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sflANZ MÜNCKER
RICHARD
WAGNER
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Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/richardwagnereinOOmunc
RICHARD WAONER.
Eine Skizze
seines Lebens und Wirkens
von
FRANZ MUNCKER.
Zeichnungen von Heinrich Nisle.
Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage.
Mit Titelbild, 14 farbigen und 14 schwarzen Bildern im Text
und 3 auf Doppeltafeln.
BAMBERG.
C. C. Buchners Verlag.
1909.
Druck
von A. Bonz' Erben in Stuttgart.
Zinkätzungen
von Oskar Consee in München.
Kunstdruckpapier
m Carl Scheufeien in Oberlenningen-Teck.
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Vorrede.
as Büchlein über Richard Wagner, das bei
seinem ersten Erscheinen vor achtzehn Jahren
allenthalben freundlich aufgenommen wurde,
lege ich hier in völlig neuer Bearbeitung vor.
Den Grundcharakter meiner Schrift habe ich unverän-
dert gelassen, im einzelnen sie aber durchweg zu ver-
bessern und zu vermehren gesucht.
Von Anfang an war es mir hauptsächlich um die
innere Geschichte Wagners und seiner Werke zu tun.
Dem reichen geistigen Gehalt und der künstlerischen
Bedeutung seines Strebens und Schaffens galt meine
Forschung. Das Wesen und Werden dieser Kunst
bemühte ich mich aber vor allem geschichtlich zu er-
kennen; die Schriften und Werke Wagners betrachtete
ich also im Zusammenhang mit seinem Leben sowie
mit der früheren und gleichzeitigen geistigen Entwick-
lung Europas, insbesondere Deutschlands. Wie aber
die Bedeutung Wagners weit über die Grenzen einer
einzigen Kunst hinausreicht, so durfte auch die Dar-
stellung seines Wollens und Wirkens nicht etwa bloß
auf das Gebiet der Musik beschränkt werden. Viel-
mehr war namentlich auch seine Stellunc: innerhalb
unsrer Literatur, sein Verhältnis zu deutschen und
ausländischen Denkern und Dichtern zu bestimmen, die
einen nachweisbaren, irgendwie bedeutsamen Einfluß
auf ihn gehabt haben.
Als ich nach solchen Grundsätzen einst mein Büch-
lein entwarf, konnte ich mich nur in wenigen Fällen
auf ähnlich geartete, der geschichtlichen Erkenntnis
dienende Vorarbeiten von wissenschaftlichem Werte
stützen; in der Hauptsache hatte ich die Ergebnisse
eigner, vollkommen selbständiger Forschung zu ver-
werten. Ja. manchen kleinen Fund, der mir gelegent-
lich geglückt war. konnte ich in der kurzen Skizze
nur eben andeuten: um ihn in allen Einzelheiten
überzeugend darzulegen, reichte meistens der Raum
nicht.
Seitdem aber haben sich die Verhältnisse wesent-
lich geändert. Zahlreiche Forscher halten in den beiden
letzten Jahrzehnten die einzelnen Werke und Be-
streitungen Wagners, seine Beziehungen zu den geistigen
Strömungen seiner Zeit, zu den andern Führern unsrer
literarisch -künstlerischen Entwicklung geschichtlich
untersucht. Manches von dem, worauf ich zuerst 1891
mit flüchtigen Worten hingewiesen hatte, ist nun von
andern, manches von mir selbst genauer erörtert worden.
Dazu wurde allerhand neues Material an Dichtungen,
Aufsätzen und Entwürfen Wagners, an Briefen von,
an und über ihn zu Tage gefördert. Im Zusammen-
hang damit sah sich auch die geschichtliche Forschung
vor neue Aufgaben gestellt, deren Lösung ihr zum Teil
schon gelungen ist. Die wirklich wertvollen Ergebnisse
dieser verschiednen Arbeiten suchte ich, soweit es der
Kahmen meiner Darstellung zuliefs, in die neue Auf-
lage meines Buches einzuweben. Dieses ist dadurch
zweifellos öfters berichtigt, noch öfter bereichert und
vertieft worden. Namentlich erweiterte ich meistens
die Abschnitte über die musikalische Ausführung der
Wagnerschen Dramen, die in der ersten Auflage allzu
dürftig ausgefallen waren. Auch an der Form der
VI
Darstellung besserte ich allerlei, obgleich gerade sie
manchen Beifall gefunden hatte.
So darf ich es ohne Furcht vor Selbsttäuschung
aussprechen, daß mein Buch in der neuen Bearbeitung
besser und reichhaltiger geworden ist. Allein, was es
1891 war, eine Arbeit, die in ziemlich vielen Fällen
auch dem Forscher bisher Unbekanntes darbot, das ist
es nicht mehr. Hie und da enthält es wohl noch eine
Bemerkung, die, im einzelnen sorgfältig erwiesen, auch
dem Kenner einen neuen Ausblick eröffnen dürfte.
Aber das kann nicht mehr seinen eigentlichen Wert
ausmachen. Dieser kann jetzt nur darin bestehen,
daß es das Wichtigste, was die geschichtliche Forschung
über Wagners Leben, Denken und Schaffen gefunden
hat, in knapper, doch möglichst übersichtlicher und
lesbarer Form den Freunden seiner Kunst übermittelt.
Die fremden Vorarbeiten, die ich dankbar benützt
habe, brauche ich hier nicht der Reihe nach auf-
zuzählen. Mit besonderer Freude sei nur der bisher
besten Biographie Wagners gedacht, des auf drei Bände
berechneten Buches von Max Koch, das zwar nur in
seinem ersten Teile vollendet vorliegt (Berlin 1907),
aber dem Ziel, nach dem auch ich strebe, einer wahr-
haft geschichtlichen Erkenntnis des künstlerischen
Wesens und Werdens Wagners, näher kommt als jede
andre Darstellung seines Lebens. Daß ich aber auch
diesem Werke wie den sonstigen Schriften gegenüber,
aus denen ich mich belehrte, stets die Selbständigkeit
meines Urteils gewahrt habe, glaube ich vor sach-
kundigen Lesern nicht erst versichern zu müssen.
Die künstlerischen Beigaben meines Buches sind
im großen und ganzen dieselben wie in der ersten
Auflage geblieben; zum Teil sind sie jetzt technisch
besser ausgeführt als früher, gelegentlich auch um eine
Nummer vermehrt. Mehrere Porträts Wagners nach
guten Gemälden und Photographien, Proben seiner
Handschrift aus einem größeren Schriftstück und aus
der Originalpartitur der „Walküre", ferner Abbildungen
VII
des Bayreuther Festspielhauses und andrer in der
Geschichte des Künstlers merkwürdigen Gebäude
schmücken das Bündchen. Vor allem aber sind ihm
die meisten Originalskizzen zu den Dekorationen des
„Rings des Nibelungen" und des „Parsifal", die nach
Wagners eignen Angaben für die Bühnenfestspiele
von 1876 und 1882 entworfen wurden, in getreuer
Nachbildung beigegeben. Für die uneigennützige Be-
reitwilligkeit, mit der diese Skizzen von den Gebrüdern
Brückner in Koburg, ebenso die übrigen Bilder von
ihren Besitzern dem Verleger und mir zu Gebote ge-
stellt wurden, sei, wie vor achtzehn Jahren, so auch
jetzt herzlicher Dank dargebracht.
München, am 24. Juni 1909.
Franz Muncker.
VIII
pjhter den Zielen, welche die Begründer der
neueren deutschen Literatur verfolgten, ragt
eines über alle andern empor, das Drama, die
8ÜM höchste Gattung der Dichtkunst, diejenige
Gattung, die am sinnlichsten und unmittelbarsten nicht
nur auf das Ohr, sondern auch auf das Auge des Volkes
einwirkt, die nicht mehr bloß reine Poesie ist, sondern
erst mit Hilfe der übrigen Schwesterkünste ihre
Werke ins volle Leben treten lassen kann. Seit Lessing
haben alle unsere großen Dichter diesem Ziele mit
leidenschaftlichem Eifer nachgestrebt. Sie alle, selbst
die, welche von dem Wesen und den Erfordernissen des
echten Dramas recht wenig ahnten, wie Klopstock und
Wieland, hat einmal der Gedanke lebhaft bewegt, uns
ein nationales deutsches Drama zu schaffen. Er be-
seelte Goethe, als dieser sich zum „Götz", zur „Iphi-
genie", zum „Faust" wandte; er begeisterte Lessing
und Schiller zu ihren größten künstlerischen Werken;
er füllte das Herz Heinrich von Kleists mit heißer Sehn-
sucht, die zuletzt, in ihrem höchsten Begehren unge-
stillt, in Verzweiflung umschlug. Herrliche Dichtungen
waren die Früchte dieses Strebens, Werke, von natio-
Muncker. R. Wagner. 2. Aufl.
1
nalem Geist durch weht , die ihren Verfassern, unserm
Volk und unsrer Literatur zu ewigem Ruhm gereichen.
Aber das neue, nach Form und Inhalt vollständig und
eigenartig deutsche Drama gaben uns jene Dichter und
die, welche gleichzeitig mit ihnen darnach rangen, noch
nicht. Dazu ließ es der weltbürgerliche Zug im ge-
samten deutschen Geistesleben des achtzehnten Jahr-
hunderts nicht kommen und im Verein damit die Art,
wie sich unsere Dramatiker an fremde Muster, vor-
nehmlich an Shakespeare und an die antiken Tragiker,
hielten. Jenes neue, vollkommen deutsche Drama hat
uns erst Richard Wagner geschenkt, ein Drama, deutsch
nach seinem Inhalt wie nach seiner Form, auf alte
nationale Sage und Dichtung gegründet, ganz und gar
von deutschem Geiste durchhaucht und in seinem ge-
samten künstlerischen Charakter so eigenartig, wie es
nur aus dem deutschen Volke hervorgehen konnte.
Hierin liegt Wagners ungeheures geschichtliches Ver-
dienst, nicht in seinen meisterhaften musikalischen
Schöpfungen, nicht in seinen an sich gewaltigen dich-
terischen Leistungen. Er ist in erster Linie Drama-
tiker, und Musik ebensowohl wie Poesie sind ihm nur
Mittel zum einen, großen Zwecke des Dramas.
Denn das Drama in seiner Vollendung, wie Wagner
es auffaßt, ist zugleich Musik und Poesie, soll nur im
deutschen Geiste und mit reicheren künstlerischen Mit-
teln jenes Gesamtkunstwerk der alten Griechen, das
die verschiednen Einzelkünste (neben der Poesie und
Musik auch die bildenden und mimischen Künste) zur
organischen Einheit verband, die attische Tragödie, neu
gestalten. Auf die Antike blickten die Meister unserer
Literatur als auf das höchste Vorbild jeder Kunst: ihr
entnahm auch Wagner sein Muster. Was er wollte,
war der Idee nach durchaus nicht etwas unbedingt
Neues. Seit dem Beginn der neueren Ästhetik, seit
dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, hatten be-
deutende und einflußreiche Denker und Dichter, Bat-
teux, Voltaire, Rousseau, Diderot in Frankreich, Sulzer,
Wieland, Lessing. Herder, Schiller. Goethe, Schelling,
Schleiermachcr , E. T. A. Hoffmann und andere bei
uns, wiederholt und immer dringender ein ähnliches
dramatisches Gesamtkunstwerk gefordert. Sie wiesen
zu diesem Behuf auf die Oper hin , der eben damals
Gluck und Mozart neue Wege bahnten. Durch Ver-
edlung und dramatische Vertiefung ihres dichterischen
Gehaltes sollte aus ihr das Ideal der Kunst gebildet
werden. Allein , was diese Männer nur teilweise an-
deuteten und immer nur theoretisch aussprachen , das
ließ Wagner zuerst nach allen Seiten hin streng folge-
richtig ausreifen und machte es zur künstlerischen Tat.
Dichter und Komponist in einer Person, knüpfte er in
seinen Werken unmittelbar an das an, was unsre Klas-
siker und Romantiker in der Poesie sowohl wie in der
Musik geleistet hatten, bildete ihre Ideen, ihre Stoffe
und Formen selbständig weiter und schloß so auf bei-
den Gebieten der Kunst die Entwicklung krönend ab,
durch die sich der deutsche Geist seit mehr als einem
Jahrhundert langsam dem Ideal des Dramas genähert
hatte.
Seine Lebenszeit fiel in die Periode, in der sich
unser Volk durch innere und äußere Kämpfe nach und
nach seine jetzige Weltstellung errang. Wagner be-
teiligte sich äußerlich nur vorübergehend an diesen
Kämpfen. Aber er litt nicht nur persönlich lange Jahre
unter den Bedrängnissen , welche die inneren Wirren
über Deutschland brachten ; auch sein geistiges Ringen
nach neuen Siegen der deutschen Kunst ging Hand in
Hand mit den Bestrebungen und Taten, die uns zu
politischer Freiheit und Größe führten. Es ist kein
Zufall, daß unmittelbar nach der Bewegung der Jahre
1848 und 1849 Wagners revolutionäre Kunstschriften
erschienen, die zuerst sein Ideal des Dramas laut ver-
kündigten und theoretisch begründeten , daß damals
zugleich der Entwurf des Werkes entstand, das dieses
Ideal zuerst vollkommen zur Tat machen sollte. Es
ist ebensowenig ein Zufall, daß dieses Werk als künst-
3
lerische Erscheinung vollendet erst ins Leben trat.
nachdem aus den Zeiten unklaren Strebens und leid-
vollen Streitens, die es reifen sahen, das geeinigte
Deutschland und das neue Reich erwachsen waren.
Das Bühnenfestspielhaus bei Bayreuth und die Auf-
führungen darin im Sommer 1876 und 1<S<S2 waren der
höchste Triumph des Lebens und Schaffens Richard
Wagners, nicht minder aber die unmittelbare künstle-
rische Folge der politischen Siege Deutschlands von
1870 und 1871.
IL
pp^Uilhclm Richard Wagner wurde am 22. Mai
f(p\ I 1813 zu Leipzig geboren. Er war das jüngste
Vm) \ Kind einer zahlreichen Familie, in welcher der
* Sinn für Kunst, besonders für che Bühne.
heimisch war. Schon der Vater, Friedrich Wagner,
Polizeiaktuar am Leipziger Stadtgericht, mit Beethoven
im gleichen Jahre (1770) geboren, pflegte diesen Sinn.
Ihn raffte, gerade ein halbes Jahr nach Richards Geburt,
am 22. November 1813, als die Stadt nach der Völker-
schlacht mit Verwundeten überfüllt war, das Lazarett-
lieber weg. Der Witwe, Johanna, geb. P ä t z (geboren
1771 in Weißenfels, gestorben 1848), nahm sich ein
jüngerer Freund des Verstorbenen mit treuer Sorge an.
Ludwig Geyer, 1779 zu Eisleben geboren, juristisch
gebildet, als Porträtmaler und Lustspieldichter, be-
sonders aber als Schauspieler mit Erfolg tätig, damals
bereits Mitglied der Dresdener Hofbühne. Mit ihm
verheiratete sich im August 1814 Richards Mutter; zu
ihm siedelte bald darauf die Familie nach Dresden über.
Liebevoll wachte Geyer über die Entwicklung des
Knaben, aus dem er „etwas zu machen" hoffte. Aber
dessen mannigfache Anlagen und Neigungen ließen ihn
zweifeln, für welche Kunst er ihn insbesondere er-
ziehen solle. Indessen machte Richard in der Dres-
dener Schule gute Fortschritte, zeigte sich jedoch in
keiner Weise als ein Wunderkind, spielte und tollte
vielmehr übermütig wie ein richtiger gesunder Junge.
Am 30. September 1821 verlor er auch den guten Stief-
vater. Um der Mutter die häuslichen Sorgen zu er-
leichtern, nahm ihn jetzt ein Bruder Geyers auf ein
Jahr zu sich nach Eisleben. Auch eine Privatschule
besuchte hier der Knabe. Dann trat er im Dezember
1822 in die Dresdener Kreuzschule ein.
Griechische Sage und Geschichte regte ihn nun
vor allem an und bestimmte auch seine ersten dichte-
rischen Versuche. Er übersetzte aus der „Odyssee"
und entwarf Trauerspiele nach dem Vorbild eines
sklavisch-starren Nachahmers der nntiken Tragödie, des
gelehrten Leipziger Ratsherrn Johann August Apel.
Mit dem gleichen Eifer aber versenkte er sich alsbald
auch in die Lektüre Shakespeares. Von den Werken
des englischen Dramatikers mächtig ergriffen, arbeitete
er zwei Jahre lang (1826 — 1828) an einem großen Trauer-
spiel „Leu bald", in welchem allerlei Shakespearescke
Motive mit Anklängen an deutsche Ritterschauspiele
verbunden und beide ins Romantisch -Abenteuerliche
kraß gesteigert waren. Der dichterische Trieb erwachte
zuerst in dem Knaben , und auf das Drama war von
Anfang an seine Absicht gerichtet; der musikalische
Trieb schlummerte noch vollständig. Nur für den
„Freischütz" und dessen Komponisten, der seit 1817
als Hofkapellmeister in Dresden wirkte, schwärmte
Richard schon als Kind. An diese Oper erinnerte denn
auch der eine und andre Zug in seinem „Leubald".
Mit der Rückkehr der Familie nach Leipzig (Ende
1827) änderte sich manches auch im Geistesleben des
jungen Richard. Großen Einfluß gewann jetzt sein
Oheim, Adolf Wagner, auf ihn, ein vielfach tätiger,
wissenschaftlich und künstlerisch gleichmäßig gebil-
deter Schriftsteller, ein tüchtiger Philologe und Lite-
6
rarhistoriker, ein fleißiger und vielseitiger Übersetzer,
der sich auch mehrfach als Originaldichter versuchte
und der Anerkennung des hochbewunderten Goethe,
der Freundschaft Tiecks, Fouques und anderer Führer
der Romantik erfreute. Aber trotz der
reichen Anregung, die der Neffe im
Verkehr mit ihm empfing, erlosch
nun in Richard der Eifer für die
Schulstudien, durch den
er sich bisher ausge-
zeichnet hatte. Dafür
entzündeten die Ge-
wandhauskonzerte , in
denen er neben Mozart
vor allem Beethoven
kennen lernte, seine
Liebe zur Musik.
Die Verbindung von
Dicht- und Tonkunst
aber im „Egmont" zeigte ihm
ein höchstes Ideal, dem er
schon jetzt im jugendlichen
Eifer nachstreben wollte. So
beschloß er alsbald, sein
grofses Trauerspiel mit Musik
zu versehen, und entwarf
unter dem Eindruck von
Geburtshaus Wagners in
Goethes „Laune des Verliebten" und Beethovens
Pastoral Symphonie ein Schäferspiel, dessen Musik
er gleich mit den Versen niederschrieb.
Auf die neue Kunst lenkten ihn ganz besonders auch
die Schriften der Romantiker, die so oft in ihrer Poesie
rein musikalische Klangwirkungen erzielen wollten. Sie
las Richard jetzt mit empfänglichem Geiste und unter
ihnen am liebsten die gespenstisch-abenteuerlichen Er-
zählungen des genialen Ernst Theodor Ämadcus Hoff-
mann, der selbst Dichter, Musiker und Maler zugleich
war. als dichterischer Scher das innerste Wesen und
die geheimsten Rätsel der Musik aussprach und gern
die Tonkunst als Vertreterin und höchste Offenbarung
der Kunst überhaupt auffaßte. Einzelne, besonders
mittelalterliche Stoffe Hoffmanns prägten sich schon
damals der Seele seines jugendlichen Verehrers fest ein:
der prickelnde, trotz seiner äufäerlichen Ruhe heftig
aufregende, mit Humor, Satire, Ironie reich getränkte
Stil des romantischen Erzählers übte noch ein Jahr-
zehnt darnach und später auf den Schriftsteller Wagner
• •inen ungemein starken Einfluß aus. Auf den Jüng-
ling, der eben dem Knabenalter entwuchs, wirkte mehr
die überreizte Phantastik Hoffmanns , die Art , wie er
die abstraktesten Begriffe sinnlich belebte, wie er
Märchenhaft -Wunderbares und Wirkliches unlösbar in
einander mischte.
Seine Exzentrizität spiegelte sich äußerlich und
innerlich auch in Richards ersten Kompositionsver-
suchen wieder. Beethovens kühne Größe und Tiefsinn
dachte er nachzubilden, als er sich nach wenigen Ar-
beiten für Kammermusik größeren Orchesterwerken zu-
wandte und besonders mehrere Konzertouvertüro n
schrieb, die meistens in Leipzig ein- oder zweimal auf-
geführt wurden. Dieses Vorbild begeisterte ihn so.
daf3 er selbst schon in der ersten Ouvertüre, die noch
von wirren Absonderlichkeiten strotzte und die Hörer
aufs üußserste verblüffte . etwas auszusprechen ver-
mochte, was ernsten Musikern Achtung abnötigte.
Von dem falschen Schwulste befreite ihn der Unter-
richt des Kantors an der Thomasschule, Theodor Wein-
lig, eines gediegenen Musikers, der ihn in das Ver-
ständnis des Kontrapunktes einführte. Jetzt lernte er
auch Mozart und Haydn besser schätzen. Unter Mo-
zarts Einfluß vornehmlich verfaßte er eine Klavier-
sonatc, seine erste Komposition, die er zum Druck
brachte. Noch ein paar Arbeiten für das Klavier folgten
ihr, zum Teil ebenso unselbständig wie sie. Ein Kla-
vier a u s z u g der „NeuntenSymphonie" aber für
zwei Hände, den er sich damals zunächst zu eignem
Gebrauch anfertigte, fand trotz ernstem Bemühen des
Jünglings nicht den Weg in die Öffentlichkeit. Auch
sieben Gesänge zu Goethes innig bewundertem
..Faust" (1832) blieben ungedruckt. Bedeutender als
die übrigen Kompositionsversuche aus diesen ersten
Jahren fiel eine Symphonie in C-dur aus. Auch
sie verriet neben der Bewunderung Beethovens das
fleißige Studium Mozarts, wies außerdem aber manche
eigenartigen Gedanken und eine bemerkenswerte kontra-
punktische Geschicklichkeit auf.
Aufgeführt wurde die Symphonie zuerst im Sommer
1832 durch Dionys Weber, den Direktor des Prager
Konservatoriums, als Wagner ihn auf der Rückfahrt
von einer Reise nach Wien aufsuchte. Der junge Ton-
dichter hatte im Februar 1831 das Gymnasium ver-
lassen und dann einige Semester an der Leipziger Uni-
versität — nicht allzu fleißig — Philosophie und Ästhe-
tik gehört, ohne jedoch seine Musik, in der er nun-
mehr seinen Lebensberuf erkannte, mit einem gelehrten
Fachstudium zu vertauschen. Auch an den wilden
Genüssen einer studentisch sich austollenden Jugend
hatte er kurze Zeit lebhaften Anteil genommen und
mit warmer Begeisterung in die durch die Julirevo-
lution entfesselten freiheitlichen Regungen und in die
allgemeine Schwärmerei für die unterdrückten Polen
eingestimmt.
Was er 1832 vom Wiener Musikleben kennen lernte,
enttäuschte ihn bitter; in Prag aber und während des
folgenden Winters in Leipzig begann er seine erste
Oper „Die Hochzeit". Schon jetzt war es ihm zur
Überzeugung geworden, daß er nur einen Text, den er
selbst gedichtet, in Musik setzen dürfe: die dramati-
sche Wirkung, auf die es ihm vor allem ankam, war
nur so zu erreichen. Verschiedne literarische Anre-
gungen scheinen bei der Gestaltung des düstern Stoffes
zusammengewirkt zu haben. Auf Ossians Helden weisen
die Namen der Wagnerschen Personen zum Teil zu-
rück. Einzelne Züge der Oper klingen an Shakespeare-
sche Probleme an; der Schluß mahnt an die Kata-
strophe der „Braut von Messina" und an allgemein
leitende Gedanken der Schicksalstragödie. Die Grund-
linien der bedeutendsten Szene, aber auch nur die Grund-
linien, dürfte Wagner dem Trauerspiel ..Cardenio und
Celinde" von Immermann (1826), vielleicht auch der
eben erst in Wien bis zum Überdruß gehörten Oper
..Zampa" von Herold entnommen haben. Freilich ver-
kürzte und vereinfachte er dabei durchweg die Hand-
lung, die ihm diese Vorlagen darboten, ja veränderte
sie in dem weiteren Verlauf, den er ihr gab, bis zur
Unkenntlichkeit. Allein der krasse , vielleicht auch
sonst exzentrische Text mißfiel der Schwester des
Dichters, die als begabte Schauspielerin wohl ein Urteil
in solchen Dingen haben mußte. Wagner vollendete
daher die Komposition nicht, die sich noch meist in
den alten Bahnen der deutschen Oper bewegte, ob-
gleich ein Septett am Anfang Weinligs frohen Beifall
fand. Die Dichtung vernichtete er spurlos; nur die in
Musik gesetzte einleitende Szene (mit jenem Septett)
hat sich handschriftlich erhalten.
Dagegen gedieh eine andere, bald nach der „Hoch-
zeit" begonnene Oper zum Abschluß, aber erst in Würz-
burg, wohin Wagner zu seinem Bruder Albert, der
dort als Schauspieler, Sänger und Regisseur wirkte,
im Februar 1833 übersiedelte. In Friedrich Werthes'
deutscher Übersetzung der theatralischen Werke des
10
Grafen Carlo Gozzi (Bern 1777) hatte der Jüngling das
tragikomische Märchen „Die Frau eine Schlange" („La
donna serpente") gelesen. Schon 1806 war dieses
Stück von dem Berliner Kapellmeister Friedrich Hein-
rich Himmel zn einer Oper „Die Sylphen" bearbeitet
worden, von der jedoch Wagner kaum etwas Näheres
wußte. Wohl aber war sem Augenmerk durch das
begeistert empfehlende Lob seines Oheims und E. T. A.
Hoffmanns längst auf den phantasievollen italienischen
Dramatiker gelenkt worden. Nun gestaltete auch er
Gozzis Märchendrama zu einer Oper um, die er „Die
Feen" betitelte.
Er benannte in den meisten Fällen die Personen
anders, wobei er mehrfach Namen aus der „Hochzeit"
auf sie übertrug, ließ einige wenige Nebenfiguren ganz
weg, behielt aber im allgemeinen den Gang der Hand-
lung, ihre Gliederung in drei Akte sowie die wichti-
geren Charaktere des Originals bei. Nur beseitigte er
manche Züge, die derb-possenhaft wirkten oder auch
Gozzis persönlichen satirischen Zwecken dienten, und
entfernte oder milderte wenigstens alles, was durch
die Übertreibung des Wunderbaren allzu sehr an das
Märchen mahnte. Dafür bildete er die ernsten, mensch-
lich ergreifenden Szenen seiner Vorlage edler und be-
deutender aus. Am Inhalt änderte er trotz mehrfachen
Kürzungen wenig; im Einzelausdruck verfuhr er voll-
ständig frei als Originaldichter, der zwar oft noch mit
Sprache und Vers unbeholfen rang, bisweilen aber
schon echten poetischen Glanz über seine Reden aus-
zugießen vermochte. In die Exposition wußte er mehr
Klarheit und Stimmung zu bringen als der Italiener;
die Vorgänge des zweiten Aufzugs ordnete er so, daß
sich in seinem Werke ein reicheres dramatisches Leben
auf der Bühne entfaltet, also auch eine stärkere thea-
tralische Wirkung erzielt wird. Zu andern Ände-
rungen veranlaßte ihn die Rücksicht auf die musika-
lische Ausführung, der Wunsch, hier eine Arie, dort
ein Duett, Terzett oder Quartett, einen Chor anzu-
11
bringen, besonders die Akte mit großen Ensembles zu
sehließen.
Musikalische Gründe waren es denn aueh zunächst.
die ihn bestimmten, das Ende des Dramas völlig um-
zugestalten. Bei Gozzi wird die Fee Cherestani, die
um eines irdischen Mannes willen der Unsterblichkeit
entsagen wollte, in eine Schlange verwandelt, da ihr
Gemahl die Prüfungen, durch die er sich seines (lauern-
den Glückes würdig machen sollte, nicht bestand.
Abel" nun rafft sich der Schuldige zu übermenschlichen
Taten auf, siegt in Kämpfen, die den Mutigsten
schrecken könnten, bricht den Zauber, indem er die
entsetzliche Schlange küßt, und gewinnt so sich die
Geliebte zurück, ihr aber das ersehnte Los der Sterb-
lichkeit. Bei Wagner wird die Fee Ada in Stein ver-
wandelt und durch den beschwörenden Gesang ihres
Gatten wieder entzaubert. Aber nicht sie wird nun
sterblich wie er, sondern er. den die Götterkraft der
Liebe über das gemeine Maß des Menschlichen er-
hoben, folgt seiner Gemahlin, gleich unsterblich wie
sie, ins Feenreich. Die Dichtung, die so mit ihrem
Preise der Macht des Gesanges an die Sage von
Orpheus und Eurydike, äußerlich auch an den SchlnCs
von Shakespeares ..Wintermärchen" erinnert, ist durch
Wagners Änderung nicht nur ergiebiger für den Ton-
setzer geworden, sie befriedigt nun auch unser poeti-
sches Empfinden besser. Indem Wagner seinen Helden
zuletzt der Unsterblichkeit teilhaftig werden ließ, kehrte
er, vielleicht unbewußt, zur ältesten Fassung jener
Sagen von der Vermählung eines überirdischen Weibes
mit einem sterblichen Manne zurück, zu Kalidasas
Drama „Urvasi", das schon seit 1828 in einer deutschen
Übersetzung (von Oskar Ludwig Bernhard Wolff) vor-
lag. Zugleich aber deutete er damit bereits auf einen
Gedanken, der in seinen späteren Werken mehrmals
wiederkam, im allgemeinen hin. auf die Erhebung vom
Irdischen zu ewiger Wonne durch die Kraft der er-
lösenden Liebe. Noch andre Grundmotive der späteren
12
Wagnerschen Dichtung sind in den „Feen" schon vor-
gebildet; so namentlich die Idee des „Lohengrin" : nur
so lange darf der Mensch in ungetrübtem Glücke mit
einem Wesen aus überirdischen Bezirken liebend ver-
einigt sein, als er nicht zweifelnd dessen geheimnis-
volle Herkunft aufzudecken versucht.
Auch die musikalische Ausführung der „Feen"
weist hie und da schon auf den späteren Wagner hin,
aber doch nur in vereinzelten Fällen, wo der junge
Komponist dramatisch besonders bedeutsame Momente
durch die Kunst seiner Töne charakterisieren, oder wo
er halblyrische, idyllische und namentlich elegische
Stimmungen erklingen lassen wollte. Dazu kommen
in der Ouvertüre und auch sonst ein paar Themen,
die in späteren Werken Wagners, in der „Faust-Ouver-
türe", im „Rienzi", im „Fliegenden Holländer", fast
unverändert wieder auftauchen. Bewundernswürdig
ist, wie sicher der Jüngling die technischen Mittel be-
herrscht, den Chor und die einzelnen Instrumente be-
handelt, das Orchester überhaupt zum Ausdruck der
Empfindung und zur dramatischen Wirkung verwertet.
Allzu große Breite ist ein Grundfehler der Kompo-
sition ; hierin verrät sich am meisten der Anfänger.
Ihn merkt man ferner in den Rezitativen. Hier vor
allem fand der unsicher Tastende noch oft die selb-
ständige freie Melodie nicht, deren Mangel Wagner
hernach selbst beklagte. Eine viel größere und zum
Teil reifere musikalische Begabung bekundeten die
Arien und mehrstimmigen Gesänge, die großen En-
sembles und die Ouvertüre. In der Leichtigkeit, mit
der er seine Melodien der natürlichen Betonung der
Worte anpaßte, übertraf schon der junge Dramatiker
die meisten seiner Vorgänger. Freilich blieb er auch
bei dem entschiedensten Streben nach eigenartiger
Erfindung und Gestaltung nicht selten noch in der
Nachbildung fremder Muster befangen. Daß sein musi-
kalischer Stil in den „Feen" von Beethoven, Weber
und Marschner abhängig war, hat Wagner später selbst
13
ausgesprochen. Aber auch Eindrücke aus Mozarts
Opern, aus Schuberts Liedern und selbst Einflüsse
gleichzeitiger Musiker von viel geringerem Namen sind
in der Komposition der „Feen" zu spüren; ja bisweilen
glaubt man schon Anklänge an den Stil Rossinis und
der jüngeren Italiener zu vernehmen, mit deren Werken
Wagner eben damals bekannt wurde. Doch der Grund-
charakter seiner Musik war noch völlig deutsch; das
Vorbild Webers bestimmte ihn mächtiger als alle an-
dern, noch so verlockenden Muster.
Unmittelbar nach der Vollendung seiner Oper (im
Januar 1834) reiste der Jüngling nach Leipzig zurück.
Er hatte, auch abgesehen von dieser Arbeit, seine Zeit
in dem musikalisch regsamen Würzburg nicht ver-
geudet und sich namentlich als Chor- und Solorepe-
titor am dortigen Stadttheater die erste Routine er-
worben, deren der nachmalige, unvergleichlich geniale
Dirigent bedurfte. In Leipzig warteten seiner Ent-
täuschungen - - er konnte seine „Feen" nicht auf die
Bühne bringen - und neue Eindrücke. Er hörte
AVilhelmine Schröder-Devrient in Bellinis Opern, die
Künstlerin, deren auf3erordentliches Wesen elektrisch
auf ihn wirkte, deren Bild von nun an ihm vor die
Seele trat, so oft ihn der Drang zu künstlerischem
Gestalten belebte. Von ihr gesungen, schien ihm die
moderne italienische Musik, deren Schwächen er nicht
verkannte, doch auch ihre nachahmenswerten Vorzüge
zu haben: freudige Lebenslust fand er hier, wenn auch
frivol, so doch ungleich glücklicher ausgesprochen als
in den schwerfällig-gewissenhaften deutschen Werken.
Und freudige Lebenslust sollte jetzt seine Losung
sein. Sie predigten die Schriftsteller, zu denen er sich
nun vornehmlich hingezogen fühlte, Wilhelm Heinse,
der Prophet des künstlerisch höchsten wie des sinnlich
niedrigen Genusses, der unter allen Dichtern des acht-
zehnten Jahrhunderts die wärmste Begeisterung und
das feinste Verständnis für Musik besaß, und die Au-
toren des Jungen Deutschland, Heinrich Laube, mit
14
dem Wagner schon vor Jahresfrist persönlich bekannt
geworden war, daneben Ludwig Börne, Karl Gutzkow,
Heinrieh Koenig und der Dichter, der nun bald für
eine geraume Zeit den stärksten Einfluß auf den jugend-
lich aufstrebenden Künster ausüben sollte, Heinrich
Heine. Volles Leben in der Gegenwart, Erfassen und
Genießen des Augenblicks, der Wirklichkeit, Freiheit
in Staat, Sitte und Literatur bis zur rücksichtslosen
Emanzipation des Fleisches lehrten diese Schriftsteller
uud lenkten dabei die Blicke sehnsüchtig nach Frank-
reich, wo der Kampf gegen das, was in Staat und Ge-
sellschaft, in Religion, Kunst und Wissenschaft autori-
tativ galt, schon früher begonnen hatte. Mit ihnen
richtete auch Wagner sein Auge auf die französische
Literatur und Musik. Und hier war ihm schon vor
einigen Jahren in Aubers Meisterstück, der seit 1829
in Leipzig oft aufgeführten „Stummen von Portici", ein
ganz revolutionäres Werk entgegengetreten, das ihn
heftig und nachhaltend erregte, eine Oper von merk-
würdig dramatischer Geschlossenheit, dabei „heiß bis
zum Brennen und unterhaltend bis zum Fortreißen",
wie er noch 1871 von ihr rühmte.
Der tiefe Eindruck, den alle diese künstlerischen
Erscheinungen auf ihn machten, offenbarte sich in einem
Aufsatz über die deutsche Oper (1834), worin
er gegen die deutsche Einseitigkeit und ihren Anschein
von musikalischer Gelehrsamkeit eiferte. Noch stärker
prägte sich dies Empfinden in dem größeren Werke
aus, dessen Plan auf einer Sommerreise 1834 zu Teplitz
entstand, der zweiaktigen Oper „DasLiebesverbot
oder die Novize von Palermo".
Shakespeares „Maß für Maß" lieferte den Stoff.
Aber wieder, wie zuvor bei den „Feen", verminderte
Wagner die Anzahl der handelnden Personen, verkürzte
die Handlung um allerlei Episoden und veränderte den
Ausgang so, daß er nun auch dem Musiker brauch-
bare Motive darbot. Zugleich aber deutete der neue
Schluß auch äußerlich den revolutionären Sinn des
15
jungen Dichters an. Bei Shakespeare steht der Herzog,
den seine Untertanen abwesend glauben und in der
Mönchskutte nicht erkennen, im Mittelpunkt der Hand-
lung. Er beobachtet prüfend alle Wirren, die zunächst
die unnatürlich-grausame Strenge seines Stellvertreters
gegen sinnliche Vergehen, dann aber auch die eigne
sinnliche Leidenschaft eben dieses Stellvertreters her-
vorruft: er greift, zuerst noch unerkannt, beratend und
mildernd in sie ein und schlichtet sie zuletzt in öffent-
licher Gerichtsverhandlung, wo gerecht Maß für Maß
zuerkannt wird. Diesen sittlich-rechtlichen Grundsatz
dramatisch zu beleuchten, war Shakespeares Haupt-
zweck; die Darstellung der sinnlichen Vergehungen
freier Liebe diente ihm nur als Mittel zu diesem Zweck.
Wagner hingegen, von den Lehren des Jungen Deutsch-
land bestochen, entfaltete die freie, offne Sinnlichkeit
um ihrer selbst willen. Indem er den ernsten, richter-
lichen Schluß beseitigte, ließ er diese Sinnlichkeit den
Sieg über puritanische Heuchelei rein durch sich selbst
gewinnen. Das Unnatürliche der grausamen Sitten-
richterei des Statthalters kehrt sich gegen ihn selber;
nicht erst sein Fürst, sondern sein eignes Herz be-
straft den heuchlerischen Toren, der gegen Natur und
Liebe wüten zu können vermeint. Von seinem Drucke
aber befreit sich das Volk selbst, ohne die Rückkehr
des Fürsten erst abzuwarten, durch einen Aufstand,
der mitten aus der übermütigen Faschingslustbarkeit
hervorbricht.
