeichnet  nur  den  plumpen  Stampf- 
tanz der  Salier  als  gute  Belastungsprobe  rar 
eine  Brücke. 

^)  Plut.  Numa  18:  «7  (f^  dx/Aij  rijg  oqxV' 
aeiog  nodwy  i^you  icxiv  *  xiyovytai  ydg  im- 
TSQTiofg,  kXiyfJLOvg  jivag  xal  fAeraßolag  iv 
§v9fA(^  xd^og  Bxotrn  xal  nvxydtfjra  fjistd 
^iofAtig  xal  xov<p6tf^Tog  dnodMyrsg,  Dion. 
Hai.  II  70,  5  xivovyxai  ydg  ngog  avXoy  (eben- 
so HI  32,  4,  kaum  richtig,  da  die  tubae  zu 
den  Saliern  gehören ;  s.  oben  A.  1  und  Calp. 
ecl.  1,  65)  iv  ^vd-fAt^  rag  iyonXlovg  xinjcetg 
rotd  (jLku  ofMv,  xotk  ^^  noQaXXd^.  Fest, 
p.  270  redantruare  dicitur  in  saliorum  ex- 
uUationibuSf  quod  cum  praesui  amptruavU, 
id  est  motus  edidit,  ei  referuntur  invicem 
Odern  motus.  Lueüius  ,praesul  ut  amptruet 
hinc,  ita  vulgus  redamptruet  inde',  Liv.  1 20, 4 
cum  tripudiis  soUemnique  saitatu,  vgl.  Serv. 
Aen.  Yin  663.  Lact.  inst.  I  21, 45.  Hör.  carm. 
IV  1,  28  ffi  morem  salium  ter  quatient  humum 


70.  Die  prieBterliohen  Sodalitäten. 


483 


ihnen  selbst  nicht  mehr  verständliches  (Quintil.  I  6, 40)  Lied,^)  eine  Art 
von  Litanei,  bestehend  aus  Anrufungen  teils  der  römischen  Staatsgötter 
im  allgemeinen^)  teils  jedes  einzelnen  von  ihnen,  vielfach  unter  uralten, 
von  den  späteren  Erklärem  missverstandenen  Indigitationsformen.^)  Opfer- 
handlungen waren  mit  diesen  Salierumzügen  wohl  kaum  verbunden,^)  be- 
schlossen aber  wurde  jeder  Festtag  durch  ein  Festmahl,  das  die  Priester 
in  irgend  einem  dem  Orte  ihres  jeweiligen  Auftretens  nahe  gelegenen 
Tempel  abzuhalten  pflegten.^)  In  der  Kaiserzeit  ist  der  Dienst  der  Salier, 
wie  der  aller  Priestertümer,  zum  Kaiserkulte  in  Beziehung  gesetzt  worden, 
und  zwar  in  der  Weise,  dass  unter  die  Anrufungsformeln  des  Salierliedes 
auch  solche  an  die  Divi  imperatores  und  den  Genius  des  regierenden  Kaisers, 
vereinzelt  auch  an  nicht  consecrierte  verstorbene  Angehörige  des  Kaiser- 
hauses aufgenommen  wurden  (s.  oben  S.  285  Anm.  8). 

Den  Saliern  steht  nach  Alter  und  Organisation  sehr  nahe  die  dem 
Dienste  des  Gottes  Faunus  geweihte  Wolfsgilde^)  der  Luper ci,  auch  sie 
ein  Doppelpriestertum,  bestehend  aus  zwei  gleichartigen  Genossenschaften, 
von  denen  von  Haus  aus  die  eine  zur  palatinischen,  die  andere  zur  quiri- 
nalischen  Gemeinde  gehörte.  Diese  Genossenschaften  waren  aber  ursprüng- 
lich nicht  nur  jede  an  ihre  Gemeinde,  sondern  auch  an  ein  bestimmtes 
Geschlecht  derselben  gebunden,  und  die  Erinnerung  daran  hat  sich  für 
alle  Zeiten  in  den  Namen  der  beiden  Sodalitäten,  Luperci  Quinctiales  und 


*)  Die  Brachstacke  bei  G.  M.  Zandbb, 
CarmiDis  Saliaris  reliquiae,  Land.  1880.  B. 
Maübbnbbechbb,  Jahrb.  f.  Philol.  Sappl.  XXI 
(1894)  315  ff.;  vgl.  namentlich  Jobdan,  Krit. 
Beiträge  z.  Gesch.  d.  lat.  Sprache  S.  21 1  ff. 

')  Paal.  p.  3:  axamenta  dicebantur  car- 
mina  aaliaria,  quae  a  saliis  eanebantur  (so 
Dacibb,  eomponebantur  Hss.)  in  omnea  deoa 
(so  0.  MüLLEB,  hominea  Hss.)  eomposita; 
nam  in  deos  singulos  veraua  fctcti  a  nomini- 
bus  eorum  appeUahcmtur ,  ut  lanii  lovii 
{lanii  lovii  Pbbllkb,  lanvii  Hss.)  lunanii 
Minervii;  s.  aach  Wissowa,  Real-Encvcl. 
II  2624. 

*)  z.  B.  Janas  als  duonus  eerus  (Varro 
de  1. 1.  VII  26,  vgl.  Paal.  p.  122),  Jappiter  als 
Lucetiu8  (Macr.  S.  I  15,  14,  vgl.  Ter.  Scaor. 
p.  28  K.  and  oben  S.  100  A.  3),  Jano  als  Lueia 
Volumnia  (so  wohl  zn  lesen,  Varro  de  1.  1.  IX 
61),  Mars  mit  der  Anrafting  Matnuri  Veturi 
(Varro  de  1. 1.  VI  49,  vgl.  Paal.  p.  131),  aas 
der  dann  die  Geschichte  vom  Verfertiger  der 
falschen  Ancilia  Mamarios  Vetarios  and  der 
Aafnahme  seines  Namens  ins  Salierlied  so- 
wie die  entsprechende  Benennang  der  beim 
Branche  des  Winteraastreibens  geprflgelten 
Figor  (s.  über  die  Mamnralia  oben  S.  134  A.  2) 
abgeleitet  sind. 

^)  Das  Vorkommen  des  Wortes  inaieia 
im  Sfdierliede  (Varro  de  1. 1.  V  1 10)  beweist 
dafür  nichts,  noch  weniger  die  Erwähnang 
des  Wortes  moVuerum  in  Aelins  Stiles  Kom- 
mentar (Fest  p.  141). 

^)  Im  Tempel  des  Mars  Ultor  speisen 


sie  in  dem  von  Säet.  Claad.  33  erwähnten 
Falle;  vgl.  Fest.  p.  329:  salios,  quibus  per 
omnis  dies  ubicumque  manent .  .  amplae  po- 
nuntur  eenae;  die  von  den  Pontifices  Vestae 
im  4.  Jahrhnndert  wiederhergestellten  man^ 
siones  aaliorum  PaUUinorum  (CIL  VI  2158) 
waren  wohl  kanm  Stationshänser,  sondern 
ein  Ersatz  für  die  alte  curia  ScUiorutn  in 
Palatio  (oben  S.  480  A.  6).  Ueber  die  cenae 
saliares  s.  oben  S.  429  A.  4. 

^)  Lupercus  =  lupus  fasst  Cicero 
pro  Cael.  26,  wenn  er  die  Loperci  bezeich- 
net als  fera  quaedam  sodcuüas  et  plane 
pastaricia  atque  agreetis  germanorum  luper- 
corum  (d.  h.  echter  Wölfe) ;  das  Wort  kann 
aach  etymologisch  nichts  andres  bedenten, 
wie  Jobdan,  Krit.  Beitr.  S.  164  f.  gegenüber 
den  bei  Mabqüabdt,  Staatsverw.  in  439,  4 
zusammengestellten  anderweitigen  Deatangs- 
versucben  richtig  aasführt.  Was  daza  fQhrte, 
die  Priester  des  Gottes  als  Wölfe  za  be- 
zeichnen, wird  sich  kanm  mehr  ermitteln 
lassen;  davor,  die  Ursache  in  der  Bedea- 
tnng  des  von  ihnen  verehrten  Gottes  zn 
Sachen,  warnt  der  Umstand,  dass  die  gleiche 
Bezeichnang,  nar  in  der  samnitischen  Form 
Mrpi  (Paal.  p.  106.  Strabo  V  250),  für  die 
Priester  des  Gottes  vom  Berge  Soracte  vor- 
kommt (Plin.  n.  h.  VII  19  =  Solin.  2.  26. 
Serv.  Aen.  XI  785),  der  seinem  Wesen  nach 
von  Faanas  sehr  verschieden  ist  (s.  oben 
3.  191).  Die  aQxroif  tavQoi,  Vnnoi,  fiäXiaaai 
griechischer  Gottesdienste  helfen,  so  nahe  die 
Vergleichang  liegt,  nicht  weiter. 

81* 


484 


Religion  and  KoltoB  der  SOmer.    IIL  KoltuB. 


Luperci  Fabiani,  erhalten;^)  eine  dritte  zu  Ehren  Caesars  im  J.  710  =  44 
errichtete  Genossenschaft,  die  der  Luperci  Julii,  ist  bald  wieder  aufgehoben^) 
und  auch  von  Augustus  nicht  erneuert  worden,  da  sich  der  Eaiserkult 
andere  Formen  schuf.  Wie  stark  jede  Genossenschaft  war,  ist  nicht  über- 
liefert, doch  wird  die  Zwölfzahl  durch  die  Analogie  der  Salier  und  Arval- 
brüder  nahegelegt;')  ob  der  mehrfach  erwähnte  Magister  der  Luperci^)  der 
Gesamtpriesterschaft  oder  nur  einer  der  beiden  Abteilungen  vorstand,  ist 
nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen,  doch  ist  das  erstere  deshalb  wahrscheinlich, 
weil  bei  den  Luperci  die  Verschmelzung  der  beiden  ursprünglich  selb- 
ständigen Priestertümer  oder  vielmehr  das  Aufgehen  des  quirinalischen 
in  dem  palatinischen  sehr  viel  vollständiger  erfolgt  ist,  als  bei  den  Saliern. 
Während  in  den  Inschriften  die  Salier  regelmässig  als  Salii  Palatini  oder 
Collini  bezeichnet  sind,  finden  wir  nur  ganz  ausnahmsweise  dem  Worte 
lupercus  die  Sonderbezeichnung  hinzugefügt,^)  von  getrennten  Diensträumen 
oder  Bitualbüchem  haben  wir  keine  Kunde,  vor  allem  aber  konzentriert 
sich  der  ganze  Dienst  der  Gesamtpriesterschaft  auf  das  eine  untrennbar 
mit  dem  Palatin  verbundene  Fest  der  Lupercalia :  es  hat  also  wohl  nicht, 
wie  bei  den  Saliern,  eine  Vereinigung  ursprünglich  selbständig  neben- 
einander bestehender  Priestersodalitäten  stattgefunden,  sondern  mit  dem 
Dienste  des  Faunus  am  Lupercal  ist  bei  Abschluss  des  Synoikismos  ausser 
den  palatinischen  Quinctiern  auch  ein  Geschlecht  der  Hügelgemeinde,  das 
der  Fabier,  betraut  worden,  und  daraus  ist  die  Zweiteiligkeit  der  nur 
einem  Dienste  gewidmeten  Priesterschaft  erwachsen.*)  Die  Luperealien- 
feier (s.  oben  S.  172  f.)  wird  nicht  allein  von  den  Luperci  vollzogen,  die 
ganze  im  PontificalcoUegium  vereinigte  Staatspriesterschaft  ist  an  ihr 
beteiligt  (oben  S.  445  A.  8),  aber  das  Opfer  eines  Bockes  und  eines  Hundes 
vollziehen   die  Luperci   selbst,^)  und   ihre   spezielle  Aufgabe  ist  der  vom 


')  Ftibiani  und  Quintüiani  nennt  Paal. 
p.  87  (bei  Fest.  p.  257  \  15  ist  im  Farnesi- 
nus nur  Quincti,  nicht  wie  0.  MOllbb  gibt, 
Quinctili  erhalten),  Fabier  und  Quintilier 
Ovid.  fast.  II  377  ff.  Vict.  orijgo  22,  1,  nur  die 
ersteren  Prep.  IV  1,  26;  die  Zugehörigkeit 
der  Fabier  zur  Quirinalgemeinde  steht  durch 
Liv.  V  46,  2.  52,  3  fest.  Dass  aber  die  an- 
deren Luperci  nicht  zu  den  Quintilii,  sondern 
zu  den  Quinctii  gehörten  und  Quincticdes 
hiessen,  beweist  die  Inschrift  eines  lupercus 
Quinctial(i8)  vetus  CIL  VI  1933  und  die 
glänzende  Entdeckung  Mommsbn's  (Rom. 
Forsch.  I  17,  vgl.  Rom.  Gesch.  I  51  Anm.), 
dass  das  nur  bei  den  Quinctiern  und  Fabiem 
vorkommende  Praenomen  Kaeso  auf  das 
februü  caedere  der  Luperoalien  hinweist. 

•)  Gass.  Dio  XLIV  «,  2.  XLV  30, 2.  Suet. 
Gaes.  76;  schon  vor  dem  April  7il  =  43 
ist  die  Aufhebung  erfolgt,  Cic.  Phil.  XIII 31 
und  bei  Non.  p.  273,  5. 

')  Vgl.  auch  P&BLLKB,  Rom.  Mythol.  I 
388  3 

'  *)  Mag(%8ter)  luperc(orum)  GIL  X  6488. 
Notiz,  d.  scavi  1898,  406;  mag(ister)  colleg(ii) 
lupercor(um)  CIL  XIV  2105. 


^)  Nur  CIL  VI  1933  lupercus  Qumctia- 
l(i8}  vetus  und  XI  3205  lupercus  Fabianus. 

'^)  Die  sogenannte  Ueberliefemng  Ober 
die  Einsetzung  der  Luperci  und  Gründung  der 
Lupercalia  s.  bei  Sobwbglsb,  Rom.  Ghasch.  I 
351  f.  386;  vor  dem  wüsten  Aufsätze  von 
G.  F.  Ungbb,  Rhein.  Mus.  XXXVI 1881 S.  50  ffl, 
dem  auch  Cbüsiüs  ebd.  XXXIX  1884  S.  164  ff. 
zu  viel  vertraut,  ist  eindringlich  zu  warnen. 

')  Die  Annahme,  dass  der  von  Ovid. 
fast.  II  282  als  beteiligt  erwähnte  Flamen 
Dialis  das  Opfer  dargebracht  habe,  ist  un- 
haltbar, weil  dieser  Priester  weder  Ziege 
noch  Hund  berflhren  darf  (GelL  X  15,  12. 
Plut.  Qu.  Rom.  111);  das  Hundeopfer  be- 
zeichnet Plut.  Rom.  21;  Qu.  Rom.  68  (vgl 
111)  direkt  als  von  Luperci  dargebracht, 
bei  dem  des  caper  (Serv.  Aen.  VIU  843. 
Val  Max.  U  2,  9.  Ovid.  fast.  H  445,  fälsch- 
lich capella  ebd.  361;  alyeg  Plut.  Rom.  21) 
wird  der  Opfernde  nicht  ausdrQcklioh  ge- 
nannt Vgl.  Varro  de  1. 1.  V  85 :  luperci  quod 
Lupercalibus  in  lupercaU  scicra  faciuiU. 
VI  13:  Lupercalia  dicta  quod  in  LupercaU 
luperci  sacra  faciunt. 


70.  Die  prieBterliohen  Bodalitäten. 


485 


Lupercal  ausgehende  und  bei  ihm  endende,  über  die  Sacra  via  führende 
Umlauf  um  den  Fuss  des  Palatin,  bei  welchem  sie  gesalbt  und  nackt  bis 
auf  ein  um  die  Hüften  geschlagenes  Ziegenfell  auftreten  und  mit  den  aus 
der  Haut  des  geopferten  Bockes  geschnittenen  Biemen  (februa)  die  ihnen 
entgegentretenden  Frauen  in  die  hohle  Hand  schlagen,  was  diesen  Frucht- 
barkeit und  leichte  Entbindung  verleihen  soll.^)  Dieser  für  den  Geschmack 
späterer  Zeiten  ans  Burleske  streifende  Aufzug,  von  dem  die  Luperci 
selbst  den  Namen  Böcke  {creppi,  Paul.  p.  57)  erhielten,')  hat  schon,  ehe  er 
den  Spott  und  die  Entrüstung  der  christlichen  Schriftsteller  hervorrief,^) 
für  das  römische  Schicklichkeitsgefühl  etwas  Anstössiges  gehabt,  und  dies 
hat  wohl  dazu  beigetragen,  dass  das  Priestertum  der  Luperci  am  Ende 
der  Republik  zwar  nicht  wie  andere  einging,  aber  Leuten  niederen  Standes, 
sogar  Freigelassenen,  anheimfiel  (oben  S.  421  A.  7)  und  auch  bei  der  Beform 
der  Priesterordnung  durch  Augustus^)  nicht  wie  die  übrigen  alten  Sodali- 
täten  dem  senatorischen  Stande  vorbehalten,  sondern  zu  den  ritterlichen 
Priestertümern  geschlagen  wurde  (oben  S.  422).  Für  diesen  Stand  aber 
hat  es  eine  derartige  Bedeutung  gewonnen,  dass  es  für  solche  Leute, 
denen  der  Kaiser  das  Bitterpferd  verliehen  hatte,  eine  besondere  Auszeich- 
nung war,  als  Ehrenmitglied  in  die  Luperkersodalität  aufgenommen  zu 
werden^)  und  als  solches  einmal  den  Festumlauf  mitzumachen,^)  und  die 
Lupercalia  geradezu,  wie  die  Transvectio  equitum  am  15.  Juli,  zu  einem 
Spezialfeste  des  Bitterstandes  wurden.^) 

Wie  die  Luperci  für  den  Sühnumlauf  um  die  Stadt,  so  sind  die 
Fratres  Arvales  eingesetzt  zur  Feier  des  Flurumganges  im  Frühlinge, 
der  die  Saaten  vor  aller  Gefahr  schützen  soll:®)   es  war  eine  Genossen- 


0  Dion.  Hai.  I  80.  Plnt.  Rom.  21 ;  Gaes. 
61 ;  Qa.  Rom.  68.  Paul.  p.  57.  Justin.  XUII 
1,  7.  Nicol.  Dam.  vita  Gaes-  21;  aetiologische 
Versuche  zur  Deutung  der  Nacktheit  und 
des  Schiagens  mit  den  Riemen  bei  Ovid. 
fast,  n  267  ff.  Val.  Max.  II  2,  9.  Serv.  Aen. 
VIII  343.  668  n.  a.;  dass  die  Schläge  in  die 
hohle  Hand  erfolgten,  zeigen  Juven.  2,  142 
und  Flut.  Gaes.  61;  die  Sacra  via  erwähnt 
Augustin.  de  civ.  dei  XVIU  12  (vgl.  über  die 
Linie  des  Umlaufes  auch  Tac.  ann.  XH  24). 

*)  Auf  dieses  halbtierische  Auftreten 
geht  wohl  (trotz  MomsBii,  Rom.  Forsch.  II 
38  A.  33)  der  etwas  gesuchte  Ausdruck 
Varros  de  1. 1.  VI  34 :  lupercis  nudis  lustra- 
tur  antiquum  oppidutn  Palatinum  gregihus 
humania  cinctum  (a  regihus  Romanis 
moenibu8  cmctum  Mommsbn). 

*)  Lact.  inst.  I  21,  45.  Prud.  peristeph. 
X  161  ff.;  contra  Symm.  U  862  f. 

^)  Einen  Versuch  zur  Hebung  des  Prie- 
stertums  stellt  es  jedenfalls  dar,  wenn  ÄU' 
gu8tu8  LuperccUibus  vetuit  currere  imherbes, 
Snet.  Aug.  31. 

^)  Die  Ergänzung  des  ürsinus  bei  Fest, 
p.  257^  16  f.  quarum  numferum  postea  auc- 
tum  esse,  quia  hojnoris  grcAia  [muUi  m  lu- 
percis adscribehantur]  erhält  durch  die  in 


Anm.  6  erwähnten  Inschriften  ihre  Bestä- 
tigung und  Erläuterung. 

^)  So  verstehe  ich  den  eques  Romanu^, 
qui  ei  lupercus  cucwrrü  GIL  VI  2160  und 
die  in  Gaesarea  Mauret.  zweimal  (GILVIÜ 
9405  f.  und  Ephem.  epigr.  V  1011)  vorkom- 
mende Bezeichnung  equo  püblico  exortuUo 
sacrisque  lupercalibus  functo,  auch  der 
lupercus  desig(natus)  CIL  XIV  3442  weist 
auf  ein  solches  Verhältnis  hin;  dass  die 
ausserhalb  Roms  zerstreut  vorkommenden 
Luperci  (GIL  IH  1868.  X  1712.  XII  3183. 
3184.  Obelli-Hbnzbn  6008)  nicht  dem  muni- 
cipalen,  sondern  dem  römischen  Gottes- 
dienste angehören,  hat  Hbnzbn,  Annali  d. 
Inst.  1863  S.  279  f.  mit  Recht  hervorgehoben. 

^)  Val,  Max.  H  2,  9:  equestris  vero  or- 
dinis  iuventus  omnibus  annis  bis  'urbem 
spedaculo  sui  sub  magnis  auctoribus  cele- 
brabat  LuperccUium  enim  mos  a  Romülo 
et  Bemo  incohatus  est  ,  ,  ,  trabeatos  vero 
equites  idtbus  luliis  Q,  Fabius  transvehi 
instituit.  Daher  erklärt  es  sich  auch,  dass 
die  römische  Ritterschaft  die  Statue  des 
Drusus,  Sohnes  des  Tiberius,  beim  Lupercal 
aufstellt  (GIL  VI  912  b  9,  wo  nach  p.  841  zu 
lesen  ist  in  Lupercali  pfositaj), 

•)  Varro  de  1. 1.  V  85:  fratres  Arvdles 


486 


Beligion  nnd  KnltiuB  der  BOmer.    in.  Kultiu. 


Schaft  von  12  Mitgliedern,  uralten  Ursprunges,  aber  am  Ende  der  repu- 
blikanischen Zeit  so  vollständig  verfallen,  dass  die  durch  Augustus  in  der 
Zeit  zwischen  718  =  36  und  733  =  21  herbeigeführte  0  Neugründung  dets 
Dienstes  nicht  überall  mehr  das  alte  Ritual  vollständig  herstellen  konnte.^) 
Das  alte  Marsfest  der  Ambarvalia  (oben  S.  130),  bei  dem  die  Opfertiere, 
Stier,  Schafbock  und  Schwein,  um  die  ganze  römische  Feldmark  herum- 
geführt wurden  (Serv.  Ecl.  3, 77,  vgl.  5,  75.  Macr.  S.  III  5,  7),  war  seit  der 
grösseren  Ausdehnung  der  letzteren  in  dieser  Form  nicht  mehr  durchführ- 
bar und,  ähnlich  wie  es  bei  den  Terminalia  (S.  125)  und  Robigalia  (S.  162) 
geschah,  aufgelöst  worden  in  eine  Reihe  von  Opfern  an  bestimmten  Ört- 
lichkeiten der  Grenze  des  ager  Somanus  antiquus,  wobei  seit  dem  Erlöschen 
des  Priestertums  der  Arvalbrüder  in  der  späteren  republikanischen  Zeit 
die  Pontifices  fungierten.^)  An  einem  dieser  Grenzpunkte,  beim  fünften 
Meilenstein  der  Via  Campana,  lag  seit  Augustus  das  Heiligtum  und  der 
Hain,  an  den  sich  der  Dienst  der  von  neuem  ins  Leben  gerufenen  Arval- 
brüderschaft  knüpfte;^)  mit  der  Vollziehung  des  Grenzumganges  ist  das 
Opfer  der  Suovetaurilia  und  die  Beziehung  des  Kultes  auf  Mars  weg- 
gefallen,^) der  Götterdienst  der  Arvalen  gilt  der  als  eine  Indigitation  der 
Ceres  anzusehenden  Dea  Dia  (oben  S.  161),  und  ihr  feiern  sie  alljährlich 
im  Mai,  wo  die  Saaten  der  Ernte  entgegenreifen,  das  Fest  der  Fürbitte 
für  das  Gedeihen  der  Felder  und  Fluren,  das  an  die  Stelle  der  alten  Amb- 
arvalia getreten  ist.^)    Wie  diese  ist  es  ein  Wandelfest,  das  der  Magister 


dicH,  qui  sacra  publica  faciunt  propterea, 
ut  fruges  ferant  arva,  a  ferendo  et  arvis 
fratres  arvales  dicH  (folgt  eine  zweite  Ety- 
mologie von  fratria).  Paul.  p.  5:  ambarvales 
hoatiae  dicehantwr,  quae  pro  arvis  a  duo- 
decim  (so  Augüstikub,  a  duohus  Hss.)  fra- 
tribus  sacrificabantur, 

*)  Ueber  die  Zeit  s.  £.  Hula,  Arch. 
epigr.  Mitt.  aus  Oesterr.  XV  1892,  23  ff.  nnd 
JB).  BoBMANN,  Benndorf- Festschrift  (1898) 
S.  283  ff. 

