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Full text of "Roemer und Romanen in den Dinaulændern: Historisch-ethnographische Studien"

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I* 



ROEMER UND ROMANEN 



IN DEN 



DONAULJlNDEßN. 



HISTOEISCH-ETHNOGßAPHISCHE STUDIEN 



VON 



D"- JULIUS JUNG, 



PBIVATD0CENT£1II DEB aESCHICHTE AN DER K. K. ÜNIVEBSITAET ZU INNSBRUCK. 




INNSBEUCK. 



ii 



V£KI.Aa DBB WAGNEB'SCBEN UNIVEBSITAETS-BUCHHANDLUMa. 

1877. 

C2J . e . ^F^. 



DRUCK DER 



ly iC f^ K £ B * SCHEN ÜNIYEBSltyJtS-BUCHDBUCKEREI. 



MEINEM HOOHVEEEHßTEN LEHBEB 



HEBBN HOFBATH PROFESSOR 



D" JULIUS FICKEß 



DAM6AA ZUClSElOKEr. 



A* 



EINLEITUNG. 

Die Bedeutung der römischen Epoche für die Donau- 
landschaften. Die Quellen ihrer Geschichte. Ethnogra- 
phische Probleme. 



Wenn man römische Geschichte studirt, soll man dabei nie 
vergessen, dass ein grosser Theil der Gebiete, die jetzt Deutsch- 
land's und Oesterreich^s Machtbereich ausmachen, durch ein halbes 
Jahrtausend hindurch die Schicksale des römischen Beiches ge- 
theilt hat, während dessen die Donau, wie der Bhein, nicht nur 
Bom's Grenze sondern auch Bom*s Ströme gewesen sind. Und 
es war ein scharfes aber richtiges Wort, das Th. Mommsen einmal 
aussprach ^) , als er „ die kindliche und nicht selten auch recht 
kindische Weise* tadelte, in der man von alter Geschichte oft 
nicht mehr hegt und pflegt als die nicht sehr bedeutenden An- 
fänge derselben, während die nachfolgenden Entwickelungen von 
weit grösserer Bedeutung gewesen sind und daher auch vielmehr 
zu eingehender Betrachtung uns auffordern. Das gilt namentlich 
von der römischen Kaiserzeit. 

Freilich der grosse dramatische Beiz, den die Geschichte der- 
Bepublik und die grossen Thaten jener Zeit auszuüben vermögen, 
liegt der kaiserlichen Epoche fem; das Spiel der Intriguen und 
der Politik entzieht sich unseren Blicken, die „arcana imp^* 
verdecken die Einsicht der Dinge. Gleichwol hat Ehrend dieser 



^) Die Schweiz in römischer Zeit S. 24. 



VI 

Jahrhunderte jich eine Entwicklung vollzogen, die von so bedeuten- 
den Folgen für die europäische Menschheit .begleitet gewesen ist, 
dass sie bis auf unsere Tage nachzuwirken nicht aufgehört haben. 

Dass wir noch immer nach dem Rechte leben, das damals 
codificirt worden ist, dass der Glaube, den wir bekennen, aus jener 
Zeit stammt, ist Jedermann bekannt : in die wichtigsten Verhält- 
nisse unseres socialen und staatlichen Lebens greifen die Normen 
des kaiserlichen Som ein. Und nicht das allein : selbst ein grosser 
Theil der Nationen, die heute das Schicksal Europa's und der Welt 
bestinmien, verdankt seine gegenwärtige Existenz der genannten 
Epoche, während deren in den barbarischen Landschaften West- 
europa's aus Iberern, Kelten, niyrem, oder, modern gesprochen, 
aus Basken, Galen, Albanesen, sowie aus den Baetem die ein- 
zelnen Zweige der grossen «lateinischen Sage^ sich gebildet haben, 
die im Mittelalter und in der neueren Zeit im Vereine mit den 
Staatenbildungen der Germanen und theilweise auch der Slaven 
die Geschichte unseres Erdtheils und seiner Colonien gemacht 
haben und gegenwärtig noch machen. Auf alle Nationen, die 
so das »europäische Concert* bilden, hat der Geist Eoms ein- 
gewirkt; abgesehen von jenen romanischer Zunge, den Italienern, 
Spaniern, Franzosen und Portugiesen, von denen die drei ersteren 
nacheinander die Hegemonie in Europa gehabt haben, ist die Wie- 
deraufrichtung des römischen Eeiches in alter Macht und Herr- 
lichkeit von den Deutschen im Westen, von den Slaven im Osten 
zum Ideal ihrer Politik gemacht worden, das zu realisiren Ströme 
von Blut vergossen wurden. Und wenn schliesslich in dem „Kampf 
um Eom • die Kräfte der einzelnen Parteien sich die Wage hielten, 
so hatte auch das die wichtigsten Folgen: die Völker Europa's, 
rührig geworden in dem langen und mörderischen Eingen, wo die 
höchsten geistigen Interessen der Menschheit, Vaterland und Eeli- 
,gion, auf dem Spiele standen, wandten jetzt ihre Aufmerksamkeit 
nach aussen auf materielle Dinge und colonisirten in immer wei- 
teren Kreisen den Umfang des Erdballs. 

So die Deutschen, so lange sie noch eine einheitlich orga- 
nisirte und mächtige Nation waren, im früheren Mittelalter weite 
Gebiete im Herzen Europa's rings uin ihr Stammland; die Ita- 
liener, denen sich alsbald Franzosen und Spanier anschlössen, die 
ganze Levante; das wichtigste unmittelbare Besultat, das die 



„Kreuzzfige* gehabt haben. Und als schliesslich das Becken des 
Mittelmeeres den seefahrenden Nationen zu eng wurde, da ward 
AMca umschifft, der Seeweg nach Ostindien gefunden, America 
entdeckt und mit europäischen Colonisten besiedelt. Um dieselbe 
Zeit begannen die Slaven, früher überall zurückgedrängt von Ger^^ 
manen und ^Bomäem^, sich in Asien auszudehnen und den Norden, 
in der Folge auch das Centrum dieses Welttheiles mit russischer 
Cultur und Disdplin zu erfdUen. 

Eine solche Epoche der Expansion nach aussen hat nun 
einstens auch die römische Nation erlebt, als sie nach dem Aus- 
toben der Bürgerkriege und dem Sturze der Bepublik die west- 
lichen Provinzen ihres Beiches sich anglich und sie romanisirte 
in derselben Weise, wie America angelsächsisch, spanisch, portu- 
giesisch ward durch seine Colonisatoren. 

und auch weiterhin lässt sich die Analogie verfolgen, üeber 
die Thaten der Conquistadoren und über die Verpflanzung der 
germanischen, romanischen und slavischen Nationen nach den 
grossen Besitzungen und Colonien ausserhalb Europa^s, über die 
verschiedenen Schicksale der herrschenden Bage daselbst und ihr 
Verhältniss zu den Eingeborenen sind wir durch zahlreiche Be- 
richte aus älterer und neuerer Zeit belehrt. Die administrativen 
Einrichtungen, die militärische Organisation in den verschiedenen 
Landschaften tritt in buntem Bilde uns entgegen: in Indien die 
europäische Armee, daneben die Auxiliartruppen der Eingebomen, 
die auch grösstentheils von englischen Offizieren befehligt werden ; 
in den spanischen Colonien von America geleiten uns die cläs- 
sischen Schriften Alexander^s von Humboldt zu den kleinen Mili- 
tärposten im aequinoctialen Innern des Erdtheiles bis zum Ama- 
zonenstrom hin ; in den russisch-asiatischen Landen begegnen uns 
die Militarcolonien und das Leben in den kleinen Festungen an 
der Grenze. Es ist dann von besonderem Interesse für uns zu 
sehen, warum z. B. in America in einzelnen Gebieten, wie den 
Vereinigten Staaten, das colonisatorische Element in dem Grade 
überwog, dass die einheimische Ba^e immermehr dahinschwand 
und dem Aussterben entgegengeht; während anderswo z. B. in 
Mexico das indianische Element bereits in erfolgreicher Beaction 
gegen die weisse Ba^e begriffen ist und eine Zukunft hat. Wie 
es auch bemerkenswert ist, dass z. B. die Bussen in Asien immer 



vm 

weiter vordringen und mit Leichtigkeit die dortigen Stämme sich 
assimiliren, während den Engländern in Ostindien nicht das gleiche 
gelingt. Das hat mancherlei Ursachen. In America hängt der 
ungleiche Erfolg der Colonisation mit dem Umstände zusammen, 
dass in Mexico die Spanier sich niederliessen zur Ausbeutung der 
Metallschätze des Landes ; was am Ende doch nur Sache weniger 
Ansiedler sein konnte, die die Eingeborenen zu den Arbeiten 
benutzten. In den , Vereinigten Staaten" hat dagegen von An- 
fang an das ackerbauende Element des Nordens unter den An- 
siedlem überwogen, wogegen die sclavenzüchtenden Pflanzer des 
Südens in der Minorität blieben. So erlangte nach wenigen Jahr- 
hunderten in America das angelsächsische Element eine Bedeutung, 
die jene des Mutterlandes zu überflügeln alle Aussicht hat, während 
die spanischen Besitzungen lange genug nur ausgebeutiöt wurden, 
ohne dass die herrschende Bage auch gearbeitet hätte; abgetrennt 
von dem Stammlande und ohne Nachschub aus demselben lebt 
sie von dem Beste der Macht vergangener Zeiten, von ihren Un- 
terthanen gehasst und bedroht. 

In Asien aber haben die Bussen Erfolg mit ihren Bestre- 

r 

bungen, weil sie nicht so wol durch ihre Abstammung als durch 
ihre geographische Lage und ihre socialen Verhältnisse mit Jen 
Baschkiren und Turkmannen leicht sich verständigen, diese sich 
ihnen daher in Bälde assimiliren; die Engländer in Ostindien 
hingegen stehen eben wegen ihrer höheren Cultur den Eingebo- 
renen schroff gegenüber und finden an deren heimischer Bildung 
selbst den grössten Widerstand. 

So lagen aber einst die Dinge auch im »Orbis Bomanus*, 
im römischen Beiche. Der hellenistisch-orientalischen Civilisation 
standen die Bömer ähnlich gegenüber, wie die Engländer den 
Hindus. Und selbst in den westlichen Landschaften, die roma- 
nisirt wurden, war der Erfolg ein sehr verschiedener. 

Spanien und Gallien und Africa haben in jener Epoche einen 
ausserordentlichen Aufschwung genommen und dem Bömertum 
sich völlig hingegeben: in der Litteratur wie in der politischen 
Geschichte überragen sie durch Jahrhunderte sogar das italische 
Mutterland weit an Bedeutung. Anders war es im femgelegenen 
Britannien, wo das Bömertum doch auch vierhundert Jahre lang 
geherrscht hat: anders in den Italien näher gelegenen Landschaften 



rx 

an der Donau, dem von den Bömem sogenannten Illyricum. Hier 
wie dort ist das römische Wesen verkümmert : in Britannien findet 
sich keine Spur mehr davon; ebenso wenig in Pannonien, wo es 
einst eine reiche Entwicklung gezeitigt hatte ; in Noricum und in 
ßaetien erlag es dem Andränge der Slaven und der deutschen 
Colonisation ; im alten Dakien blieb es bis auf unsere Zeiten ge- 
knechtet und vergessen. Deutsche, Slaven, Magyaren allein haben 
hier, seitdem die Herrschaft des römischen Reiches gebrochen 
war, eine politische Eolle gespielt, nie aber die Eomanen, die 
jetzt noch in überwiegender Anzahl jene Gegenden bewohnen. 
Dabei haben — was damit wol im engsten Zusammenhang steht 
— diese Gegenden in römischer Zeit nicht litterarisch sich her- 
vorgethan; nur eine ärmliche Litteratur, für den Hausgebrauch 
des Volkes bestimmt, hat hier sich entwickelt. 

Dann ist auch die geographische Lage dieser Eomanen an 
der Donau beachtenswerth genug. Nur in den Bergen des Ostens 
und Westens haben sie sich erhalten, das Flachland an der Donau 
haben die Nationen eingenommen, die nachher die Herrschaft er- 
rangen. Auch dies gibt zu mancherlei Betrachtungen Anlass. 

Das romanische Volkselement hat hier die passive Unterlage 
gebildet für die Action der später sich festsetzenden Nationen. 
Ein wichtiges Kapitel der allgemeinen Colonisationsgeschichte. 
In mannigfach verschiedener oder auch wieder ähnlicher Weise 
ist das bunte ethnographische Bild entstanden, das jetzt die Karte 
der Donauländer auszeichnet und den. Staatsmännern des Saecu- 
lums so vielen Verdruss macht: die Geschichte jener Landschaften 
besteht eben zum guten Theile in der Action und Eeaction, die 
die verschiedenen Volkselemente auf einander ausübten und 
ausüben. 

Von diesem Gedanken geht das vorliegende Buch aus: es 
soll darin das Werden und die Existenz des romanischen Ele- 
mentes in den Donaulandschaften scizzirt werden; erst die Herr- 
schaft der Eömer, ihre Verwaltung, ihr Militärwesen, ihre städti- 
schen Einrichtungen, der Culturzustand der Zeit; endlich der 
Sturz Eoms und das Fortleben der Donauromanen, bis aus dem 
Dunkel der Geschichte des Mittelalters die Verhältnisse so weit 
sich crystallisirt haben, dass die moderne Entwicklung eben nur 
noch eine Frage der Zeit war. 



X 

Es sind eigentümliche Quellen, die für die Erkundung dieser 
Verhältnisse dem Forsdier zu Gebote stehen. 

Da nimmt den ersten Bang ein die lateinische Epigraphik, 
die Kunde der römischen Inschriften. Die Epigraphik ist seit 
Boeckh zu einer der wichtigsten Hilfsdisciplinen der alten Ge- 
schichte herangewachsen; für das Studium der römischen Kaiser- 
zeit ist sie geradezu unentbehrlich. Von den Schriftstellern der 
Epoche ist uns nur wenig erhalten und di^e Auswahl aus dem 
Erhaltenen ist zudem nicht immer eine glückliche zu nennen ; prag- 
matisch zusammenhängend ist nur die Darstellung in den Werken 
des Cornelius Tacitus und bei Amnüanüs Marcellinus. Und ge- 
rade bei diesen Schriftstellern treten die Fehler der zeitgenössi- 
schen Historik am klarsten in^s Auge. Was z. B. Tacitus be- 
richtet, bezieht sich in erster Linie auf die Vorgänge am kaiser- 
lichen Hofe und im römischen Senate: die regierenden Kreise. 
Nebenher wird auch erwähnt was etwa in Italien, dem herrschenden 
Lande, geschah. Von dem ganzen übrigen Eeiche, von dea Pro- 
vinzen, ist fast nur die Bede, wenn die auswärtigen Verhältnisse 
es erforderten: über den Gang der Verwaltung, das Befinden der 
Unterthanen, wie der Bürger dortselbst, erfahren wir aus den Schrift- 
stellern so gut wie nichts. 

In diese Lücke nun treten die epigraphischen Quellen ein, 
aus ihnen müssen wir die Entwicklung und das Wesen der pro- 
vindellen Zustände zu reconstruiren versuchen. Es war römische 
Sitte in jener Zeit, bei jeder möglichen Gelegenheit ein Ereignis 
durch Setzung eines inschriftlichen Steines der Nachwelt zu über- 
liefern. Die betreffenden Steine erfüllen aber noch jetzt nach 
anderthalb Jahrtausenden den ganzen Umfang des einstigen „ Orbis 
Bomanus * als Besiduum des öffentlichen Lebens jener gewaltigen 
Epoche. Aus ihnen erfahren wir zwar nicht die Geschichte, aber 
doch die Zustände, die damals in den römischen Provinzen ob- 
walteten: die Administration, die militärischen Einrichtungen, die 
municipalen Verhältnisse und deren Entwicklung lassen daraus 
sich entnehmen. Und indem dies Material über den ganzen Baum 
ziemlich gleichmässig vertheilt ist, wird dadurch eine Vergleichung 
der einzelnen Landschaften ermöglicht: so bieten die Inschriften- 
steine uns eine weit unbefangenere Einsicht, als die Trümmer 
der Litteratur, die in ganz zufölliger Auswahl auf uns kamen und 



XI 

für Landschaften, die eine reichlichere einheimische Litterator 
nicht hervorbrachten, noch weniger von Betracht sind. 

Die Sammlung und Sichtung der Inschriften, die in den 
Landschaften an der Donau bisher zu Tage kamen, — es sind 
deren über sechstausend Nummern — war die unerlässliche Vor- 
bedingung, die erfQllt sein musste, ehe eine Darstellung der Ent- 
mcklung der Donauprovinzen unter römischer Herrschaft versucht 
werden durfte und konnte. 

Diese Aufgabe ist unter den Auspicien der Berliner Akademie 
durch Th. Mommsen, den Meister römischer Geschichtschreibung 
und Forschung, gelöst worden. Die Inschriften Illyricums ftQlen 
den vor wenigen Jahren der OeflFentlichkeit übergebenen dritten 
Band der Sammlung der lateinischen Inschriften *). 

Bereits ist auch der Anfang gemacht, das gesammelte Ma- 
terial zu verarbeiten. Mommsen selbst gieng auch hierin voran. 
Es sind da vor allem zu erwähnen • die Aufsätze über » das Edict 
des K. Claudius über das römische Bürgerrecht der Anauner vom 
J. 46 n. Chr.* im vierten Bande des von E. Hübner herausge- 
gebenen »Hermes* (1869); worin auch auf die Verhältnisse in 
den Donauprovinzen mancherlei Licht geworfen wird; dann über 
.die römischen Lagerstädte* im siebenten Bande derselben Zeit- 
schrift (1873). Femer schlagen die Arbeiten über das römische 
Namenwesen hier ein, das für die Geschichte der fortschreitenden 
Eomanisirung unserer Landschaften und die Elemente, welche 
dieselbe bedingten, so wichtig ist. In dieser Beziehung sind her- 
vorzuheben die „ Quaestiones onomatologicae * von E. Hübner, die 
dem zweiten Bande der Ephemeris epigraphica (1874) einverleibt 
sind 2). Die Fortschritte in der allgemeinen Kenntnis des römi- 
schen Municipalwesens, der militärischen Verhältnisse sind gleich- 



') Corpus Inscriptionum Latinarnm vol. III. Zwei Theile, Berlin 1878. Der 
onte Theile enthält (ausser den Inschriften aus den lateinischen Bndaven des Ostens) 
die Denlunale von Dalmatien, Dacien, Moeslen, Pannonien; der zweite die ron No- 
ricnm und Baetien; zugleich die Milit&rdiplome und die siehenhürgischen Wachs- 
tafehi. — Hiezu kommen als Nachtrag die »Additamenta ad Corporis vol. III* in 
der »Ephemeris epigraphica, Corporis inscriptionum Latinarum snpplementum edita 
insBu instituti archaeologici Bomani* cura G. Henzeni, J. B. Bossii, Th. Mommsen!, 
6. WOmannsii. Bd. n. (1875) p. 287—482. 

«) p. 24—92. 



xn 

falls wieder für das Verständnis der speciell an der Dojiau ob- 
waltenden Zustände nicht zu entbehren: auch hierüber ist die 
Forschung nicht abgeschlossen, sondern im Fortgange begriffen, 
da täglich neues Material zu Tage kommt und die Sammlung 
und Codificirung desselben noch einige Jahre in Anspruch nehmen 
wird ^). 

Bis zur Mitte des dritten Jahrhunderts bilden so die epi- 
graphischen Denkmale die Hauptquelle unserer Erkenntnis der 
provinciellen Verhältnisse. Dazu gehören neben den Inschriften der 
Steine im weiteren Sinne auch die Aufschriften der Münzen ; Nu- 
mismatik und Epigraphik stehen als Schwesterdisciplinen im 
engsten Zusammenhang mit einander. Namentlich für die Zeiten 
der Auflösung der römischen Herrschaft, wo ganze Münzschätze 



*) Es wird sich dabei namentlich handeln um die genaue Yergleichung sämmt- 
licher romanisirter Landschaften des Reiches, um die Feststellung der Aehnlichkeiton, 
wie der Verschiedenheiten im Entwicklungsgange der einzelnen. Einiges ist bereits 
constatirt worden, z. 6. gewisse Verschiedenheiten der Scpulcralformeln in Illyricum 
Ton jenen in Gallien und beider von jenen in Italien. Wobei sich doch auch wie- 
der Uebergänge bemerkbar machen. Der Typus der Inschriften im südlichen Baetien 
und selbst noch in Augsburg ist italisch, ebenso im südlichen Noricum (Virunnm) 
und Pannonien (Emona), wie denn die italische Grenze in den letzteren Gegenden 
später Torgerückt wurde. Jede einzelne Provinz, ja jeder Stadtbezirk hatte wieder 
seine Besonderheiten ; ein Zustand, der in Italien z. B. ja noch andauert wo fast 
jede Stadt ihren eigenen Dialect hat: so in Oberitalien Venedig, Padua, Verona, 
Bergamo, Mailand u. s. w. Vgl. Gh. Schneller im Programm des Innsbr. Gymn. 
1869. Daher sagt Mommsen mit Bezug auf die Inschriften : »Alia ratio est aucto- 
ritasque diversa titulorum publicorum et privatorum, urbanorum et Italicorum et 
provincialium, profectorum a nobilibus eruditisque hominibus et plebeiorum, in bis 
longo diversa rursus eorum quos dictaverunt homines ex plebe urbana Graecanids 
ut moribus ita locutionibus affecta quosque rustici in villis saltibusque Italiae de- 
gentes vel campestres litterati yel semibarbari in provinciis remotis etiam Graecae 
partis imperii homines, qui latini sermonis ius magis quam usum impetrassent, in- 
cidendos curaverunt.* — Auch die Zeit brachte Unterschiede mit sich, namentlich 
bildet Diodetian's Epoche wie in politischer, so merkwürdiger Weise auch in dieser 
Hinsicht einen Wendepunkt. Das alles muss beachtet werden, »ut per gradus per- 
veniatur ad Latinae litteraturae vices secundum aetates et regiones accurate definiendas et 
quasi dixerim unicuique soloecismorum et barbarismorum generi suos fines adsignan- 
dos.* So würde man den Uebergang aus dem Latein zum Komanismus verfolgen 
können: z. B. wie es kam, dass der Gebrauch von »suus* im Latein ein anderer war, 
als jetzt im Italienischen und Französischen u. s. w. Mommsen, Ephem. epigr. 
I, 77 ff. 



xin 

vergraben ynirden, sind dieselben für die Peststellung der Epoche 
der einzelnen Katastrophen von der grössten Wichtigkeit: die 
jüngsten Münzen, die in den MassenfiOlBen sich vorfinden, liefern 
hiezu den Anhaltspunkt. 

Dann zugleich mit dem grossen politischen Bank^likytt und 
dem nachfolgenden Umschwünge im 'Eeiche, der seit dieser Zeit 
sich vollzog, tritt jene Art von "Quellen mehr und mehr zurück. 
An ihre Stelle rücken andere: die niedere kirchliche Lit- 
ter atur, Predigten, Martyreracten, Heiligenleben u. 8. w., woraus 
wir die herrschenden Zustände uns klar machen müssen: nach 
wie vor ist die eigentliche Geschichtschreibung dei* Zeit keine 
Quelle für ethnographische und culturelle Verhältnisse. Doch 
darüber wird später ausführlicher gehandelt werden, in dem Ca- 
pitel unserer Arbeit, das mit den litterarischen Verhältnissen der 
Epoche sich beschäftigt; worauf ich verweise. 

Dagegen ist hier noch über eine dritte Art von Quellen einiges 
zu bemerken, deren wir uns werden zu bedienen haben ; nemlich die 
Namenforschung. Es ist ein Satz, der sich von selbst versteht, 
dass jedes Volk die Oertlichkeit, wo es sich niederlässt, nach seiner 
Sprache benennt. Das Volk geht dann wol auch zu Grunde, die 
Oertlichkeit bleibt und die neuen Einwanderer und Colonisten 
welche die alten Bewohner beerben, übernehmen von diesen die 
Namen. Ein Vorgang der sich natürlich auch wiederholen kann, 
so dass wol in einem Lande die Ortsnamen in mehrfacher Schich- 
tung sich vorfinden, den Epochen der einzelnen Nationen ent- 
sprechend, die hier gewohnt und die Gegend bebaut haben. 

Dies ist nun aber der Fall in allen Gegenden des einstigen 
»Orbis ßomanus"; sprechen wir zunächst von der westlichen 
Hälfte desselben. Hier können wir überall drei Epochen unter- 
scheiden: vorrömische, römische, nachrömische Zeit: so in Italien 
und Aüica nicht weniger als in Gallien und ßaetien. Die Namen 
haben wol in der Folge einige Aenderung erlitten; indem in den 
verschiedenen Epochen eine Assimilirung der alten Namen an den 
neuen Sprachgenius, oft durch sinngetreue Uebersetzung oder 
Ümdeutung, versucht worden ist. Auch hat es nie daran gefehlt, 
dass man die unverständliche Nomenclatur durch vulgäre Etymolo- 
gien sich mundgerecht zu machen versuchte. So sind z. B. in 
der heutigen Regentschaft Tunis die Ortsnamen zum guten Theil 



XIV 

noch dieselben, wie in römischer Zeit und die Römer selbst haben 
sie bei der Erobenmg schon vorgefunden und höchstens modificirt. 
Die Araber, die die BAam dann ablösten, thaten dasselbe. Die 
alten Namen des Ortes Begua und des Yolksstammes der Musu- 
lamii, die auf den römischen Ii^chriften (letzterer auch wiederholt 
bei Tacitus) genannt werden, lauten jetzt mit geringer Aenderuug 
Begar und Msahel. Das heutige Eissira ist das Chusira der 
lateinischen Inschriften. Die Eingeborenen aber haben für letztere 
Ortsbenennung ihre eigene Etymologie sich zurechtgesetzt; das 
Wort bedeutet arabisch »Brod"^ in Folge dessen wird dem Pro- 
pheten Mohammed das Wunder einer dort vorgenonmienen Brod- 
vermehrung insinuirt ^}. 

Nun, nicht viel anders liegen die Dinge in Saetien und es 
haben hier die Landpfarrer seinerzeit mit Hilfe des Griechischen 
und des Hebräischen ähnliche Erklärungsversuche gemacht, vne 
jene africanischen Frommen aus dem Arabischen; bis auch hier 
die wissenschaftliche Forschung dem Treiben ein Ende machte. 
Dies Verdienst aber erwarb sich Ludwig Steub, der Begründer 
der raetischen Ethnologie überhaupt und der romanischen Namen- 
forschung insbesondere. 

Nicht als ob auch er gleich im ersten Anlaufe das richtige 
getroffen hätte. In der Schrift über «die Urbewohner Baetiens", 
die im J. 1843 erschien, woUte er noch alle fremdklingenden 
Ortsnamen im heutigen Deutschtirol als raetisch erklären und 
sie mit Hilfe des EtrusUschen allein deuten. 

Aber schon das Jahr darauf stellte er die Thesis auf, dass 
in der Nomendatur der tirolischen Orte, Berge, Höfe u. s. w. eine 
dreifache sich mannigfach kreuzende Schichtung zu bemerken sei : 
eine raetische, eine romanische und eine deutsche. Der frucht- 
bare Gedanke ward von seinem Urheber weiter verfolgt und in 
geistreichen Schriften dargelegt, auf deren Grundlage alle weiteren 
Forschungen über die ethnographischen Verhältnisse der Land- 
schaften des alten Baetiens und was sich daran knüpft, aufgebaut 
werden müssen. 

Nach SteuVs Manier sind für andere Gegenden Deutschlands, 
die einst römisch waren, ähnliche Arbeiten unternommen worden; 



^) Vffl. G. Wilmaims in der Ephemeris epigr. II, p. 271 f. 



XV 

ftr die schwäbischen Gebietstheile sind A. Bacmeister's » Aleman- 
nische Wanderungen** (1867) zu erwähnen; auf der Untersuchung 
und Ausbeutung der hessischen Ortsnamen beruht W. Arnold's 
Werk «Ansiedlungen und Wanderungen deutscher Stämme", das 
vor kurzem erschienen ist *) : in beiden Werken wird das vor- 
römische, römische und deutsche Ortsnamenmaterial zur Illustri- 
rung der betreffenden Epoche verwerthet 2). 

Es ist aber die Namensforschung eine der wichtigsten Disci- 
plinen, welche bei der Lösung ethnographischer Fragen beigezogen 
werden müssen. In richtiger Würdigung dessen hat L. v. Bänke 
auch einmal den Vorschlag gemacht, alle Ortsnamen in Deutsch- 
land zu sammeln und zu verwerthen ^) und an Vorarbeiten hiezu, 
wie Foerstemann^s Namenbuch u. a., fehlt es nicht. 

Für die Landschaften des römischen Illyricums ist nun aber 
die Namenforschung von um so grösserer Bedeutung, als in ethno- 
graphischer Beziehung noch eine Beihe von Fragen der Lösung 
harren, für die andere Quellen uns fehlen. Ueber die Intensität 
der Bevölkerung, über den schnelleren oder langsameren Gang 
der ßomanisirung in den einzelnen Provinzen und verschiedene 



*) Marborcr 1875. 1876. In der Kinleitang, wo Ober den gegenwartigen 
Stand der Namenforschung in Deutschland gehandelt wird, ist sonderbarer Weise 
Steub gar nicht erwähnt. Ueber die römischen Ortsnamen längs des Ffahlgrabens 
s. S. 87 flf. Im Uebrigen rgl. man W. Scherer^s Secension in der Jenaer Litte- 
ratorzeitnng, 22. Juli 1876; worin einige zu weitgehende Folgerungen des Verfas- 
sers zurückgewiesen werden. 

') Namentlich am Bhein wäre für die Geschichte des dortigen Bomanismns 
noch manches zu thun. Ueber die romanischen Namen im Schwarzwald Tgl. Steub, 
KL Schriften III. 814: »Als ich roi einigen Jahren durch den Schwarz wald wan- 
derte, war ich wirklich überrascht, im Innern desselben Ortsnamen zu finden, wie 
Bavemia, Bach im Höllenthal (royina, in Tirol Rafein, Bergbruch), Kostgfäll, Ort im 
Sifflonswald (costa di cayallo, in Tirol Kostgflel, Bosshalde), Salpest, Wald bei 
Triberg, wol Silvester ?< »Ich yermuthe, — filhrt Steub fort — dass sich auch 
aa der Mosel noch romanische Flurnamen, vieUeicht in ziemlicher Anzahl, er- 
halten haben, aber ich habe noch nie Zeit gefunden, mich näher nach ihnen um- 
msehen.* 

') In Oesterreich sind ähnliche Vorschläge auf Abfassung eines »topographi- 
schen Lexioons* bereits ror zwanzig Jahren gemacht worden. VgL Schmidl, das 
Bihargebirge, S. 408. 



XVI 

andere statistische Verhältnisse geben die Inschriften Aufschluss. 
Von der Zeit an aber, wo diese versiegen, wo auch die Legen-t 
denlitteratnr uns mitunter Jahrhunderte lang im Stiche lässt, hüllen 
die Verhältniss^jener Landschaften sich in ein sonst fast undurch- 
dringliches Dunkel, zu dessen Aufhellung die verschiedensten Thesen 
aufgestellt worden sind. Es genügt an die These zu erinnern, 
die Kob. ßoesler über ,die Wohnsitze der Komänen im Mittel- 
alter" aufgestellt hat. Es wird später dieselbe eingehend erör- 
tert werden. 

Da aber der Gegenstand so überaus wichtig und in neuester 
Zeit wieder viel besprochen ist, wird es angemessen sein, hier 
einen kleinen Excurs einzuschalten, der die ganze Frage und ihre 
Stellung unter den ethnographischen Problemen der Gegenwart 
näher fixiren soll. Wie die Dinge liegen genügt es nicht, gera- 
dewegs über Dacien und seine älteren und neueren Bewohner ab- 
zusprechen, ohne nach rechts oder links zu blicken: der Prüfstein 
der einzuschlagenden Methode muss dm-ch die Vergleichung ähn- 
licher Fragen und des Ganges ihrer Erforschung erst gefunden 
werden, sonst dürfte in der regulärsten Weise der Welt ein Ee- 
sultat zu Tage gefördert werden, das schliesslich doch nicht 
Stich hält. 

Die Anfönge der Komänen bilden in dieser Hinsicht eben 
nur ein Glied in der Kette der Untersuchungen über die Origenes 
und die ethnische Wandelung der Völker Osteuropa's und geben 
Gelegenheit, auch auf manche occidentalen Entwicklungen ähnlicher 
Art ein Streiflicht zu werfen. 

Das wichtigste Exercirfeld aber und gleichsam die geistige 
Palästra für diese Studien bietet seit bald fünfzig Jahren die 
Controverse über den Zusammenhang, der zwischen den Neugriechen 
und dem alten Hellenentum bestände. Jacob Philipp Fallme- 
r a y e r ruhmvollen Andenkens hat den Stein in's EoUen gebracht 
und seine klassischen Schiiften bildeten die Grundlage für die 
nachfolgenden Forschungen über die Slavisirung der Bewohner 
Griechenlands im Mittelalter. Ohne, dass bisher eine völlige Eini- 
gung erzielt worden wäre. Eoesler hat wol daran erinnert, ' dass 
es ihm bei den Eomänen mit seiner Thesis nicht besser gelungen 
sei, als einst dem »Fragmentisten** bei den Griechen; dennoch 
seien Fallmerayer's Aufstellungen »trotz Mendelssohn's neuestem 



abfälligen Urteile ^) im Wesentlichen unerschüttert geblieben und 
durchgedrungen* ^). 

Ganz richtig; trotz Mendelssohn und im Wesentlichen. 
Aber im Einzelnen musste von der ursprünglichen Begründung 
der Fallmerayer'schen Thesis Manches modificirt werden und be- 
kam die ganze Frage durch den Fortgang der Forschung ein 
vielfach verändertes Ansehen. 

Karl Hopf brachte in seinem epochemachenden Werke über 
Griechenland im Mittelalter^) neues Material herbei und suchte 
auf Grund desselben gegen Fallmerayer zu polemisiren ; im Ein- 
zelnen mit Glück, im Wesentlichen mit Unrecht. Es kamen 
hiebei zunächst in Betracht die spärlichen Nachrichten über die 
Slavenkatastrophe bei den byzantinischen Schriftstellern. 
Schon in diesem ersten Punkte, wobei es sich um die kritische 
Auffassung der byzantinischen Historiographie handelte, schoss 
Hopf weit über das Ziel hinaus. Fallmerayer's Genialität hat in 
diesem Punkte entschieden das Bichtige getroffen, nicht die trockene 
Correctheit von Hopf ^). 



^) In verschiedenen Becensionen der »Histor. Zeitschrift* und in der »(beschichte 
Griechenlands yon der Eroberung Constantinopels bis auf unsere Tage* I. (1870) 
S. 81 ff. Ein anderer selbständiger Grund als philhellenistischer Eifer liegt übri- 
gens Mendelssohn^s Urteil nicht zu Grunde. 

*) Romanische Studien, Vorr. S. VIII f. 

B) Beigesetzt in den Katakomben der Encydopaedie yon Ersch und Gruber 
Bd. LXXXV. LXXXVI. 1868. 

^) Das ist auch das wolbegründete Urteil A. t. Gutschmid's im Litt. Gen- 
tralblatt 1868. S. 688 ff. Ich meine Fallmerayer^s Ausführungen in der Greschichte 
7on Morea I. 268 ff., in den »Fragmenten aus dem Orient* II. 898 ff. (der Aus- 
gabe Ton 1845). Gewisse Grundsätze der Fallmerayer' sehen Kritik hier wieder in 
Erinnerung zu bringen, wird nach den Erfahrungen, die man in der Walachenfrage 
machte, nicht überfiflssig sein. »Die Kritiker des Occidents können sich so wenig in 
die Zustände und Begriffe jener Zeiten, Menschen und Länder hineindenken, dass 
sie in byzantinischen Producten (des früheren Mittelalters) dieselbe Detailkenntnis 
und akademische Vollendung, besonders aber dieselbe, Morgenländern unerklärliche 
und unmögliche Begeisterung für den classischen Boden verlangen, wie man sie ron 
einem unter Zeitungsartikeln, Journalen, Beisebeschreibungen, strategischen Gorre- 
spondenzen, Berichten eines »Augenzeugen*, Topographien, trigonometrischen Vermes- 
sungen, Landkarten, Wörterbüchern und ganzen Bibliotheken herumgrassirenden und 
sich mit Enthusiasmus fütternden abendländischen Gelehrten erwarten kann. Für 

Jung, die Donau-Provinzen. B 



xvni 

Und ebenso Unrecht hatte Hopf in einem zweiten Punkte, 
indem er eines der Hauptargumente Fallmerayers fast gar nicht 
berücksichtigte, nemlich die Ortsnamen Neugriechenlands, durch 
die gerade der Fragmentist zuerst zur Aufstellung seiner These 
veranlasst worden war *) : die Namenforschung erfreut sich eben 
noch nicht in allen Kreisen der Beachtung, die sie rerdient Und 
doch ist dieser Punkt von der grössten Bedeutung auch für die 
Griechenfrage. H. Kiepert, der als Kartograph sich doch wol 
um diese Dinge kümmern musste, stimmt FaUmerayer'n durchaus 
bei, dass die Nomenclatur des modernen Griechenlands zum weit 
überwiegenden Theile eine slavische sei. „Im heutigen Griechen- 
land* — bemerkt Kiepert 2) — ^mit Einschluss Thessaliens, 
aber mit Ausschluss der Inseln sind unter vielen Tausenden von 
Namen bewohnter Orte drei Viertheile sla vischen, ein Zehntheil alba- 
nesischen, ein Zehntheil neugriechischen Ursprungs, dagegen haben 
von etwa zweitausend aus dem Altertum überlieferten Orts- 
namen nur wenige (und diese fast alle an den Küsten) sich un- 
verändert und mit geringen Modificationen erhalten, mehrere jedoch 
nicht an der unmittelbaren Stelle des alten Ortes, einige auch 
nur in dem Namen der umliegenden Gegend, nicht des bewohnten 
Ortes selbst. * Die Trümmer der antiken Städte werden vom Volke 
meist nur mit allgemeinen Appellativnamen, wie Palaeochora, 
Pyrgo, Magula u. s. w. benannt, wie das in den romanischen 
Gegenden ja ähnlich gehalten wird. 

Der Umstand aber, dass slavisch in Griechenland nicht nur die 
Namen von Ortschaften, sondern auch von Bergen, Flüssen, Thälem 
und Landschaften sind, weist denn doch auf länger andauernden 
Slavismus hin, als die sieben und fünfzig Jahre repräsentiren, 



einen Mönch and anatolischen Griechen hatten die barbarischen Auftritte in dem ohnehin 
kleinen, entvölkerten, vergessenen nnd verachteten Hellas nicht dieselbe Wichtigkeit 
wie für uns.* Das gilt auch von Dacien und den Bomänen des Mittelalters. 

^) Vgl. Fragmente aus dem Orient. II. 898 f . : »Das Wort Morea war mir 
zuerst verdächtig. Noch auffallender waren die vollkommen wendisch klingenden 
Ortsnamen, wo die ersten Gefechte vorgefallen sind. Wie kamen denn Valtezzi, 
Vitin, Kamenz in das Gentrum des Feloponnes? Was ist Mistra im Taygetos fQr 
ein Wort?« 

*) Historisch -geographischer Atlas der alten Welt. Weimar 1848. Text 
S. 28 f. — Kiepert hat im J. 1888 eine Karte von Morea, 1848 eine solche des 
Königreiches Griechenland herausgegeben. 



Hl 

die Hopf in hyperkritischem Widerspruch zu den besten urkund- 
lichen Quellen ^) annahm. 

Dies spricht also durchaus daftr, dass die heutigen Griechen 
nicht directe Abkömmlinge der Sieger bei Marathon, sondern i m 
Wesentlichen eben gräcisirte Slaven sind, wie Fallmerayer es 
annahm. Freilich vorausgesetzt, dass Kieperts Angaben richtig 
sind und nicht die von Leake, der behauptete, dass im Pelopon- 
nes zehn griechische Namen auf einen slavischen kommen 2); 
worauf Hopf sich berief, nicht ohne mitunter selbst Daten zu geben, 
die damit in Widerspruch sind 3). 

Andererseits ist nun freilich zu bemerken, dass auch grie- 
chische Ortsnamen in continuirlicher Folge seit den antiken Zeiten 
sich erhalten haben, wenn gleich in viel geringerer Anzahl; und 



^) Namentlich der Töllig zayerlässigen Tradition der Kirche von Patrae, die 
bei Konstantin Porphyrogenitus und in einem Synodalschreiben des Patriarchen Ni- 
colans II Ton Constantinopel erhalten ist. Danach herrschte der Slayismus auf 
Morea 218 Jahre lang und wurde diese Herrschaft erst im J. 805 durch den Sieg 
bei Patrae gebrochen, nach welchem die Besitzverhältnisse dortselbst neu regulirt 
wurden. Die Urkunde, wodurch dies geschah, erhielt die Kenntnis der erwähnten 
Thatsachen. Vgl. Fallmerayer, Gesch. der Halbinsel Morea im M. A. I. 188 ff. 
Fragmente II. 411. Hopf Bd. 85. S. 100 f. Gutschmid a. a. 0. 

*) Leake, Peloponnesiaca (1846) p. 826. Er polemisirt gegen Kopitar, der 
die Tsakonen für Slaven von Abstammung erklärt hatte: »an error connected with 
that greater error of another German author (Fallmerayer), who imagines that the 
modern Peloponnesians are entirely of Slavonic descent.* Leake beruft sich auf 
Thiersch^s Untersuchungen über die Sprache der Tsakonen : »we may add the po- 
werful argument derived &om the proportion between the Greek and Sclavonic names 
of places in the Morea, of wich there are ten of the former to one of the latter.* 
Man Tgl. auch die früheren Aeusserungen von Leake, researches of Greece (1819) 
S. 379 f.; die einstige Anwesenheit der Slaven in Griechenland werde bezeugt >by 
the numerous names of places of Sdavonian derivation, stiU to be found in eveiy 
part of Greece, although with greater frequency, as might naturally be expected, in 
the Northern than in the Southern districts.* 

^ Vgl. Hopf I. 117: »Allerdings häufen sich solche slavische Namen in 
einzelnen Gegenden ganz besonders an, so an den beiden Ufern des Eurotas, in 
Messenien, selbst in einem Theile Arkadien^s ; a b e r es ist nur das platte Land, 
das sie einnehmen, während in den Städten durchgehends das hellenische Element 
fortbesteht. Dass neben den Weilern auch Berge, Flüsse, Thäler, Landschaften sla- 
vische Namen führten, darf uns keineswegs befremden; allein eine 
vollständige Ausrottung des Hellenentums ist damit nicht ausgesprochen.* Kieperts 
entgegenstehenden mindestens gleichwertigen Ausspruch citirt Hopf gar nicht. 

B* 



XX 

wie die slavische Nomenclatur auf die slavischen Ansiedlungen 
des Mittelalters zurückgeht, lassen die hellenischen Namen, welche 
sich unverändert oder nach dem allgemeinen Principe der Sprache 
umgewandelt, bis heute sich noch vorfinden, einen Kern helleni- 
scher Bevölkerung voraussetzen, welchem die Erhaltung derselben 
verdankt wird. Es handelt sich bei der ganzen Frage nach der 
Abstammung der Neugriechen nicht nur um die Extensität 
der beiden concurrirenden Elemente im früheren Mittelalter, des 
griechischen und des slavischen, sondern nicht weniger um ihre 
Intensität. Auch darüber bieten die Ortsnamen einigen Auf- 
schluss. Bezüglich der Extensität ist zu bemerken, dass der 
Slavismus weiter reichte, als schliesslich Fallmerayer sich zu 
verfechten getraute, da einige slavische Ortsnamen selbst auf 
Kreta sich finden, wohin die Slaven nach dem Berichte eines 
syrischen Chronisten, den Hopf übersehen, Gutschmid vorgebracht 
hatte, im J. 623 n. Chr. einen Zug unternahmen ^). 

Was aber die Intensität angeht, so bietet die Modalität 
der Erhaltung der griechischen Ortsnamen neben der Nomenclatur 
slavischer Art darüber einige Anhaltspunkte. Es sind nemlich, 
bemerkt E. Curtius in seiner sorgföltigen Ausführung über dies 
Thema 2), entweder Städtenamen, die sich an alter Stelle bei den 
neuen Bewohnern erhalten haben, wie Patrai, Korinthos, Epidauros, 
Methana, Argos, Methone, oder sie sind auf einen anderen, in der 
Eegel benachbarten Platz verpflanzt worden, indem die vor den 
Barbaren flüchtigen Einwohner von dem Wohnsitze ihrer Väter 
den Namen ihrer Stadt als einzigen Ueberrest der Vorzeit in 
ihre neuen Niederlassungen mitnahmen; so ist Koron in der 
Nähe des alten Korone entstanden und Kalamata aus Kalamai. 
Hieher gehören auch die alten Burgnamen, welche in den Namen 
benachbarter Dörfer fortleben, wohin sich die Einwohner nach 
Auflösung des städtischen Gemeinwesens zu bequemerem Land- 



^) Ans diesen Ortsnamen ist ersichtlicli, dass die Slayen auf Kreta Ansied- 
jungen begründeten. Es gibt ein SxXaßoTcouXa in der Eparchie Selino ; SxXaßo8o)^(üpt 
in Pediada; SxXaßoSidcxoo in Siteia; Boop^apo, d. i. Bulgarendorf, und ToTCoXta, 
vom slay. töpolj, Pappel, also »Platz der Pappelbäume*; wie denn ein Dorf in 
Boeotien denselben Namen führt. B. Schmidt, das Volksleben der Neugriechen I. 18. 
Ueber die Stelle des syr. Chronisten Thomas Presbyter Tgl. Gutschmid a. a. 0. 

*) Peloponnesos. Gotha 1851. I. 88 ff. 



XXI 

baue ansiedelten ^), wie Kleitor, Pheneos und Andania ; endlich 
auch weitversprengte Namen des klassischen Altertums, wie Man- 
tinea am messenischen Meerbusen und Arkadia an Stelle von Ei- 
parissiai. Eine dritte Gattung bilden diejenigen alten Namen, 
welche an unbewohnten, längst verlassenen Gegenden haften, wo 
sich keine Spuren neuerer Ansiedlung zeigen ; hieher gehören Hei 
(Eileoi), Kechries (Kenchreai), Pyla, BBeron, Skardamula (Karda- 
myla), Vitylos (Oitylos), Malio (Malea), Drepani (Drepanon), Tri- 
nisi (Trinasos), Skyli (Skyllaion), Leftra (Leuctra), Vatika (Boion). 
Gerade die letzterwähnten Namen sind der beste 
Beweis, dass eine lebendige Tradition im Lande 
fortbestanden hat. Endlich gibt es noch eine Keihe von 
Namen, welche nicht dem Altertum angehören, aber dem grie- 
chischen Stamme; es sind entweder Namen, die schon zu alten 
Zeiten im Munde des Volkes waren, ohne schriftlich überliefert zu 
sein oder sie sind erst in späterer Zeit, aber jedenfalls von Griechen 
erfunden und gebraucht. Dahin gehört Tripolis (Tripolitza), Ana- 
bolos (der Meersprudel Deine), die Vorgebirge Vathy, Hieraka, 
Kamüos, die Insel Porös, die Halbinsel Elaphonision, die Häfen 
Lutrakion und Kalamikion, die Stadt Monembasia, Dorfnamen wie 
Peribolia, Kyparissia, Stenon u. s.w., endlich die geographi- 
schen Appellativnamen, welche vielfach an die Stelle 
der Eigennamen getreten sind. Denn in demselben 
Masse, wie ein Land an Cultur und historischer Be- 
deutung verliert, verarmt sein Namenvorrath und 
statt der altgriechischen Polyonymie, wie sie z. B. Attika im höch- 
sten Grade auszeichnete, wiederholen sich Bezeichnungen 
der allgemeinsten Art, wie Potamion, Akrotirion, Bunon 
u. s. w., welche nun ein bestimmtes Plüsschen, Gebirge und Vor- 



*) Oder auch gezwungen von den Eroberern ? Wie die Germanen, so pflegten 
auch die Slayen die festen Plätze der Römer zu brechen und die Städter zu Dorf- 
bewohnern oder sonst wehrlos zu machen. Vgl. das Martyrologium der fünfzehn 
von den Bulgaren in Tiberiopolis hingerichteten Christen vom Erzb. Theophylact, 
das die ältesten Zustände der Bulgaren schildert. »Als sesshafte Ansiedler in Ma- 
kedonien und Thrakien sich niederlassend, bestürmten sie das Griechenreich wie neue 
Gottesgeisseln. Die alte Bevölkerung wechselte, aus den Städten 
wanderte sie in die Festungen und umgekehrt. Die Herren aber 
blieben starre Heidea und yerohrten Sonne, Mond und Sterne trotz der Mahnungen 
ihrer christlichen Unterthanen.* Hopf Bd. 85. S. 98. 



XXII 

gebirge bezeichnen; ebenso Kastron, Palaeokastron, Falaeopolis, 
Palaeochora, Eremokastron, Hellenikon, Pyrgos u. s. w. zur Be- 
zeichnung alter Stadtlocale. So verschiedener Art sind die grie- 
chischen Namen, welche in der Halbinsel die Zeiten der Bar- 
barei überdauert haben. „ Ich glaube, es wird unmöglich sein, diese 
Thatsache zu erklären ohne zugleich einen ununterbrochenen Fort- 
bestand hellenischer Bevölkerung als lebendigen Träger dieser 
Namen anzuerkennen." 

So E. Curtius, dessen Ausführungen hier wortgetreu aufge- 
nommen worden sind ^), um dem Leser für die analogen Forschun- 
gen auf anderem Gebiete einen Masstab an die Hand zu geben. 
Wenn wir das Resultat der Namenforschung zusammenfassen, so 
scheint sich zu ergeben, dass neben den zahlreicheren Slaven einst 
weniger zahlreiche Griechen namentlich in den grösseren Orten 
sich erhalten hatten 2). 

Es ist nun aber die Frage über die Entstehung der Neu- 
griechen und ihre Beziehungen zum classischen Altertum nach 
Fallmerayer, Curtius, Hopf noch von verschiedenen anderen Stand- 
punkten aus in Erwägung gezogen worden, die wir gleichfalls 
berücksichtigen müssen. 



^) Eine weitere Zusammenstellatig der diesbezüglichen Resultate von £. Gar- 
tius findet man bei Hertzberg, Geschichte Griechenlands seit dem Absterben des an< 
tiken Lebens bis zur Gegenwart. I. (1876) S. 201 f. Das Verhältnis der griechi- 
schen Ortsnamen za den slavischen ist auch ihm noch nicht sicher festgestellt. 
S. 199 A. 1. Ebenso wenig getraute sich £. Curtius darüber ein bestimmtes 
Urteil abzugeben. Er citirt Feloponnes I. 119. die sich entgegenstehenden Aus- 
sprüche von Fallmerayer, Morea I. 386; Leake, Peloponnesiaca p. 826: Kiepert 
a. a. 0. S. 29. 

') Bezüglich des Verhältnisses zwischen den Ortsnamen und der Nationalität der 
jetzigen Bewohner macht B. Schmidt, Volksleben der Neugriechen I. 16 eine rich- 
tige Bemerkung. »Verfehlt wäre es, in denjenigen Ortschaften Griechenlands, welche 
noch heute slayische Namen tragen, durchgehends eine nur hellenisirte, von Haus 
aus rein slavische Bevölkerung vorauszusetzen. Mit demselben Rechte dürften wir als- 
dann aus den jetzigen türkischen Namen so mancher Dörfer auf türkische Ein- 
wohnerschaft schllessen. Bekanntlich gibt es in Griechenland, namentlich in Attika, 
auch ganz albanesische Dörfer mit alt- oder neugriechischen Namen. So können auch 
in verlassenen Slavenweilern Griechen sich wieder angesiedelt und die slavischen 
Namen derselben beibehalten haben.« Desgleichen könnten Slaven in griechisch benannten 
Orten sesshaft geworden sein. Jn diesem Falle erfuhren sie den alten Namen aus 
dem Munde der übriggebliebenen Griechen, mit denen sie zusammenlebten. 



XXIII 

Hieher gehören die linguistischen Studien, die der berühmte 
Slavist Fr. Miklosich über »die slavischen Elemente im Neugrie- 
chischen" angestellt hat i). Es ist darin die Sprache als Geschichts- 
quelle behandelt. Eine Sprache kann nemlich von einer anderen 
in den Lauten, in der Bildung der Stamme und Worte, in der 
Syntax und endlich in ihrem Lexicon durch Aufnahme von Wörtern 
beeinflusst werden. Die Art und Weise, in der das geschieht, 
ist von historischem Interesse, da aus dein Mischverhältnisse auf 
die Stärke des Einflusses jedes der verschiedenen Contrahenten 
auf den anderen geschlossen werden kann; dadurch wird in der 
Eegel Licht verbreitet über Zeiten und Umstände, von denen die 
geschichtlichen Quellen im engeren Sinne des Wortes nichts be- 
richten. „So z. B. kann die Frage, ob die staatlichen Einrich- 
tungen bei den Slaven autochthon entstanden oder entlehnt worden 
sind, und wenn letzteres, woher sie stammen, beim Schweigen der 
Geschichte über diesen wichtigen Punkt, nur durch eine Prüfung 
der diese Einrichtungen bezeichnenden Worte gelöst werden. * Der 
Träger der Staatsgewalt wird bei den Slaven entweder „Knäs* 
genannt (vom goth. Kuninggs) oder „ Kral * (von „ Karl d. Gr. * 
hergeleitet ; dies Wort findet sich nur bei den westlichen Slaven, 
die mit den Deutschen in Berührung kamen); endlich „Czar* 
(d. i. Caesar, xaloap), was bei den östlichen Slaven, namentlich 
den Bulgaren und Bussen von Byzanz aus eingeführt wurde ^). 
Daraus ist ersichtlich, dass die staatlichen Ordnungen bei den 
Slaven nicht volksthümlich, sondern importirt und theils deutschen 
theils byzantinischen Ursprungs sind. 

Es reichen diese Einrichtungen aber in jene Zeiten hinauf, 
da die Slaven dem patriarchalischen Kegiment mit „Vladiken* 
(d. h. Besitzern von Grund und Boden), „Woiwoden** (Herzogen 
im Kriege), „Zupanen" (d. h. Häuptern eines Stammes und 
seiner Ländereien) entsagten, und sich nach dem Vorbilde der 
grossen Culturreiche jener Zeiten staatlich organisirten. Indem 
man dabei nothgedrungener Weise zu Entlehnungen von Worten 
aus den Sprachen der Reiche, denen man die staatsrechtlichen 



*) Sitzungsber. der Wiener Akad. LXIII (1869) S. 529 — 566. 
') Vgl. Miklosich, die slar. Elemente in Magyarischen. Denkschriften der 
Wiener Akad. 1871. S. 2. 



XXIV 

Begriffe entlehnte, schritt, zeigt eben die Sprache jener Stämme 
jetzt, wie die neue Aera aus der alten sich entwickelt hatte. 

Aehnlich wie mit den staatsrechtlichen Ausdrücken gieng es 
mit den kirchlichen. Es haben die verschiedenen Stämme der 
Slaven für ihre Liturgie entweder griechische oder lateinische Aus- 
drücke aufgenommen, je nachdem sie vom Orient oder vom Oc- 
cident her das Christentum empfiengen und ihre Kirche gestalteten. 

Ueber die Einwirkung der unterworfenen Slovenen auf das 
herrschende Volk der Magyaren sind wir ebenfalls nur durch die 
Bestandtheile der Sprache unterrichtet: die kirchlichen, staatlichen, 
wissenschaftlichen Bezeichnungen hat diese Steppennation von den 
in Pannonien ansässigen Slovenen empfangen, die ein Jahrhundert 
vorher ihre Cultur von den Deutschen überkommen hatten *). 

Sehen wir, in welcher Weise diese Methode sprachgeschicht- 
licher Forschung auf die neugriechische Frage angewandt werden 
kann; ob aus den Elementen, mit denen die „romäische' Sprache 
imprägnirt ist, sich Schlüsse ziehen lassen bezüglich der Ge- 
schichte des Volkes, das sie spricht, wie aus der Sprache der 
früher genannten Stänmie. Die Sache stellt sich nach Miklosich 
so heraus. Was man in den Lauten des Neugriechischen früher 
wol für slavisch gehalten hat, kann als solches nicht erkannt 
werden. In der Wortbildung — Declination und Conjugation — 
fand sich keine Spur slavischer Einwirkung. In der Syntai glaubte 
Fallmerayer solche Spuren allerdings entdeckt zu haben 2). Er 
machte aufmerksam, dass dem Neugriechischen, im Gegensatz zur 
klassischen Sprache der Hellenen, der Infinitiv fehle, dieser stets 
umschrieben werde. Miklosich führt dem gegenüber aus, dass 
dies eine Eigentümlichkeit sei, die auch ins Bulgarische einge- 
drungen ist, während sie allen anderen slavischen Dialecten mangle. 
Es komme dieselbe aber im Albanesischen vor und es sei im 
höchsten Grade wahrscheinlich, dass das Griechische wie das Bul- 
garische in diesem Punkte vom Albanesischen beeinflusst worden 
wäre. Auch das Suffix auf itza, das in neugriechischen Worten 



^) Miklosich, die slar. Elemente im Magyarischen. S. 11 ff. Die Magnraren 
haben Oberhaupt so viele Fremdwörter entlehnt, dass diese fast die einheimischen 
Vücabeln Qberwlegen. 

*) Vgl. Fragmente aas dem Orient II. 451 ff. 



XXV 

häufig vorkommt, sei nicht durchaus auf slavische Einflüsse zu- 
i-ückzufahren: es sei in vielen Fällen an die Stelle des alten 
ox getreten ^) und finde sich ebenso im italischen Griechisch, auf 
das die Slaven nicht eingewirkt haben. Auch das Albanesische 
enthält Wörter auf itza, die nicht slavischen Ursprunges sind; 
und, fugen wir hinzu, auch andere Sprachen, wie denn unter den 
raetisch-romanischen Ortsnamen Ausgänge auf itz nichts seltenes 
sind: z. B. Kostnitz, Schamitz, Gschnitz, die mit dem Slavischen 
nichts gemein haben. 

Miklosich kommt im Allgemeinen zu dem Eesultate, dass 
der slavischen Elemente im Neugriechischen entschieden mehr seien, 
als Fallmerayer's Gegner zugeben möchten; und ebenso entschie- 
den weniger, als Fallmerayer und seine Anhänger meinten 2). 

Welchen Einfluss übt nun dies Eesultat auf unsere An- 
schauung von den Anfängen der Neugriechen ? Sind wir dadurch 
dem Ziele näher gekommen oder nicht? Gibt in diesem Punkte 
wol die Philologie den Ausschlag, erhalten wir von ihr so wich- 
tige Thatsachen an die Hand, wie für die Geschichte und Ent- 
wicklung der Slaven, Magyaren, und wie wir später sehen werden, 
auch der Eumunen? 

Ich glaube nicht. Die Verhältnisse lagen eben bei den 
Griechen anders, als bei jenen Nationen. Die Slaven, die Ma- 
gyaren, die Eumunen verhielten sich unter einander wie gegen 
das Ausland receptiv; die „Eomäer* im Osten, wie die Deut- 
schen im Westen theilten ihnen ihre Culturelemente mit. Die Folge 
davon ist klar. Die Sprachen der Slaven, Magyaren, Eumunen haben 
wol jfremde Ausdrücke übernommen, sie haben a])er an ihre civi- 
lisirten Nachbaren keine oder doch fast keine abgegeben. Man kann 
denselben Vorgang ja noch heute beobachten: das Ladinische 

') Oder auch eine Folge italisirender Aussprache des k, das zu tz, tsch ge- 
quetscht wurde, wie das itaUenische c. Ross, Beisen im Feloponnes S. 167. 

*) Vgl. auch B. Schmidt, das Volksleben der Neugriechen S. 8 ff. Er weist 
von den 129 slavischen Wörtern, die Miklosich dem Neugriechischen yindicirte, die 
überwiegende Mehrzahl einzelnen Dialekten zu. Nur 7 — 8 dieser Wörter seien all- 
gemeiner Terbreitet: ßoopxöXaxöi^, der Vampyr; Caxovi, Gewohnheit, Sitte; xoxxoxa^ 
und xoxxoTO^, Hahn ; Xor^oq, Wald ; poü)^a, Kleidungsstücke ; oavo? und oavo, Heu ; 
axdvY], Hürde, auch Heerde (im Romanischen ist dasselbe Wort für Almhütte ge- 
bräuchlich). Endlich das von Miklosich übersehene, sehr verbreitete Wort ToonavY]^, 
auch xooicdvo^ und xoooicdvo^, der Hirt. 



XXVI 

steckt voll Germanismen ^) ; hingegen entlehnten die Deutschtiroler 
aus dem Eomanischen nur wenige technische Ausdrücke. Und 
ebenso ist das Deutsch in den einst slavischen Marklanden vom 
Idiom der Slaven nicht imprägnirt, während alle angrenzenden 
Stämme der letzteren eine Menge Worte aus dem Deutschen 
entlehnt haben. Wenn nicht die Ortsnamen wären, aus der Sprache 
würde man weder hier noch dort die ethnische Umwälzung er- 
kennen, der die Bewohnerschaft jener Gegenden einst unterlag. 

Es ist in diesem Punkte übrigens auch aufmerksam zu 
machen, dass nicht jede Sprache in gleichem Grade receptiv sich 
verhält. So hat sich z. B. das Albanesische seit zwei Jahrtau- 
senden erst dem römischen, dann dem slavischen Element ge- 
genüber ausserordentlich spröde gezeigt 2), obwol das Volk Jahr- 
hunderte lang unter der Herrschaft der Fremden stand. Aus der 
Zeit der slavischen (namentlich bulgarischen) Herrschaft, die hier 
so festen Fuss gefasst hatte, dass sogar Ochrida, die Hauptstadt 
der bulgarischen Care, in Albanien gelegen war % ist eine „ er- 
staunlich grosse Masse slavischer Ortsnamen** erhalten. „Eine 
wenn auch kurze, doch entscheidende Slavenherrschaft war über 
das Land gegangen.** Nicht Plünderzüge, feste Ansiedlung, Un- 
terjochung des Eomäervolkes war der Bulgaren Losungswort ge- 
wesen^). Leake hatte bemerkt: „Es mag auffallen, dass in Folge 



^) Es ist namentlich in Bezug auf die Syntax vom Deutschen so beeinflusst, 
»che si adoperi materia romana con ispirito tedesco.* Ascoli, Saggi ladini p. 2. 

*J Ueber die römischen Worte im Albanesischen vgl. Miklosich, die slav. Ele- 
mente im Rumunischen S. 2 ; bezüglich der aus dem Slavischea recipirten dessen 
Alban. Forschungen. (Denkschr. d. W. Akad. 1870. Bd. 19. 20). Et wagt von 
den Lautgesetzen des Albanesischen keinem einzigen slavischen Ursprung zuzuschrei- 
ben. Ebenso wenig Einfluss übte das Slavische auf die Syntax. Nur der Wort- 
schatz der Sprache weist zahlreiche slavische Elemente auf. Vgl. a. a. 0. Bd. 19. 
S. S51. 

3) Der byzantinische Epitomator Strabo's, der nicht lange vor dem eilften saec. 
schrieb, berichtet, dass zu seiner Zeit auch ganz Epiros von Slaven bewohnt werde. 
»Kai vüv hh iraaav — IJTcetpov xal *EXXa8a g/sSöv xal UskoKo^/rpov v.al Maxs- 
Soviav Sxü^ai SxXdcßoi v^fjLovtat. Noch zur Zeit der Normannenkriege ward Neue- 
piros als bulgarisches Land von italischen Scribenten bezeichnet. Erst im Laufe 
der zweiten Hälfte des eilften Jahrhunderts trat das Volk der Albanesen selbständig 
aus dem Dunkel der früheren Zeiten hervor. Vgl. Hahn, Albanes. Studien. I. Sil. 
Fallmerayer, Gesch. von Morea IL 241 f. Hopf. Bd. 85. S. 166 f. 

*) VgL Hopf Bd. 85. S. 126. 



xxvn 

einer solchen Besetzung durch die Slaven nicht mehr slavische 
Elemente in die albanesische Sprache übergegangen sind und kann 
als Beweis dienen, dass die Stärke der albanesischen Berge und 
und des albanesischen Sinnes die Eingeborenen, ebenso wie in 
den Zeiten der Kömer, vor gänzlicher Unterwerfung schützte* ^). 

Das war ein Fehlschluss, der in Folge nur einseitiger Er- 
wägung gethan wurde. „Die Geographie der abgelegensten Berg- 
winkel des Kurwelesch, des Mirditenlandes u. s. w. wimmelt von 
slavischer Nomenclatur* 2)^ ^uch hier sprechen die Ortsnamen 
viel lauter als die Sprache. In Griechenland dürften die Dinge 
ähnlich liegen, das gebildetere Idiom aber weit weniger fremde 
Elemente aufgenommen haben, als in Albanien. Schon Leake hat 
diese Bemerkung gemacht 3). 

Und dasselbe Urteil fällt schliesslich auch Miklosich. Er 
bemerkt zunächst, dass aus der neugriechischen Sprache allein 
die slavische Nationalität der heutigen Griechen sich nicht be- 
weisen liese. »Das Vorhandensein slavischer Elemente im Volks- 
tum der Griechen soll jedoch nicht geleugnet werden: dafür 
sprechen Geschichte und Ortsnamen in unzweifelhafter Art. Wie 
leicht die Sprache bei der Bestimmung der Ele- 
mente, aus denen sich eine Nationalität bildet, in 
die Wagschale fällt, zeigt die fränzösischeund eng- 
lische Sprache, deren celtische Elemente weder 



*) Vgl. Leake, researches in Greece. 241. Ich führe ihn wörtlich an, um 
den Fortgang der Forschung seit Beginn dieses Jahrhunderts zu präcisiren: »Many 
Sla7onian words then found their way into the Albanian langaage and have heen 
iucreased in number by the intercourse between Albania and the extensive regions 
of Senria and Bulgaria, wich Surround it on the North and Fast, and troughout 
wich the Bulgarian dialect of Sciavonic is spoken. It may be thought surprising, 
perhaps, that under these circumstances the proportion of Sclavonian words is not 
larger ...» The mountains and the spirit of their inhabitants, were still equal, as 
in the time of the Bomans, to protect them from being completely subdued.* 

') Hahn, Albanesische Studien. I. 884 f. 

*) ,The corruptions wich Greek has undergone, may perhaps be chiefly'ascri- 
bed to the influence of the same great revolution in the population of the South- 
East of Europe, although this language may have been in great measure preserved 
from Sclavonian innovations by its refinement, perfection, longestablished forms, 
extensive use and the superior civilization of the people, who, however debased, 
have always been superior in this respect to the surrounding nations on the North 
aud £ast.* Leake, researches 380. 



xxvni 



durch die Masse des aufgeuommenen Stoffs noch 
durch tiefer in den Sprachorganismus eingreifenden 
Einfluss von hervorragender Bedeutung sind, ohne 
dass es deshalb erlaubt ist, das Dasein celtischer 
Elemente im französischen und englischen Volks- 
tum in Abrede zu stellen** ^). Das deutsche Element ist 
im Französischen viel starker vertreten, als jenes alteinheimische, 
weil eben die Deutschen erst durch Vermischung mit den Eoma- 
nen und durch Aufpropfung eines neuen Eeises auf den alten Stamm 
die Nationalität der Franzosen begründeten. Natürlich, die Eömer 
hatten schon reine Arbeit mit dem Keltentum gemacht, als die 
germanischen Stämme in Gallien sich festsetzten. Die fernere 
Geschichte des Landes bestimmten die Deutschen, die noch ein 
halbes Jahrtausend hindurch mitten unter den Eomanen die 
Sprache ihrer Väter fortredeten: in demselben Masse, wie die 
deutschen Wörter im Französischen zunahmen, mussten die kel- 
tischen sich verlieren; »denn jede Sprache sucht sich ihres Ueber- 
flusses zu entledigen* 2). 

