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Full text of "Richard Wagner : eine Skizze seines Lebens und Wirkens"

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sflANZ   MÜNCKER 

RICHARD 


WAGNER 


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410 

W1M92 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/richardwagnereinOOmunc 


RICHARD  WAONER. 

Eine  Skizze 
seines  Lebens  und  Wirkens 

von 

FRANZ  MUNCKER. 


Zeichnungen  von    Heinrich   Nisle. 


Zweite,  völlig  neu  bearbeitete  Auflage. 

Mit  Titelbild,  14  farbigen  und  14  schwarzen  Bildern  im  Text 
und  3  auf  Doppeltafeln. 


BAMBERG. 

C.  C.  Buchners  Verlag. 

1909. 


Druck 
von  A.  Bonz'  Erben  in  Stuttgart. 


Zinkätzungen 
von  Oskar  Consee  in  München. 

Kunstdruckpapier 
m  Carl  Scheufeien  in  Oberlenningen-Teck. 


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Vorrede. 


as  Büchlein  über  Richard  Wagner,  das  bei 
seinem  ersten  Erscheinen  vor  achtzehn  Jahren 
allenthalben  freundlich  aufgenommen  wurde, 
lege  ich  hier  in  völlig  neuer  Bearbeitung  vor. 
Den  Grundcharakter  meiner  Schrift  habe  ich  unverän- 
dert gelassen,  im  einzelnen  sie  aber  durchweg  zu  ver- 
bessern und  zu  vermehren  gesucht. 

Von  Anfang  an  war  es  mir  hauptsächlich  um  die 
innere  Geschichte  Wagners  und  seiner  Werke  zu  tun. 
Dem  reichen  geistigen  Gehalt  und  der  künstlerischen 
Bedeutung  seines  Strebens  und  Schaffens  galt  meine 
Forschung.  Das  Wesen  und  Werden  dieser  Kunst 
bemühte  ich  mich  aber  vor  allem  geschichtlich  zu  er- 
kennen; die  Schriften  und  Werke  Wagners  betrachtete 
ich  also  im  Zusammenhang  mit  seinem  Leben  sowie 
mit  der  früheren  und  gleichzeitigen  geistigen  Entwick- 
lung Europas,  insbesondere  Deutschlands.  Wie  aber 
die  Bedeutung  Wagners  weit  über  die  Grenzen  einer 
einzigen  Kunst  hinausreicht,  so  durfte  auch  die  Dar- 
stellung seines  Wollens  und  Wirkens  nicht  etwa  bloß 
auf  das  Gebiet  der  Musik  beschränkt  werden.  Viel- 
mehr  war   namentlich   auch   seine   Stellunc:   innerhalb 


unsrer  Literatur,  sein  Verhältnis  zu  deutschen  und 
ausländischen  Denkern  und  Dichtern  zu  bestimmen,  die 
einen  nachweisbaren,  irgendwie  bedeutsamen  Einfluß 
auf  ihn  gehabt  haben. 

Als  ich  nach  solchen  Grundsätzen  einst  mein  Büch- 
lein entwarf,  konnte  ich  mich  nur  in  wenigen  Fällen 
auf  ähnlich  geartete,  der  geschichtlichen  Erkenntnis 
dienende  Vorarbeiten  von  wissenschaftlichem  Werte 
stützen;  in  der  Hauptsache  hatte  ich  die  Ergebnisse 
eigner,  vollkommen  selbständiger  Forschung  zu  ver- 
werten. Ja.  manchen  kleinen  Fund,  der  mir  gelegent- 
lich geglückt  war.  konnte  ich  in  der  kurzen  Skizze 
nur  eben  andeuten:  um  ihn  in  allen  Einzelheiten 
überzeugend  darzulegen,  reichte  meistens  der  Raum 
nicht. 

Seitdem  aber  haben  sich  die  Verhältnisse  wesent- 
lich geändert.  Zahlreiche  Forscher  halten  in  den  beiden 
letzten  Jahrzehnten  die  einzelnen  Werke  und  Be- 
streitungen Wagners,  seine  Beziehungen  zu  den  geistigen 
Strömungen  seiner  Zeit,  zu  den  andern  Führern  unsrer 
literarisch -künstlerischen  Entwicklung  geschichtlich 
untersucht.  Manches  von  dem,  worauf  ich  zuerst  1891 
mit  flüchtigen  Worten  hingewiesen  hatte,  ist  nun  von 
andern,  manches  von  mir  selbst  genauer  erörtert  worden. 
Dazu  wurde  allerhand  neues  Material  an  Dichtungen, 
Aufsätzen  und  Entwürfen  Wagners,  an  Briefen  von, 
an  und  über  ihn  zu  Tage  gefördert.  Im  Zusammen- 
hang damit  sah  sich  auch  die  geschichtliche  Forschung 
vor  neue  Aufgaben  gestellt,  deren  Lösung  ihr  zum  Teil 
schon  gelungen  ist.  Die  wirklich  wertvollen  Ergebnisse 
dieser  verschiednen  Arbeiten  suchte  ich,  soweit  es  der 
Kahmen  meiner  Darstellung  zuliefs,  in  die  neue  Auf- 
lage meines  Buches  einzuweben.  Dieses  ist  dadurch 
zweifellos  öfters  berichtigt,  noch  öfter  bereichert  und 
vertieft  worden.  Namentlich  erweiterte  ich  meistens 
die  Abschnitte  über  die  musikalische  Ausführung  der 
Wagnerschen  Dramen,  die  in  der  ersten  Auflage  allzu 
dürftig    ausgefallen    waren.     Auch    an    der    Form    der 

VI 


Darstellung  besserte  ich  allerlei,  obgleich  gerade  sie 
manchen  Beifall  gefunden  hatte. 

So  darf  ich  es  ohne  Furcht  vor  Selbsttäuschung 
aussprechen,  daß  mein  Buch  in  der  neuen  Bearbeitung 
besser  und  reichhaltiger  geworden  ist.  Allein,  was  es 
1891  war,  eine  Arbeit,  die  in  ziemlich  vielen  Fällen 
auch  dem  Forscher  bisher  Unbekanntes  darbot,  das  ist 
es  nicht  mehr.  Hie  und  da  enthält  es  wohl  noch  eine 
Bemerkung,  die,  im  einzelnen  sorgfältig  erwiesen,  auch 
dem  Kenner  einen  neuen  Ausblick  eröffnen  dürfte. 
Aber  das  kann  nicht  mehr  seinen  eigentlichen  Wert 
ausmachen.  Dieser  kann  jetzt  nur  darin  bestehen, 
daß  es  das  Wichtigste,  was  die  geschichtliche  Forschung 
über  Wagners  Leben,  Denken  und  Schaffen  gefunden 
hat,  in  knapper,  doch  möglichst  übersichtlicher  und 
lesbarer  Form  den  Freunden  seiner  Kunst  übermittelt. 

Die  fremden  Vorarbeiten,  die  ich  dankbar  benützt 
habe,  brauche  ich  hier  nicht  der  Reihe  nach  auf- 
zuzählen. Mit  besonderer  Freude  sei  nur  der  bisher 
besten  Biographie  Wagners  gedacht,  des  auf  drei  Bände 
berechneten  Buches  von  Max  Koch,  das  zwar  nur  in 
seinem  ersten  Teile  vollendet  vorliegt  (Berlin  1907), 
aber  dem  Ziel,  nach  dem  auch  ich  strebe,  einer  wahr- 
haft geschichtlichen  Erkenntnis  des  künstlerischen 
Wesens  und  Werdens  Wagners,  näher  kommt  als  jede 
andre  Darstellung  seines  Lebens.  Daß  ich  aber  auch 
diesem  Werke  wie  den  sonstigen  Schriften  gegenüber, 
aus  denen  ich  mich  belehrte,  stets  die  Selbständigkeit 
meines  Urteils  gewahrt  habe,  glaube  ich  vor  sach- 
kundigen Lesern  nicht  erst  versichern  zu  müssen. 

Die  künstlerischen  Beigaben  meines  Buches  sind 
im  großen  und  ganzen  dieselben  wie  in  der  ersten 
Auflage  geblieben;  zum  Teil  sind  sie  jetzt  technisch 
besser  ausgeführt  als  früher,  gelegentlich  auch  um  eine 
Nummer  vermehrt.  Mehrere  Porträts  Wagners  nach 
guten  Gemälden  und  Photographien,  Proben  seiner 
Handschrift  aus  einem  größeren  Schriftstück  und  aus 
der  Originalpartitur  der  „Walküre",  ferner  Abbildungen 

VII 


des  Bayreuther  Festspielhauses  und  andrer  in  der 
Geschichte  des  Künstlers  merkwürdigen  Gebäude 
schmücken  das  Bündchen.  Vor  allem  aber  sind  ihm 
die  meisten  Originalskizzen  zu  den  Dekorationen  des 
„Rings  des  Nibelungen"  und  des  „Parsifal",  die  nach 
Wagners  eignen  Angaben  für  die  Bühnenfestspiele 
von  1876  und  1882  entworfen  wurden,  in  getreuer 
Nachbildung  beigegeben.  Für  die  uneigennützige  Be- 
reitwilligkeit, mit  der  diese  Skizzen  von  den  Gebrüdern 
Brückner  in  Koburg,  ebenso  die  übrigen  Bilder  von 
ihren  Besitzern  dem  Verleger  und  mir  zu  Gebote  ge- 
stellt wurden,  sei,  wie  vor  achtzehn  Jahren,  so  auch 
jetzt  herzlicher  Dank  dargebracht. 

München,  am  24.  Juni  1909. 

Franz  Muncker. 


VIII 


pjhter  den  Zielen,  welche  die  Begründer  der 
neueren  deutschen  Literatur  verfolgten,  ragt 
eines  über  alle  andern  empor,  das  Drama,  die 
8ÜM  höchste  Gattung  der  Dichtkunst,  diejenige 
Gattung,  die  am  sinnlichsten  und  unmittelbarsten  nicht 
nur  auf  das  Ohr,  sondern  auch  auf  das  Auge  des  Volkes 
einwirkt,  die  nicht  mehr  bloß  reine  Poesie  ist,  sondern 
erst  mit  Hilfe  der  übrigen  Schwesterkünste  ihre 
Werke  ins  volle  Leben  treten  lassen  kann.  Seit  Lessing 
haben  alle  unsere  großen  Dichter  diesem  Ziele  mit 
leidenschaftlichem  Eifer  nachgestrebt.  Sie  alle,  selbst 
die,  welche  von  dem  Wesen  und  den  Erfordernissen  des 
echten  Dramas  recht  wenig  ahnten,  wie  Klopstock  und 
Wieland,  hat  einmal  der  Gedanke  lebhaft  bewegt,  uns 
ein  nationales  deutsches  Drama  zu  schaffen.  Er  be- 
seelte Goethe,  als  dieser  sich  zum  „Götz",  zur  „Iphi- 
genie",  zum  „Faust"  wandte;  er  begeisterte  Lessing 
und  Schiller  zu  ihren  größten  künstlerischen  Werken; 
er  füllte  das  Herz  Heinrich  von  Kleists  mit  heißer  Sehn- 
sucht, die  zuletzt,  in  ihrem  höchsten  Begehren  unge- 
stillt, in  Verzweiflung  umschlug.  Herrliche  Dichtungen 
waren  die  Früchte  dieses  Strebens,  Werke,  von  natio- 


Muncker.   R.  Wagner.     2.  Aufl. 


1 


nalem  Geist  durch  weht ,  die  ihren  Verfassern,  unserm 
Volk  und  unsrer  Literatur  zu  ewigem  Ruhm  gereichen. 
Aber  das  neue,  nach  Form  und  Inhalt  vollständig  und 
eigenartig  deutsche  Drama  gaben  uns  jene  Dichter  und 
die,  welche  gleichzeitig  mit  ihnen  darnach  rangen,  noch 
nicht.  Dazu  ließ  es  der  weltbürgerliche  Zug  im  ge- 
samten deutschen  Geistesleben  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts nicht  kommen  und  im  Verein  damit  die  Art, 
wie  sich  unsere  Dramatiker  an  fremde  Muster,  vor- 
nehmlich an  Shakespeare  und  an  die  antiken  Tragiker, 
hielten.  Jenes  neue,  vollkommen  deutsche  Drama  hat 
uns  erst  Richard  Wagner  geschenkt,  ein  Drama,  deutsch 
nach  seinem  Inhalt  wie  nach  seiner  Form,  auf  alte 
nationale  Sage  und  Dichtung  gegründet,  ganz  und  gar 
von  deutschem  Geiste  durchhaucht  und  in  seinem  ge- 
samten künstlerischen  Charakter  so  eigenartig,  wie  es 
nur  aus  dem  deutschen  Volke  hervorgehen  konnte. 
Hierin  liegt  Wagners  ungeheures  geschichtliches  Ver- 
dienst, nicht  in  seinen  meisterhaften  musikalischen 
Schöpfungen,  nicht  in  seinen  an  sich  gewaltigen  dich- 
terischen Leistungen.  Er  ist  in  erster  Linie  Drama- 
tiker, und  Musik  ebensowohl  wie  Poesie  sind  ihm  nur 
Mittel  zum  einen,  großen  Zwecke  des  Dramas. 

Denn  das  Drama  in  seiner  Vollendung,  wie  Wagner 
es  auffaßt,  ist  zugleich  Musik  und  Poesie,  soll  nur  im 
deutschen  Geiste  und  mit  reicheren  künstlerischen  Mit- 
teln jenes  Gesamtkunstwerk  der  alten  Griechen,  das 
die  verschiednen  Einzelkünste  (neben  der  Poesie  und 
Musik  auch  die  bildenden  und  mimischen  Künste)  zur 
organischen  Einheit  verband,  die  attische  Tragödie,  neu 
gestalten.  Auf  die  Antike  blickten  die  Meister  unserer 
Literatur  als  auf  das  höchste  Vorbild  jeder  Kunst:  ihr 
entnahm  auch  Wagner  sein  Muster.  Was  er  wollte, 
war  der  Idee  nach  durchaus  nicht  etwas  unbedingt 
Neues.  Seit  dem  Beginn  der  neueren  Ästhetik,  seit 
dem  Anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  hatten  be- 
deutende und  einflußreiche  Denker  und  Dichter,  Bat- 
teux,  Voltaire,  Rousseau,  Diderot  in  Frankreich,  Sulzer, 


Wieland,  Lessing.  Herder,  Schiller.  Goethe,  Schelling, 
Schleiermachcr ,  E.  T.  A.  Hoffmann  und  andere  bei 
uns,  wiederholt  und  immer  dringender  ein  ähnliches 
dramatisches  Gesamtkunstwerk  gefordert.  Sie  wiesen 
zu  diesem  Behuf  auf  die  Oper  hin ,  der  eben  damals 
Gluck  und  Mozart  neue  Wege  bahnten.  Durch  Ver- 
edlung und  dramatische  Vertiefung  ihres  dichterischen 
Gehaltes  sollte  aus  ihr  das  Ideal  der  Kunst  gebildet 
werden.  Allein ,  was  diese  Männer  nur  teilweise  an- 
deuteten und  immer  nur  theoretisch  aussprachen ,  das 
ließ  Wagner  zuerst  nach  allen  Seiten  hin  streng  folge- 
richtig ausreifen  und  machte  es  zur  künstlerischen  Tat. 
Dichter  und  Komponist  in  einer  Person,  knüpfte  er  in 
seinen  Werken  unmittelbar  an  das  an,  was  unsre  Klas- 
siker und  Romantiker  in  der  Poesie  sowohl  wie  in  der 
Musik  geleistet  hatten,  bildete  ihre  Ideen,  ihre  Stoffe 
und  Formen  selbständig  weiter  und  schloß  so  auf  bei- 
den Gebieten  der  Kunst  die  Entwicklung  krönend  ab, 
durch  die  sich  der  deutsche  Geist  seit  mehr  als  einem 
Jahrhundert  langsam  dem  Ideal  des  Dramas  genähert 
hatte. 

Seine  Lebenszeit  fiel  in  die  Periode,  in  der  sich 
unser  Volk  durch  innere  und  äußere  Kämpfe  nach  und 
nach  seine  jetzige  Weltstellung  errang.  Wagner  be- 
teiligte sich  äußerlich  nur  vorübergehend  an  diesen 
Kämpfen.  Aber  er  litt  nicht  nur  persönlich  lange  Jahre 
unter  den  Bedrängnissen ,  welche  die  inneren  Wirren 
über  Deutschland  brachten ;  auch  sein  geistiges  Ringen 
nach  neuen  Siegen  der  deutschen  Kunst  ging  Hand  in 
Hand  mit  den  Bestrebungen  und  Taten,  die  uns  zu 
politischer  Freiheit  und  Größe  führten.  Es  ist  kein 
Zufall,  daß  unmittelbar  nach  der  Bewegung  der  Jahre 
1848  und  1849  Wagners  revolutionäre  Kunstschriften 
erschienen,  die  zuerst  sein  Ideal  des  Dramas  laut  ver- 
kündigten und  theoretisch  begründeten ,  daß  damals 
zugleich  der  Entwurf  des  Werkes  entstand,  das  dieses 
Ideal  zuerst  vollkommen  zur  Tat  machen  sollte.  Es 
ist  ebensowenig  ein  Zufall,  daß  dieses  Werk  als  künst- 

3 


lerische  Erscheinung  vollendet  erst  ins  Leben  trat. 
nachdem  aus  den  Zeiten  unklaren  Strebens  und  leid- 
vollen Streitens,  die  es  reifen  sahen,  das  geeinigte 
Deutschland  und  das  neue  Reich  erwachsen  waren. 
Das  Bühnenfestspielhaus  bei  Bayreuth  und  die  Auf- 
führungen darin  im  Sommer  1876  und  1<S<S2  waren  der 
höchste  Triumph  des  Lebens  und  Schaffens  Richard 
Wagners,  nicht  minder  aber  die  unmittelbare  künstle- 
rische Folge  der  politischen  Siege  Deutschlands  von 
1870  und  1871. 


IL 


pp^Uilhclm  Richard  Wagner  wurde  am  22.  Mai 
f(p\  I  1813  zu  Leipzig  geboren.  Er  war  das  jüngste 
Vm)  \  Kind  einer  zahlreichen  Familie,  in  welcher  der 
*  Sinn    für    Kunst,   besonders    für   che  Bühne. 


heimisch  war.  Schon  der  Vater,  Friedrich  Wagner, 
Polizeiaktuar  am  Leipziger  Stadtgericht,  mit  Beethoven 
im  gleichen  Jahre  (1770)  geboren,  pflegte  diesen  Sinn. 
Ihn  raffte,  gerade  ein  halbes  Jahr  nach  Richards  Geburt, 
am  22.  November  1813,  als  die  Stadt  nach  der  Völker- 
schlacht mit  Verwundeten  überfüllt  war,  das  Lazarett- 
lieber weg.  Der  Witwe,  Johanna,  geb.  P  ä  t  z  (geboren 
1771  in  Weißenfels,  gestorben  1848),  nahm  sich  ein 
jüngerer  Freund  des  Verstorbenen  mit  treuer  Sorge  an. 
Ludwig  Geyer,  1779  zu  Eisleben  geboren,  juristisch 
gebildet,  als  Porträtmaler  und  Lustspieldichter,  be- 
sonders aber  als  Schauspieler  mit  Erfolg  tätig,  damals 
bereits  Mitglied  der  Dresdener  Hofbühne.  Mit  ihm 
verheiratete  sich  im  August  1814  Richards  Mutter;  zu 
ihm  siedelte  bald  darauf  die  Familie  nach  Dresden  über. 
Liebevoll  wachte  Geyer  über  die  Entwicklung  des 
Knaben,  aus  dem  er  „etwas  zu  machen"  hoffte.  Aber 
dessen  mannigfache  Anlagen  und  Neigungen  ließen  ihn 


zweifeln,  für  welche  Kunst  er  ihn  insbesondere  er- 
ziehen solle.  Indessen  machte  Richard  in  der  Dres- 
dener Schule  gute  Fortschritte,  zeigte  sich  jedoch  in 
keiner  Weise  als  ein  Wunderkind,  spielte  und  tollte 
vielmehr  übermütig  wie  ein  richtiger  gesunder  Junge. 
Am  30.  September  1821  verlor  er  auch  den  guten  Stief- 
vater. Um  der  Mutter  die  häuslichen  Sorgen  zu  er- 
leichtern, nahm  ihn  jetzt  ein  Bruder  Geyers  auf  ein 
Jahr  zu  sich  nach  Eisleben.  Auch  eine  Privatschule 
besuchte  hier  der  Knabe.  Dann  trat  er  im  Dezember 
1822  in  die  Dresdener  Kreuzschule  ein. 

Griechische  Sage  und  Geschichte  regte  ihn  nun 
vor  allem  an  und  bestimmte  auch  seine  ersten  dichte- 
rischen Versuche.  Er  übersetzte  aus  der  „Odyssee" 
und  entwarf  Trauerspiele  nach  dem  Vorbild  eines 
sklavisch-starren  Nachahmers  der  nntiken  Tragödie,  des 
gelehrten  Leipziger  Ratsherrn  Johann  August  Apel. 
Mit  dem  gleichen  Eifer  aber  versenkte  er  sich  alsbald 
auch  in  die  Lektüre  Shakespeares.  Von  den  Werken 
des  englischen  Dramatikers  mächtig  ergriffen,  arbeitete 
er  zwei  Jahre  lang  (1826 — 1828)  an  einem  großen  Trauer- 
spiel „Leu bald",  in  welchem  allerlei  Shakespearescke 
Motive  mit  Anklängen  an  deutsche  Ritterschauspiele 
verbunden  und  beide  ins  Romantisch -Abenteuerliche 
kraß  gesteigert  waren.  Der  dichterische  Trieb  erwachte 
zuerst  in  dem  Knaben ,  und  auf  das  Drama  war  von 
Anfang  an  seine  Absicht  gerichtet;  der  musikalische 
Trieb  schlummerte  noch  vollständig.  Nur  für  den 
„Freischütz"  und  dessen  Komponisten,  der  seit  1817 
als  Hofkapellmeister  in  Dresden  wirkte,  schwärmte 
Richard  schon  als  Kind.  An  diese  Oper  erinnerte  denn 
auch  der  eine  und  andre  Zug  in  seinem  „Leubald". 

Mit  der  Rückkehr  der  Familie  nach  Leipzig  (Ende 
1827)  änderte  sich  manches  auch  im  Geistesleben  des 
jungen  Richard.  Großen  Einfluß  gewann  jetzt  sein 
Oheim,  Adolf  Wagner,  auf  ihn,  ein  vielfach  tätiger, 
wissenschaftlich  und  künstlerisch  gleichmäßig  gebil- 
deter  Schriftsteller,    ein  tüchtiger  Philologe  und  Lite- 

6 


rarhistoriker,  ein  fleißiger  und  vielseitiger  Übersetzer, 
der  sich  auch  mehrfach  als  Originaldichter  versuchte 
und  der  Anerkennung  des  hochbewunderten  Goethe, 
der  Freundschaft  Tiecks,  Fouques  und  anderer  Führer 
der  Romantik  erfreute.  Aber  trotz  der 
reichen  Anregung,  die  der  Neffe  im 
Verkehr  mit  ihm  empfing,  erlosch 
nun  in  Richard  der  Eifer  für  die 
Schulstudien,  durch  den 
er  sich  bisher  ausge- 
zeichnet hatte.  Dafür 
entzündeten  die  Ge- 
wandhauskonzerte ,  in 
denen  er  neben  Mozart 
vor  allem  Beethoven 
kennen  lernte,  seine 
Liebe  zur  Musik. 
Die  Verbindung  von 
Dicht-  und  Tonkunst 


aber  im  „Egmont"  zeigte  ihm 
ein  höchstes  Ideal,  dem  er 
schon  jetzt  im  jugendlichen 
Eifer  nachstreben  wollte.  So 
beschloß  er  alsbald,  sein 
grofses  Trauerspiel  mit  Musik 
zu  versehen,  und  entwarf 
unter     dem     Eindruck     von 


Geburtshaus  Wagners  in 


Goethes  „Laune  des  Verliebten"  und  Beethovens 
Pastoral  Symphonie  ein  Schäferspiel,  dessen  Musik 
er  gleich  mit  den  Versen  niederschrieb. 

Auf  die  neue  Kunst  lenkten  ihn  ganz  besonders  auch 
die  Schriften  der  Romantiker,  die  so  oft  in  ihrer  Poesie 
rein  musikalische  Klangwirkungen  erzielen  wollten.  Sie 
las  Richard  jetzt  mit  empfänglichem  Geiste  und  unter 
ihnen  am  liebsten  die  gespenstisch-abenteuerlichen  Er- 
zählungen des  genialen  Ernst  Theodor  Ämadcus  Hoff- 
mann,  der  selbst  Dichter,  Musiker  und  Maler  zugleich 
war.  als  dichterischer  Scher  das  innerste  Wesen  und 
die  geheimsten  Rätsel  der  Musik  aussprach  und  gern 
die  Tonkunst  als  Vertreterin  und  höchste  Offenbarung 
der  Kunst  überhaupt  auffaßte.  Einzelne,  besonders 
mittelalterliche  Stoffe  Hoffmanns  prägten  sich  schon 
damals  der  Seele  seines  jugendlichen  Verehrers  fest  ein: 
der  prickelnde,  trotz  seiner  äufäerlichen  Ruhe  heftig 
aufregende,  mit  Humor,  Satire,  Ironie  reich  getränkte 
Stil  des  romantischen  Erzählers  übte  noch  ein  Jahr- 
zehnt darnach  und  später  auf  den  Schriftsteller  Wagner 
•  •inen  ungemein  starken  Einfluß  aus.  Auf  den  Jüng- 
ling, der  eben  dem  Knabenalter  entwuchs,  wirkte  mehr 
die  überreizte  Phantastik  Hoffmanns ,  die  Art ,  wie  er 
die  abstraktesten  Begriffe  sinnlich  belebte,  wie  er 
Märchenhaft -Wunderbares  und  Wirkliches  unlösbar  in 
einander  mischte. 

Seine  Exzentrizität  spiegelte  sich  äußerlich  und 
innerlich  auch  in  Richards  ersten  Kompositionsver- 
suchen wieder.  Beethovens  kühne  Größe  und  Tiefsinn 
dachte  er  nachzubilden,  als  er  sich  nach  wenigen  Ar- 
beiten für  Kammermusik  größeren  Orchesterwerken  zu- 
wandte und  besonders  mehrere  Konzertouvertüro n 
schrieb,  die  meistens  in  Leipzig  ein-  oder  zweimal  auf- 
geführt wurden.  Dieses  Vorbild  begeisterte  ihn  so. 
daf3  er  selbst  schon  in  der  ersten  Ouvertüre,  die  noch 
von  wirren  Absonderlichkeiten  strotzte  und  die  Hörer 
aufs  üußserste  verblüffte .  etwas  auszusprechen  ver- 
mochte,   was    ernsten     Musikern    Achtung    abnötigte. 


Von  dem  falschen  Schwulste  befreite  ihn  der  Unter- 
richt des  Kantors  an  der  Thomasschule,  Theodor  Wein- 

lig,  eines  gediegenen  Musikers,  der  ihn  in  das  Ver- 
ständnis des  Kontrapunktes  einführte.  Jetzt  lernte  er 
auch  Mozart  und  Haydn  besser  schätzen.  Unter  Mo- 
zarts Einfluß  vornehmlich  verfaßte  er  eine  Klavier- 
sonatc,  seine  erste  Komposition,  die  er  zum  Druck 
brachte.  Noch  ein  paar  Arbeiten  für  das  Klavier  folgten 
ihr,  zum  Teil  ebenso  unselbständig  wie  sie.  Ein  Kla- 
vier a  u  s  z  u  g  der  „NeuntenSymphonie"  aber  für 
zwei  Hände,  den  er  sich  damals  zunächst  zu  eignem 
Gebrauch  anfertigte,  fand  trotz  ernstem  Bemühen  des 
Jünglings  nicht  den  Weg  in  die  Öffentlichkeit.  Auch 
sieben  Gesänge  zu  Goethes  innig  bewundertem 
..Faust"  (1832)  blieben  ungedruckt.  Bedeutender  als 
die  übrigen  Kompositionsversuche  aus  diesen  ersten 
Jahren  fiel  eine  Symphonie  in  C-dur  aus.  Auch 
sie  verriet  neben  der  Bewunderung  Beethovens  das 
fleißige  Studium  Mozarts,  wies  außerdem  aber  manche 
eigenartigen  Gedanken  und  eine  bemerkenswerte  kontra- 
punktische Geschicklichkeit  auf. 

Aufgeführt  wurde  die  Symphonie  zuerst  im  Sommer 
1832  durch  Dionys  Weber,  den  Direktor  des  Prager 
Konservatoriums,  als  Wagner  ihn  auf  der  Rückfahrt 
von  einer  Reise  nach  Wien  aufsuchte.  Der  junge  Ton- 
dichter hatte  im  Februar  1831  das  Gymnasium  ver- 
lassen und  dann  einige  Semester  an  der  Leipziger  Uni- 
versität —  nicht  allzu  fleißig  —  Philosophie  und  Ästhe- 
tik gehört,  ohne  jedoch  seine  Musik,  in  der  er  nun- 
mehr seinen  Lebensberuf  erkannte,  mit  einem  gelehrten 
Fachstudium  zu  vertauschen.  Auch  an  den  wilden 
Genüssen  einer  studentisch  sich  austollenden  Jugend 
hatte  er  kurze  Zeit  lebhaften  Anteil  genommen  und 
mit  warmer  Begeisterung  in  die  durch  die  Julirevo- 
lution entfesselten  freiheitlichen  Regungen  und  in  die 
allgemeine  Schwärmerei  für  die  unterdrückten  Polen 
eingestimmt. 

Was  er  1832  vom  Wiener  Musikleben  kennen  lernte, 


enttäuschte  ihn  bitter;  in  Prag  aber  und  während  des 
folgenden  Winters  in  Leipzig  begann  er  seine  erste 
Oper  „Die  Hochzeit".  Schon  jetzt  war  es  ihm  zur 
Überzeugung  geworden,  daß  er  nur  einen  Text,  den  er 
selbst  gedichtet,  in  Musik  setzen  dürfe:  die  dramati- 
sche Wirkung,  auf  die  es  ihm  vor  allem  ankam,  war 
nur  so  zu  erreichen.  Verschiedne  literarische  Anre- 
gungen scheinen  bei  der  Gestaltung  des  düstern  Stoffes 
zusammengewirkt  zu  haben.  Auf  Ossians  Helden  weisen 
die  Namen  der  Wagnerschen  Personen  zum  Teil  zu- 
rück. Einzelne  Züge  der  Oper  klingen  an  Shakespeare- 
sche  Probleme  an;  der  Schluß  mahnt  an  die  Kata- 
strophe der  „Braut  von  Messina"  und  an  allgemein 
leitende  Gedanken  der  Schicksalstragödie.  Die  Grund- 
linien der  bedeutendsten  Szene,  aber  auch  nur  die  Grund- 
linien, dürfte  Wagner  dem  Trauerspiel  ..Cardenio  und 
Celinde"  von  Immermann  (1826),  vielleicht  auch  der 
eben  erst  in  Wien  bis  zum  Überdruß  gehörten  Oper 
..Zampa"  von  Herold  entnommen  haben.  Freilich  ver- 
kürzte und  vereinfachte  er  dabei  durchweg  die  Hand- 
lung, die  ihm  diese  Vorlagen  darboten,  ja  veränderte 
sie  in  dem  weiteren  Verlauf,  den  er  ihr  gab,  bis  zur 
Unkenntlichkeit.  Allein  der  krasse ,  vielleicht  auch 
sonst  exzentrische  Text  mißfiel  der  Schwester  des 
Dichters,  die  als  begabte  Schauspielerin  wohl  ein  Urteil 
in  solchen  Dingen  haben  mußte.  Wagner  vollendete 
daher  die  Komposition  nicht,  die  sich  noch  meist  in 
den  alten  Bahnen  der  deutschen  Oper  bewegte,  ob- 
gleich ein  Septett  am  Anfang  Weinligs  frohen  Beifall 
fand.  Die  Dichtung  vernichtete  er  spurlos;  nur  die  in 
Musik  gesetzte  einleitende  Szene  (mit  jenem  Septett) 
hat  sich  handschriftlich  erhalten. 

Dagegen  gedieh  eine  andere,  bald  nach  der  „Hoch- 
zeit" begonnene  Oper  zum  Abschluß,  aber  erst  in  Würz- 
burg, wohin  Wagner  zu  seinem  Bruder  Albert,  der 
dort  als  Schauspieler,  Sänger  und  Regisseur  wirkte, 
im  Februar  1833  übersiedelte.  In  Friedrich  Werthes' 
deutscher  Übersetzung   der   theatralischen  Werke   des 

10 


Grafen  Carlo  Gozzi  (Bern  1777)  hatte  der  Jüngling  das 
tragikomische  Märchen  „Die  Frau  eine  Schlange"  („La 
donna  serpente")  gelesen.  Schon  1806  war  dieses 
Stück  von  dem  Berliner  Kapellmeister  Friedrich  Hein- 
rich Himmel  zn  einer  Oper  „Die  Sylphen"  bearbeitet 
worden,  von  der  jedoch  Wagner  kaum  etwas  Näheres 
wußte.  Wohl  aber  war  sem  Augenmerk  durch  das 
begeistert  empfehlende  Lob  seines  Oheims  und  E.  T.  A. 
Hoffmanns  längst  auf  den  phantasievollen  italienischen 
Dramatiker  gelenkt  worden.  Nun  gestaltete  auch  er 
Gozzis  Märchendrama  zu  einer  Oper  um,  die  er  „Die 
Feen"  betitelte. 

Er  benannte  in  den  meisten  Fällen  die  Personen 
anders,  wobei  er  mehrfach  Namen  aus  der  „Hochzeit" 
auf  sie  übertrug,  ließ  einige  wenige  Nebenfiguren  ganz 
weg,  behielt  aber  im  allgemeinen  den  Gang  der  Hand- 
lung, ihre  Gliederung  in  drei  Akte  sowie  die  wichti- 
geren Charaktere  des  Originals  bei.  Nur  beseitigte  er 
manche  Züge,  die  derb-possenhaft  wirkten  oder  auch 
Gozzis  persönlichen  satirischen  Zwecken  dienten,  und 
entfernte  oder  milderte  wenigstens  alles,  was  durch 
die  Übertreibung  des  Wunderbaren  allzu  sehr  an  das 
Märchen  mahnte.  Dafür  bildete  er  die  ernsten,  mensch- 
lich ergreifenden  Szenen  seiner  Vorlage  edler  und  be- 
deutender aus.  Am  Inhalt  änderte  er  trotz  mehrfachen 
Kürzungen  wenig;  im  Einzelausdruck  verfuhr  er  voll- 
ständig frei  als  Originaldichter,  der  zwar  oft  noch  mit 
Sprache  und  Vers  unbeholfen  rang,  bisweilen  aber 
schon  echten  poetischen  Glanz  über  seine  Reden  aus- 
zugießen vermochte.  In  die  Exposition  wußte  er  mehr 
Klarheit  und  Stimmung  zu  bringen  als  der  Italiener; 
die  Vorgänge  des  zweiten  Aufzugs  ordnete  er  so,  daß 
sich  in  seinem  Werke  ein  reicheres  dramatisches  Leben 
auf  der  Bühne  entfaltet,  also  auch  eine  stärkere  thea- 
tralische Wirkung  erzielt  wird.  Zu  andern  Ände- 
rungen veranlaßte  ihn  die  Rücksicht  auf  die  musika- 
lische Ausführung,  der  Wunsch,  hier  eine  Arie,  dort 
ein  Duett,    Terzett  oder  Quartett,    einen  Chor  anzu- 

11 


bringen,  besonders  die  Akte  mit  großen  Ensembles  zu 
sehließen. 

Musikalische  Gründe  waren  es  denn  aueh  zunächst. 
die  ihn  bestimmten,  das  Ende  des  Dramas  völlig  um- 
zugestalten. Bei  Gozzi  wird  die  Fee  Cherestani,  die 
um  eines  irdischen  Mannes  willen  der  Unsterblichkeit 
entsagen  wollte,  in  eine  Schlange  verwandelt,  da  ihr 
Gemahl  die  Prüfungen,  durch  die  er  sich  seines  (lauern- 
den Glückes  würdig  machen  sollte,  nicht  bestand. 
Abel"  nun  rafft  sich  der  Schuldige  zu  übermenschlichen 
Taten  auf,  siegt  in  Kämpfen,  die  den  Mutigsten 
schrecken  könnten,  bricht  den  Zauber,  indem  er  die 
entsetzliche  Schlange  küßt,  und  gewinnt  so  sich  die 
Geliebte  zurück,  ihr  aber  das  ersehnte  Los  der  Sterb- 
lichkeit. Bei  Wagner  wird  die  Fee  Ada  in  Stein  ver- 
wandelt und  durch  den  beschwörenden  Gesang  ihres 
Gatten  wieder  entzaubert.  Aber  nicht  sie  wird  nun 
sterblich  wie  er,  sondern  er.  den  die  Götterkraft  der 
Liebe  über  das  gemeine  Maß  des  Menschlichen  er- 
hoben, folgt  seiner  Gemahlin,  gleich  unsterblich  wie 
sie,  ins  Feenreich.  Die  Dichtung,  die  so  mit  ihrem 
Preise  der  Macht  des  Gesanges  an  die  Sage  von 
Orpheus  und  Eurydike,  äußerlich  auch  an  den  SchlnCs 
von  Shakespeares  ..Wintermärchen"  erinnert,  ist  durch 
Wagners  Änderung  nicht  nur  ergiebiger  für  den  Ton- 
setzer geworden,  sie  befriedigt  nun  auch  unser  poeti- 
sches Empfinden  besser.  Indem  Wagner  seinen  Helden 
zuletzt  der  Unsterblichkeit  teilhaftig  werden  ließ,  kehrte 
er,  vielleicht  unbewußt,  zur  ältesten  Fassung  jener 
Sagen  von  der  Vermählung  eines  überirdischen  Weibes 
mit  einem  sterblichen  Manne  zurück,  zu  Kalidasas 
Drama  „Urvasi",  das  schon  seit  1828  in  einer  deutschen 
Übersetzung  (von  Oskar  Ludwig  Bernhard  Wolff)  vor- 
lag. Zugleich  aber  deutete  er  damit  bereits  auf  einen 
Gedanken,  der  in  seinen  späteren  Werken  mehrmals 
wiederkam,  im  allgemeinen  hin.  auf  die  Erhebung  vom 
Irdischen  zu  ewiger  Wonne  durch  die  Kraft  der  er- 
lösenden Liebe.    Noch  andre  Grundmotive  der  späteren 

12 


Wagnerschen  Dichtung  sind  in  den  „Feen"  schon  vor- 
gebildet; so  namentlich  die  Idee  des  „Lohengrin" :  nur 
so  lange  darf  der  Mensch  in  ungetrübtem  Glücke  mit 
einem  Wesen  aus  überirdischen  Bezirken  liebend  ver- 
einigt sein,  als  er  nicht  zweifelnd  dessen  geheimnis- 
volle Herkunft  aufzudecken  versucht. 

Auch  die  musikalische  Ausführung  der  „Feen" 
weist  hie  und  da  schon  auf  den  späteren  Wagner  hin, 
aber  doch  nur  in  vereinzelten  Fällen,  wo  der  junge 
Komponist  dramatisch  besonders  bedeutsame  Momente 
durch  die  Kunst  seiner  Töne  charakterisieren,  oder  wo 
er  halblyrische,  idyllische  und  namentlich  elegische 
Stimmungen  erklingen  lassen  wollte.  Dazu  kommen 
in  der  Ouvertüre  und  auch  sonst  ein  paar  Themen, 
die  in  späteren  Werken  Wagners,  in  der  „Faust-Ouver- 
türe", im  „Rienzi",  im  „Fliegenden  Holländer",  fast 
unverändert  wieder  auftauchen.  Bewundernswürdig 
ist,  wie  sicher  der  Jüngling  die  technischen  Mittel  be- 
herrscht, den  Chor  und  die  einzelnen  Instrumente  be- 
handelt, das  Orchester  überhaupt  zum  Ausdruck  der 
Empfindung  und  zur  dramatischen  Wirkung  verwertet. 

Allzu  große  Breite  ist  ein  Grundfehler  der  Kompo- 
sition ;  hierin  verrät  sich  am  meisten  der  Anfänger. 
Ihn  merkt  man  ferner  in  den  Rezitativen.  Hier  vor 
allem  fand  der  unsicher  Tastende  noch  oft  die  selb- 
ständige freie  Melodie  nicht,  deren  Mangel  Wagner 
hernach  selbst  beklagte.  Eine  viel  größere  und  zum 
Teil  reifere  musikalische  Begabung  bekundeten  die 
Arien  und  mehrstimmigen  Gesänge,  die  großen  En- 
sembles und  die  Ouvertüre.  In  der  Leichtigkeit,  mit 
der  er  seine  Melodien  der  natürlichen  Betonung  der 
Worte  anpaßte,  übertraf  schon  der  junge  Dramatiker 
die  meisten  seiner  Vorgänger.  Freilich  blieb  er  auch 
bei  dem  entschiedensten  Streben  nach  eigenartiger 
Erfindung  und  Gestaltung  nicht  selten  noch  in  der 
Nachbildung  fremder  Muster  befangen.  Daß  sein  musi- 
kalischer Stil  in  den  „Feen"  von  Beethoven,  Weber 
und  Marschner  abhängig  war,  hat  Wagner  später  selbst 

13 


ausgesprochen.  Aber  auch  Eindrücke  aus  Mozarts 
Opern,  aus  Schuberts  Liedern  und  selbst  Einflüsse 
gleichzeitiger  Musiker  von  viel  geringerem  Namen  sind 
in  der  Komposition  der  „Feen"  zu  spüren;  ja  bisweilen 
glaubt  man  schon  Anklänge  an  den  Stil  Rossinis  und 
der  jüngeren  Italiener  zu  vernehmen,  mit  deren  Werken 
Wagner  eben  damals  bekannt  wurde.  Doch  der  Grund- 
charakter seiner  Musik  war  noch  völlig  deutsch;  das 
Vorbild  Webers  bestimmte  ihn  mächtiger  als  alle  an- 
dern, noch  so  verlockenden  Muster. 

Unmittelbar  nach  der  Vollendung  seiner  Oper  (im 
Januar  1834)  reiste  der  Jüngling  nach  Leipzig  zurück. 
Er  hatte,  auch  abgesehen  von  dieser  Arbeit,  seine  Zeit 
in  dem  musikalisch  regsamen  Würzburg  nicht  ver- 
geudet und  sich  namentlich  als  Chor-  und  Solorepe- 
titor am  dortigen  Stadttheater  die  erste  Routine  er- 
worben, deren  der  nachmalige,  unvergleichlich  geniale 
Dirigent  bedurfte.  In  Leipzig  warteten  seiner  Ent- 
täuschungen -  -  er  konnte  seine  „Feen"  nicht  auf  die 
Bühne  bringen  -  und  neue  Eindrücke.  Er  hörte 
AVilhelmine  Schröder-Devrient  in  Bellinis  Opern,  die 
Künstlerin,  deren  auf3erordentliches  Wesen  elektrisch 
auf  ihn  wirkte,  deren  Bild  von  nun  an  ihm  vor  die 
Seele  trat,  so  oft  ihn  der  Drang  zu  künstlerischem 
Gestalten  belebte.  Von  ihr  gesungen,  schien  ihm  die 
moderne  italienische  Musik,  deren  Schwächen  er  nicht 
verkannte,  doch  auch  ihre  nachahmenswerten  Vorzüge 
zu  haben:  freudige  Lebenslust  fand  er  hier,  wenn  auch 
frivol,  so  doch  ungleich  glücklicher  ausgesprochen  als 
in  den  schwerfällig-gewissenhaften  deutschen  Werken. 

Und  freudige  Lebenslust  sollte  jetzt  seine  Losung 
sein.  Sie  predigten  die  Schriftsteller,  zu  denen  er  sich 
nun  vornehmlich  hingezogen  fühlte,  Wilhelm  Heinse, 
der  Prophet  des  künstlerisch  höchsten  wie  des  sinnlich 
niedrigen  Genusses,  der  unter  allen  Dichtern  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  die  wärmste  Begeisterung  und 
das  feinste  Verständnis  für  Musik  besaß,  und  die  Au- 
toren  des   Jungen   Deutschland,  Heinrich   Laube,    mit 

14 


dem  Wagner  schon  vor  Jahresfrist  persönlich  bekannt 
geworden  war,  daneben  Ludwig  Börne,  Karl  Gutzkow, 
Heinrieh  Koenig  und  der  Dichter,  der  nun  bald  für 
eine  geraume  Zeit  den  stärksten  Einfluß  auf  den  jugend- 
lich aufstrebenden  Künster  ausüben  sollte,  Heinrich 
Heine.  Volles  Leben  in  der  Gegenwart,  Erfassen  und 
Genießen  des  Augenblicks,  der  Wirklichkeit,  Freiheit 
in  Staat,  Sitte  und  Literatur  bis  zur  rücksichtslosen 
Emanzipation  des  Fleisches  lehrten  diese  Schriftsteller 
uud  lenkten  dabei  die  Blicke  sehnsüchtig  nach  Frank- 
reich, wo  der  Kampf  gegen  das,  was  in  Staat  und  Ge- 
sellschaft, in  Religion,  Kunst  und  Wissenschaft  autori- 
tativ galt,  schon  früher  begonnen  hatte.  Mit  ihnen 
richtete  auch  Wagner  sein  Auge  auf  die  französische 
Literatur  und  Musik.  Und  hier  war  ihm  schon  vor 
einigen  Jahren  in  Aubers  Meisterstück,  der  seit  1829 
in  Leipzig  oft  aufgeführten  „Stummen  von  Portici",  ein 
ganz  revolutionäres  Werk  entgegengetreten,  das  ihn 
heftig  und  nachhaltend  erregte,  eine  Oper  von  merk- 
würdig dramatischer  Geschlossenheit,  dabei  „heiß  bis 
zum  Brennen  und  unterhaltend  bis  zum  Fortreißen", 
wie  er  noch  1871  von  ihr  rühmte. 

Der  tiefe  Eindruck,  den  alle  diese  künstlerischen 
Erscheinungen  auf  ihn  machten,  offenbarte  sich  in  einem 
Aufsatz  über  die  deutsche  Oper  (1834),  worin 
er  gegen  die  deutsche  Einseitigkeit  und  ihren  Anschein 
von  musikalischer  Gelehrsamkeit  eiferte.  Noch  stärker 
prägte  sich  dies  Empfinden  in  dem  größeren  Werke 
aus,  dessen  Plan  auf  einer  Sommerreise  1834  zu  Teplitz 
entstand,  der  zweiaktigen  Oper  „DasLiebesverbot 
oder  die  Novize  von  Palermo". 

Shakespeares  „Maß  für  Maß"  lieferte  den  Stoff. 
Aber  wieder,  wie  zuvor  bei  den  „Feen",  verminderte 
Wagner  die  Anzahl  der  handelnden  Personen,  verkürzte 
die  Handlung  um  allerlei  Episoden  und  veränderte  den 
Ausgang  so,  daß  er  nun  auch  dem  Musiker  brauch- 
bare Motive  darbot.  Zugleich  aber  deutete  der  neue 
Schluß   auch   äußerlich    den    revolutionären    Sinn    des 

15 


jungen  Dichters  an.  Bei  Shakespeare  steht  der  Herzog, 
den  seine  Untertanen  abwesend  glauben  und  in  der 
Mönchskutte  nicht  erkennen,  im  Mittelpunkt  der  Hand- 
lung. Er  beobachtet  prüfend  alle  Wirren,  die  zunächst 
die  unnatürlich-grausame  Strenge  seines  Stellvertreters 
gegen  sinnliche  Vergehen,  dann  aber  auch  die  eigne 
sinnliche  Leidenschaft  eben  dieses  Stellvertreters  her- 
vorruft: er  greift,  zuerst  noch  unerkannt,  beratend  und 
mildernd  in  sie  ein  und  schlichtet  sie  zuletzt  in  öffent- 
licher Gerichtsverhandlung,  wo  gerecht  Maß  für  Maß 
zuerkannt  wird.  Diesen  sittlich-rechtlichen  Grundsatz 
dramatisch  zu  beleuchten,  war  Shakespeares  Haupt- 
zweck; die  Darstellung  der  sinnlichen  Vergehungen 
freier  Liebe  diente  ihm  nur  als  Mittel  zu  diesem  Zweck. 
Wagner  hingegen,  von  den  Lehren  des  Jungen  Deutsch- 
land bestochen,  entfaltete  die  freie,  offne  Sinnlichkeit 
um  ihrer  selbst  willen.  Indem  er  den  ernsten,  richter- 
lichen Schluß  beseitigte,  ließ  er  diese  Sinnlichkeit  den 
Sieg  über  puritanische  Heuchelei  rein  durch  sich  selbst 
gewinnen.  Das  Unnatürliche  der  grausamen  Sitten- 
richterei  des  Statthalters  kehrt  sich  gegen  ihn  selber; 
nicht  erst  sein  Fürst,  sondern  sein  eignes  Herz  be- 
straft den  heuchlerischen  Toren,  der  gegen  Natur  und 
Liebe  wüten  zu  können  vermeint.  Von  seinem  Drucke 
aber  befreit  sich  das  Volk  selbst,  ohne  die  Rückkehr 
des  Fürsten  erst  abzuwarten,  durch  einen  Aufstand, 
der  mitten  aus  der  übermütigen  Faschingslustbarkeit 
hervorbricht. 