')  Erst  an  diese  Arvalbrüder  der  Kaiser- 
zeit knflpft  die  znr  Erklärung  des  Bruder- 
namens und  der  Zwölfzahl  aufgestellte  Hy- 
pothese des  Masurius  Sabinus  über  die  Ent- 
stehung der  Priesterschaft  an  (Gell.  VII  7,  8. 
Plin.  n.  h.  XVIII  6;  vgl.  Fulg.  de  abstrus, 
serm.  p.  560  Merc);  die  auf  diese  Hypothese 
gegründeten  Kombinationen  vouE.  Hoffmann, 
Die  Arvalbrüder,  Breslau  1858  (die  durch 
die  Wiederholung  Jahrb.  f.  Philol.  CLV  1897, 
55  ff.  nicht  besser  geworden  sind)  und  E. 
Baehbens,  Jahrb.  f.  Philol.  GXXXI  1885, 
785  ff.  sind  in  die  Luft  gebaut. 

*)  Strabo  V  230:  fieia^v  yovv  tov  nifin- 
tov  xai  rov  ixrov  Xi^ov  rdiiy  td  f^iha  dia- 
ffrjfÄaiyorrety  Ttjg  'P(6f4tjs  »aXeitai  rono^  4^- 
aroi.  toitoy  di  oQor  dnotpaivovct  trjg  tote 
'PtofÄaia)y  yfs,  oV  &*UQOuy^'fioy$g  ^vaiay 
initeXotaiy  irrav^d  re  xai  iy  dXXois  toteois 
nXeloaiy  (Js  oqIois  av&fjfxsQoyy  rjy  xaXovffiy 
'jifÄßaQoviay, 

*)  Die  bei  den  Ausgrabungen  an  dieser 


Stelle  gemachten  reichen  Funde,  namentlich 
von  Protokollen  über  die  Sitzungen  und  Kult- 
handlungen der  Arvalen,  sind  veröffentlicht 
und  kommentiert  von  G  Mabini,  Gli  Atti  e 
Monumenti  dei  Fratelli  Arvali,  Roma  1795. 
W.  Hbnzen,  Acta  fratrum  Arvalium  quae 
supersunt,  Berolini  1874,  auch  CIL  VI 
p.  159  ff.  nr.  2023—2119;  Nachtrüge  bis  1892 
von  HtJLSEN,  Ephem.  epigr.  VIÜ  p.  316  ff., 
neuere  Funde  Notiz,  d.  scavi  1894,362.  1897, 
453.  1898,  120  ff.  1899,  267  f. ;  zur  Ergänzung 
und  Anordnung  s.  E.  Hüla,  Archaeol.  epigr. 
Mitteil,  aus  Oesterr.  XVU  1894,  67  ff.  D.  Vag- 
LiBBi,  Notiz,  d.  scavi  1892,  267  ff.  1897,  309  ff. 

^)  Nur  bei  dem  aussergewOhnlicher  Pro- 
digien  wegen  abgehaltenen  lustrum  misawn 
(oben  S.  328)  hat  sich  der  alte  Ritus  er- 
halten: obenan  steht  das  Opfer  von  Suo- 
vetaurilia, das  nur  dem  Mars  gelten  kann 
(vgl.  Oldbnbbbo,  De  sacris  fratrum  Arvalium 
quaestiones,  Diss.  Berolini  1875  S.  42  ff.  und 
oben  S.  349  A.  6j,  dann  erst  folgt  ein  Opfer  an 
Dea  Dia,  die  also  auch  beim  Hauptfeste  der 
Arvalen  aus  ursprünglich  zweiter  Stelle  erst 
nachträglich  an  die  erste  gerückt  ist;  darum 
wendet  sich  auch  der  uralte  Kultgesang  der 
Arvalen  nicht  an  Dea  Dia  sondern  an  Mars. 

")  Die  Identität  des  Arvalenfestes  mit 
den  Ambarvalia  ist  von  Mommsbn  (Rom. 
Tribus  S.  17  A.  99";  Grenzboten  1870  1 166), 
Henzen  (Acta  S.  46  ff.),  Jobdan  (Krit.  Beitr. 
S.  200  ff.),  Db  Rossi  (Roma  sotterranea  III 
690  f.),  UsENBB  (Religionsgesch.  Untersuch. 


70.  Die  priMierliohen  Bodalitäien. 


487 


der  Arvalen  alljährlich  im  ersten  Monate  des  von  einer  Aussaat  bis  zur 
anderen  laufenden  ^  Amtsjahres  der  Brüderschaft  in  feierlicher  Form ') 
auf  drei  bestimmte  Tage  des  Maimonats  ^)  ansetzt,  von  denen  der 
mittlere  der  eigentliche  Festtag  ist  und  allein  im  Haine  und  Heiligtume 
der  Göttin  begangen  wird,  während  der  durch  einen  festfreien  Tag  von 
ihm  getrennte  (oben  S.  370)  erste  den  Vorbereitungen  dient  und  der  un- 
mittelbar auf  den  Haupttag  folgende  dritte  nur  eine  Schlussfeier  bildet, 
beides  in  Rom  im  Hause  des  Obmannes  der  Brüderschaft  veranstaltet.^) 
Das  Opfer,  das  der  Magister  und  der  Flamen  der  Brüderschaft  am  Haupt- 
tage der  Dea  Dia  darbringen,  besteht  aus  einem  gemästeten  Schafe  {agna 
opima)  samt  den  einleitenden  Opfern  von  porcae  piaculares  duae  (wegen 
der  verschiedenen  im  Haine  vorzunehmenden  Arbeiten,  lud  coinquetidi  et 
operis  faciundi)  und  einer  vacca  honoraria  alba  (oben  S.  349);  umgeben  aber 
ist  dies  Opfer  von  einer  langen  Reihe  zum  guten  Teile  den  amtierenden 
Brüdern  nicht  minder  als  uns  dunkler  Ceremonien;*)  nur  die  Rolle,  welche 
dabei  voijährige  und  diesjährige  Kornähren  spielen,  die  am  ersten  Tage 
von  den  Brüdern  durch  Berühren  geweiht,  am  zweiten  im  Kreise  der 
Brüder  von  Hand  zu  Hand  gereicht,  am  dritten  endlich  auf  den  Altar  der 
Göttin  gesetzt  werden,  ist  leicht  verständlich  als  Dank  für  die  voigahrige 
und  Fürbitte  für  die  diesjährige  Ernte ;  den  Abschluss  der  Feier  im  Tempel 
bildet  die  bei  geschlossenen  Thüren  von  den  Brüdern  vorgenommene  Ab- 
singung ihres  alten,  an  die  Lares  und  Mars  gerichteten  Kultgesanges,  ^) 
die  sie  mit  einem  altertümlichen  Tanze  im  Dreischritt  begleiten  {carmen 
descindentes  tripodaverunt).  Auch  Spiele  werden  am  Spätnachmittage  dieses 
Tages  abgehalten,  die  ganz  den  Typus  der  alten  sacerdotalen  Spiele  (oben 
S. 383)  wiedergeben;  das  gemeinsame  Festmahl  fehlt  an  keinem  der  drei 
Tage,  am  Haupttage  werden  sogar  gustatio,  prandium  und  cena  von  den 
Brüdern  gemeinsam  und  auf  Kosten  der  Kasse  des  CoUegiums  (s.  oben 


I  298)  mit  Recht  verfochten  worden  gegen 
Marini,  Atti  pref.  p.  XXIX.  Hüscbke,  Rom. 
Jahr  S.  63.  0.  Hibschfbld,  Götting.  gel.  Anz. 
1869,  1501  f.  Oldknbebo  a.  a.  0.  S.  20  ff. 

')  Dass  ursprünglich  die  Saturnalien  das 
Amtsneujahr  der  Arvalen  waren,  zeigt  die 
Wahl  des  Magisters  für  die  Zeit  ex  Satur- 
nalibua  primis  ad  Satumalia  secunda  (vgl. 
Mabiki  a.  a.  0.  S.  275  ff.). 

')  Henzbn,  Acta  S.  4  ff.,  dazu  Oldek- 
BEBO  a.  a  0.  8.  4  ff.  und  über  die  Worte  sub 
divo  columine  F.  Leo,  Archiv  f.  Lexikogr. 
X  1897,  278  ff. 

')  Seit  der  Zeit  Vespasians  fftUt  das 
Fest  (mit  einer  Ausnahme  CIL  VI  2067, 
46  ff.  vom  J.  90)  abwechselnd  auf  den  17., 
19.,  20.  und  27.,  29.,  30.  Mai,  vorher  finden 
wir  ein  starkes  Schwanken;  vgl.  Hüla,  Arch. 
epigr.  Mitteil,  aus  Oesterr.  XV  26.  Hülsen, 
ifphem.  epigr.  VIII  p.  321. 

*)  Das  ganze  Detail  der  Festfeier  nach 
den  Protokollen  erläutert  von  Hbnzek,  Acta 
S.  10  ff.,  dazu  Oldbkbbbg  a.  a.  0.  S.  7  ff. 

^)  Dazu  gehört  besonders  die  rätselhafte 


Rolle,  welche  irdene  Töpfe  {ollae;  solche 
von  sehr  roher  Technik^  nur  mit  der  Hand 
geformt,  sind  im  Arvalenhaiue  gefunden 
worden,  vgl.  M.  St.  De  Rossi,  Giomale  arca 
dico  LVni  1868  S.  136  Taf.  IV)  als  Objekt 
der  Verehrung  (sacrum  fecerunt  oüis  und 
ollas  precati  sunt  heisst  es)  spielen,  um 
schliesslich  aus  der  geöffneten  Thür  des 
Tempels  den  Weg  hinuntergeworfen  zu 
werden;  unverständlich  sind  auch  die  lume- 
muJia  cum  rapinis  (Büeoheleb,  Archiv,  f. 
Lexikogr.  I  1 09  ff.),  welche  die  Brüder  em> 
pfangen,  und  die  Bedeutuog  der  am  Schlüsse 
des  Festmahles  des  dritten  Tages  wieder- 
kehrenden Notiz,  dass  die  Brüder  tuscanicos 
contigeruntf  die  sie  durch  ihre  Kalatoren 
nach  Hause  schicken  (Hbnzbk,  Acta  S.  44). 
>j  Der  Text  u.  a.  CIL  I  28.  Bübcheleb, 
Anthol.  epigr.  nr.  1 .  Schnbideb,  £xempla  nr. 
392  mit  Litteraturangaben ;  neueste  Behand- 
lung von  BiBT.  Archiv  f.  Lexikogr.  XI 149  ff. 
R.  RosELLi,  II  Carmen  fratrum  Arvalium, 
Acireale  1901. 


488 


Religion  und  Kultus  der  SOmer.    m.  KnltaB. 


S.  429  A.  4)  eingenommen,  die  beiden  ersten  in  ihrem  Amtslokale  beim 
Heiligtume  der  Dea  Dia,  die  letztere  in  Rom  im  Hause  des  Magisters. 
Dieses  Fest  ist  die  einzige  regelmässige  Kulthandlung  alter  Satzung,  die 
die  Arvalen  im  Laufe  des  Jahres  vornehmen;  was  die  Protokolle  (abgesehen 
von  geschäftlichen  Verhandlungen,  z.  B.  über  Cooptation  neuer  Mitglieder) 
sonst  noch  verzeichnen,  sind  entweder  ausserordentliche  Akte,  wie  die  Dar- 
bringung von  Piacularopf ern  0  und  die  Abhaltung  von  Lustrationen  wegen 
vorgefallener  Prodigien*),  oder  in  die  sacrale  Form  von  Gelübde  und  Opfer 
eingekleidete  Loyalitätskundgebungen  gegen  den  Kaiser  und  sein  Haus,') 
die  in  ähnlicher  Art  und  Fülle  auch  in  allen  übrigen  Priesterschaften  der 
Kaiserzeit  üblich  gewesen  sein  müssen  (s.  oben  S.  73  f.) 

Der  glückliche  Zufall,  der  uns  die  Protokolle  der  Arvalbrüder  in 
grossen  Bruchstücken  erhalten  hat,  hat  uns  einen  tiefen  Einblick  nicht 
nur  in  Bestimmung  und  Thätigkeit  dieser  Priesterschaft,  sondern  über- 
haupt in  das  ganze  Leben  der  Priestertümer  in  der  Kaiserzeit  und  zum 
Teil  auch  in  die  Grundlagen  der.  römischen  Priesterverfassung  gewährt. 
Wie  wenig  wir  ohne  jenen  aussergewöhnlichen  Glücksfall  von  den  Arval- 
brüdem  wissen  würden,  zeigt  das  Beispiel  der  Sodales  Titii,  deren  Ge- 
schichte der  der  Arvalen  sehr  ähnlich  ist:  ebenfalls  zur  ältesten  Religions- 
ordnung  gehörig,  waren  sie  lange  vor  Augustus  eingegangen,  um  von 
diesem  wieder  erneuert^)  und  unter  die  vornehmen  Priestertümer  sena- 
torischen Ranges  eingereiht  zu  werden,  denen  auch  die  Kaiser  selbst 
regelmässig  als  Mitglieder  angehörten.  Aber  wiewohl  wir  eine  ganze 
Beihe  von  Trägern  dieses  Priestertums  aus  Inschriften  kennen,^)  so  wissen 
wir  doch  weder,  welche  Ceremonien  ihnen  zur  Ausübung  übertragen  waren, 
noch  welchem  Gotte  sie  dienten;  der  Name,  das  einzige,  was  geblieben 
ist,  ist  nicht  so  durchsichtig  wie  der  der  Arvalbrüder.^)  Die  seit  Augustus 
herrschende  Meinung  brachte  ihn  mit  weiland  König  Titus  Tatius  zu- 
sammen und  Hess  die  Sodales  Titii  entweder  von  diesem  selbst  oder  nach 
seinem  Tode  von  Romulus  zur  Pflege  der  durch  diesen  König  vertretenen 
sabinischen  Gottesdienste  eingesetzt  sein.'')  Auf  Grund  dieser  Auffassung 
wurde  die  im  J.  14  n.  Chr.  nach  dem  Tode  des  Augustus  für  die  Ver- 
ehrung der  beiden  Divi  der  gens  lulia  neu  geschaffene  Priesterschaft  (s.  oben 
S.  287)  nach  ihrem  Vorbilde  organisiert  und  benannt;®)  es  sind  die  Sodales 


1)  Hbnzeh,  Acta  S.  128  ff. 

2)  Henzbn  a.  a.  0.  S.  140  ff.  mit  den 
wichtigen  Aasfühmngen  von  Oldenbbbo 
a.  a.  0.  S.  41  ff.  (s.  auch  oben  S.  328). 

>)  Henzbn  a.  a.  0.  S.  49  ff.  89  ff.,  dazu 
Oldbnbbro  a.  a.  0.  S.  30  ff. 

*)  Für  die  Arvalbrüder  wie  für  die  Titier 
wird  die  Thataache,  dass  sie  lange  vor 
Augustus  zu  bestehen  aufgehört  hatten,  be- 
wiesen durch  das  Fehlen  jeder  Erwähnung 
aus  republikanischer  Zeit  mit  Ausnahme  von 
Varro  de  1.  1.  V  85,  die  Wiederherstellung 
durch  Augustus  folgt  aus  dem  Umstände, 
dass  dieser  Kaiser  beiden  Priestertümem 
angehört  (Monum.  Anc.  1,  46). 

»)  CIL  III  174  {sodalis  TUiensis),  2974  f. 


3419.  VI  1343.  Vm  7050.  12442.  XIV  3518, 
vgl.  auch  VI  934  (Weihung  der  aodales  Tut 
zu  Ehren  Vespasians). 

•)  Varro  de  1. 1.  V  85 :  sodales  Titii  dicti 
<a  tüiis  avihusy  (die  Ergänzung  von  Labtus), 
quas  in  auguriis  certis  observare  solent 
(dazu  Bukcbblbb,  Archiv  f.  Lezikogr.  II 
118  f.). 

^)  Tac.  ann.  I  54:  addüo  sodcdium  Au- 
gustalium  aacerdotio,  ut  quondam  Titus  Ta- 
tius retinendis  Säbinorum  sacris  sodales 
Titios  instituerat;  bist  II  95:  AugustaUs  .  ., 
q}wd  sacerdotium,  ut  Botuülus  Tatio  regt, 
ita  Caesar  Tiberius  luliae  genti  sacravit. 

»)  Tac.  aa.  00. ;  Cass.  Dio  LVI  46,  1  gibt 
das  Wort  sodales  mit  ^utif^xai,  wieder. 


70.  Die  priMterliohen  Bodalitäten. 


489 


Augustales,  eine  vornehme  Genossenschaft  von  zunächst  21  ordentlichen 
Mitgliedern,  zu  denen  der  Kaiser  Tiberius  mit  den  Prinzen  Drusus,  Clau- 
dius und  Oermanicus  supra  numerum  hinzutrat  ;0  die  Mitgliederzahl  ist 
später  bis  auf  28  gestiegen,  indem  sowohl  die  eben  erwähnten  4  über- 
zähligen Stellen  als  mehrere  andere  später  eingerichtete  dauernd  bestehen 
blieben,^)  der  Dienst  erfuhr  insofern  eine  Erweiterung,  als  nach  der  Gon- 
secration  des  Claudius  die  Verehrung  auch  dieses  neuen  Divus  derselben 
Genossenschaft  zugewiesen  wurde,  die  nunmehr  sowohl  die  scicra  des 
julischen  Geschlechtes  bei  Bovillae,  als  die  des  claudisch-domitischen  bei 
Antium  wahrnahm  ;^)  seitdem  heissen  sie  mit  vollem  Namen  sodales  Augustales 
Claudiales,^)  wenn  sich  daneben  auch  der  kürzere  Name  sodales  Augustales 
noch  im  Übergewichte  erhält.^)  In  derselben  Weise  ist  dann  eine  neue 
Genossenschaft,  die  Sodales  Flaviales,  für  den  Kult  des  Divus  Vespasi- 
anus  eingesetzt  worden,  die  sich  nach  der  Consecration  des  Titus  zu  sodales 
Flaviales  Titiales  erweiterte.^)  Für  das  Bestehen  einer  gleichen  Priester- 
schaft zum  Dienste  der  Divi  Nerva  und  Trajan  besitzen  wir  keine  Beweise, 
da  aber  nach  Hadrians  Tode  Sodales  Hadrianales  geschaffen  wurden,^) 
so  ist  es,  da  Nerva,  Trajan  und  Hadrian  durch  die  Reihe  der  Adoptionen 
ge Wissermassen  eine  Familie  bilden,  nach  Analogie  der  älteren  Priester- 
schaften dieser  Art  wahrscheinlich,  dass  bei  der  Consecration  Nervas  eine 
neue  dritte  Genossenschaft  eingesetzt  worden  war,  die  nachher  dazu  den 
Kult  erst  des  Trajan  und  dann  auch  des  Hadrian  übernahm  und  mit  vollem 
Namen  sodales  Cocceiani  Ulpiales  Hadrianales  geheissen  haben  müsste; 
dass  sich  diese  Priesterschaft  weiterhin  abgekürzt  nur  sodales  Hadrianales 
nannte,  ist  ein  Vorgang,  für  den  die  Bezeichnungsweise  der  übrigen  So- 
dalitäten  des  Kaiserkultes  mehrfache  Parallelen  bietet,  und  dass  uns  keine 
inschriftlichen  Belege  für  die  sodales  Cocceiani  und  sodales  Cocceiani  Ulpiales 
erhalten  sind,  kann  Zufall  sein.^)    Beschlossen  wurde  die   Reihe  dieser 


')  Dass  nicht  die  Normalzahl  25  war 
und  davon  4  Stellen  für  den  Kaiser  und  die 
Prinzen  reserviert  wurden,  sondern  dass 
diese  Stellen  zur  stiftungsmässigen  Zahl 
hinzutraten,  zeigt  sowohl  Tac.  ann.  I  54 
Sorte  ducti  e  primoribus  civitatis  unus  et 
viginti,  Tiberius  DnMusque  et  Claudius  et 
Germanicus  adiciuntur  als  besonders  Suet. 
Claud.  6  senatus  quoque  ut  ad  numerum  so- 
dalium  Augustalium  sorte  ductorum  extra 
ordinem  adiceretttr  censuit.  Die  Frage, 
wie  man  zu  der  Zahl  21  kam,  ist  noch  offen, 
dass  es  die  der  Sodales  Titii  gewesen  wäre, 
ist  schwer  zu  glauben,  man  möchte  für 
diese  eher  nach  Analogie  der  Fetialen  20 
Mitglieder  annehmen. 

*)  Das  zeigt  das  erhaltene  grosse  Bruch- 
stück eines  Mitgliederverzeichnisses  der  So- 
dalität  CIL  VI  1984  (andere  kleinere  Bruch- 
stücke von  Protokollen  über  die  Cooptatio- 
nen  CIL  XIV  2392^2399),  vgl.  Dessau, 
Ephem.  epigr.  III S.  206 f.  und  oben  S.416  A.  7. 

»)  Tac.  ann.  II  41.  III  64.  XV  23. 

*)  CIL   V  6977-6981.    VI  332.    1357. 


1509.  1987.  XI  3367. 

&)  Dbssau  a.  a.  0.  S.  211. 

°)  collegium  ]*lavialium  Suet.  Dom.  4, 
sodalis  Flavicdis  CIL  III  Suppl.  6813.  VI 
1333.  XI  1430.  XIV  2501.  Momxseit,  Inscr. 
Helv.  175,  sacerdotium  Titicdium  FlavicUium 
CIL  VI  2189,  sodalis  Flavialis  Titialia  CIL 
VIII 597.  7062,  sacerdos  Tiiialis  Flavialis 
VI  1523  (die  Ergänzung  der  Inschrift  Rom. 
Mitt.  XI  252  ist  unsicher),  sodalis  Titialis 
CIL  XI  5670.  Rom.  Mitt.  V  800. 

n  Hist.  aug.  Hadr.  27,  3,  vgl.  Anton. 
Pius  5,  2.  Die  Inschriften  sind  sehr  zahl- 
reich: CIL  III  1071  f.  6154.  V  1969.  2112. 
7783.  VI  1332.  1408  f.  1415.  1429.  1502  f. 
1518.  1575.  1577.  X  408.  1123.  3724.  XI 
1432.  33t'5.  XIV  2607.  2942.  3609  f.  CIGr. 
1327.  Obblli  3174.  Buambach  CIRh.  463. 
Cagkat,  L'annöe  4pigr.  1899  nr.  125. 

^)  Aus  dem  Schweigen  der  litterarischen 
Zeugen,  namentlich  des  jüngeren  Plinius,  das 
Dbssau  a.  a.  0.  S.  213  betont,  müchte  ich 
keine  Schlüsse  ziehen. 


490    Beligion  nnd  Kalins  der  BOmer.    m.  Eni  tos.    70.  Die  priesterL  Sodalitäton. 


Sodalitäten  durch  die  im  J.  161  zu  Ehren  des  Antoninus  Pius  erfolgte 
Schaffung  von  Sodales  Antoniniani/)  auf  die  dann  auch  der  Kult  aller 
weiter  noch  folgenden  Divi  bis  auf  Alexander  Severus  überging*)  und  die  dem- 
gemäss  auch  ihren  Namen  nach  dem  jeweiligen  Umfange  ihres  Dienstes  ab- 
änderten und  verlängerten. >)  Über  Mitgliederzahl  und  Organisation  der  drei 
jüngeren  Sodalitäten  der  Divi  fehlt  jede  Nachricht,  doch  ist  anzunehmen, 
dass  sie  in  allen  wesentlichen  Punkten  der  ältesten,  den  Sodales  Augustales, 
nachgebildet  waren,  ihr  Dienst  wird  vorwiegend  in  der  sacralen  Feier  be- 
stimmter Gedenktage  bestanden  und  sich  an  die  stadtrömischen  Tempel 
der  betreffenden  Divi  (oben  S.  286)  angeschlossen  haben. 