Miklösich fahrt a. a. 0. fort : „ Das im Neugriechischen nach- 
gewiesene slavische Sprachmaterial, das weder durch seinen Um- 
fang, noch durch den Kreis der dadurch bezeichneten Vorstel- 
lungen von Bedeutung ist, verliert an seiner Beweiskraft für die 
Fallmerayer'sche Thesis noch dadurch, dass die wenigsten der 
angeführten Worte allgemein angenommen erscheinen, dass sie viel- 
mehr nur in einzelnen, namentlich solchen Landschaften vorkom- 
men, welche auch von Slaven bewohnt werden oder bewohnt worden 
sind/ — Die Thatsachen sind richtig, aber in Bezug auf den 
Syllogismus last sich eben Diez' oben citirter Ausspruch anführen, 
dass eine Sprache einstens aufgenommene Bestandtheile wieder 
verlieren und nachher neue Mischungen eingehen kann 3). 



.*) Miklösich, die slav. Elemente im Neugriech. S. 587. 

*) Diez, Etymol. Wörterbuch der Roman. Sprachen. Vorr. S. XX. 

^ Dies wird auch durch andere Beobachtungen bestätigt. Z. B. wimmeln 
die neugriechischen Dialecte von Konstantinopel und Smyrna von türkischen Wör- 
tern. Die der Inseln und der festländischen Cantone machten hingegen nur gering- 
fügige Entlehnungen aus dem Türkischen. Auch die italienischen Bestandtheile sind 
sehr isolirt. Vgl. A. D. Mordtmann, ,Allg. Zeitung.* B. 20. Oct. 1875. — Na- 
türlich, je QAch den Lebensbedingungen, unter denen die Griechen sich befanden, 



XXIX 

Ferner — sagt Miklosich — sei es möglich, ^dass viele 
von diesen slavischen Wörtern auch dui'ch das Medium einer 
anderen Sprache, der albanesischen oder der türkischen in's Neu- 
griechische eingedrungen sein können." Ganz meine Ansicht; 
nur über die slavischen Bestandtheile der mittelgriechischen 
Volkssprache geben uns weder die Schriften der Byzantiner; 
die eben „hochgriechisch* schrieben, noch der gegenwärtige Stand 
der Dinge in Griechenland, da dieser dem des Mitteralters nicht 
gleich ist, sicheren Aufschluss. — Die Sache Fallmerayer gegen 
Neugriechen wird auf dem Wege der sprachlichen Forschung nicht 
zur Entscheidung gebracht. 

Man hat, um diese Entscheidung gleichwol zu erzielen, in 
neuester Zeit noch andere Momente herangezogen. 

Es sind dies zunächst die mundartlichen Studien, die von 
Griechen und Abendländern jetzt mit dem grössten Eifer betrie- 
ben werden ^). Man verglich die Sprache der Bewohner des grie- 
chischen Festlandes mit jener auf den Inseln: nur jenes war ja 
angeblich „gänzlich* slavisirt, diese nur in geringerem Masse 
von den Völkerstürmen des Mittelalters betroffen worden. Auch 
die Albanesen, sonst seit dem vierzehnten Jahrhundert ein so be- 
deutender Bruchtheil der Bevölkerung Neugriechenlands, Hessen 
die fernerliegenden Inseln gänzlich unberührt; die Mischung mit 
„fränkischem* Blut seit dem dreizehnten Jahrhundert konnte 
ebenfalls den Typus der niederen Volksschichten, die in solchdh 
Dingen von jeher conservativer waren, als die städtischen Kreise, 
nicht wesentlich verändern. Für die Continuität der Population 
darf man femer namentlich die Erhaltung der Ortsnamen anführen, 
die auf jenen Eilanden in überwiegender Mehrzahl — z. B. auf 
Ehodus zu drei Viertheilen; ähnlich auf Kreta - rein griechisch 
sind. Auch bei den Griechen am südlichen Gestade des schwarzen 



machte ilire Sprache Anleihen aus anderen Idiomen und warf sie wieder ab, wenn 
sie derselben nicht mehr bedurfte. 

*) Vgl. A. D. Mordtmann's Bericht über die Thütigkeit des ,ev Kcüvoxavxt- 
vooitoXet ^XXyjv'.xö? ^tXoXoYtxö? Su^Xo^o*;*; ebenso über andere Arbeiten dieser 
Art, wie des Franzosen £. Legrand auf 6 Bände berechnete »Gollection de Monu- 
ments pour servir ä Tdtude de la langue neohell enique. * »AUg. Zeitung* B. 20. 
Oct. 1875. Als Vorläufer hiezu erschienen Yon Legrand »Chansons populaires 
grecques, publiees avec uno traduction fran9aise et des commentaires.* Paris 1876, 



XXX 

Meeres last sich auf eine verhältnismässig geringe Versetzung 
mit fremden Elementen schliessen; nach Asien kamen nur jene 
Slaven, welche die byzantinischen Kaiser nach altrömischem Mu- 
ster dorthin verpflanzten, um die Kraft des Stammes zu brechen, 
sie zu entnationalisiren und zu echten Bomäem umzuschmelzen, 
nach Sprache und nach Sitte. 

Diese mundartlichen Studien führten zu dem Eesultate, dass 
die Zustände der lebenden griechischen Sprache überall auf di- 
recten Zusammenhang der neuen mit den alten Griechen hinzu- 
weisen scheinen. Namentlich auf den Inseln herrscht in dieser 
Beziehung die bunteste Mannigfaltigkeit. Die alten Dialecte, wie 
namentlich der Dorische, schimmern überall noch durch; es zeige 
das von der unverwüstlichen Lebenskraft, die die griechische 
Sprache seit dreitausend Jahren sich erhalten habe. »Die Fall- 
merayer'sche Ansicht vom gänzlichen Aussterben der hellenischen 
Nationalität fällt damit ganz über den Haufen ; man sieht es den 
Sammlungen, die vielleicht 3 — 4000 Wörter enthalten, auf den 
ersten Blick an, dass eine ausgestorbene und künstlich galvani- 
sirte Sprache einer so bunten und mannigfaltigen Lebensäusse- 
rung ganz unßhig ist** ^). 

Die Vergleichung der Inseldialecte mit jener des griechischen 
Hauptlandes, insbesondere aber Morea's, schien dann zu ergeben, 
4ass sich mancherlei Uebereinstimmung mit den Mundarten der 
Eilande bemerklich mache und demnach auch hier in einzelnen 
Gegenden wenigstens noch sprachliche Ueberreste aus dem Al- 
tertum zu entdecken seien. Die dialectische Verschiedenheit wäre 
auch auf dem Festlande keineswegs so gering, wie man gewöhn- 
lich annehme ; „ es ist sicher, dass selbst die Bewohner derjenigen 
Provinzen, in denen die slavischen Ortsnamen am häufigsten be- 
gegnen, in ihrer Eede manche, sonst nirgends oder nur vereinzelt 
vorkommende Archaismen bewahren. * Das liesse sich z. B. für 
Epirus nachweisen. „In Jannina und den Dörfern der alten Land- 
schaft Molottis heisst die Heuschrecke, welche alle anderen Grie- 
chen äxpiSa nennen, [lAoTaxac, d. i. {loco-uaS, ein Wort, welches 
im Altertum in dieser Beziehung vorzugsweise bei den Ambra- 
Moten, d. i. den Grenznachbam der Molotter, gebräuchlich war, 



*) A. D. Mordtmann a. a. 0. 



XXXI 

und dessen Erhaltung gerade in dieser Gegend den unwiderleg- 
lichen Beweis liefert, dass hier ein Stock der alten Bevölkerung 
sich zu allen Zeiten behauptet hat* ^). Namentlich war es aber 
der Dialect der Tsakonen, eines nunmehr sehr reducirten Volks- 
stammes, dessen Dörfer am Kamme des Malevogebirges (des alten 
Pamon) liegen, der die Aufmerksamkeit der Forscher erregte 2). 
, Dieser Dialect bietet neben vielen von allem bekannten Grie- 
chisch abweichenden Eigentümlichkeiten, unter denen manche aller- 
dings auch unverkennbare Merkmale sprachlichen Verfalles sind, eine 
überraschende Fülle der schönsten, sonst nicht mehr vorkommenden 
Hellenismen dar und nimmt besonders durch die zahlreichen und 
deutlichen Spuren des alten Dorischen, die er sowol im Wortschatz als 
auch in der Grammatik enthält, ein vorzügliches Interesse in An- 
spruch. ** Auch die Manioten im Peloponnes hätten in ihrer Sprache 
mehrere Züge des Altertümlichen erhalten. Was dann näher zu be- 
gründen versucht wird 3). Es hat aber gerade mit diesen Tsakonen und 
Manioten eine eigene Bewandtnis. Die Tsakonen erklärte nemlich 
der alte Thiersch wegen ihres Dialectes für Ueberreste der an- 
tiken Pelasger. Selbst Fallmerayer war geneigt, sie als Griechen 
anzuerkennen, die hier auch ina Mittelalter continuirlich sich er- 
halten hätten. Dagegen hat Hopf auf Grund reichlich beigebrach- 
ten neueren Quellenmaterials sich erklärt: gerade die Gegenden 
der Tsakonen und überhaupt das alte Lakedämon seien intensiv 
slavisirt gewesen. Noch Chalcocondylas im fünfzehnten Jahrhun- 
dert berichtet, dass die Slavinen zu seiner Zeit am Taygetos und 
Kap Taenaron wohnten. Um 980 standen diese Slaven, nament- 
lich die Melingi ^j, unter einem eigenem Dux ; sie fochten bei Kon- 
dura gegen die Franken ; gegen sie und als Vorposten gegen Mo- 
nembasia wurde die Burg Geraki in Tschakonien erbaut. Erst 
1249 huldigten die Slavencantone dem Fürsten Wilhelm 11., der, 
um die Melingi im Zaum zu halten, Leuctra, Misithra und Maina 
baute. Bald erhoben sich aber 1263 die „Slaven von Tschako- 
nien und Gardilovo* gegen den Fürsten, Vatika, Kistema, Zar- 



^) B. Schmidt, das Volksleben der Neug^riechen S. 10 f. 

*) Die zahlreichen Arbeiten darüber zählt B. Schmidt, a. a. CS. 6 A. 1. auf. 

») Vgl. B. Schmidt, a. a. 0. S. 11. 

^) Im südlichsten Theile 7on Lakedaemon. 



xxxn 

nata und das Land der Melingi in den tschakonischen Bergen. 
Wiederholt liegen die Fürsten des Landes mit ihnen in Fehde; 
als ihr angesehenstes Häuptlingsgeschlecht erscheinen die Zassi, 
die in Janitza und Kisterna sitzen, und aus denen Georgios um 
1310 als Capitän von Molocos (Melingu) erscheint. Venedig 
bezeichnet dann 1293 einfach Tschakonia als «Scla- 
vonia de Morea"; ebenso suchte die Eepublik 1389 die „Slaven 
von Maina« gegen den Despoten Theodoros I zu den Waflfen 
zu rufen. Mazaris bemerkt, die Laconier wären barba- 
risirt und nennten sich Tschakonen, schon Pachymeres 
führt an, dass die Bemannung der kaiserlichen Flotte 1263 aus 
Tschakonen d. i. Laconen bestand, welche zwei Jahre zuvor in 
die Kaiserstadt eingewandert seien. " Hopf glaubt denmach, dass 
die Identificirung von Laconen und Tschakonen bedenklich sei 
Die Tschakonen wären nach Constantin Prophyrogenitus eine ei- 
gene Waffengattung gewesen, die meist zum Gamisonsdienst 
benützt wurden. Der Name stamme wol aus slavischer Wurzel; 
die angeführten historischen Zeugnisse bewiesen, dass die Bevöl- 
kerung Tschakoniens echt slavisch gewesen wäre. 

Und ebenso wenig könne bezweifelt werden, dass auch die 
Maina ganz slavisirt war. Obwol auch hierüber die Quellenver- 
hältnisse wunderlich genug liegen. Constantin Porphyrogenitus 
meldet nemlich (de adm. imp. c. 50), dass die Bewohner der Burg 
Maina nicht vom Geschlechte der Slaven entsprossen seien, son- 
dern von den älteren Bomäern. „Sie werden noch heute 
(10. saec.) von den Einheimischen Hellenen genannt." 
Danach hätten sich hier also Beste reingriechischen Blutes er- 
halten. Dagegen sprechen nun aber deutlich genug die Orts- 
namen. „Gewiss ist, dass die ganze Maina, nicht blos die Pro- 
vinz, welche die Venetianer mit dem Namen Braccio di Maina 
benannten, sondern selbst die nächste Umgebung der Burg - - 
von slavischen Ortsnamen wimmelt.* Daher irrt wöl Schafarik 
kaum, wenn er (Slav. Altert. 11. 229) in den „Majancem* ein 
griechisch-slavisches Mischvolk erkennen will i). „Hatte sich dort 
lange eine urgriechische Bevölkerung erhalten, so war sie im 
Laufe der Jahrhunderte von slavischen Elementen ganz über- 



*) Vgl. Hopf. Bd. 85. S. 129. 



xxxin 

wuchert worden: trotzdem neugriechische Dichter bereits im vo- 
rigen Jahrhundert die Mainoten als die echten Sprossen der alten 
Spartiaten wieder zu verherrlichen begannen *). 

Also neuerdings ein Widerspruch in den Eesultaten verschie- 
dener Forschungsmethoden!? Das alte Bäthsel kehrt in neuer 
Form wieder. Man hat jenen Widerspruch als einen blos schein- 
baren erklärt und ihn zu überbrücken versucht »Das in Eede 
stehende Volk sitze nemlich nur noch in Lenidi und neun Dör- 
fern der Umgebung, hatte aber vormals viel ausgedehntere Wohn- 
sitze inne, aus denen es höchst wahrscheinlich eben durch die 
Slaven verdrängt worden ist. Nachdem diese den grösseren Theil 
des alten Tsakonenlandes in Besitz genommen hatten, konnte 
dasselbe in der That als Slavenland bezeichnet werden* ^). 

Also ein Vorschlag, zu distinguiren. Wenn die philologische 
Forschung ihrer Sache wirklich sicher ist, bleibt nichts übrig, 
als diesen Vorschlag anzunehmen ; sonst müsste man Alles dahin- 
gestellt lassen. 

Dann hat man neuerdings die Frage von der ethnographi- 
schen Stellung der heutigen Griechen noch von einer anderen Seite 
her angegriffen. Mit den mundartlichen Studien gieng Hand in Hand 
die Sammlung der Märchen und der Sprichwörter, der 
Volkslieder und Eäthsel, Wortspiele, Sitten, Bräuche und 
Meinungen des neugriechischen Volkes, sowol der Inselbe- 
wohner wie der Insassen des Festlandes. Auch hierin kam man zu Ee- 
sultaten, die wieder ein neues Moment des ganzen Froblem's offen- 
barten 3). Die Vergleichung der religiösen Vorstellungen der 
jetzigen und der einstigen Griechen ergab nemlich eine überra- 
schende Uebereinstimmung derselben mit der antik-hellenischen 
Götterlehre und Mythologie. Gott Zeus und der ganze Olymp, 
Oreaden und Dryaden, der alte Todtenschiffer Charon leben noch 
gegenwärtig in mannigfach modificirter Weise dem Wesen und 
theilweise auch dem Kamen nach im Bewusstsein der Neugriechen 
fort. Den Göttern substitmrte man gewisse Heilige, an die Stelle 



1) VgL Hopf, Bd. 86. S. 184 und Bd. 85. S. 119. 

*) B. Schmidt, a. a. 0. S. 12 A. 1. 

^) Vgl. hierüber das schon genannte vortreffliche Buch yon B. Schmidt, Das 
Volksleben der Neugriechen und das hellenische Altertum. Th. 1. Leipzig 1871. 
Hiezu Steub^s Besprechung, Kleinere Schriften. II. S. 255 ff. 

Jung, die Donau-Provinzen* v 



XXXIV 

Poseidons S. Nicolaus ; S. Michael und S. Georg übernahmen ge- 
wisse Attribute des antiken Weingottes Dyonisos, die hl. Jung- 
frau trat an die Stelle der Aphrodite, der PaUas, der Artemis 
u. s. w. In dieser Weise war eben einst das Christentum dem 
Heidentum substituirt worden als jenes durch Constantin und seine 
Nachfolger zur Staatsreligion gemacht wurde und auf das Kom- 
mando der kaiserlichen Autokraten die Bekehrungen »en masse" 
erfolgten. , Zuletzt schien es sich nur darum zu handeln, ob man 
in den Tempeln das Bild des olympischen Zeus und der Athene 
mit dem Bild des Gekreuzigten und der Madonna gloriosa, ob 
man den Apoll und Mercur mit S. Stephan und Crispin ver- 
tauschen solle" *). Im sechsten Jahrhundert n. Chr. ward das 
Parthenon eine Marienkirche; das Theseion dem Drachentödter 
S. Georg geweiht. Daneben erhielt sich im Volke der heidnische 
^ Aberglaube ** und in manchen unverstandenen Bedensarten selbst 
der Name der alten Götter 2). Der Dämonenglaube blieb sogar 
ganz heidnisch 3). 

Wie lassen sich jene Thatsachen mit der ethnischen Wan- 
delung Griechenlands im Mittelalter in Einklang bringen, wie 
die Nachrichten, die uns darüber erhalten sind, zurechtlegen ? 

In dieser Hinsicht ist zu betonen, dass Sitten, Meinungen, 
Bräuche, Märchen, EeUgion, Recht sämmtlicher indoeuropäischer 
Völker in ihren Grundzügen die gleichen sind: ein uraltes Erb- 
gut derselben aus jenen Zeiten, als Germanen, Slaven, Lateiner, 
Griechen, Kelten, lUyrier u. s. w. „noch im fernen Morgenland 
als eine Gemeinde unter denselben Zelten wohnten, dieselbe 
Sprache sprachen und dieselben Märlein ersannen.* In der That 
ist B. Schmidt im Stande, fast jeden Zug, den er oben im Text 



^) Vgl. Fallmerayer, Gesch. tob Morea. I. 109. 

') So der Schwur »heim Gharon*, wie im Italienischen der Ansruf »Gorpo 
dl Bacco.* Auf Kreta ist der Name des Zeus ähnlich gehrancht. 

^ »Christentum und Heidentum hahen, seit sie sich herfihrten d. h. nach 
der Bekehrung wechselseitigen Einfluss auf einander gefiht : das Christentum, indem 
es heidnische Ideen herahzuwflrdigen trachtete, das Heidentum, indem es suchte 
sich unter christlichen Formen zu hergen. Der siegende Glaube gieng darauf aus den 
besiegten ganz zu vertilgen, der besiegte strebte noch seine geflüchtete Habe gleich- 
sam in des feindlichen Heeres Mitte zu sichern. Dort wurden heidnische Sagen 
in ihrer Echtheit entstellt, hier schmiegten sie sich, innerlich weniger angegriffen, 
unter christliche Namen.« Grimm, D. Mythol. S. XVIII. 



XXXV 

aus Griechenland beibringt, unten in der Note durch ein Seiten- 
stflek aus Jac. Grimmas Deutscher Mythologie, aus Hahnes Alba- 
nesischen Studien, aus W. Schmidt^s Schrift: .Das Jahr und seine 
Tage bei den Bomänen'^ oder aus dem slavischen Aberglauben 
zu belegen: in dieser Beziehung herrscht zwischen den einzelnen 
indogermanischen Völkern eine Verschiedenheit höchstens dem 
Namen aber kaum je der Sache nach vor *). 

In Folge dessen konnte es auch geschehen, dass je nach der 
Macht und dem Einflüsse, den ein einzelner Zweig der grossen 
indogermanischen Völkerfamilie über die anderen errang, die 
Form der religiösen, sittlichen, socialen, sprachlichen Elemente 
der übrigen, sich ihm anbequemen musste, der Inhalt sich dabei 
modificirte, die Sache in der That aber gleich blieb: der unter- 
liegende Theil assimilirte sich dem Sieger; dieser hatte keinen 
Grund die alten Vorstellungen auszurotten, er legte ihnen nur 
einen anderen Sinn bei und suchte so allmählig die alten Schläuche 
mit neuem Wein zu erfüllen. 

So machten es die Bömer in ihrem Weltreiche, das eben 
charakterisirt ist durch die völlige Nivellirung der früheren Ge- 
gensätze, die da angestrebt und auch zum grössten Theil durch-* 
geführt wurde. 

Im Westen assimilirten sich dieselben ihre ünterthanen wie 
in Bezug auf die Sprache, so auch in Bezug auf die Beligion. 
Jenes gab den romanischen Sprachkreisen das Leben, dieses dem 
Christentum. Aber Bomanismus wie Christentum waren doch nur 
die äussere Hülle, innerhalb deren der wahre Kern unversehrt 
blieb. Die Baeter assimilirten sich den Bömem z. B. in Bezug 
auf das Götterwesen 2). Die Eaeter verehrten einen Gott der 
Saaten, ebenso die Bömer ; der alte Gott blieb auch in römischer 
Zeit den Baetem heilig, nur dass er jetzt „Satumus^ benannt 
ward. Die alten Feierlichkeiten fanden ihm zu Ehren statt wie 



*) Man Tgl. hierüber namentlich die Ansfflhningen J. Grimmas, I). Mythol. 
(1. Aufl.) S. XIV f. M. Müller, Vergleichende Mythologie. Essays H. 1—127. Er 
legt jener frühesten Epoche, die aller nationalen Trennung yorangieng, den Namen 
des mythopoeischen oder mythenhildenden Zeitalters hei. S. 45. 

') Die Thatsache ist richtig, ohwol wir über die StammTerwandtschaft der 
Baeter noch nicht im klaren sind. 

c* 



XXXVI 

nur je, durch Procession um die Felder: das nannten die Römer 
nach ihrer Art «Ambarvalia.*' 

Derselbe Üebergang vollzog sich später aus dem Heidentum 
ins Christentum, aus dem Bomanismus in den Germanismus. 

Das Christentum setzte an die Stelle der heidnischen Feste 
christliche: an die Stelle der Götter seine Heiligen. Bei den 
Germanen ward die „frohe Botschaft* unter demselben Vorbehalt 
aufgenommen; «also dass z. B. S. Nicolaus und S. Martin den 
alten Wodan, S. Peter den Donar, S. Michael den Kriegsgott, 
S. Leonhardt den milden Fro, den Gott der Heerden und der 
Fruchtbarkeit in sich aufgenommen hat*' ; mitunter ist auch, wie 
Steub bemerkt, ein alter Heidenheros mit Sack und Pack ins 
Christentum übergegangen, und ein Heiliger geworden, z. B. 
S. Hirmin. So erfolgte dann die Einwirkung des Germanismus 
auf den Bomanismus in unseren Landen. Auch da suchten die 
Gegensätze sich auszugleichen und weil die Germanen die über- 
legenen waren, substituirten nunmehr die »blöden* Bomanen ihren 
Vorstellungen deutsche Begriffe und Namen. 

Sie tranken mit ihren Besiegem «S. Johannisminne *, wie 
jetzt die alten Trankopfer Messen u. s. w. und indem sie in der 
Folge sich der deutschen Sprache bequemten, überkamen sie auch 
die ganze Nomenclatur und Begriffswelt der Deutschen : nannten 
sie das Fest der Auferstehung des Herrn auch Ostern, wie jene, 
die Tage der Woche aber nach Ziu und Eru, nach Donar und 
Freia, anstatt nach Mars, Mercur, Jupiter, Venus. 

Das ist eben die Assimilirungskraft der herrschenden Bage : 
beim üebergang vom Bomanismus zum Germanismus blieb nur 
ein Bodensatz von Begriffen übrig, der nicht aufgelöst wurde, da 
die Analogien dem einwirkenden Element abgiengen: in Baetien 
also — neben dem raetischen Best, der den Bömem widerstanden 
hatte — auch noch romanisches Ueberbleibsel, welches die Ger- 
manen sich aneigneten, denen die entsprechenden Begriffe eben 
früher gefehlt hatten. 

Ein sehr wichtiges Moment, das nicht immer richtig ge- 
würdigt worden ist. Es handelt sich nemlich hiebei um die Frage 
nach der Nationalität der Colonialländer, wo die gegenwärtige 
Bevölkerung erwachsen ist aus der Vermischung der eingeführten 
Colonisten und der früheren Bewohner des Landes : also z. B. in 



xxxvn 

Deutschland um die Nationalitat sämmtlicher Gebiete rechts der 
Elbe und in den südöstlichen Marken, wo das Deutschtum auf 
slavischem Boden sich pflanzte i oder am Ehein, namentlich aber 
in den Bergen Eaetiens und des westlichen Noricum's, wo die 
Eomanen sich germanisirten. Diese Gegenden sind jetzt deutsch; 
wenn man aber unter ^Nation* „reines Blut* versteht, dann 
waren diese Mischlingsra^en nicht der deutschen Nation zuzu- 
rechnen. 

Lessing und Leibnitz mit ihren slavischen Namen, Fallme- 
rayer romanischer Benennung^) gehörten nicht zu ihr. Die deut- 
sche Mythologie dürfte auf jene Gegenden nicht Eücksicht nehmen: 
Jg. V. Zingerle, unser verehrter Lehrer, hätte umsonst die Sitten, 
Meinungen und Bräuche des Tiroler Volkes zusammengestellt als 
wichtigen Beitrag zur deutschen Völkerkunde: hier wäre alles 
romanisch zu erklären, dort alles aus dem Slavischen zu de- 
monstriren. 

Aus den Gründen, die ich früher auseinandersetzte, wegen 
der »Assimilationskraft der herrschenden Ea^e^geht 
das nicht an. In Folge dessen sind also die Brandenburger, die 
Sachsen, die Steiermärker, die Tiroler, wenn sie es nur sonst 
nicht fehlen lassen, allerdings als deutsche Brüder anzusehen und 
ohne weiteres auch fernerhin Lessing, Leibnitz, FaUmerayer als 
Sterne erster Grösse am Himmel der deutschen Litteratur. 
B. Schmidt's und J. Zingerle's Methode aus dem jetzigen Volks- 
glauben der Griechen und Tiroler für die Mythologie der alten 
Hellenen und Deutschen Kapital zu schlagen ist gerechtfertigt 2). 



*) Der Name stammt yon Val Maria, jetzt Valmarei, einem Hofe bei Tschötsch 
in Südtirol. >E8 ist anziehend und fast spasshaft, dass FaUmerayer selbst in ähnlicher 
Lage sich befand, wie irgend ein starkgemischter Graecoslave« Die Gegend am 
Eisak ist nemlich früher, wie bereits angedeutet wurde, eine romanische gewesen 
und ihre Germanisirung föllt ungefähr in denselben Zeitraum, in welchem nach des 
Fragmentisten Ansicht die Graecisirnng des den Slaven wieder abgewonnenen Morea^s 
fällt. FaUmerayer selber zeigte, obwol er sich durch und durch als Deutscher fühlte, 
im Antlitz doch yerrätherische Züge lateinischer Abstammung.* Steub, Herbsttage 
in-Tirol S. 77. 

') Man vgl. auch darüber die vortrefflichen Ausführungen von Jac Grimm, 
D. Mythol. S. XV. »Eine Menge Aberglauben hat Deutschland mit Frankreich und 
Britannien gemein ; die uns durch Alemannen und Franken vermittelt wurde. Aehn- 
liühes gesA^hah im Osten, wo slavische, ütthauische, finnische Völkerschaften auf 



n 



xxxvm 

Ja man darf sogar noch weiter gehen und behaupten, jener Bei- 
satz fremden Blutes hat die Ba^e nach den ethnologischen Ge- 
setzen nicht nur nicht verschlechtert, sondern eben diese Mischung 
habe den alten Stamm veredelt und gekräftigt ^), indem zwei 
Zweige indoeuropäischen Geschlechtes sich verschwägerten. 

Und damit ist in einer Beziehung dem Vorwurf die Spitze 
abgebröchen, den Fallmerayer einst gegen die Neugriechen erhob : 
sie seien nicht die Enkel der alten Hellenen, sondern vielmehr ein 
slavisches Geschlecht. In dieser Hinsicht wird man durchaus 
der Kritik Kopitar's beistimmen dürfen 2): »Im Grunde ist diese 
ganze Mischung von Griechen und Slaven nichts mehr und nichts 
weniger, als was die Mischung der Lateiner mit Deutschen (wo- 
durch Neueuropa entstanden) d. h. keine Mischung verschie- 
dener Eagen, sondern nur neue Verschwägerung altverwandter 
Zweige derselben Eage; mit anderen Worten: allgemeinere 
Befolgung des Beispieles von Themistocles' Vater oder Thuky- 
dides etc., von Alexander dem Grossen und seinen Armeen nichts 
zu sagen. Das Kreuzen der Ba^en wird bekanntlich von den 
Oeconomen geboten ; und wenn man von Leibnitz's und Lessing's 
slavischen Familiennamen entweder auf ihren hibriden Ursprung 
oder doch ihre Sprachmetamorphose schliessen darf, so würde 
sich diese Oeconomie auch an Friedrich's 11. „ maudite ra^e * vor- 
theilhaft bewähren.* 

Aber allerdings haben die modernen Griechen auch keinen 
Grund, sich als die Enkel der Marathonomachen, des Epaminon- 
das, des PhUopoemen zu brüsten und auf den Buhm ihrer Vor- 
fahren hin zu sündigen. Der Philhellenismus ist nur dann be- 
rechtigt, wenn die gegenwärtigen Träger des hellenischen Namens 
sich dessen würdig erzeigen^. 



ungerer Ferse nachrückten. Namentlich des übereintreffenden slavischen und deut- 
schen Aberglaubens ist ausserordentlich viel. Schon die Gothen wurden davon be- 
einflusst.* 

^) Vgl. Jülg, Verhandlungen der 29. Vers, deutscher Philol. und Schul- 
männer (1874) S. 4. 

*) Wiener Jahrbücher der Litteratur. Bd. 41. S. 118. 

3) Fallmerayer sah, indem er seine These verfocht, von jener Assimilation 
eben ab. Doch gab er im Gespräche, namentlich mit gebildeten Griechen, welche er 
immer gerne bei sich sah, manches zu. »Es komme z. B. in der That nicht viel 



XXXIX 

Ffir die (rescliiclite des Graecismus oder vielmehr des Bomaer- 
tams im Mittelalter aber ist es von Interesse zu sehen, aus wie vielen 
und verschiedenartigen Elementen die Nation der Neugriechisn sich 
gebildet hat. Noch im fünfzehnten Jahrhundert war die ethno- 
graphische Gestaltung ihres Landes eine sehr bunte. ,Im Fe- 
loponnes* — bemerkt der zeitgenössische Byzantiner Mazaris — 
^jwohnen mancherlei Völkerschafteu bunt durchein- 
ander, deren Abgrenzungen jetzt aufzufinden weder 
leicht noch dringend nötig ist; diejenigen aber welche 
jedes Ohr nach der Sprache unterscheidet und überhaupt die 
bedeutendsten sind folgende: Lakedsemonier, Italiener, 
Peloponnesier, Slawinen, Illyrier, Aegyptier und 
Juden (darunter nicht wenige Mischlinge), zusammen also 
sieben« ^). 

Aus diesem Stoff erwuchsen die Eomäer oder Neugriechen 
in Folge der gewaltigen Assimilationskraft, die das griechische 
Wesen in Kirche und Staat, in Sprache und Litteratur auf die 
anderen analphabeten Stämme ausübte, die an Zahl viel stärker 
waren ^). 



auf die hellenische Ahstammangr an and da die Griechen, wenn auch Slaren, sich 
mit Opfern aller Art die Freiheit erkämpft, so seien sie immerhin achtungswerth. 
Auch sei ihnen zu gönnon, wenn sie sich als Hellenen fühlten.* 
U. 8. w. Vgl. Steuh, Herhsttage. S. 77. Den Walachen, die sich als »Römer« 
fflhlen, ist das ebenfalls zu gönnen. »Denn was der Erz-Geograph Büsching irgendwo 
Ton den heutigen Juden behauptet, dass sie grösstentheils aus den Lenden römischer 
Soldaten entsprossen wären, Hesse sich vielleicht mit grösserem Rechte von den 
Walachen in Ungarn und Siebenbürgen sagen/* Schwartner, Statistik Ungarn^s 
S. 98 f. Auch hier beruht der Fortschritt auf der zunehmenden Assimilation des 
Volksstammes an die Ideen des Abendlandes, nicht auf der Frodudrung eines Adels- 
briefes von etwas zweifelhafter Natur. 

*) Vgl. hiezu Fallmerayer, Ges. Werke III. 587. Hopf, Gesch. Griechenlands 
UQ M. A. Bd. 86. S. 188 ff. ergeht sich in allerlei Hyperkritik: sieben sei eine 
heiligre Zahl, das mache die ganze Angabe verdächtig u. s. w. 

*) Die Kraft der Ideen ist stärker als die des Blutes. Die Idee, die das 
Mittelalter beherrschte, war nicht die der Nationalität, sondern die der Einheit und 
Universalität in Reich und Kirche. Noch gegenwärtig ist die religiöse Idee im 
Orient stärker, als die nationale: in den ultramontanen Gegenden des Ooddents 
desgleichen. Und wo im Occident die nationale Idee vorherrscht, sind deren Träger 
dem Blute nach oft einer anderen Nation entsprossen, als für die sie schwärmen. In 
Wälschtirol z. 6. sind die eifrigsten Italianissimi entnationalisirte Deutsche (z. B. 



XL 

Von einem solchen Aufsaugungsprocess können sich die 
neueren Historiker, welche die Anfänge der Neugriechen behan- 
delten, keine Vorstellung machen, da sie von ähnlichen Vorgän- 
gen, die noch in unserer Zeit sich abspielen, nichts zu wissen 
scheinen. Daher behaupten Hopf, wie Hertzberg, das griechische 
Element müsse dort zu allen Zeiten starker gewesen sein, als 
das eingedrungene fremde. Dagegen sprechen alle positiven Zeug- 
nisse, die wir besitzen, die Schriftsteller, die Urkunden, die Namen 
der Orte. 

Der „Bomanismus'' hat auf der Balcanhalbinsel und darüber 
hinaus ganz ähnliche Schicksale erlebt, wie der «Bomaismus^. 
Und zwar in verschiedenen Gegenden in verschiedener Weise. 
Im Mittelalter ist der Bomanismus südwärts der Donau viel 
stärker gewesen als jetzt; wie er auch in den Alpenländem stär- 
ker war. Dort wie hier entnationalisirten sich die Bomanen zu 
Gunsten anderer Nationalitäten, auf der Balcanhalbinsel der Sla- 
ven und Griechen. Ein Process der gegenwärtig noch 
andauert^), so dass wir gleichsam die Probe für jene Behaup- 
tung vor uns haben, wenn sie jemand in jetzt sehr beliebter 
Weise für , unmöglich* erklären wollte^). 



Baisini, d« i. Weiss n. s. w.), in den slavischen Ländern ist es ähnlich. „So sind 
auch die Böhmen mit deutschen Namen oft die eifrigsten und thätigsten Slavo- 
manen**; bemerkte Kopitar a. a. 0. S. 118. Den grössten Einfluss auf die Ent- 
wicklung des Nationalgefuhls übt die nationale Litteratur aus: bei den einzelnen 
slayischen Stämmen, den Walachen und den Griechen hieng deren Aufblühen auf 
das engste mit den politischen Bestrebungen zusammen. Mit dem „reinen Blut*^ 
hat diese Thatsache bei Bomaenen und Bomaeem nichts zu schaffen. 

*) Vgl. Jirececk, Gesch. der Bulgaren S. 575 und B. Schmidt, Volksleben der 
Neugriechen S. 15. Diese südlichen Bomaenen sind jetzt nur mehr 200.000 Seelen 
stark. Liesse sich der Procentsatz der Abnahme mit Sicherheit berechnen, so könnte 
man auch die Zahl dieser Walachen im zwölften und dreizehnten Jahrhundert bestim- 
men; ohne zur Erklärung jener Abnahme den „Deus ex machina" einer Auswan- 
derung beschwören zu müssen. 

*) In der Behandlung der Fragen historischer Ethnographie ist neuerdings der 
Missbrauch eingerissen, in ganz abstracter Weise das „argumentum ad hominem** 
und „ad absurdum" zu gebrauchen. „Ist das denkbar?^* „Ist das möglich?" ,j8t 
diese Ansicht acceptabel?" Die Methode, die dem gegenüber hier befolgt wird, 
besteht darin, dass erst alle Umstände erwogen, darauf analoge Fälle zur Ver- 
gleichung herangezogen werden. Danach soll aus gleichen Ursachen die gleiche 
Wirkung erschlossen oder die Verschiedenheit der Entwicklung und deren Grund 



XLI 

In der Moldau, in Siebenbürgen, im Banat hingegen erwies 
und erweist sich die Assimilationskraft der Bomanen als die 
stärkere. Noch im siebenzehnten Jahrhundert wurde z. B. das 
Fürstentum Moldau keineswegs als eine Domaene romanischen 
Volkstums angesehen, es lebte dort ein erst im Bomanischwerden 
begriffenes Völkergemisch. Der »Mazaris* dieser Zustände ist 
Georg Kreckwitz aus Siebenbürgen. Dieser erwähnt in seiner 
.Beschreibung des ganzen Königreiches Ungarn* (Frankfurt 1685) 
in der Moldau folgende Bevölkerungselemente: »Beussen, Tartem, 
Sarmater (d. h. Polen), Batzen (Serben), Armenier, Bulgaren, 
Siebenbürger, Deutsche und viele Zigeuner.* »Und dieweil die 
Völker unterschiedlich, also haben sie auch unter- 
schiedliche Beligionen, wiewohl sie den Walachenin 
vielem nacharten, sich auch der corrumpirten roma- 
nischen Sprache und Kleidung gebrauchen.* 

Aehnlich im Banat. Hier entnationalisiren die Walachen 
ihre serbischen Nachbarn, u. z. ziemlich schnell. Die Gegend 
von Temesvar war noch zu Anfang dieses Jahrhunderts blos von 
Serben bewohnt, jetzt ist sie völlig romanisirt *). 

Auf diese Weise ist die ethnographische Karte Europa's seit 
Jahrhunderten in beständiger, wenn auch unmerklicher Verän- 
derung begriffen gewesen ^). Eine Thatsache, mit der der Histo- 
riker zu rechnen hat 



Ich habe, wie Mher in meiner Schrift über ,die Anfänge 
der Bomaenen* eine Erörterung über die Entstehung der Neu- 
griechen an die Spitze gestellt, um eben die vergleichende Me- 
thode, die Boesler vernachlässigte, trotzdem er Fallmerayer citirte, 
zu rechtfertigen. Fallmerayer wkte als Vorbild für Steub ; beide 



erklärt werden. Bei einem Thema, wie die Anfinge der Romanen, zu dessen Dia- 
siaration directe QueUen fiust gänzlich mangeln, scheint mir dieser V^eg allein zum 
Ziele führen zu können. 

^) Eanitz, Serbien S. 828* Näheres bei Bidermann, die Buoowina unter oest, 
Verwaltung, 2. Aufl. 1876. S. 45. IT. VgL auch Schwartner, Statistik Ungam*8 
(Pest, 1798). S. 100. 

') Ans Ungarn namentlich liesen sich noch die interessantesten Beispiele an- 
ftdiren: z. B. wie die Slaven Magyaren und Deutsche in Oberungam entnationali« 
sirten. Es wfirde uns das aber zu weit führen. 

Jung, die Donau^Proylnzen. D 



XLH 

aber, als Lieblingsschriftsteller meiner Studentenjahre haben es 
veranlasst, dass ich den Walachen meine Aufmeilcsamkeit zu- 
wendete, als ich in Berlin mit der Geschichte der römischen 
Eaiserzeit mich zu beschäftigen begann ^). Das Besultat der 
epigraphischen Forschungen, wie es von Mommsen zusammenge- 
fiEtsst wurde, that die Unhaltbarkeit der Böslef sehen Argumen- 
tation Aber die Colonisationsverhältnisse Daciens dar 2). Durch 
Anwendung der Methode Fallmerayef s und Steub's schien mir 
auch das übrige Baisonnement von Boesler zu stürzen. 

Der erste Versuch, der gemacht wurde, fand trotz der Män- 
gel, die demselben anUebten, im ganzen eine günstige Auf- 
nahme. Die Ausstellungen aber, die gemacht wurden, schienen 
mir in mehr als einem Falle darauf zu beruhen, dass es den 
Beurteilen! wie Boesler^n ergieng; es waren ihnen entweder die 
Geschichte der römischen Colonisation, oder die Schriften von 
Steub, oder die Schicksale der Fallmerayer^schen Thesis nicht 
genügend bekannt ^ ; in Folge dessen wurde immer je ein Theil 



i) Manniglache Anregung und Belehrung im Allgemeinen wie im Besonderen 
boten dem Verf. auch fQr den Zweck dieser Schrift die Collegien Mommsen's über 
„Geschichte der römischen Eaiserzeit"; „Lateinische Epigraphik"; „Oeschichte der 
römischen Legionen". 

') Mommsen erw&hnte schon in seinem Aufsatze über die Ar^albrüder („Grenz- 
boten" 1870. n. S. 174) der dadschen Kriege als derjenigen, „durch welche Sie- 
benbürgen römisch ward und die den Grund gelegt haben zur heutigen Nation der 
Somaenen". In seinen Vorlesungen über römische Eaisergeschichte äusserte er yor 
ein paar Jahren, mit ausdrücklicher Bezugnahme darauf, dass es „oft gesagt 
und oft angezweifelt" worden sei, die romanische Nation, die heute den 
Boden des alten Badens erfüllt, yerdanke ihre Entstehung den dadschen Kriegen 
Trajans und der folgenden Colonisation durch die Bömer. Mommsen wies auf die 
aussergewöhnliche Art und Weise hin, in der hier yorgegangen wurde. Die Eroberer 
h&tten hier im Gegensatz zu den anderen Proyinzen „tabula rasa" gemacht, Coloni- 
sten aus allen Proyinzen henrerpflanzt, römisch-griechische Mischlinge, aber der latei- 
nischen Zunge angehörig. Das habe dann eben auch aussergewöhnliche Folgen 
gehabt. — Ich yersuchte, diesen Gedanken unten weiter auszuführen und die Ein- 
wendungen Neuerer dagegen zu widerlegen. 

^ Es handelt sich bei der Bomaenenfrage um höhere Kritik eines Schrift- 
stellers, wie Flayius Vopiscus ; um das Verhältnis der slayischen zu den romanischen 
Ortsnamen, n. z. ebenso der im Altertum genannten, als der einen ältromanischen 
Typus tragenden yulg&ren, wie in Griechenland ähnlich zwischen slayischer und 
hellenischer Nomendatur; die Gemengtheile der romaenisdien Spradie und deren 



xLm 

meiner Auseinandersetzungen weniger gewürdigt, und so schien es 
angezeigt, den Gegenstand noch einmal aufzunehmen, denselben 
weiter auszudehnen und zu verfolgen ; die Eömer und die Boma- 
nen in den sämmtlichen Provinzen an der Donau nach den ange- 
deuteten Gesichtspunkten dem Publicum neuerdings vorzuführen. 
Dadurch sollte der Stoff zu weiteren Erörterungen codificirt und 
, durch die klare Darlegung des gesammten Sachverhaltes der 
Boden geschaffen werden, auf welchem der Kampf, ohne Eerein- 
ziehung von Nebenfragen, ausgefochten werden muss *). * Natür- 
lich, dass bei einer solchen Zusammenfassung des Stoffes Fehler 
im Einzelnen nicht zu vermeiden sein werden: diese dürften sich 
durch spätere Specialarbeiten, zu denen eben die weitere Er- 
örterung des Gegenstandes Anlass geben wird, wol ersetzen lassen. 
Hier konnte nur etwas Vorläufiges oder, wie Lessing sagt, ein 
vorläufiges Etwas gegeben werden. 

Es schien das um so mehr gerechtfertigt, als auch die 
neuesten Arbeiten über die Geschichte der Donaulandschaften in 
den ersten zwölf Jahrhunderten der christlichen Aera, wie z. B. 
das eben erscheinende und sonst sehr verdienstvolle , Handbuch 
der Geschichte Oesterreichs von der ältesten bis zur neuesten 
Zeit mit besonderer Eücksicht auf Länder-Völkerkunde und Cul- 
turgeschichte* bearbeitet von Prof. Fr. Krones in Graz 2), diese 
Verhältnisse stiefmütterlich oder einseitig behandeln; die älteren 
Specialwerke aber, wie z. B. Muchar's »Eömisches Noricum* ver-' 
altet sind. Büdinger's Behandlung der römischen Epoche in sei- 
ner -Oesterreichischen Geschichte* war für ihren Zweck und 



YerwertuDg zn historischen Zwecken, die Mischung der Dialecte n. s« w. ; was hei 
Behandlang der griechischen und theilweise auch der raetoromanischen Ursprünge 
alles auch in Betracht kommt. 

1) Einer meiner rerehrten Kritiker hat dies den „Anfängen der Bomaenen" 
nachgerühmt; ygl. A. AUg. Zeitung yom 8. Nov. 1876; möge dies günstige Urteil 
auch der yorliegenden Arheit zu Theil werden. 

1) Berlin. Bibliothek für Wissenschaft und Litteratur yon Th. Orieben. Bd. 5. 
bist. Abth. 2. Bd. 1876 f. Von Krones^ Handbuch sind bis jetzt 8 Lieferungen 
erschienen. In der zweiten und dritten wird die römische Zeit behandelt, ohne 
dass die neueren Arbeiten auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft gehörig berück- 
Bichtigt w&ren. Es ist das begreiflich, da eben diese jetzt so herangewachsen ist, 
dass sie, mit ihren eigenen Blsdplinen, Zeitschriften n. s. w. ausgestattet, bereits 
ein eigenes Studium erfordert. 

D* 



XLIV 

mehr noch für ihre Zeit ausgezeichnet und bietet jetzt noch eine 
Beihe von brauchbaren Notizen; aber in den letzten zwanzig 
Jahren hat die Wissenschaft solche Fortschritte gemacht, dass 
auch in Compendien kaum ein Stein auf dem andern bleiben 
kann, ein Neubau von Grund aus nöthig ist, um den modernen 
Anforderungen zu genügen. 



Indem ich die nachfolgenden Untersuchungen und Darlegungen 
der Oeffentlichkeit übergebe, erfülle ich die angenehme Pflicht, 
Herrn Prof Dr. A. Kemer an unserer Hochschule meinen wärmsten 
Dank auszusprechen für die Freundlichkeit und Liberalität, mit 
welcher er mir für das letzte Capitel, die »Bihar'schen Excurse", 
sein Material zur Verfügung stellte. Alles was in denselben gut 
ist, stammt von ihm her. 

Femer danke ich Herrn Prof. Dr. H. J. Bidermann in Graz 
für die Mittheilung seiner Pusterthalischen Forschungen. 

Endlich bin ich meinem Freunde 0. Holder-Egger, einst 
Commilitonen in Göttingen, jetzt Mitarbeiter an den Monumenta 
Germaniae historica, für Aufklärungen über mehrere Punkte der 
Völkerwanderungsepoche verpflichtet. 

Möge die historischen Schulen von Göttingen, Berlin, Innsbruck 
noch lange das enge Band der Freundschaft verknüpfen, das 
während der Studienzeit die einzelnen Mitglieder derselben ver- 
bunden hat. 

Innsbruck, im December 1876. 



I. Die Eroberung durch die Römer. 



Die Eroberung der Donaiüandschaften durch die Bömer war 
eine nothwendige Folge der Eroberung Galliens durch 6. Julius 
Caesar. Denn durch diese war die Komische Grenze weit nach 
Norden vorgeschoben worden ; aber ihre Flanken, sowol nach Bri- 
tannien, wie nach Germanien hin waren durch Völker bedroht, 
die den Besiegten und Unterworfenen stammverwandt waren; die 
derem Widerstreben gegen die Zwingherm zu jeder Zeit morali- 
schen oder thatsächlichen Beistand leisten konnten und wollten. 
Um dem zuvorzukommen, musste man nach beiden Seiten hin 
zu neuen Annexionen schreiten und das Beich arrondiren: schon 
Caesar hatte in diesem Sinne zweimal nach Britannien übergesetzt; 
er hatte zugleich den Gedanken ausgesprochen, ym am Bhein, so 
auch an der Donau die Bömische Grenze zu reguUren; und da 
er mitten in seinen Plänen unter den Dolchen der Aristocraten 
fiel, überlies er die Ausführung seinen Erben. 

Zunächst richtete Augustus, der Neffe und Nachfolger des 
Dictators, seinen Blick auf die Landschaften an der Donau. Schon 
zur Zeit des Triumvirats ward in Dalmatien gekämpft, wurden 
die dortigen Stämme der Japyden, die näher an der Küste lagen, 
unterworfen. So war Stellung gefasst am nördlichen Abhang der 
istrischen und dalmatischen Alpen, zugleich das feste Segeste 
oder Siscia den Fannoniem entrissen und umgeschaffen zum Waf- 
fenplatz Boms gegen die Völker an der Save und jenseits des 
unteren Laufes der Donau (34 v. Chr.). 

In umfassender Weise aber gieng man an jene Grenzregu- 
lirung im grossen Stil, als durch den Sieg bei Actium die Mo- 
narchie der Julier gesichert war. Die herrschende Dynastie be- 

Jimg, die Donau-ProTinzen. 1 



— 2 — 

trachtete es gleichsam als ihre Ehrensache, das Werk des grossen 
Ahnherrn zu erfüllen uad in Wahrheit wie den Ehein so auch 
die Donau zu sicheren Grenzen des Eömischen Weltreiches zu 
machen. 

Eine Beihe von anderen Em^gungen war dazu angethan, 
den Entschluss zur Eeife zu bringen. Die monarchische Eegie- 
rung vermochte der Eömischen Nation nur zu imponiren durch 
auswäxtige Erfolge, nachdem die Freiheit im Innern dahin war 
und das militärische Eegiment triumphirt hatte über die Anar- 
chie der letzten Jahre der Bepublik. Auf den blutigen Wahl- 
stätten Galliens war der Julische Stern aufgegangen, der noch 
ein Jahrhundert geleuchtet hat, hier ward die Dynastie begründet, 
die Eom dann beherrschte ; auf der Bahn, die einmal eingeschlagen 
war, konnte man nicht mehr zurück; man musste sie weiter 
verfolgen. 

Indem dies nun feststand, erkannte die Eömische Begierung 
sehr wol, dass sie allein hier im Norden der westlichen Hälfte 
des Beiches wünschenswerte Erfolge erkämpfen konnte und sollte; 
hier eroberte man fOr die italienische Civilisation, während 
man durch Annexionen im Osten das ohnehin übermächtige grie- 
chische Element verstärkt hätte — wodurch die Verlegung des 
Schwerpunktes des Beiches nach dem Orient um Jahrhunderte 
früher erfolgt wäre, als es so geschah. Das durfte und wollte 
Augustus nicht thun, der ja gegen Antonius und seine orientali- 
schen Verbündeten den Geist des Bömertums aufgerufen hatte, 
das durch das cosmopolitische Gebahren des anderen Triumvirs 
verletzt war. Femer kam in Betracht, dass man durch eine ener- 
gische Politik im Norden Italiens die Bewohner der transpada- 
nischen Landschaft sich verpflichtete, die seit Jahrhunderten von 
den Anfallen der Alpenvölker heimgesucht waren, ohne dass zur 
Zeit der Eepublik etwas Ernstliches dagegen ausgerichtet worden 
wäre; wodurch der Aufschwung jenes Gebietes beständig ge- 
hemmt wurde. 

So schritt denn Augustus nach mancherlei Zögerung, wie 
sie eben im Charakter dieses Monarchen gelegen war, zur Aus- 
fahrung jenes Grenzregulixungsplanes. Im J. 15 v. Chr. geschah 
hiezu der erste Schritt; durch einen combinirten Angriff der bei- 
den kaiserlichen Prinzen Tiberius vom Westen und Drusus vom 



— 8 — 

Süden her wurden die Yölkerschaftien in der heutigen Ostschweiz, 
im südlichen Baiem und in Tirol oder die spätere Provinz Rae- 
tien ohne sonderliche Schwierigkeit überwältigt und unterworfen. *) 
Die Strasse über den Brenner ward so eröABaet, der Pass von 
Italien an die Donau gewonnen. Man setzte sich fest am Bo- 
densee und am obem Laufe jenes Stromes. Die beiden Grenz- 
festungen Augusta Eauracorum (Äugst bei Basel) und Augusta 
Vindelicorum (Augsburg), deren Entstehung oder Erweiterung 
wahrscheinlich in diese Zeit fallt, sicherten am mittleren Bbein 
und an der oberen Donau die neugeschaffene Grenze und das 
neugewonnene Provincialland 2). 

Um dieselbe Zeit oder kurz nachher übergab sich das „Kö- 
nigreich" Noricum, wie es scheint, freiwillig den Römern, mit 
denen es seit den Cimbernkriegen Frieden und Freundschaft ge- 
halten hatte ; schon Caesar hatte tief in die Verhältnisse des 
Landes eingegriffen, dasselbe seinen Feinden gegenüber in Schutz 
genommen, dafür im Bürgerkriege Hüfstruppen von ihm bezogen. 
Aus dem Jahre 16 v. Chr. wird ein Einfall der Noriker und 
Pannonier in Istrien berichtet, den der Proconsul von Illyricum, 
P. SUius, jedoch zurückschlug; darauf machten die Noriker, 
ohnedies schwer bedrängt von ihren ösüichen Nachbarn und Tod- 
feinden, den Dakem, die eben in Pannien übermächtig vordrangen, 
Frieden mit den Römern und wurden in der Folge von diesen 
abhängig und tributpflichtig. ^) Carnuntum bei Wien ward hier 
der Stützpunkt der Römer und die Basis der folgenden Ope- 
rationen. 



^) Die QueUen für diesen Krieg sind sehr spärlich; das beste erfahren wir 
aas den Gratulationsgedichten des Horaz, worin er die Erfolge von August's Söhnen 
besingt. Od. IV, 4, 17. IV, 14, 6 ff. IV, 15, 21. Den Sieg verherrlichte auch 
das Tropaeum Alpium, welches Senat und Volk im Jahre 7 v. Chr. dem Augustus 
bei dem danach benannten Torbia (in der Nähe von Monaco) errichteten und worin 
die damals unterworfenen Stämme aufgezählt sind. Plin. N. H. 8 §. IS 6. Vergl. 
C. I. L. m. p. 706 f. 

*) Vgl. darüber Mommsen, „die Schweiz in Böm. Zeit." S. 5. „Die germanische 
Politik des Augustus" Wochenschrift „Im Neuen Reich", 1870 ; welch' letzterer 
Aufsatz über den pragmatischen Zusammenhang dieser Kriege zuerst Licht verbreitet 
hat. — Hoeck, Böm. Gesch. I. 2. S. 5 ff. 

») Vgl. Mommsen im C. I. L. ITI. p. 588. 

1* 



— 4 — 

üeber der Befestigung und Sicherung der beherrschenden 
Stellung am Nordabhange der Alpen, welche so occupirt war, 
verstrich einige Zeit; erst im 2. oder 3. Jahre nach jenem Vor- 
spiel folgte ein weiterer Angnff ; und zwar war auch dieser com- 
binirt; er richtete sich theils von Italien aus nordöstUch gegen 
die Save und die Drau, theils von Gallien aus gegen Weser und 
Elbe. Die pannonische Expedition ward von Agrippa, dem sieg- 
reichen Feldherm und sohin auch Eidam des Augustus, begonnen; 
als diesen noch während der Vorbereitungen der Tod hinweg- 
raffte, trat an seiner Stelle Tiberius an die Spitze des Heeres; 
in den beiden Feldzügen der Jahre 12 und 11 v. Chr. unterwarf 
er die Stänmie der Pannonier zwischen Save und Drau und 
Augustus rühmte sich sogar nachher in seinem Bechenschaffcsbe- 
richt, bis an die Donau sei damals auch hier die römische Grenze 
vorgerückt worden. *) 

Den anderen Theil der Unternehmung hatte unterdessen 
Drusus, der andere Stiefsohn des Augustus, ausgefOhrt; 4 Jahre 
hinter einander ward Germanien von ihm durchzogen, bis er im 
Jahre 9 v. Chr. frühen Todes starb und nunmehr Tiberius an 
seine Stelle trat. Als er wenige Jahre darauf, durch die tyran- 
nische Familienpolitik des Augustus gekränkt, sich von den 
Staatsgeschäften zurückzog, ruhten die Waffen, da ein tauglicher 
Nachfolger im Kommando nicht vorhanden war. 

Sobald aber wieder die Aussöhnung zwischen Vater und 
Stiefsohn eingetreten war, übernahm Tiberius von neuem den 
Oberbefehl über die Bheinarmee und drang bis über die Elbe in 
Germanien vor (3 und 4 nach Chr.). Es war bei diesen so con- 
sequent sich folgenden Zügen aber immer mehr klar, dass die 
Bömer damals ernstlich im Sinne hatten, auch das eigentliche 
Germanien zu occupiren; nicht mehr der Rhein, die Elbe sollte 
die Grenze werden, diese aufwärts der Linie bis zur Donau bei 
Camuntum suchte man sich zu bemächtigen. Das war das Ziel, 



1) Monum. Ancyran. 5, 44 c 80 nach Mommsens Bestitatioii (Res gfestad 
divi Au^sti p. 86) : Pannoniorum gentes, quas ante me prindpem populi Bomani 
exercitus nunquam adit, derictas per Ti. Neronem, qui tum erat privignus et le- 
gatus mens, imperio populi Bomani subied protulique finis Illyrid ad ripam fluminis 
DanuTi. 



- 5 — 

das man verfolgte und um das zu erreichen man neue Opera^ 
tionen in Aussicht nahm. 

Es war noch eine schwierige Aufgaba zu lösen. Während 
der Zeit nemlich, da die Bömischen Waffen ruhten, hatte sich 
unter den Germanen eine grosse monarchische Consolidation g^ 
bildet, die von der Elbe bis zur Weichsel, von der Donau bis 
zur Ostsee reichte. Es war das Beich, das K. Marbod und die 
Marcomannen gegründet hatten; durch die Züge des Drusus, wie 
es scheint, aus ihren früheren Sitzen am Main . aufgestört, waren 
diese nach Böhmen gezogen, hatten die Beste der dortigen Boier 
hinausgeworfen oder geknechtet, sich da niedergelassen und ihre 
Herrschaft immer weiter ausgedehnt E. Marbod war ein Mann 
von Bömischer Bildung, der die Ansiedlung Bömischer Kaufleute 
um seine Besidenz begünstigte und namentlich sein Heer nach 
Bömischer Weise organisirte. So trat er jetzt den Absichten der 
Bömer hindernd in den Weg, indem diese den Elbestrom nicht 
zu beherrschen vermochten, wenn Böhmen nicht in ihrer Hand war. 

Dies zu gewinnen, schickte man sich an im Jahre 6 nach 
Chr.; vom Bhein, wievon der Donau aus soUte Marbod angegriffen 
werden, der Hauptstoss aber von Noricum aus erfolgen ; zu Carnun- 
tum sammelten sich die Legionen, die Tiberius commandiren sollte. 

Da traf, als man nach Böhmen vorzurücken im Begriffe 
stand, plötzlich die Nachricht ein, dass die Völker Fannoniens 
und Dalmatiens sich in vollem Aufruhr befänden, die Bömischen 
Bewohner der Städte seien niedergemacht, die schwachen Be- 
satzungen, die man zurückgelassen, in höchster Gefahr. Die un- 
mittelbare Ursache des Aufstandes war die vom Legaten Messa- 
linus vorgenonmiene Aushebung junger Mannschaften für die Do- 
nauarmee. Aber der eigentliche (xrund der Empörung lag doch 
tiefer und die Tragweite derselben war grösser^ als die einer 
blossen Emeute. 

Es war ein Aufbäumen der unterjochten Nationalitäten des 
ganzen Landes von der Donau bis zum adriatischen Meer, an 
der Drau und Save sowol wie an den Bergen Bosniens und an 
der dalmatischen Küste. Schleunig schloss man mit Marbod 
Frieden; das Böndsche Heer, in seinem Bücken bedroht, musste 
umkehren, die Insurrection zu bekämpfen. Gewaltige Massen 
ßtaiiden ^egen ^m im Feld wd die Nähe des fjiegsschau-. 



— 6 — 

platzes steigerte im verwöhnten und nicht mehr wie einst schlag- 
fertigen Italien die Furcht ins Grenzenlose : in 10 Tagen könnte 
der Feind in Born sein, erklärte Augustus selbst im Senat. 

Die Anfahrer im Streite, der für Illyricum beiläufig dieselbe 
Bedeutung hatte, wie einst für Gallien die grosse Coalition aller 
keltischen Clane unter Vefcingetorix, waren die beiden Bato, der 
eine aus dem dalmatischen Stamme der Daesidiaten, der andere 
von Abkunft ein Breuker, deren Wohnsitze in Pannonien an der 
Save lagen. Was den Römern die Sache so gefährlich machte, 
war der Umstand, dass die insurgirten Völkerschaften bereits 
Römisches Wesen sich angeeignet. Römische Kriegskunst und 
Kampfesweise kennen gelernt hatten und dieselben jetzt zu be- 
nützen verstanden. Indess die Gefahr wurde auch diesmal wie- 
der beschworen; auf die Einzelheiten, die auch zusammengenom- 
men dennoch kein deutliches Bild der Ereignisse ergeben würden, 
wiU ich nicht weiter eingehen. Genug, man machte die grössten 
Anstrengungen; neue Steuern wurden ausgeschrieben, neue Le- 
gionen ausgehoben. Der greise Kaiser Augustus selbst begab 
sich nach Oberitalien, die Vertheidigungsanstalten zu leiten, sein 
Sohn Tiberius und sein Enkel — der junge Germanicus — 
giengen zur Armee ab; jener übernahm den Oberbefehl und so 
gelang es der Bewegung Herr zu werden. 

In vierjährigen blutigen Kriege (6—9 n. Chr.) schlug Ti- 
berius die Rebellion nieder und rettete den Staat. ^) 

Kaum war man so hier zu Ende, da erfolgte auch in Ger- 
manien die Katastrophe; der dortige Statthalter Quintilius Varus 
ward mit drei Legionen im Teutoburger Walde niedergehauen. 
Da gab die Regierung den Plan auf, die Elbe zu Roms Grenze 
zu machen, mit dem sie sich so lange getragen hatte; man gieng 
endgiltig zurüc^k auf die Rhein- und Donaulinie, die von nun an 
durch ein halbes Jahrtausend den Bereich der italienischen Civi- 
lisation von der Barbarei der auswärtigen Völkerschaften ge- 
schieden hat. 

Raetien und Pannonien waren so unter den Anspielen des 



*) Vgl. Dio 55, 28 — 82; 56, 1. Velleius, der selbst den Krieg mitmachte, 
2, 110—115. Zomir. 10, 87. Sueton. Tib. 16. Biezu Mommseu C. I. L. III. 
p. 415. 



— 7 — 

Augustus durch Waflfen - Gewalt unterworfen; die Art und 
Weise, in der es geschehen war, in der man namentlich den 
Illyrischen Aufstand bewältiget hatte, zeigte wieder einmal, 
wie die Römer die Völker zu unterjochen und bleibend zu 
knechten verstanden. Italien ward einst unter ihrer Herrschaft 
geeinigt, indem Samniums blühende Thäler fast in eine Wüstenei 
verwandelt worden waren und das früher so volkreiche Land ver- 
ödet blieb bis auf unsere Tage. Mit fürchterlicher Consequenz 
gieng man gegen jeden Gegner vor. In diesem Geiste hat denn 
auch Julius Caesar als Proconsul in Gallien die Eroberung voll- 
bracht: Gefangenen lies er die Hände abhauen, ganze Völker 
weihte er dem Untergange, wo hartnäckig Widerstand geleistet 
wurde, schonten die Truppen nicht Weib noch Kind. Tausende 
wurden in die Sclaverei verkauft, die widerspänstigen Häuptlinge, 
den heldenmütigen Führer im letzten Verzweiflungskampfe Ver- 
cingetorix selbst lies der Feldherr kalten Blutes hinrichten. *) 
„Blutroth ftrbte sich Eoms Purpur, der einzige Caesar, 
Eine Million und mehr sandt' er zum Orcus hinab.** 
Nicht anders gieng Augustus vor. Wir wissen aus seinem 
Dalmatischen Kriege, dass nachdem die meisten Völkerschaften 
sich bereits ergeben hatten, die Arupiner , der tapferste Stamm 
der Japyden, sich noch widersetzten. Da ward eine Eazzia gegen 
sie veranstaltet Man hetzte sie aus den Dörfern in ihre „oppida", 
aus diesen dann in die Wälder, bis Hunger und Elend sie mürbe 
machte und sie sich ergaben. 

Auch der finstere Stiefsohn des Augustus trat in die Fuss- 
stapfen des Ahnherrn der Julischen Dynastie. Auch er rottete, 
um zum Ziele zu gelangen, den besten Theil der Nationen aus, 
die ihre Freiheit mit grosser Tapferkeit vertheidigt hatten. Die 
Besiegten wurden entweder getödtet, oder in die Sclaverei ver- 
kauft oder vom heimatlichen Boden weggeführt und in ein fremdes 
Land verpflanzt. Man lies nur so viele Menschen übrig, als wol 
genügten, die Gegend zu bebauen, nicht aber eine Eevolution zu 
wagen; ganz in dem Stile, den von jeher die Conquistadoren ge- 
liebt haben. So ergieng es den Eaetem^), deren 40000 zu 

*) Vgl. Drumanns einschlägige Capitel in der »Geschichte Roms in seinem 
Uebergange von der republicanisehen zur monarchischen Ver&ssung* Bd. HI, 284 ff 
«) Pio, 54, 22. cf. C. I, L. HI. p. 708. 



— 8 — 

Sclaven gemacht wurden, so den Pannoniem , deren waffenßhige 
Männer gröstentheils dasselbe Schicksal traf ^); die Scordisker, 
die in Moesien gesessen waren, versetzte man von da ans äusserste 
Ende von Pannonien^). 

Die Moeser unterwarf im Auftrage des Augustus bald nach 
der Schlacht von Actium M. Licinius Crassus, der Grosssohn 
des Triumvir und im Jahre 29 v. Chr. Proconsul von Macedonien. 
Es gelang ihm einen der dortigen Fürsten zu überwältigen und, 
als ein Verräther den Eömem den Eingang in seine Festung 
eröfl&iet hatte, zu tödten. Die Reste der widerstrebenden Bevöl- 
kerung suchten mit all ihrem Hab und Gut Zuflucht in der ge- 
räumigen Höhle Kiris ; Crassus lies ihre Zugänge vermauern und 
überlieferte alle dem Hungertode. „Es war eine That, wie die 
St. Amauds bei der Höhle von Dahra in Algerien." 

Wie man dann in Dacien vorgieng, werden wir nachher 
sehen; auch dort ist eine ganze Generation im Eroberungskriege 
einfach vernichtet worden: so leitete sich überall die Eömische 
Herrschaft ein. Alle Erinnerung an die Zeiten der einstigen Un- 
abhängigkeit und Freiheit sollte dadurch aus dem Gesichtskreise 
der Nachlebenden entfernt werden, das junge Geschlecht heran- 
wachsen gewohnt der eisernen Zuchtruthe seiner Besieger. Das 
schien die erste und nöth wendige Bedingung, um nachher das 
Werk der Entnationalisirung glücklich vollbringen zu können. 
Die neue Epoche der Weltgeschichte, welche die Caesaren herbei- 
führten, ward auf diese Weise inaugurirt, nicht nur für die 
„Völker* (gentes), sondern fflr Eom selbst, wo ja auch die Zeit 
der Bürgerkriege die Besten der Nation dahingerafft hatte, bis 
die Ueberlebenden erschöpft der Monarchie sich fügten. — 

Unter Augustus war also im Ganzen und Grossen die Do- 
naugrenze gewonnen und die Linie von Siscia-Poetovio-Camuntum 
besetzt worden, während das innere Pannonien vorläufig noch 
ausser Spiel blieb. 

Die Zeiten nach Augustus bis zum Ende des 1. Jahrhun- 
derts giengen an der Donau in Buhe hin; man consolidirte das 
Gewonnene, ohne mehr zu begehren. Tiberius wandte mit Erfolg 
die Politik an, die Germanen durch innere Zwitracht sich selbst 

») Dio, 54, 81. 

«) Appian. lUyr. S. cf. C. 1. L. III. p. 415. 