Die  Handlung  des  Shakespeareschen  Stücks  verlor 
durch  diese  Vereinfachung  der  Motive  zwar  an  geistiger 
Tiefe  und  sittlichem  Ernst,  aber  kaum  an  dramati- 
schem Gehalt:  ihre  theatralische  Wirkung,  ebenso  ihre 
Lustigkeit  wurde  dadurch  eher  erhöht.  Auch  auf  die 
Ausgestaltung  der  Charaktere  und  die  dichterische 
Ausführung  des  Einzelnen  verwandte  Wagner  (und 
nicht  vergeblieh)  manchen  Fleiß:  doch  mußte  er  hier 
notwendig  gegen  seinen  Vorgänger  zurückstehen.  Denn 
schon  der  herkömmliche  Stil  der  komischen  Oper,  von 

IG 


dem  er  sich  auch  im  Textbuch  nur  selten  Loszureißen 
vermochte,  zwang  ihn  zu  mancher  Oberflächlichkeit  in 

Charakteristik,  Handlung  und  Ausdruck.  Alter  das 
ganze  Problem  wußte  Wagner  im  modernen  Sinne 
glaublicher  zu  gestalten,  einiges  auch  seelisch  tiefer 
zu  begründen.  Um  die  Entwicklung  des  Dramas  wahr- 
scheinlicher zu  machen,  wählte  er  statt  des  Shakespeare- 
schen  Wien  eine  südlichere  Stadt,  deren  Bewohner 
von  heißerer  Sinnlichkeit  glühen,  das  Palermo  des 
M'chzehnten  Jahrhunderts,  zum  Schauplatz.  Die  Er- 
innerung an  Aubcrs  „Stumme",  wo  gleichfalls  ein 
Volksaufruhr  im  südlichen  Italien  dargestellt  wurde, 
vielleicht  auch  an  die  sizilianische  Vesper,  mochte  ein 
weiterer  Grund  für  die  örtliche  Verlegung  des  alten 
Stoffes  sein,  den  überdies  schon  Shakespeare  aus 
italienischen  Novellen  geschöpft  hatte.  Den  puritani- 
schen Statthalter  aber  machte  Wagner  zu  einem  Deut- 
schen :  die  Satire  des  gleichzeitigen  Aufsatzes  über  die 
deutsche  Oper  gegen  die  schwerfällige  Gediegenheit 
seiner  Landsleute,  die  von  dem  Recht  der  leichten 
Sinnlichkeit  nichts  wissen  wollten,  tauchte  hier  nur  in 
andrer  Form  wieder  auf. 

Von  der  gelehrten  Schwerfälligkeit  der  deutschen 
Meister  suchte  sich  denn  auch  der  junge  Musiker  bei 
der  Komposition  dieser  Oper  frei  zu  halten.  Ganz  andre 
Muster  als  noch  jüngst  bei  den  „Feen"  schwebten  ihm 
nun  vor,  die  modernen  Italiener  und  Franzosen,  Auber 
und  Bellini  mit  in  erster  Linie,  neben  ihnen  auch  schon 
.\h ■verheer.  Sie  bildete  er  jetzt  unbedenklich  mit  all 
ihren  Trivialitäten  und  bloß  äußerlichen  Effekten  nach, 
ihren  hguren-  und  kadenzenreichen  Gesangsstil,  ihre 
oft  roh  lärmende  Instrumentationsweise.  Selbst  un- 
mittelbare thematische  Anklänge  an  sie  vermied  er 
nicht.  Aber  schien  er  sich  auch  mit  dieser  Kompo- 
sition von  ausgesprochen  romanischem  Gepräge  ganz 
und  gar  von  den  deutschen  Meistern  zu  entfernen,  so 
ließ  doch  hie  und  da  eine  vereinzelte ,  nichts  weniger 
als   banale   und  durchaus  unromanische  Melodie  nebst 

U  u  n  c-  k  e  r,  R.  Wagner.    2.  Aufl.  2  17 


ihrer  eigenartig-charakteristischen  Durchführung  ahnen, 
daß  er  mit  der  Zeit  auf  den  Weg  zurückkehren  werde, 
den  er  als  Nacheiferer  Beethovens  und  Webers  der- 
einst betreten  hatte.  Ein  paar  Motive  seiner  späteren 
Opern,  sogar  noch  eines  aus  der  Erzählung  Tann- 
häusers  von  seiner  Pilgerfahrt  nach  Rom .  kündigten 
sich  bereits  mitten  unter  den  französischen  und  ita- 
lienischen Weisen  des  ..Liebesverbotes"  an. 

Die  einzelnen  Werke  der  neuen  Schule,  der  sich 
Wagner  hier  anschloß,  lernte  er  praktisch  auf  das 
gründlichste  kennen,  seitdem  er  (im  Juli  1834)  Musik- 
direktor bei  der  Theatertruppe  Heinrich  Bethmanns  ge- 
worden war.  Sie  spielte  die  nächsten  Sommermonate 
in  Lauchstädt  und  Rudolstadt,  vom  Oktober  an  in 
Magdeburg.  Mit  Eifer  und  Erfolg  gab  sich  Wagner 
seiner  neuen  Aufgabe  hin.  an  der  er  selbst  am  meisten 
lernte ,  leitete  außer  den  Opernaufführungen  auch  das 
eine  oder  andere  Konzert,  komponierte  neben  dem 
„Liebesverbot"  noch  einige  kleinere  Werke,  besonders 
eine  Kantate  zum  Neujahr  1835.  begann  auch  im 
Beethovenschen  Stil  eine  zweite  Symphonie  (in 
E-dur),  die  jedoch  nicht  über  den  Anfang  des  zweiten 
Satzes  hinaus  gelangte,  und  sprach  gelegentlich  in 
einem  Zeitungsaufsatze  ähnliche  Ansichten  aus  wie  in 
dem  früheren  Versuch  über  die  deutsche  Oper.  Eine 
Reise ,  die  er  in  Angelegenheiten  des  Theaters  im 
Sommer  1835  unternahm,  führte  ihn  zu  Nürnberg  wie- 
der mit  Wilhelmine  Schröder-Devrient  zusammen  und 
steigerte  nur  noch  seine  Bewunderung  für  die  außer- 
ordentliche Künstlerin.  Auch  traf  er  in  Kosen  den 
alten  Freund  Laube  wieder,  der  ihm  seinen  Beifall  für 
die   Dichtung   des    ..Liebesverbotes"    nicht   vorenthielt. 

Endlich  konnte  Wagner  am  29.  März  1836  diese 
Oper  auf  die  Bühne  bringen.  Es  war  dicht,  bevor 
er  Magdeburg  für  immer  verließ.  Denn  die  Gleich- 
gültigkeit des  dortigen  Publikums  gegen  das  Theater, 
obwohl  tüchtige  Kräfte  an  diesem  wirkten,  verursachte 
schon    um  Ostern  1836  die  Auflösung  der  Bethmann- 

18 


sehen  Truppe.  Nur  eine  einzige ,  noch  dazu  übereilte 
und  deshalb  wirkungslose  Aufführung  des  „Liebesver- 
botes" kam  zustande ;  alle  Bemühungen  des  Kompo- 
nisten, eine  Wiederholung  seiner  Oper  in  Leipzig  oder 
in  Berlin  zu  erzielen,  waren  fruchtlos.  Um  sich  eine 
neue  Stellung  zu  gewinnen,  ging  er  im  Sommer  nach 
Königsberg;  aber  erst  im  Frühling  1837  wurde  ihm 
hier  das  Amt  eines  Musikdirektors  übertragen,  das  er 
jedoch  schon  im  Mai  bei  dem  Bankerott  des  Königs- 
berger Theaters  wieder  verlieren  sollte. 

Noch  vorher,  am  24.  November  1836,  hatte  er  sich 
mit  der  Schauspielerin  Christine  Wilhelmine 
Planer  (geboren  am  5.  September  1809)  verheiratet, 
die  zugleich  mit  ihm  schon  in  Magdeburg  gewirkt  hatte 
und  dort  seine  Braut  geworden  war.  Es  war  ein  über- 
eilter Schritt,  den  auch  seine  Familie  vorerst  nicht 
billigen  konnte.  Schon  nach  wenigen  Monaten  traten 
schwere  Mißhelligkciten  zwischen  den  beiden  Gatten 
ein,  die  fast  zur  Lösung  der  Ehe  geführt  hätten.  Ge- 
rade als  die  größte  Not  über  Wagner  hereinbrach,  ver- 
ließ  ihn  auch  Minna.  Doch  verzieh  er  ihr,  als  sie 
reuig  im  Spätherbst  zu  ihm  zurückkehrte,  und  von 
nun  an  trug  Minna,  einfach  und  von  Herzen  gut,  Jahre 
lang  in  treuer  Liebe  Mühsal  und  Entbehrung  mit  ihrem 
Gatten,  dessen  künstlerischen  Genius  sie  freilich  nicht 
zu  würdigen  vermochte.  Aber  ihre  opferwillige  Güte 
gewann  ihr  jetzt  auch  die  Herzen  derer,  die  ihm  die 
nächsten  waren,  seiner  Mutter,  Schwestern,  Freunde. 
Und  Wagner  selbst  hing  mit  aller  Innigkeit  fest  an 
seiner  „armen  Frau";  ihre  Not  ließ  ihn  das  eigne 
Leiden  doppelt  bitter  empfinden.  Erst  als  die  geistigen 
Gegensätze  immer  schroffer  hervortraten,  trennten  sich 
die  beiden  nach  langen  inneren  Kämpfen  im  August 
1858  auf  mehr  als  Jahresfrist  und  nach  einem  längeren 
Versuch,  wieder  zusammenzuleben,  endgültig,  doch 
nicht  unfreundlich  im  Juli  1861.  Minna  lebte  darauf 
noch  einige  Jahre  in  Dresden;  am  25.  Januar  1866 
starb  sie  dort. 

19 


Dürftige  und  kleinliche  Verhältnisse  engten  von 
Anfang  an  Wagner  in  Königsberg  ein.  Zu  einem  wahr- 
haft künstlerischen  Schaffen  konnte  er  hier  nicht  ge- 
langen, wenn  er  auch  gelegentlich  eine  Einlage  zu 
einem  Theaterstück  und  eine  Ouvertüre  komponierte. 
Und  aus  diesem  Drangsal  sah  er  nur  einen  Rettungs- 
weg: er  mußte  eine  Oper  schreiben,  die  von  Paris  aus 
ihren  Siegeslauf  über  die  deutsche  Bühne  antreten 
sollte.  Aber  wie  konnte  er  in  Paris  durchdringen?  Er 
wollte  Scribc  vermögen,  daß  er  ihm  das  Textbuch  zu 
dem  entscheidenden  Werke  verfasse.  Roman  auf  Ro- 
man las  er,  um  einen  tauglichen  Stoff  zu  finden.  End- 
lich bearbeitete  er  den  Kern  des  breiten,  doch  wegen 
seiner  freiheitlichen  Tendenz  damals  vielgerühmten 
Romans  ..Die  hohe  Braut"  von  Heinrich  Koenig  (1883) 
zu  einem  Opernentwurf,  dessen  poetische  Ausführung 
er  Scribe  antrug.  Natürlich  vergebens;  sechs  Jahre 
später  dichtete  er  selbst  den  Plan  von  1836  zum  Text- 
buch um,  das  sein  Freund  Johann  Friedrich  Kittl  als 
vicraktige  Oper  „Bianca  und  Giuseppe  oder  die 
Franzosen  vor  Nizza"  in  Musik  setzte. 

Aus  der  Fülle  von  Gestalten  und  abenteuern,  die 
uns  Koenig  vorführt,  griff  Wagner  nur  einige  Haupt- 
personen und  die  Liebeshandlung,  die  sie  enger  unter 
einander  verbindet,  mit  ihren  nächsten  Verwicklungen 
heraus.  Doch  auch  hier  beschränkte  er  sich  etwa  auf 
die  erste  Hälfte  des  Romans,  gab  ihr  aber,  ohne  des- 
halb im  einzelnen  viel  an  ihr  ändern  zu  müssen,  einen 
tragischen  Schluß.  Auch  in  der  Art,  wie  er  die  Be- 
freiung der  gefangenen  Freiheitskämpfer  veranschau- 
lichte, wich  er  von  Koenigs  Erzählung  ab,  bildete  da- 
für aber  im  allgemeinen  eine  Szene  verwandten  In- 
halts in  Cherubinis  ..Wasserträger"  nach.  Auf  lebens- 
volle Zeichnung  der  Charaktere  und  tiefere  seelische 
Begründung  der  Geschehnisse  ging  Wagner  hier  nicht 
aus;  auch  war  keine  höhere,  wirklich  leitende  Idee  in 
seiner  Dichtung  wahrzunehmen.  Sie  konnte  nur  als 
ein  dem  herkömmlichen  Wesen  der  großen  Oper  genau 

20 


angepafstcs,  jedoch  recht  bühnenwirksames  Textbuch 
in  leichten,  mäßig  guten  Versen  ohne  besondere  künst- 
lerische Ansprüche  gelten. 

Von  Königsberg  begab  sich  Wagner  im  Mai  1837 
nach  Berlin  und  Dresden,  um  sich  bei  Karl  von  Holtei, 
dem  neuen  Direktor  des  deutschen  Theaters  in  Riga, 
um  die  Stelle  des  ersten  Kapellmeisters  zu  bewerben. 
Nach  ein  paar  sorgenvollen  Wochen  sah  er  seinen 
Wunsch  erfüllt;  im  September  trat  er  sein  neues  Amt  an. 

In  Riga  fand  er  bessere  Mittel  und  ein  wirklich 
künstlerisches  Streben  vor  und  beteiligte  sich  alsbald 
mit  freudigem,  nach  der  Meinung  des  leichtsinnigeren 
Holtei  mit  übertriebenem  Eifer  an  diesem  Streben.  Er 
verfaßte  auch  Einlagen  für  Sänger  in  beliebte  Opern 
und  entwarf  nach  einer  stark  modernisierten  Erzäh- 
lung aus  „Tausend  und  einer  Nacht"  eine  komische 
Oper  „Die  glückliche  Bärenfamilie",  verwarf 
den  Plan  aber  wieder,  sobald  er  bemerkte,  daß  er  da- 
mit allzu  sehr  in  die  frivol-triviale  Kompositionsweise 
der  modernen  Italiener  und  Franzosen  geriet.  In  Kon- 
zerten, die  er  zu  leiten  hatte,  führte  er  unter  anderm 
zwei  eigne  Ouvertüren  auf,  die  in  den  letzten  Jahren 
entstanden  waren;  in  ihrem  Stil  bekundeten  sie  eine 
sonderbare  Mittelstellung  zwischen  der  Musik  Beet- 
hovens und  der  Bellinis,  dessen  klare,  einfach-schöne 
Gesangesmelodie,  vor  allem  in  der  „Norma"  edel  ge- 
bildet, Wagner  auch  in  einigen  Zeitungsaufsätzen  mit 
überzeugender  Wärme  pries.  Aber  etwa  nach  Jahres- 
frist trat  ein  Umschwung  in  seiner  Auffassung  seines 
Berufes  ein :  das  Komödiantenwesen,  die  Unmündigkeit 
des  Publikums,  die  banale  Eintönigkeit  der  Opern,  die 
immer  wieder  gespielt  werden  mußten ,  widerten  ihn 
an.  Er  genügte  mit  gewissenhafter  Strenge  seiner 
Dirigentenpflicht,  hielt  sich  aber  sonst  fern  von  dem 
Masiktreiben  in  Riga  und  widmete  seine  ganze  Muße 
dem  Werke,  das  ihn,  wie  er  hoffte,  mit  einem  Schlag 
aus  diesen  dumpfen  und  engen  Verhältnissen  reißen 
sollte,  der  Dichtung  seines  „Rienzi". 

21 


So  kam  der  Frühling  1839  heran.  Bald  nach  Neu- 
jahr hatte  Holtei  die  Leitung  des  Rigaer  Theaters 
niedergelegt,  vorher  aber  bereits  als  ersten  Kapell- 
meister für  das  nächste  Jahr  statt  Wagner  heimlich 
dessen  angeblichen  Freund  Heinrich  Dorn  verpflichtet. 
Den  ahnungslosen,  pflichteifrigen  Künstler  traf  die 
völlig  unverdiente  Entlassung  furchtbar  hart.  Doch 
mutig  entschlossen,  zwang  er  das  Unglück,  seinen 
heifsesten  Wünschen  zu  dienen ;  so  hoffte  er  es  schließ- 
lich sich  zum  Heile  zu  wenden.  Das  Textbuch  und 
die  Partitur  von  fast  zwei  Akten  seines  „Rienzi"  waren 
eben  fertig  geworden;  in  der  Metropole  der  europäi- 
schen Kunst  wollte  er  seine  Oper  vollenden  und  von 
dort  aus  in  die  Welt  schicken. 

Nun  hatte  er  aber,  besonders  in  dem  traurigen 
Königsberger  Jahr,  doch  auch  hernach  in  Riga,  aller- 
hand Schulden  machen  müssen,  an  deren  Heimzahlung 
er  erst  in  viel  späteren  Jahren  denken  konnte.  Da- 
mals gab  es  für  ihn  nur  eine  Rettung  vor  den  Gläu- 
bigern, die  Flucht.  In  Mitau,  wo  die  Rigaer  Theater- 
truppe stets  im  Juni  spielte,  schloßt  Wagner  seine 
Dirigententätigkeit  auf  russischem  Boden.  Mit  Hilfe 
eines  Königsberger  Freundes  gelang  es  ihm,  von  da 
die  scharf  bewachte  preußische  Grenze  zu  überschreiten. 
Dann  schiffte  er  sich  zu  Pillau  mit  seiner  Gattin  zu- 
nächst nach  London  ein.  Über  drei  Wochen  dauerte 
die  stürmische ,  gefahrvolle  Fahrt.  In  London  rastete 
Wagner  nur  wenige  Tage,  bevor  er  die  Reise  nach 
Frankreich  fortsetzte.  Hier  blieb  er  zuerst  in  Boulogne 
sur  mer  einige  WTochen.  Während  dieser  Zeit  gelang 
es  ihm  auch,  sich  Meyerbeer  zu  nähern,  der  gleichfalls 
gerade  dort  weilte.  Am  16.  September  183V)  traf  er 
in  Paris  ein. 


22 


III. 


eich  an  Hoffnungen,  aber  desto  ärmer  an 
äußeren  Mitteln,  hatte  sich  Wagner  der 
Weltstadt  genähert.  Wie  rasch  wurden 
seine  stolzen  Erwartungen  enttäuscht!  Seine 
Versuche,  mit  seiner  halbfertigen  Oper  durchzudringen, 
ja  selbst  bis  zu  ihrer  Vollendung  einstweilen  das 
„Liebesverbot"  auf  ein  Pariser  Theater  zu  bringen, 
schlugen  sämtlich  fehl.  Er  hatte  noch  keinen  berühm- 
ten Namen,  und  er  hatte  auch  nicht  das  Vermögen 
oder  die  Gönner,  die  ihn  trotz  jenem  Mangel  zum 
Ziele  führen  konnten.  Zwar  tat  Meyerbeer  vieles, 
um  ihn  zu  empfehlen.  Aber  dieser  war  selbst  gerade 
damals  zu  oft  von  Paris  abwesend,  um  persönlich  er- 
folgreich für  einen  andern  wirken  zu  können.  Sonst 
traf  Wagner  in  der  französischen  Hauptstadt  zwar  wie- 
der mit  Laube  zusammen,  der  ihn  mit  Heinrich  Heine 
bekannt  machte.  Aber  beide  konnten  dem  Musiker, 
dessen  Ziel  die  grof3e  Oper  war,  zu  nichts  helfen. 
Und  ebensowenig  die  paar  treuen  deutschen  Freunde, 
an  die  er  sich  am  innigsten  anschloß,  die  Maler  Ernst 
Kietz  und  Friedrich  Pecht,  der  Philologe  Samuel  Lehrs, 
der  Musikgelehrte  Anders,  der  musikliebende  Kauf- 
mann  Brix    und   der   Buchhändler   Eduard  Avenarius, 

23 


der  sich  1840  mit  Wagners  Stiefschwester  Cäcilic  ver- 
mählte. 

Unter  diesen  Umständen,  die  den  Künstler  oft 
der  bittersten  Not  nahe  brachten,  konnte  er  die  Kompo- 
sition seines  „Rienzi"  nur  mit  großen  Unterbrechungen 
weiter  führen.  Er  mußte  schauen,  wie  er  durch 
niedrige  musikalische  Arbeiten  und  durch  Schrift- 
stellerei  sich  sein  Brot  verdienen  könne.  Er  machte 
Klavierauszüge,  ja  Arrangements  für  allerlei  Instru- 
mente aus  beliebten  Modeopern  von  Donizetti,  Halevy 
und  andern  Verfassern;  er  ließ  sich  sogar  einmal 
die  Komposition  eines  gassenhauerischen  Vaudevilles 
für  ein  Boulevardtheater  übertragen.  Dazwischen 
setzte  er  Heines  Romanze  ..Die  Grenadiere"  nach  einer 
französischen  Übertragung  und  einige  Lieder  von 
Ronsard,  Victor  Hugo  und  F.  A.  Leo  (wie  schon  in 
Riga  ein  Gedicht  von  Georg  Scheurlin)  in  Musik,  um 
sich  so  langsam  bei  dem  Pariser  Publikum  einzuführen. 
Auch  das  war  umsonst:  man  war  allzu  sehr  an  leichte 
italienische  Gesänge  gewöhnt;  gegen  sie  gehalten, 
schienen  Wagners  Lieder  zu  schwer;  es  stak  trotz 
allen  Anklängen  an  französische  Musik  noch  immer 
zu  viel  Schubert,  überhaupt  zu  viel  deutsches  Wesen 
in  ihnen. 

In  diesem  immer  aussichtsloseren  Ringen  erwuchs 
dem  Tondichter,  auf  den  von  dem  ganzen  Pariser 
Musikleben  nur  die  Konzerte  des  Conservatoire  mit 
ihrer  ernsten  Pflege  der  Beethovenschen  Symphonien 
einen  rein  künstlerischen  Eindruck  machten,  1810 
Drang  und  Stimmung  zu  einem  symphonischen  Werke, 
das  freilich  über  den  ersten  Satz  nicht  hinausgedieh 
und  erst,  nachdem  es  1855  gründlich  umgearbeitet 
worden  war,  an  die  Öffentlichkeit  gelangte,  zu  der  so- 
genannten „Faust-Ou  v  e r t ü  r e  " .  Wagner  wollte 
hier  nichts  weniger  als  etwa  eine  regelrechte  Ouver- 
türe zu  Goethes  Tragödie  schreiben;  er  stellte  viel- 
mehr musikalisch  das  Faustische  Leiden  eines  Helden 
dar.   der  des  Lebens  überdrüssig  ist  und  doch  im  Ge- 

24 


fühle  seiner  genialen  Kraft  den  Kampf  mit  ihm  immer 
wieder  aufnimmt.  Die  Grundlage  seiner  Komposition 
gab  ihm  der  erste  Satz  der  „Nennten  Symphonie"; 
aber  auch  Beethovens  „Coriolan- Ouvertüre"  wirkte 
dabei  maßgebend  auf  ihn  ein. 

Dasselbe  verzweifelte  Ringen  mit  Kunstzuständen, 
die,  so  ungenügend  und  unhaltbar  sie  waren,  doch  das 
neue,  bessere  Talent  des  Reformators  im  Werden  zu 
ersticken  drohten,  schuf  Wagner  aber  auch  zum  Schrift- 
steller. Seit  1840  verfaßte  er  für  die  „Revue  et  ga- 
zette  musicale  de  Paris"  und  für  mehrere  deutsche 
Zeitschriften  kritische  Berichte  über  das  Pariser 
Musik-  und  Theaterleben,  mehr  theoretische  Auf- 
satz e  über  das  Verhältnis  des  schaffenden  zum  reprodu- 
zierenden Künstler,  des  Künstlers  zum  Virtuosen,  des 
Genies  zur  Öffentlichkeit,  über  deutsches  Musikwesen, 
über  die  Ouvertüre,  über  einzelne  Symphonien  Mozarts 
und  Beethovens,  endlich  zwei  Novellen,  die  in  dichteri- 
scher Verhüllung  und  Umgestaltung  seine  eignen 
Lebenserfahrungen  und  künstlerischen  Überzeugungen 
darstellten,  „Eine  Pilgerfahrt  zu  Beethoven" 
und  „Ein  Ende  in  Paris". 

Ebenso  hatte  dreißig  Jahre  zuvor  E.  T.  A.  Hoff- 
mann seine  schriftstellerische  Laufbahn  begonnen,  mit 
Aufsätzen  über  Musik  und  mit  Novellen.  An  Hoff- 
mann erinnern  denn  auch  diese  Arbeiten  Wagners, 
besonders  die  beiden  Novellen,  in  mehr  als  einem 
Zuge.  Vor  allem  schwebte  die  Gestalt  des  genialen 
und  eben  darum  weltunkundigen  und  von  der  Welt 
nicht  verstandenen  Kapellmeisters  Kreisler  dem  jün- 
geren Dichter  vor,  als  er  von  den  Kunstansch.au- 
ungen  und  Plänen  seines  deutschen  Musikers  be- 
richtete, von  dessen  Wallfahrt  nach  Wien  zu  seinem 
angebeteten  Meister  Beethoven,  von  seinem  vergeb- 
lichen Ringen  und  traurigen  Ende  in  Paris.  Ein- 
zelne Züge  in  diesen  vortrefflich  erzählten,  mit  Witz, 
Humor ,  Ironie  und  Satire  gewürzten ,  aber  auch  mit 
rührender  Empfindung  reich  erfüllten  Novellen   muten 

25 


uns  in  ihrer  wunderlichen  Genialität  geradezu  Hoff- 
mannisch  an. 

Aber  neben  dem  alten  Romantiker  hatten  nun 
auch  die  jüngeren  Führer  der  neuesten  Literatur,  unter 
ihnen  mit  am  meisten  Heine,  Einfluß  auf  Wagner  und 
insbesondere  auf  den  Stil  seiner  kritischen  Aufsätze 
gewonnen.  Auch  der  Schriftsteller  Wagner  mußte 
eine  seiner  vorzüglichsten  Aufgaben  darin  erblicken, 
daß  er  (was  er  später  einzig  an  Heine  rühmte)  die 
Verlogenheit  der  gesamten  Kultur  und  Kunst,  die 
ihm  allerwärts  begegnete,  schonungslos  mit  hinreißen- 
dem Spott  aufdeckte.  Durch  alles,  was  er  schrieb, 
ging  ein  Schrei  der  Empörung  gegen  die  modernen 
Kunstzustände,  gegen  die  Genußsucht  und  sinnliche 
Oberflächlichkeit  des  Publikums,  das  statt  geistiger 
Erhebung  nur  Augen-  und  Ohrenkitzel  zur  Ertötung 
der  Langenweile  suchte,  gegen  die  äußerliche  Effekt- 
hascherei der  Dichter  und  Tonsetzer,  die  kein  Drang 
des  Herzens,  sondern  die  Modesucht  oder  die  Begierde 
nach  Erwerb  zu  der  Kunst  trieb,  gegen  das  Virtuosen- 
tum.  durch  das  die  Sänger  und  Darsteller  das  Kunst- 
werk zerstörten  und  die  Kunst  selbst  entwürdigten. 

Wie  einst  Goethe  an  der  Grenze  Deutschlands,  in 
Straßburg,  das  gerade  damals  sich  nachhaltend  dem 
deutschen  Wesen  entfremdete,  für  die  deutsche  Dich- 
tung dauernd  gewonnen  wurde,  so  fand  sich  Wagner 
in  Paris,  im  Mittelpunkte  der  romanischen  Kunst,  der 
auch  er  in  den  letzten  Jahren  gehuldigt  hatte,  als 
deutschen  Künstler  endgültig  wieder.  Noch  hielt  eine 
Zeit  lang  bei  ihm  die  Täuschung  vor.  daß  auch  Meyer- 
beer, an  den  ihn  persönlich  Bande  der  Dankbarkeit 
fesselten,  in  dessen  Opern  ihn  der  bühnenwirksame, 
mitunter  sogar  echt  dramatische  Aufbau  bestrickte, 
ein  wahrer  und  in  seinem  innersten  Wesen  deutscher 
Künstler  sei.  Aber  schon  trieb  ihn  die  eigne  künst- 
lerische Natur  mächtig  über  Meyerbeer  hinaus.  Er 
pries  noch  laut  den  Komponisten  des  ..Robert"  und 
der    ..Hugenotten"  ;   aber   er   wandte  sich  zugleich  mit 

26 


warmer  Liebe  und  heiliger  Begeisterung  zu  seinen 
alten  deutschen  Meistern  zurück,  zu  Bach,  Gluck, 
Mozart,  Beethoven,  Weber,  Marschner,  Spohr,  und 
suchte  sich  in  seinem  Denken  wie  in  seinem  Schaffen 
seinem  künftigen  Ziele  zu  nähern,  einer  deutsch-dra- 
matischen Oper  nach  seinem  Sinne,  einem  wahrhaften 
musikalischen  Drama.  Zwei  große  Schritte  auf  diesem 
Wege  tat  er  noch  in  Paris:  er  vollendete  im  November 
1840  seinen  „Rienzi"  und  schrieb  im  folgenden  Früh- 
ling den  „Fliegenden  Holländer". 

Über  drei  Jahre  waren  verstrichen,  seit  ihm  Bulwers 
Roman  „Rienzi,  der  letzte  der  Tribunen"  in  deut- 
scher Übersetzung  von  Georg  Nikolaus  Bärmann  in 
die  Hand  gefallen  war.  Den  Stoff  kannte  Wagner 
damals  schon;  auch  die  Absicht,  ihn  für  eine  tragische 
Oper  zu  verwerten,  hatte  er  bereits  früher  einmal  ge- 
hegt. Aber  gerade  jetzt  mußte  der  Gedanke  ihn  reizen, 
Rienzi,  den  Helden  voll  großer  Pläne,  der  an  der  Ge- 
meinheit seiner  Umgebung  zu  Grunde  geht,  dramatisch 
darzustellen ;  fühlte  er  sich  selbst  doch  von  einer  ähn- 
lichen Tragik  bedroht.  Zu  einer  Oper  aber  ließ  diesen 
Stoff  das  rein  lyrische  Element  in  der  Atmosphäre  des 
Helden,  die  Gesänge,  Lieder  und  Hymnen,  die  Bulwer 
in  seinen  Roman  verflochten  hatte,  ganz  besonders 
tauglich  erscheinen.  So  schuf  sich  denn  Wagner,  in- 
dem er  sich  überall  nur  von  streng  dramatischen  Rück- 
sichten leiten  ließ,  den  Text  zu  seinem  „Rienzi",  paßte 
aber  unwillkürlich  seine  Dichtung  den  Formen  der 
fünfaktigen  großen  Oper  an.  den  vollkommensten,  jf. 
einzigen  Formen,  unter  denen  er  sich  damals  das 
musikalische  Drama  vorstellen  konnte. 

Den  geschichtlichen  Stoff,  den  am  bequemsten 
Gibbon  überlieferte,  hatte  bereits  Bulwer  in  die  Sphäre 
der  Poesie  erhoben  und  dadurch  den  Augen  und  dem 
Herzen  der  Zeitgenossen  wieder  nahe  gerückt.  Schon 
vor  ihm  hatte  Miß  Mary  Russell  Mitford  ein  Trauer- 
spiel „Rienzi"  (1828)  in  London  zur  Aufführung  ge- 
bracht,  das   er  in   der  Vorrede  zu  seinem  Roman  mit 

27 


größter  Achtung  nannte  und  in  einzelnen  glücklich  er- 
fundenen Motiven  benützte.  Nach  ihm  schrieb  neben 
andern,  geringeren  Dichtern  Julius  Mosen  1S37  sein 
Drama  ..Cola  Rienzi",  dicht  vor  Wagner;  doch  lehnte 
sich  dieser  in  keiner  Weise  an  das  Werk  seines  sächsi- 
schen Landsmannes  an.  Vielmehr  schöpfte  er  einzig 
und  allein  aus  Bulwers  Roman,  jedoch  in  freier  Art : 
in  Einzelheiten  traf  er  so  -  -  wohl  unbewußt  -  mit 
seiner  englischen  Vorgängerin  Miß  Russell  Mitford 
zusammen. 

Was  Bulwer,  damals  bereits  auf  der  Höhe  seines 
Ruhmes,  episch  breit  erzählte,  hatte  er,  literarisch  noch 
immer  ein  Anfänger,  dramatisch  knapp  zusammenzu- 
fassen und  gleichwohl  in  seiner  unmittelbaren  Wirkung 
zu  verstärken.  Eine  ungemein  schwierige  Aufgabe, 
die  nur  dann  zu  lösen  war,  wenn  der  Bearbeiter  scho- 
nungslos die  reichsten  Einzelschönheiten  des  Romans 
seinen  dramatischen  Zwecken  aufopferte.  Das  tat 
Wagner.  Er  verringerte  beträchtlich  die  Anzahl  der 
Personen,  hob  aber  dafür  mehrfach  die  dramatische 
Bedeutung  derer,  die  er  beibehielt,  und  bildete  nament- 
lich den  Charakter  des  Titelhelden  einheitlicher  und 
größer;  er  konzentrierte  den  Ort,  die  Zeitdauer,  die 
Handlung  seiner  Vorlage,  soweit  dies  nur  möglich  war. 
und  übertraf  so  Bulwer  in  allem,  was  den  dramatischen 
Aufbau  seines  Stückes  ausmachte. 

Hierin  offenbarte  er  schon  jetzt  die  ganze  Sicher- 
heit und  Größe,  die  dann  seine  vollendetsten  Werke 
auszeichnete.  Dagegen  motivierte  er  noch  in  dem 
Streben  nach  Kürze  bisweilen  mangelhaft  und  wußte 
noch  nicht  seine  Gestalten  überall  mit  individuellem 
Leben  zu  erfüllen.  Hinter  der  Größe  der  Rlee  blieb 
die  Ausführung  noch  öfters  zurück.  Bedeutsam  trat 
die  vaterländische  Begeisterung  hervor,  wenn  auch  in 
eine  ideale  Ferne,  in  das  Rom  des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts, gerückt.  Daneben  wurden  die  allgemeinen, 
unbestimmten  Forderungen  politischer  Freiheit  laut. 
die    unsre    Literatur    seit    der    Julirevolution    in   Vers 

28 


und  Prosa  so  gern  verkündigte.  Und  hier  ergab  sich 
wie  von  selbst  eine  Verwandtschaft  mehrerer  tragi- 
schen Hauptmotive  mit  denen  der  „Stummen  von 
Portier'.  Äußerlich  erinnerte  auch  hie  und  da  etwas 
in  den  Worten  oder  in  der  Behandlung  der  Szene  an 
die  „Hugenotten"  und  an  Spontinis  „Cortez".  Fast 
noch  stärker  wirkte  aber  auf  den  szenischen  Aufbau 
die  Kunst  Shakespeares  ein. 

Mehr  als  der  Dichter  war  der  Komponist  des 
„Rienzi"  von  Meyerbeer  und  Auber  abhängig;  aber 
auch  er  sank  nie  zum  blossen  Nachahmer  der  beiden 
Meister  herab.  Er  lernte  von  ihnen,  wie  er  auch  von 
Gluck,  von  Mehul  und  von  Spontini  lernte.  Direkte 
Anklänge  an  einzelne  Stellen  in  den  Werken  aller 
dieser  Musiker  vermied  er  möglichst;  nur  ihren  Stil 
im  allgemeinen  bildete  er  nach.  Sein  Streben  ging 
dahin,  stets  bedeutend,  auch  nicht  in  einem  Takte 
trivial  zu  sein,  immer  in  seiner  Musik  der  Größe  seines 
Stoffes  und  der  dramatischen  Kraft  seiner  Dichtung 
vollauf  zu  entsprechen.  Bei  dem  Einfluß,  den  die 
moderne  große  Oper  noch  auf  ihn  ausübte,  konnte  er 
dieses  Vorhaben  nur  halb  ausführen.  Von  allem  Kon- 
ventionellen und  selbst  Trivialen  vermochte  sich  der 
Komponist  des  „Rienzi"  noch  nicht  frei  zu  machen; 
aber  die  poetischen  Vorzüge  seines  Textbuches,  nament- 
lich der  gewaltige  dramatische  Hauch,  der  unablässig 
treibend  durch  das  ganze  Gedicht  weht,  hoben  auch 
seine  Musik:  im  Gegensatz  zu  Meyerbeer  gestaltete 
Wagner  seine  Instrumentation  gleichmäßig  bewegt 
und  ausdrucksvoll,  trug,  hierin  der  Schüler  deutscher 
Meister,  mehr  Sorge  für  einen  reichen,  vielstimmigen 
Aufbau  als  für  virtuose  Künsteleien  des  Gesanges  in 
italienischer  Manier  oder  für  vereinzelte,  übertriebene 
Spielereien  des  Orchesters.  An  musikalischer  Er- 
findungskraft und  besonders  an  Mclodienschönheit  im 
einzelnen  konnte  er  sich  hier  mit  Meyerbeer  und 
Auber  noch  nicht  messen ;  aber  schon  war  er  beiden 
(und  namentlich  dem   ersteren)  überlegen  durch  den 

29 


Ernst  und  die  Sorgfalt,  die  er  gleichmä&ig  der  ganzen 
Partitur  angedeihen  ließ.  So  behandelte  er  vornehm- 
lich auch  die  Kezitativc  wieder  wahrhaft  künstlerisch: 
eigenartig  bildete  er  hier  fort,  was  Glucks  Nachfolger 
ihn  gelehrt  hatten. 

In  den  alten  Fehler  der  „Feen",  übermäßige  Breite 
aller  Musikstücke,  unnötige  Dehnungen  oder  Wieder- 
holungen derselben  Motive,  verfiel  Wagner  auch  im 
„Rienzi".  Er  selbst  beklagte  später  die  kraftvolle  und 
rauschende  Komposition  des  dritten  Aktes,  die  nach 
der  gleichfalls  überaus  kräftigen  und  reichen  Musik 
des  zweiten  Aufzugs  nicht  mehr  gebührend  wirken 
könne,  jedoch  durch  den  unabänderlichen  dramatischen 
Aufbau  des  Ganzen  erfordert  werde.  Einen  beträcht- 
lichen Fortschritt  in  der  Kunst  des  Tondichters  be- 
kunden die  beiden  letzten,  in  Paris  vollendeten  Akte ; 
sie  weisen,  auch  durch  die  charakteristische  Wieder- 
kehr bestimmter  musikalischer  Motive,  schon  in  die 
Zukunft,  auf  Wagners  folgende  Oper. 

Das  bedeutendste  Stück  der  Partitur  ist  die  Ouver- 
türe. Am  Schlüsse  des  ganzen  Werkes  in  Paris  aus- 
geführt, stellt  sie  in  einem  einheitlich  entworfenen, 
dramatisch  belebten  Tongemälde  den  Inhalt  der  drei 
ersten  Akte  dar.  den  Freiheitskampf  des  römischen 
Volkes  bis  zu  dem  endgültigen  Siege  Rienzis,  den  die 
Jubelgesänge  der  Befreiten  feiern.  Weber  und  Beet- 
hoven, überhaupt  die  deutschen  Meister  waren  hier 
wieder  Wagners  Vorbilder.  Was  er,  von  ihnen  aus- 
gehend, in  dem  gleichzeitigen  Aufsatz  über  die  Ouver- 
türe theoretisch  forderte,  begann  er  hier  schon  prak- 
tisch zu  leisten:  die  Ouvertüren  zum  ..Rienzi""  und 
noch  mehr  zu  den  beiden  folgenden  Opern  Wagners 
können  als  Musterbeispiele   zu  jenem  Aufsatze  gelten. 

Ein  paar  Monate  nach  der  Vollendung  des  ..Rienzi", 
im  Frühling  1841,  zog  sich  der  Künstler  in  das  ein- 
same Meudon  bei  Paris  zurück.  Dort  entstand  in  un- 
glaublich wenigen  Wochen  die  Dichtung  und  Kompo- 
sition des  „F liegenden  Holländers".     Auch  dies- 


Richard  Wagner  nach  einer  Zeichnung  von  E.  B.  Kietz  (1850). 
Nach  Kürschners  Richard  Wagner-Jahrbuch  1886. 


31 


mal  griff  Wagner  zu  einem  Stoffe,  der  .sich  seinem 
Geiste  schon  vor  Jahren  tief  eingeprägt  hatte.  Bereits 
in  Riga  hatte  er  die  Sage  vom  fliegenden  Holländer 
kennen  lernen.  Die  Grundelemente  der  Sagen  von 
( ►dysseus  und  vom  ewigen  Juden  waren  hier  mit 
Motiven,  die  aus  dem  Jahrhundert  der  großen  Ent- 
deckungsfahrten stammten,  zu  einer  neuen  Sage  ver- 
bunden, die  Wagner  bei  Heine  in  den  „Memoiren  des 
Herrn  von  Schnabelewopski"  las.  Während  der  stürmi- 
schen Seereise  von  Riga  nach  London  gewannen  die 
Gestalten  der  Heinischen  Erzählung  selbständiges  Leben 
in  seiner  Phantasie,  und  so  entwarf  er  alsbald,  als  er 
noch  geraume  Zeit  am  ..Rienzi"  zu  arbeiten  hatte,  den 
Plan  zu  der  neuen  Oper.  Er  dachte  sie  sich  ursprüng- 
lich als  Einakter,  führte  sie  dann  aber  in  drei  Auf- 
zügen aus. 

Den  Charakter  des  Titelhelden  und  die  Handlung 
in  ihren  allgemeinen  Zügen,  ja  schon  einzelne  Haupt- 
szenen bot  Heine  dar;  von  andern  älteren  Bearbei- 
tungen des  gleichen  Stoffes,  so  etwa  von  dem  aben- 
teuerlichen Roman  ..The  Phantom  Ship"  Frederick 
Marryats,  brauchte  Wagner  nicht  das  mindeste  zu 
entlehnen.  Dagegen  nahm  er  aus  Wilhelm  Hauffs  ver- 
wandtem Märchen  vom  Gespensterschiff  einige  Um- 
stände, die  dazu  beitrugen,  das  unheimliche  Treiben 
auf  dem  verfluchten  Schiffe  zu  kennzeichnen.  Ein  paar 
Farben  für  das  Dämonische  im  Wesen  des  Holländers 
mag  ihm  auch  Marschner  im  ..Yainpyi-  und  „Hans 
Hciling"  geboten  haben. 

Zum  Teile  neu  schaffen  mußte  Wagner  den  (  ha- 
rakter  Sentas,  des  Weibes,  dessen  treue  Liebe  den 
ruhelos  umhergetriebenen  Seemann  erlöst.  Denn  nur 
so  konnte  er  die  dramatisierte  epische  Geschichte,  die 
Heine  erzählte,  zu  einem  wirklichen  Drama  mit  tragi- 
schen Konflikten  umgestalten.  Deshalb  stellte  er  Erik. 
dem  Senta  früher  ihre  Liebe  gelobte,  dem  Holländer 
gegenüber.  Das  erinnerte  im  allgemeinen  an  das  gegen- 
seitige Verhältnis  der  drei  Hauptpersonen  im  „Heiling", 

32 


desgleichen  an  die  Stellung  Klärchens  zwischen  Bracken- 
burg und  Egmont.  Aber  die  weitere  Entwicklung  der 
Charaktere  und  Schicksale  in  Marschners  Oper  ent- 
fernte sich  durchaus  von  dem  Wege,  den  der  Dichter 
des  „Holländers"  beschreiten  mußte,  und  auch  Goethe 
hatte  keineswegs  mit  seiner  Einflechtung  der  Rolle 
des  abgewiesenen  Liebhabers  eine  so  fruchtbare  dra- 
matische Absicht  verbunden  wie  Wagner.  Wie  Sentas 
Abwendung  von  Erik  das,  was  man  etwa  ihre  tragi- 
sche Schuld  nennen  könnte,  begründet  und  schließlich 
den  äußern  Anlaß  zur  Katastrophe  bildet,  so  bedeutet 
sie  andrerseits  auch  den  Schritt  von  der  sinnlichen 
Liebe,  die  nach  gemeinsamem  Lebensgenuß  mit  dem 
Geliebten  verlangt,  zu  dem  von  allem  Sinnlichen  ent- 
kleideten Mitleid,  das  zum  Opfertod  für  den  Geliebten 
drängt.  Noch  öfter  sollten  sich  Wagners  spätere  Werke 
diese  (in  letzter  Linie  auf  Beethovens  „Fidelio"  zurück- 
weisende) Verherrlichung  des  Weibes,  dessen  treue 
Liebe  den  Unglücklichen  oder  Schuldigen  erlöst,  zum 
Ziele  setzen. 

Nicht  zuletzt  war  es  auch  dieses  Motiv,  was 
Wagner  persönlich  zum  Stoffe  des  „Fliegenden  Hol- 
länders" hinzog.  Er  konnte  den  Geist  der  Musik  nicht 
anders  als  in  der  Liebe  fassen.  Er  wollte  wieder  das 
tiefste  Empfinden  des  menschlichen  Herzens  liebevoll- 
warm in  der  Musik  aussprechen  und  sie  darum  von 
allem  liebelosen,  auf  bloß  äußerliche  Künstelei  und 
äußerliche  Effekte  berechneten  Formalismus  der  her- 
kömmlichen großen  Oper  befreien.  Dabei  fühlte  er 
selbst  aber  auch  eine  künstlerische  Erlösung  seines 
Genius,  vergleichbar  der,  die  er  als  Dichter  seinem 
Holländer  bereitete.  Und  noch  in  anderem  Sinne  fand 
die  Sehnsucht  seines  Helden  nach  Erlösung  von  dem 
unsteten  Umherschweifen  in  öder  Fremde  einen  Wider- 
hall in  Wagners  Brust:  auch  er  sehnte  sich  nach  der 
Heimat;  für  sie  ausschließlich  schuf  er  sein  neues  Werk. 

Als  Dichter  wie  als  Komponist  ging  er  von  Sentas 
Ballade  aus.     Sie  vollendete  er  zuerst.     Aus  ihr  hatte 

Muncker,  R.  Wagner.    2.  Aufl.  3  33 


er  dann  nur  die  dramatischen  und  musikalischen  Mo- 
tive, die  in  ihr  lagen,  loszuschälen  und  weiter  zu  ent- 
wickeln. Die  ganze  Oper  erhielt  so  ein  bailaden  artiges 
Gepräge,  erschien  als  eine  in  Handlung  aufgelöste 
Ballade.  An  wenigen  Hauptpersonen  haltet  all  unsre 
Teilnahme;  die  meisterhaft  aufgebaute  Handlung  zeich- 
net sich  durch  strengste  Einheit  aus;  sie  entwickelt 
sich  in  einem  Zug,  an  einem  Tag,  ohne  daß  der 
Zusammenhang  auch  nur  äußerlich  je  unterbrochen 
würde;  einheitliche  Stimmung  liegt  über  dem  Ganzen. 
Der  Mangel  des  individuellen  Gepräges  in  einzelnen 
Reden,  besonders  im  Text  der  Chöre,  dessen  Wagner 
sich  selbst  anklagte,  kommt  gegen  jene  Vorzüge  kaum 
in  Betracht. 

Nicht  minder  einheitlich  als  die  Dichtung  ist  die 
Musik  geartet.  Die  verschiednen  musikalischen  Themen 
der  Ballade  kehren  mehrfach  in  der  Oper  wieder,  über- 
all da,  wo  die  einzelnen  Empfindungen  und  physischen 
oder  seelischen  Vorgänge,  welche  die  Ballade  andeutet, 
dramatisch  entwickelt  werden.  Sie  dienen  so  dazu, 
Situationen,  Personen  und  Stimmungen  zu  charakteri- 
sieren ,  drücken  aber  zugleich ,  wie  die  Hauptthemen 
einer  Sonate  oder  Symphonie,  die  künstlerische  Einheit 
der  Oper  aus,  die  sonst  in  eine  Anzahl  von  einzelnen 
Gesangsstücken  zu  zerfallen  drohte.  Schon  lange  vor 
Wagner  hatten  ältere  Meister,  unter  ihnen  Mozart, 
Beethoven  und  besonders  Cherubini,  Spohr,  Weber 
und  Marschner,  gelegentlich  bei  der  Wiederkehr  der- 
selben Stimmung  in  einer  Oper  dasselbe  Thema  wieder- 
holt. So  hatte  auch  Wagner  es  in  seinen  früheren 
Opern  gehalten.  Seine  beständige,  zielbewußte  Rück- 
sicht auf  den  dramatischen  Zusammenhang  mußte  ihn 
fast  von  selbst  zu  solchen  regelmäßig  wiederkehrenden 
Erinnerungs-  oder  Leitmotiven  führen.  Jetzt  wandte 
er  dieses  Kunstmitte]  nur  ungleich  häufiger  an  und 
benützte  es  —  was  er  bisher  nur  in  einem  einzigen 
Fall  im  „Liebesverbot"  versucht  hatte  —  hauptsächlich 
mit    zur   Charakteristik   der  Personen   seines  Dramas. 

3t 


Auf  der  musikalischen   Entwicklung  und  Fortbildung 

dieser  Leitmotive,  auf  ihrer  künstlerischen  Verbindung 
mit  einander  beruhte  von  nun  an  vor  allem  der  melo- 
dische Bau  seiner  Werke.  Aber  fern  von  pedantischem 
Schematismus  und  mechanischer  Berechnung,  bewahrte 
er  sich  dabei  stets  die  volle  künstlerische  Freiheit  und 
Unmittelbarkeit  des  Schaffens  aus  erregter  Phantasie 
und  warmem  Empfinden. 