Litteratur.  Im  allgemeinen  Mabquabdt,  Rom.  Staatsvennr.  III  415  ff.  Madvio, 
Verfassung  und  Verwaltung  d.  röm.  Staates  II  659  ff.  721  ff.  Im  besonderen  tlber  die 
Fetialen  F.  C.  Conbadi,  De  fecialibus  et  iure  feciali  populi  Romani  (1784),  Scripta  minora 
I  259  ff.  0.  FüsiNATo,  Dei  Feziali  e  del  Diritto  feziale  [Atti  d.  Accad.  dei  Lincei  ser.  H 
vol.  Xni],  Roma  1884;  über  die  Arvalbrflder  Hbnzen,  Acta  fratrum  Arvalium,  Berolini  1874. 
G.  Gatti  in  Rügoiebos  Dizionario  epigrafico  I  682  ff.  Wissowa,  Real-Encyd.  II  1463  ff.; 
über  die  Sodales  Divorum  H.  Dessau,  Ephem.  epigr.  IN  S.  205  ff.  E.  Bbüblibb,  Le  culte 
imperial  S.  81  ff. 


0  Hist.  aug.  Anton.  Pius  13,  4 ;  M.  Aurel 
7,  11;  sodales  Antoniniani  in  Inschriften 
CIL  VI  1401.  1540.  1546.  X  8724.  4750.  XI 
3365.  Gaobat,  L'ann^e  ^pigr.  1899  nr.  125. 

')  Hist.  aug.  M.  Aurel.  15,  4  (von  L.  Ve- 
rusK  18,8  (Marc  Aurel);  SepiSev.  7, 8;  Pertin. 
15,  4  (Pertinax);  Carac.  11,  6  (Caracalla); 
Alex.  Sev.  63,  4  (Alexander  Severus).  Die 
Quellen  haben  entweder  den  Ausdruck,  der 
betreffende  Divus  erhalte  sodales  Antoninia- 
no8  (Hist.  aug.  M.  Aurel.  15,  4  von  L.  Verus; 
18,  8  von  Marc  Aurel;  Garac.  11,6  von  Ga- 
racalla)  oder  sie  berichten  ausdrücklich  die 
ümnennung  (ebd.  Pert.  15,  4:  Marciani  so- 
dales, qui  Divi  Mord  sacra  cwrabant,  Hel- 


viani  sunt  dicti  propter  Helvium  PerHna- 
cem,  vgl.  Sept.  Sev.  7,  8),  und  auch  die  An- 
gabe Alex.  Sev.  63,  4:  doit  sunt  et  sodales y 
qui  Alexandriani  appellati  sunt,  ist  nicht 
anders  gemeint. 

')  Inschriftlich  begegnen  die  Kombina- 
tionen Antoninianus  Verianus  (GIL  VI  1497. 
XI  1433.  XIV  3609),  Antoninianus  Verianus 
Mareianus  (GIL  X  408),  Marcianus  Antoni- 
nianus (GIL  VIII  7030.  Notiz,  d.  scavi  1888, 
236),  Aurelianus  Antoninianus  (GIL  V  8223. 
Villi  222),  Aurelianus  Antoninianus  Veria- 
nus (GIL  V  2324),  Mareianus  AurelianuA 
Commodianus  Helvianus  Severianus  (GIL  VI 
1365). 


Anhang  L 

Der  römische  Festkalender. 


Vorbemerkung. 


In  Sp.  1  ist  den  von  Caesar  zngef&gten  Tagen  ein  *  vorgesetzt 

In  Sp.  2  wird  der  Tagescharakter  der  vorcaesarischen  Zeit  gegeben;  die  Abftndernngen  der 
caesarisch-angnsteischen  Epoche  sind  in  [  ]  beigesetzt;  wo  der  eine  oder  andere 
Tagescharakter  nicht  flberliefert,  sondern  nur  durch  Yermuthong  erschlossen  ist, 
ist  er  in  (  )  eingeschlossen;  Varianten,  wie  die  Bezeichnung  F*P  (obenS.  871  A.  2), 
sind  nicht  berftcksichtigt. 

fn  Sp.  4  sind  nicht  nur  die  Tempelstiftungstage  der  renublikanischen  Zelt,  sondern  auch 
die  wenigen  bekannten  Daten  dieser  Art  aus  der  Kaiserzeit  aufgenommen. 

Sp.  5  gibt  die  Liste  der  Spieltage  etwa  in  der  Zeit  der  julisch-claudischen  Kaiser;  den 
Circustagen  ist  ein  *  beigefügt 

Sp.  6  enthJÜt  nur  solche  Gedenktage,  die  nachweislich  oder  wahrscheinlich  den  Charakter 
von  fericte  publicae  getragen  haben;  der  Bestand  solcher  Feiern,  die  meist  nach 
kurzer  Zeit  wieder  verschwanden,  ist  ein  sehr  wechselnder  gewesen  und  unsere 
Kenntnis  von  ihnen  eine  ganz  Iflckenhafte  und  zufällige. 

Sp.  7  reproduziert  die   Tafel  der  Fest-  und  Spieltage  aus   dem  Kalender  des  Philocalus 

und  Iftsst  erkennen,  wieviel  von  den  in  Sp.  3—6  aufgeführten  Feiern  noch  im 

4.  Jahrhundert  bestand ;  Weglassungen,  die  nur  dem  Abschreiber  zur  Last  fallen, 

sind  mit  dem  Zeichen  [  ]  ergänzt. 

Die  allgemeine  Erläuterung  geben  die  Darlegungen  oben  S.  365  ff. ;  die  den  einzelnen 

Festen  und  Spielen  beigesetzten  Seitenzahlen  verweisen  auf  die  Stellen  des  Textes,  an  denen 

ausführlicher  über  sie  gehandelt  ist. 


492 

Januar 


Anhang  I. 


1 
Datam 


Tagescharakter 


Feriae  pnblicae 
ältester  Ordnung 


Natales  templomm 


4 
5 
6 

7 


8 
9 
10 
11 
12 
13 

U 
15 

16 

17 

18 
19 
20 

21 

22 
23 
24 

25 

26 
27 

28 

*29 

*80 


31 


C  [(tP)] 


c 

F 
F 
C 


c 

EN 

^p 

c 

^p 

EN 


c  [(w>)] 

c 
c 
c 


c 
c 
c 


c 
c 

c 

F  [(NP)] 
F[NP] 

C  [(NP)] 


Agoninm  S.  91. 
Garmentalia  S.181 
Feriae  Jovi  S.  101 

Garmentalia  S.  181 


Aesculapios  in  insula  S.  254. 
Vediovis  in  insula  S.  191. 
Fortuna  S.  211  A.  5. 


Jutuma  in  campo  S.  183 

Juppiter    Stator   in  Palatio  (?) 

S.  108  A.  1 


Concordia  od    forum    (Rest.). 

S.  272 


Castor  ad  foi-um  S.  217 


Der  rOmisohe  Festkalender. 


493 


5 
Spiele 


6 

Qedenkiage  der 

früheren  Eaiserzeit 


Ferlae  und  Spiele 
dee  4  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


^Gircus  privatus  S.  390 


Ludi  Palatini  S.  390 
A.  3>). 
Ludi         „ 
Ludi 


[eircus  privatus] 

Votorum  nuncupatio 

S.  381 A.  1. 
lud{i)  [compUale8]S,H9 
ludi 
ludi 

lano  pcUri  eiircensea) 
m(i88us)    XXIIIl 
8.  380  A.  4.  391. 


Justitia  aug.  S.  276. 


Geburtstag  desL.  Aelius 

Caesar 

Gkburtetag   des  Nero 
S.  379  A.  5. 


Consecration  der  Livia 
S.  379  A.  5. 


Die8  Carmentariorum 

loviStatori  ciireenaes) 
fn{issu8)  XXIIIl  8.^91 

Cartnentalia 


Ludi  Palatini  S.  391.  Felicitas  S.  215 

ludi 
ludi 
niatalis)  Gordiani 

ciireensea)  m{is8us) 

XXIIIl  S.  392  A.  5. 
ludi 

ludi 

niatalia)     D{iv%)    Ha- 
driani    e{ircen8e8) 
m(i88U8)  XXIIIl 
n(aialis)  ehartis  S.  405 

A.8. 


Feriae  unbekannter  Be- 
deutung S.  378  A.  4. 
Dedication    der    Ära 
Pacis  S.  277.  379. 
Geburtstag   der  Livia 
S.  379  A.  5. 
Geburtstag  der  Antonie 
S.  879  A.  5. 


[ludi  AdiabeniciS.  991 

A.4.] 
[lud(\ 

[ludi] 


[Ädi€ibeniei  c{ireeH8es) 
fn(i88us)  XXIIIl 


Gastorfest  in  Ostia 
8.  219. 


>)  Ueber  die  uisprOnglichen  Tage  der  Ludi  Palatini  s.  Mommsen  GlLp.P  3  08. 


494 


Anbang  I. 


Februar 


1 

Datam 


Tagescharakter 


3 
Feriae  pnblicae] 
ältester  Ordnung 


Natales  templomm 


1 


28 


N 


N 


3 

N 

4 

N 

5 

(N)[W>] 

6 

N 

7 

N 

8 

N 

9 

N 

10 

N 

11 

N 

12 

N 

18 

^p 

14 

N 

15 

^p 

16 

EN 

17 

^p 

18 

c 

19 

c 

20 

c 

21 

^p 

22 

c 

23 

^p 

24 

N 

25 

C 

26 

EN 

27 

^p 

Feriae  Jovi  S.  101 


Lnpercalia  S.  172 
Qnirinaiia  S.  140 


Feralia  8.  187 


Terminalia  8.  125 
Regifagium  8.  370  A.  1 


Eqnirria  8. 131 


Juno  Sospita  ad  forum  holUo- 

Hum  8.  117. 


Concordia  in  arce  8.  272 


Fannus  in  insula  8.  174 


Quirinns  in  coIU  (Rest)  8.  140. 


Der  römisehe  Festkalender. 


495 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

früheren  Kaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderte 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


n{atalis)    Herculis 
c{ircen8e8)   m{i88us) 
XXIIII S.  224  A.  3. 


Amburbium  S.  130  369 

A.3. 


Augustus  Pater  patriae 

S.  379. 


ludiGottiei  S.391A.4. 
Ittdi      „ 

ludi  „ 
ludi  „ 
ludi  „ 
Gottici    {circenses) 

m(i88l48)  XXIIII 

Genialici    e{ircen8e8) 
m{i88U8)       XXIIII 
S.  157. 392  A.  2. 
ludi  Genialiei 
virgo  Ve8ta{li8)paren' 

mt 

.... 
Lupercalia 

.        .  •         . 

Quirinalia 


Diesparentales  S.187. 


Feralia 

Cari8tia  S.  187. 
Terminalia 
Regifugium 
Lorio  c{ircen8e8)  m(«- 
«iM)X//S.391  A.3. 

n{atali8)    D{ivi)   Con- 
stantini    c{ircen8e8) 
m(i88U8)  XXIIII 
ludi  votivi  S.  391. 


II 


y,  Stultorum 
feriae 
S.  142. 


496 

März 


Anhang  L 


1 
Datum 


Tagescharakter 


Feriae  publicae 
ältester  Ordnong 


Natales  templomm 


31 


^P 


2 

F 

3 

C 

4 

C 

5 

c 

6 

(C)  [NP] 

7 

F 

8 

F 

9 

C 

10 

C  lihP)] 

11 

c 

12 

c 

13 

EN 

14 

^p 

15 

^p 

16 

F 

17 

^p 

18 

c 

19 

^p 

20 

c 

21 

c 

22 

N 

23 

^p 

24 

QRCF 

25 

C 

26 

C 

27 

F[W>] 

28 

C 

29 

c 

30 

c 

Feriae  Marti  S.  131 


Juno  Lucina  Eaquüiis  S.  116 


Vediovis  inter  duos  lucos'  S.  191 


Eqairria  S.  131     . 

Feriae  Jovi  S.  101 

Feriae  Annae  Perennae  S.  194. 

Agonium  Martiale  S.  131 
Liberalia  S.  126.  243  f. 


Quinquatrus  S.  131.481 


Tubüustrinm  S.  131.  482 


Minerva  in  Aventino  S.  203 


Luua  in  Aventino  S.  262 


Der  rOmiBohe  Festkalender. 


497 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

froheren  Kaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


•  • 


Augustus  Pontifez 
maz.  S.  144.  379. 


TiberiusPontifez  maz. 

S.  379. 


Sieg  beiMunda  S.  378. 


Fall    von  Alezandria 

S.  378. 


n{(UaIis)  Mortis   c{ir- 
eenses)     m{i88U8) 
XXVIII  (vielmehr 
XX////)S.391A.l. 


Isidis  navigium  S.  296. 


lunonalia  S.  380  A.  5. 

arm[a]  ancilia  mavent 

S.  131. 


lovi  eiiUori  c(ireen8e3) 

m(i88U8)       XXIIII 

S.391. 

Mamuralia  SJ84.380 

A.3.  483  A.  3. 

Canna  intrat  S.  266. 


LiberaHci    eiircenses) 
m{i88U8)  XXIIII 
S.  380  A.  4.  391. 

Quinquatria 
Pelu8ia  S.  296. 
n(cUali8)     Minerves 

S.  405  A.  8. 
Arbar  intrat  S.  266. 
Tubilwftrium 
Sanguem  S.  266. 
Hilaria  S.  266. 
Requetio  S.  266. 
Lavatio  S.  264. 

Initium  Caiani  S.  267. 


n{atali8)     Divi     Con- 

8tant[i]     c{ircen8e8) 

m(i88U8)  XXIIII 


SacraArgeomm  S.  355. 


Janns  Concordia  Salus 
Paz  S.  273.  406  A.  1. 


Handbuch  der  kUat.  AltartiinwwiaMnsoluift.   V,  4. 


32 


498 


Anhang  L 


April 


1 
Datum 


Tagescharakier 


Feriae  publicae 
ältester  Ordnung 


Natales  templomm 


2 
8 

F 
C 

4 

C 

5 

N 

6 

7 
8 

(N)  [N>] 

N 
N 

9 
10 

N 
N 

11 


12 

13 

14 
15 
16 
17 

18 
19 

20 
21 


22 
28 

24 
25 

♦26 


27 

28 


29 
80 


N 


N 

tP 

N 

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N 

N 

N 

tP 

N 
tP 


N 
fP 

C 

tP 

F 


C 

C[tP] 


c 
c 


Feriae  Jovi  S.  101 


Gerialia  S.  159 


Parilia  S.  165 


Vinalia  (priora)  S.  102 


Robigalia  S.  162 


VeniiB  Verticordia  S.  236  f. 


Fortana  Publica  Citerior  in  coile 

8.  210. 


Magna  Mater  in  PaloHo  8.  263. 


JuppiterVictor  {in  eoUe  ?)  8. 108. 
Libertas  in  Aventino  S.  126  A.5. 


Ceres  Liber  läbera  ad  circum 
maximum  8.  244. 

Pales  (?)  S.  165     . 
Venus  undRoma  ad  8€icram  tfiam 

8.283. 

Venus  Erncina  ad  partam  Cd- 

linam  8.  236. 


Flora     ad    circum    maximum 

8.  163. 


Der  rOmiaohe  Festkalender. 


499 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

früheren  Kaiserzeit 


Feriae  and  Spiele 
des  4.  Jahrhonderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  pnbHca 


Lndi    Megalenses   8. 
263  f.  387. 
Lndi 


Lndi 
Lud! 
Lndi 


Sieg  bei  ThapsusS.  378. 


Ludi 
*Ludi 


Lndi  Ceriales  S.  246. 

887. 
Ludi 


Lndi 
Ludi 
Ludi 
Ludi 
Ludi 
♦Ludi 


ff 
ff 


Ludi  Florales  S.  168. 

387. 

Ludi  y, 

Ludi 


Weihung  der  aedicula 

Vestae  auf  demPa- 

latin  S.  144.  378. 


Veneralia  ludi  S.  237. 
380  A.  5.  391. 

niatalia)   dei    Quirini 
ciircenses)  m{i88U8) 
XX////S.  391. 
ludi  Megalesiaci 

ludi 

ludi 

n(atalis)  C<i8tor{is)  et 

FoUu[c{is)]    dircen- 

8es)m{is8us)XXIIII 

S.  391. 

ludi 

Megalesiari  c{ircen8e8) 

m(i88U8)  XXIIII 

fi{atali8)    Divi  Severi 

e{ircen8e8)   in(i88U8) 

XXIIII 

ludi  Cerealici  c(ireen- 

8e8)  m{i88U8)XXIIII 

ludi 

ludi 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 

Cerealici      c{ircen8e8) 
m{is8U8)  XXIIII 

natali8  urbi8  c(ircenaeft) 
tn{i88U8)  XXIIII  S. 
380  A.  4. 


Fortuna  Yirilia  S.  208. 


Hercules  Victor  S.  224 

A.  3. 


Serapia  S.  296. 
n{atali8)   M.  Antonini 
c{ircen8e8)    in{i88U8) 
XXIIII 


ludi  Fhrale8 


32 


500 

Mai 


Anhang  I. 


1 
Datum 


Tagescharakter 


Feriae  publicae 
ftltester  Ordnung 


Natales  templomm 


1 


10 


11 
12 


13 
14 
15 

16 
17 

18 

19 
20 
21 
22 
23 
24 

25 

26 

27 
28 

29 

30 
81 


2 

F 

3 

C 

4 

C 

5 

c 

6 

c 

7 

F 

8 

F 

9 

N 

N 
C[hP] 


N 
C 
hP 

F 
C 


C 

c 

tp 

N 

QRCF 

C 

C[hP] 

c 

C  [(hP)] 


c 
c 


Lemuria  S.  189 


Lemuria  S.  189. 


Lemuria  S.  189 
Feriae  Jovi  S.  101 


Agonium  S.  190. 
TubiluBtrium  S.  186.  482. 


Lares  in  aaera  via  S.  151 
Bona  Dea  8ub  saxo  S.  178. 


Mars  Invictus  (fast.  Venus.) 
Mercurius  ad  circum  maximum 
S.  249. 


Fortuna  p.  p.  R.  Q.  Primigeni« 
in  coUe  S.  210. 


Der  rOmiiohe  Festkalender. 


501 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

früheren  Eaiserzeit 


Feriae  and  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  puhlica 


Ludi  Florales. 

Ludl  , 

♦Ludi 


^Ludi  Martiales  S.  389. 


Weihung  der  aedicüla 
Mortis  in  Capitolio 
S.  133.  378. 


•  • 


Geburtstag    des   Ger- 
manicus  S.  379  A.  5. 


Triumph  des  Germani- 
cus  S.  379. 

Triumph    des  Drusus 

S.  379. 


ludi 

Floralici  c(ircense8) 
m(is8U8)  XXIIII 
ludi  Maximati  S.  391 

A.4. 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 

Maximati    c{ircensf8) 

m(is8us}  XXIIII 

n{atali8)  Claudi  c(»r- 

censes)     miissus) 

XXIIII 

Martialici    c{ircen8e8) 
m{i88us)  XXIIII 

ludiPersiciS.SdlAA. 
ludi    .... 
ludi  n^atalis)  Mercuri 
S.  405  A.  8. 
ludi 

Persici    c(ircen8e8) 
m{i88U8)  XXIIII 
n{atali8)    Annones 

S.  405  A.  8. 


ludi  Hanor  et   Virtua 

Zinza. 
ludi 
ludi 


Maja  S.  185. 


Sacra  Argeorum  S.  355. 


502 

Juni 


Anhang  L 


1 
Datum 


Tagescharakter 


Feriae  poblicae 
ftitester  Ordniing 


Naialea  templomiii 


1 


27 


28 

♦29 

30 


N 


Carnaria  S.  190. 


2 

F 

3 

c  KhP)] 

4 

c 

Ä 

N 

6 

N 

7 

N 

8 

N 

9 

N 

10 

N 

11 

N 

VestaUa  S.  142 
Matralia  S.  98 


12 

N 

13 

tP 

14 

N 

15 

Q-8TDF 

16 

C 

17 

C 

18 

C 

19 

C 

20 

C 

21 

C 

22 

C 

23 

C 

24 

C 

25 

C 

26 

C[hP] 

Feriae  JoW  S.  101 


C 

F 
C 


Man   extra    portam  Capenam 

S.  133. 
Juno  Moneta  in  arce  S.  116. 
Tempestates  cuf  portam  Cape^ 

nam  8.  252. 

Bellona  in  eirco  Flaminio  S.  137. 

Hercules  Magnus  Cnstoe  m  eirco 
Flaminio  8.  224. 
Dius  Fidius  in  eoOe  S.  120. 


Mens  in  CapUolio  8.  259. 


Mater  Matata  in  foro  boario 

8.98. 
Fqrtnna  in  foro  boario  8.  207. 
Concordia    in    portieu    Liviat 

8.  272. 

Juppiter  Invictns  (Victor?)   in 
Paiatio  (?)  8.  108. 


Minerya    in    Aventino    (Rest) 

8.203. 

Siunmanas  ad  circum  maximum 

8.  124. 


Fora  Fortuna  trans  IHberim  ad 
miliarium  1  et  VIS.  206. 


Juppiter  SUtortnPa{d<to(Re8t  ?) 

S.  107. 
Lares  in  sacra  via  (Rest.)  8. 151. 

Quirinus  in  coUe  S.  140. 
Hercules    Musarum    in     eirco 
Flaminio  S.  224. 


Der  römische  Festkalender. 


503 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

früheren  Eaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  pablica 


fdbarici    c{ircense8) 
m{i88us)  XIIB,  391. 


Greburtetag  der  Galeria 
S.  879  A.  5. 


Lndi  piscatorii  S.  184. 


ludi  in  Minicia  S.  892 

A.3. 


Vesta  aperit  S.  143. 
Vestalia 


Matralia 


Adoption  des  Tiberins 

S.  379. 


n{<Uali8)  Muaarum  S. 
405  A.  8. 

Vesta  cluditur  S.  143. 


Annae  saerutn  S.  880 

A.5. 


Forlis  Fortunae 


Quinquatnis      minns- 
colae  S.  204. 


504 

Jtüi 


Anhang  I. 


1 
Datum 


1 
2 
3 


5 
6 


81 


Tagescharakter 


N 
N 
N 


(N)[hP] 


N 


7 

N 

8 

N 

9 

N 

10 

C 

11 

C 

12 

CM 

13 

c 

14 

c 

15 

hp 

16 

F 

17 

c 

18 

c 

19 

hp 

20 

c 

21 

hp 

22 

c 

23 

tp 

24 

N 

25 

hP 

26 

c 

27 

c 

28 

c 

29 

c 

30 

c 

Feriae  publicae 
ältester  Ordnung 


Poplifugia  S.  102 


Nonae  Caprotinae  S.  118 


Feriae  Jovi  S.  101 


Lncaria  S.  250 


Lncaria  S.  250 

•  •  •  • 

Neptunalia  S.  250 
Furrinaiia  S.  193 


Natales  templönun 


Felicitas  in  CapUolio  S.  215  A.  3. 


Fortuna  Mnliebris  viaLatina  ad 
miliariumirS,  208 


Apollo  ad  theatrum  MareeUi  (?) 

S.  241  A.  1. 

Honos  und  Yirtus  ante  portam 
Capenam  8.  136. 


Neptnnus    ad    eireum   Flami 

nium  (?)  S.  251 


Fortuna  hniusce  diei  in  eampo 

S.  211. 


Der  rOmisohe  Festkalender. 


505 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

froheren  Kaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


Rückkehr  desAugustus 
aus  Spanien  und  Gal 
lien  (Constitution  der 
Ära  Pacis  Augustae) 
S.  277.  378. 


FugatoLicinio  eitreen- 

ses)  m(i88U8)XXini 

S.  391  A.  3. 


Ludi  ApoUinares 

S.  241.  387. 

Ludi  , 

Ludi  „ 

Ludi  , 

Ludi  , 

Ludi  ^ 
Ludi 


'Ludi 


Geburtstagsfeier  Cae- 
sars S.  285.  378. 


Ludi   Victoriae    Cae- 
sarisS.  128.238.388. 
Ludi 


Ludi 
Ludi 

Ludi 
Ludi 


Ludi 
♦Ludi 


♦Ludi 
♦Ludi 
♦Ludi 


II 


II 


II 
II 


II 


I» 


ludi  ApoUinares 
ludi 

ludi 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 

ApoUinares-ciircenses) 
m{is8U8)  XXIIII 

ludiFraneieiB.^nAA. 

ludi 

ludi 

adventus   D(ivi)  eiir- 
censes)      tn(is8U8) 
XX////S.391  A.  3. 

ludi  votivi  S.  391. 