— 9 — 

aufreiben zu lassen. So gieng Arminius zu Grunde, verlor Mar- 
bod sein Beich, wurden die Marcomannen aus ihren bisherigen 
Sitzen östlich gefuhrt und am Marchflusse angesiedelt; nach dem 
Sturze der einheimischen Fürsten beherrschte sie dort der Quade 
Vannius als Souzerän von Eom. *) K. Claudius ergrijBf nach 
einer anderen Seite hin die Offensive; um die Kelten in Gallien 
zu isoliren, ihnen den Zusammenhang mit ihren Stammverwandten 
auf den nordwestlichen Inseln abzuschneiden, erfolgte dorthin eine 
eine Expedition, und die Eroberung Britanniens. Die ersten fla- 
vischen Kaiser hatten . ebenfalls keinen Grund , an der Donau 
aggressiv vorzugehen. Erst unter Domitian ward dies anders. 
Unter diesem Kaiser ist es gewesen, dass man, um die Grenze 
zwischen Germanien und Baetien nicht in dem spitzen Winkel 
verlaufen lassen, den der obere Bhein und die obere Donau zu 
einander bilden, den „ limes * Vorschub und die Linie von Begens- 
burg auf Mainz durch einen Wall befestigte, dessen Beste heute 
unter dem Namen der , Teufelsmauer'' bekannt sind. Bald darauf 
bekam man ernsthafte Händel, die von bedeutenden Folgen wer- 
den sollten. Die Lygier, eine Völkerschaft des freien Germaniens, 
etwa im heutigen Schlesien, hatten von Domitian gegen die 
Sueben, d. h. die Marcomannen am Marchflusse Hilfe begehrt 
und dieser unterstützte sie mit 100 Beitem. Darüber erbittert, 
schlössen die Sueben mit den Jazygen ein Bündniss und fielen 
über die Donau ins römische Gebiet ein 2). Es ward unglücklich 
gegen sie gefochten; eine Legion mit ihrem Legaten wurde in 
diesem Kriege niedergehauen und zuletzt verflochten sich damit 
noch viel ernstere Kämpfe mit einem weit gefährlicheren Gegner, 
nemlich mit den Dakern unter ihrem Könige Decebalus. 

Die Daker, ein Stamm wahrscheinlich thrakischer Nationalität, 
waren schon zur Zeit Caesars und des Augustus eine mächtige 
Nation gewesen, die in das Schicksal der benachbarten Völker- 
stamme bis nach Norieum hin bedeutend eingegriffen hatte ^. 



*) Es sind uns noch Münzen von ihnen erhalten. Sie tragen lateinische 
Aufschriften. Vgl. Mommsen, Rom. Münzwesen S. 696. 

*) Vgl. Mommsen , über den suebisch - sarmatischen Krieg Domitians, im 
»Hermes« III, S. 115 ff. 

') Vgl. Ober das folgende Rösler ,die Pacier* in den Roman. Studien. S* 
27 ff. 



— 10 - 

Die keltischen Boier in Pannonien waren durch sie unter dem 
König Burvista bis zur Vernichtung geschlagen worden, ihr Land 
zur Wüste gemacht; die Noriker entgiengen gleichem Schicksale 
nur, indem sie sich, wie wir sahen, den Bömem in die Arme 
warfen. 

Eine eigenthümliche national-religiöse Erhebung fand damals 
unter dem Volke der Daker statt. In Verbindung mit einem 
Priester, Namens Dekaeneos, ward K. Burvista der religiöspoli- 
tische Eeformator seines Volkes. »Die eigenthümliche Verfas- 
sung, in der die theokratische Idee der wie es scheint absoluten 
Königsgewalt dienstbar geworden war, mag den gotischen Königen 
eine Stellung ihren Unterthanen gegenüber gegeben haben, wie 
etwa die Khalifen sie den Arabern gegenüber gehabt haben." *) 
Binnen wenigen Jahren hatte Burvista ein gewaltiges Reich be- 
gründet, das auf beiden Seiten der Donau bis tief nach Thrakien, 
Illyrien und das norische Land hinein reichte. 

Und nicht etwa, dass es ein rohes Barbarenvolk gewesen 
wäre, das in dieser Weise sich consolidirte. Seit Jahrhunderten 
waren die Daker und die ihnen nächstverwandten Geten von Grie- 
chischen und theilweise selbst Eömischen Culturelementen durch- 
drungen. Das beweisen die zahlreichen und interessanten Münz- 
funde namentlich im südlichen Theile Siebenbürgens, wo zu allen 
Zeiten der Hauptsitz der dacischen Macht gewesen war. Alle 
die angrenzenden Culturländer sind darin reichlich vertreten, an- 
gefangen von den Zeiten der Diadochen Alexanders des Grossen ; 
da finden sich die Münzen des K. Lysimachus von Thracien, 
dessen Goldstater und Silberdrachmen, nach welch' letzteren die 
Daker selbst aufschriftlose Goldstücke zu praegen versuchten; 
femer die Münzen von Thrakien und Makedonien auch aus spä- 
terer Zeit, von Aegypten und den griechischen Seestaaten, nament- 
lich auch denen an der illyrischen Küste des adriatischen Meeres, 
wie von Kerkyra, ApoUonia, Dyrrhachium ; endlich die Denare des 
Bömischen Freistaates. Es scheint das dacische Gold gewesen 
zu sein, das solche Anziehungskraft weithin ausübte und das zu 
erlangen man gerne die Silberlinge hingab; auch mag wol das 



^) Mommsen, Rom- Gesch. UI^, 289- 



- 11 - 

ungemünzt ausgeführte Gold gemünzt wieder zurückgekommen 
sein *). 

Wie dem auch immer war, so viel ist sicher, zur Zeit der 
Einigung der Nation, war dieser die griechisch-römische Cultur 
in Folge des allgemeinen Verkehrs schon nicht mehr fremd und 
es vollzog sich hier ein ähnlicher Vorgang, wie unter Marbod bei 
den Marcomannen, durch Armin bei den Germanen; man ver- 
suchte dem Vordringen der Eömer mit ihren eigenen Waffen zu 
begegnen, indem man Zwietracht säete in dem Gebiete des Fein- 
des, sich selbst aber mit den Vortheilen seiner Taktik vertraut 
machte. 

Schon Caesar hatte diesem Beginnen entgegenzutreten die 
ernstliche Absicht gehabt; eine Expedition nach Daden, die er 
geplant hatte, unterblieb nur in Folge seines plötzlichen Todes. 
Sein Erbe Augustus schlug ein dacisches Heer, das in's Gebiet 
diesseits der Donau eingefallen war und zwang sie dann in ihrem 
eigenen Lande, Frieden und Euhe zu halten^). Seit Burvista's 
Tod war die Macht der Daker im Verfalle begriffen. 

Die nächsten Jahrzehnte des ersten Jahrhunderts wechselten 
die Einfölle von jenseits der Donau mit den Kazzia's der Eömi- 
schen Statthalter. Zu wiederholtenmalen wurden dabei Tausende 
von Dakem gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in Moesien 
sich anzusiedeln. So schon unter Augustus, wo durch Aelius 
Catus ihrer 50000 in's Gebiet diesseits des Stromes verpflanzt 
wurden ^ ; zur Zeit Nero's verfügte der Statthalter Ti. Plautius 
Silvanus Aelianus dieselbe Massregel über 100000 Daker ^). Dafür 
benützten sie nach dem Tode Nero's die Zeiten des Bürgerkriegs, 
da die Grenze etwas entblösst war, zu einem Angriffe, wobei es 
besonders auf die Lager an der Donau abgesehen war. Doch 
misslang der Versuch durch die Energie des Mucianus, der eben 
von dem Siege der Vespasianer bei Cremona Kunde erhalten 
hatte und sogleich gegen die Daker Front machte 5). 



*) Mommsen, Köm. Münzwesen S. 697. 

*) Mommsen, res gestae diTi Augusti 86. Vgl. Strabo, VII, g §. 11. Saeton. 
Aug. 21. 

»J Strabo, VII, S. §. 10. 

*) Orelli n. 750. 

5) Tacitms bist, ni, 46, 



- 12 — 

Zehn Jahre später aber hatte deren Macht bereits einen 
Aufschwung genommen, der weit geßlhrlicher war. Der alte 
König Duras soll der Sage nach die Herrschaft freiwillig einem 
an kriegerischer Tüchtigkeit ihm überlegenen Manne, dem Dece- 
balus, abgetreten haben, der nunmehr neuerdings alle daco*geti- 
schen Stämme unter seiner Herrschaft einigte und die Fahne der 
Nationalität aufpflanzte. 

Dieser Propaganda gegenüber geriethen auch die stammver- 
wandten Völkerschaften, die unter Bömischer Herrschaft lebten, 
in Gährung; wie die keltischen Patrioten Galliens einst auf Bri- 
tannien, so sahen jetzt die thrakischen Stämme der Balcanhalb- 
insel auf Dacien und seinen König als den Hort ihrer Nationa- 
lität und vielleicht auch den künftigen Better. Dort sanmielte 
sich ihre Emigration an und betrieb den Angriffskrieg gegen 
Bom; mit Hilfe der üeberläufer reorganisirte Decebalus seine 
Armee. Gelang ihm sein Werk, erstand hier an der Grenze des 
Beiches eine grosse nationale Consolidation, so war die Bömische 
Politik, die eben in der Schwächung aller Nachbarn» ihre Starke 
fand, überflügelt und die Grenzprovinzen Moesien und Thracien 
in der grössten Gefahr, insurgirt und selbst wieder genommen 
zu werden. 

Bereits gieng der König offensiv vor. Im Jahre 86 brach 
er zum erstenmal in Moesien ein und schlug den Statthalter 
Oppius Sabinus. K. Domitian reiste nunmehr selbst von Bom 
zur Armee ab, blieb aber diesseits der Donau stehen und über- 
lies den Oberbefehl seinem Präfectus praetorio Cornelius Fuscus ; 
dieser verlor, indem er den Feind in Dacien selbst angriff und 
verfolgte, im unwegsamen Lande eine Schlacht und darin das 
Leben. Darauf übernahm der tapfere Tertius Julianus den Ober- 
befehl, der die Daker wieder zurücktrieb und besiegte, so dass 
er schon daran dachte, auf die Hauptstadt Sarmizegetusa selbst 
zu marschieren. Da schloss Domitian, der einen siegreichen Ge- 
neral nicht minder förchtete, als den Feind, wol auch weil es an 
der oberen Donau wieder losgieng, eilig einen faulen Frieden, 
worin er sich, angeblich gegen Stellung von Hilfstruppen, zur 
Zahlung von Subsidien an Decebalus verpflichtete und ihm rö- 
mische Werkleute für Kriegs- und Friedenszwecke zur Verfßgung 
stellte; es sab aus, als ob Rom den Dakeru tributpflichtig ge- 



— 13 — 

worden wäre (90 nach Chr.). Die Niederlagen, die von Bomitian 
und seinen Generalen erlitten worden waren, die Finanznoth, die 
sich in Folge dessen geltend machte, endlich jener schimpfliche 
Friede, der dem Ganzen die Erone aufsetzte, hatten den Thron 
dieses Kaisers erschüttert. Bald darauf ward er das Opfer einer 
Palastverschwörung. Die neue Dynastie, die durch Domitians 
Sturz auf den Thron gekommen war, hatte sich namentlich auch 
in Beziehung auf ihre aus^rtige Politik besser zu legitimiren. 
Und man schickte sich an, es zu thun. 

E. Nerva adoptirte einen tüchtigen Soldaten, den Spanier 
Traian. An dem Tage, da dies geschah, lief aus Pannonien die 
Nachricht ein, dass eben der neue Kronprinz dort einen Sieg 
über die Sueven errungen habe, in Folge dessen Nerva sich und 
seinem Adoptivsohn den Titel Germanicus beilegte. Zugleich 
erfolgten umfassende Vorbereitungen zu weiteren Untemehmungien 
an der Donau; es wurden Strassen gebaut, es wurden Truppen 
concentrirt, Neuorganisationen vorgenommen, alles unter der per- 
söDÜchen Leitung Traians, der auch nach Nervals bald darauf 
erfolgten Tode nicht sofort nach Eom gieng, sondern den Win- 
ter 98/9 an der Donau zubrachte. Man lenkte wieder ein in die 
Bahn der eigentlichen Eroberungspolitik, die seit der Varus- 
schlacht und dem grossen illyrischen Aufstande, wenigstens an 
Rhein nnd Donau, war sistirt worden. Es erfolgte die Occupation 
des ganzen unteren Pannoniens und dessen Einrichtung als 
Provinz *). 

In der früheren Kaiserzeit war hier, wie gesagt, nicht die 
ganze Donau Grenze des Bömischen Seiches gewesen. Der mitt- 
lere Lanf dieses Flusses, namentlich im heutigen Ungarn ward, 
wenn anch unterthänig, gleichwol noch nicht besetzt, sondern die 
Drave-Save-Donaulinie festgehalten worden. Nur die Position 
von Gamuntum bei Wien hatte man schon vor Traian inne, seit- 
dem das „regnum Noricum^^ eben römisch war, und es war diese 
Position, welche später zu Pannonien gezogen wurde, in den 
froheren Zeiten Noricum zugetheilt. 



^) Vgl. für das folgende Mommsen im Gorpns Inscr. Latin. III. p. 415. Die 
Balleuser Dissertation ron A. Strassborger : Quomodo et qnando Pannonia proyincia 
^inana futa sit. pars I. 1875 kenne ich nur dem Titel nach. 



— 14 - 

Unter Traian nun und — so viel wir sehen — nicht firflher 
ist dieser Strich an der mittleren Donau von Wien an bis in 
die Gegend, wo Donau und Save zusammenfiiessen, gewonnen, 
sind namentlich die wichtigen strategischen Punkte von Brigetio 
(bei Komom) und von Aquincum (bei Ofen) besetzt und allso- 
gleich zu festen Waffenplätzen und Stützpunkten der Bömerherr- 
Schaft in jenen Gegenden umgeschaffen worden. 

Wir sind über diese Yorgänge nicht näher unterrichtet, sie 
bilden vielmehr ein unbeschriebenes Blatt in Traians Geschichte ; 
wir können manches nur vermuthen. Genug, mit den grossen 
militärischen Dislocationen, die damals erfolgten, hängt die Ein- 
richtung und llieUung Fannoniens in zwei Provinzen zusammen 
und jene waren hervorgerufen durch die geplanten dacischen Expe- 
ditionen, die Traian nunmehr mit allem Nachdruck ins Werk 
setzte. 

Am 25. März 101 ^) gieng E. Traian von Born zur Armee 
ab. Man hatte das Jahr zuvor die schon von Tiberius begon- 
nene Militärstrasse längs des rechten Donauufers fortgesetzt, die 
von nun an nach Traian sich nannte ^j. 

In der Nähe des heutigen Bama bei Lederata setzte der 
Kaiser über die Donau, während eine andere AbtheUung weiter 
abwärts bei Tsiema dasselbe that; mit vereinter Macht drang 
man dann von Tibiscum aus gegen das eiserne Thor vor. 

Es zeigte sich bald, dass der Krieg nicht leicht war. Dece- 
balus hatte seine Zeit wol benützt und namentlich mit Hilfe der 
gewonnenen Werkmeister sein Land durch grossartige Festungs- 
werke in Yertheidigungszustand gesetzt. Die Daker selbst wehrten 
sich verzweifelt. Bei Tapae fand ein bedeutendes Gefecht statt, 
in dem Traian zwar siegte, aber doch auch so bedeutende Ein- 



^) Die Chronologie der Badschen Kriege ist durch die neuaufgefnudenen Ar- 
yalacten festgestellt, da die Römischen Ackerbrflder bei jeder Abreise des Kaisers 
Opfer darbrachten für den glücklichen Ausgang des Unternehmens. Vgl. Henzen, 
Acta fratrum Arvalium, quae supersunt. Berlin 1874. S. 117. Im Uebrigen Bier- 
auer, Beiträge zu einer kritischen Greschichte Traian^s. In Büdingers Untersuchungen 
zur B. Kaisergesch. I, 68 — 112. 

*) Die yerbesserte Lesung der Inschrift gegenüber Ogradina bei Orsova gibt 
Benndorf in 0. Hirschfeld's Epigr. Nachlese. Zu C. I. L. III. 1699. (Ephem. epigr. 
n. n. 502): „montibus excisi[s] anoo[ni]bu8 8ublat[i]s yia[m] [re]f[6dt]." 



- 15 - 

busse erlitt, dass er, wie Dio berichtet *), sein eigenes Gewand 
zu Verbandstücken für die Verwundeten hergeben musste. Die 
dacischen Frauen liesen an den Gefangenen ihre Wuth aus, in- 
dem sie dieselben entkleidet und an Händen und Füssen ge- 
bunden mit brennenden Fackeln quälten; Leichname von Bö- 
mem wurden über ein Wagenrad gespannt, um sie zu erdrücken 
u. dgl. m., wofür der Feind Eepressalien nicht schuldig geblieben 
sein wird. Indess, so hartnäckig der Widerstand auch war, den 
die Eömer fanden, Traian rückte unaufhaltsam vor, nahm die 
Schwester des Königs in Sarmizegetusa gefangen und erzwang 
den Frieden. 

Dieser Friede war im wesentlichen eine Unterwerfung, aber 
es blieb dem K. Decebalus seine Herrschaft und Dacien ward 
nicht Provinz, sondern nur ein Clientelstaat der Eömer. Zu den 
Bedingungen gehörte, dass Decebalus den Jazygen alle ihre ent- 
rissenen Besitzungen herauszugeben sich verpflichtete. Diese 
Jazygen sassen in den grossen Niederungen zwischen der Donau 
und den siebenbürgischen Bergen und erscheinen durchaus als 
ein im Schutz der Eömer befindliches Volk. Decebalus musste 
femer versprechen, seine Festungen zu schleifen ; die üeberlänfer 
herauszugeben; endlich — und das ist characteristisch für den 
Charakter und für den eigentlichen Grund der dacischen Kriege — 
alle Werbungen auf römischem Gebiet fernerhin zu unterlassen; 
— man sieht, worauf zuletzt alles hinauskam und was die Eömi- 
sche Eegierung mit Eecht am meisten beunruhigte. 

Mit wem die Eömer Krieg oder Frieden machten, sollte auch 
Decebalus das Gleiche thun; bis die Bedingungen erfüllt wären, 
eine Eömische Besatzung in der Hauptstadt Sarmizegetusa ver- 
bleiben. Das war der Friede des Jahres 103. 

Man überzeugte sich bald, dass dieser Friede ein Fehler ge- 
wesen war. Die alten üebelstände zeigten sich jetzt wieder. De- 
cebalus war nicht gemeint, sich als williges Werkzeug von den 
Körnern gebrauchen zu lassen. In der Ueberlieferung , einseitig 
wie sie nns vorliegt, wird natürlich die Unbotmässigkeit des De- 
cebalus als Grund des erneuten Krieges bezeichnet; die That- 

^) Bio, ein Autor der Land und Leute an der Donau aus persönlicher An- 
schauung kannte, ist der Hauptherichterstatter über die dacischen Kriege. K. Traian 
selbst hat Über dieselben Commentarien geschrieben. 



— 16 — 

Sachen mögen auch richtig sein: Decebalus habe den Frieden 
nicht gehalten, bezüglich der üeberläufer, der Festungen, des Ge- 
bietes der Jazygen. Vor allem aber verweigerte er, sich persön- 
lich zu stellen. 

Er scheint gewusst zu haben, dass wol viele Fusstapfen in 
die Höhle des Löwen hineinführten, aber nur wenige wieder heraus. 

Das sind die Gründe, welche von der Ueberlieferung hervor- 
gehoben werden. Genug, wie dem auch immer war: Traian hatte 
sich überzeugt, dass es nothwendig sei, den König zu stürzen 
und die Nation auszurotten. 

Mit grosser Energie setzte sich Decebalus zur Wehre ; nicht 
nur die Daker rief er zu den Waffen, die ganze Donaukette suchte 
er in Bewegung zu bringen, nicht völlig ohne Erfolg. Bis nach 
Parthien hin liefen und verzweigten sich die Fäden der Unter- 
handlung; am Euphrat sollte der Sturm zur selben Zeit losgehen, 
wie an den Ufern der Donau. Ein Plan an Grossartigkeit jenem 
gleich, den einst K Mithridates von Pontus gegen die Bömer 
geschmiedet hatte, an den Decebalus in so vielen Stücken 
erinnert. 

Aber der Kampf war doch schon von vorne herein entschie- 
den. Die Bömer hatten die ungeheure Uebermacht. Sieben Le- 
gionen führte Traian wieder persönlich gegen den Feind. An 
einen ernsthaften Widerstand war nicht zu denken. 

Sehr merkwürdig ist, dass bei der Führung dieses Krieges 
begonnen ward mit der Ueberbrückung der Donau u. z. nicht nur 
für die nächsten Zwecke, sondern gleich als dauernde Verbin- 
dung zwischen dem rechten und dem linken Ufer der Donau ; in 
der Gegend von Tumu Severin ward die grosse steinerne 
Brücke über den Fluss gebaut^ die nach Traian sich nannte und 
von der noch heute einige Spuren erhalten sind: es war nicht 
die geringste der Leistungen Traians, vielmehr ein Wunderwerk 
der Baukunst, das selbst für unsere Zeiten noch als bedeutend 
gelten würde. 

Das hiess von vom herein, man wollte das linke Donauufer 
annectiren: hiezu ward die militärische Verbindung zwischen 
Dacien und Moesien in so grossartiger Weise hergestellt. 

Hierauf kam es zum entscheidenden Schlagen. Der Erfolg war 
vollständig. Im Jahre 105 hatte der zweite dacische Krieg be- 



-^ 17 — 

gönnen, im Jahre 107 war er zu Ende *J. Als Decebalus alles 
verloren sah, vergrub er seine Schätze, um sie den Römern zu 
entziehen, was freilich nicht gelang, und stürzte sich in sein 
Schweri Die besten seiner Leute nahmen Gift. Dacien wurde 

zur Provinz gemacht. 

So endete einer der gewaltigsten Kriege, die die Eömer über- 
haupt geföhrt haben, der zugleich einen Wendepunkt in der Kö- 
mischen Geschichte bezeichnet, fast wie der Hannibalische Krieg. 
Das Beich hatte jetzt durch die glänzenden Thaten Traians seinen 
grössten Umfang erreicht. 

Ein firischer belebender Zug gieng durch dasselbe, da man 
doch wieder etwas gethan hatte: der militärische Gloire war ja 
das einzige, was unter dem Kaiserthume der Bömischen Nation 
noch zu Theil werden konnte, nachdem die freie Verfassung ge- 
stürzt war. Und das hatte Traian ihr vollauf gewährt 

Durch Kunst und Schrift wurden denn auch jene Thaten 
verherrlicht: es erstand die Traianssäule zu Bom, deren Belief s 
Episoden aus den dacischen Kriegen darstellten und darin man- 
ches uns vor Augen führen, wovon die sonstige Ueberlieferung 
uns nichts berichtet *). Das Forum Traianum, das der Kaiser baute, 
ward die Buhmeshalle der Feldherren, die jene Kriege mitge- 
fochten hatten, eines Licinius Sura und anderer: Traian, seinem 
neidlosen Charakter getreu, ehrte so seine Kampfgenossen. 

In Bom feierte man glänzende Spiele, die 123 Tage lang 
dauerten und wobei 10000 Gladiatoren kämpften, 11000 wüde 
und zahme Thiere in der Arena bluteten. Eine Stadt in Moesien 
ward gegründet, Namens Nicopolis. Zahlreiche Münzen Traians 
wurden auf das Ereigniss geschlagen, die dessen Buf im ganzen 
Beiche verbreiteten und anschaulich machten. Denn auf diesen 
Münzen war z. B. Dacia abgebildet, wie sie vor dem Kaiser ihr 
Knie beugt, oder es war das Bild eines Flusses zu sehen, wol 
des Danubius, mit einem Schilfrohr in der Hand, womit er 
der niedergeworfenen Dacia den Hals zusammenschnürt. Eine An- 



^) Bezüglich der Chronologie Tgl. Mommsen im 0. I. L. UI. zu n. 550. 

*) Vgl. W. FrOhner, La Colonne Traiane, d'apr^s le surmoulage exöcut^ ä 
Eome en 1861 — 1862 reprodoite en phototypographie par G. AroBa. 220 planches im- 
prim^s en couleur arec texte ome de nombreuses vignettes. Paris 1872 — 74. 
5 tomes. Ein Prachtwerk. 

Jang, die Donaa-ProYinxen. 2 



— 18 — 

spielung dort auf den ersten dacischen Krieg, wo der Sieger 
hatte Gnade walten lassen, hier auf den zweiten, bei welchem der 
Fluss selbst Traians Bundesgenosse gewesen war ^). 

Auch die Dichter der Zeit dachten daran, die Kriege Traians 
mit Decebalus zu verherrlichen. Wir haben eine Andeutung 
darüber in einem der Briefe des jüngeren Plinius^). »Wo ist", 
schreibt er an einen Freund, der sich daran wagen wollte, »wo 
ist ein Stoff so neu, so reich, so umfassend, wo endlich so poe- 
tisch und bei der strengsten Wahrheit so abenteuerlich! Du wirst 
erzählen von neuen über das Land geführten Flüssen, von neuen 
über die Flüsse geschlagenen Brücken, von Lagern auf steilen 
Höhen errichtet, von einem König, der Thron und Leben, aber 
nicht den Muth verloren hat." Wenn nur nicht der Name des 
Decebalus und seiner Helden zu sehr ^dem klassischen Yersmasse 
widerstrebt hätte! 

Es war der letzte Aufschwung, den der Komische Genius 
erlebt hat, da AppoÜodor van Damascus baute, Tacitus seine Ge- 
schichtswerke schrieb, Traian die Daker besiegte. Von da an trat 
der Stillstand ein, der Eückschritt, der Verfall. 

Schon Hadrian wollte die Eroberungen, die sein Vater ge- 
macht hatte, wieder aufgeben, namentlich auch Dacien ; wie einst 
Nero den Gedanken gehabt hatte, aus Britannien die Legionen zu- 
rückzuziehen. Aus Eücksicht auf die dorthin verpflanzten Colonisten 
ward davon abgesehen. Nur die Brücke, die Traian gebaut hatte, liess 
Hadrian gleichwol abwerfen, um nemlich den Barbaren den Ein- 
tritt ins Eeich nicht zu erleichtern. So redete man jetzt. 

Nach wenigen Jahrzehnten verdüsterte sich der Horizont 
wieder; im Norden der Donau ballten sich neuerdings die Völ- 
kerbünde zusammen, um sich gegen die Komischen Landschaften 
wie ein verheerendes Gewitter zu entladen. 

Auf der ganzen Donaulinie, namentlich aber am mittleren 
und unteren Laufe des Flusses waren die Völker in Bewegung 
gerathen. Den Grund davon wissen wir eigentlich nicht. Es ist 



^) Vgl. Besjardins , Revue de deux mondes. Dec. .1874. p. 684 f. Diese 
Münzen waren die besten Geschichtswerke für Leute, die nicht lesen konnten. 
*) Flini epistolae VIII. 4. 



- 19 - 

möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Anstoss von anderen 
Stämmen des Nordens und Ostens gegeben wurde. 

Nicht mit Unrecht hat man wol auch diesen Krieg mit den 
punischen vergliechen, was die Ausdehnung des Kriegsschau- 
platzes und die Länge seiner Dauer betrifft können sich wenige 
der Kaiserzeit mit ihm messen ^). Begonnen hat er im Jahre 
165 nach Chr. und gedauert, allerdings mit verschiedenen Unter- 
brechungen, bis zum Tode des Marcus, nachdem Ströme von Blut 
vergossen worden waren. 

Vor allem aber ist er bemerkenswerth als der erste Offen- 
sivstoss, den die verbündeten Barbaren auf Boms Grenze unter- 
nahmen; bisher hatte immer Bom angegriffen; jetzt wechselten 
die Bollen. 

Der Krieg wird gewöhnlich der Marcomannische genannt nach 
dem Volke, das in erster Linie in Betracht kam. Es sind dies 
die einstigen Marcomannen des Marbod, deren Staat in einer ge- 
wissen schwachen Abhängigkeit von den Eömem im heutigen 
Böhmen fortbestand, indem der König daselbst in ähnlicher 
Weise, wie z. B. jener von Armenien, durch Bom investirt ward. 

Oestlich an die Marcomanen stiessen die Quaden, deren 
Staat durch das Gefolge des Marbod gebildet worden war. 

Diese Quaden machten mit den Marcomannen gemeinsame 
Sache und ihrem Beispiele folgten die östlichen und westlichen 
Völkerschaften; hier die Narisker und Hermunduren, dort die 
Jazygen und die Sarmaten. 

Den Bömern stand so nicht eine einzelne Nation gegenüber, 
sondern ein Bund germanisch-sarmatischer Völker. 

Die nördlichen Provinzen wurden furchtbar verwüstet: das 
Ende des Krieges wird bezeichnet als Befreiung der Provinz 
Pannonien vom Sclavenjoch. Nachdem später die Jazygen und 
Quaden zuerst 13000 römische Gefangene zurückgegeben, so wat 
dies erst ein kleiner Theil der Gefangenen ; eine Masse von 50000 
Menschen haben sie noch, die sie erst später bei erneuter Ver- 
handlung zurückzugeben versprachen ; von den Marcomannen wird 
die Zahl nicht angegeben, obwol sie nur unter denselben Bedin- 
gungen Frieden erhielten, die Jazygen aber stellten allein 100000 



^) Vgl. y. Wietersheim, Geschichte der VAlkerTerwanderung II, 89 ff. 

2* 



— 20 — 

Gefangene zurück, die sie aus Pannonien und den anderen Eö- 
mischen Provinzen fortgeschleppt hatten. 

Der Grieche Pausanias berichtet als Zeitgenosse, dass die 
Nation der Kostoboken sogar bis Phocis gekommen sei, wo ihnen 
die Bürger von Elatea ein blutiges Treffen lieferten^); wenn 
diess in Griechenland geschah, wie muss es erst in Pannonien, 
Dacien und Moesien ausgesehen haben 

Zum erstenmale seit Jahrhunderten hört man davon, dass 
italienische Städte belagert werden: Opitergium wurde geplün- 
dert 2), Aquileia belagert 3), eine Niederlage nach der anderen er- 
litten. In Salonae, der Hauptstadt von Dalmatien, wurden im 
Jahre 169 die Mauern wieder hergestellt^); selbst dort also an 
der Küste des adriatischen Meeres hielt man sich nicht mehr 
fflr sicher. 

Die Eömische Vertheidigungslinie musste in der Folge dau- 
ernd verstärkt, neue Waffenplätxe mussten an der oberen Donau 
eingerichtet werden. 8 Jahre lang hat K. Marcus gegen die 
Feinde gefochten auf dem ganzen gewaltigen Eaum des Kriegs- 
theaters, das von Eegensburg an sich hinab erstreckte bis nach 
Serbien. Das Centrum unter dem Kaiser selbst hatte sein Haupt- 
quartier in Camuntum und zu Vindobona in der Gegend von 
Wien. .Von dort ist ein Theil der philosophischen Betrachtungen 
dieses Kaisers „^n sich selbst*' datirt, die er in seinen Muse- 
stunden niedergeschrieben hat. 

Den rechten Flügel kommandirte der Statthalter von Dacien 
und Obermoesien Fronto, der zuletzt nach einigen glücklichen 
Gefechten im Kampfe gegen die Germanen und die Jazygen 
seinen Tod fand^). Den linken Flügel bildete die neuorgani- 
sirte raetische Armee, deren Stützpunkt die Gastra Eegina (Ee- 
gensburg) bildeten. 



') Pausanias 10, 84, 5. Die a. a. 0. gemeldeten Ereignisse bringt man aus goten 
Gründen mit dem Marcomannenkrieg in Verbindung, da wir auch sonst Ton der 
Theilnahme der Kostoboken an demselben vernehmen. Vgl. Hertzberg, Griechenland 
unter Rom. Herrschaft II. 872. Wietersheim II, 68. 128. 849. 

«) Vgl Ammian. Marceil. 29, 6, 1. C. I, L. V. p. 186. 

^) Ammian. 1. c. vgl. C. I. L. V. p. 83. 

4) C. I. L. m. n. 1980. 

*; Vgl. C. I. L. in. n. 1457. 



— 21 - 

Nach 8jährigen schweren Kämpfen gelang es endlich dem 
K. Marcus der Donau Völker völlig Herr zu werden; es ward sogar 
dann gedacht, im Norden zwei neue Provinzen einzurichten, 
Marcomannia und Sarmatia; nur der Ausbruch der Insurrection 
des syrischen Statthalters Avidius Cassius hinderte die Ausfüh- 
rung des Planes und man beschränkte sich darauf, mit den Grenz- 
völkem Verträge abzuschliessen, wie das Kömische Interesse sie 
erheischte. 

Zugleich ward aber auch ein anderer Schritt gethan, der fttr 
die Zukunft folgenreich gewesen ist. Man siedelte viele Tausende 
von Barbaren in den Grenzprovinzen an als halbfreie Leute, die 
an die Scholle gebunden und zum Militärdienst verpflichtet waren. 
Es sind die Anfänge des Colonats, die uns hier begegnen, die 
Confundirung von Begriffen die sich eigentlich ausschliessen, von 
Freiheit und Unfreiheit, die bis dahin schroff gegeneinander ge- 
standen waren, durch germanische Einflüsse aber, wie es scheint, 
sich nun immermehr verwischten und die Form der Leibeigen- 
schaft begründeten, wie sie dann das ganze Mittelalter hindurch 
existirt hat ^). 

So bildet der sog. Marcomanische Krieg eine bedeutungs- 
volle Epoche in der Geschichte der Menschheit ; er bezeichnet die 
ersten Begungen der hachherigen Völkerwanderung ; sein Ausgang 
aber liess dem Komischen Wesen Zeit, sich in den Donauland- 
schaften völlig zu consolidiren; was Augustus und Traian gewon- 
nen, hatte M. Aurel, der dritte unter den besten Kaisem der 
Bömer, erhalten und es dauerte bis um die Mitte des dritten 
Jahrhunderts, dass wieder ein neuer Völkersturm losbrach, der 
neue Verwüstungen aber auch neue Organisationen mit sich 
brachte. 



') Vergl. A. W. Zampt, Ueber die Entstehung und histor. Entwicklung des 
Colonats (Bhein. Museum. 1846. 1 — 69), wo zuerst dasselbe auf die Vorgänge 
zur Zeit M« AureFs zurückgeführt worden ist ; eine Ansicht, der die meisten Neueren 
(auch Mommsen) beistimmen. 



II. Römische Provincial Verwaltung. 



In dieser Weise waren also die Landschaften an der Donau 
erobert worden; es handelte sich nun darum, dieselben in den 
Verwaltungsorganismus des Eeiches einzufügen. 

Alle die genannten Landschaften fassten die Bömer zusam- 
men unter dem geographischen Begriff: lUyricum, der damit eine 
viel weitere Bedeutung erhielt, als er einst bei den Griechen be- 
sessen hatte; in 'ähnlicher Weise wurde das gesammte linksrhei- 
nische Land mit der einen Bezeichnung Gallien genannt, worun- 
ter man ausser der alten .Provinz" auch die neu erworbenen 
Lugdunensis, Aquitanien, Belgica, sowie die Militargrenze der 
beiden Germanien verstand. Es waren dies die zwei grossen 
Ländermassen im Norden des Seiches, die aus den beiden Pro- 
vinzen Gallien und lUyricum herausgewachsen waren, seitdem G. 
Julius Caesar sie unter seiner Verwaltung vereinigt hatte. ^) 

niyricum und Gallien bildete unter Augustus in militäri- 
scher wie in administrativer Beziehung je eine Einheit ; und das 
letztere Verhältnis ist noch in Geltung geblieben, als das erstere 
längst gelöst war. Die linksrheinischen Lande bildeten den Gal- 
lischen Steuerbezirk, die an der Donau den Illyrischen; an den 
Grenzen der beiden Sprengel und an ihrer Scheidelinie Italien 
und der Balcanhalbinsel zu befanden sich die Binnenzölle, wo 
die „Quadragesima Galliarum* (der Aufschlag von 2^2^ Iq) und 



^) Vgl. Marquardt, Böm. Staatsyerwaltung I, 141 mit Beziehung auf eine 
Abhandlung yon Foisignon, Quid praedpue apud Romanos adusque Diodetiaui tem- 
pora niyricum fuerit. Paris 1846. Die naohherigen Provinzen Dalniatien und Pan- 
nonien bildeten das lUyricum im engeren Sinne des Wortes. 



— 23 — 

die IHyrischen Gefälle erhoben wurden, während der innere Ver- 
kehr frei war. 

Es standen Zollbureaus an der raetisch-helvetischen Grenze 
bei Zürich und bei Maienfeld imSheinthal; bei Mala und Sehen 
in Südtirol; bei Saiihitz (an der Strasse von Aquileia nach Viru- 
num) und bei Atrans in Noricum; bei Poetovio in Pannonien, 
wo zugleich das Hauptzollamt gewesen zu sein scheint. Andere 
Bureaus bestanden in Ober- und Niedermoesien am nördlichen 
und südlichen Ufer der Donau. Was auf der grossen Haupt- 
communication zwisch^ Italien und Dacien über Örsova die 
Donau passirte, wurde in Tsiema, was von Westen her am Maros 
heraufkam in der «Statio pontis Augusti** beim heutigen Veczel 
versteuert. Auch im Norden der Zollprovinz, zu Boiodurum, zu 
Ischl (statio Escensis) in Noricum, zu Savaria in Pannonien sind 
solche Bureaus nachzuweisen. ^) 

Dies niyrische Gebiet im weitesten Sinne zerfiel dann wieder 
in eine Eeihe von Einzelnsprengeln oder Provinzen, deren Be- 
grenzung und Individualität die Eömer entweder aus älterer Zeit 
so übernahmen, oder auch neu begründeten. 

Da ist zuerst Eaetien zu nennen, das mit Vindelicien und 
zeitweilig auch mit den poeninischen Alpen d. h. dem oberen 
Ehonethal, einen politischen Bezirk bildete^), zu dessen Haupt- 
stadt alsbald Augusta Vindelicorum heranwuchs. Im Westen 
grenzte Eaetien bei den „Fines", dem heutigen Pfyn in der Nähe 
des Bodensees, und unterhalb der Donauquellen an die Gallisch- 
germanischen Gebiete ; im Norden gehörte noch ein Stück Landes 
jenseits des Stromes hinzu, das heute sog. Eies, das den Namen 
von Eaetien bis auf unsere Tage bewahrt hat. . Im Osten bildete 
der Inn die Grenze gegen Noricum; im Süden reichte Eaetien 
bis in die Gegend von Klausen und Heran. ^) 

*) Vgl. C. I. L. ni. p. 1186. p. 707. Marquardt, E. Staatsverw. I, 141 
A. 4 u. 5. 

*) So führt zwischen 161 und 169 n. Chr. Q. Caecilius den Titel: procor. 
Augrostor. et pro leg. provinciai Raitiai et Vindelic. et Vallis Poenin. C. I. L. V, 
8936. Andere Inschriften nennen für die Vallis Poenina eigene Procuratoren. Vgl. 
Marquardt, I, 128, 5. ^Nebenbei bemerkt schreiben alle lat. Inschriften Raetia, nicht 
Bhaetia ; so dass diese Schreibung nicht länger zu halten ist ; was Steub in seinen 
Kl Schriften UI, S. 826 yorbringt, hält nicht Stich.) 

'3 Man wird dem, was Mommsen im C, I. h. III. p. 707 ausgeführt hat, 



— 24 — 

Noricum's Grenze gegen Pannonien bildete der östliche Ab- 
fall der Alpen, so dass die Linie von Wien auf Pettau beiläufig 
deren Eichtung bezeichnet; zu verschiedenen Zeiten hat dabei ein 
Wechsel stattgeftinden , indem die Gegend von Wien im ersten 
Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu Noricum, Pettau zu Pan- 
nonien gehörte; nachher jene zu Pannonien, dieses im 4. Jahr- 
hundert zu Noricum gezogen wurde. Im Süden gehörte das heu- 
tige Krain anfänglich zu Pannonien, später grösstentheils zu Italien; 
das obere Drauthal war norisch. 

Pannonien war im Norden und im Osten von der Donau 
umschlossen; im Süden reichte es noch etwas über die Save 
hinaus, wo dann die Provinz Dalmatien begann, die längs des 
Meeres sich hinerstreckte, aber zum Hinterland auch noch die 
heutige Herzegowina, Bosnien, Montenegro und Nordalbanien 
besass. 

Dacien umfasste die Gebiete östlich der Theiss und nördlich 
der Donau — also die Moldau, Walachei, Siebenbürgen, dann 
Theile von Bessarabien und von Ungarn. Südwärts der Donau 
bis an den Balcan und zum Theil darüber hinaus lag Moesien. 

Die Einrichtung dieser verschiedenen Landschaften zu römi- 
schen Provinzen erfolgte successive, wie ja auch ihre Eroberung 
so erfolgt war; zunächst unter Augustus handelte es sich nur 
um Eaetien und Noricum einer-, das eigentliche Illyricum ande- 
rerseits. Und zwar ist die Art und Weise, in der diese Einrich- 
tung geschah, höchst characteristisch für das ganze Eegierungs- 
system des Augustus, so dass es wol der Mühe werth ist, dabei 
einen Augenblick zu verweilen. 

Man kennt itn Allgemeinen den Grundgedanken, von dem, 
nicht gleich in den ersten Jahren des Principats, aber doch in 
der Folgezeit ausgegangen worden ist, als die Provinzen zwischen 
Kaiser und Senat getheilt wurden; ersterem sollten alle dieje- 
nigen zufallen, in denen noch ein Krieg zu führen und eine Be- 



noch hinzufügen dürfen, dass die Bistumsspren^el von Chur und Seben gegen Tri- 
dent zu seit ältester Zeit an der Passer (bei Meran) und am Tbinnerbach bei 
Klausen ihre Grenze hatten, was sicherlich auf Tradition aus den Tagen der Rö- 
merherrschaft beruhen wird. Vergl. Planta, Das alte Raetien (Berlin 1872) S. 
58 ff. 



— 25 - 

Satzung zu tinterhalten war, der Frinceps sollte der alleinige 
Imperator im Beiche sein; nur die völlig befiriedeten Provinzen 
verblieben dem Senat und wurden nach d^m System der Bepublik 
von den abgehenden Magistraten verwaltet. 

Die Landschaften, die uns hier beschäftigen, lagen an der 
Grenze des Beiches und hatten demgemäss eine Besatzung nöthig. 
niyricum war anfangs, als jenes Maxim bei Theilung der Com- 
petenzen noch nicht aufgestellt war und man eher daran dachte, 
zwischen den beiden Contrahenten auch in militärischer Bezieh- 
ung Gleichgewicht obwalten zu lassen *), dem Senat zugewiesen ; 
aber bereits im J. 12 v. Chr., als der grosse pannonische Krieg 
ausbrach, gieng es endgiltig in die Verwaltung des Kaisers über, 
als dessen Stellvertreter seitdem hier ein Legat consularischen 
Banges fungirte. 

Mit Noricum und Baetien hingegen wurde anders verfahren. 
Dieselben wurden keinem senatorischen Legaten unterstellt; son- 
dern in derselben Weise, wie Augustus Aegypten unter seiner 
Herrschaft in einer Art Personalunion vereinigt hatte, indem er 
zugleich König in Aegypten und Princeps in Bom war, also 
wurde auch Noricum nicht eigentlich Provinz, sondern blieb 
nach wie vor ein ^Königreich,** wie es officiell selbst noch 
im zweiten Jahrhundert genannt wird, im persönlichen Besitze 
des Kaisers, der dasselbe nicht durch einen Würdenträger des 
Beiches, sondern durch einen seiner Hausbeamten als Vi- 
cekönig regieren lies. Diese Hausbeamten fahrten den Titel von 
Procuratoren, ein Ausdruck, der früher den Domaenenverwalter 
oder Geschäftsführer eines Bömischen Grossen bedeutet hatte, 
jetzt aber für die kaiserlichen Verwaltungsbeamten überhaupt ge- 
braucht ward. Die Procuratoren wurden aus der Beihe der Frei- 
gelassenen oder der Bitter genommen ; und während die Legaten 
kein eigentliches Gehalt bezogen, da es gleichsam zu ihrer Herr^ 
Schaftsstellung als Senatoren gehörte, dem Staate umsonst zu 
dienen, wurden jene sehr gut honorirt; in der höchsten Bang- 
üasse bezogen sie 300000 Sesterzen (beiläufig 17000 Thl.) in 
Folge dessen diese lucrativen Stellungen sehr gesucht waren. 
Gewöhnlich wurde verdienten Militärs, die von der Pique auf sich 



*) Vgl. Mommsen, B. Staatsrecht. II. S. 289. A. 1. 



— 26 — 

zu StabsofBzieren gedient hatten, beim Abschied durch Verleih- 
ung einer Procuratur eine anständige Givilversorgung gewährt 

Durch solche Leute also wurde Noricum bis auf K Marc 
Aurel regiert, unter dem es dann förmlich Provinz ward ; ebenso 
auch JSaetien, obwol dies nie ein einheitliches , Königreich'' ge- 
wesen war. Der Grund wird ia den allgemeinen politischen Ver- 
hältnissen der Zeit gesucht werden müssen. Die Bömische Be- 
publik war gestürzt worden, indem der Statthalter der ItaUen 
am nächsten gelegenen Provinzen in das verfassungsmässig waf- 
fenlose Hauptland einrückte und Bom occupirte. Was Julius 
Caesar gethan^ konnte jeder Statthalter nach ihm auch thun; um 
dem zuvorzukommen, war Augustus darauf bedacht, diese nächst 
gelegenen Landschaften als annectirte Beiche, gleichsam als seine 
Hausmacht, ganz in der Hand zu behalten und nur durch , Ge- 
schäftsführer* verwesen zu lassen, die vermöge ihrer niederen 
Herkunft nie daran denken konnten, je einmal selbst nach der 
Krone zu greifen. ^) 

War aber in dieser Weise Noricum und Baetien gesichert, 
dann konnte auch der Legat von Illyricum nichts gegen Italien 
unternehmen, da er sonst in Flanke und Bücken bedroht war. 
Namentlich in den stürmischen Zeiten, die dem Sturze des K. 
Nero folgten, sind diese militärischen Verhältnisse von den Füh- 
rern der Armeen, die sich gegenseitig bekämpften, mehrfach in 
Erwägung gezogen worden; nur die persönliche üntüchtigkeit der 
damaligen Procuratoren, ihre Uneinigkeit und wol auch der Um- 
stand, dass der Sturm so plötzlich von allen Seiten losbrach, hat 
damals verhindert, dass die hier angedeuteten Momente entschei- 
dend in die Waagschale gefallen wären. 

Man ersieht aber aus dem Gesagten, dass die Central- 
regierung in sehr wichtigen Dingen ihren eigenen Organen nicht 
traute. Dieses Misstrauen gehört aber so recht eigentlich zur 
Signatur des Piincipats und bestimmte auch seine weiteren 
Schritte. Die Tendenz derselben gieng dahin, die Statthalter- 
sprengel möglichst zu verkleinem und namentlich keinem der- 
selben eine zu bedeutende Truppenmacht zuzuweisen. Wie 



Vgl. ober diese procuratorisoh regierten Lande Mommsen, Böm. Staatsrecht 
ü, 334. 802 ff. 1007 ff; we^a Noricams spedell C. I. L. III. p. 583« 



— 27 — 

überall im Beiche, so führte das auch in den Donaulandschafton 
zu einer Theilung der dortigen Provinzen. 

War unter Augustus anßnglich Illyricum (im engeren Sinne) 
noch unter einem Statthalter vereint gewesen, so erscheint das- 
selbe schon beim Begierungsantritte des Tiberius getrennt in eine 
untere und eine obere Provinz ^) oder, wie sie alsb^Jd genannt 
wurden, in Pannonien und Dalmatien. 

Yespasian theilte in derselben W^e Moesien; Traian Pan- 
nonien ; Hadrian Dacien. Seit Septimius Severus stand mit Aus- 
nahme von Oberpaononien in keiner Provinz des Beiches eine 
grössere Besatzung als 2 Legionen. Unter M. Aurel ward Dacien 
sogar in drei Theile zerlegt, in die Provinz von Porolissum im 
Norden, die Provinz von Apulum im Herzen, die von Malve, wie 
es scheint, im südöstlichen Theile des Landes. Doch bezog sich 
diese Theilung nur auf die Finanzverwaltung, indem jede Provinz 
einen eigenen Procurator hatte; während alle drei «usammen 
gleichwol unter einem Statthalter standen und ihre gemeinsamen 
Institutionen besassen ; wie denn ähnliche Combinationen mehrerer 
Provinzen auch sonst vorkommen. ^) 

Eine Ausnahme von der Begel, den einzelnen Statthaltern 
möglichst kleine Sprengel anzuweisen und eine geringe Tnippen- 
macht unterzuordnen, trat sonst nur ein in den Zeiten der ge- 
waltigsten Kriege, die Bom an der Donau zu fuhren gehabt hat, 
in Folge deren eine grössere Truppenmacht nothwendiger Weise 
in einer Hand vereinigt werden musste. So wurden z. B. unter 
Domitian, als gegen die Daker gefochten wurde, die Provinzen 
Dalmatien, Pannonien, Obermoesien und folgerichtig auch deren 
Heer unter das Kommando eines Statthalters gestellt, ebenso 
unter Marc Aurel wegen des Marcomannenkrieges die drei Dacien 
mit Obermoesien combinirt ^) ; und das traf in vorflbergehender 



^) Obere Provinz vrard immer jene g^enannt, welche näher gegen Bom zu 
war. Vgl. Eobner, Rhein. Museum. N. F. XII. 84. 

*) Z. B. Creta-Cyrenaica, oder Cappadocien-Pontus Polemoniacus-Pontus Gap- 
padodcus-Armenia minor-Lycaonia. Auf diese Analogie verweist Mommsen, während 
Hirschfeld, Epigraph. Nachlese aus Dacien und Moesien zum C. I. L. III. S. 1 1 die 
Sache missverstanden za haben scheint. 

3) Henzen 5431. 5482. C. I. L. m. 1457. 



— 28 - 

Weise wol noch öfter zu, wodurch jedoch jene allgemeine Tendenz 
nicht weiter berührt ward. — 

Es wird aber jene Tendenz vollkommen begreiflich, wenn 
man bedenkt, dass in der Hand eines jeden Statthalters eine sehr 
bedeutende Machtvollkommenheit lag; er vereinigte die oberste 
Civil- und Militärgewalt in seiner Person *). Zum Zweck der 
Jurisdiction war jede Provinz in Gerichtssprengel (conventus) ein- 
getheilt, in deren Hauptorten der Statthalter die regelmässigen 
Amtstage abhielt. Zum Zweck der Verwaltung waren ihm Pro- 
curatoren beigegeben; zu anderen, ausserordentlichen Geschäften 
verwendete er Offiziere oder Personen aus seiner Begleitung, die 
dann als sog. praefecti handeln ^), Die Controlle der Statthalter 
ward unter dem Principat strenge gehandhabt, da dieser eben 
der nationalrömischen Partei gegenüber auf die Provinzen sich 
stützte, die keine Ursache hatten, die Zeiten der Bepublik sich 
zurückzuwünschen. Natürlich, dass Missbräuche mitunter noch 
vorkamen; wie z. B. ausdrücklich die Herschsucht und die 
Habgier der Cornelia hervorgehoben wird, der Gemalin des pan- 
nonischen Legaten Calvisius Sabinus (f 39 n. Chr.), die sogar 
den Uebungen der Truppen beizuwohnen und Alles zu kommandiren 
pflegte 3). Aber dies waren Ausnahmen , die in der Regel auch 
nicht ungestraft blieben. Sonst befanden gerade unter denjenigen 
Eegenten, die in Kom selbst am verhasstesten waren, die Pro- 
vinzen sich am besten; so unter Tiberius, der Beamte, welche 
sich bewährten, wol 15—20 Jahre auf ihrem Posten beliess, was 
damals unerhört war. Denn auch das gehörte zum System, die 
Inhaber der höheren Stellen möglichst oft, etwa in Zwischen- 
räumen von 3 — 5 Jahren zu wechseln, damit namentlich die 
Statthalter mit ihren Untergebenen nicht zu vertraut würden; 
denn das hätte dem Centralregiment gefährlich werden können; 
so sehr es sonst den Provincialen willkommen gewesen wäre, von 
Leuten regiert zu werden, die ihre speciellen Bedürftiisse auch 



^) Vgl. fOr das folgende Mommsen's Böm. Staatsrecht. II, 217—246; Mar- 
qnardt, Staatsyerwaltung I, 402 ff. i 

*) Hieher gehört z. B. der praefectus ripae Dannyi et civitatum daar. Boior. 
et Azalior. bei Grater. 490, 2. Vgl. Muchar I. 151. Andere Beispiele bei Mar- 
quardt a. a. 0. 418 A. 2. 

<) Vgl. Dio Cassius UX, 18. Friedlaender, Sittengesch. Borns 1^, 478. 



— 29 — 

kannten: in solchen Dingen — bemerkt Mommsen — hat die 
Sicherstellung der Segierenden stets mehr gegolten, als die 
Wohlfahrt der Begierten. 

In Folge dieses raschen Wechsels ist in der That kein Name 
eines Statthalters so sehr mit der Geschichte unserer Landschaf- 
ten verwachsen, dass er hier speciell genannt zu werden ver- 
diente ; wir kennen nur Namen und ihre Garriere, nicht die Indi- 
vidualität der einzelnen Männer. *) 

Wie die Verwaltung nach oben hin controllirt war, so war 
sie es nicht minder auch nach unten. Die Bömische Eaiserepoche 
hat in dieser Beziehung eine Institution in's Leben gerufen, zu 
der die Bepublik es nie gebracht hatte, nemlich zu der repräsen- 
tativen Vertretung sämmtlicher Bürger eines Verwaltungsspren- 
geis, ein sehr bemerkenswerter Fortschritt hinaus über die früher 
allein vorkommenden Versammlungen aller Urwähler eines Be- 
zirkes. In allen Provinzen des Beiches wurden seit Augustus 
nach einem einheitlichen Schema förmliche Landtage ins Leben 
gerufen, sei es, dass man dabei an schon bestehende Einrich- 
tungen anknüpfte, wie daa z. B. in Dacien und Dalmatien der 
Fall war, sei es auch, dass man sie von Grund aus neu organi- 
sirte, was überall geschah wo die Zusammenlegung der Provinz 
ohne Bücksicht auf die Mheren politischen und ethnographischen 
Grenzen beliebt worden war, wie z. B. in Pannonien. Das In- 
stitut gehörte unter der Monarchie gleichsam zur vollendeten Gon- 
stituirung eiuer Provinz. ^) 

Danach sollten jährlich einmal die Abgeordneten der Stadt- 
kreise, aus welchen die Provinz zusammengesetzt und deren 
Zahl gesetzlich bestimmt war, in der Landeshauptstadt zusam- 
menkommen, um die Wünsche ihrer Mandaten zu formuliren, um 



^) Verzeichnisse der Statthalter unserer Provinzen sind zasammengesteUt be- 
2fisHch Baetien^s von Ohienschlager, Sitzungsber. der Münchener Akad. 1874. JH. 
225—280; für Dacien von Gooss, Archiv f. siebenbürg. Landeskunde. N. F. XU. 
(1874)8.189—146; für Moesien vgl. Marquardt, Staatsverw. I, 148. A. 1 — S;Dal- 
matien, ebenda S. 146. A. 1; dessgleichen Noricum S. 186. A. 2. Pannonien, S. 
187 ff. 

') Vgl. die Abhandlang von Marquardt, de provindarom Bomanarum condliis 
et sacerdotibas, in der Ephemeris epigr. 1872. S. 200—214 und B. Staatsverw. 
I, 865 ff. 



— 30 - 

das Budget zu erledigen, die Spiele zu feiern, das Opfer darzu- 
bringen, den Vorstand der Versammlung für das folgende Jahr 
zu bestimmen. Die ganze Organisation, so poUtisch wichtig sie 
auch war, trug zunächst einen sacralen Character an sich; an 
der Spitze stand der Oberpriester der Provinz, der immer aus 
den reichsten und angesehensten Männern derselben gewählt ward. 
Er führte, unterstützt von mehreren Unterbeamten, die gemein- 
same Kasse, welche namentlich auch für die Erhaltung der Tem- 
pel und für Festzwecke bestimmt und in Folge dessen durch 
zahlreiche fromme Stiftungen stets wol gefüllt war. Er übte 
femer über sämmtliche Priester der Provinz eine Art disciplina- 
rischer Gewalt aus; er celebrirte endlich am Tage des Festes 
das feierliche Opfer für „Rom, die Göttin* und für »Gott, den 
Kaiser **. Es war dies eine Loyalitätsbezeugung für Kaiser und 
Beich und gleichsam das gemeinsame Band, das Alle zusammen- 
hielt; deshalb ward sie mit Becht in den Mittelpunkt der ganzen 
Thätigkeit der Versammlung gestellt, um welchen all' das Uebrige 
sich gruppirte. 

Der Landtag hatte aber zugleich das Becht, an den Kaiser 
eine Adresse zu richten und namenüich über den Statthalter sich 
zu beschweren. Wir haben ein interessantes Beispiel hievon aus 
Gallien, wo es bei einer solchen Gelegenheit einmal erbitterte 
Debatten abgesetzt hat, bis zuletzt der Antrag, den Statthalter 
in Anklagestand zu versetzen, doch in der Minorität blieb; das 
Schreiben eines römischen Beamten an den Führer der Nachgie- 
bigkeitspartei ist uns inschriftlich erhalten. Andererseits aber 
wurden gelegentiich auch Statuen und Ehrendenkmäler votirt, 
einem Kaiser, der sich um die Provinz Verdienste erworben *), 
oder einem Statthalter, „weil er von seiner Ankunft aii bis zu 
seinem Abgang Alle und Jeden mit der ihm eigenen Güte be- 
handelt hatte* 2); auch sonst, wenn z. B. der frühere Statthalter 
in Bom zum Consulat gelangte, nahm man an seinem Ehrentage 



^) So der daeische Landtag im J. 241 dem K. Gordian III. Vergl. C. I. 
L. m. 1454. 

*) Der daeische Landtag im J. 161 dem Statthalter P. Furins Satarninas: 
„qnod a primo adventu sao . . . donec a provincia decederet ita singulos universosqae 
henignitate sua tractaverit. G. I. L. III. 1412. 



— 31 — 

wol durch Entsendung einer Deputation nach der Beichshaupt- 
Stadt Antheil. *) 

So entwickelten diese Landtage eine überaus rege autonome 
Thätigkeit. Obwol die Institution in Asien und Gallien ihre 
höchste Ausbildung erfahren hatte, so blieben doch auch die 
Landschaften an der Donau hinter jenen nicht zu sehr zurQck. 
Für Dalmatien oder wenigstens für dessen Japydische und Li- 
bumische Bezirke bildete Scardona den sacralpolitischen Mittel- 
punkt ; fui Oberpannonien Savaria, für Unterpannonien Aquincum, 
für Moesia inferior Troesmis. Alle aber übertraf an Bedeutung 
und Glanz der Landtag der vereinigten drei Dacien, der in Sanni- 
zegetusa zusammenkam und dessen Oberpriester ^Sacerdos arae 
Augusti nostri coronatus Daciarum trium * ^) sich titulirte. — 

Die gesammte Provincialverwaltung war von Augusts reor- 
ganisirt worden; darauf beruht eben nicht zum kleinsten Theile 
die hervorragende Bedeutung des Begründers des Komischen Prin- 
cipats in der Geschichte. Und zwar hatte sich diese Thätigkeit 
vor allem in dreifacher Hinsicht geäussert Zuerst liess Augustus, 
durch Agrippa, der in allen administrativen Angelegenheiten der 
rechte Helfer und Mitschöpfer seines Monarchen war, das ganze 
Beich vermessen und geographisch aufaehmen. Die Bömische 
Weltkarte, deren Abbild uns in der sog. Peutinger'schen Tafel 
erhalten ist, die verschiedenen Itinerarien, endlich die sänmitiü- 
chen geographischen Arbeiten der Epoche, eines Plinius, Ptole- 
maeus u. s. w. basiren auf den Arbeiten des M. Agrippa. 

Mit der geographischen Aufnahme, die zunächst militärischen 
Zwecken dienen sollte, gieng dann Hand in Hand die Ackerver- 
messung durch die Agrimensoren, um in den einzelnen Stadtge- 
bieten die Zahl der Steuerhufen zu ermitteln ; femer die Zählung 
sämmtlicher Einwohner des Eeiches. ^) 

Auf die Ergebnisse dieser statistischen Arbeiten gründete 
dann Augustus sein Steuersystem, das vor allem eine gerechte 



^) C. I. L. III. 1562 aus dem J. 150 nennt 5 „legati Bomam ad consula- 
tum Severiani clarissimi viri missi.** M. Sedatius Severianas war 149 — 150 Statt- 
halter in Dacien gewesen. Gooss, a. a. 0. S. 140. n. 7. 

*) C. I. L. m. 14S8. 

*) Vergl. Marquardt, Handbuch der Böm. Alterth. (1. Aufl.) III. 2. S* 
176 ff. 



- 32 — 

und gleichmässige Yertheilung der Abgaben bezweckte gegenüber 
der Willkür, die unter der Republik gewaltet hatte. Die haupt- 
sächlichste Steuer des Eeiches ward die Grundsteuer; sie ward 
erhoben nach Massgabe des Grundsteuerkatasters, worin die Arten 
der steuerbaren Gründe sorgfaltig klassificirt waren. So wissen 
wir z. B. aus Pannonien, dass der dortige Boden unter der Re- 
gierung Traians in 5 Catastralklassen bonitirt war; nemlich in 
Ackerboden erster Klasse; in solchen zweiter Klasse; femer 
Wiese; Mastwald; endlich gemeinen Wald. *) In ähnlicher Weise 
wird man in den anderen Provinzen vorgegangen sein, wie wir 
denn z. B. von Dacien wissen, dass Traian dort alsbald nach der 
Eroberung ebenfalls den Census eingeführt hat. '^) ! 

Ausser der Grundsteuer hatten die Provincialen die^Annona*^ | 
zu leisten, d. h. Naturallieferungen an die Truppen und die Be- | 
amten. Leute die kein eigenes Vermögen hatten, also Taglöhner, 
Colonen, Sclaven, Frauen und erwerbsfähige Kinder unterlagen 
der Kopfsteuer (tributum capitis); Händler, Eheder u. s. w., die 
keinen Grundbesitz hatten, zahlten Gewerbesteuer; bei Freilas- 
sungen von Sclaven waren b% von deren Werthe zu entnchten; 
bei Auctionen wurde ebenfalls eine Steuer erhoben ; von den Ko- 
mischen Bürgern, welche keine Grundsteuer zu zahlen hatten, 
ward eine Erbschaftssteuer von 5% eingebracht. 

Was die Hebung dieser Abgaben betrifft, so wurde der 
grössere Theil davon nicht mehr, wie einst in den Zeiten der 
Republik verpachtet, sondern durch die kaiserlichen Obersteuer- 
einnehmer, die Procuratores Augusti, direct erhoben. ^) Nur der 
geringere, aber freilich noch immer ein ansehnlicher Theil der 
Staatseinnahmen wurde auch unter dem Principat auf je 5 Jahre 
verpachtet, so anfangs selbst noch die Erbschaftssteuer, die Yi- 
cesima libertatium u. s. w.; ferner ein Theil der DomanialgefäUe, 
wie in Dacien die Weiden und die Salinen^); der Bergwerke; 
oamentlich auch die Zölle. 



^) Eygin. 205, 12 — 15 (ed. Lachmann) : certa praedia agris constitnta sunt 
ut in Pannonia arri primi, aryi secnndi, prati, silyae glandiferae, süvae yulgaris pas- 
cuae. Vgl. Budorff, Gromat. Institutionen S. S18. 

*) Lactantius, de mortib. persec. 28. Marquardt, a. a. 0. 171. 

*) Vgl. darüber Mommsen*s Staatsrecht II, 947. 

^) Der Pächter hiess Conductor pascui et saliuarom C. I. L. III. 1209. 1868. 



— 33 — 

Die Pächter dieser öffentlichen Einkünfte waren die eigent- 
lichen Geldmänner jener Zeit, deren Einfluss zur Zeit der Re- 
publik ein völlig überwältigender und zugleich die Verzweiflung 
der Provincialen gewesen war; jetzt standen sie so gut unter der 
Controlle des Princeps, wie die Statthalter. Den sämmtlichen 
Bureaus der Pachtgesellschaften waren iheils bezahlte kaiserliche 
Beamte von Ritterrang beigegeben, theils ein Theil ihrer Sub- 
altemenstellen mit Freigelassenen und Sclaven des Kaisers be- 
setzt; und es standen das Gesinde und die Beamten der Privat- 
unternehmer und die kaiserlichen Leute bei diesen Societäten zu 
einander in demselben Verhältnis, wie heut zu Tage etwa die 
Privateisenbahnen zu den ihnen beigegebenen Eegierungsbevoll- 
nuichtigten stehen. Die Schlussrechnungen der Unternehmer 
giengen nach Born an den Kaiser, um dort ratificirt zu werden, 
ünterschleife in grösserem Massstabe waren in Folge dessen unmög- 
lich. *) Gleichwol geht aus allem hervor, in welch' hervorragender 
Stellung die Kapitalisten noch inmier sich befanden; überall 
finden wir sie im Besitze der municipalen Würden und der ober- 
sten Priesterthümer in den Provinzen. Der Einfluss Einzelner 
erstreckte sich zuweilen durch ganz ülyricum im weitesten Sinne 
des Wortes. Eine solche antike Finanzgrösse war um die Mitte 
des zweiten Jahrhunderts der Zollpächter Julius Satuminus; 
seinem Namen begegnen wir auf Inschriften in Baetien, Noricum, 
in Dacien, auch auf einer der Wachstafeln Siebenbürgens, die „im 
6. Jahre seiner Pachtung** geschrieben ward. ^) 

Verpachtet war femer ein Theil der Bergwerke, wie z. B. 
die berühmten Eisengruben bei Noreia in Noricum, wo noch jetzt 
(zu Hüttenberg) drei Viertheile des geschätzten Kämtischen 
Eisens gewonnen werden. Desgleichen mehrere von den Gold- 
schachten in Siebenbürgen,' die von den Grosspächtem wieder an 
kleinere üntemehmer ausgethan waren; das beweisen uns einige 
der interessanten Wachsurkunden, die in jenen Bergwerken bis 
auf unsere Zeit sich erhalten haben : eine von diesen ist in aller 



1) Mommsen, Staatsr. IL 948. 

*) Vgl. C. I. L. Ilt, 4720 (aus der Gegend von Loncium bei Mauthen in 
K&rnten). C. I. L. V. 5079. 5080 (Beben im tiroHscben Elsackthal). 1864 (Plecken- 
alpe). C. I.L. ra. 1568 (Mehadia aus dem J. 157 n. Chr.) ibid. p. 958. C. XXIII. 
Jung, die Dunau-ProTiozeu. 3 



— 34 — 

Form ausgefertigt mit genauer Angabe der Fachtsumme, der Art 
und Weise, wie diese abgezahlt werden sollte, der Entschädigung, 
falls der Eigenthümer wider Willen des Fächters vom Vertrage 
zurücktreten oder dieser die Batenzahlung nicht einhalten würde. 
Eventuelle Schädigung des letzteren durch den Einbruch des 
Grubenwassers sollte in billige Abrechnung gebracht werden. *) 

Der grössere Theil der Bergwerke war jedoch unmittelbar 
unter staatlicher Begie. Eisen gewann man auch in Fannonien 
und Moesien ^, Gold in der Provinz Dalmatien, besonders an 
der Grenze von Epirus im heutigen Bosnien bei den Firustem, 
die als geschickte Bergleute weitiiin den besten Buf genossen *) ; 
es bestand in der Landeshauptstadt Salonae eine eigene Berg- 
behörde für diese Goldwerke*). Vor allem war aber in dieser 
Hinsicht Dacien berühmt als das eigentliche Eldorado jener Zeit 
Ampelum (beim heutigen Zalatna), mitten im siebenbürgischen 
Erzgebirge gelegen, war der Sitz des Bergamtes. Die Oberauf- 
sicht führte der Frocurator Aurariarum, ein kaiserlicher Freige- 
lassener, in späteren Zeiten wol auch ein Mann von Bitterrang, 
unter dem eine Beihe von Beamten fungirten, theils Freigelassene, 
theils Sclaven ^). Als Buchhalter (librarii) waren 2 Mann von der 



^) Der betreffende Vertrag (G. I. L. In. G. X.) lautet: 

Macrino et Gelso cos. XIII kal. Junias Flavius Secuadinas scripsi rogatus a 
Memmio Asdepi (filio), qnia se litteras scire negavit, it quod dizit se locasse et 
locarit operas suas opere aurario Aurelio Adiutori ex hac die in idus Novembres 
prozimas denarios septuaginta liberisque. Meroedem per tempora acdpere debebit. 
Suas operas sanas Talentes edere debebit Conducton suprascripto. Quod si inyito 
condnctore recedere aut cessare yolnerit, dare debebit in dies singulos HS. V (se- 

stertios quinque) nnmeratos Quod si fluor impedierit, pro rata conputare de- 

bebit. Gonductor si tempore peracto meroedem solTendi moram feoerit, eadem poena 
tenebitor exoepUs cessatis tribus. 