Die Handlung des Shakespeareschen Stücks verlor
durch diese Vereinfachung der Motive zwar an geistiger
Tiefe und sittlichem Ernst, aber kaum an dramati-
schem Gehalt: ihre theatralische Wirkung, ebenso ihre
Lustigkeit wurde dadurch eher erhöht. Auch auf die
Ausgestaltung der Charaktere und die dichterische
Ausführung des Einzelnen verwandte Wagner (und
nicht vergeblieh) manchen Fleiß: doch mußte er hier
notwendig gegen seinen Vorgänger zurückstehen. Denn
schon der herkömmliche Stil der komischen Oper, von
IG
dem er sich auch im Textbuch nur selten Loszureißen
vermochte, zwang ihn zu mancher Oberflächlichkeit in
Charakteristik, Handlung und Ausdruck. Alter das
ganze Problem wußte Wagner im modernen Sinne
glaublicher zu gestalten, einiges auch seelisch tiefer
zu begründen. Um die Entwicklung des Dramas wahr-
scheinlicher zu machen, wählte er statt des Shakespeare-
schen Wien eine südlichere Stadt, deren Bewohner
von heißerer Sinnlichkeit glühen, das Palermo des
M'chzehnten Jahrhunderts, zum Schauplatz. Die Er-
innerung an Aubcrs „Stumme", wo gleichfalls ein
Volksaufruhr im südlichen Italien dargestellt wurde,
vielleicht auch an die sizilianische Vesper, mochte ein
weiterer Grund für die örtliche Verlegung des alten
Stoffes sein, den überdies schon Shakespeare aus
italienischen Novellen geschöpft hatte. Den puritani-
schen Statthalter aber machte Wagner zu einem Deut-
schen : die Satire des gleichzeitigen Aufsatzes über die
deutsche Oper gegen die schwerfällige Gediegenheit
seiner Landsleute, die von dem Recht der leichten
Sinnlichkeit nichts wissen wollten, tauchte hier nur in
andrer Form wieder auf.
Von der gelehrten Schwerfälligkeit der deutschen
Meister suchte sich denn auch der junge Musiker bei
der Komposition dieser Oper frei zu halten. Ganz andre
Muster als noch jüngst bei den „Feen" schwebten ihm
nun vor, die modernen Italiener und Franzosen, Auber
und Bellini mit in erster Linie, neben ihnen auch schon
.\h ■verheer. Sie bildete er jetzt unbedenklich mit all
ihren Trivialitäten und bloß äußerlichen Effekten nach,
ihren hguren- und kadenzenreichen Gesangsstil, ihre
oft roh lärmende Instrumentationsweise. Selbst un-
mittelbare thematische Anklänge an sie vermied er
nicht. Aber schien er sich auch mit dieser Kompo-
sition von ausgesprochen romanischem Gepräge ganz
und gar von den deutschen Meistern zu entfernen, so
ließ doch hie und da eine vereinzelte , nichts weniger
als banale und durchaus unromanische Melodie nebst
U u n c- k e r, R. Wagner. 2. Aufl. 2 17
ihrer eigenartig-charakteristischen Durchführung ahnen,
daß er mit der Zeit auf den Weg zurückkehren werde,
den er als Nacheiferer Beethovens und Webers der-
einst betreten hatte. Ein paar Motive seiner späteren
Opern, sogar noch eines aus der Erzählung Tann-
häusers von seiner Pilgerfahrt nach Rom . kündigten
sich bereits mitten unter den französischen und ita-
lienischen Weisen des ..Liebesverbotes" an.
Die einzelnen Werke der neuen Schule, der sich
Wagner hier anschloß, lernte er praktisch auf das
gründlichste kennen, seitdem er (im Juli 1834) Musik-
direktor bei der Theatertruppe Heinrich Bethmanns ge-
worden war. Sie spielte die nächsten Sommermonate
in Lauchstädt und Rudolstadt, vom Oktober an in
Magdeburg. Mit Eifer und Erfolg gab sich Wagner
seiner neuen Aufgabe hin. an der er selbst am meisten
lernte , leitete außer den Opernaufführungen auch das
eine oder andere Konzert, komponierte neben dem
„Liebesverbot" noch einige kleinere Werke, besonders
eine Kantate zum Neujahr 1835. begann auch im
Beethovenschen Stil eine zweite Symphonie (in
E-dur), die jedoch nicht über den Anfang des zweiten
Satzes hinaus gelangte, und sprach gelegentlich in
einem Zeitungsaufsatze ähnliche Ansichten aus wie in
dem früheren Versuch über die deutsche Oper. Eine
Reise , die er in Angelegenheiten des Theaters im
Sommer 1835 unternahm, führte ihn zu Nürnberg wie-
der mit Wilhelmine Schröder-Devrient zusammen und
steigerte nur noch seine Bewunderung für die außer-
ordentliche Künstlerin. Auch traf er in Kosen den
alten Freund Laube wieder, der ihm seinen Beifall für
die Dichtung des ..Liebesverbotes" nicht vorenthielt.
Endlich konnte Wagner am 29. März 1836 diese
Oper auf die Bühne bringen. Es war dicht, bevor
er Magdeburg für immer verließ. Denn die Gleich-
gültigkeit des dortigen Publikums gegen das Theater,
obwohl tüchtige Kräfte an diesem wirkten, verursachte
schon um Ostern 1836 die Auflösung der Bethmann-
18
sehen Truppe. Nur eine einzige , noch dazu übereilte
und deshalb wirkungslose Aufführung des „Liebesver-
botes" kam zustande ; alle Bemühungen des Kompo-
nisten, eine Wiederholung seiner Oper in Leipzig oder
in Berlin zu erzielen, waren fruchtlos. Um sich eine
neue Stellung zu gewinnen, ging er im Sommer nach
Königsberg; aber erst im Frühling 1837 wurde ihm
hier das Amt eines Musikdirektors übertragen, das er
jedoch schon im Mai bei dem Bankerott des Königs-
berger Theaters wieder verlieren sollte.
Noch vorher, am 24. November 1836, hatte er sich
mit der Schauspielerin Christine Wilhelmine
Planer (geboren am 5. September 1809) verheiratet,
die zugleich mit ihm schon in Magdeburg gewirkt hatte
und dort seine Braut geworden war. Es war ein über-
eilter Schritt, den auch seine Familie vorerst nicht
billigen konnte. Schon nach wenigen Monaten traten
schwere Mißhelligkciten zwischen den beiden Gatten
ein, die fast zur Lösung der Ehe geführt hätten. Ge-
rade als die größte Not über Wagner hereinbrach, ver-
ließ ihn auch Minna. Doch verzieh er ihr, als sie
reuig im Spätherbst zu ihm zurückkehrte, und von
nun an trug Minna, einfach und von Herzen gut, Jahre
lang in treuer Liebe Mühsal und Entbehrung mit ihrem
Gatten, dessen künstlerischen Genius sie freilich nicht
zu würdigen vermochte. Aber ihre opferwillige Güte
gewann ihr jetzt auch die Herzen derer, die ihm die
nächsten waren, seiner Mutter, Schwestern, Freunde.
Und Wagner selbst hing mit aller Innigkeit fest an
seiner „armen Frau"; ihre Not ließ ihn das eigne
Leiden doppelt bitter empfinden. Erst als die geistigen
Gegensätze immer schroffer hervortraten, trennten sich
die beiden nach langen inneren Kämpfen im August
1858 auf mehr als Jahresfrist und nach einem längeren
Versuch, wieder zusammenzuleben, endgültig, doch
nicht unfreundlich im Juli 1861. Minna lebte darauf
noch einige Jahre in Dresden; am 25. Januar 1866
starb sie dort.
19
Dürftige und kleinliche Verhältnisse engten von
Anfang an Wagner in Königsberg ein. Zu einem wahr-
haft künstlerischen Schaffen konnte er hier nicht ge-
langen, wenn er auch gelegentlich eine Einlage zu
einem Theaterstück und eine Ouvertüre komponierte.
Und aus diesem Drangsal sah er nur einen Rettungs-
weg: er mußte eine Oper schreiben, die von Paris aus
ihren Siegeslauf über die deutsche Bühne antreten
sollte. Aber wie konnte er in Paris durchdringen? Er
wollte Scribc vermögen, daß er ihm das Textbuch zu
dem entscheidenden Werke verfasse. Roman auf Ro-
man las er, um einen tauglichen Stoff zu finden. End-
lich bearbeitete er den Kern des breiten, doch wegen
seiner freiheitlichen Tendenz damals vielgerühmten
Romans ..Die hohe Braut" von Heinrich Koenig (1883)
zu einem Opernentwurf, dessen poetische Ausführung
er Scribe antrug. Natürlich vergebens; sechs Jahre
später dichtete er selbst den Plan von 1836 zum Text-
buch um, das sein Freund Johann Friedrich Kittl als
vicraktige Oper „Bianca und Giuseppe oder die
Franzosen vor Nizza" in Musik setzte.
Aus der Fülle von Gestalten und abenteuern, die
uns Koenig vorführt, griff Wagner nur einige Haupt-
personen und die Liebeshandlung, die sie enger unter
einander verbindet, mit ihren nächsten Verwicklungen
heraus. Doch auch hier beschränkte er sich etwa auf
die erste Hälfte des Romans, gab ihr aber, ohne des-
halb im einzelnen viel an ihr ändern zu müssen, einen
tragischen Schluß. Auch in der Art, wie er die Be-
freiung der gefangenen Freiheitskämpfer veranschau-
lichte, wich er von Koenigs Erzählung ab, bildete da-
für aber im allgemeinen eine Szene verwandten In-
halts in Cherubinis ..Wasserträger" nach. Auf lebens-
volle Zeichnung der Charaktere und tiefere seelische
Begründung der Geschehnisse ging Wagner hier nicht
aus; auch war keine höhere, wirklich leitende Idee in
seiner Dichtung wahrzunehmen. Sie konnte nur als
ein dem herkömmlichen Wesen der großen Oper genau
20
angepafstcs, jedoch recht bühnenwirksames Textbuch
in leichten, mäßig guten Versen ohne besondere künst-
lerische Ansprüche gelten.
Von Königsberg begab sich Wagner im Mai 1837
nach Berlin und Dresden, um sich bei Karl von Holtei,
dem neuen Direktor des deutschen Theaters in Riga,
um die Stelle des ersten Kapellmeisters zu bewerben.
Nach ein paar sorgenvollen Wochen sah er seinen
Wunsch erfüllt; im September trat er sein neues Amt an.
In Riga fand er bessere Mittel und ein wirklich
künstlerisches Streben vor und beteiligte sich alsbald
mit freudigem, nach der Meinung des leichtsinnigeren
Holtei mit übertriebenem Eifer an diesem Streben. Er
verfaßte auch Einlagen für Sänger in beliebte Opern
und entwarf nach einer stark modernisierten Erzäh-
lung aus „Tausend und einer Nacht" eine komische
Oper „Die glückliche Bärenfamilie", verwarf
den Plan aber wieder, sobald er bemerkte, daß er da-
mit allzu sehr in die frivol-triviale Kompositionsweise
der modernen Italiener und Franzosen geriet. In Kon-
zerten, die er zu leiten hatte, führte er unter anderm
zwei eigne Ouvertüren auf, die in den letzten Jahren
entstanden waren; in ihrem Stil bekundeten sie eine
sonderbare Mittelstellung zwischen der Musik Beet-
hovens und der Bellinis, dessen klare, einfach-schöne
Gesangesmelodie, vor allem in der „Norma" edel ge-
bildet, Wagner auch in einigen Zeitungsaufsätzen mit
überzeugender Wärme pries. Aber etwa nach Jahres-
frist trat ein Umschwung in seiner Auffassung seines
Berufes ein : das Komödiantenwesen, die Unmündigkeit
des Publikums, die banale Eintönigkeit der Opern, die
immer wieder gespielt werden mußten , widerten ihn
an. Er genügte mit gewissenhafter Strenge seiner
Dirigentenpflicht, hielt sich aber sonst fern von dem
Masiktreiben in Riga und widmete seine ganze Muße
dem Werke, das ihn, wie er hoffte, mit einem Schlag
aus diesen dumpfen und engen Verhältnissen reißen
sollte, der Dichtung seines „Rienzi".
21
So kam der Frühling 1839 heran. Bald nach Neu-
jahr hatte Holtei die Leitung des Rigaer Theaters
niedergelegt, vorher aber bereits als ersten Kapell-
meister für das nächste Jahr statt Wagner heimlich
dessen angeblichen Freund Heinrich Dorn verpflichtet.
Den ahnungslosen, pflichteifrigen Künstler traf die
völlig unverdiente Entlassung furchtbar hart. Doch
mutig entschlossen, zwang er das Unglück, seinen
heifsesten Wünschen zu dienen ; so hoffte er es schließ-
lich sich zum Heile zu wenden. Das Textbuch und
die Partitur von fast zwei Akten seines „Rienzi" waren
eben fertig geworden; in der Metropole der europäi-
schen Kunst wollte er seine Oper vollenden und von
dort aus in die Welt schicken.
Nun hatte er aber, besonders in dem traurigen
Königsberger Jahr, doch auch hernach in Riga, aller-
hand Schulden machen müssen, an deren Heimzahlung
er erst in viel späteren Jahren denken konnte. Da-
mals gab es für ihn nur eine Rettung vor den Gläu-
bigern, die Flucht. In Mitau, wo die Rigaer Theater-
truppe stets im Juni spielte, schloßt Wagner seine
Dirigententätigkeit auf russischem Boden. Mit Hilfe
eines Königsberger Freundes gelang es ihm, von da
die scharf bewachte preußische Grenze zu überschreiten.
Dann schiffte er sich zu Pillau mit seiner Gattin zu-
nächst nach London ein. Über drei Wochen dauerte
die stürmische , gefahrvolle Fahrt. In London rastete
Wagner nur wenige Tage, bevor er die Reise nach
Frankreich fortsetzte. Hier blieb er zuerst in Boulogne
sur mer einige WTochen. Während dieser Zeit gelang
es ihm auch, sich Meyerbeer zu nähern, der gleichfalls
gerade dort weilte. Am 16. September 183V) traf er
in Paris ein.
22
III.
eich an Hoffnungen, aber desto ärmer an
äußeren Mitteln, hatte sich Wagner der
Weltstadt genähert. Wie rasch wurden
seine stolzen Erwartungen enttäuscht! Seine
Versuche, mit seiner halbfertigen Oper durchzudringen,
ja selbst bis zu ihrer Vollendung einstweilen das
„Liebesverbot" auf ein Pariser Theater zu bringen,
schlugen sämtlich fehl. Er hatte noch keinen berühm-
ten Namen, und er hatte auch nicht das Vermögen
oder die Gönner, die ihn trotz jenem Mangel zum
Ziele führen konnten. Zwar tat Meyerbeer vieles,
um ihn zu empfehlen. Aber dieser war selbst gerade
damals zu oft von Paris abwesend, um persönlich er-
folgreich für einen andern wirken zu können. Sonst
traf Wagner in der französischen Hauptstadt zwar wie-
der mit Laube zusammen, der ihn mit Heinrich Heine
bekannt machte. Aber beide konnten dem Musiker,
dessen Ziel die grof3e Oper war, zu nichts helfen.
Und ebensowenig die paar treuen deutschen Freunde,
an die er sich am innigsten anschloß, die Maler Ernst
Kietz und Friedrich Pecht, der Philologe Samuel Lehrs,
der Musikgelehrte Anders, der musikliebende Kauf-
mann Brix und der Buchhändler Eduard Avenarius,
23
der sich 1840 mit Wagners Stiefschwester Cäcilic ver-
mählte.
Unter diesen Umständen, die den Künstler oft
der bittersten Not nahe brachten, konnte er die Kompo-
sition seines „Rienzi" nur mit großen Unterbrechungen
weiter führen. Er mußte schauen, wie er durch
niedrige musikalische Arbeiten und durch Schrift-
stellerei sich sein Brot verdienen könne. Er machte
Klavierauszüge, ja Arrangements für allerlei Instru-
mente aus beliebten Modeopern von Donizetti, Halevy
und andern Verfassern; er ließ sich sogar einmal
die Komposition eines gassenhauerischen Vaudevilles
für ein Boulevardtheater übertragen. Dazwischen
setzte er Heines Romanze ..Die Grenadiere" nach einer
französischen Übertragung und einige Lieder von
Ronsard, Victor Hugo und F. A. Leo (wie schon in
Riga ein Gedicht von Georg Scheurlin) in Musik, um
sich so langsam bei dem Pariser Publikum einzuführen.
Auch das war umsonst: man war allzu sehr an leichte
italienische Gesänge gewöhnt; gegen sie gehalten,
schienen Wagners Lieder zu schwer; es stak trotz
allen Anklängen an französische Musik noch immer
zu viel Schubert, überhaupt zu viel deutsches Wesen
in ihnen.
In diesem immer aussichtsloseren Ringen erwuchs
dem Tondichter, auf den von dem ganzen Pariser
Musikleben nur die Konzerte des Conservatoire mit
ihrer ernsten Pflege der Beethovenschen Symphonien
einen rein künstlerischen Eindruck machten, 1810
Drang und Stimmung zu einem symphonischen Werke,
das freilich über den ersten Satz nicht hinausgedieh
und erst, nachdem es 1855 gründlich umgearbeitet
worden war, an die Öffentlichkeit gelangte, zu der so-
genannten „Faust-Ou v e r t ü r e " . Wagner wollte
hier nichts weniger als etwa eine regelrechte Ouver-
türe zu Goethes Tragödie schreiben; er stellte viel-
mehr musikalisch das Faustische Leiden eines Helden
dar. der des Lebens überdrüssig ist und doch im Ge-
24
fühle seiner genialen Kraft den Kampf mit ihm immer
wieder aufnimmt. Die Grundlage seiner Komposition
gab ihm der erste Satz der „Nennten Symphonie";
aber auch Beethovens „Coriolan- Ouvertüre" wirkte
dabei maßgebend auf ihn ein.
Dasselbe verzweifelte Ringen mit Kunstzuständen,
die, so ungenügend und unhaltbar sie waren, doch das
neue, bessere Talent des Reformators im Werden zu
ersticken drohten, schuf Wagner aber auch zum Schrift-
steller. Seit 1840 verfaßte er für die „Revue et ga-
zette musicale de Paris" und für mehrere deutsche
Zeitschriften kritische Berichte über das Pariser
Musik- und Theaterleben, mehr theoretische Auf-
satz e über das Verhältnis des schaffenden zum reprodu-
zierenden Künstler, des Künstlers zum Virtuosen, des
Genies zur Öffentlichkeit, über deutsches Musikwesen,
über die Ouvertüre, über einzelne Symphonien Mozarts
und Beethovens, endlich zwei Novellen, die in dichteri-
scher Verhüllung und Umgestaltung seine eignen
Lebenserfahrungen und künstlerischen Überzeugungen
darstellten, „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven"
und „Ein Ende in Paris".
Ebenso hatte dreißig Jahre zuvor E. T. A. Hoff-
mann seine schriftstellerische Laufbahn begonnen, mit
Aufsätzen über Musik und mit Novellen. An Hoff-
mann erinnern denn auch diese Arbeiten Wagners,
besonders die beiden Novellen, in mehr als einem
Zuge. Vor allem schwebte die Gestalt des genialen
und eben darum weltunkundigen und von der Welt
nicht verstandenen Kapellmeisters Kreisler dem jün-
geren Dichter vor, als er von den Kunstansch.au-
ungen und Plänen seines deutschen Musikers be-
richtete, von dessen Wallfahrt nach Wien zu seinem
angebeteten Meister Beethoven, von seinem vergeb-
lichen Ringen und traurigen Ende in Paris. Ein-
zelne Züge in diesen vortrefflich erzählten, mit Witz,
Humor , Ironie und Satire gewürzten , aber auch mit
rührender Empfindung reich erfüllten Novellen muten
25
uns in ihrer wunderlichen Genialität geradezu Hoff-
mannisch an.
Aber neben dem alten Romantiker hatten nun
auch die jüngeren Führer der neuesten Literatur, unter
ihnen mit am meisten Heine, Einfluß auf Wagner und
insbesondere auf den Stil seiner kritischen Aufsätze
gewonnen. Auch der Schriftsteller Wagner mußte
eine seiner vorzüglichsten Aufgaben darin erblicken,
daß er (was er später einzig an Heine rühmte) die
Verlogenheit der gesamten Kultur und Kunst, die
ihm allerwärts begegnete, schonungslos mit hinreißen-
dem Spott aufdeckte. Durch alles, was er schrieb,
ging ein Schrei der Empörung gegen die modernen
Kunstzustände, gegen die Genußsucht und sinnliche
Oberflächlichkeit des Publikums, das statt geistiger
Erhebung nur Augen- und Ohrenkitzel zur Ertötung
der Langenweile suchte, gegen die äußerliche Effekt-
hascherei der Dichter und Tonsetzer, die kein Drang
des Herzens, sondern die Modesucht oder die Begierde
nach Erwerb zu der Kunst trieb, gegen das Virtuosen-
tum. durch das die Sänger und Darsteller das Kunst-
werk zerstörten und die Kunst selbst entwürdigten.
Wie einst Goethe an der Grenze Deutschlands, in
Straßburg, das gerade damals sich nachhaltend dem
deutschen Wesen entfremdete, für die deutsche Dich-
tung dauernd gewonnen wurde, so fand sich Wagner
in Paris, im Mittelpunkte der romanischen Kunst, der
auch er in den letzten Jahren gehuldigt hatte, als
deutschen Künstler endgültig wieder. Noch hielt eine
Zeit lang bei ihm die Täuschung vor. daß auch Meyer-
beer, an den ihn persönlich Bande der Dankbarkeit
fesselten, in dessen Opern ihn der bühnenwirksame,
mitunter sogar echt dramatische Aufbau bestrickte,
ein wahrer und in seinem innersten Wesen deutscher
Künstler sei. Aber schon trieb ihn die eigne künst-
lerische Natur mächtig über Meyerbeer hinaus. Er
pries noch laut den Komponisten des ..Robert" und
der ..Hugenotten" ; aber er wandte sich zugleich mit
26
warmer Liebe und heiliger Begeisterung zu seinen
alten deutschen Meistern zurück, zu Bach, Gluck,
Mozart, Beethoven, Weber, Marschner, Spohr, und
suchte sich in seinem Denken wie in seinem Schaffen
seinem künftigen Ziele zu nähern, einer deutsch-dra-
matischen Oper nach seinem Sinne, einem wahrhaften
musikalischen Drama. Zwei große Schritte auf diesem
Wege tat er noch in Paris: er vollendete im November
1840 seinen „Rienzi" und schrieb im folgenden Früh-
ling den „Fliegenden Holländer".
Über drei Jahre waren verstrichen, seit ihm Bulwers
Roman „Rienzi, der letzte der Tribunen" in deut-
scher Übersetzung von Georg Nikolaus Bärmann in
die Hand gefallen war. Den Stoff kannte Wagner
damals schon; auch die Absicht, ihn für eine tragische
Oper zu verwerten, hatte er bereits früher einmal ge-
hegt. Aber gerade jetzt mußte der Gedanke ihn reizen,
Rienzi, den Helden voll großer Pläne, der an der Ge-
meinheit seiner Umgebung zu Grunde geht, dramatisch
darzustellen ; fühlte er sich selbst doch von einer ähn-
lichen Tragik bedroht. Zu einer Oper aber ließ diesen
Stoff das rein lyrische Element in der Atmosphäre des
Helden, die Gesänge, Lieder und Hymnen, die Bulwer
in seinen Roman verflochten hatte, ganz besonders
tauglich erscheinen. So schuf sich denn Wagner, in-
dem er sich überall nur von streng dramatischen Rück-
sichten leiten ließ, den Text zu seinem „Rienzi", paßte
aber unwillkürlich seine Dichtung den Formen der
fünfaktigen großen Oper an. den vollkommensten, jf.
einzigen Formen, unter denen er sich damals das
musikalische Drama vorstellen konnte.
Den geschichtlichen Stoff, den am bequemsten
Gibbon überlieferte, hatte bereits Bulwer in die Sphäre
der Poesie erhoben und dadurch den Augen und dem
Herzen der Zeitgenossen wieder nahe gerückt. Schon
vor ihm hatte Miß Mary Russell Mitford ein Trauer-
spiel „Rienzi" (1828) in London zur Aufführung ge-
bracht, das er in der Vorrede zu seinem Roman mit
27
größter Achtung nannte und in einzelnen glücklich er-
fundenen Motiven benützte. Nach ihm schrieb neben
andern, geringeren Dichtern Julius Mosen 1S37 sein
Drama ..Cola Rienzi", dicht vor Wagner; doch lehnte
sich dieser in keiner Weise an das Werk seines sächsi-
schen Landsmannes an. Vielmehr schöpfte er einzig
und allein aus Bulwers Roman, jedoch in freier Art :
in Einzelheiten traf er so - - wohl unbewußt - mit
seiner englischen Vorgängerin Miß Russell Mitford
zusammen.
Was Bulwer, damals bereits auf der Höhe seines
Ruhmes, episch breit erzählte, hatte er, literarisch noch
immer ein Anfänger, dramatisch knapp zusammenzu-
fassen und gleichwohl in seiner unmittelbaren Wirkung
zu verstärken. Eine ungemein schwierige Aufgabe,
die nur dann zu lösen war, wenn der Bearbeiter scho-
nungslos die reichsten Einzelschönheiten des Romans
seinen dramatischen Zwecken aufopferte. Das tat
Wagner. Er verringerte beträchtlich die Anzahl der
Personen, hob aber dafür mehrfach die dramatische
Bedeutung derer, die er beibehielt, und bildete nament-
lich den Charakter des Titelhelden einheitlicher und
größer; er konzentrierte den Ort, die Zeitdauer, die
Handlung seiner Vorlage, soweit dies nur möglich war.
und übertraf so Bulwer in allem, was den dramatischen
Aufbau seines Stückes ausmachte.
Hierin offenbarte er schon jetzt die ganze Sicher-
heit und Größe, die dann seine vollendetsten Werke
auszeichnete. Dagegen motivierte er noch in dem
Streben nach Kürze bisweilen mangelhaft und wußte
noch nicht seine Gestalten überall mit individuellem
Leben zu erfüllen. Hinter der Größe der Rlee blieb
die Ausführung noch öfters zurück. Bedeutsam trat
die vaterländische Begeisterung hervor, wenn auch in
eine ideale Ferne, in das Rom des vierzehnten Jahr-
hunderts, gerückt. Daneben wurden die allgemeinen,
unbestimmten Forderungen politischer Freiheit laut.
die unsre Literatur seit der Julirevolution in Vers
28
und Prosa so gern verkündigte. Und hier ergab sich
wie von selbst eine Verwandtschaft mehrerer tragi-
schen Hauptmotive mit denen der „Stummen von
Portier'. Äußerlich erinnerte auch hie und da etwas
in den Worten oder in der Behandlung der Szene an
die „Hugenotten" und an Spontinis „Cortez". Fast
noch stärker wirkte aber auf den szenischen Aufbau
die Kunst Shakespeares ein.
Mehr als der Dichter war der Komponist des
„Rienzi" von Meyerbeer und Auber abhängig; aber
auch er sank nie zum blossen Nachahmer der beiden
Meister herab. Er lernte von ihnen, wie er auch von
Gluck, von Mehul und von Spontini lernte. Direkte
Anklänge an einzelne Stellen in den Werken aller
dieser Musiker vermied er möglichst; nur ihren Stil
im allgemeinen bildete er nach. Sein Streben ging
dahin, stets bedeutend, auch nicht in einem Takte
trivial zu sein, immer in seiner Musik der Größe seines
Stoffes und der dramatischen Kraft seiner Dichtung
vollauf zu entsprechen. Bei dem Einfluß, den die
moderne große Oper noch auf ihn ausübte, konnte er
dieses Vorhaben nur halb ausführen. Von allem Kon-
ventionellen und selbst Trivialen vermochte sich der
Komponist des „Rienzi" noch nicht frei zu machen;
aber die poetischen Vorzüge seines Textbuches, nament-
lich der gewaltige dramatische Hauch, der unablässig
treibend durch das ganze Gedicht weht, hoben auch
seine Musik: im Gegensatz zu Meyerbeer gestaltete
Wagner seine Instrumentation gleichmäßig bewegt
und ausdrucksvoll, trug, hierin der Schüler deutscher
Meister, mehr Sorge für einen reichen, vielstimmigen
Aufbau als für virtuose Künsteleien des Gesanges in
italienischer Manier oder für vereinzelte, übertriebene
Spielereien des Orchesters. An musikalischer Er-
findungskraft und besonders an Mclodienschönheit im
einzelnen konnte er sich hier mit Meyerbeer und
Auber noch nicht messen ; aber schon war er beiden
(und namentlich dem ersteren) überlegen durch den
29
Ernst und die Sorgfalt, die er gleichmä&ig der ganzen
Partitur angedeihen ließ. So behandelte er vornehm-
lich auch die Kezitativc wieder wahrhaft künstlerisch:
eigenartig bildete er hier fort, was Glucks Nachfolger
ihn gelehrt hatten.
In den alten Fehler der „Feen", übermäßige Breite
aller Musikstücke, unnötige Dehnungen oder Wieder-
holungen derselben Motive, verfiel Wagner auch im
„Rienzi". Er selbst beklagte später die kraftvolle und
rauschende Komposition des dritten Aktes, die nach
der gleichfalls überaus kräftigen und reichen Musik
des zweiten Aufzugs nicht mehr gebührend wirken
könne, jedoch durch den unabänderlichen dramatischen
Aufbau des Ganzen erfordert werde. Einen beträcht-
lichen Fortschritt in der Kunst des Tondichters be-
kunden die beiden letzten, in Paris vollendeten Akte ;
sie weisen, auch durch die charakteristische Wieder-
kehr bestimmter musikalischer Motive, schon in die
Zukunft, auf Wagners folgende Oper.
Das bedeutendste Stück der Partitur ist die Ouver-
türe. Am Schlüsse des ganzen Werkes in Paris aus-
geführt, stellt sie in einem einheitlich entworfenen,
dramatisch belebten Tongemälde den Inhalt der drei
ersten Akte dar. den Freiheitskampf des römischen
Volkes bis zu dem endgültigen Siege Rienzis, den die
Jubelgesänge der Befreiten feiern. Weber und Beet-
hoven, überhaupt die deutschen Meister waren hier
wieder Wagners Vorbilder. Was er, von ihnen aus-
gehend, in dem gleichzeitigen Aufsatz über die Ouver-
türe theoretisch forderte, begann er hier schon prak-
tisch zu leisten: die Ouvertüren zum ..Rienzi"" und
noch mehr zu den beiden folgenden Opern Wagners
können als Musterbeispiele zu jenem Aufsatze gelten.
Ein paar Monate nach der Vollendung des ..Rienzi",
im Frühling 1841, zog sich der Künstler in das ein-
same Meudon bei Paris zurück. Dort entstand in un-
glaublich wenigen Wochen die Dichtung und Kompo-
sition des „F liegenden Holländers". Auch dies-
Richard Wagner nach einer Zeichnung von E. B. Kietz (1850).
Nach Kürschners Richard Wagner-Jahrbuch 1886.
31
mal griff Wagner zu einem Stoffe, der .sich seinem
Geiste schon vor Jahren tief eingeprägt hatte. Bereits
in Riga hatte er die Sage vom fliegenden Holländer
kennen lernen. Die Grundelemente der Sagen von
( ►dysseus und vom ewigen Juden waren hier mit
Motiven, die aus dem Jahrhundert der großen Ent-
deckungsfahrten stammten, zu einer neuen Sage ver-
bunden, die Wagner bei Heine in den „Memoiren des
Herrn von Schnabelewopski" las. Während der stürmi-
schen Seereise von Riga nach London gewannen die
Gestalten der Heinischen Erzählung selbständiges Leben
in seiner Phantasie, und so entwarf er alsbald, als er
noch geraume Zeit am ..Rienzi" zu arbeiten hatte, den
Plan zu der neuen Oper. Er dachte sie sich ursprüng-
lich als Einakter, führte sie dann aber in drei Auf-
zügen aus.
Den Charakter des Titelhelden und die Handlung
in ihren allgemeinen Zügen, ja schon einzelne Haupt-
szenen bot Heine dar; von andern älteren Bearbei-
tungen des gleichen Stoffes, so etwa von dem aben-
teuerlichen Roman ..The Phantom Ship" Frederick
Marryats, brauchte Wagner nicht das mindeste zu
entlehnen. Dagegen nahm er aus Wilhelm Hauffs ver-
wandtem Märchen vom Gespensterschiff einige Um-
stände, die dazu beitrugen, das unheimliche Treiben
auf dem verfluchten Schiffe zu kennzeichnen. Ein paar
Farben für das Dämonische im Wesen des Holländers
mag ihm auch Marschner im ..Yainpyi- und „Hans
Hciling" geboten haben.
Zum Teile neu schaffen mußte Wagner den ( ha-
rakter Sentas, des Weibes, dessen treue Liebe den
ruhelos umhergetriebenen Seemann erlöst. Denn nur
so konnte er die dramatisierte epische Geschichte, die
Heine erzählte, zu einem wirklichen Drama mit tragi-
schen Konflikten umgestalten. Deshalb stellte er Erik.
dem Senta früher ihre Liebe gelobte, dem Holländer
gegenüber. Das erinnerte im allgemeinen an das gegen-
seitige Verhältnis der drei Hauptpersonen im „Heiling",
32
desgleichen an die Stellung Klärchens zwischen Bracken-
burg und Egmont. Aber die weitere Entwicklung der
Charaktere und Schicksale in Marschners Oper ent-
fernte sich durchaus von dem Wege, den der Dichter
des „Holländers" beschreiten mußte, und auch Goethe
hatte keineswegs mit seiner Einflechtung der Rolle
des abgewiesenen Liebhabers eine so fruchtbare dra-
matische Absicht verbunden wie Wagner. Wie Sentas
Abwendung von Erik das, was man etwa ihre tragi-
sche Schuld nennen könnte, begründet und schließlich
den äußern Anlaß zur Katastrophe bildet, so bedeutet
sie andrerseits auch den Schritt von der sinnlichen
Liebe, die nach gemeinsamem Lebensgenuß mit dem
Geliebten verlangt, zu dem von allem Sinnlichen ent-
kleideten Mitleid, das zum Opfertod für den Geliebten
drängt. Noch öfter sollten sich Wagners spätere Werke
diese (in letzter Linie auf Beethovens „Fidelio" zurück-
weisende) Verherrlichung des Weibes, dessen treue
Liebe den Unglücklichen oder Schuldigen erlöst, zum
Ziele setzen.
Nicht zuletzt war es auch dieses Motiv, was
Wagner persönlich zum Stoffe des „Fliegenden Hol-
länders" hinzog. Er konnte den Geist der Musik nicht
anders als in der Liebe fassen. Er wollte wieder das
tiefste Empfinden des menschlichen Herzens liebevoll-
warm in der Musik aussprechen und sie darum von
allem liebelosen, auf bloß äußerliche Künstelei und
äußerliche Effekte berechneten Formalismus der her-
kömmlichen großen Oper befreien. Dabei fühlte er
selbst aber auch eine künstlerische Erlösung seines
Genius, vergleichbar der, die er als Dichter seinem
Holländer bereitete. Und noch in anderem Sinne fand
die Sehnsucht seines Helden nach Erlösung von dem
unsteten Umherschweifen in öder Fremde einen Wider-
hall in Wagners Brust: auch er sehnte sich nach der
Heimat; für sie ausschließlich schuf er sein neues Werk.
Als Dichter wie als Komponist ging er von Sentas
Ballade aus. Sie vollendete er zuerst. Aus ihr hatte
Muncker, R. Wagner. 2. Aufl. 3 33
er dann nur die dramatischen und musikalischen Mo-
tive, die in ihr lagen, loszuschälen und weiter zu ent-
wickeln. Die ganze Oper erhielt so ein bailaden artiges
Gepräge, erschien als eine in Handlung aufgelöste
Ballade. An wenigen Hauptpersonen haltet all unsre
Teilnahme; die meisterhaft aufgebaute Handlung zeich-
net sich durch strengste Einheit aus; sie entwickelt
sich in einem Zug, an einem Tag, ohne daß der
Zusammenhang auch nur äußerlich je unterbrochen
würde; einheitliche Stimmung liegt über dem Ganzen.
Der Mangel des individuellen Gepräges in einzelnen
Reden, besonders im Text der Chöre, dessen Wagner
sich selbst anklagte, kommt gegen jene Vorzüge kaum
in Betracht.
Nicht minder einheitlich als die Dichtung ist die
Musik geartet. Die verschiednen musikalischen Themen
der Ballade kehren mehrfach in der Oper wieder, über-
all da, wo die einzelnen Empfindungen und physischen
oder seelischen Vorgänge, welche die Ballade andeutet,
dramatisch entwickelt werden. Sie dienen so dazu,
Situationen, Personen und Stimmungen zu charakteri-
sieren , drücken aber zugleich , wie die Hauptthemen
einer Sonate oder Symphonie, die künstlerische Einheit
der Oper aus, die sonst in eine Anzahl von einzelnen
Gesangsstücken zu zerfallen drohte. Schon lange vor
Wagner hatten ältere Meister, unter ihnen Mozart,
Beethoven und besonders Cherubini, Spohr, Weber
und Marschner, gelegentlich bei der Wiederkehr der-
selben Stimmung in einer Oper dasselbe Thema wieder-
holt. So hatte auch Wagner es in seinen früheren
Opern gehalten. Seine beständige, zielbewußte Rück-
sicht auf den dramatischen Zusammenhang mußte ihn
fast von selbst zu solchen regelmäßig wiederkehrenden
Erinnerungs- oder Leitmotiven führen. Jetzt wandte
er dieses Kunstmitte] nur ungleich häufiger an und
benützte es — was er bisher nur in einem einzigen
Fall im „Liebesverbot" versucht hatte — hauptsächlich
mit zur Charakteristik der Personen seines Dramas.
3t
Auf der musikalischen Entwicklung und Fortbildung
dieser Leitmotive, auf ihrer künstlerischen Verbindung
mit einander beruhte von nun an vor allem der melo-
dische Bau seiner Werke. Aber fern von pedantischem
Schematismus und mechanischer Berechnung, bewahrte
er sich dabei stets die volle künstlerische Freiheit und
Unmittelbarkeit des Schaffens aus erregter Phantasie
und warmem Empfinden.