Franeici      ciircenses) 
m(is8U8)  XXIIII 

adventus  Divi  ciircen- 
ses) m(U8Us)XXIIII 

ludi 

Neptunalici 


n(atali8)    D{itfi)    Can- 

stantini    e{ircefi8e8) 

m{i88U8)  XXIIII 

ludi  votivi  S.  391. 

vietiorias)  Sarmaticas 
ciircenses)  m{issus) 
XXIIII  S.  891  A.  8. 


vict{orias)  Marcoman- 

nas  e(ireenses)  m{iS' 

sus)  XXIIII  S.  391 

A.  3. 


Consus  S.  167. 
Vitnlatio  S.  371  A.  5. 


Transvectio 


equitum 
S.  216  f. 


32 


*« 


506 


Anhang  I. 


August 


1 
Datam 


Tagescharakter 


Feriae  pnblicae 
ftltester  Ordnung 


Natales  templorum 


3 
4 


6 

7 


8 
9 

10 


11 
12 


13 


14 

F 

15 

C 

16 

C 

17 

N> 

18 

C 

19 

hP 

20 

c 

21 

hp 

22 

EN 

23 

hP 

F[hP] 


(F)  [hP] 

C 
C 


F[hP] 


F[hP] 
C 


C 

F[hP] 

C[hP] 


C 

c 


hp 


Feriae  Jovi  S.  101 


rortunalia  S.  99 


•  • 


VinalJa  (rustica)  S.  101 


Consualia  S.  167 
Volcanalia  8.  184 


Victoria  in  Palatio  S.  128. 
Victoria  Virgo  tu  Po/a^ioS.  128.^ 
Spes  in  foro  holitorio  S.  274. 
Mar8Ultorti»/broiltf^iMftS.133. 


Salos  tu  eolle  Quirinali  S.  122. 


Sol  Indiges  in  coüe    Quirinaii 

S.  262. 


Hercules  Invictus    ad    eircum 

mcucimum  S.  223. 

Venus  Victrix,  Honos  und  Virtoa, 

Felicitas  in  theatro  marmoreo 

8.  186.  215  A.  2.  237. 

Diana  in  Aventino  S.  201 

Vortumnus  in  Aventino  S.  233. 

Hercules  Invictus    ad    portam 

Trigeminam  8.  223. 

Gastor    und    PoUux    in    circa 

FlaminioS.  218. 
Flora    ad    cireutn    maximum 

(Rest.)  8.  168. 


Portunus  ad  ponUm  Aemilium 

S.99. 
Janus  ad  theatrumMar€elli8.94, 
Divus  Julius  ad  forum  8.  285. 
Venus  in  luco  Libitinae  8.  235. 
Venus    ad    cireutn    maximun^ 

8.  235. 

Consus  in  Aventino  8.  167. 

Volcanus  in  cireo  Flaminio  S.  1 85 


')  Bezeugt  durch  das  neu  gefundene  Bruchstück  der  Fasti  Praenestini  Notiz,  d.  scavi 
1897,41  Victoriae,  Vietoriae  Virgini  in  Palatio,  Spei  in  foro  holitorio  u.8.w. 


Dor  rOmlBoho  Festkalender. 


507 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

früheren  Kaiserzeit 


7  8 

Feriae  und  Spiele  Sonstige 

des  4.  Jahrhunderts        Sacrificia  publica 


*Ludi  Martiales  S.  889. 


od  de8AntoniasS.878. 
Qeburtstag  des  Clau- 
dius S.  379  A.  5. 

Siege  Caesars  in  Spa- 
nien u.  bei  ZelaS.878. 


Feriae  unbekannterBe 
deutung  S.  878  A.  4. 


Schlacht  bei  Pharsalus 
S.  878. 

Constitution  der  arae 
Opis  et  Cereris  in 
vico  iugario  S.  169. 
247.  379. 


n(atal%8)  Divi  Perti- 
naeis  e{ircenses) 
m{i88ua)  XXIIII 


vict(<>ria)  aenati  e{ir- 
censes)    m{is8U3) 
XXJ///8.891A.8. 
nißtdlis)  SalutU 
e{ircense8)  m{is8us) 
XXIIII 

n{€Ualis)  Constantii 
e(ireenses)  m{i88ua) 
XXIIII 
ludi  votivi  S.  891. 


Lychnüpsia  S.  380. 


n{qtalis)  Dianes  S.  405 

A.  8. 


Tibei'inalia  S.  880  A.4. 


Vufeanaliei  c(ireense8) 
m{is8U8)  XXIIII 


Volcanus,    Nymphae, 

Ops  Opifera,  Quirinus 

S.  185. 


508 


Anhang  I. 


1 

Datum 

2 
Tagescharakter 

8 

Feriae  publicae 

iütester  Ordnimg 

4 
Natales  templomm 

24 

25 
26 

27 
28 

*29 

♦30 

31 

C 

hP 

c 

hp 

C[hP] 

F 
C[hPl 

OpicoDsivia  S.  168 
Voltumalia  S.  184. 

Opa  in  Capüolio  S.  168. 

Sol  und  Luna  in  cireo  maanmo 

S.  261. 

September 


1 


18 


19 


20 
21 
22 
23 


2 

F[hPl 

3 

F[hp] 

4 

C 

5 
6 

7 
8 
9 

F 
F 
C 
C 

c 

10 
11 
12 
13 

c 
c 

N 
hP 

14 

F 

15 

C 

16 
17 

C 

C[hP] 

c 
c 
c 

F[NP] 


Feriae  Jovi  S.  101 

Juppiter  Liber  in  Aventino  8. 1 06. 
Juno  Regina  in  Aventino  S.  1 16  f. 
Juppiter  Tonans    in    CapitoHo 

S.  107. 

•                 •                   •                   •                   •                     • 

Juppiter  0.  M.  in  CapUoIioS.  1 10. 

•  •         •         ji         •          . 

•  ••«•• 

•  ••*«. 
Apollo    (td  theatrum   Marcetii 

(Reat?)  S.  240. 
Mars  in  campo  S.  138. 
Neptunus  in  campo  S.  251. 

Der  rttmisohe  Pestkalender. 


50d 


5 
Spiele 


6 

Qedenktage  der 

froheren  Kaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


Weihung  der  ara  Vic- 
toriae  in  curia  S.  1 29. 

378. 


Geburtstag  des  G.  Gae- 
sar  S.  379. 


Solis   et   Lunae   c{»r- 
eenaes)  m(i8sus) 

XXIIII 


Mundus  patet  S.  189. 

Luna    in    Oraeeostasi 

S.  262.  406  A.  1. 


Ludi  Romani  S.  112. 

385. 
Ludi  „ 
Ludi  n 
Ludi  „ 
Ludi  j, 
Ludi        . 


Ludi  , 
Ludi  „ 
Ludi        , 

Ludi        „     (Epulnm 

8.  112) 

Ludi        y,   (Equorum 

probatio  S.  385). 

*Ludi  Romani. 

♦Ludi 
•Ludi 

♦Ludi 


Tod  des  Libo  S.  379. 


Xudi 


♦Ludi  (Augustales) 

S.  389. 


Schlacht    bei  Actium 

S.  378. 

Sieg  aber  S.  Pompejus 

S.  378.  359. 


Gonsecration  des  Au- 
gustus  S.  379. 


Geburtstag  des  Aogu^ 
stus  S.  878  A.  5. 


niaialia)    Aureliani 
c{ircen8es)   m^issus) 
XXIIII 

n(at(üis)  Asclepi  S.  255 . 
ludi  Bomanarum 
ludi 

ludi 

Ramaniani  e{ireense8) 
m{is8U8)  XXIIII 


n(atali8)  Traiani,  tri- 
umphale8  c{ircen8e8) 
m(i88U8)  XLVIII 
S.  392  A.  1.4. 
(n(Uali8)  Pii  Antonini 
e{ireen8e8)  m(i88U8) 
XXIIII 
ludi  triumphale8 
ludi 
ludi 

n(alali8)  Divi  Augusti 

c(ircen8e8)   w{i88U8) 

XXIIII 


StÖ 


Atahang  I. 


1 

Datum 

2 
Tagescharakier 

3 

Feriae  pnblicae 

mtesier  Ordnung 

4 
Natales  temploram 

24 

25 
26 

27 

28 

♦29 

80 

C[N>] 
C 

c 
c 

c 

F 

c 

Venas  Genitrix  tu  faro  Caesaris 

8.  288. 

Oktober 

1 

N 

2 
3 

F 
C 

4 
5 

C 

c 

6 

7 

c 

F 

8 
9 

F 
C 

10 

11 

12 


13 


hP 
C[hP] 


hP 


14 

EN 

15 

hP 

16 

F 

17 

C 

18 

C 

19 

hP 

20 

c 

21 

c 

22 

c 

23 

c 

24 

c 

25 

c 

Tigillum  Bororium  S.  92 


Meditrinalia  S.  101 


FoDtinalia  S.  182 


Feriae  Jovi  S.  101 
Equus  October  S.  131  . 


ArmilaBtrium  S.  131.  481 


Fides  in  CapUolio  S.  123 


Juppiter  Fulgnr  in  campo  8. 107. 
Juno  OnritiB  tu  eampo  S.  117. 

Apollo  in  Palatio  8.  242. 


Föns  extra  partam  Fontinalem 

8.  182. 


Janua    ad    theatrum    Mareelti 

(Rest.)  8.  94. 


Der  rOmisoiie  Festkalender. 


511 


5 
Spiele 


6 

Qedenktage  der 

frAheren  Kaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  Jahrhunderts 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


Geburtstag  des  Augu- 
stns  8.  878  A  5. 


profeetio  Divi  ciircen- 

ses)  m(U9us)  XXHII 

S.  391  A.  3. 

ludi  fatale8B.2lS  AA. 
ludi 


Ludi  Divi  Augusti  et 
Fortunae    Reducis 
S.  212.  388. 
Ludi    , 
Ludi    . 


Ludi  y, 

Ludi  , 

Ludi  j, 

Ludi  . 


» 


Ludi 

Ludi 
♦Ludi 


* 

9 


II 


Ludi  Capitolini  S.  1 12. 


Augustalia  (Rückkehr 
des  Augustus  aus 
dem  Orient,  Con- 
stitutionder  Ära  For- 
tunaeReducis)S.2 1 2. 

378. 


n(atalis)       AJtxandri 

e(ircense8)   m{is8u$) 

XXIIII 


ludi  AlamanniciS,Z9l 

A.  4. 
ludi 
ludi 

ludi 
ludi 


Jejunium  Cereris  S.246. 
Mundus  patet  S.  189. 


Älaman  nici  c{ircense8) 
m(iS8us)  XXIIII 

Augu8tale8  c{ircen8e8) 
ni(i88U8)  XXIIII 


ludi    lovi    Liberatari 

S.  891. 
ludi 
ludi  equus  adnixa8fit 

ludi 
ludi 

lovi  lAberatori  ciircen- 
8e8)  m{i88U8)  XXIIII 
ludi  8oli8  S.  307  A.  8. 
ludi 
ludi 

Soli8  c{ireen8e8)  fft(i«- 
8U8)  XXXVI 


Qenius  publicus,  Fau- 
sta  Felicitas,  Venus 
VictrixS.157.215A. 
3.  236A.6.406A.1. 


512 


Ashftng  I. 


1 

Datum 

2 

Tageschar  ak  her 

3 

Feriae  pablicae 

ftliester  Ordnung 

4 
Natales  templorom 

26 

27 

28 
29 

30 
31 

C 
C 

c 
c 

c 
c 

November 


1 


17 


2 
.3 
4 

F 
C 
C 

5 
6 

F  [(hP)] 

7 
8 

C 
C 

9 
10 
11 
12 
13 

c 
c 
c 
c 

hp 

14 

F 

15 
16 

C  [(hP)] 

18 

C 

19 

C 

20 

c 

21 

c 

22 

c 

23 

c 

24 

c 

25 

c 

26 

c 

27 

c 

28 

c 

♦29 

F 

30 

c 

Feriae  Jovi  8.  101 


Feronia  in  eampo  S.  231   . 
Fortuna  Primigenia  in  coU€S,2 10 


Der  rttmiaohe  Featkaleader. 


513 


5 

6 

7 

8 

Spiele 

Gedenktage  der 

Feriae  und  Spiele 

Sonstige 

froheren  Kaiserzeit 

des  4.  Jahrhundert» 

Sacrificia  publica 

Ludi  Victoriae  Snlla- 

nae  S.  128.  388. 

Ludi        ,         , 

^ 

Ludi        ,         a 

•                •                •                • 

Isia  S.  294. 

Ludi    Victoriae    Snl- 

■                •                •                • 

cidventus  Divi  cUrcen- 

lanae. 

8es)fn{is8us)XXlIII 
S.  391  A.  3.      I»ia 

Ludi          ,          , 

•                •                •                • 

ludi  votivi  B,S9l.  Isia 

Ludi          ,          , 

•                •         •       •                • 

ludi                       Isia 

Ludi 


Ludi  plebei    S.  112. 

386. 
Ludi      , 
Ludi 


Ludi 
Ludi 


Ludi      , 

Ludi      , 

Ludi      , 

Ludi      , 

Ludi      ,     (Epulum 
S.  112.386). 

Ludi       ,     (Equorum 
probatio  S.  386). 
*Ludi  plebei 
♦Ludi     , 

♦Ludi     . 


Geburtstag  der  jün- 
geren Agrippina  S. 
379  A.  5. 


Geburtstag  des  Tibe- 
rius  S.  379  A  5. 


ex  8e  ncUo  c{ireense8) 
tn{i8SU8)  XXIIII 
S.  294.  Isia 

ter  novena  S.  294. 

Hüaria  S.  294. 


n{<Ualis)Nervas  et  Con- 
stantii   c{ircen8e8) 
m{is8U8)  XLVIII 
S.  392  A.  4. 

ludi  votivi  S.  391. 


ludi  plebei 
lovis  epulum  c{ircen8es) 
miissus)  XXX 
ludi 

ludi 

plebei  ciircenses)  miis- 
sus) XXUIl 
n(atalis)      Vespasiani 
e{ircen8es)  m(i88us) 
XXIIII 


Bruma  S.  875  A.  6. 
ludi  Sarmatici  S.  891 

A.4. 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 
ludi 


Mundus  patet  S.  189. 


Handbuch  der  Umb.  AltertmnBWteenMhaft.   Y,  4. 


38 


514 

Dezember 


Anhang  I. 


1 
Datum 


1 


Tagescharakter 


2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 

10 
11 
12 

18 

U 
15 


16 
17 
18 

19 
20 
21 

22 

23 

24 

25 


26 

27 

♦23 

♦29 

30 


N 


N 
N 
C 
F 
F 
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c 

EN 
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F 


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c 

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c 


c 
c 

F 
F 

c 


8 

Feriae  pnblicae 
ältester  Ordnung 


Agoniiun  S.  372   . 


Feriae  Jovi  S.  101 


Consualia  S.  167  . 

Satamaiia  S.  169 
•        •        •        • 

Opalia  S.  168. 

Divalia  8.  193 


Feriae  Jovi  S.  101 
Larentalia  S.  188. 


Natales  temploram 


Neptonus  ad  cireum  FUtminium 

^  S.  251. 

Pietas   ad   cireum  Flaminium 

S.  274. 


Tiberinas  in  insuHa  8.  184 

Gonsns  in  Aventino{BAei.)  S.  167. 
Tellns  in  CaHnia  8. 162   . 


Satamos  ad  forum  8.  169. 


Ops  (Opifera?)  ad  forum  S.  168. 


Lares    Permarini    in    porticu 

Minueia  S.  150. 


Sol  Invictus  in  campo  A^rip- 

pae  8.  806. 


31 


Der  rOmisohe  Festkalender. 


515 


5 
Spiele 


6 

Gedenktage  der 

froheren  Eaiserzeit 


Feriae  und  Spiele 
des  4.  JahrhundertB 


8 

Sonstige 

Sacrificia  publica 


•  • 


Weihung  der  Ära  For- 
tuna Reducis  S.  212. 

878. 


Sarmatiei    e{ircen8e8) 
m(is8us)  XXIIII 


initium  munerisB.SdS. 

munu8  area 
munus  arca 
munus  arca 

munu8  kandida 


Septimontiä  S.  872. 
ludi  Lancioniei  S.  391 

A.  4. 
ludi 

ludi 

n{atalis)    Divi     Veri 
c{ireen8es)  m{i88U8) 
XXIIII 
ludi 

Itidi  Saturnalia 
Lancioniei  c(ircen8es) 
m{is8us)  XXIIII 
munus  arca 
munua  kandida 
munus  arca    . 


munus  arca 


munus  c<msummat(ur) 

n(atälis)  Invicti   edr- 

censes)  m{is8U8)  XXX 

S.  807. 


n{atalis)     Divi      TUi 

c{ircense8)  m{issu8) 

XXIIII 


Lectisteminm  Cereris 
S.  246.*) 


Hercules  und    Geres 
S.  229.  246. 


*)  Oben  S.  246  ist  zu  lesen  ,am  18.  Dezember*  statt  «am  18.  September*. 

83* 


Anhang  n. 


Die  römischen  Staatstempel. 

Vorbemerkang.  Aufgenommen  sind  unier  Ausschluss  der  fana  ftltester  Ordnung 
und  der  privaten  Eultstätten  nur  solche  Tempel,  deren  Charakter  als  aedea  publica  mit 
Sicherheit  oder  doch  grosser  Wahrscheinlichkeit  festgestellt  werden  konnte.  Die  Grenze 
war  oft  schwer  zu  ziehen,  nameDtlich  in  der  Eaiserzeit,  wo  es  für  ein  Hauptbeweismittel, 
die  Aufnidime  des  Stiftungstages  in  den  Kalender,  an  Ueberlieferung  fehlt;  insbesondere 
ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  cDtscheiden,  inwieweit  die  von  den  Kaisern  in  solo  prioato  er- 
richteten Heiligtümer  als  Staatstempel  zu  gelten  haben. 

Die  Anordnung  ist  eine  chronologische  nach  den  Stiftungsjahren;  war  das  Jahr  der 
Dedication  nicht  tiberliefert,  so  ist  dafiir  das  der  Gelobung  unter  Beifügung  eines  *  ein- 
gesetzt. Diejenigen  Tempel,  deren  Grflndungsjahr  nicht  bekannt  ist,  die  aber  bei  Liv.  y^T 
bis  XLV  beiläufig  erwähnt  werden,  sind  mit  Ausnahme  einiger  nachweislich  älteren  als 
Gründungen  der  in  Livius  zweiter  Dekade  behandelten  Zeit  zugewiesen  worden,  ebenso 
einige  andere  Tempel  unbekannten  Stiftungsjahres,  bei  denen  der  Charakter  der  yerehrten 
Gottheit  eine  Ansetzung  in  dieser  Periode  zu  empfehlen  schien. 

Das  Datum  des  Stiftungstages  ist  in  Klammern  gesetzt,  wenn  es  nicht  das  der  ur- 
sprünglichen Dedication  ist;  auf  die  späteren  Restaurationen  der  Tempel  ist  keine  Rück- 
sicht genommen.   Im  allgemeinen  s.  zur  Erläuterung  der  Tafel  die  Darlegungen  oben  §  65. 


- 1 J 

§,•§-3 

245  = 
257  = 
259  = 
261  = 
270  = 
288  = 
823  = 
358  = 
362  = 
366  = 
379  = 
♦387  = 
410  = 


00 
g     I 

9 'S 


g  s 

03 

=  509 
=  497 
=  495 
:  493 
=  484 
=  466 
:  431 
=  396 
=  392 
■  388 
=  375 
367 
=  344 


13.  Aug.,  Diana  in  Aventino,  S.  201. 
11.  Juni,  Fortuna  in  foro  boario,  S.  207. 
6.  Juli,  Fortuna  Muliebris  viaLatinä  ad  tniliarium  IV,  S.  208. 
24.  Juni,  Fors  Fortuna  trans  Tiberim  ad  müiarium  /,  S.  206. 
19.  März,  Minerva  in  Aventino,  S.  203. 
13.  Sept.,  Juppiter  0.  M.  in  Capitolio,  S.  110. 
17.  Dez.,  Saturnus  ad  forum,  S.  169. 
15.  Mai,  Mercurius  ad  circum  maximum,  S.  248  f. 
19.  April,  Ceres  Liber  Libera  ad  circum  maximum,  S.243f.  247. 
27.  Jan.,  Castor  ad  forum,  S.  216  f. 
5.  Juni,  Dius  Fidius  in  colle,  S.  120. 
13.  Juli  (?),  Apollo  ad  theatrum  Marcdli,  S.  240  f. 
11.  Juni,  Mater  Matuta  in  foro  boario,  S.  98. 
1.  Sept.,  Juno  Regina  in  Aventino,  S.  116  f. 
1.  Juni,  Mars  extra  portam  Capenam,  S.  133  f. 
1.  März,  Juno  Lucina  Esquiliis,  S.  116. 
(16.  Jan.),  Concordia  ad  forum,  S.  272. 
1.  Juni,  Juno  Moneta  in  arce,  S.  116. 


Anhang  ü.    Die  rOmisohen  Staatstempel. 


517 


302,  5.  Aug.,  Salus  in  colle  Quirinali,  S.  122. 

296,  8.  Juni,  Bellona  in  circo  Flaminio,  S.  137. 

295,  13.  Aprü  (?),  Juppiter  Victor  {in  coUe  ?),  S.  108. 

295,  19.  Aug.,  Venus  ad  circum  mctximum,  S.  235. 

294,  1.  Aug.,  Victoria  in  Palatio,  S.  128. 

294,  13.  Jan.  (?),  Juppiter  Stator  in  Palatio,  S.  107  f. 

293,  29.  Juni,  Quirinus  in  coUe,  S.  140. 

293,  24.  Juni,  Fors  Fortuna  trans  Tiberim  ad  miliarium  VI,  S.  206. 

291,  1.  Jan.,  Aesculapius  in  insula,  S.  254. 

278,  20.  Juni,  Summanus  ad  circum  maximum,  S.  124. 

272,  21.  Aug.,  Consus  in  Aventino,  S.  167. 

268,  13.  Dez.,  Tellus  in  Carinis,  S.  162. 

267,  21.  April  (?),  Pales  (Lage  unbekannt),  S.  165. 

264,  13.  Aug.,  Vortumnus  in  Aventino,  S.  233. 

260,  17.  Aug.,  Janus  ad  theatrutn  MarceUi,  S.  94. 

259,  1.  Juni,  Tempestates  ad  portam  Capenam^  S.  252. 

258,  1.  Aug.,  Spes  in  foro  holitorio,  S.  274. 

254  (oder  504  =  250),  1.  Okt.,  Fides  in  Capitolio,  S.  123. 

241  (?),  7.  Okt.,  Juno  Curitis  in  campo,  S.  117. 

241,  11.  Jan.,  Jutuma  in  campo,  S.  183. 

238,  28.  April,  Flora  ad  circum  maximum,  S.  163. 

233,     .     .     .     Honos  ante  portam  Capenam,  S.  135. 

231,  13.  Okt.,  Föns  extra  portam  Fontinalem,  S.  182. 

13.  April,  Libertas  in  Aventino,  S.  126. 
4.  Juni,  Hercules  Magnus  Gustos  in  circo  Flaminio,   S.  224. 

13.  Nov.,  Feronia  in  campo,  S.  231. 

23.  Aug.,  Volcanus  in  circo  Flaminio,  S.  185. 

23.  Juli  (?),  Neptunus  ad  circum  Flaminium,  S.  251. 

25.  Aug.,  Ops  in  Capitolio,  S.  168. 

31.  März,  Luna  in  Aventino,  S.  262. 

Di  penates  in  Velia,  S.  147. 
1.  Mai,  Lares  in  sacra  via,  S.  151. 

19.  Aug.,  Venus  in  luco  Libitinae,  S.  235. 

12.  Aug.,  Hercules  Invictus  ad  circum  maximum,  S.  223. 

13.  Aug.,  Hercules  Invictus  ad  portam  Trigeminam,  S.  223. 

12.  Aug.,  Castor  et  PoUux  in  circo  Flaminio,  S.  218. 
28.  Aug.,  Sol  et  Luna  ad  circum  maximum,  S.  261. 
(1.  Sept.),  Juppiter  Liber  in  Aventino,  S.  106. 

7.  Okt.,  Juppiter  Fulgur  in  campo,  S.  107. 
17.  Aug.,  Portunus  ad  pontem  Aemilium,  S.  99. 

8.  Dez.,  Tiberinus  in  insula,  S.  184. 

13.  Juni,  Juppiter  Invictus  (Victor  ?)  in  Palatio  (?),  S.  108. 

538  =  216,  5.  Febr.,  Concordia  in  arce,  S.  272. 