Noch  wagte  er  nicht  im  „Holländer"  die  alte  Opern- 
form mit  ihren  Arien,  Duetten,  Terzetten  und  En- 
sembles vollständig  zu  durchbrechen;  auch  die  Leit- 
motive ließ  er  noch  lange  nicht  so  reichlich  walten 
wie  in  seinen  späteren  Werken.  Der  Übergang  von 
der  großen,  französisch -italienischen  Oper  zu  einem 
eigenartig -deutschen  musikalischen  Drama  war  noch 
oft  zu  spüren.  Der  romanische  Einflufs  offenbarte  sich 
meistens  in  den  mehrstimmigen  Gesangsnummern  vom 
Duett  an  bis  zum  grofsen  Ensemble ;  da  klang  in  Melo- 
die und  Harmonie  manches  noch  recht  konventionell 
und  selbst  trivial.  Dagegen  zeigten  besonders  die 
monologischen  und  die  rezitativischen  Abschnitte  des 
Werkes  Wagners  selbständige  Kompositionsweise,  die 
gleich  dem  deutschen  Volksgesang  auf  höchste  rhyth- 
mische Bestimmtheit  der  Melodie  ausging.  Dem  deut- 
schen Volksgesang  bildete  Wagner  vor  allem  seine 
Leitmotive  nach,  wie  er  aus  der  Volkssage  den  dichte- 
rischen Stoff  seines  „Holländers"  gewonnen  hatte.  Und 
von  da  an  blieb  es  ein  Grundsatz  seiner  Kunst,  nie- 
mals wieder  den  Zusammenhang  mit  der  echten  Sage 
und  dem  echten  Sang  seines  Volkes  aufzugeben.  In 
der  Ouvertüre  fafäte  er  wieder,  wie  zuvor  beim 
„Rienzi" ,  nur  mit  bereits  gesteigertem  Können,  den 
Inhalt  der  Oper  zu  einem  einheitlichen,  die  Handlung 
klar  andeutenden  Tonstück  zusammen ,  das  das  Vor- 
bild Beethovens  und  anderer  deutscher  Meister  nir- 
gends verleugnete. 

Vergebens  hatte  Wagner,  solang  er  seinen  „Hol- 
länder"   nur  als  Entwurf  im  Geiste  trug,   alle  Kräfte 

35 


angestrengt,  um  diese  Oper  ebenso  wie  den  „Rienzi" 
in  Paris  zur  Aufführung  zu  bringen.  Er  hatte  die 
bittersten  Enttäuschungen  dabei  erfahren.  Als  er  das 
Werk  vollendet  hatte,  bot  er  es  nur  noch  deutschen 
Bühnen  an.  Zuerst  wieder  mit  geringem  Erfolge,  bis 
Meyerbeers  Empfehlung  ihm  endlich  zur  Annahme  des 
„Rienzi"'  in  Dresden,  des  „Fliegenden  Holländers"  in 
Berlin  verhalf.  Nun  hielt  es  den  Künstler  nicht  lange 
mehr  in  der  Fremde. 

Noch  mannigfache  dramatische  Pläne  stiegen  wäh- 
rend der  letzten  Pariser  Monate  vor  seiner  Seele  auf. 
Noch  einmal  plante  er  eine  historische  Oper  „Die 
Sarazenin",  die  er  1843  wieder  in  Angriff  nahm  und 
nun  genau  skizzierte :  eine  Episode  aus  dem  Leben  des 
Hohenstaufen  Manfred  wollte  er  hier  mit  allerlei  An- 
klängen an  Schillers  „Jungfrau  von  Orleans"  und  an 
Immermanns  Drama  „Kaiser  Friedrich  IL"  dichterisch 
verherrlichen.  Dann  entwarf  er  eine  dreiaktige  Oper 
„Die  Bergwerke  zu  Falun"  im  engen  Anschluß 
an  E.  T.  A.  Hoffmanns  Erzählung,  die  er  nur  in  we- 
nigen nebensächlichen  Zügen  —  stets  zum  Vorteil  der 
dramatischen  Wirkung  —  veränderte.  Aber  die  alten 
Volkssagen  vom  Tannhäuser,  vom  Sängerkrieg  auf  der 
Wartburg,  von  Lohengrin,  die  er  jetzt  kennen  lernte, 
bemächtigten  sich  bald  seiner  ganzen  Phantasie  und 
verscheuchten  daraus  die  Gestalten  Manfreds  und 
seiner  sarazenischen  Halbschwester  wie  die  gespensti- 
gen Figuren  Hoffmanns  für  immer.  In  der  deutschen 
Heimat  wollte  er  jene  Volkssagen  dramatisch  neu  be- 
leben. Am  7.  April  1842  verließ  er  Paris ;  durch  Thü- 
ringen, an  der  Wartburg  vorbei,  reiste  er  nach  Dresden, 
die  Aufführung  seines  „Rienzi"  dort  zu  betreiben. 


36 


IV. 


it  einem  neuen  künstlerischen  Werke  be- 
gann Wagner  sein  Wirken  in  der  Heimat: 
1  während  eines  Sommerausfluges  nach  Böh- 
üäl  men  verfertigte  er  in  Teplitz  den  vollstän- 
digen szenischen  Entwurf  seines  „Tannhäuser".  Dann 
begannen  in  Dresden  die  Proben  des  „Rienzi".  Sie 
gewährten  dem  Verfasser  hohe  Freude:  Musiker  und 
Sänger,  unter  ihnen  Joseph  Tichatschek,  Wilhelmine 
Schröder  -  Devrient  und  Chordirektor  Wilhelm  Fischer, 
von  da  an  Wagners  treuer  Freund,  dazu  der  Regisseur 
und  Costumier  Ferdinand  Heine,  setzten  allen  Eifer 
und  alle  Kunst  an  eine  würdige  Aufführung  der 
neuen  Oper.  Mit  dem  entschiedensten  Erfolg  ging 
das  Werk  am  20.  Oktober  1842  über  die  Bühne;  am 
2.  Januar  1843  folgte  schon  der  „Fliegende  Holländer", 
zuerst  mit  dem  gleichen  Beifall  begrüßt.  Mehr  und 
mehr  richtete  sich  das  Augenmerk  des  Publikums  auf 
den  Komponisten :  Laube  als  Herausgeber  der  „Zeitung 
für  die  elegante  Welt"  erbat  sich  von  dem  Freunde 
sogar  einen  Abriß  seiner  Lebensgeschichte.  Wagner 
sandte  ihm  noch  im  Dezember  1842  die  witzig  und 
frisch,  vor  allem  aber  warm  geschriebene  „Autobio- 
graphische Skizze". 

37 


Wenige  Wochen  darnach  wurde  er  zum  Hofkapell- 
meister in  Dresden  ernannt.  Als  solcher  war  er  ver- 
pflichtet, zahlreiche  Opern  von  verschiedenstem  Werte 
einzustudieren;  er  selbst  nahm  dabei  stets  die  Ge- 
legenheit wahr,  die  Werke  der  älteren  deutschen 
Meister,  eines  Gluck,  Mozart,  Beethoven,  Weber,  Spohr 
und  Marschner,  mit  aller  Strenge  und  Sorgfalt  in  dem 
Geist,  in  dem  sie  geschaffen  waren,  lebendig  zu  er- 
halten. In  Konzerten  pflegte  er  Bach,  Haydn,  Mozart, 
Palestrina,  Cherubini,  auch  Mendelssohn,  vor  allem 
aber  Beethoven,  für  dessen  Symphonien  er  erst  recht 
eigentlich  die  Hörer  zu  erwärmen  wußte.  Die  gerechte 
Würdigung  der  bis  dahin  in  Deutschland  meistens  ver- 
lästerten „Neunten  Symphonie"  ist  sein  Verdienst;  das 
Verständnis  für  diese  gewaltige  Tondichtung  suchte  er 
durch  eine  besondere  Erläuterungsschrift  mit  reichen 
Zitaten  aus  Goethes  „Faust"  zu  heben.  Auch  über- 
nahm er  die  Leitung  der  Dresdener  Liedertafel  und 
komponierte  für  sie  sein  ,.Liebesmahl  der  Apostel", 
das  trotz  aller  Kühnheit  der  Anlage  bei  dem  sächsi- 
schen Männergesangfcst  im  Juli  1843  den  stärksten 
Erfolg  erzielte.  Daran  reihten  sich  noch  einige  Ge- 
legenheitskompositionen, unter  anderm  der  aus 
Motiven  der  „Euryanthe"  zusammengestellte  Trauer- 
marsch zur  Einholung  der  Leiche  Webers,  deren  Über- 
führung aus  England  nach  Dresden  (1844)  hauptsäch- 
lich dem  eifrigen  Bemühen  Wagners  zu  verdanken 
war.  Aber  diese  und  ähnliche  kleinere  Gelegenheits- 
stücke verschwinden  in  ihrer  Bedeutung  neben  den 
zwei  dramatischen  Werken,  die  er  während  der  Dres- 
dener Jahre  vollendete. 

Im  Sommer  1843  führte  er  zu  Teplitz,  wo  das 
Jahr  zuvor  der  Entwurf  des  „Tannhäuser"  ent- 
standen war ,  die  Dichtung  des  Dramas  aus ;  in  der 
folgenden  Zeit  bis  zum  Frühling  1845  setzte  er,  zuerst 
mit  manchen  Unterbrechungen,  zuletzt  in  nervöser 
Eile,  das  neue  Werk  in  Musik.  Bisher  hatte  Wagner 
den   Stoff   seiner   Opern    stets    ziemlich    genau    einem 

38 


älteren  Schauspiel  oder  einer  Erzählung  entnommen ; 
jetzt  zum  erstenmale  schuf  er  sich  als  wahrer  Dichter 
auch  den  Inhalt  seines  Dramas  selbst,  indem  er  ver- 
schiedene Züge  aus  mehreren  Sagen  in  neuer  Weise 
frei  und  kühn,  doch  immer  künstlerisch  mit  einander 
verband. 

Der  vollständige  Plan  der  neuen  Dichtung  bildete 
sich  in  Wagners  Seele  augenscheinlich  noch  während 
der  letzten  Pariser  Wochen.  Die  erste  Anregung  er- 
hielt er  wahrscheinlich  durch  Heines  gleichnamige 
Legende  von  1836,  deren  Schluf3  allerdings  unpoetisch 
genug  in  eine  politisch-literarische  Satire  auf  Deutsch- 
land zerbröckelte.  Desto  besser  zeichnete  ihm  der 
erste  Gesang  des  Heinischen  Gedichtes  die  Szene  vor, 
wie  der  im  Venusberg  schwelgende  Ritter  von  der 
Göttin  der  Liebe  sich  losreißt,  voll  Sehnsucht  nach 
den  Bitternissen  und  Tränen  der  Welt  und  nach  dem 
hart  gefährdeten  Heil  seiner  Seele.  Nun  erinnerte  sich 
Wagner  an  eine  Erzählung  Tiecks  von  dem  getreuen 
Eckart  und  dem  Tannenhäuser,  die  er  vor  Jahren  ge- 
lesen hatte.  Er  suchte  sie  wieder  hervor,  fand  sich 
aber  durch  ihre  „mystisch  kokette,  katholisch  frivole 
Tendenz"  mehr  abgestof3en  als  angezogen:  gleichwohl 
blieben  ein  paar  Einzelheiten  daraus  in  seinem  Geiste 
haften.  Ganz  anders  wirkte  das  echte  alte  Tannhäuser- 
lied aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert  auf  ihn.  Es  war 
schon  einigemale  in  neuerer  Zeit  wieder  gedruckt  wor- 
den, besonders  auch  in  der  Sammlung  Arnims  und 
Brentanos  „Des  Knaben  Wunderhorn" ;  auch  hatten  die 
Brüder  Grimm  in  ihren  „Deutschen  Sagen"  den  Inhalt 
des  Liedes  mitgeteilt.  Wagner  lernte  es  vermutlich 
aus  dem  von  Ludwig  Bechstein  1835  herausgegebenen 
Buche  „Sagenschatz  und  Sagenkreise  des  Thüringer 
Landes"  kennen.  Hier  fand  er  zugleich  die  Nachricht, 
Tannhäuser  habe  auch  zu  dem  Landgrafen  Hermann 
von  Thüringen  ziehen  wollen,  als  eben  der  Sängerkrieg 
auf  der  Wartburg  beginnen  sollte;  unterwegs  habe  ihn 
aber  Frau  Venus  in  den  Hörselberg  gelockt. 

39 


Damit  sah  sich  Wagner  auf  eine  zweite  Sage  hin- 
gewiesen, die  ebenfalls  die  Brüder  Grimm  erzählten. 
Auch  sie  hatte  er  schon  in  viel  früheren  Jahren  in 
neuer  Bearbeitung  kennen  lernen,  in  E.  T.  A.  Hoff- 
manns Novelle  „Der  Kampf  der  Sänger",  wohl  auch 
in  Fouques  Dichterspiel  verwandten  Titels  und  Inhalts. 
Jetzt  las  er  aber  vor  allem  das  echte  mittelalterliche 
Gedicht  vom  Wartburgkrieg,  das  ihm  Freund  Lehrs 
verschaffte ,  und  im  engsten  Zusammenhange  damit 
eine  Schrift  darüber  von  dem  Königsberger  Professor 
C.  T.  L.  Lucas,  der  unter  anderm  die  wissenschaftlich 
unhaltbare  Vermutung  aussprach,  Heinrich  von  Öfter- 
dingen,  der  Gegner  Wolframs  von  Eschenbach  und  der 
übrigen  Dichter  in  jenem  sagenhaften  Sängerstreite, 
und  Tannhäuser  seien  mythisch  eine  und  dieselbe 
Person. 

Wagner  griff  diesen  Gedanken  auf  und  verband  so 
die  beiden  Sagen  zu  einer  organischen  Einheit,  die  er 
schon  im  Titel  seines  Werkes  andeutete:  ..Tannhäuser 
und  der  Sängerkrieg  auf  Wartburg".  Für  den  Dramatiker 
konnte  das  nur  von  Gewinn  sein.  Er  bekam  dadurch 
den  nötigen,  aber  im  mittelalterlichen  Gedichte  fehlen- 
den, vollauf  befriedigenden  Abschluß  des  Wartburg- 
krieges; ferner  aber  gewann  er  so  zu  der  Exposition 
und  Katastrophe  der  Tannhäusersage,  die  ihm  das  alte 
Volkslied  darbot,  die  dramatisch  erforderte  Peripetie 
hinzu.  Um  jedoch  noch  bedeutender  und  kunstreicher 
die  Fäden  des  dichterischen  Gewebes  zu  verwickeln 
machte  er  sich  verschiedne  Motive  aus  der  Erzählung 
Hoffmanns  glücklich  zu  eigen.  Gleich  ihm  ließ  auch 
Wagner  den  Gegner  Wolframs  von  den  überschweng- 
lichen Freuden  des  Venusberges  singen  und  schilderte 
Wolfram  und  Heinrich,  die  hier  im  Wettkampf  ein- 
ander bestreiten,  sonst  als  innige  Freunde  und  zugleich 
als  Nebenbuhler  in  der  Liebe  zu  derselben  Dame. 
Dieser  Dame  gab  er  aber  den  Namen,  die  fromme 
Reinheit  und  die  selbstlose  Milde  der  heiligen  Elisa- 
beth ,  deren  Geschichte  schon  im  mittelalterlichen  Ge- 

40 


dicht  äußerlich  mit  dem  Sängerkampf  verknüpft  war. 
So  gewann  er  für  sein  Werk  eine  zweite  Frauen- 
gestalt, die  an  volkstümlicher  Bedeutung  hinter  Venus 
nicht  zurücksteht,  deren  poetische  Lebenswahrheit  wir 
deshalb  keineswegs  bezweifeln,  wenn  wir  Tannhäuser 
durch  ihre  sittlich  -  religiöse  Kraft  aus  der  Macht  der 
Hölle  gelöst  sehen. 

Das  Drama  forderte  einen  andern  Schluß  als  die 
von  antipapistischer  Gesinnung  erfüllte  Ballade.  War 
doch  auch  die  ursprüngliche  Volkssage  sicherlich  durch 
keine  Tendenz  getrübt,  Vom  strengsten  Geist  kirch- 
licher Askese  erfüllt,  kannte  sie  das  Wunder,  das  die 
auch  über  den  größten  Sünder  sich  erbarmende  Gnade 
Gottes  offenbart,  überhaupt  noch  nicht.  In  Wagners 
Dichtung  aber  konnte  dieses  Wunder  unmöglich  fehlen. 
Nur  durfte  es  freilich  im  Drama  für  den  Begnadigten 
selbst  nicht  zu  spät  kommen ;  Tannhäusers  Tod  mußte 
zugleich  seine  Erlösung  vom  Fluch  der  Sünde  sein. 
Indem  Wagner  so  den  Schluß  der  alten  Ballade  um- 
gestaltete ,  erzielte  er  noch  in  der  letzten  Szene  eine 
neue,  bedeutende  Steigerung  der  durchweg  meister- 
haft aufgebauten  und  ebenso  reich  wie  lebendig  ent- 
wickelten Handlung.  Der  Kampf  himmlischer  und 
höllischer  Mächte  um  Tannhäusers  Seele  läßt  überdies 
am  Ende  des  Stückes  noch  einmal  alle  Hauptpersonen 
neben  einander  charakteristisch  wirkend  erscheinen. 

Wieder,  wie  bei  seinen  früheren  Werken,  hatte 
Wagner  ein  inniges  persönliches  Verhältnis  zu  seiner 
Dichtung.  Auch  er  empfand  ein  heftiges  Verlangen 
nach  höchstem  geistig-sinnlichen  Genuß,  den  ihm  aber 
die  moderne  Welt  unmöglich  bieten  konnte.  Künst- 
lerisch deutete  er  diese  Stimmung  als  Sehnsucht  nach 
einer  aus  der  Sinnlichkeit  erlösenden  Liebe,  die,  in 
ihrem  Wesen  nicht  unirdisch,  doch  in  ihrem  Wider- 
streit mit  dieser  Welt  zu  überirdischer  Hoheit  erhebt. 
Ein  Grundgedanke,  den  noch  seine  spätesten  Dich- 
tungen wiederholen  sollten,  tauchte  hier  zuerst  in 
seiner  Poesie    auf.     Ihn    selbst   versetzte    das   Gefühl 

41 


dieser  Sehnsucht  in  einen  Zustand  verzehrend  üppiger 
Erregtheit,  der  ihm  Blut  und  Nerven  in  fiebernder 
Wallung  erhielt. 

Von  dieser  Erregtheit  zeigte  die  musikalische  Kom- 
position des  „Tannhäuser"  viel  mehr  als  die  Textes- 
worte. In  den  leidenschaftlich  dahinstürmenden,  alle 
Sinne  wild  aufreizenden,  dann  wieder  mit  schwülem 
Zauber  bestrickenden  Klängen  der  Oper  sprach  sich 
übermächtig  das  glühende  Begehren  des  Künstlers  wie 
seines  Helden  aus,  malte  sich  mit  unvergleichlicher 
Wahrheit  die  Freude  an  schwelgerischem  Genießen 
und  der  kraftvolle  Drang  zu  Kampf  und  Tat.  Aber 
im  wirksamen  Gegensatze  dazu  gab  die  Tonsprache 
Wagners  auch  der  gläubigen,  weltentsagenden  Fröm- 
migkeit, die  sich  in  reumütiger  Bußse  rastlos  müht  oder 
in  erlösender  Liebe  für  fremde  Schuld  aufopfert,  einen 
tief  ergreifenden  Ausdruck. 

Mit  der  Musik  des  „Tannhäuser"  betrat  Wagner 
nicht,  wie  mit  der  des  „Holländers",  eine  neue  Bahn, 
sondern  schritt  nur  sicherer  und  selbständiger  auf  der 
dort  begonnenen  weiter.  Noch  immer  sparsam  und 
doch  schon  reicher  und  bezeichnender  als  dort  ver- 
wendete er  die  sogenannten  Leitmotive.  Noch  hie  und 
da  gewährte  er  der  alten  Opernmelodie  Eingang;  aber 
das  geschah  nicht  nur  viel  seltner  als  im  „Holländer" : 
auch  edler  wufäte  er  sie  jetzt  zu  gestalten.  Von  der 
alten  Opernform  behielt  er  nur  noch  geringe  Reste  bei. 
Dagegen  machte  sich  der  einheitlich  dramatische  Zug 
auch  in  der  Musik  stärker  als  je  zuvor  geltend  und  mit 
ihm  Wagners  eigenartige  Kompositionsweise,  die  ihren 
Zusammenhang  mit  dem  echten  Volksgesang  und  mit 
einer  edlen,  bedeutungsvollen  Deklamation  nie  ver- 
leugnet. Die  Instrumentation  war  reicher  und  aus- 
drucksfähiger als  in  irgend  einer  früheren  Oper.  In 
viel  höherem  Grad  als  im  „Holländer"  erschien  jetzt 
schon  neben  den  Singstimmen  auch  das  Orchester  als 
Träger  der  Melodien. 

Nachdem    Wagner    die    Komposition    des    „Tann- 

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häuser"  beendigt  hatte,  begab  er  sich  zum  Sommer- 
aufenthalt nach  Marienbad.  Von  Schaffensdrang  er- 
füllt, verfaßte  er  hier  die  vollständigen  Entwürfe  zu 
zwei  neuen  Werken,  zu  den  „Meistersingern"  und  zu 
„Lohcngrin".  Nach  Dresden  zurückgekehrt,  führte  er 
am  11).  Oktober  1845  zum  erstenmale  den  „Tann- 
häuser" auf.  Die  beiden  ersten  Akte  erzielten  einen 
großen  Erfolg;  aber  bei  dem  überlangen  Vorspiel  des 
dritten  Aufzugs  und  noch  mehr  bei  dem  Schluß  des 
Ganzen  erlahmte  der  Beifall.  Wagner  erkannte,  daß 
hier  manches  nur  angedeutet  war,  was  einzig  dann 
wirken  konnte ,  wenn  es  zur  vollen  dramatischen  und 
theatralischen  Erscheinung  kam.  Er  verkürzte  deshalb 
nicht  bloß  das  Vorspiel,  das  die  Pilgerfahrt  Tann- 
häusers  nach  Rom  früher  zu  breit  dargestellt  und  zu 
genau  in  ihren  Einzelheiten  gezeichnet  hatte,  sondern 
er  führte  auch  (1847)  den  Kampf  des  Himmels  und 
der  Hölle  um  Tannhäusers  Seele  lebendiger  und  über- 
zeugungsvoller aus:  er  brachte  nun  Venus  selbst  und 
die  Leiche  Elisabeths,  die  beide  ursprünglich  in  der 
Schlußszene  nicht  auftraten,  noch  einmal  auf  die  Bühne. 
Noch  bedeutender  arbeitete  er  sein  Werk  für  die 
Pariser  Aufführung  vom  März  1861  um.  Um  den  dra- 
matischen Fortgang  zu  beleben,  kürzte  er  einiges  im 
Sängerkrieg  des  zweiten  Aktes ;  namentlich  jedoch  be- 
arbeitete er  die  Venusbergszene  im  ersten  Aufzug 
völlig  neu.  Die  Ouvertüre ,  früher  ein  selbständiges 
Tongemälde  in  der  Weise  seiner  übrigen  älteren  Ouver- 
türen, hatte  den  leitenden  Gedanken  des  ganzen  Dra- 
mas, das  siegreiche  Ringen  der  himmlischen  Gnade 
mit  dem  Höllenzauber,  in  dem  Widerstreit  der  ein- 
ander übertönenden  und  verdrängenden  musikalischen 
Hauptthemen  mit  sinnenfälliger  Deutlichkeit  veran- 
schaulicht. Jetzt  verwandelte  sie  Wagner  in  eine  bloße 
Einleitung  zum  ersten  Akt,  gestaltete  dafür  aber  das 
Blendwerk  des  Venusberges  in  jeder  Hinsicht  reicher, 
die  Charaktere  der  Liebesgöttin  und  Tannhäusers  und 
die  ganze  Szene  ihres  Abschiedes  von  einander  drama- 

43 


tisch  und  musikalisch  viel  größer.  Ungemein  vertiefte 
er  den  dichterischen  und  sittlichen  Gehalt  dieser  Szene, 
indem  er  die  Schopenhauersche  Idee  von  der  Ver- 
neinung des  Willens  mit  hoher  künstlerischer  Kraft 
in  Tannhäusers  entschlossener  Abkehr  von  Venus  dar- 
stellte. Musikalisch  malte  er  besonders  durch  die  un- 
gleich reicheren  Mittel  seiner  späteren  Kompositions- 
weise die  schwüle  Sinnlichkeit  noch  meisterhafter  aus, 
die  über  dem  Venusberg  liegt.  Dazu  kamen  viele 
kleine  Änderungen  und  Einschiebsel,  an  sich  unschein- 
bar und  doch  immer  sehr  sorgfältig  berechnet,  die 
durchweg  die  rhythmische  Bewegung  und  die  Klang- 
wirkung mannigfaltiger  und  ausdrucksvoller  machten. 
Die  Stileinheit  des  Werkes  wurde  durch  diese  musi- 
kalischen Änderungen  und  Zusätze  von  1860  und  1861 
notwendig  verletzt;  aber  geschickt  vermittelnde  Über- 
gänge und  eine  unvergleichliche  Kunst  der  Charakte- 
ristik benahmen  dem  Gegensatze  zweier  vielfach  ver- 
schiedenen Stilarten  alles  Störende.  — 

Von  den  beiden  Entwürfen,  die  zu  Marienbad  im 
Sommer  1845  entstanden  waren,  führte  Wagner  den 
einen,  den  des  „Lohengrin",  sogleich  im  folgenden 
Winter  dichterisch  und  in  den  nächsten  Jahren  (bis 
zum  März  1818)  auch  musikalisch  aus. 

Er  hatte  das  mittelalterliche  Gedicht  eines  bayri- 
schen Verfassers  über  den  Sohn  des  Gralskönigs  Parzi- 
val  und  dessen  Fahrt  zu  Elsa  von  Brabant,  die  schon 
Wolfram  von  Eschenbach  am  Schlüsse  seines  Haupt- 
werkes erzählte,  zugleich  mit  der  Sage  vom  Wartburg- 
kriege zu  Paris  kennen  lernen,  damals  aber  noch  keine 
Anregung  zu  eignem  künstlerischem  Schaffen  davon 
empfangen.  Erst  später,  als  er  durch  die  vielen  Über- 
ladungen und  Verschnörkelungen  dieses  Gedichtes  hin- 
durch die  einfache  Volkssage  von  Lohengrin  erkannte, 
wie  sie  etwa  die  Brüder  Grimm  in  ihren  „Deutschen 
Sagen"  aufgezeichnet  hatten,  fühlte  er  sich  mächtig 
und  immer  mächtiger  von  dem  Stoffe  angezogen.  Nun 
fand   er   teils  in   der   Vorrede,    mit   der   Görres   seine 

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Ausgabe  des  bayrischen  „Lohengrin''  eingeleitet  hatte 
teils  in  andern  mittelalterlichen  Quellen  selbst  Züge 
aus  verwandten  Sagen,  die  sich  zur  vollen  dramati- 
schen Ausgestaltung  des  Stoffes  glücklich  mit  den 
Hauptmotiven  des  alten  Gedichts  verbinden  ließen. 
In  dieser  Weise  verwertete  er  einzelnes  aus  dem 
„Schwanritter"  Konrads  von  Würzburg,  aus  dem  so- 
genannten „Jüngeren  Titurel",  aus  der  Sage  von  den 
Vorfahren  Gottfrieds  von  Bouillon  und  aus  dem  alten 
Volksglauben  der  Germanen,  daß  durch  Zauberkraft 
Menschen  in  Schwäne  verwandelt  werden  könnten. 
Bei  der  Schilderung  der  Wunderwelt  des  Grals  griff 
er  wohl  unmittelbar  auf  Wolframs  „Parzival"  zurück. 
Aus  der  Euryanthensage,  die  ihm  durch  Webers  Oper 
vertraut  geworden  war,  entlehnte  er  die  Grundmotive 
für  den  Charakter  seiner  Ortrud  und  ihr  ränkevolles 
Wirken  gegen  Elsa.  Um  jedoch  den  innern  Wider- 
streit der  beiden  Frauen  in  einem  bedeutsamen  Vor- 
gang allen  ersichtlich  zum  Ausbruch  gelangen  zu 
lassen ,  bildete  er  den  Streit  der  Königinnen  vor  dem 
Münster  aus  dem  Nibelungenliede  dramatisch  nach. 

Von  neueren  Dichtern  hatte  schon  Immermann  die 
Gestalt  Lohengrins  in  sein  tiefsinniges  Werk  „Merlin'' 
eingeführt.  Er  konnte  aber  durch  seine  Charakteri- 
sierung des  Gralsritters  in  keiner  Weise  auf  Wagner 
einwirken.  Dagegen  darf  die  tragisch  endende  Liebes- 
szene zwischen  Merlin  und  Niniane  in  Immermanns 
Drama  halb  und  halb  als  Vorbild  der  Brautnachtszene 
im  dritten  Akte  des  „Lohengrin"  gelten ;  jedenfalls  mit 
ungleich  größerem  Recht  als  das  berühmte  Duett  im 
vierten  Aufzug  der  „Hugenotten",  mit  dessen  Inhalt 
WTagners  Liebesszene  so  viel  wie  nichts  gemein  hat. 
Auch  nur  äußerlich  war  die  Ähnlichkeit  zwischen 
Elsas  stummem  Spiel  bei  ihrem  ersten  Auftreten  vor 
König  Heinrich  und  dem  Fenellas  in  Aubers  Revo- 
lutionsoper. Doch  mochte  der  ganze  Gottesgerichts - 
kämpf  und  besonders  Elsas  Gebaren  dicht  vor  dessen 
Beginn  mannigfach  an  die  letzte  Szene  in  Marschners 

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„Templer  und  Jüdin"  erinnern.  Das  tragische  Problem 
aber  in  dem  Verhältnis  Lohengrins  zu  Elsa  war  von 
ferne  dem  Grundproblem  des  „Hans  Heiling"  verwandt. 

Aber,  ließen  sich  auch  noch  alle  möglichen  son- 
stigen Motive  aus  fremden  Werken  in  Wagners  Dich- 
tung nachweisen,  was  würde  das  bedeuten  bei  dem 
durchaus  selbständigen,  kunstvoll  geschlossenen  Auf- 
bau der  Handlung,  dessen  dramatische  Vorzüge  selbst 
leidenschaftliche  Gegner  des  Verfassers  laut  priesen, 
und  bei  der  ebenso  eigenartigen  als  tiefen  Charakte- 
ristik der  handelnden  Personen?  Indem  Wagner  Or- 
trud  zur  Verfechterin  des  unterdrückten  Heidentums 
machte,  gab  er  überdies  seinem  Werk  einen  welt- 
geschichtlichen Hintergrund,  wie  ihn  der  mittelalter- 
liche Epiker  durch  seine  Verknüpfung  der  Lohengrin- 
sage  mit  den  Kämpfen  Heinrichs  des  Voglers  gegen 
die  Ungarn  keineswegs  ähnlich  bedeutsam  entfalten 
konnte. 

Namentlich  aber  erfaßte  er  den  symbolischen  Ge- 
halt der  Sage,  deren  älteste  Gestaltung  er  bereits  in 
dem  Mythos  von  Zeus  und  Semele  erblickte,  ungewöhn- 
lich tief.  Er  fand  hier  die  innerste  Natur  der  mensch- 
lichen Sehnsucht  ausgesprochen :  mag  sie  sich  noch  so 
hoch  hinaus  über  das  Irdische  schwingen,  so  kann  sie 
doch  endlich  nur  wiederum  das  Reinmenschliche  be- 
gehren. Zugleich  sah  er  darin  das  Wesen  der  Liebe 
enthüllt,  die  notwendig  nach  voller  sinnlicher  Wirk- 
lichkeit verlangt.  LTm  Liebe,  unmittelbare,  volle  Liebe 
zu  finden,  die  in  ihrem  echten  Wesen  nicht  durch  an- 
betende Bewunderung  getrübt  ist,  steigt  der  Göttlich- 
Geartete  unerkannt  zu  dem  menschlichen  Weibe  herab. 
Doch  der  Glanz  seiner  höheren  Natur  verrät  ihn;  das 
Geständnis  seiner  Göttlichkeit  wird  ihm  entrissen,  und 
in  seinem  Liebesverlangen  unbefriedigt,  kehrt  er  in 
seine  überirdische  Einsamkeit  zurück.  Aber  wie  er, 
um  wahrhaft  geliebt  zu  werden,  in  den  Schleier 
des  Geheimnisses  sich  hüllen  muß,  so  muß  das  Weib 
um    ihrer  Liebe   willen    diesen    Schleier   heben.     Den 

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Unbekannten  kann  sie  bloß  bewundern;  nur  wen  sie 
in  seinem  vollen  Wesen  erkennt,  den  kann  sie  lieben. 
Nicht  als  neugierige  Evastochter,  sondern  als  ein  Weib, 
das  der  höchsten  Liebe  selbst  um  den  Preis  des  eignen 
Untergangs  teilhaftig  werden  will,  tut  Elsa  die  Frage 
nach  Lohengrins  Namen  und  Art.  Sie  ist  daher  die 
tragische  Heldin ,  die  handelnde  Hauptperson  des 
Dramas;  ihre  Tat  wird  zur  tragischen  Schuld,  da  sie 
nach  ihrem  sittlichen  Wesen  tief  berechtigt  ist,  aber 
gegen  ein  äußerliches  Gesetz  verstöfst. 

Wie  als  Dichter,  so  führte  Wagner  auch  als  Mu- 
siker im  „Lohengrin"  das  Neue,  das  er  in  seinen  letzten 
Opern  begründet  hatte,  zur  vorläufigen  Vollendung. 
Jetzt  war  er  vollständig  über  die  alte  Opernform  hinaus 
gelangt;  nirgends  zeigten  sich  mehr  Spuren  von  ein- 
zelnen Gesangesstücken,  die  die  dramatische  Entwick- 
lung unterbrachen  und  aufhielten.  Endgültig  verbannt 
war  die  alte  Opernmelodie;  selbst  wo  der  rezitativi- 
sche Gesang  scheinbar  in  eine  Art  von  Arioso  über- 
ging, da  war  seine  Melodie  vornehmlich,  wenn  nicht 
ausschließlich,  durch  die  Rücksicht  auf  die  dramatisch 
gesteigerte  Deklamation  bestimmt.  Anklänge  an  fremde 
Werke  waren  nirgends  mehr  zu  vernehmen,  auch  nicht 
in  noch  so  zarter  Abschwächung.  Desto  klarer  und 
entschiedner  breitete  sich  das  eigenartige  thematische 
Gewebe  der  Leitmotive  über  das  ganze  Werk  aus. 
Ganz  neu  schien  das  Orchester  behandelt  zu  sein. 
Wie  im  „Tannhäuser",  so  war  ihm  auch  hier  vielfach 
der  Vortrag  selbständiger  Melodien  anvertraut.  Aber 
um  besondere  Klangfarben  mit  ihm  zu  erzielen,  wendete 
Wagner  nicht  bloß  öfters  nach  einem  bisher  unge- 
wöhnlichen Prinzip  die  einzelnen  Gruppen  der  Streich- 
instrumente, der  Holz-  und  Blechbläser  von  einander 
getrennt  oder  nur  teilweise  mit  einander  verbunden 
an,  sondern  fügte  auch  neue  oder  früher  nur  vereinzelt 
zu  absonderlichen  Zwecken  gebrauchte  Instrumente 
regelmäßiger  in  das  Orchester  ein.  So  erhöhte  er  mit 
jedem  Werke  den  harmonischen  Reichtum  seiner  Ton- 

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spräche  und  bildete  die  ihr  eigene  Kraft  dramatischer 

Charakteristik  mannigfaltiger  aus. 

Eine  Aufführung  des  Werkes  in  Dresden  konnte 
Wagner  vorerst  nicht  zustande  bringen,  trotz  dem 
nachhaltigen  Erfolg,  den  wenigstens  „Rienzi"  und  „Tann- 
häuser" hier  errungen  hatten,  trotz  dem  Beifall,  den 
seine  älteren  Opern  nach  und  nach  auch  auf  auswär- 
tigen Bühnen  ernteten.  Überhaupt  sah  sich  der  Künst- 
ler nunmehr  durch  das  unedle  Benehmen  des  Dresdener 
Intendanten  Freiherrn  von  Lüttichau  stets  aufs  neue 
gehemmt  und  gekränkt.  Und  dabei  konnte  er  vor- 
läufig noch  nicht  einmal  die  ganze  Perfidie  dieses 
Mannes  ahnen.  So  ging  „Lohengrin"  erst  am  28. 
August  1850  zu  Weimar  unter  Franz  Liszts  Leitung 
in  Szene.  Der  Dichter  durfte  nur  aus  der  Ferne  sich 
des  künstlerischen  Erfolges  freuen,  den  sein  Drama 
damals  errang;  das  Vaterland  war  ihm  bereits  seit 
Jahr  und  Tag  verschlossen. 

Noch  bevor  Wagner  die  Komposition  des  ..Lohen- 
grin i-  vollendet  hatte,  fühlte  er  sich  von  zwei  neuen 
Dramenstoffen  angezogen:  die  Gestalten  Siegfrieds 
und  des  Kaisers  Friedrich  Rotbart  tauchten 
vor  seinem  Geiste  auf.  Betrachtete  er  die  augen- 
blickliche politische  Lage  Deutschlands,  so  schien  ihm 
das  Hohenstaufendrama  glücklicher  gewählt.  Er  ar- 
beitete also  einen  vollständigen  Entwurf  dazu  aus: 
in  fünf  Akten  wollte  er  die  Kämpfe  und  Taten  Fried- 
richs aus  drei  Jahrzehnten  vollständig  und  doch  in 
leicht  überschaulicher  Einheit  zusammenfassen.  Diesen 
Entwurf  dachte  er  natürlich  nur  dichterisch,  nicht 
etwa  auch  musikalisch  im  Stil  der  historischen  Oper, 
auszuführen.  Aber  bald  erkannte  er.  daß  die  geschicht- 
lichen Verhältnisse  ihn  einengten.  Um  seine  künst- 
lerischen Absichten  zu  verwirklichen,  hätte  er  jene 
Verhältnisse  frei  umbilden,  die  Geschichte  als  Sage 
behandeln  müssen.  Was  er  hier  auf  einem  Umweg 
erreichte,  war  aber  einfacher  durch  die  Neugestaltung 
des  Mythos  selbst  zu  erlangen.     Wagner  gab  daher  die 

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Dichtung  eines  historischen  Dramas  auf  und  legte  die 
Studien,  die  er  bei  dieser  Gelegenheit  gemacht  hatte, 
1848  in  dem  Aufsatze  „Die  Wibelungen,  Welt- 
geschichte aus  der  Sage"  nieder.  Im  Anschluß 
an  zwei  Almandlungen  des  Philologen  und  Geschichts- 
forschers Karl  Wilhelm  Göttling  suchte  er  darin  nach- 
zuweisen, daß  die  Wibelungen  oder  Ghibellinen  mit 
den  Nibelungen  dem  Namen,  Stamm,  Wesen  und 
Streben  nach  eins  seien,  daß  Friedrich  Rotbart  in  der 
Geschichte  genau  dasselbe  bedeute  wie  Siegfried  in 
der  Sage. 

Dem  Helden  des  Mythos  wandte  sich  daher  jetzt 
Wagners  schöpferische  Tätigkeit  ausschließlich  zu,  und 
bald  hatte  er  den  allgemeinen,  stellenweise  jedoch 
schon  im  einzelnen  genau  bestimmten  Entwurf  eines 
Nibelungendramas  vollendet.  Sogleich  im  November 
1848  führte  er  ihn  als  „Siegfrieds  Tod"  dichterisch 
aus.  In  den  engen  Rahmen  eines  Dramas  glaubte  er 
zunächst  noch  den  übergroßen  Stoff  zwingen  zu  können. 
Bescheiden-altmodisch  nannte  er  die  gewaltige  Tragödie, 
die  völlig  neue  Bahnen  eröffnen  sollte,  eine  „große 
Heldenoper  in  drei  Akten".  Mit  der  musikalischen 
Komposition  säumte  er  vorerst;  die  Idee  eines  andern 
Dramas  hatte  sich  seiner  bemächtigt:  noch  im  Jahre 
1848  entwarf  er  einen  „Jesus  von  Nazareth"  in 
fünf  Akten. 

In  erster  Linie  als  Künstler  trat  er  an  die  heilige 
Geschichte  heran,  deren  szenische  Darstellung  seit  dem 
frühen  Mittelalter  fromme  Gemüter  unter  allen  Völkern 
wieder  und  wieder  beschäftigt  hatte.  Was  ihnen  allen 
nie  gelingen  wollte,  davon  erwies  er  mit  überlegener 
dichterischer  Einsieht  und  Kraft  die  Möglichkeit,  dazu 
zeigte  er  den  Weg:  er  skizzierte  ein  nach  allen  Regeln 
der  Kunst  gebautes  wahrhaftes  Drama  vom  Tode 
Christi,  das  die  höchste  sittliche  und  poetisch-drama- 
tische Wirkung  ausüben  mußte.  Um  dies  zu  erreichen, 
entkleidete  Wagner  den  biblischen  Stoff  von  allem 
Übernatürlich-Wunderbaren.     Er  faßte   Jesus    nur  als 

Jlunckei'    R.  Wagner.    2.  Aufl.  4  49 


Edelsten  aller  Menschen  auf,  der  in  einer  Welt  der 
herzlosen  Gewalt  die  Religion  der  Liebe  stiftete  und, 
von  seinem  Volke  schnöde  mißverstanden,  mit  seinem 
Tode  besiegelte.  Zugleich  aber  nützte  er  alle  ge- 
schichtlichen Gestalten,  die  ihm  die  Überlieferung  dar- 
bot, Barrabas  vor  allen,  die  Verhältnisse  des  jüdischen 
Volkes  zur  Zeit  Jesu,  die  Empörungsgelüste  der  von 
den  Römern  Unterdrückten,  das  Sekten-  und  Partei- 
wesen unter  ihnen,  als  echter  Dramatiker  meisterlich 
aus,  ordnete  die  einzelnen  Ereignisse  im  Leben  Jesu 
als  Dichter  neu  und  wirkungsvoll  und  vertiefte  mit 
aller  Kunst  der  seelischen  Motivierung  die  Charaktere 
der  Anhänger  und  Gegner  Christi.  Das  religiöse  Dogma 
ließ  er  freilich  in  seinem  künstlerisch -kühnen  Streben 
nicht  unangetastet;  aber  desto  herrlicher  verklärte  er 
die  sittliche  Idee  des  Christentums,  deren  Sieg  aus 
dem  physischen  Untergang  seines  Stifters  erwächst. 

Natürlich  konnte  Wagner  nicht  daran  denken, 
diesen  Stoff  als  Oper  zu  behandeln;  er  eignete  sich 
nur  für  ein  blof3  gesprochenes  Drama.  Doch  auch  in 
einem  solchen  hätten  die  lehrhaft-philosophischen  Be- 
trachtungen, deren  Reichtum  sich  nicht  wohl  be- 
schränken ließ,  den  Fortgang  der  Handlung  bedenk- 
lich zu  hemmen  gedroht.  Allein  ehe  der  Dichter  sein 
Geschick  in  der  Vermeidung  dieser  Gefahr  erproben 
konnte,  gab  er  seinen  Plan  überhaupt  auf.  Er  er- 
kannte, daß  er  für  eine  solche  Umbildung  des  dog- 
matisch streng  bestimmten  Stoffes  doch  jetzt  nimmer- 
mehr die  Bühne  erobern  würde.  Und  eine  Aufführung 
des  Dramas  hatte  nur  jetzt  für  ihn  Wert,  solange  der 
revolutionäre  Geist,  der  ihn  auch  zu  dieser  Dichtung 
angeregt  hatte,  das  Volk  durchwehte. 

Vornehmlich  auf  das  künstlerische  Gebiet  suchte 
Wagner  diesen  Geist  hinüber  zu  leiten,  um  hier  an 
Stelle  alter,  nutzloser  Einrichtungen  Neues  aufzubauen. 
Fern  von  dem  einseitig-extremen  Parteigetriebe  arbeitete 
er  für  den  sächsischen  Minister  Martin  Oberländer 
einen  „Entwurf  zur  Organisation  eines  deut- 

50 


51 


sehen  Nationaltheatcrs  für  «las  Königreich 
Sachsen"  ans.  Er  wünschte  die  Kimstpflege  und 
durch  sie  zugleich  die  Sitten  des  Volkes  zu  heben.  Zu 
diesem  Behufe  wollte  er  das  bisher  vom  Hof  abhängige 
Theater  in  eine  nationale  Anstalt  verwandelt  und  in 
rein  künstlerischen  Fragen  auch  von  der  Gesamtheit 
der  schaffenden  und  reproduzierenden  Künstler  beraten, 
endlich  durch  eine  Theater-,  Sing-  und  ( )rchesterschule 
mit  dem  nötigen  Nachwuchs  an  jüngeren  Kräften  ver- 
sehen wissen.  Bevor  dieser  Plan  im  sächsischen  Mini- 
sterium gebührend  geprüft  werden  konnte,  hatte  das 
Leben  seines  Verfassers  eine  ganz  neue  Wendung  ge- 
nommen. 

Der  revolutionären  Bewegung,  die  besonders  seit 
dem  Frühling  1848,  wie  im  übrigen  Deutschland,  so 
auch  in  Sachsen  beständig  wuchs,  war  Wagner  schon 
durch  seine  Freundschaft  mit  dem  Musikdirektor 
August  Röckel,  der  sich  ihr  leidenschaftlich  hingab, 
entgegengetrieben  worden.  Durch  Röckel  lernte  er 
1849  auch  Michael  Bakunin  kennen,  der  als  politischer 
Flüchtling  aus  Rußland  unter  falschem  Namen  in 
Dresden  Aveilte.  Nicht  als  Stürmer  beteiligte  sich 
Wagner  an  dem  revolutionären  Treiben,  nicht  einmal 
als  entschiedner,  folgerichtiger  Republikaner,  als  Dichter 
vielmehr,  dessen  Forderungen  teils  weit  hinaus  über 
die  Gegenwart  in  die  Zukunft  wiesen,  teils  überhaupt 
in  der  wirklichen  Welt  nicht  ausführbar  schienen.  In 
schwärmerisch  begeisterten,  rhetorisch  zündenden  Auf- 
sätzen suchte  er  bald  Königtum  und  Republik  zu  ver- 
söhnen, von  inniger  Liebe  zu  dem  Fürsten  seiner  Hei- 
mat geleitet;  bald  predigte  er,  ohne  sich  irgend  mehr 
um  die  besondern  sächsischen  Verhältnisse  zu  küm- 
mern, die  grof3e  soziale  Befreiung  der  Menschheit  von 
jeglichem  das  Leben  ertötenden  geistigen  und  mate- 
riellen, nicht  blofs  von  dem  staatlichen  Druck.  Bei 
dem  übereilten  Dresdener  Aufstand  vom  Mai  1849  ge- 
sellte er  sich  nicht  den  Barrikadenstreitern  bei ,  griff 
überhaupt  nicht  selbst  zu  den  Waffen,   sondern  beob- 

52 


achtete  nur  in  gespannter  Erregung  den  Gang  der 
Ereignisse  und  suchte  mehrmals  Gleichgültige  und 
Schwankende  zum  Anschluß  an  das  kämpfende  Volk 
zu  überreden.  Das  genügte  immerhin,  daß  er  harte 
Strafe  fürchten  mußte,  nachdem  preußische  Truppen 
den  Aufstand  gewaltsam  niedergeworfen  hatten.  Noch 
ehe  die  gerichtliche  Verfolgung  gegen  ihn  eröffnet 
wurde,  floh  er  für  immer  aus  Dresden,  trotz  der  bit- 
tern Erfahrungen  der  letzten  Tage  überaus  heiter  im 
Gefühle  der  wiedergewonnenen  vollständigen  künstle- 
rischen Freiheit. 


5:3 


ach  manchem  Drangsal  und  Wirrnis  sollte 
Wagner,  bevor  er  Deutschland  auf  viele 
Jahre  verließ,  noch  ein  ungeahnt  großes 
Glück  erleben,  so  daß  er  fortan  mutig  aller 
Not  begegnen  konnte,  die  den  Menschen  wie  den 
Künstler  beschleichen  mochte.  Er  gewann  sich  wäh- 
rend eines  kurzen  Besuches  in  Weimar  Franz  Liszt 
zum  Freunde.  Der  gefeierte  Künstler,  der  erst  jüngst 
der  Virtuosenlaufbahn  entsagt  und  sich  als  Hofkapell- 
meister in  die  thüringische  Residenzstadt  zurückge- 
zogen hatte,  war  ihm  früher  schon,  doch  immer  nur 
flüchtig,  begegnet.  Im  letzten  Jahre  aber  hatte  er, 
wie  kein  zweiter  Musiker  unter  den  Lebenden,  die 
höchste  Teilnahme  an  Wagners  künstlerischem  Schaffen 
bewiesen:  er  bereitete  dem  „Tannhäuser"  eine  neue 
Pflegestätte  in  Weimar.  Zu  ihm  floh  jetzt  der  Ver- 
bannte zuerst.  In  ihm  fand  er  den  Künstler,  der  ihn 
verstand,  den  groß  denkenden  Menschen,  der  in  unge- 
trübtem Adel  der  Gesinnung  ihm  vertraute  und  mit 
treuem  Herzen  ihn  liebte.  Ihm  übergab  er  jetzt  das 
Kostbarste .  was  er  besaß,  seine  Partituren.  Bei  ihm 
suchte  er  von  nun  an  Rat  und  Hilfe  in  allen  Verlegen- 
heiten  und   bat   nie   vergebens.     Die   beiden  Künstler 

54 


waren  sich  wohl  bewußt,  wie  sehr  ihre  Naturen  von 
einander  verschieden  waren,  wie  ungleich  ihr  Leben, 
ihre  Bildung  und  geistige  Entwicklung  sich  gestaltet 
hatte.  Wagner  betonte  einmal  in  einem  Brief  an  Liszt 
seinen  besonderen  künstlerischen  Widerwillen  gegen 
die  französische  Sprache  und  bemerkte  dazu  erklärend: 
„Das  wird  dir  nicht  begreiflich  sein:  dafür  bist  du 
aber  ein  europäisches  Weltkind,  wogegen  ich  ganz 
speziell  germanisch  zur  Welt  gekommen  bin."  Aber 
diese  Unterschiede  hörten  auf  zu  bestehen,  sobald  es 
galt,  einander  tätige  Freundschaft  zu  erweisen.  Für 
Liszt  in  erster  Linie  und  für  wenige  Freunde,  die 
meistens  Liszt  ihm  gewonnen  hatte,  dichtete  und  kom- 
ponierte Wagner  von  nun  an;  Liszt  aber  machte  es 
sich  zur  Ehrensache  und  zu  einer  neuen  Lebensauf- 
gabe, Wagners  Werke  in  einer  der  Absichten  ihres 
Schöpfers  würdigen  Weise  aufzuführen  und  so  wahr- 
haft künstlerisch  für  ihre  Verbreitung  und  ihr  Ver- 
ständnis zu  wirken. 