Titas Beusantis, Actnm Immenoso maiori. 

qui et Bradua. Socratio Socrationis. Memmins AsdepL 

*) Marquardt a. a. 0. 201 f. 

•) Vgl. Florus IV. 12. 

^) Vgl. G. I. L. HL p. 805. Es werden spedeÜ genannt ein »Connnefltariensiil 
aurariarum Delmatarum*, ein „dispensator." 

') Nemlich die oberen Ghargen des »tabularius aurariarum* (HecbnungsfÜbrer) 
and des »adiutor tabulariorum* waren Freigelassenen sugetheilt, die unteren, wie 
die des „dispensator" (Zahlmeister), des »subsequens librariorum*, »ab instrumentis 
tabulariorum* waren mit Sdaven besetzt. 



- 35 — 

in Dacien statiomrten Legion (der XIII. Gemina) berkommandirt. 
— Die Exploitirung der Bergwerke erforderte eine höchst auf- 
reibende Arbeit und geschah entweder durch Sclaven ^), die unter 
eigene Aufseher gestellt waren, oder durch »ad metalla* verur- 
theilte Verbrecher, die dann von einer Truppenabtheilung be- 
wacht wurden — es mögen auf diese Weise in Siebenbürgen 
allein mindestens 20000 Arbeiter beschäftigt gewesen sein ^) — ; 
daneben kamen noch in Betracht die sog. leguli aurariarum, d. h. 
die Leute, die auf eigene Faust den Goldsand der Flüsse aus- 
beuteten, den sie dann gegen bestimmte Entlohnung abliefern 
mussten, wie das in denselben Gegenden noch heute von den 
Zigeunern practicirt wird. 

Alle diese Einkünfte aus unseren Provinzen flössen in die 
Kasse des Kaisers ; es wurde dabei nur ein formeller Unterschied 
gemadit zwischen dem Privatvermögen (der res privata) und den 
Domänen (Patrimonium) des Princeps. Zur Verrechnung sämmt- 
licher Einnahmen wie der Ausgaben bestand in jeder Provinz eine 
eigene Bechnungskammer (rationes) ; so fdr Dalmatien in Salonae, 
für Dacien zu Sarmizegetusa, an deren Spitze in der früher an- 
gegebenen Weise die Procuratoren der verschiedenen Zweige der 
Verwaltung standen, als deren Unterbeamte auch hier Freigelas- 
sene mid Sclaven erscheinen. 3) — 

Von dieser Art war, in kurzen Zügen dargestellt, die Art 
und Weise, in der unsere Provinzen unter dem Principat regirt 
und verwaltet wurden. Die Administration war geregelt, die 
Beamten und die Capitalisten wurden controUirt, die Unterthanen 
durch Gesetze geschützt, in ausserordentlichen Fällen sogar vom 
Beiche subventionirt. So waren in glücklicher Behäbigkeit die 
erM^n Jahrhunderte der Kaiserzeit, das berühmte Zeitalter der 



*) Ans den Wachstafeln lerneB wir mehrere Geschäfte mit Sdareti kennen. 

*) Gooss, a. a. 0. 157. Es wird diese Annahme kaum zu hoch gein^ififen sein, 
da in den Silberwerken von Carthagena 40000 Menschen verwendet wurden. 

•) Vgl. C. I. L. III. p. 804 f. für Salonae. Es werden genannt „tabularii 
pror. Dalmatiae^^; „ab auctoritatibus" ; „ab ratione fisci*'; „dispensatores Dalma- 
täae" ; „arcarii" ; femer „vilici et arcarii vigesimae hereditatium." In Sarmizegetusa 
werden genannt „tabularii ab instrumentis oensualibus" ; „adiutores tabulariorum.** 
<— Als ,tlibrarius a rationibus" und als „adiutor offidi corniculariorum'^ fungiren 
aadi hier Soldaten der leg. XIII. gem. Vgl. C. I. h. III. p. 229. 

3* 



— 36 — 

Antonine, dahin gegangen, als im 3. Säculum unserer Zeitrech- 
nung jene Epoche des Verfalls nach innen und aussen eintrat, 
die das Beich an den Band des Verderbens brachte. In dieser 
Zeit traf auch die Bömische Herrschaft an der Donau ein schwerer 
Schlag; im J. 272, nachdem sie bereits um die Mitte des Jahr- 
hunderts einmal verloren gegangen war, hat Aurelian die Pro- 
vinz Dacien, das Bollwerk des Beiches jenseits der Donau, defi- 
nitiv wieder aufgegeben. Um die Schlappe zu bemänteln ward 
am rechten Flussufer auf bisher moesischen Gebiet eine neue 
Provinz Dacien eingerichtet ; hier wurden die Colonisten der Traia- 
nischen Zeit, die der Kaiser zurückgezogen hatte, angesiedelt. — 
Zuletzt hat noch einmal ein gewaltiger Staatsmann die Kräfte 
des sinkenden Bömertums zusammengefasst und demselben jene 
Verfassung gegeben, in der es alle folgenden Zeiten überkamen; 
das Becht und der Glaube, Kirche und Staat wurden neu^ codi- 
ficirt Constantin hat das Werk Diocletians vollendet 

Die einzelnen Verwaltungssprengel des Beiches wurden jetzt 
noch mehr verkleinert, die Provinzen formlich in Departements 
zerstückelt. Civil- und Militärgewalt von einander getrennt, jene 
einem Präses, diese einem Dux anvertraut ; eine hierarchisch ab- 
gestufte Bureaukratie trat an die Stelle des einfachen Verwal- 
tungsorganismus der früheren Zeiten. 

Es gab nunmehr zwei Kaisertümer, deren jedes wieder in 
2 oder 3 Bezirke der Minister oder praefecti praetorio zerfiel; 
unter diesen stand je eine Beihe von Provinzen. Der Schwer- 
punkt des Begiments ward vom Westen nach Osten, von Bom 
nach Gonstantinopel verlegt. 

Diese allgemeine und radicale Umwälzung blieb natürlich 
auch für die Bömischen Donaulandschaften nicht ohne Folgen. 
Die Theilungslinie, welche das östliche und westliche Beich von 
einander schied, gieng hier durch; Baetien und Noricum waren 
dem Occident zugefallen; Moesien und das Aurelianische Dacien 
gehörten immer, Pannonien und Dalmatien wenigstens zeitweilig 
zum Kaisertum des Ostens. So kam es, da die Einigkeit zwi- 
schen den Kaisern und Ministem beider Beiche mitunter m 
wünschen übrig lies, wol vor, dass die östlichen Landschaften 
von allen Schrecken des Krieges heimgesucht waren, während 



— 37 — 

die westlichen eines ungetrübten Friedens sich er&euten; und 
umgekehrt 

Die Art und Weise des byzantinischen Verwaltungsorganis- 
mus lernen wir aus dem Beamtenschematismus des Reiches kennen, 
der uns noch vollständig vorliegt. 

Unsere westlichen Landschaften gehörten, von den aus Moe- 
sien und Neudacien gebildeten Provinzen abgesehen, alle zum Be- 
zirke des Ministers, dem Italien, Illyricum und AMca untergeben 
waren. Dabei zerfiel Baetien jetzt in eine Baetia prima mit der 
Hauptstadt Chur und eine Baetia secunda mit der Haupstadt 
Augsburg, welche beide zu den dem Vicarius von Norditalien un- 
terworfenen Sprengein gehörten. *) Die norischen und pannoni- 
schen Landschaften standen unter dem Vicarius von Illyricum, 
unter diesem wieder die Statthalter verschiedenen Banges, der 
Consularis des zweiten Pannoniens 2), der Corrector der Provinz 
Savia, die Praesides von Ufer- und Mittelnoricum , dem ersten 
Pannonien, von Valeria und von Dalmatien. 

Die Provinz Valeria war die nördliche Hälfte des früheren 
Unterpannoniens und hatte den Namen von der Tochter Diocle- 
tians und Gemalin des Galerius, der sich um die Cultur der 
Gegend verdient gemacht hatte. Hier war Sopianae (Pünfkirchen) 
die Hauptstadt und Besidenz des Präses, Aquincum die des Dux. 
Südlich davon lag das jetzt sog. zweite Pannonien und hatte 
Sirmium zur Hauptstadt. Das frühere Oberpannonien war nach 
der neuen Organisation ebenfalls verkleinert und in zwei Theile 
getheilt; der nördliche, das erste Pannonien genannt, hatte wahr- 
scheinlich Savaria ; der südliche, die Provinz Savia oder Pannonia 
ripariensis, hatte Siscia zur Hauptstadt. 

Der wesentliche Unterschied zwischen den Zeiten des Prin- 



*) Im J. 297 n. Chr., ans welcher Zeit wir die erste Organisation, wie 
Diodetian de yomahm, kennen (ygl. Mommsen in den Abhandlungen der Berliner 
Akad. 1862. S. 489 ff.), erscheint Baetien noch ungetheüt; d< aber in dieser, wie 
in anderer Hinsicht, die Aenderungen sehr bald nachher erfolgt sind und erst diese 
von Dauer waren, wird hier auf jene Anfänge nicht weiter Rücksicht genommen. 

') Das zweite Pannonien ist anfangs dem praefectus praetorio yon Illyricum 
zngetheilt gewesen; erst in der not. dignit. erscheint es unter dem von Italien. 
Vgl. C. I. L. m. p. 416; wo auch fiber die Begrenzung der einzelnen Sprengel 
gehandelt Ist 



— S8 — 

cipats und denen der byzantinischen Monarchie war darin gelegen, 
dass unter jenem durchaus der Soldat dominirt, dass man damals 
unter einer «zwar energischen, aber nicht chicanirenden* Militär- 
verwaltung gelebt hatte; während jetzt ein titel- und habsuch- 
tiges Beamtentum, statt des Säbels aber der »heilige Piscus* 
es war, der dem ganzen System sein Gepräge aufdrückte; wie 
früher Kriegs- und Justizwesen in einer Hand vereinigt gewesen 
waren, so waren es jetzt die Eechtspflege und die Finanz. Sogar 
die Zeitrechnung wurde nach den 15jährigen Schätzungsperioden 
— den Indictionen — regulirt: so ist es geblieben, bis nach 
mehr als lOOOjähriger Krise auch Byzanz in die Hände der 
Barbaren fiel. 

Es gab in jedem Beiche jetzt zwei Finanzminister, den des 
Staatsschatzes (Comes sacrarum largitionum) und den des Kron- 
schatzes (Magister oder Comes rei privatae principis). Unter dem 
ersteren stand als Zwischeninstanz der Comes largitionum Illyrici ; 
die ihm untergeordneten Finanzbeamten, die Bationales, hatten 
alle ausstehenden oder erst auszuschreibenden und einzutreibenden 
öffentlichen Abgaben für einen Complex von mehreren Provinzen 
z. B. för Valeria, das obere Pannonien, und ganz Noricum oder * 
für Pannonia secunda, Dalmatien, Savia zu verrechnen. — Die 
Verwaltung der Provincialclassen, der sog. thesauri, deren es z. B. 
in Augsburg, in Salonae, in Siscia, in Savaria gab, war sog. 
Fraepositi anvertraut. Zu Siscia gab es eine Münzstätte, die von 
einem Procurator monetae beaufsichtigt wurde. Eigene Procura- 
toren verwalteten femer die Staatsfabriken, welche die k'iiserlichen 
Gold- und Silberarbeiten, sowie die Webereien besorgten. Für 
das zweite Pannonien gab es deren zwei, von welchen der eine 
Anfangs zu Bassianae, nachher aber zu Salonae, der andere in 
Sirmium seinen Sitz hatte. — Ein Comes commerciorum per 
niyricum fiingirte als Steuerzöllner, der die GeföUe durch eigene 
Stationarii einhob. 

Der zweite Minister, der Comes rei privatae, verwaltete das 
kaiserliche Domanialgut: die Forste mit den Jagden, alles her- 
renlose Land, die confiscirten Güter, die kaiserlichen Paläste u. s, w. 
Er hatte eine Beihe von Procuratores rei privatae (z. B. per 
Saviam) und verschiedene Praepositi (gregum, der Gestfite, sal- 



— 39 — 

taum, des Weidelandes, bastagartuo, der kaiserlichen Transport- 
wagen u. s. w.) unter sich. 

Einem dritten Minister endlich, dem Magister officiorum, 
unterstanden die Fabriken für das sämmtliche Kriegsmateriale, 
IL z. für die lUjrische Diöcese die Schildfabriken zu Acincum, 
zu Gamuntum, zu Lauiiacum, zu Salonae; desgleichen die WafTen- 
und Bailistenfabrik zu Sirmium. 

So war ein zahlloses Beamtenheer geschaffen, das über 
das ganze Beich wie ein Spinnennetz sich ausbreitete und ihm das 
Mark aussog nach allen Begeln administrativer Kunst und fis- 
caler Brutalitat. 



III. Das Militärwesen der Römischen Kaiserzeit. 



Das ganze Wehrsystem der Eömer während der Zeit des 
Principats bestand wesentlich in der Grenzvertheidigung. Die 
völlig befriedeten Provinzen hatten keine Besatzung von Reichs- 
trappen, sie waren, wie der technische Ausdrack lautete, »iner- 
mes.'* So standen z. B. in ganz Gallien nur 1200 Mann Garde, 
die zu Lyon, der zweiten Stadt des Reiches im Westen, stati«nirt 
waren. Am Rhein hingegen bildeten die beiden Germanien eine 
Art Militärgrenze, die Gallien vorgeschoben war; dort lagen in 
festen Lagern die Regimenter der Römischen Rheinarmee zum 
Schutze der dahinter liegenden Landschaften gegen die Anfälle 
der germanischen Barbaren. In ähnlicher Weise hatte auch ganz 
Vorderasien von Reichswegen keinen Mann Besatzung ; diese war 
am Euphrat concentrirt, wo sie Syrien gegen die Parther zu 
decken hatte. Aegypten und Africa waren ebenfalls durch Armee- 
corps gedeckt. Auch Spanien erforderte eine Garnison, da man 
der lusitanischen Gebirgsstämme noch immer nicht sicher war. 
Als Britannien erobert worden, ward es ebenfalls durch Legionen 
im Zaum gehalten und gegen Picten und Scoten vertheidigt. 
Ueberall zogen die Römischen Truppen einen grossen Militär- 
cordon rings um die Grenzen des Reiches; am Rhein, an der 
Donau, am Euphrat, am Saum der africanischen Wüste und je 
nachdem die Grenze vor oder rückwärts gerückt wurde, ward auch 
ein Land von Cantonnements frei oder mit Trappen belegt. Dabei 
bestand das ganze Reichsheer aus nicht mehr denn 300000 
Mann, weil eben damals Rom, das „ Reich' xat' l^o^'^v, beiläufig 
eine ähnlich überlegene und zugleich isolirte Stellung einnahm, 
wie etwa heute die Yereinigten Staaten von Nordamerika, die ja 



— 41 — 

auch höchstens gegen einige Indianerstämme oder ganz unkräf- 
tige Staatenbildungen vorgehen zu müssen in der Lage sind; 
was allein Sache der Centralregierung ist, während sonst jeder 
einzelne Staat seine eigene Miliz hat, jedes Municipium seine Polizei 
selbst versieht. In ganz ähnlicher Weise hatten in römischer 
Zeit die Statthalter der „provindae inermes'' die Provincialmiliz, 
etwa zur Bewachung der Küste, zur Steuereintreibung u. s. w. 
unter sich, die mitunter von Angehörigen der Beichsarmee com- 
mandirt und einexercirt ward. In ausserordentlichen Fällen ward 
wol auch die Bevölkerung der Provinz aufgeboten und für den 
Kaiser in Pflicht genommen, wie das z. B. in Baetien nach 
Neros Sturz während der Stürme des Yierkaiseijahres geschehen 
ist Sonst besorgte jedes Municipium die Polizei seines Bezirkes 
selbst, hatte auch z. B. gegen Bäubereien, die innerhalb seines 
Territoriums vorfielen, in autonomer Weise einzuschreiten. 

Die Donauprovinzen gehörten zu den Grenzlandschaften des 
Beiches und waren also militärisch besetzt. Die Standquartiere 
der Bömischen Heeresabtheilungen aber haben sich zu verschie- 
denen Zeiten verschoben, was immer von dem Wechsel der Grenze 
in diesen Gegenden bedingt war. 

Zuerst kamen Truppen hieher, als unter Augustus niyricum 
bis an die Save dein Beiche einverleibt war. Und zwar war die 
ülyrische Armee von Anfang an nach der am Bhein das stärkste 
unter allen Bömischen Corps; natürlich, weil hier am meisten 
gelämpft worden und am meisten zu beschützen war. Sie be- 
stand aus sechs Legionen Bürgerwehr, welcher nach Bömischer 
Sitte eine ungefähr ebenso starke Zahl sog. Hilfstruppen, d. h. 
Zuzugsmannschaft der ünterthanen, beigegeben war, in einer 
Gesammtstärke von 60 — 70000 Mann. *) 

Diese 6 Legionen Besatzung, die bis zum Jahre 1 n. Chr. 
in niyricum, d. h. in den noch vereinigten Dalmatien und Pan- 
nonien stationirte, waren die VII., die VIII. Augusta, die IX. His- 
pana, die XI., die XV. Apollinaris, die XX. Valeria victrix. 

Als aber Varus die grosse Niederlage im Teutoburger Walde 
erlitten hatte und in derselben 3 Legionen zu Grunde gegangen 



*) VgL C. I. L. m. p. 280. 



— 42 — 

waren, wurde yon der iUyriflcheii Besatzung die XX. nach dem 
unteren Germanien geschickt, von wo sie nicht mehr hieher xo- 
rückkehrte. 

Es erfolgte dann die Theilung der Provinz Illjricum, mit 
ihr auch die der illyrischen Armee. In Dalmatien verblieben 2 
Legionen, die YH und die XL Dem Legaten ron Pannonien 
wurden die drei übrigen zugetheilt, die VIEL Augusta, die IX. 
Hispana, die XV. Apolliiiaris. — Zugleich erhielt das benach- 
barte Moesien zwei Legionen als Besatzung, die IV. Scytbica und 
die V. Hacedonica, deren Hauptquartier Singidunum (Belgrad) 
wurde. 

Von der dalmatischen Garnison stationirte die Vn. Legion 
im Süden der Provinz, wo zu Delminium im Gebiete von Salona 
ihr Waflfenplatz lag. Die XI. Legion stand in Norddalmatien 
und hatte zu Bumum im Gebiete von Scardona ihr Hauptquartier. 
So blieben die Verhältnisse unter Julisch-Claudischen Dynastie. 
Als unter dem Kaiser Claudius der Statthalter Scribonian ein Pro- 
nunciamento versuchte, scheiterte er an der TheUnahmslosigkeit 
der beiden Legionen, welche dafür vom Kaiser durch die Bei- 
namen der „Claudischen Getreuen'' ausgezeichnet wurden (42 n. 
Chr.) Bald nachher wurde, da Süddalmatien nunmehr völlig 
pacificirt und eine so bedeutende Besatzung deshalb überflüssig 
geworden war, die VH. Legion nach Moesien verlegt, wo sie schon 
zur Zeit von Nero's Sturz sich vorfindet. Die XI. Legion blieb 
noch hier, da im Norden der Provinz von den Barbaren noch 
inmier einige Gefahr drohte, während für den Süden Detache- 
ments genügten, um die Buhe zu erhalten. Die stürmischen 
Jahre 68 und 69 n. Chr. blieb sie hier im Lager; kurz darauf 
ist sie nach Obergermanien verlegt worden. Seitdem hatte Dal- 
matien keine Legionen, sondern nur mehr einige Auxiliarcohorten 
zur Besatzung; — zu ausserordentlichen Dienstleistungen erhielt 
der Legat wol auch noch einige Legionsunteroffiziere aus dem 
oberen Pannonien zugetheilt, ähnlich wie der Proconsul von Africa 
durch den Legaten von Numidien, der Statthalter von Bithynien 
erforderlichen Falles aus Moesien. 

Was Pannonien betrifft, so war wie es scheint, bis auf Do- 
jmtian die ganze Besatzung von drei Legionen bei Poetovio con- 



— 43 — 

centrirt; der militärische Stfltzpunkt der Bffmer lag damals hier 
in der südKchen Steiermark. *) 

Wie man sieht, in der Zeit der JulisGh-Claudischffi Kaiser 
waren die verschiedenen Abtheilungen der Donaus^mee auf die 
Linie Spalatro-Belgrad-Pettan vertheilt und hiedurch in gleichem 
Maasse die Küste des adriatischen Meeres, die italienische <}renze, 
und die Donaulinie bis zur Mündung von Drau und Save gegen 
jeden AngriflF von aussen gedeckt. 

An dem unteren Laufe der Donau standen vor Vespasian 
noch keine Truppen ; im schwarzen Meere legte eine eigene Flo- 
tille den Piraten das Handwerk. — 

Die einzelnen Begimenter wurden in der folgenden Zeit 
mehrfach dislocirt. So traten namentlich in Pannonien verschiedene 
Aenderuiigen im Truppenstande ein. Unter K. Claudius ward 
die IX. Hispana zur Eroberung Britanniens verwendet und blieb 
dann dort; unter Nero kam die VIII. Augusta nach Moesien, 
dessen frühere Besatzung nach Syrien abmarschirte, wo ein Krieg 
gegen die Parther zum Ausbruch gekommen war. Aus gleichem 
Grunde wurde im Jahre 63 auch die XV. Apollinaris nach dem 
Orient beordert, da die dortigen Ereignisse die Eegierung zu den 
grössten Anstrengungen nötMgten; hier blieb sie längere Zeit 

An die Stelle der drei genannten Legionen traten zwei an- 
dere: die XIIJ. genüna, die früher in Obergermanien dislocirt 
gewesen war, dann die leg. VII. gemina, welche Galba errichtet 
und sofort nach Pannonien verlegt hatte. 

Als aber Vespasian Kaiser wurde , translocirte er die VII. 
gemina in das diesseitige Spanien, während zugleich nach Been- 
digung des Jüdischen Krieges im J. 71 n. Chr. die XV. Apol- 
linaris nach Pannonien zurückkehrte. So standen hier damals 
zwei Legionen, die XTTT. gemina xmd die XV. Apollinaris. 

Im Ganzen war, wie wir sehen, die militärische Situation 
in den Illyrischen Provinzen während des ersten Jahrhunderts 
sich ziemlich gleich geblieben ; es wechselten mitunter die Begi- 
menter, die Cantonnements bHeben sich gleich; wenigstens nach 
Norden hin. Dag^en hat unter den Plavischen Kaisem alter- 



^) Ygl. G. L L. in. p. 488. Bis auf Domitiaii, der andere Anordnongen 
traf, war die Vereixu'gaDg mehrerer Begimenter in einem Lager, nicht ungewöhnlidLi 



- 44 — 

dings eine Verschiebung gegen den Osten zu stattgefunden, 
indem, wie bemerkt, die Legionen aus Dalmatien weggezogen 
und dafür die unteren Donaugegenden, Moesia inferior, mehr und 
mehr occupirt und in die Römische Yertheidigungslinie herein- 
gezogen worden waren. Dort standen seitdem wegen der Daker 
drei Legionen stationirt, deren Hauptwaffenplatz Troesmis am 
Beginne des Donaudelta^s (beim heutigen Iglitza) war. Von da 
aus wurden Detachements bis in die Krim entsendet. 

So war die Lage der Dinge am Ende des 1. Jahrhunderts, 
als in Folge der dacischen Kriege umfassende Aenderungen in 
der Dislocation der gesammten Komischen Armee eintraten, welche 
von der weitgehendsten Bedeutung waren und dea ganzen mili- 
tärischen Schwerpunkt im Eeiche verrückten. In Dacien, wie in 
Pannonien an der mittleren Donau, wurden damals neue Canton- 
nements eingerichtet. Dorthin kam aus Pannonien die Xin. ge- 
mina und nahm ihr Hauptquartier zu Apulum, dem heutigen 
Karlsburg in Siebenbürgen. Die bessarabischen Gegenden zwi- 
schen Pruth und Dniester wurden durch den Trajanischen Wall 
abgesperrt, dieser selbst durch Spähthürme und Forts gedeckt; 
eine Arbeit, welche von den Bömischen Truppen in 10 Jahren 
(105 — 115 n. Chr.) vollendet wurde. *) Septimius Severus hat 
später noch eine der drei moesischen Legionen, die Y. Macedo- 
nica nach Dacien vorgeschoben, die zu Potaissa stationirte. 

Aus Pannonien war unterdess von Traian oder seinem Nach- 
folger auch die XV. ApoUinaris u. z. nach Cappadocien verlegt 
worden; dafür standen dort seit dem Ausgange des 1. oder dem 
Beginne des 2. Jahrhunderts die folgenden vier Legionen: die 
L adiutrix, die früher in Spanien gamisonirt hatte; und die IL 
adiutrix, die bis dahin in üntergermanieen und Britannien ge- 
wesen war, zog Donütian hieher; die X. gemina und die XIV. 
gemina Traian, und zwar erstere aus dem unteren, letztere vom 
oberen Germamen. 

Von diesen Legionen wurden 3 in das obere, 1 in das untere 
Pannonien stationirt Es erfolgte die Anlage der grossen Festun- 
gen an der Donau: Vindobona, das heutige Wien, ward das 



^) Vgl. Boesler, Bomaen. Stadien S. 46; wenn die dortigen Angaben richtig 
sind. 



— 45 — 

Hauptquartier der X. gemina; Carauntum (Petronell bei Schwe- 
chat), im Centrum der ganzen Position und der wichtigste Punkt 
derselben, erhielt die XIV. gemina zur Besatzung; Brigetio (Szoeny 
bei Eomom) ward der I. adiutrix zugewiesen. Diese 3 Festungen 
bildeten mit einander eine strategische Einheit und standen 
sämmtlich unter dem Legaten von Oberpannonien. In die untere 
Provinz ward nur eine Legion stationirt, die n. adiutrix, die 
zuerst in Acumincum (bei Szlankemen), bald aber zu Aquincum 
(Ofen) ihr Hauptquartier aufschlug ; so dass sie in der einen Po- 
sition mit den moesischen Truppen von Singidurium und Vimi- 
nacium, in der anderen mit den oberpannonischen Lagern Füh- 
lung behielt. — Zeitweilig sind auch noch andere Legionen hier 
in Pannunien gestanden ; wie denn zu Aquincum Ziegel mit dem 
Stempel der XTV. gemina, desgleichen der VI. victrix, zu Vindo- 
bona solche der XXX. gefunden worden sind. 

Was endlich Baetien und Noricum angeht, so bestand deren 
.Heer*, so lange diese Landschaften durch Procuratoren regiert 
wurden, nur aus Auxiliartruppen. Dieselben hatten immerhin die 
Starke von einigen tausend Mann, später durchaus die einer Le- 
gion, wie wir dies für Baetien aus den allerdings ungewöhnlich 
kriegerischen Zeiten der K Traian und M. Aurel bestimmt wis- 
sen. ^) Als Hadrian seine grosse Bundreise im Beiche machte 
und dabei auch alle Garnisonen desselben inspicirte, da erschei- 
nen auf den Münzen, die diesem Ereigniss zu Ehren geschlagen 
wurden, auch die Besatzungen der procuratorischen Provinzen 
genannt; darunter sind die von Noricum und Baetien nament- 
lich aufgefOhrt 2) 

Erst zur Zeit des Marcomannischen Krieges um das J. 170 
erehi» £. Marcus für beide Provinzen Legionen zur Besatzung 
und verlegte nach Noricum die leg. 11, nach Baetien die leg. III, 
beide „Italica" beigenaont aus einem Grunde, den wir nicht 



1) Ans 2 MUitärdiplomen der Jahren 107 tmd 166. G. I. L. III. T). XIV. 
Ephem. epigr. II. D. LXI. 

*) Cohen, monnaies frappöes sons V empire Romain, n. n. 800 — 805. Der 
Revers dieser Münzen stellt den Kaiser dar 2a Pferd oder begleitet rom praefectns 
^raetorio, ihm gegenüber drei oder yier Soldaten mit Feldzeichen in den H&nden 
Q&d der Unterschrift: „Exerdtas Baeticus**; „Exerdtus Noricas." •— Ueber den 
etzteren ygl. auch Tac. bist, m, 6. 



- 46 - 

kennen. Das Kommando derselben führten L^ten, die seitdem 
auch die Stattbalterposten einnahmen. 

Bis auf Traians Zeit war das bedeutendste Komische Ar- 
meecorps am Bhein gelegen gewesen in der Stärke von 8 Le- 
gionen, während in den illyrischen Provinzen, in Dalmatien, Moe- 
sien, Fannonien zusammen nur deren 6 - 7 stationirt waren; am 
£uphrat gar nur 3 — 4. Das war durch die grossen Dislocationen, 
die unter Domitian und Traian erfolgten, ganz anders geworden. 
Die Garnison am Bhein ward auf 4 Legionen vermindert, dage- 
gen die am Euphrat auf 7—10, die an der Donau auf 10, durch 
Marcus sogar auf 12 verstärkt. ^) Es entsprach dies eben 
durchaus den veränderten Verhältnissen ; denn während am Bhein 
bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts ziemliche Buhe 
eintrat, wurde am Euphrat gegen die f^arther und nachher gegen 
die Perser, vor allem aber an der Donau gegen die Germanen 
und andere Barbaren fast beständig gekämpft; mdir als ein 
Drittel der ganzen Komischen Armee, in der Stärke von lOOOOO 
bis 120000 Mann, war seitdem in den illyrischen Provinzen des 
fieiches stationirt. 

Das konnte natürlich nicht ohne Bückwirkung auf den gan* 
zen Staat bleiben. Und so trat denn das YerMngniss ein, das 
einst Augustus durch seine Organisation hatte hintanhalten wol- 
len: die Illyrische Grenzmiliz, von allen Corps ohnedies der 
Beichshauptstadt am nächsten gelegen, begann sich zu fühlen. 
Am Ausgange des 2. Jahrhundert, als mehrere Praetendenten den 
Thron sich streitig machten, gab es für seinen Gandidaten, den 
Statthalter von Oberpannonien, Septimius Severus, den Ausschlag ; 
das ganze dritte JahAundert hindurch blieb dies Yerhältniss be- 
stehen und bestimmten Illyrische Soldatenkaiser, die meist aus 
den Donauprovinzen selbst stammten, wie Probus, Aurelian hinab 



^) Die Dislocfttion der Legionen in unseren Prorinzen war seitdem folgende: 
Dacien: erst 1, dann (seit Septimius Sererus) 2 ; Hauptquartiere : Apulum u. Potaissa. 
Niedermoesien: erst S, dann 2; Hauptquartiere: Troesmis, NcyaO) Borostoram. Ober* 
moesien: 2; Hauptquartiere: Singidunum und Viminacium. Unterpannonien : 1 ; Haupt' 
quartier : Aquincum : Oberpannonien : 8 ; Hauptquartiere : Vindobona, Carnuntum, 
Brigetio. Noricum: (s. 170 n. Chr.) 1; Hauptquartier : Lauriacum. Baetien: des* 
gleichen 1 ; Hauptquartier : Castra Regina. Dalmatien war t^inermis.** 



— 47 — 

bis auf Diocletian und Maximian die Geschicke des Reiches als 
die besten «Bömer* dieser rauhen Zeit. 

Und nicht als ob es den Landschaften an der Donau zum 
Unheil gereicht hätte. Im Gegentheil; in den friedlichen Zwi- 
schenräumen, die doch zeitweilig wieder eintraten, wurden von 
diesen Kaisem die Soldaten nützlich beschäftigt. Da lies Probus 
in Pannonien die Bebe pflanzen ; da wurden Sümpfe ausgetrocknet, 
Kanäle gegraben, Flüsse regulirt, Baulichkeiten aller Art er- 
richtet. 

Jede Legion, jede selbständig stationirte Auxiliartruppe 
brannte fOr ihren Bedarf die nöthigen Ziegel; diese begegnen 
überall, wo Truppen längere Zeit stationirt waren, versehen mit 
dem Stempel der betreffenden Abtheilung: jetzt eine der wich-. 
tigsten Quellen für die Kenntnis der BSmischen Militärgeschichte. 
Die Baulichkeiten wurden von jeder Legion selbst hergestellt und 
an die Lager, die grossen Kasernen, die religiösen und die Lu- 
lusbauten, wie die Bäder, die grossartigen Privathäuser u. s. w, 
knüpft eine folgenreiche Entwicklung an, auf die wir alsbald 
zurückkommen werden. Hier soll nur über die allgemein mili- 
tärischen Verhältnisse noch einiges bemerkt werden. 

Yon der Bömischen Eeeresmacht recrutirten die grossen 
Trappenkörper, die Legionen, sich durchwegs aus den Bömischen 
Bürgern der Provinzen, während die Italiener selbst nur mehr in 
der Garde zu dienen hatten. *) Die sog. Auxiliartruppen hinge- 
gen bestanden aus dem Contingenten, welche die ünterthanen zu 
stellen hatten; diese wurden nur in kleinere Abtheilungen, in 
Alen und Cohorten in der Stärke von 500 oder 1000 Mann for- 
mirt und den einzelnen Legionen zugetheilt, so dass diese jetzt 
in d«r Eegel 10—12000 Mann stark waren. Nur in ausserge- 
wohnlichen Fällen der Detachirung, femer in den procuratori- 
Bchen Provinzen operirte eine grössere Anzahl von Alen und Co- 
horten auch allein. 

Die Auxiliartruppen dienten nach den Sitten und mit der 
Bewaffnung ihrer Heimat, z. B. die Daker mit ihrem nationale 

^— II ■ II 

^) Anfangs worden aus Oberitalien noch Legionare ausgehoben, wie denn die 
tiOate der unter dem Julisch-Claudischen Hause in Dalmatien stationirten Jjegionen 
Vn und XI grdstentheüs Oberitaliener waren. Sp&ter wurden auch diese nur in 
die Garde eingereiht. VgL Mommsen, Hermes, IV. IIS. 



— 48 — 

« 

Krummschwert ; auch ihr Feldgeschrei ward in der vaterländi- 
schen Sprache abgegeben ^) ; nur das Kommando war römisch 
und das Latein das gemeinsame Yerständigungsmittel der ver- 
schiedenen Truppen. Die Zahl dieser bundosgenössischen Abthei- 
lungen ward auf die verschiedenen Provinzen sehr verschieden 
repartirt, je nach der Beschaffenheit von Land und von Leuten. 
Das reiche und weichliche Asien z. B. stellte keine Truppen und 
ward dafür desto mehr financiell ins Mitleid gezogen. Hingegen 
hatten die Baeter, die Daker, Thraker und die einzelnen Stämme 
Pannonier verhältnissmässig sehr starke AuxiUen zu stellen. Aus 
den Eaetem wurden mindestens 8, aus den Vindelikem 4 Co- 
horten ausgehoben; auch Abtheilungen vereinigter Baeter und 
Vindeliker kommen vor, es wurde femer das Elitecorps der sog. 
, Singulares '^ am liebsten aus ihnen gezogen; sie gehörten zu 
den geschätztesten Truppen des Beiches. Selbst ihre Landwehr, 
die wie das übrige Militär einexercirt war, kam, wenn ein Krieg 
ihre Grenzen unmittelbar berührte, sehr wohl in Betracht.^ Für 
die Bomanisirung des städtearmen Baetiens und Yindeliciens 
waren diese Verhältnisse von grösster Bedeutung, dieselbe wurde 
hier gerade durch den Kriegsdienst am meisten befördert, ganz 
im Gegensatz zu Noricum, wo vor allem in friedlicher Entwick- 
lung dieselbe viel schneller gedieh; die Noriker stellten sehr 
n^enige Auxiliartruppen ^), wurden aber früh schon zum Dienst ia 
den Legionen herangezogen, ja selbst zu dem in der Garde ; das 
letztere namentlich seit Septimius Severus. — Die Pannonier und 
Daker galten gleichfalls für gute Soldaten. 

. Dabei war es Grundsatz der Bömer, die Zuzugsmannschaft 
der ünterthanen nicht in ihrer Heimat zu verwenden , so dass 
also der raetische Zuzug in der Begel nicht in Baetien, der Pan- 



^) Vgl. ArriAn tact. XLIV. £r erwähnt namentlich : „xe&l akala>(\Löb<; IcaTpi^ 
00^ lxdaT(p ^ivtiy KeXttxo5( \ikv xal^ KeX^ot^ kiceöai, FexMcoi)^ Bl xol^ Fera^, 
Tatcixou^ hh Saoe Ix Ttutcuv.'' Das dadsche £rummschwert ist abgebildet z. B. 
auf dem Grabstein eines in England verstorbenen Tribunen einer dadscheu Cohorte» 
C. L L. Vn. 888. 

«) Vgl. C. L L. m. p. 708. 

^) Man kennt nur eine ala und eine cohors prima Noricorum, welch* letztere 
allerdings eine zweite voraussetzen last. 



- 49 - 

nonische nicht in Pannonien, der dacische nicht in Daden sta- 
tionirt blieb, sondern uns wol in Judaea, in Cappadocien, Syrien, 
Aegypten, Germanien, Spanien oder Britannien vertheilt begegnet. 
Ein Princip, das man übrigens mit mannigfaltigen Modificationen 
durchgeführt hat, die man sich des Zweckes willen erlauben 
konnte. ^) Es dienten also mitunter Boier aus Gallien unter den 
Spanischen Auxiliartruppen, die in Baetien stationirt waren, Tre- 
virer bei den Thrakern in Pannonien, Thraker bei den Asturem 
in Moesien, Spanier in den Pannonischen Gehörten, die auf Bri- 
tannien stationirt waren. Angehörige pannonischer Stanmie traten 
bei den Lusitanem ein, welche in ihrer Provinz als Garnison 
lagen, Daker desgleichen bei in Dacien stehenden fremden Auxi- 
lien. Besonders zahlreich war unter diesen an der Donau das 
syrische Element vertreten, die Gehörten und Alen der Ituraeer, 
der Hemesaner, Palmyrener, Gommagener u. s. w. Auch in den 
Legionen der Donauarmee dienten Syrer und verstärkten den Pro- 
centsatz orientalischen Einflusses in unseren Provinzen, den eine 
Beihe noch anderer Umstände bedingte. Truppenkörper aus den 
Donaugegenden wurden dafür mit nicht geringerer Vorliebe nach 
dem Orient geschickt, wie wir denn z. B. Komische Bürger aus 
Pannonien zu Alexandrien in Aegypten in Garnison finden, Daker 
am Euphrat stationirten. 

Diese Politik in der Behandlung der Unterthanen - Gontin- 
gente bezweckte nichts anderes, als dem cosmopolitischen Staats- 
gedanken des kaiserlichen Koms zum Durchbruch zu verhelfen, 
die systematisch unternommene Nivellirung nationaler Eigenart, 
die Völkermischung im Eeiche zu vollenden. Diesen Plan för- 
derten zugleich noch andere Eigentümlichkeiten der damaligen Bö- 
niischen Heeresverfassung, auf die wir jetzt eingehen müssen. 

Die Armee des Beiches bestand aus Berufssoldaten, die Le- 
gionare hatten zwanzig, die Auxiliartruppen fünfundzwanzig Jahre 
lang zu dienen. Während dieser ganzen Zeit stationirte der ge- 
meine Mann in derselben Provinz, in demselben Lager, da die 
Gamisonsorte der einzelnen Begimenter im Ganzen stabil blieben ^), 

*) Mommsen hat darüber erschöpfend gehandelt im C. I. L. III. p. 916. 

*) Eine Legion verblieb oft Jahrhunderte lang in demselben Lager stationirt. 
In den Donauländern ist verhältnismässig der Wechsel am stärksten wenn auch 
ohne Bo grosse Bedeutung gewesen, dass er die Regel derogirte. 

Jong, die Donau-Provinzen. 4 



— 50 — 

diese selbst aber, wie die frühere Zusammenstellang darthut, 
ebenfalls nur bei ausserordentlichen Veranlassungen gewechselt 
wurden. Während man im Offizierscorps oftige Wechsel beliebte, 
manche Centurionen in verhältnismässig kurzer Zeit durch alle 
drei Welttheile herumgeworfen wurden *), überdies jeder neuer- 
nannte Hauptmann nach Bom reisen musste, um vom Kaiser 
persönlich sein Patent zu zu empfangen ; während man auf jede 
mögliche Weise zu verhindern suchte, dass nicht etwa der Ehr- 
geiz der Offiziere und der Corpsgeist der einzelnen Truppen- 
theile zur Verfolgung gemeinschaftlicher Ziele sich zusammenfönden, 
war eine öftere Dislocation der gemeinen Mannschaft schon wegen 
der ungeheuren Kosten zu vermeiden, die daraus unfehlbar re- 
sultirt haben würden. 

Auf diese Weise ward der Soldat seiner früheren Heimat in 
Folge der langen Abwesenheit entfremdet; dafür war ihm ande- 
rerseits wieder Gelegenheit geboten, an seinem neuen Aufenthalts- 
orte sich ein neues Vaterland zu begründen. Den Auxiliartruppen 
war es nemlich gestattet, sich zu verheirathen und ein ebenbür- 
tiges Weib ward für sie als Peregrinen bald gefunden. 

In einer schwierigeren Lage befanden sich die Bürgersoldaten; 
römische Mädchen wurden in's Lager nicht zugelassen, mit Pere- 
grinen aber hatten sie kein Gonnubium; in Folge dessen auch 
nur illegitime Verbindungen zu Stande kommen konnten mit den 
Weibern, die in und um das Lager sich zu thun machten und 
deren von jeher eine grosse Zahl war. Schon unter der Eepublik 
hatten die Generale mitunter einen Feldzug damit begonnen, dass 
sie diese Weiber der Disciplin halber aus dem Lager wiesen. 
Dies war jedoch die Ausnahme und nicht die Begel; in friedli- 
cheren Zeiten, wo nur Gamisonsdienst zu halten war, liess man 
den Dingen freien Lauf. Es ward aber dadurch der Schöpfung 
der „lateinischen Ba^e^^ merklich Vorschub geleistet, indem z. B. 
schon in den Spanischen Kriegen, die dem zweiten Punischen 
folgten, der Fall vorgekommen war, dass die Bömischen Truppen 



') So kennen wir z. B. einen Italiker besserer Herkunft, der sogleich als cen- 
tnrio in die Armee trat und dann in Spanien, am Euphrat, in Oberpannonien, am 
Pontus, zuletzt in Rom bei der Feuerwache diente, im Ganzen eine Stellung nur 
5—6 Jahre inne gehabt hatte. Henzen n. 6749. VgL auch die Carriere des Ritters 
Yarins Clemens ans Celeia. C. L L. in. 5211'-5215. 



— 51 — 

mit den dortigen Provincialinnen an 4000 Kinder erzeugt hatten, 
die im Lager aufwuchsen, und für die in der Folge auf Bitten 
der Väter eine eigene Stadt gegründet wurde. *) Anderswo gieng 
es nicht anders. 

Unter Septimius^ Severus, der das ganze Heerwesen über- 
haupt neu organisirt hat, traten auch in dieser Hinsicht einige 
Aenderungen ein. Er gestattete Bürgersoldaten wie Auxiliar- 
truppen in gleicher Weise den Concubinat 2), rechte Frauen wurden 
im Lager nicht mehr geduldet. Im 4. Jahrhundert ward dies 
dann dahin modificirt, dass der Soldat Weib und Kind wol im 
eigenen Hause haben durfte, in der Kaserne hingegen denselben 
nur ausnahmsweise und erst auf die ausdrückliche Erlaubniss des 
Kommandanten hin der Aufenthalt bewilliget wurde. ") 

War auf diese Weise den Römischen Soldaten wenigstens 
theilweise die Gründung einer Familie schon während der activen 
Dienstzeit ermöglicht, so ward dieselbe den ausgedienten Leuten 
sogar nahe gelegt. Wer 20—25 Jahre beim Militär gewesen, 
ist factisch ein Invalide, der in den meisten Fällen zu nichts 
anderem mehr zu brauchen ist. ^) Von dieser Ansicht ausgehend 
hatte Augustus zu Gunsten der ausgedienten Soldaten eine Inva- 
lidenversorgung gestiftet, für die ein eigener Fond, das soge- 
nannte aerarium militare, vorhanden war. Die Soldaten, welche 
ihre ganze Dienstzeit ehrenvoll bestanden hatten, erhielten daraus 
beim Abschied eine bestimmte ^umme als Abfertigung ; sie hatten 
ausserdem, und in der Folge, als man mit dem Gelde mehr 
geizte, sogar ausschliesslich Anspruch auf Anweisung von Haus 



^) Vgl. Mommsen, Rom. Gesch. 11. S. 4. 

*) Die Kinder, die aus diesen Verhältnissen hervorgiengen, nannten sich nach 
den Mflttem; diese hiessen technisch „focariae" (d.h. Köchinnen, Häuserinnen). Ans 
einem der Veteranendiplome ersehen wir, dass mitunter ein Soldat von vier Concabi- 
nen die Kinder als die seinen anerkannte. 

*) Vgl. die Ausführungen Mommsen's im C. I. L. III. p. 908. 

^) Es ward übrigens alsbald Prindp, auch die Legionare 25 Jahre anter den 
Waffen zn behalten, nur dass sie die überschüssige Zeit hindurch yon ausserordentlichen 
Beschäftigungen frei („munifioes*^ waren. — Dass es an Klagen über diese Ueber- 
schreitung der gesetzlichen Dienstzeit nicht fehlte, zeigt den Aufstand der illyrischen 
und der germanischen Legionen beim Begierungsantritt des Tiberius, den Tadtus zu 
Anfang der Annalen uns schildert. — Tüchtige Leute liesen sich wol auch bewegen, 
mit Aussicht auf demn&chstiges Avancement zum Centurio weiter zu dienen. 

4* 



— 52 — 

und Hof, auf Ausführung .in eine Colonie. ^) Und zwar liessen 
sich die Meisten in der Provinz nieder, wo sie gerade gedient 
hatten und aus der also in der Eegel auch ihre Frau war. Nur 
wenn der bisherige Gamisonsort nahe der Heimat lag, kehrte 
der Veteran wol in diese zurück, 2;. B. ein Pannonier, der beim 
germanischen Heere gestanden hatte; oder wenn ausnahmsweise 
Einer in der Provinz die Dienstzeit vollendete, aus der er ent- 
sprossen war, so blieb er hier und siedelte sich an. 

Die Leute aus den Auxiliartruppen erhielten überdies beim 
Abschied für sich, wie auch für Weib und Kinder das Bürger- 
recht; später desgleichen die Concubinen der Soldaten aller Trup- 
pentheile, die dadurch das Connubium, ihre Kinder die Legiti- 
mation erhielten. — Diese eigentümlichen Militärverhaltnisse haben 
nicht zum wenigsten dazu beigetragen, dass das Komische Ele- 
ment gerade in unsern Provinzen, dem Hauptsitz der Kriegs- 
macht des Reiches, rasch sich vermehrte. 

Die Truppenmassen aber, die ich früher aufzählte, verthei- 
digten die Donaulinie gegen die Barbaren. Auf dem Flusse selbst 
stationirte eine Flotille ; längs seines Laufes erhoben sich CasteÜe, 
als deren Besatzung eine Gehörte oder ein Reiterflügel diente; 
durch kleinere weiter rückwärts geschobene Detachements waren 
einige wichtige Knotenpunkte des Verkehrs mit Italien, z. B. 
Atrans in Noricum, besetzt. Die weitere Sicherung der Strassen, 
an denen mitunter eine lange Postenlinie organisirt war, lag den 
Uilterthanen selbst ob. — 

Als am Ausgange des dritten Jahrhunderts Diocletian seine 
grosse Staatsreform durchführte, ward vor allem auch das Mili- 
tärwesen des Reiches neu organisirt. Augustus hatte nur Gar- 
nisonstruppen geschaffen, weU man zu seiner Zeit damit aus- 
kommen konnte. Jetzt, wo überall dem Reiche mächtige Gegner 
erstanden waren, erwies es sich als durchaus nothwendig, auch 



^) Dies ist zu beachten. Mit Ansiedlung ia unbebauten oder in sumpfigen 
und bergigen Gegenden, die sie erst zu cultiviren gehabt hätten, waren die Leute 
nicht zufrieden. Doch ist es wol vorgekommen, denn die pannonischen Soldaten 
klagen im J. 14 u. Chr. : „si quis tot casus vita superaverit, trahi adhuc diversas 
in terras, ubi per nomen agrorum uligines paludum vel inculta montium accipiant". 
Tac. ann. I, 17. Vgl. hiezu A. W. Zumpt, Commentationes epigr. 1, 450. 



- 53 - 

eine Feldarmee auf die Beine zu bringen, welche an die zunächst 
bedrohten Punkte sogleich dirigirt werden konnte, ohne dass 
dafür anderswo die Grenze entblösst zu werden brauchte. *) 

Die Zahl der Legionen ward nach dem neuen System ver- 
vierfacht, wie die Zahl der Provinzen; doch besassen sie nicht 
die Stärke der früheren und standen nicht mehr unter Legaten, 
sondern unter Präfecten. Man unterschied jetzt zwischen der 
Garde (den sog. paJatini), den Linientruppen, welche dem kaiser- 
lichen Feldlager folgten (comitatenes) und von den magistri mi- 
litum befehligt wurden; endlich den Grenzsoldaten (riparienses 
oder limitanei), welche in den Festungen und Castellen am Rhein, 
am Euphrat und der Donau standen und von den Duces der 
einzelnen Grenzprovinzen kommandirt waren: so Moesia prima, 
Moesia secunda, Dacia ripensis im Orient; Valeria ripensis ; Pan- 
nonia prima, dem auch Noricum ripense zugetheilt ward; Pan- 
nonia secunda mit Savia; Baetia prima und secunda im Occident. 
Zur Büdung dieser Legionen waren ausser den früheren Trup- 
penkörpern dieses Namens auch die ehemaligen Auxilien verwandt 
worden; femer recrutirten sie sich aus den seit Marc Aurel als 
Colon! ins Beich aufgenommenen Barbaren, welche die einzelnen 
Grundbesitzer zu stellen hatten und die man dann auf die ver- 
schiedenen Begimenter vertheilte. 

Neben den Legionstruppen gab es auch jetzt Auxilia, bun- 
desgenössische Contingente. Aber die veränderte Bedeutung des 
Namens zeigte den Fortschritt der Zeiten. Diese Auxilartruppen 
recrutirten sich nemlich nicht mehr wie früher aus den peregrinen 
Völkerschaften des Beiches; diese waren eben im Laufe des 
dritten Jahrhunderts bereits völlige „Bömer" geworden. Dafür 
nahm man jetzt Schaaren von Barbaren als „Bundesgenossen^^ in 
Sold und schlug die römischen Schlachten gegen alle Traditionen 
des Beiches so mehr und mehr mit gedungenen Fremdlingen ; na- 



*) Die ersten Nenordnongen , bevor aber noch röllig mit dem alten System 
gebrochen war, betrafen die Donauländer. In Moesien wurden zwei neue Legionen 
angestellt, die I. Jovia und die H. Herculia; in Noricum (sp&ter auch in Panno- 
nia prima) stationirte seitdem eine I. Noricorum, die auch zum Flottendienst dort 
herangezogen wurde. Constantin hat an der Donau einige neue Castelle angelegt, 
die älteren renovirt. 



— 64 - 

mentUcli Germanen, wie Heruler, Bructerer, Salier, dann Alama, 
Gepiden, Langobarden u. s. w. bildeten alsbald^ den Eem des 
Bömischen Heeres; auch in dieser Hinsicht war der Militafstaat 
zum Finanzstaat geworden, herrschte man dai«h Gold und nicht, 
wie einstens, durch Eisen. Die Folge war, dass seitdem m^hr 
und mehr Germanen die Geschicke des Beiches bestimmten, zu- 
nächst im Dienste desselben als allmächtige Magistri militum, 
bald auch als selbständige Heerkönige an der Spitze ihrer Völ- 
kerschaften. 

Wie so in allem der ganze Character der Zeit sich änderte, 
so zeigte sich dies auch in der Methode, nach der nunmehr die 
Landanweisungen an die Veteranen erfolgten. Es geschah dies, 
indem man ihnen und ihren Nachkommen dafSr erbKchen Kriegs- 
dienst auftrug und demnach eine Institution schuf, die jener der 
österreichischen Militärgrenze ähnlich war. Auch der Dienst in 
den Castellen und Posten zur Sicherung der Transporte, wozu 
man namentlich ins Beich aufgenommene Barbaren, sog. Laeti 
oder Gentiles verwendete, war so organisirt. *) 

Unter den Kaisern Valentinian und Valens, von denen na- 
mentlich der erstere ein rühriger und für seine Zeit sogar vor- 
trefflicher Begent war, wurde in den Jahren 365 — 373 durch 
den Magister militum von Hlyricum Equitius, der dann wieder 
die Duces, die Legions - und Truppenabtheilungskommandanten 
hiezu verwandte, die ganze Festungs- und Postenkette an der 
Donau neuhergestellt Wir kennen namentlich aus der Gegend 
von Fafiana (bei Ips) und von Salva (Gran) die diesbezüglichen 
Bauten ; dort eine Burg, („burgus^^ mit deutschem Namen genannt), 
welche von den Auxiliartruppen zu Lauriacum von Grund aus 
neuaufgeführt wurde, mit festen Mauern und Thürmen; hier ein 
Lager, dazu gleichfalls einen „burgus^ der den Namen , Commer- 
cium '^ erhielt, was seine sonstige Bestimmung andeuten sollte. ^) 
Auch jenseits der Donau, wo die Quaden sasson, Hess Valentinian 
Brückenköpfe anlegen, was die erbitterten Barbaren mit einem 



^) Vgl. Roth, Gesch. des Benefidalwesens S. 46 — 50. Budorif, Chromatische 
Institutionen S. 871. 

*) Vgl. C. I. L. in, 865S. Ephem. epigr. n. p. 889. 



— 55 — 

Einfalle fiber die Donau heimzahlten, bei dem alles Land bis in 
die Gegend von Sirmimn verheert, Camnntum selbst zerstört 
ward. 

Ein paar Jahre nachher erfolgte der Anstoss zur sog. Völ- 
kerwanderung und von da ab waren derlei Plünderzüge der Bar- 
baren in unsere Landschaften permanent; es bildeten sich in Folge 
dessen hier ganz eigenthümliche Zustände aus, die wir später in 
concreto des Näheren werden kennen lernen. 



IV. Die Gauverfassung der Barbaren und das 
Städtewesen der Italiker in den Donauländern. 



Als die Bömer die Donaulandschaften occupirten, waren die- 
selben von zahlreichen Völkerschaften raetischer, keltischer, illy- 
rischer, thraMscher Nationalität bewohnt. Die Baeter, soweit sie 
im heutigen Tirol und Graubflndten sassen, werden von den 
Alten als nächste Verwandte der Etrusker oder Basener, ihre 
Sprache als ein rauher Dialect der etruskischen bezeichnet; und 
wir haben keinen Grund, den Angaben eines so wohlunterrichteten 
Zeitgenossen, wie z. B. der Pataviner Livius war, den Glauben 
zu versagen. In der baierischen Hochebene hingegen sassen 
überall Kelten, ebenso in Noricum und darüber hinaus. Diese 
Kelten waren im 4 Jahrhundert n. Chr. aus Gallien hieher eüi- 
gewandert und hatten die früheren Bewohner theUs in die enüe- 
generen, namentlich bergigen Gegenden zurückgedrängt und die 
Herrschaft an sich genommen ^) ; theUs hatten sie sich auch 
mit diesen früheren Bewohnern thrakisch - Ulyrischen Stammes 
vermischt und waren mit ihnen zu einer Nation verschmolzen, 
wie im nördlichen Dalmatien und im südlichen Fannonien. Das 
übrige Pannonien und Dalmatien hatten nach wie vor die Hlyrer 
inne, deren Nachkommen und XJeberbleibsel die heutigen Alba- 



1) Mommsen, die Schweiz in Böm. Zeit S. 14 meint, dass seitdem auch in 
Bergraetien keltische Ansiedler, Baeto-Etrusker und yielleicht noch Trflmmer und 
Splitter anderer Nationen bnnt durcheinander gesessen haben werden. Stenb, Kl. 
Schriften III, 829 ist wegen der Ortsnamen dagegen, die, so weit sie flberhanpt 
peregrinen Ursprungs sind, durchaus einen einheitlichen Character an sich tragen. 
Vgl. auch ,.Zur Bhaetischen Ethnol " S. 28. 



— 57 - 

nesen sind. Die Daker in Siebenbllrgen und den angrenzenden 
Landschaften waren thraMscher Nationalität, die zu der illyrischen 
beiläufig in demselben Verhältnisse stand, wie etwa jetzt die 
deutsche zu der scandinavischen. ^) 

Die einzelnen Stämme bildeten je ein Gemeinwesen fOr sich, 
einen Gauverband, der in den raetisehen und keltischen Land- 
schaften ffCivitas*, in den östlichen Donauprovinzen von thrako* 
illyrischer Nationalität regelmässig mit dem Localnamen (regio) 
genannt wurde. 

Eine Vereinigung der einzelnen Stämme zu einer Nation war 
nur theilweise gelungen. In Baetien, namentiich in den bergigen 
Gegenden, wS schon von der Natur selbst die einzelnen Thäler unter 
sich abgeschlossen sind, bildete jedes einen Gau und stand f&r 
sich da: in dieser Zersplitterung waren sie mit Leichtigkeit von 
den römischen Truppen niedergeworfen worden. Die Bömischen 
Geographen zählen uns die Namen dieser Gaue auf, ohne dass 
schon sie, und demnach noch weniger wir, mit Genauigkeit die 
Wohnsitze aller einzelnen zu bestimmen vermöchten : bereits dem 
Plinius schien es am angezeigtesten, seiner Darstellung dieser 
Verhältnisse einfach das »Tropaeum Alpium* einzuverleiben, die 
offidelle Liste aller unter den Auspicien des Augustus besiegten 
Alpenvölker. ^) Auch wir müssen uns daran halten. Danach 
sassen denn, um wenigstens die wichtigeren zu nennen, an der 
oberen Etsch die Venosten, nach denen noch jetzt der Vintschgau 
benannt ist; am oberen Inn, im heutigen Engadin die Oeniaten; 
in der Gegend an den Quellen des Bheins sassen die Saruneter, ein 
ähnlich benannter Stamm auch im Samthai nordwärts von Bozen ; ^ 
das Thal der Eisack hatten die Isarken inne ; das Inn- und Wipp- 
thal der Breonen und Genaunen »unsanftes Geschlecht*. Bei 
den Vindelikem werden die vier Stämme der Consuanetes, Buci- 
nates, Licates, Catenates unterschieden. 



^) Vgl. Zeass, die Deutschen und ihre Nachbarst&mme. S. 288 ff. F. MtUler, 
ABg. Ethnographie S. 60. 

*) Plin. h. n. HI. o. 20: Incolae Alpium multi populi — iuxtaque Garjaos 
qaondara Taurisd appellati nunc Norid. Eis contermini Baeti et Vindelici, oames in 
moltas dntates di?isi. 

') So Steuh, £1. Sdirlften IH. S. 802. 



- 58 - 

Anders lagen die Dinge in Noricum; hier hatten die kel- 
üschen Völkerschaften im LanÜB des ersten Jahrhunderts y. Chr. 
sidi zu einem „ Königreich* znsammengethan. Zu Gaesar^s nnd 
des Augustus Zeiten beherrschten hier nacheinander die Könige 
Voccio I., Voccio 11., Critasir einen Völkerbund zwischen den 
südlichen Boiem und den Tauriskem. Der erste Voccio wird als 
Ariovist^s, des Sueyenkönigs, Schwager genannt, der zweite stand 
mit Caesar im besten Einyemehmen nnd schickte ihm Hüfetnippen 
zur Zeit des Bürgerkrieges, der letztgenannte, Critasir, hatte gegen 
die Dakar harte Kämpfe zu bestehen. 

Die einzelnen Gaue in Noricum zählt uns Ptolemaeus auf. 
Da waren die Sevaker im heutigen Pusterthale *}, nördlich dayon 
die Ambisontier im Finzgau ; an der oberen Drau sassen die Am- 
bidrayer, an der Geil die Ambiliker, um Noreia die eigentlichen 
Noriker, ohne Zweifel die zahlreichste AbtheUung, da deren Name 
nachher die frühere Gesammtbezeichnung der Taurisker (d. h. 
,.Bergbewohner*) yerdrängt hat; die Alauni und noch einige 
andere. 2) 

Am südlichen Abhang des Gebirges bis zum Meer hin sassen 
Camer und Japyden, deren Gebiet theüs bald nach der Erobe- 
rung zu Italien geschlagen wurde, theils den üebergang zu Dal- 
matien bildete. Auch dieses bewohnten zahlreiche Stämme, die 
mehrere Eidgenossenschaften mit einander bildeten; wie denn 
z. B. die Japyden und 14 Städte der Libumer mit den eigent- 
lichen Dalmatem in Verbindung getreten waren und den gemein- 
samen Landtag zu Scardona beschickten. ^) 

Nördlich dayon, in Pannonien, war im Gegensatz zu Noricum 
und Dalmatien, gleichwie in Kaetien die Zersplitterung am 
grössten. Die ganze politische Verfassung beruhte hier auf Ge- 
nossenschaften , die sich ursprünglich durch Verwandtschaft, 
später wol auch durch räumliche Verbände begründeten. Auch 
hier büdete jeder Gau einen Staat für sich, es gab weder ge- 



■) yergl. Mommsen zu G. I. L. y. 1888, wo die dntas Saevatom go- 
nannt ist. 

*) Die Inschrift C. I. L. y. 1888 nennt aach eine dvitas Laianoonim; die 
entweder bei dem Geographen gar nicht genannt oder (zu Alauni?) oorrumpirt ist 

8^ Plin. h. ^. m. c. gl. 



— 69 — 

memschaftliche Landtage noch gemßinflame Fürsten, die nach 
ausaoi die Oenossanschaft; repräsentirt hätten. ^ 

Wir finden hier die Azalii^ die auch noch später auf In- 
Bchriften gwannt werden; ^) desgleichen die Boier, Ton denen Beste 
auch nach dem Sturze ihrer Herrschaft durch die Datair hier 
sich erhalten haben ; ') die Latobiker, deren Hauptort bei Treffen 
in Erain lag;^ die Yarcianer, östlich von den Yorgeiiaiuittti; ^ 
femer die Scordisker, die aus Moesien nach ünteipaimonien ver- 
pflanzt worden waren ; ^) die Arayisker an der Donau unterhalb 
Aquincum; 7) die Jaser, die von Warasdin bis Daruvar wohnten; ^) 
die Breuker, ein kriegerischer Stamm, der unter den Auxiliar- 
truppen des Beichsheeres eine bedeutende Bolle spielte. ^) Endlich 
wohnten zwischen Save und Drau die Amantiner. — 

Das waren also die Völkerschaften in den Donaulandschaften 
und dies ihre Verfassung, als die Bömer hier eingriffen und ihre 
Institutionen begründeten. Zunächst blieben die Gaue nach wie vor 
die Basis der Verwaltung und Jurisdiction, bis nach und nach die 

Stadt70rfassung, wie im übrigen Beiche so auch hier durchdrang. 

^■'"■^.■^■^^— 

*) Appian. Blyr. 22: 6Xu>dY|^ hk ^xiv 4) üatovcuv. Kai o5 icöXei^ 

^xoov ol Ilaioye^ oTSs, SkV ^po6c ^ xa>(JLa( yuaxdi oir^iivetav . ohX^ h^ ßooXiq- 
'rr]pux xotva oovi^eoav o5S' £p^oyte^ a5xoi^ Y)oav lid ic&oiv. 

*) Grater 409, 2 : ein praef. ripae Danayi et ciTitatiim daarnm Boior. et 
Azalior. — C. I. L. HI. D. XXXIX. cf. p. 628 : ein Milit&rdiplom fftr einen ex 
pedite Ursioni Bustaronis f. Aziilo. Gef. in Oberpannonien am Plattensee, ans der 
Zeit des Antoninns Pius. 

*) Ygl. C. I. L. III. p. 525. n. 4594: Ariomannus IHati f. Boins. — D. 
XXIY. a. 107 ist hingegen Mogetissae Comatolli f. Boio ansgesteUt, wol einem 
gallischen Boier, da seine Fran eine Sequana ist. Ein Theil der Boier war nemUch 
nsdi der entscheidenden Niederlage nach Gallien gezogen; ihr firflheres Land hiess 
seitdem die „BoierwOste** ; dass in derselben aber deswegen gar kein Mensch gelebt 
h&tte, w&re unrichtig anzunehmen. 

<) Vgl. C. I. L, m. p. 496. 

') Ygl. Zeuss, die Deutschen und ihre Nachbarst&mme. S. 256. — D. U: 
Jantumaro Andedumis f. Yardano. 

«) C. I. L. m. p. 415. n. 8400. 

') C. I. L. m. p. 415. 429. D.XLII.XLYI. 8825. Böm. Mfinzwesen S. 696. 

^ C. L L.' m. p. 507. n. 4000 : „res publica Jasomm" : D. Xu : Frontoni 
Soeni f. Jaso. — n. 4121 : „Aquae Jasae" (Warasdin.) 

*) Ygl. I. C. L. m. p. 1149. Sie stellten mindestens 7 Cohorten: während in 
Noricom, wie in Baetien und YindeUden die einzelnen Stämme unter den TruppeD- 
kOipem nie spedell genannt erscheinen, ist das bei den Brenkem der IUI. 



« — 60 — 

Von einer Geschichte der genannten Völkerschaften kann 
im üebrigen nicht die Bede sein. Dieselben werden zuerst ge- 
nannt, als sie den Bömem bekannt wurden; und dieser Bekannt- 
schaft folgte alsbald die mercantile Ausbeutung und endlich auch 
die politische Unterwerfang. Von da an ward Jahrhunderte hin- 
durch Sitte, Glauben, Sprache durch die Bömer beeinflusst — 
eine nationale Entwicklung war unter diesen Umständen nicht 
möglich; wir sehen nur das Absterben derselben und ihre allmäh- 
lige Umwandlung, wenn nicht zu Bömem, so doch zu Bomanen, 
d. h. nicht zu einer neuen Nation, sondern zu cosmopolitischen 
Angehörigen des Bömischen Weltreiches. 

Gleich nach der Eroberung führten die Bömer ihre Sprache 
als die in Verwaltung und Gericht allein massgebende ein, wie 
das in allen Landschaften geschah, die nicht, wie die griechischen, 
punischen, ägyptischen Gebiete eine eigene ältere Civilisation 
aufzuweisen hatten, der gegenüber man etwas schonender vor- 
gieng. Neben dem Latein erhielten sich die einheimischen Dia- 
lecte als Patois noch lange im Munde des gemeinen Volkes, 
indem sie mit der Zeit mehr und mehr an Boden verloren und 
zuletzt ganz verschwanden. 

Aus jener älteren Periode der Freiheit blieb unter diesen 
Verhältnissen nichts erhalten, als einige antiquarische Funde von 
Münzen und von allerlei Geräth, Zeugen der Handelsverbindungen, 
die schon in vorrömischer Zeit hier bestanden hatten; wie denn 
der Berns teinhandel von den Ufern der Ostsee seit jeher durch 
die heute österreichischen Lande durchgieng, Dacien, wie wir 
sahen, besonders mit den hellenistischen Beichen in lebhaftem 
Verkehr stand. Dann sind hier besonders auch hervorzuheben die 
zahlreichen Funde von etruskischem Schmuck und Hausrath in 
den Gräbern namentlich unserer westlichen Landschafton, die 
beweisen, wie schon zur Zeit der Blüto etruskischer Macht in 
Italien (6. und 5." Jahrhundert v. Chr.) der Tauschhandel nach 
dem Norden sehr florirt hatte ^) ; und aus den Münzen von Mas- 



*) Vgl. Genthe, Ueber den Tauschhandel der Etrusker nach dem Norden. 1874. 
Mommsen, Die nordetruskischen Alphabete auf Inschriften und Münzen. Mittheilon- 
gen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich VII. 1858. S. 199 ff. Auch Corssen 
in seinem Werke über die Sprache der Etrusker geht auf den Gegenstand ein. 