Noch wagte er nicht im „Holländer" die alte Opern-
form mit ihren Arien, Duetten, Terzetten und En-
sembles vollständig zu durchbrechen; auch die Leit-
motive ließ er noch lange nicht so reichlich walten
wie in seinen späteren Werken. Der Übergang von
der großen, französisch -italienischen Oper zu einem
eigenartig -deutschen musikalischen Drama war noch
oft zu spüren. Der romanische Einflufs offenbarte sich
meistens in den mehrstimmigen Gesangsnummern vom
Duett an bis zum grofsen Ensemble ; da klang in Melo-
die und Harmonie manches noch recht konventionell
und selbst trivial. Dagegen zeigten besonders die
monologischen und die rezitativischen Abschnitte des
Werkes Wagners selbständige Kompositionsweise, die
gleich dem deutschen Volksgesang auf höchste rhyth-
mische Bestimmtheit der Melodie ausging. Dem deut-
schen Volksgesang bildete Wagner vor allem seine
Leitmotive nach, wie er aus der Volkssage den dichte-
rischen Stoff seines „Holländers" gewonnen hatte. Und
von da an blieb es ein Grundsatz seiner Kunst, nie-
mals wieder den Zusammenhang mit der echten Sage
und dem echten Sang seines Volkes aufzugeben. In
der Ouvertüre fafäte er wieder, wie zuvor beim
„Rienzi" , nur mit bereits gesteigertem Können, den
Inhalt der Oper zu einem einheitlichen, die Handlung
klar andeutenden Tonstück zusammen , das das Vor-
bild Beethovens und anderer deutscher Meister nir-
gends verleugnete.
Vergebens hatte Wagner, solang er seinen „Hol-
länder" nur als Entwurf im Geiste trug, alle Kräfte
35
angestrengt, um diese Oper ebenso wie den „Rienzi"
in Paris zur Aufführung zu bringen. Er hatte die
bittersten Enttäuschungen dabei erfahren. Als er das
Werk vollendet hatte, bot er es nur noch deutschen
Bühnen an. Zuerst wieder mit geringem Erfolge, bis
Meyerbeers Empfehlung ihm endlich zur Annahme des
„Rienzi"' in Dresden, des „Fliegenden Holländers" in
Berlin verhalf. Nun hielt es den Künstler nicht lange
mehr in der Fremde.
Noch mannigfache dramatische Pläne stiegen wäh-
rend der letzten Pariser Monate vor seiner Seele auf.
Noch einmal plante er eine historische Oper „Die
Sarazenin", die er 1843 wieder in Angriff nahm und
nun genau skizzierte : eine Episode aus dem Leben des
Hohenstaufen Manfred wollte er hier mit allerlei An-
klängen an Schillers „Jungfrau von Orleans" und an
Immermanns Drama „Kaiser Friedrich IL" dichterisch
verherrlichen. Dann entwarf er eine dreiaktige Oper
„Die Bergwerke zu Falun" im engen Anschluß
an E. T. A. Hoffmanns Erzählung, die er nur in we-
nigen nebensächlichen Zügen — stets zum Vorteil der
dramatischen Wirkung — veränderte. Aber die alten
Volkssagen vom Tannhäuser, vom Sängerkrieg auf der
Wartburg, von Lohengrin, die er jetzt kennen lernte,
bemächtigten sich bald seiner ganzen Phantasie und
verscheuchten daraus die Gestalten Manfreds und
seiner sarazenischen Halbschwester wie die gespensti-
gen Figuren Hoffmanns für immer. In der deutschen
Heimat wollte er jene Volkssagen dramatisch neu be-
leben. Am 7. April 1842 verließ er Paris ; durch Thü-
ringen, an der Wartburg vorbei, reiste er nach Dresden,
die Aufführung seines „Rienzi" dort zu betreiben.
36
IV.
it einem neuen künstlerischen Werke be-
gann Wagner sein Wirken in der Heimat:
1 während eines Sommerausfluges nach Böh-
üäl men verfertigte er in Teplitz den vollstän-
digen szenischen Entwurf seines „Tannhäuser". Dann
begannen in Dresden die Proben des „Rienzi". Sie
gewährten dem Verfasser hohe Freude: Musiker und
Sänger, unter ihnen Joseph Tichatschek, Wilhelmine
Schröder - Devrient und Chordirektor Wilhelm Fischer,
von da an Wagners treuer Freund, dazu der Regisseur
und Costumier Ferdinand Heine, setzten allen Eifer
und alle Kunst an eine würdige Aufführung der
neuen Oper. Mit dem entschiedensten Erfolg ging
das Werk am 20. Oktober 1842 über die Bühne; am
2. Januar 1843 folgte schon der „Fliegende Holländer",
zuerst mit dem gleichen Beifall begrüßt. Mehr und
mehr richtete sich das Augenmerk des Publikums auf
den Komponisten : Laube als Herausgeber der „Zeitung
für die elegante Welt" erbat sich von dem Freunde
sogar einen Abriß seiner Lebensgeschichte. Wagner
sandte ihm noch im Dezember 1842 die witzig und
frisch, vor allem aber warm geschriebene „Autobio-
graphische Skizze".
37
Wenige Wochen darnach wurde er zum Hofkapell-
meister in Dresden ernannt. Als solcher war er ver-
pflichtet, zahlreiche Opern von verschiedenstem Werte
einzustudieren; er selbst nahm dabei stets die Ge-
legenheit wahr, die Werke der älteren deutschen
Meister, eines Gluck, Mozart, Beethoven, Weber, Spohr
und Marschner, mit aller Strenge und Sorgfalt in dem
Geist, in dem sie geschaffen waren, lebendig zu er-
halten. In Konzerten pflegte er Bach, Haydn, Mozart,
Palestrina, Cherubini, auch Mendelssohn, vor allem
aber Beethoven, für dessen Symphonien er erst recht
eigentlich die Hörer zu erwärmen wußte. Die gerechte
Würdigung der bis dahin in Deutschland meistens ver-
lästerten „Neunten Symphonie" ist sein Verdienst; das
Verständnis für diese gewaltige Tondichtung suchte er
durch eine besondere Erläuterungsschrift mit reichen
Zitaten aus Goethes „Faust" zu heben. Auch über-
nahm er die Leitung der Dresdener Liedertafel und
komponierte für sie sein ,.Liebesmahl der Apostel",
das trotz aller Kühnheit der Anlage bei dem sächsi-
schen Männergesangfcst im Juli 1843 den stärksten
Erfolg erzielte. Daran reihten sich noch einige Ge-
legenheitskompositionen, unter anderm der aus
Motiven der „Euryanthe" zusammengestellte Trauer-
marsch zur Einholung der Leiche Webers, deren Über-
führung aus England nach Dresden (1844) hauptsäch-
lich dem eifrigen Bemühen Wagners zu verdanken
war. Aber diese und ähnliche kleinere Gelegenheits-
stücke verschwinden in ihrer Bedeutung neben den
zwei dramatischen Werken, die er während der Dres-
dener Jahre vollendete.
Im Sommer 1843 führte er zu Teplitz, wo das
Jahr zuvor der Entwurf des „Tannhäuser" ent-
standen war , die Dichtung des Dramas aus ; in der
folgenden Zeit bis zum Frühling 1845 setzte er, zuerst
mit manchen Unterbrechungen, zuletzt in nervöser
Eile, das neue Werk in Musik. Bisher hatte Wagner
den Stoff seiner Opern stets ziemlich genau einem
38
älteren Schauspiel oder einer Erzählung entnommen ;
jetzt zum erstenmale schuf er sich als wahrer Dichter
auch den Inhalt seines Dramas selbst, indem er ver-
schiedene Züge aus mehreren Sagen in neuer Weise
frei und kühn, doch immer künstlerisch mit einander
verband.
Der vollständige Plan der neuen Dichtung bildete
sich in Wagners Seele augenscheinlich noch während
der letzten Pariser Wochen. Die erste Anregung er-
hielt er wahrscheinlich durch Heines gleichnamige
Legende von 1836, deren Schluf3 allerdings unpoetisch
genug in eine politisch-literarische Satire auf Deutsch-
land zerbröckelte. Desto besser zeichnete ihm der
erste Gesang des Heinischen Gedichtes die Szene vor,
wie der im Venusberg schwelgende Ritter von der
Göttin der Liebe sich losreißt, voll Sehnsucht nach
den Bitternissen und Tränen der Welt und nach dem
hart gefährdeten Heil seiner Seele. Nun erinnerte sich
Wagner an eine Erzählung Tiecks von dem getreuen
Eckart und dem Tannenhäuser, die er vor Jahren ge-
lesen hatte. Er suchte sie wieder hervor, fand sich
aber durch ihre „mystisch kokette, katholisch frivole
Tendenz" mehr abgestof3en als angezogen: gleichwohl
blieben ein paar Einzelheiten daraus in seinem Geiste
haften. Ganz anders wirkte das echte alte Tannhäuser-
lied aus dem sechzehnten Jahrhundert auf ihn. Es war
schon einigemale in neuerer Zeit wieder gedruckt wor-
den, besonders auch in der Sammlung Arnims und
Brentanos „Des Knaben Wunderhorn" ; auch hatten die
Brüder Grimm in ihren „Deutschen Sagen" den Inhalt
des Liedes mitgeteilt. Wagner lernte es vermutlich
aus dem von Ludwig Bechstein 1835 herausgegebenen
Buche „Sagenschatz und Sagenkreise des Thüringer
Landes" kennen. Hier fand er zugleich die Nachricht,
Tannhäuser habe auch zu dem Landgrafen Hermann
von Thüringen ziehen wollen, als eben der Sängerkrieg
auf der Wartburg beginnen sollte; unterwegs habe ihn
aber Frau Venus in den Hörselberg gelockt.
39
Damit sah sich Wagner auf eine zweite Sage hin-
gewiesen, die ebenfalls die Brüder Grimm erzählten.
Auch sie hatte er schon in viel früheren Jahren in
neuer Bearbeitung kennen lernen, in E. T. A. Hoff-
manns Novelle „Der Kampf der Sänger", wohl auch
in Fouques Dichterspiel verwandten Titels und Inhalts.
Jetzt las er aber vor allem das echte mittelalterliche
Gedicht vom Wartburgkrieg, das ihm Freund Lehrs
verschaffte , und im engsten Zusammenhange damit
eine Schrift darüber von dem Königsberger Professor
C. T. L. Lucas, der unter anderm die wissenschaftlich
unhaltbare Vermutung aussprach, Heinrich von Öfter-
dingen, der Gegner Wolframs von Eschenbach und der
übrigen Dichter in jenem sagenhaften Sängerstreite,
und Tannhäuser seien mythisch eine und dieselbe
Person.
Wagner griff diesen Gedanken auf und verband so
die beiden Sagen zu einer organischen Einheit, die er
schon im Titel seines Werkes andeutete: ..Tannhäuser
und der Sängerkrieg auf Wartburg". Für den Dramatiker
konnte das nur von Gewinn sein. Er bekam dadurch
den nötigen, aber im mittelalterlichen Gedichte fehlen-
den, vollauf befriedigenden Abschluß des Wartburg-
krieges; ferner aber gewann er so zu der Exposition
und Katastrophe der Tannhäusersage, die ihm das alte
Volkslied darbot, die dramatisch erforderte Peripetie
hinzu. Um jedoch noch bedeutender und kunstreicher
die Fäden des dichterischen Gewebes zu verwickeln
machte er sich verschiedne Motive aus der Erzählung
Hoffmanns glücklich zu eigen. Gleich ihm ließ auch
Wagner den Gegner Wolframs von den überschweng-
lichen Freuden des Venusberges singen und schilderte
Wolfram und Heinrich, die hier im Wettkampf ein-
ander bestreiten, sonst als innige Freunde und zugleich
als Nebenbuhler in der Liebe zu derselben Dame.
Dieser Dame gab er aber den Namen, die fromme
Reinheit und die selbstlose Milde der heiligen Elisa-
beth , deren Geschichte schon im mittelalterlichen Ge-
40
dicht äußerlich mit dem Sängerkampf verknüpft war.
So gewann er für sein Werk eine zweite Frauen-
gestalt, die an volkstümlicher Bedeutung hinter Venus
nicht zurücksteht, deren poetische Lebenswahrheit wir
deshalb keineswegs bezweifeln, wenn wir Tannhäuser
durch ihre sittlich - religiöse Kraft aus der Macht der
Hölle gelöst sehen.
Das Drama forderte einen andern Schluß als die
von antipapistischer Gesinnung erfüllte Ballade. War
doch auch die ursprüngliche Volkssage sicherlich durch
keine Tendenz getrübt, Vom strengsten Geist kirch-
licher Askese erfüllt, kannte sie das Wunder, das die
auch über den größten Sünder sich erbarmende Gnade
Gottes offenbart, überhaupt noch nicht. In Wagners
Dichtung aber konnte dieses Wunder unmöglich fehlen.
Nur durfte es freilich im Drama für den Begnadigten
selbst nicht zu spät kommen ; Tannhäusers Tod mußte
zugleich seine Erlösung vom Fluch der Sünde sein.
Indem Wagner so den Schluß der alten Ballade um-
gestaltete , erzielte er noch in der letzten Szene eine
neue, bedeutende Steigerung der durchweg meister-
haft aufgebauten und ebenso reich wie lebendig ent-
wickelten Handlung. Der Kampf himmlischer und
höllischer Mächte um Tannhäusers Seele läßt überdies
am Ende des Stückes noch einmal alle Hauptpersonen
neben einander charakteristisch wirkend erscheinen.
Wieder, wie bei seinen früheren Werken, hatte
Wagner ein inniges persönliches Verhältnis zu seiner
Dichtung. Auch er empfand ein heftiges Verlangen
nach höchstem geistig-sinnlichen Genuß, den ihm aber
die moderne Welt unmöglich bieten konnte. Künst-
lerisch deutete er diese Stimmung als Sehnsucht nach
einer aus der Sinnlichkeit erlösenden Liebe, die, in
ihrem Wesen nicht unirdisch, doch in ihrem Wider-
streit mit dieser Welt zu überirdischer Hoheit erhebt.
Ein Grundgedanke, den noch seine spätesten Dich-
tungen wiederholen sollten, tauchte hier zuerst in
seiner Poesie auf. Ihn selbst versetzte das Gefühl
41
dieser Sehnsucht in einen Zustand verzehrend üppiger
Erregtheit, der ihm Blut und Nerven in fiebernder
Wallung erhielt.
Von dieser Erregtheit zeigte die musikalische Kom-
position des „Tannhäuser" viel mehr als die Textes-
worte. In den leidenschaftlich dahinstürmenden, alle
Sinne wild aufreizenden, dann wieder mit schwülem
Zauber bestrickenden Klängen der Oper sprach sich
übermächtig das glühende Begehren des Künstlers wie
seines Helden aus, malte sich mit unvergleichlicher
Wahrheit die Freude an schwelgerischem Genießen
und der kraftvolle Drang zu Kampf und Tat. Aber
im wirksamen Gegensatze dazu gab die Tonsprache
Wagners auch der gläubigen, weltentsagenden Fröm-
migkeit, die sich in reumütiger Bußse rastlos müht oder
in erlösender Liebe für fremde Schuld aufopfert, einen
tief ergreifenden Ausdruck.
Mit der Musik des „Tannhäuser" betrat Wagner
nicht, wie mit der des „Holländers", eine neue Bahn,
sondern schritt nur sicherer und selbständiger auf der
dort begonnenen weiter. Noch immer sparsam und
doch schon reicher und bezeichnender als dort ver-
wendete er die sogenannten Leitmotive. Noch hie und
da gewährte er der alten Opernmelodie Eingang; aber
das geschah nicht nur viel seltner als im „Holländer" :
auch edler wufäte er sie jetzt zu gestalten. Von der
alten Opernform behielt er nur noch geringe Reste bei.
Dagegen machte sich der einheitlich dramatische Zug
auch in der Musik stärker als je zuvor geltend und mit
ihm Wagners eigenartige Kompositionsweise, die ihren
Zusammenhang mit dem echten Volksgesang und mit
einer edlen, bedeutungsvollen Deklamation nie ver-
leugnet. Die Instrumentation war reicher und aus-
drucksfähiger als in irgend einer früheren Oper. In
viel höherem Grad als im „Holländer" erschien jetzt
schon neben den Singstimmen auch das Orchester als
Träger der Melodien.
Nachdem Wagner die Komposition des „Tann-
42
häuser" beendigt hatte, begab er sich zum Sommer-
aufenthalt nach Marienbad. Von Schaffensdrang er-
füllt, verfaßte er hier die vollständigen Entwürfe zu
zwei neuen Werken, zu den „Meistersingern" und zu
„Lohcngrin". Nach Dresden zurückgekehrt, führte er
am 11). Oktober 1845 zum erstenmale den „Tann-
häuser" auf. Die beiden ersten Akte erzielten einen
großen Erfolg; aber bei dem überlangen Vorspiel des
dritten Aufzugs und noch mehr bei dem Schluß des
Ganzen erlahmte der Beifall. Wagner erkannte, daß
hier manches nur angedeutet war, was einzig dann
wirken konnte , wenn es zur vollen dramatischen und
theatralischen Erscheinung kam. Er verkürzte deshalb
nicht bloß das Vorspiel, das die Pilgerfahrt Tann-
häusers nach Rom früher zu breit dargestellt und zu
genau in ihren Einzelheiten gezeichnet hatte, sondern
er führte auch (1847) den Kampf des Himmels und
der Hölle um Tannhäusers Seele lebendiger und über-
zeugungsvoller aus: er brachte nun Venus selbst und
die Leiche Elisabeths, die beide ursprünglich in der
Schlußszene nicht auftraten, noch einmal auf die Bühne.
Noch bedeutender arbeitete er sein Werk für die
Pariser Aufführung vom März 1861 um. Um den dra-
matischen Fortgang zu beleben, kürzte er einiges im
Sängerkrieg des zweiten Aktes ; namentlich jedoch be-
arbeitete er die Venusbergszene im ersten Aufzug
völlig neu. Die Ouvertüre , früher ein selbständiges
Tongemälde in der Weise seiner übrigen älteren Ouver-
türen, hatte den leitenden Gedanken des ganzen Dra-
mas, das siegreiche Ringen der himmlischen Gnade
mit dem Höllenzauber, in dem Widerstreit der ein-
ander übertönenden und verdrängenden musikalischen
Hauptthemen mit sinnenfälliger Deutlichkeit veran-
schaulicht. Jetzt verwandelte sie Wagner in eine bloße
Einleitung zum ersten Akt, gestaltete dafür aber das
Blendwerk des Venusberges in jeder Hinsicht reicher,
die Charaktere der Liebesgöttin und Tannhäusers und
die ganze Szene ihres Abschiedes von einander drama-
43
tisch und musikalisch viel größer. Ungemein vertiefte
er den dichterischen und sittlichen Gehalt dieser Szene,
indem er die Schopenhauersche Idee von der Ver-
neinung des Willens mit hoher künstlerischer Kraft
in Tannhäusers entschlossener Abkehr von Venus dar-
stellte. Musikalisch malte er besonders durch die un-
gleich reicheren Mittel seiner späteren Kompositions-
weise die schwüle Sinnlichkeit noch meisterhafter aus,
die über dem Venusberg liegt. Dazu kamen viele
kleine Änderungen und Einschiebsel, an sich unschein-
bar und doch immer sehr sorgfältig berechnet, die
durchweg die rhythmische Bewegung und die Klang-
wirkung mannigfaltiger und ausdrucksvoller machten.
Die Stileinheit des Werkes wurde durch diese musi-
kalischen Änderungen und Zusätze von 1860 und 1861
notwendig verletzt; aber geschickt vermittelnde Über-
gänge und eine unvergleichliche Kunst der Charakte-
ristik benahmen dem Gegensatze zweier vielfach ver-
schiedenen Stilarten alles Störende. —
Von den beiden Entwürfen, die zu Marienbad im
Sommer 1845 entstanden waren, führte Wagner den
einen, den des „Lohengrin", sogleich im folgenden
Winter dichterisch und in den nächsten Jahren (bis
zum März 1818) auch musikalisch aus.
Er hatte das mittelalterliche Gedicht eines bayri-
schen Verfassers über den Sohn des Gralskönigs Parzi-
val und dessen Fahrt zu Elsa von Brabant, die schon
Wolfram von Eschenbach am Schlüsse seines Haupt-
werkes erzählte, zugleich mit der Sage vom Wartburg-
kriege zu Paris kennen lernen, damals aber noch keine
Anregung zu eignem künstlerischem Schaffen davon
empfangen. Erst später, als er durch die vielen Über-
ladungen und Verschnörkelungen dieses Gedichtes hin-
durch die einfache Volkssage von Lohengrin erkannte,
wie sie etwa die Brüder Grimm in ihren „Deutschen
Sagen" aufgezeichnet hatten, fühlte er sich mächtig
und immer mächtiger von dem Stoffe angezogen. Nun
fand er teils in der Vorrede, mit der Görres seine
44
Ausgabe des bayrischen „Lohengrin'' eingeleitet hatte
teils in andern mittelalterlichen Quellen selbst Züge
aus verwandten Sagen, die sich zur vollen dramati-
schen Ausgestaltung des Stoffes glücklich mit den
Hauptmotiven des alten Gedichts verbinden ließen.
In dieser Weise verwertete er einzelnes aus dem
„Schwanritter" Konrads von Würzburg, aus dem so-
genannten „Jüngeren Titurel", aus der Sage von den
Vorfahren Gottfrieds von Bouillon und aus dem alten
Volksglauben der Germanen, daß durch Zauberkraft
Menschen in Schwäne verwandelt werden könnten.
Bei der Schilderung der Wunderwelt des Grals griff
er wohl unmittelbar auf Wolframs „Parzival" zurück.
Aus der Euryanthensage, die ihm durch Webers Oper
vertraut geworden war, entlehnte er die Grundmotive
für den Charakter seiner Ortrud und ihr ränkevolles
Wirken gegen Elsa. Um jedoch den innern Wider-
streit der beiden Frauen in einem bedeutsamen Vor-
gang allen ersichtlich zum Ausbruch gelangen zu
lassen , bildete er den Streit der Königinnen vor dem
Münster aus dem Nibelungenliede dramatisch nach.
Von neueren Dichtern hatte schon Immermann die
Gestalt Lohengrins in sein tiefsinniges Werk „Merlin''
eingeführt. Er konnte aber durch seine Charakteri-
sierung des Gralsritters in keiner Weise auf Wagner
einwirken. Dagegen darf die tragisch endende Liebes-
szene zwischen Merlin und Niniane in Immermanns
Drama halb und halb als Vorbild der Brautnachtszene
im dritten Akte des „Lohengrin" gelten ; jedenfalls mit
ungleich größerem Recht als das berühmte Duett im
vierten Aufzug der „Hugenotten", mit dessen Inhalt
WTagners Liebesszene so viel wie nichts gemein hat.
Auch nur äußerlich war die Ähnlichkeit zwischen
Elsas stummem Spiel bei ihrem ersten Auftreten vor
König Heinrich und dem Fenellas in Aubers Revo-
lutionsoper. Doch mochte der ganze Gottesgerichts -
kämpf und besonders Elsas Gebaren dicht vor dessen
Beginn mannigfach an die letzte Szene in Marschners
45
„Templer und Jüdin" erinnern. Das tragische Problem
aber in dem Verhältnis Lohengrins zu Elsa war von
ferne dem Grundproblem des „Hans Heiling" verwandt.
Aber, ließen sich auch noch alle möglichen son-
stigen Motive aus fremden Werken in Wagners Dich-
tung nachweisen, was würde das bedeuten bei dem
durchaus selbständigen, kunstvoll geschlossenen Auf-
bau der Handlung, dessen dramatische Vorzüge selbst
leidenschaftliche Gegner des Verfassers laut priesen,
und bei der ebenso eigenartigen als tiefen Charakte-
ristik der handelnden Personen? Indem Wagner Or-
trud zur Verfechterin des unterdrückten Heidentums
machte, gab er überdies seinem Werk einen welt-
geschichtlichen Hintergrund, wie ihn der mittelalter-
liche Epiker durch seine Verknüpfung der Lohengrin-
sage mit den Kämpfen Heinrichs des Voglers gegen
die Ungarn keineswegs ähnlich bedeutsam entfalten
konnte.
Namentlich aber erfaßte er den symbolischen Ge-
halt der Sage, deren älteste Gestaltung er bereits in
dem Mythos von Zeus und Semele erblickte, ungewöhn-
lich tief. Er fand hier die innerste Natur der mensch-
lichen Sehnsucht ausgesprochen : mag sie sich noch so
hoch hinaus über das Irdische schwingen, so kann sie
doch endlich nur wiederum das Reinmenschliche be-
gehren. Zugleich sah er darin das Wesen der Liebe
enthüllt, die notwendig nach voller sinnlicher Wirk-
lichkeit verlangt. LTm Liebe, unmittelbare, volle Liebe
zu finden, die in ihrem echten Wesen nicht durch an-
betende Bewunderung getrübt ist, steigt der Göttlich-
Geartete unerkannt zu dem menschlichen Weibe herab.
Doch der Glanz seiner höheren Natur verrät ihn; das
Geständnis seiner Göttlichkeit wird ihm entrissen, und
in seinem Liebesverlangen unbefriedigt, kehrt er in
seine überirdische Einsamkeit zurück. Aber wie er,
um wahrhaft geliebt zu werden, in den Schleier
des Geheimnisses sich hüllen muß, so muß das Weib
um ihrer Liebe willen diesen Schleier heben. Den
46
Unbekannten kann sie bloß bewundern; nur wen sie
in seinem vollen Wesen erkennt, den kann sie lieben.
Nicht als neugierige Evastochter, sondern als ein Weib,
das der höchsten Liebe selbst um den Preis des eignen
Untergangs teilhaftig werden will, tut Elsa die Frage
nach Lohengrins Namen und Art. Sie ist daher die
tragische Heldin , die handelnde Hauptperson des
Dramas; ihre Tat wird zur tragischen Schuld, da sie
nach ihrem sittlichen Wesen tief berechtigt ist, aber
gegen ein äußerliches Gesetz verstöfst.
Wie als Dichter, so führte Wagner auch als Mu-
siker im „Lohengrin" das Neue, das er in seinen letzten
Opern begründet hatte, zur vorläufigen Vollendung.
Jetzt war er vollständig über die alte Opernform hinaus
gelangt; nirgends zeigten sich mehr Spuren von ein-
zelnen Gesangesstücken, die die dramatische Entwick-
lung unterbrachen und aufhielten. Endgültig verbannt
war die alte Opernmelodie; selbst wo der rezitativi-
sche Gesang scheinbar in eine Art von Arioso über-
ging, da war seine Melodie vornehmlich, wenn nicht
ausschließlich, durch die Rücksicht auf die dramatisch
gesteigerte Deklamation bestimmt. Anklänge an fremde
Werke waren nirgends mehr zu vernehmen, auch nicht
in noch so zarter Abschwächung. Desto klarer und
entschiedner breitete sich das eigenartige thematische
Gewebe der Leitmotive über das ganze Werk aus.
Ganz neu schien das Orchester behandelt zu sein.
Wie im „Tannhäuser", so war ihm auch hier vielfach
der Vortrag selbständiger Melodien anvertraut. Aber
um besondere Klangfarben mit ihm zu erzielen, wendete
Wagner nicht bloß öfters nach einem bisher unge-
wöhnlichen Prinzip die einzelnen Gruppen der Streich-
instrumente, der Holz- und Blechbläser von einander
getrennt oder nur teilweise mit einander verbunden
an, sondern fügte auch neue oder früher nur vereinzelt
zu absonderlichen Zwecken gebrauchte Instrumente
regelmäßiger in das Orchester ein. So erhöhte er mit
jedem Werke den harmonischen Reichtum seiner Ton-
47
spräche und bildete die ihr eigene Kraft dramatischer
Charakteristik mannigfaltiger aus.
Eine Aufführung des Werkes in Dresden konnte
Wagner vorerst nicht zustande bringen, trotz dem
nachhaltigen Erfolg, den wenigstens „Rienzi" und „Tann-
häuser" hier errungen hatten, trotz dem Beifall, den
seine älteren Opern nach und nach auch auf auswär-
tigen Bühnen ernteten. Überhaupt sah sich der Künst-
ler nunmehr durch das unedle Benehmen des Dresdener
Intendanten Freiherrn von Lüttichau stets aufs neue
gehemmt und gekränkt. Und dabei konnte er vor-
läufig noch nicht einmal die ganze Perfidie dieses
Mannes ahnen. So ging „Lohengrin" erst am 28.
August 1850 zu Weimar unter Franz Liszts Leitung
in Szene. Der Dichter durfte nur aus der Ferne sich
des künstlerischen Erfolges freuen, den sein Drama
damals errang; das Vaterland war ihm bereits seit
Jahr und Tag verschlossen.
Noch bevor Wagner die Komposition des ..Lohen-
grin i- vollendet hatte, fühlte er sich von zwei neuen
Dramenstoffen angezogen: die Gestalten Siegfrieds
und des Kaisers Friedrich Rotbart tauchten
vor seinem Geiste auf. Betrachtete er die augen-
blickliche politische Lage Deutschlands, so schien ihm
das Hohenstaufendrama glücklicher gewählt. Er ar-
beitete also einen vollständigen Entwurf dazu aus:
in fünf Akten wollte er die Kämpfe und Taten Fried-
richs aus drei Jahrzehnten vollständig und doch in
leicht überschaulicher Einheit zusammenfassen. Diesen
Entwurf dachte er natürlich nur dichterisch, nicht
etwa auch musikalisch im Stil der historischen Oper,
auszuführen. Aber bald erkannte er. daß die geschicht-
lichen Verhältnisse ihn einengten. Um seine künst-
lerischen Absichten zu verwirklichen, hätte er jene
Verhältnisse frei umbilden, die Geschichte als Sage
behandeln müssen. Was er hier auf einem Umweg
erreichte, war aber einfacher durch die Neugestaltung
des Mythos selbst zu erlangen. Wagner gab daher die
48
Dichtung eines historischen Dramas auf und legte die
Studien, die er bei dieser Gelegenheit gemacht hatte,
1848 in dem Aufsatze „Die Wibelungen, Welt-
geschichte aus der Sage" nieder. Im Anschluß
an zwei Almandlungen des Philologen und Geschichts-
forschers Karl Wilhelm Göttling suchte er darin nach-
zuweisen, daß die Wibelungen oder Ghibellinen mit
den Nibelungen dem Namen, Stamm, Wesen und
Streben nach eins seien, daß Friedrich Rotbart in der
Geschichte genau dasselbe bedeute wie Siegfried in
der Sage.
Dem Helden des Mythos wandte sich daher jetzt
Wagners schöpferische Tätigkeit ausschließlich zu, und
bald hatte er den allgemeinen, stellenweise jedoch
schon im einzelnen genau bestimmten Entwurf eines
Nibelungendramas vollendet. Sogleich im November
1848 führte er ihn als „Siegfrieds Tod" dichterisch
aus. In den engen Rahmen eines Dramas glaubte er
zunächst noch den übergroßen Stoff zwingen zu können.
Bescheiden-altmodisch nannte er die gewaltige Tragödie,
die völlig neue Bahnen eröffnen sollte, eine „große
Heldenoper in drei Akten". Mit der musikalischen
Komposition säumte er vorerst; die Idee eines andern
Dramas hatte sich seiner bemächtigt: noch im Jahre
1848 entwarf er einen „Jesus von Nazareth" in
fünf Akten.
In erster Linie als Künstler trat er an die heilige
Geschichte heran, deren szenische Darstellung seit dem
frühen Mittelalter fromme Gemüter unter allen Völkern
wieder und wieder beschäftigt hatte. Was ihnen allen
nie gelingen wollte, davon erwies er mit überlegener
dichterischer Einsieht und Kraft die Möglichkeit, dazu
zeigte er den Weg: er skizzierte ein nach allen Regeln
der Kunst gebautes wahrhaftes Drama vom Tode
Christi, das die höchste sittliche und poetisch-drama-
tische Wirkung ausüben mußte. Um dies zu erreichen,
entkleidete Wagner den biblischen Stoff von allem
Übernatürlich-Wunderbaren. Er faßte Jesus nur als
Jlunckei' R. Wagner. 2. Aufl. 4 49
Edelsten aller Menschen auf, der in einer Welt der
herzlosen Gewalt die Religion der Liebe stiftete und,
von seinem Volke schnöde mißverstanden, mit seinem
Tode besiegelte. Zugleich aber nützte er alle ge-
schichtlichen Gestalten, die ihm die Überlieferung dar-
bot, Barrabas vor allen, die Verhältnisse des jüdischen
Volkes zur Zeit Jesu, die Empörungsgelüste der von
den Römern Unterdrückten, das Sekten- und Partei-
wesen unter ihnen, als echter Dramatiker meisterlich
aus, ordnete die einzelnen Ereignisse im Leben Jesu
als Dichter neu und wirkungsvoll und vertiefte mit
aller Kunst der seelischen Motivierung die Charaktere
der Anhänger und Gegner Christi. Das religiöse Dogma
ließ er freilich in seinem künstlerisch -kühnen Streben
nicht unangetastet; aber desto herrlicher verklärte er
die sittliche Idee des Christentums, deren Sieg aus
dem physischen Untergang seines Stifters erwächst.
Natürlich konnte Wagner nicht daran denken,
diesen Stoff als Oper zu behandeln; er eignete sich
nur für ein blof3 gesprochenes Drama. Doch auch in
einem solchen hätten die lehrhaft-philosophischen Be-
trachtungen, deren Reichtum sich nicht wohl be-
schränken ließ, den Fortgang der Handlung bedenk-
lich zu hemmen gedroht. Allein ehe der Dichter sein
Geschick in der Vermeidung dieser Gefahr erproben
konnte, gab er seinen Plan überhaupt auf. Er er-
kannte, daß er für eine solche Umbildung des dog-
matisch streng bestimmten Stoffes doch jetzt nimmer-
mehr die Bühne erobern würde. Und eine Aufführung
des Dramas hatte nur jetzt für ihn Wert, solange der
revolutionäre Geist, der ihn auch zu dieser Dichtung
angeregt hatte, das Volk durchwehte.
Vornehmlich auf das künstlerische Gebiet suchte
Wagner diesen Geist hinüber zu leiten, um hier an
Stelle alter, nutzloser Einrichtungen Neues aufzubauen.
Fern von dem einseitig-extremen Parteigetriebe arbeitete
er für den sächsischen Minister Martin Oberländer
einen „Entwurf zur Organisation eines deut-
50
51
sehen Nationaltheatcrs für «las Königreich
Sachsen" ans. Er wünschte die Kimstpflege und
durch sie zugleich die Sitten des Volkes zu heben. Zu
diesem Behufe wollte er das bisher vom Hof abhängige
Theater in eine nationale Anstalt verwandelt und in
rein künstlerischen Fragen auch von der Gesamtheit
der schaffenden und reproduzierenden Künstler beraten,
endlich durch eine Theater-, Sing- und ( )rchesterschule
mit dem nötigen Nachwuchs an jüngeren Kräften ver-
sehen wissen. Bevor dieser Plan im sächsischen Mini-
sterium gebührend geprüft werden konnte, hatte das
Leben seines Verfassers eine ganz neue Wendung ge-
nommen.
Der revolutionären Bewegung, die besonders seit
dem Frühling 1848, wie im übrigen Deutschland, so
auch in Sachsen beständig wuchs, war Wagner schon
durch seine Freundschaft mit dem Musikdirektor
August Röckel, der sich ihr leidenschaftlich hingab,
entgegengetrieben worden. Durch Röckel lernte er
1849 auch Michael Bakunin kennen, der als politischer
Flüchtling aus Rußland unter falschem Namen in
Dresden Aveilte. Nicht als Stürmer beteiligte sich
Wagner an dem revolutionären Treiben, nicht einmal
als entschiedner, folgerichtiger Republikaner, als Dichter
vielmehr, dessen Forderungen teils weit hinaus über
die Gegenwart in die Zukunft wiesen, teils überhaupt
in der wirklichen Welt nicht ausführbar schienen. In
schwärmerisch begeisterten, rhetorisch zündenden Auf-
sätzen suchte er bald Königtum und Republik zu ver-
söhnen, von inniger Liebe zu dem Fürsten seiner Hei-
mat geleitet; bald predigte er, ohne sich irgend mehr
um die besondern sächsischen Verhältnisse zu küm-
mern, die grof3e soziale Befreiung der Menschheit von
jeglichem das Leben ertötenden geistigen und mate-
riellen, nicht blofs von dem staatlichen Druck. Bei
dem übereilten Dresdener Aufstand vom Mai 1849 ge-
sellte er sich nicht den Barrikadenstreitern bei , griff
überhaupt nicht selbst zu den Waffen, sondern beob-
52
achtete nur in gespannter Erregung den Gang der
Ereignisse und suchte mehrmals Gleichgültige und
Schwankende zum Anschluß an das kämpfende Volk
zu überreden. Das genügte immerhin, daß er harte
Strafe fürchten mußte, nachdem preußische Truppen
den Aufstand gewaltsam niedergeworfen hatten. Noch
ehe die gerichtliche Verfolgung gegen ihn eröffnet
wurde, floh er für immer aus Dresden, trotz der bit-
tern Erfahrungen der letzten Tage überaus heiter im
Gefühle der wiedergewonnenen vollständigen künstle-
rischen Freiheit.
5:3
ach manchem Drangsal und Wirrnis sollte
Wagner, bevor er Deutschland auf viele
Jahre verließ, noch ein ungeahnt großes
Glück erleben, so daß er fortan mutig aller
Not begegnen konnte, die den Menschen wie den
Künstler beschleichen mochte. Er gewann sich wäh-
rend eines kurzen Besuches in Weimar Franz Liszt
zum Freunde. Der gefeierte Künstler, der erst jüngst
der Virtuosenlaufbahn entsagt und sich als Hofkapell-
meister in die thüringische Residenzstadt zurückge-
zogen hatte, war ihm früher schon, doch immer nur
flüchtig, begegnet. Im letzten Jahre aber hatte er,
wie kein zweiter Musiker unter den Lebenden, die
höchste Teilnahme an Wagners künstlerischem Schaffen
bewiesen: er bereitete dem „Tannhäuser" eine neue
Pflegestätte in Weimar. Zu ihm floh jetzt der Ver-
bannte zuerst. In ihm fand er den Künstler, der ihn
verstand, den groß denkenden Menschen, der in unge-
trübtem Adel der Gesinnung ihm vertraute und mit
treuem Herzen ihn liebte. Ihm übergab er jetzt das
Kostbarste . was er besaß, seine Partituren. Bei ihm
suchte er von nun an Rat und Hilfe in allen Verlegen-
heiten und bat nie vergebens. Die beiden Künstler
54
waren sich wohl bewußt, wie sehr ihre Naturen von
einander verschieden waren, wie ungleich ihr Leben,
ihre Bildung und geistige Entwicklung sich gestaltet
hatte. Wagner betonte einmal in einem Brief an Liszt
seinen besonderen künstlerischen Widerwillen gegen
die französische Sprache und bemerkte dazu erklärend:
„Das wird dir nicht begreiflich sein: dafür bist du
aber ein europäisches Weltkind, wogegen ich ganz
speziell germanisch zur Welt gekommen bin." Aber
diese Unterschiede hörten auf zu bestehen, sobald es
galt, einander tätige Freundschaft zu erweisen. Für
Liszt in erster Linie und für wenige Freunde, die
meistens Liszt ihm gewonnen hatte, dichtete und kom-
ponierte Wagner von nun an; Liszt aber machte es
sich zur Ehrensache und zu einer neuen Lebensauf-
gabe, Wagners Werke in einer der Absichten ihres
Schöpfers würdigen Weise aufzuführen und so wahr-
haft künstlerisch für ihre Verbreitung und ihr Ver-
ständnis zu wirken.