Von  Weimar  floh  Wagner  noch  im  Mai  1849  glück- 
lich nach  der  Schweiz.  Dann  begab  er  sich  auf  Liszts 
Rat  zuerst  nach  Paris,  fühlte  sich  aber  von  dem  ganzen 
Treiben  dort  gründlich  abgestoßen  und  wandte  sich 
deshalb  im  Juli  wieder  nach  Zürich.  Hier  ließ  er  sich, 
nachdem  seine  Frau  ihm  nachgekommen  war,  häuslich 
nieder.  Aus  Deutschland  verbannt,  von  den  sächsi- 
schen Behörden  steckbrieflich  verfolgt,  wohnte  er  volle 
neun  Jahre  in  Zürich.  Noch  einmal  trieb  ihn  der  be- 
sonders von  seinen  Freunden  genährte  Wunsch,  ein 
Werk  auf  die  Pariser  Bühne  zu  bringen,  1850  in  die 
französische  Hauptstadt  zurück,  und  drei  Jahre  später 
führte  ihn  eine  Erholungsreise  in  Liszts  Gesellschaft 
wieder  dahin.  Aber  von  hier  wie  von  verschiednen 
schweizerischen  Kurorten,  die  er  zur  Sommerfrische 
gelegentlich  aufsuchte ,  kehrte  er  stets  wieder  gern 
nach  Zürich  heim. 

F/nter  seinen  neuen  Mitbürgern  gewann  er  sich 
manchen  zum  Freund.    Doch  auch  noch  andere  deutsche 

55 


Verbannte  von  geistiger  Bedeutung  und  künstlerischem 
Streben  hatten  neben  ihm  in  Zürich  eine  Freistatt  ge- 
funden. So  verkehrte  er  viel  mit  dem  Züricher  Staats- 
schreiber Jakob  Sulzer,  mit  dem  Germanisten  Ludwig 
Ettmüller  und  mit  Georg  Herwegh,  der  ihm  besonders 
nahe  trat,  später  auch  mit  Gottfried  Keller  und  dem 
ihm  von  Dresden  her  schon  befreundeten  Gottfried 
Semper.  Schon  1850  siedelten  zu  ihm  zwei  jugend- 
liche Verehrer,  von  Dresden  her  ihm  bereits  bekannt, 
nach  Zürich  über,  Karl  Ritter,  dessen  Mutter  den  auch 
von  äufseren  Sorgen  schwer  bedrückten  Künstler  hoch- 
herzig unterstützte,  und  Hans  von  Bülow;  Wagner 
wurde  ihnen  ein  väterlich  besorgter  Freund  und  für 
ihre  musikalischen  Studien  ein  unvergleichlicher  Lehrer. 
Nur  zu  einem  Besuch  von  einigen  Wochen  traf  im 
Sommer  1851  der  treueste  der  Dresdener  Freunde  ein, 
der  Kammermusiker  Theodor  Uhlig;  ein  früher  Tod 
raffte  ihn  anderthalb  Jahre  später  zu  Wagners  bitter- 
stem Leid  hinweg,  bevor  er  ein  zweites,  ersehntes 
Wiedersehen  mit  ihm  feiern  konnte.  Zu  dauerndem 
Aufenthalt  hatte  sich  der  Hamburger  Journalist  und 
Demokrat  Francois  Wille  mit  seiner  feinfühligen,  auch 
dichterisch  gut  begabten  Gattin  Eliza  in  Mariafeld 
bei  Herrliberg  am  Züricher  See  niedergelassen;  oft 
kam  Wagner  hieher  allein  oder  mit  Herwegh  zu  freund- 
schaftlicher Aussprache  über  alles,  was  ihn  mensch- 
lich und  künstlerisch  bewegte. 

Weit  inniger  noch  wurde  sein  Verkehr  mit  dem 
rheinischen  Kaufherrn  Otto  Wesen donck,  der  seit 
1851  in  Zürich  wohnte,  und  dessen  junger  Gattin 
Mathilde  (1828—1902).  Zwischen  ihnen  und  Wagner 
erwuchs  allmählich  eine  herzlich  vertraute,  unzerstör- 
bar alles  überdauernde  Freundschaft.  In  der  vor- 
nehmsten Weise,  immer  verständnisvoll,  selbstlos  und 
edel  gesinnt,  unterstützte  Wesendonck  aus  seinem 
Reichtum  den  Künstler,  wo  und  wie  er  nur  komite. 
Mathildes  klare,  schöne,  für  alles  Große  und  Echte 
empfängliche  Seele  aber  wurde  nun  im  höchsten  Sinne 

56 


57 


durch  Wagner  gebildet.  Durch  ihn  lernte  sie  das  Beste 
in  aller  Kunst  gründlich  kennen;  er  leitete  sie  zu 
ernsten  philosophischen  und  literarischen  Studien;  er 
gab  auch  ihrem  dichterischen  Talente,  dem  so  manche 
reife,  edle  Frucht  entkeimen  sollte,  den  kräftigsten 
Anstoß.  Mit  ihr  verband  ihn  die  zarteste  und  tiefste, 
zugleich  reinste,  von  Anfang  an  streng  entsagungsvolle 
Liebe,  deren  Adel  wohl  Wesendonck,  aber  leider  nicht 
Minna ,  Wagners  leidenschaftlich-mißtrauische ,  dazu 
krankhaft  erregte  Gattin,  zu  würdigen  vermochte.  So 
mußte  er  sich  im  August  1858  von  den  Freunden 
trennen.  Ihre  Seelengemeinschaft  wurde  aber  dadurch 
nicht  aufgehoben;  wie  zuvor,  so  erblühte  ihm  aus  ihr 
auch  hernach  noch  Künstlerisch-Herrliches. 

An  dem  Züricher  Theater-  und  Musikleben  nahm 
Wagner  von  Anfang  an  regen  Anteil.  Besonders  für  das 
Verständnis  Beethovenscher  Symphonien  und  Ouver- 
türen wirkte  er  durch  sorgfältige  Aufführungen  und 
erläuternde  Programme.  Seine  eignen  Werke  konnte 
er  mit  Ausnahme  des  „Fliegenden  Holländers"  vor- 
erst nicht  auf  die  Züricher  Bühne  bringen.  Aber  im 
Mai  1853  war  es  ihm  vergönnt,  mit  Hilfe  befreundeter 
Musiker  aus  der  übrigen  Schweiz  und  aus  Deutsch- 
land, die  auf  seinen  Ruf  herbei  eilten,  in  drei  Konzerten 
nach  einander  ausgewählte  Stücke  aus  „Rienzi",  dem 
„Holländer",  „Tannhäuser"  und  „Lohengrin"  begei- 
sterten Zuhörern  mustergültig  vorzuführen.  Jüngere 
Anhänger,  alte  Freunde  und  sonstige  Gäste  fanden  sich 
zu  diesem  Fest  in  Zürich  ein.  An  Besuchen  aus  der 
deutschen  Heimat  fehlte  es  auch  zuvor  und  hernach 
dem  Verbannten  nicht.  Aber  wie  wenig  milderte  das 
seinen  Schmerz,  daß  er  sich  vom  Vaterland  ausge- 
schlossen, von  dem,  der  ihn  besser  als  jeder  andere 
verstand,  von  Liszt,  und  zugleich  von  der  einzigen 
Stätte ,  wo  seine  Werke  künstlerisch  wirklich  lebten, 
von  Weimar,  unwiderruflich  getrennt  wissen  mußte! 
Immer  heftiger  ergriff  ihn  die  Sehnsucht,  nur  einmal 
wenigstens     seinen    „Lohengrin"    auf    der    Bühne    zu 

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sehen.  Daß  ihm  das  so  lange  versagt  blieb,  und  im 
Zusammenhange  damit  das  bittere  Gefühl  seiner  künst- 
lerischen Verödung  zehrte  gleich  einem  schleichenden 
Gift  an  seiner  Gesundheit  und  lähmte  mitunter  selbst 
den  Eifer  und  die  Kraft,  womit  er  neue,  größere  Kunst- 
werke zu  schaffen  begonnen  hatte. 

Zuerst,  als  er  1849  in  Zürich  einzog,  drängte  es 
ihn,  theoretisch  möglichst  gründlich  und  klar  sich  über 
das  auszusprechen,  was  er  im  Gegensatze  zu  der  herr- 
schenden sogenannten  Kunst  jener  Tage  für  sein  Volk 
erstrebte.  Vor  allem  wollte  er  Protest  einlegen  gegen 
die  Behauptung,  daß  die  Besieger  der  Revolution  Be- 
schützer der  Kunst  seien.  So  verfaßte  er,  noch  heftig 
erregt  von  den  jüngsten  Erlebnissen,  in  einem  Stil, 
der  überall  von  der  leidenschaftlichen  Begeisterung  des 
Dichters  zeugte,  im  Sommer  1849  seine  erste  Reform- 
schrift „Die  Kunst  und  die  Revolution".  Im 
Keim  enthielt  sie  bereits  das  Meiste  von  dem,  was 
seine  folgenden  Kunstschriften  genauer  ausführten. 

Entschieden  leugnete  Wagner,  daß  die  Revolution 
die  echte  Kunst  geschädigt  habe,  wie  sie  die  antiken 
Griechen  als  schöne  und  starke,  freie  Menschen  in  dem 
höchsten  Kunstwerk,  der  attischen  Tragödie,  pflegten. 
Diese  Kunst  ist  schon  mit  dem  Untergange  des  freien 
Griechentums  verfallen  und  im  Dienste  der  Kirche, 
der  Fürsten  und  zuletzt  der  Industrie  mehr  und  mehr 
in  ein  bloßes  künstlerisches  Handwerk  übergegangen. 
Dieses  aber  ist  nicht  der  geistigen  Erhebung  des  ge- 
samten Volkes,  sondern  nur  dem  Sinnengenuß  einiger 
weniger  gewidmet,  wie  es  auch  nicht  einem  Bedürfnis 
des  Volkes,  sondern  nur  einer  Laune  des  Luxus,  der 
Mode  sein  Dasein  verdankt.  Das  wahre  Drama,  das 
Musik  und  Poesie  und  die  andern  Schwesterkünste  in 
sich  vereinigte,  ist  in  Schauspiel  und  Oper,  in  Deko- 
ration, Ballett,  Deklamation,  Gesang  und  Orchester 
ohne  gemeinsamen  künstlerischen  Halt  und  Zweck 
aufgelöst.  Erst  wenn  durch  die  Revolution  das  ganze 
Volk   frei  geworden  ist,   und   zwar  wenn  wir  im  rieh- 

59 


tigen  Verständnis  der  Lehre  Jesu  das  Sklaventum,  die 
wichtigste  Ursache  des  Verfalls  der  altgriechischen 
Welt,  völlig  und  in  jeder  Form  ausrotten,  kann  die 
echte  Kunst  und  ihr  höchstes  Werk,  das  wahre  Drama, 
uns  wiedergeboren  werden,  als  hehrste  Geistesschöpfung 
des  öffentlichen,  gemeinsamen  Volkslebens,  für  deren 
würdige  Pflege  und  allgemeine  Zugänglichkeit  der  Staat 
zu  sorgen  hat. 

Was  Wagner  hier  vorwiegend  im  Sinne  einer  ver- 
neinenden Kritik  angedeutet  hatte,  wies  er  in  den 
Schriften  der  zwei  nächsten  Jahre,  „Das  Kunstwerk 
der  Zukunft"  (1849),  „Kunst  und  Klima"  (1850) 
und  „Oper  und  Drama"  (1850/51),  im  einzelnen  aus- 
führlicher nach  und  ergänzte  es  durch  positive  Vor- 
schläge, wie  wir  das  wahre  dramatische  Kunstwerk  aus 
seinem  Untergange  zu  neuem,  höherem  Leben  er- 
wecken könnten. 

Er  untersuchte  der  Reihe  nach,  in  welcher  Weise 
sämtliche  Künste,  die  bildenden,  mimisch  darstellenden 
und  tönenden  oder  redenden,  in  der  antiken  Tragödie 
zum  gemeinsamen  höchsten  künstlerischen  Zwecke  zu- 
sammenwirkten, und  wie  hernach,  aus  dieser  lebens- 
und  liebevollen  Vereinigung  gelöst,  die  einzelnen  Künste 
in  ihrer  Sonderentwicklung  erstarrten  oder  entarteten. 
Er  lehnte  den  Einwand  ab,  als  hätte  nur  in  dem 
milden  Klima  Griechenlands  jenes  künstlerische  An- 
schauungs-  und  Gestaltungsvermögen  reifen  können, 
aus  dem  die  attische  Tragödie  erwuchs.  Erst  der  von 
der  Natur  unabhängige,  der  geschichtliche  Mensch  hat 
die  Kunst  ins  Leben  gerufen;  der  schöne  und  starke, 
durch  die  höchste  Liebeskraft  zur  wahren  Freiheit  ge- 
langte Mensch  kann  einzig  das  entschwundene  dramati- 
sche Kunstwerk  wieder  schaffen,  wie  er  allein,  sein 
Leben  und  sein  Tod,  der  Inhalt  desselben  ist;  für  die 
Kunst  kann  daher  als  grundbedingend  nur  eines  gelten, 
das  wirkliche  Wesen  der  menschlichen  Gattung.  Streng 
prüfte  Wagner  die  verfehlten  Versuche  der  letzten 
Jahrhunderte,  die  Schwesterkünste,  ohne  dafs  eine  von 

60 


ihnen  ihren  Egoismus  aufopferte,  äußerlich  wieder  zu 
vereinigen  im  Oratoriuni  und  besonders  in  der  Oper, 
dem  Sammelpunkt  ihrer  eigensüchtigsten  Bestrebungen. 
Diesen  unorganischen  Mischgattungen  gegenüber  stellte 
er  die  liebevolle  Verbindung  aller  Einzelkünste  im 
Kunstwerk  der  Zukunft,  dem  echten  Drama.  Es  be- 
dient sich  der  nämlichen  künstlerischen  Mittel  wie  die 
attische  Tragödie,  in  der  gleichen  Weise  und  zum 
gleichen  Zweck,  aber  in  reicherem  Mafs  und  in  technisch 
höherer  Vollendung.  Wie  jene,  wird  auch  dieses  vom 
Volke,  das  heifät  von  der  Gesamtheit  der  verschiedenen 
Künstler,  für  das  Volk  dargestellt ;  aber,  wie  die  einzel- 
nen Künste  hier  erst  ihrem  innersten  Wesen  gemäß 
natürlich  und  frei  wirken,  so  kann  sich  auch  die  Indi- 
vidualität der  einzelnen  Künstler  gerade  in  solcher 
Gemeinschaft  bedeutsam  entfalten. 

Der  Philosophie  Hegels  und  insbesondere  den 
Schriften  des  Hegelianers  Ludwig  Feuerbach  verdankte 
Wagner  neben  gewissen  spekulativen  Anschauungen 
die  formale  Schulung,  die  er  bei  seinem  streng  folge- 
richtigen Aufbau  des  Kunstwerks  der  Zukunft  be- 
währte. Sonderlich  viel  hatte  er  von  den  Werken  der 
beiden  Philosophen  nicht  gelesen;  so  darf  auch  seine 
unleugbare  Abhängigkeit  von  ihnen  nicht  überschätzt 
werden.  Die  Idee  des  Gesamtkunstwerks  selbst  war 
völlig  sein  Eigentum,  ihm  erwachsen  aus  dem  geisti- 
gen Erbe  der  größten  Denker  und  Dichter  Deutsch- 
lands und  der  Nachbarvölker  seit  mehr  als  einem 
Jahrhundert,  neuerdings  angeregt  durch  den  Preis  des 
griechischen  Dramas  als  eines  Wiedervereinigungs- 
festes aller  Künste  in  Anselm  Feuerbachs  Buch  über 
den  vatikanischen  Apollo. 

Mit  der  dem  Reformator  notwendigen  Einseitigkeit 
stellte  Wagner  sein  Ideal  des  Dramas  auf.  Er  wollte 
übrigens  auch  keineswegs,  indem  er  das  Gesamtkunst- 
werk forderte,  das  Recht  und  Verdienst  der  Einzel- 
künste bestreiten;  er  leugnete  nur  die  Möglichkeit, 
durch  eine  von  ihnen  allein  das  wahre  Drama,  das  sich 

61 


der  antiken  Tragödie  vergleichen  lasse,  zu  erzielen.  In 
seiner  allumfassenden  künstlerischen  Anlage  herrschte 
namentlich  die  poetische  und  die  musikalische  Be- 
gabung vor;  die  gesonderte  Entwicklung  der  Dicht- 
und  Tonkunst  und  die  Aufgabe  der  beiden  Künste  im 
Drama  der  Zukunft  betrachtete  er  deshalb  am  sorg- 
fältigsten und  mit  dem  richtigsten  Urteile.  Gegen 
Einzelheiten  der  geschichtlichen  Würdigung  läßt  sich 
wohl  auch  hier  dies  oder  jenes  einwenden;  auf  ihren 
ästhetischen  Gehalt  hin  geprüft,  ist  die  Darlegung  in 
ihrer  Gesamtheit  unantastbar.  Wer  ohne  Vorurteil 
mit  dem  einfachen,  redlichen  Streben  nach  Belehrung 
die  Kunstschriften  Wagners  liest,  findet  eine  staunens- 
werte Fülle  neuer  Aufschlüsse  und  scharfer,  zutreffen- 
der Aussprüche  über  das  Wesen  der  Musik,  der 
Sprache  und  Dichtkunst,  des  Mythos,  des  Romans  und 
des  Dramas,  über  die  geschichtliche  Entwicklung  der 
Oper  und  des  Schauspiels  und  die  hervorragendsten 
Meister  in  beiden  Kunstarten,  über  die  mannigfachen 
Versuche,  die  Ausdrucksformen  der  Musik  überhaupt 
zu  erweitern  oder  mit  einem  bedeutenderen  Gehalte 
zu  erfüllen,  über  die  Aufgabe  des  Chors  und  des 
Orchesters,  über  dichterische  Rede,  Vers-  und  Reim- 
bildung, über  das  Verhältnis  des  Dramas  zur  Politik 
und  Religion,  zur  reinen  menschlichen  Individualität 
und  zum  Volke.  Bei  aller  philosophisch-ästhetischen 
und  geschichtlichen  Bildung,  die  sich  in  jenen  Schriften 
Wagners  imponierend  groß  offenbart,  bei  aller,  mit- 
unter peinlich  gewissenhaften,  logischen  Konstruktion 
des  einzelnen  Gedankens,  die  die  Lektüre  nicht  wenig 
ersclnvert,  konnte  doch  nur  ein  Künstler,  der  einzig 
als  Künstler  dachte  und  forschte,  diese  Schriften  ver- 
fassen. Für  den  Künstler  zunächst  und  erst  in  zweiter 
Linie  für  den  wissenschaftlichen  Denker  waren  sie 
denn  auch  geschrieben.  Sie  hätten  gleichwohl  auch 
diesem  überaus  viel  bieten  können;  aber  die  Männer 
der  Wissenschaft  verschmähten  meistens  noch  mehr 
als  die  der  Kunst  die  Anregungen,   die   Wagner  gab 

62 


63 


-  zu  ihrem  eignen  Nachteil.  Denn  manches  Ziel,  dem 
sich  die  spätere  Ästhetik  nunmehr  unabhängig  von 
ihm  mit  doppelter  Mühe  auf  Umwegen  genähert  hat, 
hatte  er  schon  damals  auf  geradliniger  Bahn  erreicht  und 
für  die,  welche  ihm  folgen  wollten,  den  Pfad  geebnet. 

Eine  Anzahl  kleinerer  Schriften  und  Auf- 
sätze ließ  Wagner  den  grundlegenden  theoretischen 
Werken  der  Jahre  1819 — 1851  folgen,  einen  Brief  an 
Liszt  über  die  „Goethestiftung" ,  „Erinnerungen  an 
Spontini",  Vorschläge  für  ein  Theater  in  Zürich,  Winke 
und  Ratschläge  für  die  Aufführung  des  „Tannhäuser" 
und  des  „Holländers",  Gedanken  über  die  Aufgabe 
musikalischer  Kritik  im  eigentlichsten  Sinne,  einen 
Bericht  über  seine  Komposition  eines  neuen  Schlusses 
zur  Ouvertüre  von  Glucks  „Iphigenia  in  Aulis"  und 
anderes.  Oft  lenkte  er  dabei  wieder  in  die  Bahnen 
ein,  in  denen  sich  jene  großen  Reformschriften  be- 
wegten; gelegentlich  suchte  er  sogar  wieder  ähnliche 
Wege  auf,  wie  er  schon  in  dem  Entwurf  eines  deutschen 
Nationaltheaters  für  Sachsen  betreten  hatte. 

Das  meiste  Aufsehen  unter  allen  diesen  Arbeiten 
machte  ein  größerer  Aufsatz,  den  er  im  September 
1850  in  Franz  Brendels  „Neuer  Zeitschrift  für  Musik" 
veröffentlichte,  „Das  Judentum  in  der  Musik", 
1869  mit  verschärfenden  Zusätzen  wieder  herausge- 
geben. Was  darin  über  einzelne  jüdische  Komponi- 
sten, so  über  Mendelssolm-Bartholdy  und  Meyerbeer, 
gesagt  war,  mochte  damals  schroff  klingen,  wird  aber 
heute  von  unparteiischen  Kennern  der  neueren  Ent- 
wicklung unsrer  Musik  kaum  mehr  im  Ernste  be- 
kämpft. Und  der  Dichter  Heine  kann  mit  wenigen 
Strichen  kaum  geistreicher  und  treffender  als  hier  ge- 
kennzeichnet werden,  wenn  auch  der  letzte,  übertrieben 
scharfe  Zug  in  dieser  Charakteristik  das  ganze  Bild  zu 
verzerren  droht.  Bestreitbar  bleibt  nur  der  allgemeine 
Grundgedanke  der  Schrift,  daß  der  Jude  an  sich  un- 
fähig sei,  wahrhaft  künstlerisch  zu  schaffen.  Auch  im 
einzelnen    mußte  dieser  Irrtum    zu   einigen   historisch 

ßi 


unrichtigen  Äußerungen  führen.  Er  erklärt  sich  ge- 
schichtlich aus  dem  nationalen  Geist,  der  in  unserer 
gesamten  Literatur  seit  der  Romantik  im  Gegensatze 
zu  den  weltbürgerlichen  Bestrebungen  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  weht.  Aber  mit  Recht  trifft  Wagners 
Urteil  nur  den  Juden  der  Übergangszeit,  der  die 
Rechte  der  Emanzipation  genießen  möchte  und  sich 
doch  noch  nicht  daran  gewöhnt  hat,  sich  vollständig 
als  Mitglied  des  Volkes  zu  fühlen,  dem  er  äußerlich 
augehört.  Von  dem  Vorsatz,  ungeheure  Kränkungen 
zu  verüben,  war  Wagner,  als  er  seinen  Aufsatz  schrieb, 
weit  entfernt;  mit  dem  ebenso  törichten  wie  unsitt- 
lichen Antisemitismus  der  neuesten  Wühler  hatte  er 
nichts  gemein. 

Inhaltlich  viel  bedeutender  als  die  von  seinen 
Gegnern  über  Gebühr  aufgebauschten  Erörterungen 
über  das  Judentum  war  die  lange  Zeit  wenig  be- 
achtete Vorrede,  mit  der  er  1851  die  Ausgabe  seiner 
letzten  drei  Operndichtungen  begleitete.  „Eine  Mit- 
teilung an  meine  Freunde"  war  das  umfang- 
reiche, von  höchster  Lebens-  und  Schöpferkraft  erfüllte, 
Geist  und  Gemüt  des  Lesers  gleich  mächtig  anziehende 
Schriftstück  betitelt.  Es  enthielt  vor  allem  eine  tief 
eindringende  Geschichte  von  Wagners  bisherigem 
künstlerischen  Entwicklungsgang  und  diente  so  vor- 
trefflich als  erklärende  Ergänzung  zu  „Oper  und 
Drama"  wie  als  ästhetische  Einleitung  in  das  große 
Werk,  das  er  am  Schlüsse  dieser  „Mitteilung"  an- 
kündigte, den  „Ring  des  Nibelungen". 

Der  früher  so  rege  schaffende  Künstler  war  in  den 
letzten  Jahren  fast  ganz  zum  Kunstschriftsteller  ge- 
worden. Aber  nicht  aus  eigentlich  philosophischem, 
sondern  aus  rein  künstlerischem  Drang.  Um  dem 
künftigen  Drama,  dessen  Entwurf  er  in  seiner  Seele 
trug,  den  Boden  zu  bereiten,  hatte  er  vorerst  theo- 
retisch erläutern  müssen,  was  er  mit  diesem  Drama 
wolle.  Nun  das  geschehen  war,  trieb  es  ihn  mit  Macht 
zur  dichterischen  und  musikalischen  Tätigkeit  zurück. 


Munckcr,  R.  Wagner.    2.  Aufl.  5  65 


Seit  er  1SA8  diu  Tragödie  „Siegfrieds  Tod"  auf- 
gezeichnet hatte,  stand  ihm  das  Bild  des  herrlichsten 
germanischen  Sagenhelden  leuchtend  und  lockend  vor 
dem  Auge.  Nur  vorübergehend  verdunkelten  den  Glanz 
dieser  Erscheinung  verwandte  Sagengestalten.  Das 
Märchen  vom  Burschen,  der  auszog,  um  das 
Fürchten  zu  lernen,  schien  eine  Zeit  lang  als 
passender  Stoff  für  ein  musikalisches  Drama  von  hei- 
terer Stimmung  den  Dichter  zu  reizen.  Ernster  und 
mit  tieferer  Bedeutung  schwebte  ihm  Achilleus  als 
tragischer  Held  vor.  Diese  beiden  Pläne  gediehen  je- 
doch nicht  über  die  ersten  Anfänge  hinaus.  Dagegen 
verfaßte  Wagner  im  März  1850  den  vollständigen  szeni- 
schen Entwurf  zu  einem  dreiaktigen  Drama  ..Wie- 
land der  Schmied".  Die  Absicht  freilich,  das  Werk 
dichterisch  zu  vollenden  und  in  Musik  zu  setzen,  gab 
er  bald  endgültig  auf. 

Schon  1835  hatte  Karl  Simrock  auf  Grund  der  alt- 
nordischen Überlieferung  in  der  „Edda"  und  in  der 
Wilkinasaga  den  germanischen  Dädalos,  der  in  höchster 
Not,  um  Bache  an  seinem  Feinde  zu  gewinnen,  sich 
Flügel  schmiedete,  in  einem  breit  ausgesponnenen  Hel- 
dengedicht von  stark  archaistischer  Färbung  besungen. 
Aus  diesem  weit  mehr  als  aus  seinen  nordischen  Quel- 
len schöpfte  Wagner  den  Stoff.  Aber  nicht  nur  dessen 
episch  locker  gehaltene  Bestandteile  zog  er  straff  zu- 
sammen, vereinfachte  und  konzentrierte  durchaus  die 
Handlung,  begründete  die  einzelnen  Geschehnisse  über- 
zeugend und  vertiefte  die  Charaktere  der  Personen, 
die  sie  herbeiführen  helfen  oder  erfahren ;  auch  sittlich 
veredelte  er  wichtige  Züge  der  Sage.  So  erst  konnte 
er  aus  ihr  ein  Drama  gestalten,  das  seinen  künstleri- 
schen Ideen  zum  Ausdruck  dienen  mochte.  Faßte  er 
doch  die  Sage  von  Wieland  liauptsächlich  auch  als 
symbolische  Darstellung  der  echten  Kunst  auf:  von 
roher  Gewalt  geknechtet  und  zu  unkünstlerischem 
Dienste  gezwungen,  steigert  sie  im  tiefsten  Leiden 
ihre  Wunderkraft  auf  das  höchste  und  gewinnt,  indem 

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67 


sie  die  unterdrückenden  Mächte  vernichtet,  sich  Frei- 
heit und  Herrlichkeit  zurück. 

Aber  wie  glücklich  Wagner  hier  auch  den  epischen 
Stoff  dramatisch  zu  gliedern  und  dichterisch  zu  ver- 
tiefen suchte,  so  mußte  doch  bald  wieder  der  neue 
Entwurf  dem  älteren  Plane  weichen.  Dieselben  Quellen, 
aus  denen  er  die  Wielandsage  kennen  lernte,  wiesen 
ihn  zugleich  auf  seine  Siegfrieddichtung  zurück. 
Doch  als  er  sich  nun  im  Frühling  1851  anschickte, 
diese  Tragödie  in  Musik  zu  setzen,  erkannte  er,  daf3 
noch  nicht  alles  in  ihr  zur  vollen  dramatischen  Wir- 
kung durchgebildet  war.  Zahlreiche,  unentbehrliche 
Beziehungen  auf  die  Vorgeschichte  Siegfrieds  und 
Brünnhildens  waren  in  epischer  Form  angedeutet.  Sie 
konnten  aber  nur  dann  wahrhaft  künstlerisch  wirken, 
wenn  sie  selbständig  dramatisch  ausgeführt  wurden. 
Wagner  tat  dies  in  einem  rasch  gedichteten,  drei- 
aktigen  Drama  „Der  junge  Siegfried".  Er  wandte  sich 
um  so  schaffensfreudiger  der  neuen  Aufgabe  zu,  als  er 
sah,  daß  in  seinem  Geiste  dieser  junge  Siegfried  längst 
Gestalt  gewonnen  hatte :  er  war  ja  jener  Märchenheld, 
der  das  Fürchten  lernen  sollte.  Allein  auch  in  zwei 
Stücken  war  der  weitschichtige  epische  Stoff  nicht 
dramatisch  zu  bewältigen.  So  entschloß  sich  Wagner 
im  Herbst  1851,  auch  dem  „Jungen  Siegfried"  noch 
zwei  Dramen  vorausgehen  zu  lassen,  ein  umfangreiches 
Vorspiel,  das  den  Raub  des  Rheingoldes  und  dessen 
unmittelbare  Folgen  darstellen  sollte,  und  eine  drei- 
aktige  Tragödie,  den  Schicksalen  der  Eltern  Siegfrieds 
und  der  damit  eng  verknüpften  Trennung  der  Walküre 
Brünnhilde  von  Wotan  gewidmet.  Die  Dichtung  dieser 
Tragödie  wurde  am  1.  Juli  1852  vollendet,  die  des 
Vorspiels  im  November  des  gleichen  Jahres. 

Die  vier  Dramen  hingen  nicht  bloß  äußerlich  unter 
sich  zusammen;  sie  bildeten  zugleich  eine  einzige, 
große  Tragödie ,  in  der  die  Geschicke  der  Götter  und 
Menschen  durch  gemeinsame  Schuld  und  Sühne  auf 
das  innigste  mit  einander  verknüpft  waren.    Symbolisch 

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bedeutete  Siegfrieds  Schicksal  das  des  Menschen  über- 
haupt: mit  seinem  Tod  endigt  auch  das  Götter- 
geschlecht. In  diesem  Sinne  verband  Wagner  mit  den 
Sagen  vom  Nibelungenhort  und  seinem  herrlichsten 
Besitzer  Siegfried  die  von  der  Götterdämmerung,  vom 
Untergange  der  Götter:  im  Kampf  mit  Zwergen  und 
Riesen  haben  sie  Schuld  auf  sich  geladen  und  durch 
ihre  Verbindung  mit  Loge,  dem  Geiste  der  Verneinung, 
selbst  ihr  Sein  untergraben.  Diese  neue  Grundidee 
und  der  Umstand,  daß  nunmehr  einzelne  Motive  von 
„Siegfrieds  Tod"  schon  in  den  vorausgehenden  Stücken 
vorweggenommen  waren,  machten  zuletzt  noch  eine 
durchgreifende  Umdichtung  des  Schlußdramas  not- 
wendig. Wagner  verwendete  darauf  die  letzten  Wochen 
des  Jahres  1852  und  ließ  dann  sogleich  das  Ganze 
drucken,  zunächst  nur  in  wenigen  Abzügen  für  Freunde. 
Erst  1863  wurde  es  der  gesamten  Leserwelt  zugäng- 
lich:  „Der  Ring  des  Nibelungen",  ein  Bühnen- 
festspiel in  vier  Teilen,  deren  letzter  nunmehr  unter 
einem  bedeutsameren  Namen  erschien.  Auf  das  vier 
Szenen  umfassende  Vorspiel  „Das  Rheingold"  folg- 
ten die  drei  großen  Dramen  „Die  Walküre",  „Sieg- 
fried" und  „Götterdämmerung". 

Auch  mit  dem  Beginne  der  musikalischen  Kom- 
position säumte  Wagner  nicht  lange.  Schon  während 
der  dichterischen  Arbeit,  desgleichen  unmittelbar  nach 
ihrer  Vollendung  und  besonders  auf  einer  Reise  nach 
Oberitalien  im  Spätsommer  1853  waren  einzelne  musi- 
kalische Motive  des  neuen  Werkes  entstanden.  Im 
Spätherbst  darauf  schritt  Wagner  an  die  regelrechte 
Komposition  des  „Rheingoldes" ;  bereits  im  Mai  1854 
hatte  er  sie  beendigt.  Mit  demselben  rüstigen  Eifer 
führte  er  die  Partitur  der  „Walküre"  bis  etwa  zum  März 
1856  aus.  Aber  ungleich  mühsamer  wurde  ihm  nach 
dieser  andauernden  Anstrengung  die  Arbeit  am  „Sieg- 
fried". Kaum  anderthalb  Akte  davon  hatte  er  bis  zum 
Sommer  1857  in  Musik  gesetzt;  da  bestimmte  ihn  die  voll- 
ständige Aussichtslosigkeit  seines  Schaffens,  das  Werk, 

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für  das  er  nicht  einmal  einen  Verleger  zu  gewinnen 
hoffen  durfte,  einstweilen  zurückzulegen.  Mit  tiefem 
Schmerz  entsagte  er  damals,  durch  unüberwindliche 
Not  gezwungen,  der  Vollendung  des  Höchsten,  das  er 
erstrebt  und  zum  größten  Teile  schon  herrlich  aus- 
geführt hatte.  Erst  nach  acht  Jahren  konnte  er  die 
Arbeit  wieder  aufnehmen  und  langsam  unter  man- 
cherlei Unterbrechungen  zum  Abschluß  bringen.  Im 
Februar  1871  war  die  Partitur  des  „Siegfried",  im 
November  1874  die  der  „Götterdämmerung"  vollendet. 
Mehr  als  ein  Vierteljahrhundert  hatte  es  bedurft,  bis 
die  künstlerische  Idee  ihre  vollkommene  dichterisch- 
musikalische  Gestalt  erhielt. 

Das  poetische  Verdienst  der  Wagnerschen  Nibe- 
lungentragödie beruht  zunächst  darauf,  daß  hier  zum 
ersten  und  einzigen  Mal  in  der  gesamten  Literatur  ein 
Künstler  von  höchster  dramatischer  Anlage  den  größten 
Stoff  der  germanischen  Volkssage  nach  den  ältesten 
Überlieferungen  behandelte,  die  allein  den  tragischen 
Gehalt  und  die  sittliche  Bedeutung  dieses  ursprüng- 
lichen Naturmythos  in  ungetrübter  Reinheit  erhalten 
haben.  Die  vielen  andern  deutschen  Dichter,  die  im 
neunzehnten  Jahrhundert  die  Siegfriedsage  dramatisch 
zu  bearbeiten  suchten  und  dabei  mehr  oder  weniger 
alle  scheiterten,  gingen  fast  ausnahmslos  von  unserm 
mittelhochdeutschen  Nibelungenlied  aus,  so  neben  zahl- 
losen kleineren  Schriftstellern  namentlich  Hebbel  und 
Geibel  und  vor  ihnen  schon  Raupach,  wenigstens  für 
die  wichtigsten  Szenen  und  Motive  seines  gern  ge- 
spielten Stückes.  An  das  Nibelungenlied  hatten  sich 
auch  Unlands  Entwürfe  zu  einem  zweiteiligen  Trauer- 
spiel und  Friedrich  Theodor  Vischers  Vorschläge  zu 
einer  Oper  (1844)  angeschlossen.  Wagner  dagegen 
schöpfte  aus  den  altnordischen  Quellen,  aus  den  Lie- 
dern der  „Edda",  die  ihm  in  Ettmüllers,  seit  1851  auch 
in  Simrocks  Übersetzung  vorlagen,  und  besonders  aus 
der  Völsungasaga,  die  schon  1815  Friedrich  Heinrich 
von  der  Hagen  im  vierten  Bande  seiner  „Altnordischen 

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Heklenromane"  übertragen  hatte.  In  dieser  Sammlung 
war  aber  auch  die  Wilkinasaga  und  Nornagestssaga 
verdeutscht;  beide  erzählten  ebenfalls  die  Schicksale 
Siegfrieds,  doch  mit  manchen  Abweichungen  von  jenen 
Berichten  im  einzelnen.  Besonders  aus  der  Wilkina- 
saga, aus  der  schon  Simrock  einige  Taten  Siegfrieds 
in  seinen  „Wieland"  aufgenommen  hatte,  machte 
Wagner  sich  Verschiednes  zu  eigen.  Auch  Simrock 
selbst  konnte  ihm  hie  und  da  eine  unwesentliche  An- 
regung geben.  Von  sonstigen  neueren  Dichtern  hatte 
ihm  Fouque  in  seinem  Heldenspiel  „Sigurd  der 
Schlangentöter"  mehrere  Szenen  vorgebildet,  mit  un- 
zulänglicher Kraft  und  gleichwohl  so,  daf3  ihre  Umrisse 
und  selbst  Einzelheiten  der  Reden  und  Vorgänge  in 
der  Phantasie  des  größeren  Nachfolgers  hafteten ;  hatte 
doch  Fouque  gleichfalls  aus  den  nordischen  Sagen  ge- 
schöpft. Einige  Nebenmotive  entlehnte  Wagner  übri- 
gens auch  aus  dem  Nibelungenlied,  ferner  aus  der 
„Jüngeren  Edda",  aus  nordischen  Skaldenliedern,  aus 
deutschen  Volksmärchen  und  andern  volkstümlichen 
Überlieferungen. 

Als  selbständig  schaffender  Dichter  trat  er  an  die 
uralte  Sage  heran.  Aus  den  verschiednen  Gestal- 
tungen, die  sie  in  den  nordischen  Gesängen  und  Prosa- 
berichten aufwies,  suchte  er  vor  allem  die  späteren 
Zutaten  und  die  künstlerisch  störenden  Bestandteile 
auszuscheiden.  So  nur  konnte  er  aus  ihnen  eine  ein- 
fache, echte  Urform  des  Mythos  herausschälen,  die  der 
dichterischen  Wiederbelebung  am  fähigsten  war.  Als 
Künstler  natürlich,  nicht  als  Philologe,  mußte  er  diese 
Aufgabe  lösen.  Es  galt  für  ihn  nicht,  überhaupt  die 
geschichtlich  älteste  Gestalt  der  Sage  zu  entdecken, 
sondern  ihre  künstlerisch  einfachste  Grundform,  in  der 
sich  die  menschliche  Natur  am  ursprünglichsten,  die 
Empfindungen  und  Leidenschaften  am  unmittelbarsten 
ohne  alles  historische  Beiwerk  offenbarten.  Doch  be- 
diente sich  Wagner  sorgsam  jeder  Förderung,  die  er 
von    der  strengsten   wissenschaftlichen  Forschung   er- 

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hoffen  durfte.  Zum  Teil  unter  Ettmüllers  Beirat  las 
er  Jakob  Grimms  „Deutsche  Mythologie"  und  „Deutsche 
Rechtsaltertümer"  und  mehrere  Abhandlungen  Wil- 
helm Grimms,  Lachmanns  und  anderer  Germanisten 
über  die  Nibelungen.  Darunter  scheint  neben  Ett- 
müllers Vorrede  zu  seiner  Übersetzung  der  „Edda" 
(1837)  besonders  Wilhelm  Müllers  „Versuch  einer 
mythologischen  Erklärung  der  Nibelungensage"  (1841) 
ihm  einen  lebhafteren  Eindruck  hinterlassen  zu  haben. 

Bei  diesen  Studien  eignete  er  sich  die  Ansicht 
Lachmanns  an,  daß  der  ursprüngliche  Nibelungen- 
mythos mit  Siegfrieds  Tode  schloßs.  Namentlich  aber 
wurde  er  dabei  auf  doppelte  Gestaltungen  der  gleichen 
Sagenmotive  aufmerksam ,  die  er  als  Dramatiker  zu 
vereinfachen  hatte.  Was  nach  diesem  Reinigungs- 
prozeß als  Kern  der  alten  Sage  und  Grundstoff  für  die 
neue  Dichtung  übrig  blieb,  das  suchte  er  in  seinen 
einzelnen  Teilen  inniger  zu  verbinden,  dichterisch  be- 
deutsamer zu  begründen,  reicher  mit  modernen  philo- 
sophischen Ideen  zu  erfüllen.  So  wurde  ihm  Siegfried 
im  Sinne  des  ursprünglichen  Mythos  eins  mit  dem 
Frühlingsgott  Baidur,  dessen  Tod  den  Untergang  der 
Welt  herbeiführt.  Ungemein  vertiefte  er  den  Gegen- 
satz zwischen  der  Begierde  nach  Macht  und  Besitz 
und  der  selbstlos  sich  hingebenden  Liebe:  wie  jene 
der  Quell  aller  Schuld  und  somit  die  letzte  Ursache 
des  Weltuntergangs  ist,  so  vermag  diese  einzig  die 
Welt  von  der  Schuld  zur  Seligkeit  zu  erlösen. 

Zum  dramatischen  Hauptgedanken  wurde  jetzt  der 
Kampf  des  lichten  Himmelsgottes  Wotan  gegen  den 
finstern  Nibelungen  Alberich.  So  wurde  die  (auf  ihre 
Hauptmomente  zurückgeführte)  Sage  von  den  Wei- 
sungen organisch  mit  der  Wotansage  verbunden;  die 
einstige  Siegfriedtragödie  von  1848  verwandelte  sich 
in  das  weltumspannende  Wotansdrama. 

Um  von  Alberichs  schmachvoller  Herrschaft  die 
Welt  zu  erretten,  erzeugt  Wotan  sich  Siegmund ;  dieser 
soll  den  Feind  bekämpfen,    den   der  durch  Verträge 

73 


gebundene  Gott  nicht  treffen  darf.  Aber  er  muß  er- 
kennen, daß  auch  der  Sohn  nicht  unabhängig  von  ihm 
wirkt,  daß  durch  Siegmund  nur  er  selbst  den  ver- 
wehrten Streich  führen  würde.  In  tiefster  Seele  er- 
schüttert, gibt  er  mit  Siegmund  das  Verlangen  nach 
eigner  Herrschaft,  nach  Leben  und  Handeln  preis. 
Nur  noch  beobachtend,  nicht  mehr  selbst  wirkend, 
durchschweift  er  als  Wanderer  die  Welt.  Das  Ende 
der  Götter  will  er  jetzt  selbst:  einzig  quält  ihn  nur 
die  Sorge,  daß  dieses  Ende  nicht  zur  Herrschaft  Albe- 
richs  führe.  Unabhängig  von  Wotan  in  jedem  Sinne, 
ja  im  äußeren  Gegensatze  zu  ihm  handelt  erst  Sieg- 
munds Sohn  Siegfried.  Er  erkämpft  sich  den  Ring  des 
Nibelungen ,  an  den  die  Weltherrschaft  geknüpft  ist. 
Aber  nun  beginnt  auf  einer  neuen  Stufe  der  Streit  der 
lichten  und  dunkeln  Gewalten,  der  Kampf  zwischen 
Siegfried  und  Alberichs  Sohn.  Durch  diesen  wird 
Siegfried,  wiewohl  unwissend,  in  Schuld  verstrickt  und 
so  vom  Fluche  des  Ringes  erreicht;  mit  ihm  Brünn- 
hilde ,  die  selbstisches  Liebesglück  höher  achtete  als 
Gott  und  Welt.  Erst  mit  dem  Leben  schwindet  ihnen 
beiden  aller  Irrtum;  sterbend  und  mit  ihrem  Tode  zu- 
gleich der  Götter  Ende  besiegelnd,  wirkt  Brünnhilde 
die  erlösende,  den  Fluch  für  immer  vernichtende 
Liebestat. 

An  ein  äußeres  Symbol,  den  Ring,  den  Alberich 
aus  dem  Rheingold  schmiedete,  knüpfte  Wagner  den 
ganzen  tragischen  Kampf  zwischen  den  Mächten  der 
Ober-  und  Unterwelt.  Aber  wie  selbständig-kühn  ver- 
fuhr er  hier  von  Anfang  an  gegenüber  dem,  was  die 
Sage  berichtete!  Wie  wußte  er  die  Bedeutung  dieses 
Symbols  zu  vertiefen,  wie  durch  den  doppelten  Fluch, 
unter  dem  es  geschaffen  und  alsbald  seinem  ersten 
Herrn  geraubt  wird,  seine  Furchtbarkeit  zu  erhöhen. 
wie  es  als  Ziel  der  beständigen,  allgemeinen  Begierde 
in  der  Tat  zum  Angelpunkt  seines  gesamten  Werkes 
zu  machen!  Wie  verstand  er  es,  die  fatalistische  Kraft 
des  Ringes  künstlerisch  auszunützen,  ohne  daß  er  auch 

74 


nur  mit  einem  Schritte  in  die  impoetischen  Bahnen 
der  Schicksalstragödie  einlenkte!  Wie  war  er  vielmehr 
vor  allem  darauf  bedacht,  die  Handlung  echt  drama- 
tisch aus  den  Charakteren,  aus  dem  leidenschaftlichen 
Wollen  der  gegen  einander  strebenden  Personen  her- 
zuleiten! Überall  bewährte  er  die  höchste  Kunst  see- 
lisch wahrhafter  Darstellung,  in  den  Teilen  der  Tetra- 
logie, wo  Götter  die  Träger  der  Handlung  sind,  nicht 
minder  als  in  denen,  wo  die  dramatische  Entwicklung 
ausschließlich  zwischen  Menschen  sich  vollzieht.  Für 
die  Götter  bestehen  nur  die  den  Menschen  gesetzten 
Schranken  von  Raum,  Zeit  und  natürlicher  Kraft  nicht. 
Aber  für  sie  gilt  dieselbe  sittliche  Anschauung  von 
Recht  und  Unrecht,  von  Schuld  und  Sühne;  sie  emp- 
finden die  gleichen  seelischen  Regungen:  sie  sind  also 
denselben  tragischen  Geschicken  ausgesetzt.  Am  furcht- 
barsten steigert  sich  die  Tragik  in  dem  dramatischen 
Hauptcharakter  der  „Götterdämmerung",  in  Brünn- 
hilde,  die  den  Göttern  und  Menschen  gleichmäßig  an- 
gehört. Der  größte  tragische  Konflikt,  den  das  Leben 
und  die  Kunst  überhaupt  kennt,  wühlt  in  ihrer  Seele 
und  zwingt  sie,  den  Einziggeliebten  mit  vollem,  hellem 
Wissen  aus  Liebe  zu  töten,  um  sich  und  ihm  ihre 
gegenseitige  Liebe  rein  zu  erhalten. 

Wie  die  „Götterdämmerung"  den  Gipfel  der  tragi- 
schen Entwicklung  im  „Ring  des  Nibelungen"  bezeich- 
net, so  ist  sie  auch  dramatisch  meisterhaft  aufgebaut 
und  tadellos  in  sich  abgeschlossen.  Eine  ähnliche 
einheitliche  Abrundung  wTar  bei  den  drei  vorausgehen- 
den Stücken  nicht  möglich.  In  ihnen  wTeist  alles  auf 
die  Zukunft;  da  mußten  demgemäß  auch  am  Ende 
der  einzelnen  Dramen  noch  Fragen  offen  gelassen, 
neue  Fäden  der  Handlung  angeknüpft  werden.  Doch 
auch  hier  ist  die  innere  wie  die  äußere  Entwicklung 
stets  bis  zu  einem  bedeutsamen  Ruhepunkt  geführt. 
Künstlerisch  streng  und  dramatisch  wirkungsvoll  ist 
auch  hier  der  ganze  Aufbau ,  und  gewaltige  Tragik 
ergreift    uns    überall.     Aber   auch    dem    epischen   und 

75 


lyrischen  Element  mußte  hier  ein  breiter  Spiel- 
raum gelassen  werden.  Namentlich  jedoch  erforderte 
die  Rücksicht  auf  wahrhaft  künstlerische  Wirkung, 
daß  zwischen  die  erschütternden  Tragödien  ..Die  "Wal- 
küre" und  „Götterdämmerung"  die  heitere  Idylle 
„Siegfried"  eingeschoben  wurde,  der  äußerlich  jeder 
tragische  Kampf,  aber  durchaus  nicht  jeder  dramati- 
sche Gegensatz  fehlt,  dieses  einfache  Waldstück  mit 
seiner  jugendlich  kühnen  Einsamkeit,  wie  Wagner 
selbst  es  nannte. 