— 61 — 

silia, welche ebenfalls dort — namentlich im südlichen Baetien- 
zu Tage kamen, ist ersichtlich, dass ihrerseits die berühmte grie- 
chische Colonie von Westen her den Etruskerii kräftigst Concurrenz 
gemacht habe *). 

Ein anders Denkmal jener vorrömischen Epoche endlich, das 
auf uns gekommen, bildet die Nomenclatur unserer Gegenden; 
eine Eeihe von Flüssen, Bergen, Ortschaften, wie z. B. die Donau, 
der Inn, die Drau, die Baab u. s. w.; die Tauern, die Alpen, 
Cilly, Pettau, Wien tragen noch heute die Namen, die ihnen die 
Kelten gegeben haben. Im raetischen Berglande, das auch in 
dieser Hinsicht die wenigsten Wandlungen durchgemacht hat, ist 
die alte Nomenclatur, die einen wesentlich anderen Character 
trägt, desgleichen bis auf diesen Tag erhalten, mannigfach über- 
schichtet von Bomanischen und Germanischen Namen, die den 
späteren Culturepochen entsprechen. 

Darauf fussen die ethnologischen Forschungen über jene 
Gegenden, da andere Quellen eben gänzlich fehlen. 

Die angeführten Völkerschaften aber bilden gleichsam das 
Substrat für die Bömische Herrschaft, das passive Element unter 
derselben. Alles active Eingreifen in die Verhältnisse gieng von 
den Bömem aus : der ganze Character unserer Landschaften wandelte 
sich in Folge dessen um und erhielt ein völlig anderes Gepraege. 

Was nun die Bömer vor Allem Eigentümliches in diese 
Landschaften brachten, das wodurch die Cüvilisation der Italiker 
und ihre Herrschaft an der Donau sich stabilirte, das war die 
Einfllhrung des Städtewesens in der eigentümlichen Form, wie 
es bis dahin auf der apenninischen Halbinsel sich entwickelt hatte ^. 



^) Vgl. Mommsen, Köm. Mflnzwesen. S. 672 f. 

*) Für das Folgende im Allgemeinen vgl. man : A. W. Zumpt, de col. et mu- 
nicip. Koman. in den Commentationes epigraph. I. (1850). Mommsen, über die Stadt- 
rechte Yon Salpensa and Malaca. Abhandl. der sächsischen Gesellschaft der Wis- 
sensch. III. (1857) S. 888 ff. Kuhn, die st&dtische und hflrgerliche Verfassung des 
Rom. Reiches. 2 Bände (Leipzig 1864 f.). Uarqoardt, Böm. Staatsyerwaltuug I. 
(1878) S. 426—528. Ferner die Ephemeris epigr. II, 105—151. 221-^82 (1874), 
wo die jüngst aufgefundene Lex coloniae Jullae Genetivae edirt und von liommsen 
commentirt ist. Die neueste Darstellung bietet ein Aufsatz von Duruy : »Du regime 
municipal dans TEmpire romain aux premiers siecles de notre ^re* in der Bevue 
bistorique von Monod und Fagniez. I. (1876). 



— 62 - 

Die Bömer kannten überhaupt nur zwei verschiedene Orga- 
nisationen des Gemeinwesens; nemlich nach Städten und aach 
Völkerschaften oder Gauen. «Jene findet sich im Gebiet der 
vollkommenen Civilisation, also in Italien, Griechenland, Eleina- 
sien, AMca; diese in den ehemals barbarischen Landschaften, 
z. B. in Moesien, Fannonien, Gallien, natürlich in der Art, dass 
mit der steigenden Cultur und der allmähligen Assimilirung der 
Bewohner an Italien die Stadtverfassung neben und über der Gau- 
verfassung sich geltend machte* *). 

Die Bömer haben, indem sie darin nur dem Grundgedanken 
aller Politien des klassischen Altertums Ausdruck gaben, ihr gan- 
zes Beich nach Städten organisirt: die einzelnen Provinzen sollten 
dem entsprechend nichts sein als zum Behufe der Verwaltung ge- 
bildete Bezirke, Collective von Städten. Eine jede Stadt bildete 
der anderen gegenüber ein in sich völlig abgeschlossenes Ganze. 
Wer aus einer Stadt des Bömischen Beiches oder dem Gebiet 
einer solchen stammte, war unauflöslich an sie gebunden ; mochte ' 
er in derselben Stadt oder in einer anderen den Wohnsitz (das 
, domicilium *) haben, er wurde als Angehöriger der ersteren beur- 
teilt, hatte dort seine Heimat oder, wie der technische Ausdruck 
lautete, seine origo; er ward von ihr zu den gemeinen Lasten her- 
angezogen und ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen. Durch die Ver- 
änderung des Wohnsitzes ward dieses Abhängigkeitsverhältnis in 
keiner Weise aufgehoben oder derogirt ^). Kurzum : die verschie- 
denen Städte des Bömischen Beiches standen zu einander, wie 
die Angehörigen fremder Staaten und übten über ihre Abkömm- 
linge dieselbe Gewalt aus, wie früher, da sie souveraen gewesen 
waren. 

Dieses eigentümliche Städtewesen haben nunmehr die Bömer 
auch in die Landschaften an der Donau übertragen, wo bisher 
die Gauverfassung allein geherrscht hatte: man gründete alsbald 
Municipien und Colonien und Städte Latinischen Bechtes, um so 
einerseits an die Stelle der durch den Krieg aufgeriebenen ur- 



^) Mommsen, Die Schweiz in Köm. Zeit. S. 17. 

*) So massten bekanntlich Joseph und Maria von Nazareth nach Bethlehem 
gehen, nm sich dort aufschreiben und censiren zu lassen, weil Josephs Geschlecht 
Ton dort stammte. 



— 63 — 

sprünglichen Bey^Ikerang eine neue Bömische zu setzen und die 
eroberten Länder gegen äussere und innere Feinde zu sichern, 
andererseits dieselben unmittelbar in das Bömische Cultur- und 
Sechtsleben einzuführen. 

Der Unterschied zwischen Municip und Colonie war der, dass 
ersteres sich constituirte durch seine bisherigen Einwohner, die 
man mit dem Bürgerrechte bedachte; in letztere aber eine neue 
römische Bevölkerung eiugeführt wurde, die zu der älteren in ein 
verschiedenes Bechtsverhältniss trat ; entweder wurden die alten und 
die neuen Einwohner mit gleichen Eechten betheilt oder es wurde 
die ganze alte Einwohnerschaft geradezu der neuen unterworfen 
und alles Antheiles an der Communal Verwaltung beraubt; was 
mitunter zu allerlei Beibungen und namentlich in der ersten Zeit 
wol auch zu blutigen Aufständen geführt hat *). 

Man gieng aber so vor kraft des Bechtes der {Eroberung, 
wonach der gesammte Provincialboden zum « ager publicus populi 
Bomani *, d. h. zum Besitz des Staates, in den annectirten Beichen 
zum Besitz des Kaisers geworden war (was schliesslich auf das- 
selbe hinauskam) ; ij). Folge dessen er beliebig verwendet werden 
konnte, ohne dass die bisherigen Inhaber auf Entschädigung recht- 
lich einen Anspruch machen konnten, diese ihnen höchstens im 
Gnadenwege gewährt wurde. 

Die Verfassung, welche diese Municipien und Colonien erhiel- 
ten, war die der altlatinischen oder auch, insofern nemlich deren 
Verfassung in den Grundzügen derBömischen gleich war, derBömi- 
schen altpatricisch-consularischen Gemeinde und machte sie so zu 
kleineren AbbUdem der grossen Boma, bevor durch den Ständekampf 
hier alle Verhältnisse sich verschoben hatten. Da war das Volk, das 
wie die Bömische Gemeinde nach Gurion oder auch nach Tribus 



*) Man vgl* darüber Tac. Ann. XIV. S, wo ein solcher Aufstand in der Co- 
lonie Camoludunum in Britannien geschildert wird : (Britanni) rapiunt arma acerrimo 
in veteranos odio quippe in coloniam Camulodunam recens deducti pellebant domi- 
bas, eiturbabant agris, captiyos, serros appellantes, foventibus impotentiam yetera- 
noram militibus similitudine et spe eiusdem lioentiae. Vgl. Marquardt, Staatsyerw. I, 
io6. Die deutsche Colonisation iu den östlichen und südlichen, theils Slayischen, 
theils Bomanischen Grenzlanden des deutschen Beiches hat sich vielfach in fthnlicher 
Weise vollzogen; die alten £inwohner wurden entweder ganz ausgetrieben, oder in 
das schlechtere Stadtviertel, das »Wendendorf,* das »Latinerquartier* verdrängt. 



— 64 — 

abgetheilt war, das die Magistrate wählte, Gesetze gab, Beschlüsse 
fasste ^). 

Der Stadtrath der Decurionen bestand aus 100 Mitgliedern, 
wie das in ältester Zeit auch beim Senat in Born der Fall ge- 
wesen war. Als Magistratur fnngirten regelmässig vier Personen, 
nemlich zwei höchste richterliche Beamte, welche den römischen 
Consuln entsprachen und zwei Aedilen, welche die Marktgerichts- 
barkeit ausübten. Diese Magistratspersonen bildeten dann mit 
einander entweder zwei GoUegien von zwei Männern (duoviri) 
oder eines von vier Männern (IVviri) ; wie das erstere in den Co- 
lonien, das letztere in den Municipien gewöhnlich war. Wenn die 
Beamten der Gensus zu halten hatten, was in der Begel alle 5 
Jahre geschah, so erhielten sie zum Titel den Zusatz „mit cen- 
sorischer oder Fünflahrgewalt. * Die Gemeindekasse verwalteten 
zwei Quaestoren. Fürs Sacralwesen sorgten zunächst die beiden 
der ältesten latinischen Verfassung allein bekannten Gollegien 
priesterlicher Sachverständiger, die municipalen Fontifices und 
Augum; wozu dann, wie in Bom für einzelne Feste und Grott- 
heiten verschiedene Bruderschaften sich constituirten , die unter 
eigenen „Magistri* standen und die Opfer und die heiligen Ge- 
bräuche auszurichten unternahmen. 

Die Analogie zwischen dem alten Bom und namentlich den 

« 

Colonien gieng noch weiter. Jeder Stadt war das umliegende 
Gebiet, oft von bedeutendem Umfange, attribuii-t oder contribuirt, 
wie die technischen Ausdrücke lauten. Die Bewohner dieses Ge- 
bietes waren minderen Bechtes als die Bürger der Stadt, sie waren 
in der Begel Peregrinen, später wurden sie mit der Latinität 
begabt; sie standen demnach zu der „ Stadt'' in dem ersteren 
FsJl in demselben Verhältnis, wie einst die Provincialen, im letz- 
teren aber wie die latinischen Bundesgenossen zu Bom, sie er- 
langten consequenter Weise das volle Bürgerrecht, sobald sie in 
der Stadt zur Aedilität gelangten. So vollzog sich auch hier 
jene Nivellirung und Gleichsteilung anzüglich mit verschiedener 



*) Erst später ist ein grosser Theil dieser Befugnisse der Volksversammlung, 
wie in Bom, auf den Gemeinderath übergegangen. Wie lebhaft aber früher oft die 
Wahlkämpfe in solchen Municipien gewesen sein mögen, beweisen zahlreiche darauf 
bezügliche Wandinschriften in den Strassen von Pompeü 



- f55 — 

Kechtsstellung begabter Bewohner, wie im Allgemeinen für das 
ganze Keich das bezeichnet wird dm-ch die Epoche des Social- 
krieges und dm-ch die Begründmig des Principats. In dieser Weise 
war man schon vor dem J. 100 a. Ch. in der gallischen Land- 
schaften am Po vorgegangen, so war Gallia cisalpina in der That 
in kürzester Frist romanisirt worden ; man durfte mit Kecht hoffen, 
auch hier das gleiche Resultat zu erzielen. 

Stadt und Land war nach dieser Verfassung zu einem orga- 
nischen Ganzen verbunden ; wer aus einem Dorfe abstaromte, war 
in der Stadt heimatsberechtigt : der Gegensatz zwischen Stadt und 
Land, wie er z. B. das deutsche Wesen von jeher gekennzeich- 
net hat, war den Italikern, wie den Griechen völlig unbekannt ^). 

Die Dörfer waren nur Veremigungen sacralen Characters, 
an ihrer Spitze standen ,Magistri," wie an der Spitze jeder sa- 
cralen und anderen Corporation; die Stadt, deren Kennzeichen 
eben die eigentümliche Organisation ihrer Magistratur war, bil- 
dete die souveräne, die autonome Gemeinde, völlig einen Staat 
im Staate. In den Colonien der noch nicht völlig pacificirten 
Provinzen waren sowol die Bürger, wie die Insassen und die 
jjContributi" verpflichtet, im Fall, dass das Stadtgebiet angegrif- 
fen werden sollte, die Waffen zu ergreifen und unter Anführung des 
Bürgermeisters oder dessen Stellvertreters gegen die Feind zu rücken, 
wie auch Bom in den Jahren seiner Kindheit es gehalten hatte ; der 
Kommandant sollte dabei über das städtische Aufgebot dieselben 
Bechte ausüben, wie ein Tribun des Komischen Beichsheeres ^). 



^) Man vgl. damit die Verhältnisse, die noch im neueren Italien obwalten, wo 
der Stand der Possldenti, d. h. der Besitzer der Ländereien, seinen wesentlichen 
Aufenthalt in den Städten hat und diese nur yerlässt, um auf jenen seine Villeg- 
giatur 2u halten; auf dem Lande blieb regelmässig nur die ackerbautreibende, an 
den Boden gefesselte Classe der Bevölkerung. — Im Mittelalter haben die italieni- 
sehen Communen, eingedenk ihrer alten Traditionen, die Bildung eines Herrenstandes 
auf dem Lande mit Qewalt verhindert, indem sie die Burgen des Adels brachen und 
ihn zwangen in der Stadt zu wohnen. In Folge dessen steht noch jetzt in Italien 
Adel und Bürgertum in keinem Gegensatz zu einander. 

*) Diese Verpflichtung enthält die Lex col. Genetivae c. 108 : Quicumque in 
eol(onia) Genet(iva) II vir praef(ectus)ve i(ure) d(icundo) praerit, [eum] oolon(os) in- 
colasque contributos quocumqne tempore colon(iae) lin(ium) [tu]endorum causa ar- 
matos educere decurion(es) cGn(suerint), quot m(aior) p(ars) qui tum aderunt decre- 
verint, id e(i) s(ine) f(raude) s(ua) f(acere) l(iceto). [Ei]que Ilvir(o) aut [q]uem 

Jang, die Donau -Provinzen. 5 



— 66 — 

Die Stadt erhob selbst die Steuer von ihren Bürgern; sie 
hatte ferner die Strassen, Cloaken, Aquaeducte und sonstigen Bau- 
lichkeiten ihres Gebietes in Stand zu halten; durchreisende römi- 
sche Magistrate und ihre Begleitung, sowie durchmarschirende 
Truppen mussten verpflegt werden. Von Eeichswegen wurde in 
die ganze innere Verwaltung der Stadt so wenig als möglich ein- 
gegriffen, nur im Allgemeinen die Oberaufsicht geführt; die 
Beamten der Beiches und die Beamten der Stadt concurrirten 
dabei mit einander in der Art, dass Eeichsrecht Stadtrecht brach 
und für alle höhere Gerichtsbarkeit und Verwaltung dem Beam- 
ten des Staates die Competenz zugetheilt ward. Zudem waren 
die Eömischen Städte in den Provinzen von denjenigen Italiens 
dadurch unterschieden, dass ihr Boden dem Beiche steuerpflichtig 
war; eine Ausnahme hievon trat nur ein, wenn einer Colonie das 
„ins Italicum* verliehen und ihre Bürger dadurch von der Kopf- 
und Grundsteuer, desgleichen von der Gerichtsbarkeit und Ver- 
waltung des Statthalters eximirt ward. 

Diese weitgehende municipale Autonomie ist es gewesen, die 
der Epoche des Eömischen Principats recht eigentlich ihr Ge- 
praege aufgedrückt hat und die Blüte der Provinzen, die Glück- 
seligkeit des gepriesenen Zeitalters der Antonine herbeiführte. 
Mochte in Rom selbst der Wahnwitz eines Caius, eines Nero, 
eines Gommodus und Caracalla den Thron schänden, mochten im 
ersten Jahrhundert in der Hauptstadt des Beiches noch immer 
Bepublik und Monarchie einander in tückischem Kampfe gegen- 
überstehen, an den Ufern der Donau, in Noricum, Pannonien, 
Dacien verspürte man wenig davon, ausser dass natürlich die 
financiellen Krisen eben auch auf die Provinz ihren Bückschlag 
ausübten oder eine nothwendige Action etwa ins Stocken gerieth. 
Dann blieb aber die Beaction nicht lange aus; Volk und Heer 
waren nach der Verfassung berechtigt, den Begenten wie zu machen, 
so auch zu stürzen; und man hat von diesem Bechte oft genug 
Gebrauch gemacht. So vollzog sich der grosse welthistorische 



Ilrir armatis praefecerit idem ius eademque atiimta]dvrersio esto, üti tr(ibuno) 
mil(itum) p(opuli) R(oniani) in exercitu p(opuli) R(omani). Vgl* hieÄu Mommsen 
in der Ephem. epigr. II, 127. — Man sieht, dass auf der Bömischen Beichskarte 
die Colonien mit gutem Grunde durch Mauern uud Thürme ausgezeichnet erscheinen. 



— 67 — 

Entwicklungsprocess, die Verschmelzung aller Nationen rings um 
das Mittelmeer herum mit aller Stetigheit und in aller Buhe. 

Erst mit dem Verfalle des Eeiches, von diesem bedingt und 
ihn wieder bedingend, trat in den municipalen Verhältnissen wie 
in allen anderen, ein Aenderung zum Schlimmeren ein; erst in 
Italien und dann auch mehr und mehr in den Provinzen. Die Commu- 
nen waren nicht mehr im Stande, ihren weitgehenden Verpflichtungen 
nachzukommen; die Geldgebahrung liess zu wünschen übrig, die mu- 
nicipalen Aemter fanden keine Bewerber mehr, der Gemeinsinn 
ward in Eigennutz verkehrt. Da schritt die Eegierung ein, sie 
beschränkte die Selbstverwaltung und übertrug einen grossen Theil 
der Functionen der bisherigen Municipalmagistrate an von ihr 
ernannte Beamten. Die Diocletianische Eeform mit ihrer Verkleine- 
rung des bisherigen Verwaltungssprengel und ihrer Centralisation 
vollendete diesen Gang der Dinge. In den Städten wurden eigene 
Friedensrichter (sog. defensores) aufgestellt; die Bekleidung der 
Magistraturen einfach erzwungen, der Stand der Decurionen in 
gleicher Weise behandelt als eine Pflichtige Kaste ; alle Verhält- 
nisse wurden durch die kaiserliche Bureaukratie reglementirt ; was 
früher eine Ehre gewesen, war jetzt unter veränderten Umständen 
zur Last geworden. — 

Dieses italische Städtewesen also verpflanzten die Eömer in 
unsere Landschaften; und je nachdem dasselbe hier einen mehr 
oder minder günstigen Boden für seine Entwicklung fand, giengen 
die Dinge auch in verschiedener Weise vorwärts, ward die Eoma- 
nisirung beschleunigt oder verzögert. 

Da sehen wir z. B., dass in Eaetien der Eomanismus 
allem Anschein nach erst in der byzantinischen Epoche durchge- 
drungen ist: Binnenraetien zeigt ausser offiziellen Denkmalen, wie 
Meilensteinen und den Inschriften officieller Persönlichkeiten, z. B. 
der Zollbeamten zu Sehen in Südtirol, fast gar keine Spuren Eö- 
mischen Lebens. Die Gauverfassung, wie die Eömer sie zur Zeit 
der Eroberung vorfanden, hat sich hier erhalten, so lange ihre 
Herrschaft dauerte und darüber hinaus. Nur 3 Städte Italischer 
Art sind während der ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrech- 
nung in dieser Provinz emporgekommen: Augusta Vindelicorum 
(Augsburg), dem Hadrian Municipalrecht verlieh, nachdem es 

früher schon ein bedeutender Marktflecken mit Eömischer Be- 

5* 



— 68 — 

völkerung gewesen war; dann Campodunum (Kempten) und Bri- 
gantium (Bregenz) am Bodensee. 

Ausserdem erwuchsen an der Donau, wo die Grarnison ver- 
theilt lag und an den grossen Heerstrassen, die das Land durch- 
zogen, römische Niederlassungen; das war aber auch alles. Im 
Gebirge sass noch lange, namentlich in den hinteren Thälern, die 
raetische Bevölkerung und erst während der stürmischen Jahr- 
hunderte der sog. Völkerwanderung, wo zahlreiche Flüchtlinge 
aus dem Flachlande sich hier ansammelten, ward die Boma- 
nisirung vollendet *) ; ganz in ähnlicher Weise, wie sich nachher 
die Grermanisirung hier vollzogen hat. 

Was dann Noricum betrifft, so ist zu bemerken, dass diese 
Provinz den anderen Donaulandschaften in der Entfaltung Komi- 
schen Wesens merklich vorausgeeilt ist. Dazu mag wol auch der 
Umstand beigetragen haben , dass schon während der Eepublik 
zahlreiche Bömer in dem gold- und eisenreichen Lande, dem 
„ Califomien * jener Zeit, Handelsverbindungen angeknüpft hatten ^) ; 
römische Eaufleute siedelten sich in Folge dessen namentlich in 
den südlicher gelegenen Orten z. B. in Celeia schon ziemlich Mh 
an. Zuletzt war das Land ohne Schwertstreich annectirt worden. 
Man behandelte es desshalb in der Folge ganz anders als Baetien, 
welches mit Waffengewalt bezwungen war, dem Römische Sprache 
und Sitte aufgedrungen werden musste, während Noricum aus 
freien Stücken sie annahm. Das Bömische Städtewesen gedieh 
hier und in dem angrenzenden Theil von Pannonien sogleich, viel 
früher als z. B. in Germanien oder auch in den anderen Land- 
schaften an der Donau: in der Gegend von Laibach, von Cilli 
und von Klagenftirt constituirten sich die ältesten Römischen Ge- 
meinden innerhalb der illyrischen Provinzen. Emona (bei Laibach) 
in Pannonien ward unter Augustus Colonie ; vielleicht schon unter 
Tiberius, jedenfalls unter Claudius erhielt Virunum (Maria Saal 
im Zollfelde) Stadtrecht; derselbe Claudius ward auch der Stifter 
der Municipien Aguontum und Teumia an der oberen Drau, von 



^) Vgl. Mommson, Did Scliwei^ iü ßöm. Mt ß. 16. 

') Schon im 2. Jahrhundert f. Chr. war iil ^olge der ersten Bekanntschaft 
mit deti norischen Goldlagem und ihrer rationellen Exploitirung in Italien der Preiss 
des Goldes um ein Drittel gresunken. Polybius bei Strabon IV, c. 12. V. c. 9. 



- 69 — 

Juvavnm (Salzburg), von Celeia (Cilli), die vereint mit dem pan- 
nonischen Savaria (Steih am Anger) von nun an dankbar den 
Namens ihres Stifters als »municipia Claudia "^ geführt haben. 

In Fannonien lagen sonst die Dinge vielfach ähnlich wie 
in Baetien; hier hinderten die Berge, dort die Steppen die Ent- 
faltung von Städten und somit überhaupt des Bömischen Wes^s. 
Die grossen Ebenen im Innern Ungarns blieben vorerst barbarisch; 
die Körner siedelten sich an dem Laufe der Donau entlang, wo 
die Truppen stationirt waren und der Verkehr durch die Schiff- 
barkeit des Stromes sich erleichterte. Dichter sassen sie auch 
an der norischen Grenze hin, wo die grosse Heerstrasse von Siscia 
nach Camuntum vorbeifQhrte, die schon in der ersten Eaiserzeit 
hier Handel und Verkehr hervorrief und beförderte; eben jenes 
Savaria, das Claudius zum Municip erhob, ist an dieser Strasse 
gelegen gewesen. Es ist sehr bemerkenswerth, dass die deutsche 
Ansiedlung in Ungarn, wie sie während des Mittelalters sich voll- 
zog, vielfach einen ähnlichen Entwicklungsgang durchgemacht 
hat, wie früher die Bömische, da auch sie die Steppen mied und 
die Centralpunkte des Verkehrs und demnach städtischen Lebens 
bevorzugte. 

Dieses begann, wie in Noricum unter Claudius, so in Pan- 
nönien unter den Flavlschen Kaisern kräftig zu erblühen, indem 
erst von diesen einer ganzen Eeihe von Orten, wie Noviodunum 
(bei Demovo in Krain), Siscia (Sissek), Sgarabantia (Oedenburg), 
Sirmium (Mitrovic) u. a. das Stadtrecht ertheilt wurde. 

In jene weiten Ebenen aber, welche die Culturvölker mieden, 
und wo sich später die unsteten Beiternatiöiien der Hunnen, der 
Avaren, der Ungarn, der Kumanen, der Jazygen (uneigentlicher 
Benennung) u. s. w. niedergelassen haben, verpflanzten die Bö- 
mer unter ihrer Herrschaft zahlreiche Barbarenschaaren germani- 
scher und sarmatischer Herkunft; namentlich seit Marc Aurel, 
der, wie bereits firüher ausgeführt worden ist, diese Ansiedlungen 
gleichsam in ein System gebracht hat, durch welches der Ent- 
völkerung des Beiches vorgebeugt werden soUte: die Bömische 
Volkskrafli war erschöpft und es trat ein Bückschlag ein, indem 
jetzt die Barbaren das Beich colonisirten. In Folge dessen scheint 
hier die Bomanisirung der Landbevölkerung nur sehr oberfläch- 
lich, diese selbst durchwegs eine halbbarbarische gewesen zu sein, da 



— 70 — 

eben immer neue Menschenwogen über das Gestade der Donau 
schlugen, ehe noch das alte Werk gehörig vollendet war *). In 
den südlichen Theilen der Provinz, in der Gegend von Siscia und 
von Sirmium, mag es besser bestellt gewesen sein und auch sonst 
assimUirten sich jene Barbaren überraschen 1 schnell den bestehen- 
den Verhältnissen und nannten stolz sich »Eömer.* 

Was Dalmatien betrifft, so entwickelten sich auch hier 
aus den „oppida* der Barbaren eine Eeihe von Municipien, um 
deren endgiltige Constituirung sich die Plavischen Kaiser das 
grösste Verdienst erwarben. 

Unter diesen Municipien war Scardona das bedeutendste. 
Ausserdem lagen in Dalmatien noch fünf Komische Colonien, Epi- 
daurus, Narona, Salonae — eine Julische Gründung, — Aequum 
und Jader. 

Auch das benachbarte Moesien romanisirte sich. Bis an den 
Balcan hin überwog überall das Kömertum. Südwärts desselben 
übte bereits das Griechentum seinen Einfluss. Aber eigentliche 
Städtegründungen hatte dieses nur vorgenommen an den Küsten 
des adriatischen, des aegeischen, des schwarzen Meeres, wie es dem 
alten See- und Handelsvolke eben genehm war: der energischen und 
durchgreifenden Colonisation der Eömer hielt diese zugleich vornehme 
und oberflächliche Art und Weise der Griechen nicht entfernt die 
Wage. Wenn auch die griechische Cultur hier überall, selbst in die 
Gegenden nördlich vor Balcan vorgedrungen war, wie die Inschriften 
uns beweisen ^), so wurden doch selbst die thrakischen Staemme 
romanisirt, nicht graecisirt, obwol der Romaniämus nicht 



^) Die einzelnen Nachrichten über diese Ansiedinngen von Barharenschaaren 
sind zusammengestellt hei A. W Zumpt, über die Entstehung und £nt¥ricklung des 
Colonats. Bhein. Museum, 1846. 

*) Die Funde in den Grabhügeln der Balcangegenden, namentlich von Münzen, 
bezeugen, dass die hellenische Ciyilisation dieselben schon im 4. Jahrhundert y. Chr. 
gestreift hatte. > Griechische Kaufleute bahnten dort mit den eingeführten Waaren 
gleichzeitig ihrer Sprache und ihren Göttern den Weg und die später folgenden 
Römer yermochten diese nicht zu verdrängen. Selbst die nördlichen Balcanterri' 
torien nahm die griechische Cultur in so alleinigen Besitz, dass ich dort wol zahl- 
reiche hellenische nur selten aber lateinische Inschriften antraf.* So F. Kanitz im 
Feuilleton der »N. Freien Presse« 1876. Jänner 12. Es verstärkte sich das Borna- 
nische Element wol auch hier erst seit dem Ausgange des S. Jahrhunderts durch 
Flüchtlinge von jenseits der Donau. 



— 71 — 

früher als in Baetien, d. h. in byzantinischer Zeit durchgedrungen 
sein wird ^) : bis ins 7. Jahrhundert ist das Latein hier im Osten 
die Amtssprache gewesen ^) ; während ein Eomano-illyrischer Dia- 
lect einem Thtil der Bewohner des Binnenlandes geläufig und zur 
Haussprache ward bis auf den heutigen Tag. 



In die Entwicklung des Städtewesens, dessen Gang wir hier 
verfolgen, spielten nun die Eigentümlichkeiten des Komischen 
Kriegswesens herein, die wir bereits früher kennen gelernt ha- 
ben; danach ward jeder entlassene Soldat Bürger und hatte 
Anspruch darauf, entweder in einer schon bestehenden Gemeinde 
eine Heimstätte assignirt zu bekommen oder in eine erst zu 
gründende Colonie ausgeführt zu werden ^). Wir sehen, dass dies 
in der That auch geschehen ist; mitunter hat ein Kaiser wol 
die einzelnen Deductionen, die er vornahm, numerirt, wie das 
auch bei anderen Institutionen, z. B. den bekannten Alimen- 
tarstiftungen Traians, geschehen ist. So kommt in Foetovio ein 
Veteran der leg. 11. adiutrix vor, der dahin ausgeführt worden 
war „missione agraria altera** ^j. Nach Narona in Dalmatien finden 
wir zu irgend einer Zeit Veteranen der leg. VII. pia fidelis, nach 
dem Ort Siculi bei Salonae überhaupt Veteranen zur Zeit des 
E. Claudius deducirt. In anderen Städten z. B. in Emona er- 
scheinen desgleichen zahlreiche Veteranen, die sich dort entweder 
fireiwillig niedergelassen hatten oder dahin ausgeführt worden waren. 

Wie sich in dieser Weise der Stamm der Römischen Be- 
völkerung beständig mehrte, das sehen wir unter anderem na- 



^) Vgl. W. Tomascfaek, Brumalia und BosaliA. Sitzungsber. der W. Akade- 
mie LX. (186S). S. 898. 

*) Es ist in dieser Beziehung namentlich heryorzuheben , dass im 4. Jahr- 
hundert die Bischöfe yon Dorostorum (Silistria) und Bemesiana (Nil) lateinische Trac- 
tate schrieben und die Bischöfe von Marcianopolis in ihrer Gorrespondenz mit dem 
Goncil Yon Chalcedon (451) und den byzant. Kaisern sich der lateinischen Sprache 
bedienten. Näheres über das Verhältnis von Graecismus und Bomanismus auf der 
BalcanhaJbinsel könnte nur die epigraphische Forschung zu Tage fördern, der es aber 
bis jetzt eben an dem nöthigen Material gebricht, da die Türkei noch nicht wissen- 
schaftlich ausgebeutet ist. 

8) Beides ist gleich oft verfügt worden. Vgl. Tacit. Ann. XIV. 27. Mommsen, 
B. Staatsr. H. 9ZZ. 

*) C. I. L. m. 4057. 



- 72 - 

menüich auch an den Personennamen, die in unseren Provinzen 
am meisten ging und gäbe waren. 

Jeder Peregrine, der das Bürgerrecht erhielt, war verpflichtet 
sich nach Komischer Art mit dreifachem Namen zu nennen; wie 
ja wir in derselben Weise seiner Zeit die Juden gezwungen haben, 
sich mit Aufgabe ihres früheren Usus nach modemer Art mit 
Geschlechts- und Vornamen zu bezeichnen. Dabei hatte sich im 
Laufe der Zeit der Brauch entwickelt, dass die bisherigen Pere- 
grinen in der Regel den Geschlechtsnamen desjenigen Beamten 
annahmen, unter dessen Auspicien sie das Bürgerrecht erlangt 
hatten; so dass die hervorragenden Geschlechter der Provincial- 
städte in ihren Namen eine dauernde Bezeugung der Zeit und des 
Urhebers ihrer Begründung bildeten. Und wie in Folge dessen 
in Spanien die Pompeii, in Lusitanien die lunii, in Gallien die 
Julii überhaus zahlreich sich vorfinden, so sind in den Donau- 
landschaften dafür die Namen der Kaiser des ersten und zweiten 
Jahrhunderts an der Tagesordnung; nach Claudius, nach den Fla- 
viem, nach Ulpius Traianus, nach Aelius Hadrianus, nach M. 
Aurel, nach Septimius Severus haben Tausende sich genannt: in 
den einzelnen Colonien und Municipien selbst überwiegt oft genug 
weitaus der Name des Gründers; z. B. in Mursa, einer Aelischen 
Colonie, jener der Publii Aelii *). 

Das Cognomen ward gewöhnlich von der Heimat oder dem 
Land, wo einer sich niederliess, oder auch anderen Umständen her- 
genommen; man nannte sich demnach AMcanus, Apulanus, Baia- 
nus, Maianus, Gampanus, Nolanius, Dacianus, Hispanius, Boma- 
nus, Germanus u. s. w. 2). 

Den einzelnen Colonisten wurde dann ihr Grundstück zuge- 



^) VgL C. I. L. III. p. 428. Daraus erklärt es sich auch, warum die Kai- 
ser des 8. Jahrhunderts, die meist aus den Donauproyinzen stammten, Geschlechts- 
namen wie Valerius, Flavius (Gonstantin), Aurelius, Claudius u. s. w. führten. Sie 
stammten nicht aus den alten Bömischen Geschlechtem, sondern waren Abkömm- 
liege Ton Colonisten unserer Landschaften, die von den Kaisern der früheren Zeiten 
die Namen angenonunen hatten. 

*) Auch die Nomenclatur der Freigelassenen regulirte sich nach ähnlichen Er- 
wägungen. Jene des Claudischen Munidps Celeia Messen Claudii; Bomanus oder 
auch Publidus war ein gewöhnlicher Beiname freigelassener Staatsdaven u. s. w. 
Vgl. über die ganze Materie Hühner, Quaestiones onomatologicae. Ephem. epigr. U. 



— 73 — 

wiesen. Dasselbe war nach allen Segeln der Feldmesskonst, die 
die Römer zu so hoher Ausbildung gebracht hatten, auf das ge- 
naueste vermessen, damit nicht nachher zwischen den einzelnen 
Ansiedlem Streitigkeiten vor^men. Die Längen- und Breitenmasse 
wurden an Ort und Stelle durch Monumente, mitunter durch An- 
pflanzung gewisser Baumgattungen am Grenzrain hin, fixirt; der 
Act der Assignation und der Limitation selbst aber als öffent- 
liche Staatsacte durch Ausstellung von Urkunden beglaubigt ; ein 
Exemplar von diesen kam nach Bom in's Beichsarchiv, wo man 
alle Gründungen dieser Art, gleich wie die Bürgerrechtsverleihungen 
an Gemeinden oder an Einzelne auf das genaueste in Evidenz 
hielt; das andere Exemplar blieb im Besitze der betreffenden 
Oemeinde selbst und ward, gewöhnlich im Tempel derselben, an- 
geheftet und der öffentlichen ControUe unterworfen *). 

Das einzelne in dieser Weise abgesteckte und mit unver- 
rückbaren Grenzen versehene Grundstück hiess technisch , fundus ^ 
und ward benannt nach dem GentUnamen seines !ßesizers, der 
es in agnatischer oder gentilicischer Folge auf seine Nachkommen 
vererbte; es gab also danach einen fundus Comelianus, Antonia- 
nus, Andrianus, Sullanus u. s. w. Diese „fundi^ bildeten für 
den Staat in Bezug auf Steuern und dergleichen eine Einheit, 
auch dann noch, wenn dieselben factisch schon längst unter die 
Kinder und Eindeskinder vertheilt worden und aus der einzelnen 



^) Die Sammlung der Rom. Feldmesser enthält diesbezQglieh ein interessan- 
tes Beispiel ans Pannonien : Nuper eoce qnidam evocatus, professionis qnoqne nostrae 
capadssimns, cum in Pannonia agros ex voluntate et liberalitate imperatoris Tra- 
iani August! Germanici assignaret, in aere, id est in formis non tantum modum 
quem adsignabat adscribsit ant notayit, sed et eztrema linea nnius coiusque modum 
oompraehendit : uti acta est mensnra assignationis, ita inscribsit longitndlnis et la- 
iatadinis modum. quo &cto nuUae inter veteranos lites oontentionesque ex bis terris 
potenmt. p. 121 ed. Lachmann. Vgl. Budorff Grom. Jnstit. 404 f. Bei den Ver- 
messungen wurde anfangs noch unterschieden zwischen Colonial- und zwischen ero- 
bertem, also steuerpflichtigem Boden : debet Interesse inter inmunem et yectigalem 
(sc agrum). Aber dieser Unterschied wurde praktisch später nicht mehr beachtet; 
z. B. in Pannonien, wo alles Land, den Theoretikern zum Trotz »more colonico* 
Termessen wurde. Hygin. p. 205. Hiezu RudorfP, a. a. 0. S. 292. Man beachte 
nebenbei auch, dass zur Assignation selbst durchaus militärische Organe verwendet 
werden ; im Uebrigen ist sie Immediatact des Xaisers, bei dem kein Statthalter oder 
sonstiger höherer Beamter interyenirte. Mommsen, Staatsr« II. S. 982. 



- 74 - 

Ansiedlung ein Weiler oder ein Dorf herangewachsen war. Bis 
anf den heutigen Tag bestimmen in allen einst Römischen Land- 
schaften die Namen dieser alten ^fandi*^ anch die Nomenclatur 
ganzer Eggenden; in Italien, in Gallien, in Baetien. Hier na- 
inentUch in Südtirol, wo das heutige BifBan aus Bufianum (sc. 
praedium), Eppan aus Appianum, Oirlan aus Cornelianum, Sir- 
mian aus Sirmianum, Basslan aus Basilianum, Lahna aus Leo- 
nianum, Goyen aus Gaianum, Andrian aus Andrianum entstanden 
ist. Zahlreiche andere Namen scheinen ähnlicher Abkunft von 
einem Gentilnamen und geben so Zeugnis von der Art und Weise 
der Entstehung zahlreicher Ortschaften aus früheren einzelnen 
Gehöften, die mit der Zeit eben sich vermehrten und wuchsen ^). 
So besiedelte sich in stetig fortschreitendem Gange das Bin- 
nenland nach und nach mit einem Stock Bömischer Bevölkerung, 
die dann die einheimischen Bewohner des Landes sich mehr und 
mehr assimilirten. Und wie dabei die entlassenen Veteranen und 
ihre Beschenkung mit Land eine grosse Bolle spielte, so schloss 
sich nunmehr an die grossen Stationslager an der Donau eine eigen- 
tümliche Entwicklung an, die direct von militärischer Seite ausgieng 
und im Laufe der Zeit zur Constituirung der „ Lagerstädte ** Anlass 
gegeben hat; auf die wir nun mit einigen Worten einzugehen haben ^). 

^) lieber die Namensbildungen auf anus überhaupt ygl. Hübner, Ephem. epi- 
gr. II, 80 ff. Was z. B. Andrianum betrifft, so bedeutet es das praedium eines 
Andrins, der wieder seinen Namen von der Insel Andres hatte , den ein von dort 
stammender Mann annahm, als er Römischer Bürger wurde. A. a. 0. S. 90. — 
Bezüglich Galliens insbesondere s. Dureau de la Malle, ^conomie pol. des Rom. 1, 18 S 
(bei Merivale, Gesch. d. Römer unter dem Kaisertum. D. Uebers. II. S77), wo- 
nach in der Gegend von Beziers nicht weniger als 25 dergleichen Namen röm. Grund- 
besitzer in Ortschaften, Weilern, Landgütern sich erhalten haben. Bezüglich Italiens 
vgl. man die vortrefüichen Schriften von Flechia: Di alcune forme de* nomi locali 
dell* Italia. Torino 1871, und Nomi locali del Neapolitano deriyati dai gentilizj Ita- 
lid. Torino 1874. Bezüglich Raetins hat zuerst Steub darauf aufmerksam ge- 
macht. Zur Rhaet. Ethnologie. S. 126. Vgl. Herbsttage in Tirol 121. 248. — 
Die Entstehung von Ortschaften in der oben angegebenen Weise erfolgte sowol schon 
in Raetischer Zeit, wie aus den Namen nicht ohne Wahrscheinlichkeit geschlossen 
wird (z. B. Terfens : ad Tervinios u. s. w., raetisehe Namen in Römischem Kleid ; 
vgl« Steub, Kl. Schriften m. 824); als auch später in der Germanischen Epoche. 
Tgl. Inama, Unters, über das Hofsystem im Mittelalter mit bes. Beziehung auf das 
Alpenland. 

') Vgl. für das folgende Mommsens Aufsatz über »die Römischen Lagerstädte.* 
^eymps VII (1873). S. 299—326. 



- 75 -r: 

Yon Anfang an liatte die Bffmische Begierung Bedenken 
getragen, die Standquartiere der Legionen in dne Stadt zu yer« 
legen; die Begriffe von Lager trad Stadt schienen Act eben aus- 
zuschliessen wie das «ioiperium militiae* und das ,^imperiunl 
dorn*; die militaerisclie Disciplin schien sich nicht yereinbareä 
zu lassen tntt der autonomen municipalen Jurisdiction. Desshalb 
sind auch die ältesten Bömischen Gemeinden in den Donaupro- 
vinzen niemals oder doch nur in der Zeit vor ihrer Organisation 
zu nach Italischer Art geordneten Gemeinwesen Standorte einer 
Legion gewesen. Das Aufblühen von Noricum, wo das Städte- 
wesen, wie wir sahen, am frühesten sich entwickelt hatte, hängt 
eben mit dem umstände zusammen, dass es von Anfang an ,1 iner- 
mis,* ohne legionare Besatzung, gewesen ist 

Während nun aber die Begierung aus dem angegebenen 
Grunde an der Incompatibilitaet von Lager und Stadt nach wie 
vor festhielt, entwickelten sich die thatsächlichen Verhältnisse im 
Laufe der Zeit in einer Weise, die das Princip alsbald völlig 
illusorisch machte. 

Die Lager an der Donau waren nemlich von Anfang an die 
Mittelpunkte eines Verkehrs, der den jener kleineren Munidpien 
des Binnenlandes weit überflügelte. Ln Gefolge des BOmischen, 
wie jedes anderen Heeres befanden sich seit alter Zeit Mar- 
ketender und Händler aller Art, desgleichen allerlei sonstiger 
Tross; jeder Offizier hatte mehrere Bedienten u. s. w. Pfaffen, 
Gaukler, Dirnen schlössen sich naturgemäss an. So war es schon 
zu den Zeiten der Bepublik gewesen und die Eaiserzeit brachte 
in dieser Hinsicht nur die eine, allerdings sehr bedeutende Aende- 
rang, dass das Heer jetzt ein stehendes geworden war, während 
es früher mobil gewesen. Die Folge davon war, dass nun- 
mehr auch die Zelte und Baracken jener Leute, die sich an das 
Lager anschlössen, sich stabilirten und daraus fSrmliche Ansied« 
lungen wurden. 

Ausserhalb des Lagers, ohne Zweifel an einem ihnen eigens 
hiezu angewiesenen Orte — oft etwas weit weg, wie denn z. B. 
bei Bonn am Bhein die Entfernung eine Bömische Meile betrug, 
— wurden die Baulichkeiten errichtet, in denen die Händler ihre 
Waaren aufbewahrten und feilboten. Diese Baulichkeiten wurden 
technisch mit dem Ausdrucke ,canabae" bezeichnet, der bei den 



— 76 — 

classischen Schriftstellern nicht begegnet, aber ausser auf den In- 
schriften in der niederen, volkstümlichen Literatur, in den Marty- 
reracten des 3. und 4. Jahrhunderts, desgleichen in den Fredig- 
ten, die unter dem Namen des Augustinus überliefert sind, aller- 
dings vorkommt ^). Das Wort bedeutet zunächst ein leichtes nicht 
so sehr zur Wohnung als zum Waarenlager, zum Yerkaufslokal 
und zu ähnlichen Zwecken bestimmtes rasch herzustellendes wie 
wegzunehmendes, oft auf fremdem Grund und Boden errichtetes 
Gebäude, eben eine Bude oder Baracke. Vorzugsweise ward es 
auch fär diejenigen Schupfen verwendet, welche zur Aufbewahrung 
von nicht innerhalb des Wohnhauses gelagertem Wein, Oel oder 
ähnlichen Yorräthen dienten, in welcher Bedeutung es uns na- 
mentlich in Lyon begegnet, von wo aus ein schwunghafter Wein- 
handel betrieben wurde. 

Späterhin ward es allgemein für den zur Aufbewahrung der 
Pässer und Krüge dienenden Keller gebraucht, in welcher Ver- 
. bindung es bereits im sechsten Jahrhundert nach Christus von 
Ennodius und noch heute in den Bomanischen Dialecten gebraucht 
wird. Im mittelalterlichen Latein hat es dieselbe Bedeutung, be- 
zeichnet „canipa* gewöhnlich den ,i Keller,'' „ caniparius '^ den 
, Kellermeister," im weiteren Sinne wol auch überhaupt den Ver- 
walter der Naturaleinkünfte eines Fürsten oder eines Stiftes, da- 
nach yCanipa'' auch im allgemeinen für die Halle dieses Verwal- 
ters gebraucht wird^). 

Neuere Bomanisten haben das Wort mit unserem Ausdruck 
9 Kneipe" in etymologische Verbindung gebracht; und da dieser 
Ausdruck, so viel ich weiss, nur in den einst Bömischen Land- 
schaften volkstümlich ist, so hat diese Etymologie in der That 
alle Wahrscheinlichkeit für sich 3). 

Derlei „Kneipen'' öder „canabae* treten also in der Ge- 

*) Vgl. Du Caoge s. y. 

*) Z. B. in den Tridentiner Urkunden des Codex Wangianus. Font. rer. Au- 
striac. V. S. 464. S und 556. S. 895 wird ein Testament in der canipa gemacht. 

') Vgl. Steub, Zur Rhaet. Ethnologie S. 109 und SchneUer, die Romanischen 
Volksmundarten in Südtiroll. (1870) S. 128 und 227; die Fortsetzer des Grimmischen 
Wörterbuchs s. y. »Kneipe* geben für dieses Wort eine andere Ableitung vom deut- 
schen »kneipen* d. h. heranziehen an, die wol sehr hinkt und vor der hier aooep- 
tSrten nicht Stich hält. Prof. Ign. V. Zingerle, der Germanist der Innsbrucker Uni- 
Yersität, ist derselben Atisicht. 



— 77 — 

schichte zuerst und sogleich epochemachend auf im Gefolge der 
Bömischen Legionen und im Anschlüsse an deren Lager und 
worden hier der Anlass zur Entwicklung städtischer Gemeinwesen 
längs der Grenzen des Reiches und überall wo Heere stationirten, 
in Spanien und Britannien, am Bhein und, wie leicht vorauszu- 
sehen, vor allem an der am stärksten occupirten Donau. 

Die Eaufbuden um die stehenden Lager herum nahmen, 
der Natur der Sache gemäss, mehr und mehr den Gharacter 
von Wohnhäusern, die Ansiedlungen der Händler und Marketender 
mehr und mehr einen städtischen Gharacter an. Es bildeten sich 
Gilden und Corporationen der Kaufleute, wie das auch sonst fem 
von ihren Heimatsorten in einer fremden Provinz oder Stadt ver- 
weilende Personen zu thun pflegten, wie z. B. die Berytenser zu 
Puteoli, die Komischen Bürger aus Italien, die in der Provinz 
Baetien sich aufhielten, die Weinhändler in Lyon es ähnlich hielten. 

Auch die Zeiten der Bepublik bieten schon Analogien, wo 
ausserhalb Italiens noch keine Bömischen Gemeinden bestanden, 
dagegen die zahlreichen Bomer, die in der Provinz oder sonst 
im Auslande verweilten, ebenfalls zu Gorporationen sich zusam- 
menthaten und fOr jeden Jurisdictionsbezirk einen „Gonventus 
civium Bomanorum* bildeten. So war es in Dalmatien geschehen, 
so in Gallien, in Noricum u. s. w. Sie ernannten sich Patrone, 
bauten Tempel, wählten sich einen Oberpriester, den ,flamen con- 
ventus, ^ hatten mitunter sogar einen eigenen , curator civium Bo- 
manorum.^ Sie organisirten sich in den seit alter Zeit blühen- 
den Handelsplätzen niyricum^s, in Nauportus, Salonae, Nirona, 
wenn auch ohne Stadtger^chtigkeit, ganz nach dem Muster von 
Gemeinwesen städtischer Verfassung unter zwei Magistri und zwei 
Quaestoren; ihre Magistri bauten die Mauern und im Kriegsfall 
schlössen sie, wie die wirklichen Städte, ihre Thore. Im Bürger- 
kriege zwischen Gaesar und Pompeius, hat eine dieser Bömischen 
Corporationen, die von Salonae, sich ernstlich zur Wehre gesetzt 
und mit Erfolg eine Belagerung ausgehalten. 

Nach dem Muster dieser Bildungen der Bepublicanischen Zeit 
hat nun auch die um ein Bömisches Hauptquartier sich sam- 
melnde Bürgerbevölkerung sich ihre corporative Organisation ge- 
schaffen. Fanden sie sich doch in der Lage, dass für ihre An- 
siedlung der Bömischen Bechtssprache noch jede Bezeichnung 



— 78 — 

fehlte ; man benannte dieselbe bald mit dem sehr dehnbaren Ausdrucke 
„res publica,* d. h. Gemeinde oder Corporation schlechtweg, bald 
»vicus* d. h. Dorf; gewöhnlich aber kurzweg und technisch ein- 
fach »canabae* und die Bewohner „ canabenses. " Diese »cana- 
benses " wieder waren alle Bürger eines anderen Ortes, waren hier 
nicht ansässig, sondern verweilten hier nur; die Oertlichkeit der 
Ansiedlung hieng ab von der des Lagers, der Legion ; und diese 
konnte jeden Augenblick verlegt werden; mit ihr hätten auch die 
hier sich befindenden Kaufleute weiterziehen müssen. Der tech- 
nische Ausdruck für diese Art des Aufenthaltes war, dass man 
sagte, die Händler und Marketender » consistirten ** an dem und 
dem Orte, bei den canabae der genannten Legion oder auch „ad 
legionem* kurzweg: dadurch ward eben die Veränderlichkeit, die 
Mchtsesshaftigkeit der Ansiedlung im Gegensatz zu jeder eigent- 
lichen Stadt auf das marcanteste ausgedrückt. 

Zu diesem Gilden, in welche die Kaufleute hier zusammen- 
traten, kamen nun alsbald neue Corporationen hiezu, welche die 
Ansiedlung vergrösserten und vermehrten; es waren die der Ve- 
teranen der Legionen wie der Auxiliartruppen, welch' letztere bei 
der Entlassung mit dem Kömischen Bürgerrecht beschenkt wor- 
den waren. 

Die Soldaten wurden, wie wir wissen, besonders in der frühe- 
ren Kaiserzeit, auch nachdem sie ihren Abschied erhalten hatten, 
gleichwol noch in militärischer Organisation bei ihren Corps zu- 
rückbehalten. Der einzige Unterschied, der mit ihnen gemacht 
wurde, war darin gelegen, dass sie nicht mehr unter dem Le- 
gionslegaten standen sondern eine eigene Corporation bildeten 
und dass die „curatores veteranorum" ihnen ihre Stipendia zahlten. 
In dieser Hinsicht traten sie aus dem Verbände des Lagers über 
in den der Canabenses ; oder nahmen doch ebenfalls eine Mittel- 
stellung zwischen diesen beiden sich correlaten Begriffen ein. 

Aber auch diejenigen Veteranen, die nicht mehr bei der 
Fahne zu bleiben verpflichtet waren, giengen nicht in ihre Hei- 
mat zurück, sondern Hessen sich lieber hier nieder, um an dem 
Orte, wo sie durch lange Jahre gedient hatten, auch ihr Leben 
zu beschliessen ^). 



4) Vgl. Tac. Annal. 14, 27. 



— 79 — 

Denn sie waren zwar mit dem Kömischen Bürgerrechte be- 
dacht worden, aber jeder Eömische Bürger musste ja zugleich 
einer bestimmten Stadt angehören, auf die er seine »origo* 
bezog; die Verleihung des Bürgerrechtes an die Veteranen setzte 
rechtlich immer die folgende Deduction voraus, welche das Hei- 
matsrecht in sich schloss. Aber seitdem — schon unter Au- 
gustus — die Deductionen ins Stocken gerathen waren, entbehrte 
der entlassene Soldat des Gemeindebürgerrechtes. Er suchte ein 
Surrogat dafür und fand es unter stillschweigender Billigung der 
Kegienmg, die eben auch einen anderen Ausweg nicht wusste, 
in der Lagerstadt, in den canabae: seine origo konnte er darauf 
freilich nicht beziehen, da es eben keine Stadt war; in sonst 
durchaus verpönter Weise nannte er sich allein „ civis ßomanus " 
und gab als Domicil an „ ad canabas ^ ; während sonst der „ civis 
Eomanus Agrippinensis •* eben einfach „ civis Agrippinensis " heisst. 

Die Gorporationen, die sich so bildeten, wählten sich ihre 
Vorsteher und lebten, wenn nicht als rechtlich anerkannte Ge- 
meinde, doch wie eine solche, indem sie die Organisation ihres 
Gemeinwesens mehr und mehr jener einer römisch geordneten 
Stadt annäherten; diese „canabae*^ nehmen in der municipa- 
len Entwicklung jener Zeit eine ähnliche Stellung ein, wie in un- 
seren Tagen etwa die , Flecken* 

Da gab es einen ordo und decuriones, ganz wie in den Go- 
lonien oder Municipien. Aber die Magistratur war anders con- 
stituirt, als in der rechten Römischen Gemeinde; es fungirten 
als solche nicht duoviri noch auch IVviri. Als Vorstand erscheint 
vielmehr nach der älteren Organisation ein von den Genossen 
gewählter »curator veteranorum et civium Eomanorum, qui con- 
sistunt ad canabas legionis illius *^: d. h. die Veteranen einer jeden 
Legion waren als Körperschaft organisirt und mit ihnen die (übri- 
gen) Komischen Bürger, die im Lager weilten, unter dem gemein- 
samen »Curator* vereint. 

Diese Organisation, die überwiegend in der früheren Kaiser- 
zeit, im ersten Jahrhundert, üblich war, trug noch mehr den mi- 
litärischen, als den bürgerlichen Charakter der Ansiedlung zur 
Schau; wie das namentlich die Stipendienzahlung an die Vete- 
ranen durch den Curator, die früher erwähnt ward, darthut 

Später trat in dieser Organisation dann eine Aenderung ein« 



— 80 — 

Als Obrigkeiten in den „Canabae'' erscheinen nunmehr zwei Magi- 
stri, dazu ein einziger Aedilis, woneben noch ein , aedilis custos ' 
auftritt. Es ist eine Nachbildung der gewöhnlichen Municipal- 
magistratur, die hier zu Tage tritt; aber in der Bezeichung der 
beiden Vorstände als magistri zeigt sich doch zugleich die Auf- 
fassung, dass es sich hier nicht um ein politisches, sondern um 
ein sacrales Gemeinwesen, nicht um die souveraene Stadt, die 
allein einen , magistratus '^ haben kann, sondern blos um eine der 
Gorporationen handelt, die eben auch sonst regelmässig „ magistri" 
zu Obmännern haben. 

Aber es war doch eine Organisation, der zur Stadt wol der 
Name, nicht aber eigentlich das Wesen mehr fehlte; die Corpo- 
ration näherte sich der Gemeinde und diese leitete über zui' 
Stadt. 

Wie gesagt, im ersten Jahrhundert, selbst noch unter Traian 
hielt die Eömische Begierung fest an der alten Begel, dass die 
Begriffe von Lager und von Stadt gegenseitig sich ausschlössen. 
Aber auf die Dauer Hessen sich solche Zustände nicht halten : die 
Ereignisse hatten sie bereits illusorisch gemacht; man liess erst 
Ausnahmen zu und zuletzt fiel die ganze Begel. 

Schon Traian hat den Anfang gemacht, zwar nicht an der 
Donau, aber am Ehein, indem er an die Lageransiedlung von 
Gastra Yetera (Xanten) das Golonierecht verlieh. Bei der Ein- 
richtung von Siebenbürgen als Provinz hielt er noch am alten 
Brauche fest und legte die 13. Legion nicht in eine Stadt; auch 
an Foetovio gab er das Golonierecht erst, nachdem er die Le- 
gion weggezogen hatte, die früher dort stationirt gewesen war. 
Der entscheidende Schritt aber geschah durch Hadrian; ,er hat 
den „Ganabae'' der 3 grossen Lager an der mittleren Donau: 
Gamuntum in Oberpannonien, Aquincum in Niederpannonien, Yi- 
minacium in Obermoesien definitiv das Stadtrecht verliehen und 
nach sich „Municipia Aelia** benannt. K. Marcus erhob so- 
dann Apulum in Dacien zur Stadt und zwar bildeten sich dort 
sogar zwei Gemeinden: eine Aurelische Golonie und ein Aureli- 
sches Municip, was möglicherweise so zu erklären ist, dass die 
Golonie wesentlich aus Yeteranen bestand, während das Munici- 
pium dagegen eine mehr bürgerliche Bevölkerung, erhielt *); das 

^) So wenigstens 0. Hirschfeld, Epigraphische Nachlese etc. Zu n. 22. 



— 81 — 

eine Apulum stand unter Ilviri, das andere unter IVviri und 
beide Städte waren auch örtlich getrennt. 

Septimius Severus gab an Troesmis in Untermoesien das 
Stadtrecht, als er von hier die V. Macedonische Legion wegzog; 
er gab dasselbe aber auch an Potaissa in D cien, wohin er die 
genannte Legion verlegte. Noch vor Diocletian folgten die drei 
anderen Legionshauptquartiere im Gebiet der mittleren Donau: 
Vindobona und Brigetio in Oberpannonien, Singidunum in Ober- 
moesien, die insgesammt Stadtrecbt erhielten; desgleichen ohne 
Zweifel auch Novae (Svischtova) und Dorostorum (Silistria), wenn 
auch bisher bei dem Mangel an Quellenmaterial die Belege noch 
ausstehen. 

Eine Ausnahme scheinen nur die zwei Lager an der oberen 
Donau gemacht zu haben, Lauriacum in Noricum und die Castra 
,Eegina in Kaetien, die erst unter M. Aurel eingerichtet worden 
waren und deshalb in der Entwicklung zurückgeblieben sein mö- 
gen; beide haben nemlich, so viel wir sehen, nie Stadtrecht er- 
langt. Begensburg wird vielmehr immer, auf den Meilensteinen, 
blos als , Castra "^ oder auch „Legio^ bezeichnet; bei Lauriacum, 
von dein nur sehr wenige Denkmäler auf uns gekommen sind, 
verdient es wenigstens Beachtung, dass dabei ^aediles collegii 
iuvenum* erwähnt werden, indem eine derartige Corporation sich 
in der Begel an eine municipale Organisation anschloss. Doch 
fehlen für diese bis jetzt alle anderen Anhaltspunkte. 

Sonst aber war die Entwicklung vom Lager zur Stadt hier 
an der Donau überall vollendet. Die Corporationen der Canaben- 
ses waren seit dem Ausgang des 2. Jahrhunderts als solche be- 
seitigt und dafür den Lagerortschaften durchgängig eine wirklich 
municipale Organisation beigelegt worden. Die bei der Mission 
mit dem Bürgerrecht beschenkten Veteranen bekamen nun das, 
was ihnen früher die Deduction hatte geben sollen, das Gemein- 
derecht in einem Municipium und zwar gewöhnlich in dem, bei 
dessem Lager sie eben gedient hatten. 

Diese Städte aber gehörten bald zu den bedeutendsten und 
volkreichsten in den Landschaften an den Ufern der Donau. 



Während der Zeit, da diese Entwicklung in den Lagern an 
der Grenze sich vollzog, hatte das Binnenland mit Municipien 

Jung, die Douftn-Proyiiizon. v6 



— 82 — 

und Golonien sich erfUlt, es war das städtische Wesen vollstän- 
dig durchgedrungen, das nunmehr die italische Civilisation weiter 
und weiter verbreitete. 

Wie schon bemerkt: jeder Stadt war ein bestimmtes Ge- 
biet zuertheilt, das sie besteuerte und regierte; dessen Inwohner 
sassen in Dörfern und empfiengen das Komische Bürgerrecht, 
sobald sie in ihrer Stadt zur Aedilität gelangten. So hatte man 
z. B. schon früh die Völkerschaften der Camer und Cataler der 
Gemeinde Tergeste untergeben ; so auch an Tridentum (wie Triest 
schon eine italienische Stadt) die benachbarten Thäler und Gaue, 
wie namentlich die Anauner (im heutigen Val di Non oder Nons- 
berg) 1). 

Diese Organisation hatte sich jetzt auch in unseren Provin- 
zen vollzogen. Dabei war das Gebiet, das einer Stadt „zugetheilt^ 
worden war, oft ziemlich gross. Mit Noricum zu beginnen, so 
war Aguontum (bei Lienz im Pusterthale), neben Tridentum die 
einzige Stadt auf dem Boden des heutigen Landes Tirol, von 
Bedeutung als Kreuzpunkt der Strassen zwischen Noricum, Rae- 
tien, Ober-Italien. 

Das ganze heutige Kärnten war an zwei römische Stadtge- 
meinden aufgetheilt; zuTeurnia, nachher auch Tibumia genannt, 
von dem das Lumfeld den Namen schöpfte und auf dessen 
Txümmem das Dorf S, Peter im Holz erbaut ist, gehörten die 
oberkämtischen Thäler, namentlich die der Moll und der Liser ^ ; 
zu Virunum allem Anscheiue nach das ganze übrige Gebiet. Die 
Orte Noreia (bei Neumarkt an der steierischen Grenze, wo die 
berühmten Bergwerke lagen) im Norden, Juenna (jetzt Jaun, im 
Mittelalter Juna genannt) im Osten, Santicum (bei Villach) im 
Westen, von denen sich wenigstens nicht nachweisen lässt, dass 
sie selbständige Gemeindeverfassung hatten, werden wol Dörfer 
innerhalb des Territoriums von Virunum gewesen sein ; im Süden 
bildete das Caravankagebirge, das noch gegenwärtig Kärnten und 
Krain trennt, wie damals Noricum von Italien (Istrien) und dem 
oberen Pannonien, die Grenze gegen das Gebiet von Emona hin ^). 



^) Vgl. Marqoardt, Staatsverw. I. S. 18 f. 61. Mommsen im Hermes IV, 
112 ff. — 0. L L. m. p. 628 n. a. 
«) Vgl. C. L L. m. p. 598. 
8) Vgl. C. I. L. III p. 597. 



— 83 — 

An Emona aber war ganz Oberkrain attribuirt; das obere Save- 
thal bis zu dem Punkte, wo die Flusse Savus und Nauportus in 
einander mündeten i). Auch die Gegend von Igg, wo in Kömi- 
scher Zeit ein ansehnlicher Vicus unbekannten Namens stand, ge- 
hörte zu Emona. Westlich davon war Nauportus (bei Oberlai- 
bach) zu einem Flecken von stadtartiger Bedeutung herange- 
diehen ^. 

Das untere Krain erscheint hauptsächlich dem Hauptorte der 
Latoviker, der zum Munidp erhoben ward, zugetheilt ^). Beim 
heutigen Gurkfeld lag das Municipium Neviodunum^). 

In der Steiermark erblühten drei Eönüsche Städte, welche 
sämmtlich im Süden dieses Landes gelegen waren : davon gehör- 
ten Solva und Celeia von Ajifang an, Poetovio bekanntlich erst 
seit Diocletian zu Noricum. 

Zum Gebiete von Celeia ^) war das ganze obere Thal des 
Flusses Saan geschlagen, der in römischer Zeit Adsalluta hiess; 
desgleichen das Savethal, soweit es zu Noricum gehörte. Im 
Westen grenzte man an das Territorium von Virunum ; im Nor- 
den an der Brau begann das Gebiet von Flavia Solva (Seckau 
bei Leibnitz). 

Zu diesem gehörten die umliegenden Thäler und Ortschaf- 
ten, namentlich das Murthal aufwärts von Leibnitz bis nach 
Brück, besonders die Umgebung von Graz, wo nicht wenige In- 
schriften zu Tage kamen : sie bezeugen, dass auch hier die Um- 
wohner des Kömischen Bürgerrechts entbehrten ^. 

Poetovio umfasste den südöstlichsten Winkel der Steiermark 
und dehnte im übrigen sein Gebiet . weniger nach Westen hin aus, 
als vielmehr nach Ungarn und Kroatien im Osten. Fassen wir 
das Kesultat zusammen, so lautet es dahin, dass die Steiermark 



•) C. I. L. in. p. 494. 

') C. I. L. III. p. 488. Die Gegend von Emona und Nauportas wurde schon 
sehi frQh zu. Italien geschlagen, das unter Eadrian sogar bis in die Gegend von 
Sirmium erstreckt ward. 

^ C. I. L. m. p. 496. 

*) C. I. L. m. p. 498. 

') Vgl. C. I. L. III. p. 631; wo auch über die Grenzen der einzelnen Ter- 
ritorien gehandelt ist. 

«) Vgl. C. I. L. m. p. 656. 

6* 



-^84 - 

wol im Süden früh und intensiv sich romanisirt hat, der Norden 
des Landes hingegen noch lange barbarisch geblieben ist 

Das Salzburgische und das angrenzende baierische Land bis 
über den Chiemsee hinaus gehörte zum Gebiete des stattlichen 
Municipiums Juvavum (Salzburg), am Juaro (der Salzach, mittel- 
alterl. Jvar). Eine Gegend, in der das Bömertum sich sehr fest 
pflanzte. Am Chiemsee lag der blühende Flecken Bedaium, an 
den noch jetzt der Ortsname Pidenhart erinnert und der Juva- 
vum attribuirt war. Es sind die Gegenden, in denen der Boma- 
nismus tief ins Mittelalter hinein sich erhalten hat und an den 
ausser den Salzburger Traditionsbüchern und Necrologien noch 
jetzt zahlreiche Ortsnamen erinnern: da finden sich (wie ein Walgau 
und ein Walchensee zwischen Partenkirchen und Tölz) ein Walch- 
see bei Kufstein, ein Strasswalchen, ein Wals im Salzburgischen 
und Oberösterreichischen ; dann besonders an der baierischen Traun 
bei Traunstein dicht an einander: Katzelwalchen, Traunwalchen, 
Lützelwalchen, Ober walchen, Beitwalchen, Walchenberg; andere 
Namen sind heute verschollen, so Henwalcharen, der am Beginn 
des 13. Jahrhunderts für die jetzigen Dörfer Höhndorf und Wal- 
lern gebraucht erscheint: es war gelegen beim alten Stanacum, 
das die Verbindung zwischen Joviacum und Boiodurum herstellte. 
Es waren aber alle diese Ortschaften einst »vici Bomanisci,* be- 
wohnt von romanischen Coloni i). 

Langenpfunzen und Leonhartspfunzen scheinen mit ihren 
Namen noch an die Station Pens Aeni, welche die Itinerarien 
nennen, zu erinnern, wo die Strasse von Noricum nach Baetien 
vorbeiführte. Diese Baetische Gegend war wenig romanisirt, viel- 
leicht auch wenig bewohnt, die Ortsnamen stammen meist aus 
baierischer Zeit 2). Kehren wir nach Noricum zurück so war der 



*) Vgl. über die Walchendörfer Steub, Kleinere Schriften, III, 156. Bezüge 
lieh Henwalcharen: Kenner, Noricum und Fannonia, Mitth. des Wiener Altertums- 
yereins XI. S. 129. 