Von Weimar floh Wagner noch im Mai 1849 glück-
lich nach der Schweiz. Dann begab er sich auf Liszts
Rat zuerst nach Paris, fühlte sich aber von dem ganzen
Treiben dort gründlich abgestoßen und wandte sich
deshalb im Juli wieder nach Zürich. Hier ließ er sich,
nachdem seine Frau ihm nachgekommen war, häuslich
nieder. Aus Deutschland verbannt, von den sächsi-
schen Behörden steckbrieflich verfolgt, wohnte er volle
neun Jahre in Zürich. Noch einmal trieb ihn der be-
sonders von seinen Freunden genährte Wunsch, ein
Werk auf die Pariser Bühne zu bringen, 1850 in die
französische Hauptstadt zurück, und drei Jahre später
führte ihn eine Erholungsreise in Liszts Gesellschaft
wieder dahin. Aber von hier wie von verschiednen
schweizerischen Kurorten, die er zur Sommerfrische
gelegentlich aufsuchte , kehrte er stets wieder gern
nach Zürich heim.
F/nter seinen neuen Mitbürgern gewann er sich
manchen zum Freund. Doch auch noch andere deutsche
55
Verbannte von geistiger Bedeutung und künstlerischem
Streben hatten neben ihm in Zürich eine Freistatt ge-
funden. So verkehrte er viel mit dem Züricher Staats-
schreiber Jakob Sulzer, mit dem Germanisten Ludwig
Ettmüller und mit Georg Herwegh, der ihm besonders
nahe trat, später auch mit Gottfried Keller und dem
ihm von Dresden her schon befreundeten Gottfried
Semper. Schon 1850 siedelten zu ihm zwei jugend-
liche Verehrer, von Dresden her ihm bereits bekannt,
nach Zürich über, Karl Ritter, dessen Mutter den auch
von äufseren Sorgen schwer bedrückten Künstler hoch-
herzig unterstützte, und Hans von Bülow; Wagner
wurde ihnen ein väterlich besorgter Freund und für
ihre musikalischen Studien ein unvergleichlicher Lehrer.
Nur zu einem Besuch von einigen Wochen traf im
Sommer 1851 der treueste der Dresdener Freunde ein,
der Kammermusiker Theodor Uhlig; ein früher Tod
raffte ihn anderthalb Jahre später zu Wagners bitter-
stem Leid hinweg, bevor er ein zweites, ersehntes
Wiedersehen mit ihm feiern konnte. Zu dauerndem
Aufenthalt hatte sich der Hamburger Journalist und
Demokrat Francois Wille mit seiner feinfühligen, auch
dichterisch gut begabten Gattin Eliza in Mariafeld
bei Herrliberg am Züricher See niedergelassen; oft
kam Wagner hieher allein oder mit Herwegh zu freund-
schaftlicher Aussprache über alles, was ihn mensch-
lich und künstlerisch bewegte.
Weit inniger noch wurde sein Verkehr mit dem
rheinischen Kaufherrn Otto Wesen donck, der seit
1851 in Zürich wohnte, und dessen junger Gattin
Mathilde (1828—1902). Zwischen ihnen und Wagner
erwuchs allmählich eine herzlich vertraute, unzerstör-
bar alles überdauernde Freundschaft. In der vor-
nehmsten Weise, immer verständnisvoll, selbstlos und
edel gesinnt, unterstützte Wesendonck aus seinem
Reichtum den Künstler, wo und wie er nur komite.
Mathildes klare, schöne, für alles Große und Echte
empfängliche Seele aber wurde nun im höchsten Sinne
56
57
durch Wagner gebildet. Durch ihn lernte sie das Beste
in aller Kunst gründlich kennen; er leitete sie zu
ernsten philosophischen und literarischen Studien; er
gab auch ihrem dichterischen Talente, dem so manche
reife, edle Frucht entkeimen sollte, den kräftigsten
Anstoß. Mit ihr verband ihn die zarteste und tiefste,
zugleich reinste, von Anfang an streng entsagungsvolle
Liebe, deren Adel wohl Wesendonck, aber leider nicht
Minna , Wagners leidenschaftlich-mißtrauische , dazu
krankhaft erregte Gattin, zu würdigen vermochte. So
mußte er sich im August 1858 von den Freunden
trennen. Ihre Seelengemeinschaft wurde aber dadurch
nicht aufgehoben; wie zuvor, so erblühte ihm aus ihr
auch hernach noch Künstlerisch-Herrliches.
An dem Züricher Theater- und Musikleben nahm
Wagner von Anfang an regen Anteil. Besonders für das
Verständnis Beethovenscher Symphonien und Ouver-
türen wirkte er durch sorgfältige Aufführungen und
erläuternde Programme. Seine eignen Werke konnte
er mit Ausnahme des „Fliegenden Holländers" vor-
erst nicht auf die Züricher Bühne bringen. Aber im
Mai 1853 war es ihm vergönnt, mit Hilfe befreundeter
Musiker aus der übrigen Schweiz und aus Deutsch-
land, die auf seinen Ruf herbei eilten, in drei Konzerten
nach einander ausgewählte Stücke aus „Rienzi", dem
„Holländer", „Tannhäuser" und „Lohengrin" begei-
sterten Zuhörern mustergültig vorzuführen. Jüngere
Anhänger, alte Freunde und sonstige Gäste fanden sich
zu diesem Fest in Zürich ein. An Besuchen aus der
deutschen Heimat fehlte es auch zuvor und hernach
dem Verbannten nicht. Aber wie wenig milderte das
seinen Schmerz, daß er sich vom Vaterland ausge-
schlossen, von dem, der ihn besser als jeder andere
verstand, von Liszt, und zugleich von der einzigen
Stätte , wo seine Werke künstlerisch wirklich lebten,
von Weimar, unwiderruflich getrennt wissen mußte!
Immer heftiger ergriff ihn die Sehnsucht, nur einmal
wenigstens seinen „Lohengrin" auf der Bühne zu
58
sehen. Daß ihm das so lange versagt blieb, und im
Zusammenhange damit das bittere Gefühl seiner künst-
lerischen Verödung zehrte gleich einem schleichenden
Gift an seiner Gesundheit und lähmte mitunter selbst
den Eifer und die Kraft, womit er neue, größere Kunst-
werke zu schaffen begonnen hatte.
Zuerst, als er 1849 in Zürich einzog, drängte es
ihn, theoretisch möglichst gründlich und klar sich über
das auszusprechen, was er im Gegensatze zu der herr-
schenden sogenannten Kunst jener Tage für sein Volk
erstrebte. Vor allem wollte er Protest einlegen gegen
die Behauptung, daß die Besieger der Revolution Be-
schützer der Kunst seien. So verfaßte er, noch heftig
erregt von den jüngsten Erlebnissen, in einem Stil,
der überall von der leidenschaftlichen Begeisterung des
Dichters zeugte, im Sommer 1849 seine erste Reform-
schrift „Die Kunst und die Revolution". Im
Keim enthielt sie bereits das Meiste von dem, was
seine folgenden Kunstschriften genauer ausführten.
Entschieden leugnete Wagner, daß die Revolution
die echte Kunst geschädigt habe, wie sie die antiken
Griechen als schöne und starke, freie Menschen in dem
höchsten Kunstwerk, der attischen Tragödie, pflegten.
Diese Kunst ist schon mit dem Untergange des freien
Griechentums verfallen und im Dienste der Kirche,
der Fürsten und zuletzt der Industrie mehr und mehr
in ein bloßes künstlerisches Handwerk übergegangen.
Dieses aber ist nicht der geistigen Erhebung des ge-
samten Volkes, sondern nur dem Sinnengenuß einiger
weniger gewidmet, wie es auch nicht einem Bedürfnis
des Volkes, sondern nur einer Laune des Luxus, der
Mode sein Dasein verdankt. Das wahre Drama, das
Musik und Poesie und die andern Schwesterkünste in
sich vereinigte, ist in Schauspiel und Oper, in Deko-
ration, Ballett, Deklamation, Gesang und Orchester
ohne gemeinsamen künstlerischen Halt und Zweck
aufgelöst. Erst wenn durch die Revolution das ganze
Volk frei geworden ist, und zwar wenn wir im rieh-
59
tigen Verständnis der Lehre Jesu das Sklaventum, die
wichtigste Ursache des Verfalls der altgriechischen
Welt, völlig und in jeder Form ausrotten, kann die
echte Kunst und ihr höchstes Werk, das wahre Drama,
uns wiedergeboren werden, als hehrste Geistesschöpfung
des öffentlichen, gemeinsamen Volkslebens, für deren
würdige Pflege und allgemeine Zugänglichkeit der Staat
zu sorgen hat.
Was Wagner hier vorwiegend im Sinne einer ver-
neinenden Kritik angedeutet hatte, wies er in den
Schriften der zwei nächsten Jahre, „Das Kunstwerk
der Zukunft" (1849), „Kunst und Klima" (1850)
und „Oper und Drama" (1850/51), im einzelnen aus-
führlicher nach und ergänzte es durch positive Vor-
schläge, wie wir das wahre dramatische Kunstwerk aus
seinem Untergange zu neuem, höherem Leben er-
wecken könnten.
Er untersuchte der Reihe nach, in welcher Weise
sämtliche Künste, die bildenden, mimisch darstellenden
und tönenden oder redenden, in der antiken Tragödie
zum gemeinsamen höchsten künstlerischen Zwecke zu-
sammenwirkten, und wie hernach, aus dieser lebens-
und liebevollen Vereinigung gelöst, die einzelnen Künste
in ihrer Sonderentwicklung erstarrten oder entarteten.
Er lehnte den Einwand ab, als hätte nur in dem
milden Klima Griechenlands jenes künstlerische An-
schauungs- und Gestaltungsvermögen reifen können,
aus dem die attische Tragödie erwuchs. Erst der von
der Natur unabhängige, der geschichtliche Mensch hat
die Kunst ins Leben gerufen; der schöne und starke,
durch die höchste Liebeskraft zur wahren Freiheit ge-
langte Mensch kann einzig das entschwundene dramati-
sche Kunstwerk wieder schaffen, wie er allein, sein
Leben und sein Tod, der Inhalt desselben ist; für die
Kunst kann daher als grundbedingend nur eines gelten,
das wirkliche Wesen der menschlichen Gattung. Streng
prüfte Wagner die verfehlten Versuche der letzten
Jahrhunderte, die Schwesterkünste, ohne dafs eine von
60
ihnen ihren Egoismus aufopferte, äußerlich wieder zu
vereinigen im Oratoriuni und besonders in der Oper,
dem Sammelpunkt ihrer eigensüchtigsten Bestrebungen.
Diesen unorganischen Mischgattungen gegenüber stellte
er die liebevolle Verbindung aller Einzelkünste im
Kunstwerk der Zukunft, dem echten Drama. Es be-
dient sich der nämlichen künstlerischen Mittel wie die
attische Tragödie, in der gleichen Weise und zum
gleichen Zweck, aber in reicherem Mafs und in technisch
höherer Vollendung. Wie jene, wird auch dieses vom
Volke, das heifät von der Gesamtheit der verschiedenen
Künstler, für das Volk dargestellt ; aber, wie die einzel-
nen Künste hier erst ihrem innersten Wesen gemäß
natürlich und frei wirken, so kann sich auch die Indi-
vidualität der einzelnen Künstler gerade in solcher
Gemeinschaft bedeutsam entfalten.
Der Philosophie Hegels und insbesondere den
Schriften des Hegelianers Ludwig Feuerbach verdankte
Wagner neben gewissen spekulativen Anschauungen
die formale Schulung, die er bei seinem streng folge-
richtigen Aufbau des Kunstwerks der Zukunft be-
währte. Sonderlich viel hatte er von den Werken der
beiden Philosophen nicht gelesen; so darf auch seine
unleugbare Abhängigkeit von ihnen nicht überschätzt
werden. Die Idee des Gesamtkunstwerks selbst war
völlig sein Eigentum, ihm erwachsen aus dem geisti-
gen Erbe der größten Denker und Dichter Deutsch-
lands und der Nachbarvölker seit mehr als einem
Jahrhundert, neuerdings angeregt durch den Preis des
griechischen Dramas als eines Wiedervereinigungs-
festes aller Künste in Anselm Feuerbachs Buch über
den vatikanischen Apollo.
Mit der dem Reformator notwendigen Einseitigkeit
stellte Wagner sein Ideal des Dramas auf. Er wollte
übrigens auch keineswegs, indem er das Gesamtkunst-
werk forderte, das Recht und Verdienst der Einzel-
künste bestreiten; er leugnete nur die Möglichkeit,
durch eine von ihnen allein das wahre Drama, das sich
61
der antiken Tragödie vergleichen lasse, zu erzielen. In
seiner allumfassenden künstlerischen Anlage herrschte
namentlich die poetische und die musikalische Be-
gabung vor; die gesonderte Entwicklung der Dicht-
und Tonkunst und die Aufgabe der beiden Künste im
Drama der Zukunft betrachtete er deshalb am sorg-
fältigsten und mit dem richtigsten Urteile. Gegen
Einzelheiten der geschichtlichen Würdigung läßt sich
wohl auch hier dies oder jenes einwenden; auf ihren
ästhetischen Gehalt hin geprüft, ist die Darlegung in
ihrer Gesamtheit unantastbar. Wer ohne Vorurteil
mit dem einfachen, redlichen Streben nach Belehrung
die Kunstschriften Wagners liest, findet eine staunens-
werte Fülle neuer Aufschlüsse und scharfer, zutreffen-
der Aussprüche über das Wesen der Musik, der
Sprache und Dichtkunst, des Mythos, des Romans und
des Dramas, über die geschichtliche Entwicklung der
Oper und des Schauspiels und die hervorragendsten
Meister in beiden Kunstarten, über die mannigfachen
Versuche, die Ausdrucksformen der Musik überhaupt
zu erweitern oder mit einem bedeutenderen Gehalte
zu erfüllen, über die Aufgabe des Chors und des
Orchesters, über dichterische Rede, Vers- und Reim-
bildung, über das Verhältnis des Dramas zur Politik
und Religion, zur reinen menschlichen Individualität
und zum Volke. Bei aller philosophisch-ästhetischen
und geschichtlichen Bildung, die sich in jenen Schriften
Wagners imponierend groß offenbart, bei aller, mit-
unter peinlich gewissenhaften, logischen Konstruktion
des einzelnen Gedankens, die die Lektüre nicht wenig
ersclnvert, konnte doch nur ein Künstler, der einzig
als Künstler dachte und forschte, diese Schriften ver-
fassen. Für den Künstler zunächst und erst in zweiter
Linie für den wissenschaftlichen Denker waren sie
denn auch geschrieben. Sie hätten gleichwohl auch
diesem überaus viel bieten können; aber die Männer
der Wissenschaft verschmähten meistens noch mehr
als die der Kunst die Anregungen, die Wagner gab
62
63
- zu ihrem eignen Nachteil. Denn manches Ziel, dem
sich die spätere Ästhetik nunmehr unabhängig von
ihm mit doppelter Mühe auf Umwegen genähert hat,
hatte er schon damals auf geradliniger Bahn erreicht und
für die, welche ihm folgen wollten, den Pfad geebnet.
Eine Anzahl kleinerer Schriften und Auf-
sätze ließ Wagner den grundlegenden theoretischen
Werken der Jahre 1819 — 1851 folgen, einen Brief an
Liszt über die „Goethestiftung" , „Erinnerungen an
Spontini", Vorschläge für ein Theater in Zürich, Winke
und Ratschläge für die Aufführung des „Tannhäuser"
und des „Holländers", Gedanken über die Aufgabe
musikalischer Kritik im eigentlichsten Sinne, einen
Bericht über seine Komposition eines neuen Schlusses
zur Ouvertüre von Glucks „Iphigenia in Aulis" und
anderes. Oft lenkte er dabei wieder in die Bahnen
ein, in denen sich jene großen Reformschriften be-
wegten; gelegentlich suchte er sogar wieder ähnliche
Wege auf, wie er schon in dem Entwurf eines deutschen
Nationaltheaters für Sachsen betreten hatte.
Das meiste Aufsehen unter allen diesen Arbeiten
machte ein größerer Aufsatz, den er im September
1850 in Franz Brendels „Neuer Zeitschrift für Musik"
veröffentlichte, „Das Judentum in der Musik",
1869 mit verschärfenden Zusätzen wieder herausge-
geben. Was darin über einzelne jüdische Komponi-
sten, so über Mendelssolm-Bartholdy und Meyerbeer,
gesagt war, mochte damals schroff klingen, wird aber
heute von unparteiischen Kennern der neueren Ent-
wicklung unsrer Musik kaum mehr im Ernste be-
kämpft. Und der Dichter Heine kann mit wenigen
Strichen kaum geistreicher und treffender als hier ge-
kennzeichnet werden, wenn auch der letzte, übertrieben
scharfe Zug in dieser Charakteristik das ganze Bild zu
verzerren droht. Bestreitbar bleibt nur der allgemeine
Grundgedanke der Schrift, daß der Jude an sich un-
fähig sei, wahrhaft künstlerisch zu schaffen. Auch im
einzelnen mußte dieser Irrtum zu einigen historisch
ßi
unrichtigen Äußerungen führen. Er erklärt sich ge-
schichtlich aus dem nationalen Geist, der in unserer
gesamten Literatur seit der Romantik im Gegensatze
zu den weltbürgerlichen Bestrebungen des achtzehnten
Jahrhunderts weht. Aber mit Recht trifft Wagners
Urteil nur den Juden der Übergangszeit, der die
Rechte der Emanzipation genießen möchte und sich
doch noch nicht daran gewöhnt hat, sich vollständig
als Mitglied des Volkes zu fühlen, dem er äußerlich
augehört. Von dem Vorsatz, ungeheure Kränkungen
zu verüben, war Wagner, als er seinen Aufsatz schrieb,
weit entfernt; mit dem ebenso törichten wie unsitt-
lichen Antisemitismus der neuesten Wühler hatte er
nichts gemein.
Inhaltlich viel bedeutender als die von seinen
Gegnern über Gebühr aufgebauschten Erörterungen
über das Judentum war die lange Zeit wenig be-
achtete Vorrede, mit der er 1851 die Ausgabe seiner
letzten drei Operndichtungen begleitete. „Eine Mit-
teilung an meine Freunde" war das umfang-
reiche, von höchster Lebens- und Schöpferkraft erfüllte,
Geist und Gemüt des Lesers gleich mächtig anziehende
Schriftstück betitelt. Es enthielt vor allem eine tief
eindringende Geschichte von Wagners bisherigem
künstlerischen Entwicklungsgang und diente so vor-
trefflich als erklärende Ergänzung zu „Oper und
Drama" wie als ästhetische Einleitung in das große
Werk, das er am Schlüsse dieser „Mitteilung" an-
kündigte, den „Ring des Nibelungen".
Der früher so rege schaffende Künstler war in den
letzten Jahren fast ganz zum Kunstschriftsteller ge-
worden. Aber nicht aus eigentlich philosophischem,
sondern aus rein künstlerischem Drang. Um dem
künftigen Drama, dessen Entwurf er in seiner Seele
trug, den Boden zu bereiten, hatte er vorerst theo-
retisch erläutern müssen, was er mit diesem Drama
wolle. Nun das geschehen war, trieb es ihn mit Macht
zur dichterischen und musikalischen Tätigkeit zurück.
Munckcr, R. Wagner. 2. Aufl. 5 65
Seit er 1SA8 diu Tragödie „Siegfrieds Tod" auf-
gezeichnet hatte, stand ihm das Bild des herrlichsten
germanischen Sagenhelden leuchtend und lockend vor
dem Auge. Nur vorübergehend verdunkelten den Glanz
dieser Erscheinung verwandte Sagengestalten. Das
Märchen vom Burschen, der auszog, um das
Fürchten zu lernen, schien eine Zeit lang als
passender Stoff für ein musikalisches Drama von hei-
terer Stimmung den Dichter zu reizen. Ernster und
mit tieferer Bedeutung schwebte ihm Achilleus als
tragischer Held vor. Diese beiden Pläne gediehen je-
doch nicht über die ersten Anfänge hinaus. Dagegen
verfaßte Wagner im März 1850 den vollständigen szeni-
schen Entwurf zu einem dreiaktigen Drama ..Wie-
land der Schmied". Die Absicht freilich, das Werk
dichterisch zu vollenden und in Musik zu setzen, gab
er bald endgültig auf.
Schon 1835 hatte Karl Simrock auf Grund der alt-
nordischen Überlieferung in der „Edda" und in der
Wilkinasaga den germanischen Dädalos, der in höchster
Not, um Bache an seinem Feinde zu gewinnen, sich
Flügel schmiedete, in einem breit ausgesponnenen Hel-
dengedicht von stark archaistischer Färbung besungen.
Aus diesem weit mehr als aus seinen nordischen Quel-
len schöpfte Wagner den Stoff. Aber nicht nur dessen
episch locker gehaltene Bestandteile zog er straff zu-
sammen, vereinfachte und konzentrierte durchaus die
Handlung, begründete die einzelnen Geschehnisse über-
zeugend und vertiefte die Charaktere der Personen,
die sie herbeiführen helfen oder erfahren ; auch sittlich
veredelte er wichtige Züge der Sage. So erst konnte
er aus ihr ein Drama gestalten, das seinen künstleri-
schen Ideen zum Ausdruck dienen mochte. Faßte er
doch die Sage von Wieland liauptsächlich auch als
symbolische Darstellung der echten Kunst auf: von
roher Gewalt geknechtet und zu unkünstlerischem
Dienste gezwungen, steigert sie im tiefsten Leiden
ihre Wunderkraft auf das höchste und gewinnt, indem
66
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sie die unterdrückenden Mächte vernichtet, sich Frei-
heit und Herrlichkeit zurück.
Aber wie glücklich Wagner hier auch den epischen
Stoff dramatisch zu gliedern und dichterisch zu ver-
tiefen suchte, so mußte doch bald wieder der neue
Entwurf dem älteren Plane weichen. Dieselben Quellen,
aus denen er die Wielandsage kennen lernte, wiesen
ihn zugleich auf seine Siegfrieddichtung zurück.
Doch als er sich nun im Frühling 1851 anschickte,
diese Tragödie in Musik zu setzen, erkannte er, daf3
noch nicht alles in ihr zur vollen dramatischen Wir-
kung durchgebildet war. Zahlreiche, unentbehrliche
Beziehungen auf die Vorgeschichte Siegfrieds und
Brünnhildens waren in epischer Form angedeutet. Sie
konnten aber nur dann wahrhaft künstlerisch wirken,
wenn sie selbständig dramatisch ausgeführt wurden.
Wagner tat dies in einem rasch gedichteten, drei-
aktigen Drama „Der junge Siegfried". Er wandte sich
um so schaffensfreudiger der neuen Aufgabe zu, als er
sah, daß in seinem Geiste dieser junge Siegfried längst
Gestalt gewonnen hatte : er war ja jener Märchenheld,
der das Fürchten lernen sollte. Allein auch in zwei
Stücken war der weitschichtige epische Stoff nicht
dramatisch zu bewältigen. So entschloß sich Wagner
im Herbst 1851, auch dem „Jungen Siegfried" noch
zwei Dramen vorausgehen zu lassen, ein umfangreiches
Vorspiel, das den Raub des Rheingoldes und dessen
unmittelbare Folgen darstellen sollte, und eine drei-
aktige Tragödie, den Schicksalen der Eltern Siegfrieds
und der damit eng verknüpften Trennung der Walküre
Brünnhilde von Wotan gewidmet. Die Dichtung dieser
Tragödie wurde am 1. Juli 1852 vollendet, die des
Vorspiels im November des gleichen Jahres.
Die vier Dramen hingen nicht bloß äußerlich unter
sich zusammen; sie bildeten zugleich eine einzige,
große Tragödie , in der die Geschicke der Götter und
Menschen durch gemeinsame Schuld und Sühne auf
das innigste mit einander verknüpft waren. Symbolisch
68
bedeutete Siegfrieds Schicksal das des Menschen über-
haupt: mit seinem Tod endigt auch das Götter-
geschlecht. In diesem Sinne verband Wagner mit den
Sagen vom Nibelungenhort und seinem herrlichsten
Besitzer Siegfried die von der Götterdämmerung, vom
Untergange der Götter: im Kampf mit Zwergen und
Riesen haben sie Schuld auf sich geladen und durch
ihre Verbindung mit Loge, dem Geiste der Verneinung,
selbst ihr Sein untergraben. Diese neue Grundidee
und der Umstand, daß nunmehr einzelne Motive von
„Siegfrieds Tod" schon in den vorausgehenden Stücken
vorweggenommen waren, machten zuletzt noch eine
durchgreifende Umdichtung des Schlußdramas not-
wendig. Wagner verwendete darauf die letzten Wochen
des Jahres 1852 und ließ dann sogleich das Ganze
drucken, zunächst nur in wenigen Abzügen für Freunde.
Erst 1863 wurde es der gesamten Leserwelt zugäng-
lich: „Der Ring des Nibelungen", ein Bühnen-
festspiel in vier Teilen, deren letzter nunmehr unter
einem bedeutsameren Namen erschien. Auf das vier
Szenen umfassende Vorspiel „Das Rheingold" folg-
ten die drei großen Dramen „Die Walküre", „Sieg-
fried" und „Götterdämmerung".
Auch mit dem Beginne der musikalischen Kom-
position säumte Wagner nicht lange. Schon während
der dichterischen Arbeit, desgleichen unmittelbar nach
ihrer Vollendung und besonders auf einer Reise nach
Oberitalien im Spätsommer 1853 waren einzelne musi-
kalische Motive des neuen Werkes entstanden. Im
Spätherbst darauf schritt Wagner an die regelrechte
Komposition des „Rheingoldes" ; bereits im Mai 1854
hatte er sie beendigt. Mit demselben rüstigen Eifer
führte er die Partitur der „Walküre" bis etwa zum März
1856 aus. Aber ungleich mühsamer wurde ihm nach
dieser andauernden Anstrengung die Arbeit am „Sieg-
fried". Kaum anderthalb Akte davon hatte er bis zum
Sommer 1857 in Musik gesetzt; da bestimmte ihn die voll-
ständige Aussichtslosigkeit seines Schaffens, das Werk,
69
für das er nicht einmal einen Verleger zu gewinnen
hoffen durfte, einstweilen zurückzulegen. Mit tiefem
Schmerz entsagte er damals, durch unüberwindliche
Not gezwungen, der Vollendung des Höchsten, das er
erstrebt und zum größten Teile schon herrlich aus-
geführt hatte. Erst nach acht Jahren konnte er die
Arbeit wieder aufnehmen und langsam unter man-
cherlei Unterbrechungen zum Abschluß bringen. Im
Februar 1871 war die Partitur des „Siegfried", im
November 1874 die der „Götterdämmerung" vollendet.
Mehr als ein Vierteljahrhundert hatte es bedurft, bis
die künstlerische Idee ihre vollkommene dichterisch-
musikalische Gestalt erhielt.
Das poetische Verdienst der Wagnerschen Nibe-
lungentragödie beruht zunächst darauf, daß hier zum
ersten und einzigen Mal in der gesamten Literatur ein
Künstler von höchster dramatischer Anlage den größten
Stoff der germanischen Volkssage nach den ältesten
Überlieferungen behandelte, die allein den tragischen
Gehalt und die sittliche Bedeutung dieses ursprüng-
lichen Naturmythos in ungetrübter Reinheit erhalten
haben. Die vielen andern deutschen Dichter, die im
neunzehnten Jahrhundert die Siegfriedsage dramatisch
zu bearbeiten suchten und dabei mehr oder weniger
alle scheiterten, gingen fast ausnahmslos von unserm
mittelhochdeutschen Nibelungenlied aus, so neben zahl-
losen kleineren Schriftstellern namentlich Hebbel und
Geibel und vor ihnen schon Raupach, wenigstens für
die wichtigsten Szenen und Motive seines gern ge-
spielten Stückes. An das Nibelungenlied hatten sich
auch Unlands Entwürfe zu einem zweiteiligen Trauer-
spiel und Friedrich Theodor Vischers Vorschläge zu
einer Oper (1844) angeschlossen. Wagner dagegen
schöpfte aus den altnordischen Quellen, aus den Lie-
dern der „Edda", die ihm in Ettmüllers, seit 1851 auch
in Simrocks Übersetzung vorlagen, und besonders aus
der Völsungasaga, die schon 1815 Friedrich Heinrich
von der Hagen im vierten Bande seiner „Altnordischen
70
71
Heklenromane" übertragen hatte. In dieser Sammlung
war aber auch die Wilkinasaga und Nornagestssaga
verdeutscht; beide erzählten ebenfalls die Schicksale
Siegfrieds, doch mit manchen Abweichungen von jenen
Berichten im einzelnen. Besonders aus der Wilkina-
saga, aus der schon Simrock einige Taten Siegfrieds
in seinen „Wieland" aufgenommen hatte, machte
Wagner sich Verschiednes zu eigen. Auch Simrock
selbst konnte ihm hie und da eine unwesentliche An-
regung geben. Von sonstigen neueren Dichtern hatte
ihm Fouque in seinem Heldenspiel „Sigurd der
Schlangentöter" mehrere Szenen vorgebildet, mit un-
zulänglicher Kraft und gleichwohl so, daf3 ihre Umrisse
und selbst Einzelheiten der Reden und Vorgänge in
der Phantasie des größeren Nachfolgers hafteten ; hatte
doch Fouque gleichfalls aus den nordischen Sagen ge-
schöpft. Einige Nebenmotive entlehnte Wagner übri-
gens auch aus dem Nibelungenlied, ferner aus der
„Jüngeren Edda", aus nordischen Skaldenliedern, aus
deutschen Volksmärchen und andern volkstümlichen
Überlieferungen.
Als selbständig schaffender Dichter trat er an die
uralte Sage heran. Aus den verschiednen Gestal-
tungen, die sie in den nordischen Gesängen und Prosa-
berichten aufwies, suchte er vor allem die späteren
Zutaten und die künstlerisch störenden Bestandteile
auszuscheiden. So nur konnte er aus ihnen eine ein-
fache, echte Urform des Mythos herausschälen, die der
dichterischen Wiederbelebung am fähigsten war. Als
Künstler natürlich, nicht als Philologe, mußte er diese
Aufgabe lösen. Es galt für ihn nicht, überhaupt die
geschichtlich älteste Gestalt der Sage zu entdecken,
sondern ihre künstlerisch einfachste Grundform, in der
sich die menschliche Natur am ursprünglichsten, die
Empfindungen und Leidenschaften am unmittelbarsten
ohne alles historische Beiwerk offenbarten. Doch be-
diente sich Wagner sorgsam jeder Förderung, die er
von der strengsten wissenschaftlichen Forschung er-
72
hoffen durfte. Zum Teil unter Ettmüllers Beirat las
er Jakob Grimms „Deutsche Mythologie" und „Deutsche
Rechtsaltertümer" und mehrere Abhandlungen Wil-
helm Grimms, Lachmanns und anderer Germanisten
über die Nibelungen. Darunter scheint neben Ett-
müllers Vorrede zu seiner Übersetzung der „Edda"
(1837) besonders Wilhelm Müllers „Versuch einer
mythologischen Erklärung der Nibelungensage" (1841)
ihm einen lebhafteren Eindruck hinterlassen zu haben.
Bei diesen Studien eignete er sich die Ansicht
Lachmanns an, daß der ursprüngliche Nibelungen-
mythos mit Siegfrieds Tode schloßs. Namentlich aber
wurde er dabei auf doppelte Gestaltungen der gleichen
Sagenmotive aufmerksam , die er als Dramatiker zu
vereinfachen hatte. Was nach diesem Reinigungs-
prozeß als Kern der alten Sage und Grundstoff für die
neue Dichtung übrig blieb, das suchte er in seinen
einzelnen Teilen inniger zu verbinden, dichterisch be-
deutsamer zu begründen, reicher mit modernen philo-
sophischen Ideen zu erfüllen. So wurde ihm Siegfried
im Sinne des ursprünglichen Mythos eins mit dem
Frühlingsgott Baidur, dessen Tod den Untergang der
Welt herbeiführt. Ungemein vertiefte er den Gegen-
satz zwischen der Begierde nach Macht und Besitz
und der selbstlos sich hingebenden Liebe: wie jene
der Quell aller Schuld und somit die letzte Ursache
des Weltuntergangs ist, so vermag diese einzig die
Welt von der Schuld zur Seligkeit zu erlösen.
Zum dramatischen Hauptgedanken wurde jetzt der
Kampf des lichten Himmelsgottes Wotan gegen den
finstern Nibelungen Alberich. So wurde die (auf ihre
Hauptmomente zurückgeführte) Sage von den Wei-
sungen organisch mit der Wotansage verbunden; die
einstige Siegfriedtragödie von 1848 verwandelte sich
in das weltumspannende Wotansdrama.
Um von Alberichs schmachvoller Herrschaft die
Welt zu erretten, erzeugt Wotan sich Siegmund ; dieser
soll den Feind bekämpfen, den der durch Verträge
73
gebundene Gott nicht treffen darf. Aber er muß er-
kennen, daß auch der Sohn nicht unabhängig von ihm
wirkt, daß durch Siegmund nur er selbst den ver-
wehrten Streich führen würde. In tiefster Seele er-
schüttert, gibt er mit Siegmund das Verlangen nach
eigner Herrschaft, nach Leben und Handeln preis.
Nur noch beobachtend, nicht mehr selbst wirkend,
durchschweift er als Wanderer die Welt. Das Ende
der Götter will er jetzt selbst: einzig quält ihn nur
die Sorge, daß dieses Ende nicht zur Herrschaft Albe-
richs führe. Unabhängig von Wotan in jedem Sinne,
ja im äußeren Gegensatze zu ihm handelt erst Sieg-
munds Sohn Siegfried. Er erkämpft sich den Ring des
Nibelungen , an den die Weltherrschaft geknüpft ist.
Aber nun beginnt auf einer neuen Stufe der Streit der
lichten und dunkeln Gewalten, der Kampf zwischen
Siegfried und Alberichs Sohn. Durch diesen wird
Siegfried, wiewohl unwissend, in Schuld verstrickt und
so vom Fluche des Ringes erreicht; mit ihm Brünn-
hilde , die selbstisches Liebesglück höher achtete als
Gott und Welt. Erst mit dem Leben schwindet ihnen
beiden aller Irrtum; sterbend und mit ihrem Tode zu-
gleich der Götter Ende besiegelnd, wirkt Brünnhilde
die erlösende, den Fluch für immer vernichtende
Liebestat.
An ein äußeres Symbol, den Ring, den Alberich
aus dem Rheingold schmiedete, knüpfte Wagner den
ganzen tragischen Kampf zwischen den Mächten der
Ober- und Unterwelt. Aber wie selbständig-kühn ver-
fuhr er hier von Anfang an gegenüber dem, was die
Sage berichtete! Wie wußte er die Bedeutung dieses
Symbols zu vertiefen, wie durch den doppelten Fluch,
unter dem es geschaffen und alsbald seinem ersten
Herrn geraubt wird, seine Furchtbarkeit zu erhöhen.
wie es als Ziel der beständigen, allgemeinen Begierde
in der Tat zum Angelpunkt seines gesamten Werkes
zu machen! Wie verstand er es, die fatalistische Kraft
des Ringes künstlerisch auszunützen, ohne daß er auch
74
nur mit einem Schritte in die impoetischen Bahnen
der Schicksalstragödie einlenkte! Wie war er vielmehr
vor allem darauf bedacht, die Handlung echt drama-
tisch aus den Charakteren, aus dem leidenschaftlichen
Wollen der gegen einander strebenden Personen her-
zuleiten! Überall bewährte er die höchste Kunst see-
lisch wahrhafter Darstellung, in den Teilen der Tetra-
logie, wo Götter die Träger der Handlung sind, nicht
minder als in denen, wo die dramatische Entwicklung
ausschließlich zwischen Menschen sich vollzieht. Für
die Götter bestehen nur die den Menschen gesetzten
Schranken von Raum, Zeit und natürlicher Kraft nicht.
Aber für sie gilt dieselbe sittliche Anschauung von
Recht und Unrecht, von Schuld und Sühne; sie emp-
finden die gleichen seelischen Regungen: sie sind also
denselben tragischen Geschicken ausgesetzt. Am furcht-
barsten steigert sich die Tragik in dem dramatischen
Hauptcharakter der „Götterdämmerung", in Brünn-
hilde, die den Göttern und Menschen gleichmäßig an-
gehört. Der größte tragische Konflikt, den das Leben
und die Kunst überhaupt kennt, wühlt in ihrer Seele
und zwingt sie, den Einziggeliebten mit vollem, hellem
Wissen aus Liebe zu töten, um sich und ihm ihre
gegenseitige Liebe rein zu erhalten.
Wie die „Götterdämmerung" den Gipfel der tragi-
schen Entwicklung im „Ring des Nibelungen" bezeich-
net, so ist sie auch dramatisch meisterhaft aufgebaut
und tadellos in sich abgeschlossen. Eine ähnliche
einheitliche Abrundung wTar bei den drei vorausgehen-
den Stücken nicht möglich. In ihnen wTeist alles auf
die Zukunft; da mußten demgemäß auch am Ende
der einzelnen Dramen noch Fragen offen gelassen,
neue Fäden der Handlung angeknüpft werden. Doch
auch hier ist die innere wie die äußere Entwicklung
stets bis zu einem bedeutsamen Ruhepunkt geführt.
Künstlerisch streng und dramatisch wirkungsvoll ist
auch hier der ganze Aufbau , und gewaltige Tragik
ergreift uns überall. Aber auch dem epischen und
75
lyrischen Element mußte hier ein breiter Spiel-
raum gelassen werden. Namentlich jedoch erforderte
die Rücksicht auf wahrhaft künstlerische Wirkung,
daß zwischen die erschütternden Tragödien ..Die "Wal-
küre" und „Götterdämmerung" die heitere Idylle
„Siegfried" eingeschoben wurde, der äußerlich jeder
tragische Kampf, aber durchaus nicht jeder dramati-
sche Gegensatz fehlt, dieses einfache Waldstück mit
seiner jugendlich kühnen Einsamkeit, wie Wagner
selbst es nannte.