Nicht  minder  als  in  der  Anlage  des  Ganzen  be- 
währt sich  die  dramatische  Meisterschaft  des  Dichters 
in  der  Ausführung  des  Einzelnen.  Überall,  auch  wo 
er  nur  erzählende  Berichte  einzuflechten  oder  rein 
lyrische  Empfindungen  auszumalen  hat.  weiß  er  wenig- 
stens eine  dramatische  Stimmung  zu  erzielen.  So 
täuscht  er  uns  selbst  über  die  künstlerisch  bedenk- 
lichen, aber  unvermeidlichen  Szenen  hinweg,  in  denen 
die  äußere  Handlung  still  steht.  Die  innere  Entwick- 
lung schreitet  unaufhaltsam  weiter.  Merklich  gefördert 
wird  der  dramatische  Fortgang  durch  die  strenge  zeit- 
liche Geschlossenheit  der  einzelnen  Stücke:  jedes  um- 
faßt nur  einen  oder  wenige  dicht  auf  einander  folgende 
Tage. 

Dazu  kommt  der  rastlos  vorwärts  drängende 
Dialog,  der  unter  Umständen  die  knappste  Kürze  mit 
der  höchsten  Kraft  des  Ausdruckes  vereinigt.  Mit 
derselben  Kühnheit  wie  in  früheren  Zeitaltern  unsrer 
Literatur  Klopstock ,  Wieland ,  Goethe  und  einzelne 
Romantiker  erweckte  Wagner  Formen  und  Worte 
unsrer  alten  Dichterrede  zu  neuem  Leben.  An  poeti- 
schem Glanz  und  Reichtum,  an  sinnlicher  Bildlichkeit 
und  charakteristischer  Wahrheit,  an  phantasievoller 
Freiheit  vom  Zwang  der  Schulregeln  übertraf  auch  die 
Sprache  im  ..Ring  des  Nibelungen"  weitaus  alles,  was 
Wagner  bis  dahin  gedichtet  hatte. 

Gleichfalls  dem  germanischen  Altertum  entnahm 
er    die  Form    des  Stabreims.     Wenig  kümmerten    ihn 

76 


dabei  die  Regeln,  die  einzelne  Fachgelehrte  für  die 
altdeutsche  Metrik  behauptet,  andere  heftig  bestritten 
hatten.  Als  Dichter  vielmehr  ahnte  und  fühlte  er 
richtig  das  innere  Gesetz ,  unter  dem  die  alte  Vers- 
kunst allein  wieder  belebt  werden  konnte.  Diesem 
getreu,  erneuerte  er  sie  eigenartig  und  frei  und  darum 
mit  dem  grüßten  künstlerischen  Erfolg. 

In  der  musikalischen  Ausführung  seiner  Nibe- 
lungentragödie tat  Wagner  den  letzten  entscheidenden 
Schritt  auf  dem  Pfade,  der  ihn  vom  „Holländer''  zum 
„Lohengrin"  geführt  hatte.  Das  Ziel  einer  durchaus 
dramatischen  Musik,  dem  er  sich  bisher  von  Werk  zu 
Werk  mehr  genähert  hatte,  jetzt  erreichte  er  es.  Jetzt 
war  jede  auch  noch  so  unscheinbare  Ähnlichkeit  mit 
der  alten  Opernform  geschwunden ;  die  Rücksicht  auf 
das  Drama  herrschte  allein. 

Ununterbrochen  wogte  durch  das  ganze  Werk  die 
reichste  Gesangesmelodie,  welche  die  getrennten  Vor- 
züge des  einstigen  Rezitativs  und  der  Arie  in  neuer, 
schönerer  W^eise  verband.  Durchweg  beseelte  der  na- 
türliche, volkstümliche  Rhythmus  die  Melodie;  im 
allgemeinen  erklang  aus  dem  Gesänge  nur  eine  durch 
die  höchsten  Mittel  der  Kunst  unendlich  veredelte 
Deklamation  des  dichterischen  Wortes.  So  wurde  die 
Gesangesmelodie  in  der  Tat  nur  noch  eine  Steigerung 
dessen,  was  nach  Wagners  Forderung  die  Sprache  des 
Dichters  sein  sollte,  erhöhter  Ausdruck  der  Empfin- 
dung voll  lebendiger  Wahrheit  und  sinnlicher  Kraft. 

Wie  im  echten  Drama,  so  löste  sich  auch  hier 
Rede  und  Gegenrede  regelmäßig  ab.  Mehrstimmige 
Sätze  oder  vollends  Chöre  waren  äußerst  selten  ein- 
gefügt, nur  dann  eben,  wenn  sie  sich  natürlich  aus 
einer  dramatischen  Situation  ergaben.  Auch  in  diesem 
Falle  jedoch  dienten  sie  nicht,  wie  in  der  herkömm- 
lichen Oper,  bloß  zur  Verstärkung  des  Tones,  sodaß 
statt  einem  Sänger  nun  mehrere1  dieselben  Worte  und 
Silben  auf  die  gleichen  Taktteile  hervorschmetterten; 
sondern   diese  Ensembles   und   ('höre   waren  nunmehr 

78 


in  lauter  einzelne  Stimmen  aufgelöst,  die  zwar  gleich- 
zeitig mit  einander  erklangen,  deren  jede  aber  für 
sich  selbständig  behandelt  war. 

Für  die  Polyphonie,  die  bisher  in  der  Oper  durch 
mehrstimmigen  Gesang  bewirkt  wurde,  sorgte  nun  in 
erster  Linie  das  Orchester,  das  in  einem  zuvor  unge- 
kannten  Reichtum  von  Klängen  sich  entfaltete.  Es 
war  jetzt  noch  mehr  als  einst  im  „Lohengrin"  durch 
neue  oder  von  den  früheren  Tonsetzern  nur  ausnahms- 
weise gebrauchte  Blasinstrumente  von  eigenartiger 
Klangfarbe  bereichert  und  überhaupt  nach  der  melodi- 
schen wie  nach  der  harmonischen  Seite  hin  gleich- 
mäfsig  verschwenderisch  und  mit  genialer  Kühnheit 
ausgestaltet.  Seine  Aufgabe  war,  erklärend  und 
deutend  die  dramatische  Handlung  zu  begleiten,  unter 
Umständen  auch  sie  vorzubereiten  und,  was  in  ihr 
durch  Raum  und  Zeit  getrennt  oder  sonst  für  die 
logische  Auffassung  geschieden  war,  für  die  Empfin- 
dung zu  verbinden. 

Auch  dabei  streifte  Wagner  wieder  alles  Kon- 
ventionelle ab.  So  verwarf  er  jetzt  zum  Beispiel  die 
selbständig  in  sich  geschlossene  Ouvertüre,  die  den 
Grundgedanken  der  dramatischen  Handlung  in  wech- 
selnden Tongemälden  ohne  irgend  ein  bestimmt  deu- 
tendes Wort  veranschaulichen  soll.  Ihr  volles  Ver- 
ständnis kann  sich  nur  dem  Hörer  erschließsen,  der 
jene  Handlung  selbst  schon  kennt,  ist  also  vor  dem 
Beginn  des  Dramas  unmöglich.  Wagner  ersetzte  da- 
her die  grofse  Ouvertüre  durch  ein  verhältnismämg 
kurzes  Orchestervorspiel,  das  nur  den  Zweck  hat, 
stimmungsvoll  in  die  erste  Szene  einzuleiten. 

Gerade  um  das  Unaussprechliche  auszudrücken, 
den  ganzen  Reichtum  von  Gefühlen,  oft  nur  halbbe- 
wußten Ahnungen,  Erinnerungen,  Willensregungen,  die 
das  gesprochene  Wort  oder  die  unwillkürliche  Ge- 
bärde begleiten,  dazu  hatte  Wagner  das  Orchester 
ausersehen.  Für  diesen  Ausdruck  des  geheimsten 
Seelenlebens  fand   er  nicht  selten  Harmonien,   deren 

79 


duftige  Zartheit  oder  ideale  Erhabenheit  über  alles 
Irdische  hinauszuweisen  schien.  Gelegentlich  aber  ge- 
stattete er  sich  auch  Klangwirkungen,  die  mit  virtuoser 
Kunst  täuschend  ähnlich  dein  wirklichen  Leben  nach- 
gebildet sind  und  bisweilen  groteske  Heiterkeit  er- 
regen, ohne  doch  irgendwie  gegen  die  wahren  Gesetze 
des  Schönen  und  der  Kunst  zu  verstoßen. 

Über  den  Gesang  und  die  Instrumentation  spannt 
sich  gleichmäßig  das  Gewebe  der  Leitmotive  aus,  nun- 
mehr noch  viel  reicher  als  einst  im  „Lohengrin"  durch- 
gebildet und  bis  ins  Kleinste  und  Einzelnste  künst- 
lerisch sorgfältig  ausgeführt.  In  großen,  für  alle  vier 
Dramen  gemeinsamen  Hauptthemen  prägt  sich  die  Ein- 
heit der  dichterischen  Handlung  aus,  der  über  die 
ganze  Tetralogie  sich  erstreckende  Zusammenhang  der 
wirkenden  Personen,  ihrer  Leidenschaften  und  Schick- 
sale. An  sich  überaus  einfach  sind  diese  Hauptmotive 
erfunden;  in  ihrer  ausdrucksvollen  Bestimmtheit  sind 
sie  leicht  zu  verstehen  und  mühelos  im  Gedächtnis  zu 
behalten.  Wie  entwicklungsfähig  sie  aber  bei  aller 
ihrer  ursprünglichen  Schlichtheit  sind,  offenbaren  die 
zahlreichen  Nebenthemen,  die  aus  ihnen  zur  musikali- 
schen Charakteristik  einzelner  Regungen  und  Vor- 
gänge von  geringerer  oder  nur  vorübergehender  Be- 
deutung abgeleitet  sind.  In  ihnen  erscheinen  jene 
Grundthemen  stets  aufs  neue,  immer  wieder  kunstreich 
umgeformt;  deutlich  verrät  sich  in  dem  verwandten 
Klange  dieser  jüngeren  Bildungen  der  ältere  musikali- 
sche Gedanke,   dem  sie  alle  gemeinsam  entstammen. 

Trotz  dieses  einheitlichen  Grundcharakters  waltet 
übrigens  doch  auch  die  bunteste  Mannigfaltigkeit  in 
der  Tonsprache  des  „Rings".  So  reich  der  Stimmungs- 
wechsel und  der  Farbenzauber  in  der  Dichtung  des 
Werkes  ist,  offenbart  er  sich  auch  in  der  Musik.  Das 
ganze  Leben  der  Natur  und  alles  menschliche  Tun 
und  Empfinden  von  den  wildesten  bis  zu  den  sanfte- 
sten, von  den  niedrigsten,  fast  tierisch  rohen  bis  zu  den 
höchsten,  weihevoll  verklärten  Äußerungen  erklingt  in 

80 


Muncker,  R.  Wagner.    2.  Aufl. 


G  81 


den  charakteristisch   wechselnden  Themen  und  in  der 

gesamten  Komposition,  die  sie  ungemein  bedeutsam 
in  der  verschiedenartigsten  Weise  verbindet  und  ver- 
schmilzt oder  eines  durch  das  andre  ablösen,  in  seiner 
Wirkung  hemmen  läßt. 

Wie  die  Dichtung,  so  entsprach  auch  die  musi- 
kalische Ausführung  der  Nibelungentragödie  voll- 
kommen der  Theorie,  die  Wagner  in  seinen  Reform- 
schriften entwickelt  hatte.  Schon  als  er  diese  verfaßte, 
trug  er  eben  das  Ideal,  das  er  als  schaffender  Künst- 
ler jetzt  verwirklichte,  in  der  Seele  und  konnte  des- 
halb damals  gar  nicht  anders  lehren  als  im  Einklang 
mit  diesem  vorerst  nur  geistig  erschauten  Ideale. 

Während  Wagner  rüstig  an  dem  „Ring  der  Nibe- 
lungen" arbeitete,  eroberten  von  Weimar  aus  seine 
älteren  Werke  nach  und  nach  ziemlich  alle  deutschen 
Bühnen.  Im  Februar  1855  konnte  er  nach  langjähriger 
Pause  wieder  seinen  ,, Tannhäuser"  hören,  der  nun  auch 
in  Zürich  triumphierend  einzog. 

Unmittelbar  nach  dieser  Aufführung  folgte  Wagner 
einem  Rufe  der  älteren  philharmonischen  Gesellschaft 
in  London,  um  acht  Konzerte  zu  leiten.  Vier  an  Auf- 
regung und  Gram  reiche  Monate  verbrachte  er  hier  im 
beständigen  Kampfe  mit  einer  böswilligen  oder  kurz- 
sichtigen Kritik  und  unkünstlerischen,  aber  ehrfurchts- 
voll gepflegten  Gewohnheiten;  dennoch  erzwang  er 
sich  langsam  die  Liebe  der  Musiker,  unter  denen  er 
wirkte,  und  den  warmen  Beifall  des  Publikums.  Hektor 
Berlioz,  der  sich  damals  zu  ähnlichem  Zwecke  in  Lon- 
don aufhielt,  lernte  er  freundschaftlich  schätzen.  Krank- 
heit und  seelische  Mißstimmung  vergällten  ihm  den 
folgenden  Winter;  den  schöpferischen  Drang  konnten 
sie  aber  in  ihm  nicht  ersticken. 

Von  musikalischen  Werken,  die  neu  neben  ihm  er- 
standen, gewannen  nur  Liszts  symphonische 
Dichtungen  seine  volle  Teilnahme.  Zumal,  nachdem 
sie  ihm  der  Freund  bei  seinem  Besuch  im  Spätherbst 
1856   selbst   vorgeführt   hatte,   fühlte   sich  Wagner  ge- 

82 


drängt,  auch  öffentlich  sich  darüber  zu  äußern.  So 
wehrte  er  denn  in  einem  geistvollen,  mit  Humor  und 
Ironie  gewürzten  Briefe,  der  alsbald  mehrfach  im  Druck 
erschien,  zunächst  die  Vorwürfe  gegen  die  neue  künst- 
lerische Form  dieser  Kompositionen  ab.  Über  ihren 
musikalischen  Gehalt,  die  Stärke  der  thematischen  Er- 
findung und  der  harmonischen  Ausführung  äußerte  er 
sich  vorerst  nicht;  nur  von  seiner  tiefen  Ergriffenheit 
und  innigen  Freude  über  die  Schöpfungen  des  Freundes 
legte  er  offen  Zeugnis  ab. 

Inzwischen  waren  im  Zusammenhange  mit  neuen 
philosophischen  Studien  auch  neue  künstlerische  Ideen 
in  seiner  Seele  aufgestiegen.  Sie  trieben  zu  sofortiger 
dichterisch  musikalischer  Gestaltung,  sobald  er  sich 
unter  dem  harten  Zwange  seiner  äußeren  Lage  von 
seinem  Lebenswerke,  dem  Nibelungendrama,  vorläufig 
hoffnungslos  abgewendet  hatte. 


83 


VI. 


eit  1854  versenkte  sich  Wagner  mit  stets 
wachsendem  Eifer  in  das  Studium  der  Werke 
){j  Arthur  Schopenhauers.  Die  herben  Er- 
■J  fahrungen  der  letzten  Jahre  machten  ihn, 
der  einst  der  lebensfrohen  und  tatkräftigen  Philosophie 
Ludwig  Feuerbachs  gehuldigt  hatte,  von  vornherein 
empfänglich  für  die  Entsagungslehre  des  Frankfurter 
Denkers,  dessen  tiefsinnige  Worte  über  den  Grund  des 
künstlerischen  Genusses,  über  das  Wesen  des  Genies, 
über  den  Vorzug  der  Musik  vor  den  übrigen  Künsten 
ihm  aus  der  Seele  gesprochen  waren.  Schopenhauers 
Ästhetik  und  Ethik,  seine  Lehre  von  der  Verneinung 
des  Willens  zum  Leben  als  dem  einzigen  Mittel,  von 
allem  Leide  der  Welt  erlöst  zu  werden,  ergriff  ihn 
um  so  mächtiger,  als  er  selbst  schon,  bevor  er  diese 
Lehre  theoretisch  kannte,  sie  dichterisch  in  seinem 
Nibelungendrama  und  besonders  in  der  Gestalt  seines 
Wotan  dargestellt  hatte.  Nun  folgte  er  planmäßig  dem 
Philosophen  auf  allen  Kreuz-  und  Querwegen  seiner 
Gedanken,  bald  sie  erläuternd  und  fortsetzend,  bald  sie 
künstlerisch  verwertend.  Die  erste  köstliche  Frucht 
dieses  Studiums  war  eine  neue  dramatische  Dichtung, 

84 


deren  frühester  Entwurf  gleichfalls  in  das  Jahr  1854 
zurückreicht,  „Tristan  und  Isolde". 

In  Wilhelm  Müllers  „Versuch  einer  mythologischen 
Erklärung  der  Nibelungensage"  hatte  Wagner  einen 
Hinweis  auf  den  ursprünglichen  Zusammenhang  der 
Siegfried-  und  der  Tristansage  gefunden.  Wie  freilich 
Müller  diesen  Zusammenhang  auffaßte,  so  war  er  für 
einen  Dichter  des  neunzehnten  Jahrhunderts  nicht  zu 
brauchen.  Wagner  selbst  kannte  die  Tristansage  ver- 
mutlich schon  aus  ihrer  epischen  Erneuerung  durch 
Immermann.  Ebenso  war  ihm  das  mittelalterliche 
Gedicht  Gottfrieds  von  Strafsburg  in  der  neuhochdeut- 
schen Übersetzung  von  Hermann  Kurz  längst  vertraut ; 
auch  Simrocks  Übertragung  von  1855  fiel  ihm  noch 
rechtzeitig  in  die  Hand.  Er  sah  in  der  Tristansage  eine 
Art  von  Ergänzung  des  Nibelungenmythos  für  das 
dichterische  Empfinden.  Wie  Siegfried,  so  freit  Tristan 
das  ihm  bestimmte  Weib  für  einen  andern.  Während 
nun  aber  die  Nibelungensage  allen  Nachdruck  auf  den 
Tod  des  Helden  legt,  der  aus  diesem  Irrtum  folgt,  ver- 
weilt die  Tristansage  vielmehr  bei  der  Liebesqual  des 
Paares,  das  sich  auf  Grund  des  gleichen  Irrtums  durch 
Gesetz  und  Sitte  getrennt  sieht. 

Als  eine  solche  Ergänzung  seiner  Nibelungen- 
tragödie betrachtete  Wagner  die  Tristandichtung  vor 
allem  gern,  als  er  1857  jene  vorläufig  zurücklegen 
mußte.  Dazu  drängte  ihn  die  tief  beglückende  und 
doch  schmerzlich  aufregende  Liebe  zu  Mathilde  Wesen- 
donck  mit  ihrem  beständigen  Ringen  nach  Entsagung 
dem  neuen  Stoff  entgegen.  Rasch  führte  er  daher  jetzt 
den  älteren  Entwurf  aus:  in  wenigen  Wochen  wurde 
die  Dichtung  des  Dramas  vollendet,  und  schon  im 
Herbst  desselben  Jahres  konnte  die  musikalische  Kom- 
position beginnen.  Dann  aber  unterbrachen  Verände- 
rungen in  Wagners  äufäerem  Leben  mehrfach  die  Arbeit. 
Durch  neue  Aussichten  gelockt,  die  sich  in  Paris  für 
seine  Werke  zu  eröffnen  schienen,  begab  er  sich  im 
Januar  1858  wieder  auf  kurze  Zeit  in  die  Weltstadt. 

85 


Tm  August  darauf  verließ  er  Zürich  für  immer  und 
siedelte  für  den  Herbst  und  Winter  nach  Venedig  über. 
Der  zweite  Akt  des  „Tristan"  wurde  hier  vollendet; 
noch  nach  Jahren  pries  Wagner  das  Wohlgefühl,  das 
ihm  seine  volle  Freiheit  und  Unbedenklichkeit  bei 
diesem  Schaffen,  sein  Vergessen  aller  und  jeder  Theorie 
bereitete.  Erst  im  April  kehrte  er  in  die  Schweiz 
zurück,  nach  Luzern,  und  hier  gedieh  im  August  1859 
die  Partitur  des  ganzen  Werkes  zum  Abschlüsse. 

Wagners  Quelle  war  das  Gedicht  Gottfrieds  von 
Straßburg.  Allein  liier  war  die  Sage  von  Tristan  und 
Isolde  ganz  und  gar  episch  behandelt,  als  ein  Meister- 
stück der  erzählenden  Poesie,  dem  aber  jeder  drama- 
tische Nerv  fehlte.  Ja  selbst  im  epischen  Sinne  war 
Gottfrieds  Werk  ohne  künstlerischen  Abschluß;  diesen 
hatten  seine  mittelalterlichen  Fortsetzer  und  dann 
wieder  sein  Erneuerer  Kurz  mehr  oder  minder  selb- 
ständig ergänzt.  Einen  dramatisch  brauchbaren  Stoff 
konnte  Wagner  aus  dieser  Dichtung  nur  gewinnen, 
indem  er,  wie  einst  bei  dem  „Ring  des  Nibelungen", 
aus  der  Fülle  willkürlicher  Abenteuer  und  sonstiger 
späterer  Zutaten  die  einfachste  Urform  des  Mythos 
herauslöste.  Aber  auch  darüber  boten  ihm  die  wissen- 
schaftlichen Arbeiten,  bei  denen  er  sich  Rat  holen 
mochte,  nichts,  was  dem  Dramatiker  dienen  konnte. 
Dieser  mußte  sich  jene  Urform  des  Mythos  selbst  und 
allein  schaffen.  Er  tat  es,  indem  er  von  der  Verwandt- 
schaft der  Tristan-  und  der  Siegfriedsage  ausging.  So 
erfand  er  das  tragische  Grundmotiv,  aus  welchem  not- 
wendig die  verschiedenen,  von  der  gewaltigsten  Tragik 
durchbebten  Konflikte  und  die  gesamte  in  sich  fest 
geschlossene  dramatische  Entwicklung  folgten:  auch 
Tristan  liebt  bereits  das  Weib,  das  er  unter  dem  Bann 
eines  schrecklichen  Irrtums  für  Marke  freit. 

Er  liebt  Isolde,  doch  ohne  auf  ihre  Gegenliebe  zu 
hoffen.  Aus  dem  Wahne,  sie  mit  der  Königskrone 
seines  Landes  beglücken  zu  wollen,  entspringt  der 
Zwiespalt   seiner   Seele,   der    erste  Keim   seiner  tragi- 

86 


87 


sehen  Schuld.  Isolde  aber  mißkennt  den  Beweggrund 
seiner  Werbung  und  glaubt  sich  von  dem  Geliebten 
verschmäht.  So  trifft  ihn  ihr  düsterer  Haß :  gleich  der 
betrogenen  Brünnhilde  sinnt  auch  sie  auf  ihren  und 
des  Verräters  gemeinschaftlichen  Untergang.  In  dieser 
Stimmung  genießen  die  beiden  den  vermeintlichen 
Gifttrank;  vor  dem  Tode,  dessen  sichere  Opfer  sie 
sich  schon  wähnen,  fallen  die  Schranken  falscher  Zu- 
rückhaltung: es  kommt  zum  überwallenden  Geständ- 
nis ihrer  Liebe.  Was  im  alten  Epos  wirklich  war. 
der  zauberische  Minnetrank,  wird  im  Drama  nur  sym- 
bolisch. 

Im  Zusammenhang  mit  dieser  künstlerischen  Ver- 
edlung eines  überlieferten  Motivs  steht  eine  andre: 
Wagner  suchte,  was  im  mittelalterlichen  Gedichte  frivol 
war,  sittlich  zu  verklären.  Er  legte  darum  seinen  Lieben- 
den nicht  ein  immer  neues  Verlangen  nach  irdischem 
Genufs,  sondern  ein  mächtiger  und  mächtiger  anwach- 
sendes Seimen  nach  dem  vom  irdischen  Zwiespalt  er- 
lösenden Tode  in  die  Brust.  Er  führte  sie  nach  qual- 
voller Trennung,  in  der  Tristan  sein  eigenes  Leid  nur 
als  den  Ausfluß  des  allgemeinen  Leidens  der  Welt  er- 
kennt, nicht  zum  Leben,  sondern  zum  gemeinsamen  Tode 
zusammen.  Sittlich  und  dichterisch  vertiefte  er  ganz 
besonders  den  Charakter  des  Königs  Marke;  in  dieser 
Gestalt  seines  Dramas  spiegelte  sich  ja  das  Edelste  der 
Freundschaft,  die  er  selbst  von  Mathildens  Gatten  er- 
fahren und  ihm  treu  gewahrt  hatte.  Damit  nahm  er 
zugleich  dem  Verhältnisse  der  Liebenden  zu  Marke  den 
widrigen  Beigeschmack,  der  ihm  in  den  älteren  Ge- 
dichten anhaftet:  nicht  eigentlich  die  Ehe  bricht  Isolde 
dem  König,  sondern  gleich  Tristan  verrät  auch  sie  nur 
die  aufopfernde  Freundestreue  Markes.  Indem  Wagner 
seiner  Heldin  die  Schmach  ersparte,  als  das  Weib  zweier 
Männer  zu  erscheinen,  bewahrte  er  zugleich  den  Cha- 
rakter Markes  vor  dem  Fluche  der  Lächerlichkeit  und 
erhielt  die  tieftragische  Stimmung  seines  Werkes  rein 
und  ununterbrochen . 

88 


Wie  in  einzelnen  Teilen  seines  Nibelungendramas, 
so  beschränkte  sich  Wagner  auch  hier  auf  die  denkbar 
geringste  Anzahl  der  Personen.  Dafür  greifen  alle  ohne 
Ausnahme  kräftig  in  die  Handlung  ein.  Besonders 
gilt  das  von  Kurwenal  und  Brangäne,  den  edelsten  Ver- 
tretern unverbrüchlicher  Dienertreue,  den  praktischen 
Vermittlern  zwischen  ihren  Herren,  die  ganz  und  gar 
in  der  idealen  Welt  ihrer  Liebe  leben,  und  der  nüch- 
ternen Wirklichkeit. 

Die  Handlung  selbst  ist  einfach ,  aber  mit  voll- 
endeter Meisterschaft  gegliedert  und  namentlich  im 
ersten  Akte  zu  gewaltigster  dramatischer  Wirkung 
aufgebaut.  Mit  ihr  wollte  Wagner  selbst  der  Liebe 
ein  Denkmal  setzen ;  sein  eignes,  nie  völlig  gestilltes 
Liebessehnen  sollte  sich  hier  „einmal  so  recht  sättigen". 
In  dieser  Absicht  und  demgemäß!  in  der  ganzen  Anlage 
des  Dramas  war  es  begründet,  daß  sich  das  überquel- 
lende Empfinden  Tristans  und  Isoldens  auch  lyrisch  frei 
entfalten  durfte.  Und  wieder  offenbarte  sich  in  der 
gegenseitigen  Durchbildung  der  lyrischen  und  der  dra- 
matischen Bestandteile  der  Meister,  der  unter  anderm 
die  höchste  Form  der  mittelalterlichen  Minnedichtung, 
das  Tagelied,  mit  Beibehaltung  ihrer  lyrischen  Vorzüge 
im  zweiten  Aufzuge  seines  Werkes  in  das  volle  drama- 
tische Leben  einführte. 

Auch  der  Sprache  des  „Tristan"  ist  vielfach  ein 
lyrisches  Gepräge  aufgedrückt.  An  Reichtum  der  Bilder 
und  der  symbolischen  Beziehungen  sowie  an  musika- 
lischer Klangfülle  steht  die  poetische  Rede  dieser  Tra- 
gödie unerreicht  im  ganzen  Umkreis  der  dramatischen 
Schöpfungen  Wagners.  Zugleich  aber  birgt  sich  nirgends 
wieder  in  die  sinnlich  schöne  Ausdrucksweise  des  Dich- 
ters ein  so  bestimmter  philosophisch-abstrakter  Gehalt 
wie  im  „Tristan". 

Nicht  nur  die  allgemeine  Grundidee  des  Werkes 
stand  im  engsten  Zusammenhang  mit  Schopenhauers 
Lehre;  auch  die  Entwicklung  einzelner  Gedanken  im 
Zwiegespräch  Tristans  mit  Isolde  oder  mit  sich  selbst 

89 


war  oft  nur  eine  poetische  Umschreibung  und  damit 
zugleich  eine  künstlerische  Verklärung  der  Grundan- 
schauungen  des  Frankfurter  Philosophen.  Aber  der  Ge- 
fahr, die  dabei  drohte,  wußte  der  Dichter,  dessen  Auf- 
gabe die  Darstellung  der  kühnsten  Liebesleidenschaft 
war,  unversehrt  zu  entgehen:  was  er  dem  Werke  des 
wissenschaftlichen  Denkers  als  spröde  Reflexion  ent- 
nahm, das  setzte  er  in  warme,  lebendige,  innig  ergrei- 
fende Empfindung  um.  So  klang  denn  auch  gerade  in 
diesen  philosophisch  bedeutsamen  Reden  manches  an 
eine  der  tiefsten,  phantasiereichsten  Dichtungen  der 
Romantik,  die  „Hymnen  an  die  Nacht"  von  Novalis, 
an.  Und  wie  willig  Wagner  auch  von  Schopenhauer 
lernte,  sklavisch  ergab  er  sich  ihm  doch  nicht.  Das 
leidenschaftslose  Hinsterben  in  heiliger  Verneinung  des 
Willens  zum  Leben,  in  dem  die  Ethik  des  Philosophen 
gipfelte,  konnte  der  Dramatiker  nicht  brauchen.  Der 
Tod  seiner  Helden  durfte  nicht  ohne  alles  bewufäte 
Handeln,  ohne  Betätigung  des  Willens  sein;  er  glich 
daher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  sogar  dem  von 
Schopenhauer  ausdrücklich  bekämpften  Selbstmord. 

Doppelt  mächtig  strömt  die  Leidenschaft,  welche 
die  Dichtung  beseelt,  in  der  Musik  des  „Tristan".  Nach 
ihrem  künstlerischen  Charakter  ist  diese  der  Ton- 
sprache im  „Ring  des  Nibelungen"  verwandt.  Die  hier 
zuerst  in  aller  Strenge  durchgeführten  Gesetze  einer 
durchaus  dramatischen  Kompositionsweise  gelten  eben- 
so unbedingt  für  die  Partitur  des  „Tristan";  dieselbe 
Behandlung  der  Gesangesmelodie  und  des  Orchesters, 
das  gleiche  System  der  Leitmotive  waltet  in  beiden 
Werken.  Nur  entfaltet  sich  auch  in  der  Tonsprache 
des  „Tristan"  die  Lyrik  unendlich  freier  als  in  der 
wesentlich  dramatischen  Musik  der  Tetralogie. 

In  den  Gesangspartien  wie  in  dem  überschweng- 
lich reichen  Orchester  wogt  ein  Meer  der  wundervollsten 
Melodien,  bald  leidenschaftlich  drängend,  bald  weh- 
mütig-weich. Verzehrende  Sehnsucht  und  düstere  Tragik 
klingt    aus   den   meisten  wieder,    immer   einfach-groß, 

90 


m 


heldenhaft  erschütternd ,  nie  schwächlich-empfindsam 
oder  weinerlich  rührend. 

Das  thematische  Gefiigc  ist,  wo  möglich,  noch  fester 
als  in  den  ersten  Teilen  des  „Rings".  Im  Grund  sind  es 
nur  wenige,  unter  einander  selbst  geheimnisvoll  ver- 
wandte Hauptmotive,  die,  in  unendlich  mannigfaltiger 
Weise  umgebildet  und  weiter  entwickelt,  die  Musik  des 
ganzen  Werkes  bestimmen.  Das  erstreckt  sich  bis  in 
alle  Einzelheiten  der  Sing-  und  Orchesterstimmen;  es 
gilt  auch  von  den  vielen  Fällen,  in  denen  die  farben- 
reiche Instrumentation  scheinbar  nur  malerisch  wirken, 
äußere  Vorgänge  oder  innere  Stimmungen  andeuten 
soll.  Überall  schimmern  durch  die  freie  Bewegung  der 
Melodien  und  die  bunte  Fülle  der  Harmonien  Grund- 
linien der  Hauptthemen  hindurch  und  malmen  deutlich, 
doch  unaufdringlich  an  den  innigen  Zusammenhang  alles 
Denkens,  Empfindens  und  Geschehens  innerhalb  des 
Dramas.  Auch  was  als  Klangmalerei  und  Stimmungs- 
ausdruck unser  Ohr  entzückt,  ist  durch  die  glückliche 
Verwertung  und  erfinderische  Fortbildung  jener  Grund- 
themen bewirkt. 

Bei  diesem  Verfahren  hat  Wagner  durchweg  die 
höchste  symphonische  Kunst  aufgewendet.  Der  musi- 
kalische Aufbau  des  „Tristan''  erweist  sich,  namentlich 
im  einzelnen,  noch  viel  symmetrischer  als  der  dichte- 
rische. Aber  nicht  weniger  als  in  ihm  offenbart  sich 
in  der  sorgsamen  Herausgestaltung  der  Gegensätze  und 
Übergänge,  in  dem  Reichtum  der  harmonischen  und 
kontrapunktischen  Mittel,  in  der  charakteristischen  Aus- 
nützung der  Klangunterschiede  zwischen  den  Saiten-, 
Holz-  und  Blechinstrumenten  die  reifste  Meisterschaft. 
Sie  verrät  sich  ebenso  in  dem  ausgiebigen,  kunstvollen 
Gebrauche  chromatischer  Bewegung  und  Gegenbewe- 
gung, dann  wieder  in  der  Sicherheit,  mit  der  die  kühn- 
sten Sprünge  in  der  Melodienführung  gewagt  sind,  die 
verwegensten  Akkorde  gebildet  und  in  noch  verwegnere 
aufgelöst  werden,  die  mannigfach  wechselnde  Rhythmik 
den  Ausdruck  stets  neu  und  lebensvoll  färbt. 

92 


Von  den  Sängern  wie  von  den  Musikern  des  Or- 
chesters verlangt  die  Partitur  des  „Tristan"'  das  Höchste, 
was  ihre  Kunst  leisten  kann ;  sie  stellt  ihnen  aber  auch 
Aufgaben  von  einer  früher  nie  geahnten  Herrlichkeit. 
Und  welche  Schwierigkeiten  sie  auch  sonst  bieten  mag, 
in  einem  Punkte  bedeutet  sie  gegenüber  dem  „Ring" 
eine  Erleichterung:  die  Singstimme  wird  meistens  un- 
mittelbarer durch  die  Begleitung  der  Instrumente  unter- 
stützt; sie  erscheint  seltner  im  Aufbau  der  Musik  als 
Gegenstimme. 

In  den  ersten  Monaten  der  Arbeit  an  dem  gewal- 
tigen Tonwerk  komponierte  Wagner  als  eine  Art  von 
Studien  dazu  im  nämlichen  Stil,  zum  Teil  sogar  völlig 
nach  denselben  Weisen  fünf  der  schönsten  Gedichte 
von  Mathilde  Wesen donck.  Von  tiefer  Empfin- 
dung und  philosophischer  Betrachtung  erfüllt,  klangen 
sie  auch  im  Gedanken  und  Wortlaut  an  den  „Tristan" 
mehrfach  an;  so  glichen  sie  in  allem  Wesentlichen 
echten  Bekenntnissen  des  Künstlers,  dessen  Liebe  in 
Mathildens  Seele  das  Feuer  der  Poesie  entzündet  hatte. 

Fast  gleichzeitig  mit  der  Tristantragödie  stiegen, 
ebenfalls  im  Zusammenhang  mit  dem  Studium  Schopen- 
hauers, noch  einige  dramatische  Ideen  im  Geiste  Wag- 
ners auf.  Nach  Mythen  von  Buddha,  die  er  in  Eugene 
Burnoufs  .,  Introduction  ä  l'histoire  du  Bouddhisme 
indien"  (1845)  fand,  zeichnete  er  sich  im  Mai  1856  den 
kurzen  Entwurf  eines  mehr  sittlich  als  dramatisch  be- 
deutenden Stückes  „Die  Sieger"  auf.  Zunächst  mußte 
es  gegen  den  „Tristan"  zurückstehen;  doch  beschäftigte 
es  den  Dichter  auch  noch  in  den  nächsten  Jahren  auf 
das  lebhafteste.  Im  Herbst  1858  regte  ihn  die  Lektüre 
von  Karl  Friedrich  Köppens  Buch  über  die  Religion 
des  Buddha,  das  ihn  sonst  wenig  befriedigte,  sogar  zu 
einer  neuen  Erweiterung  und  Vertiefung  des  Plans  der 
„Sieger"  an.  Dann  verschmolz  allmählich  der  Grund- 
gedanke dieses  Werkes  mit  der  Idee  des  „Parsifal", 
die  sich  seit  dem  April  1857  von  der  Tristandichtung 
loslöste   und  selbständige   Gestalt  gewann.     Denn  ur- 

93 


sprünglich  sollte  der  dem  Heiligtume  des  Grals  zu- 
strebende Über  wind  er  der  sündigen  Weltlust  mit  dem 
todwunden  Tristan  in  unmittelbare,  wenn  auch  wohl 
nur  flüchtige  Berührung  gebracht  werden. 

Während  Wagner  an  seinem  Liebesdrama  arbeitete, 
erwog  er  schon  verschiedne  Möglichkeiten,  es  künstle- 
risch befriedigend  aufzuführen,  und  erhielt  auch  gleich 
von  einzelnen  Theatern  gewisse  Anträge  für  diesen  Fall. 
Manche  von  diesen  Aussichten  schwanden  ihm  nur  allzu 
rasch  wieder  dahin.  Zuletzt  behielt  er  vornehmlich 
Karlsruhe  im  Auge,  wo  jüngst  mit  Großherzog  Friedrich 
ein  ihm  persönlich  wohlwollender,  seine  Kunst  bewun- 
dernder Fürst  den  Thron  bestiegen  hatte.  Durch  ihn 
suchte  Wagner  aber  jetzt  vor  allein  das  zu  erreichen, 
wonach  er  seit  zehn  Jahren  vergeblich  schmachtete, 
die  Erlaubnis  zur  Rückkehr  ins  Vaterland.  Trotz  Liszts 
Freundschaft  und  der  Gunst  des  Weimarer  Hofes  war 
sie  ihm  bisher  stets  versagt  geblieben,  und  doch  ver- 
mochte nur  sie  ihm  die  lang  entbehrte  künstlerische 
Anregung  wiederzugeben.  Doch  noch  immer  konnte 
ihm  sein  heißer  Wunsch  nicht  erfüllt  werden.  Um 
nun  wenigstens  wieder  regelmäßig  Musik  hören  zu 
können,  siedelte  Wagner,  dessen  grunddeutsches  Wesen 
sich  stets  trotzig  gegen  das  Franzosentum  aufgebäumt 
hatte,  im  September  1859   aufs  neue  nach  Paris  über. 

Aus  Deutschland  zogen  schlimme  Nachrichten  hinter 
ihm  her.  Einer  seiner  ältesten  und  treuesten  Freunde, 
Chordirektor  Wilhelm  Fischer  in  Dresden,  starb  im 
November  1859.  Wagner  widmete  ihm,  dessen  uner- 
müdlicher Hilfe  auch  er  als  Dirigent  manchen  Erfolg 
mitverdankte,  einen  rührend  herzlichen  Nachruf.  Fast 
gleichzeitig  traf  ihn  ein  zweites  Mißgeschick:  der  Karls- 
ruher Plan  einer  Aufführung  des  „Tristan"  zerschlug 
sich.  Nun  hoffte  er  in  Paris  eine  Vorstellung  des  Werkes 
zu  ermöglichen.  Aber,  obwohl  er  mit  drei  vorbereiten- 
den Konzerten  das  größte  Aufsehen  im  Musikleben 
und  in  der  Presse  der  Weltstadt  erregte,  stieß  er  doch 
auf  zu  wenig  wrahre   künstlerische  Teilnahme,   um  auf 

94 


eigne  Faust  ein  so  kühnes  Theaterunternehmen  wagen 
zu  dürfen.  Zwar  erklärten  sich  einige  der  Besten  be- 
geistert für  ihn,  unter  ihnen  die  Dichter  Charles  Baude- 
laire und  Champfleury,  und  in  treuer,  ausdauernder 
Freundschaft  schlössen  sich  seit  jenen  Tagen  nament- 
lich zwei  hochgesinnte  Frauen,  Malvida  von  Meysenbug, 
längst  seine  warme  Bewunderin ,  und  Gräfin  Marie 
Kalergis  (nachmals  Frau  von  Muchanow),  an  ihn  an. 
Aber  was  vermochten  die  wenigen  gegen  die  gleich- 
gültige oder  ablehnende  Menge?  Aus  der  peinlichen 
Lage,  in  die  den  Künster  dieser  Mißerfolg  versetzte, 
riß  ihn  der  kaiserliche  Befehl  zur  Aufführung  des 
„Tannhäuser"  auf  der  Bühne  der  Großen  Oper  in  Paris. 

Die  sorgfältigen  Vorbereitungen  dazu  dauerten  nahe- 
zu ein  Jahr.  Sie  begannen  mit  der  vollständigen  Um- 
arbeitung des  ersten  Aktes  und  einzelner  Stellen  des 
zweiten  und  mit  der  französischen  Übersetzung  des 
Textes  durch  zwei  junge  Verehrer  des  deutschen 
Meisters,  Edmond  Roche  und  Charles  Nuitter.  Im  An- 
schluß daran  ließ  Wagner  bald  auch  den  „Holländer", 
„Lohengrin"  und  „Tristan"  durch  Challemel-Lacour  in 
Prosa  übertragen.  Diese  „Quatre  poemes  d'operas" 
leitete  er  mit  einem  Schreiben  an  Frederic  Villot,  den 
Konservator  der  kaiserlichen  Museen,  ein,  das  nach 
Jahresfrist  (1861)  auch  deutsch  unter  dem  Titel  „Zu- 
kunftsmusik" erschien. 

Im  allgemeinen  drängte  er  hier  nur  die  Grundge- 
danken seiner  früheren  Reform  schritten,  besonders  des 
Buches  über  Oper  und  Drama  und  der  „Mitteilung  an 
meine  Freunde",  in  knapper  Kürze  zusammen.  Stärker 
als  dort  betonte  er  die  entschiedene  Teilnahme,  mit 
welcher  das  jüngere  Geschlecht  die  Musik  vor  den 
übrigen  Künsten  auszeichne,  und  die  größere  Entwick- 
lung, die  im  Einklang  damit  der  Musik  besonders  vor 
der  Poesie  noch  vorbehalten  sein  dürfte.  Seine  eignen 
Bestrebungen  zur  Begründung  eines  musikalisch-drama- 
tischen Kunstwerks  stellte  er  als  folgerichtige  Fort- 
führung dessen  dar,   was  die  von  ihm  hoch  verehrten 

95 


älteren  Meister  bereits  geahnt  und  begonnen  hatten. 
Auf  die  bevorstehende  Aufführung  des  „Tannhäuser" 
wies  er  nur  mit  wenigen  Worten  ohne  alle  Aufdring- 
lichkeit hin. 

Im  März  1861  fand  diese  Aufführung  endlich  statt. 
Allein  eine  planmäßig  verfahrende,  jedes  künstlerischen 
Geschmackes  und  Anstandes  bare  Gegenpartei  beutete 
sie  zu  den  skandalösesten  Demonstrationen  aus,  die 
das  französische  Publikum  tief  entwürdigten,  aber  auch 
den  deutschen  Komponisten  veranlaßten,  nach  der 
dritten  Vorstellung  sein  Werk  von  der  Großen  Oper 
zurückzuziehen.  Hatte  ihn  selbst  doch  die  Wieder- 
gabe seines  Dramas  in  gar  mancher  Hinsicht  nicht 
völlig  befriedigt. 

Der  Aufenthalt  in  Paris  war  ihm  durch  diese  letzten 
Erfahrungen  gründlich  verleidet  worden.  Aber  zum 
Glücke  stand  Deutschland  ihm  wieder  offen.  Im  Som- 
mer 1860  war  ihm  endlich  auf  seine  erneute  Bitte  die 
Rückkehr  in  das  Vaterland  gestattet  worden;  nur  das 
Königreich  Sachsen  blieb  ihm  noch  bis  zum  März  1862 
verschlossen.  Ein  kurzer  Besuch  in  Frankfurt  am  Main, 
Darmstadt  und  Baden-Baden  war  1860  die  erste  Frucht 
der  ersehnten  Erlaubnis  gewesen.  Nach  der  Aufführung 
des  „Tannhäuser"  kehrte  Wagner  endgültig  nach  Deutsch- 
land zurück  und  suchte  Paris  nur  noch  ein  paarmal  im 
Lauf  der  nächsten  Jahre  für  wenige  Wochen  auf. 

Herzlich  und  ehrenvoll  kam  ihm  das  deutsche  Pu- 
blikum überall  entgegen;  aber  sein  nächstes  Ziel,  das 
er  mit  heißer  Sehnsucht  und  unermüdlichem  Eifer  ver- 
folgte, eine  künstlerisch  genügende  Aufführung  des 
„Tristan",  vermochte  er  doch  noch  mehrere  Jahre  lang 
nicht  zu  erreichen.  Namentlich  in  Wien  wurde  unter 
seiner  eignen  Leitung  die  Tragödie  mit  aller  Sorgfalt 
und  Begeisterung  einstudiert.  Aber  immer  wieder 
mußten  die  Proben  wegen  Erkrankung  des  Sängers 
der  Titelrolle  unterbrochen  werden ;  endlich  wurde  nach 
fast  zweijähriger  Arbeit  auch  hier  das  Werk  bis  auf 
weiteres  ganz   zurückgestellt.     Nur   in  Konzerten,   die 

96 


ihn  durch  ganz  Deutschland  und  über  dessen  Gren- 
zen hinaus  nach  St.  Petersburg,  Moskau  und  Pest 
führten,  konnte  Wagner  Bruchstücke  des  „Tristan"  und 
des  „Ringes"  aufführen,  zwar  vor  schwärmerisch  be- 
geisterten Zuhörern,  aber  stets  in  zusammenhangsloser 
Weise,  deren  künstlerische  Mängel  ihn  bitter  schmerzen 
mußten.  Unter  all  diesen  aufregenden  und  schließlich 
doch  immer  getäuschten  Hoffnungen,  unter  diesen  im 
höchsten  Sinne  stets  erfolglosen  Bemühungen  erhielt 
er  gleichwohl  Lust  und  Mut  zu  neuem  Schaffen  noch 
ein  Jahr  um  das  andre  in  sich  lebendig:  in  jenen  un- 
ruhigen ersten  Zeiten  nach  seiner  Heimkehr  aus  der 
Verbannung  dichtete  er  „Die  Meistersinger  von 
Nürnberg". 

In  glücklicher  Stimmung  hatte  er  einst  im  Juli  1845 
zu  Marienbad  den  ersten  Entwurf  einer  komischen  Oper 
aufgezeichnet,  die  in  einer  heiter  bewegten  Handlung 
aus  dem  Nürnberg  des  sechzehnten  Jahrhunderts  den 
Gegensatz  der  meistersingerlichen  Spießbürgerschaft  zu 
dem  künstlerisch  schaffenden  Volksgeiste  sowohl  wie 
zu  der  individuell  eigenartigen  und  bedeutenden  Fort- 
bildung der  alten  höfischen  Kunst  darstellen  sollte. 

Die  meisten  Hauptmotive  des  Dramas,  wenn  auch 
mitunter  nur  skizzenhaft  angedeutet,  griffen  hier  bereits 
wirksam  in  einander.  Nur  sprach  sich  in  dem  Ent- 
würfe zu  viel  kühle  Ironie  aus;  der  aus  tiefster  Emp- 
findung quellende,  weltüberwindende  Humor  fehlte 
noch.  Dadurch  kam  ein  verstandesmäßig  nüchterner, 
erkältender  Zug  in  die  ganze  Handlung,  so  übermütig 
lustig  sie  auch  angelegt  war.  Besonders  aber  litt  unter 
dieser  Ironie  der  —  im  übrigen  schon  reich  und  glück- 
lich entwickelte  —  Charakter  des  Hans  Sachs;  auch 
seine  Stellung  zu  den  andern  Meistern  und  den  übrigen 
Personen  des  Stücks  war  vielfach  unklar.  Über  das 
Durchschnittsmaß  eines  braven,  klugen  Alltagsmenschen 
schien  er  vorerst  noch  nicht  sonderlich  emporgehoben. 
Noch  fehlten  in  seinem  Seelenleben  die  tragischen  Stim- 
mungen,  die  ihm  aus  der  Erkenntnis  von  der  über- 

Muncker,  K.  Wagner.    2.  Aufl.  7  97 


legenen  Dichterkraft  und  dem  Liebesglück  des  jungen 
Ritters  erwachsen;  von  einer  tieferen  Empfindung  des 
Meisters  für  Eva.  überhaupt  von  einem  näheren  Ver- 
hältnis zwischen  ihm  und  dieser  weiblichen  Haupt- 
gestalt des  Lustspiels  war  nichts  zu  merken.  So 
mangelte  denn  vor  allem  ihm  der  aus  schmerzlicher 
Entsagung  aufsteigende  Humor.  Aber  auch  Eva  war 
unbedeutender,  konventioneller  gezeichnet.  Desgleichen 
waren  mehrere  der  übrigen  Personen,  so  der  Ritter, 
Evas  Vater,  der  Lehrbube  David,  in  einzelnen  Zügen 
weniger  glücklich  charakterisiert  und  die  große  Aus- 
einandersetzung des  Ritters  mit  David  über  die  Regeln 
der  Singkunst,  mit  Sachs  über  das  Wesen  echter  Poesie 
noch  nicht  geplant. 