539  =  215*)  8.  Juni,  Mens  in  Capüolio,  S.  259. 

539  =  215,     .     .     .     Venus  Erucina  in  Capitolio,  S.  236. 


452 

*458 

♦459- 

♦459 

460 
♦460 

461 
*461 

463 
*476 
*482 
*486 
♦487 
*490 
*494 
*495 
*496 

500 

513 
♦513 

516 
*521 
*523 

CO 
(M 


II 


CX) 
(M 

II 

CO 


N 

c 

CO 
N 


O 
OD 


CD 
(M 

II 

CO 
CO 


CO 
<M 

II 


CO 


*)  Oben  S.  259  ist  zu  lesen  «zwei  Jahre  später **  statt  «im  folgenden  Jahre*. 


518 


Anhang  II. 


560  =  194 
560  =  194 
560  =  194 

560  =  194 

561  =  193 

562  =  192 

563  =  191 
563  =  191 

*565  =  189 
573  =  181 
573  =  181 
575  =  179 
575  =  179 
575  =  179 
581  =  173 
*586  =  168 
♦603  =  151 
608  =  146 
616  =  138 


549  =  205,  (15.  Juli),  Honos  et  Virtus   ante  portam  Capenam  (vgl.  oben 

zum  J.  521  =  233),  S.  135  f. 
1.  Jan.,  Vediovis  in  insula,  S.  191. 
1.  Febr.,  Juno  Sospita  ad  forum  holüorium,  S.  117. 
13.  Febr.,  Faunus  in  insula,  S.  174. 
25.  Mai,  Fortuna  p.  p.  B.  Q.  Primigenia  in  coüe,  S.  210. 
1.  Aug.,  Victoria  Virgo  in  Palatio,  S.  128,  vgl.  S.  506. 
7.  März,  Vediovis  inter  duos  lucos,  S.  191. 
10.  April,  Magna  Mater  in  Palätio,  S.  263. 

.     .     .    Juventas  ad  circum  nuucimum,  S.  126. 
30.  Juni,  Hercules  Musarum  in  circo  Flaminio,  S.  224. 
23.  AprU,  Venus  Erucina  ad  portam  Coüinam,  S.  236. 

.     .     .    Pietas  in  foro  holitorio,  S.  274. 

22.  Dez.,  Lares  Permarini  in  porticu  Minucia,  S.  150. 
.    Diana  ad  circum  Flaminium,  S.  202. 
.    Inno  Regina  ad  circum  Flaminium,  S.  116. 

Fortuna  Equestris  ad  theatrum  lapideum,  S.  211. 
Fortuna  huiusee  diei  in  Palatio,  S.  211. 
.     Pelicitas  in  Velabro,  S.  215. 

Juppiter  Stator  in  circo  Flaminio,  S.  108. 

23.  Sept.,  Mars  in  campo,  S.  133. 

vor  631  =  123,  1.  Mai,  Bona  Dea  sub  saxo,  S.  178. 

zwischen  631  =  123  und  640  =  114  (?),  19.  Dez.,  Ops  (Opifera  ?)  ad  forum, 

S.  168. 

640  =  114,  1.  April,  Venus  Verticordia  (Lage  unbekannt),  S.  236  f. 

653  =  101,  30.  Juli,  Fortuna  huiusee  diei  in  campo,  S.  211. 
kurz  nach  653  =  101,     .     .     .    Honos  et  Virtus  (Lage  unbekannt),  S.  136. 
vor  663  =  91,  1.  Dez.,  Pietas  ad  circum  Flaminium,  S.  275. 
vor  696  =  58     .     .     .    Nymphae  in  campo,  S.  182  A.  12.*) 

699  =  55,  12.  Aug.,  Venus  Victrix,  Honos  et  Virtus,  Felicitas  in  theatro 

marmoreo,  S.  237.  136.  215. 

708  =  46,  26.  Sept.,  Venus  Genitrix  in  foro  Caeaaris,  S.  238. 

725  =  29,  18.  Aug.,  Divus  Julius  ad  forum,  S.  285. 

726  =  28,  9.  Okt.,  Apollo  in  Palatio,  S.  242. 
729  =  25,  23.  Sept.,  Neptunus  in  campo,  S.  251. 

732  =  22,  1.  Sept.,  Juppiter  Tonans  in  Capüolio,  S.  107. 
747  ==    7,  11.  Juni,  Concordia  in  porticu  Liviae,  S.  272. 
752  =    2,  1.  Aug.,  Mars  ültor  in  foro  Äugusti,  S.  133. 

5.  April,  Fortuna  Publica  Giterior  in  coUe,  S.  210. 

13.  Nov.,  Fortuna  Primigenia  in  coUe,  S.  210. 
9.  Aug.,  Sol  Indiges  in  colle  Quirinali,  S.  262. 
1.  Juli,  Felicitas  in  Capiiolio,  S.  215  A.  3. 

14.  Mai,  Mars  Invictus  (Lage  unbekannt),  S.  500. 
Bonus  Eventus  in  campo,  S.  216. 


Sog 

'S» 


*)  Erw&hnt  Fast.  Arval.  z.  23.  August  (S.  185),  von  Clodius  in  seinem  Tribunat  nieder- 
gebrannt, Cic.  parad.  IV  31;  pro  Mil.  73,  vgl.  de  bar.  resp.  57;  pro  Gael.  78;  von  Moioisbn 
CIL  I '  p.  826  fOr  identisch  gebalten  mit  der  aedes  lutumcLe  in  campo  (S.  188). 


Die  rOmisohen  Staatstempel.  519 

37  n.  Chr., Divus  Augustus  in  Palatio,  S.  286  A.  5. 

unter  Caligula, Isis  in  campo,  S.  294  f. 

unter  Vespasian,       ....     Divus  Claudius  in  Caelio,   S.  286  A.  5. 

75  n.  Chr.,       Pax  in  foro  Pacis,  S.  278. 

unter  Domitian, Divi  Vespasianus  et  Titus   (ul  forum, 

S.  286  A.  5. 

9  9  Minerva  in  Palatio,  S.  205. 

98  n.  Chr.,       Minerva  in  foro  transüorio,  S.  205. 

unter  Trajan,               1.  Jan.,  Fortuna  (Lage  unbekannt),  S.  211  A.  5. 
unter  Hadrian, Divus  Trajanus  in  foro  Traiani,  S.  286 

128  n.  Chr.,  21.  April,  Venus  et  Roma  ad  sacram  viam,  S.  283. 

vor  145  n.  Chr., Divi  in  Palatio,  S.  288. 

unter  Pius, Divus  Hadrianus  in  campo,  S.  286  A.  5. 

unter  Marcus, Divus  Antoninus  (et  Diva  Faustina)  ad 

sacram  viam,  S.  286  A.  5. 

vor  180  n.Chr., Juppiter  Propugnator  »n  Po^to^  S.  108. 

unter  Commodus,       ....     Divus  Marcus  in  campo,  S.  286  A.  5. 
unter  Septimius  Severus,     .     .     .    Bellona  Pulvinensis  (Lage  unbekannt), 

S.  291. 
»  „  ,  ...     Juppiter  Dolichenus  in  Aventino,  S.  302. 

unter  Caracalla,       ....     Serapis  in  coUe  Quirinali,  S.  296. 

unter  Elagabal, Sol  Invictus  Elagabal  in  Palatio  (und 

ad  Spem  veterem),  S.  306. 
unter  Alexander  Severus,     .     .     .     Dea  Suria  trans  Tiberim,  S.  301. 

vor  259, Dea  Caelestis  in  arce,  S.  313. 

274,  25.  Dez.,  Sol  Invictus  in  campo  Agrippae,  S.  306. 


Register. 


I.  Namen-  und  Sachregister. 


Abstrakta  48  f.  241  ff. 
AbuDdaDtia  276. 
Acca  Larentina  188.  280. 
Acta  fratram  Aryalinm  6.  78  f. 

?85.    288.    827.  828.  849. 

379  f.  486  f. 
ctditicUea  cenae  421. 
Adolenda  832  A.  2. 
Adonis  300. 

Adoption  387.  440  A.  7. 
Aeoetia  275  f. 
aedes  aacra  401. 
aedicüla  402. 
Aedüen  340  f.  885  f.  388.  407 

A.  7. 
Aedituus  407. 
Aegina  816. 

Aegyptische  Kulte  292  ff. 
Aehrenkranz  der  Arvalbrflder 

429. 
Aequitas  275  f. 
Aeracora  258  f. 
Aerarium  Satumi  169. 
Aescolanus  22  A.  2. 
Aesculapius  258  ff.  314. 
Aetemitas  (imperii)  278. 
Aetemus  (deus)  304  A.  8. 
aetemua  278  A.  5.  305. 
ager  effatus  456. 

,      Gabmus  456  A.  6. 

„     hostictM  456  A.  6. 

^     incertus  456  A.  6. 

,     Italicus  344. 

,     peregrinti^  456  A.  6. 

,      Romanus  456. 
Aglibolus  308. 
Agon  Albanus  897  A.  4. 

,      Capitolinus    118  A.  6. 

396. 

,      Minervae  205.  397. 

,      Solis  307.  397. 
Agones  396  f. 
Agonium  26.  91.  190.  872. 
Agonium  Martiale  131. 


(Die  Zahlen  bedenten  die  Seitenzahlen.) 

Agonus  480  A.  8. 

Abtue  129. 

Aion  311. 

Aithex  95. 

Ajus  Locutius  49. 

ALrostichis  465  A.  6.  466. 

"Jxiia  396  A.  8. 

Alba  longa  35.  109.  129.  142 

A.   1.   146.  448.  480  A.  2 

und  5. 
Albanus  mons  35.  109  f.  116 

A.  3.  448  A.  8. 
Albionae  197. 
albogalerus  428  A.  8. 
Albsis  pater  183  A.  10. 
Albula  184. 
Albunea  468  A.  2. 
Albumus  40  A.  2. 
Alexander  Severus  82.   898. 

474. 
Alexandrini  di  293  A.  6. 
Algidus  199  A.  1.   209.   468 

A.  6. 
alienatio  sacrorum  337  A.  7. 
alio  die  458  A.  8. 
alites  457  A.  3. 
Almo  264. 
Altäre  400.  401. 
Altor  159  A.  4. 
Alna  171  A.  5. 
Ambarvalia  130.  486. 
J.  A.  Ambrosch  11. 
Amburbium  130.  369  A.  8. 
Amicitia  280. 
amiculum  lunonis  119. 
Ammon  314. 
Ammudates  305  A.  10. 
Amphitheater  398  A.  7. 
Amtsantritt  der  Priester  420. 
Amtsniederlegung  der  Priester 

424.  439. 
Anagnia  199  A.  1.  480  A.  2. 
Anagtia  44  A.  2. 
Anahlta  268. 


Ancharia  44  A.  5. 
ancilia  181.  430.  481. 
andUarum  feriae  118. 
ancües  44  A.  2. 
anctdi,  anculae  19. 
Angerona  193  f.  281. 
Angeronalia  193  f.  445  A.  1. 
Angitia  44. 

animales  hostiae  353  A.  4. 
Anna  Perenna  134.  194. 
Annales  maximi  326  f. 
Annona  247. 
Antevorta  181. 
Antinous  299. 
antistes  309  A.  8.  414. 
Antium  209.   211  A.  8.   287. 

489. 
Antrittsgelder  348.  421.  427. 
Anubiaci  298. 
Anubis  297.  299. 
Apex  429.  481. 
Apollo  45.  289  ff.  467. 

,       Belenus  242. 

,       Grannus  242. 

,       Medicus  240. 

.       Palatinus  67  f.  242. 
Soranus  191.  232. 
und  Diana   201.   240. 

242. 
,    Vejovis  191.  241 ! 
Apotheke  178. 
Apparitores  der  Priester  427. 

459.  474. 
Aprilis  235. 
aqua  iugis  179. 
Aquae  Sulis  206. 
Aquaelicium  106.  445  A.  8. 
aquatües  di  252  A.  10. 
aquatores  183. 
Aquileja  233.  242. 
Ära  maxima  221  ff. 

,  Pacis  277. 
arae  401.  406. 
Arbor  intrat  266. 


I.  Namen*  und  Sachregister. 


521 


arca  pantificum  348,  410. 

„    virgmumVeatalium^S, 
arcariua  427  A.  1. 
Archibucolos  dei  Liberi  816. 
ArchigaUuB  265.  269. 
Ardea  43.  114.  235.  468.  A.  6. 
Arduinna  202. 

Argei  54.  230.  341.  355.  445. 
Argentinas  22  A.  2. 
Arioia34.  114.  129.  199.480 

A.  2. 
Arimanius  311  A.  4. 
arma  ancilia  movent  481. 
armatura  393  A  5. 
Armilostriam   131.  382.  445 

A.  4.  481. 
Arrogation  337.  440. 
artificum  dies  204. 
Arvalbrflder  130. 161. 340  A.  3. 

485  ff. 
Arx  453  A.  2.  477  A.  2. 
Asclepios  Zimidrenus  815. 
dffxtoJuaafÄOs  112.  382. 
Asylrecht  245.  405. 
Atargatis  300  f. 
Atellana  394. 
ater  dies  377. 
Athleten  893.  396. 
atrium  regium  481  A.  7. 
Atrium  Vestae  436. 
Attis  266.  270  f. 
augtnenta  852. 
augur  mcucimus  424  A.  6. 
Augaraculum  105.  452.  455. 
Auguratorium  452  A.  2.  460 

A.8. 
Augures  450  ff. 
Auguria  451  ff. 
auguria  ex  ambus  457. 

,        caelestia  452. 457  A  .2. 

,,        impetrativa      323. 

454  ff. 
ohlativa  324.  458  ff. 

^        puüaria  459. 
augurium  agere  451  A.  4. 
Augurium  canarium  163.  451 

A.  6. 
,         salutis  123.  453. 
Augostalia  212.  388. 
Augustas  66  ff.  79.  83.  284. 

464.  485.  486.  488. 
augustiM  76. 

Aurelia  gens  261.   340  A.  2. 
Aorelian  80.  83.  306  f. 
Auslieferung    durch    die  Fe- 

tiaien  478. 
Auspicia  323  f.  454  ff. 
auspicia  ex  acuminihua  454 

A.  1. 

,        peremnia  457  A.  7. 

^        privata  324  A.  1. 

,        urbana  456. 
in  auspido  esse  458  A.  6. 
aaspicio  interesse  (adesse)  456 
A.  8. 


auxüia  297  A.  5. 

aves  augurales  457  A.  3. 

^  sanquaies  131. 
axamenta  483  A.  2. 
Azizos  303. 


Ba'al  und  Ba  alath  302  ff. 
Baalbek  304. 
Ba'alchammftn  171.  314. 
Bacchanalienprocess  58.  248. 
Baiana  (dea)  265  A.  8. 
Baltis  301  A.  2. 
Balmarcodes  303. 
Bambyke  300. 
Barbarengötter  76  f. 
Bauemkalender  375. 
Beamteneid  84  A.  1.  71.  146. 

156.  285. 
Beellefarus  303. 
Begoe  463  A.  2. 
Belenus  242. 
Bellona  1 37.  289  ff. 
Bellona  Pedisequa  291. 
,        Pulvinensis  291. 
,        und  Magna  Mater  29 1 . 
,        und  Virtus  291. 
hellonarii  290. 
bellum  iustum  piumque  476 

A.  2 
Belus  303.  306. 
Berecynthia   206.   270   A.  1 

und  3. 
Berytos  303.  304. 
Bidental  107.  121.  409. 
Bigae  261.  392. 
Bittprocessionen  360. 
Blitzbeschwörung  106.  174. 
Blitzdeutung  471. 
Blitzgräber  107.  409.  472. 
Blitzsflhne  107.  121.  472. 
Blitzzeichen  459  f. 
Bohnen  189.  346.  435. 
bona  consecrata  361. 
Bona  dea  54.  177  ff.  341.  445. 
Bona  dea  caelestis  313  A.  7. 
Bona  Mens  259  f. 
Bona  Spes  273. 
Bonus  Eventus  215  f. 
B.  Borghesi  11. 
bo8  arator  132. 
Bovianum  132. 
Bovillae  191.  287.  448.  489. 
B.  Brisson  10. 
Bronton  315. 
Bruma  375  A.  6. 
Brundisium  301. 
H.  Brunn  11. 
Bubastiacae  298. 
Bubastis  299  A.  6. 
bubetii  ludi  165  A.  5. 
Bucranium  430  A.  1. 
Bücher  des  Numa  62. 
Byblos  300. 


Gabenses  448. 

Gacus,  Gaca  24  A.  1.  144  f. 

229  f. 
A.  Gaecina  470  A.  2. 
Gaeculus  186. 
Gaele^tis  268.  306.  312  ff. 
Gaelestis  und  Dea  Suria  302 

A.  2. 
de  caelo  servare  460. 
Gaelus  304  A.  9. 
Gaeninenses  448  f. 
Gaere  468  A.  6. 
Gaesar  66.  284.  378.  416. 
ccdare  440  A.  5.  447  A.  4. 
Galata  comitia  440  f. 
Galatores  427. 
Galatores  pontificum  et  flami- 

num  431  A.  7.  447. 
Gamasene  184. 
Gamenae  180. 
Gamese  95. 
camilliis,  camilla  426. 
Gampanien  243. 
Gampestres  77  A.  4. 
Gampus  Martins  130. 

,        sceleratus  437. 
canarium  sacrum  163. 
Ganens  95.  165  A.  4.  251. 
Ganistrariae  314  A.  2. 
Ganna  intrat  266. 
Gannophori  266.  267. 
Gapena  43.  232. 
Gapetus  184. 
Gapitolia  36.  113. 
Gapitolini  112.  340  A.  5. 
Gapitolinus  agon  113A.  6. 396. 
Gapitolium  33  ff.  110  ff. 
Capitolium  ascendere  1 13  A.  3. 

336  A.  2.  445  A.  3. 
Gapitolium  vetus  36  A.  2.  110. 
captio  438. 

Gapua  3.  89.  209  A.  8. 
Gara  cognatio  187. 
Garacalla  89.  296. 
Gardea  95. 
Garistia  187. 

Garraen  fratrum  Anralium  487. 
Garmen  Saliare  73.   74.  285. 

483. 
Garmentalia  181.  445  A.  1. 
Garmentis  99.  180  ff. 
carmina  32.   333  A.  2.   360. 

442. 
Garmina  Marciana  463  A.  2. 
Garna  190. 

Gamaria  190.  445  A.  1. 
carnem  petere  109. 
carpenta  181. 
Gasa  Romuli  445  A.  1. 
Gastor  und  Pollux  216  ff.  321 

A.  3. 
Castores  217  A.  7. 
castus  53.  246  A.  6. 
Gatularia  porta  163. 
Gautes,  Gautop  ates  310. 


77 


522 


L  Namen-  und  Sachregister. 


caviarea  hostiae  445  A.  1. 
Gela  162  A.  1. 
cena  aditicUis  421. 
Cereres  247. 
Geres  159  ff.  242  ff. 
Ceres  und  Heroales  229.  246. 
Ceres  über  labera  45.  243. 
Ceres  und  Magna  Mater  270 

A.  3. 
Cerfus  Martius  134.  158. 
Cerialia  159.  245. 
cema  269. 
Cerns  159. 
Chaldaei  58. 
Christentum  82  ff. 
Cimolus  468  A.  6. 
einctfM  Gabmus  352  A.  1. 
Cinxia  119. 
Circe  165.  468  A.  6. 
CircusFlaminius  386. 388. 392. 
,      maximus  383. 388.  892. 
,      privatus  390  A.  3. 
Cistophori  291. 
Civitas  127  A.  2. 
Clarigatio  325  A.  2.  478. 
Claudia  gens  287.  489. 
Claudius  266.  474. 
dementia  278. 
ClitumnuB  183. 
Cloacina  197. 
Clusivius  96. 
Coinquenda  332  A.  2. 
coUegia  340. 

,        compitalieia  151.  340 

A.  5. 
,       actcerdotum  412. 
,  ,  quattuoT 

amplissima  414. 
collegium  augurum  450. 
.  Capitolinorum  112. 

340  A.  5. 
.         mercatorum      249. 
339  A.  7.  340  A.  5. 
,        Minervae  390  A.  3. 
.         l^on^t^m  340. 430. 
,         tihidnum  204.  427. 
Coloniae  113.  319.  450  f. 
Columna  bellica  137.  479. 
Comitia  calata  440  f. 

,       pon  tificis  maximi  437 . 

440. 
,       sacerdotum  417. 
Commendation  419. 
Commentarii    sacerdotum    5. 

426  A.  5  und  6 
a  commentarüs  426  A.  5. 
Commodus  83.  308. 
Commolenda  332  A.  2. 
Compita,    Compitalia    148  f. 

335  A  2.  375. 
conceptivae  feriae  373. 
Concordia  272  f. 
condere  aaeculum  364  A.  5. 
Confarreation   104.  119.  324. 
337.  434  f.  440  A.  7.  445. 


consecratio  capitis  et  bonorum 

325  f.  330  A.  7.  361. 
Consecration   323.   341.   354 

A.  6.  399.  404.  408. 
Consentes  55. 

consüiaria  fulgura  473  A.  4. 
Constantia  279. 
Constantin  d.  Gr.  88.  289. 
Constantius  86. 
Constitution  eines  Altars  406. 
Consualia  167.  340  A.  6.  382. 

444  A.  5.  445. 
Consuln  389. 
consultatoriaehostiae  353  A.4. 

473  A.  9. 
Consus  166  f. 
Contio  428  A.  1. 
Cooptation  417  ff. 
Copia  276. 
corcLx  309. 
Comiscae  115  A.  4. 
Coronice  115  A.  4. 
Cotyttia  315  A.  7. 
creppi  172  A.  IL  485. 
Criobolium  268  A.  7. 
ctdtores  Äugusti  72. 
ctUtrarii  427. 
culuUus  444  A.  2. 
Cnmae  3.  37.  45.  220.  239. 

462.  468  A.  6. 
Cumulation  der  Priesterämter 

422  f. 
Cupra  117  A.  5. 
Cura  ludorum  341. 
Curator  munerum  ac  yenatio- 

num  397  A.  7. 
,        sacellorum   publico- 
rum  402  A.  3. 
,        templi  407  A.  6. 
Cures  129. 
Curia  Calabra  116. 

,      Saliorum    Palatinorum 

480  A.  6.   482  A.  1.   488 

A.  5. 
curialis  Herculis  229  A.  6. 
Curien  119.  142.  159. 
Curio  838  A.  3.  413  A.  2. 
cursores  393  A.  3. 
custos  otedis  407  A.  6. 
Cyria  259. 


Dalmatien    176  A.  11.   202  f. 

DamascenuB  303  f. 

Damia  177. 

damiatrix  177. 

daps  345  A.  10.  357. 

Dea  Caelestis  268.  306.  312  ff. 

Dea  Caelestis  und  Dea  Suria 

302  A.  2. 
Dea  Dia  130.  161  f.  486. 
Dea   Roma  72.  281  ff. 
Dea  Roma  und  Augustus  284. 
Dea  Sul  Minerva  206  A.  3. 
Dea  Suria  300  ff. 


Dea  Suria  und  Isis  299. 
Dea  Tacita  189. 
Deana  198  A.  6. 
Decemviri  sacris  faciundis  s. 

Quindecimviri  sacris  faci- 
undis. 
Decennalia  321. 
Decima  (Göttin)  180.  213  A.  3. 
Decreta    der    Priester    331. 

442  f.  454.  458.  471.  474. 
Decuma  (Zehnte)  220.  225  f. 

363. 
Decuriae  417.  427. 
Dedication  823.  331 A.  3. 404. 
Dedition  476  A.  1. 
Deferunda  332  A.  2. 
Delos  292.  301  A.  3. 
DelpM  462  A.  11. 
delubrum  400. 
Deluentinus  44  A.  5. 
Dendrophori  265  A.  8.  267. 
Denicales  feriae  367. 
Deposits    bei    den    Tempeln 

407  A.  5. 
Desultores  393. 
Detestatio  sacrorum  337  A.  7. 

440. 
Dens  Bronton  315. 
deus  invictus  305. 
Dens  patrius  183  A.  10. 
Deyerra  196 
Devotion  161.  190  f.  257.  322. 

330  A.  7. 
Di  aquatiles  252  A.  10. 
,   certi,  incerti,  selecti   61. 

65. 
,   consentes  55. 
,  indigetes  15  f.  37  f. 
,  inferi  187  ff. 
j,  magni  148. 
,  manes  153.  188.  190  A.  7. 