Nicht minder als in der Anlage des Ganzen be-
währt sich die dramatische Meisterschaft des Dichters
in der Ausführung des Einzelnen. Überall, auch wo
er nur erzählende Berichte einzuflechten oder rein
lyrische Empfindungen auszumalen hat. weiß er wenig-
stens eine dramatische Stimmung zu erzielen. So
täuscht er uns selbst über die künstlerisch bedenk-
lichen, aber unvermeidlichen Szenen hinweg, in denen
die äußere Handlung still steht. Die innere Entwick-
lung schreitet unaufhaltsam weiter. Merklich gefördert
wird der dramatische Fortgang durch die strenge zeit-
liche Geschlossenheit der einzelnen Stücke: jedes um-
faßt nur einen oder wenige dicht auf einander folgende
Tage.
Dazu kommt der rastlos vorwärts drängende
Dialog, der unter Umständen die knappste Kürze mit
der höchsten Kraft des Ausdruckes vereinigt. Mit
derselben Kühnheit wie in früheren Zeitaltern unsrer
Literatur Klopstock , Wieland , Goethe und einzelne
Romantiker erweckte Wagner Formen und Worte
unsrer alten Dichterrede zu neuem Leben. An poeti-
schem Glanz und Reichtum, an sinnlicher Bildlichkeit
und charakteristischer Wahrheit, an phantasievoller
Freiheit vom Zwang der Schulregeln übertraf auch die
Sprache im ..Ring des Nibelungen" weitaus alles, was
Wagner bis dahin gedichtet hatte.
Gleichfalls dem germanischen Altertum entnahm
er die Form des Stabreims. Wenig kümmerten ihn
76
dabei die Regeln, die einzelne Fachgelehrte für die
altdeutsche Metrik behauptet, andere heftig bestritten
hatten. Als Dichter vielmehr ahnte und fühlte er
richtig das innere Gesetz , unter dem die alte Vers-
kunst allein wieder belebt werden konnte. Diesem
getreu, erneuerte er sie eigenartig und frei und darum
mit dem grüßten künstlerischen Erfolg.
In der musikalischen Ausführung seiner Nibe-
lungentragödie tat Wagner den letzten entscheidenden
Schritt auf dem Pfade, der ihn vom „Holländer'' zum
„Lohengrin" geführt hatte. Das Ziel einer durchaus
dramatischen Musik, dem er sich bisher von Werk zu
Werk mehr genähert hatte, jetzt erreichte er es. Jetzt
war jede auch noch so unscheinbare Ähnlichkeit mit
der alten Opernform geschwunden ; die Rücksicht auf
das Drama herrschte allein.
Ununterbrochen wogte durch das ganze Werk die
reichste Gesangesmelodie, welche die getrennten Vor-
züge des einstigen Rezitativs und der Arie in neuer,
schönerer W^eise verband. Durchweg beseelte der na-
türliche, volkstümliche Rhythmus die Melodie; im
allgemeinen erklang aus dem Gesänge nur eine durch
die höchsten Mittel der Kunst unendlich veredelte
Deklamation des dichterischen Wortes. So wurde die
Gesangesmelodie in der Tat nur noch eine Steigerung
dessen, was nach Wagners Forderung die Sprache des
Dichters sein sollte, erhöhter Ausdruck der Empfin-
dung voll lebendiger Wahrheit und sinnlicher Kraft.
Wie im echten Drama, so löste sich auch hier
Rede und Gegenrede regelmäßig ab. Mehrstimmige
Sätze oder vollends Chöre waren äußerst selten ein-
gefügt, nur dann eben, wenn sie sich natürlich aus
einer dramatischen Situation ergaben. Auch in diesem
Falle jedoch dienten sie nicht, wie in der herkömm-
lichen Oper, bloß zur Verstärkung des Tones, sodaß
statt einem Sänger nun mehrere1 dieselben Worte und
Silben auf die gleichen Taktteile hervorschmetterten;
sondern diese Ensembles und ('höre waren nunmehr
78
in lauter einzelne Stimmen aufgelöst, die zwar gleich-
zeitig mit einander erklangen, deren jede aber für
sich selbständig behandelt war.
Für die Polyphonie, die bisher in der Oper durch
mehrstimmigen Gesang bewirkt wurde, sorgte nun in
erster Linie das Orchester, das in einem zuvor unge-
kannten Reichtum von Klängen sich entfaltete. Es
war jetzt noch mehr als einst im „Lohengrin" durch
neue oder von den früheren Tonsetzern nur ausnahms-
weise gebrauchte Blasinstrumente von eigenartiger
Klangfarbe bereichert und überhaupt nach der melodi-
schen wie nach der harmonischen Seite hin gleich-
mäfsig verschwenderisch und mit genialer Kühnheit
ausgestaltet. Seine Aufgabe war, erklärend und
deutend die dramatische Handlung zu begleiten, unter
Umständen auch sie vorzubereiten und, was in ihr
durch Raum und Zeit getrennt oder sonst für die
logische Auffassung geschieden war, für die Empfin-
dung zu verbinden.
Auch dabei streifte Wagner wieder alles Kon-
ventionelle ab. So verwarf er jetzt zum Beispiel die
selbständig in sich geschlossene Ouvertüre, die den
Grundgedanken der dramatischen Handlung in wech-
selnden Tongemälden ohne irgend ein bestimmt deu-
tendes Wort veranschaulichen soll. Ihr volles Ver-
ständnis kann sich nur dem Hörer erschließsen, der
jene Handlung selbst schon kennt, ist also vor dem
Beginn des Dramas unmöglich. Wagner ersetzte da-
her die grofse Ouvertüre durch ein verhältnismämg
kurzes Orchestervorspiel, das nur den Zweck hat,
stimmungsvoll in die erste Szene einzuleiten.
Gerade um das Unaussprechliche auszudrücken,
den ganzen Reichtum von Gefühlen, oft nur halbbe-
wußten Ahnungen, Erinnerungen, Willensregungen, die
das gesprochene Wort oder die unwillkürliche Ge-
bärde begleiten, dazu hatte Wagner das Orchester
ausersehen. Für diesen Ausdruck des geheimsten
Seelenlebens fand er nicht selten Harmonien, deren
79
duftige Zartheit oder ideale Erhabenheit über alles
Irdische hinauszuweisen schien. Gelegentlich aber ge-
stattete er sich auch Klangwirkungen, die mit virtuoser
Kunst täuschend ähnlich dein wirklichen Leben nach-
gebildet sind und bisweilen groteske Heiterkeit er-
regen, ohne doch irgendwie gegen die wahren Gesetze
des Schönen und der Kunst zu verstoßen.
Über den Gesang und die Instrumentation spannt
sich gleichmäßig das Gewebe der Leitmotive aus, nun-
mehr noch viel reicher als einst im „Lohengrin" durch-
gebildet und bis ins Kleinste und Einzelnste künst-
lerisch sorgfältig ausgeführt. In großen, für alle vier
Dramen gemeinsamen Hauptthemen prägt sich die Ein-
heit der dichterischen Handlung aus, der über die
ganze Tetralogie sich erstreckende Zusammenhang der
wirkenden Personen, ihrer Leidenschaften und Schick-
sale. An sich überaus einfach sind diese Hauptmotive
erfunden; in ihrer ausdrucksvollen Bestimmtheit sind
sie leicht zu verstehen und mühelos im Gedächtnis zu
behalten. Wie entwicklungsfähig sie aber bei aller
ihrer ursprünglichen Schlichtheit sind, offenbaren die
zahlreichen Nebenthemen, die aus ihnen zur musikali-
schen Charakteristik einzelner Regungen und Vor-
gänge von geringerer oder nur vorübergehender Be-
deutung abgeleitet sind. In ihnen erscheinen jene
Grundthemen stets aufs neue, immer wieder kunstreich
umgeformt; deutlich verrät sich in dem verwandten
Klange dieser jüngeren Bildungen der ältere musikali-
sche Gedanke, dem sie alle gemeinsam entstammen.
Trotz dieses einheitlichen Grundcharakters waltet
übrigens doch auch die bunteste Mannigfaltigkeit in
der Tonsprache des „Rings". So reich der Stimmungs-
wechsel und der Farbenzauber in der Dichtung des
Werkes ist, offenbart er sich auch in der Musik. Das
ganze Leben der Natur und alles menschliche Tun
und Empfinden von den wildesten bis zu den sanfte-
sten, von den niedrigsten, fast tierisch rohen bis zu den
höchsten, weihevoll verklärten Äußerungen erklingt in
80
Muncker, R. Wagner. 2. Aufl.
G 81
den charakteristisch wechselnden Themen und in der
gesamten Komposition, die sie ungemein bedeutsam
in der verschiedenartigsten Weise verbindet und ver-
schmilzt oder eines durch das andre ablösen, in seiner
Wirkung hemmen läßt.
Wie die Dichtung, so entsprach auch die musi-
kalische Ausführung der Nibelungentragödie voll-
kommen der Theorie, die Wagner in seinen Reform-
schriften entwickelt hatte. Schon als er diese verfaßte,
trug er eben das Ideal, das er als schaffender Künst-
ler jetzt verwirklichte, in der Seele und konnte des-
halb damals gar nicht anders lehren als im Einklang
mit diesem vorerst nur geistig erschauten Ideale.
Während Wagner rüstig an dem „Ring der Nibe-
lungen" arbeitete, eroberten von Weimar aus seine
älteren Werke nach und nach ziemlich alle deutschen
Bühnen. Im Februar 1855 konnte er nach langjähriger
Pause wieder seinen ,, Tannhäuser" hören, der nun auch
in Zürich triumphierend einzog.
Unmittelbar nach dieser Aufführung folgte Wagner
einem Rufe der älteren philharmonischen Gesellschaft
in London, um acht Konzerte zu leiten. Vier an Auf-
regung und Gram reiche Monate verbrachte er hier im
beständigen Kampfe mit einer böswilligen oder kurz-
sichtigen Kritik und unkünstlerischen, aber ehrfurchts-
voll gepflegten Gewohnheiten; dennoch erzwang er
sich langsam die Liebe der Musiker, unter denen er
wirkte, und den warmen Beifall des Publikums. Hektor
Berlioz, der sich damals zu ähnlichem Zwecke in Lon-
don aufhielt, lernte er freundschaftlich schätzen. Krank-
heit und seelische Mißstimmung vergällten ihm den
folgenden Winter; den schöpferischen Drang konnten
sie aber in ihm nicht ersticken.
Von musikalischen Werken, die neu neben ihm er-
standen, gewannen nur Liszts symphonische
Dichtungen seine volle Teilnahme. Zumal, nachdem
sie ihm der Freund bei seinem Besuch im Spätherbst
1856 selbst vorgeführt hatte, fühlte sich Wagner ge-
82
drängt, auch öffentlich sich darüber zu äußern. So
wehrte er denn in einem geistvollen, mit Humor und
Ironie gewürzten Briefe, der alsbald mehrfach im Druck
erschien, zunächst die Vorwürfe gegen die neue künst-
lerische Form dieser Kompositionen ab. Über ihren
musikalischen Gehalt, die Stärke der thematischen Er-
findung und der harmonischen Ausführung äußerte er
sich vorerst nicht; nur von seiner tiefen Ergriffenheit
und innigen Freude über die Schöpfungen des Freundes
legte er offen Zeugnis ab.
Inzwischen waren im Zusammenhange mit neuen
philosophischen Studien auch neue künstlerische Ideen
in seiner Seele aufgestiegen. Sie trieben zu sofortiger
dichterisch musikalischer Gestaltung, sobald er sich
unter dem harten Zwange seiner äußeren Lage von
seinem Lebenswerke, dem Nibelungendrama, vorläufig
hoffnungslos abgewendet hatte.
83
VI.
eit 1854 versenkte sich Wagner mit stets
wachsendem Eifer in das Studium der Werke
){j Arthur Schopenhauers. Die herben Er-
■J fahrungen der letzten Jahre machten ihn,
der einst der lebensfrohen und tatkräftigen Philosophie
Ludwig Feuerbachs gehuldigt hatte, von vornherein
empfänglich für die Entsagungslehre des Frankfurter
Denkers, dessen tiefsinnige Worte über den Grund des
künstlerischen Genusses, über das Wesen des Genies,
über den Vorzug der Musik vor den übrigen Künsten
ihm aus der Seele gesprochen waren. Schopenhauers
Ästhetik und Ethik, seine Lehre von der Verneinung
des Willens zum Leben als dem einzigen Mittel, von
allem Leide der Welt erlöst zu werden, ergriff ihn
um so mächtiger, als er selbst schon, bevor er diese
Lehre theoretisch kannte, sie dichterisch in seinem
Nibelungendrama und besonders in der Gestalt seines
Wotan dargestellt hatte. Nun folgte er planmäßig dem
Philosophen auf allen Kreuz- und Querwegen seiner
Gedanken, bald sie erläuternd und fortsetzend, bald sie
künstlerisch verwertend. Die erste köstliche Frucht
dieses Studiums war eine neue dramatische Dichtung,
84
deren frühester Entwurf gleichfalls in das Jahr 1854
zurückreicht, „Tristan und Isolde".
In Wilhelm Müllers „Versuch einer mythologischen
Erklärung der Nibelungensage" hatte Wagner einen
Hinweis auf den ursprünglichen Zusammenhang der
Siegfried- und der Tristansage gefunden. Wie freilich
Müller diesen Zusammenhang auffaßte, so war er für
einen Dichter des neunzehnten Jahrhunderts nicht zu
brauchen. Wagner selbst kannte die Tristansage ver-
mutlich schon aus ihrer epischen Erneuerung durch
Immermann. Ebenso war ihm das mittelalterliche
Gedicht Gottfrieds von Strafsburg in der neuhochdeut-
schen Übersetzung von Hermann Kurz längst vertraut ;
auch Simrocks Übertragung von 1855 fiel ihm noch
rechtzeitig in die Hand. Er sah in der Tristansage eine
Art von Ergänzung des Nibelungenmythos für das
dichterische Empfinden. Wie Siegfried, so freit Tristan
das ihm bestimmte Weib für einen andern. Während
nun aber die Nibelungensage allen Nachdruck auf den
Tod des Helden legt, der aus diesem Irrtum folgt, ver-
weilt die Tristansage vielmehr bei der Liebesqual des
Paares, das sich auf Grund des gleichen Irrtums durch
Gesetz und Sitte getrennt sieht.
Als eine solche Ergänzung seiner Nibelungen-
tragödie betrachtete Wagner die Tristandichtung vor
allem gern, als er 1857 jene vorläufig zurücklegen
mußte. Dazu drängte ihn die tief beglückende und
doch schmerzlich aufregende Liebe zu Mathilde Wesen-
donck mit ihrem beständigen Ringen nach Entsagung
dem neuen Stoff entgegen. Rasch führte er daher jetzt
den älteren Entwurf aus: in wenigen Wochen wurde
die Dichtung des Dramas vollendet, und schon im
Herbst desselben Jahres konnte die musikalische Kom-
position beginnen. Dann aber unterbrachen Verände-
rungen in Wagners äufäerem Leben mehrfach die Arbeit.
Durch neue Aussichten gelockt, die sich in Paris für
seine Werke zu eröffnen schienen, begab er sich im
Januar 1858 wieder auf kurze Zeit in die Weltstadt.
85
Tm August darauf verließ er Zürich für immer und
siedelte für den Herbst und Winter nach Venedig über.
Der zweite Akt des „Tristan" wurde hier vollendet;
noch nach Jahren pries Wagner das Wohlgefühl, das
ihm seine volle Freiheit und Unbedenklichkeit bei
diesem Schaffen, sein Vergessen aller und jeder Theorie
bereitete. Erst im April kehrte er in die Schweiz
zurück, nach Luzern, und hier gedieh im August 1859
die Partitur des ganzen Werkes zum Abschlüsse.
Wagners Quelle war das Gedicht Gottfrieds von
Straßburg. Allein liier war die Sage von Tristan und
Isolde ganz und gar episch behandelt, als ein Meister-
stück der erzählenden Poesie, dem aber jeder drama-
tische Nerv fehlte. Ja selbst im epischen Sinne war
Gottfrieds Werk ohne künstlerischen Abschluß; diesen
hatten seine mittelalterlichen Fortsetzer und dann
wieder sein Erneuerer Kurz mehr oder minder selb-
ständig ergänzt. Einen dramatisch brauchbaren Stoff
konnte Wagner aus dieser Dichtung nur gewinnen,
indem er, wie einst bei dem „Ring des Nibelungen",
aus der Fülle willkürlicher Abenteuer und sonstiger
späterer Zutaten die einfachste Urform des Mythos
herauslöste. Aber auch darüber boten ihm die wissen-
schaftlichen Arbeiten, bei denen er sich Rat holen
mochte, nichts, was dem Dramatiker dienen konnte.
Dieser mußte sich jene Urform des Mythos selbst und
allein schaffen. Er tat es, indem er von der Verwandt-
schaft der Tristan- und der Siegfriedsage ausging. So
erfand er das tragische Grundmotiv, aus welchem not-
wendig die verschiedenen, von der gewaltigsten Tragik
durchbebten Konflikte und die gesamte in sich fest
geschlossene dramatische Entwicklung folgten: auch
Tristan liebt bereits das Weib, das er unter dem Bann
eines schrecklichen Irrtums für Marke freit.
Er liebt Isolde, doch ohne auf ihre Gegenliebe zu
hoffen. Aus dem Wahne, sie mit der Königskrone
seines Landes beglücken zu wollen, entspringt der
Zwiespalt seiner Seele, der erste Keim seiner tragi-
86
87
sehen Schuld. Isolde aber mißkennt den Beweggrund
seiner Werbung und glaubt sich von dem Geliebten
verschmäht. So trifft ihn ihr düsterer Haß : gleich der
betrogenen Brünnhilde sinnt auch sie auf ihren und
des Verräters gemeinschaftlichen Untergang. In dieser
Stimmung genießen die beiden den vermeintlichen
Gifttrank; vor dem Tode, dessen sichere Opfer sie
sich schon wähnen, fallen die Schranken falscher Zu-
rückhaltung: es kommt zum überwallenden Geständ-
nis ihrer Liebe. Was im alten Epos wirklich war.
der zauberische Minnetrank, wird im Drama nur sym-
bolisch.
Im Zusammenhang mit dieser künstlerischen Ver-
edlung eines überlieferten Motivs steht eine andre:
Wagner suchte, was im mittelalterlichen Gedichte frivol
war, sittlich zu verklären. Er legte darum seinen Lieben-
den nicht ein immer neues Verlangen nach irdischem
Genufs, sondern ein mächtiger und mächtiger anwach-
sendes Seimen nach dem vom irdischen Zwiespalt er-
lösenden Tode in die Brust. Er führte sie nach qual-
voller Trennung, in der Tristan sein eigenes Leid nur
als den Ausfluß des allgemeinen Leidens der Welt er-
kennt, nicht zum Leben, sondern zum gemeinsamen Tode
zusammen. Sittlich und dichterisch vertiefte er ganz
besonders den Charakter des Königs Marke; in dieser
Gestalt seines Dramas spiegelte sich ja das Edelste der
Freundschaft, die er selbst von Mathildens Gatten er-
fahren und ihm treu gewahrt hatte. Damit nahm er
zugleich dem Verhältnisse der Liebenden zu Marke den
widrigen Beigeschmack, der ihm in den älteren Ge-
dichten anhaftet: nicht eigentlich die Ehe bricht Isolde
dem König, sondern gleich Tristan verrät auch sie nur
die aufopfernde Freundestreue Markes. Indem Wagner
seiner Heldin die Schmach ersparte, als das Weib zweier
Männer zu erscheinen, bewahrte er zugleich den Cha-
rakter Markes vor dem Fluche der Lächerlichkeit und
erhielt die tieftragische Stimmung seines Werkes rein
und ununterbrochen .
88
Wie in einzelnen Teilen seines Nibelungendramas,
so beschränkte sich Wagner auch hier auf die denkbar
geringste Anzahl der Personen. Dafür greifen alle ohne
Ausnahme kräftig in die Handlung ein. Besonders
gilt das von Kurwenal und Brangäne, den edelsten Ver-
tretern unverbrüchlicher Dienertreue, den praktischen
Vermittlern zwischen ihren Herren, die ganz und gar
in der idealen Welt ihrer Liebe leben, und der nüch-
ternen Wirklichkeit.
Die Handlung selbst ist einfach , aber mit voll-
endeter Meisterschaft gegliedert und namentlich im
ersten Akte zu gewaltigster dramatischer Wirkung
aufgebaut. Mit ihr wollte Wagner selbst der Liebe
ein Denkmal setzen ; sein eignes, nie völlig gestilltes
Liebessehnen sollte sich hier „einmal so recht sättigen".
In dieser Absicht und demgemäß! in der ganzen Anlage
des Dramas war es begründet, daß sich das überquel-
lende Empfinden Tristans und Isoldens auch lyrisch frei
entfalten durfte. Und wieder offenbarte sich in der
gegenseitigen Durchbildung der lyrischen und der dra-
matischen Bestandteile der Meister, der unter anderm
die höchste Form der mittelalterlichen Minnedichtung,
das Tagelied, mit Beibehaltung ihrer lyrischen Vorzüge
im zweiten Aufzuge seines Werkes in das volle drama-
tische Leben einführte.
Auch der Sprache des „Tristan" ist vielfach ein
lyrisches Gepräge aufgedrückt. An Reichtum der Bilder
und der symbolischen Beziehungen sowie an musika-
lischer Klangfülle steht die poetische Rede dieser Tra-
gödie unerreicht im ganzen Umkreis der dramatischen
Schöpfungen Wagners. Zugleich aber birgt sich nirgends
wieder in die sinnlich schöne Ausdrucksweise des Dich-
ters ein so bestimmter philosophisch-abstrakter Gehalt
wie im „Tristan".
Nicht nur die allgemeine Grundidee des Werkes
stand im engsten Zusammenhang mit Schopenhauers
Lehre; auch die Entwicklung einzelner Gedanken im
Zwiegespräch Tristans mit Isolde oder mit sich selbst
89
war oft nur eine poetische Umschreibung und damit
zugleich eine künstlerische Verklärung der Grundan-
schauungen des Frankfurter Philosophen. Aber der Ge-
fahr, die dabei drohte, wußte der Dichter, dessen Auf-
gabe die Darstellung der kühnsten Liebesleidenschaft
war, unversehrt zu entgehen: was er dem Werke des
wissenschaftlichen Denkers als spröde Reflexion ent-
nahm, das setzte er in warme, lebendige, innig ergrei-
fende Empfindung um. So klang denn auch gerade in
diesen philosophisch bedeutsamen Reden manches an
eine der tiefsten, phantasiereichsten Dichtungen der
Romantik, die „Hymnen an die Nacht" von Novalis,
an. Und wie willig Wagner auch von Schopenhauer
lernte, sklavisch ergab er sich ihm doch nicht. Das
leidenschaftslose Hinsterben in heiliger Verneinung des
Willens zum Leben, in dem die Ethik des Philosophen
gipfelte, konnte der Dramatiker nicht brauchen. Der
Tod seiner Helden durfte nicht ohne alles bewufäte
Handeln, ohne Betätigung des Willens sein; er glich
daher bis zu einem gewissen Grade sogar dem von
Schopenhauer ausdrücklich bekämpften Selbstmord.
Doppelt mächtig strömt die Leidenschaft, welche
die Dichtung beseelt, in der Musik des „Tristan". Nach
ihrem künstlerischen Charakter ist diese der Ton-
sprache im „Ring des Nibelungen" verwandt. Die hier
zuerst in aller Strenge durchgeführten Gesetze einer
durchaus dramatischen Kompositionsweise gelten eben-
so unbedingt für die Partitur des „Tristan"; dieselbe
Behandlung der Gesangesmelodie und des Orchesters,
das gleiche System der Leitmotive waltet in beiden
Werken. Nur entfaltet sich auch in der Tonsprache
des „Tristan" die Lyrik unendlich freier als in der
wesentlich dramatischen Musik der Tetralogie.
In den Gesangspartien wie in dem überschweng-
lich reichen Orchester wogt ein Meer der wundervollsten
Melodien, bald leidenschaftlich drängend, bald weh-
mütig-weich. Verzehrende Sehnsucht und düstere Tragik
klingt aus den meisten wieder, immer einfach-groß,
90
m
heldenhaft erschütternd , nie schwächlich-empfindsam
oder weinerlich rührend.
Das thematische Gefiigc ist, wo möglich, noch fester
als in den ersten Teilen des „Rings". Im Grund sind es
nur wenige, unter einander selbst geheimnisvoll ver-
wandte Hauptmotive, die, in unendlich mannigfaltiger
Weise umgebildet und weiter entwickelt, die Musik des
ganzen Werkes bestimmen. Das erstreckt sich bis in
alle Einzelheiten der Sing- und Orchesterstimmen; es
gilt auch von den vielen Fällen, in denen die farben-
reiche Instrumentation scheinbar nur malerisch wirken,
äußere Vorgänge oder innere Stimmungen andeuten
soll. Überall schimmern durch die freie Bewegung der
Melodien und die bunte Fülle der Harmonien Grund-
linien der Hauptthemen hindurch und malmen deutlich,
doch unaufdringlich an den innigen Zusammenhang alles
Denkens, Empfindens und Geschehens innerhalb des
Dramas. Auch was als Klangmalerei und Stimmungs-
ausdruck unser Ohr entzückt, ist durch die glückliche
Verwertung und erfinderische Fortbildung jener Grund-
themen bewirkt.
Bei diesem Verfahren hat Wagner durchweg die
höchste symphonische Kunst aufgewendet. Der musi-
kalische Aufbau des „Tristan'' erweist sich, namentlich
im einzelnen, noch viel symmetrischer als der dichte-
rische. Aber nicht weniger als in ihm offenbart sich
in der sorgsamen Herausgestaltung der Gegensätze und
Übergänge, in dem Reichtum der harmonischen und
kontrapunktischen Mittel, in der charakteristischen Aus-
nützung der Klangunterschiede zwischen den Saiten-,
Holz- und Blechinstrumenten die reifste Meisterschaft.
Sie verrät sich ebenso in dem ausgiebigen, kunstvollen
Gebrauche chromatischer Bewegung und Gegenbewe-
gung, dann wieder in der Sicherheit, mit der die kühn-
sten Sprünge in der Melodienführung gewagt sind, die
verwegensten Akkorde gebildet und in noch verwegnere
aufgelöst werden, die mannigfach wechselnde Rhythmik
den Ausdruck stets neu und lebensvoll färbt.
92
Von den Sängern wie von den Musikern des Or-
chesters verlangt die Partitur des „Tristan"' das Höchste,
was ihre Kunst leisten kann ; sie stellt ihnen aber auch
Aufgaben von einer früher nie geahnten Herrlichkeit.
Und welche Schwierigkeiten sie auch sonst bieten mag,
in einem Punkte bedeutet sie gegenüber dem „Ring"
eine Erleichterung: die Singstimme wird meistens un-
mittelbarer durch die Begleitung der Instrumente unter-
stützt; sie erscheint seltner im Aufbau der Musik als
Gegenstimme.
In den ersten Monaten der Arbeit an dem gewal-
tigen Tonwerk komponierte Wagner als eine Art von
Studien dazu im nämlichen Stil, zum Teil sogar völlig
nach denselben Weisen fünf der schönsten Gedichte
von Mathilde Wesen donck. Von tiefer Empfin-
dung und philosophischer Betrachtung erfüllt, klangen
sie auch im Gedanken und Wortlaut an den „Tristan"
mehrfach an; so glichen sie in allem Wesentlichen
echten Bekenntnissen des Künstlers, dessen Liebe in
Mathildens Seele das Feuer der Poesie entzündet hatte.
Fast gleichzeitig mit der Tristantragödie stiegen,
ebenfalls im Zusammenhang mit dem Studium Schopen-
hauers, noch einige dramatische Ideen im Geiste Wag-
ners auf. Nach Mythen von Buddha, die er in Eugene
Burnoufs ., Introduction ä l'histoire du Bouddhisme
indien" (1845) fand, zeichnete er sich im Mai 1856 den
kurzen Entwurf eines mehr sittlich als dramatisch be-
deutenden Stückes „Die Sieger" auf. Zunächst mußte
es gegen den „Tristan" zurückstehen; doch beschäftigte
es den Dichter auch noch in den nächsten Jahren auf
das lebhafteste. Im Herbst 1858 regte ihn die Lektüre
von Karl Friedrich Köppens Buch über die Religion
des Buddha, das ihn sonst wenig befriedigte, sogar zu
einer neuen Erweiterung und Vertiefung des Plans der
„Sieger" an. Dann verschmolz allmählich der Grund-
gedanke dieses Werkes mit der Idee des „Parsifal",
die sich seit dem April 1857 von der Tristandichtung
loslöste und selbständige Gestalt gewann. Denn ur-
93
sprünglich sollte der dem Heiligtume des Grals zu-
strebende Über wind er der sündigen Weltlust mit dem
todwunden Tristan in unmittelbare, wenn auch wohl
nur flüchtige Berührung gebracht werden.
Während Wagner an seinem Liebesdrama arbeitete,
erwog er schon verschiedne Möglichkeiten, es künstle-
risch befriedigend aufzuführen, und erhielt auch gleich
von einzelnen Theatern gewisse Anträge für diesen Fall.
Manche von diesen Aussichten schwanden ihm nur allzu
rasch wieder dahin. Zuletzt behielt er vornehmlich
Karlsruhe im Auge, wo jüngst mit Großherzog Friedrich
ein ihm persönlich wohlwollender, seine Kunst bewun-
dernder Fürst den Thron bestiegen hatte. Durch ihn
suchte Wagner aber jetzt vor allein das zu erreichen,
wonach er seit zehn Jahren vergeblich schmachtete,
die Erlaubnis zur Rückkehr ins Vaterland. Trotz Liszts
Freundschaft und der Gunst des Weimarer Hofes war
sie ihm bisher stets versagt geblieben, und doch ver-
mochte nur sie ihm die lang entbehrte künstlerische
Anregung wiederzugeben. Doch noch immer konnte
ihm sein heißer Wunsch nicht erfüllt werden. Um
nun wenigstens wieder regelmäßig Musik hören zu
können, siedelte Wagner, dessen grunddeutsches Wesen
sich stets trotzig gegen das Franzosentum aufgebäumt
hatte, im September 1859 aufs neue nach Paris über.
Aus Deutschland zogen schlimme Nachrichten hinter
ihm her. Einer seiner ältesten und treuesten Freunde,
Chordirektor Wilhelm Fischer in Dresden, starb im
November 1859. Wagner widmete ihm, dessen uner-
müdlicher Hilfe auch er als Dirigent manchen Erfolg
mitverdankte, einen rührend herzlichen Nachruf. Fast
gleichzeitig traf ihn ein zweites Mißgeschick: der Karls-
ruher Plan einer Aufführung des „Tristan" zerschlug
sich. Nun hoffte er in Paris eine Vorstellung des Werkes
zu ermöglichen. Aber, obwohl er mit drei vorbereiten-
den Konzerten das größte Aufsehen im Musikleben
und in der Presse der Weltstadt erregte, stieß er doch
auf zu wenig wrahre künstlerische Teilnahme, um auf
94
eigne Faust ein so kühnes Theaterunternehmen wagen
zu dürfen. Zwar erklärten sich einige der Besten be-
geistert für ihn, unter ihnen die Dichter Charles Baude-
laire und Champfleury, und in treuer, ausdauernder
Freundschaft schlössen sich seit jenen Tagen nament-
lich zwei hochgesinnte Frauen, Malvida von Meysenbug,
längst seine warme Bewunderin , und Gräfin Marie
Kalergis (nachmals Frau von Muchanow), an ihn an.
Aber was vermochten die wenigen gegen die gleich-
gültige oder ablehnende Menge? Aus der peinlichen
Lage, in die den Künster dieser Mißerfolg versetzte,
riß ihn der kaiserliche Befehl zur Aufführung des
„Tannhäuser" auf der Bühne der Großen Oper in Paris.
Die sorgfältigen Vorbereitungen dazu dauerten nahe-
zu ein Jahr. Sie begannen mit der vollständigen Um-
arbeitung des ersten Aktes und einzelner Stellen des
zweiten und mit der französischen Übersetzung des
Textes durch zwei junge Verehrer des deutschen
Meisters, Edmond Roche und Charles Nuitter. Im An-
schluß daran ließ Wagner bald auch den „Holländer",
„Lohengrin" und „Tristan" durch Challemel-Lacour in
Prosa übertragen. Diese „Quatre poemes d'operas"
leitete er mit einem Schreiben an Frederic Villot, den
Konservator der kaiserlichen Museen, ein, das nach
Jahresfrist (1861) auch deutsch unter dem Titel „Zu-
kunftsmusik" erschien.
Im allgemeinen drängte er hier nur die Grundge-
danken seiner früheren Reform schritten, besonders des
Buches über Oper und Drama und der „Mitteilung an
meine Freunde", in knapper Kürze zusammen. Stärker
als dort betonte er die entschiedene Teilnahme, mit
welcher das jüngere Geschlecht die Musik vor den
übrigen Künsten auszeichne, und die größere Entwick-
lung, die im Einklang damit der Musik besonders vor
der Poesie noch vorbehalten sein dürfte. Seine eignen
Bestrebungen zur Begründung eines musikalisch-drama-
tischen Kunstwerks stellte er als folgerichtige Fort-
führung dessen dar, was die von ihm hoch verehrten
95
älteren Meister bereits geahnt und begonnen hatten.
Auf die bevorstehende Aufführung des „Tannhäuser"
wies er nur mit wenigen Worten ohne alle Aufdring-
lichkeit hin.
Im März 1861 fand diese Aufführung endlich statt.
Allein eine planmäßig verfahrende, jedes künstlerischen
Geschmackes und Anstandes bare Gegenpartei beutete
sie zu den skandalösesten Demonstrationen aus, die
das französische Publikum tief entwürdigten, aber auch
den deutschen Komponisten veranlaßten, nach der
dritten Vorstellung sein Werk von der Großen Oper
zurückzuziehen. Hatte ihn selbst doch die Wieder-
gabe seines Dramas in gar mancher Hinsicht nicht
völlig befriedigt.
Der Aufenthalt in Paris war ihm durch diese letzten
Erfahrungen gründlich verleidet worden. Aber zum
Glücke stand Deutschland ihm wieder offen. Im Som-
mer 1860 war ihm endlich auf seine erneute Bitte die
Rückkehr in das Vaterland gestattet worden; nur das
Königreich Sachsen blieb ihm noch bis zum März 1862
verschlossen. Ein kurzer Besuch in Frankfurt am Main,
Darmstadt und Baden-Baden war 1860 die erste Frucht
der ersehnten Erlaubnis gewesen. Nach der Aufführung
des „Tannhäuser" kehrte Wagner endgültig nach Deutsch-
land zurück und suchte Paris nur noch ein paarmal im
Lauf der nächsten Jahre für wenige Wochen auf.
Herzlich und ehrenvoll kam ihm das deutsche Pu-
blikum überall entgegen; aber sein nächstes Ziel, das
er mit heißer Sehnsucht und unermüdlichem Eifer ver-
folgte, eine künstlerisch genügende Aufführung des
„Tristan", vermochte er doch noch mehrere Jahre lang
nicht zu erreichen. Namentlich in Wien wurde unter
seiner eignen Leitung die Tragödie mit aller Sorgfalt
und Begeisterung einstudiert. Aber immer wieder
mußten die Proben wegen Erkrankung des Sängers
der Titelrolle unterbrochen werden ; endlich wurde nach
fast zweijähriger Arbeit auch hier das Werk bis auf
weiteres ganz zurückgestellt. Nur in Konzerten, die
96
ihn durch ganz Deutschland und über dessen Gren-
zen hinaus nach St. Petersburg, Moskau und Pest
führten, konnte Wagner Bruchstücke des „Tristan" und
des „Ringes" aufführen, zwar vor schwärmerisch be-
geisterten Zuhörern, aber stets in zusammenhangsloser
Weise, deren künstlerische Mängel ihn bitter schmerzen
mußten. Unter all diesen aufregenden und schließlich
doch immer getäuschten Hoffnungen, unter diesen im
höchsten Sinne stets erfolglosen Bemühungen erhielt
er gleichwohl Lust und Mut zu neuem Schaffen noch
ein Jahr um das andre in sich lebendig: in jenen un-
ruhigen ersten Zeiten nach seiner Heimkehr aus der
Verbannung dichtete er „Die Meistersinger von
Nürnberg".
In glücklicher Stimmung hatte er einst im Juli 1845
zu Marienbad den ersten Entwurf einer komischen Oper
aufgezeichnet, die in einer heiter bewegten Handlung
aus dem Nürnberg des sechzehnten Jahrhunderts den
Gegensatz der meistersingerlichen Spießbürgerschaft zu
dem künstlerisch schaffenden Volksgeiste sowohl wie
zu der individuell eigenartigen und bedeutenden Fort-
bildung der alten höfischen Kunst darstellen sollte.
Die meisten Hauptmotive des Dramas, wenn auch
mitunter nur skizzenhaft angedeutet, griffen hier bereits
wirksam in einander. Nur sprach sich in dem Ent-
würfe zu viel kühle Ironie aus; der aus tiefster Emp-
findung quellende, weltüberwindende Humor fehlte
noch. Dadurch kam ein verstandesmäßig nüchterner,
erkältender Zug in die ganze Handlung, so übermütig
lustig sie auch angelegt war. Besonders aber litt unter
dieser Ironie der — im übrigen schon reich und glück-
lich entwickelte — Charakter des Hans Sachs; auch
seine Stellung zu den andern Meistern und den übrigen
Personen des Stücks war vielfach unklar. Über das
Durchschnittsmaß eines braven, klugen Alltagsmenschen
schien er vorerst noch nicht sonderlich emporgehoben.
Noch fehlten in seinem Seelenleben die tragischen Stim-
mungen, die ihm aus der Erkenntnis von der über-
Muncker, K. Wagner. 2. Aufl. 7 97
legenen Dichterkraft und dem Liebesglück des jungen
Ritters erwachsen; von einer tieferen Empfindung des
Meisters für Eva. überhaupt von einem näheren Ver-
hältnis zwischen ihm und dieser weiblichen Haupt-
gestalt des Lustspiels war nichts zu merken. So
mangelte denn vor allem ihm der aus schmerzlicher
Entsagung aufsteigende Humor. Aber auch Eva war
unbedeutender, konventioneller gezeichnet. Desgleichen
waren mehrere der übrigen Personen, so der Ritter,
Evas Vater, der Lehrbube David, in einzelnen Zügen
weniger glücklich charakterisiert und die große Aus-
einandersetzung des Ritters mit David über die Regeln
der Singkunst, mit Sachs über das Wesen echter Poesie
noch nicht geplant.