Unendlich  bereicherte  und  vertiefte  Wagner  den 
alten  Plan,  als  er  nach  sechzehnjähriger  Pause  im 
Winter  1861  <;2  die  Dichtung  der  ..Meistersinger''  wie- 
der aufnahm  und  während  eines  kurzen  Pariser  Auf- 
enthalts rasch  vollendete.  Allerhand  Anspielungen 
auf  die  Literatur  des  Mittelalters  und  auf  die  Geistes- 
kämpfe der  Reformationszeit,  die  gar  zu  sehr  nach 
historischer  Gelehrsamkeit  geschmeckt  hatten,  und  mit 
ihnen  den  ganzen  Gegensatz  zwischen  der  alten,  der 
Pflege  der  Dichtkunst  gewidmeten  Zeit  und  der  nüch- 
ternen, für  Wahrheit  und  Vernunft  streitenden  Gegen- 
wart beseitigte  er.  Dafür  arbeitete  er  den  rein  mensch- 
lichen, unser  Gemüt  unmittelbar  anziehenden  Gehalt 
seines  Entwurfes  unvergleichlich  besser  heraus.  Die 
Ironie  ersetzte  er  überall  durch  echten  Humor.  Viel- 
fach veredelte,  durchweg  vertiefte  er  die  Charaktere. 
Dabei  gewann  besonders  das  junge  Liebespaar,  auch 
Evas  Vater;  auf  ihn  und  auf  Eva  selbst  wurden  jetzt 
leise  Züge  von  Otto  und  Mathilde  Wesendonck  über- 
tragen. Hans  Sachs  aber  wurde  zu  einer  ganz  neuen 
Gestalt ,  zum  Träger  einer  bedeutsamen ,  seelischen 
Handlung,  deren  tiefer  Ernst  in  ergreifendem  Gegensatz 
zu  der  heitern  Entwicklung  der  äußeren  Vorgänge  steht, 
sich  übrigens  nur  an  wenigen  Stellen  des  Dramas  mit 

9S 


deutlichen  Worten  verrät.  Die  eigne,  schwer  erkämpfte 
Entsagung  des  Dichters,  der  seit  den  Züricher  Jahren 
auf  höchstes  Liebesglück  verzichtet  hatte,  spiegelte 
sich  hier  in  einem  künstlerisch  verklärten  Bilde  wieder. 
Aber  auch  die  äußere  Handlung  erweiterte  Wagner  ge- 
legentlich und  begründete  sie  kunstvoller;  ebenso  ver- 
besserte er  manches  in  der  Technik  des  Dramas. 

Übrigens  änderte  er  später,  nachdem  die  Dichtung 
bereits  im  November  1862  im  Druck  erschienen  war, 
noch  verschiedne  Einzelheiten,  so  in  der  Prügelszene 
und  in  den  großen  Reden  des  Hans  Sachs  im  letzten 
Akt,  dazu  sonst  allerlei;  namentlich  aber  dichtete  er 
das  Preislied  Walthers  von  Stolzing  und  demgemäß 
auch  dessen  Parodie  durch  Beckmesser  völlig  um. 

In  Biebrich  bei  Mainz,  wo  er  vom  Februar  bis  in 
den  Herbst  1862  wohnte,  begann  er  alsbald  die  musi- 
kalische Ausführung  des  neuen  Werkes  und  setzte  sie 
besonders  im  folgenden  Jahre  zu  Penzing  bei  Wien 
fort.  Dann  unterbrachen  die  äußeren  Ereignisse  seines 
Lebens,  auch  die  Wiederaufnahme  der  Komposition  des 
„Siegfried" ,  die  Arbeit  an  den  „Meistersingern"  etwa 
anderthalb  Jahre  lang.  Desto  rüstiger  jedoch  schritt 
sie  1866  und  1867  zu  Tribschen  bei  Luzern  fort;  im 
Oktober  1867  wurde  hier  die  Partitur  vollendet. 

Schon  in  seiner  Jugend  hatte  Wagner  einen  leb- 
haften Eindruck  von  dem  Treiben  der  Meistersinger  zu 
Nürnberg  empfangen,  als  er  E.  T.  A.  Hoffmanns  No- 
velle „Meister  Martin  der  Küfner  und  seine  Gesellen" 
las.  Durch  sie  wurde  er  auch  sogleich  zu  der  Quelle 
geführt,  aus  der  er  vornehmlich  seine  Kenntnis  der 
alten  Reichsstadt  und  der  in  ihr  gepflegten  Sanges- 
kunst schöpfte ,  Johann  Christoph  Wagenseils  Nürn- 
berger Chronik  von  1697.  Einige  nebensächliche  Züge 
mag  er  von  August  Hagens  „Norica"  (1829)  und  andern 
kulturgeschichtlichen  Werken  entlehnt  haben.  Eine 
neue  Hauptquelle  poetischer  Anregung  wurde  ihm  aber 
das  liebevolle  Studium  des  größten  Meistersingers, 
dessen  Nürnberg  sich   rühmt,   des  Hans  Sachs.     Aus 

99 


seinen  schlichten,  aber  klaren,  lebendigen  und  treu- 
herzig-milden Dichtungen  lernte  Wagner  den  volkstüm- 
lich frischen,  humoristischen  Ton  und  die  charakteri- 
stische ,  sinnlich  treffende  Sprache  mit  ihren  alten, 
mundartlichen  oder  familiären  Worten  und  Formen. 
Dazu  kam  der  leicht  gereimte  altdeutsche  Vers  mit  den 
metrischen  Freiheiten,  die  ihm  der  junge  Goethe  ge- 
geben hatte,  und  die  Wagner  sinnreich  vermehrte;  er 
diente  dem  Dramatiker  als  bequemste  Kunstform,  um 
das  Geistig-Höchste  und  Seelisch-Tiefste  wie  das  Derbe 
und  Alltägliche  poetisch  kraftvoll  und  zugleich  volks- 
mäßig  auszudrücken.  Aber  auch  den  Inhalt  einiger 
Verse  und  die  eine  und  andre  Lieblingswendung  lieh 
der  alte  Meister  unmittelbar  dem  jüngeren. 

Neben  Hans  Sachsens  eignen  Werken  kannte 
Wagner  aber  auch  andere  Werke  der  Poesie  und  Musik, 
in  deren  Mittelpunkt  die  künstlerisch  dargestellte  Per- 
sönlichkeit des  Nürnberger  Dichters  stand.  Liebevoll 
und  lebendig  hatte  ihm  Goethe  das  Bild  des  Meisters 
vorgezeiclmet,  der  am  Festtagsmorgen  in  seiner  Werk- 
statt sinnend  von  der  Arbeit  ruht.  Auch  hatte  schon 
Johann  Ludwig  Deinhardstein  ein  Drama  und  auf  dessen 
Grundlage  Gustav  Albert  Lortzing  zusammen  mit  den 
Schauspielern  Philipp  Reger  und  Philipp  Johann  Dü- 
ringer  eine  komische  Oper  „Hans  Sachs"  geschrieben, 
die  1840  zuerst  in  Leipzig,  dann  auch  auf  andern 
Bühnen  aufgeführt  wurde.  In  beiden  Stücken,  zumal 
in  der  Oper  fand  Wagner  mehrere  bedeutsame  Züge 
der  Liebeshandlung,  die  er  in  seinem  Werk  entwickelte, 
sowie  einige  Motive  zu  Szenen  aus  der  Meistersinger- 
schule  geschickt  vorgebildet.  Außerdem  kannte  er 
vielleicht  die  komische  Oper  gleichen  Namens  von 
Adalbert  Gyrowetz,  die  1834  in  Dresden  zur  Auffüh- 
rung angenommen  worden  war.  Sie  verherrlichte  be- 
reits in  Hans  Sachs  den  älteren  Mann,  den  Helfer 
eines  jungen,  edlen  Liebespaares. 

Auch  Wagner  ließ  nicht,  wie  Deinhardstein  und 
Lortzing,   Sachs   selbst,    sondern  einen  jungen  Ritter 

100 


101 


im  Wettstreit  mit  einem  poesielos  nach  äußern  Regeln 
stümpernden  Meistersinger  um  die  liebreizende  Braut 
werben.  Dadurch  erhob  er  aber  den  ganzen  Stoff  seines 
Dramas  in  eine  künstlerisch  höhere  Sphäre.  Nun  erst 
wurde  mit  dem  geschichtlichen  Gegensatz  von  Minne- 
sang und  Meistersang  auch  der  ewige  Gegensatz  von 
wahrer,  freier  Kunst  und  pedantischer  Handwerks- 
reimerei vollständig  offenbar.  Und  damit  stellten  sich 
ungesucht  und  meist  nur  äußerst  zart  zwischen  den 
Zeilen  angedeutet  mannigfache  ironische  und  satirische 
Beziehungen  ein  auf  Wagners  eignes  künstlerisches 
Streben  und  die  Anfeindungen,  denen  er  sich  des- 
wegen bei  seinen  Zunftgenossen  ausgesetzt  sah. 

Die  „Meistersinger"  sind  nicht  nur  ein  umfassendes, 
wahrheitsgetreues  Kulturbild  aus  deutscher  Vergangen- 
heit, von  echt  vaterländischem  Geist  erfüllt,  sondern 
zugleich  eine  typisch  gültige  Darstellung  des  zu  allen 
Zeiten  gleichen  Kampfes  des  Genius  gegen  das  Phi- 
listertum. Sie  sind  vor  allem  das  vollkommene  Muster 
eines  wahren  Lustspiels.  Meisterlicher  ist  der  Geist 
und  Ton  der  echten  Komödie  in  unserer  gesamten 
Literatur  niemals  getroffen  worden,  und  auch  die 
größten  Dichter  fremder  Völker  haben  nur  äu&erst 
selten  das  Wesen  und  die  Form  des  Lustspiels  im 
höchsten  Sinne  so  klar  erkannt  und  mit  so  unüber- 
trefflich einziger  Kunst  herausgestaltet  wie  Wagner. 
In  der  Meisterschaft  des  dramatischen  Aufbaus,  der 
Stetigkeit  und  Sicherheit  der  Entwicklung,  in  der  Sorg- 
falt, Feinheit  und  Wahrheit  der  Charakterzeichnung, 
der  Grölte  und  dem  Reichtum  der  Ideen  und  in  der 
bildlichen  Fülle,  Klarheit  und  humoristischen  Frische 
des  Ausdrucks  stellte  er  sich  hier  ebenbürtig  den 
ersten  Dramatikern  der  Weltliteratur  zur  Seite. 

Wie  im  „Tannhäuser",  so  ist  auch  hier  die  Sanges- 
kunst selbst  der  Gegenstand  des  Dramas;  dieses  ver- 
langte also  die  musikalische  Ausführung  schon  um 
seines  Stoffes  willen.  Und  zwar  konnte  gerade  den 
eigentümlichen   Charakter  der   beständig  fortschreiten- 

102 


den  Handlung  keine  Kompositionsweise  besser  aus- 
drücken als  die,  welche  sich  Wagner  seit  dem  „Rhein- 
gold" völlig  zu  eigen  gemacht  hatte.  Äußerlich  treten 
uns  in  den  „Meistersingern"  freilich  viel  öfter  als  im 
„Ring"  und  im  „Tristan"  lyrisch  in  sich  geschlossene 
Musikstücke  entgegen,  Lieder,  selbständige  Gesänge, 
Choräle  und  sonstige  Chöre ;  und  Akt  für  Akt  mündet 
in  große,  vielstimmige  Ensembleszenen  aus.  Allein 
auch  hier  ließ  sich  der  Tondichter  Wagner  immer  nur 
durch  die  dramatische  Wahrheit  bestimmen;  die  Hand- 
lung seines  Lustspiels  erforderte  jene  Lieder  oder 
Chöre.  Auch  diese  dienen  niemals  der  bloßen  Ent- 
fesselung der  Massen  nach  Art  der  herkömmlichen 
Oper.  Wieder  sind  die  Chöre  und  Ensembles,  soweit 
sie  nicht  im  Leben  bereits  fertig  bestehende  Singchöre 
darstellen,  sondern  nur  die  Ansichten  und  Empfin- 
dungen einer  vielgestaltigen  Menge  andeuten,  in  ihre 
einzelnen  Stimmen  aufgelöst;  jeder  dieser  Stimmen  aber 
ist  meistens  nicht  nur  ein  anderer  Text,  sondern  auch 
eine  selbständige  rhythmische  Bewegung  zuerteilt. 

Auch  das  scheinbar  der  Theorie  Wagners  wider- 
sprechende Quintett,  das  die  erste  Szene  des  dritten 
Akts  abschließt,  ist  in  solcher  Weise  der  Wahrheit  des 
wirklichen  Geschehens  gemäß  aufgebaut.  Die  wich- 
tigere künstlerische  Rechtfertigung  des  wundervollen 
Musikstücks  liegt  aber  darin,  daß  hier  die  innere 
Handlung  des  Dramas  ihren  letzten  Gipfelpunkt  er- 
reicht hat;  sie  erheischt  geradezu  einen  musikalisch 
bedeutenden  Ausdruck  der  aufs  höchste  gesteigerten 
Empfindungen  der  Hauptpersonen.  Sonst  pflegte  Wag- 
ner an  ähnlichen  entscheidenden  Stellen  das  Orchester 
reicher  ertönen  und  so  den  Stimmungsgehalt  offen- 
baren zu  lassen.  Hier  bedurfte  er  jedoch  der  mensch- 
lichen Stimmen,  wenn  er  dem  Hörer  die  geheimen 
Seelenvorgänge  deutlich  veranschaulichen  und  ihm  da- 
durch das  Verständnis  des  ganzen  Werkes  klären 
wollte.  War  es  doch  nahezu  das  einzige  Mal,  daß  sich 
die   innere  Handlung   des  Dramas  Worten   anvertraut, 

103 


allerdings  Worten  von  schleierhafter  Zartheit.  Im 
übrigen  ist  sie  fast  ausschließlich  der  Musik  zugewiesen, 
den  Klängen  des  Orchesters,  die  bang  und  ernst  an 
unser  Ohr  dringen  und  von  seelischen  Zweifeln  und 
Kämpfen,  von  tiefer  Wehmut  und  kraftvoller  Selbst- 
überwindung dunkle  Ahnungen  in  uns  wecken. 

Vielleicht  ist  die  Musik  der  ..Meistersänger"  noch 
reicher  als  die  des  „Tristan"  an  den  verschieden- 
artigsten Motiven;  diese  selbst  aber  werden  von  dem 
Komponisten  nicht  in  so  unerschöpflicher  Mannigfaltig- 
keit wie  dort  umgebildet  und  weiter  entwickelt.  Dafür 
entfaltet  sich  die  kontrapunktische  Kunst  Wagners 
hier  glänzender  als  in  irgend  einem  früheren  Werke. 
Unversiegbar  quillt  seine  Kraft  der  thematischen  Er- 
findung und  der  melodisch-harmonischen  Gestaltung. 
und  in  muntrerem  Wechsel  als  sonst  geht  sie  hier 
bald  auf  ernste,  bald  auf  heitere  Wirkung  aus,  spiegelt 
bürgerliches  Kleinleben  getreu  ab  und  sucht  sogar 
deutsche  Kulturzustände  aus  vergangener  Zeit  mit  ge- 
schichtlich echten  Farben  auszumalen. 

So  bildete  Wagner  ein  Hauptthema  seiner  Musik 
aus  den  Anfangstönen  einer  alten  Meistersingerweise 
heraus,  ließ  auch  außerdem  einzelne  Harmonien  und 
gewisse  Verzierungen  der  Melodien  an  die  Kompo- 
sitionen jener  altdeutschen  Zeit  anklingen.  Ja,  selbst 
aus  Lortzings  Oper  gewann  er  dankenswerte  Anregungen 
für  den  einen  und  andern  humoristischen  Einfall 
seiner  Musik.  Aber  das  Wenige,  was  ihm  seine  Vor- 
gänger darboten,  verwertete  er  so  frei  und  eigen- 
artig, daß  gerade  dabei  die  ganze  Größe  und  Selb- 
ständigkeit seiner  Kunst  besonders  überzeugend  zutage 
trat.  So  hatte  er  sich  ja  auch  im  „Tristan"  durch  die 
Erinnerung  an  Beethovens  letzte  Streichquartette  zu  den 
kühnsten  und  herrlichsten  Offenbarungen  der  eignen 
Schöpferkraft  leiten  lassen. 

Unmittelbar,  nachdem  Wagner  den  Text  der 
„Meistersinger"  veröffentlicht  hatte,  entschloß  er  sich 
im  Frühling  1863,   auch  die  Dichtung   der  Nibelungen- 

104 


105 


tragödie,  die  er  bisher  nur  an  wenige  Freunde  ver- 
teilt hatte,  dem  ganzen  Publikum  zugänglich  zu 
machen.  In  dem  Vorwort  zu  der  neuen  Ausgabe  legte  er 
seinen  Plan  einer  künftigen  Aufführung  der 
Tetralogie  ausführlich  dar.  Seit  den  ersten  Züricher 
Jahren  schwebte  dieser  Plan  ihm  vor;  jetzt  schien 
er  bereits  vollständig  ausgereift.  Wagner  dachte  in 
einer  minder  großen  Stadt  Deutschlands,  die  kein 
ständiges  Theater  besitze,  nach  einem  Entwurf,  den  er 
mit  Semper  gründlich  erwogen  hatte,  ein  einfaches, 
provisorisches  Theatergebäude  mit  amphitheatralischer 
Einrichtung  für  die  Zuschauer  und  unsichtbarem 
Orchester  zu  errichten.  Hier  wollte  er  den  „Ring  des 
Nibelungen"  nach  mehrmonatlichen  Proben  etwa  drei- 
mal nach  einander  an  je  vier  Sommerabenden  vor 
einem  aus  Nah'  und  Fern  versammelten  Festpublikum 
in  möglichst  künstlerischer  Vollendung  aufführen.  Um 
die  Kosten  des  Unternehmens  zu  decken,  bedurfte  es 
entweder  eines  Vereines  kunstliebender  vermögender 
Männer  und  Frauen,  oder  ein  deutscher  Fürst  mußte 
sich  entschließen,  die  Summe,  die  er  bisher  alljährlich 
für  die  Oper  in  seinem  Hoftheater  verschwendete, 
einem  höheren  Kunstzwecke  zu  widmen.  Aber  ohne 
Aussicht,  daß  einer  dieser  beiden  Wünsche  je  sich  er- 
füllen werde,  schloß  Wagner  sein  Vorwort  mit  dem 
entsagungsvollen  Bekenntnis:  „Ich  hoffe  nicht  mehr, 
die  Aufführung  meines  Bühnenfestspiels  zu  erleben." 
Diese  Überzeugung,  daß  er  auf  allen  wahrhaft 
künstlerischen  Erfolg  in  seinem  reinsten  und  reifsten 
Streben  endgültig  verzichten  müsse,  befestigte  sich  noch 
mehr  in  dem  folgenden  Jahre.  Sie  konnte  durch 
flüchtige  Triumphe  in  Konzerten  ebensowenig  er- 
schüttert werden  wie  durch  den  Beifall,  den  er  für 
seine  Vorschläge  zur  Reform  des  Wiener  Hof- 
operntheaters  (im  Wiener  „Botschafter"  1863)  zu- 
nächst erntete.  Durchaus  fern  von  unerfüllbaren  For- 
derungen, stets  praktisch-besonnen,  verlangte  er  Ver- 
ringerung der  Spielabende,   dafür  aber  gute,  das  heißt 

106 


vor  allem  deutliche  und  verständliche  Aufführungen; 
um  diese  leichter  zu  ermöglichen,  wollte  er  mehrere 
Einrichtungen  der  Pariser  Großen  Oper  auch  auf  das 
Wiener  Hoftheater  übertragen  wissen.  Eine  tatsäch- 
liche Annahme  dieser  Vorschläge  von  Seiten  der  zu- 
ständigen Behörden  durfte  Wagner  freilich  nicht 
erwarten,  trotzdem  man  seinen  Ansichten  im  ersten 
Augenblicke  beistimmte.  Überhaupt  mußte  er  nach 
und  nach  einsehen,  daß  die  Gunst,  die  ihm  die  Wiener 
Opernlcitung  entgegengebracht  hatte,  von  keiner  Dauer 
sei.  Wenigstens  gab  man  ihm  deutlich  genug  zu  ver- 
stehen, daß  er  bei  seinen  „Meistersingern"  auf  die 
Wiener  Bühne  nicht  zuversichtlicher  als  auf  jedes 
andere  Theater  rechnen  dürfe. 

Diese  Erkenntnis  untergrub  seine  Schaffensfreude 
vollständig.  Er  durfte  von  den  Menschen  nichts  mehr 
hoffen,  auch  von  seinem  Volke  nicht,  das  ihn  zwar 
mit  Jubel  begrüßte,  aber  nicht  Tatkraft  oder  nicht 
Macht  genug  besaß,  um  ihm  sein  Ideal  verwirklichen 
zu  helfen ;  so  wollte  er  denn  nunmehr  auch  fern  von  den 
Menschen  und  zumal  in  völliger  Abgeschiedenheit  von 
allem  deutschen  Kunsttreiben  leben.  Im  März  1864  ver- 
ließ er  Penzing.  Vier  Wochen  weilte  er,  aus  düstern 
Sorgen  bang  in  die  Zukunft  schauend,  bei  Frau  Wille 
zu  Mariafeld  am  Züricher  See.  Dann  reiste  er  nach 
Stuttgart  weiter,  um  sich  von  hier  aus  an  einen  altge- 
legenen Ort  in  der  Rauhen  Alb  zurückzuziehen.  In 
der  Einsamkeit  dachte  er  die  Partitur  seiner  „Meister- 
singer" zu  vollenden.  Nur  ein  junger  musikalischer 
Anhänger,  Wendelin  Weißheimer,  von  Biebrich  her 
ihm  befreundet,  sollte  ihn  begleiten.  Da,  im  aller- 
letzten Augenblick,  erreichte  ihn  die  unerwartete  Nach- 
richt, daß  ihm  der  Weg  zum  höchsten  Ziele  jetzt 
endlich  geebnet  werden  sollte.  Das  Unglaubliche  war 
wahr  geworden:  der  deutsche  Fürst  hatte  sich  ge- 
funden, der  den  größten  Künstler  seiner  Zeit  liebevoll 
verstand  und  in  echt  königlicher  Gesinnung  ihm  und 
seinem  Streben  ein  Schirmherr  sein  wollte. 

107 


VII. 


Im   10.   März    1864   hatte   König  Ludwig  II., 


achtzehn  Jahre  alt,  den  bayrischen  Thron  be- 
stiegen. Geistig  groß  angelegt  und  nament- 
lich mit  einem  schwärmerisch  warmen  Sinn 
für  künstlerische  Schönheit  begabt,  hatte  er  gleich 
bei  den  ersten  Aufführungen  Wagnerischer  Werke, 
denen  er  in  München  beiwohnte,  den  tiefsten  Ein- 
druck empfangen.  Seine  Begeisterung  für  den  Dichter 
und  Komponisten  wuchs,  je  mehr  er  von  dessen 
Schriften  und  Plänen  kennen  lernte,  und  zu  ihr  ge- 
sellte sich  alsbald  der  tatenfrohe  Wille,  dem  von  allen 
Verlassenen  mit  königlicher  Macht  zu  helfen.  So- 
gleich nach  seinem  Regierungsantritt  berief  er  Wag- 
ner zu  sieh.  Am  4.  Mai  stand  der  Künstler  zum  ersten- 
mal dem  herrlichen  Jüngling  gegenüber,  und  von  da 
an  verband  die  beiden  eine  auf  die  edelsten  Empfin- 
dungen des  Herzens  und  auf  die  höchsten  Bestrebungen 
des  Geistes  gegründete  Freundschaft,  deren  innige 
Treue  und  belebenden  Zauber  keine  Tücke  des  Ge- 
schickes mehr  brechen  sollte. 

In   vielfachem,   unmittelbarem  Verkehr  mit  König 
Ludwig  verbrachte  Wagner  den  Sommer  zu  Starnbere 


108 


109 


auf  dem  Lande;  im  Herbst  siedelte  er  nach  München 
über.  Freunde  seiner  Kunst  wurden  bald  nach  ihm  in 
die  bayrische  Hauptstadt  berufen,  zunächst  Hans  von 
Bülow,  kurz  darauf  Ludwig  Schnorr  von  Carolsfeld,  der 
erste,  seither  künstlerisch  nicht  wieder  erreichte  Sänger 
des  Tristan,  der  leider  plötzlich  starb  (im  Juli  1865),  bevor 
er  dauernd  für  München  gewonnen  werden  konnte. 
Einer  der  liebsten  Freunde,  sehnsuchtsvoll  herbei- 
gewünscht, war  der  Dichter  und  Komponist  Peter 
Cornelius,  dem  sich  Wagner  seit  den  ersten  Wiener 
Wochen  besonders  herzlich  zugetan  fühlte.  Ihm  folgten 
der  junge  Musiker  und  Musik  schriftsteiler  Heinrich 
Porges,  unwandelbar  in  seiner  Treue  gegen  Wagner, 
und  noch  mancher  andere.  Liszt  und  Semper  stellten 
sich  zum  Besuche  ein.  Dieser  erhielt  den  königlichen 
Auftrag,  Pläne  zu  einem  Theater  zu  entwerfen,  wie 
Wagner  es  für  seine  Nibelungentragödie  bedurfte. 
Denn  die  Vollendung  der  Tetralogie  war  es  vor  allem, 
was  die  Gnade  Ludwigs  II.  dem  Künstler  ermöglichen 
wollte. 

Aber  die  Wiederaufnahme  der  Komposition  des 
„Siegfried"  hinderte  nicht,  daß  Wagner  nicht  auch 
sonst  als  Musiker  und  als  Schriftsteller  eifrig  tätig  war. 
Er  veranstaltete  und  leitete  zum  Teil  persönlich  Auf- 
führungen des  „Fliegenden  Holländers",  des  ..Tann- 
häuser" und  namentlich  die  vier  ersten,  aus  dem 
alltäglichen  Theatergeleise  in  jeder  Art  festlich  heraus- 
tretenden Vorstellungen  des  „Tristan"  im  Juni  und 
Juli  1865,  die  zahlreiche,  begeisterte  Gäste  nach  Mün- 
chen lockten.  Der  Dankbarkeit  und  Liebe  zu  seinem 
edlen  Beschützer  gab  er  noch  1864  als  Künstler  Aus- 
druck in  dem  „Huld  igungs  mar  seh",  einem  prächtig- 
klingenden  Gelegenheitsstück,  das  zum  Vortrag  durch 
Militärmusik  im  Freien  bestimmt  und  demgemäß  ein- 
facher als  Wagners  sonstige  Orchesterwerke  ge- 
halten war. 

Für  den  königlichen  Freund  und  auf  dessen  aus- 
drücklichen   Wunsch    verfaßte    er    zur    gleichen   Zeit 

110 


einen  Aufsatz  „Über  Staat  und  Religion".  Im 
Lichte  der  Schopenbauerschen  Philosophie  sah  er  jetzt 
allerdings  einzelnes  im  Staat  und  Christentum  anders 
an  als  vor  fünfzehn  Jahren,  da  er  sich  unter  dem  Ein- 
flüsse Feuerbachs  und  Hegels  mehrfach  über  beide 
Fragen  geäufäert  hatte.  Über  Schopenhauer  hinaus 
ging  er  besonders  in  seiner  Auffassung  des  Königtums. 
Das  Ideal  des  Staates  erblickte  er  in  der  Person  des 
Königs.  Seine  fast  übermenschliche  Stellung  drängt 
diesen  vor  andern  dazu ,  das  Leben  nach  seinem  tief- 
sten Ernst  zu  erfassen ;  sein  Streben  aber  nach  dem 
in  unserer  Welt  nie  ganz  zu  verwirklichenden  Ideal 
der  Gerechtigkeit  und  Menschlichkeit  gestaltet  sein 
Los  vor  allem  tragisch.  Er  bedarf  deshalb  auch  am 
meisten  der  wahren,  von  Dogma  und  Dogmenstreit 
unabhängigen,  im  innersten  Gefühl  des  Menschen 
lebenden  Religion ;  sie  allein  kann  ihm  helfen ,  sein 
Ideal  zu  erreichen.  Um  aber  zuweilen  ihn  aus  dem 
Ernst  des  Lebens  in  heitre  Täuschung  zu  entrücken, 
dazu  dient  die  Kunst.  Sie,  der  Anfang  und  das  Ende 
aller  theoretischen  Forschung  bei  Wagner,  bildete  un- 
gezwungen auch  in  diesem  Aufsatze,  der  geistvoll  be- 
lehrend und  mahnend  ganz  andre  Ziele  zu  verfolgen 
schien,  den  Schluß. 

Gleichfalls  auf  den  Wunsch  des  Königs  verfaßte 
Wagner  einen  umfangreichen  Bericht  über  eine  in 
München  zu  errichtende  deutsche  Musik- 
schule. Alles  rein  Theoretische,  wie  Kompositions- 
lehre, Vorträge  über  Ästhetik  oder  Musikgeschichte, 
schob  er  hier  vorläufig  beiseite.  Desto  gründlicher 
trug  er  Sorge  für  die  praktische  Ausbildung  der 
Schüler,  aber  nicht  nur  in  elementar-technischer  Weise, 
sondern  im  höchsten  musikalischen  Sinne.  Er  forderte 
daher  vor  allem  sorgfältigste  Anleitung  zum  richtigen 
Vortrag.  Am  wichtigsten  schien  ihm  eine  Gesangs- 
schule, verbunden  mit  eingehendem  Unterricht  im 
künstlerischen  (nicht  virtuosen)  Klavierspiel;  dazu  sollte 
sich  allmählich   eine   Theaterschule   und   ein  vollstän- 

111 


diges  Orchesterinstitut  gesellen.  Als  das  höchste  Ziel 
schwebte  ihm  die  Begründung  eines  künstlerischen 
Stils  vor  für    den  Vortrag  der  Werke  unsrer  älteren 

Meister  und  im  Zu- 
sammenhang damit  für 
die  schöpferische  Fort- 
entwicklung deutscher 
.^JBtifc^Mk.  Musik   in    der  Zukunft. 

Es  war   nicht  möglich, 
den  Plan  Wagners  mit 


allen  Einzelheiten 
genau  so,  wie  er 
es  vorgeschlagen 
hatte ,  ins  Werk 
zu  setzen.  Doch 
wurde  im  allge- 
meinen auf  Grund 
seines  Berichtes 
an  Stelle  des 
früheren,  1865  ge- 


Wagners  Wohnhaus  in  München. 


112 


schlossenen  Konservatoriums  1867  zu  München  eine 
neue  Musikschule  ins  Leben  gerufen  und  Bülow  zu- 
nächst mit  ihrer  Leitung  betraut. 

Aber  längst,  ehe  es  dazu  kam,  hatten  Mißgünstige 
aller  Art,  die  sich  einer  skandalsüchtigen  Lokalpresse 
bedienten,  durch  ein  plumpes,  aber  vielverschlungenes 
Gewebe  kleinlicher  Ränke  den  König  genötigt,  sich 
von  seinem  „Günstling"  zu  trennen.  Gegen  solche 
Feinde  wehrlos,  brachten  Fürst  und  Künstler  gemein- 
sam das  geforderte  Opfer:  im  Dezember  1865  verließ 
Wagner  München.  Für  die  nächsten  Monate  begab  er 
sich  nach  Genf;  von  dort  aus  unternahm  er  auch  einen 
kurzen  Ausflug  nach  Südfrankreich.  Im  Frühling  fand 
er  endlich  ein  neues  Heim  in  Tribschen  bei  Luzern. 

Sein  Seelenbund  mit  dem  König  blieb  ungelockert. 
Ihr  festes  gegenseitiges  Vertrauen  vermochte  kein  Ver- 
leumder zu  erschüttern.  Unablässig  bewährte  Lud- 
wig IL  dem  Freunde  seine  liebevolle  Teilnahme.  Schon 
im  Mai  1866  suchte  er  ihn  in  seinem  weltabgeschie- 
denen Zufluchtsort  auf.  Wagner  selbst  kehrte  jedoch 
erst  von  1867  an  wieder  mehrmals  auf  kurze  Zeit  nach 
München  zurück,  um  die  Proben  zu  besonders  bedeut- 
samen Aufführungen  seiner  Werke  zu  überwachen.  So 
wurde  im  Juni  1867  mustergültig  „Lohengrin"  ge- 
geben; am  21.  Juni  1868  gelangten  die  „Meistersinger", 
am  22.  September  1869  „Rheingold",  am  26.  Juni  1870 
die  „Walküre"  zum  erstenmal  auf  die  Bühne,  die  zwei 
letzten  Werke  freilich  gegen  Wagners  ursprüngliche 
Absicht. 

In  Tribschen  widmete  sich  der  Künstler  fast  aus- 
schließlich angestrengter  Arbeit,  nunmehr  aber  belebt 
und  erheitert  durch  die  stets  zuversichtlichere  Hoff- 
nung, daf3  die  Gunst  seines  königlichen  Freundes  ihm 
den  vollen  Erfolg  verbürge.  Längere  Zeit  befand  sich 
zunächst  Hans  von  Bülow  bei  ihm.  Auch  nach  seinem 
Abschied  blieb  seine  Gattin  Cosima,  die  Tochter 
Liszts,  mit  ihren  Kindern  bei  Wagner  zurück.  Schon 
in   München  war   ihm    die   seelenverwandte,    bis    zur 

Muncker,  R.  Wagner.     2.  Aufl.  8  1 13 


Aufopferung  hilfsbereite  Freundin  innig  nahe  getreten ; 
jetzt  löste  sie  ihren  Bund  mit  Bülow  in  der  klaren 
Erkenntnis,  daß  Wagner  ihrer  zu  seinem  dauernden 
Glück  bedurfte  und  daß  ihr  eignes  Leben  erst  im  Ver- 
ein mit  dem  seinen  höchsten  Gehalt  und  Wert  ge- 
wann. 

Seit  dem  Oktober  1866  weilte  der  junge ,  musika- 
lisch ungemein  begabte  Hans  Richter  in  Tribschen, 
um  die  Reinschrift  der  Partitur  der  „Meistersinger" 
herzustellen  und  ihre  Veröffentlichung  zu  überwachen. 
Andre  Gäste  fanden  sich  zu  flüchtigerem  Aufenthalt 
ein.  Oft  kam  vom  Mai  1869  an  Friedrich  Nietzsche 
aus  Basel,  wo  er  als  Professor  wirkte,  auf  einige  Tage 
nach  Tribschen  herüber,  stets  mit  heller  Freude  be- 
grüßt. Innig  liebte  Wagner  den  jungen  Freund,  dessen 
reicher,  kühn  fliegender  Geist  in  ihm  die  größten  Hoff- 
nungen erweckte.  Und  Nietzsche  bewunderte  damals 
glühend  den  Künstler,  der  ihm  das  Wesen  des  Genies 
verkörperte,  und  seine  Kunst;  geistvoll  wie  kaum  ein 
Zweiter  sprach  er  seine  tiefe  Erkenntnis  von  dem 
Großen,  das  er  jetzt  erlebte,  mit  zündenden  Worten  aus. 

Während  Wagner  die  „Meistersinger"  vollendete, 
begann  er  auch  schon,  durch  einen  Wunsch  des  Königs 
angeregt,  die  Geschichte  seines  eignen  Lebens 
der  geliebten  Frau  in  die  Feder  zu  diktieren.  Nur 
für  sie  und  eine  winzige  Auswahl  von  allernächsten 
Freunden  bestimmte  er  das  Werk ;  der  Öffentlichkeit 
blieb  es  bis  heute  vorenthalten. 

Auch  nach  dem  Abschluß  der  großen  musikalischen 
Schöpfung  führte  er,  wie  zur  Erholung  von  der  künst- 
lerischen Arbeit,  wieder  verschiedne  schriftstellerische 
Gedanken  aus.  Dazu  ermunterte  ihn  noch  ein  äußerer 
Zufall :  ein  bereits  früher  von  ihm  erwogener  Plan  ge- 
langte jetzt  zur  Ausführung.  Im  Oktober  1867  wurde 
in  München  mit  Unterstützung  der  Regierung  und  des 
Königs  eine  neue  Zeitung  von  gutem  Namen  und  an- 
erkennenswerter politischer  Haltung,  die  ..Süddeutsche 
Presse",   begründet   und   zu  ihrem  Herausgeber  Julius 

114 


Fröbel  berufen ,  den  Wagner  schon  von  Dresden  und 
Wien  her  kannte.  Für  sie  schrieb  er  außer  einigen 
satirisch  gewürzten  Anzeigen  neuer  Bücher  nament- 
lich die  umfangreiche  Abhandlung  „Deutsche  Kunst 
und  deutsche  Politik",  die  sogleich  (1868)  auch 
in  einer  selbständigen  Ausgabe  erschien. 

Wie  fast  in  allen  seinen  bisherigen  theoretischen 
Schriften,  verfolgte  Wagner  auch  hier  in  letzter  Linie 
die  Absicht,  das  deutsche  Theater,  dessen  gegenwär- 
tiger Zustand  die  Verwahrlosung  des  öffentlichen  deut- 
schen Kunstgeistes  am  krassesten  zeigte,  im  wahrhaft 
nationalen  Sinne  künstlerisch  umzubilden  und  dadurch 
diesen  Kunstgeist  überhaupt  zu  heben.  Er  wieder- 
holte daher  auch  im  einzelnen  mehrfach  Gedanken, 
die  er  früher  schon  öfters  ausgeführt  hatte;  nur  be- 
trachtete er  jetzt,  angeregt  durch  den  politischen  Denker 
Constantin  Frantz,  die  Begründung  einer  echt  deut- 
schen Kunst  aus  einem  neuen  Gesichtspunkt.  Auf 
das  schroffste  widersprach  ein  solches  Beginnen  der 
französischen  Zivilisation,  die  uns  nunmehr  seit  Jahr- 
hunderten übermächtig  beherrschte;  darum  faßte  er 
es  zugleich  als  eine  Tat  wahrer  deutscher  Politik  auf, 
die  uns  am  sichersten  auch  von  dem  staatlichen  Über- 
gewicht Frankreichs  befreie.  Indem  er  so  mit  seiner 
im  Grunde  ästhetischen  Untersuchung  bedeutsam  auf 
das  politisch-nationale  Gebiet  hinübergriff,  berührte  er 
die  verschiedensten  Fragen  des  öffentlichen  Lebens, 
die  zum  Teil  gerade  damals  vielfach  besprochen  wur- 
den, die  Ansprüche  der  Kirche  und  des  Staates  auf 
die  Herrschaft  in  der  Schule ,  die  allgemeine  Wehr- 
pflicht, das  Begnadigungsrecht  der  Könige.  Er  zeigte 
die  verderblichen  Einwirkungen  des  französischen 
Geistes  auf  die  deutsche  Kunst,  die  allseitige,  ver- 
diente Verachtung  des  modernen  Theaters  in  Deutsch- 
land, betrachtete  das  Verhältnis  des  Schauspielers  zum 
Dichter  und  im  Zusammenhang  damit  den  allgemeinen 
Gegensatz  von  Idealismus  und  Realismus  in  der  Kunst, 
beleuchtete   die  Stellung  des  deutschen  Theaters  zum 

115 


Dichter.  Musiker,  bildenden  Künstler,  aber  auch  zur 
Schule,  zur  bürgerlichen  Gesellschaft,  zum  Staat  und 
zum  Königtum.  Er  erwog  die  huldvolle  Pflege,  die 
Bayerns  Könige  Künsten  und  Wissenschaften  ange- 
deihen  ließen,  und  erkannte  Bayerns  besonderen  deut- 
schen Beruf,  durch  den  allein  es  seine  Selbständigkeit 
neben  Preußen  dauernd  wahren  könne,  in  der  Förde- 
rung des  über  die  bloße  praktische  Nützlichkeit  hin- 
ausstrebenden deutschen  Geistes,  somit  vornehmlich 
in  der  Ausbildung  eines  deutschen  Stiles  auf  dem  Ge- 
biete des  lebendigen  Dramas.  Unter  diesem  Stil  ver- 
stand er  aber  „die  vollkommen  erreichte  und  zum  Ge- 
setz erhobene  Übereinstimmung  der  theatralischen  Dar- 
stellung mit  dem  dargestellten  wahrhaft  deutschen 
Dichter  werke". 

Mit  kräftigem  Nachdruck,  aber  ohne  jegliche  par- 
teiische Einseitigkeit  und  Leidenschaft  sprach  Wagner 
in  allen  diesen  Fragen  seine  Überzeugung  aus.  Inner- 
lich begründete  er  alles  auf  das  sorgsamste:  äußerlich 
reihte  er  das  Einzelne  loser  an  einander,  ohne  stets 
auf  einen  einheitlichen,  systematischen  Aufbau  der 
Schrift  Bedacht  zu  nehmen 

Mit  der  Abhandlung  „Über  das  Dirigieren" 
aus  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1869  begab  er  sich 
wieder  in  den  ausschließlichen  Bereich  der  Musik.  An 
zahlreichen  Beispielen  aus  der  eignen  Erfahrung  zeigte 
er,  wie  wenig  die  meisten  deutschen  Kapellmeister 
der  neueren  Zeit,  namentlich  die  eleganten,  rasch  über 
alles  hinweg  eilenden  Dirigenten  aus  Mendelssohns 
Schule,  die  Schönheiten  unserer  musikalischen  Meister- 
werke im  Theater  oder  Konzertsaale  zum  künstlerisch 
befriedigenden  Ausdruck  brächten.  Den  Grund  davon 
erblickte  er  in  dem  geringen  Verständnis  dieser  Mu- 
siker vom  Gesang;  nur  dieses  lasse  stets  das  richtige 
Zeitmaß  erkennen,  nur  das  richtige  Tempo  aber  lehre 
überall  den  rechten  musikalischen  Vortrag.  Und  auf 
charakteristisch  bedeutenden  Vortrag  schien  ihm,  dem 
größten  Meister  des  Dirigierens  im  neunzehnten  Jahr- 

116 


hundert,  alles  anzukommen.  Er  verzichtete  durchaus 
darauf,  allgemeine  Regeln  aufzustellen;  das  gute  Bei- 
spiel betrachtete  er  als  das  einzige  Mittel,  um  rechte 
Vortragsweise  zu  lehren  und  dadurch  auch  den  schäd- 
lichen Einfluß  jener  charakterlos  -  oberflächlichen  Art 
des  Dirigierens  auf  die  moderne  Kompositionskunst 
zu  hemmen. 

Neue,  grofse  Aussichten  eröffnete  das  bedeutungs- 
volle Jahr  1870  dem  Menschen  wie  dem  Künstler 
Wagner.  In  Cosima  v o n  B ü  1  o w  wurde  ihm  die 
Gattin  angetraut,  nach  der  er  sich  so  lange  schmerz- 
lich gesehnt  hatte,  die  ihn  ebenso  hingebungsvoll  und 
leidenschaftlich  liebte,  wie  sie  sein  künstlerisches  Stre- 
ben und  sein  gesamtes  geistiges  Wesen  innig  verstand. 
Sie  erst  ließ  ihn  das  volle  Glück  eigner,  traulicher  Häus- 
lichkeit, die  Seligkeit  eines  durch  keinen  Zweifel  mehr 
getrübten  Geistes-  und  Herzensbundes  empfinden;  sie 
vermittelte  aber  auch  vor  allem  bei  seinem  Verkehr 
mit  der  Aufsenwelt,  der  so  oft  bisher  für  den  empfind- 
lichen, der  Gemeinheit  des  Lebens  wehrlos  preisgege- 
benen Künstler  ein  Herd  von  Qualen  gewesen  war.  Sie 
schenkte  ihm  neben  zwei  Töchtern  den  Sohn,  dessen 
Geburt  ihn  mit  unbeschreiblichem  Entzücken  erfüllte. 
Gleich  dem  Helden  seines  grofsen  Werkes,  dessen  Taten 
er  gerade  in  jubelnden  Tönen  verherrlichte,  nannte  er 
ihn  Siegfried.  Seinen  tiefen,  freudigen  Dank  für  alles, 
was  ihm  die  geliebte  Frau  gegeben,  sprach  er  ihr  zum 
Weihnachtefest  1870  in  dem  „Siegfried -Idyll"  aus, 
einem  zart  empfundenen  Orehesterstück,  das  sein  häus- 
liches Glück  inmitten  der  reizvollen  Landschaft  anmutig 
schilderte.  Dazu  mußte  die  Liebesszene  im  dritten 
Akte  des  Siegfrieddramas  dem  Komponisten  ihre  lieb- 
lichsten, durch  seligen  Frieden  und  kindlich  reine  Hei- 
terkeit bezaubernden  Melodien  leihen.  Diese  Themen 
löste  er  aus  dem  dramatisch-tragischen  Zusammenhang, 
indem  er  jedes  andere  Motiv  der  Tetralogie,  das  dort 
neben  oder  zwischen  ihnen  erklang,  verstummen  ließ; 
dann  verband  er  sie  zierlich   unter  einander  zu  einem 

117 


neuen  Kunstwerk  von  schlichter  und  doch  hold  rühren- 
der Schönheit. 

Mit  freudigster  Begeisterung  begrüßte  er  in  dem- 
selben Jahre  die  Erhebung  Alldeutschlands  gegen  den 
Erbfeind.  In  den  politischen  Siegen  unsres  Volkes 
über  das  französische  Heer  erblickte  er  eine  Gewähr, 
daß  nun  endlich  auch  die  deutsche  Kunst  den  Sieg, 
um  den  er  so  lange  vergebens  gerungen,  feiern  werde. 
Von  dieser  Hoffnung  belebt,  spannte  er  seine  Kraft  zu 
neuerdings  weit  ausgreifender,  glücklicher  Tätigkeit  an. 

Im  September  1870  vollendete  er  seine  philoso- 
phisch tief  gründende,  von  höchster  Begeisterung  für 
den  gefeierten  Genius  und  für  die  Musik  überhaupt 
erfüllte  Schrift  „Beethoven".  Er  ging  von  der  An- 
sicht Schopenhauers  aus,  daß  die  übrigen  Künste  nur 
die  Erscheinungsformen  der  Dinge,  die  Ideen,  zum  Ob- 
jekt haben,  die  Musik  dagegen  das  unmittelbare  Ab- 
bild des  Willens  selbst,  des  inneren  Wesens  der  Welt 
ist.  Allein  was  der  Frankfurter  Denker  als  Laie  in 
der  Musik  nur  wie  ein  tiefsinniges  Paradoxon  ausge- 
sprochen hatte,  das  führte  Wagner  als  Musiker  von 
Beruf  mit  Hilfe  des  sonstigen  philosophischen  Materials, 
das  er  in  den  Schriften  Schopenhauers  fand,  zu  einer 
theoretisch  erschöpfenden  Erklärung  des  Wesens  der 
Musik  und  der  Natur  des  Musikers  aus  und  erläuterte 
es  an  dem  Beispiel  Beethovens,  an  dem  Entwicklungs- 
gang seines  Genius,  an  seinem  Verhältnis  zur  Welt  und 
zu  seiner  Kunst.  Er  beleuchtete  an  einzelnen  Haupt- 
werken des  Meisters  seine  besonderen  geschichtlichen 
Verdienste :  Beethoven  führte  die  Melodie  zur  höchsten 
Natureinfachheit  zurück,  verband  in  selbständig-neuer 
Weise  reine  Instrumentalmusik  mit  instrumental  be- 
handelten Singstimmen,  erweiterte  dadurch  den  sym- 
phonischen Bau  bedeutsam  und  steigerte  seine  Wirkung 
zu  ungeahnter  Höhe.  Aber  auch  die  Verwandtschaft 
der  künstlerischen  Natur  Beethovens  mit  der  in  ihrer 
Genialität  ebenso  unbegreiflichen  Shakespeares  be- 
trachtete Wagner ;  dabei  erhob  er  zugleich  wieder  den 

118 


Richard  Wagner  nach  einem  Gemälde  von  Franz  v.  Lenbach  (1874). 


119 


Blick  zu  dem  Ideal  des  wahren  Dramas,  das  ihm  aller- 
wärfcs  vorschwebte.  Nach  diesem  Ideale,  nach  edler 
Neubeseelung  unsrer  Kunst  und  unsrer  gesamten  Zivi- 
lisation, die  er  im  Sinne  Beethovens  von  der  Herrschaft 
des  französischen  Geschmacks,  von  der  „frechen  Mode" 
befreit  wissen  wollte,  hieß  er  sein  tapferes  deutsches 
Volk  ringen  im  reformatorischen,  nicht  im  revolutio- 
nären Geist,  als  Weltbeglücker,  dem  der  Rang  noch 
vor  dem  Welteroberer  gehöre. 