192  f. 
,  mediozimi33A.5. 188A.8. 
,  novensides  15  f.  38. 
a  parentum  187. 
,  penates  145  ff. 
Diana  34.  198  ff. 
Diana  Caelestis  313  A.  7. 

.      Nemorensis  199  f. 

,      Tifatina  200.  202. 
Diana  und  Apollo  201.   240. 

242. 

.         ,    Silvanus  202. 
Dictator  davi  figendi  causa 

864  A.  3. 
dies  Älliensis  376. 

,    ater  877. 

„    comitiedes  368. 

,    fasti  368. 

,    festi  366  A.  1  und  2. 

,    fissi  368.  372. 

y,    imperii  389  f. 

,    intercisi  368.  372. 

,    lustricus  329  A.  1. 

.    nefasti  368  f.  876. 


I.  Namen-  und  Sachregister. 


523 


dies  parenicUes  187. 

,   postriduani     369  A.   3. 

876  f. 

,    profesti  866  A.  1. 

.    rtliffiosi  131.  376  f. 

,    sanguinis  266.  291 A.  10. 

,    tintarum  ac  miMrium  162 

A.  6. 

,    violae  367  A.  5. 

,    vitiosi  876. 
Diespiter  100  A.  2. 
Diocletian  83. 
Dioskuren  216  ff. 
Diovis  und  lovis  100  A.  1. 
Dis  pater  161.  255  ff. 
Dia  pater  und  Satomos  169. 

256. 
Disciplina  279. 
Disciplina  auguralis  454. 
Etruaca  469  ff. 
Dius  =  Diovis  100  A.  2. 
Diua  Fidios  48.  120  f.  227  f. 
Diutuma  183. 
Diva  ADgerona  193. 
Diva  Rnmina  115.  195. 
Divalia  193. 
Divi  imperatores  70  ff.  284  ff. 

483.  489  f. 
divinus  305. 
Divorum  templum  288. 
Diyus  Julias  284  f. 
Doliche  302  f.  304.  305  A.  2. 
Doliola  409  A  2. 
A.  y.  Domaszewaki  11. 
Domiduca  119. 
Dreifoss  430. 
Duelona  137. 
Duodecimviri    urbis    Romae 

283. 
duonus  cerus  91.    159.   483 

A.  3. 
Duoviri  aedi  dedicandae  339. 
Duoviri    sacris    faciundia    s. 

Quindecimviri   sacris  faci- 

undis. 


ecastor,  edepol  219. 
effare  403  A.  8.  455. 
Egeria  144.  180.  200  f. 
Ehrenrechte     der     Priester 

427  ff. 
Eichenkranz  397. 
Eid  103.  121.  219.  227.  325. 

435  A.  8. 
Eüeithyia  98. 
Eingeweideschau    353.    460. 

473  f. 
Einseitigkeit     der     sacralen 

Rechtsgeschäfte  331. 
Eintrittsgelder  343.  421.  427. 
Eisen  im  Gottesdienst  30. 
Elagabal  80.  305  f. 
Eleusinische     Mysterien    78 

A.  4. 


Enna  243.  468  A.  6. 

Ennius  62. 

Enthaltsamkeit  (geschlecht- 
liche) 246.  297. 

Epheu  435. 

Epidauroa  254. 

Epikur  62. 

Epona  77.  315. 

Epulones  357.  446. 

Epulum  Jovis  111  f.  357. 385  f. 

Equirria  131.  340  A.  6.  370 
A.  2.  382  f. 

Equites  singularee  77. 

Equomm  probatio  885  f. 

equus  belleUor  132. 

Equus  October  131  f.  355  A.  8. 
382  f.  445. 

Era  259. 

Erbfähigkeit  der  Götter  342 
A.  7. 

Erine  patre  164  A.  11. 

Erulus  231  A.  3. 

Erythrae  463  A.  4. 

Eryx  236. 

Eschmun  314. 

Esel  142. 

Etrusker  36. 94. 129. 171. 203. 
233.  384.  397.  469  ff. 

Euander  181.  221.  230. 

Eugenius  88. 

Evocation  39.  821  f. 

Ezauguration  403  A.  3.  455 
A.  6. 

Ezsecratio  325. 

exta  reddere  352. 

Eztispicin  352  f.  460.  473  f. 


Fabariae  Ealendae  190. 
Fabia  gens  422  A.  4.  484. 
fabulae  394. 
facere  344  A.  8. 
Falacer  183  A.  10.  198. 
Falerii43f.  94. 114.  117.118. 

129.  208. 
famuli  divi  19. 
fana  sisiere   356  A.  1.   899 

A.  10. 
fanatums  291.  299  A.  8.  399 

A.  10. 
fanum  399  f. 
fascinum  195.  244. 
Fasten  246.  297.  363.  468. 
fasti  dies  368. 
Fasti  feriarum  Latinanun  110. 

,    sacerdotum  6.  417. 
Fata  218  f. 
Fata  scribunda  214. 
Fati,  Fatae  214  f. 
Fatum  213 
Fatuus  173  A.  8. 
Fauna  177. 
Faunus  172  ff.  483  f. 
Faunus  und  Juno  118  f. 

.         .    Picus  174. 


Faustkampf  893. 

Febris  197  f. 

februa  119.   178.   445  A.  5. 

485. 
Februus  187.  258. 
Fecunditas  279. 
Feiertagsruhe  330  A.  4.  874. 

443. 
Feige' 118. 
Felicitas  214  f. 
Felicitas  und  Salus  122  A.  9. 

215. 
,  ,    Venus  215.  237. 

Feralia  187. 
fercUia  attreeture  435. 
Feriae  17.  50  f.  56.  358.  866  f., 

s.  auch  Festkalender. 
feriae  conceptivae  873  f. 

denicales  367. 

famüiarutH  867. 

gentüiciae  367. 

imperativae  878  f. 

Latinae  85.  109  f. 

novemdiales  328.  373. 

praecidaneae  355  A.  3. 

378. 

privatae  366. 

puölicae  366.  868  ff. 

sementivae  160. 

singuhrum  867. 

stativae  373. 

Ferkelopfer     (beim     foedus) 
477  ^^  7, 

Feronia  231  ff. 

ferium  31.  847  A.  4.  485.  446 

A   5. 
festi  dies  366  A.  1. 
Festkalender  2  f.   17  ff.  344. 

867  ff.  441.  491  ff. 
Festnamen  26. 
Fetiales  104.  825.  415.  475  ff. 
Feuer  zur  Lustration  166. 
,      der   Vesta    148.    144. 
436  f. 
Fictores  446  A.  5. 
Ficus  Ruminalis  195. 
Fides  48.  103  f.  128  f.  445. 
Fidicines  427. 
ßum  429  A.  2.  432  A.  6. 
Firmicus  Matemus  84. 
Fischopfer  185. 
fieica  198.  237  A.  6. 
Fisius,  Fisovius  120. 
fissi  dies  868.  872. 
flamen  418.  425. 
Flamen  Augustalis  449  A.  4. 
,      Garmentalis  180.  482 

A.  8. 
,  Gerialisl60. 482.A.8. 
.  Claudiaiis  449  A.  4. 
,  Commodianus449A.4. 
,  DialislOlf.  104.  189. 
191.  428  f.  483  ff.  449 
A.  6.  484  A.  7. 
.       Divi  Seyeri  449  A.  4. 


524 


L  Namen-  und  Sachregister. 


Flamen  Falacer  188  A.  10. 432 

A.  8. 
,  Floralis  164.  432  A.  8. 
,      Forrinalis    193.   432 

A.  8. 
y,      Jnlianas  285.  449  A.  4. 
,      Martiaüs  131.  434. 
,      Palatualis    165.    432 

A.  8. 
,      Pomonalis    164.  432 

A.  8. 
,  Portunalis  99.  432 
A.  8.  444  A.  5. 
.  Quirinalis  140.  162. 
434.  444  A.  5. 
,  Ulpialis  449  A.  4. 
„      y]rbialis200A.4. 449 

A.  1. 
«      Voloanalis  184.   185. 

432  A.  8. 
,      Voltumalis   184.  432 

Flamines  64  f.  123.  432  ff. 
«        Divomm  286.  288  f. 

449  f. 
«        maiores  und  minores 

432. 
Flaminia  (domus)  431  A.  7. 
Flaminica  114.  119.  435.  444 

A.  4. 
Flavia  gens  287.  289. 
Flötenspieler  beim  Opfer  352. 
Flora,  Floralia  163  l 
Florifertum  164. 
Ifluaare  (Monat)  164. 
fo<M8,  f acutus  351.  406. 
foedus  325.  475  ff. 
Fonio  178  A.  13. 
Föns  182  f. 

Föns  Belenus  242  A.  6. 
Fontauus  182  A.  2. 
FoDtinalia  182. 
Fontus  95.  182  A.  2. 
Fordicidia  159. 
Forinae  193. 
Fomacalia  142.  335. 
Fors  Fortuna  206  f. 
Fortuna  206  ff. 

,        Augusta  213. 
Barbata  212. 
Bona  212. 
Brevis  212. 
Gaelestis  318  A.  7. 
Dubia  212. 
,        Dax  212. 
„        Equestris  211. 
,        huiusce  diei  211. 
Mala  212. 

Muliebris  207  f.  406 

A.  5. 
y,       Obsequens  212. 

Panthea  213. 
„        Primigenia  209  ff. 
Privata  212. 
Publica  210.  212. 


Fortuna  Reduz  212. 
,        Respiciens  212. 
Stabilis  212. 
Virgo  207. 
Virilis  208. 
Viscata  212. 
,        und  Isis  218. 
„  ,    Mater    Matuta 

207. 

,  ,    Mercurius  249. 

„  ,    Nemesis  31 6A.7. 

,  ,    Spes  273  A.  8. 

FratresArvales  130.  161.  340 

A.  8.  485  ff. 
Frauen   ausgeschlossen   vom 

O^fer  176.  227. 
Freigelassene     als     Priester 

421  A.  7.  485. 
Frutis  236. 
Fuchshetze  163.  246. 
Fucinus  44  A.  5. 
Füllhorn  158.  213. 
Fulgur  conditnm  107. 
Fulgura  (Juno)  115. 
fulgwra  consütaria  473  A.  4. 
,        postulatoria    471 
A.  7. 
fülmina  dextra,  sinistra  459 

A.  7. 
Furrina,  Furrinalia  193. 


Gabü  114. 

Gaia  Caecilia  120. 

Gaianum  267. 

Qalerius  83. 

galerus  428. 

Galli  (Verschnittene)  264 A.  8. 

265. 
Gallia  Narbonensis  344  A.  2. 
Gallus  et  Galla,  Graecus  et 

Graeca  54.  355. 
Garanus  230. 
Gebet  333. 
Gebetsformeln  333  f. 
Geburtstag  155.  367. 

•    „  desAugustus  378 

A.  5.  uo«7. 
,  „    Caesar  379. 

Geburtstage  der  Kaiser  286. 

335  A.  8.   379  A.  5.   380. 

389.  391. 
Gedenktage  als  Feriae  378  f. 
Geldopfer  362. 
generalis  invocatio  33. 
yeyiaia  und  yeyi&Xia  389. 
geniaJis  154. 
Genii  153.  156  ff.  192. 
Genii  deorum  158. 
Genita  Mana  196. 
Genius  22.  154  ff. 
Genius  Augusti   70.    72.    73. 

152.  156. 
Genius  des  Hausherrn    152. 

155. 


Genius  Jovis  158.  227  f. 

,       publicus   (populi    Ro- 
mani)  157.  282.  307. 

«       urbis  Romae  157. 

«       und  Hercules  227  L 
Gentes  als  Trftger  von  seura 

publica  840.  411. 
Gerichtsferien  376. 
Gladiatoren  388.  397  ff. 
Götterbilder  28  f.  50.  54.  402. 
Göttemamen  und  -Beinamen 

25  f.  41.  45  ff. 
Gotterpaare  19. 
Goldenes  Zeitalter  170. 
Gotteshaus  29.  42.  50.  401  ff. 
Grabovius  20  A.  1.  129. 
Gradivus  132. 
Grftberbussen  348.  410. 
Gräberrecht  409  f.  443. 
graecus  ritus  461. 
Grammateus  299. 
Grannus  242. 
grattUcUio  359. 
Grenzstein  125. 
Gründungssagen  59  f. 
Gutachten  der  Priester  381  f. 

442  f.  454.  458.  471.  474. 


Hadad  301. 
Hadrian  79. 
Haine,  heilige  401. 
Hammon  314. 
Handbewegungen  beim  Gebet 

332  A.  6. 
Harpokrates  299. 
J.  A.  Härtung  10. 
Haruspex  maximus  474. 
haruspicatio  353  A.  7. 
Haruspices  460.  469  ff. 
fMstae  Martis  131.  431  A.  5. 

481  A.  4. 
Hekate  202.  316  f. 
Hekate  und  Liber  316  f. 
ijXioSQofÄos  309. 
Heliopolitanus  304. 
Hemesa  305  f. 
W.  Henzen  11. 
Hera,  Haera  259. 
Hercules  219  ff.  341.  357  A.  1. 
Hercules  Consenrator  229. 
Defensor  229. 
„        Domesticus  228. 
Inviotus  220  f.  223. 

280. 
„        Magnus  Gustos  224. 
,        Magusanus  231. 
,        Musarum  224. 
,        Rusticus  228  A.  4. 

Salutaris  229. 
,        Saxanus  231. 
Tutor  229. 
Victor  220  f. 
Hercules  und  Acca  Larentina 

188.  230. 


L  Namen»  und  Sachregister. 


525 


Hercules  und  Ceres  229.  246. 
,    Genius  227  f. 
,    Juno  227  f. 
,  ,    Juventas  223. 

,  ,    Liber  247. 

,        Mars  Mercurius  77. 

231. 
j,  und  Mercurius  227. 
,  .    Silvanus  228. 

Hercfdius  83. 
Here  Martea  135. 
Herentas  236. 
Herie  Junonis  119. 
Herillus  231  A.  3. 
Heros  315. 
Hersilia  141. 
Heuresis  294. 
Hierapolis  202.  300  f. 
Hierobolus  303.  A.  9.  305  A.  1. 
hierocoracica  309  A.  5. 
Hierophanta  316. 
HUaria  266.  295. 
HUantas  278  A.  3. 
Hippolytos  200. 
hirpi  Sorani  172.   483  A.  6. 
Hirpiner  132. 
holitores  235. 
holocausta  352  A.  6. 
Honig  346. 

Äonorartus  349  A.  5.  387  A.  2. 
Honos  und  Virtus  135  ff. 
Hora  Quirini  141. 
Horatia  gens  340  A.  2. 
Horaz  9. 
Hostia  44  A.  5. 
hostiae  347  A.  6. 
hostiae    animales    353  A.  4 

und  9. 
,  eonsuUatorwe    853 

A.  4.  473  A.  9. 
,      maiores,  lactentes  350. 
,      prodigivae  354  A.  2. 
a       sticcidaneae  350  A.  6. 
humanum     sacrificium    354 

A.  5. 
Hund  i51.  176. 
Hundeopfer  162  f.  173.   196. 

330  A.  4.  484  A.  7. 
Hygia  254. 


lana  198  A.  6. 

Janus  91  ff.    182.    184.   251. 

273  A.  1. 
Janus  Ciusi(  vi)u8  Patulcius  96. 

a     Gonsevius  97. 

,     Curiatius  92. 

,     Geminus  92  f. 

a     Junonius  92. 

,     Matutinus  96. 

a     Quadrifrons  94. 

a     Quirinus  96. 
Janus  und  Gardea  95. 

,         ,    Juno  91  f.  115. 

,        ,    Satumus  95. 


Janus  und  Venilia  95. 

,        ,    Yesta  20.  91. 
laribolus  303. 
Idus  100  f.  103.  444  A.  4. 
Jejunium  Gereris  246. 
Iguvium  13.  20  A.  1.  26.  120. 

129.    180.    134.    158.   453 

A.  7. 
imago  prmcipis  73. 
immolaiio  352. 
immunüas  429. 
imperatwae  feriae  373. 
itnpius  330. 

maugurare  451 A.  4.  455  A.  4. 
Inauguration  420  f.  440.  452. 
Incubo  173. 

indicere  ferias  373  A.  8. 
Indigetes  15  f.  87  f. 
Indigitamenta    22.    33.    833. 

441. 
Indulgentia  278  f. 
inebrae,  inferae  aves  457  A.  3. 
inferiae  345. 
Ino  99. 
Insignien  der  Priesterscbaften 

429  f. 
Instauration  der   Feriae  La- 

tinae  109.   329  A.  7.   387. 

443  A.  3. 
Instauration   der  Spiele  357. 

386  f. 
insirumentum  407. 
Intercalation  370  A.  6.  441. 
Intercidona  196. 
intercisi  dies  368.  372. 
interpretatio  JRomana  76  f. 
Inuus  173. 
H.  Jordan  11. 
lovia  114. 
lovino  113. 

lavis  epulum  112.  357. 
lovius  83. 
Iseum  et  Serapeum  296.  299 

A.  7. 
Isia  294  f. 

Isiaci  293  A.  6.  298  A.  8. 
Isidis  navigium  296. 
Isis  79.  292  ff. 
Isis  Gampensis  294.  299  A.  7. 

.    Pelagia  295  A.  6. 

Isis  und  Dea  Suria  299.  300. 

,       ,     Fortuna  213.  299. 

,       ,    Magna  Mater  299. 

,       ,    Nemesis  316  A.  9. 

Isityche  299. 

*lrahxd     'Piofiaia      leßaatä 

(Neapel)  284  A.  3.  396  A.  8. 
Iterduca  119. 
Julia  gens  191.  238.  241. 287. 

340  A.  2.  489. 
Julian  83.  307. 
Julius  Aquila  470  A.  2. 
Jungfrauencbor  360. 
Junius  (Monat)  114. 
Juno  118  ff.  220  A.  8. 


Juno  Argeia  220  A.  8. 
,     Caelestis  313  A.  7. 
„     Caprotina  118. 
,     Cinxia  119. 
,      Covella  116. 
,     Curitis   114.   115  A.  5. 

117.  119. 
,     Deae  Diae  158. 
,      Domiduca  119. 
,      Februa  (Februlis)  119. 
,      Fluonia  118  A.  6. 
.      Iterduca  119. 
,      Juga  119. 
,      Lanuvina  117.  119.  448 
A.  13.  481  A.  3. 
,     Lucina  52. 114. 115. 116. 
118.  119.228.  357 A.I. 
,     Mena  118  A.  6. 
,     Moneta  116. 
,     Ossipago  118. 
.     Populona  114.  115  A.  3. 

117. 
,     Pronuba  119. 
,     Quintis  114.  115. 
,     Regina  114.  115.  116  f. 

360. 
,      Sispes  Mater  Regina  117. 
,     Sororia  92. 
,      Sospita  114.  117. 
,     ünxia  119. 
Juno  und  Faunus  118  f. 
,        ,     Hercules  227  f. 
,        ,    Janus  91  f.  115. 
,    Mars  120.  133  f. 
Junonalia  880  A.  5. 
Junones  154  f   158. 
Juppiter  100  ff. 

Alm  US  105  A.  4. 

Anxurus  109.  232. 

Appeninus  102  A.  6. 

Arcanus  108.  210. 

Beellefarus  303. 

Bronton  315. 

Gaelius  102  A.  6. 

Giminius  102  A.  6. 

Glitumnus  183  A.  8. 

Gonservator  1 13  A.  6. 

Guiminalis  102  A.  6. 

Cultor  399. 

Gustos  113  A.  6. 

Dapalis  105. 142. 345. 

Dianus  100  A.  2. 

Elicius  106. 

Epulo  105. 

Fagutalis  102  A.  6. 

Farreus  104. 

Feretrius   103.   105. 
112.  477. 

Frugifer  105  A.  4. 

Fulgur  107. 

Fulgurator  Fulmina- 
tor  106  A.  4.  107. 

Herceus  104  A.  8. 

Imbricitor  106  A.  4. 

Indiges  108.  183. 


526 


I.  Hamen-  und  Saohregister. 


Jnppiter  Inventor  221.  230. 
,        Invictos  108. 
,        Jurarias  103  A.  5. 
,        Juventus    113.    124 

A.  5. 
,        Lapis  103  f. 

Latiaris  34  f.  110. 
Liber  105  f.  126  f. 
Liberaior  106  A.  3. 

391. 
Liberias  106.  126  f! 
Lucetius    100.    483 

A.  3. 
Malus  108. 
.        Optimus     Mazimus 

110  ff. 
,        0.  M.  Balmarcodes 

303. 
,        0.  M.   Damascenus 

303  f. 
M        0.  M.  Dolichenus 

303.  304.  305  A.  2. 
,  0.  M.  Hammon  314. 
,        0.  M.  Heliopolitanus 

304. 
,        Pecunia  105  A.  4. 
Pluvialis  106  A.  4. 
,        Poeoinus  102  A.  6. 
Praestes  108.  220. 
,        Propugnator  108. 
,        Puer  209. 
,        Quirinus  139. 
„        Ruminas    105  A.  4. 

195. 
,        Sabazius  315. 
y,        Serenator,     Serenus 

106  A.  4. 
Stator  107  f. 
,        Summanus  124  A.  4. 
Terminus    104.   124 

A.  4. 
,        Tonans  107. 
,        Versor  107  A.  11. 
,        Vesuvius  102  A.  6. 
Victor  108.  127  f. 
Viminus  102  A.  6. 
Juppiter   Juno    Minerva    34. 

86.  75.  110. 
Jnppiter  Mars  Quirinus   19  f. 

103  f.  478  A.  1.  480. 
iu8  civüe  324. 
,    contionandi    et   edicendt 

428. 
,    divinum  318. 
^    eptUandi  429. 
,    fetiale  475. 
,    Papirianum  442. 
,   pontifunum  443. 
Justitia  276. 
iustum  beüum  476  A.  2. 
Jutuma  43.  95.  182.  183. 
Juturnalia  183. 
Juvenalia  390  A.  3. 
Jnventas  52.  125  f. 
Juventas  undHerculesl  26.223. 


Käse  346. 
Eaeso  484  A.  1. 
Kaiser  als  Priester  415. 
Eaiserkult  71  ff.  82  f.  284  ff. 

488  ff. 
Ealatores  s.  Galatorea. 
Ealendae9L  114  f.  116.  442 

A.  2. 
Ealendae  fabariae  190. 
Ealencler2f.  344  A.  5.  367  ff. 

440  f.  491  ff. 
Eanopos  296. 
Earthago  312  f. 
Eassen  der  Priester  843. 
kernioa  159.  228. 
R.  H.  Elausen  10. 
Eönig    als   Gemeindepriester 

430  f. 
Eollekten  362. 
Eomana  290. 
Eommagene  302.  811. 
Eopfbedeckung  der  Priester 

428  f. 
Eosten  des  Staatskultes  342  f. 
Eotvto  315. 
Erähe  115. 
L.  Erahner  11. 
Eranz   als  Siegespreis    393. 

396. 
Eriegserklärung  479. 
Eronos  170. 
xQvfpiog  309. 

Euchenopfer  31.  98.  244. 
Eyparissos  176  A.  14. 


lactentes  347. 

Lacus  Gurtius  189  A.  4.  467 

A.  3. 
Lacus  Jutumae  183. 
laena  428  A.  6. 
Laetitia  278  A.  3. 
Lanuvini  sacerdotes  117.  448. 
Lanuvium  43.  114.  117.  118. 

201  A.  1.    220.    448.    468 

A.  6. 
Lapis  manalis  106. 
Lar  familiaris  149  f.  154.  186. 

326.  345. 
Lara  189  A.  6. 
Laralia  149.  385  A.  2. 
Larenta  188. 
Larentalia  188.  444  A.  5. 
Lares  148  ff.  192. 
Lares  Augusti  152. 

,      Casanici  150  A.  6. 

,      Gompitales  148  f.   150 

A.  6.  151  f. 

,      Domestici  150  A.  6. 

,      Grundules  153  A.  6. 

,      Hostilii  150. 

„      Militares  150. 

,      Permarini  150. 

,     Praestites  151. 

.      Privati  150  A.  10. 


Lares  Public!  15a  A.  10. 

,     Semitales  150  A.  6. 

.     Viales  150. 
Larunda  188. 
Larvas  153.  189.  192. 
Latiar  109  f.  339  A.  1. 
Latiner  35.  39.  42  f.   109  f. 

199. 
Latinische  PriestertQmer  418. 
Latinus  174. 
Latona  240. 

Laurenterkönige  60.  174. 
Laurentes  Lovinates  448. 
Laurentum    114.    115.    129. 

447  f. 
Lavatio  264.  266.  469. 
Lavema  190. 
Lavinium  108.  114.  142  A.  1. 