') Man vgl. Steub's Erörterungen über die Intensität der Raetischen und Ro- 
manischen Bevölkerung zunächst Tirols in den Aufsätzen über »die Entwicklung der 
deutschen Alpendörfer* Allg. Zeitg. B. 16 — 18 Sept. 1875, wo diese Frage an der 
Hand der Ortsnamen behandelt ist, mit Mommsen^s Bemerkungen über denselben 
Gegenstand, aber vom epigraphischen Standpunkt aus im Corp. inscr. Lat. III. 
p. 708. 



— 85 — 

grössere Theil des heutigen Oberösterreich und wol auch noch der 
nördlichen Steiermark der Colonie Ovilava (Wels) zugetheilt, die 
K Marcus hier begründet hatte ^). Sonst besassen die beiden 
Erzherzogtümer, soweit sie zu Noricum gehörten, keine bedeuten- 
den Städte — Vindobona und Camuntum lagen schon in Pan- 
nonien; — nur einige kleinere Municipien, wie Ceti um (bei Mau- 
tem ?) 2) sind hier im Laufe des zweiten Jahrhunderts emporge- 
kommen. 

Doch erinnert noch eine Reihe von Orts- und Flussnamen 
an die Komische Zeit, aus der sie sich bis auf diesen Tag er- 
hielten: bei Traismaur am Traisen lag einst die Station Triga- 
simum, die Berge um Commagene (bei Tuln) Messen noch lange 
im Mittelalter die Commagenischen ; der Erlaf hat seinen Namen 
von der Station und dem Fluss Arelape. 

Ischl hiess in Römischer Zeit die „ Escensische ^ Station ; die 
Ens ist der alte Anisus, Linz nennt sich nach Lentia, Lorch nach 
Lauriacum; die Station Pens Ises gab der Stadt Ips den Namen. 

Die Continuität der Bewohner und der Erinnerung an die 
alten Zeiten ist, wie man sieht, in diesen Gegenden nie unter- 
brochen gewesen. 

Im übrigen lagen hier an der Donau in ununterbrochener 
Reihe, die Militärstationen des ^limes'' des Reiches, die nach 
und nach zu kleinen Flecken heranwuchsen, welche ihren Namen 
meist nach der hier stationirten Gehörte oder Ala empfangen 
hatten, wie also Batava castra nach Batavern benannt ist, Com- 
magene nach Commagenem, Asturis nach Asturem benannt zu sein 
scheint ^), Selbst Favianae, in byzantinischer Zeit eine bedeutende 
Militär- und Flotillenstation, hat man in dieser Weise mit Paphos 
auf Cypem in Verbindung bringen wollen ; — es ist eben immer 
Gefahr vorhanden, einen an sich richtigen Gedanken, indem man 
ihn zu weit verfolgt, zu Tode zu hetzen. 

Li ähnlicher Weise war auch Pannonien nach Stadtbezirken 
abgetheilt, soweit eben das Municipalwesen hier sich entfaltet 
hatte. 



1) C. I. L. m., p. 681. 

*) C. I. L. 684. Cetium war »Munidpium Aelium.* 
^ Vgl. AK-hbach, lieber die Römischen Militärstationen im üfernoricum zwi- 
schen Lauriacum und Vindobona. Sitzungsber. der Wiener Akad. 1860. 85, 8—82. 



— 86 — 

Das innere Land war noch lange rauh, voll Wald und Smnpf, 
nur durchschnitten von den Chausseen, an denen dann wieder die 
Stationen lagen; so die Strecke von Sopianae (Fünfkirchen) bis 
Stuhlweissenburg, desgleichen von Sopianae bis an den „Lacus 
Pelso, " den Plattensee, wo erst Galerius, der Mitregent und Schwie- 
gersohn des Diocletian, Bodungen vornahm und durch gleichzei- 
tige Anlage eines Kanals aus dem Plattensee in die Donau die 
Cultur merklich hob. 

Indem so noch bis in die byzantinische Epoche hinein die 
Begionseintheilung des Landes neben der städtischen sich erhielt, 
lassen sich die Grenzen der einzelnen Territorien nicht überall* 
mit Genauigkeit angeben. 

Knapp an Noricum stiessen die Stadtgebiete von Savaria 
oder Stein am Anger *) und von Scarbantia, dem heutigen Oeden- 
burg 2), indem sie sich im Westen mit dem Territorium von Solva 
berührten. An der Donau lagen dann die Gebiete der drei grossen 
Lagerstädte von Brigetio 3) Carnuntum*), Vindobona^); 
wovon das Camuntums, der bedeutendsten dieser Städte, den gröss- 
ten Umfang hatte und namentlich auch das ganze Leithathal und 
die Gegend von Wiener-Neustadt umfasste. 

Zu Arrabona gehörte die Gegend von Baab ^; zu Aquin- 
cum die unterpannonische Landschaft einerseits bis Stuhlweissenbung 
hin — wo ein ansehnlicher Vicus stand — ebenso auf der ande- 
ren Seite bis in die Gegend von Gran^. 

An der Kulpa und oberen Save hatte Siscia sein Gebiet^; 
an der unteren Save die prächtige Kaiserstadt Sirmium,inder 
Landschaft, die noch jetzt Sirmien benannt ist ^). 

*) C. I. L. m., p. 525. 

*) G. I. L. III., p. 533. Scarbantia ist der den Inschriften geläuilgre Name, 
die Schriftsteller grebrauchen gfewOhnlich Scarahantia. 

*) 0. I. L. m., p. 589. 

*) C. I. L. lU., p. 550. 

'0 C. I. L. III., p. 565. Bei den Schriftstellern ist der Name Vindobona 
öfters (namentlich in Vindomina) verderbt. Die mannigfachen Folgerungen, die daraus 
z. B. Büdinger, Oesterr, Gesch. I, 486 ff. gezogen hat, hält Mommsen für unbe- 
grflndet. 

•) C. I. L. m., p. 546. 

C. I. L. in., p. 489. 

8) C. I. L. in., p. 501. 
' •) C. I. L. III,, p. 418. 



— 87 — 

Es lagen in diesem südlichen Theile Pannoniens femer noch 
das Municipium C i b a 1 i s (bei Vinkovce) ^ ) und M u r s a (Esseg), 
das Hadrian als Colonie eingerichtet hatte durch Soldaten der 
leg. IL adiutrii ^). 

Längs des Laufes der Donau aber erstreckten sich überall 
die Bömischen Militärstationen hin; darunter bei Dalya eine, die 
mit dem ominösen Namen Teutiburgium benannt war ^). Hier 
lagen die einzelnen Alen und Cohorten in Castellen, Burgen und 
Brückenköpfen vertheilt und hüteten die Grenze. 

Li derselben Weise waren die Verhältnisse auch in Dalma- 
tien und in den beiden Moesien geregelt. Ueberall, wo das Land 
befriedet und gesichert war, erhoben sich Bömische Städte, die 
das umliegende Land beherrschten. — Namentlich an der Donau, 
wo die Garnisonen lagen, erwuchsen eben in Folge dessen grös- 
sere und kleinere Gemeinwesen Bömischer Art; es vollzog sich 
in dieser Weise friedlich jene völlige Umwälzung in der Sitte 
und Art, in der Gemeindeverfassung der Landschaften an der 
Donau, wodurch ihr Wesen mehr und mehr dem des italischen 
Landes sich näherte und sich anglich. 



*) C. I. L. m., p. 422. 
*) C. I. L. ni., p. 424. 

*) 0. I. L. m., p. 428. Teatibargiom ist diotpnnic, d. i. populosa dYitfts. 
Massnuum, Kaiserchronik ni. p. 797. 



Die Provinz Dacien. 



Einen eigentümlichen Gang der Entwicklung hat unter all' 
diesen Landschaften die Provinz Dacien durchgemacht, die Ero- 
berung Traians, die, seitdem Hadrian die berühmte Donaubrücke 
seines Vaters hatte abwerfen lassen, auch in anderer Beziehung 
eine isolirte Stellung im Bömischen Beiche einnahm; unter sämmt- 
lichen Donauprovinzen weitaus die interessanteste, wie denn Sie- 
benbürgen immer ein klassisches Colonialland gewesen und ge- 
blieben isti). 

Hieher hatte Traian, um die neue Erwerbung zu sichern, um 
das Land, das im letzten Entscheidungskampfe alle seine waffen- 
ßhigen Männer eingebüsst hatte, wieder zu bevölkern, endlich um 
das Eömertum in dem Bollwerke des Eeiches an der Donau für 
alle Zukunft zu pflanzen, »unermessliche Schaaren* von 
Ansiedlem hergeführt „aus der ganzen römischen Welt* 2). 
Es war eine Massregel, wie jene, welche im 12. Jahrhundert die 
ungarische Eegierung hier durchgeführt hat, als sie, um sich im 
Besitze Siebenbürgens zu behaupten, das Land colonisirte durch 
Magyaren, Szekler und Sachsen. 

Und es unterscheidet dies Dacien von allen anderen Land- 



^) Vgl. fQr das Folgende K. Gooss, Untersuchungen über die Inneryerhältnisse 
des Traianischen Dadens. Archiv des Ver. f. siebenbürgische Landeskunde. N. F. XU. 
1. (1874). S. 107—166. 

') Eutrop. 8, 6 : Traianus victa Dacia ex toto orbe Bomano infinitas eo co- 
pias hominum transtulerat ad agros et arbes colendas. Dacia enim diuturno bello 
Decebali viris erat exhausta. 



— 89 — 

Schäften an der Donau, dass es nicht Mos Komische Provinz, 
d. h. Eroberung, sondern dass es auch Komische Colonie ward ^). 
Dort erfolgte nur die Ansiedlung entlassener Soldaten von Ee- 
gierungswegen und der Eauftnann Hess sich nieder dem Handel 
zu Liebe. Colonisation durch civile Bevölkerung, wie sie einst die 
Gracchen geplant hatten, zur Versorgung des Proletariats, oder wie 
sie auch in der früheren Epoche der Komischen Geschichte wol 
vorgekommen war, hat in der ganzen Kaiserzeit, so viel wir sehen, 
nur in zwei Fällen stattgefunden ; der erste war, als Nerva auf von 
Senatoren erkauften Grundstücken Armencolonien stiftete^); der 
zweite Fall ist eben die Besiedelung Dacien's durch Traian^). 

Während man sich anderwärts begnügte, die Nation zu un- 
terwerfen, traute man hier in der Grenzmark des Eeiches der 
einheimischen Bevölkerung nicht — denn verwandte Stämme 
Sassen noch inmier ringsum und nährten die Gährung; — so 
schuf man also aus politischen Gründen in Dacien exceptionelle 
Verhältnisse. 

Wir sehen auch, aus welchen Theilen der „ganzen Welt" 
vorzugsweise die neuen Ansiedler hieher versetzt wurden. Aus 
Dalmatien kamen namentlich zum guten Theile die Arbeiter in 
den Goldbergwerken um das heutige Abrudbanya, wie denn der 
Bergbau insbesondere bei dem Stamme der Piruster von Alters her 
berühmt war *). Auf jenem Goldgewinn hatte aber von jeher die 
Bedeutung Dacien's beruht und es dürfte einer der Beweggründe 
Traians far die endgiltige Occupation der Landes gewesen sein. 



*) üeber diesen Unterschied zwischen Colonie und Provinz ygl. Rudorff, 
Gromat. Institutionen S. 292. »Die Römischen Colonien waren nicht, wie die Co- 
lonien des neuen Europa, Eroberungen zur Erzielung von Colonialwaaren : unsere 
Colonien entsprechen vielmehr den Römischen Provinzen* und wurden als solche 
ausgebeutet. Die Römischen Colonien waren ein Xheil der herrschenden Nation 
selbst. 

*) Die, 48,2 : (Nerva) xoi^ iravo iisvTjOt xmv Pmpiaiüjy I? -/[CKuSl^x xal icevtaxoola? 
|«>pia8a5 T^ •ax9piv hyiapioaxo, ßooXeiKal^ xtot fjjv xe öcYopaoiav aoxmv xal fJjv 
^vopi-y|v nptxixaJ^ou;. Vgl. Mommsen, Staatsr. II. 932. A. 8. 

^ Vgl. Rudorff, Gromatische Institut. S. 857. Zumpt, Commentationes epi- 
graphicae I, 441 f. 451, 457 u. a. 

*) Cf. Florus IV, 12: Dalmatos Vibio perdomandos Augustus mandavit, effe- 
ruui genus federe terras coegit aurumque venis repurgare ; quoil alioqüin gens om- 
lÜQin cupidissima studiosa diligentia anquirit, ut illud in usos suos servare videatur. 



- 90 - 

dass er den Bergsegen desselben in seine Hände bringen wollte. Wie 
dem auch sein mag, sogleich wurden Piruster in das siebenbürgische 
Erzgebirge verpflanzt, die uns in den Wachsurkunden dann mehr- 
fach begegnen: Albumus maior, einer der vorzüglichsten Orte 
im Golddistrict heisst sogar kurzweg: ^Vicus Pirustarum" ^). 

Auch andere Dalmatiner kommen vor, so zweimal in Yerespa- 
tak und zweimal in Apulum Abkömmlinge aus Aequum und in 
Ampelum ein „Dalmatus princeps adsignatus ex m(unicipio) Spione." 

Die grosse Menge der Einwanderer aber war syrischer und 
(klein)a8iatischer Abkunft. Wir finden da Leute aus der Provinz 
Asia, aus Bithynion und Karlen, aus Galatien, aus Syrien im 
weiteren Sinne des Wortes. Sie brachten aus ihrer älteren Hei- 
mat in das Colonialland ihre orientalischen Culte mit, den Dienst 
der Götter von Emesa, Doliche, Tavia, Eriza u. s. w. ^). Der 
Cult der Isis und des Mithras — später im ganzen Eeiche ver- 
ehrte Gottheiten, — wurde hier speciell von Griechen, also Orien- 
talen als Priestern versehen ; eine provincielle Eigentümlickeit, die 
anderswo nicht sich vorfindet. 

Sonst begegnet auf den inschriftlichen Denkmalen wol nicht 
selten die griechische Sprache, aber im Ganzen wiegt doch die 
lateinische entschieden vor^); man sieht, dass wir es mit grie- 
chisch-römischen Mischlingen zu thun haben — vielleicht aus den 
lateinischen Sprachinseln des Orients, die dort entstanden waren 
in Folge von Deductionen, wie deren Augustus im Monument von 
Ancyra erwähnt hai 

Auch sonst blieben übrigens die Colonisten den Traditionen 
der Länder treu, aus denen sie ausgegangen waren. Sie tbaten 



^) G. I. L. m. C. Vm. aus d. J. 159. Ausserdem sind sie erw&hnt C. VI. 
von J. 188. 

*) Danach hat zuerst Henzen im Bullet. delP instituto archeol. 1848 p. 129 
ff. die Nationalität der Einwanderer zu bestimmen gesucht ; in ähnlicher Weise, wie 
man die Heimat der heutigen Siebenbürger „Sachsen^^ oder ,.Fhuidrer^* — ein Sam- 
melname fflr die deutschen Colonisten des Mittelalters — an der Hand der Dia- 
lecte und der Ortsnamen erforscht hat. 

*) Auch yon den Wachstafeln ist nur ein kleiner Theil in griechisdier Sprache 
abgefasst; einige Sdaven die das Handelsobject bilden, sind orientalischer Herkunft. 
— Die Tafeln mit angeblich dacischer Schrift, die Massmann in seinem „Libellas 
aurarius^^ 7orgebracht hat, sind bekanntlich als Fälschungen erkannt. 



- 91 - 

sich in Landsmannschaften zusammen und hatten als „Galater,^ 
a Asiaten" u. s. w. ihren gemeinschaftlichen Gottesdienst. Der 
syrische Gott Azizus hatte eine Gemeinde in Apulum und Po- 
taissa, nach Apulum war durch die syrischen Pflanzbürger auch 
der Sonnengott, der den. Beinamen Hierobolus führte, gekommen, 
wo er dann seinen eigenen Priester hatte; übers weite Meer 
herüber hatten Bewohner (fei- syrischen Landschaft Commagene 
ihren berühmten Jupiter von Doliche nach Ampelum mitgebracht 
Noch zwanzig Jahre vor dem Verluste der Provinz sehen wir so eine 
besondere Genossenschaft von Asiaten in Napoca und desgleichen 
ein , Collegium Galatorum ** zusammen in Napoca und Germisara 
bestehen, wo sie den heimatlichen Jupiter von Tavia verehrten; 
ein Beweis, dass eben diese landsmannschaftlichen Organisationen 
sich bis zur Käumung Dacien's durch die Eömer hier erhalten 
haben. 

Zu diesen Massen von Einwanderern, die aus Dalmatien und 
dem Orient stammten, kommen noch andere geringerer Art; aus 
Italien zwar, zumal aus Apulien und Lucanien, wie man aus ei- 
nigen Ortsnamen hat schliessen wollen i), wird man nicht viele 
Leute haben abgeben können, da dies Land und namentlich der 
Süden desselben selbst daran Mangel litt; Nerva hat Armen- 
colonien in Italien gestiftet und seine wie Traians grossar- 
tigen Alimentarinstitutionen verfolgten eben den Zweck, hier die 
Population und damit den Ackerbau wieder zu heben, ja es war 
damals sogar ausdrücklich verboten worden, Colonisten aus Ita- 
lien auszufahren ^). Aber auf Baetien, Noricum, Gallien scheinen 
einige Zeichen — wie z. B. sonst nur in jenen Landschaften 
verehrte Gottheiten, die auch hier sich finden — hinzudeuten und 
Einzelassignationen werden allerdings aus , aller Welt** erfolgt 



^) Nemlich aus den Ortsnamen Apulum und Alburnus gr. ^^AXßoapvo^ {^ur^AXf^, 
Wie dieses hies ein hohes Waldgebirge in Lucanien unweit von Paestum. Boesler, 
Rom. Studien. 45. Vielleicht, dass sonst ein süditalischer Mann die Nomendatur 
bestimmte ; denn es kommen auch Personennamen wie Lucanius z. B. in den Unter- 
schriften der Wachstafeln vor. Vgl. Hühner, ephem. epigr. II. p. 68. cf. p. 40, 
58 f. 8. y. Lucanus. 

*) Capitolinus sagt 7on einem späteren Kaiser, der diese Vorschrift verletzte 
(Antonin. 1 1) : „Hispanüs exhaustis italica allectione contraTraianipraecepta 
yerecunde consuluit." 



— 92 — 

sein. — Dazu kamen hier, wie in den anderen Landschaften die 
Veteranenansiedlungen, Entwicklung von Lagerstädten u. s. w., 
wodurch Dacien mit Römischem Leben sich erfüllte. 

Lidern aber der Procentsatz Römischer Bevölkerung hier von 
Anfang an so mächtig war, wie in keiner anderen Landschaft an der 
Donau, indem Dacien gleichsam Eine Römische Colonie bildete, er- 
blühte in der jüngsten Provinz des Reiches das Städtewesen und die 
Italienische Cultur viel mächtiger, viel intensiver und viel schnel- 
ler, als in Raetien und den nördlicheren Theilen von Pannonien; 
selbst Noricum kann ihm darin nur annähernd gleichgestellt 
werden ^). 

Schon Traian schuf Sarmizegetusa, die einstige Hauptstadt 
des Decebalus, um zur Colonie, die nunmehr den Beinamen Ulpia 
Traiana führte nach ihrem Stifter, der es so sehr geliebt hat, 
seinen Namen in dieser Weise auf die Nachwelt zu bringen ; die 
zur Coloniegründung erforderlichen Bauten waren, nachdem die 
Gromatiker ihres Amtes geübt hatten, ausgeführt worden durch 
Soldaten der Y. moesischen Legion unter dem Kommando des 
Legaten D. Terentius Scaurianus 2). 



*) Einen Beweis dafflr liefert uns unter anderem die Zahl der Inschriften, die 
aus jeder dieser Provinzen uns erhalten sind; nemlich 

aus Baetien. . . 278 

aus Noricum . .1147 

aus Oberpannonien 1096 

aus Unterpannonien 811 

aus Dalmatien . .1694 

aus Dacien . . . 1009. 
Es sind hier die Nummern des Corp. Insc. Latinar. sowie die Additamenta 
allda, deren „Auctarium" und in der Ephem. epigr. II. summirt. Ich weiss wol, 
wie vielen Zufälligkeiten ausgesetzt dieser statistische Versuch ist: in cultivirteren 
Gegenden ist uns in der Regel weniger erhalten, als in Landschaften, die nach der 
Römischen Zeit nie mehr zu so hoher Cultur gelangt sind, weil man dort das Material 
zu profanen Zwecken benützte, hier es liegen lies ; Ausnahmen sind vorhanden, aber 
man wird obiger Zusammenstellung eine relative Beweiskraft immerhin zuschreiben 
dürfen. Wenn Dacien als selbst Noricum voranstehend bezeichnet wird, so denkt 
man dabei an den Umstand, dass Noricum ein Jahrhundert früher römisch wurde 
und Jahrhunderte es länger blieb. . 

') C. I« L. m. 1448. Die genannte Legion scheint an dem 2. dac. Kriege 
Antheil genommen zu haben und vor ihrer Bückkehr in die mösischen Garnisons- 
orte eben zu diesen Arbeiten verwendet worden zu sein. Vgl. dio Ausführungen 
Mommsens zu der citirten Inschrift. 



- 93 — 

Anfangs hiess Sarmizegetusa wol auch kurzweg die ,Daci- 
sche Colonie ; '^ so lange es nemlich in dieser Hinsicht allein stand, 
was aber nicht lange der Fall war. Denn bereits unter Traian — 
wenn wir den Angaben des Juristen ülpian trauen dürfen — ward 
noch eine zweite Colonie in Dacien begründet, nemlich Tsierna. 
In) 3. Jahrhundert bekam Sarmizegetusa dann officiell den Titel 
, metropolis ** *) ; es war, wie wir wissen, der bürgerliche und der 
religiöse Mittelpunkt Dacien's, der Sitz der kaiserlichen Verwal- 
tung, wenigstens zeitweise — wenn derselbe nemlich nicht bei 
der Legion in Apulum war — die Besidenz des Legaten; hier 
wurden die Concilien, resp. Landtage der Provinz abgehalten. 
Hier waren die Millionäre der Zeit und der illyrischen Lande 
Bürgermeister; ja einmal hat sogar der Kaiser Antoninus Fius 
es nicht verschmäht, hier das höchste Municipalamt, den Duovirat 
mit censorischer Gewalt, zu bekleiden, indem er sich gewohnter- 
massen durch einen vornehmen Bürger als »praefectus quinquen- 
nalis " vertreten lies 2). Fem von den Gefahren der Grenze im 
Ueblichen Hatzeger Thale beim heutigen Yärhely florirte Sarmi- 
zegetusa als einer der glänzendsten Punkte, welche die Italische 
Civilisation in unseren Gegenden überhaupt sich geschaffen hat: 
zwelf walachische Dörfer erfüllen heute den Baum ihres einstigen 
ümfanges und die barbarischen Sprösslinge der Komischen Zeiten, 
die Walachen, verbrennen in ihren Kalköfen die inschriftlichen 
Denkmale, die Zeichen der einstigen Pracht und Herrlichkeit der 
dacischen Hauptstadt. Noch sieht man den Felsen, wo das einstige 
Capitol, die stadtbeherrschende Burg stand, noch das geräumige 



') Nicht wol früher ; denn in eiuor offidellen Dedication an den K. Septimius 
Severüs (C. I. L. III. 1452) fehlt dieser Titel. Vgl. Mommsen, ib. p. 228. Wenn 
Hiischfeld, Epigraph. Nachlese 2um C. J. L. 11 1. aus Dacien und Moesien, n. 46 
* seiner Sammlung, wo Sarmizegetusa metropolis genannt wird, aus einem äusseren 
Grund, wegen der Züge der Schrift, dem 2. Jahrhundert zuweisen möchte, in 
Folge dessen Sarmizegetusa jenen Titel schon früher erhalten haben mflsste, so 
ist dagegen zu bemerken, dass jene innere Begründung durch Mommsen dies Rai- 
sonnement aus einem (nicht ganz sicheren) äusseren Grunde yöUig schlägt. 

') C. I. L. UJ. 1459. Die Stadtrechte enthielten ausdrückliche Bestimmun- 
gen für den Fall, als der Kaiser selbst zum duoyir gewählt wurde. Vgl. Lex Sal- 
pens. c. 24. Der Kaiser bekleidete dies Amt in der Regel ohne einen Collegen* 
in ähnlicher Weise, wie unter der Republik ja auch Pompeius einmal sich zum al- 
leinigen Consul 7on Rom hatte ernennen lassen. 



— 94 - 

Amphitheater, in jenen Jahrhunderten der Schauplatz der Thier- 
hetzen und der Spiele — eine der Eigentümlichkeiten Bömischer 
Art, die überall sich pflanzte, wo das weltbeherschende Volk festen 
Fuss fasste. Die Arena zeigt eine Länge von 60 — (55, eine Breite 
ven 32 — 35 Schritten; die Umfassung des ganzen Baues war 
15—18 Pubs wallartig über den Boden erhoben. »Den Achsen- 
enden entsprachen die Haupteingänge des Gebäudes, welche durch 
4 tiefe Ausschnitte des von Erde bedeckten Walles, der die Cavea 
bildet, deutlich bezeichnet werden. Eine doppelte Keihe verein- 
zelter gleichweit abstehender kleiner Einsenkungen, welche ohne 
Zweifel die Zugänge zum ersten und zweiten Bang markiren, 
läuft auf der Höhe des Walles und auf seinem unteren Bande 
rings um die Arena. " Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren noch 
mehrere steineren Sitzbänke zu sehen, die jetzt verschwunden sind. 
Alles ist so mit Bautrümmem bedeckt und die Arena selbst 
als Cucurutzfeld benützt für den »Mamaliga" der rohen Bevöl- 
kerung 0. 

Nicht weniger prächtig als Sarmizegetusa blühte auch Apu- 
lum heran, das militärische Centrum des Landes, dessen 
municipale Entwicklung zu einer Zwillingsstadt, wie wir gesehen 
haben, an das dortige Lager der leg. XIH. gemina sich anschloss. 
An Zahl der Inschriften ist Apulum sogar Sarmizegetusa über- 
legen und nichts zeigt daher deutlicher, wie sehr wir für die 
Erkundung der provinciellen Zustände auf die epigraphischen Quel- 
len angewiesen sind, als der Umstand, dass von beiden Städten 
bei den Bömischen Schriftstellern nur einigemale und auch dann 
noch nur sehr beiläufig die Bede ist 2). Noch zeugt auch von 
Apulums einstiger Bedeutung das weite Trümmerfeld um das 
heutige Karlsburg herum: Tempel, Zeughäuser u. s. w. sind theil- 
weise bis jetzt uns erhalten. 

Eine Beihe von anderen Orten erwuchs aus anfänglichen Dorf- 
gemeinden zu Städten, namentlich die Strasse entlang, welche 



*) Vgl. Benndort und 0. Hirschfeld bei Friedlaender, Sittengesch. Borns II. 
S. 580. 

') Vgl. Mommsen C. I. L. HI. p. 182 : ,.n6Qne nos hodie sdremas quanto- 
pere (Apulum) floruisset, nisi essent tituli et numero et rerum copia cum re- 
liqua Dacise oppida omnia tum ipsam metropolim Sarmizegetusam longe yinoentes.* 
Ueber Sarmizegetusa vgl. ib. p. 228. 



— 95 — 

das Land von Süden nach Norden durchschnitt. Sie wurden wol 
auch zuerst zum Municip und später erst zur Colonie erhoben: 
der ursprüngliche Unterschied, der zwischen beiden Arten von 
Städten gewaltet hatte, war im Laufe der Zeit mehr und mehr 
dahin verwischt worden, dass der Titel der Colonie für vornehmer 
galt, als jener des Municips. So ward das Dorf Napoca (Klau- 
senburg), desgleichen Drobetäe an der Donau erst das eine und 
dann das andere. Tibiscum (bei Karansebes) und Porolissum — 
das letztere durch ein Amphitheater ausgezeichnet, — dessen Bau 
im J. 157 der hier residirende Procurator veranlast hatte — er- 
scheinen als Municipien. Potaissa ward durch Septimius Severus 
zugleich Lager und Colonie. Es ist endlich noch zu erwähnen 
die Colonia Malvensis, wo einer der dacischen Procuratoren den 
Sitz hatte, und die wol im Südosten der Traianischen Provinz 
gelegen sein wird, da sie in den bekannteren Gegenden von Sie- 
benbürgen wenigstens nicht unterzubringen ist. 

Die meisten der hier aufgeführten dacischen Colonien besas- 
sen ausserordentliche Privilegien, wodurch sie den höchst bevor- 
zugten Angehörigen des Eeiches, den Italikem, gleichgestellt wa- 
ren: Sarmizegetusa und Tsiema (Zema), Napoca, Apulum und 
Potaissa fuhrt ülpian unter den Städten Italischen Kechtes auf, 
die kraft desselben steuerfrei und von der Gewalt des Statthalters 
eximirt waren ^). 

Mit dieser bürgerlichen Entwicklung, die hauptsächlich 
an den eingeführten Colonisten ihren Halt fand, gieng auch hier 
die militärische Hand in Hand, die einer Eeihe von Orten grös- 
sere Bedeutung verschaffte: war doch die ganze Provinz Dacien 
ein grosses Heerlager — war es doch bestimmt den Barbaren 
den Pass zu sperren, von Ost nach West, von Nord nach Süd. 
So lange Siebenbürgen in den Händen der Eömer lag, so lange 
war es auch unmöglich, Pannonien zu plündern oder die Balcan- 
halbinsel selbst zu überziehen: wie ja noch gegenwärtig an dem 
Besitze Siebenbürgens, so gut wie an der Deckung der Po- 



^) Ulpian. de censibus (Dig. 50, 15, 1, 8, 9j geschrieben unter Caracalla 
(211—217) : In Dacia Zcrnensium colonia a cUyo Traiano deducta iuris Italid est, 
item Napooensis colonia et • Apulensis et Patayissensium yicus, quia diyo Serero las 
oloniae impetraTit. 



— 96 — 

sition von Byzanz zum guten Theile die Lösung der „orientaUschen 
Frage ** hängt ! Deshalb hatte man Dacien colonisirt — denn die 
stärkste Festung lässt sich nicht halten, wenn die Besatzimg nicht 
tüchtig ist; — und aus demselben Grunde ward das Land mit 
einem ganzen Netze von Castellen überzogen : so bei den heutigen 
Orten Alsö-llosva, Alsö-Kosaly (wo sogar Legionstruppen gestan- 
den zu haben scheinen), bis in die Gegend südwärts von Bistritz, 
der ganze Norden der Grenze entlang, wo man überall noch deren 
Trümmer sieht ^) ; dann längs der Strasse von Porolissum nach 
Napoca; wo in den ersten Zeiten der Bömischen Occupation ein 
bedeutenderes Lager bestanden zu haben scheint, da man von 
hier aus die Meilensteine numerirte, was in der Kegel nur von 
Städten oder von Lagern weg zu geschehen pflegte. Zu Napoca 
ward nachher, als es zur Stadt erhoben worden war, die Gegend 
am heutigen Samos dem Grenzwall entlang attribuirt : jene Gegend 
ward schon damals „Samus" genannt 2). 

Dann waren namentlich auch die westlichen Gegenden Sie- 
benbürgens, der Weg von Apulum über Germisara (das heutige 
Czikmo bei Broos) nach Sarmizegetusa mit Castellen befestigt, die 
gewöhnlich von einer Ala oder Gehörte besetzt waren ; bei 
Yeczel hütete eine solche das eiserne Thor und die Enge der 
Maros am Eingange von Siebenbürgen. Bei Heviz (in der Nähe 
von Beps) im Südosten des Berglandes dem heutigen Szeklerdi- 
stricte zu, war anfangs sogar die ganze XilL Legion concentrirt 
gewesen, die nachher in Apulum stationirte. Femer war die 
Strasse von Pens Vetus am Alt (eine kurze Strecke nördlich vom 
Bothenthurmpass) über Kleinschenk nach Beps durch Castelle 
gesichert; ebenso die von Apulum nach den Quellen der Kokel, 
die von Salinae (bei Marosujvär) nach jenen der Maros. Alle 
diese Militär- und Strassenstationen wurden mit der Zeit recht 



^) Es ist dafür bezeichnend, dass in einer der ältesten Siebenbürger Ur- 
kunden, die uns aus dem Mittelalter erhalten sind und die Grenzbestimmungen gibt, 
bereits wieder deren genannt werden: „et ab illa meta procedendo ad quadrin- 
gulares castri Sixadonie;" womit nach Kemenys Deutung eine Römische 
Anlage in der Nähe Ton Thorenburg gemeint ist. Teutsch und Firnhaber, Siebenb. 
Urkundenb. S. 2. 

«) Vgl. C. I. L. m. 827. 



— 97 — 

ansehnliche Ortschaften, Flecken, die mehr oder weniger stadtar- 
tige Bedeutung gewannen. 

In diesen Städten und Orten sehen wir dann alle Kömischen 
Sitten und Gebräuche pflegen und ausüben. An der Hand der 
Inschriften lernen wir die ganze Mannigfaltigkeit des municipalen 
Lebens der Italiker kennen und den Gemeingeist schätzen, der 
da Alles beherrscht. Wir sehen vornehme Bürger durch öffent- 
liche Stiftungen sich nützlich machen ; der eine baut Säulenhallen, 
der andere stellt ein Bad her und spendet zugleich das nöthige 
Oel ^). Den Bauplatz allein gab die Gemeinde. Derlei Züge 
Hessen sich eine grosse Eeihe aufführen. 

Innerhalb einer jede Gemeinde aber nahmen die CoUe- 
gien, die Zünfte, eine besonders hervorragende Stellung ein. Die 
einzelnen Handwerke waren genossenschaftlich organisirt zum 
Schutz der Arbeit und zur Betreibung ihrer sonstigen gemeinsa- 
men Interessen: so die „fabri," worunter verschiedene Gewerbe 
inbegriffen sind; so die „centonarii" oder Wollenweber, die na- 
mentlich in Apulum stark vertreten gewesen sind, wo sie für die 
Truppen den. Bedarf an Kleidern, Zelten, Decken u. s. w. zu lie- 
fern übernommen hatten ; die „ nautae, ** die Angehörigen der Schif- 
ferzunft, die den Marcs mit ihren Fahrzeugen befuhr und Salz 
und Holz exportiren mochte, wie derlei noch heute geschieht; die 
»dendrophori,** welche den Bau von Kriegsmaschinen und mili- 
tärischen Gebäuden besorgten; die „negotiatores,** oder Kauf- 
leute, deren Verbindung über die ganze Provinz Apulum sich er- 
streckte; die „utricularii," d. h. die Fährleute, von welchen die 
Eeisenden mittelst Schläuchen (uter) über die Flüsse gesetzt wur- 
den, namentlich wenn, wie auch das noch heute häufig, die Brücken 
mangelten; endlich die „lecticarii,** die Sänftenträger, die wir be- 
sonders in Sarmizegetusa vertreten finden ^j. 

Was die • innere Organisation dieser Vereine und Zünfte be- 
trifft, die sich des grössten Ansehens und der besonderen Auf- 



^) Ephem. epigr. II. n. 414 (aus Apulum): balne(as) populo public(as) et 
oleum posuit. L(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurioiium). Der Stein wurde dem unge- 
nannten Wohlthäter gewidmet in demselben Jahre, als die canabae in das munici- 
piam Apnlum verwandelt wurden („anno primo facti municipii''). 

*) Vgl. die Zusammenstellung von Gooss, a. a. 0, S. 118 flf. ; woran ich 
mich auch für das folgende halte. 

Jung, die Donan-Provinzen. 7 



— 98 — 

merksamkeit der Eegiemng erfreuten, so hatte jede Verbindung 
einen angesehenen Bürger zum Patron oder »Vater** und dessen 
Frau zur , Zunftmutter. ** Im übrigen standen an der Spitze , Ma- 
gister", welche die ausübende Gewalt hatten; zwei Quaestoren 
verwalteten die gemeinsame Kasse. Einzelne Collegien hatten sogar 
eine engere Vertretung, die der einer Stadt ziemlich nahe kam; 
so die fabri in Apulum, deren „decuriones et principales** ihrem 
Patron „secundum decretum eorum** eine Inschrift setzten. Die 
grösseren Collegien zerfielen in eine Eeihe von Unterabtheüungen 
oder decuriae, deren die fabri in Apulum sicher elf, die in Sar- 
mizegetusa mindestens vier hatten. Wir haben diese Art von 
Organisation bereits oben bei Besprechung der Canabae und ihrer 
Verfassung — die eben anfangs durchaus- die eines Collegiums 
war — berührt. Dem Genius der Zeit gemäss, dem zufolge 
ja jeder Landtag zugleich ein Provincialconcil, der Landeshaupt- 
mann ein Bischof war, fanden auch die Collegien ihren eigentlichen 
Mittelpunkt vor allem in dem Cultus eines ihnen eigentümlichen 
Gottes, an dessem Feste sie gleichsam ihre „ Kirchweih " feierten. 
Sie bildeten so in jeder Beziehung ein Gemeinwesen für sich : sie 
hatten ihr eigenes Archiv, ihr eigenes Siegel, eigene Fahnen, ei- 
gene Tempel und ihr eigenes Grab; die verstorbenen Collegen 
wurden entweder unentgeltlich bestattet oder die Familie erhielt 
400 Sesterzen (etwa 30 fl.) ausbezahlt. Die Mitglieder eines jeden 
Collegiums hatten hiefür ratenweise, gewöhnlich monatlich, Geld- 
und Naturalbeiträge zu entrichten. Diese Art Lebensversicherung 
oder Leichenbestattung war einer der Hauptzwecke jener Corpora- 
tionen ^) ; daneben vor allem die grossen Schmäusse an den Fest- 
tagen, die nie fehlen durften, wie denn nach Mommsens launiger 
Bemerkung ^) die Komische Kirche und die Komische Küche von 
jeher zu einander in nierklicher Beziehung gestanden sind. 

Es ist uns unter anderem auch eine Urkunde erhalten, die 
sich auf einen solchen Schmauss bezieht, der am Vorabend des 
1. Mai vor sich gegangen war. Es wird wol nicht imwillkommen 



^) In einer der Cerattafeln wird geklagt: ,,neque quisquam tarn magno tem- 
pore diebas, qoibas legi continetur, convenire voluerint aat oonferre faneratida 
sive munera." 

*) In seinem Vortrag über „die Bömischen Ackerbrflder.*' Grenzboten 1870. 



— 99 — 



sein, den entsprechenden Küchenzettel hier seinem ganzen Inhalte 
nach eingeschaltet zu finden ^). Er last uns einen in mehr als 
emer Beziehung interessanten Einblick in diese so eigentümlichen 
und wichtigen Verhältnisse thun. 

Auf der einen Seite der betreffenden Wachstafel verzeichnet 
höchst wahrscheinlich ein „ magister epularum, ^ d. h. der Schmauss- 
herr oder Küchenmeister eines solchen Collegiums, die Summen, 
die er in zwelf Terminen eingenommen hat. Auf der anderen 
Seite sind die Kosten jenes Schmausses folgendermassen ver- 
anschlagt : 



(1) pr. Kai. Maias ex . 


. (denai 


•.) CLXVip?] 


(2) agnos n. V 


» 


xvm 


(3) porcellum 


9 


V 


(4) panem caudid(um) . 




n 


(5) thus prim(um) S 




n|T] 


(6) [meri] ^ HI . . . 




n 


(7) [vini] Q n Q n . . 




xcvn 


(8) peganinum 




12 


(9) impensam 




S2 


(10) aceti 8 I 




S 


(11) salem et cep(am) . 


» 


S-2 



Wir sehen im ersten Posten unter dem Titel „pridie Kalen- 
das Maias ex^^ eine Hauptsumme zusammengefasst, die in den 
folgenden Punkten und einigen unleserlichen spedficirt wird. 
Nehmen wir den Denar zu 30 kr. an, so kosteten die fünf Läm- 
mer des zweiten Postens 5 fl. 40 kr., ein Frischling 1 fl. 50 kr. Brod 
wurde nach Posten 4 um 60 kr., Weihrauch 1/2 Pfund für 90 kr. ver- 
braucht. Vom besseren Wein (merum) trank man nur drei Sextarien 
(zusammen 1 Maass) für 60 kr., dagegen zechte man gewöhnlichen 
Tischwein 2 Quadrantal und zwei Hemina , das ist eine Quantität, 
welche den Bauminhalt von zwei Kubikfuss überschreitet. Dafür 
kostete auch der Wein allein volle 29 Gulden und 10 kr., was 
Mommsen etwas zu. theuer findet, da man nach Plinius^) in Born 



1) C. I. L. m. p. 958. c. XV. 

H. N. 14, 4. 56. Der hohe Preis erklärt sich vielleicht damit, dass der 
Wein nicht im Lande erzeusft und durch Transport und Zollkosten so vertheuert 
wurde. 

7* 



— 100 — 

ganz guten Wein um 7 Gulden 50 kr. den Quadrantal haben 
konnte. 

Im weiteren Verlaufe nennt unser Küchenzettel noch pega- 
ninum (Salat) fflr ^s/^^^ Denare, also für 31 kr. ; er berechnet für 
impensam (Mühe) ^%^ Denare = leVj kr., für Essig V2 ^^ 
nar = 15 kr. und endlich für Salz und den unvermeidlichen 
Zwiebel 1V24 Denare =- 19 kr. i). 

So die heitere Geselligkeit jener collegialen Genossenschaf- 
ten, in die uns die hier vorgeführte Wachstafel so willkommenen 
Einblick gewährt. 

Es sind aber noch eine ganze Beihe von Urkunden dieser 
Art auf uns gekommen, die, abgesehen von den Beiträgen, die 
sie zur Geschichte des römischen Genossenschaftswesens uns dar- 
bieten, den Beweis liefern, dass es den Bewohnern von Dacien 
auch an Geschäftssinn und Boutine nicht gebrach. Es sind uns 
nemlich unter anderem erhalten: vier Kaufverträge (über einen 
Sclaven, eine Sclavin und ein halbes Haus in Albumus maior, 
dem h. Verespatak); femer zehn Schuldscheine, drei Gesellschafts-, 
drei Miethverträge und ein Depositenschein. Es bilden aber diese 
Urkunden eine so characteristische Eigentümlichkeit der Antiqui- 
täten von Siebenbürgen, es nehmen dieselben eine so hervorra- 
gende Stellung ein unter den Ueberresten, die aus dem Bömischen 
Altertum überhaupt uns überliefert sind, dass 09 nöthig erscheint, 
darüber noch einige Worte zu sagen. 

Die Urkunden, von denen hier die Bede ist, sind sämmtlich 
auf Wachs geschrieben und kamen wahrscheinlich bei Gelegenheit 
eines Einfalles der Barbaren 2), der die Bewohner zwang, ihre 
„Papiere" in Sicherheit zu bringen, in die Goldschachte des Sie- 
benbürgischen Erzgebirges. Sie wurden nicht mehr von dort erhoben, 
vielleicht weil die Besitzer der Katastrophe zum Opfer gefallen waren. 



^) Nach Gooss a. a. 0. 122. Ueber den Zwiebel vgl. Hehn, Culturpflanzen 
und Hausthiere. S. 168 ff. Ueber die Gemüse der Bömischen Eaiserzeit überhaupt 
ebenda S. 4S0. Ueber den Essig desgleichen S. 77. Die meisten dieser Leckereien 
und Gewürze sind erst von den Römern in unsere Landschaften eingeführt worden. 

') Man denke an Zeiten wie die des sog. Marcomannenkrieges, wo der Statt- 
halter Daciens selbst in einer Schlacht gegen Sueyen und Jazygen sein Leben ver- 
lor. Auf diese Zeit weist auch die Datirung der Urkunden hin ; die älteste ist yom 
J. 131, die jüngste vom J. 167. VgL Mommsen im C. I. L. III. p. 921. 



— 101 — 

So blieben sie in den künstlich verrammelten und zugeschütteten 
Römerstollen verborgen bis auf unsere Tage, wo man sie wieder- 
fand *), seit Jahrhunderten unberührt und nur von mineralischen 
Wässern benetzt, die ihre Erhaltung beförderten. „Manche davon 
sehen so frisch aus, als ob sie eben aus der Hand gelegt wären, 
nur das Wachs, welches schwärzlich oder völlig schwarz ist, hat 
oft Bisse bekommen, wodurch die Lesung erschwert wird, beson- 
ders da, wo die ausgelöschte ältere Schrift noch durchschimmert" ^). 

Derlei Wachstafeln waren im Altertum in allgemeinem Ge- 
brauch, zunächst zu Aufzeichnungen von vorübergehendem Werthe, 
wie Kechnungen, Concepten, Briefen, Schulübungen, doch auch, 
wie eben jene siebenbürgischen Funde besagen, zu gerichtlichen 
Urkunden. Sie bestehen meist aus drei übereinander gelegten 
Tafeln, waren also sog. triptycha. Aehnliche Ceraturkunden ka- 
men auch in Aegypten zu Tage: für die Geschichte der Schrift 
und des Schreibmateriales nicht weniger als für die Kenntnis- 
nahme mancher juristischen wie culturhistorischen Verhältnisse 
jener vergangenen Zeiten ein unschätzbares Material. 

Aber auch sonst haben im Schosse der dacischen Berge sich 
mancherlei interessante Dinge erhalten. In den unter dem Na- 
men Cetate mare und mike bekannten und altbebauten Werken 
von Verespatak, dem alten Albumus major, wo noch jetzt die 
Art und Weise, wie dort die Kömer die riesigen isolirten Fels- 
massen bearbeitet haben, das Staunen der Beisenden erregt ^) ; in 
diesen Werken fanden sich zahlreiche Werkzeuge, als Keilhauen, 
Bergkratzen, Schlägel, Saubertröge, Bergeisen, Breitkeile und Gru- 



^) Das erste £xemplar, das gefunden wurde, lag lange in der Jankovichischen 
Sammlung in Pest, ohne dass es Jemand lesen konnte; bis endlich Massman in 
seiner Schrift: Libellus aurarius sive tabulae ceratae et antiquissimae et unicae Bo- 
manae. Lips. 1840 der Schwierigkeit Herr ward. 

*) Vgl. Wattenbach: „Das Schriftwesen im Mittelalter," 1. Aufl. S. 40 ff. 
Es ist dort auch die sonstige Litteratur über den Gegenstand angefahrt, der seiner 
Zeit bedeutende Controrersen hervorgerufen hatte — wegen der Fälschungen 
nemlich, die mitunter gelaufen waren; erst die späteren Funde sicherten auch die 
älteren gegen alle Einwendungen skeptischer Kritik. 

^) Es sind nemlich besagte Felsmassen der Art yon aussen und innen in die 
Runde gearbeitet, dass sie einem grossen zerstörten Amphitheater ähnlich sehen oder 
auch dem Krater eines Vulcans, dessen geschwärzter Schlund den Himmel angähnt. 
Vgl. Ch. Boner, Siebenbürgen. S* 588. 



— 102 — 

benlampen entschieden Bomischen Gepräges; in dem alten könig- 
lichen EmericistoUen Offenbinyas fand man sogar in den Seiten- 
wänden den Buchstaben D wiederholt eingegraben. 

In den Werken Sz. Simon am Berg Nagy-Eimyik bei Koma 
traf man eine Höhle, deren Wände polirt nnd mit Fenerheerd, 
Tisch nnd Sitzen, alles aus dem härtesten Felsen gehauen, ver- 
sehen waren. Im St Eatharinenstollen im Berge Letty fanden 
sich im Jahre 1855 in einem aufgelassenen Werke ausser einem 
langen Haarzopf, der noch heute im Pester Museum zu sehen ist, 
zehn römische Amphorae und zahlreiches Hausgeräth, worunter 
Fässer und Getreidemasse ^). 

Kurzum : die eigentümliche Art der Colonisation, die yön der 
Manier in anderen Provinzen verschiedene Art der Truppenver- 
theilung im Lande mit ihren zahlreichen Gastellen und Stationen 
nicht nur im Norden sondern auch im Südwesten und im Süd- 
osten der Provinz ; endlich jene Goldbergwerke und ihr Inhalt im 
weitesten Sinne des Wortes, bilden die Signatur Daciens in Kö- 
mischer Zeit, und machen sie ebeu zu weitaus der interessan- 
testen aller Landschaften an den Ufern der Donau. Hier hat das 
Komische Wesen mit der ganzen Energie Wurzel gefasst, die 
jenem weltbeherschenden Volke nun einmal eigen war. Es war 
das von Folgen begleitet, die noch heute existiren : ich meine die 
Schaffung einer eigenen dacö-romanischen Kage, die noch lauter 
dafür spricht als die Berge und die inschriftlichen Steine. Suchen 
wir auch darüber uns die Verhältnisse klar zu machen. 

Vor allem müssen wir in dieser Hinsicht den Unterschied 
betonen, der zwischen der Kömischen Colonisation im Altertum 
und der ungarisch-deutschen des Mittelalters ffir diese Gegenden 
obwaltet. Die letztere trug von vom herein einen exclusiv-natio- 
nalen Gharacter an sich : die Einwanderer bildeten allein die „herr- 
schenden Nationen^S während die ältere Bevölkerung rechtslos 
blieb und geknechtet ward bis auf unsere Tage: Sieger und Besiegte 
schlössen sich so von einander ab ; eine Verschmelzung der das 
Land bewohnenden Stämme zu einer Kation ward ängstlich ver- 
mieden: kein Ungar, Szekler, Sachse hätte eine Walachin gehei- 
rathet und so durch dies Connubium den Anfang gemacht zu 



1) GooBs, a. a. 0. S. 152. 



— 103 — 

einer Liirung der Massen; noch jetzt wollen sie in Siebenbürgen 
davon nichts wissen, wie allgemein bekannt ist ^). 

War etwa dies auch die Lage der Dinge unter Komischer Herr- 
schaft ? Standen auch damals die eingeführten Colonisten und die 
erbgesessenen Daker in so schroffem Gegensatz zu einander? Wer 
dieser Meinung huldigt, der verkennt einfach das Grundprincip 
und die Staatsmaiime, auf die das römische Kaiserreich überhaupt 
basirt war: die cosmopolitische Verschmelzung aller Nationen zu 
, »Romanen" von einerlei Sprache und einerlei Sitte. Danach gieng 
man vor, wie anderswo, so auch in Dacien. Wol bestanden unter 
den Bömischen Colonisten, die ins Land kamen, landmannschaft- 
liche Verbindungen und es dauerten diese allem Anschein nach 
fort bis Mr Aufgabe der Provinz durch die Römer; aber diese 
Verbindungen hatten keine nationale Bedeutung — es waren 
ja grösstentheils „römische Asiaten; •* in Bezug auf Nationalität 
von vom herein eine „contradictio in adiecto" ; — sie waren durch- 
wegs sacraler Natur; es kamen dadurch in Dacien neue Götter 
in Umlauf, die aber ein so internationales Gepräge an sich trugen, 
wie etwa jetzt noch die Heiligen der universellen Römischen Kirche; 
nationale Exclusivität hätte die Regierung nach dem frtüter Ge- 
sagten schon principiell nicht geduldet. 

Vielmehr gedieh neben den fremden Colonisten auch die alt- 
einheimische dacische Bevölkerung, die mit der Zeit von den 
schweren Schicksalsschlägen, die sie betroffen hatten, sich wieder 
erholte; aber diese Daker, wenigstens so weit sie unter Römi- 
scher Herrschaft standen, waren ebenfalls schon keine natio- 
nale Masse mehr: die Zeiten der Freiheit hatten die Sonder der 
DaMschen Männer, die einst das Schwert Traians gefressen hatte, 
nicht mehr gesehen, sie waren bereits aufgewachsen der TJnter- 
thänigkeit gewohnt und dienten mit Lust im Heere ihrer Besie- 
ger, der ihnen Orden und Titel und Invalidenversorgung reichlich 



^) Nur einige Kritiker sind anderer Ansicht. Boesler hat in seinen Bomaen. 
Studien einen wahren Eiertanz von Sophismen aufgeführt, um die Thatsache solcher 
EidasiTltät, wie sie auch zu den Zeiten der Völkerwanderung lange genug yon den Ge- 
nuinen beliebt ward, „per argumentum ad hominem^' ad absurdum zu fflhren. 
umgekehrt hat Roesler den Römern eine derartige nationale Sonderstellung in Da- 
cm zugeschrieben. Andere (auch Gooss) sind ihm darin gefolgt. 



— 104 — 

gewährte : zu den Auxiliartruppen haben die Daker ein besonders 
starkes Contingent gestellt. Und der Sieger war auch sonst gnädig 
gegen die Unterthanen, die sich botmässig erwiesen : „berechtigte 
Eigentümlichkeiten" würden ihnen belassen, wenn sie weiter nichts 
zu bedeuten hatten. 

Der fliegende Drache, den die Bilder der Traianssäule uns 
kennen lehren , blieb nach wie vor das Feldzeichen der Daker *), 
das nationale Krummschwert die Waffe ihrer Alen und Gehörten; 
durch den ganzen „Orbis Komanus" zerstreut, sogar auf stadt- 
römischen Inschriften, begegnen uns dacische Namen und die Be- 
zeichnung „natione Dacus;" mehr als ein Decebalus findet sich 
darunter 2). Auch der Cult der alten Gottheiten bestand fort, 
nur dass man denselben mehr und mehr Komische Begriffe sub- 
stituirte. 

Wir sehen dann die Daker theil nehmen an allen Segnungen 
der Komischen CivUisation, namentlich auch am städtischen Leben. 
Die Inschriften nennen uns dacische Einwohner durch die ganze 
Provinz hin: in Also-Ilösva, in Thorda, in Karlsburg, im Gold- 
district, in Värhely, in Grosspold, in Tumseverin. Schon dass 
die Daker der Eömischen Sitte der Steinsetzung sich bequemten, 
ist ein Zeichen ihres Anschlusses an die neuen Verhältnisse. Kein 
Wunder, dass sie alsbald auch in den Städten obrigkeitliche Wür- 
den bekleideten — wann hätten die Sachsen je dies einem Wa- 
lachen zugestanden? — ; von Generation zu Generation sehen 
wir die ßomanisirung weiter vorschreiten. „So finden wir einen 
gewissen P. Aelius Ariortus als IV vir des Municipiums Drobetae 
und der lateinische Familienname scheint schliessen zu lassen, 
dass sich sein Haus unter Hadrian mit dem neuen System be- 
freundete. Die Frau hies Digna, die Söhne führen ausschliesslich 
Eömiöche Namen, der Enkel erscheint noch mit dem fremden 
Udarus. ** Und so weit war man in dieser Weise bis zur Mitte des 
3. Jahrhunderts bereits gediehen, dass damals, zur Zeit der sog. 
dreissig Tyrannen, der Dacier Kegalian, angeblich ein Abkömmling 



^) Anf den Münzen der Provinz erscheint noch in der Mitte des dritten Jahr- 
hunderts der dacische Genius mit dem fliegenden Drachen. Vgl. Eckhel d. n. VII. 848. 

«) Grater 53S, 4. Vgl. dazu Benzen hüllet, dell'inst. 1848, p. 184. — 
C. I. L. Vn. 866. 



— 105 — 

des K. Decebalus selbst^), sich zum „Eömis eben Kaiser" 
aufvrerfen konnte! 

Nur ein Theil des dacischen Volkes, der anfangs noch in 
den entlegeneren Theilen der Provinz, später ausserhalb derselben 
sich unabhängig erhalten hatte, bewahrte noch länger seine Natio- 
nalität. Die Bömischen Colonisten selbst bewohnten nemlich nicht 
ganz Dacien, sondern vornehmlich das Banat, die westliche Hälfte 
und das Centrum Siebenbürgens und die kleine «Walachei. Es 
war ein Keil Kömischer Bevölkerung, der ins dacische Land hin- 
eingetrieben worden war; und um denselben herum pulsirte in 
immer weiteren Kreisen hauptsächlich das Komische Cultur- und 
Lagerleben. Der ganze Osten und theilweise auch der Süden des 
Landes hingegen war von der Kömischen Colonisation unberührt 
geblieben. Wie in Gallien die Bretagne, in Britannien Wales 
sich keltisch erhielten, in Spanien die Basken, in Epirus die Al- 
banesen ihre Sprache bewahrten, in den abgelegeneren Gegenden, die 
weder durch Strassen,- noch durch eine Garnison, noch durch 
SMte in den Bereich der Civilisation gezogen wurden ; und von 
wo noch längere Zeit hindurch gegen Koms Herrschaft und gegen 
das Italische Wesen reagirt wurde, so erhob sich von jenen Ge- 
genden aus mehrmals die dacische Bevölkerung; Antoninus Pius 
und Commodus haben solche Aufstände zu bekämpfen gehabt. Aber 
sie wurden doch bezwungen, es waren nur die letzten Zuckungen 
einer dem Untergange geweihten Nationalität, die zunächst nicht 
mehr bedeuteten, als etwa gegenwärtig die EinföUe der Indianer 
in das Gebiet der Vereinigten Staaten; die Komanisirung drang 
dann wol auch hier, soweit die Provinz reichte, eben namentlich 
durch den Militärdienst, mehr und mehr durch. Dieser Process 
last sich an der Hand unserer Quellen leider nicht des Näheren 
verfolgen, da hierüber auch die Inschriften den Aufschluss ver- 
sagen, die ausser von den beim Militär dienenden Individuen eben 
nur von der romanisirten Elite der Daker uns Meldung thun; 
wie ja z. B. auch für Kaetien in dieser Beziehung aus den epi- 
graphischen Denkmalen nichts zu entnehmen ist. Wenn man 
aber bedenkt, wie schnell das südliche Pannonien und überhaupt 



*) „erat gentis Daciae, Decebali ipsius ut fertur affinis." Scriptor. h. Aug. 
trig. tyr. c. 10. 



— 106 — 

die Provinzen des Westens sich romanisirt haben ^), so wird man 
einsehen, dass die anderthalb Jahrhunderte Eömischer Herrschaft 
auch in Dacien nidit spurlos vorüber gegangen sein können. Bas 
gemeine Volk ward zwar nicht der italischen Cultar zugänglich, 
aber es erhielt doch jenen Firnis römischen Wesens, wie ihn heute 
noch die Eomaenen zur Schau tragen. 

Als dann nach der Mitte des H. Jahrhunderts die politische 
Lage der Dinge an der Donau sich so trQbe gestaltete^ dass 
man daran denken musste, die Eroberung Traians jenseits des 
Stromes, Dacien, aufzugeben und dieser Entschluss im Laufe der 
nächsten Jahrzehnte endlich zur That heranreifte 2), da verfügte 
die Komische Begierung zugleich über das Schicksal der Ein- 
wohner der Provinz. Sie hatte jene Colonisten hiehergefuhrt in 
das Bollwerk des Beiches im illyrischen Länderbezirk als Be- 
bauer und Erhalter des gewonnenen Gebietes. Sie musste daher 
für diese Leute, die sich zu ihren Gunsten engagirt hatten, Für- 
sorge treffen, auch nachdem jene weitaussehende Politik geschei- 
tert war; — hat ja schon Hadrian ihretwillen von der Aufgabe 
Dacieus, die er plante, wieder abgesehen; — und so geschah es 



*) Vgl. über Pannoniei^ (zwischen Save und Drau) den Ausspruch des Velleius 
Paterculus IL 110: „in omnibus Fannoniis non disciplinae tantummodo sed linguae 
qnoque notitia Romanae, plerisque etiam litterarum usas et familiaris animorum erat 
exercitatio." Dazu Mommsen C. I. L. III. p. 482. Und doch waren erst zwei 
Decennien seit der Unterwerfung verflossen. Indess ist Velleius Zeitgenosse und 
Augenzeuge, da er unter Tiberius den pannon. Krieg mitgemacht hat und die paa- 
non. Mflnzen trugen schon vor der Unterwerfung lat. Aufschriften. Vgl. Mommsen, 
Rom. Münzwesen S. 696. C. I. L. IIL p. 482 ; vgl. was ebenda p. 708 Über die 
Romanisirung von Noricum uud Raetien gesagt ist. Im Uebrigen Marquardt, Staats- 
yerw. I., 428; über die röm. Provinzen im Occident zu Caesar's Zeit, Mommsen, 
R. G. III*, 532. 

') Unter Gallienus, wo die ersten verheerenden Einfölle vorkamen, die den An- 
fang des Endes bilden sollten, flüchteten viele Bewohner, nachdem sie ihre Schätze 
vergraben hatten, also in der Hoffnung auf Wiederkehr ; die ihnen freilich so wenig 
geblüht zu haben scheint, wie jenen Besitzern der Wachsurkunden in der Zeit des 
Maroomannischen Krieges. Vgl. Mommsen im C. I. L. III. p. 161 über die Mas- 
senfunde Römischer Münzen, die aus jener Zeit stammen. — Um die Mitte 
des ö. Jahrhunderts war die Regierung noch ernstlich entschlossen, die Provinz zo 
halten, wie ein neuerlich gefundener Meilenstein aus der Zeit der Kaiser C. Trebo- 
nianns Gallus und Volusian (der Vorgänger des Gallienus) beweisen dürfte* Hirsch- 
{eld, Epigraph. Nachlese, n. 42. (Ephem. epigr. II. n. 458). 



— 107 — 

in der That, indem E. Aurelian die Ansiedlimgen über die Donau 
zurückzog und auf Mher moesischem Gebiete ein neues Daden 
einrichtete, das den Namen der alten Provinz bewahrte und die 
Colonisten au&ahzn ^). 

Aber auch für diejenigen Dacier, welche im Laufe der Zeit 
völlig zu .Bömem* nicht nur der Sprache, sondern auch der 
Bildung nach geworden waren, hatte der Boden der alten Heimat 
keinen Beiz mehr; auch sie werden nicht gezögert kaben, mit 
den Colonisten und den Truppen das nunmehr wieder .barbarisch** 
gewordene Land ihrer .barbarischen* Vorväter zu verlassen: ihr 
Vaterland war Rom geworden. 

Die Masse des dacischen Volkes aber, die nur die Lasten 
nicht auch die Vortheüe der römischen Herrschaft gefühlt hatte, 
einer Herrschaft, die sie als schätzbares Material ansah für das 
Heer und für die Finanz, das .dumme Thier von Volk,* wie 
es Skakespeare nennt, das zu aUen Zeiten nur auf materielle Li- 
teressen bedacht gewesen ist, blieb sitzen auf der Scholle, dem 
neuen Herren Zins zahlend wie Mher dem alten, aus der Bömi- 
schen Epoche seines Daseins nichts bewahrend als den Bomanischen 
Dialect, der ihm während derselben beigebracht worden war: die 
Stammväter der heutigen Bomaenen. 

^) Flayius Vopisc. Aurelian. c 89 : (Aurelianns) Dadam — snblato ezer- 
citn et proyincialibQS reliquit — abductosque ex ea popnlos in Moe- 
sia collocavit appeUayitque suam Dadam. Womit Eutrop 9. 15, Bafas im 
breyiar. 8, Jordan, de regn. succ. 5l/Malala8 12 p. 801 fast wörüidi überein- 
stimmen. Die letzterwähnte Massregel, wie auch die allgemeine Haltung des ganzen 
Berichtes gehört in die Beihe der offldellen Vertuschungsversudie, die in Born her- 
kömmlich waren. So stridi man z. B. noch später die Beamten seihst dann nicht 
aas der offidellen Liste der notitia dignit., wenn die hetrefiTende Froyinz factisch 
schon längst yerloren war: man erkannte ehen den Verlust officiell nicht aql 
Vgl. Seek im Hermes XI. 92. Auch Städte, die zerstört worden waren, führte 
man nach wie yor in den Proyindalyerzeichnissen auf , so z. B. Noyiodunum in der 
Schweiz nodi am Ende des 4. Jahrhundert; ehenso Ayenticum oder das castrum 
Baaraoense: officiell bestanden sie unyersehrt fort. Vgl. J. J. Müller, Noyon amr 
Bömerzeit. Mitth. der antiquar. Ges. in Zürich XVm. 8. S. 219 f. — So andi 
in dem Fall, der uns hier interessirt. Trotzdem Daden yerloren war, sollte es nicht 
Terloren scheinen. — Aehnliche Fictionen belichte nachher die Bömische Kirche zu 
acceptiren, die jetzt nicht weniger auf ihre Ewigkeit haut, wie seiner Zeit das Bömi- 
sche Bdch. — Bezüglich der Abführung der Bömischen Beyölkerung aus einer auf- 
gegebenen Proyinz haben wir ein Analogen für Noricum in der Erzählung der Viti^ 
Sererini c. 45 (Welser), worüber später gehandelt werden wird. 



V. Verkehr und Handel Religion und Litteratur. 

Märtyreracten und Heiligenleben als Geschichts 

quellen. 



Zum Militär- und Stadtewesen, durch welche Factoren vor 
allem das Eömertum bei uns sowol gepflanzt als auch mehr und 
mehr gefördert und verbreitet wurde, gesellte sich als drittes 
Glied im Bunde das grossartige Verkehrswesen, welches die Kö- 
mer in unseren Landschaften einrichteten, um die Centren des 
Krieges wie des Friedens einander näher zu bringen. 

Die Initiative geschah auch in diesem Punkte, wie in allen 
anderen durch das Heer und zunächst für seine Zwecke. Es war 
nothwendig, die militärischen Stützpunkte sowol unter sich, als 
auch mit dem Inneren der Landschaften, die sie zu vertheidigen 
und im Zaum zu halten hatten, in Verbindung zu setzen, um 
im Kriegsfall sich schnell genug concentriren und gegenseitig 
unterstützen, in Friedenszeiten aber die ebenso wichtige wie schwie- 
rige Zufuhr der Lebensmittel möglichst präcis und bequem be- 
werkstelligen zu können. Deshalb wurden auch alle zu diesem 
Zwecke nothwendigen Bauten von Strassen, Brücken, Tunnels u. 
s. w. durch das Militär selbst ausgeführt, das man aus Disci- 
plin stets beschäftigt wissen wollte i). 



*) Nicht umsonst lehnen sich die Soldaten bei Meutereien besonders gegen 
derlei Arbeiten auf: „duritiam operum ac proprüs nominibus incusant vaUom, fossas, 
pabuli materiae lignorum adgestas et si qua alia ex necessitate aut ad?ersus otiam 
castrorum quaeruntur.*^ Tac. Ann. 1, 85 (Aufstand der Rheinlegionen). Vgl. Ann- 



— 109 — 

In diesem Sinne wurden z. B. in Dalmatien unter der Ee- 
gierung des Tiberius von dem dortigen Legaten Dolabella eine 
Beihe von Chausseen angelegt; es geschah dies durch Detache- 
ments der in jener Provinz stationirten VII. und XI. Legion und 
wurden die Strassen gebaut von Salonae aus bis an die Grenze 
von Dalmatien und Moesien, wo die Stämme der Ditioner und 
der Daesitiater fassen; d. h. durch ganz Bosnien bis nach Ser- 
bien: vor allem zu dem Zwecke, um mittelst dieser Communi- 
cationsmittel von vorn herein jeden Aufstand io jenen gebirgigen 
Gegenden unmöglich zu machen und so die Provinz endgiltig zu 
pacificiren. 

Um dieselbe Zeit (33—34 n. Chr.) ward in Obermoesien 
durch Soldaten der IV. scythischen und der V. Macedonischen Legion 
die Strasse längs der Donau hin angelegt ^), die nachher Traian 
vor Beginn der dacischen Kriege fortsetzte und vollendete. 

üeberhaupt sehen wir auch sonst den Bau der Chausseen 
als Einleitung oder als Folge der Kriege, die in unseren Land- 
schaften geführt wurden : diejenigen Kaiser, welche hier am mei- 
sten zu kämpfen hatten, haben, wie die Meilensteine beweisen, 
auch am meisten für die Herstellung oder Erhaltung der hiesi- 
gen Strassen gethan. 

So hat Traian, erst als Kronprinz dann als Kaiser, das 
pannonische Strassennetz, das früher nur die südlicheren Gegen- 
den umspannt hatte, auch auf das innere Pannonien ausgedehnt, 
desgleichen Dacien in dasselbe sogleich nach der Eroberung 
einbezogen ; in ununterbrochener Linie erstreckte sich seitdem die 
Chauss^ vom Ehein bis an die Gestade des schwarzeii Meeres ^). 
In ähnlicher Weise giengen die Kaiser Marcus und Verus vor 
bei Gelegenheit des Marcomannischen Krieges. Septimius Seve- 
rus that dasselbe nicht blos in Pannonien, sondern namentlich 



If 20, wo Soldaten der Pannonischen Armee nach Nauportus abgeschickt sind „ob 
itinera et pontes et alios usus.*^ Den deutlichsten Begriff 7on dem Zusammenhang 
all' dieser Dinge bieten uns die Abbildungen der Traianssäule. Vgl. Fröhner's de- 
scription des reliefs in der Einleitung p. 2. 