Dem  ernsten  Kampfe  gegen  den  französischen  Ge- 
schmack folgte  nach  einigen  Monaten  als  burleskes  Nach- 
spiel eine  übermütige  Satire  auf  die  belagerten  Pariser, 
ihre  Regierung  und  Kriegsführung,  ihren  patriotisch 
eifernden  Dichter  Victor  Hugo,  ihre  Lust  an  Oper  und 
Ballett,  zugleich  auf  Jaques  Offenbach  und  das  von  der 
Pariser  Mode  beherrschte  deutsche  Theater.  Das  Ganze 
arbeitete  Wagner  unter  dem  Titel  „Eine  Kapitu- 
lation" als  „Lustspiel  in  antiker  Manier"  rasch  aus; 
Hans  Richter  sollte  die  Musik  dazu  schreiben.  Doch 
kam  es  nicht  so  weit,  da  das  Stück  von  dem  Berliner 
Vorstadttheater,  dem  es  Wagner  anonym  zur  Auf- 
führung anbot,  abgewiesen  wurde.  Der  echte  Aristo- 
phanische Stil  war  hier  besser  als  in  allen  ähnlichen 
Versuchen  deutscher  Dichter  getroffen.  Wie  kunstlos 
auch  scheinbar  die  ganze  Posse  angelegt  und  be- 
sonders Sprache  und  Vers  behandelt  war,  so  diente 
doch  gerade  diese  Leichtigkeit,  ja  vermeintliche  Leich- 
fertigkeit der  Form  überaus  glücklich  dem  Zweck,  den 
der  Dichter  verfolgte.  Lind  überall  strotzte  sein  Lust- 
spiel von  den  tollsten  Scherzen,  von  unfehlbar  wirken- 
den Einfällen  einer  unerschöpflichen  Phantasie ;  durch- 
aus erwies  es  sich  als  ein  Werk  heiterster  Laune,  trotz 
aller  Satire  den  harmlosen  Zauberpossen  eines  Ferdi- 
nand Raimund  innerlich  verwandt. 

Zu  höheren  Sphären  schwang  sich,  von  vater- 
ländischer Begeisterung  getragen,  Wagners  Kunst  em- 
por, als  auf  den  Sieg  seines  Volkes  das  neue  deutsche 
Reich    begründet    wurde:    er    schrieb    den    „Kaiser- 

120 


marsch".  Seiner  äußeren  Form  nach  stand  das  Werk 
dem  „Huldigungsmarsch"  am  nächsten ;  es  war  in  der- 
selben Weise  gegliedert  und  rhythmisch  durchaus  ähn- 
lich behandelt.  In  diese  Form  war  aber  hier  ein  an  sie- 
gender Kraft  und  zündendem  Feuer  reicherer  Tongehalt 
gegossen.  Mächtiger  bekundete  sich  in  dem  musikali- 
schen Aufbau  die  dramatische  Eigenart  der  Wagnerschen 
Kompositionskunst :  das  heldenhaft-feierliche  Haupt- 
thema, gepaart  mit  den  ehernen  Anfangsklängen  des 
Lutherischen  Triumphgesangs,  dem  Ausdruck  wankel- 
losen Vertrauens  und  zäher  Festigkeit,  kämpft  sich 
gleichsam  durch  den  figurierten  Zwischensatz  kraftvoll 
durch.  Viel  gewaltiger  als  der  frühere  Marsch  ange- 
legt, erforderte  das  Werk  auch  bedeutendere  Ausdrucks- 
mittel, neben  einem  großen  Festorchester  noch  einen 
zahlreichen  gemischten  Chor  für  den  Schlußsatz. 

Um  dieselbe  Zeit  reifte  in  Wagner  der  Plan,  seine 
in  Broschüren,  Textbüchern  und  Zeitungen  vielfach 
zerstreuten  Schriften  und  Dichtungen  in  einer 
neuen  Ausgabe  zu  vereinigen.  Bereits  im  Sommer 
1871  lag  der  erste  Band  dieser  Sammlung  fertig  vor, 
dem  in  den  nächsten  zwei  Jahren  acht  weitere  folgten ; 
ein  zehnter  Band  erschien  noch  nach  Wagners  Tode. 
Manches  schriftstellerische  und  dichterische  Erzeugnis 
besonders  aus  den  früheren  Jahren  des  Künstlers  war 
hier  ausgeschieden,  anderes  mehr  oder  minder  über- 
arbeitet. Die  einzelnen  Werke  waren  im  allgemeinen 
nach  der  Zeit  ihres  Entstehens  geordnet  und  zeigten 
dadurch  schon  äußerlich,  dafa  ihr  Verfasser  sie  nicht 
als  ein  organisch  zusammenhängendes  wissenschaft- 
liches System  betrachtet  wissen,  sondern  in  ihnen  vor- 
nehmlich ein  geschichtlich  getreues  Abbild  seines 
geistigen  Entwicklungsganges  darbieten  wollte. 

Wie  sehr  gleichwohl  seine  schriftstellerischen 
Äußerungen  aus  den  verschiedensten  Perioden  seines 
Lebens  oft  im  innigsten,  widerspruchslosen  Zusammen- 
hang mit  einander  standen ,  bewiesen  gerade  damals 
zwei    kleinere    Arbeiten    Wagners ,    seine    „  E  r  i  n  n  e  - 

121 


rungen"  an  den  im  Mai  1871  verstorbenen  A'uber 
mit  ihrer  vortrefflichen  Charakteristik  der  heitren 
Musik  dieses  echt  französischen  Komponisten  und 
seines  Hauptwerkes,  der  „Stummen  von  Portici",  und 
der  schon  etwas  früher  entstandene  Aufsatz  „Über 
die  Bestimmung  der  Oper",  den  Wagner  im 
April  1871  in  der  Akademie  der  Künste  zu  Berlin 
vorlas.  Er  faßte  hier  einzelne  Hauptpunkte  dessen, 
was  er  in  „Oper  und  Drama"  erschöpfend  ausgeführt 
hatte,  kurz  zusammen,  betonte  dabei  aber  stärker  das 
Verhältnis  des  Schauspiels  und  der  Oper  zu  den 
mimischen  Leistungen  des  deutschen  Theaters,  den 
Einfluß  des  theatralischen  Effektes  auf  die  Entwick- 
lung jener  beiden  Kunstgattungen,  den  notwendigen 
Anteil  des  Schauspielers  und  Sängers  an  ihrer  Ver- 
edlung zum  wahren  Drama. 

Allein  noch  einen  andern,  wichtigeren  Zweck  ver- 
folgte Wagner  auf  dieser  Reise  nach  Berlin  im  Früh- 
ling 1871.  Die  politische  Erhöhung  Deutschlands  hatte 
in  ihm  den  schlummernden  Mut  geweckt,  mit  dem  er 
jetzt  rüstig  und  sicher  an  die  volle  Verwirklichung 
seines  künstlerischen  Ideals  schritt.  König  Ludwigs 
Wunsch,  dem  Künstler  zur  Aufführung  seines  Nibe- 
lungendramas ein  würdiges  Theater  in  München  zu 
erbauen,  war  durch  die  Wühlereien  unverständiger  und 
böswilliger  Gegner  vereitelt  worden.  Da  faßte  Wagner, 
der  seitdem  die  Komposition  der  Tetralogie  zum 
gröMen  Teile  vollendet  hatte,  den  Gedanken,  sich 
selbst  das  Haus  zur  Aufführung  seines  Werks  zu  er- 
bauen und  es  darin  mit  auserlesenen  Kräften  in  Szene 
zu  setzen.  Auf  die  Hilfe  seines  königlichen  Freundes 
durfte  er  auch  bei  diesem  neuen  Plane  vertrauen; 
doch  hoffte  er  die  nicht  geringen  Geldmittel,  deren 
er  für  sein  Unternehmen  bedurfte,  zunächst  durch  einen 
Verein  der  übrigen  Anhänger  seiner  Kunst  zu  er- 
langen. Zum  Orte  seines  Bühnenfestspielhauses  wählte 
er  die  vom  öffentlichen  Kunsttreiben  abseits  gelegene 
bayrische  Stadt  Bayreuth. 

122 


Als  Jüngling  hatte  er  einst  bei  gelegentlicher 
Durchreise  von  ihr  einen  freundlichen  Eindruck  er- 
halten; als  er  sie  jetzt  im  April  und  dann  im  Dezem- 
ber 1871  wieder  besuchte,  fand  er  nicht  nur  diesen 
rein  persönlichen  Eindruck  bestätigt,  sondern  die  Stadt 
überhaupt  für  sein  Vorhaben  durchaus  geeignet  und 
ihre  amtlichen  Vertreter  bereit,  in  jeder  Weise  seinen 
Wünschen  fördernd  entgegenzukommen.  Bald  verband 
ihn  innige  Freundschaft  mit  den  Vorständen  der  stä- 
dtischen Verwaltung,  Bürgermeister  Theodor  Muncker 
und  Bankier  Friedrich  Feustel,  später  besonders  auch 
mit  Feustels  Schwiegersohn,  Bankier  Adolf  Groß.  Noch 
ehe  diese  Männer  seine  Kunst  bewundernd  kennen 
lernten,  erweckte  in  ihnen  seine  Herzensgüte,  Gemüts- 
tiefe, Wahrhaftigkeit  und  bezaubernde  Heiterkeit  im 
geselligen  Umgange  treue  Liebe  zu  ihm;  seine  Cha- 
rakterstrenge und  sein  zielbewußt  schaffender  Ernst 
aber  flößte  ihnen  aufrichtige  Verehrung  ein.  Froh  er- 
kannte Wagner,  daß  ihm  die  kleine  fränkische  Stadt 
in  der  Tat  eine  neue  Heimat  werden  könne:  im 
April  1872  siedelte  er  für  immer  nach  Bayreuth  über. 
Während  des  ersten  Sommers  wohnte  er  noch  in  dem 
zum  Schloß  Fantaisie  gehörigen  Gasthof  des  Dörfchens 
Donndorf,  eine  gute  Stunde  von  der  Stadt  entfernt; 
dann  bezog  er  in  Bayreuth  selbst  eine  Mietwohnung 
und  1874  sein  eignes  Haus  „Wahnfried",  in  welchem 
der  Vielumhergetriebene  ein  schönes,  trautes  Heim  für 
den  Rest  seiner  Tage  gewann. 

Sein  künstlerisches  Unternehmen  wurde  von  seinen 
Gegnern  und  besonders  auch  von  einem  großen  Teil 
der  deutschen  Presse  mit  Spott  überhäuft,  von  seinen 
Freunden  allenthalben  mit  heller  Freude  begrüßt.  Mit 
dem  tatkräftigsten  Eifer  wirkte  für  die  Aufbringung 
der  erforderlichen  Geldmittel  der  junge,  Wagner  schon 
von  Zürich  und  Wien  her  persönlich  befreundete  Pia- 
nist Karl  Tausig  und  nach  dessen  ungeahnt  frühem 
Tode  (im  Juli  1871)  die  Gemahlin  des  preußischen 
Hausministers     Marie     Freifrau    von    Schleinitz.     Der 

123 


Bayreuth. 


Musikalienhändler  Emil  Heckel  gründete 
in  Mannheim  1871  den  ersten  ..Riehard- 
Wagner- Verein ,;  zur  Förderung  des  Bay- 
reuther Plans;  ähnliche  Vereine  folgten 
alsbald  in  vielen  deutschen  und  aus- 
ländischen Städten.  Wagner  selbst  unterbrach  seine 
Arbeit  an  der  Komposition  der  ..Götterdämmerung" 
durch  die  eingehendsten  Beratungen  mit  Architekten, 
Maschinenmeistern.  Dekorationsmalern  und  durch 
Reisen  zu  einzelnen  Vereinen:  namentlich  aber  leitete 
er  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  zahlreiche  Konzerte 
zum  Besten  seines  Unternehmens  in  mehreren  größeren 
Städten,  wie  Berlin,  Mannheim,  Hamburg,  Köln.  Wien, 
Pest,  überall  mit  dem  stolzesten  Erfolge.  Auf  ähnliche 
Weise  suchte  vor  allem  auch  Bülow  die  Sache  seines 
Freundes  aufopferungsvoll  zu  unterstützen. 

Am  22.  Mai  1872  fand  die  feierliche  Grundstein- 
legung des  Theaterbaues  in  Bayreuth  statt.  Die  da- 
mit verbundene  mustergültige  Aufführung  der  „Neunten 
Symphonie"  und  des  „Kaisermarsches"  gab  zugleich 
eine  erste  Probe  von  dem,  was  Richard  Wagner  mit 
tüchtigen  Sängern  und  Musikern ,  die  vorurteilsfrei 
seinem  Worte  folgten,  künstlerisch  leisten  konnte. 
Verschiedne  Bemerkungen  über  den  Vortrag  Beetho- 
venscher Werke,  die  sich  ihm  bei  dieser  Gelegenheit 
aufdrängten,  besonders  über  einzelne  Stellen  der 
„Neunten  Symphonie",  wo  die  deutliche  Hervorhebung 


124 


der  Melodie  leichte  Veränderungen  in  der  Instrumen- 
tation zu  erfordern  schien,  teilte  er  1873  in  einem 
Aufsatze  für  das  „Musikalische  Wochenblatt"  mit. 

An  schriftstellerischen  Arbeiten  war  namentlich 
der  Sommer  und  Herbst  nach  der  Grundsteinlegung 
reich.  Ihm  gehörte  neben  mehreren  kleinen  Aufsätzen 
und  Sendschreiben  die  inhalts-  und  lehrreiche,  „dem 
Andenken  der  großen  Wilhelmine  Schröder-Devrient" 
gewidmete  Schrift  „Über  Schauspieler  und 
Sänger''  an.  Wagner  konnte  hier  an  mehrere  seiner 
früheren  Abhandlungen  anknüpfen;  zugleich  verfügte 
er  über  eine  erstaunliche  Fülle  von  Beispielen,  die  ihm 
teils  die  eigne  künstlerische  Erfahrung,  teils  das  ge- 
schichtliche Studium  der  Entwicklung  des  deutschen 
Theaters  wie  der  Schauspielkunst  überhaupt  darbot. 
Indem  er  sie  prüfend  betrachtete,  suchte  er  das  Wesen 
der  mimischen  Leistung  zu  ergründen.  Er  erkannte 
als  dessen  Grundzug  die  Wahrhaftigkeit  der  Dar- 
stellung, die  allem  bewußten  und  noch  so  virtuosen 
Komödienspiel  schnurstracks  entgegengesetzt  ist;  sie 
leitet  den  mimischen  Künstler  zu  jenem  Zustande  der 
Sclbstentäufserung  und  Entrücktheit,  in  den  er  hin- 
wiederum den  Zuschauer  zu  versetzen  weiß.  Fest 
glaubte  Wagner  an  den  überaus  hohen  künstlerischen 
Beruf  des  Mimen ;  aber  das  gegenwärtige  deutsche 
Theaterwesen  dünkte  ihn  völlig  entartet,  in  falschem 
Pathos  und  konventionell-sinnlosen  Manieren  befangen. 
Darum  verlangte  er  von  den  Schauspielern  und 
Sängern  vor  allem  Rückkehr  zur  Natürlichkeit ;  nur  auf 
diesem  Wege  hoffte  er  die  Kunst  wiederzugewinnen, 
deren  wir  zur  würdigen  Aufführung  der  Werke 
Shakespeares,  Goethes,  Schillers,  Kleists  wie  unsrer 
deutschen  Tondichter  bedürfen. 

Einen  mitunter  erschreckend  klaren  Einblick  in  jene 
Entartung  des  deutschen  Theaters  erhielt  Wagner  neuer- 
dings auf  einer  Reise,  die  er  im  November  und  De- 
zember 1872  an  mehrere  deutsche  Opernbühnen  unter- 
nahm und  südlich  bis  Strasburg,  nördlich  bis  Bremen 

125 


ausdehnte.  Sofort  nach  seiner  Rückkehr  berichtete  er 
mit  schonungsloser,  aber  notwendiger  Offenheit  im 
„Musikalischen  Wochenblatt"  über  die  künstlerischen 
Eindrücke,  die  er  auf  dieser  Reise  empfangen  hatte.   Im 

einzelnen  spendete  er 
namentlich  den  Dirigen- 
ten Belehrung  die  Fülle. 
Neben  diesen  in 
das  Wesen   der  Kunst 


**te 


unmittelbar 
den  Schrif- 
öffentlichte 

gleichen 
rere    kleine 

Erklärun- 
richte ,     um 


Wagners 

Wohnhaus 

in  Bayreuth. 


/ 


eindringen- 
ten  ver- 
er  in  den 
Jahren  meh- 
Broschüren, 
gen  und  Be- 
seinen  Freun- 


den und  Gönnern  Auskunft  über  den  Fortgang  des 
Baues  und  der  übrigen  Vorbereitungen  für  die  Bay- 
reuther Bühnenfestspiele  zu  geben. 

Das  Unternehmen  gedieh  zusehends  trotz  manchen 
unvermuteten  und  voraus  nicht  zu  berechnenden  Hin- 
dernissen.   Sie  verzögerten  zwar  wieder  und  wieder  die 


126 


Das  Bühnenfestspielhaus 
zu  Bayreuth. 


M»;».    . 


Vollendung  des  ganzen  Werkes :  1872 
oder  1873,  wie  es  sich  Wagner  in  seinen 
ersten  Träumen  ausgemalt  hatte,  durfte  er  noch  nicht 
an  die  Aufführung  des  „Rings"'  gehen.  Aber  im  Au- 
gust 1873  konnte  dem  Bühnenbau  der  Dachstuhl  auf- 
gesetzt, im  folgenden  Sommer  bereits  mit  einzelnen 
Sängern  Klavierproben  vorgenommen  werden.  Genau- 
ere, vollständige  Klavier-  und  Orchesterproben  im  Fest- 
spielhause selbst,  dessen  Akustik  sich  dabei  herrlich 
bewährte,  folgten  im  Juli  und  August  1875 ;  zahlreiche 


12'; 


Freunde  der  großen  Sache  fanden  sich  schon  zur  Teil- 
nahme  an   diesen  Vorstudien   von  Nah  und  Fern   ein. 

Rastlos  wurde  während  des  Winters  und  Früh- 
lings weiter  gearbeitet.  Wagner  selbst  gönnte  sich  am 
wenigsten  Ruhe,  obwohl  ihn  unter  anderm  besonders 
Aufführungen  des  ..Tannhäuser"  und  „Lohengrin"  zu 
Wien  und  des  „Tristan"  zu  Berlin  auf  Monate  von 
Bayreuth  fern  hielten.  Überdies  komponierte  er  damals 
zur  hundertjährigen  Gedenkfeier  der  Unabhängigkeits- 
erklärung der  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika 
auf  Bestellung  der  Veranstalter  dieser  Feier  einen 
Festmars ch  für  großes  Orchester.  Ihm  schwebte 
dabei  das  Goethesche  Wort  vor:  „Nur  der  verdient 
sich  Freiheit  wie  das  Leben,  der  täglich  sie  erobern 
muß."  So  verherrlichte  er  in  dem  Tonstück  den  Sieg 
unerschrocken  ringender  Kraft.  Im  allgemeinen  baute 
er  es  ähnlich  auf  wie  seine  beiden  früheren  Märsche; 
nur  gestaltete  er  es  modulatorisch  reicher.  Die  wenigen, 
aber  scharf  bestimmten,  charakteristischen  Themen 
entwickelte  er  in  feuriger,  wahrhaft  festlicher  Weise 
und   steigerte   sie   schließlich   zu   glänzender  Wirkung. 

Mit  dem  Juni  187(>  begannen  wieder  in  regel- 
mäßiger, ununterbrochener  Folge  die  Proben  im  Fest- 
spielhaus für  die  Sänger  und  für  das  von  Hans  Rich- 
ter geleitete  Orchester,  zuerst  getrennt,  dann  vereinigt. 
Bald  zeigte  sich  schon  ein  so  meisterliches  Gelingen, 
daß  die  letzten  Hauptproben  und  namentlich  die 
Generalproben,  denen  König  Ludwig  beiwohnte,  voll- 
kommenen Aufführungen  glichen. 

Unmittelbar  auf  sie  folgten  vom  IB.  bis  zum  30.  Au- 
gust 1876  die  ersten  Bayreuther  Bühnenfest- 
spiele.  Dreimal  an  je  vier  Abenden  hinter  einander 
wurde  der  „Ring  des  Nibelungen"  in  unvergeßlicher, 
einzig  dem  Ideal  des  Meisters  sich  nähernder  Weise 
dem  begeisterten  Publikum,  das  aus  aller  Herren  Län- 
dern zusammengeströmt  war,  vorgeführt.  Hervorragende 
Staatsmänner,  Gelehrte  und  besonders  Künstler  hul- 
digten mit  den  jubelnden  Scharen  der  übrigen  Zuschauer 

128 


dem  Genius,  der  jetzt  erst  seine  Schöpfung  zu  vollem 

Leben  erweckt  hatte,   und  deutsche  und  ausländische 

Fürsten  riefen  bewundernd  dem  einst  Verfolgten  ihren 

Beifall  zu.     Mit   Wagners   Gönnern  aus    drangvolleren 

Jahren,     den 

Großherzogen 

1  Karl  Alexander 

Sachsen- 


Weimar  und  Friedrich  von  Baden,  und 
zahlreichen  andren  Fürsten  wohnte 
Kaiser  Wilhelm  selbst  den  ersten  Auf- 
führungen bei;  zum  dritten  Zyklus 
der  Festspiele  fand  sich  als  edelster 
Freund  des  Meisters  und  seiner  Kunst 
wieder  König  Ludwig  von  Bayern  ein. 
Wagners  Gegner  hatten  bis  zum 
letzten  Augenblick  in  feindselig  ge- 
leiteten Zeitungen  Zweifel,  Hohn  und  Verleumdung 
ausgestreut  und  sogar  durch  plumpe  Lügen  den  Be- 
such  des  zweiten  Zyklus   empfindlich  geschädigt;   sie 


Der  Zuschauerraum  des 
Bülinenfestspielhauses. 


M  u  n  c  k  e  r  .    R.  Wapner.    2.  Aufl. 


129 


brachten  auch  dem  vollendeten  Erfolg  nur  geifernden 
Tadel  und  Spott  entgegen.  Dennoch  hatte  die  echte 
deutsche  Kunst  im  August  1876  einen  Sieg  errungen, 
der  an  nationaler  Bedeutung  den  politischen  Triumphen 
von  1870  und  1871  gleich  kam.  Die  künstlerisch  emp- 
findenden Gäste  aus  aller  Welt,  die  in  Bayreuth  ver- 
sammelt waren,  beugten  sich  bewundernd  vor  dem 
deutschen  Geiste;  das  Kunstwerk  der  Zukunft,  das  so 
lange  fast  nur  ungläubig  belächelt  worden  war,  schien 
er  auf  deutschem  Boden  in  die  Gegenwart  eingeführt 
zu  haben. 


130 


las  deutsche  Volk  brauchte  nur  treu  zu 
seinem  größten  lebenden  Künstler  zu 
halten  und  seinem  Beispiele  zu  folgen, 
so  konnten  die  Bayreuther  Festspiele 
unmittelbar  zur  Begründung  und  allseitigen 
nationalen  Pflege  einer  wahren  dramatischen 
Kunst  von  spezitisch  deutschem  Geiste  führen.  Allein 
die  tätige  Unterstützung  der  meisten  Freunde  Wagners 
hatte  nur  einmaligem  Gelingen  gegolten  und  erlahmte 
nach  dem  ersten  Erfolg.  Das  deutsche  Volk  aber  als 
solches  wußte  die  nationale  Gabe,  die  der  Künstler 
ihm  bot,  nicht  zu  schätzen  und  versäumte  die  Pflicht, 
die  ihm  daraus  erwuchs.  Auch  bei  dem.  was  Wagner 
von  nun  an  erstrebte  und  als  notwendige  Folgerung 
aus  seinen  bisherigen  Bemühungen  erstreben  mußte, 
sah  er  sich  in  der  Hauptsache  wieder  auf  sich  selbst 
und  wenige  Freunde  angewiesen. 

Trotz  dem  glänzenden  künstlerischen  Erfolge  hatten 
die  Festspiele  von  1876  nicht  die  erwarteten  Einnahmen 
ergeben,  deren  man  zur  Deckung  aller  Kosten  bedurfte. 
Nicht  einmal  um  die  Tilgung  dieser  Schuld  mochten 
sich  die  bisherigen  Förderer  des  Unternehmens  weiter- 
hin  bekümmern.     Sobald  Wagner   im   Dezember    von 


131 


einer  Erholungsreise  nach  Italien  zurückgekehrt  war, 
schlug  er  allerlei  Wege  ein,  um  den  Fehlbetrag  aufzu- 
bringen. Im  Mai  1877  ging  er  sogar  nach  London  und 
führte  dort  in  mehreren  großen  Konzerten  Bruchstücke 
aus  allen  seinen  Werken  auf.  Künstlerisch  zwar  glückte 
dieser  Versuch  vollständig,  brachte  dem  Meister  reiche 
Ehre  und  gewann  seiner  Musik  viele  Freunde ;  bei  den 
übergroßen  Kosten  aber,  die  damit  verbunden  waren, 
ergab  er  nichts  weniger  als  einen  Überschuß  für  die 
Bayreuther  Sache.  Schließlich  tilgte  Wagner  aus  eignen 
Mitteln  die  für  seine  Privatverhältnisse  beträchtliche 
Schuld :  er  trug  sie  nach  und  nach  von  den  Einkünften 
ab,  die  ihm  die  Aufführungen  des  „Rings"  in  München 
abwarfen.  Damit  entschloß  er  sich  zugleich,  auch  die 
Tetralogie  -  -  gegen  seinen  ursprünglichen  Willen  - 
den  herkömmlichen  Oj)ernbühnen  zu  überlassen. 

Ebenso  schlug  sein  Vorhaben  fehl,  auf  Grund  der 
Leistungen  vom  Sommer  1876  einen  stattlichen,  tat- 
kräftigen „Patronatverein  zur  Pflege  und  Erhaltung 
der  Bühnenfestspiele  in  Bayreuth"  und  mit  seiner 
Hilfe  eine  Art  von  musikalisch  dramatischer  Hoch- 
schule ins  Leben  zu  rufen.  Es  handelte  sich  um  Übungen 
junger  Sänger  und  Musiker  in  den  Hauptwerken»  vor- 
nehmlich der  deutschen  Meister,  die  Wagner  selbst  lei- 
ten und  im  Sommer  regelmäßig  durch  öffentliche  Auf- 
führungen dieser  Werke  und  besonders  seiner  eignen 
Dramen  vom  „Holländer"  an  krönen  wollte.  Denn 
was  ihm  jetzt  noch  als  letzte  Lebensaufgabe  vor- 
schwebte, war  die  Begründung  eines  deutschen  Stils 
im  Vortrag  musikalischer  und  dramatischer  Werke, 
den  er  nur  durch  das  beständige  praktische  Beispiel 
lehren  konnte.  Solche  Bestrebungen  aber  vermochten 
die  Teilnahme  seines  Volkes  nicht  stark  genug  zu 
reizen.  Der  neue  Patronatverein  zählte  zu  wenig  Mit- 
glieder; die  gehoffte  Unterstützung  von  Seiten  des 
deutschen  Reiches  blieb  ganz  aus:  statt  der  praktisch 
wirkenden  Schule  konnte  somit  im  Januar  1878  nur 
eine  theoretisch  vorbereitende  Monatsschrift  ins  Leben 

132 


Richard  Wagner  nach  einer  Photographie  von  Elliot  und  Fry  (London  1877). 


133 


treten,  die  ..Bayreuther  Blätter",  unter  Mitwirkung 
Wagners  von  seinem  jüngeren  Freunde  Hans  von  Wol- 
zogen  herausgegeben. 

Mit  ihnen  griff  der  Rastlos-Unverzagte  einen  Plan 
auf.  den  er  schon  1871  mit  Nietzsche  besprochen  hatte 
Für  sie  bestimmte  er  nun  fast  ausnahmslos  alles,  was 
er  noch  für  die  Öffentlichkeit  schrieb,  eine  erkleckliche 
Anzahl  grösserer  und  kleinerer  Aufsätze  über  sehr  ver- 
schiedene Fragen.  Hier  berichtete  er  über  den  künst- 
lerischen Gewinn,  den  er  den  Festspielen  von  187G 
zuerkennen  zu  dürfen  glaubte,  über  die  Absichten,  die 
er  mit  dem  mißglückten  Schulplane  verbunden  hatte, 
über  die  Bedingungen,  unter  denen  neue  Festspiele  in 
Bayreuth  stattfinden  sollten.  Indem  er  an  frühere 
Arbeiten,  namentlich  an  die  Schrift  ..Deutsche  Kunst 
und  deutsche  Politik",  anknüpfte,  untersuchte  er  das 
Wesen  des  deutschen  Geistes,  den  Mißbrauch  des 
Wortes  ..Modern",  das  Verhältnis  des  jetzigen  Publi- 
kums, wie  es  durch  unsre  Zeitungen.  Theater  und 
Universitäten  gebildet  wird ,  zum  Kunstwerke ,  die 
Tragik  im  Schicksal  des  schaffenden  Geistes,  insofern 
er  den  Bedingungen  der  Zeit  und  des  Raumes  für  sein 
Wirken  unterworfen  ist,  die  Begriffe  Dichter.  Seher, 
Sänger,  Erzähler,  Poet,  Künstler.  Musiker,  Komponist. 
die  Bedeutung  des  dichterischen  Textes  für  die  musi- 
kalische Melodie,  den  unverwischbaren  Unterschied 
zwischen  dramatischer  und  symphonischer  Kompo- 
sition. 

Da  diese  Aufsätze  sich  zunächst  nur  an  einen 
kleineren  Kreis  von  Freunden  wandten,  ließ  Wagner 
sich  in  der  Form  der  Darstellung  freier  gehen.  An 
Gedanken  voll  bedeutsamen  Ernstes,  die  er  streng 
logisch  auf  einander  begründete,  reihte  er  heitere  Ein- 
fälle, wie  sie  mehr  dem  zwanglos  springenden  Ge- 
plauder eigen  sind :  Scherz  und  Witz  mischte  er 
reichlich  ein:  mit  Satire.  Ironie  und  Humor  durch- 
tränkte er  überall  seinen  Vortrag.  Den  Grundton  fast 
aller  dieser  Äuf3erungen  bildete  eine  tiefe  Verstimmung, 

134 


die  sich  aus  den  Erfahrungen  seines  Lebens,  besonders 
der  letzten  Jahre  leicht  erklären  ließ. 

Wagner  fühlte  sich  und  sein  Streben  im  schroffen 
Gegensatze  zur  modernen  Welt  und  ihrer  gesamten 
Kultur.  Ebenso  schroff  kämpfte  er  nun  gegen  das 
moderne  Treiben  in  Staat,  Gesellschaft  und  Kunst  an, 
gegen  die  Art,  wie  Kunst  und  Wissenschaft  im  neuen 
Reich  gepflegt  wurde,  gegen  das  deutsche  Theater,  die 
deutschen  Universitäten,  die  Religionsverhältnisse  der 
Gegenwart,  gegen  die  neuesten  Kompositionsversuche 
in  Deutschland,  auch  gegen  die  unverständigen,  äußer- 
lichen Nachahmer  seiner  eignen  Musik,  gegen  den 
Unfug  unserer  Zeitimgspresse.  Mit  Schmerz  und  Ekel 
sah  er  überall  den  unaufhaltsamen  Verfall  des  echten 
deutschen  Wesens  und  glaubte  wieder  als  hauptsäch- 
liche Ursache  davon  die  unheimlich  schnell  wachsende 
Macht  des  Judentums  erkennen  zu  müssen.  Unbarm- 
herzig verfolgte  er  daher  dieses  mit  immer  neuem 
Spott  als  den  gefährlichsten  Feind  des  deutschen 
Geistes.  Innige  Wärme,  heilige  und  heitere  Begeiste- 
rung unterbrach  diese  pessimistisch  trüben  Betrach- 
tungen fast  nur,  wenn  er  der  wahren,  ursprünglichen 
Eigenschaften  der  Deutschen  und  der  hehren  Glorie 
unsrer  großen  Musik  gedachte.  Wie  sich  in  ihr  zu- 
erst zur  Zeit  der  allgemeinen  Verwelschung  der 
deutsche  Geist  mit  Sebastian  Bach  wieder  lebens- 
kräftig zeigte,  so  erhoffte  von  ihr  auch  Wagner  einzig 
und  allein  noch  die  Rettung  der  in  unserer  modernen 
Kultur  fast  erstickten  deutschen  Kunst. 

Grundgedanken  der  Schopenhauerschen  Philo- 
sophie spann  er  gelegentlich  bereits  in  verschiednen 
dieser  Aufsätze  erfolgreich  weiter.  Noch  viel  mehr 
aber  beruhte  alles,  was  er  seit  dem  Herbst  1879  für 
die  „Bayreuther  Blätter''  schrieb,  auf  der  Lehre 
Schopenhauers  und  der  von  ihm  vor  allem  gepriesenen 
brahmanisch-buddhistischen  Religion.  Doch  schritt  er 
in  wichtigen  Fragen  selbständig  mit  bewußter  Kühn- 
heit   über  die   Anschauungen    des    dankbar   verehrten 

135 


Philosophen  hinaus.  Zugleich  wurde  er  auf  die  ver- 
wandten Bestrebungen  Ernst  von  Webers  aufmerksam : 
an  seinem  Ansturm  auf  die  Vivisektion  beteiligte  sich 
Wagner  mit  leidenschaftlichem  Eifer.  Ferner  gab  er 
sich  willig  dem  Einfluß  des  französischen  Vorkämpfers 
für  vegetarische  Lebensweise  Jean-Antoine  Glei'zes  und 
namentlich  des  Grafen  Arthur  von  Gobineau  hin. 
Seine  geistvollen  Dichtungen  las  er  gerne ;  sein  wissen- 
schaftliches Hauptwerk  über  die  Ungleichheit  der 
menschlichen  Rassen  hinterließ  ihm  den  tiefsten  Ein- 
druck; seine  persönliche  Freundschaft  (seit  1880)  galt 
ihm  als  reicher  Gewinn  für  Geist  und  Gemüt. 

Auf  diesen  Grundlagen  entstand  besonders  die 
tiefsinnige  Abhandlung  ..Religion  und  Kunst"  mit 
ihren  Nachträgen  und  Zusätzen. 

Wagner  ging  von  der  wesentlichen  Übereinstim- 
mung der  indischen  und  der  christlichen  Religion  aus 
und  schilderte  die  belebende  Einwirkung  des  Christen- 
tums auf  alle  wahre  Kunst:  sie  verlor  ihren  Adel,  so- 
bald sie  verweltlichte.  Jene  beiden  erhabensten  Reli- 
gionen lehren  aber  bereits  Abwendung  von  der  Welt 
und  ihren  Leidenschaften,  gründen  sich  also  auf  die 
Erkenntnis  von  der  Sündhaftigkeit  der  geschichtlichen 
.Menschheit,  in  der  und  für  die  sie  gestiftet  wurden. 
Am  entsetzlichsten  offenbart  sich  diese  Sündhaftigkeit 
in  der  schonungslosen  gegenseitigen  Bekämpfung  und 
Zerfleischung  der  einzelnen  Menschen  wie  der  ver- 
schiednen  Stämme  und  Völker.  Ihre  letzte  Ursache 
erblickte  Wagner  in  der  Entartung  des  Blutes,  seitdem 
sich  die  Menschheit  von  der  ursprünglichen  und  natur- 
gemäfsen  Pflanzenkost  zum  Genufs  des  tierischen 
Fleisches  gewandt  habe.  Damit  hatte  sie  nach  seiner 
Auffassung  ihren  physischen  und  sittlichen  Verfall  be- 
siegelt; aus  diesem  aber  folgt  notwendig  auch  die 
Entartung  des  Christentums  von  der  reinen  Lehre  des 
Heilandes  und  endlich  die  Verderbnis  unserer  ganzen 
modernen  Zivilisation  mit  ihrer  trügerischen  Kunst 
und  Wissenschaft. 

130 


137 


Eine  wirkliche  Regeneration  des  Menschenge- 
schlechtes hoffte  Wagner  nur  von  einer  innigen  Ver- 
bindung der  Bestrebungen  der  Vegetarianer,  der  Tier- 
schutz- und  der  Mäßigkeitsvereine  mit  denen  des 
christlichen  Sozialismus.  Auf  eine  solche  Regeneration 
muß  alle  wahre  Religion  abzielen;  sie  darf  darum  nur 
den  reinen  Kern  der  indischen  und  der  christlichen 
Lehre  ohne  die  allegorischen  Zutaten  der  verschiednen 
Kulte  in  sich  enthalten.  Dann  wird  auch  die  Kunst 
als  ein  weihevoll  reinigender  religiöser  Akt  gelten, 
„zu  göttlicher  Entzückung  heiter  aufsteigende  Klage". 

Als  größtes  Gebot  jener  echten  Religion  erkannte 
Wagner  mit  Schopenhauer  das  Mitleid,  dem  die  drei 
alles  umfassenden  Tugenden  der  Liebe,  des  Glaubens 
und  der  Hoffnung  entkeimen.  Mit  Gobineau  aber  sah 
er  die  arische  Rasse  und  besonders  das  germanische 
Volk  ausgezeichnet  durch  die  Stammeseigentümlich- 
keiten des  Stolzes  und  der  Wahrheitsliebe  und  somit 
vor  allen  andern  Rassen  fähig.  Heldennaturen  zu  er- 
zeugen. Mit  dem  französischen  Forscher  eiferte  er 
gegen  jegliche  Vermischung  der  edleren  Rassen  oder 
Völker  mit  unedleren,  pries  aber  im  Gegensatze  zu 
ihm  das  Christentum,  die  Religion  der  Armen  am 
Geiste,  deren  Heil  allen  Menschen  in  gleichem  Maße 
zu  Teil  werden  soll,  weit  vor  dem  Brahmanentum, 
das  als  einseitige  Rassenreligion  nur  bei  dem  geringsten 
Teile  seiner  Bekenner  wahre  Sittlichkeit  zu  bewirken 
vermag. 

Volles  Verständnis  konnten  diese  Aufsätze  Wag- 
ners nur  bei  wenigen  Lesern  finden,  unbedingten  Bei- 
fall bei  noch  wenigeren.  Schon  ihr  satirisch-polemischer 
Grundcharakter  stieß  damals  viele  sonstige  Freunde 
seiner  Kunst  ab;  seinen  Widerwillen  gegen  den 
„seichten"  Optimismus,  gegen  den  Glauben  an  den 
steten  Fortschritt  des  Menschengeschlechts  konnten 
sie  zwar  begreifen,  aber  nicht  ohne  Vorbehalt  teilen. 

Noch  weniger  Beachtung  und  Zustimmung  er- 
langten die  übrigen  Aufsätze  der  „Bayreuther  Blätter", 

138 


die  vielfach  denselben  Ton  anschlugen.  Was  man 
schon  in  Wagners  Beiträgen  nicht  billigte,  ließ  man 
sich  in  denen  seiner  Anhänger  ganz  und  gar  nicht 
gefallen,  auch  da  nicht,  wo  es  außer  allem  Zweifel 
stand,  daß  diese  in  seinem  Sinn  und  Auftrag  redeten. 
Überdies  hielten  sich  die  Koryphäen  der  deutschen 
Schriftstellerwelt  von  der  Bayreuther  Monatsschrift 
fern,  und  ihre  Mitarbeiter  bedienten  sich  meist  einer 
schwerflüssigen,  bisweilen  sogar  recht  unbeholfenen 
Sprache.  Diese  formalen  Mängel  nebst  gewissen  Ein- 
seitigkeiten der  Tendenz  ließen  den  trefflichen  Gehalt 
mancher  Aufsätze  in  den  „Bayreuther  Blättern"  nicht 
zur  rechten  Geltung  kommen ;  trotz  ihren  unleug- 
baren Verdiensten  hat  die  Zeitschrift  die  Absicht 
ihres  Schöpfers,  neue,  verständnisvolle  Freunde  seiner 
Kunst-  und  Weltanschauung  zu  gewinnen,  nur  wenig 
gefördert. 

Desto  unmittelbarer  und  tiefer  ergriff  alle  das 
künstlerische  Werk,  das  gleichzeitig  mit  den  letzten  Auf- 
sätzen Wagners  für  seine  Bayreuther  Monatsschrift 
völlig  ausreifte  und  einem  ähnlichen  Ideenkreise  wie 
sie  entstammte,  das  Bühnenweihfestspiel  „Parsifal". 

Der  Plan,  die  bedeutendste  Dichtung  des  fran- 
zösisch-deutschen Mittelalters  im  musikalischen  Drama 
neu  zu  gestalten,  reichte  bis  in  die  Züricher  Jahre 
zurück.  Ursprünglich  als  Episodenfigur  im  „Tristan'" 
gedacht,  trat  Parsifal  als  Held  eines  selbständigen 
Dramas  zuerst  am  Karfreitag  (10.  April)  1857  vor  Wag- 
ners Seele.  Sogleich  in  den  folgenden  Tagen  wurden 
die  Grundzüge  der  Dichtung  entworfen.  Während  der 
nächsten  Jahre  gewannen  besonders  Amfortas  und 
Kundry  deutliche  Gestalt  in  der  Phantasie  des  Drama- 
tikers. Jener  erschien  ihm  wie  sein  ..Tristan  des 
dritten  Aktes  mit  einer  undenklichen  Steigerung'". 
Aber  auch  die  Erkenntnis  von  dem  Doppelwesen  des 
„wunderbar  weit  dämonischen  Weibes",  das  wilde 
Gralsbotin  und  zauberisch  schöne  Verführerin  in  einer 
Person  ist,  ging  ihm  damals  schon  auf  und  lehrte  ihn, 

139 


wie  er  die  alte  Sage  von  Grund  aus  neu  gestalten 
müsse.  Allein  erst  in  den  letzten  Augusttagen  1865 
zeichnete  er  auf  Wunsch  König  Ludwigs  einen  aus- 
führlichen Entwurf  des  Werkes  auf,  äußerlich  in  der 
Form  einer  Erzählung,  der  es  sogar  an  lehrhaften  Er- 
läuterungen nicht  fehlt;  doch  gliedert  sich  das  Ganze 
dramatisch  in  drei  Hauptszenen,  deren  Dialog  selbst 
vielfach  schon  genau  bestimmt  ist. 

So  lernten  einzelne  Freunde  den  Plan  kennen, 
zuletzt  1872  Liszt.  den  der  mystisch-religiöse  Geist  der 
Dichtung  mit  Recht  an  den  Schluß  von  Goethes 
„Faust"  erinnerte.  Auch  stieg  nun  schon  während  der 
Jahre,  die  ganz  andern  Aufgaben  gewidmet  waren, 
dann  und  wann  ein  musikalisches  Thema  zum  „Par- 
sifal"  in  der  Phantasie  Wagners  auf.  Aber  erst  im 
Januar  1877,  mitten  in  den  drückendsten  Sorgen,  die 
ihm  von  den  Festspielen  des  vergangenen  Sommers 
geblieben  waren,  ging  er  mit  allem  Ernst  an  die  Aus- 
führung des  alten  Plans.  In  wenigen  Wochen  schrieb 
er  jetzt  das  vollständige  Drama  nieder,  zunächst  in 
Prosa;  im  April  brachte  er  auch  die  Umdichtung  in 
Verse  zum  Abschluß,  und  kurz  vor  Weihnachten  1877 
ließ  er  sie  im  Druck  erscheinen. 

Die  musikalische  Komposition  zog  sich,  da  seine 
schriftstellerischen  Arbeiten  sie  mehrfach  unterbrachen 
durch  einige  Jahre  hin,  schritt  aber  unablässig  vor- 
wärts. Im  April  1879  wurde  sie  im  Entwurf  beendigt. 
Teile  des  Werkes  waren  damals  auch  schon  fertig 
instrumentiert;  so  konnte  Wagner  das  Vorspiel  bereits 
am  Weihnachtsfeste  1878  vor  zahlreichen  Gästen  in 
seinem  Hause  durch  die  Meininger  Hofkapelle  auf- 
führen lassen.  Die  Partitur  des  ganzen  Dramas  wurde 
erst  im  Januar  1882  vollendet. 

Wiederholte  Erkrankung  an  der  Gesichtsrose  zwang 
den  Künstler  seit  dem  Herbst  1879  öfters  die  strenge 
Arbeit  auszusetzen.  Da  nur  ein  vollständiger  Luft- 
wechsel Heilung  zu  versprechen  schien,  brach  er  mit 
seiner  Familie  noch  im  Dezember  1879  nach  Neapel 

140 


14  t 


auf.  Bis  zum  Hochsommer  blieb  er  hier.  Dann  ver- 
weilte er  mehrere  Wochen  in  Siena  und  in  Venedig, 
erhielt  in  München  die  Zusage  König  Ludwigs,  daß  er 
nunmehr  auch  formell  vor  aller  Welt  das  Protektorat 
der  Bayreuther  Bühnenfestspiele  übernehmen  wolle, 
und  kehrte  erst  im  November  1880  nach  Wahnfried 
zurück.  Hier  fanden  im  folgenden  August  bereits 
Klavierproben  für  den  „Parsifal"  statt,  dessen  erste 
Auffahrung  nach  mehrfachem  Aufschub  jetzt  endgültig 
auf  den  Sommer  1882  festgesetzt  war.  Aber  bald  nach 
den  Vorproben  enteilte  Wagner  wieder  nach  Italien. 
Fast  den  ganzen  Winter  verbrachte  er  mit  seiner  Fa- 
milie in  Palermo ;  langsam  kehrte  er  im  Frühling  heim 
nach  Bayreuth. 

Mit  dem  Juli  begannen  hier  die  Proben  für  das 
Bühnenweihfestspiel.  König  Ludwig  hatte  dafür  die 
Orchester-  und  Chorkräfte  des  Münchner  Hoftheaters 
unter  der  Leitung  Hermann  Levis  und  Franz  Fischers 
zur  Verfügung  gestellt.  Die  Sänger  und  Sängerinnen 
der  Solorollen  waren  wieder,  wie  vor  sechs  Jahren, 
von  verschiednen  deutschen  Opernbühnen  nach  Bay- 
reuth berufen  worden.  Da  es  sich  diesmal  um  ein 
einziges  Werk  handelte,  erforderten  die  Proben  nur 
wenige  Wochen,  und  schon  am  26.  Juli  1882  konnte 
die  erste  Aufführung  des  „Parsifal"  stattfinden.  Bis 
zum  29.  August  reihten  sich  ihr  fünfzehn  weitere  Vor- 
stellungen an. 

An  künstlerischer  Vortrefflichkeit  stand  die  Wieder- 
gabe dieses  Dramas  noch  über  den  Festspielen  von 
1876;  aber  auch  der  äußere  Erfolg  war  trotz  den 
tadelnden  oder  spöttischen  Berichten  in  gewissen  deut- 
schen Zeitungen  dieses  Mal  zweifellos.  Selbst  einzelne 
verhärtete  Gegner  der  Wagnerschen  Kunst  streckten 
vor  dem  Bühnenweihfestspiel  langsam  die  Waffen. 
Sein  Schöpfer  aber  konnte,  gestützt  auf  das  nun- 
mehrige Erträgnis  der  Aufführungen,  sofort  ihre  Wieder- 
holung für  das  nächste  Jahr  ankündigen.  Überzeugt, 
daß  er  seinen  Festspielen  dadurch  den  edelsten  Reiz, 

142 


seinem  letzten  Drama  jedoch  die  würdigste  Darstel- 
lung dauernd  sichere,  bestimmte  er,  daß  „Parsifal"' 
fortan  ausschließlich  in  Bayreuth  öffentlich  aufgeführt 
werden  solle. 

Wagner  mußte  sein  Bühnenweihfestspiel  schon 
wegen  des  religiösen  Charakters,  den  er  ihm  aufge- 
prägt hatte,  von  dem  Alltagstheater  fern  halten.  Er 
verdankte  den  Stoff  seines  Dramas  der  tiefsinnigsten 
unter  den  christlichen  Sagen  des  Mittelalters,  deren 
sich  die  romanische  und  germanische  Epik  bemächtigte, 
der  Sage  von  dem  heiligen  Gral.  So  heißt  die  kost- 
bare Schüssel  oder  Schale,  aus  der  Jesus  das  letzte 
Abendmahl  genoß.  In  sie  fing  Joseph  von  Arimathia 
das  Blut  des  gekreuzigten  Heilands  auf.  Hernach 
wurde  das  weih  volle  Gefäß  von  einem  auserlesenen 
Geschlechte  reiner  Gottesstreiter  in  weltfremder  Ein- 
samkeit treu  gehütet.  Auf  das  engste  verbunden  mit 
dieser  Sage  war  eine  andre,  die  Erzählung  von  Parzi- 
val,  der  durch  Gottes  Gnade  berufen  ward,  den  um 
seiner  Sünde  willen  mit  Siechtum  geplagten  Grals- 
könig Amfortas  zu  heilen  und  sich  selbst  nach  man- 
cher Irrfahrt  und  Prüfung  das  Gralskönigtum  zu  ge- 
winnen. Aber  Wagner  vertiefte  noch  überall  den 
religiös -mystischen  Sinn  der  mittelalterlichen  Über- 
lieferung. Treu  der  Schopenhauerschen  Philosophie 
und  im  Einklang  mit  den  ursprünglichen  Lehren  der 
brahmanischbuddhistischen  und  der  christlichen  Reli- 
gion, wie  er  sie  in  seinen  letzten  Aufsätzen  für  die 
„Bayreuther  Blätter"  auffaßte,  machte  er  die  Ver- 
neinung des  Willens  zum  Leben ,  die  Ertötung  der 
sinnlich- sündigen  Begierde  und  die  Betätigung  selbst- 
loser Nächstenliebe,  das  erlösende  Mitleid  mit  allen 
Geschöpfen  zum  Grundgedanken  seines  Werkes.  Zu- 
gleich hob  er  die  symbolischen  Beziehungen  der  Sage 
auf  Vorgänge  aus  der  Geschichte  Christi  bedeutsam 
hervor,  ja  verstärkte  sie  noch  durch  die  dramatische 
Darstellung. 