146.    183.  235.    244.  446. 

447  f  480  A.  2. 
Lebenslftnglichkeit  der  Prie- 
sterwürde 424. 
Lectistemia    52  f.    55.    218. 

223  f.  246.  257.  260.  355  ff. 

862. 
Lectistemium    Gereria    246. 

355  A.  2. 
lectm  228.  857  A.  1. 
Leges  regiae  442. 

,      templorum  6. 404  f.  442. 
legum  dictio  834.  453  A.  1. 
Leichenspiele  888.  397. 
Lemures  153.  189.  192. 
Lemuria  189. 
leo  309. 

Leucesie  100  A.  8. 
Leukothea  98  f. 
Lex  Acilia  441. 
„    arae  Dianae  in  Aventino 

34.  404  f. 
n     dedicationis  404  f.  408. 
«    Domitia  417. 
,     Ogulnia  422. 
,    Papia  439. 
liba  244. 
Liber  106.  126  f.  248  f.  247  f. 

316. 
Liber  und  Hekate  816  f. 

,        ,    Hercules  247. 

H        ,    Mercurius  247. 

a        „    Silvanus  247. 
Libera  248  f.  248.  256. 
Liberalia  243  f. 
Liberalitas  280. 
liberare   et  effäre  403  A.  3. 

455  f. 
Libertas  126  f. 
Libitina  52.  197.  235. 
Libri  Acheruntici  470  A.  3. 

K     augurales  454. 

,     exercituales  470  A.  3. 

,     fatales  462  A.  10.  470 

A.  8. 

,    fulgurales  470  A.  3.  471. 

„     haruspicini  470  A.  3. 


I.  Hamen-  and  Sachregister. 


527 


Libri  pontificii  441. 

,     reconditi  470  A.  3. 

,     ritoales  470  A.  3. 

«     sacerdotum  5.  426  A.  5. 

und  6. 

,     Tagetici  470  A.  3. 

,     Vegonioi  470  A.  3. 
a  libris  pontificalibu8A26  A.  5. 
Lictores  341  A.  2.  427.  436. 
litatio  353. 
Lituus  430.  452. 
Lituos  des  Romulos  482  A.  1. 
loca  publica  399. 

,    religiosa    344.     408  ff. 

443. 

,     Sacra  344.  399.  443. 
loctM  liberatus  et  effatus  455. 
Lorio  391  A.  3. 
Losung  der  Vestalinnen  418. 

439. 
Lua  mater  171  f. 
Lubentia  197. 
lucar  383  A.  6. 
Lucaria  250. 
lud  sacri  401. 
Luoia  Yolumnia  483  A.  3. 
ludere  381.  382  A.  1  und  2. 
Ludi  Adiabenici  391  A.  4. 

,      Alamannici  391  A.  4. 

^     Apollinares  240  f.  341. 

362.  387. 

,     astici  396. 

,      Bubetii  165  A.  5. 

,      Capitolini  112.  340  A.  5 
und6.382A.6.384A.l. 

,     Gastoris  in  Ostia  219. 

,      Geriales  244  f.  246.  387. 

,      circonses    386.    387  f. 

392  f. 

f,     eompitalicii    149.    151. 

383.  392. 

,     Divi  Augusti  et  Fortunae 
Reducis  388. 

,     fabarici  190  A.  1. 

y,     fatales  213  A.  4. 

.     Florales  163.  387. 

,      Francici  391  A.  4. 

,      funebres  388.  397. 

a      Genialici  157. 

,      Gottici  391  A.  4. 

,      graeci  394  f. 

,     honorarii  387. 

,     Joyi  Liberatori  391. 

,     Juvenales  390  A.  3. 

„     Lancionici  391  A.  4. 

,     latini  394  f. 

,     magmU1.384.389A.12. 

r,     Martiales  389. 

,     Maximati  391  A.  4. 

,     maximi  385  A.  3. 

,     Megalenses  263.  387. 

,     in  Minicia  H92  A.  3. 

,     Palatini  390  A.  3. 

,     Parthici  390  A.  2  und  4. 

.     Persici  391  A.  4. 


Ludi  piscatorü  184.  341  A.  3. 

383  A.  4. 
,     plebei  112.  357.  386. 
.     Romani  37.  52f.  Ulf. 
340  A.  8.  357.  385  f. 
,    sacri  386  A.  3. 
,     saeoulares  364  f. 
a     Sarmatici  391  A.  4. 
,    scaenici  387  f.  393  ff. 
,      Solls  307  A.  3. 
a     sollemnes  387. 
,     Tarentini  255.  364. 
,     Taurii  388  468. 
„     thymelici  396. 
a     triumphales  391   A.  4. 

392  A.  1. 

a     Victoriae  Gaesaris  128. 

288.  340  A.  5.  388. 

,      Victoriae  Sullanae  128. 

388. 
,     votivi    384  A.  6.   385. 
889.  391. 
LuduB  talarius  394. 

,      Troiae  382.  393.  481 
A.  6. 
E.  Lflbbert  11. 
lumemulia  487  A.  5. 
Lumpae  182  A.  10. 
Luna  260  ff.  281. 
Lupercal  172. 
Lupercalia   172  ff.  445  A.  5. 

484  f 
Luperci    172  f.     415.     445. 

483  ff. 
Luperci  Julii  484. 

,       Quinctiales  und  Fa- 
biani  340  A.  3.  483  f. 
lustratio  agri  180.  329  A.  3 

und  4. 
,        classis  327. 
,        exercitua  130  A.  4. 

327. 
a        pagi  130. 
,        urbi8  328. 
Lustration  327  f.  349  f. 
lustricus  dies  329  A.  1. 
Lustrum  130.  320.  327.  389 

A.  1. 
lustrum  missum  328. 486  A.  5. 
Lutatius  Daphnis  61. 
Lychnapsia  380. 
Lymphae  182. 


M&  290. 

Mftnner  vom  Opfer  ausge- 
schlossen 177.  178. 

magister  338  A.  3.  418  A.  2. 
425.  461  A.  5.  462.  474 
A.  5.  480  A.  4.  484.  487. 

magistrae  97.  179. 

Magistratur  und  Priestertum 
388  f.  410  f.  431. 

magistri  ad  fana  templa  de- 
lubra  407  A.  3. 


magistri  Mentis  bonae  259. 
a        mcorum  151  f.  185. 

338  A.  3. 
magtnenta  352. 
Magna  Mater  57.  79.  263  ff. 

469. 

Magna  Mater  und  Bellona  291. 

,        ,    Geres     270 

A.  3. 

,  ,        9   Dea     Suria 

300.    302 
A.  2. 
,         ,        ^   Isis  299. 

,        ,    Mithras312. 
„         ^        „   Nemesis  316 

A.  9. 
Maja  (MajesU)  185.  249  f. 
Maiachbelus  303.  305  A.  1. 
Mamers  129. 
Mamuialia    134    A.    2.    380 

A.  3  4.  483  A.  3. 
Mamurius  Veturius  134.  483 

A.  3. 
Manalis  lapis  106. 
Manes  153.  188.  192  f. 
Mania  158.  193. 
maniae  149.  193. 
W.  Mannhardt  12. 
mansianes  scUiorum    Palati' 

norum  483  A.  5. 
Mantus  258. 

manübiae  342  A.  3.  361. 
Marc  Aurel  82.  380. 
Marcins  vates  463  A.  2. 
Marica  44. 
G.  Marini  10. 
Marmar  129  A.  7. 
J.  Marquardt  11. 
Mars  129  ff.  349  A.  1  und  4. 

480.  486  f. 
Mars  Gyprius  129  A.  6. 

.      Gradivus  132. 

,      Invictus  500.  518. 

,     Thingsus  138  A.  8. 

,      Toutates  138. 

,      Ultor  70.  133. 
Mars  und  Anna  Perenna  134. 

,        ,    Juno  120.  133  f. 

,      Mercurius  Hercules  77. 

231. 

,      und  Nerio  134. 

,        ,    SilvanuB  132  A.  8. 

176. 

,        .     Venus  133.  238. 
Martins  (Monat)  129. 
Maspiter  129. 

nuUer  (als  Kultbeiname)  28. 
mater  dea  Baiana  265  A.  8. 
Mater  Lamm   151.  153.  189. 

192. 
Mater  Magna  s.  Magna  Mater. 
Mater  Matuta  97  ff. 
Mater  Matuta  und  Fortuna  207 . 
mtUer  sacrorum  298  A.  5; 
Matidiae  templum  287  A.  3. 


528 


L  Hamen-  und  Sachregister. 


Matralia  98. 

Matronalia  116. 

Mavors  129  A.  7. 

meccator  219. 

medio3cmidi%'^lL,h.  188  A.  8. 

Meditrinalia  101  f. 

me  DifM  Fidiua  121. 

Mefitis  198. 

Megalesia  264. 

mehercU  227. 

Memmia  gens  288. 

Memoria  260. 

Men,  Menotyrannua  270  f. 

Menologia  nistica  375. 

Mens  259  fi 

mensa  228.  357  A.  1.  363. 406. 

Menschenopfer  81.   54.    109 

A.  3.  171.  230.  309.  354  f. 

397. 
L.  Mercklin  11. 
Mercurialea  249. 
Mercarius  45.  248  ff. 
Mercurius  und  Fortuna  249. 
,  ,     Hercules  227. 

,     Liber  247. 
,         Mars  Hercules  77. 

231. 
«  und  Minerva  249. 

meretricutn  dies  237. 
merkattta  386. 
R.  Merkel  11. 
Messia  195. 
MUch  346. 
miles  309. 
Minerva  203  ff. 
Minerva  Berecynthia  206.  270 

A.  1  und  3. 
,         Capta  203. 
,        Ghalcidica  205. 

Medica  205. 
«        Memor  Gabardiacen- 

sis  205. 
Minerva  und  Mercurius  249. 
,  ,    Neptunus  252. 

ministri  Äug.  Mercwrii  Maiae 

72. 
Minutus  196  A.  10. 
Mitgliederlisten  der  Priester- 
schaften 6.  417. 
Mithras  80  f.  306.  307  ff. 
Mithras  und  Magna  Mater  312. 
Moderatio  278  A.  7. 
mola  Salsa  30.  143.  346.  352. 
Moles  Martis  135. 
Th.  Mommsen  11. 
monitor  sacrorum  447  A.  4. 
montani  und  pagani  385.  338 

A.  3. 
moretum  264. 
Morta  59.  213  A.  3. 
Mttnzbilder  7  A.  2.  50.  98.  95. 

128.  218.  261. 
Mulciber  186. 

mi4to374A.9.  439.  441 A.  5. 
Mundus  188  f.  258.  845.  862. 


mundus  Ceretis  161. 
muntM  gladiatoriutn  897  f. 
Murcia  194  f.  261  A.  8. 
muries  30.  143. 
Muta  dea  189. 
miUüationes  264. 
Muttergottheit  von  Capua  209 

A.  8. 
Mutunus  Tutunus  195. 
myrionyma  (Isis)  81.  297  A.  8. 


N  und  YP  371  f. 
Nabarzes  310  A.  1. 
Naenia  197. 
Nageleinschlagung   111.  234. 

339  A.  1.  364. 
naina  cundis  311. 
Natales  deorum  391 A.  1.  405 

A.  8. 
Natales  imperatorum  286.  835 

A.  8.  379  A.  5.   380.  389. 

391. 
Natales  templorum  51.  405  f. 

408. 
Natalis  urbis  Romas  166. 
Natio  44  A.  5. 
Nautia  gens  340  A.  2. 
navis  salvia  263  A.  5. 
Neapel  284  A.  3.  396  A.  8. 
nefasti  dies  368  f.  376. 
Nemesis  315  f. 
Nemus  199  f. 
Neptunalia  250.  253. 
Neptunus  250  ff. 
Neptunus  und  Minerva    252. 
Nerio  134.  292. 
Nero  301.  469. 
Neronia  205.  896. 
Neujahr   111.   143.   194.  339 

A.  1.  375  A.  6. 
B.  G.  Niebuhr  9  f. 
Nikostrate  181. 
H.  Nissen  11. 
Nixi  di  200  A.  3. 
Noctiluca  262. 
Nomination  417  ff. 
Nona  180.  213  A.  3. 
Nonae  Gaprotinae  118. 
Nonalia  sacra  440  A.  5.  444 

A.  2. 
Nortia"44A.  5.  234. 
novemdiale  sacrum  328  f.  373. 
Novensides  15  f.  38. 
Numa  25.  28.  62.  867.  884. 

431  A.  1. 
Numicus  183.  184  A.  4. 
Numisius  Martins  184. 
Numitemus  44  A.  5.  134  A.  7. 
Nundina  329  A.  1. 
Nundinae  378  A.  2.  375  A.  6. 
nuntiatio  458. 
Nymphae    182  f.    185.    258. 

518. 


ohnimHatio  458. 

obsecratio  331  A.  8.  857  A.  6. 

359. 
Odeum  397. 
Oktoberross  131  f.  855  A.  3. 

882  f.  445. 
Olistene  95. 
ollae  487  A.  5. 
Opalia  168. 
operari  344  A.  8. 
Opfer  30  f.  344  ff. 
Opferkuchen  31.  98  A.  5.  di6. 
Opfermahlzeit  358  f. 
Opfertiere  348.  354  A.  4. 
Opiconsivia  168. 
Ops  168  f.  281. 
Ops  Augusta  169. 

,    Gonsiva  168.  445  A.  3. 

,     Opifera  168. 

.     Toitetia  (?)  168  A.  5. 
Ops  und  Satumua  168. 
Orbona  196. 
Orci  nuptiae  246. 
Orcus  192. 

Ordo  haruspicum  LX  474. 
ordo  saceraotum  20.  433. 
Orientalische  Kulte  78  ff.  84. 

263. 
Orientierung  der  Tempel  408. 
omamentum  407. 
oscüla  256  A.  8. 
oscines  457  A.  3. 
Osiris  294  f.  298.  299  A.  6. 
ostenta  470  f. 
ostentaria  470  A.  3. 
Ostia  185.  219.  296. 
ova  im  Gircus  218. 
Ovid  3.  9. 
Ovis  Idfdis  101. 


Padus  pater  188. 

paelices  118. 

Paganalia  335  A.  1.  872. 

pagani  89  A.  8. 

pagani  und  montani  .335.  388 

A.  3. 
pagi  173.  335  A.  1. 
Palaimon  99. 
Palatua,  Palatuar  165  f. 
Pales  165  f. 
Palladium  143. 
Pallor  und  Pavor  135. 
Palma  393. 
Palmyra  306  f. 
Panda  Gela  162  A.  1. 
Pantheus  82.  177.  213. 
Pantomimus  396  A.  4. 
parasiti  Apollinis  241. 
Parca,  Parcae  213  f. 
Parentalia  187  f.  372  A.  4. 
Parilia  165  f.  335.  444  A.  2. 
pars  antica,  posHca,  dextra, 

sinistra  452  f. 
Pastophori  298. 


I.  Hamen-  und  Saohregistor. 


529 


pcUer  (als  Eultbeiname)  23. 
Pater  patratas  477  ff. 
pater  patrimua  482  A.  4. 

,     patrum  809. 

,     sacrorum  298  A.  5.  809. 
patera  480  A.  2. 
Patlentia  279. 
Patrici8chePrie8tertümer421  f. 

434. 
pcitrimi  et  matritni  421  A.  10. 

425  f. 
patriua  deus  183  A.  10. 
Patulcius  96. 
pausarii  299. 
Pavor  und  Pallor  135. 
Pax  273.  277  f. 
pcLX  et  venia  deum  327. 
pectmia  345  A.  10. 
pecunia  conlata  862. 

,        multoHcia  341  A.  8. 

361. 
pedisequa  291. 
Pelusia  296. 
Penates  145  ff. 
Penns  Vestae  143.  445  A.  8. 
peremnia  auspida  457  A.  7. 
Persa  309. 
PersonificaÜonen  41. 48  f.  74  f. 

255.  271  flf. 
Perasia  114.  186. 
Pessinus  263. 
petra  genetrix  310  A.  2. 
Phallus  195.  244. 
Phana  296  A.  3. 
Philocalu8  3.  85  f.  380  f.  390  f. 

398.  405  A.  8. 
Philosophie  61  f. 
Piacularopfer  329  f.  847.  350. 

443  A.  8.  488. 
piaculum  329  A.  2.  830  A.  5. 

443. 
Picentes  132. 
Picumnus,  PilamnnB  196.  357 

A.  1. 
Picus  165. 

Picus  und  Faunus  174. 
picus  Feronius  233. 
Pietas  274  f. 
püae  149. 

püetM  libertatis  127. 
Pilamnus,  Picumnus  196.  857 

A.  1. 
Pinarii    and    Potitii    221  ff. 

340  A.  2. 
Pisanrum  il4.  122.  198.  239 

A.  8. 
Piscatorii  lud!  184. 
PistriDum  142. 
pium  bellum  476  A.  2. 
Plebs  45.  245. 
Poemana  165  A.  3. 
Paimunis  165. 
Polemins  SUyins  8.  89.  881 

A.  4. 
pollucere  226. 


poUuere  ferias  874  A.  6. 
PoUnx  217  A.  5.  219. 
Pomerium  37.  40.  55.   79  f. 

183.  185.  217  f.  221.  254. 
298  f.  408.  456.  457  A.  7. 
460  A.  8. 

Pomonal  164. 

Pomonus,  Pomona  165.  234. 
Pompa  circensis  112.  884. 
Pens  subliciuB  482  A.  4. 
pontifex  413  A.  8.  432  A.  2. 
Pontifex  Albanns  minor  449 

A.  3. 

Flavialifl  289  A.  2. 

413  A.  8. 

,         Herculis   229  A.  6. 

413  A.  8. 

,        mazimns  417.  424. 

433.  437  ff. 

Palatualis  165  A.  9. 

413  A.  3.  432  A.  8. 

pontificalia  verha  82. 

Pontificatus     maximns     der 

Kaiser  69.  86.  415.  437. 
Pontifices   324.    840.    409  f. 

430  ff. 
Pontifices  maiores  450. 
,         minores  447. 
,         Solis  307. 

Vestae    144.    807. 
450. 
Popae  427. 
Poplifugia  102. 
popularia  8<icra  385  A.  2. 
Populonia  115  A.  3. 
Porca  praecidanea  160.  335 

A.  3. 
,      praesentanea  161. 
Portanns,  Portnnalia  99.  184. 
Portas  296.  299  A.  7. 
postem  tenere  881  A.  8.  382 

A.  6.  404  A.  3. 
poatüio  471  A.  7. 
postriduani   dies    369  A.  8. 

376  f. 
postulatoria  fvlgura  471  A.  7. 
Postverta  180.  181. 
Potitii  and  Pinarii  221  ff.  840 

A.  2. 
praeciae  446  A.  5. 
Praecidanea  porca   160.   385 

A.  3. 
praecidaneae  feriae  372. 
praeire  {verha)  331. 
praemetium  160. 247. 845  A.  1 . 
Praeneste  43.  108.  114.  122. 
129.  186.  209  f.  220.  281 
A.  8.  289  A.  8. 
praepetes  {aves)  Abi  Al.  3. 
Praesentanea  porca  161. 
Praestana  221  A.  2. 
Praestita,  Praestitia,  Praestota 

184.  v;21  A.  2. 
praesul  425. 
Praetezta  428. 


Praetor  nrbanos  841. 884  A.  4. 

888. 
precationes  augurum  451 A.  5. 
L.  Preller  10. 
A.  Preuner  12. 
Priesterbestellong  417  ff. 
Priesterlisten  6.  417. 
Priesterschmäose   429   A.  4. 

487. 
Priestertümer   16.   30.   63  ff. 

66  f.  69.  339  f.  410  ff. 
primitiae  345. 
Privatkult  29  f.  65  f.  884  f. 

336  ff.  443. 
Procuration  der  Prodigien  328. 

331  f.    350.    443.    464  ff. 

467  ff.  488. 
Prodigia  53  f.  328.  408.  443. 

464  ff.  470  ff. 
proeliares  dies  374  A.  5.  876 

A.  3. 
profanum  399. 
profesti  dies  366  A.  1. 
profeta  298. 
Promagister  425  A.  7.   437. 

462. 
propter  viam  226. 
propudianus  porcus  847  A.  1. 
Prorsa  180. 
Proserpina  255  ff. 
prosiciae  352. 
Providentia  279. 
proximus  a  libris  sacerdota" 

libus  426  A.  5. 
publici  426  f.  462. 
Publicius  vates  468  A.  2. 
Pudicitia  207.  276  f. 
Puemunus  164. 
pugiles  898  A.  3  und  4. 
Pullarii  427.  459  f. 
puls  846.  459. 
Pulvinar  260.  262.  291.  356. 

407.  • 
pulvinaria  {ad  amnia  jp.)  335. 

858. 
pwrus  351 A.  3.  376  A.  8.  477 

A.  2. 
Puteal  107. 
Puteoli  292.  801.  804. 
Pjrgensis  pater  188  A.  10. 
Pyrrhicha  393  A.  5.  89&  A.  4. 
Pythagoreismus  62. 


Quadrigae  111.  261.  892. 

Quaestoren  398. 

Q(uando)    R(ex)    C(omitavit) 

F(a8)  368  A.  6.  870  A.  1. 

872.   440  A.  6.    444  A.  2. 

445  A.  4.  482  A.  1. 
Q(uando)  ST(ercas)  D(elatam) 

F(as)  148.  368  A.  6.  372. 
Quartana  (febris)  198. 
Quellenkult  182  f.  862. 


Quies  276. 


Eradbaoh  der  UaM.  AltertnimwlMeiMdhaft.  T,  4 


34 


530 


I.  Namen«  nnd  Sachregister. 


Quinctia  gens  484. 
Quindecimviri  sacris  faciundis 

264.  265.  269.    340.   358. 

360.  416.  461  ff. 
Quinqaatrus  131.  203  f.  375. 

382.  397  A.  8.   481. 
Qainquatrus  mimisciilae  204. 
Quirinalia  140. 
Quirinos  27.  139  ff.  480. 


Radscheiben  121.  124. 
Reatinus  pater  183  A.  10. 
Redicolos  49. 
Regia  431. 

Regifugiam  370.  444  A.  2. 
Regina  sacronim  435. 
regiones  caeli  452.  471. 
A.  Reifferscheid  11. 
religio  318. 
religiosi  270  A.  1. 
religiosutn  323.   344.   376  f. 

400  A.  2.  408  f.  443. 
rem  divinam  facere  344. 
Reqaietio  266. 
res  religiosae  323. 

,    sacrae  323. 
res  repetere  478. 
responsa  442.  454. 
reus  voti  320  A.  3. 
Rex  Nemorensis  199. 
Rex  sacrorum  91.  432  ff. 
rica,  riciniutn  428  A.  6. 
Ritter  51.  218.  485. 
Ritterliche  PriestertUmer  419. 

422.  447.  449.  482.  485. 
Robigus,  Robigalia  162  f.  444 

A.  5. 
Rom,  Geheimname  193. 
Roma  (dea)  72.  281  ff. 
Roma  aeterna  283. 
Roma  und  Augnstas  284. 

,        ,     Venufl  282  f. 
'PtüfÄaTa   166.   282  A  1.   284 

A.  3. 
Romulas-Quirinas  141. 
Romulus  (Sohn  des  Maxentius] 

289 
Rosaria  367  A.  5. 
W.  H.  Röscher  12. 
Rosmerta  250. 
G.  B.  de  Rossi  11. 
J.  Rabino  10. 
Ramina  115.  195. 
Rumon  195  A.  7. 
Rundtempel  402. 
Rusor  159  A.  4. 


Sabaoth  315. 
Sabazius  315. 
saeellum  400  f.  402. 
sacena  440  A.  3. 
tacer  esto  825. 
sacerdos  413  f. 


saeerdos  confarreationum  et 

diffareationum  337  A.  5. 
sacerdos  virginum  Vestalium 

414.  446  A.  5. 
sacerdotes  Albani  448. 

bideniales  121.  472 
A.  4. 
,        Banae  deae  179. 
,         Cabenses  448. 
,         Caeninenses  448  f. 
,         Cereris      publicae 

244. 

,        dei     Solis     invicti 

MUhrae  309  A.  3. 

j9f(;t«298A.9.  299 

A.  1. 

,        LanMinmll7.448f. 

,         Laurentes  Lavinct- 

tes  448. 
Matris  deum  mag- 
nae  Idaeae  265. 
publici^AOAÄAlQ. 
XVvirales  265. 
,        sacrae  urbis  414. 
„         Suciniani  448. 

Tusculani  448  f. 
a        urbis    Romae    283 
A.4. 
sacerdotia  equestria  419.  422. 