Unendlich bereicherte und vertiefte Wagner den
alten Plan, als er nach sechzehnjähriger Pause im
Winter 1861 <;2 die Dichtung der ..Meistersinger'' wie-
der aufnahm und während eines kurzen Pariser Auf-
enthalts rasch vollendete. Allerhand Anspielungen
auf die Literatur des Mittelalters und auf die Geistes-
kämpfe der Reformationszeit, die gar zu sehr nach
historischer Gelehrsamkeit geschmeckt hatten, und mit
ihnen den ganzen Gegensatz zwischen der alten, der
Pflege der Dichtkunst gewidmeten Zeit und der nüch-
ternen, für Wahrheit und Vernunft streitenden Gegen-
wart beseitigte er. Dafür arbeitete er den rein mensch-
lichen, unser Gemüt unmittelbar anziehenden Gehalt
seines Entwurfes unvergleichlich besser heraus. Die
Ironie ersetzte er überall durch echten Humor. Viel-
fach veredelte, durchweg vertiefte er die Charaktere.
Dabei gewann besonders das junge Liebespaar, auch
Evas Vater; auf ihn und auf Eva selbst wurden jetzt
leise Züge von Otto und Mathilde Wesendonck über-
tragen. Hans Sachs aber wurde zu einer ganz neuen
Gestalt , zum Träger einer bedeutsamen , seelischen
Handlung, deren tiefer Ernst in ergreifendem Gegensatz
zu der heitern Entwicklung der äußeren Vorgänge steht,
sich übrigens nur an wenigen Stellen des Dramas mit
9S
deutlichen Worten verrät. Die eigne, schwer erkämpfte
Entsagung des Dichters, der seit den Züricher Jahren
auf höchstes Liebesglück verzichtet hatte, spiegelte
sich hier in einem künstlerisch verklärten Bilde wieder.
Aber auch die äußere Handlung erweiterte Wagner ge-
legentlich und begründete sie kunstvoller; ebenso ver-
besserte er manches in der Technik des Dramas.
Übrigens änderte er später, nachdem die Dichtung
bereits im November 1862 im Druck erschienen war,
noch verschiedne Einzelheiten, so in der Prügelszene
und in den großen Reden des Hans Sachs im letzten
Akt, dazu sonst allerlei; namentlich aber dichtete er
das Preislied Walthers von Stolzing und demgemäß
auch dessen Parodie durch Beckmesser völlig um.
In Biebrich bei Mainz, wo er vom Februar bis in
den Herbst 1862 wohnte, begann er alsbald die musi-
kalische Ausführung des neuen Werkes und setzte sie
besonders im folgenden Jahre zu Penzing bei Wien
fort. Dann unterbrachen die äußeren Ereignisse seines
Lebens, auch die Wiederaufnahme der Komposition des
„Siegfried" , die Arbeit an den „Meistersingern" etwa
anderthalb Jahre lang. Desto rüstiger jedoch schritt
sie 1866 und 1867 zu Tribschen bei Luzern fort; im
Oktober 1867 wurde hier die Partitur vollendet.
Schon in seiner Jugend hatte Wagner einen leb-
haften Eindruck von dem Treiben der Meistersinger zu
Nürnberg empfangen, als er E. T. A. Hoffmanns No-
velle „Meister Martin der Küfner und seine Gesellen"
las. Durch sie wurde er auch sogleich zu der Quelle
geführt, aus der er vornehmlich seine Kenntnis der
alten Reichsstadt und der in ihr gepflegten Sanges-
kunst schöpfte , Johann Christoph Wagenseils Nürn-
berger Chronik von 1697. Einige nebensächliche Züge
mag er von August Hagens „Norica" (1829) und andern
kulturgeschichtlichen Werken entlehnt haben. Eine
neue Hauptquelle poetischer Anregung wurde ihm aber
das liebevolle Studium des größten Meistersingers,
dessen Nürnberg sich rühmt, des Hans Sachs. Aus
99
seinen schlichten, aber klaren, lebendigen und treu-
herzig-milden Dichtungen lernte Wagner den volkstüm-
lich frischen, humoristischen Ton und die charakteri-
stische , sinnlich treffende Sprache mit ihren alten,
mundartlichen oder familiären Worten und Formen.
Dazu kam der leicht gereimte altdeutsche Vers mit den
metrischen Freiheiten, die ihm der junge Goethe ge-
geben hatte, und die Wagner sinnreich vermehrte; er
diente dem Dramatiker als bequemste Kunstform, um
das Geistig-Höchste und Seelisch-Tiefste wie das Derbe
und Alltägliche poetisch kraftvoll und zugleich volks-
mäßig auszudrücken. Aber auch den Inhalt einiger
Verse und die eine und andre Lieblingswendung lieh
der alte Meister unmittelbar dem jüngeren.
Neben Hans Sachsens eignen Werken kannte
Wagner aber auch andere Werke der Poesie und Musik,
in deren Mittelpunkt die künstlerisch dargestellte Per-
sönlichkeit des Nürnberger Dichters stand. Liebevoll
und lebendig hatte ihm Goethe das Bild des Meisters
vorgezeiclmet, der am Festtagsmorgen in seiner Werk-
statt sinnend von der Arbeit ruht. Auch hatte schon
Johann Ludwig Deinhardstein ein Drama und auf dessen
Grundlage Gustav Albert Lortzing zusammen mit den
Schauspielern Philipp Reger und Philipp Johann Dü-
ringer eine komische Oper „Hans Sachs" geschrieben,
die 1840 zuerst in Leipzig, dann auch auf andern
Bühnen aufgeführt wurde. In beiden Stücken, zumal
in der Oper fand Wagner mehrere bedeutsame Züge
der Liebeshandlung, die er in seinem Werk entwickelte,
sowie einige Motive zu Szenen aus der Meistersinger-
schule geschickt vorgebildet. Außerdem kannte er
vielleicht die komische Oper gleichen Namens von
Adalbert Gyrowetz, die 1834 in Dresden zur Auffüh-
rung angenommen worden war. Sie verherrlichte be-
reits in Hans Sachs den älteren Mann, den Helfer
eines jungen, edlen Liebespaares.
Auch Wagner ließ nicht, wie Deinhardstein und
Lortzing, Sachs selbst, sondern einen jungen Ritter
100
101
im Wettstreit mit einem poesielos nach äußern Regeln
stümpernden Meistersinger um die liebreizende Braut
werben. Dadurch erhob er aber den ganzen Stoff seines
Dramas in eine künstlerisch höhere Sphäre. Nun erst
wurde mit dem geschichtlichen Gegensatz von Minne-
sang und Meistersang auch der ewige Gegensatz von
wahrer, freier Kunst und pedantischer Handwerks-
reimerei vollständig offenbar. Und damit stellten sich
ungesucht und meist nur äußerst zart zwischen den
Zeilen angedeutet mannigfache ironische und satirische
Beziehungen ein auf Wagners eignes künstlerisches
Streben und die Anfeindungen, denen er sich des-
wegen bei seinen Zunftgenossen ausgesetzt sah.
Die „Meistersinger" sind nicht nur ein umfassendes,
wahrheitsgetreues Kulturbild aus deutscher Vergangen-
heit, von echt vaterländischem Geist erfüllt, sondern
zugleich eine typisch gültige Darstellung des zu allen
Zeiten gleichen Kampfes des Genius gegen das Phi-
listertum. Sie sind vor allem das vollkommene Muster
eines wahren Lustspiels. Meisterlicher ist der Geist
und Ton der echten Komödie in unserer gesamten
Literatur niemals getroffen worden, und auch die
größten Dichter fremder Völker haben nur äu&erst
selten das Wesen und die Form des Lustspiels im
höchsten Sinne so klar erkannt und mit so unüber-
trefflich einziger Kunst herausgestaltet wie Wagner.
In der Meisterschaft des dramatischen Aufbaus, der
Stetigkeit und Sicherheit der Entwicklung, in der Sorg-
falt, Feinheit und Wahrheit der Charakterzeichnung,
der Grölte und dem Reichtum der Ideen und in der
bildlichen Fülle, Klarheit und humoristischen Frische
des Ausdrucks stellte er sich hier ebenbürtig den
ersten Dramatikern der Weltliteratur zur Seite.
Wie im „Tannhäuser", so ist auch hier die Sanges-
kunst selbst der Gegenstand des Dramas; dieses ver-
langte also die musikalische Ausführung schon um
seines Stoffes willen. Und zwar konnte gerade den
eigentümlichen Charakter der beständig fortschreiten-
102
den Handlung keine Kompositionsweise besser aus-
drücken als die, welche sich Wagner seit dem „Rhein-
gold" völlig zu eigen gemacht hatte. Äußerlich treten
uns in den „Meistersingern" freilich viel öfter als im
„Ring" und im „Tristan" lyrisch in sich geschlossene
Musikstücke entgegen, Lieder, selbständige Gesänge,
Choräle und sonstige Chöre ; und Akt für Akt mündet
in große, vielstimmige Ensembleszenen aus. Allein
auch hier ließ sich der Tondichter Wagner immer nur
durch die dramatische Wahrheit bestimmen; die Hand-
lung seines Lustspiels erforderte jene Lieder oder
Chöre. Auch diese dienen niemals der bloßen Ent-
fesselung der Massen nach Art der herkömmlichen
Oper. Wieder sind die Chöre und Ensembles, soweit
sie nicht im Leben bereits fertig bestehende Singchöre
darstellen, sondern nur die Ansichten und Empfin-
dungen einer vielgestaltigen Menge andeuten, in ihre
einzelnen Stimmen aufgelöst; jeder dieser Stimmen aber
ist meistens nicht nur ein anderer Text, sondern auch
eine selbständige rhythmische Bewegung zuerteilt.
Auch das scheinbar der Theorie Wagners wider-
sprechende Quintett, das die erste Szene des dritten
Akts abschließt, ist in solcher Weise der Wahrheit des
wirklichen Geschehens gemäß aufgebaut. Die wich-
tigere künstlerische Rechtfertigung des wundervollen
Musikstücks liegt aber darin, daß hier die innere
Handlung des Dramas ihren letzten Gipfelpunkt er-
reicht hat; sie erheischt geradezu einen musikalisch
bedeutenden Ausdruck der aufs höchste gesteigerten
Empfindungen der Hauptpersonen. Sonst pflegte Wag-
ner an ähnlichen entscheidenden Stellen das Orchester
reicher ertönen und so den Stimmungsgehalt offen-
baren zu lassen. Hier bedurfte er jedoch der mensch-
lichen Stimmen, wenn er dem Hörer die geheimen
Seelenvorgänge deutlich veranschaulichen und ihm da-
durch das Verständnis des ganzen Werkes klären
wollte. War es doch nahezu das einzige Mal, daß sich
die innere Handlung des Dramas Worten anvertraut,
103
allerdings Worten von schleierhafter Zartheit. Im
übrigen ist sie fast ausschließlich der Musik zugewiesen,
den Klängen des Orchesters, die bang und ernst an
unser Ohr dringen und von seelischen Zweifeln und
Kämpfen, von tiefer Wehmut und kraftvoller Selbst-
überwindung dunkle Ahnungen in uns wecken.
Vielleicht ist die Musik der ..Meistersänger" noch
reicher als die des „Tristan" an den verschieden-
artigsten Motiven; diese selbst aber werden von dem
Komponisten nicht in so unerschöpflicher Mannigfaltig-
keit wie dort umgebildet und weiter entwickelt. Dafür
entfaltet sich die kontrapunktische Kunst Wagners
hier glänzender als in irgend einem früheren Werke.
Unversiegbar quillt seine Kraft der thematischen Er-
findung und der melodisch-harmonischen Gestaltung.
und in muntrerem Wechsel als sonst geht sie hier
bald auf ernste, bald auf heitere Wirkung aus, spiegelt
bürgerliches Kleinleben getreu ab und sucht sogar
deutsche Kulturzustände aus vergangener Zeit mit ge-
schichtlich echten Farben auszumalen.
So bildete Wagner ein Hauptthema seiner Musik
aus den Anfangstönen einer alten Meistersingerweise
heraus, ließ auch außerdem einzelne Harmonien und
gewisse Verzierungen der Melodien an die Kompo-
sitionen jener altdeutschen Zeit anklingen. Ja, selbst
aus Lortzings Oper gewann er dankenswerte Anregungen
für den einen und andern humoristischen Einfall
seiner Musik. Aber das Wenige, was ihm seine Vor-
gänger darboten, verwertete er so frei und eigen-
artig, daß gerade dabei die ganze Größe und Selb-
ständigkeit seiner Kunst besonders überzeugend zutage
trat. So hatte er sich ja auch im „Tristan" durch die
Erinnerung an Beethovens letzte Streichquartette zu den
kühnsten und herrlichsten Offenbarungen der eignen
Schöpferkraft leiten lassen.
Unmittelbar, nachdem Wagner den Text der
„Meistersinger" veröffentlicht hatte, entschloß er sich
im Frühling 1863, auch die Dichtung der Nibelungen-
104
105
tragödie, die er bisher nur an wenige Freunde ver-
teilt hatte, dem ganzen Publikum zugänglich zu
machen. In dem Vorwort zu der neuen Ausgabe legte er
seinen Plan einer künftigen Aufführung der
Tetralogie ausführlich dar. Seit den ersten Züricher
Jahren schwebte dieser Plan ihm vor; jetzt schien
er bereits vollständig ausgereift. Wagner dachte in
einer minder großen Stadt Deutschlands, die kein
ständiges Theater besitze, nach einem Entwurf, den er
mit Semper gründlich erwogen hatte, ein einfaches,
provisorisches Theatergebäude mit amphitheatralischer
Einrichtung für die Zuschauer und unsichtbarem
Orchester zu errichten. Hier wollte er den „Ring des
Nibelungen" nach mehrmonatlichen Proben etwa drei-
mal nach einander an je vier Sommerabenden vor
einem aus Nah' und Fern versammelten Festpublikum
in möglichst künstlerischer Vollendung aufführen. Um
die Kosten des Unternehmens zu decken, bedurfte es
entweder eines Vereines kunstliebender vermögender
Männer und Frauen, oder ein deutscher Fürst mußte
sich entschließen, die Summe, die er bisher alljährlich
für die Oper in seinem Hoftheater verschwendete,
einem höheren Kunstzwecke zu widmen. Aber ohne
Aussicht, daß einer dieser beiden Wünsche je sich er-
füllen werde, schloß Wagner sein Vorwort mit dem
entsagungsvollen Bekenntnis: „Ich hoffe nicht mehr,
die Aufführung meines Bühnenfestspiels zu erleben."
Diese Überzeugung, daß er auf allen wahrhaft
künstlerischen Erfolg in seinem reinsten und reifsten
Streben endgültig verzichten müsse, befestigte sich noch
mehr in dem folgenden Jahre. Sie konnte durch
flüchtige Triumphe in Konzerten ebensowenig er-
schüttert werden wie durch den Beifall, den er für
seine Vorschläge zur Reform des Wiener Hof-
operntheaters (im Wiener „Botschafter" 1863) zu-
nächst erntete. Durchaus fern von unerfüllbaren For-
derungen, stets praktisch-besonnen, verlangte er Ver-
ringerung der Spielabende, dafür aber gute, das heißt
106
vor allem deutliche und verständliche Aufführungen;
um diese leichter zu ermöglichen, wollte er mehrere
Einrichtungen der Pariser Großen Oper auch auf das
Wiener Hoftheater übertragen wissen. Eine tatsäch-
liche Annahme dieser Vorschläge von Seiten der zu-
ständigen Behörden durfte Wagner freilich nicht
erwarten, trotzdem man seinen Ansichten im ersten
Augenblicke beistimmte. Überhaupt mußte er nach
und nach einsehen, daß die Gunst, die ihm die Wiener
Opernlcitung entgegengebracht hatte, von keiner Dauer
sei. Wenigstens gab man ihm deutlich genug zu ver-
stehen, daß er bei seinen „Meistersingern" auf die
Wiener Bühne nicht zuversichtlicher als auf jedes
andere Theater rechnen dürfe.
Diese Erkenntnis untergrub seine Schaffensfreude
vollständig. Er durfte von den Menschen nichts mehr
hoffen, auch von seinem Volke nicht, das ihn zwar
mit Jubel begrüßte, aber nicht Tatkraft oder nicht
Macht genug besaß, um ihm sein Ideal verwirklichen
zu helfen ; so wollte er denn nunmehr auch fern von den
Menschen und zumal in völliger Abgeschiedenheit von
allem deutschen Kunsttreiben leben. Im März 1864 ver-
ließ er Penzing. Vier Wochen weilte er, aus düstern
Sorgen bang in die Zukunft schauend, bei Frau Wille
zu Mariafeld am Züricher See. Dann reiste er nach
Stuttgart weiter, um sich von hier aus an einen altge-
legenen Ort in der Rauhen Alb zurückzuziehen. In
der Einsamkeit dachte er die Partitur seiner „Meister-
singer" zu vollenden. Nur ein junger musikalischer
Anhänger, Wendelin Weißheimer, von Biebrich her
ihm befreundet, sollte ihn begleiten. Da, im aller-
letzten Augenblick, erreichte ihn die unerwartete Nach-
richt, daß ihm der Weg zum höchsten Ziele jetzt
endlich geebnet werden sollte. Das Unglaubliche war
wahr geworden: der deutsche Fürst hatte sich ge-
funden, der den größten Künstler seiner Zeit liebevoll
verstand und in echt königlicher Gesinnung ihm und
seinem Streben ein Schirmherr sein wollte.
107
VII.
Im 10. März 1864 hatte König Ludwig II.,
achtzehn Jahre alt, den bayrischen Thron be-
stiegen. Geistig groß angelegt und nament-
lich mit einem schwärmerisch warmen Sinn
für künstlerische Schönheit begabt, hatte er gleich
bei den ersten Aufführungen Wagnerischer Werke,
denen er in München beiwohnte, den tiefsten Ein-
druck empfangen. Seine Begeisterung für den Dichter
und Komponisten wuchs, je mehr er von dessen
Schriften und Plänen kennen lernte, und zu ihr ge-
sellte sich alsbald der tatenfrohe Wille, dem von allen
Verlassenen mit königlicher Macht zu helfen. So-
gleich nach seinem Regierungsantritt berief er Wag-
ner zu sieh. Am 4. Mai stand der Künstler zum ersten-
mal dem herrlichen Jüngling gegenüber, und von da
an verband die beiden eine auf die edelsten Empfin-
dungen des Herzens und auf die höchsten Bestrebungen
des Geistes gegründete Freundschaft, deren innige
Treue und belebenden Zauber keine Tücke des Ge-
schickes mehr brechen sollte.
In vielfachem, unmittelbarem Verkehr mit König
Ludwig verbrachte Wagner den Sommer zu Starnbere
108
109
auf dem Lande; im Herbst siedelte er nach München
über. Freunde seiner Kunst wurden bald nach ihm in
die bayrische Hauptstadt berufen, zunächst Hans von
Bülow, kurz darauf Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der
erste, seither künstlerisch nicht wieder erreichte Sänger
des Tristan, der leider plötzlich starb (im Juli 1865), bevor
er dauernd für München gewonnen werden konnte.
Einer der liebsten Freunde, sehnsuchtsvoll herbei-
gewünscht, war der Dichter und Komponist Peter
Cornelius, dem sich Wagner seit den ersten Wiener
Wochen besonders herzlich zugetan fühlte. Ihm folgten
der junge Musiker und Musik schriftsteiler Heinrich
Porges, unwandelbar in seiner Treue gegen Wagner,
und noch mancher andere. Liszt und Semper stellten
sich zum Besuche ein. Dieser erhielt den königlichen
Auftrag, Pläne zu einem Theater zu entwerfen, wie
Wagner es für seine Nibelungentragödie bedurfte.
Denn die Vollendung der Tetralogie war es vor allem,
was die Gnade Ludwigs II. dem Künstler ermöglichen
wollte.
Aber die Wiederaufnahme der Komposition des
„Siegfried" hinderte nicht, daß Wagner nicht auch
sonst als Musiker und als Schriftsteller eifrig tätig war.
Er veranstaltete und leitete zum Teil persönlich Auf-
führungen des „Fliegenden Holländers", des ..Tann-
häuser" und namentlich die vier ersten, aus dem
alltäglichen Theatergeleise in jeder Art festlich heraus-
tretenden Vorstellungen des „Tristan" im Juni und
Juli 1865, die zahlreiche, begeisterte Gäste nach Mün-
chen lockten. Der Dankbarkeit und Liebe zu seinem
edlen Beschützer gab er noch 1864 als Künstler Aus-
druck in dem „Huld igungs mar seh", einem prächtig-
klingenden Gelegenheitsstück, das zum Vortrag durch
Militärmusik im Freien bestimmt und demgemäß ein-
facher als Wagners sonstige Orchesterwerke ge-
halten war.
Für den königlichen Freund und auf dessen aus-
drücklichen Wunsch verfaßte er zur gleichen Zeit
110
einen Aufsatz „Über Staat und Religion". Im
Lichte der Schopenbauerschen Philosophie sah er jetzt
allerdings einzelnes im Staat und Christentum anders
an als vor fünfzehn Jahren, da er sich unter dem Ein-
flüsse Feuerbachs und Hegels mehrfach über beide
Fragen geäufäert hatte. Über Schopenhauer hinaus
ging er besonders in seiner Auffassung des Königtums.
Das Ideal des Staates erblickte er in der Person des
Königs. Seine fast übermenschliche Stellung drängt
diesen vor andern dazu , das Leben nach seinem tief-
sten Ernst zu erfassen ; sein Streben aber nach dem
in unserer Welt nie ganz zu verwirklichenden Ideal
der Gerechtigkeit und Menschlichkeit gestaltet sein
Los vor allem tragisch. Er bedarf deshalb auch am
meisten der wahren, von Dogma und Dogmenstreit
unabhängigen, im innersten Gefühl des Menschen
lebenden Religion ; sie allein kann ihm helfen , sein
Ideal zu erreichen. Um aber zuweilen ihn aus dem
Ernst des Lebens in heitre Täuschung zu entrücken,
dazu dient die Kunst. Sie, der Anfang und das Ende
aller theoretischen Forschung bei Wagner, bildete un-
gezwungen auch in diesem Aufsatze, der geistvoll be-
lehrend und mahnend ganz andre Ziele zu verfolgen
schien, den Schluß.
Gleichfalls auf den Wunsch des Königs verfaßte
Wagner einen umfangreichen Bericht über eine in
München zu errichtende deutsche Musik-
schule. Alles rein Theoretische, wie Kompositions-
lehre, Vorträge über Ästhetik oder Musikgeschichte,
schob er hier vorläufig beiseite. Desto gründlicher
trug er Sorge für die praktische Ausbildung der
Schüler, aber nicht nur in elementar-technischer Weise,
sondern im höchsten musikalischen Sinne. Er forderte
daher vor allem sorgfältigste Anleitung zum richtigen
Vortrag. Am wichtigsten schien ihm eine Gesangs-
schule, verbunden mit eingehendem Unterricht im
künstlerischen (nicht virtuosen) Klavierspiel; dazu sollte
sich allmählich eine Theaterschule und ein vollstän-
111
diges Orchesterinstitut gesellen. Als das höchste Ziel
schwebte ihm die Begründung eines künstlerischen
Stils vor für den Vortrag der Werke unsrer älteren
Meister und im Zu-
sammenhang damit für
die schöpferische Fort-
entwicklung deutscher
.^JBtifc^Mk. Musik in der Zukunft.
Es war nicht möglich,
den Plan Wagners mit
allen Einzelheiten
genau so, wie er
es vorgeschlagen
hatte , ins Werk
zu setzen. Doch
wurde im allge-
meinen auf Grund
seines Berichtes
an Stelle des
früheren, 1865 ge-
Wagners Wohnhaus in München.
112
schlossenen Konservatoriums 1867 zu München eine
neue Musikschule ins Leben gerufen und Bülow zu-
nächst mit ihrer Leitung betraut.
Aber längst, ehe es dazu kam, hatten Mißgünstige
aller Art, die sich einer skandalsüchtigen Lokalpresse
bedienten, durch ein plumpes, aber vielverschlungenes
Gewebe kleinlicher Ränke den König genötigt, sich
von seinem „Günstling" zu trennen. Gegen solche
Feinde wehrlos, brachten Fürst und Künstler gemein-
sam das geforderte Opfer: im Dezember 1865 verließ
Wagner München. Für die nächsten Monate begab er
sich nach Genf; von dort aus unternahm er auch einen
kurzen Ausflug nach Südfrankreich. Im Frühling fand
er endlich ein neues Heim in Tribschen bei Luzern.
Sein Seelenbund mit dem König blieb ungelockert.
Ihr festes gegenseitiges Vertrauen vermochte kein Ver-
leumder zu erschüttern. Unablässig bewährte Lud-
wig IL dem Freunde seine liebevolle Teilnahme. Schon
im Mai 1866 suchte er ihn in seinem weltabgeschie-
denen Zufluchtsort auf. Wagner selbst kehrte jedoch
erst von 1867 an wieder mehrmals auf kurze Zeit nach
München zurück, um die Proben zu besonders bedeut-
samen Aufführungen seiner Werke zu überwachen. So
wurde im Juni 1867 mustergültig „Lohengrin" ge-
geben; am 21. Juni 1868 gelangten die „Meistersinger",
am 22. September 1869 „Rheingold", am 26. Juni 1870
die „Walküre" zum erstenmal auf die Bühne, die zwei
letzten Werke freilich gegen Wagners ursprüngliche
Absicht.
In Tribschen widmete sich der Künstler fast aus-
schließlich angestrengter Arbeit, nunmehr aber belebt
und erheitert durch die stets zuversichtlichere Hoff-
nung, daf3 die Gunst seines königlichen Freundes ihm
den vollen Erfolg verbürge. Längere Zeit befand sich
zunächst Hans von Bülow bei ihm. Auch nach seinem
Abschied blieb seine Gattin Cosima, die Tochter
Liszts, mit ihren Kindern bei Wagner zurück. Schon
in München war ihm die seelenverwandte, bis zur
Muncker, R. Wagner. 2. Aufl. 8 1 13
Aufopferung hilfsbereite Freundin innig nahe getreten ;
jetzt löste sie ihren Bund mit Bülow in der klaren
Erkenntnis, daß Wagner ihrer zu seinem dauernden
Glück bedurfte und daß ihr eignes Leben erst im Ver-
ein mit dem seinen höchsten Gehalt und Wert ge-
wann.
Seit dem Oktober 1866 weilte der junge , musika-
lisch ungemein begabte Hans Richter in Tribschen,
um die Reinschrift der Partitur der „Meistersinger"
herzustellen und ihre Veröffentlichung zu überwachen.
Andre Gäste fanden sich zu flüchtigerem Aufenthalt
ein. Oft kam vom Mai 1869 an Friedrich Nietzsche
aus Basel, wo er als Professor wirkte, auf einige Tage
nach Tribschen herüber, stets mit heller Freude be-
grüßt. Innig liebte Wagner den jungen Freund, dessen
reicher, kühn fliegender Geist in ihm die größten Hoff-
nungen erweckte. Und Nietzsche bewunderte damals
glühend den Künstler, der ihm das Wesen des Genies
verkörperte, und seine Kunst; geistvoll wie kaum ein
Zweiter sprach er seine tiefe Erkenntnis von dem
Großen, das er jetzt erlebte, mit zündenden Worten aus.
Während Wagner die „Meistersinger" vollendete,
begann er auch schon, durch einen Wunsch des Königs
angeregt, die Geschichte seines eignen Lebens
der geliebten Frau in die Feder zu diktieren. Nur
für sie und eine winzige Auswahl von allernächsten
Freunden bestimmte er das Werk ; der Öffentlichkeit
blieb es bis heute vorenthalten.
Auch nach dem Abschluß der großen musikalischen
Schöpfung führte er, wie zur Erholung von der künst-
lerischen Arbeit, wieder verschiedne schriftstellerische
Gedanken aus. Dazu ermunterte ihn noch ein äußerer
Zufall : ein bereits früher von ihm erwogener Plan ge-
langte jetzt zur Ausführung. Im Oktober 1867 wurde
in München mit Unterstützung der Regierung und des
Königs eine neue Zeitung von gutem Namen und an-
erkennenswerter politischer Haltung, die ..Süddeutsche
Presse", begründet und zu ihrem Herausgeber Julius
114
Fröbel berufen , den Wagner schon von Dresden und
Wien her kannte. Für sie schrieb er außer einigen
satirisch gewürzten Anzeigen neuer Bücher nament-
lich die umfangreiche Abhandlung „Deutsche Kunst
und deutsche Politik", die sogleich (1868) auch
in einer selbständigen Ausgabe erschien.
Wie fast in allen seinen bisherigen theoretischen
Schriften, verfolgte Wagner auch hier in letzter Linie
die Absicht, das deutsche Theater, dessen gegenwär-
tiger Zustand die Verwahrlosung des öffentlichen deut-
schen Kunstgeistes am krassesten zeigte, im wahrhaft
nationalen Sinne künstlerisch umzubilden und dadurch
diesen Kunstgeist überhaupt zu heben. Er wieder-
holte daher auch im einzelnen mehrfach Gedanken,
die er früher schon öfters ausgeführt hatte; nur be-
trachtete er jetzt, angeregt durch den politischen Denker
Constantin Frantz, die Begründung einer echt deut-
schen Kunst aus einem neuen Gesichtspunkt. Auf
das schroffste widersprach ein solches Beginnen der
französischen Zivilisation, die uns nunmehr seit Jahr-
hunderten übermächtig beherrschte; darum faßte er
es zugleich als eine Tat wahrer deutscher Politik auf,
die uns am sichersten auch von dem staatlichen Über-
gewicht Frankreichs befreie. Indem er so mit seiner
im Grunde ästhetischen Untersuchung bedeutsam auf
das politisch-nationale Gebiet hinübergriff, berührte er
die verschiedensten Fragen des öffentlichen Lebens,
die zum Teil gerade damals vielfach besprochen wur-
den, die Ansprüche der Kirche und des Staates auf
die Herrschaft in der Schule , die allgemeine Wehr-
pflicht, das Begnadigungsrecht der Könige. Er zeigte
die verderblichen Einwirkungen des französischen
Geistes auf die deutsche Kunst, die allseitige, ver-
diente Verachtung des modernen Theaters in Deutsch-
land, betrachtete das Verhältnis des Schauspielers zum
Dichter und im Zusammenhang damit den allgemeinen
Gegensatz von Idealismus und Realismus in der Kunst,
beleuchtete die Stellung des deutschen Theaters zum
115
Dichter. Musiker, bildenden Künstler, aber auch zur
Schule, zur bürgerlichen Gesellschaft, zum Staat und
zum Königtum. Er erwog die huldvolle Pflege, die
Bayerns Könige Künsten und Wissenschaften ange-
deihen ließen, und erkannte Bayerns besonderen deut-
schen Beruf, durch den allein es seine Selbständigkeit
neben Preußen dauernd wahren könne, in der Förde-
rung des über die bloße praktische Nützlichkeit hin-
ausstrebenden deutschen Geistes, somit vornehmlich
in der Ausbildung eines deutschen Stiles auf dem Ge-
biete des lebendigen Dramas. Unter diesem Stil ver-
stand er aber „die vollkommen erreichte und zum Ge-
setz erhobene Übereinstimmung der theatralischen Dar-
stellung mit dem dargestellten wahrhaft deutschen
Dichter werke".
Mit kräftigem Nachdruck, aber ohne jegliche par-
teiische Einseitigkeit und Leidenschaft sprach Wagner
in allen diesen Fragen seine Überzeugung aus. Inner-
lich begründete er alles auf das sorgsamste: äußerlich
reihte er das Einzelne loser an einander, ohne stets
auf einen einheitlichen, systematischen Aufbau der
Schrift Bedacht zu nehmen
Mit der Abhandlung „Über das Dirigieren"
aus den letzten Monaten des Jahres 1869 begab er sich
wieder in den ausschließlichen Bereich der Musik. An
zahlreichen Beispielen aus der eignen Erfahrung zeigte
er, wie wenig die meisten deutschen Kapellmeister
der neueren Zeit, namentlich die eleganten, rasch über
alles hinweg eilenden Dirigenten aus Mendelssohns
Schule, die Schönheiten unserer musikalischen Meister-
werke im Theater oder Konzertsaale zum künstlerisch
befriedigenden Ausdruck brächten. Den Grund davon
erblickte er in dem geringen Verständnis dieser Mu-
siker vom Gesang; nur dieses lasse stets das richtige
Zeitmaß erkennen, nur das richtige Tempo aber lehre
überall den rechten musikalischen Vortrag. Und auf
charakteristisch bedeutenden Vortrag schien ihm, dem
größten Meister des Dirigierens im neunzehnten Jahr-
116
hundert, alles anzukommen. Er verzichtete durchaus
darauf, allgemeine Regeln aufzustellen; das gute Bei-
spiel betrachtete er als das einzige Mittel, um rechte
Vortragsweise zu lehren und dadurch auch den schäd-
lichen Einfluß jener charakterlos - oberflächlichen Art
des Dirigierens auf die moderne Kompositionskunst
zu hemmen.
Neue, grofse Aussichten eröffnete das bedeutungs-
volle Jahr 1870 dem Menschen wie dem Künstler
Wagner. In Cosima v o n B ü 1 o w wurde ihm die
Gattin angetraut, nach der er sich so lange schmerz-
lich gesehnt hatte, die ihn ebenso hingebungsvoll und
leidenschaftlich liebte, wie sie sein künstlerisches Stre-
ben und sein gesamtes geistiges Wesen innig verstand.
Sie erst ließ ihn das volle Glück eigner, traulicher Häus-
lichkeit, die Seligkeit eines durch keinen Zweifel mehr
getrübten Geistes- und Herzensbundes empfinden; sie
vermittelte aber auch vor allem bei seinem Verkehr
mit der Aufsenwelt, der so oft bisher für den empfind-
lichen, der Gemeinheit des Lebens wehrlos preisgege-
benen Künstler ein Herd von Qualen gewesen war. Sie
schenkte ihm neben zwei Töchtern den Sohn, dessen
Geburt ihn mit unbeschreiblichem Entzücken erfüllte.
Gleich dem Helden seines grofsen Werkes, dessen Taten
er gerade in jubelnden Tönen verherrlichte, nannte er
ihn Siegfried. Seinen tiefen, freudigen Dank für alles,
was ihm die geliebte Frau gegeben, sprach er ihr zum
Weihnachtefest 1870 in dem „Siegfried -Idyll" aus,
einem zart empfundenen Orehesterstück, das sein häus-
liches Glück inmitten der reizvollen Landschaft anmutig
schilderte. Dazu mußte die Liebesszene im dritten
Akte des Siegfrieddramas dem Komponisten ihre lieb-
lichsten, durch seligen Frieden und kindlich reine Hei-
terkeit bezaubernden Melodien leihen. Diese Themen
löste er aus dem dramatisch-tragischen Zusammenhang,
indem er jedes andere Motiv der Tetralogie, das dort
neben oder zwischen ihnen erklang, verstummen ließ;
dann verband er sie zierlich unter einander zu einem
117
neuen Kunstwerk von schlichter und doch hold rühren-
der Schönheit.
Mit freudigster Begeisterung begrüßte er in dem-
selben Jahre die Erhebung Alldeutschlands gegen den
Erbfeind. In den politischen Siegen unsres Volkes
über das französische Heer erblickte er eine Gewähr,
daß nun endlich auch die deutsche Kunst den Sieg,
um den er so lange vergebens gerungen, feiern werde.
Von dieser Hoffnung belebt, spannte er seine Kraft zu
neuerdings weit ausgreifender, glücklicher Tätigkeit an.
Im September 1870 vollendete er seine philoso-
phisch tief gründende, von höchster Begeisterung für
den gefeierten Genius und für die Musik überhaupt
erfüllte Schrift „Beethoven". Er ging von der An-
sicht Schopenhauers aus, daß die übrigen Künste nur
die Erscheinungsformen der Dinge, die Ideen, zum Ob-
jekt haben, die Musik dagegen das unmittelbare Ab-
bild des Willens selbst, des inneren Wesens der Welt
ist. Allein was der Frankfurter Denker als Laie in
der Musik nur wie ein tiefsinniges Paradoxon ausge-
sprochen hatte, das führte Wagner als Musiker von
Beruf mit Hilfe des sonstigen philosophischen Materials,
das er in den Schriften Schopenhauers fand, zu einer
theoretisch erschöpfenden Erklärung des Wesens der
Musik und der Natur des Musikers aus und erläuterte
es an dem Beispiel Beethovens, an dem Entwicklungs-
gang seines Genius, an seinem Verhältnis zur Welt und
zu seiner Kunst. Er beleuchtete an einzelnen Haupt-
werken des Meisters seine besonderen geschichtlichen
Verdienste : Beethoven führte die Melodie zur höchsten
Natureinfachheit zurück, verband in selbständig-neuer
Weise reine Instrumentalmusik mit instrumental be-
handelten Singstimmen, erweiterte dadurch den sym-
phonischen Bau bedeutsam und steigerte seine Wirkung
zu ungeahnter Höhe. Aber auch die Verwandtschaft
der künstlerischen Natur Beethovens mit der in ihrer
Genialität ebenso unbegreiflichen Shakespeares be-
trachtete Wagner ; dabei erhob er zugleich wieder den
118
Richard Wagner nach einem Gemälde von Franz v. Lenbach (1874).
119
Blick zu dem Ideal des wahren Dramas, das ihm aller-
wärfcs vorschwebte. Nach diesem Ideale, nach edler
Neubeseelung unsrer Kunst und unsrer gesamten Zivi-
lisation, die er im Sinne Beethovens von der Herrschaft
des französischen Geschmacks, von der „frechen Mode"
befreit wissen wollte, hieß er sein tapferes deutsches
Volk ringen im reformatorischen, nicht im revolutio-
nären Geist, als Weltbeglücker, dem der Rang noch
vor dem Welteroberer gehöre.
Dem ernsten Kampfe gegen den französischen Ge-
schmack folgte nach einigen Monaten als burleskes Nach-
spiel eine übermütige Satire auf die belagerten Pariser,
ihre Regierung und Kriegsführung, ihren patriotisch
eifernden Dichter Victor Hugo, ihre Lust an Oper und
Ballett, zugleich auf Jaques Offenbach und das von der
Pariser Mode beherrschte deutsche Theater. Das Ganze
arbeitete Wagner unter dem Titel „Eine Kapitu-
lation" als „Lustspiel in antiker Manier" rasch aus;
Hans Richter sollte die Musik dazu schreiben. Doch
kam es nicht so weit, da das Stück von dem Berliner
Vorstadttheater, dem es Wagner anonym zur Auf-
führung anbot, abgewiesen wurde. Der echte Aristo-
phanische Stil war hier besser als in allen ähnlichen
Versuchen deutscher Dichter getroffen. Wie kunstlos
auch scheinbar die ganze Posse angelegt und be-
sonders Sprache und Vers behandelt war, so diente
doch gerade diese Leichtigkeit, ja vermeintliche Leich-
fertigkeit der Form überaus glücklich dem Zweck, den
der Dichter verfolgte. Lind überall strotzte sein Lust-
spiel von den tollsten Scherzen, von unfehlbar wirken-
den Einfällen einer unerschöpflichen Phantasie ; durch-
aus erwies es sich als ein Werk heiterster Laune, trotz
aller Satire den harmlosen Zauberpossen eines Ferdi-
nand Raimund innerlich verwandt.