^) Vgl. die darauf bezügliche Inschrift aus der Gegend 7or Boljetin C. I. L. 
m. 1698. 

*) Vgl. AureL Vict. Caes. 18 : „Iter conditur per ieras gentes, quo facile ab 
Qsqae Pontico man in Galliam permeatur.^' 



— 110 — 

auch in den oberen Donaulanden, in Baetien, wo man bestand^ 
gegen die Alemannen zu kämpfen hatte; ihm folgte hierin sein 
Sohn Garacalla ^). Auch die späteren Kaiser des 3. und 4. Jahr- 
hunderts: Macrinus, Elagabalus, Alexander, Maximin, Fhüippus, 
Decius, Gallus und Yolusian, Constantius und Yalerius, Lidnius, 
Constantin und seine Söhne, Julian, Yalentinian und Valens, Gra- 
tian und Andere finden wir diesem wichtigen Zweige der Ver- 
waltung die grösste Sorgfsklt zuwenden. 

Sehen wir uns die einzelnen Strassenzüge näher an^). 

Da ist vor allem zu erwähnen die grosse Heerstrasse, die 
von Gallien nach Illyricum fOhrte und in ihrem Verlaufe die ein- 
zelnen militärischen Stationen an der Donau, am «limes* des 
Beiches miteinander verband ; sie lief vom Bodensee auf Augs- 
burg, von dort über Föns Aeni (bei Bosenheim) nach Lauriacum, 
Vindobona, Camuntum, Brigetio, Aquincum, von da weiter über 
Mursa nach Sirmium. 

Nicht weniger wichtig waren die Verkehrslinien, die von 
Italien nach Illyricum führten und deren Knotenpunkt die Colo- 
nie Aquileia bildete. 

Von hier aus durchschnitt eine Chauss^ die camischen und 
norischen Alpen und führte einerseits über Julium Camicum (Zugho) 
an die obere Drau, andererseits über Virunum und Noreia nach 
Ovilava; eine zweite gieng über Emona, Celeia, Poetovio, Sava- 
ria, Scarbantia nach Camuntum an der Donau; eine dritte in 
südöstlicher Bichtung an die Eüstenplätze von Istrien und Dal- 
matien, einerseits nach Pola, andererseits nach Jader, Scardona, 
Salonae, Narona. 

Von Aquileia aus gieng auch der grosse Curs von Italien 
nach Constantinopel über Emöna, Siscia, Sirmium, Confluentes 
(Semlin) bis zum Margus (Morava), dann diesen Fluss entlang 
südlich bis Sardica (Sophia), von hier über Philippopel und Adria- 
nopel: eine Strecke in der Länge von 238 MeUen mit 84 Sta- 



^) Vgl. Hollaender, die Kriege der Alemannen mit den Boemem im 8. Jahr- 
hundert n. Chr. (Earlsrohe 1878). Kenner, Noricum und Favnonia. Mitth. d. Wiener 
Altertumsrereins XI. (1870) S. 148. 

*) Man vgl. für das Folgende H. Stephan (gegenwärtig Generalpostdirector 
des dentschen Reiches) : „Das Verkehrsleben in Altertum". Histor. Taschenbuch 1868. 
B. 8 ff. Friedlaender, Sittengeschichte Borns« II, 8 ff. 



— 111 — 

tionen ; wähi-end die Entfernung der westlichen von der östlichen 
Hauptstadt auf diesem Wege im Granzen 313 Meilen betrug. 

Ueber den Brenner führte vom Po an die Donau die grosse 
Via Claudia Augusta, die K. Claudius in den J. 46 und 47 n. Chr. 
gebaut und nach sich benannt hatte, indem er, wie seine Meilen- 
steine stolz erzählen, so das Werk seines Vaters Drusus vollendete, 
dessen Siege über die Alpenvölker hier den Weg gebahnt hatten *). 

Durch das Pusterthal zweigte sich eine Linie ab, die nach 
Aguontum führte und von da die Drau abwärts nach Teurnia, Vi- 
runum, Celeia u. s. w. 

Das waren so beiläufig die Hauptlinien. Zwischen den ein- 
zelnen bedeutenderen Orten gab es dann noch anderweitige Stras- 
senverbindungen, von denen hier nur einige erwähnt werden sollen, 
um Einsicht in das Netz zu gewinnen, welches das Land nach 
allen Seiten hin durchzog. Da war Virunum mit Emona, Teur- 
nia über den Badstätter Tauern mit luvavum verbunden; von 
Vindobona führten zwei Strassen südwärts nach Scarbantia, die 
eine davon über Aquae (Baden); von Celeia gieng eine Strasse 
nach Siscia, von Poetovio eine nach Mursa. 

In Savaria kreuzten sich die Verkehrslinien Pannoniens, indem 
von Süd nach Nord die alte Heerstrasse von Siscia nach Car- 
nuntum hier vorbeifQhrte, während zwei andere südostwärts über 
Sopianae bei Teutiburgium, nordostwärts bei Arrabona die Donau- 
strasse erreichten. Von Mogentianae am nordwestlichen Ende 
des Plattensees zweigte sich eine Strasse nach Aquincum ab. 
Von Aquincum und Alisca im östlichen Pannonien giengen durch 
die sog. Einöden der Jazygen — das Land zwischen Donau und 
Theiss, das die Bömer selbst nie occupirt haben — zwei Paral- 
lelstrassen aus, die eine nach dem nördlichen Dacien, die andere 
nach Sarmizegetusa, der Hauptstadt der Provinz, von wo aus die 
Strassen nach der Mitte des Landes und durch die südlichen 
Pässe an die Donau fahrten. 



^) »Ti. Claudius Drusi f. Caesar Aug. 6ermanicus, pontifex maximus, tribuni- 
da potestate VI, cos. IV, Imp. XI, p(ater) p(atriae), oensor, viam Glandiam Augu- 
stam, quam Drusus pater Alpibus beUo patofactis deriTavit, munit ab Altino usque 
ad flumen Danuvium. MF. CCCL/' Marini Arv, 77. Andere MeUensteine differiren 
in der Daiärung und rechnen »a flnmine Pado at flumen Danurinm MF. CCCXX.* 
cf. Wflmanns 818. 



— 112 — 

Wie die Strassen, so wurden auch die Gewässer herangezo- 
gen, um als Verkehrsmittel zu dienen. Die meisten Flüsse und 
Seen wurden befahren. Natürlich vor allem die Donau, an der 
ja auch von ßeichswegen eine Flotille stationirt war *). Die Zu- 
fuhr für die Truppen kam aus Italien, den Inn herab in die Do- 
nau. Von Lauriacum weg wurden selbst grössere Armeecorps zu 
Schiff stromabwärts befördert. Auch Privatpersonen benützten die 
Fahrgelegenheit auf der Donau, die so ein ganz bewegtes Leben 
auf ihren Wellen sich abspielen sah. 

Desgleichen wurde die Maros befahren und selbst kleinere 
Flüsse, wie z. B. die heutige Saan, in Römischer Zeit Adsalluta 
genannt, deren Schiffer eine eigene Gilde bildeten; anf dem Flusse 
Nauportus (Laibach) verfrachtete man die zu Lande aus Italien 
angelangten Waaren in die Save, von dort in die Donau. 

Auch der Boden- und der Plattensee wurden, wie es scheint 
seit ältester Zeit, mit Schiffen befahren; auf ersterem hat Tibe- 
rius den Kaetem im Eroberungskriege sogar eine kleine Seeschlacht 
geliefert. 

Es gehören aber namentlich jene grossartigen Strassenanla- 
gen so recht zur Signatur der 'Römischen Zeit in unseren Donau- 
landen. Mit der grössten Genauigkeit wurden dieselben in Evi- 
denz erhalten, die einzelnen Römischen Meilen 2) durch Säulen 
bezeichnet, und in die grosse Generalstabskarte des Reiches, die 
Agrippa geschaffen hatte, die einzelnen Stationen, die Entfernun- 
gen derselben eingetragen ^). Und diese Genauigkeit in den Orts- 
bestimmungen gieng gleichsam in das Fleisch und Blut der Be- 
wohner über; in der Litteratur, nicht nur in der officieUen, bei 
Schriftstellern wie Ammianus Marcellinus, sondern auch in den 
Heiligenlegenden und Martyreracten werden die Entfernungen der 
einzelnen Punkte stets nach der Meilenzahl verzeichnet, so dass 



•) Sie hatte in Ufernoricum S, in Pannonien 4 Stationen, gewöhnlich an der 
Mündung eines Nebenflusses in die Donau, der Enns, der Erlaf, der Tuln n. s. w. 
*) Mille Passus, Tausend Schritte oder Yg Meile. 

3) Der Gebrauch der Wegkarten und Stationenverzeichnisse muss ziemlich 
allgemein verbreitet gewesen sein. In den Bädern von ViccarcUo z. B. fand man 
neuerdings 8 Silbergefässe in Form von Meilensäulen, auf denen die vollständige 
Beiseroute von Gades nach Born mit Angabe aller Stationen und Entfernungen ein- 
gravirt war. Friedländer. A. a. 0. 12. 



— 113 — 

wir z. B. an der Hand von Eugipps , Leben Severins* für Ufer- 
noricum die Lage der einzelnen Stationen trotz der Zerrüttung 
der Itinerarien für jene Gegenden zu reconstruiren vermögen. Noch 
nach Jahrhunderten wurden diese Strassen benützt ^), lebten sie 
als jyHeidenstrassen' im Munde des Volkes, als ^^ Hochstrassen* 
oder »stratae publicae* in den Urkunden fort 2); und einer der 
grössten Kenner des modernen Weltverkehrs ^) gesteht es zu, dass 
weitaus die meisten Gebiete des alten Bömerreiches damals einen 
Verkehr entwickelten, wie sie ihn durch eine lange Reihe vonJahr- 
hunderten und theilweise (wie z. B. die islamitischen Länder) bis 
auf den heutigen Tag nicht wieder erlangt haben. Erst unsere 
Schienenstrassen halten den Vergleich aus mit den Verkehrswegen 
der Körner und übertreffen dieselben zum Theil, während sie in 
Bezug auf gerade Erreichung eines Zieles mitunter noch zurück- 
stehen: wo unsere grossen Bahnen nicht den Spuren einstiger 
Bömerwege folgen, wie dies in zahlreichen Fällen geschieht, son- 
dern eine andere Beute einhalten, gereicht ihnen das nirgends zum 
Vortheil. Das 19. Jahrhundert reiht sich in dieser Beziehung 
unmittelbar an die ersten Saecula unserer Zeitrechnung an. 

Zu der grösstmöglichsten Präcision in der Bichtung der 
Wege, zu dem Absehen von kleinlichen Localinteressen war die 
Regierung schon durch die Ausdehnung des Reiches gleichsam 
gezwungen: Bom beherrschte zur Zeit seiner grössten Ausdehnung 
ein Gebiet von 110000 Quadrat-Meilen und etwa 90 MUHonen 
Seelen. Diese wurden alle nach dinem Plane regirt, es existirte 
eine einheitliche Beichswährung, so dass man mit diesem Gelde, 
dem römischen Denar, überall, in Italien so gut wie in Spanien 



^) Z. B. auf einem Feldzage gegen die Agaren im J. 601 die Traiansstrasse 
Vom byzantinischen Feldherrn Gommentiolos, der yon derselben übrigens nur aus 
einer reralteten karte und aus Schriften £[unde gehabt zu haben scheint. Did 
Strasse war damals vergessen und seit 90 Jahren nicht mehr betreten (6it8tyoK Y^p 
T7JV xptßov Towxfjv [XrfojjievYiv Tpatavoö] aSte^oSeütov &irö Ixm SwsvYjxovta. Theo- 
phylact p. 820), ein 112 jähriger Greis musste die Truppen führen. Vgl. Roesler, die 
Ansiedlung der Slaven an der unteren Donau S. 8 6 f. — Die Traiansbrücke (4} toü 
ßaai)i(u^ Tpaiavoü yecpopa) nennt noch Gonstant. Porphyr, im 10. Jahrhundert als 
an der Qrenzmark des Reiches gelegen: de admin. imper. c. 40. p. 178 Bonn. 

*) Vgl. die diesbezügliche Zusammenstellung für Noricum bei AI. Huber, Ein- 
führung und Ausbreitung des Christentums im südOstL Deutschland ni. 1 ff. 

^ H. Stephan, a. a. 0. S. 120. 
Jong) die Donaa-ProTÜuen. 



— 114 — 

oder Syrien Zahlung leisten konnte ^) ; Hindernisse einzelner Theile 
gegen andere, Sperrung der Wasserstrassen, Verweigerung des 
Anschlusses der Verkehrswege, law's of navigation und dgL Chi- 
cane, die in neueren und neuesten Zeiten den Handel und Wan- 
del in Europa störten und stören, gab es nicht: das Komische 
Beich bildete für sich, da die Binnenzölle, wie die von lUyricum 
und Gallien, doch im Ganzen wenig in Betracht kamen, das 
grösste Freihandelsgebiet, das je existirt hat 2). 

Es ist dabei namentlich hervorzuheben, dass die Donau da- 
mals ^inem Herrn gehörte, wie das weder früher noch später 
je wieder der Fall gewesen ist: das ungeheui-e Absatzgebiet des 
Orients, auf das die Donauländer vor allem angewiesen sind, stand 
dem Verkehr ungehindert offen ^), 

Nun ist freilich wol zu beachten, dass die Strassen und Ver- 
kehrsanstalten von der Kömischen Kegierung nur in so weit an- 
gelegt und gefördert wurden, als es für ihre eigenen, militärischen 
und administrativen Zwecke eben nothwendig war: also zur Be- 
förderung der Depeschen durch ihre Couriere, oder von amtlichen 
Personen auf Eilwagen, oder von Transporten des Kriegsmaterials. 
Eigene Gesetze regelten die Leistungen der Anwohner der Stras- 
sen in Bezug auf Lieferungs- und Spanndienste, zu denen sie 
verpflichtet waren: eine der drückendsten Lasten, die es im 
Keiche überhaupt gab. Für den Frivatverkehr existirten derlei öf- 
fentliche Anstalten nicht ; er n^usste sich vielmehr Jeder selbst zu 
helfen suchen. Und das geschah denn auch. 

An jene öffentlichen Einrichtungen schlössen sich alsbald 
private Unternehmungen an; zur Beförderung von Personen und 
Gütern bildeten sich Innungen und Gilden von Fuhrleuten; an 
den einzelnen Poststationen, wo Pferde gewechselt wurden, den 
sog. „mutationes," wie an jenen, die zum Uebemachten bestimmt 



*) Nur in Aegypten rechnete man nach Drachmen, ausserdem bestanden in den 
östlichen Reichstheilen Provinzialmünzen und Localscheidemünzen neben der allgemein 
giltigen Reichswährung fort. Mommsen, Rom. Mimzwesen 729 — 31. 

*) Vgl. Rodbertus in Hildebrands Jahrbüchern f. Nationaloec. v. S. 263. Fried- 
laender II. 56. 

*) Vgl. in dieser Beziehung E. Bontoux, Die Donau. Eine geschichtliche 
handelspolitische Studie. Oesterr. Revue 1866. VIII. 101 ff. 



— 115 — 

waren, den „mansiones/ halfen Fosthalter und|Wirthe aus, deren 
Geschäft so sehr emporkam *). 1 

Diese Gelegenheit wurde dann von den ^Reisenden benützt, 
namentlich von den Handelsleuten, die damals viel mehr als heut 
zu Tage auf den persönlichen Verkehr mit einander angewiesen 
waren; wie das im Mittelalter nicht anders gewesen ist: man 
wollte eben, ehe man in directe Handelsbeziehungen trat, doch 
sich von der Conjunctur fremder Märkte unterrichten und die 
Beallität der Geschäftsleute selbst prüfen. 

In grossen Handelsstädten, wie z. B. in Aquiloia, dem Em- 
porium Hlyricums an der italischen Grenze, wimmelte es in 
dieser Beziehung von Menschen aus aUen Himmelsgegenden und 
von Agenten aller Art^). 

In den Städten und mitunter auch auf dem Lande waren 
für die stattfindenden Märkte Vorkehrungen getroffen. Die Markt- 
gerechtigkeit verlieh in den Senatsprovinzen der Senat, in den 
kaiserlichen der Kaiser; häufig vergab man dieselbe auch an einen 
der grossen Grundbesitzer, auf dessem Gebiete der Marktplatz 
lag. Bei Verleihung einer solchen Gerechtigkeit wurden zudem 
mannigfaltige Bücksichten genommen. 

Als z. B. die Ortschaft Aquae Jasae in Oberpannonien ein- 
mal durch eine Feuerbrunst zerstört wurde, hat Kaiser Con- 
stantin dieselbe wieder hergestellt, wie sie früher gewesen war, 
und verlieh derselben, um ihr dadurch wieder aufzuhelfen, die 
Marktgerechtigkeit fui jeden Sonntag im Jahre ^). 

Urkunden dafür wurden in aller Form ausgestellt '*). In den 
grösseren Städten fehlte es nirgends an Magazinen und Bazaren, 
an Hallen und Läden, in welchen eben der Handel vor sich 
gieng. Wir hören, dass ein ßathsherr von Mursa (Esseg), aus 



^) Vgl. Friedlaender, Sittengeschichte Roms IL 84 ff. 

') Aaf Inschriften findet man diese Leute nach ihren Handelsgebieten bezeich- 
net: in Aquileia gerade erscheint ein M. Secundas Genialis Cl(audia) Agnp(pina) 
negotiator Daciscus. (Wilmanns 2496). D. h. er handelte yon dort nach 
Baden und umgekehrt. Friedlaender a. a. 0. 82. 

^ »Aquas Jasas olim yi [ijgnis consnmptas com porticibus et omnibus oma- 

mentis ad pristinam faciem restituit, provisione etiam pietatis snae nundinas die 

solis perpeti anno constituit.* C. I. L. III. 4121. Aus Warasdin in Oberpannonien. 

*) Vgl. darüber ausführlich G. Wilmanns in der Ephem. epigr. II, 271—284. 

8* 



— 116 — 

Freude darüber, dass man ihn zum Priester der Stadt gewählt 
hatte, 50 Tabemen mit doppelten Säulenhallen auf seine Kosten 
hergestellt habe *). 

Es gab aber solche Hallen ohne Zweifel überall, wo sich 
römisches Städtewesen entwickelt hatte, und auch an Bürgern, 
die mit eigenen Gelde für das gemeine Wohl thätig waren, hat 
es, wie wir wissen, nie gemangelt. 

Sollten wir eine einzelne Stadt besonders hervorheben, so 
wäre vor allem wol Augusta Vindelicorum zu nennen, das schon 
im ersten Jahrhundert als , Markt" der Römer und Germanen 
emporgekommen und endlich zur Stadt erwachsen war 2). Hier, wo 
die Strassen von Süd nach Nord, von West nach Ost sich kreuz- 
ten, concentrirte sich alsbald ein sehr bedeutender Verkehr. Lebhaft 
erblühte der Handel mit Linnen und Kleiderstoffen, die Purpur- 
j^rberei gieng damit Hand in Hand. Kaufleute aus den grossen 
Emporien Galliens, aus Lyon, Trier, aus der Stadt der Bituriger 
hatten hier ihre Niederlassungen und Factoreien ; Italiker nahmen 
zu ähnlichen Zwecken ihren Aufenthalt in Baetien, während ande- 
rerseits Baetische Bürger in Pannonischen Städten sich nieder- 
Hessen. 

Ein lebhafter Export aus Gallien wurde namentlich mit dem 
Lyoner Geschirr getrieben. Von Lugdunum aus wurden sämmt- 
liche Landschaften nördlich der Pyrenäen und nördlich der Alpen 
mit ihrem Bedarf versehen: in London, in Paris, in Pest findet 
sich dieses gallische Geschirr, überall mit dem gleichen Fabriks- 
stempel gezeichnet 

Wir sehen auch, wie Kaufleute aus den entlegensten Ge- 
genden in den* illyrischen Provinzen sich einfanden: einem afri- 
kanischen Handelsmann setzt seine Frau zu Celeia einen Denk- 
stein. Dakische Händler begegnen uns in Salonae, in Aquileia, 
im Orient (z. B. auf Samothrake), darunter Eathsherren aus Po- 
taissa und Sarmizegetusa. Dann sind namentlich auch die Syrer 
EU erwähnen, die in allen grösseren Städten anzutreffen waren und 
dort einen ebenso zahlreichen wie einflussreichen Theil der Be- 



*) G. I. L. III. 8288 : »ob honorem flaminatas tabernas quinquaginta cum | 

porticibas duplidbus in quibus mercatas ageretor, pecunia sua fecit.* 
«) Näheres im C. I. L. III. p. 711. 



— 117 — 

völkerung bildeten ^) : wir finden solche in Siebenbürgen, zu Sa- 
lonae in Dalmatien, zu Sirmium in Pannonien erwähnt. 

Der Export aus unseren Provinzen bestand vor allem in 
deren Rohproducten, in einzelnen Fällen auch in deren Verarbei- 
tungen. Pannonien führte über Aquileia Vieh und Häute nach 
Italien aus, wofür es Oel und Wein wieder bekam. Aus Noricum 
kam Eisen nnd Gold, aus Dacien Gold und Salz in den Verkehr. 
Femer bezog man aus Noricum sehr geschätzte Mäntel. In Pan- 
nonien und Dalmatien fanden sich grosse Tuchfabriken und zahl- 
reiche Purpurförbereien in Seide und Wolle. Bedeutend war beson- 
ders die Eisenindustrie; die kunstvollen Rüstungen, die von den 
norischen Waffenschmieden herrührten, waren berühmt. Der Stapel- 
platz hiefür war gleichfalls Aquileia, wo schon in frühester Zeit die 
Eisenarbeiter in eine Zunft sich zusammengethan hatten, die den 
keltischen Gott Belenus als Schutzpatron verehrte. 

Andererseits war das Militär angewiesen, seinen Bedarf an 
Schilden, Waffen, Lederzeug u. s. w. selbst zu beschaffen, zu 
welchem Behufe in den bedeutendsten Garnisonsorten eigene Staats- 
fabriken eingerichtet waren; wie es denn überhaupt zur Charakte- 
ristik des volkswirtschaftlichen Standpunktes namentlich der spä- 
teren, byzantinischen Epoche der Römischen Kaiserzeit gehört, 
dass eine Menge von Unternehmungen der Privatindustrie ent- 
zogen waren und von Regierungswegen betrieben wurden, grössten- 
theils noch dazu durch Staatsgefangene oder verurtheile Verbrecher. 
Auch sonst ward viel reglementirt ; Diocletian suchte Theuerungen 
abzuhelfen durch sein berühmtes Preissedict vom J. 301, worin 
das Maximum der Preisse für die einzelnen Waaren festgestellt 
war ; eine Massregel, die so viel, oder besser so wenig, half, wie 
andere dieser Art. 

Schliesslich noch ein Wort über den auswärtigen Handel, 
der ebenfalls in eigentümlicher Weise regulirt war. 

Wie schon in vorrömischer Zeit, so gieng auch fernerhin der 
Transit der nordischen Waaren nach Italien wie nach dem Orient 
zum grössten Theile durch die Landschaften an der Donau: einer- 
seits nach Tergeste (Triest) am adriatischen Meer, andererseits 

^) Vgl. Salvian, de gub. IV. 14 (p* 82 Baluze) : Nam ut de alio hominam 
genere non dicam, consideremas solas negotiatiorum et Siricorum hominnm trubas, 
qnae majorem ferme cintatum uniycrsarum partem occnpaTerunt .... 



— 118 — 

die Donau hinab in den ^gastfreundlichen* Pontus. Camuntum 
war der Marktplatz für den nordischen Bemsteinhandel. Dann 
wanderten namentlich auch kostbare Pelzwerke durch die Gebiete 
der zahlreichen Völkerschaften im Inneren Deutschlands von Schwe- 
den bis herab an den »limes,* von wo sie nach allen Eichtun- 
gen hin weiter versendet wurden. Dafür bezogen die Barbaren, 
wie einst von den Etruskem, so jetzt von den Römern Hausgeräth 
und Schmuckwaaren u. dgl. m. Ihnen auch rohes oder- verarbei- 
tetes Eisen, besonders Waffen, ferner Oel, Getreide, Salz und Gold 
zu liefern war verboten; überhaupt der ganze Handel mit ihnen 
durch eine Eeihe von Prohibitivmassregeln eingeengt. Den Ger- 
manen war der Eintritt auf den Boden des Reichs nur an ge- 
wissen Orten gestattet. 

Sie durften die Grenze nur überschreiten bei Tage, nach 
Ablieferung der Waffen und unter militärischer Escorte, die sie 
bezahlen mussten. Mitunter wurde auch gar Niemand über die 
Grenze gelassen, es sei denn, dass er Depeschen an den Kaiser 
zu überbringen hatte. Mit dieser Tendenz, das Reich gleichsam 
durch eine chinesische Mauer — denn das war ja unter diesen 
Umständen eigentlich der „limes* — von der Aussenwelt abzu- 
schliessen, es als ein Individuum hinzustellen, das sich selbst 
genügte, stimmen verschiedene andere Massregeln überein, die 
uns überliefert sind. K. Marcus legte den nördlich der Donau 
wohnenden Stämmen der Quaden, Marcomannen, Jazygen und 
Burier in den Friedensbedingungen auf, dass sie mehrere Mei- 
len des Landes nördlich der Grenze unbewohnt und wüst lassen, 
auf der Donau selbst aber keine Schiffe halten sollten, während 
die römische Plotille die Wassercommunication controUirte *). 

Der Waarenverkehr wurde in J. 174 n. Chr. den Quaden 
überhaupt untersagt. Den Marcomannen wurden Orte und Tage 
dazu bestimmt und nachmals, im J. 180, die Abhaltung von Märk- 



*) Vgl. Marquardt, Staatsverw. I, 420 ff. nach einem diesbezüglichen Auf- 
satz von C. F. Samwer. Aehnliche Massregeln hat man auch im Mittelalter er- 
griffen: Karl d. Gr. verbot den Verkehr mit den > Barbaren;* die Slftven mussten auf 
seine Märkte kommen nach Bardewiek, Magdeburg und Erfurt. So sollten die Beichs- 
feinde isolirt bleiben. Später haben die Päpste, gleichfalls Erben des Römischen 
Weltreiches, während der Kreuzzüge Handelsverbote gegen die Saraoenen erlassen. 



— 119 — 

ten unter Aufsicht eines Römischen Centurio, also ohne Zweifel 
ein Handel mit Bömem, zugestanden ^). 

Und Tacitus bezeichnet es als eine Ausnahme, die man mit 
den Hermunduren als guten Freunden des Eeiches machte, in- 
dem man ihnen gestattete des Handels wegen nicht nur über die 
Grenze sondern sogar bis nach Augsburg zu kommen, um hier 
Handel zu treiben 2). 

In späteren Zeiten, wo die Germanen immer stärker auf 
den „limes" drükten, wo ihre Plünderzüge häufig durch Noth, 
häufiger noch durch die Begier nach etwelchem Comf ort. hervor- 
gerufen wurden, musste man freilich in dieser Beziehung etwas 
laxer werden, gleichsam dem drohenden Sturm ein Ventil öfi&ien, 
durch das er sich entladen und so unschädlich gemacht werden 
könnte ; man schloss nunmehr Handelsverträge mit den Barbaren 
ab, die denselben allerlei Vortheile sicherten ; so z. B. Aurelian mit 
den Gothen bei der Aufgabe von Dacien; den Vandalen gestat- 
tete derselbe Kaiser nicht nur auf den Märkten in den Donau- 
städten zu erscheinen, sondern auch auf der Donau selbst Handel 
zu treiben. Nachher mit Attila ward ein ähnlicher Vertrag ge- 
schlossen: die Märkte sollten nicht mehr am Ufer des Grenz- 
flusses, sondern zu Naissus, 5 Tagereisen von der Donau, abgehalten 
werden : beide Theile, Hunnen wie Römer, sollten dabei Sicherung 
gemessen und gleichberechtigt Handel treiben dürfen. 

Bald nachher mussten die Romanen der sich selbst über- 
lassenen Donauprovinzen froh sein, wenn die verschiedenen Stämme 
der Germanen ihrerseits nicht darauf verzichteten, in friedlichem 
Verkehr die Waaren auszutauschen, da es ihnen doch möglich 
war, die Wehrlosen ihrer Habe einfach zu berauben. So hatten 
die Zeiten sich geändert. 

Trotz dieser Hindemisse entwickelte sich gleichwol von An- 
fang an zwischen Römern und Germanen ein nicht unbedeuten- 
der Handelsverkehr; das internationale Element, das nun einmal 
im Kaufmannsleben sich geltend macht, das Absehen von Reli- 
gion und Nationalität aus Liebe zu den materiellen Interessen 



') Man Tgl. die Inschriften »Genio commercii* an der Donau. Z. B. n. 8617. 
Einer der dortigen burgi war gerade auch des Handels wegen erbaut und deshalb 
»eonmiercium* genannt, n. 3653. 

*) Vgl. Tac. Germania, c. 42. 



— 120 — 

hat sich eben zu keiner Zeit verläugnet. Schon am königlichen 
Hofe Marbods liessen sich Händler und Eaufleute nieder und blie- 
ben dort, trotzdem Born und Marbod sich bald darauf als erbit- 
terte Feinde gegenüberstanden *). 

Und in den späteren Zeiten, wie wir noch sehen werden, war 
es nicht anders 2). Zur Verschmelzung der Nationalitäten im 
Innern wie zur Milderung der Gegensätze nach Aussen hat der 
„Genius des Handels" mächtig beigetragen. 

In dieser Hinsicht müssen wir nun aber unser Augenmerk 
noch auf eine andere Thatsache lenken, die dasselbe Resultat 
förderte: ich meine die Mischung der einzelnen Beligionen des 
Reiches und die Ausbildung einer einheitlichen Staatsreligion, die 
das zur Folge hatte. 

Rom war in religiöser Beziehung seit alten Zeiten von mu- 
sterhafter Toleranz gewesen ; weit entfernt den unterworfenen Völ- 
kern seine Religion aufzudrängen, hatte es vielmehr deren Götter 
adoptirt und in sein „Pantheon" übertragen. Raetische, keltische, 
illyrische, thrakische, römische, syrische Gottheiten standen so 
gleichberechtigt nebeneinander; nur die eifersüchtigen und exdu- 
siven Religionen durfte man nicht aufkommen lassen, wenn man 
Frieden im Reiche haben wollte. 

AUmählig gewöhnte man die Unterworfenen daran, ihre na- 
tionalen Götter unter römischen Namen zu verehren, oder auch 
dieselben durch ein römisches Attribut zu kennzeichnen. 

So verehrten z. B. die Phoeniker ihren Gott Bei in römi- 
scher Zeit alsbald als Satumus; desgleichen die Raeter ihren 
Saatengott unbekannten Namens; daneben erscheint freilich noch 
mit der alten Benennung ihr Gott Cuslanus; der lupiter Felven- 
nis vereinigt bereits römische und raetische Begriffe; ein Iham- 
nagalle Sqnnagalle, der auf einer Inschrift vorkommt, ist völlig 

^) Vgl. Tac. Ann. n, 62. lieber die Römischen Fände in den norddanabischen 
Gegenden vgl. Friedlaender II. 68. In Siebenbürgen finden sich gl^eh£alls Römi- 
sche Münzen ans dem 4., 5., 6. Jahrhundert. G. I. L. III. p. 161. Dabei ist es 
bemerkenswerth, dass die freien Deutschen Silber dem Golde Torzogen und nament- 
lich seit Nero die Münze verschlechtert hatte, Zahlungen am liebsten in den ani^- 
zahnten Denaren der Bepublik annahmen. Mommsen, Rom. Münzwesen. 771. 

*) Auch hierin bietet die Geschichte des Mittelalters Analogien. Wie am 
Hofe Marbods Römer, so haben damals an den Höfen der Ungarn, Böhmen n. s. w. 
Deutsche sich eingefondeni die alsbald grossen Üinfluss gewannen. 



— 121 — 

raihselliafi;; desgleichen Priestertümer, wie das des „manisnavius^S 
des „pontifex sacrorum Baeticorum/^ die sonst nirgends sich 
finden. *). 

Aehnlich verehrten die Kelten ihren Gott Belenus als Apoll, 
ihren Bid als lupiter Bedains, die Daker ihren „deus Sarmandus^' 
und ihre ,.Sula" oder „Söl " Die zahlreich eingewanderten Syrer, 
die Colonisten in Dacien, die Kaufleute, die Soldaten, identifidr- 
ten ihre Hauptgottheiten von Emesa, Doliche, Tavia mit lupiter ; 
der lupiter Dolichenus ward in unseren Landschaften viel verehrt 
und es sind noch zahlreiche und herrliche Denkmale erhalten, die 
auf seinen Gült sich beziehen: ein Stier, auf seinem Bücken ein 
römischer Mann, oft auch der Adler, das Attribut lupiters und 
der römischen Legionen ^). Dann ward namentlich auch der Gott 
Mithras verehrt, dem im 3. Jahrhundert eine bedeutende Anzahl 
von Denkmälern und Heiligtümern errichtet worden sind, die noch 
am Anfang des 4. Saeculums von Statthaltern und Kaisem sehr 
respectirt wurden. 

Zahlreiche Brüderschaften und eigene Priester dienten dem 
Mithras ^). Beliebt war nicht minder der Isiscult, der bis in die 
entlegensten Berggegenden drang ^) ; femer Gott Aesculap, an den 
sich seit der Zeit der Antonine der Wunderglaube vorzüglich 
anschloss, er war unter anderem Stadtpatron von Apulum ; in sei- 
ner stolzen Zurückgezogenheit zu Salonae hat Diocletian ihm 
allein neben lupiter einen Platz gegönni Dafür war aber auch 
den Christen keine Gottheit verhasster als er^). Femer hatte 



^) Vgl. Mommsen im C. I. L. V. p. 890 füber die raetischen Gnlte im pagras 
Arnsnatium (Val PoUoeUa), die hier bis tief in die Kaiserzeit hinein sich erhielten. 
»Ueber den Satumusdienst in den Tridentiner Alpen* hat GioTaneUi gehandelt in 
der „Zeitschrift f. Tirol und Vorarlberg** lY (1828). Diese raetischen Culte werden 
wol auch nordwärts der italischen Grenze in Uebnng gewesen sein. Satornasin- 
schriften sind sonst yerhältnissmässig selten und weisen immer auf einen epichori- 
schen Cult hin. Mommsen, Hermes IV. 100. 

*) Vgl. Seidl, Aber den Dolichenuscult. Sitzungsber. der W. Akad. XII. 4 £f. 

3) Vgl. C. I. L. III. Index, p. 1164. 

*) Vgl. die Acten der 8 Nonsberger Märtyrer. Dort heisst Anannia, das 
Thal der Anauner : priratis religiosa portentis, numerosa daemonibuB, biformis Ann- 
bibns, idolis multiformis semihominibns, qaod est legis irrisoribns; pleQa Xsidis 
amentiä, Serapis fuga .... Acta SS. XXIX Mai. p. 44. 

^) Vgl. die sog. Fassio IV. coronatorum. 



— 122 — 

Sol, der Sonnengott, zahlreiche und mächtige Verehrer; gegen das 
Ende des 3. Jahrhunderts ward er sogar zum Hauptgott des 
Beiches erhoben, u. z. von Aurelian, dessen Mutter in Sirmium 
Priesterin des Sol gewesen war. Ihr Sohn baute ihm zu Born 
auf dem Quirinal einen prächtigen Tempel ; noch unter Diocletian 
ward officiell vom Kaiser, von den Beamten und Knechten „beim 
grossen Gotte Sol" geschworen. Gewannen so in weiteren Krei- 
sen mehr und mehr die orientalischen Gülte an Boden, so blie- 
ben andere Girkel conservativer ; es hielten die Bauern an den 
alten Göttern zäher fest, theilweise auch die Soldaten. In den 
Lagern an der Donau und in Siebenbürgen hat der Cult dar alten 
capitolinischen Gottheiten, lupiters, des Grössten und Besten, lunos, 
der Königin, jener der Minerva, endlich der des Mars noch zu einer 
Zeit geblüht, #o in Bom und den anderen Grossstädten des 
Beiches die Staatstheologie sich längst von der alten nationalen 
Grundlage losgelöst hatte. — Auch sonst blühte hier manigfache 
Superstition in den noch unverdorbenen, von keinerlei Skepsis 
angekränkelten Gemütern ^). 

Indess dies hielt den Gang der Dinge nicht weiter auf. Man 
weiss, wie aus dem Polytheismus nach und nach die Einheits- 
Idee der Gottheit sich entwickelte, wie man abstrahirte von den 
Werken der Menschenhände und einen „unsichtbaren Gott** an- 
nahm, „ der Himmel und Erde gemacht hat ; '^ man kennt femer den 
Einfluss, den die heiligen Schriften der Juden, der getauften wie 
der ungetauften, ausübten ; wie die Alexandrinischen Kirchenväter, 
ein Clemens, ein Origenes, unter den Antoninen die Anschauungen 
der Philosophen des Altertums damit in Einklang brachten ; wie mit 
diesen theoretischen Erörterungen, welche zunächst die oberen Klas- 
sen der GesellschafFt afficirten, die sociale Nothlage der unteren 
Bevölkerungsschichten sich verband und so der neuen Weltanschauung 



*) Merkwürdig ist in dieser Hinsicht eine neuerlich aufgefundene dacische In- 
schrift; sie nennt 2 Männer, welche po(ntem?) Lydi drcumstantes viderunt numen 
aqnilae descidi8(s)e monte supra dracones tres. Valida y(i)pera supstrinxit aqnilam. 
Hi 8(uprs) s(cripti) aquila(m) de periculo liberaverunt/* Ein Gelübde erfüllend setzten 
sie den Denkstein. Man erinnere sich, dass der Adler, das heilige Thier der Le- 
gionen war, der Drache als Feldzeichen der Dakar diente ; wenngleich es fraglich ist, 
oh dieser Umstand hier in Betracht kommt. Eirschfeld, Epigraph. Nachlese n. 19* 
(Ephem, epigr. n. n. 897). 



— 123 — 

aucli practisch Eingang verschaffte. Lange Zeit standen sich der 
alte und der neue Glaube noch gegenüber ; mancherlei üebergftnge 
fanden statt : derlei Dinge pflegen sich überhaupt nicht an einem 
Tage zu machen. Die Inschriften geben uns darüber Aufschluss. 
Wenn Jemand in blühender -Jugend plötzlich durch den Tod 
dahingerafft wurde, so herrschte im Altertum der Glaube, dass es 
dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen sein möchte, dass 
heimliche Gewalt oder irgend ein verborgerner Zauber an dem 
Todfalle Schuld trage. Man ermangelte nicht diesem Glauben 
auch auf den Grabsteinen durch Bild und Schrift Ausdruck zu 
geben, indem man zugleich den allsehenden Sonnengott anrief, 
an den Uebelthätern, die das unschuldige Blut vergossen, 'Ver- 
geltung zu üben. 

Der Glaube herrschte auch unter den Christen, auf den In- 
schriften aber substituirten diese dem heidnischen Sol ihren 
„höchsten, allsehenden Gott," der mit seinen Engeln gegen die 
aUfölligen Mörder oder Giftmischer als Eächer angerufen wurde; 
in der Verwünschungsformel ist die Sprache des alten Testamentes 
nachgeahmt ^). 

Auf anderen Inschriften wieder findet sich in ähnlicher Weise 
wol die alte Formel D(is) m(anibus) s(acrum) aufgeführt, dane- 
ben aber auch bereits die neue „signo Christi" 2); also das Zei- 
chen des Kreuzes, mit dem die Christen bei jedem Anlasse sich 
segneten. Man ist sich eben nicht immer in schroffem Gegensatz 
gegenübergestanden, trotz zeitweiliger Verfolgungen. Noch am 
Ausgange des 3. Jahrhunderts finden wir christliche Arbeiter, 
die heidnische Götterbilder verfertigen. 

Es ist bekannt, dass in Bom selbst, unter den Augen der 
kaiserlichen Polizei die Christen eben eines jener Collegien bil- 
deten, deren Organisation wir früher kennen gelernt haben; mit 
gemeinsamem Cult, gemeinsamer Casse zur Unterstützung hilfs- 
bedürftiger Mitglieder, gemeinsamer Grabstatte in den Kata- 
comben. 



*) So auf einer Inschrift unbekannten Fundortes, j. im Museum zu Bukarest, 
die, wie der Heransgeber urteilt, schwerlich jünger ist, als das 2. Jahrhundert nach 
Chr. — Hirschfeld, Epigraph. Nachlese, n. 59. 

*) Ephem. epigr. U. n. 1047 (aus Larissa in Thessalien). 



— 124 — 

Wie ia heidnisch-römischer Zeit der Gräbercult florirt hatte, 
so dass das Stadium der Sepulcralinschriften gegenwärtig einen 
eigenen Zweig der epigraphischen Disciplin bildet, der uns ein 
lebendiges und farbenreiches Bild römischen Lebens imd Treibens 
yor Augen führt, so dauerte dies auch unter den Christen fort: 
aus dem Gräbercultus ist unser ganzes Eirchenwesen hervorge- 
gangen. An die Oertlichkeiten, wo diejenigen beigesetzt waren, 
welche in den Verfolgungen ihr Leben verloren hatten, knüpfte 
die Erinnerung und die Verehrung an und sie im Gedächtnis zu 
behalten, entwickelte sich ein eigener Zweig der Litteratur, bestehend 
in Martyrerverzeichnissen mit Angabe des Todestags, Berichten 
über das Martyrium selbst, die meist sogleich nach dem Ereignis 
abgefasst waren und als internationale Litteratur allen Sturm der 
folgenden Zeiten überdauert haben; die einzigen localen Tradi- 
tionen, die wir aus jener Epoche noch besitzen. 

Und wie man in Bom vor allem an den Katakomben die 
Entwicklung des Christentums aus dem Heidentum heraus ver- 
folgen kann, so sehen wir andererseits auch in dieser Beziehung 
die Provinzen mit der Hauptstadt gleichen Schritt halten. Zu 
Sopianae in Fannonien sind Grabkammern aus der Mitte des 4. 
Jahrhunderts zum Vorschein gekommen, deren Malereien auf das 
vollkommenste denen der Römischen Grabstätten ähnlich sehen. 
Dem entspricht auch der Gegenstand der Gemälde; sie stellen 
die Weisen aus dem Morgenlande dar, Maria mit dem IQnde, 
S. Peter und Paul u. s. w.; dort, wo sich jetzt die Kathedrale 
von Fünfkirchen erhebt, war einst ohne Zweifel die altchristliche 
Begräbnisstätte der Kirche von Sopianae gelegen ^). 

Mit diesem Besultate stimmt auch die Betrachtung eines 
Glasgefässes aus der Gegend von Doclea in Dalmatien (heute 
Podgoritza in der Herzegowina) und seiner Gemälde, die durch 
Umschriften erklärt sind, überein: man sieht da abgebildet das 
Opfer des Abraham, Jonas, Adam und Eva, die 3 Jünglinge im 
Feuerofen, Lazarus, Daniel, Susanna, Moses am Felsen mit dem 



*) Vgl. de Boss! im Bullettino dl archeologia christiana. 1874. fasc. 4. p. 150 
if. mit Beziehung auf Koller, Prolegomena in historiam episcopatus Qainqne-ecde- 
siarom. 1804. nnd Henszlmann, Bd. XVIII der Mittheilongen der Gentralkommission 
für Erhaltung der Baudenkmale. 



— 125 — 

Stabe das Wasser hervorrufend, als Vorbild des Petrus, der die 
geistlichen Quellen des Glaubens und des ewigen Lebens öffnete 
wie die Umschrift erklärt; gleich den Kömischen Monumenten, 
die ähnliche Symbole uns darstellen ^). 

Es vollzog sich in derselben gerauschlosen Weise auch die 
kirchliche Organisation. In allen grösseren Städten hatten Bi- 
schöfe ihren Sitz : ^in Sirmium, Siscia, Salonae, Poetovio, Teumia, 
Lauriacum, Augusta Vindelicorum, Chur u. s. w. Sirmium, Aqui- 
leia, Mailand waren, der politischen Eintheilung des fieiches ent- 
sprechend, die Metropolen, welchen diese Kirchen unterstanden. 
Auch gab es Bischöfe ohne festen Sitz für ein einzelnes Land, 
wie z. B. für Eaetien, oder auch für ein Volk, das mit dem 
Beiche im Föderatverhältnisse stand und ebenfalls des Städte- 
wesens entbehrte; wie bei den Gothen. Der Klerus ward bald 
sehr zahlreich und gliederte sich nach unten hin in Priester, 
Diaconen u. s. w. bis hinab zum Messmer. Alsbald kam auch 
das Mönchswesen in Flor, wie es in Aegypten sich entwickelt 
hatte : noch immer lag der Schwerpunkt der Komischen Welt im 
griechisch-orientalischen Theile derselben, während der Westen 
sich ihm gegenüber receptiv verhielt. 

Von dorther kam auch Severin und die 3 Kleriker, welche 
die Anauner bekehren wollten^). Die Klöster aber, die so ent- 
standen, waren Haufen unscheinbarer Hütten, in deren Mitte eine 
kleine Kirche sich erhob, daneben der Glockenturm, der in Zeiten 
der Gefahr auch als Zufluchtsstätte benützt werden konnte. 

Die Aebte verwalteten häufig zugleich das bischöfliche Amt ^), 
wie das nachher auch in Irland gehalten wurde, dessen diesbe- 



^) Früher kannte man in den Provinzen nur 2 unterirdische Grabkammem 
nach Art der römischen und mit Malereien, nemlich zu Bheims in Frankreich. Rossi, 
Roma Botteranea. I. 100. Jetzt ist der Beweis für deren Existenz auch in Ulyri- 
cam g^etiefert: eine der wichtigsten Thatsachen, welche die christliche Archaeolog^e 
in neuester Zeit festgesteUt hat. 

') Graed natione, cives Cappadoces nennen sie die Acten. Den jüngsten Ale- 
xander last 6. Vigilius Yon Trident in seinem Schreiben an Johannes Chrysostomus 
mit einem Wortspiel aus Alexandria nach Anagnia kommen. Acta Sanctor. Mai 
XXIX. p. 40. 44. Bezüglich Severins ygl. Eugipps prolog. 

*) Vgl. z. B. Eugipp. V. Sey. c. 41 : Lucillus presbyter abbatis sui, s. Va- 
lentlni, tUtetiarum sc. quondam episcopi. Doch könnte »abbas,* d. h. Vater ?iel* 
leicht auch als blosse Ehrenbezeichnung aufgefasst werden. 



— 126 — 

zügliche Entwicklung viele und merkwürdige Analogien zu der 
in den westlichen Donaulandschaften, Noricum und Raetien, bildet. 

Aber auch nachdem so das Christentum an die Stelle der 
alten Gonfessionen getreten und officiell recipirt war, lebte daneben 
das Heidentum unter der Minorität der Bevölkerung fort, in den 
Städten, auf dem Lande, in den höchsten und den niedersten 
Kreisen der Gesellschaft, wenn auch hier wie dort in anderer 
Weise. 

Am zähesten waren noch immer die Bauern, die sich ihren 
angestammten Glauben nicht wollten nehmen lassen und in ab- 
gelegenen Thälem wol noch ein Jahrhundert hindurch ihre alten 
Gülte beibehielten, auch von einer Bekehrung gar nichts wissen 
wollten. So kamen im J. 397 im Nonsberg einige Kleriker 
ums Leben, welche dort gegen den Götzendienst eiferten. Wenige 
Jahre nachher wurde sogar Bischof Vigilius von Trident aus ähn- 
lichem Grunde erschlagen. Ereignisse, die dann die Aufmerksam- 
keit der Begierung erregten und eben der Anlass zur Christiani- 
sirung jener Thäler wurden. Die Bischöfe befarworteten damals, 
man solle die Thäter nicht mit dem Tode bestrafen, aber den 
Leuten energisch die neue Lehre aufoctroiren ; wenige Jahre nachher 
beruft; sich Augustinus von Hippo auf diesen Fraecedenzfall, als 
in Africa ähnliches geschehen war und bemerkt, dass diese Po- 
litik bei den Anaunem die besten Früchte getragen habe ^). 

In Trident selbst eiferte zur selben Zeit die Geistlichkeit 
gegen die „gemischten Ehen* zwischen Heiden und Christen, 
weil da die Gefahr, aus Liebe vom Glauben abtrünnig zu werden, 
besonders nahe liege ^). 

Als K. Theodosius, der selbst erst um 380 getauft worden 
war — er ist später ein strenger Orthodoxer geworden — in 



^) Vgl. Augustini epistolae. n. 159. Augustin an den Tribun Marcellinas; &t 
wiU, dass einigen Donatisten, welche Katholiken erschlagen hatten, die Todesstrafe 
erlassen werde. „Scio enim in causa clerioornm Anaunensium, qui ocdsi a gentibus 
nunc martyres honorantur, imperatorem rogatum facile concessisse, ne illi qui eos 
occiderant et capti iam tenehantur, poena simili punirentur." 

*) Vgl. Ambrosii epistolae, IX, 70 (Bas. 1567. t. lU. p. 174). Bischof Am- 
brosins von Mailand an B. Vigilius y. Trident: „Doce ergo populum ut non et 
alienigenis, sed ex domibus christianis coniugii quaeratur copula — ne pro caritate 
ooniugii proditionis insidiae saccedant," 



— 127 — 

Emona seinen feierlichen Einzug hielt, da empfiengen ihn mit den 
Magistraten der Stadt auch die municipalen Plamines in ihrer 
purpurrothen Festti-acht und dem gewohnten infulartigen Kopf- 
putz ^). — Trident und die Anauner, wie auch Emona gehörten zu 
Italien; aber die Entwicklung ihrer Verhältnisse hat zu allen 
Zeiten der Eömerherrschaft mit jener der Donaulandschaften 
gleichen Schritt gehalten: sie können uns demnach hier wol als 
Quelle dienen. 

Noch im fünften Jahrhundert hatten die Provinzen ßaetien, 
Noricum, Dalmatien den Heiden Generidus zum Statthalter, des- 
sentwillen die orthodoxe Regierung ein Gesetz zurückziehön musste, 
welches die Heiden insgesammt von der Bekleidung der Staats- 
ämter ausschloss 2). 

Auch Severin machte in dieser Hinsicht Erfahrungen; er 
fand, da die Römische Herrschaft schon zu Ende gieng, zu Cu- 
cullae in Noricum, dass ein Theil der dortigen Eiawohner zwar 
öffentlich zum Christentum sich bekannte, heimlich aber noch immer 
zugleich die heidnischen Opfer und Gebräuche beobachtete^). — 
Es ist darüber nichts weiter zu bemerken; es kommt ja überhaupt 
nur darauf an, welcher Cult officiell anerkannt ist und auch von 
anderen öffentlich bekannt werden darf. Im Uebrigen hat die 
Aenderung des Cultus, wie keine andere Nation, so auch nicht 
die römische Bevölkerung um eines Haares Breite besser gemacht; 
es hatte sich wol das Dogma geändert, das Bitual war sich ziem- 
lich gleich geblieben. 

Es ist bekannt, wie das Christentum alsbald selbst in mehr- 
fache Parteien auseinander gieng und des dogmatischen Haders 



^) Pacati pane^yr. in Theod. c. 87 : revorendos municipali parpara flamines, 
ittsignes apicibus sacerdotes. — lieber die einschlägige Gesetzgebung ?gl. Marquardt, 
Älterth. IV, 186 ff.; über die damalige Lage der Dinge in Africa Hirschfeld, i sa- 
oeidoqj municipali nelF Africa. (Ann. dell'istituto 1866). p. 54. 

*) Vgl. Zosimus V, 46. Die Polemik zwischen Christen und Heiden war per- 
manent, namentlich darüber, wer denn eigentlich das Unglück über die Komische 
Welt gebracht habe ; die Heiden sagten : das Christentum und seine „die Geister ver- 
giftende** Macht \ wogegen die Anderen alles auf den Umstand schoben, dass die Wi- 
dersacher das Christentum beständig hinderten : wären Alle von dessem Geiste durch- 
drungen, dann würde es schon gehen. 

^) Eugipp. V. Sev. G. 1 1 : pars plebis in quodam loco nefandis sacrifidis in* 
herebat 



— 128 — 

im römischen Beiche kein Ende war. Auch die Donaiüandschaf- 
ten blieben davon nicht miberührt; Jahrhmidertelang sind sich 
hier vor Allem Arianer mid Orthodoxe auf das heftigste in den 
Haaren gelegen. Namentlich zu Pettau bekämpften sich in der 
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts die Bischöfe beider Parteien, 
von denen bald die eine, bald die andere die Oberhand behielt, 
worauf der gegnerische Kandidat das Feld räumen musste, bis 
eine gfinstige Gelegenheit für die Bückkehr sich darbot ^). Dies aber 
eingehender zu behandeln ist Sache der Oeschichte des römischen 
Beiches überhaupt, nicht der Donauprovinzen im Besonderen ; denn 
diese folgten eben nur dem allgemeinen Gange der Dinge, griffen 
nicht selbst werkthätig in denselben ein. 



Hand in Hand mit der religiösen Entwicklung gieng die lit- 
terarische Production. In den Kreisen der gebildeten Stände 
sprach und schrieb man, nach den Inschriften zu schliessen, in den 
ersten besseren Jahrhunderten des Beiches ein elegantes Latein, 
wol auch etwas griechisch; die klassische Litteratur ward gepflegt, 
wie verschiedene Anklänge z. B. an Yergil auf den Monumen- 
ten^) beweisen dürfton. 

Für Bildung und üntorricht auch weiterer Kreise war durch 
Schulen gesorgt, wo das Latein gründlich gelehrt ward ; aus Sa- 
varia in Fannonien sind uns einige Backsteine erhalten, deren 
einer das A B G in ziemlich reiner Oapitalschrift aufweist, ein 
anderer aber in derselben Cursive, welche auch die Wachstafehi 
zeigen, die Verse enthält: 

Senem severum semper esse cöndecet. 
Bene debet esse pouero qui discit bene ^). 

Vorlagen, die ein römischer Schulmeister beim Schreibunter- 
richt gebraucht zu haben scheint. 

Dass es daneben auch ziemlich wohlhabende Leute gab, die 
nicht schreiben konnten, ist zu jeder Zeit vorgekommen, für die 



*) Vgl. N&heres bei Rettberg, fochengeschichte Deutschlands L 216 ff« 

*) Vgl. Ephem. epigr. 11. n. 888. 

^ G. L L. UL p. 962. n. 2. TgL Paar in den Sitzungsberichten der Wie- 
ner Akademie 14, S. 181—141. Wattenbach, Schriftwesen des Mittelalters (1 Aufl.) 
S. 68 f. 



— 129 — 

römische aber durch eine der Wachstafeln ausdrücklich bezeugt: 
ein dacischer Hausbesitzer legt selbst das Bekenntnis ab ^). 

Die unteren Volksschichten jedoch, wie die Soldaten in den 
Lagern, hielten sich an die klassische Sprache nicht gebunden, sondern 
redeten wie ihnen der Schnabel gewachsen war : es entstanden in 
den verschiedenen römischen Landschaften in Folge der verschie- 
denen Mischung, die das Latein eingieng, verschiedene Idiome: 
die ,1 lateinische Bage** begann sich aufzulösen in die Gruppen der 
einzelnen romanischen Zungen. 

Es kam schon vor, dass Frovinzialen nach Bom giengen, 
um den reinen lateinischen Dialect sich anzueignen, den die Heimat 
ihnen nicht zu bieten vermochte ^). 

Während also die gebildeten Leute in gewählterer Weise sich 
ausdrückten, gieng die Volkssprache mehr und mehr davon ab, warf 
Endungen weg und bildete dafOr neue, nahm auch sonst fremde Aus- 
drücke auf u. s. w. Das wirkte dann wieder auf die Schrift ein : wer 
diesen Leuten verständlich sein wollte, musste ihnen Zugeständ- 
nisse machen und, wie Augustinus sich einmal ausdrückt, sich nicht 
scheuen, auch ,verba minus Latina^ zu gebrauchen. Gewisse 
Worte wurden alsbald technisch: wir sahen, wie das »canaba* 
gebraucht ward. 

In derselben Bichtung aber bewegte sich nun auch durch«^ 
gehends die niedere kirchliche Litteratur der Christen. Natürlich, 
die gebildeten Stände verhielten sich der „frohen Botschaft' ge- 
genüber, die sie ja nicht nöthig hatten, indifferent; bei den 
s Armen im Geiste*^ hat sie vor allem Anklang gefunden. 

Dieser Zwiespalt zwischen den esoterischen Klassen der Be- 
völkerung und den exoterischen, um mich so auszudrücken, be- 
herrscht die Zeit, geht durch das ganze Mittelalter hindurch und 
macht sich in der Litteratur beständig geltend: der eine Theil 
hält sich an die alten Muster und empfängt seine Bildung in 
den Bhetorenschulen ; er sieht verächtlich herab auf die gemeine 
Masse; der andere Theil hingegen gibt sich ausschliesslich der 



^) G. I. L. ni. G. X: so Utteras scire negavit Deshalb mnss dn anderer 
für ihn schreiben. 

*) So 8. B. S. Hieronymus, ein geborener Pannonier, der das Latein als 
seine Mattersprache angibt. Vgl. Muchar, Rom. Noricom I, 407* 

Jung, die Donan-ProTinien. 9 



— 130 — 

Praxis hin, entschuldigt sich wol, dass in Folge dessen seine 
Bede nicht so zierlich und geschniegelt sein könne ; oder er macht 
auch aus der Noth eine Tugend: man verachtet mit bewusster 
Absichtlichkeit den Schmuck der Bede, spricht mit Geringschätzung 
von den Begeln der Grammatik, von Biegung und Conjugation, 
denen das göttliche Wort nicht sich zu unterwerfen brauche: 
S. Petrus sei auch kein Gelehrter gewesen und doch Pförtner des 
Himmels geworden. 

uns sind die Producte beider Bichtungen aberliefert; und 
allen Bespect vor den Grammatikern und Philologen, aber jene 
ungelehrten Praktiker kaben für den Historiker ein weit grosseres 
Interesse, als sie; aus diesen allein lernen wir den wahren Yw- 
halt der Dinge kennen, während jene beständig gegen den Geist 
ihrer Zeit sich auflehnen und nur das Altertum gelten lassen« 
Und zwar gut auch dies weniger ffir die Commentare der heiligen 
Schriften, welche von Bischöfen unserer Landschaften geschrieben 
wurden ^), als von den Legenden und Aufzeichnungen über Mar- 
tyrien und Heilige, die besonderen historisdien Werth haben. 

Was dabei die Donaulandschaften namentlich auszeichnet vor 
allen anderen Grenzlanden, ja überhaupt sämmtlichen Provinzen 
des Beiches, das ist gerade der Beichtum an derartiger üeber- 
lieferung überhaupt und insbesondere aus den letzten Zeiten der 
römischen Herrschaft. Es werden dieselben in der byzantinischen 
Epoche die Hauptquelle fOr die Geschichte der Provinzen, wie es 
für die ersten drei Jahrhunderte das inschriftliche Material ge- 
wesen war. Die eigentliche historiographische Thätigkeit im 
Beiche beschi*ankt sich auf eine höchst magere Annalistik, die 
sich nach alter Weise um nichts kümmert als um den Hof und 
die Hauptstadt, allenfalls auch um das Land, in dem diese ge- 
legen war, während der Provinzen nur gedacht ist, wenn der 



*} Bisdiof Vietoriü ron I^ettau üuste seine diasbeifügHcliefl Schriften griechiscli 
ab. Fortunat r. Aquileia, der als Metropolitan unserer Landschaften auch hieher 
gehört, machte sich durch die Erklärung der EFangelien, die er in populärer Sprache 
gehrieby einen Namen. Vgl. B. HieronTmus de tiria illüst. c. 47 (tom. II. p. 492 
ed Veron. 1785): Fortunatianus, Aquileiensis episcopus, imperante ConatantiO) In 
evangelia titnfis ordinatis breves et msttoo MEmone aoripsit iäommentaiios. (Xo^cp 
^poiiM^), Muchar, Norlcum II. 114 ff. 



- ISI - 

fiegent unmittelbar durch die Vorgänge daselbst berührt wird *) ; 
Yon den dortigen Zuständen wtirden wir daraus gar nichts zu 
entnehmen vermögen. In diese Lücke tritt eben jene niedere 
kirchliche Litteratur ein. 

Unter diesen Actenstücken nun, die aus unseren Landschaften 
stammen, ist vor allem zu nennen die sog. „passio lY coronatorum^ 
die uns das Leben und Treibe in den Steinbrüchen Pannoniens 
zur Zeit Diocletians vorfahrt und diesen vielgeschmähten Kaiser 
selbst in menschlich milder Weise charakterisirt ; eine Quelle, 
die sowol für die Archäologie als auch, des letztgenannten üm- 
standes halber, für die allgemeine Geschichte von Bedeutung ist ^). 

Für die Zustände im alten Dacien, das seit 272 den Qothen 
eingeräumt war, aber zugleich doch auch romanische Bevölkerung 
enlhielt, bieten die Vitae S. Sabae ^) und Nicetae ^) wichtige, wenn 
auch leider spärliche Aufschlüsse. Yon der ersteren Yita bemerkte 
wol einmal Waitz, dass sie einen Platz verdiente unter den An- 
tiquitates der Monumenta Germaniae historica^); und wenn die 
letztere auch nur in üeberarbeitung auf uns gekommen ist, so 
steht doch fest, dass ihre Ihatsächliche Grundlage zurückgeht auf 
die Zeiten des Kaisers Yalens selbst, den sie überall noch als 
lebend voraussetzt^). 

Femer ist zu nennen das Leb^ des ehrwürdigen Apostels 
der Gothen, des ülfilas, das Bischof Auxentius von Dorostorum 
uns hinterlies und das die wichtigsten Aufschlüsse gibt über Boma- 
nentum und Germanentum in den unteren Donauländem während 
des 4. Jahrhunderts. 

In den westlichen Landschaften last sich dem an die Seite 



^) Vgl. darüber 0. Holder-£gger, die Weltchronik des sog. Solpidus Serems 
und aüdgaUisohe Annalen des 5. Jahrhunderts. (Göttingen 1875) S. 50* 

*) Vgl. die Litteratur darüber bei Wattenbach, Deutschlands Geschichtsqn. I^ 
27 ; namentlich hervorzuheben sind Benndorfs Archaeologische Bemerkungen in Bü- 
dingers Unters, z. B5m. Kaisergesch. m, 857—879. Ebenda S. 821—- 838 hat 
Wattenbach die Fassio neuerdings edirt. 

S) Acta SS. April XI. p. 966 ff. Nach den Handsohriften berifditigt in lat. 
Uebersetznng auch bei Buinart, Acta primor. Kartyr. ed. II. S. 601 iL 

Acta SS. Sept. V. 

') Vgl. Waitz, Leben und Lehre des UlOlas. S. 48. 

*) YgL H. Bückert, Gulturgesch. des deutsdien Volkes in der Zeit des Ueber« 
sanges rom Heidentum zum Christentum. I» 217 Anuk 

9* 



- 132 -- 

stellen die „ Converslo S. Afrae, ^ die neuerdings wieder zu Ehren 
kam % Für die Alpenlandschaften sind zu nennen die Acten der 
drei Nonsberger Märtyrer Sisinnius, Martyrius und Alexander 2), 
die deren Verhältnisse uns vorfahren. 

Aber weitaus die wichtigste von all diesen legendarischen 
Aufzeichnungen ist Eugipps .Leben Severins,* des merkwürdigen 
Mönches, der in den letzten Zeiten der römischen Herrschaft über 
die römischen Grenzstädte in üfemoricum und theilweise auch 
in Baetia secunda, in Folge seiner allgemein verehrten Persönlich- 
keit, eine so bedeutende Bolle gespielt hat. Für uns ist, wie Wat- 
tenbach bemerkt % seine Biographie eine Aufzeichnung von ganz 
unschätzbarem Werte, indem sie einen hellen Lichtstrahl wirft in 
Zeiten und Zustände, von denen wir sonst gar nichts wissen 
würden: — »unmittelbar vor der Vernichtung zeigt ein günstiges 
Geschick uns das Bild dieser Gegenden in scharfen, lebensvollen 
Umrissen." 

So weit diese kirchliche Litteraiur; wie gesagt, fast unsere 
einzige Quelle für die Zustände in den Donaulandschaften, seit- 
dem die Inschriften versiegen. Nur rfin Denkmal von grosser 
Bedeutung trägt, wenn auch keinen historiographischen, so doch 
einen profanen Character an sich ; es ist der Gesandtschaftsbericht 
des Byzantiners Priscus % der im J. 448 n. Chr. im Auftrage 



^) Vgl. Friedrich, Eirchengeschiclite Deutschlands I, 886 if. ; die »ConFersio 
Affrae* selbst abgedruckt aus dem »Fassionale Sanctorum* der K. Gisela p. 427 — 480. 
Hiezu Wattenbach, Deutschlands Geschichtsqu. I', S. 86. 

>) Acta SS. Mai XXIX, p. 88— 4S. Ihre Authendtät wie ihr Werth ist durch 
die Auturität des Meimbrotius, der BoUandisten, Buinart^s (Acta Martyr. p. 585), 
Tillemont^s (Histor. Ecdes. X, 544), Marini^s (Atti arv. p. 146 Anm. 59) rerbflrgt. 
Am wichtigsten ist dabei der Brief des Bischofs Vigilius von Trident an den Pa- 
triarchen von Constantinopel, Johannes Chrysostomus. Die Acten selbst sind zur 
Erbanong des Publicums redigirt. 

') Deutschlands Oeschichtsqu. I' (1878) S. 89, wo ^gleich die Ausgaben 
und die Litteratur yerzeichnet sind, die Verwertung der Vita im C. I. L. m, t. 2 
und was sich daran namentlich far die Topographie knüpft, aber noch nicht berücksich- 
tigt ist. -— Die Handschriften, die ror allem in Betracht kommen, sind die älteste 
deutsche, die Welser (Opp. Augsburg 1595. S. 685 ff.) abgedruckt hat und an 
die ich mich halte; und die Lateranensische , die Eerschbaumer im J. 1862 nicht 
gut edirte. — Jetzt wird für die Abtheilung »Auetores antiquissimi^ den Mon. 
Oefm. bist, eine neue Ausgabe rorbereitet. 

^) Corp. Script, bist. Byz. ed. Bonn« p. 166-^d28i 



— 138 — 

des oströmisclien Kaiserhofes nach der Residenz des Hunnen- 
kdnigs Attila kam, d. h. nach den Gegenden zwischen Donau und 
Theiss, wo der Weltenstürmer seinen Sitz hatte. Darin wird uns . 
denn die Beise beschrieben durch Moesien nach Pannonicn und 
die Verhältnisse, die da obwalteten; die innere Organisation des 
Beiches, das der Hunnen-Napoleon begründet hatte, wird uns 
Uar vor Augen gestellt; die verschiedenen Nationalitaten des- 
selben, in dem die Hunnen nur einen kleinen Bruchtheil aus- 
machten, während die Germanen dasselbe hauptsächlich stützten, 
Bömer es regirten, treten klar hervor; und auf die unterworfenen 
Volkstheile und ihr Loos wird dabei manches Streiflicht geworfen. 
Es ist das ganze Zeitalter Attilas, das ja auch die Heldensage 
der Germanen so sehr verherrlicht hat, das wir hier kennen lernen, 
während Eugipp die nachfolgenden Zeiten uns schildert. 

Jene kirchlichen Actenstücke sind also die Quellen, die neben 
die Inschriften für die Darlegung der Verhältnisse in den Donau- 
provinzen fast allein in Betracht kommen. Suchen wir uns zunächst 
4en kritischen Standpunkt klar zu machen, von dem aus ihre Be- 
nützung erfolgen muss. Und zwar soll eben jene Vita Severini 
von Eugipp hier vor allem näher betrachtet werden. 