447.  449.  482.  485. 
scLcra  externa  79  A.  4. 80  A.  5. 
,     getUilicia^ZbkA.  337 

A.10. 

,     Idulia   101.    103.    444 

A.  4.  445  A.  3. 

,     mensa  363.  406. 

,     Nonalia  440  A.  5.   444 

A.  2. 
,     peregrina  40  A.  3.    79. 

289  ff.  380. 
„     popularia  335  A.  2. 
a     populi  Romani  319. 
,     pHvata  29  f.  65  f.  234  f. 

336  ff  443. 
,     pro    curiis,    tnontibus, 
pagis,  sacellis  335 A.  1. 
a     pro  populo  335  A.  1. 
.     publica  334  f. 
,     Savadia  315. 
a     sollemnia  349. 
,     suppellex  406. 
sacramentum  343. 
sacrarium  400  A.  7. 
sacratae  leges  325  A.  8. 
sacrati,  sacratae  309.  314  A.  2. 

316  A.  12. 
Sacrilegium  323.  330  A.  2. 
sacrima  247.  345  A.  3. 
a  sacris  426  A.  4. 
sacrorum  298  A.  5. 
sacrorum  detestatio  337  A.  7. 

440. 
sacrum  323.  344. 
sacrum  anniversarium  Cere- 
ris 245. 


sacrum  Phariae  296. 
Saecularfeier  68.  257.  368  ff. 

465  A.  6.  468.  469. 
saecvlum  363  f. 
sagmina  104.  477. 
Saguntum  480  A.  2  und  5. 
Salacia  250  f. 
Saliae  virgines  445  A.  4.  481 

A.  5. 
saliares  epulae  429  A.  4.  4Sd. 
SaUer  131.  139.  220.  382.  411 

A.1.415.417A.4.  419A.2. 

421  A.  8.    423.    428  A.  5. 

445.  480  ff. 
SaHerUed  73.  74.  285.  483. 
Salii  Agonenses  480. 

a    Pfdatini  und  Collini  480. 

a    Pavorii  et  Pallorii   135 

A.  3.  480  A.  4. 
Salus  122  f.  254  f. 
Salus  Augnsta  123. 

a     Publica  122.  273. 

a     Semonia  122. 
Salus  und  Felidtas  122  A.  9. 

215. 
Sancus,  Sancius  120. 
Sanguen  266. 
sanquales  aves  121. 
Sarapia  296. 
Sarapis  292  ff. 
Sardus  pater  1»3A.10. 
Satumaüa  169  ff.    335  A.  5. 

375. 
Saturnalieius  princeps  171. 
Satumia  170. 

Satumus  55.  169  ff.  398  A.  9. 
Satumus  und  Dia  pater  169. 

256. 
a         a     Janus  95. 
a         ,     Ops  168. 
Savazios  314  f. 
Saxum  sacrum  178. 
scalae  Caciae  230. 
scena  ( =  sacena)  440  A.  3. 
Schaukeln  109  A.  S. 
Schlange  155.  178.  179. 
Schlauchhapfen  112.  382. 
Schlüssel  94.  99. 
Schulfeste  375  f. 
A.  Schwegler  10. 
Schwein  als  Opfertier  31.  346. 

477  A.  7. 
Schwur  der  Priester  435  A.  8. 
scortea  181. 

scribae  et  histriones  204. 
Sebethus  183. 
secespita  440  A.  3. 
Securitas  278. 
Segetia  195. 
Seia  195. 

Sella  curulis  428.  436. 
Sellistemia  257  A.  8.  357. 
Sementivae  160. 
Semo  Sancus  120  f.  227. 
semones  120  A.  4. 


I.  Namen-  nnd  Sachregister. 


531 


Senat  40.  341  f.  418  f.  428. 

486.  464  f.  471  f.  473. 
Senatorische  Priestertümer 

422. 
Septemyiri  epulones  357.  446. 
Septimontiiun  27.   385  A.  2. 

ö72. 
Serapis  292  ff. 
Serviua  Tullius  186. 
servorum  dies  201. 
Sessia  195  A.  4. 
Sihylünische  Bücher  37.    68. 

88.  239.  462  ff. 
SigUlaria  170. 
aigna  ex  avibus  457. 
sUex  30.  103  f.  325.  477  f. 
Silvanae    und     Silvani    176 

A.n. 

Silvanas  175  ff. 
Silvanns  und  Diana  202. 
,  K     Hercules  228. 

,  ,     Liber  247. 

,     Mars  132  A.  3. 
176. 
simpulum  430.  444  A.  8. 
sine  sacris  hereditas  66.  337 

A.  10. 
Sistrum  297. 
sive  deus  sive  dea  33. 
8yaven51.  98.  170.  199.201. 

333  A.  6. 
Sodales  Antoniniani  (Veriani 
Marciani  u.8.w.)  287. 

490. 

AugusUles  287.  414. 

419  A.  2.  489. 

„      Augustales  Claudiales 

287.  489. 
y,       Gocceiani  489. 

FlayialesTitiales287. 

489. 
Hadrianales  287. 489. 
,       Titii  340  A.  3.  488  f. 
,       Ulpiales  287.  489. 
sodalitates  264.  340.  411. 
Sol  260  ff.  803.  304  ff. 
Sol  Divinus  301.  305. 
.    Indiges  262. 
,    Invictus  805  f. 
,   Invictus  Elagabal  305  f. 
,    Invictus  Mithras  308.  311. 
solUaurilia  350  A.  1. 
solUmnis  373  A.  3. 
solum  ItcUicum  344. 

Sonnenkulte^orientalische  263. 

304  ff. 
Soracte   172.    191.   258.  483 

A.  6. 
sortes  210. 
Specht  132. 
spectio  456  A.  8. 
Speiseopfer  345  f. 
spelaeum  308. 
Spes  273  f. 
Spes  und  Fortuna  273  A.  8. 


Spiele    31.    86  f.    52  f.    65. 

111  f.   340  f.   381  ff.    429. 

487;  s.  auch  Ludi. 
Spiele,  kaiserliche  390. 

«     ,  sacerdotale  und  magi- 

stratische  340.  383.  . 
Spielgelder  343  A.  2.  383. 
spira  202  A.  9.  248  A.  6. 
sponsio  324.  478  A.  6. 
Sportein  343. 
sportula  429  A.  4. 
Stadium  397. 
Stampfen  der  SpeltkOmer  30. 

142. 
Stata  mater  185. 
stcUivae  (statae)  feriae  373. 
Stein  der  Magna  Mater  263. 

264. 
Stellvertretende  Opfer  355. 
Steuerruder  213. 
Stier  des  Mithras  310. 
Stiftungstage    51.  208  A.  8. 

405  f.  408. 
Stilicho  88.  464. 
Stimula  197. 
stipetn  eogere  265  A.  2.    363. 

,      iacere  362  A.  7. 
stips  362  f. 
Störung  der  Sacralhandlung 

333.  457  A.  4. 
Stoiker  62. 
Storch  275. 
Strafgelder  343. 
strenae  375  A.  6. 
Strenia  196. 
strues  und  fertum  31.    347 

A.  4.  435.  446  A.  5. 
strufertarii  446  A.  5. 
Stultoram  feriae  140.  142. 
succidanea  hostia  350  A.  6. 
Suciniani  448. 
suffimenta  327.  335. 
Sul  (dea)  206. 
Suleviae  77  A.  4. 
Sulla  237.  290.  416. 
summanalia  124. 
Summanus  124. 
Summanus  und  Dis  pater  124 

A.  6  und  9.  257. 
Suovetaurilia  31.   130.   849  f. 

486. 
Supplicationen  52  f.  357  ff. 
supra  numerum  416. 
Symmachus  87. 
symphoniaci  427  A.  9. 
Syrische  Gottheiten  299  ff. 


tabernaculum  455  A.  2.    458 

A.  2. 
Tacita'(dea)  189. 
Talarius  Indus  394. 
Tanith  312. 

Tanz  360.  382.  480.  482.  487. 
Tarent  177.  251.  257. 


tarentum  256. 
Tarpeja  187  f. 
Tarquinier  28.  33  ff.  110.  384. 

463  A.  1. 
Tarquitius  Priscus  470  A.  2. 
Tarracina  232. 
Taurii  ludi  388.  468. 
Taurobolium  81.  267  ff.  469. 
taurus  348  A.  1. 
Tellumo  159  A.  4. 
Tellus  159  ff. 

Tempelorientierung  403  A.  2. 
Tempeh-aub  330  A.  7. 
Tempestates  252. 
templutn  403  f.  454  f. 
templum  minus  454  A.  7. 
Ter  novena  295. 
ter  navenae  virgines  360. 
Terminus,  Terminalia  124  f. 
Terra  mater  162. 
Tertiana  (febris)  198. 
Testament  337.  440. 
Testierrecht  der  Vestalinnen 

436. 
testuaHum  98. 
theatrum  395. 
Themis  181. 
Theodosins  88. 
Theokrasie  81  f. 
thesaurus  363. 
Thingsus  188  A.  8. 
Thongefftsse  30. 144.  487  A.  5. 
Thrakisch  -  phrjgische    Qott* 

heiten  314  ff. 
thymelici  396  A.  2. 
Tiberinus  95.  184. 
Tiberius  73.  79.  464. 
Tibicines  204.  352.  427. 
Tibur42.  108.  114.  142  A.l. 

174.  220  f.  480  A.  2. 
Tiere,  heilige  23  f. 
Tierhetzen  387  A.  5. 
Tieropfer  81.  345  ff. 
Tifata  198. 

Tigillum  sororium  92.  840  A.  2. 
Titus  Tatius  25.  488. 
Tiu  138. 

Todesstrafe  326  A.4. 
toga  libera  244. 
Toga  virilis  113.  244.  336  A.2. 
Totenfeiern  187  f. 
Toutates  138. 
Trabea  428.  480. 
Tranquülitas  252.  278  A.  3. 
translatio  cadaveris  380  A.  4. 

409  A.  10. 
Trans  vectio     equitum      138. 

135  f.  217.  485. 
Traum  331  A.  5. 
Tresviri  epulones  s.  Septem- 

viri  epulones. 
Tria  Fata  213. 
Tribuni  celerum  882.  481. 
tripodare  360  A.  4.  482  A.  5. 

487. 

84* 


532 


I.  Hamen-  nnd  Sachregister. 


Tripudiiim  859  f. 
Triumph  36.  111.  884. 
Triumph  in  monte  Albano  110. 
Trivia  202. 
Troiae  Indus  882.  393.  481 

A.  6. 
Tubicines  sacrorum  427.  482. 
Tnbilustrium  181.  186.  482. 
Tuder  129. 
Turnus  251. 
Turpenus  pater  183. 
Tursa  134. 
tu8  ac  vintm  835  A.  6.  347 

A.  3  nnd  4.  852.  358. 
tuscanicae  487  A.  5. 
Tnsculani  sacerdotes  448. 
Tusculum  42.  108.  114.  199 

A.  1.  217  f.  220.  448.  480 

A.  2. 
Tntanus  Redicnlns  49. 
Tutela  156  f. 
Tutilina  195. 
tiUulu8  428. 


Ubertas  276. 
ültio  280. 
umbrae  250. 
Unblutige  Opfer  845  f. 
univiriae  98.  208.  277.  435 

A.  1. 
Unterwelt  187  ff. 
Unxia  119. 
Urbis  templutn  282. 
Usener  H.  12. 


vctciUio   tnilüicie    et   m%Meri» 

429  A.  5. 
Vacuna  44.  128. 
Yalentia  44  A.  5. 
Yaletndo  255  A.  2. 
Varro  4.  25.  61  ff. 
vates  425. 

Yaticannm  267.  291. 
Yediovis,  Yedius  190  A.  6. 
Yen  48.  116. 
Vejovis  190  f.  258. 
Yejoyis  und  Apollo  191.  241. 
ven<Uione8  397  f. 
Veneralia  287.  880  A.  5. 
Yenilia  95.  250  f. 
Yenti  252. 
Yenus  284  ff. 
YenuB  Gaelestis  813  A.  7. 

,      Emcina  236. 

.      Felix  237.  380  A.  5. 
391. 


Yenus  Fisica  287  A.  6. 

.      Genitrix  288. 

,      Heliopolitana  804. 

„      hortomm  Sallnstiano- 
mm  285  A.  6. 

,      Jovia  287  A.  6. 

,      Pompejana  237. 

.      Yerticordia  236  f. 

,      Yictrix  237  f. 

,      Yirgo  313  A.  7. 
Yenus  und  Felicitas  215.  237. 

.         ,    Mars  133.  238. 

.        ,   Roma  239.  282  f. 
,   Yictoria  238. 

,        „    Yolcanus  186. 
Yer  sacrum  54.  132.  339  A.  5. 

345.  354. 
verha  certa,  sollemnia  383  A.  8. 
Yerbenarius  477. 
Yererbung  der  aacra  privata 

65  f.  337  f. 
Yergü  9. 
Yerhfillung  des  Hauptes  beim 

Opfer  338  A.  1.  852.  429. 
Yerkleidungen  881  A.  7. 
Yerminus  49  A.  4. 
vemisera  auguria  453. 
Yersprechen  334. 
Yesta   26.    29.    69.     141  ff. 

402. 
Yesta  deorum  deammque  148. 

,     publica  pop.  Rom.  Quir. 

143. 
Yesta  und  Janus  20. 91. 141  f. 

a        ,    Penaten  146  f. 

,        ,    Yolcanus  186. 
YestaUa  142. 
Yestalinnen   143  f.  417.  418. 

421  A.  8  und  10.  433  ff. 
Yesuna  164. 
Yiatores  427. 
Yica  Pota  128.  196. 
Yicomagistri  151  f. 
vicHmae  347  A.  6. 
Yictimarii  352.  427. 
Yictoria  127  f.  263.  282. 
Yictoria,  ihr  Altar  in  der  Curie 

87    129 
Yictoria  Yirgo  128.  506. 
Yictoria  und  Yenus  288. 
Yictoriati  128. 
Yiduus  196. 

Yinalia  priora  102.  236. 
,      mstica  101.  235. 
vineta  virgetaque  453  A.  8. 
Vintius  219. 
Yiolae  dies  367  A.  5. 
Yirbius  200. 


Yires  (Virae)  141.  200  A.  6. 

252  A.  10.  269  A.  2. 
Yir^es  divae  141  A.  10. 
Yirgines   Yestales   s.  Yesta- 
linnen. 
Yurgo  Gaelestis  813  A.  7. 
Yirgo  Yestalis  maxima  437. 
Yiriplaca  195. 
Yirites  Quirini  141. 
Yirtus  135  ff. 
Yirtus  und  Bellona  292. 
viscera  353  A.  8. 
Yisidianus  44  A.  5. 
vUiosi  dies  376. 
Vitium  458. 
Yitulatio  871  A.  5.  877  A.  10. 

445  A.  1. 
Yolcanus,  Yolcanalia  184  iL 
Yolcanus  Quietus  185. 
Yolcanus  und  Yenus  186. 
,  .    Yesta  186. 

Yolksbewirtnngen  226.  354. 
Yolsinü  43.  233.  234. 
Yolsker  108. 
Yoltnmna  233  A.  3. 
Yoltumus,  Yoltumalia  184. 
Yortumnus  165.  233  f. 
Yota    decennalia,    quinquen- 

nalia,  vicennalia  320  f. 
Yota  publica  320  f. 
Yotorum  nuncupatio  320  A.  2. 

381.  446. 
Yotum  319  ff.  448. 


Waffenverbrennung  134  A.  4. 

171.  185. 
Wagenfahren  der  Priester  486. 
Wagenrennen  392  f. 
Weibgeschenke  361  f. 
Weihrauch    335    A.  6.    347. 

352.  358. 
Wein  beim  Opfer  109  A.  3. 

178.   335  A.  6.  346.   347. 

352.  858. 
Wendung   nach    dem   Grebet 

332  A.  6. 
Wettfahren  382.  392  f. 
Wettlauf  382.  393. 
Wiederherstellung  der  Tempel 

67.  75.  406. 
Wolf  131.  488. 


Zbelthiurdos  315. 
Ziege  118.  119.  191.241.435. 
Zimidrenus  315. 
ZwOlfgGtterkreis  55. 


II.  Stellenregister. 


Aufgenommen  Bind  nur  dl€)}enigen  Stellen,  deren  Bmendation  oder  Erklirung  berührt  worden  Ist 


Seite 

Amob.  mSO 115  A.  3. 

,     m  88 340  ,  1. 


Atignst.  c.  d.  IV  16 


276 


Caas.  Dio  XXXVIH  6,  1  ....  338 

,   LI  1,  2 386 

,    LIIl  2, 4 79 

,   LIV27, 3 431 

,    LXXI  34,  3      .  276  A.  3.  279 

,    LXXIX  21, 2  ...    .  306 

Catall.  17,  5 482 

Censorin.  14,  6 470 

Cic.  ad  Att.  II  17,  2 293 

,   de  div.  I  92 473 

„   de  har.  resp.  32    .     .     .     .     .  408 

,    de  leg.  n  19 41. 

.     .     .    n20 456 

...    II  21 476 


Diod.  XXXVn  17  Bekk. 
Dion.  Hai.  ant.  11  70,  5    . 

m  32,  4  . 

IV  27,  7  . 

VI,  4      . 

VII  73,  3 

vni  56,  4 


ff       II 

II  B 

•  ff 


ff 
ff 
ff 
ff 


Fest  p.  157 455 

.     ,  165b  17 371 

237 40 

238 160 

242 207 

245  ....      335  A.  2.  402 

249 446 

250 854 

253 335 

257b  15  ff.    .    .  484A.  1.  485 

278 445 

321  ...    .      408  A.  7.  477 


ff 
ff 
ff 
ff 
ff 
ff 
ff 


ff 
ff 


ff 
ff 
ff 


ff 
ff 
ff 
ff 
ff 
ff 
ff 


Gaios  II  4 400 

,     U  7* 344 

Gell.  I  12,  17 438 

,    V  12,  12 354 

,    X15, 30 377 


6. 

8. 
3. 
3. 
7. 
1. 
4. 
4. 
3. 
1. 
8. 
9. 

8. 
7. 


15. 

482  ,  5. 

482  ,  5. 

206  .  7. 

438  ,  4. 

393  ,  1. 

208  .  1. 


1. 
2. 
3. 
7. 
5. 
3. 
5. 
2. 
3. 
5. 
4. 
2. 

2. 
7. 
5. 
5. 
6. 


Hieron.  vita  S.  Hilarion.  20  . 
Hist.  ang.  Anton,  philos.  13,  2 

ff      ff        ff  ff     23, 8 

,       ,    Glaud.  4,  2 
,       ,    Aurelian.  19.  20 
Horat.  carm.  III  30,  8 

ff      IV  15, 9     . 
,      epist.  I  1,  49  .    . 

Inschriffcen:  GIL  H  3820 
ff    V775 
,    VI  912b  9 
,    VI  2125 
,    VI  2160 
,    IX  2633 
,    X  1493 
.    X  3812 
ff    XIV  4. 
,    XIV  2418 
,    XIV  2852 
,    XIV  3556 
ScHNBiDBB,  Ezempla 

nr.  19 

ZvsTAiBFF,  Inscr.  Ital. 

inf.  nr.  108 

luvenal.  11,  194  f. 


Seite 

844  .  5. 
356  A.  7. 
296  .  6. 


Liv.  I  5,  2     .  . 

124,6  .  . 

I  32,  11  . 

I  32,  12  . 
V  41,  3 

vm  9,  6  . 
Vni  14,  2  . 
epit.  XIV  . 
XXV  1,  12 
XXV  12,  14 
XXXI  21,  12 

XXXV  41,  8 

XXXVI  37, 4 
XXXIX  22,  1 
XL  42,  8  ff. 
XL  42,  11  . 
XL  59,  7    . 
XLV  33,  2  . 


266 
464 
445 
96 
882 

349 

214. 

485 

448 

485 

169 

449 

218 

202 

448 

211 

220 

168 

98 
884 

173 
476 
478 
479 
338 

15. 
448 
124 

41. 
395 
191 
191 
465 
388 
420 
438 
356 
134 


8. 
4. 
3. 
5. 
6. 

6. 

7. 
5. 
6. 
2. 
1. 
4. 
9. 
5. 
3. 
8. 

5. 

L 
4. 

10. 
8. 
2. 
1. 
7. 

13. 
5. 

3. 
2. 
8. 
3. 
2. 
4. 
8. 
5. 
4. 


534 


n.  Stelleiiregister. 


Seite 

Lyd.  de  mens.  IV  42 291 A.  10. 

.     «       «      IV  49 159  ,   8. 

,     ,       ,      frg.  Caseol. 

p.  117  Bekk.  251  ,11. 

Macr.  S.  I  10,  21 168   ,  6. 

,      ,  I  16,  3 366   ,  2. 

,      ,  m  9,  7 313  .  3. 

,      ,  III  9,  10  f. 322  ,  5. 

Mart.  Gap.  II  149 59   ,  2. 

Moniim.  Anc.  2,  42 96   ,  5. 

.4,4 262   ,  5. 

Obeeqa.  46 363   ,  1. 

Ovid.  fast,  m  837 203  .  9. 

,    III  881  f. 273   ,  1. 

,     IV  623  f. 12«  ,  5. 

,     IV  863  ff. 236  ,  8. 

,      V  148  ff. 178  ,  10. 

Paulin.  Nol.  c.  32,  137  f.      ...  187   ,  2. 

Paul.  p.  3 483  ,  2. 

9     „5 485  ,  8. 

,      ,91 164. 

,      ,101 104   ,  8. 

,     ,200 59   ,  2. 

,      ,264 101   ,  5. 

Plaut,  eist.  512 33  ,  5. 

Plin.  n.  h.  XXIX  16 254  ,  6. 

,       ,     XXXII  20 357   ,  1. 

,       ,     XXXIV  19      ....  180  ,  4. 

Plut  Mar.  26 211   ,  6. 

,     de  fort.  Rom.  10    ....  208  ,  6. 

Polyb.  XXI  13,  11 415   ,  2. 

Ruta.  Namat.  I  232 173  ,  10. 

Schol.  Bern.  Verg.  ecl.  4,  62    .     .  228. 

,  Bob.  Cic.  p.  209.  305  Or.  .  136  ,  2. 

,  Veron.  Verg.  Aen.  II  714  .  294  ,  2. 

Serv.  Aen.  I  17 115,5. 

,  I  398 470  ,  3. 

.   .  I  720 235  ,  4. 


Serv.  Aen.  II  166  ..  . 

,    ,  II  227  .  .  . 

,  II  512  .  .  . 

,    U  649   .     .  . 

„        ,    III  139  ..  . 

.        ,    III  231.    .  . 

.        ,    IV58    .    .  . 

,        .    VI73    .    .  . 

.        ,    VI  860.    .  . 

,        ,    Vn  190     .  . 

,    VIII  190    .  . 

,    VUI  285    .  . 

,    Vni  363    .  . 

,    VJII  552    .  . 

,    Vni  636   .  . 

,    IX  624 .    .  . 

,    XII  841      .  . 

Stat.  sUv.  I  3,  80   .    .  . 

Suet.  Gaes.  39;  Aug.  43  . 


Seite 

482  A.  4. 


167  A.  2. 


283 
455 
470 
172 
353 
161 
461 
20 
428 
145 
135 
431 
434 
236 
349 
313 
209 
395 


Tac.  ann.  III  64 389 

,       ,    XV  41 147 

Tertull.  apol.  15 258 

,24 300 

de  idol.  10 246 

ad  nat.  I  10 258 

,     ,    II  9 16. 

de  spect.  5 167 

Varro  de  lingua  lat.  V  52  ...  240 

,  V85  480A.1.488 


V158 
VI  16 
VI  26 
VI  28 
VI  34 

VI  54 

VII  8 
IX  61 


395 
101 
338 
369 
485 
399 
454 
483 
476 


bei  Non.  p.  529     .... 

Verg.  Aen.  I  704 146 

,     Vm  269  f.    .     .    .    .  221 

Vitruv.  IV  5 403 


1. 
1. 
3. 
1. 
9. 
2. 
3. 
1. 
5. 
1. 
3. 
7. 
7. 
12. 
6. 
3. 
2. 
1. 

12. 

5. 

6. 

3. 
10. 

6. 

1. 

3. 
6. 
3. 
8. 
8. 
5. 
2. 
10. 
7. 
3. 
8. 
1. 
8. 
2. 


r 


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15199^» 


3  2044  023  400  633 


^ 


Wisscfira,  Georg 

PA 

Religion  und  Kultus 

25 

der  R5mer. 

.H25 

Bd.  5 

Abt.H 

•       -         ^  '