Zu höheren Sphären schwang sich, von vater-
ländischer Begeisterung getragen, Wagners Kunst em-
por, als auf den Sieg seines Volkes das neue deutsche
Reich begründet wurde: er schrieb den „Kaiser-
120
marsch". Seiner äußeren Form nach stand das Werk
dem „Huldigungsmarsch" am nächsten ; es war in der-
selben Weise gegliedert und rhythmisch durchaus ähn-
lich behandelt. In diese Form war aber hier ein an sie-
gender Kraft und zündendem Feuer reicherer Tongehalt
gegossen. Mächtiger bekundete sich in dem musikali-
schen Aufbau die dramatische Eigenart der Wagnerschen
Kompositionskunst : das heldenhaft-feierliche Haupt-
thema, gepaart mit den ehernen Anfangsklängen des
Lutherischen Triumphgesangs, dem Ausdruck wankel-
losen Vertrauens und zäher Festigkeit, kämpft sich
gleichsam durch den figurierten Zwischensatz kraftvoll
durch. Viel gewaltiger als der frühere Marsch ange-
legt, erforderte das Werk auch bedeutendere Ausdrucks-
mittel, neben einem großen Festorchester noch einen
zahlreichen gemischten Chor für den Schlußsatz.
Um dieselbe Zeit reifte in Wagner der Plan, seine
in Broschüren, Textbüchern und Zeitungen vielfach
zerstreuten Schriften und Dichtungen in einer
neuen Ausgabe zu vereinigen. Bereits im Sommer
1871 lag der erste Band dieser Sammlung fertig vor,
dem in den nächsten zwei Jahren acht weitere folgten ;
ein zehnter Band erschien noch nach Wagners Tode.
Manches schriftstellerische und dichterische Erzeugnis
besonders aus den früheren Jahren des Künstlers war
hier ausgeschieden, anderes mehr oder minder über-
arbeitet. Die einzelnen Werke waren im allgemeinen
nach der Zeit ihres Entstehens geordnet und zeigten
dadurch schon äußerlich, dafa ihr Verfasser sie nicht
als ein organisch zusammenhängendes wissenschaft-
liches System betrachtet wissen, sondern in ihnen vor-
nehmlich ein geschichtlich getreues Abbild seines
geistigen Entwicklungsganges darbieten wollte.
Wie sehr gleichwohl seine schriftstellerischen
Äußerungen aus den verschiedensten Perioden seines
Lebens oft im innigsten, widerspruchslosen Zusammen-
hang mit einander standen , bewiesen gerade damals
zwei kleinere Arbeiten Wagners , seine „ E r i n n e -
121
rungen" an den im Mai 1871 verstorbenen A'uber
mit ihrer vortrefflichen Charakteristik der heitren
Musik dieses echt französischen Komponisten und
seines Hauptwerkes, der „Stummen von Portici", und
der schon etwas früher entstandene Aufsatz „Über
die Bestimmung der Oper", den Wagner im
April 1871 in der Akademie der Künste zu Berlin
vorlas. Er faßte hier einzelne Hauptpunkte dessen,
was er in „Oper und Drama" erschöpfend ausgeführt
hatte, kurz zusammen, betonte dabei aber stärker das
Verhältnis des Schauspiels und der Oper zu den
mimischen Leistungen des deutschen Theaters, den
Einfluß des theatralischen Effektes auf die Entwick-
lung jener beiden Kunstgattungen, den notwendigen
Anteil des Schauspielers und Sängers an ihrer Ver-
edlung zum wahren Drama.
Allein noch einen andern, wichtigeren Zweck ver-
folgte Wagner auf dieser Reise nach Berlin im Früh-
ling 1871. Die politische Erhöhung Deutschlands hatte
in ihm den schlummernden Mut geweckt, mit dem er
jetzt rüstig und sicher an die volle Verwirklichung
seines künstlerischen Ideals schritt. König Ludwigs
Wunsch, dem Künstler zur Aufführung seines Nibe-
lungendramas ein würdiges Theater in München zu
erbauen, war durch die Wühlereien unverständiger und
böswilliger Gegner vereitelt worden. Da faßte Wagner,
der seitdem die Komposition der Tetralogie zum
gröMen Teile vollendet hatte, den Gedanken, sich
selbst das Haus zur Aufführung seines Werks zu er-
bauen und es darin mit auserlesenen Kräften in Szene
zu setzen. Auf die Hilfe seines königlichen Freundes
durfte er auch bei diesem neuen Plane vertrauen;
doch hoffte er die nicht geringen Geldmittel, deren
er für sein Unternehmen bedurfte, zunächst durch einen
Verein der übrigen Anhänger seiner Kunst zu er-
langen. Zum Orte seines Bühnenfestspielhauses wählte
er die vom öffentlichen Kunsttreiben abseits gelegene
bayrische Stadt Bayreuth.
122
Als Jüngling hatte er einst bei gelegentlicher
Durchreise von ihr einen freundlichen Eindruck er-
halten; als er sie jetzt im April und dann im Dezem-
ber 1871 wieder besuchte, fand er nicht nur diesen
rein persönlichen Eindruck bestätigt, sondern die Stadt
überhaupt für sein Vorhaben durchaus geeignet und
ihre amtlichen Vertreter bereit, in jeder Weise seinen
Wünschen fördernd entgegenzukommen. Bald verband
ihn innige Freundschaft mit den Vorständen der stä-
dtischen Verwaltung, Bürgermeister Theodor Muncker
und Bankier Friedrich Feustel, später besonders auch
mit Feustels Schwiegersohn, Bankier Adolf Groß. Noch
ehe diese Männer seine Kunst bewundernd kennen
lernten, erweckte in ihnen seine Herzensgüte, Gemüts-
tiefe, Wahrhaftigkeit und bezaubernde Heiterkeit im
geselligen Umgange treue Liebe zu ihm; seine Cha-
rakterstrenge und sein zielbewußt schaffender Ernst
aber flößte ihnen aufrichtige Verehrung ein. Froh er-
kannte Wagner, daß ihm die kleine fränkische Stadt
in der Tat eine neue Heimat werden könne: im
April 1872 siedelte er für immer nach Bayreuth über.
Während des ersten Sommers wohnte er noch in dem
zum Schloß Fantaisie gehörigen Gasthof des Dörfchens
Donndorf, eine gute Stunde von der Stadt entfernt;
dann bezog er in Bayreuth selbst eine Mietwohnung
und 1874 sein eignes Haus „Wahnfried", in welchem
der Vielumhergetriebene ein schönes, trautes Heim für
den Rest seiner Tage gewann.
Sein künstlerisches Unternehmen wurde von seinen
Gegnern und besonders auch von einem großen Teil
der deutschen Presse mit Spott überhäuft, von seinen
Freunden allenthalben mit heller Freude begrüßt. Mit
dem tatkräftigsten Eifer wirkte für die Aufbringung
der erforderlichen Geldmittel der junge, Wagner schon
von Zürich und Wien her persönlich befreundete Pia-
nist Karl Tausig und nach dessen ungeahnt frühem
Tode (im Juli 1871) die Gemahlin des preußischen
Hausministers Marie Freifrau von Schleinitz. Der
123
Bayreuth.
Musikalienhändler Emil Heckel gründete
in Mannheim 1871 den ersten ..Riehard-
Wagner- Verein ,; zur Förderung des Bay-
reuther Plans; ähnliche Vereine folgten
alsbald in vielen deutschen und aus-
ländischen Städten. Wagner selbst unterbrach seine
Arbeit an der Komposition der ..Götterdämmerung"
durch die eingehendsten Beratungen mit Architekten,
Maschinenmeistern. Dekorationsmalern und durch
Reisen zu einzelnen Vereinen: namentlich aber leitete
er im Laufe der nächsten Jahre zahlreiche Konzerte
zum Besten seines Unternehmens in mehreren größeren
Städten, wie Berlin, Mannheim, Hamburg, Köln. Wien,
Pest, überall mit dem stolzesten Erfolge. Auf ähnliche
Weise suchte vor allem auch Bülow die Sache seines
Freundes aufopferungsvoll zu unterstützen.
Am 22. Mai 1872 fand die feierliche Grundstein-
legung des Theaterbaues in Bayreuth statt. Die da-
mit verbundene mustergültige Aufführung der „Neunten
Symphonie" und des „Kaisermarsches" gab zugleich
eine erste Probe von dem, was Richard Wagner mit
tüchtigen Sängern und Musikern , die vorurteilsfrei
seinem Worte folgten, künstlerisch leisten konnte.
Verschiedne Bemerkungen über den Vortrag Beetho-
venscher Werke, die sich ihm bei dieser Gelegenheit
aufdrängten, besonders über einzelne Stellen der
„Neunten Symphonie", wo die deutliche Hervorhebung
124
der Melodie leichte Veränderungen in der Instrumen-
tation zu erfordern schien, teilte er 1873 in einem
Aufsatze für das „Musikalische Wochenblatt" mit.
An schriftstellerischen Arbeiten war namentlich
der Sommer und Herbst nach der Grundsteinlegung
reich. Ihm gehörte neben mehreren kleinen Aufsätzen
und Sendschreiben die inhalts- und lehrreiche, „dem
Andenken der großen Wilhelmine Schröder-Devrient"
gewidmete Schrift „Über Schauspieler und
Sänger'' an. Wagner konnte hier an mehrere seiner
früheren Abhandlungen anknüpfen; zugleich verfügte
er über eine erstaunliche Fülle von Beispielen, die ihm
teils die eigne künstlerische Erfahrung, teils das ge-
schichtliche Studium der Entwicklung des deutschen
Theaters wie der Schauspielkunst überhaupt darbot.
Indem er sie prüfend betrachtete, suchte er das Wesen
der mimischen Leistung zu ergründen. Er erkannte
als dessen Grundzug die Wahrhaftigkeit der Dar-
stellung, die allem bewußten und noch so virtuosen
Komödienspiel schnurstracks entgegengesetzt ist; sie
leitet den mimischen Künstler zu jenem Zustande der
Sclbstentäufserung und Entrücktheit, in den er hin-
wiederum den Zuschauer zu versetzen weiß. Fest
glaubte Wagner an den überaus hohen künstlerischen
Beruf des Mimen ; aber das gegenwärtige deutsche
Theaterwesen dünkte ihn völlig entartet, in falschem
Pathos und konventionell-sinnlosen Manieren befangen.
Darum verlangte er von den Schauspielern und
Sängern vor allem Rückkehr zur Natürlichkeit ; nur auf
diesem Wege hoffte er die Kunst wiederzugewinnen,
deren wir zur würdigen Aufführung der Werke
Shakespeares, Goethes, Schillers, Kleists wie unsrer
deutschen Tondichter bedürfen.
Einen mitunter erschreckend klaren Einblick in jene
Entartung des deutschen Theaters erhielt Wagner neuer-
dings auf einer Reise, die er im November und De-
zember 1872 an mehrere deutsche Opernbühnen unter-
nahm und südlich bis Strasburg, nördlich bis Bremen
125
ausdehnte. Sofort nach seiner Rückkehr berichtete er
mit schonungsloser, aber notwendiger Offenheit im
„Musikalischen Wochenblatt" über die künstlerischen
Eindrücke, die er auf dieser Reise empfangen hatte. Im
einzelnen spendete er
namentlich den Dirigen-
ten Belehrung die Fülle.
Neben diesen in
das Wesen der Kunst
**te
unmittelbar
den Schrif-
öffentlichte
gleichen
rere kleine
Erklärun-
richte , um
Wagners
Wohnhaus
in Bayreuth.
/
eindringen-
ten ver-
er in den
Jahren meh-
Broschüren,
gen und Be-
seinen Freun-
den und Gönnern Auskunft über den Fortgang des
Baues und der übrigen Vorbereitungen für die Bay-
reuther Bühnenfestspiele zu geben.
Das Unternehmen gedieh zusehends trotz manchen
unvermuteten und voraus nicht zu berechnenden Hin-
dernissen. Sie verzögerten zwar wieder und wieder die
126
Das Bühnenfestspielhaus
zu Bayreuth.
M»;». .
Vollendung des ganzen Werkes : 1872
oder 1873, wie es sich Wagner in seinen
ersten Träumen ausgemalt hatte, durfte er noch nicht
an die Aufführung des „Rings"' gehen. Aber im Au-
gust 1873 konnte dem Bühnenbau der Dachstuhl auf-
gesetzt, im folgenden Sommer bereits mit einzelnen
Sängern Klavierproben vorgenommen werden. Genau-
ere, vollständige Klavier- und Orchesterproben im Fest-
spielhause selbst, dessen Akustik sich dabei herrlich
bewährte, folgten im Juli und August 1875 ; zahlreiche
12';
Freunde der großen Sache fanden sich schon zur Teil-
nahme an diesen Vorstudien von Nah und Fern ein.
Rastlos wurde während des Winters und Früh-
lings weiter gearbeitet. Wagner selbst gönnte sich am
wenigsten Ruhe, obwohl ihn unter anderm besonders
Aufführungen des ..Tannhäuser" und „Lohengrin" zu
Wien und des „Tristan" zu Berlin auf Monate von
Bayreuth fern hielten. Überdies komponierte er damals
zur hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeits-
erklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika
auf Bestellung der Veranstalter dieser Feier einen
Festmars ch für großes Orchester. Ihm schwebte
dabei das Goethesche Wort vor: „Nur der verdient
sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern
muß." So verherrlichte er in dem Tonstück den Sieg
unerschrocken ringender Kraft. Im allgemeinen baute
er es ähnlich auf wie seine beiden früheren Märsche;
nur gestaltete er es modulatorisch reicher. Die wenigen,
aber scharf bestimmten, charakteristischen Themen
entwickelte er in feuriger, wahrhaft festlicher Weise
und steigerte sie schließlich zu glänzender Wirkung.
Mit dem Juni 187(> begannen wieder in regel-
mäßiger, ununterbrochener Folge die Proben im Fest-
spielhaus für die Sänger und für das von Hans Rich-
ter geleitete Orchester, zuerst getrennt, dann vereinigt.
Bald zeigte sich schon ein so meisterliches Gelingen,
daß die letzten Hauptproben und namentlich die
Generalproben, denen König Ludwig beiwohnte, voll-
kommenen Aufführungen glichen.
Unmittelbar auf sie folgten vom IB. bis zum 30. Au-
gust 1876 die ersten Bayreuther Bühnenfest-
spiele. Dreimal an je vier Abenden hinter einander
wurde der „Ring des Nibelungen" in unvergeßlicher,
einzig dem Ideal des Meisters sich nähernder Weise
dem begeisterten Publikum, das aus aller Herren Län-
dern zusammengeströmt war, vorgeführt. Hervorragende
Staatsmänner, Gelehrte und besonders Künstler hul-
digten mit den jubelnden Scharen der übrigen Zuschauer
128
dem Genius, der jetzt erst seine Schöpfung zu vollem
Leben erweckt hatte, und deutsche und ausländische
Fürsten riefen bewundernd dem einst Verfolgten ihren
Beifall zu. Mit Wagners Gönnern aus drangvolleren
Jahren, den
Großherzogen
1 Karl Alexander
Sachsen-
Weimar und Friedrich von Baden, und
zahlreichen andren Fürsten wohnte
Kaiser Wilhelm selbst den ersten Auf-
führungen bei; zum dritten Zyklus
der Festspiele fand sich als edelster
Freund des Meisters und seiner Kunst
wieder König Ludwig von Bayern ein.
Wagners Gegner hatten bis zum
letzten Augenblick in feindselig ge-
leiteten Zeitungen Zweifel, Hohn und Verleumdung
ausgestreut und sogar durch plumpe Lügen den Be-
such des zweiten Zyklus empfindlich geschädigt; sie
Der Zuschauerraum des
Bülinenfestspielhauses.
M u n c k e r . R. Wapner. 2. Aufl.
129
brachten auch dem vollendeten Erfolg nur geifernden
Tadel und Spott entgegen. Dennoch hatte die echte
deutsche Kunst im August 1876 einen Sieg errungen,
der an nationaler Bedeutung den politischen Triumphen
von 1870 und 1871 gleich kam. Die künstlerisch emp-
findenden Gäste aus aller Welt, die in Bayreuth ver-
sammelt waren, beugten sich bewundernd vor dem
deutschen Geiste; das Kunstwerk der Zukunft, das so
lange fast nur ungläubig belächelt worden war, schien
er auf deutschem Boden in die Gegenwart eingeführt
zu haben.
130
las deutsche Volk brauchte nur treu zu
seinem größten lebenden Künstler zu
halten und seinem Beispiele zu folgen,
so konnten die Bayreuther Festspiele
unmittelbar zur Begründung und allseitigen
nationalen Pflege einer wahren dramatischen
Kunst von spezitisch deutschem Geiste führen. Allein
die tätige Unterstützung der meisten Freunde Wagners
hatte nur einmaligem Gelingen gegolten und erlahmte
nach dem ersten Erfolg. Das deutsche Volk aber als
solches wußte die nationale Gabe, die der Künstler
ihm bot, nicht zu schätzen und versäumte die Pflicht,
die ihm daraus erwuchs. Auch bei dem. was Wagner
von nun an erstrebte und als notwendige Folgerung
aus seinen bisherigen Bemühungen erstreben mußte,
sah er sich in der Hauptsache wieder auf sich selbst
und wenige Freunde angewiesen.
Trotz dem glänzenden künstlerischen Erfolge hatten
die Festspiele von 1876 nicht die erwarteten Einnahmen
ergeben, deren man zur Deckung aller Kosten bedurfte.
Nicht einmal um die Tilgung dieser Schuld mochten
sich die bisherigen Förderer des Unternehmens weiter-
hin bekümmern. Sobald Wagner im Dezember von
131
einer Erholungsreise nach Italien zurückgekehrt war,
schlug er allerlei Wege ein, um den Fehlbetrag aufzu-
bringen. Im Mai 1877 ging er sogar nach London und
führte dort in mehreren großen Konzerten Bruchstücke
aus allen seinen Werken auf. Künstlerisch zwar glückte
dieser Versuch vollständig, brachte dem Meister reiche
Ehre und gewann seiner Musik viele Freunde ; bei den
übergroßen Kosten aber, die damit verbunden waren,
ergab er nichts weniger als einen Überschuß für die
Bayreuther Sache. Schließlich tilgte Wagner aus eignen
Mitteln die für seine Privatverhältnisse beträchtliche
Schuld : er trug sie nach und nach von den Einkünften
ab, die ihm die Aufführungen des „Rings" in München
abwarfen. Damit entschloß er sich zugleich, auch die
Tetralogie - - gegen seinen ursprünglichen Willen -
den herkömmlichen Oj)ernbühnen zu überlassen.
Ebenso schlug sein Vorhaben fehl, auf Grund der
Leistungen vom Sommer 1876 einen stattlichen, tat-
kräftigen „Patronatverein zur Pflege und Erhaltung
der Bühnenfestspiele in Bayreuth" und mit seiner
Hilfe eine Art von musikalisch dramatischer Hoch-
schule ins Leben zu rufen. Es handelte sich um Übungen
junger Sänger und Musiker in den Hauptwerken» vor-
nehmlich der deutschen Meister, die Wagner selbst lei-
ten und im Sommer regelmäßig durch öffentliche Auf-
führungen dieser Werke und besonders seiner eignen
Dramen vom „Holländer" an krönen wollte. Denn
was ihm jetzt noch als letzte Lebensaufgabe vor-
schwebte, war die Begründung eines deutschen Stils
im Vortrag musikalischer und dramatischer Werke,
den er nur durch das beständige praktische Beispiel
lehren konnte. Solche Bestrebungen aber vermochten
die Teilnahme seines Volkes nicht stark genug zu
reizen. Der neue Patronatverein zählte zu wenig Mit-
glieder; die gehoffte Unterstützung von Seiten des
deutschen Reiches blieb ganz aus: statt der praktisch
wirkenden Schule konnte somit im Januar 1878 nur
eine theoretisch vorbereitende Monatsschrift ins Leben
132
Richard Wagner nach einer Photographie von Elliot und Fry (London 1877).
133
treten, die ..Bayreuther Blätter", unter Mitwirkung
Wagners von seinem jüngeren Freunde Hans von Wol-
zogen herausgegeben.
Mit ihnen griff der Rastlos-Unverzagte einen Plan
auf. den er schon 1871 mit Nietzsche besprochen hatte
Für sie bestimmte er nun fast ausnahmslos alles, was
er noch für die Öffentlichkeit schrieb, eine erkleckliche
Anzahl grösserer und kleinerer Aufsätze über sehr ver-
schiedene Fragen. Hier berichtete er über den künst-
lerischen Gewinn, den er den Festspielen von 187G
zuerkennen zu dürfen glaubte, über die Absichten, die
er mit dem mißglückten Schulplane verbunden hatte,
über die Bedingungen, unter denen neue Festspiele in
Bayreuth stattfinden sollten. Indem er an frühere
Arbeiten, namentlich an die Schrift ..Deutsche Kunst
und deutsche Politik", anknüpfte, untersuchte er das
Wesen des deutschen Geistes, den Mißbrauch des
Wortes ..Modern", das Verhältnis des jetzigen Publi-
kums, wie es durch unsre Zeitungen. Theater und
Universitäten gebildet wird , zum Kunstwerke , die
Tragik im Schicksal des schaffenden Geistes, insofern
er den Bedingungen der Zeit und des Raumes für sein
Wirken unterworfen ist, die Begriffe Dichter. Seher,
Sänger, Erzähler, Poet, Künstler. Musiker, Komponist.
die Bedeutung des dichterischen Textes für die musi-
kalische Melodie, den unverwischbaren Unterschied
zwischen dramatischer und symphonischer Kompo-
sition.
Da diese Aufsätze sich zunächst nur an einen
kleineren Kreis von Freunden wandten, ließ Wagner
sich in der Form der Darstellung freier gehen. An
Gedanken voll bedeutsamen Ernstes, die er streng
logisch auf einander begründete, reihte er heitere Ein-
fälle, wie sie mehr dem zwanglos springenden Ge-
plauder eigen sind : Scherz und Witz mischte er
reichlich ein: mit Satire. Ironie und Humor durch-
tränkte er überall seinen Vortrag. Den Grundton fast
aller dieser Äuf3erungen bildete eine tiefe Verstimmung,
134
die sich aus den Erfahrungen seines Lebens, besonders
der letzten Jahre leicht erklären ließ.
Wagner fühlte sich und sein Streben im schroffen
Gegensatze zur modernen Welt und ihrer gesamten
Kultur. Ebenso schroff kämpfte er nun gegen das
moderne Treiben in Staat, Gesellschaft und Kunst an,
gegen die Art, wie Kunst und Wissenschaft im neuen
Reich gepflegt wurde, gegen das deutsche Theater, die
deutschen Universitäten, die Religionsverhältnisse der
Gegenwart, gegen die neuesten Kompositionsversuche
in Deutschland, auch gegen die unverständigen, äußer-
lichen Nachahmer seiner eignen Musik, gegen den
Unfug unserer Zeitimgspresse. Mit Schmerz und Ekel
sah er überall den unaufhaltsamen Verfall des echten
deutschen Wesens und glaubte wieder als hauptsäch-
liche Ursache davon die unheimlich schnell wachsende
Macht des Judentums erkennen zu müssen. Unbarm-
herzig verfolgte er daher dieses mit immer neuem
Spott als den gefährlichsten Feind des deutschen
Geistes. Innige Wärme, heilige und heitere Begeiste-
rung unterbrach diese pessimistisch trüben Betrach-
tungen fast nur, wenn er der wahren, ursprünglichen
Eigenschaften der Deutschen und der hehren Glorie
unsrer großen Musik gedachte. Wie sich in ihr zu-
erst zur Zeit der allgemeinen Verwelschung der
deutsche Geist mit Sebastian Bach wieder lebens-
kräftig zeigte, so erhoffte von ihr auch Wagner einzig
und allein noch die Rettung der in unserer modernen
Kultur fast erstickten deutschen Kunst.
Grundgedanken der Schopenhauerschen Philo-
sophie spann er gelegentlich bereits in verschiednen
dieser Aufsätze erfolgreich weiter. Noch viel mehr
aber beruhte alles, was er seit dem Herbst 1879 für
die „Bayreuther Blätter'' schrieb, auf der Lehre
Schopenhauers und der von ihm vor allem gepriesenen
brahmanisch-buddhistischen Religion. Doch schritt er
in wichtigen Fragen selbständig mit bewußter Kühn-
heit über die Anschauungen des dankbar verehrten
135
Philosophen hinaus. Zugleich wurde er auf die ver-
wandten Bestrebungen Ernst von Webers aufmerksam :
an seinem Ansturm auf die Vivisektion beteiligte sich
Wagner mit leidenschaftlichem Eifer. Ferner gab er
sich willig dem Einfluß des französischen Vorkämpfers
für vegetarische Lebensweise Jean-Antoine Glei'zes und
namentlich des Grafen Arthur von Gobineau hin.
Seine geistvollen Dichtungen las er gerne ; sein wissen-
schaftliches Hauptwerk über die Ungleichheit der
menschlichen Rassen hinterließ ihm den tiefsten Ein-
druck; seine persönliche Freundschaft (seit 1880) galt
ihm als reicher Gewinn für Geist und Gemüt.
Auf diesen Grundlagen entstand besonders die
tiefsinnige Abhandlung ..Religion und Kunst" mit
ihren Nachträgen und Zusätzen.
Wagner ging von der wesentlichen Übereinstim-
mung der indischen und der christlichen Religion aus
und schilderte die belebende Einwirkung des Christen-
tums auf alle wahre Kunst: sie verlor ihren Adel, so-
bald sie verweltlichte. Jene beiden erhabensten Reli-
gionen lehren aber bereits Abwendung von der Welt
und ihren Leidenschaften, gründen sich also auf die
Erkenntnis von der Sündhaftigkeit der geschichtlichen
.Menschheit, in der und für die sie gestiftet wurden.
Am entsetzlichsten offenbart sich diese Sündhaftigkeit
in der schonungslosen gegenseitigen Bekämpfung und
Zerfleischung der einzelnen Menschen wie der ver-
schiednen Stämme und Völker. Ihre letzte Ursache
erblickte Wagner in der Entartung des Blutes, seitdem
sich die Menschheit von der ursprünglichen und natur-
gemäfsen Pflanzenkost zum Genufs des tierischen
Fleisches gewandt habe. Damit hatte sie nach seiner
Auffassung ihren physischen und sittlichen Verfall be-
siegelt; aus diesem aber folgt notwendig auch die
Entartung des Christentums von der reinen Lehre des
Heilandes und endlich die Verderbnis unserer ganzen
modernen Zivilisation mit ihrer trügerischen Kunst
und Wissenschaft.
130
137
Eine wirkliche Regeneration des Menschenge-
schlechtes hoffte Wagner nur von einer innigen Ver-
bindung der Bestrebungen der Vegetarianer, der Tier-
schutz- und der Mäßigkeitsvereine mit denen des
christlichen Sozialismus. Auf eine solche Regeneration
muß alle wahre Religion abzielen; sie darf darum nur
den reinen Kern der indischen und der christlichen
Lehre ohne die allegorischen Zutaten der verschiednen
Kulte in sich enthalten. Dann wird auch die Kunst
als ein weihevoll reinigender religiöser Akt gelten,
„zu göttlicher Entzückung heiter aufsteigende Klage".
Als größtes Gebot jener echten Religion erkannte
Wagner mit Schopenhauer das Mitleid, dem die drei
alles umfassenden Tugenden der Liebe, des Glaubens
und der Hoffnung entkeimen. Mit Gobineau aber sah
er die arische Rasse und besonders das germanische
Volk ausgezeichnet durch die Stammeseigentümlich-
keiten des Stolzes und der Wahrheitsliebe und somit
vor allen andern Rassen fähig. Heldennaturen zu er-
zeugen. Mit dem französischen Forscher eiferte er
gegen jegliche Vermischung der edleren Rassen oder
Völker mit unedleren, pries aber im Gegensatze zu
ihm das Christentum, die Religion der Armen am
Geiste, deren Heil allen Menschen in gleichem Maße
zu Teil werden soll, weit vor dem Brahmanentum,
das als einseitige Rassenreligion nur bei dem geringsten
Teile seiner Bekenner wahre Sittlichkeit zu bewirken
vermag.
Volles Verständnis konnten diese Aufsätze Wag-
ners nur bei wenigen Lesern finden, unbedingten Bei-
fall bei noch wenigeren. Schon ihr satirisch-polemischer
Grundcharakter stieß damals viele sonstige Freunde
seiner Kunst ab; seinen Widerwillen gegen den
„seichten" Optimismus, gegen den Glauben an den
steten Fortschritt des Menschengeschlechts konnten
sie zwar begreifen, aber nicht ohne Vorbehalt teilen.
Noch weniger Beachtung und Zustimmung er-
langten die übrigen Aufsätze der „Bayreuther Blätter",
138
die vielfach denselben Ton anschlugen. Was man
schon in Wagners Beiträgen nicht billigte, ließ man
sich in denen seiner Anhänger ganz und gar nicht
gefallen, auch da nicht, wo es außer allem Zweifel
stand, daß diese in seinem Sinn und Auftrag redeten.
Überdies hielten sich die Koryphäen der deutschen
Schriftstellerwelt von der Bayreuther Monatsschrift
fern, und ihre Mitarbeiter bedienten sich meist einer
schwerflüssigen, bisweilen sogar recht unbeholfenen
Sprache. Diese formalen Mängel nebst gewissen Ein-
seitigkeiten der Tendenz ließen den trefflichen Gehalt
mancher Aufsätze in den „Bayreuther Blättern" nicht
zur rechten Geltung kommen ; trotz ihren unleug-
baren Verdiensten hat die Zeitschrift die Absicht
ihres Schöpfers, neue, verständnisvolle Freunde seiner
Kunst- und Weltanschauung zu gewinnen, nur wenig
gefördert.
Desto unmittelbarer und tiefer ergriff alle das
künstlerische Werk, das gleichzeitig mit den letzten Auf-
sätzen Wagners für seine Bayreuther Monatsschrift
völlig ausreifte und einem ähnlichen Ideenkreise wie
sie entstammte, das Bühnenweihfestspiel „Parsifal".
Der Plan, die bedeutendste Dichtung des fran-
zösisch-deutschen Mittelalters im musikalischen Drama
neu zu gestalten, reichte bis in die Züricher Jahre
zurück. Ursprünglich als Episodenfigur im „Tristan'"
gedacht, trat Parsifal als Held eines selbständigen
Dramas zuerst am Karfreitag (10. April) 1857 vor Wag-
ners Seele. Sogleich in den folgenden Tagen wurden
die Grundzüge der Dichtung entworfen. Während der
nächsten Jahre gewannen besonders Amfortas und
Kundry deutliche Gestalt in der Phantasie des Drama-
tikers. Jener erschien ihm wie sein ..Tristan des
dritten Aktes mit einer undenklichen Steigerung'".
Aber auch die Erkenntnis von dem Doppelwesen des
„wunderbar weit dämonischen Weibes", das wilde
Gralsbotin und zauberisch schöne Verführerin in einer
Person ist, ging ihm damals schon auf und lehrte ihn,
139
wie er die alte Sage von Grund aus neu gestalten
müsse. Allein erst in den letzten Augusttagen 1865
zeichnete er auf Wunsch König Ludwigs einen aus-
führlichen Entwurf des Werkes auf, äußerlich in der
Form einer Erzählung, der es sogar an lehrhaften Er-
läuterungen nicht fehlt; doch gliedert sich das Ganze
dramatisch in drei Hauptszenen, deren Dialog selbst
vielfach schon genau bestimmt ist.
So lernten einzelne Freunde den Plan kennen,
zuletzt 1872 Liszt. den der mystisch-religiöse Geist der
Dichtung mit Recht an den Schluß von Goethes
„Faust" erinnerte. Auch stieg nun schon während der
Jahre, die ganz andern Aufgaben gewidmet waren,
dann und wann ein musikalisches Thema zum „Par-
sifal" in der Phantasie Wagners auf. Aber erst im
Januar 1877, mitten in den drückendsten Sorgen, die
ihm von den Festspielen des vergangenen Sommers
geblieben waren, ging er mit allem Ernst an die Aus-
führung des alten Plans. In wenigen Wochen schrieb
er jetzt das vollständige Drama nieder, zunächst in
Prosa; im April brachte er auch die Umdichtung in
Verse zum Abschluß, und kurz vor Weihnachten 1877
ließ er sie im Druck erscheinen.
Die musikalische Komposition zog sich, da seine
schriftstellerischen Arbeiten sie mehrfach unterbrachen
durch einige Jahre hin, schritt aber unablässig vor-
wärts. Im April 1879 wurde sie im Entwurf beendigt.
Teile des Werkes waren damals auch schon fertig
instrumentiert; so konnte Wagner das Vorspiel bereits
am Weihnachtsfeste 1878 vor zahlreichen Gästen in
seinem Hause durch die Meininger Hofkapelle auf-
führen lassen. Die Partitur des ganzen Dramas wurde
erst im Januar 1882 vollendet.
Wiederholte Erkrankung an der Gesichtsrose zwang
den Künstler seit dem Herbst 1879 öfters die strenge
Arbeit auszusetzen. Da nur ein vollständiger Luft-
wechsel Heilung zu versprechen schien, brach er mit
seiner Familie noch im Dezember 1879 nach Neapel
140
14 t
auf. Bis zum Hochsommer blieb er hier. Dann ver-
weilte er mehrere Wochen in Siena und in Venedig,
erhielt in München die Zusage König Ludwigs, daß er
nunmehr auch formell vor aller Welt das Protektorat
der Bayreuther Bühnenfestspiele übernehmen wolle,
und kehrte erst im November 1880 nach Wahnfried
zurück. Hier fanden im folgenden August bereits
Klavierproben für den „Parsifal" statt, dessen erste
Auffahrung nach mehrfachem Aufschub jetzt endgültig
auf den Sommer 1882 festgesetzt war. Aber bald nach
den Vorproben enteilte Wagner wieder nach Italien.
Fast den ganzen Winter verbrachte er mit seiner Fa-
milie in Palermo ; langsam kehrte er im Frühling heim
nach Bayreuth.
Mit dem Juli begannen hier die Proben für das
Bühnenweihfestspiel. König Ludwig hatte dafür die
Orchester- und Chorkräfte des Münchner Hoftheaters
unter der Leitung Hermann Levis und Franz Fischers
zur Verfügung gestellt. Die Sänger und Sängerinnen
der Solorollen waren wieder, wie vor sechs Jahren,
von verschiednen deutschen Opernbühnen nach Bay-
reuth berufen worden. Da es sich diesmal um ein
einziges Werk handelte, erforderten die Proben nur
wenige Wochen, und schon am 26. Juli 1882 konnte
die erste Aufführung des „Parsifal" stattfinden. Bis
zum 29. August reihten sich ihr fünfzehn weitere Vor-
stellungen an.
An künstlerischer Vortrefflichkeit stand die Wieder-
gabe dieses Dramas noch über den Festspielen von
1876; aber auch der äußere Erfolg war trotz den
tadelnden oder spöttischen Berichten in gewissen deut-
schen Zeitungen dieses Mal zweifellos. Selbst einzelne
verhärtete Gegner der Wagnerschen Kunst streckten
vor dem Bühnenweihfestspiel langsam die Waffen.
Sein Schöpfer aber konnte, gestützt auf das nun-
mehrige Erträgnis der Aufführungen, sofort ihre Wieder-
holung für das nächste Jahr ankündigen. Überzeugt,
daß er seinen Festspielen dadurch den edelsten Reiz,
142
seinem letzten Drama jedoch die würdigste Darstel-
lung dauernd sichere, bestimmte er, daß „Parsifal"'
fortan ausschließlich in Bayreuth öffentlich aufgeführt
werden solle.
Wagner mußte sein Bühnenweihfestspiel schon
wegen des religiösen Charakters, den er ihm aufge-
prägt hatte, von dem Alltagstheater fern halten. Er
verdankte den Stoff seines Dramas der tiefsinnigsten
unter den christlichen Sagen des Mittelalters, deren
sich die romanische und germanische Epik bemächtigte,
der Sage von dem heiligen Gral. So heißt die kost-
bare Schüssel oder Schale, aus der Jesus das letzte
Abendmahl genoß. In sie fing Joseph von Arimathia
das Blut des gekreuzigten Heilands auf. Hernach
wurde das weih volle Gefäß von einem auserlesenen
Geschlechte reiner Gottesstreiter in weltfremder Ein-
samkeit treu gehütet. Auf das engste verbunden mit
dieser Sage war eine andre, die Erzählung von Parzi-
val, der durch Gottes Gnade berufen ward, den um
seiner Sünde willen mit Siechtum geplagten Grals-
könig Amfortas zu heilen und sich selbst nach man-
cher Irrfahrt und Prüfung das Gralskönigtum zu ge-
winnen. Aber Wagner vertiefte noch überall den
religiös -mystischen Sinn der mittelalterlichen Über-
lieferung. Treu der Schopenhauerschen Philosophie
und im Einklang mit den ursprünglichen Lehren der
brahmanischbuddhistischen und der christlichen Reli-
gion, wie er sie in seinen letzten Aufsätzen für die
„Bayreuther Blätter" auffaßte, machte er die Ver-
neinung des Willens zum Leben , die Ertötung der
sinnlich- sündigen Begierde und die Betätigung selbst-
loser Nächstenliebe, das erlösende Mitleid mit allen
Geschöpfen zum Grundgedanken seines Werkes. Zu-
gleich hob er die symbolischen Beziehungen der Sage
auf Vorgänge aus der Geschichte Christi bedeutsam
hervor, ja verstärkte sie noch durch die dramatische
Darstellung.
Das gewaltige Epos Wolframs von Eschenbach
143
lieferte ihm die Umrisse und Hauptgestalten der Hand-
lung. Er hatte es schon 1845 gelesen, als er den
„Lohengrin" entwarf. Im Mai 1859 zog er es in San
Martes Übersetzung neuerdings zu Rate und ließ sich
von ihm in allerhand Einzelheiten bestimmen, so sein-
er sich jetzt auch von Wolframs Auffassung der Sage
abgestoßen fühlte. Was sich aber hier in einer ver-
wirrenden Fülle bunter Abenteuer und in den Schick-
salen zahlreicher Personen breit aus einander spann,
das mutete Wagner so knapp als möglich dramatisch
zusammenfassen. Wieder mußte er aus dem kunstvoll
ausgebildeten Epos eine einfache Urform der Sage ge-
winnen.