Das   gewaltige   Epos    Wolframs    von   Eschenbach 

143 


lieferte  ihm  die  Umrisse  und  Hauptgestalten  der  Hand- 
lung. Er  hatte  es  schon  1845  gelesen,  als  er  den 
„Lohengrin"  entwarf.  Im  Mai  1859  zog  er  es  in  San 
Martes  Übersetzung  neuerdings  zu  Rate  und  ließ  sich 
von  ihm  in  allerhand  Einzelheiten  bestimmen,  so  sein- 
er sich  jetzt  auch  von  Wolframs  Auffassung  der  Sage 
abgestoßen  fühlte.  Was  sich  aber  hier  in  einer  ver- 
wirrenden Fülle  bunter  Abenteuer  und  in  den  Schick- 
salen zahlreicher  Personen  breit  aus  einander  spann, 
das  mutete  Wagner  so  knapp  als  möglich  dramatisch 
zusammenfassen.  Wieder  mußte  er  aus  dem  kunstvoll 
ausgebildeten  Epos  eine  einfache  Urform  der  Sage  ge- 
winnen. 

Seine  Phantasie  haftete  an  der  Gestalt  des  jungen, 
kindlich  reinen,  aber  weltunkundigen  Parsifal,  der 
beim  Anblick  des  qualvoll  leidenden  Amfortas  nicht 
die  erlösende  Frage  aus  mitfühlendem  Herzen  tut, 
Dafür  mit  Schmach  überhäuft,  schweren  seelischen 
Kämpfen  überlassen,  bewährt  er  sich  in  kühnen  Taten 
und  harten  Prüfungen,  streift  sein  töricht-weltfremdes 
Wesen  ab,  büßt  aber  nicht  die  Treue  und  Reinheit 
seines  Herzens  ein.  Endlich,  nach  langem,  vergeb- 
lichem Suchen,  gelangt  er  wieder  zu  Amfortas,  heilt 
ihn  durch  seine  mitleidige  Frage  und  gewinnt  sich 
selbst  das  Gralskönigtum. 

Die  Belehrungen  und  Prüfungen,  durch  die  der 
Held  des  Epos  Verständnis  und  Sicherheit  im  sitt- 
lichen Handeln  erlangt,  mußte  der  Dramatiker  in  eine 
einzige,  entscheidende  Tat  zusammendrängen.  Die 
Ursache  vom  Leiden  des  Amfortas  sah  er  in  sündiger 
Liebe,  durch  die  sich  der  Gralskönig  bestricken  ließ. 
Denselben  Verlockungen  durch  das  gleiche  verführe- 
rische Weib  wird  Parsifal  ausgesetzt,  von  dem  näm- 
lichen Verlangen  nach  wildem  Sinnengenuß  ergriffen. 
Da  erkennt  er  in  den  eignen  Begierden  und  Liebes- 
schmerzen das  Sehnen  und  Leiden  des  Amfortas  wie- 
der, das  er  töricht  und  stumm  in  der  Gralsburg  beob- 
achtet  hat.     Jetzt   fühlt   er   dieses   Leiden   in    seiner 

144 


Muncker,   R.Wagner.    2.  Aufl. 


10      U5 


vollen  Stärke  selbst  mit,  ohne  jedoch  der  Schuld,  die 
es  verursachte,  teilhaftig  zu  sein:  ohne  seine  Reinheit 
zu  verlieren,  wird  er  „durch  Mitleid  wissend".  Er 
versteht  jetzt,  wozu  er  berufen  ist,  den  Leidenden  von 
seiner  Qual,  das  Heiligtum  des  Grals  aus  schuld- 
befleckten Händen,  die  Welt  vom  sündigen  Verlangen 
zu  erlösen.  So  widersteht  er  jeder  Versuchung,  ge- 
winnt siegreich  von  dem  Gralsfeinde  den  heiligen 
Speer  zurück,  den  Amfortas  an  ihn  verlor,  und  zer- 
stört durch  seine  in  der  Prüfung  bewährte  Reinheit 
das  Reich  der  Sünde. 

Vor  allem  in  dieser  dramatischen  Hauptszene,  aber 
auch  sonst  überall  in  seinem  Werk  drängte  Wagner 
getrennte  Ereignisse  des  Epos  zusammen  und  schuf 
aus  mehreren  Personen  der  mittelalterlichen  Dichtung 
eine  einzige,  an  Bedeutung  sie  alle  hoch  überragende 
Gestalt.  So  flössen  ihm  Wolframs  häßliche  Gralsbotin 
Kundry  und  die  dämonisch-reizvolle  Orgeluse  zu  einem 
Wesen  zusammen.  In  ihm  verkörperte  er  die  ver- 
derbliche und  selbst  ewig  unbefriedigte  Sinnenlust, 
die  verzehrend  wilde  Begierde,  die  doch  nach  Ruhe 
und  Erlösung  schmachtet.  Mit  Herodias  und  andern 
leidenschaftlich  frevelnden  Frauen  der  Sage  dünkte 
ihn  diese  seine  Kundry  eins.  Mit  bedeutsamen  Cha- 
rakterzügen aus  der  Legende  vom  ewigen  Juden  wie 
aus  der  Geschichte  der  büßenden  Maria  Magdalena 
stattete  er  sie  aus.  Halb  erinnerte  er  dabei  an  die 
indische  Lehre  von  den  stets  sich  erneuernden  Wieder- 
geburten, in  denen  der  Mensch  die  Sünden  eines 
früheren  Daseins  zu  sühnen  hat,  halb  an  die  Zeichnung 
der  Heldin  in  dem  einstigen  Entwurf  der  „Sieger".  So 
wurde  diese  neue  Kundry  vielleicht  Wagners  kühnste 
Erdichtung,  eine  Gestalt  voll  tiefster  Symbolik  und 
zugleich  vom  echtesten,  wirklichkeitsfrischesten  Leben 
beseelt. 

Einfacher  stellte  sich  sein  Gurnemanz  dar,  der 
treue  Waffengenosse  des  ersten  Gralskönigs  Titurel 
und   seines    Sohnes   Amfortas.      Aber   auch   ihm   lieh 

146 


Wagner  von  dem  Burgherrn  in  Wolframs  Gedichte, 
der  den  weltunkundigen  Jüngling  in  ritterlicher  Sitte 
unterweist,  fast  nur  den  Namen.  Dagegen  übertrug  er 
auf  ihn  Eigenschaften  und  Handlungen  von  dem  am 
Karfreitag  pilgernden  alten  Ritter  und  besonders  von 
dem   Einsiedler  Trevrizent   im  mittelalterlichen  Epos. 

Einzelne  Motive  seines  Dramas  entlehnte  Wagner 
auch  aus  andern ,  in  Nebenumständen  verschiednen 
Fassungen  der  Gralssage,  die  er  teils  aus  den  Abhand- 
lungen San  Martes  im  zweiten  Bande  seiner  Über- 
setzung Wolframs  (1841),  teils  aus  den  „Contes  popu- 
laires  des  anciens  Breton s"  von  Th.  de  la  Villemarque 
(1842)  kannte.  So  schöpfte  er  namentlich  aus  französi- 
schen Quellen  den  fruchtbaren  Gedanken,  da&  die 
blutende  Lanze,  die  in  der  Gralsburg  gezeigt  wird, 
mit  der  nach  Wolframs  Angabe  Amfortas  verwundet 
wurde,  dieselbe  sei,  die  einst  Longinus  dem  Erlöser 
in  die  Seite  stach,  ferner  die  Annahme,  da&  auch  dem 
Gralskönige  Frauenliebe  versagt  sei  und  daß  der  Teufel 
sich  vergebens  bemühte,  den  reinen  Jüngling  Parzival 
durch  allerlei  verführerisches  Blendwerk  zu  Falle  zu 
bringen. 

In  derselben  Absicht  kämpft  bei  Wagner  der  über 
teuflischen  Zauber  gebietende  Klingsor  gegen  den  aus- 
erkorenen Helden.  Für  den  Charakter  seines  Zauberers 
schwebte  dem  Dramatiker  aber  nicht  bloEs  Wolframs 
Klingsor  von  Capua  vor,  sondern  daneben  auch  der  mit 
höllischen  Dämonen  verbündete  Zaubermeister  aus  Un- 
garn im  Gedicht  vom  Wartburgkrieg  und  in  E.  T.  A. 
Hoffmanns  Novelle  von  dem  nämlichen  Sängerstreit. 
Dabei  wuchs  Klingsor  zu  einer  viel  mächtigeren  und 
furchtbareren  Persönlichkeit  als  in  Wolframs  Epos, 
zum  dämonischen  Vertreter  des  bösen  Prinzips  empor. 
Sein  Überwinder  konnte  bei  Wagner  natürlich  nur 
Parsifal  selbst  sein.  Das  mittelhochdeutsche  Gedicht 
hatte  diese  Rolle  dem  Artusritter  Gawan  zugeteilt, 
worüber  schon  San  Marte  sein  Erstaunen  aufwerte. 
Für  den  Dramatiker  völlig  unbrauchbar  waren  die  Ge- 

147 


fahren,  die  bei  Wolfram  Gawans  im  Wunderschlosse 
Klingsors  warten.  Wagner  ersetzte  sie  durch  die  an- 
mutige Episode  von  den  Blumenmädchen  aus  dem 
alten  Gedichte  des  Pfaffen  Lamprecht  von  Alexander 
dem  Großen:  an  ihrem  Verlauf  nahm  er  nur  geringe, 
durch  den  dramatischen  Zusammenhang  gebotene  Ver- 
änderungen vor.  Übrigens  fand  er  eine  ganz  ähnliche 
Überlieferung  in  indischen  Sagen  von  den  Versuchun- 
gen, die  Buddha  zu  bestehen  hatte.  Und  hier  war 
auch  schon  der  Ausgang  des  Kampfes  zwischen  Parsi- 
fal  und  Klingsor  vorgebildet,  das  Wunder,  kraft  dessen 
die  mit  aller  Wucht  geschleuderte  Waffe  über  dem 
Haupte  des  Reinen  in  der  Luft  schweben  bleibt. 

Ebenso  verwertete  Wagner  für  den  Schluß  seines 
Dramas  die  griechische  Sage  von  der  Wunde  des  Tele- 
phos.  die  vom  Speer  Achills  herrührte  und  nur  durch 
den  Rost  dieses  Speeres  geheilt  werden  konnte. 

Für  einige  nebensächliche  Umstände  boten  sich 
ihm  noch  ein  paar  Züge  bei  späteren  Dichtern.  So 
mag  man  sich  bei  Parsifals  ersten  Antworten  auf 
Gurnemanz'  Fragen  an  eine  Szene  aus  Grimmeis- 
hausens „Simplicissimusa,  den  Wagner  recht  wohl 
kannte,  gemahnt  fühlen,  an  das  Gespräch  des  Ein- 
siedlers mit  dem  einfältigen  Knaben  zu  Anfang  des 
Romans.  Die  plötzliche  Verwandlung  des  üppigen 
Zaubergartens  in  trostlose  Einöde  scheint  jener  be- 
rühmten Stelle  in  Tassos  ..Befreitem  Jerusalem"  nach- 
gebildet zu  sein,  wo  unter  Armidas  Fluch  nach  dem 
Abschied  Rinaldos  die  Herrlichkeiten  ihrer  Zauberinsel 
jäh  verschwinden  und  nur  wüstes  Felsgeklüft  zurück- 
bleibt. Auch  an  Immermanns  dramatische  Mythe 
„Merlin"  klingt  da  und  dort  eine  Kleinigkeit  an,  ebenso 
vielleicht  an  deutsche  Volksmärchen. 

Endlich  verdankte  Wagner  auch  jetzt  wieder  gar 
manches  der  Vorrede  von  Joseph  Görres  zum  altdeut- 
schen „Lohengrin".  In  ihr  begegnete  er  unter  anderm 
einem  philologischen  Irrtum,  den  er  aber  für  seine 
dramatische  Auffassung  der  Sage  vortrefflich  brauchen 

148 


konnte.  Görres  hatte  den  Namen  des  Gralshelden 
Parsifal  geschrieben  und  völlig  unrichtig  aus  dem 
Arabischen  erklären  wollen:  „der  reine  oder  arme 
Dumme".  Als  „reinen  Toren"  führte  auch  Wagner 
seinen  Helden  ein.  Schließlich  nahm  er  sogar  (im 
Februar  1877)  die  von  Görres  gewählte  Schreibung 
statt  der  mittelhochdeutschen  Namensform  Parzival 
an,  deren  er  sich  bis  dahin  meist  bedient  hatte. 

Nun  war  schon  im  Namen  des  Helden  auch  äußer  - 
lich  erkennbar  die  Grundidee  der  dramatischen  Hand- 
lung angedeutet.  An  einer  solchen  fehlte  es  in  den 
mittelalterlichen  Gralsdichtungen  samt  und  sonders:  in 
ihnen  waltete  durchaus  der  epische  Geist  und  Stil. 
Erst  Wagner  vertiefte  nicht  nur  ungemein  all  die  vielen 
aus  den  verschiedensten  Quellen  geschöpften  Sagen- 
motive und  charakteristischen  Züge,  sondern  verband 
sie  auch  ganz  eigenartig  mit  meisterhafter  Kunst  zu 
organischer,  lebendiger  Einheit  und  entwickelte  aus 
ihnen  eine  wahrhaft  bedeutende  Handlung.  Sie  ist 
einfacher  als  in  seinen  meisten  früheren  Dramen,  aber 
fest  gefügt  in  allen  ihren  Gliedern  und  bewegt  sich  in 
großen  Zügen.  Sie  ist  ganz  und  gar  in  das  Innere  des 
Helden  verlegt.  Was  äußerlich  geschieht,  ist  nur  ein 
Sinn-  und  Spiegelbild  der  seelischen  Vorgänge.  Um 
Kämpfe  im  Herzen  des  sittlichen  Menschen  handelt  es 
sich,  um  Kämpfe  typischer  Art,  die  aber  hier  von  An- 
fang an  die  Gewähr  des  Sieges  in  sich  tragen. 

Das  tragische  Moment  ist  daher  etwas  anders  ge- 
faßt als  meistens  sonst  im  Drama.  Gleichwohl  ist  der 
tragische  Konflikt  zwischen  dem  selbstischen  Willen 
und  der  sittlichen  Pflicht  auch  bei  Parsifal  vorhanden ; 
aber  er  kommt  nicht  zu  dem  in  der  Tragödie  gewöhn- 
lichen Austrage:  Wagners  Held  beugt  seinen  Willen 
vor  dem  göttlichen  Gebote,  ohne  daß  er  zuerst  gegen 
dieses  anzustürmen  versucht.  Auch  er  lädt  eine  tra- 
gische Schuld  auf  sich,  die  er  schwer  büßt;  sie  ist 
aber  rein  passiver  Art:  dem  leidenden  Amfortas  gegen- 
über tut  er  nichts,  in  seiner  dumpfen  Torheit  versteht 

U9 


er  das  Leiden  des  Königs  nicht.  Sein  Mitgefühl  ist 
zwar  beim  Anblick  der  Schmerzen  erregt;  aber  die 
Erkenntnis  geht  ihm  noch  nicht  auf,  daß  er  zum  Er- 
löser von  diesen  Schmerzen  und  von  der  Schuld,  aus 
der  sie  quellen,  berufen  sei;  den  Weg  sieht  er  noch 
nicht,  der  ihn  zu  diesem  Ziele  führen  soll.  Unter  die 
herkömmlichen  Schulregeln  läßt  sich  freilich  Parsifals 
tragische  Schuld  nicht  wohl  bringen.  Ihnen  gegenüber 
hat  sich  Wagner  überhaupt  in  seinem  letzten  Werke 
freier  gehalten  als  je  zuvor.  Auch  unter  den  Erschei- 
nungen der  deutschen  Literatur,  die  uns  um  jene  Zeit 
eine  neue,  weitherzigere  Auffassung  des  Tragischen 
erschlossen,  nimmt  das  Bühnen  weih  festspiel  einen  be- 
deutsamen Platz  ein. 

Echt  dramatisch  aber  blieb  Wagner  auch  hier  stets 
im  Wesen  seiner  Darstellung.  Wie  viel  Episches  und 
Lyrisches  er  auch  in  sie  einweben  mußte,  so  verstand 
er  doch  immer  solche  scheinbar  undramatische  Be- 
standteile durch  eine  meisterliche  Behandlung  des 
Dialogs  zu  verdecken,  lange,  notwendige  Reden  durch 
dazwischengeworfene  Fragen  zu  unterbrechen  und  mit 
einer  geradezu  Shakespeareschen  Kunst  im  höchsten 
Grade  bewegt  und  lebendig  zu  gestalten.  Zu  dem 
religiösen  Grundton  des  Ganzen  stimmte  endlich  auch 
der  ruhigere,  feierlich-erhabene,  meist  einfache,  doch 
oft  mystisch  gefärbte  Charakter  der  Sprache. 

Wie  die  Dichtung  des  „Parsifal"  in  gewissen  Grund- 
gedanken und  selbst  in  Einzelheiten,  z.  B.  in  den  aus 
„ Siegfrieds  Tod"  übernommenen  Trauerchören  vor  Ti- 
turels  Leiche,  an  Wagners  frühere  Dramen  mahnte,  so 
ruhte  auch  die  musikalische  Komposition  des  Werkes 
auf  den  Grundlagen,  auf  denen  sich  alle  seine  Schö- 
pfungen seit  dem  „Rheingold"  aufbauten.  Nur  schein- 
bar widersprachen  dem  die  zahlreichen  Chöre,  obgleich 
sie  großenteils  im  alten  Stil  ausgeführt  waren,  so  daß 
ihre  Wirkung  auf  der  mehrfachen  Besetzung  der  ein- 
zelnen Gesangsstimmen  beruhte.  Wagner  hatte  solche 
Chöre  seit  dem  „Ring"  vermieden.    Indem  er  jetzt  zu 

150 


Richard  Wagner  nach  einer  Photographie  von  J.  Albert  (München 


151 


ihnen  zurückkehrte,  wurde  er  keinem  künstlerischen 
Grundsatz  untreu;  er  tat  vielmehr  nur,  was  die  dra- 
matische Handlung  erforderte.  Die  Wahrheit  der  Dar- 
stellung, um  deren  willen  er  in  früheren  Fällen  den 
Massengesang  verworfen  hatte,  verlangte  ihn  nunmehr. 
Ebenso  stimmte  es  nur  zu  der  größeren  Einfachheit 
der  religiös  gearteten  Handlung,  da&  mit  der  Sprache 
und  dem  Verse  der  Dichtung  auch  die  melodische  und 
harmonische  Ausgestaltung  gewisser  Chor-  und  Instru- 
mentalsätze einfacher  wurde  und  gelegentlich  einmal 
selbst  an  ältere  kirchliche  Musik  anklang. 

An  kräftiger  Frische  und  gewaltig  fortreißender 
Leidenschaft  mußte  die  Tonsprache  des  ,.Parsifal"  den 
früheren  Werken  Wagners  nachstehen;  das  lag  schon  in 
der  feierlichen  Würde  des  religiösen  Dramas  begründet. 
Allein  der  Reichtum,  die  charakteristische  Kraft  und 
die  Schönheit  der  melodischen  Erfindung  erwiesen 
das  musikalische  Genie  des  alternden  Meisters  unge- 
schwächt. Und  fast  noch  höhere  Bewunderung  mußten 
die  Pracht  und  die  Bedeutsamkeit  der  kunstreichen 
Ausführung  erwecken. 

Wieder  leitete  Wagner  die  verschiednen  Motive, 
die  das  Gewebe  seiner  Musik  bestimmten,  aus  wenigen, 
zum  Teil  mit  einander  verwandten,  überaus  entwick- 
lungsfähigen Grundthemen  her.  Vielleicht  verfuhr  er 
sogar  diesmal  noch  sparsamer  als  zuvor.  Unvergleich- 
lich aber  offenbarte  sich  seine  ganze  reife  Kunst  bei 
den  mannigfachen  Umformungen  und  Fortbildungen 
jener  Grundthemen  und  den  unmerklichen  Übergängen 
von  einem  Motiv  zum  andern.  Das  Gewebe  der  Motive 
selbst  war  im  allgemeinen  nicht  mehr  ganz  so  dicht 
wie  in  den  vorausgehenden  Werken.  Die  Polyphonie. 
die  in  diesen  fast  ausnahmslos  waltete,  mußte  in 
größeren  Teilen  des  ,.  Parsifal"  wieder  einer  mehr 
homophonen  Anlage  weichen. 

Desto  sicherer  behauptete  die  Singstimme  das 
Übergewicht  über  das  begleitende  Orchester,  zumal  da 
sie  gern  die  leitenden  Themen  in  sich  aufnahm.   Auch 

152 


bot  die  dramatische  Handlang  reichliche,  von  Wagner 
immer  freudig  benützte  Gelegenheit  zur  Pflege  klang- 
schöner Kantilene.  Mit  meisterlicher  Kunst  sind  die 
längeren  Reden,  überhaupt  die  größeren  zusammen- 
hängenden Tongebilde  musikalisch  gegliedert.  Alle 
Sorgfalt  ist  auf  charakteristisch  bedeutsame  Ausge- 
staltung der  Melodien  verwendet.  Dazu  dient  vortreff- 
lich die  bunte  Menge  von  wechselnden  Rhythmen, 
in  denen  sich  namentlich  seelische  Erregung,  oft  aber 
auch  bloß  äußere  Bewegung  ausdrucksvoll  malt.  Zahl- 
reiche Triolenfiguren  und  alle  möglichen  Arten  von 
Synkopen  werden  zu  solchem  Zwecke  auf  das  glück- 
lichste verwertet.  Neben  und  über  dieser  Mannig- 
faltigkeit des  Einzelnen  bleibt  aber  die  einheitliche 
Grundstimmung  so  lange  als  möglich,  meistens  ganze 
Szenen  hindurch,  gewahrt.  So  liegt  etwas  von  abge- 
klärter, erhabener  Ruhe  über  dem  ganzen  Tonwerk, 
wie  bewegt  sich  auch  oft  die  einzelnen  Teile  ausnehmen. 

Einfache  Größe  spricht  auch  aus  der  Musik  des 
..Parsifal"  zu  uns:  ja  manches  in  ihr  mahnt  uns  gerade- 
zu an  die  hehre  Schlichtheit  antiker  Kunst.  Aber  auch 
wo  Wagner  farbensatte  Malerei  bieten  will,  scheut  er 
jetzt  vor  kecker  Verschwendung  der  Mittel  zurück. 
Und  eben  durch  die  besonnene  Sparsamkeit,  mit  der 
er  jede  klangliche  oder  rhythmische  Wirkung  richtig 
ausnützt,  erzielt  er  durchweg  den  Eindruck  vollendeter 
Meisterschaft. 

Die  begeisterte  Aufnahme  des  ..Parsifal"  bei  den 
Festspielen  des  Sommers  1882  war  der  herrlichste 
Triumph  Wagners  und  seiner  Kunst.  Zum  zweiten- 
male  fanden  sich,  und  nun  ungleich  zahlreicher  als  187G, 
Gäste  aus  aller  Welt  in  Bayreuth  ein,  nur  um  sein  Werk 
zu  hören,  diesmal  ein  einziges  Drama,  dessen  Aufführung 
wenige  Stunden  nicht  überdauerte.  Ja,  er  durfte  aus 
dieser  Teilnahme  die  Gewähr  schöpfen,  daß  die  Fest- 
spiele auch  in  Zukunft  fortdauern  und  durch  ihr  lebens- 
volles Beispiel  doch  allmählich  als  die  praktische  Schule 
eines  deutsch- dramatischen  Stiles  wirken  würden,  die  er 

153 


in  ihnen  vor  allem  begründen  wollte.  Persönlich  zwar 
hatte  Wagner  auch  während  der  Festspiele  durch  Un- 
päßlichkeit manches  zu  leiden ;  gleichwohl  kannte  er 
keine  Ermüdung,  wo  es  die  Arbeit  für  seine  Kunst  galt. 
Aber  bald  nach  dem  Schluf3  der  Bayreuther  Auffüh- 
rungen enteilte  er,  Erholung  suchend,  mit  den  Seinen 
nach  Venedig. 

Ganz  zu  rasten  vermochte  er  nicht  lange.  Er  ver- 
faßte einige  Aufsätze  für  die  „Bayreuther  Blätter",  da- 
runter einen  Bericht  über  die  künstlerische  Darstellung 
des  „Parsifal"  im  verwichenen  Sommer,  führte  zu  Weih- 
nachten im  engsten  Kreise  seine  vor  fünfzig  Jahren 
komponierte  Symphonie  in  C-dur  auf  und  dachte  wohl 
auch  mitunter  an  neue  dramatische  Pläne.  Ernstlich 
beschäftigten  ihn  die  Vorbereitungen  zu  den  Festspielen 
des  nächsten  Sommers.  Ein  jäher  Tod  riß  ihn  mitten 
aus  dem  Schaffenseifer  hinweg.  Am  13.  Februar  1883 
erlag  er  im  Palazzo  Vendramin  einem  heftigen  Anfall 
seines  Herzleidens. 

Seine  Leiche  wurde  nach  Bayreuth  gebracht  und 
dort  seinem  Wunsche  gemäß  im  Garten  seines  Hauses 
am  18.  Februar  beerdigt.  Den  Sarg  empfingen  feier- 
lich die  Freunde  auf  allen  größeren  Eisenbahnstationen 
zwischen  Venedig  und  Bayreuth;  hier  gaben  ihm 
Tausende  aus  allen  Gauen  des  Vaterlandes  das  letzte 
Geleite,  Vertreter  der  Fürsten,  die  sich  Freunde  des 
Verewigten  nannten,  deutsche  Künstler  und  Kunst- 
freunde, Bürger  von  Bayreuth.  Außer  Klopstock  und 
Grillparzer  war  noch  keinem  deutschen  Dichter  eine 
ähnliche  Leichenfeier  bereitet  worden.  Aber,  konnte 
an  ihrem  Grabe  die  Trauer  sich  bald  in  milde  Weh- 
mut verklären,  so  ertönte  an  Wagners  Sarge  die  laute, 
heftige  Klage  eines  trüben,  schwer  zu  lindernden 
Schmerzes.  Jene  waren  reif  für  den  Tod  und  schaffens- 
müde dahingegangen:  ihr  Scheiden  verursachte  im 
Leben  der  Zurückbleibenden  und  in  der  ferneren  Ent- 
wicklung der  Kunst  keine  ersichtliche  Lücke.  Er  aber, 
der    als    Künstler   jene    beiden    noch    weit    überragte, 

VA 


I  5  '<  I    W^m^i 


Palazzo  Vendramin  in  Venedig 


hatte  eben  erst  den  Gipfel  seiner  Laufbahn  erstiegen. 
Er  hatte  noch  so  viel  zu  wirken,  was  so  wie  er  kein 
andrer  wirken  konnte:  die  deutsche  dramatische  Kunst 
hätte  sein  Genie  so  notwendig  noch  lange  bedurft. 
Und  leidenschaftlich  heiß  liebten  ihn  zahlreiche  Freunde, 
die  den  Gedanken  seines  Todes  geraume  Zeit  kaum 
zu  fassen  vermochten. 

Er    hatte    sie   vollauf   verdient,    diese   Liebe.     Er 


155 


war  ein  ebenso  guter  als  großer  Mann.  Er  vereinigte 
in  seinem  Wesen  Hoheit  der  Gesinnung,  Tiefe  des 
Gemüts  und  kindliche  Liebenswürdigkeit.  Mit  der 
unbeugsamen  Kraft  seines  Willens  paarte  sich  herz- 
liche Milde,  mit  der  Reizbarkeit  seiner  Laune,  die  sich 
aus  seinen  vielfach  feindlichen  Schicksalen  und  seinem 
Herzleiden  erklärte,  aufrichtige  Versöhnlichkeit,  mit 
dem  Ernst  seines  Geistes,  der  auch  im  geselligen  Ver- 
kehr unwillkürlich  alles  beherrschte,  eine  unversieg- 
liche  Lust  an  Scherz  und  Humor.  Er  liebte  und 
schonte  jedes  Wesen,  das  Hilfe  oder  Teilnahme  be- 
durfte, Tiere  wie  Menschen.  Mutvolle  Wahrhaftigkeit 
war  der  Grundzug  seines  Charakters.  Darum  war  er 
schlicht  und  natürlich  in  seinem  ganzen  Gebaren,  ein 
Feind  aller  falschen  Gespreiztheit.  Er  war  stolz,  aber 
bei  allem  Bewußtsein  dessen,  was  er  wollte,  konnte 
und  leistete,  bescheiden.  Wie  sein  Gedächtnis  ihm 
längst  Vergangenes  lebendig  erhielt,  so  vergaß  er 
dankbar  auch  nicht,  was  andere  ihm  Gutes  getan 
hatten,  und  treu  hing  er  an  den  Freunden,  ob  auch 
Zeit  und  Ort  sie  von  ihm  trennten.  Selbst  klar  in 
seinem  Wesen  und  Wollen,  verlangte  er  dieselbe 
Klarheit  von  denen,  die  mit  ihm  zu  verkehren  wünsch- 
ten. Er  forderte  von  seinen  persönlichen  Freunden 
nicht,  daß  sie  seine  Kunst  innig  verstünden,  noch 
weniger,  daß  sie  seinen  sonstigen  Urteilen  und  Mei- 
nungen stets  zustimmten.  Aber  er  begehrte  mit  Recht 
von  jedem,  daß  er,  ohne  durch  fremdes  Vorurteil  ver- 
blendet zu  sein,  sein  künstlerisches  Streben  ehrlich 
kennen  lerne,  bevor  er  darüber  urteile,  und  nicht  ge- 
hässig verdamme  oder  gar  lügnerisch  entstelle,  was 
er  in  der  edelsten  Liebe  zur  Kunst  für  sein  Volk  ge- 
schaffen hatte. 

Wagners  Werke  sind  jetzt  heimisch  auf  allen 
größeren  Bühnen  Deutschlands  und  auf  vielen  des 
Auslands.  Werden  sie  auch  oft  nur  in  verstümmelter 
Gestalt  oder  sonst  unzulänglich  aufgeführt,  doch  sind 
und  bleiben  sie  das  Entzücken  begeisterter  Zuschauer. 

156 


Selbst  der  engsinnige  Tadel  unverständiger  oder  bös- 
williger Kritiker  hat  dem  allgemeinen  Beifall  endlich 
weichen  müssen.  Kein  unparteiischer  Kenner  unsres 
jetzigen  Kunstlebens  leugnet  den  ungeheuren  und  zum 
Teil  sehr  wohltätigen  Einfluß,  den  Wagner  besonders 
auf  die  gegenwärtige  Musik,  und  zwar  ebenso  auf  ihre 
Komposition  wie  auf  ihren  Vortrag,  gewonnen  hat. 
Weniger  haben  unsre  dramatischen  Dichter  von  ihm 
gelernt;  doch  erhielten  auch  sie  sowie  die  bildenden 
Künstler  manche  fruchtbare  Anregung  durch  ihn. 

Am  reinsten  aber  lebt  sein  Geist  fort  in  seiner 
letzten  großen  Schöpfung,  den  Bühnenfestspielen  von 
Bayreuth.  Sie  waren  das  heilig  zu  haltende  Ver- 
mächtnis, das  er  seinem  Volke  hinterließ.  Der  hohe 
Sinn  seiner  Witwe,  unterstützt  von  treuen  Freunden 
seines  Hauses  und  seiner  Kunst,  verwaltet  dieses  Erbe 
mit  einer  selbstlosen  Hingabe  und  künstlerischen  Ein- 
sicht, die  über  den  Tadel  mißgünstiger  Krittler  er- 
haben ist.  Unbedingt  fehlerlos  ist  nichts  Menschliches, 
auch  nicht  die  Bayreuther  Festspiele,  die  von  so  vielen 
Zufälligkeiten  mit  abhängen ;  allein  die  ideale  Voll- 
kommenheit dramatischer  Darstellung,  die  Wagner 
selbst  erstrebte,  wird  zur  Stunde  noch  immer  am 
besten  auf  der  Bayreuther  Bühne  erreicht  und  kann 
wohl  noch  manches  Jahr  nur  hier  und  nur  durch  die 
erreicht  werden,  die  es  als  ihren  hehren  Beruf  er- 
kennen, den  letzten  Willen  des  Meisters  treu  zu 
wahren. 


157 


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Verzeichnis  der  Personennamen. 

Wagners  Schriften  und  Werke. 


Anders  23. 

Antike  Tragiker  2.  6.  59  -62. 
Apel  6. 

Aristophanes  120. 
Arnim  39. 

Auber  15.  17.  29.  45.  122. 
Avenarius,  Cäcilie.  geb.  Gey- 
er 24. 
Avenarius,  Eduard  23. 

B. 

Bach  27.  38.  135. 

Bärmann  27. 

Bakunin  52. 

Batteux  2. 

Baudelaire  95. 

Bechstein  39. 

Beethoven  5.  7-9.  13.  18.  21. 

24  f.    27.   30.   33—35.    38. 

58.  104.  118.  120.  124. 
Bcllini  14.  17.  21. 
Berlioz  82. 


Bethmann  IS. 

Börne  15. 

Brendel  64. 

Brentano  39. 

Brix  23. 

Bfllow,  Cosima  v..  vgl.  Wag- 
ner, Cosima. 

Bülow,  Hans  v.  56.  110.  113 f. 
124. 

Bulwer  27  f. 

Burnouf  93. 

C. 
Challemel-Lacour  95. 
Champfleury  95. 
Cherubini  20.  34.  38. 
Cornelius  110. 

D. 

Deiuhardstein  100. 
Diderot  2. 
Donizetti  24. 
Dorn  22. 
Düringer  100. 


llunckcr,  R.  Wagner.     2.  Aufl. 


101 


Edda  66.  70.  72  f. 
Ettmüller  56.  70.  73. 

F. 
Feuerbach,  Anselm  61. 
Feuerbach,  Ludwig  61.84. 111. 
Feustel  123. 
Fischer,  Franz  142. 
Fischer,  Wilhelm  37.  94. 
Fouque  7.  40.  72. 
Frautz  115. 
Friedrich ,    Großherzog    von 

Baden  94.  129. 
Fröbel  114  f. 

G. 

Geibel  70. 

Geyer,  Johanna,  vgl.  Wagner. 

Geyer.  Ludwig  5  f. 

Gibbon  27. 

Glei'zes  136. 

Gluck  3.  27.  29  f.  38.  64. 

Gobineau,  Graf  136.  138. 

Görres  44.  148  f. 

Goethe  1.  3.  7-9.24.  26  33. 

38. 64. 76. 100. 125.128.140. 
Göttling  49. 
Gottfried  von  Straßburg  85  f. 

88. 
Gozzi  11  f. 
Grillparzer  154. 
Grimm,  Jakob  39  f.  44.  73. 
Grimm,  Wilhelm  39  f.  44.  73. 
Griinmelshausen  148. 
Groß  123. 
Gutzkow  15. 
Gyrowetz  100. 


H. 

Hagen,  August  99. 

Hagen ,    Friedrich    Heinrich 

von  der  70.  72. 
Halevy  24. 
Hauff  32. 
Haydn  9.  38. 
Hebbel  70. 
Heckel  124. 
Hegel  61.  111. 
Heine,  Ferdinand  37. 
Heine,  Heinrich  15.  23  f.  26. 

32.  39.  64. 
Heinse  14. 
Herder  3. 
Herold  10. 
Herwegh  56. 
Himmel  11. 
Hoffmann,  E.  T.  A.  3.  8.  11. 

25  f.  36.  40.  99.  147. 
Holtei.  21  f. 
Homer  6. 
Hugo,  Victor  24.  120. 

I. 

Immermann  10. 36. 45.85. 148. 
Junges  Deutschland   14  -  16. 

K. 

Kalergis,    Gräfin,    vgl.   Mu- 

chanow. 
Kalidasa  12. 
Karl  Alexander,  Großherzog 

von  Sachsen- Weimar  129. 
Keller  56. 
Kietz  23. 
Kittl  20. 
Kleist  1.  125. 


162 


Klopstock  1.  76.  154. 

Koenig  15.  20. 

Koppen  93. 

Konrad  von  Würzburg  45. 

Kurz  85  f. 

L. 

Lachmann  73 

Lamprecht,  Pfaffe  148. 

Laube  14.  18.  23.  37. 

Lehrs  23.  40. 

Leo  24. 

Lessing  1.  3. 

Levi  142. 

Liszt   48.   54  f.   58.   821    94. 

110.  113.  140. 
Lohengrin  (mittelalterliebes 

Epos)  44-46.  148. 
Lortzing  100.  104. 
Lucas  40. 
Ludwig  II ,  König  von  Bayern 

107  f    110  f.  113.  122.  1281 
140.  142. 
Lüttichau,  Freiherr  v.  48. 
Luther  121. 

M. 

Marryat  32. 

Marschner  13.  27.  32  -  34.  38. 

451 
Mehul  29. 

Meistersinger  97.  99. 102.  104. 
Mendelssohn -Bartholdy    38 

64.  116. 
Meyerbeer   17.    22  1   26.   29. 

36   45.  64. 
Meysenbug,    Malvida   v.   95. 
Minnesinger  89.  102. 
Mosen  28. 


Mozart   3.    7.   9.    14.    25.  27. 

34.  38. 
Muchanow,  Marie  v.  95. 
Müller  73.  85. 
Muncker  123. 


N. 
Nibelungenlied  45.  70.  72. 
Nietzsche  114.  134. 
Nornagestssaga  72. 
Novalis  90. 
Nuitter  95. 

O. 

Oberländer  50. 
Offenbach  120. 
Ossian  10. 


Palestrina  38. 
Pecht  23. 

Porges  110. 

R. 

Raimund  120. 

Raupach  70. 

Reger  100. 

Richter  114.  120.  128. 

Ritter  56. 

Roche  95. 

Röckel  52. 

Romantiker  7  f.  65.  76. 

Ronsard  24. 

Rossini  14. 

Rousseau  2. 

Russell  Mitford,  Mary  271 


163 


Sachs  97-  100. 

San  Marte  144.  147. 

Schelling  3. 

Sehe  urlin  24. 

Schicksalstragiker  10.  75. 

Schüler  1.  3.^10.  36.  Vir». 

Schleiermacher  3. 

Schleinitz,  Freifrau  v.  123. 

Schnorr  von  Carolsfeld  110. 

Schopenhauer  44.  84  89  f.  93. 
111.  118.  135  f.  138.  143. 

Schröder-Devrient ,  Wilhel- 
mine 14.  18.  37.  125. 

Schubert  14.  24. 

Scribe  20. 

Semper  56.  106.  110. 

Shakespeare  2.  6.10.12.  15 bis 
17.  29.  118.  125.  150. 

Simrock  66.  70    72.  85. 

Spohr  27.  34.  38. 

Spontini  29.  64. 

Sulzer,  Jakob  56. 

Sulzei-,  Johann  Georg  2. 


Tannhäuserlied  39—41. 
Tasso  148. 
Tausig   123. 
Tichatschek  37. 
Tieck  7.  39. 

Titurel     I  mittelalterliches 
Epos)  45. 


Unland  70. 
Fhlig  56. 


V. 
Vülemarque,  de  la  147. 
Villot  95. 

Vischer  70. 
Yölsungasaga  70. 
Voltaire  2. 

W. 

Wagenseil  99. 
Wagner.  Adolf  6  f.  11. 
Wagner,  Albert  10. 
Wagner.  Cosima,   geb.  Liszt 

113  f.  117.  157. 
Wagner.  Friedrich  5. 
Wagner,  Johanna,  geb.  Pätz 

5  f.  19. 
Wagner.  Minna,  geb.  Planer 

19.  22.  58. 
Wagner,  Richard: 
Achilleus  66 
Aufsätze    aus   Bayreuth 

124-126.134-136. 138. 143. 
Aufsätze  aus  Paris  25  f.  30. 
Aufsätze  aus  Riga  21. 
Aufsätze  aus  Zürich  64. 
Aufsatz  über  die  deutsche 
Oper  15.  17  f. 
Autobiographische    Skizze 
37. 
Bayreuther  Blätter  134  bis 

136.  138  f.  143.  154. 
Beethoven  118.  120. 
Beethovens    Neunte   Sym- 
phonie 9.  38.  124  f. 
Bericht  über  eine  in  Mün- 
chen  zu   errichtende  Mu- 
sikschule 111  f 
Bestimmung  der  Oper  122. 


164 


Wagner,  Richard: 

Bianca  und  Giuseppe  20  f. 

Bursche, der  auszog,  um  das 
Fürchten  zu  lernen  66.  68. 

Deutsche  Kunst  und  deut- 
sche Politik  115  f.  134. 

Ende  in  Paris  25. 

Entwurf  zur  Organisation 
eines  Nationaltheaters  für 
Sachsen  50.  52.  64. 

Erinnerungen  an  Aubcr 
121  f. 

Faust-Ouvertüre  13.  24  f. 

Feen  10-15.  17.  30. 

Festmarsch     für     Nord- 
amerika 128. 

Fliegender  Holländer  13. 
27.  30.32-37.  42.  58.  64  f. 
78.  95.  110.  132. 

Friedrich  Rotbart  48  f. 

Fünf  Gedichte  93. 

Gesänge  zu  G  oethes  Faust  9. 

Gesammelte  Schriften  und 
Dichtungen  121. 

Geschichte  seines  Lebens 
114. 

Glückliche  Bärenfamilie  21. 

Götterdämmerung  48  f.  66. 
68-70  73—76. 88. 124. 150. 

Hochzeit  10  f. 

Huldigungsniarsch  110. 121. 
128. 

Jesus  von  Nazareth  49  f. 

Judentum  in  der  Musik  64  f. 

Kaisermarsch  120  f.  124. 128. 

Kantate  zum  Neujahr  18. 

Kapitulation  120. 

Klavierkompositionen  9. 24. 


Wagner,  Richard: 
Konzertouvertüren  8.  20  f. 
Kunst  und  Klima  60. 
Kunst  und  Revolution  59 f. 
Kunstwerk  der  Zukunft  60 

bis  62.  64.  82. 
Leubald  6  f. 

Liebesmahl  der  Apostel  38. 
Liebesverbot  15—19.  23. 34. 
Lieder  24. 

Liszts  symphonische  Dich- 
tungen 82  f. 
Lohengrin    13.   36.  43—48. 

58.   65.    78-80.    95.    113. 

128.  144. 
Meistersinger  43.  97—100. 

102-104.  107.  113  f. 
Mitteilung     an     meine 

Freunde  65.  95. 
Nachruf  auf  Fischer  94. 
Oper  und  Drama  60 — 62. 

64  f.  82.  95.  122. 
Parsifal  93  f.  139  f.  142  bis 

144.  146—150.  152—154. 
Pilgerfahrt    zu  Beethoven 

25. 
Religion   und    Kunst    136. 

138.  143. 
Rheingold    68  f.    74  f.    103. 

113.  150. 
Ricnzi   13.   21-24.  37-30. 

32.  35-37.  48.  58. 
Ring    des    Nibelungen   65. 

68—70.     72—76.      78—80. 

82-86.  89  f.  92  f.  97.  103  f. 

106.  110. 122. 127  f.  132. 150. 
Schäferspiel  8. 
Schauspieler  u.  Sänger  125. 


165 


W ag  n er ,  Rieh  a  r d : 
Sieger  93.  146. 
Siegfried     68—70.    74  -  76. 

99    110.  117. 
Siegfried-Idyll  117  f. 
Siegfrieds  Tod,  vgl.  Götter- 
dämmerung. 
Staat  und  Religion  111. 
Symphonien  9.  18.  154. 
Tannhäuser  18  36—14  471 

54.  58.  64  f.  82.  95  f.  102. 

110.  128. 
Tristan  und  Isolde  85188 

bis  90.  92—97.  103  f.  110. 

128.  139. 
Über  das  Dirigieren   116  f. 
Walküre  68  f.  73-76.   113. 
Wibelungen  49. 
Wieland  der  Schmied  66.68. 
Wiener    Hofoperntheater 

106  f. 
Zukunftsmusik  95  f. 
Wagner,  Rosalie  10. 


Wagner,  Siegfried  117. 
Wartburgkrieg  401  44.  147. 
Weber,  Dionys  9. 
Weber,  Ernst  v.  136. 
Weber,  Karl  Maria  v.  6.  13  f. 

18.  27.  30.  34.  38.  44. 
Weinlig  9  f. 
Weißheimer  107. 
Wertlies  10. 
Wesendonck,  Mathilde  56.  58. 

85.  88.  93.  98. 
Wesendonck,  Otto  56.  58.  88. 

98. 
Wieland  1.  3.  76. 
Wilhelm  I.,  deutscher  Kaiser 

12'.). 
Wilkinasaga  66.  72. 
Wille,  Eliza  56.  107. 
Wille,  Francois  56. 
Wolff,  0.  L.  B.    12. 
Wolfram  von  Eschenbach 

44  f.  1431  146—148. 
Wolzoyen,  Freiherr  v.  134. 


166 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


1.  Geburtshaus  Wagners  in  Leipzig.     S.  7. 

2.  Richard  Wagner  nach  einer  Zeichnung  von  E.  B.  Kietz 
(1850).  Nach  dem  Lichtdrucke  in  Joseph  Kürschners 
Wagnerjahrbuch  (Stuttgart  1886).     S.  31. 

3.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Rheingold 
Szene  1).  Nach  der  Originalskizze  von  Professor  Brückner 
in  Koburg.     S.  51. 

4.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Walküre 
Akt  I).    S.  57. 

5.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Walküre 
Akt  III).     S.  63. 

6.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Siegfried 
Akt  I).     S.  67. 

7.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Siegfried 
Akt  II).     S.  71. 

8.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Götter 
dämmerung,  Akt  I).     S.  77. 

9.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Götter 
dämmerung,  Akt  II).     S.  81. 

10.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Götter 
dämmerung,  Akt  III).     S.  87. 

11.  Dekorationsskizze  zum  „Ring  des  Nibelungen"  (Götter 
dämmerung,  Schluß).     S.  91. 

12.  Dekorationsskizze  zu  „Parsifal"  (Aktl,  Szene  1).    S.  101 

13.  Dekorationsskizze  zu  „Parsifal"  (Akt  I,  Wandeldekora 
tion).     S.  105. 


167 


14.  Sempers  Entwurf  des  Münchner  Festspielhauses.  S.  109. 

15.  Wagners  Wohnhaus  in  München,  Briennerstraße  Nr.  18. 
S.  112. 

16.  Richard  Wagner  nach  einem  Gemälde  von  Franz  v.  Len- 
bach  (1874).  Nach  der  Photogravüre  der  Verlagsanstalt 
Bruckmann  in  H.  S.  Chamberlains  „Richard  Wagner" 
(München  1896).     S.  119. 

17.  Bayreuth,  vom  Bühnenfestspielhaus  aus  gesehen.  S.  1:24. 
18     Wagners  Wohnhaus  ..Wahnfried"  in  Bayreuth.    S.  126. 

19.  Das  Bühnenfestspielhaus  zu  Bayreuth.     S.  127. 

20.  Der  Zuschauerraum  des  Bühnenfestspielhauses  zu  Bay- 
reuth.    S.   129. 

21.  Der  Gralstempel.  Nach  der  Originalskizze  von  Professor 
Brückner  in  Koburg.     S.  131. 

22.  Richard  Wagner  nach  einer  Photographie  von  Elliot 
und  Fry  (London  1877).     S.  133. 

23.  Dekorationsskizze  zu  „Parsifal"  (Akt  11.  Szene  1).  S.  137. 

24.  Dekorationsskizze  zu  „Parsifal"  (Akt  II,  Szene  2).  S.  141. 

25.  Dekorationsskizze  zu  „Parsifal"  (Akt  III,  Szene  1).  S.  145. 

26.  Richard  Wagner  nach  einer  Photographie  von  J.  Albert 
(München  1880).     S.  151. 

27.  Wagners  Sterbehaus,  Palazzo  Vendramin  in  Venedig. 
S.  155. 

28.  Wagners  Handschrift.  Nach  dem  im  Besitze  des  Ver- 
fassers befindlichen  Autogramm  der  Rede  Wagners  bei 
der  Grundsteinlegung  des  Bayreuther  Festspielhauses 
am  22.  Mai  1872.     S^  159. 

29.  Titelbild.  Richard  Wagner  nach  einer  Radierung  von 
Hubert  Herkomer  (London  1877). 

30.  Doppelbild  I.  Aus  der  Originalpartitur  der  „Walküre" 
(Akt  I).  Nach  der  im  Nachlasse  König  Ludwigs  IL  be- 
findlichen Originalpartitur.     Hinter  S.  160. 

31.  Doppelbild  IL  Aus  der  Originalpartitur  der  „Walküre" 
(Akt  III).     Hinter  S.  160. 

32.  Doppelbild  III.  Das  Bühnenfestspielhaus  zu  Bayreuth. 
Einteilung  dos  Zuschauerraums.     Hinter  S.  168. 


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204  21'i 


38Q-t82. 


132-203 


Rechts . 


Links 


Das  Bühnenfestspielhaus  zu  Bayieuth.     Einteilung  des  Zuschauerraums. 


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ML 

410 

WIM92 


Muncker,  Franz 
Richard  Wagner