Seine Phantasie haftete an der Gestalt des jungen,
kindlich reinen, aber weltunkundigen Parsifal, der
beim Anblick des qualvoll leidenden Amfortas nicht
die erlösende Frage aus mitfühlendem Herzen tut,
Dafür mit Schmach überhäuft, schweren seelischen
Kämpfen überlassen, bewährt er sich in kühnen Taten
und harten Prüfungen, streift sein töricht-weltfremdes
Wesen ab, büßt aber nicht die Treue und Reinheit
seines Herzens ein. Endlich, nach langem, vergeb-
lichem Suchen, gelangt er wieder zu Amfortas, heilt
ihn durch seine mitleidige Frage und gewinnt sich
selbst das Gralskönigtum.
Die Belehrungen und Prüfungen, durch die der
Held des Epos Verständnis und Sicherheit im sitt-
lichen Handeln erlangt, mußte der Dramatiker in eine
einzige, entscheidende Tat zusammendrängen. Die
Ursache vom Leiden des Amfortas sah er in sündiger
Liebe, durch die sich der Gralskönig bestricken ließ.
Denselben Verlockungen durch das gleiche verführe-
rische Weib wird Parsifal ausgesetzt, von dem näm-
lichen Verlangen nach wildem Sinnengenuß ergriffen.
Da erkennt er in den eignen Begierden und Liebes-
schmerzen das Sehnen und Leiden des Amfortas wie-
der, das er töricht und stumm in der Gralsburg beob-
achtet hat. Jetzt fühlt er dieses Leiden in seiner
144
Muncker, R.Wagner. 2. Aufl.
10 U5
vollen Stärke selbst mit, ohne jedoch der Schuld, die
es verursachte, teilhaftig zu sein: ohne seine Reinheit
zu verlieren, wird er „durch Mitleid wissend". Er
versteht jetzt, wozu er berufen ist, den Leidenden von
seiner Qual, das Heiligtum des Grals aus schuld-
befleckten Händen, die Welt vom sündigen Verlangen
zu erlösen. So widersteht er jeder Versuchung, ge-
winnt siegreich von dem Gralsfeinde den heiligen
Speer zurück, den Amfortas an ihn verlor, und zer-
stört durch seine in der Prüfung bewährte Reinheit
das Reich der Sünde.
Vor allem in dieser dramatischen Hauptszene, aber
auch sonst überall in seinem Werk drängte Wagner
getrennte Ereignisse des Epos zusammen und schuf
aus mehreren Personen der mittelalterlichen Dichtung
eine einzige, an Bedeutung sie alle hoch überragende
Gestalt. So flössen ihm Wolframs häßliche Gralsbotin
Kundry und die dämonisch-reizvolle Orgeluse zu einem
Wesen zusammen. In ihm verkörperte er die ver-
derbliche und selbst ewig unbefriedigte Sinnenlust,
die verzehrend wilde Begierde, die doch nach Ruhe
und Erlösung schmachtet. Mit Herodias und andern
leidenschaftlich frevelnden Frauen der Sage dünkte
ihn diese seine Kundry eins. Mit bedeutsamen Cha-
rakterzügen aus der Legende vom ewigen Juden wie
aus der Geschichte der büßenden Maria Magdalena
stattete er sie aus. Halb erinnerte er dabei an die
indische Lehre von den stets sich erneuernden Wieder-
geburten, in denen der Mensch die Sünden eines
früheren Daseins zu sühnen hat, halb an die Zeichnung
der Heldin in dem einstigen Entwurf der „Sieger". So
wurde diese neue Kundry vielleicht Wagners kühnste
Erdichtung, eine Gestalt voll tiefster Symbolik und
zugleich vom echtesten, wirklichkeitsfrischesten Leben
beseelt.
Einfacher stellte sich sein Gurnemanz dar, der
treue Waffengenosse des ersten Gralskönigs Titurel
und seines Sohnes Amfortas. Aber auch ihm lieh
146
Wagner von dem Burgherrn in Wolframs Gedichte,
der den weltunkundigen Jüngling in ritterlicher Sitte
unterweist, fast nur den Namen. Dagegen übertrug er
auf ihn Eigenschaften und Handlungen von dem am
Karfreitag pilgernden alten Ritter und besonders von
dem Einsiedler Trevrizent im mittelalterlichen Epos.
Einzelne Motive seines Dramas entlehnte Wagner
auch aus andern , in Nebenumständen verschiednen
Fassungen der Gralssage, die er teils aus den Abhand-
lungen San Martes im zweiten Bande seiner Über-
setzung Wolframs (1841), teils aus den „Contes popu-
laires des anciens Breton s" von Th. de la Villemarque
(1842) kannte. So schöpfte er namentlich aus französi-
schen Quellen den fruchtbaren Gedanken, da& die
blutende Lanze, die in der Gralsburg gezeigt wird,
mit der nach Wolframs Angabe Amfortas verwundet
wurde, dieselbe sei, die einst Longinus dem Erlöser
in die Seite stach, ferner die Annahme, da& auch dem
Gralskönige Frauenliebe versagt sei und daß der Teufel
sich vergebens bemühte, den reinen Jüngling Parzival
durch allerlei verführerisches Blendwerk zu Falle zu
bringen.
In derselben Absicht kämpft bei Wagner der über
teuflischen Zauber gebietende Klingsor gegen den aus-
erkorenen Helden. Für den Charakter seines Zauberers
schwebte dem Dramatiker aber nicht bloEs Wolframs
Klingsor von Capua vor, sondern daneben auch der mit
höllischen Dämonen verbündete Zaubermeister aus Un-
garn im Gedicht vom Wartburgkrieg und in E. T. A.
Hoffmanns Novelle von dem nämlichen Sängerstreit.
Dabei wuchs Klingsor zu einer viel mächtigeren und
furchtbareren Persönlichkeit als in Wolframs Epos,
zum dämonischen Vertreter des bösen Prinzips empor.
Sein Überwinder konnte bei Wagner natürlich nur
Parsifal selbst sein. Das mittelhochdeutsche Gedicht
hatte diese Rolle dem Artusritter Gawan zugeteilt,
worüber schon San Marte sein Erstaunen aufwerte.
Für den Dramatiker völlig unbrauchbar waren die Ge-
147
fahren, die bei Wolfram Gawans im Wunderschlosse
Klingsors warten. Wagner ersetzte sie durch die an-
mutige Episode von den Blumenmädchen aus dem
alten Gedichte des Pfaffen Lamprecht von Alexander
dem Großen: an ihrem Verlauf nahm er nur geringe,
durch den dramatischen Zusammenhang gebotene Ver-
änderungen vor. Übrigens fand er eine ganz ähnliche
Überlieferung in indischen Sagen von den Versuchun-
gen, die Buddha zu bestehen hatte. Und hier war
auch schon der Ausgang des Kampfes zwischen Parsi-
fal und Klingsor vorgebildet, das Wunder, kraft dessen
die mit aller Wucht geschleuderte Waffe über dem
Haupte des Reinen in der Luft schweben bleibt.
Ebenso verwertete Wagner für den Schluß seines
Dramas die griechische Sage von der Wunde des Tele-
phos. die vom Speer Achills herrührte und nur durch
den Rost dieses Speeres geheilt werden konnte.
Für einige nebensächliche Umstände boten sich
ihm noch ein paar Züge bei späteren Dichtern. So
mag man sich bei Parsifals ersten Antworten auf
Gurnemanz' Fragen an eine Szene aus Grimmeis-
hausens „Simplicissimusa, den Wagner recht wohl
kannte, gemahnt fühlen, an das Gespräch des Ein-
siedlers mit dem einfältigen Knaben zu Anfang des
Romans. Die plötzliche Verwandlung des üppigen
Zaubergartens in trostlose Einöde scheint jener be-
rühmten Stelle in Tassos ..Befreitem Jerusalem" nach-
gebildet zu sein, wo unter Armidas Fluch nach dem
Abschied Rinaldos die Herrlichkeiten ihrer Zauberinsel
jäh verschwinden und nur wüstes Felsgeklüft zurück-
bleibt. Auch an Immermanns dramatische Mythe
„Merlin" klingt da und dort eine Kleinigkeit an, ebenso
vielleicht an deutsche Volksmärchen.
Endlich verdankte Wagner auch jetzt wieder gar
manches der Vorrede von Joseph Görres zum altdeut-
schen „Lohengrin". In ihr begegnete er unter anderm
einem philologischen Irrtum, den er aber für seine
dramatische Auffassung der Sage vortrefflich brauchen
148
konnte. Görres hatte den Namen des Gralshelden
Parsifal geschrieben und völlig unrichtig aus dem
Arabischen erklären wollen: „der reine oder arme
Dumme". Als „reinen Toren" führte auch Wagner
seinen Helden ein. Schließlich nahm er sogar (im
Februar 1877) die von Görres gewählte Schreibung
statt der mittelhochdeutschen Namensform Parzival
an, deren er sich bis dahin meist bedient hatte.
Nun war schon im Namen des Helden auch äußer -
lich erkennbar die Grundidee der dramatischen Hand-
lung angedeutet. An einer solchen fehlte es in den
mittelalterlichen Gralsdichtungen samt und sonders: in
ihnen waltete durchaus der epische Geist und Stil.
Erst Wagner vertiefte nicht nur ungemein all die vielen
aus den verschiedensten Quellen geschöpften Sagen-
motive und charakteristischen Züge, sondern verband
sie auch ganz eigenartig mit meisterhafter Kunst zu
organischer, lebendiger Einheit und entwickelte aus
ihnen eine wahrhaft bedeutende Handlung. Sie ist
einfacher als in seinen meisten früheren Dramen, aber
fest gefügt in allen ihren Gliedern und bewegt sich in
großen Zügen. Sie ist ganz und gar in das Innere des
Helden verlegt. Was äußerlich geschieht, ist nur ein
Sinn- und Spiegelbild der seelischen Vorgänge. Um
Kämpfe im Herzen des sittlichen Menschen handelt es
sich, um Kämpfe typischer Art, die aber hier von An-
fang an die Gewähr des Sieges in sich tragen.
Das tragische Moment ist daher etwas anders ge-
faßt als meistens sonst im Drama. Gleichwohl ist der
tragische Konflikt zwischen dem selbstischen Willen
und der sittlichen Pflicht auch bei Parsifal vorhanden ;
aber er kommt nicht zu dem in der Tragödie gewöhn-
lichen Austrage: Wagners Held beugt seinen Willen
vor dem göttlichen Gebote, ohne daß er zuerst gegen
dieses anzustürmen versucht. Auch er lädt eine tra-
gische Schuld auf sich, die er schwer büßt; sie ist
aber rein passiver Art: dem leidenden Amfortas gegen-
über tut er nichts, in seiner dumpfen Torheit versteht
U9
er das Leiden des Königs nicht. Sein Mitgefühl ist
zwar beim Anblick der Schmerzen erregt; aber die
Erkenntnis geht ihm noch nicht auf, daß er zum Er-
löser von diesen Schmerzen und von der Schuld, aus
der sie quellen, berufen sei; den Weg sieht er noch
nicht, der ihn zu diesem Ziele führen soll. Unter die
herkömmlichen Schulregeln läßt sich freilich Parsifals
tragische Schuld nicht wohl bringen. Ihnen gegenüber
hat sich Wagner überhaupt in seinem letzten Werke
freier gehalten als je zuvor. Auch unter den Erschei-
nungen der deutschen Literatur, die uns um jene Zeit
eine neue, weitherzigere Auffassung des Tragischen
erschlossen, nimmt das Bühnen weih festspiel einen be-
deutsamen Platz ein.
Echt dramatisch aber blieb Wagner auch hier stets
im Wesen seiner Darstellung. Wie viel Episches und
Lyrisches er auch in sie einweben mußte, so verstand
er doch immer solche scheinbar undramatische Be-
standteile durch eine meisterliche Behandlung des
Dialogs zu verdecken, lange, notwendige Reden durch
dazwischengeworfene Fragen zu unterbrechen und mit
einer geradezu Shakespeareschen Kunst im höchsten
Grade bewegt und lebendig zu gestalten. Zu dem
religiösen Grundton des Ganzen stimmte endlich auch
der ruhigere, feierlich-erhabene, meist einfache, doch
oft mystisch gefärbte Charakter der Sprache.
Wie die Dichtung des „Parsifal" in gewissen Grund-
gedanken und selbst in Einzelheiten, z. B. in den aus
„ Siegfrieds Tod" übernommenen Trauerchören vor Ti-
turels Leiche, an Wagners frühere Dramen mahnte, so
ruhte auch die musikalische Komposition des Werkes
auf den Grundlagen, auf denen sich alle seine Schö-
pfungen seit dem „Rheingold" aufbauten. Nur schein-
bar widersprachen dem die zahlreichen Chöre, obgleich
sie großenteils im alten Stil ausgeführt waren, so daß
ihre Wirkung auf der mehrfachen Besetzung der ein-
zelnen Gesangsstimmen beruhte. Wagner hatte solche
Chöre seit dem „Ring" vermieden. Indem er jetzt zu
150
Richard Wagner nach einer Photographie von J. Albert (München
151
ihnen zurückkehrte, wurde er keinem künstlerischen
Grundsatz untreu; er tat vielmehr nur, was die dra-
matische Handlung erforderte. Die Wahrheit der Dar-
stellung, um deren willen er in früheren Fällen den
Massengesang verworfen hatte, verlangte ihn nunmehr.
Ebenso stimmte es nur zu der größeren Einfachheit
der religiös gearteten Handlung, da& mit der Sprache
und dem Verse der Dichtung auch die melodische und
harmonische Ausgestaltung gewisser Chor- und Instru-
mentalsätze einfacher wurde und gelegentlich einmal
selbst an ältere kirchliche Musik anklang.
An kräftiger Frische und gewaltig fortreißender
Leidenschaft mußte die Tonsprache des ,.Parsifal" den
früheren Werken Wagners nachstehen; das lag schon in
der feierlichen Würde des religiösen Dramas begründet.
Allein der Reichtum, die charakteristische Kraft und
die Schönheit der melodischen Erfindung erwiesen
das musikalische Genie des alternden Meisters unge-
schwächt. Und fast noch höhere Bewunderung mußten
die Pracht und die Bedeutsamkeit der kunstreichen
Ausführung erwecken.
Wieder leitete Wagner die verschiednen Motive,
die das Gewebe seiner Musik bestimmten, aus wenigen,
zum Teil mit einander verwandten, überaus entwick-
lungsfähigen Grundthemen her. Vielleicht verfuhr er
sogar diesmal noch sparsamer als zuvor. Unvergleich-
lich aber offenbarte sich seine ganze reife Kunst bei
den mannigfachen Umformungen und Fortbildungen
jener Grundthemen und den unmerklichen Übergängen
von einem Motiv zum andern. Das Gewebe der Motive
selbst war im allgemeinen nicht mehr ganz so dicht
wie in den vorausgehenden Werken. Die Polyphonie.
die in diesen fast ausnahmslos waltete, mußte in
größeren Teilen des ,. Parsifal" wieder einer mehr
homophonen Anlage weichen.
Desto sicherer behauptete die Singstimme das
Übergewicht über das begleitende Orchester, zumal da
sie gern die leitenden Themen in sich aufnahm. Auch
152
bot die dramatische Handlang reichliche, von Wagner
immer freudig benützte Gelegenheit zur Pflege klang-
schöner Kantilene. Mit meisterlicher Kunst sind die
längeren Reden, überhaupt die größeren zusammen-
hängenden Tongebilde musikalisch gegliedert. Alle
Sorgfalt ist auf charakteristisch bedeutsame Ausge-
staltung der Melodien verwendet. Dazu dient vortreff-
lich die bunte Menge von wechselnden Rhythmen,
in denen sich namentlich seelische Erregung, oft aber
auch bloß äußere Bewegung ausdrucksvoll malt. Zahl-
reiche Triolenfiguren und alle möglichen Arten von
Synkopen werden zu solchem Zwecke auf das glück-
lichste verwertet. Neben und über dieser Mannig-
faltigkeit des Einzelnen bleibt aber die einheitliche
Grundstimmung so lange als möglich, meistens ganze
Szenen hindurch, gewahrt. So liegt etwas von abge-
klärter, erhabener Ruhe über dem ganzen Tonwerk,
wie bewegt sich auch oft die einzelnen Teile ausnehmen.
Einfache Größe spricht auch aus der Musik des
..Parsifal" zu uns: ja manches in ihr mahnt uns gerade-
zu an die hehre Schlichtheit antiker Kunst. Aber auch
wo Wagner farbensatte Malerei bieten will, scheut er
jetzt vor kecker Verschwendung der Mittel zurück.
Und eben durch die besonnene Sparsamkeit, mit der
er jede klangliche oder rhythmische Wirkung richtig
ausnützt, erzielt er durchweg den Eindruck vollendeter
Meisterschaft.
Die begeisterte Aufnahme des ..Parsifal" bei den
Festspielen des Sommers 1882 war der herrlichste
Triumph Wagners und seiner Kunst. Zum zweiten-
male fanden sich, und nun ungleich zahlreicher als 187G,
Gäste aus aller Welt in Bayreuth ein, nur um sein Werk
zu hören, diesmal ein einziges Drama, dessen Aufführung
wenige Stunden nicht überdauerte. Ja, er durfte aus
dieser Teilnahme die Gewähr schöpfen, daß die Fest-
spiele auch in Zukunft fortdauern und durch ihr lebens-
volles Beispiel doch allmählich als die praktische Schule
eines deutsch- dramatischen Stiles wirken würden, die er
153
in ihnen vor allem begründen wollte. Persönlich zwar
hatte Wagner auch während der Festspiele durch Un-
päßlichkeit manches zu leiden ; gleichwohl kannte er
keine Ermüdung, wo es die Arbeit für seine Kunst galt.
Aber bald nach dem Schluf3 der Bayreuther Auffüh-
rungen enteilte er, Erholung suchend, mit den Seinen
nach Venedig.
Ganz zu rasten vermochte er nicht lange. Er ver-
faßte einige Aufsätze für die „Bayreuther Blätter", da-
runter einen Bericht über die künstlerische Darstellung
des „Parsifal" im verwichenen Sommer, führte zu Weih-
nachten im engsten Kreise seine vor fünfzig Jahren
komponierte Symphonie in C-dur auf und dachte wohl
auch mitunter an neue dramatische Pläne. Ernstlich
beschäftigten ihn die Vorbereitungen zu den Festspielen
des nächsten Sommers. Ein jäher Tod riß ihn mitten
aus dem Schaffenseifer hinweg. Am 13. Februar 1883
erlag er im Palazzo Vendramin einem heftigen Anfall
seines Herzleidens.
Seine Leiche wurde nach Bayreuth gebracht und
dort seinem Wunsche gemäß im Garten seines Hauses
am 18. Februar beerdigt. Den Sarg empfingen feier-
lich die Freunde auf allen größeren Eisenbahnstationen
zwischen Venedig und Bayreuth; hier gaben ihm
Tausende aus allen Gauen des Vaterlandes das letzte
Geleite, Vertreter der Fürsten, die sich Freunde des
Verewigten nannten, deutsche Künstler und Kunst-
freunde, Bürger von Bayreuth. Außer Klopstock und
Grillparzer war noch keinem deutschen Dichter eine
ähnliche Leichenfeier bereitet worden. Aber, konnte
an ihrem Grabe die Trauer sich bald in milde Weh-
mut verklären, so ertönte an Wagners Sarge die laute,
heftige Klage eines trüben, schwer zu lindernden
Schmerzes. Jene waren reif für den Tod und schaffens-
müde dahingegangen: ihr Scheiden verursachte im
Leben der Zurückbleibenden und in der ferneren Ent-
wicklung der Kunst keine ersichtliche Lücke. Er aber,
der als Künstler jene beiden noch weit überragte,
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Palazzo Vendramin in Venedig
hatte eben erst den Gipfel seiner Laufbahn erstiegen.
Er hatte noch so viel zu wirken, was so wie er kein
andrer wirken konnte: die deutsche dramatische Kunst
hätte sein Genie so notwendig noch lange bedurft.
Und leidenschaftlich heiß liebten ihn zahlreiche Freunde,
die den Gedanken seines Todes geraume Zeit kaum
zu fassen vermochten.
Er hatte sie vollauf verdient, diese Liebe. Er
155
war ein ebenso guter als großer Mann. Er vereinigte
in seinem Wesen Hoheit der Gesinnung, Tiefe des
Gemüts und kindliche Liebenswürdigkeit. Mit der
unbeugsamen Kraft seines Willens paarte sich herz-
liche Milde, mit der Reizbarkeit seiner Laune, die sich
aus seinen vielfach feindlichen Schicksalen und seinem
Herzleiden erklärte, aufrichtige Versöhnlichkeit, mit
dem Ernst seines Geistes, der auch im geselligen Ver-
kehr unwillkürlich alles beherrschte, eine unversieg-
liche Lust an Scherz und Humor. Er liebte und
schonte jedes Wesen, das Hilfe oder Teilnahme be-
durfte, Tiere wie Menschen. Mutvolle Wahrhaftigkeit
war der Grundzug seines Charakters. Darum war er
schlicht und natürlich in seinem ganzen Gebaren, ein
Feind aller falschen Gespreiztheit. Er war stolz, aber
bei allem Bewußtsein dessen, was er wollte, konnte
und leistete, bescheiden. Wie sein Gedächtnis ihm
längst Vergangenes lebendig erhielt, so vergaß er
dankbar auch nicht, was andere ihm Gutes getan
hatten, und treu hing er an den Freunden, ob auch
Zeit und Ort sie von ihm trennten. Selbst klar in
seinem Wesen und Wollen, verlangte er dieselbe
Klarheit von denen, die mit ihm zu verkehren wünsch-
ten. Er forderte von seinen persönlichen Freunden
nicht, daß sie seine Kunst innig verstünden, noch
weniger, daß sie seinen sonstigen Urteilen und Mei-
nungen stets zustimmten. Aber er begehrte mit Recht
von jedem, daß er, ohne durch fremdes Vorurteil ver-
blendet zu sein, sein künstlerisches Streben ehrlich
kennen lerne, bevor er darüber urteile, und nicht ge-
hässig verdamme oder gar lügnerisch entstelle, was
er in der edelsten Liebe zur Kunst für sein Volk ge-
schaffen hatte.
Wagners Werke sind jetzt heimisch auf allen
größeren Bühnen Deutschlands und auf vielen des
Auslands. Werden sie auch oft nur in verstümmelter
Gestalt oder sonst unzulänglich aufgeführt, doch sind
und bleiben sie das Entzücken begeisterter Zuschauer.
156
Selbst der engsinnige Tadel unverständiger oder bös-
williger Kritiker hat dem allgemeinen Beifall endlich
weichen müssen. Kein unparteiischer Kenner unsres
jetzigen Kunstlebens leugnet den ungeheuren und zum
Teil sehr wohltätigen Einfluß, den Wagner besonders
auf die gegenwärtige Musik, und zwar ebenso auf ihre
Komposition wie auf ihren Vortrag, gewonnen hat.
Weniger haben unsre dramatischen Dichter von ihm
gelernt; doch erhielten auch sie sowie die bildenden
Künstler manche fruchtbare Anregung durch ihn.
Am reinsten aber lebt sein Geist fort in seiner
letzten großen Schöpfung, den Bühnenfestspielen von
Bayreuth. Sie waren das heilig zu haltende Ver-
mächtnis, das er seinem Volke hinterließ. Der hohe
Sinn seiner Witwe, unterstützt von treuen Freunden
seines Hauses und seiner Kunst, verwaltet dieses Erbe
mit einer selbstlosen Hingabe und künstlerischen Ein-
sicht, die über den Tadel mißgünstiger Krittler er-
haben ist. Unbedingt fehlerlos ist nichts Menschliches,
auch nicht die Bayreuther Festspiele, die von so vielen
Zufälligkeiten mit abhängen ; allein die ideale Voll-
kommenheit dramatischer Darstellung, die Wagner
selbst erstrebte, wird zur Stunde noch immer am
besten auf der Bayreuther Bühne erreicht und kann
wohl noch manches Jahr nur hier und nur durch die
erreicht werden, die es als ihren hehren Beruf er-
kennen, den letzten Willen des Meisters treu zu
wahren.
157
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Hititaumtauiiita »siam timta nmia uum uum smita
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Verzeichnis der Personennamen.
Wagners Schriften und Werke.
Anders 23.
Antike Tragiker 2. 6. 59 -62.
Apel 6.
Aristophanes 120.
Arnim 39.
Auber 15. 17. 29. 45. 122.
Avenarius, Cäcilie. geb. Gey-
er 24.
Avenarius, Eduard 23.
B.
Bach 27. 38. 135.
Bärmann 27.
Bakunin 52.
Batteux 2.
Baudelaire 95.
Bechstein 39.
Beethoven 5. 7-9. 13. 18. 21.
24 f. 27. 30. 33—35. 38.
58. 104. 118. 120. 124.
Bcllini 14. 17. 21.
Berlioz 82.
Bethmann IS.
Börne 15.
Brendel 64.
Brentano 39.
Brix 23.
Bfllow, Cosima v.. vgl. Wag-
ner, Cosima.
Bülow, Hans v. 56. 110. 113 f.
124.
Bulwer 27 f.
Burnouf 93.
C.
Challemel-Lacour 95.
Champfleury 95.
Cherubini 20. 34. 38.
Cornelius 110.
D.
Deiuhardstein 100.
Diderot 2.
Donizetti 24.
Dorn 22.
Düringer 100.
llunckcr, R. Wagner. 2. Aufl.
101
Edda 66. 70. 72 f.
Ettmüller 56. 70. 73.
F.
Feuerbach, Anselm 61.
Feuerbach, Ludwig 61.84. 111.
Feustel 123.
Fischer, Franz 142.
Fischer, Wilhelm 37. 94.
Fouque 7. 40. 72.
Frautz 115.
Friedrich , Großherzog von
Baden 94. 129.
Fröbel 114 f.
G.
Geibel 70.
Geyer, Johanna, vgl. Wagner.
Geyer. Ludwig 5 f.
Gibbon 27.
Glei'zes 136.
Gluck 3. 27. 29 f. 38. 64.
Gobineau, Graf 136. 138.
Görres 44. 148 f.
Goethe 1. 3. 7-9.24. 26 33.
38. 64. 76. 100. 125.128.140.
Göttling 49.
Gottfried von Straßburg 85 f.
88.
Gozzi 11 f.
Grillparzer 154.
Grimm, Jakob 39 f. 44. 73.
Grimm, Wilhelm 39 f. 44. 73.
Griinmelshausen 148.
Groß 123.
Gutzkow 15.
Gyrowetz 100.
H.
Hagen, August 99.
Hagen , Friedrich Heinrich
von der 70. 72.
Halevy 24.
Hauff 32.
Haydn 9. 38.
Hebbel 70.
Heckel 124.
Hegel 61. 111.
Heine, Ferdinand 37.
Heine, Heinrich 15. 23 f. 26.
32. 39. 64.
Heinse 14.
Herder 3.
Herold 10.
Herwegh 56.
Himmel 11.
Hoffmann, E. T. A. 3. 8. 11.
25 f. 36. 40. 99. 147.
Holtei. 21 f.
Homer 6.
Hugo, Victor 24. 120.
I.
Immermann 10. 36. 45.85. 148.
Junges Deutschland 14 - 16.
K.
Kalergis, Gräfin, vgl. Mu-
chanow.
Kalidasa 12.
Karl Alexander, Großherzog
von Sachsen- Weimar 129.
Keller 56.
Kietz 23.
Kittl 20.
Kleist 1. 125.
162
Klopstock 1. 76. 154.
Koenig 15. 20.
Koppen 93.
Konrad von Würzburg 45.
Kurz 85 f.
L.
Lachmann 73
Lamprecht, Pfaffe 148.
Laube 14. 18. 23. 37.
Lehrs 23. 40.
Leo 24.
Lessing 1. 3.
Levi 142.
Liszt 48. 54 f. 58. 821 94.
110. 113. 140.
Lohengrin (mittelalterliebes
Epos) 44-46. 148.
Lortzing 100. 104.
Lucas 40.
Ludwig II , König von Bayern
107 f 110 f. 113. 122. 1281
140. 142.
Lüttichau, Freiherr v. 48.
Luther 121.
M.
Marryat 32.
Marschner 13. 27. 32 - 34. 38.
451
Mehul 29.
Meistersinger 97. 99. 102. 104.
Mendelssohn -Bartholdy 38
64. 116.
Meyerbeer 17. 22 1 26. 29.
36 45. 64.
Meysenbug, Malvida v. 95.
Minnesinger 89. 102.
Mosen 28.
Mozart 3. 7. 9. 14. 25. 27.
34. 38.
Muchanow, Marie v. 95.
Müller 73. 85.
Muncker 123.
N.
Nibelungenlied 45. 70. 72.
Nietzsche 114. 134.
Nornagestssaga 72.
Novalis 90.
Nuitter 95.
O.
Oberländer 50.
Offenbach 120.
Ossian 10.
Palestrina 38.
Pecht 23.
Porges 110.
R.
Raimund 120.
Raupach 70.
Reger 100.
Richter 114. 120. 128.
Ritter 56.
Roche 95.
Röckel 52.
Romantiker 7 f. 65. 76.
Ronsard 24.
Rossini 14.
Rousseau 2.
Russell Mitford, Mary 271
163
Sachs 97- 100.
San Marte 144. 147.
Schelling 3.
Sehe urlin 24.
Schicksalstragiker 10. 75.
Schüler 1. 3.^10. 36. Vir».
Schleiermacher 3.
Schleinitz, Freifrau v. 123.
Schnorr von Carolsfeld 110.
Schopenhauer 44. 84 89 f. 93.
111. 118. 135 f. 138. 143.
Schröder-Devrient , Wilhel-
mine 14. 18. 37. 125.
Schubert 14. 24.
Scribe 20.
Semper 56. 106. 110.
Shakespeare 2. 6.10.12. 15 bis
17. 29. 118. 125. 150.
Simrock 66. 70 72. 85.
Spohr 27. 34. 38.
Spontini 29. 64.
Sulzer, Jakob 56.
Sulzei-, Johann Georg 2.
Tannhäuserlied 39—41.
Tasso 148.
Tausig 123.
Tichatschek 37.
Tieck 7. 39.
Titurel I mittelalterliches
Epos) 45.
Unland 70.
Fhlig 56.
V.
Vülemarque, de la 147.
Villot 95.
Vischer 70.
Yölsungasaga 70.
Voltaire 2.
W.
Wagenseil 99.
Wagner. Adolf 6 f. 11.
Wagner, Albert 10.
Wagner. Cosima, geb. Liszt
113 f. 117. 157.
Wagner. Friedrich 5.
Wagner, Johanna, geb. Pätz
5 f. 19.
Wagner. Minna, geb. Planer
19. 22. 58.
Wagner, Richard:
Achilleus 66
Aufsätze aus Bayreuth
124-126.134-136. 138. 143.
Aufsätze aus Paris 25 f. 30.
Aufsätze aus Riga 21.
Aufsätze aus Zürich 64.
Aufsatz über die deutsche
Oper 15. 17 f.
Autobiographische Skizze
37.
Bayreuther Blätter 134 bis
136. 138 f. 143. 154.
Beethoven 118. 120.
Beethovens Neunte Sym-
phonie 9. 38. 124 f.
Bericht über eine in Mün-
chen zu errichtende Mu-
sikschule 111 f
Bestimmung der Oper 122.
164
Wagner, Richard:
Bianca und Giuseppe 20 f.
Bursche, der auszog, um das
Fürchten zu lernen 66. 68.
Deutsche Kunst und deut-
sche Politik 115 f. 134.
Ende in Paris 25.
Entwurf zur Organisation
eines Nationaltheaters für
Sachsen 50. 52. 64.
Erinnerungen an Aubcr
121 f.
Faust-Ouvertüre 13. 24 f.
Feen 10-15. 17. 30.
Festmarsch für Nord-
amerika 128.
Fliegender Holländer 13.
27. 30.32-37. 42. 58. 64 f.
78. 95. 110. 132.
Friedrich Rotbart 48 f.
Fünf Gedichte 93.
Gesänge zu G oethes Faust 9.
Gesammelte Schriften und
Dichtungen 121.
Geschichte seines Lebens
114.
Glückliche Bärenfamilie 21.
Götterdämmerung 48 f. 66.
68-70 73—76. 88. 124. 150.
Hochzeit 10 f.
Huldigungsniarsch 110. 121.
128.
Jesus von Nazareth 49 f.
Judentum in der Musik 64 f.
Kaisermarsch 120 f. 124. 128.
Kantate zum Neujahr 18.
Kapitulation 120.
Klavierkompositionen 9. 24.
Wagner, Richard:
Konzertouvertüren 8. 20 f.
Kunst und Klima 60.
Kunst und Revolution 59 f.
Kunstwerk der Zukunft 60
bis 62. 64. 82.
Leubald 6 f.
Liebesmahl der Apostel 38.
Liebesverbot 15—19. 23. 34.
Lieder 24.
Liszts symphonische Dich-
tungen 82 f.
Lohengrin 13. 36. 43—48.
58. 65. 78-80. 95. 113.
128. 144.
Meistersinger 43. 97—100.
102-104. 107. 113 f.
Mitteilung an meine
Freunde 65. 95.
Nachruf auf Fischer 94.
Oper und Drama 60 — 62.
64 f. 82. 95. 122.
Parsifal 93 f. 139 f. 142 bis
144. 146—150. 152—154.
Pilgerfahrt zu Beethoven
25.
Religion und Kunst 136.
138. 143.
Rheingold 68 f. 74 f. 103.
113. 150.
Ricnzi 13. 21-24. 37-30.
32. 35-37. 48. 58.
Ring des Nibelungen 65.
68—70. 72—76. 78—80.
82-86. 89 f. 92 f. 97. 103 f.
106. 110. 122. 127 f. 132. 150.
Schäferspiel 8.
Schauspieler u. Sänger 125.
165
W ag n er , Rieh a r d :
Sieger 93. 146.
Siegfried 68—70. 74 - 76.
99 110. 117.
Siegfried-Idyll 117 f.
Siegfrieds Tod, vgl. Götter-
dämmerung.
Staat und Religion 111.
Symphonien 9. 18. 154.
Tannhäuser 18 36—14 471
54. 58. 64 f. 82. 95 f. 102.
110. 128.
Tristan und Isolde 85188
bis 90. 92—97. 103 f. 110.
128. 139.
Über das Dirigieren 116 f.
Walküre 68 f. 73-76. 113.
Wibelungen 49.
Wieland der Schmied 66.68.
Wiener Hofoperntheater
106 f.
Zukunftsmusik 95 f.
Wagner, Rosalie 10.
Wagner, Siegfried 117.
Wartburgkrieg 401 44. 147.
Weber, Dionys 9.
Weber, Ernst v. 136.
Weber, Karl Maria v. 6. 13 f.
18. 27. 30. 34. 38. 44.
Weinlig 9 f.
Weißheimer 107.
Wertlies 10.
Wesendonck, Mathilde 56. 58.
85. 88. 93. 98.
Wesendonck, Otto 56. 58. 88.
98.
Wieland 1. 3. 76.
Wilhelm I., deutscher Kaiser
12'.).
Wilkinasaga 66. 72.
Wille, Eliza 56. 107.
Wille, Francois 56.
Wolff, 0. L. B. 12.
Wolfram von Eschenbach
44 f. 1431 146—148.
Wolzoyen, Freiherr v. 134.
166
Verzeichnis der Abbildungen.
1. Geburtshaus Wagners in Leipzig. S. 7.
2. Richard Wagner nach einer Zeichnung von E. B. Kietz
(1850). Nach dem Lichtdrucke in Joseph Kürschners
Wagnerjahrbuch (Stuttgart 1886). S. 31.
3. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Rheingold
Szene 1). Nach der Originalskizze von Professor Brückner
in Koburg. S. 51.
4. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Walküre
Akt I). S. 57.
5. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Walküre
Akt III). S. 63.
6. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Siegfried
Akt I). S. 67.
7. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Siegfried
Akt II). S. 71.
8. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Götter
dämmerung, Akt I). S. 77.
9. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Götter
dämmerung, Akt II). S. 81.
10. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Götter
dämmerung, Akt III). S. 87.
11. Dekorationsskizze zum „Ring des Nibelungen" (Götter
dämmerung, Schluß). S. 91.
12. Dekorationsskizze zu „Parsifal" (Aktl, Szene 1). S. 101
13. Dekorationsskizze zu „Parsifal" (Akt I, Wandeldekora
tion). S. 105.
167
14. Sempers Entwurf des Münchner Festspielhauses. S. 109.
15. Wagners Wohnhaus in München, Briennerstraße Nr. 18.
S. 112.
16. Richard Wagner nach einem Gemälde von Franz v. Len-
bach (1874). Nach der Photogravüre der Verlagsanstalt
Bruckmann in H. S. Chamberlains „Richard Wagner"
(München 1896). S. 119.
17. Bayreuth, vom Bühnenfestspielhaus aus gesehen. S. 1:24.
18 Wagners Wohnhaus ..Wahnfried" in Bayreuth. S. 126.
19. Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. S. 127.
20. Der Zuschauerraum des Bühnenfestspielhauses zu Bay-
reuth. S. 129.
21. Der Gralstempel. Nach der Originalskizze von Professor
Brückner in Koburg. S. 131.
22. Richard Wagner nach einer Photographie von Elliot
und Fry (London 1877). S. 133.
23. Dekorationsskizze zu „Parsifal" (Akt 11. Szene 1). S. 137.
24. Dekorationsskizze zu „Parsifal" (Akt II, Szene 2). S. 141.
25. Dekorationsskizze zu „Parsifal" (Akt III, Szene 1). S. 145.
26. Richard Wagner nach einer Photographie von J. Albert
(München 1880). S. 151.
27. Wagners Sterbehaus, Palazzo Vendramin in Venedig.
S. 155.
28. Wagners Handschrift. Nach dem im Besitze des Ver-
fassers befindlichen Autogramm der Rede Wagners bei
der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses
am 22. Mai 1872. S^ 159.
29. Titelbild. Richard Wagner nach einer Radierung von
Hubert Herkomer (London 1877).
30. Doppelbild I. Aus der Originalpartitur der „Walküre"
(Akt I). Nach der im Nachlasse König Ludwigs IL be-
findlichen Originalpartitur. Hinter S. 160.
31. Doppelbild IL Aus der Originalpartitur der „Walküre"
(Akt III). Hinter S. 160.
32. Doppelbild III. Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth.
Einteilung dos Zuschauerraums. Hinter S. 168.
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Links
Das Bühnenfestspielhaus zu Bayieuth. Einteilung des Zuschauerraums.
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Richard Wagner