Was die Natur dieses Schriftstückes und den Character seines 
Verfassers betrifft, so ist das »Leben Severins* geschrieben worden, 
um frommen Leuten zur Erbauung zu dienen. Der Verfasser, 
Eugippius, ein Schüler Severins und ein Mönch wie dieser, hatte 
die letzten stürmischen Jahre, da üfemoricum noch römische 
Provinz gewesen war mit Severin zusammen gelebt, war dann, 
als Odovacar dieselbe aufgab und die Anwohner der Donau auf- 
fordern lies, das Land zu verlassen und auf anderen römischen 
Boden zu übersiedeln, mit den Mönchen seines Klosters aus Fa- 
vianis nach Italien gezogen, wo die Begierung den Einzelnen 
Wohnsitze anwies. Den Mönchen überlies eine fromme Wittwe 
Barbaria das Gastellum Lucullanum bei Neapel; dessen Name an 
Luculis üppige Gärten, an Marius, der früher dort ein Landgut 
besessen, und an den Todesort des Tiberius erinnert. 

Hier hatte auch der letzte der weströmischen Kaiser, Orestes' 
Sohn Bomulus Augustulus, nach seiner Entsetzung die Pension 
verzehrt, die Odovacar ihm aussetzte ^). 

^ Vgl. Plntftrcii. Marias 84. Tadtus Ann. VI. 50. Jordan. 6et. c. 46. »Nach 



— 134 — 

Wol möglich, dass dieses Lucullannm ein Familiengat der 
Nachkommen des Orestes war; dass jene Barbaria dem Hause 
desselben verwandt oder gar die Wittwe des Eegenten war — 
wie neuerdings Jemand aufgestellt hat ^) ; — und dass fdr die 
Au&ahme der Mönche in jenes Schloss der Umstand massgebend 
wurde, dass Severin mit Orestes persönlich befreundet war ; einen 
der einflussreichsten Vertrauten desselben hat Severin gegen die 
Nachstellungen Odovacars in Schutz genommen. Orestes selbst 
stammte aus Pannonien, heirathete aber eine Dame aus Foetovio 
in Noricum ^) ; daher die intimen Beziehungen zwischen der Pro- 
vinz und dem Hofe; mit jener »edlen* Wittwe Barbaria ist Se- 
verin in lebhafter Correspondenz gestanden, was, wie gesagt, nachher 
seinen Mönchen zu Qute kam, die im LucuUanum ein neues Heim 
fanden. 

Hier im Kloster zu LucuUanum ist unser Eugipp nachher 
Abt geworden. 

Ein schlichter Mann, dem die humanistische Bildung, wie 
jene Zeit sie pflegte, femer lag — sein gelehrter Zeitgenosse 
Cassiodor nimmt die Gelegenheit wahr, dies einmal ausdrücklich 
zu bemerken — der aber in der kirchlichen Litteratur wol Be- 
scheid wusste; wie er denn einen Auszug aus den Schriften des 
Augustinus verfasst hat und mit den Werken des Ambrosius, 
wie des Sulpicius Severus sich vertraut zeigt. Mit bedeutenden 
Kirchenschriftstellem der Zeit ist er in reger Verbindung ge- 
standen ^). 

Ein Mann, der sich übrigens auch jenen Ausspruch gemerkt 
hatte, dass das Wort Gottes den Begeln der Grammatik nicht 
unterworfen sei, gegenüber der Ehetorik und dem falschen Schein, 



Garayita, i codid e le arti a Monte Cassino I, 14 auf dem Hflgel von Pizzofiilcone 
bei Neapel.* Wattenbach, a. a. 0. S. 42. 

^) Vgl. Huber a. a. 0. I, S. 408. Auch Enabl, Mittheiluni:en des histor. 
Vereins ffir Steiermark, VI (1855) S. 162. Dazu Büdinger, Oesterr. Gesch. I, 43. 
Die Inschrift von Stadenitz (im Gebiete von Celeia), die hier in Betracht kommt, 
indem sie einen G. Julius Bomanus, dessen Tochter Bomula und einen Sohn Bo- 
mulus nennt, und die sich Tidlleicht auf die Familie der Frau des Orestes besieht, 
s. im C. I. L. III. 5299. 

*) Vgl. Friscns Gesandtschaftsbericht p. 185 Bonn. 

>) Das Nähere und die Belege bei Wattenbach, Gesohichtsqn. I, 42 ff. 



— 135 — 

den die profanen Litteraten der Epoche zur Schau trugen ; er war 
im Gegentheil erftQlt von practischen Tendenzen und bestrebt 
in den Gang der Dinge einzugreifen, soweit seine Kräfte eben 
reichten und sein Ingenium es vermochte. Er gehörte zu den 
Naturen, die durch diesen guten Willen und die Bethätigung 
desselben der Welt viel mehr genützt haben, als die abstracten 
Philosophen der Zeit, die immer jammerten, dass diese jetzt so 
schlecht sei und nicht den Versuch machten, wenigstens in ihrer 
Sphäre sie auch zu bessern. 

Eben durch seine practische Tendenz ward Eugipp auch 
dazu gebracht, das Leben seines Lehrers Severinus zu schreiben. 
Eugipp sah, welchen Beifall die Biographien auch unbedeuten- 
derer Mönche, die im Gerüche der Heiligkeit standen, zu finden 
pflegten, während die Wunderthaten Severins noch viel zu wenig 
bekannt waren *). Das wurmte ihn ; indem er es tadelte, ward 
er alsbald selbst aufgefordert, eine Sdzze davon zu entwerfen. 
Sogleich machte er sich daran. Ausführlich erörtert er in sdnem 
Prolog die Grundsätze, durch die er sich dabei leiten lies. 

Von einer blos profanen Erzählung der Begebenheiten wollte 
er nichts wissen; ein Geistlicher müsse die Biographie Severins 
abfassen, denn die Laien verstünden für derlei Dinge nicht den 
rechten Ton zu treffen. Auch die Gelehrten überhaupt seien nicht 
geeignet; Eugipp meint, ihre Sprache tauge fdr das Volk nun 
einmal nichts: auch fürchtet er, dass dann von den Wundem 
Severins nur selten und nicht ausführlich genug die Bede sein 
möchte 2). 

So fasste er denn in seine «Scizze* zusammen, sowol was 
ihm persönlich aus dem Leben des Heiligen bekannt geworden 
war, als auch was er aus der Erzählung älterer Augenzeugen in 
Erfahrung gebracht hatte '). 



*) Vgl. den prologras ad Paschasium: „res mirabiles, quae diu quadam si- 
lente nocte latnerant" — „tanta per Sererinum dlTinis effectibos celebrata non 
oportere oelari miracola." 

*) Nemlich: „saecnlari tantnm litteratura politus tali yitam sermone conscri- 
beret, in quo mnltomm plarimum laboraret insdentia." Denn einem laicus „et 
modus et color operis non sine praesumptione quadam posset iniungi." 

*) „oonunemoratorium nunnullis refertum indiciis et notissima nobis et coti- 
diana maionuu relatione composui." Frologns. 



- 186 ~ 

Diese Sdzze schickte Eugipp sodann an einen gelehrten 
Freund, den Diacon Faschasius, mit der Bitte, sie stilistisch zu 
yerbessem und weiter auszuarbeiten. Zugleich übersandte er mit 
diesen Aufzeichungen noch als lebendige Quelle einen der Nori- 
ker, die einst mit nach Italien gezogen und so Augenzeugen der 
Wunder gewesen waren, die bei jenem Exodes S. Severins Ge- 
beine wirkten. Seine eigene Darstellung schien dem Eugipp wol 
fOr das Volk geeignet und verständlich, im übrigen aber zu wenig 
kunstgerecht, d. h. im Vergleiche zu den feierlichen und mühsam 
gedrechselten Perioden eines Ennodius oder Cassiodor. Vielleicht 
auch, dass Eugipp — wie Wattenbach bemerkt — die Sache 
übertrieb und gleichsam nur i,ad captandam beneyolentiam'^ seiner 
Schrift jenes »Vorwort an Paschasius* beigab, da dergleichen 
auch sonst yorkommt und, nach unserem Urteil wenigstens, Eu- 
gipp seiner Leistung sich eigentlich nicht zu schämen brauchte ^). 
In der That war auch Paschasius dieser Ansicht, er lehnte höf- 
lich ab, an der «Scizze'^ irgen4 etwas zu ändern und zu bessern, 
und so kam das «Leben Severins* von Eugipp, dreissig Jahre 
nach dem Tode ihres Helden, im J. 511 unter das Publicum. 
Von diesem ward sie freundlich aufgenommen und alsbald von 
Historikern auch als Quelle benutzt, so z. B. gleich nach ihrem 
Erscheinen von dem sog. Anonymus Valesianus, einer der Ab- 
leitungen der ofQciellen Annalen von Bavenna, über die Herkunft 
des Odovacar und seine Beziehungen zu Severin; im siebenten 
Jahrhundert von Isidor, im achten von Paulus diaconus. Um 
dieselbe Zeit entstand zu Neapel ein Hymnus, dem sie zu Grunde 
liegt. Und als sie bald darauf aus Italien nach Deutschland 
kam, ward sie hier von den fpractischen Klerikern zu Passau, 
denen es nach der Weise der Zeit auf einen frommen Trug mehr 
oder weniger gerade nicht ankam, allerlei Fälschungen zu Grunde 
gelegt, wurden Documente über ein ehemaliges »Erzbistum* Lorch 
geschmiedet und neue Legenden fabricirt ^). 

Die Annahme von der Identität des alten Favianis mit Wien, 



^) Doch sagt auch Isidor, „de scriptoribus ecdesiasticis" c. 18, die Vita Se- 
yerini wäre „breyi style'* geschrieben. VgL Holder-Egger, die Weltchronik des sog. 
Snlpidus Sevems. S. 61. 

*) Z. B. Ober den Maxirnns Noricus, der in der Vitn mehrfach genannt ist. 



~ 137 — 

die im 12. Jahrhundert der gelehrte Otto von Freising in Schwung 
brachte, spuckte noch lange fort bei den Ungelehrten der späteren 
Zeiten. 

Das ist in kurzen Zügen die Entstehungsgeschichte der Yita 
Severini; vor allem dies die Tendenz und die apriorischen An- 
sichten des Verfassers. Ihm war, wie wir sehen, darum zu thun, 
seinen Helden und Lehrer Severin in den Mittelpunkt der Ereig- 
nisse zu stellen, auf ihn überhaupt wo möglich jede Action, die 
geschah, zurückzuführen. Es liegt am Ende im Wesen jeder 
Biographie, die dem Gegenstande zu entsprechen erstrebt und die 
nicht rein academischer Natur ist, einseitig zu sein: man bio- 
graphirt nur, für was man sich interesirt. 

Für den Universalhistoriker kann dieser relativ sehr berech- 
tigte Standpunkt natürlich nicht massgebend sein; so wenig wie 
ffir die moderne Geschichtschreibung die Weltanschauung des 
Mittelalters, die in der Vita hervortritt, irgendwie Geltung haben 
kann. Wir müssen die Geschichte Severins und seiner Zeit so 
zu reconstruiren versuchen, wie sie beiläufig jener „saeculari litte- 
ratura politus" geschrieben haben würde, den Eugipp so energisch 
perhorrescirt hat. Und auch Severins Persönlichkeit muss mehr 
zurücktreten, so bedeutend sie in ihrer Sphäre auch mag gewirkt 
haben: nicht das einzelne Individuum ist da wichtig, sondern 
die Art, die es repräsentirt i). Die Zeiten der Uebergangspe- 
riode zwischen römischer und deutscher Herrschaft haben anders- 
wo in ähnlicher Weise sich abgespielt, wie hier ; aber die näheren 
Umstände, unter denen dies geschah, die Schilderung von Land 
und Leuten und von der allgemeinen Lage der Dinge, das ist 



^) Es muss dies deshalb betont werden, weil die bisherigen Benutzer diesen 
Standpunkt nicht immer eingenommen haben. Die Eirchenhistoriker Bettberg, Kir- 
chengesch. Deutschlands I, Ö26 ff., Friedrich, Kircheng. Deutschi. I, 8S5 ff., AI. 
Huber, Geschichte der Einführung und Verbreitung des Christentums in Sfldost- 
deutschland. (Salzburg 1874) Bd. 1 „Die Bömerzelt" S. 829—404, berücksichtig- 
ten Tor aUem nur die Nachrichten kirchlichen nicht aber jene politischen und cul- 
turhistorischen Inhaltes ; Dahn, das Mönchtum in Baiuvarien (Münch. Gel. Anz. 
1859. n. 88. 84) und „Könige der Gemanen" II, 80 ff. stellt Severins Gestalt in 
in den Mittelpunkt, wie seine Quelle es thut. Dagegen hat Pallmann, Völkerwan- 
derung II, 284 — 401 energisch und mit Recht polemisirt, überlies aber die weitere 
Ausffihnmg als nicht zu seinem Thema gehörig Anderen. 



— 138 — 

es, was uns interessirt, was wir auch dem Leser hier vorfDhren 
mflssen. 

Diese Mönche, die da mitlebten und mitthaten, verhielten 
sich dem Jammer der Zeiten gegenüber vielfach indifferent: be- 
ständig wird Busse gepredigt und die Verachtung der irdischen 
Dinge eingeschärft im Hinblick auf das himmlische Vaterland: 
Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Keuschheit, Fasten, Wachen und 
Beten ; mit einem Worte die Politik der Passivität, der stupiden 
Geduld. 

Aber freilich gerade dieser vaterlandslose Grundzug des 
Mönchtums, wenn der Ausdruck erlaubt ist, war damals von 
Wichtigkeit; es vermittelte gleichsam als neutrale Macht, als 
internationales „Austrägalgericht^^ zwischen Romanen und Ger- 
manen. 

Dies ist die Stellung Severins in der Geschichte. Heimat 
und Herkunft — das ist recht bezeichnend — dieses Mannes 
waren unbekannt und sind es geblieben. Nur aus der Sprache 
glaubten die Zeitgenossen abnehmen zu können, dass er aus dem 
Orient stammte. 

Wir sehen, wie Severin zu grossem Ansehen in den nori- 
sehen Grenzlanden gelangt, namentlich auch bei den Germanen. 
Auf sein persönliches Verhältnis zu den Königen der Bugen und 
Alemannen kommt dabei sehr viel an; auch mit der römischen 
Centralregierung steht er in Verbindung ; überall tritt er helfend 
und vermittelnd ein. So wandelt er als Wohlthäter der ver- 
wahrlosten Provinz durch das Leben und bleibt sein Andenken 
auch nachher geehrt. Insofern war Severin allerdings eine histo- 
rische Gestalt; es ist nicht nöthig, gerade immer Kriege zu fahren 
und Menschenhecatomben zu schlachten, um in der Geschichte 
einen Namen zu haben. — Nur die Einseitigkeit der Biographie, 
zwischen deren Zeilen man manches lesen muss, was nur ange- 
deutet erscheint, sollte hier betont werden. 

Und in derselbeu Sichtung werden auch noch einige andere 
Momente zu beachten sein. Zunächst der erbauliche Charakter 
der Vita, der auf ihre Ausdrucksweise in der mannigfachsten Art 
eingewirkt hat. Das ganze Leben Severins steckt, wie andere 
Legenden auch, voll biblischer Bedensarten und Gleichnisse. Es 
trägt dies viel zu dem einfach schlichten Character und der An- 



— 139 — 

muth der Erzählung bei, die man oft und mit Becht so her- 
vorhob. Aber was in stQistischer Beziehung ein Vorzug, das ist 
bekanntlich in sachlicher ja oft ein Fehler; und diese Beobach- 
tung trifft auch bei Eugipp zu. Indem er nemlich zu sehr nach 
biblischen Analogien haschte und alles in diesen einmal beliebten 
Bahmen zu zwängen unternahm, hat er sich mancherlei Ausschmück- 
ungen und Anspielungen erlaubt, die sehr problematischer Na- 
tur sind und die der Historiker erst entfernen muss, um aus der 
Schale den rechten Kern zu gewinnen. 

In die Beihe dieser gesuchten biblischen Analogien gehört 
z. B. die ganze Erzählung von dem Auszug der Bomanen aus 
Ufernorieum nach Italien. Da wird zuerst Severin mit dem Pa- 
triarchen Jacob in Parallele gestellt, was überhaupt ein beliebtes 
Grleichnis war ; Auxentius z. B. hat es auf IJlfilas angewandt. Und 
wie hier der Gothenapostel hingestellt wird als der zweite Moyses, 
der die neuen Israeliten, d. h. die christlichen Gothen hinüberführte 
ins gelobte Land, d. h. nach Bomanien, ins Bömerreich, wobei 
sich die Donau noch dazu gefallen lassen muss, als rothes Meer 
zu figuriren ^), also werden von Eugipp in ganz analoger Weise 
die Bomanen von Ufernorieum mit den Kindern Israels in Pa- 
rallele gebracht und ihre Abführung nach Italien hingestellt als 
Exodus aus Aegypten nach dem Land der Verheissung. 

Ebenso vnrd der Prophet Elisäus sowol bei Auxentius als 
bei Eugipp zur Vergleichung herangenöthigt ^). 

Auch die Prophezeiungen Severins sind durchaus der Bibel 
nachgemacht; sie werden immer etwas unbestimmt hingestellt 
und grössere Unmöglichkeiten nie berichtet. Das zeigt vom Tacte 
des Verfassers und d^ss er es nicht nöthig hatte zu dichten. 
Bei seinen vielfachen Verbindungen mit den Germanen konnte 
Severin die Bomanen vor mancherlei Unglück warnen, das sie 
bedrohte; wo dann Unglaube und Ungehorsam von selbst sich 
strafte. 



^) Bei Waitz, S. 20: (Ulfilas) de rarbarico pnlsus in solo Bomanie est su- 
soeptus, ut sicuti Deas per Moysem de potentia et Tiolentia Faraonis et Egyptiorum 
po[piilnm sjaom l[iberayit] u. s. w. Auch Philostorgins II, 5 bei Waitz S. 58 
berichtet, der Komische Kaiser habe den Ulfilas wie einen zweiten Moses verehrt. 

*) Vita Sev. c. 45: tunc omnes incolae tanquam de domo seryitutis Aegyp- 
tiae ita de qnotidiana barbarie freqnentissimae depraedationis edncti t . • t 



— 140 — 

Als Odovacar auf seinem Durchzuge nach Italien Seyerins 
Segen erbat, da last Eugipp demselben nicht unmittelbar die 
Erone selbst prophezeien, sondern nur mit Beziehung auf einen 
bekannten Bibelspruch durch Severin erkennen, dass Odovacar 
einst gloiTcich sein werde : , Ziehe hin nach Italien ; jetzt mit 
ärmlichen Fellen bedeckt, wirst du bald Vielen Vieles zu ver- 
schenken kaben* i). 

Nun, diese Eigenheiten des Sprachgebrauches der Legenden 
sind eben bei der Benutzung der Vita Severini als Geschichtsquelle 
wol in Rechnung zu ziehen. Wenn Eugipp im J. 4S8 alle 
Donauromanen aus Ufemoricum bis auf den letzten Mann ab- 
ziehen last, so muss man das nur nicht wörtlich nehmen; im 
Allgemeinen ist die Thatsache von dem Abzug ja richtig, nur 
bis auf den letzten Mann hat er sich nicht erstreckt, das ist eine 
Uebertreibung des Autors dem biblischen Muster zu Liebe. 
Aehnlich verhält es sich mit den Wundergeschichten und den 
Weissagungen, die dem Severin beigelegt werden; ähnlich end- 
lich auch mit der Chronologie des Eugipp, über die schliesslich 
noch einige Worte erlaubt sein mögen. 

Auch in der Chronologie machen sich bei derlei kirchlichen 
Aufzeichnungen die biblischen Parallelen oft sehr bemerkbar. So 
wird z. B. von Auxentius eine förmliche Zeitrechnung nach ge- 
wissen Heiligen als Masseinheiten beliebt. Ulfilas wird mit David 
verglichen, der 30 Jahre König war, mit Joseph, der 30 Jahre 
in Aegypten weilte : er sei auch insofern den Heiligen, deren Nach- 
ahmer er war, ähnlich gewesen, dass er durch 40 Jahre u s. w. ^. 

Nun, den Thatsachen mag wol im Einzelnen mitunter Ge- 
walt angethan worden sein, im Grossen und Ganzen wird doch 
eine wesentliche Aenderung nicht erfolgt sein. Die ganze mit- 
telalterliche Litteratur — abgesehen von der volksmässigen Dich- 
tung, die ihre eigenen Wege gieng — war ja in jeder Beziehung 
von den Vorbildern des klassischen oder des kirchlichen Altertums 



^) Vita Sey. c 7. Man bezog übrigens die Weisssagung Sererins bereits im 
6. Jahrhundert auf das spätere Königtum Odovacars: »memor praesagii, quo enm 
expresserat quondam regnaturum*, sagt der Anonym. Vales. 

') Auxentius ed Waitz p. 20: et in hoc quorum sanctomm imitator erat 
[similis esset], quod quadraginta annorum spatium etc. Vgl. hi^pi Wait« 3. 89. 



- 141 - 

abhängig; wie denn Einhart den Sueton ausschrieb, um Karl d. 
6r. zu schildern, Bagewin in der Geschichte Friedrich Barbaros- 
sas in ähnlicher Weise vorgieng; nur dass eben angemessene 
Aenderungen und Kombinationen eintraten, wo der Stoflf es er- 
forderte; man muss sich in dieser Hinsicht ebenso sehr hüten 
von allzugrossem Vertrauen wie von zu grosser Skepsis gegen- 
über den Quellen dieser Art. Die Hauptsache bleibt doch immer 
die urkundliche Forschung. 

Nun Eugipp ist in dieser Beziehung den goldenen Mittel- 
weg gegangen. Er hat auch hierin die Bibel sich zum Muster 
genommen. Er hat im allgemeinen eine gewisse chronologische 
Ordnung einzuhalten gesucht, welche der Beihenfolge der Ka- 
pitel entspricht; diese Ordnung ist aber durch häufige Inter- 
mezzos von Wundergeschichten gestört ; bestimmter tritt sie erst 
seit dem J. 470 etwa, wo eben Eugipp Severins Begleiter war, 
hervor; ganz genau last sie sich nicht herstellen. Dem Verfasser 
kam es für seinen Zweck auf grössere Genauigkeit in dieser Hin- 
sicht eben nicht an. Er leitet wol ein Kapitel ein mit dem bib- 
lischen «in derselben Zeit^: oder auch „ein anderesmal'^ ^). Im 
Ganzen beginnt die Handlung bald nach Attilas Tod und setzt 
sich fort bis zum J. 488, wo die Mönche von Favianis mit Se- 
verins Leiche nach Italien zogen. 

Man hat auch sonst noch nähere chronologische Bestimmun- 
gen vornehmen wollen; aber man ist nicht weiter gekommen als 
schon Tillemont in einem Excurse seiner Kaisergeschichte ge- 
kommen ist 2), und wonach das Eesultat sehr zweifelhaft war '). 

Und so gehen wir denn dazu über den Stoff dieser eigen- 
tümlichen Quellen zu verwerten, um das Leben und Treiben der 
Bewohner unserer Landschaften in späterer römischer Zeit zu 
schildern. 



*) Z. B. c. 4 : £odem tempore, c* 12 : alio rursus tempore. 

^ Histoire des fimpereors VI. p. 1081 — 88. Vgl. auch Pallmann U, 408. 

^ Man combinirte c 5, wo ron einem Abzöge der Gothen aus Pannonien 
die Bede ist, mit Jordanls det. c. 56, wo ron dem Zuge eines Theiles der GK)then 
nach Italien nnd Ghillien Erwähnung geschieht ; allein die Regierungszeiten der Bu> 
genkönige Flaodtheus und Faya würden dadurch in einer Weise zusammengedrängt, 
die sehr yiel gegen sich hat. Vgl. Tillemont. a. a. 0. 



VI. Sociale Verhältnisse. Leben und Treiben der 
Donau-Romanen im IV. und V. Jahrhundert n. Chr. 



Claudius Numatianus, ein Dichter des 5. Jahrhunderts n. Chr., 
hat Borns Grösse und Herrlichkeit in folgenden Versen besungen: 

j, Hoch zu den Polen hinan, so weit sich bewohnet das Land dehnt, 
Brach dein tapferer Arm Bahn Dir im männlichen Kampf. 
Völker in Menge umschlangst Du mit einem Bande der Heimat, 
Die das Gesetz nicht gekannt, zwang und erhob Deine Macht 
Denn das eigene Becht gewährtest Du frei den Besiegten, 
Und es wurde zur »Stadt,* was da gewesen die »Welt/ 

Worte, die in jeder Beziehung einen tiefen Sinn in sich tragen. 
Alle Tugenden und Laster Korns waren mit der Zeit auf den 
ganzen Orbis Bomanus übergegangen und erfüllten die Welt. Auch 
in dieser Hinsicht war die gewaltigste Nivellirung im ganzen 
weiten Beiche zur Geltung gekommen. 

Natürlich, dass gewisse Unterschiede auch jetzt noch statt 
hatten; man wird unterscheiden müssen zwischen den Zuständen 
in den grossen Städten und denen auf dem Lande, zwischen den 
Klassen der Besitzenden und jenen der „Arbeiter* im engeren 
Sinne des Wortes. In dieser Hinsicht hat man sich mitunter 
durch die Natur unserer leider allzu spärlichen Quellen zu unrich- 
tigen Folgerungen verleiten lassen. Man hat auf die Sittlichkeit 
der Donau-Bomanen hingewiesen im Gegensatz zur Liederlichkeit 
der Bheinanwohner ^). Mit Unrecht wie ich meine ; der Gegensatz 

^) So nach Rettbergs Yorganse auch Wattenbach^ Deutschlands Qeschichtsqu. 1^40. 



— 143 - 

liegt nicht weniger in den Quellen, wie in den sonstig n Umstän- 
den. Das Leben in den grossen Städten am Bhein, in Trier, Köln 
und Mainz sc&fldert uns als Aug^izeuge und Zeitgenosse Sal- 
?ian, der Bussprediger, der wie so mancher andere Autor jener 
Zeit des verfallenden und zusammenstürzenden Beiches — z. B. 
Orosius — dazu schrieb, um die Schrecken der Völkerwanderung 
als Strafe des Himmels fOr die Sunden der (römischen) Welt hin- 
zustellen; um diesen Zweck bei denjenigen zu erreichen, welche 
an der gerechten Lenkung der menschlichen Dinge durch die 
göttliche Vorsehung Zweifel hegten, ist in der Schrift Salvians 
»de gubematione dei* alles schwarz und grell geschildert ^). Das 
, Leben Severins'' hingegen lehrt uns das gleichzeitige Treiben 
der Bewohner in den kleinen Landstadtchen an der Donau kennen, 
wo natfirlich die Laster der Zeit sich nicht in solchem Masstabe 
eatfiüten konnten, wie dort. Und vor allem, dem Verfasser ist 
es darum zu thun, Alles möglichst zu verklären und zu apotheo- 
siren, um dadurch die Gestalt und die erfolgreiche Wirksamkeit 
seines Heiligen in ein desto helleres Licht zu stellen. Da er- 
scheinen dann die Leute freilich besser als sie waren. 

Im Allgemeinen erfahren wir aus diesen Schriften genug, 
um uns selbst ein Urteil bilden zu können. Für die Fehler der 
Zeit ist jener Salvian eine einseitige, aber nichts desto weniger 
überaus schätzbare Quelle Er nimmt sich in keiner Weise ein 
Blatt vor den Mund. Bücksichtslos geht er «in auf die socialen 
und moralischen Mängel, an denen sein Publicum und alle öffent- 
lichen Verhältnisse krankten. 

Einst hatte Cornelius Tacitus den Bömem der Hauptstadt 
die Germanen als Muster der Keuschheit hingestellt: dort nähre 
die Mutter selbst ihr Kind, dort sei die Ehe streng, dort lache 
man nicht über die Laster und heisse Verführen und Verführt- 
werden nicht „Zeitgeist.* Im 5. Jahrhundert war man bereits 
80 weit, dass Salvian diese Mahnung überhaupt an die Bömer 
seiner Zeit oder doch besonders der grossen Städte in den Pro- 
vinzen selbst der äussersten Grenzlandschaften richten konnte: 



^) Vgl. ZRchimmer, Salvian, der Presbyter von Massilia und seine Schriften. 
HaUe 1875. Salvian stammte selbst aus einer der Rheinischen Städte und starb um 
480, also nm dieselbe Zeit wie Sererin. Die genannte Schrift scheint um die Mitte 
des 5. Jahrhunderts abgefasst zu sein. 



- 144 — 

so sehr hatte in den vierthalbhundert Jahren, die seit Tacitas^ 
Ausspruch verflossen waren, das römische Wesen auch in dieser 
Beziehung durchgegriffen; die Barbaren scandalisirten sich über 
die Verdorbenheit des Lebens der Eomanen *). 

Und was Salvian in dieser Beziehung an Einzelnheiten vor- 
bringt, last uns dies auch völlig begreiflich erscheinen. Der Krebs- 
schaden aller öffentlichen Moral ist die Sclaverei. „Haud multum 
enim matrona abest a vilitate servarum, ubi pater familias ancillarum 
maritus esf Das Familienleben, zunächst in den vornehmeren 
Ständen war dadurch unmöglich gemacht. Die Herren Söhne bil- 
deten sich aus den Mägden des Hauses einen förmlichen Harem. 
Und von diesen Schichten der Gesellschaft verbreitete sich die 
Corruption immer weiter; das ist der Punkt, auf den Salvian 
immer wieder zurück konunt^ und den er nach allen Seiten hin 
exemplificirt. 

Namentlich wird dann auch gegen die Circusspiele und die 
Theater losgezogen, die, wie einst in Bom, nunmehr in allen grös- 
seren Städten des Beiches dem süssen Pöbel zu Liebe auf Staats- 
kosten unterhalten wurden. Dem christlichen Eiferer waren die- 
selben schon deshalb nicht genehm, weil an diese Vergnügungen 
allerlei Erinnerungen an das Heidentum sich knüpften und dann 
freilich auch, weil hiebei dem Publicum Dinge geboten wurden, die 
selbst bei uns dermalen verpönt sind: wie z. B. der Luxus des 
Tricots den Eömern unbekannt, nackte Tänzerinnen an der Tages- 
ordnung waren. Aber gerade derlei schlüpfrige Stücke fanden beim 
Publicum den grössten Beifall: die Kirchen blieben leer, die Theater 
wären immer voll, klagt Salvian ^). Besonderen Spass machte es 
ferner den Leuten, wenn gefangene Barbaren oder zum Tode ver- 
urteilte Verbrecher den wilden Thieren vorgeworfen wurden. 

Und dann war es freilich stark, für diese Dinge den Staat s- 



^) Vgl. z. ß. Cub. dei Vit. 6 : inter pudicos barbaros impudici somus; oifen' 
duntur barbari ipsi imparitatibus nestris. Und ähnlich Öfter. 

*) Er sagt selbst einmal 6ub. dei VII. 2 : cum de ludicris ac foeditatibos pii- 
blids diutissime dixerimus. Ebendort VII. 8 nennt er Aquitanien: „pene unnm 
lupanar." Nicht weniger eifert er gegen die Zustände in Cartbago : die Vandalen sind 
sind nachher in ihrer sittlichen Entrüstung dort so weit gegangen, dass die alle 
Hurenhäuser schlössen und sämmtliche Insafisinnen rerheiratheten. 

>) L. c. VI. 7. 



— 145 — 

schätz in Anspruch zu nehmen, nachdem die Steuerlast im Reiche 
ohnedies kaum zu erschwingen war und das Geld zu wichtigeren 
Unternehmungen nöthig gewesen wäre. Dennooh wurden diese 
Spiele nicht unterbrochen, so lange noch ein Pfenning in der 
Kasse war i). Es war ein allgemeiner Taumel miter Jung und 
Alt; während von allen Seiten schon das Verderben hereinbrach, 
huldigte man der rohesten Genusssucht, ergab man sich der 
zügellosesten Schlemmerei und Ausschweifung, stürzte man trinkend 
und prassend dem unausweichbaren Untergang entgegen^). 

Biezu kam nun, dass auch die sociale Lage sich beständig 
verschlechterte, seitdem Eom die Welt geworden war. Die Re- 
gelung der Emigration des Proletariats, welche in früheren Zeiten, 
da man noch Bürger und ünterthanen innerhalb des Reiches ge- 
schieden hatte, leicht gewesen — es war ja „ager publicus p. R." 
genug vorhanden, den man nur aufzutheilen brauchte — war 
nunmehr bei der Gleichstellung aller freien Inwohner des Reiches 
iUusorisch gemacht: so setzte sich die sociale Frage abermals 
auf die Tagesordnung wie bei allen Krisen, die Rom durchzu- 
machen gehabt hat. Schon zu K. Neros Zeit war es z. B. in 
Africa so weit gekommen, dass sechs Herren die halbe Provinz 
besassen. In Gallien vollzog sich ein ähnlicher Process im Laufe 
des dritten Jahrhunderts; die kleinen Leute verschuldeten sich 
während jener traurigen Zeiten und bei den immer unerschwing- 
licheren Steuern, geriethen dadurch in Abhängigkeit von den 
Reichen, indem sie diesen ihre Aecker übergaben und sich nur 
den Niessbrauch vorbehielten. Die Söhne waren schon förmlich Co- 



^) Vgl. was SalTian in bitterer Ironie mit Bezug auf die Bheinischen Stidte sagt 
VI. 8 : ludicra ipsa non aguntor, quia agi iam prae miseria temporis atqoe egestate 
non possnnt. Calamitas enim fisci et mendidtas iam Bomani aerarii non sinit nt 
vihiqne in res nngatorias perdltae profundantor ezpensae .... Non hoc agitor iam 
in Mogantiaoensium dyitate — sed quia exdsa atque deleta est. Non agitur Agrip« 
pinae sed quia hostibus plena. Non agitur in Trererorum urbe ezcellentissima — sed 
quia quadruplid est erersione prostrata. 

*) Salyian. VI. 18. Vidi siquidem ego ipse Treriros domi nobiies dignitate 
sublimes, licet iam spoliatos atque yastatos, minus tamen erersos rebus fuisse quam 
moribns. — Vidimus — senes honoratos, decrepitos, Ghristianos, imminente ad« 
modum iam ezddio dvitatis gulae ac lasdviae senrientes. laoebant in oonviTils 
obliti honoris, obliti aetatis, obliti professionis, obliti nominis sui, prindpes dritati» 
dbo referti, vinolentia dissoluti, damoribus lapidi, baochatione fnriosi eto. 
Jung, die Donaa-ProTiusen. 10 



— 146 — 

Ionen auf den Aeckern ihi*er Väter. Später gieng namentlich 
auch der Klerus rücksichtslos vor, indem er den grossen Grund- 
besitz cumulirte und erbarmungslos die Bauern niederlegte. 

Seit dem Ausgange des 3. Jahrhunderts waren in Gallien 
die Bauernaufstände der sog. Bagauden permanent und spuckten 
seitdem bis zum Ende der römischen Herrschaft; sie sind eine 
der wesentlichen Factoren, die die Geschicke dieser Zeiten be- 
stimmten. 

In den Donaulandschaften lagen die Dinge ähnlich, wenn 
auch die genannten Uebelstände vielleicht hier weniger schroff 
aufgetreten sind. In Pannonien erscheint zu Attilas Zeit unter 
dessen Grossen ein gewisser Berichos, der als Grundherr vieler 
Dörfer bezeichnet wird ^) ; die Insassen von diesen waren aber 
gewiss weder Hunnen noch Germanen, sondern die alten jazy- 
gischen oder römischen Bewohner. Im raetischen Gebirge finden 
wir in den späteren Urkunden sehr grossen Besitz in den Händen 
Einzelner und denselben durch Hörige bebaut; Zustände, die 
sicherlich in römischer Zeit schon so sich ausgebildet hatten ^j. 

Ueber die Verhältnisse in Noricum gibt Eugipp Aufschlüsse, 
worauf wir noch zurückkommen. Kurzum, wir sehen mehr und 
mehr, dort früher hier später neben wenigen Besitzenden ein be- 
sitzloses, abhängiges Proletariat emporkommen und den behäbigen 
Bürgerstand dahin schwinden. 

So war die Lage im Allgemeinen, so auch an der Donau. 
Sehen wir zunächst auf die grossen römischen Städte, so waren 
die Verhältnisse in Sirmium, Siscia, Augusta Vindelicorum, in 
Camuntum, Vindobona, Brigetio, Aquincum, Salonae, Celeia, Foe- 
tovip u. s. w. nicht viißl anders als in Köln, Mainz, Trier — oder 
in Bom, Constantinopel, Carthago, mit denen manche von ihnen 



^) Prisd £xc. p. 209 Bonn : ßepi/o^ icoXXmv Iv x-^ ^Cxod-ix-g xüdjiüiv op^uiv. 
Vgl. Wietersheim, Gesch. d. Völkerwanderung IV. 340. 

*) Man vgl. die Urkunde von 828, worin der romanisohe Breone Qaarianus 
seine von den Vorfahren ererbten Guter (»sicut antecessores mei habneront, et pater 
mens et mater mea reliquerunt in proprium*) angibt. Besch. Ann. Sabion. III. 86 ff. 
Die geringe Zahl der Arbeitskräfte, auf die Prof. y. Inama, AUg. Zeitg. 7. J&n. 1876, 
aufinerksam macht, ist wol der Entvölkerung nach dem Ausgange der röm. Zeit zu- 
zuschreiben, die Baum für die nachherige deutsche Colonisation schuf. 



— 147 — 

geradezu zusammengestellt werden ^). Damit stimmen die No- 
tizen, die uns zufällig erhalten sind. Sirmium, die Eaiserstadt 
niyricums , wie Trier jene von Gallien, ist diesem jedenfalls eben- 
bürtig zur Seite gestanden ; nicht nur die Zeitgenossen, auch die 
späteren Byzantiner sind voll seines Lobes ^). Das Theater- und 
Spielwesen muss auch hier sehr in Flor gewesen sein: am An- 
fang des 4. Jahrhunderts hören wir, wie ein Gladiator in Sirmium 
Gastrollen gab, nachdem er früher in Bom und Thessalonich das 
Gleiche gethan hatte ^). 

In Aquincum wird ein «coUegium scaenicorum' genannt; 
eine andere Inschrift führt uns den Procurator der in Baetien 
ausgehobenen oder doch dort stationirten Gladiatoren vor^). 

Auch dafür, dass die Augusta am Lech ihrer Namensschwe- 
ster an der Mosel nicht nachstand, haben wir Anzeichen. Hier 
fand sich eines der grossen Amphitheater, das die Germanen 
nachher als „Ferlach** (berolaz), d. h. Bärengelass, Bärenzwinger 
bezeichneten, eine Benennung, die auch die Langobarden in Italien 
auf Bauten dieser Art anwandten ^). 

Was man aber sonst in der Provinzialhauptstadt von Baetien 
getrieben, mag die einzige Quelle, die wir noch darüber haben, die 
zugleich über das Martyrium von S. A&a handelt, uns andeuten. A&a, 
ein Freudenmädchen in Augsburg, hatte viele Liebhaber und ihre 
drei Mägde waren mit ihr in der Sünde; auch diese machten gute 
Geschäfte. Und man wunderte sich (um das J. 300) in Augusta 
Vindelicorum nur, dass sie als Christin jenem Gewerbe sich hingab, 
nicht aber dass sie überhaupt es that ^). Es scheinen denmach 
derartige Sünden sehr in Schwung gewesen zu sein. 

^) Z. B. Sisda mit Nioomedien, Garthago, Constantiiiopel, Rom aaf Inschrif« 
ten und Münzen. Vgl. G. I. L. III. p. 501. 

') Noch TheophylactoB Simocatta im 7. Jahrhundert nennt Sirmium „3bta ^^ 
tote icfä Tr)V £&pa>icir]V olxoöoi Tcofiaioi^ ic6piXaXo6p.cvov xal q£6|JL8Vov. Vgl. Bü« 
dinger, Oesterr. Gesch. I. 27. Im Uebrigen C. I. L. III. p. 418. 

*) Acta s. Demetrii n. 4 in den Acta SS. Octobr. tom. IV. : Mov6fjjaxo< -— 
AdoIo^ ftx X0& 6*9>voo^ Tfov 05avSdX(üV (6icapxa>v) -- o6 }i.6vov bf 'Pü>p>)} icoXXo^c 
tlg t&v Xo&$ov &v^pir|xev ^Wä xal h xd^ Ssppiiqt xol Iv fg BsoooiXoybX')}. Bfidin- 
ger, a. a. 0. I. 28. 

«) C. I. L. m. 8482 und 249. 

B) Fiifidländer, Sittengeschichte II^ 540. 

") Afra berief sich dem Richter gegenüber, schnippisch genug, auf den Präcedenz&ll 
S. Magdalena's und die Müde Christi in solchen F&llen. — Dass übrigens Auch die 

10* 



— 148 — 

Die einstige Pracht von Salonae, der Hauptstadt von Dal- 
matien, das wie die anderen binnenländischen Provinzen gerade 
in den Zeiten des sinkenden Eeiches emporblüte, — noch Procop 
sagt : dort sei die Kraft Westroms gelegen — beweisen die herr- 
lichen Trümmer von Spalato, der einstigen Residenz Diocletians 
nach seiner Abdankung; eines der werth vollsten Vermächtnisse 
antiker Kunst, doppelt wichtig für die Architecturgeschichte, weil 
dieser Kaiserpalast zwischen dem römischen und altchristlichen 
Stil mitten inne steht i). 

Oibt uns dies einen Einblick in das sociale Leben der grossen 
Städte, so fährt uns — um nun das Thema weiter zu verfol- 
gen — ein anderes Document mittlen hinein in die Reihen der 
Fabriksarbeiter ^). 

Wir treten ein in die Marmorbrüche bei Sirmium. Da sind 
622 Arbeiter beschäftigt unter der Leitung von 5 Philosophen, 
d. h. geschulten Technikern, die Brüche zu exploitiren und die 
gewonnenen Blöcke zugleich zu verarbeiten. Auch Staatsgefan- 
gene werden dazu verwendet, denn der Fabriksherr ist der Kaiser. 
Ein Tribun befehligt die Truppe, welche die Gefangenen zu be- 
wachen und die Ruhe aufrecht zu erhalten kommandirt ist. 

Der Kaiser lässt sich von Zeit zu Zeit über den Fortgang der 
'Arbeiten berichten, kommt auch wol selbst, wenn er anderer Gre- 
schäfte halber in der Nähe ist, herbei, um nachzusehen. Mit 
grosser Anschaulichkeit und Detailkenntnis berichtet uns ein of- 
fenbar selbst einmal dort beschäftigter Arbeiter über diese Ver- 

häuslichen und allgemeiii menschlichen laugenden in Augusta daneben florirten ist selbst- 
verständlich und beweisen zudem Inschriften wie n. 5825 : ein Rathsherr und Altburger- 
meister seiner Gattin : „erga se diügentissimae feminae, rarissimae singularis exem- 
pli pudidtiae." n. 58c4: „Simplicia pientissima coniugi benemerenti.** 58S9:,,8oror 
fratri duldssimo hac (!) pientissimo/* 5842 : „infanti dulcissimo.'^ 

^) Ausführhch beschrieben durch A. Hauser, Wiener Zeitung Yom 20 Febr. 
1876. Von den Dimensionen des Baues kann man sich einen Begriff machen, wenn 
man weiss, dass im Vestibulum jetzt ein Kafeehaus, im Promenadentracte ein Non- 
nenkloster eingebaut ist. Hinter die festungsartige Umfriedung flQchteten die Be- 
wohner Spalato's vor den Gothen, Arabern, Kroaten. 

*) Vgl. des Näheren darüber Benndorfs „Archaeologische Bemerkungen" in 
Büdingers Untersuchungen zur Römischen Kaisergeschichte HI. 357 — 879. Neuerdings 
ist die „Passio quattuor coronatorum" auch von A. v. Cohausen und E. Wömer in 
der Abhandlung „Römische Steinbrüche auf dem Felsberg an der Bergstrasse" (Darm- 
ßtadt 1876) m dieser Richtung verw^rthet worden. 



i 



— 149 — 

hältnisse. Da wird auf kaiserlichen Befehl eine riesige Statue 
des Sonnengottes angefertigt, aus einem einzigen Stück, wie es 
scheint, thasischen Steines, 25 Fuss hoch oder lang; der Gott 
mit dem Viergespane und allerlei Schmuck, etwa ßeliefzeichnungen 
am Wagen, einer Darstellung des Zodiacus u. s. w., wie ähnliches 
auch Münzen uns zeigen. 

Daim wird bei den Steinbrüchen selbst ein grosser Tempel 
erbaut und mit Porphyrsäulen geschmückt. Kaum ist dieser vol- 
lendet, so wird an grossen Säulen mit Capitälern gearbeitet; 
hierauf Wasserbehälter in der Form von Muscheln, geziert mit 
Statuen: Bohren mit Speiern werden daran angebracht. Zuletzt 
wird ein grosses Tempelbild des Aesculap ausgeführt. 

Auch die Arbeiter lernen wir kennen, wir sehen, wie die 

religiöse Frage der Zeit in den Gemüthern gährte, wie diese den 

Gegenstand der Gespräche bildet. Da wird erörtert, wie nicht lupiter 

die Welt erschaffen, sondern Gott der Vater und der Sohn und der 

hl. Geist; und wie der Kaiser nur über die Dinge dieser Welt 

die Herrschft habe, dass man Gott seinen Schöpfer auch ihm 

zu Liebe nicht beleidigen dürfe. Das wahre Licht, wo keine 

Finsternis herrscht, sei Christus, nicht Gott Söl u. s. w. Christen 

und Heiden arbeiten miteinander; ein Bischof von Antiochien 
« 

lebt hier als Gefangener in Ketten. In den harmlosen Gemüthem 
findet die neue Lehre sogleich Anklang; nur die Aufseher, An- 
hänger der neuplatonischen Aufklärung, sind dagegen und bringen 
die Christen zuletzt ins Verderben. Man fflhlt sich fast in die 
Zeiten der Eeformation versetzt, wo der Gang der Bekehrung z. B. 
in den Tirolischen Bergwerken ein ganz ähnlicher gewesen ist. 

So viel oder wenn man will so wenig erfahren wir demnach 
über diese Verhältnisse. Nun gab es aber in den beiden Alpen- 
provinzen Noricum und Baetien, besonders in den Gegenden, wo 
Grosstädte nicht emporgekommen waren, zahlreiche Orte, die zwi- 
schen diesen Extremen die Mitte hielten. In der Zeit vor Dio- 
cletian hatten dieselben bloss als „vici'' d. h. Dörfer gegolten, 
sie waren aber gleichwol im Laufe der Zeit mitunter zu recht an- 
sehnlichen Ortschaften herangewachsen „von städtischem Ansehen. ** 

Die ganze Beihe von Militärstationen an der Donau, von 
Strassenstationen im Binnenlande gehörte in diese Categorie von 
G^oaeinwesen. 



— 150 — 

Diocletians radicale Staatsreform hat auch hierin nivellirt; 
von jetzt an unterschied sich »Dorf* (vicus) und , Stadt *(oppi- 
dum) nur mehr durch die Grösse und durch den Umstand, dass 
dieses Mauern hatte, jenem selbige fehlten *). Jedes Nest hies von 
da ab, wenn es nur Mauern hatte ^municipium", ^civitas*, 
»castellum*, »oppidum* und ^urbs*. 

In das Leben und Treiben dieser Ortschaften an der Donau 
fahrt uns Eugipp ein. Der Schauplatz dei; Handlung des , Lebens 
Severins* ist der Landstrich an der römischen Grenze von Pan- 
nonien an durch Ufemoricum bis hinauf an den Zusammenfluss 
von Inn und Donau und die nächstgelegenen Städte des ^zweiten* 
Eaetiens. Die officielle Bedeutung der dortigen Orte erhellt am 
besten aus dem römischen Staatsschematismus. 

Da war Lauriacum, seit K. Marcus der Sitz der IL Itali- 
schen Legion, seit der Theilung der Provinz vielleicht auch der 
des Statthalters von Ufemoricum. Zudem weilte hier der Präfect 
einer Abtheilung der Donauflotte (classis Lauriacensis), bestand 
eine Schildfabrik (scutaria), waren auch „lanciarii Lauriacenses" 
stationirt. Der nächst wichtige Punkt scheint Favianae gewesen 
zu sein; hier hatte der „praefectus legionis liburnariorum pri- 
morum Noricorum" seinen Sitz. Commagena war nach den In- 
schriften der früheren Zeit ein , vicus" im Territorium von Cetium 
gewesen; in der „notitia" wird es als Militärstation genannt. 

Astura an der Grenze von Pannonien (bei Klostemeuburg) 
ist nach Inschriften aus dem 3. Jahrhundert und aus dem by- 
zantinischen Schematismus in gleicher Weise als Station einer 
Gehörte bekannt. In Joviacum (Schlögen bei Haibach) lag eine 
Abtheilung der E. Italischen Legion, deren Ziegel noch dort ge- 
funden werden. Desgleichen das noch norische Boiodurum, dann 
Batavis und Quintana (an der Strasse nach Gastra Begina zu 
gelegen) in Baetien ; Orte, die, wie bereits froher bemerkt wurde, 
ihr Emporkonmien so sehr ihrer Eigenschaft als Militärstationen 
verdankten, dass sie theUweise von den hier gelegenen Truppen- 
abtheilungen den Namen ethielten. 



^) Isidor orig: „oppidnm autem magnitadine discrepare a yico.'' Man Tgl. 
übrigens namentUch Glücks yortreffliche AusfQlirnngen in den Sitzungsber. d. W. 
Akad. 1857 S. 108 ff. 



— 151 — 

Auch in die binnenländischen Ortschaften werden wir einge- 
führt, nach luvavum, Cucullae, nach Teumia, der Hauptstadt Binnen- 
noricums. Und darin beruht eben vor allem die Bedeutung des 
„Lebens Severins" von Eugipp, dass es uns das Treiben in diesen, 
sonst mehr obscuren Ortschaften kennen lehrt und zwar in der 
Weise, dass wir, was hier nur von einigen norischen und raeti- 
schen Städten gesagt ist, generalisiren dürfen : in Veldidena, Ma- 
treium, Vipitenum, Sabiona, Saevatum und anderen Stationsorten 
Baetiens und Noricums wird es nemlich nicht viel anders herge- 
gangen sein, als am Schauplatz der Vita Severini. 

Diese Orte nun, die wir früher nannten und die Eugipp uns 
schildert, haben Thore und Mauern, die bewacht werden und mit- 
telst deren man im Stande ist, eines Anfalles der Barbaren sich 
wol zu erwehren ^). Sie heissen nach dem erwähnten die Ge- 
gensätze verwischenden Sprachgebrauche der Zeit, bei unse- 
rem Schriftsteller abwechselnd Castelle oder Flecken oder Städte 
u. s. w. ^). 

Die Einwohner jeder dieser Ortschaften bilden einen «popu- 
lus" 3) für sich und werden bezeichnet als „habitatores" *), „cives"^), 
„oppidanei" ^), oder auch als „mansores" '). 

Diese „Städter" sind zugleich Bauern ; von Wind und Wetter, 
Sonne und Regen hängt ihr materielles Wohl und Wehe zum grössten 
Theile ab ^) ; im Sommer richteten die grosse Hitze, der Brand am 
Getreide oder auch grosse Heuschreckenschwärme bedeutenden Scha- 
den an ^). Das Land um die Stadt herum ist wohlbebaut ^% dort 



^) c. 2. portae. c. SO: Mauern yon Laoriacam. 

*) c 11. Norid ripensis oppida snpeiiora. c 22 : snperiora casteUa culiore 
destitata. c. 30 : ebenso, c 25 : „casteUa oniTersa" der Diöoese von Tibnmia. Laa- 
riacnm heisst „oppidnm** c. 18. 27. 28. 30." „dyitas" SO. „orbs" 29. 30. 

^) c. 27: dnoram populi oppidorom. 

*) Z. B» c. 2. 8. 

5) Z. B. c. 1. 8. 4. 80. 

«) c. 83. 

^. c. 12. 16. 27. 

^ pladdus imber desperatae messis amputavit inoommoda. c. 18. 

') c 12: locnstae firngom consumpiarioes noxüs morsibus cancta vastantes. 
c. 18: mbiginis improyisa cormptio frugibns nodtura oomparnit. 

^^ Vgl. c. 40: Haec quippe loca frequentata coltoribus. 



- 152 — 

liegen die Saatfelder i), die Weiden, die Weingärten 2), die Haine 
von Obstbäumen, der Wald der Bewohner; diese treiben wol das 
Vieh hinaus auf die Weide ^) und bringen selbst einen grossen 
Theil des Tages ausserhalb der Stadtmauern zu, beschäftigt mit 
ihren Feldarbeiten *). Zur Zeit der Ernte ^) zieht Alles hinaus, 
um dieselbe einzubringen, nur wenige Männer bleiben als Wache 
zurück 6); da führt man zur Stadt das Obst^, das Korn und 
andere Feldfrüchte, das Heu für das Vieh^). — In schlechten 
Zeiten wird geklagt, dass das letztere ausserhalb der Stadt nichts 
zu fressen habe. 

Auch sonst wird uns die ganze Landschaft eingehend ge- 
schildert. Die Winter sind in der Eegel sehr kalt; Inn und 
Donau Meren zu diesen Zeiten zu, der letztere Strom in solchem 
Masse, dass man mit Wagen ganz sicher darüber fahren kann ^). 

Die Alpenstrassen sind dann nur mit äusserster Lebensge- 
fahr zu begehen und die directe Verbindung von Ufemoricum und 
dem Binnenlande, Auf welcher die Alpenbewohner mit ihren Pro- 
ducten u. s. w. zu verkehren pflegten, ist unterbrochen *®), Doch 
gab es auch damals schon Wagehälse, welche die Tour von 
Teumia nach Favianae trotzdem zu unternehmen wagten. Eugipp 
erwähnt eine solche, wo die kühnen Bergsteiger von einem Schnee- 
gestöber überrascht ynirden; sie fanden unter Bäumen einen Schutz, 



^) c. 12: ager segetis — seges ezigua, multis Ticinorum drcumdata fnigibas. 

*) c. 4: „ad vineas." 

3) Vgl. c. 30. 

*) c. 4, geht eine Frau „iiizta morem proyinciae opus agrale (so Saappe) pro- 
priis manibus exeroere." — Ebenda : extra muros — homines pecudesque. 

^) matnritate messium flavescente. c. 18. 

^ C 22 (Batavis) cnncti mansores in messe detenti. Qnadraginta yiri oppidi 
ad custodiam remanserant. 

^ c 10: ad colligenda poma in 11. a Favianis milliario egressns. 

^ Vgl. c. SO, wo in Laoriacom ein Haufen Heu (acervus foeni) in Brand 
kommt. 

^) hiems, qnae in Ulis regionibns saeviore gelu torpescit. c. 8. c. 17 : in fri- 
gidissima regione. c 4: ad cuius immanitatem frigoris oomprobandam, testem oon- 
stat esse Dannbinm, ita saepe glaciali nimietate concretom, nt etiam planstris so- 
lidnm transitnm sabministrat. 

^^ c. 29: hieme — regionis Alias itinera geln torpente daadnntnr. Es ist 
»andax temeritas*, das ausser Acht zu lassen. 



— 153 — 

die ganze Nacht hindurch fiel fort und fort Schnee, so dass die 
Wanderer in der Frühe unter den Bäumen wie aus einem unge- 
hem-en Ofen hervorsahen ^). Indem sie den Spuren eines Bären 
folgten, kamen sie nach Zurücklegung einer Strecke von 200 
Million glücklich bei den ersten menschlichen Wohnungen^) auf 
der anderen Seite des Gebirges an. 

Sind die Wüiter dermassen kalt, dass die Flüsse gefrieren, 
so bringt dafür Frühjahr und Sommer anderes Ungemach, indem 
nemlich TJeberschwemmungen eintreten, welche die Uferstädtchen, 
die nicht hoch genug lagen, regelmässig ins Mitleid zogen, so 
dass mitunter die Gebäude, selbst Kirchen, geradezu auf Pfählen 
erbaut wurden, wie es z. B. die Bürger von Quintanis gethan 
hatten ^). 

Wir lernen fernerhin die Leute kennen, die das Land be- 
wohnen. Es treten unter ihnen mannigfache sociale Unterschiede 
hervor: es erscheinen Vornehme und Reiche *), Niedere und Arme; 
die Einwohnerschaft ist zahlreich; es gibt noch kleine Grundbe- 
sitzer 5) ; aber das Proletariat ist doch auch hier in steter Zu- 
nahme begriffen. 

Die Bürger nähren sich abgesehen von der Landwirtschaft 
zugleich vom Handel. Weltlicher Lust und Fröhlichkeit sind sie 
gar nicht abgeneigt, auch in den letzten Zeiten der Herrschaft 
des Eeiches, ganz so, wie ihre Zeitgenossen am Bhein, nur gehen 
ihre Laster den geringeren Mitteln gemäss nicht so ins Grosse, 
sondern bleiben in der bürgerlichen und bäuerlichen Sphäre: 



^) G. 29 : ad summa alpium cacumimi perrenerunt, nbi per totam noctem nix 
tanta deflnzit, ut eos magnae arboris protectione yallatos yelut ingens fovea de- 
mersos induderet; ita ut de yita sna despararent. 

*) per ducenta fere millia — nsque ad habitacola hominom. U). 

^ Vgl. c. 15; der Bau wird genan beschrieben. Eodesia extra mnros ex 
lignis constructa — quae pendula extensione porrecta defixis in altom stipitibus 
sustentabatur et furcnlis, cui ad yicem soll tabnlarum erat levigata ooninnctio, quam 
quoties riyus exoessisset, aqua superfluens oocnpabat etc. 

^) laid nobiles indiginae. Frol. c. 8 1 : multi nobiles (die man, wie Pallmann 
richtig bemerkt, nicht mit Bahn f&r Barbaren halten darf), c. 8 : vidua — nobi- 
lissimis natalibns orta. 

^) c 12 wird die Besitzung Irgendeines genannt, „quae perparva inter aliorum 
sata iaoebat." 



— 154 — 

Neid, Geiz, Egoismus, Herzlosigteit und dgl. werden hiebei be- 
sonders hervorgehoben *). 

Bussprediger, an denen es nicht fehlt, werden gebührend aus- 
gelacht 2). Die Geistlichkeit hält, trotz Fasten und Gebet, dem 
sie nicht sehr zugethan ist, zum Volke und ist im Allgemeinen 
nicht besser als dieses ^). Die Mönche zeigen sich mitunter etwas 
insolent, die Nonnen sind neugierig wie immer *). 

Im ganzen lebt das nori^che Völkchen recht anmuthig in 
den Tag hinein, soweit die hohe Politik, von der es sich so lange 
als nur möglich völlig ferne hält, es eben gestattet. 

Allerlei Erfindungen unserer Zeit sind natürlich noch un- 
bekannt; Feuer machte man, indem man die Flamme durch das 
Zusammenschlagen von Steinen hervorlockte ^), 

Wir bemerken dann, dass bei den norischen Donau-Komanen 
sich doch noch innerhalb des grossen Eeiches sowol, wie auch 
innerhalb der illyrischen Provinzen speciell sich allerlei berech- 
tigte Eigentümlichkeiten erhalten hatten: Eugipp erwähnt aus- 
drücklich der „Landessitte' ^): er schildert eindringlich die Liebe 
der Bewohner zum heimatlichen Boden, als es später zur Aus- 
wanderung kam '). Eugipp selbst muss seine Heimat sehr ge- 
liebt, ihr auch nachher in der Fremde ein treues Gedächtnis be- 
wahrt haben. Mit sichtlicher Freude schildert er dieselbe seinem 
italischen Publicum, wo es für den nächsten Zweck seiner Ar- 
beit gar nicht nothwendig gewesen wäre. Zahlreich sind seine 
geographischen und topographischen Angaben; namentlich die 



*) z. B. c. 8. 

') Von diesem Standpunlrt aus sind ihre „snimi oontomaoes ac desideriis car- 
nalibns inclinati." c. 1. Femer c. 22: aperta scurrilitas. c. 2, 12,27, SO wird 
über incredulitas, c 1 über infidelitas geklag^t. c. 24: aliis ergo de tanto presa- 
gio dubitantibus aliis prorsus non credentibus. 

3) Vgl. c. 22« Presbyter ille, qui tarn sacrilege — contra Samolam Christi 
— fnerat elocatus: veritatis inimicus. Ct c 28. c. 22: quidam presbyter haec dia- 
bolico spiritn repletns adiedt : Perge qnaeso sancte, perge yelodter, ut tue disoessa 
pammper a jejnnüs et Tigiliis quiescamns. 

*) Vgl. c. 16. 

') c. 18 : flammam concussis ex more lapidibus elicere — alteratra ferriet petri 
collisione. 

^ „inzta morem provinciae" c. 14. 

^ Batavinis genitale solam relinquere dubitantibas. c. 27. cf. c. 24 u. a. 



— 155 — 

Entfernungen der einzelnen Oertlichkeiten werden immer mit 
grösster Genauigkeit angefahrt. Wir können Eugipp dabei zum 
grössten Theile controUiren an der Hand anderer*Quellen, der Iti- 
nerarien, des Staatsschematismus, in einzelnen Fällen auch aus 
Inschriften oder historischen und geographischen Schriftstellern. 
Dabei findet man überall die grösste üebereinstimmung zwischen 
diesen von einander unabhängigen Quellen und die Genauigkeit 
der Angaben des ^Lebens Severins* über alles Lob erhaben. 

Eugipps Schrift zeigt uns zugleich das norische Provin- 
ziallatein des 5. Jahrhunderts und wie dasselbe nach und nach 
zu einem romanischen Dialect sich zu entwickeln anschickte; 
namentlich ist bemerkenswert, dass in der Vita die officiellen 
Namen Favianae, Commagenae, Astura u. s. w. alle die Ablativ- 
form Fafianis, Commagenis, Asturis angenommen haben, wie ja 
die Itinerarien schon zum Theil eine ähnliche Erscheinung zeigen. 

Innerhalb des ufemorischen Landes unterschieden dann die 
Provinzialen wieder zwischen den oberen Gegenden unl den un- 
teren; wie es scheint, ist schon in römischer Zeit die Ens in 
dieser Beziehung eine Grenzscheide gewesen, wie sie heute die 
beiden österreichischen Erzherzogthümer von einander trennt. Eugipp 
spricht von den „castella Norici ripensis superiora" und unterschei- 
det davon die am unteren Donaulaufe gelegenen, zu denen unter 
anderen Lauriacum und Favianae gerechnet werden. 

Sonst wird in der Vita Severini die officielle Provinzial- 
eintheilung streng eingehalten: beide Pannonien, dann Baetia 
secunda *) werden ausdrücklich genannt. Binnennoricum wird 
auffallender Weise gewöhnlich ,.Noricum" schlechtweg genannt *). 

Wir sehen auch, dass der Verkehr alP dieser Landschaften 
unter einander und mit Italien ein sehr reger war. So mit den 
pannonischen Provinzen ^), selbst nachdem die Barbaren dort sich 



*) Vgl. C. I. L. ni. p. 708. 

*) c. 25 : quidam de Norioo, Maziminus nomine, ebenso c. 29 : Maziminns 
Norioensis. c. 17: Norici presbyteri; wo regelmässig von Leuten ans Teornia die 
Bede ist; c. 17. 21. heisst Tibomia (das Tennua der Inschriffeen) „metropolis No- 
rici**; baud sdo an non yere, bemerkt biezu Mommsen im C. I. L« m. p. 598. 

') So tuun der 8 j&brige Knabe Antonios ans Pannonien n. z. der Provinz 
(dritas) Valeria zu Seyerin in dessen letzten Jahren nach Ennodii vita b. Antonii 
Lirinensis. p. 417 f. ed Sirmond. Vgl. Bfldinger a. a. 0. S. 48. 



— 156 — 

festgesetzt hatten. Nur die Donaacommunikation war damals 
gehindert, weil die germanischen Stämme hüben und drüben sich 
feind waren. 

Auch mit den Barbaren jenseit der Donau hatte man Ver- 
kehr. Severin wie seine Boten giengen ungehindert hin. und her, 
er sandte und empfieng Briefe ^). Man besuchte die Märkte, kaufte 
die Gefangenen los u. s. w. 

Nach Italien schlägt man den Weg entweder aufwärts den 
Strom entlang ein 2), oder geht durch das Binnenland ^). Der 
Verkehr mit Italien ist auch sonst in jeder Beziehung aufrecht- 
erhalten; Briefe gehen hin und her*). Kranke kommen, um 
Heilung zu suchen ^) ; politisch anrüchige Persönlichkeiten fliehen 
in die Provinz % 

Femer ist in dieser Beziehung zu erwähnen die Wasser- 
strasse der Donau und des Inn, auf der die „Annona" herbei- 
geschafft wurde ^); wol aus Italien über Trident, wo Staatsma- 
gazine sich befanden, die Brennerstrasse oder Via Claudia Au- 
gusta herauf, bis dorthin, wo der Inn schiffbar wurde ^). 



^) Vgl. c. 19 oblatis regi, receptisque remearit epistolis. Der König schriel) 
wol lateinisch. 

*) c. 20 : perrexerunt quidam ad Italiam .... Nachher : corpora prefatorom 
fluminis impetu ad terram delata. 

») Vgl z. B. c. 45. 

^) c. 46: Barbaria r— b. Seyerinum fama et litteris cum suo quondam 
iagali optime noyerat. c. S2 : Brief Odovacars an Severin. Eine Königin der Mar- 
comannen, Fritigild, erhält Ton B. Ambrosius von Mailand einen Bekehrungsbrief, 
der die beste Wirkung hatten Ygl. Büdinger, Gest. Gesch. I. 46. 

^) c. 26: leprosus quidam Mediolanensis territorii. 

^) c. 'S2 : Ambrosius quidam exulans. Ein andermal wird ein flüchtiger 
Gflnstiing des Orestes erwähnt: Primentus, quidam presbyter Italiae, nobilis ac 
totins anctoritatis yir, qui ad eum confugerat tempore quo patridus Horestes ini- 
que peremptus est, interfectores eins metuens, eo quod interfecti ?elut pater fuisse 
diceretur. ProL 

') c. 8. 

^) Vielleicht rom heutigen Innsbruck an, von wo aus man auch im 16. Jahr- 
hundert ArtiUerie zu Wasser transporturte (Alberi, relazioni degli ambasdatori Te- 
net! 8. L, Tol. VI. S. 106 f.). Vgl. den „portus Oeni" der Vita Corbiniani c. 42. 
Hieza die Bemerkungen yod Fr. C. ZoUer, Gesch. und Denkwürdigkeiten der Stadt Inns- 
bruck I. S. 9 ff. Die Zufuhr für die Baetisdien Truppen machte von Anfang an den Weg 
Aber Trident. Vgl C. I. L. V. n. 5086 : „adlectus annonae legionis KI. lialicae'S ein 



— 157 — 

In Eaetien ist noch um die Mitte des 6. Jahrhunderts der 
Verkehr auf den alten Strassen vor sich gegangen. Venantius 
Fortunatus, ein geistlicher Tourist jener Zeit, ergänzt durch seine 
Keisebeschreibung das Bild von den Verkehrsverhaltnissen jener 
Alpenlande, das die Vita Severini uns bietet. Venantius schildert 
den Weg von A^gusta (Vindelicorum) nach dem Lande der Breo- 
nen, über den Brenner, einerseits durch das Pusterthal, wo, schon 
in norischem Gebiete, » thront auf bergigem Hügel Aguntus *, von 
hier über die Alpen nach Julium Carnicum (Zuglio) in Ober- 
Italien 0. 

Und wasEugipp über das Leben* in den Donaustädtchen Ufer- 
üoricums berichtet, das leistet mehr als 250 Jahre später fOr 
einen Theil von Innerraetien die Vita Corbiniani von Aribö; es 
sind die Gegenden der Breonen und Venosten, die einst Drusus 
unterworfen hatte und deren Namen die Siegestafel von Torbia 
uns nannte, die aber auch im 8. Jahrhundert als Bomanen sich 
erhalten hatten^). 

Da begegnet uns im Innthal ein „nobilis Bomanus nomine 
Doniinicus, Breonensium plebis civis", wie er sich nennt — die 
Breonen müssen ihre alte Gauverfassung noch damals bewahrt 
haben ^; Mala (beim heutigen Meran, Mais) ist „urbs, oppidum, 



Tridentiner Bürger yon Bitterrang. Not. dign. p. 102 : „praefecti legionis III. Italicae 
transvectionispecierum." Vgl. G. Th. 1. XI. t. 16 1. 18. (890) und 1. 4 Th. G. de conlat. 
fandor. XI (19) (a. 898), wo die Vorspann- und Lieferungsdienste der Unterthanen 
geregelt werden. VgL auch Augustin. de civ. dei XVIII. 18. Böcking, Zur Not. 
dignitat. p. 774. 

') T. Martini 4, 647 : S. Valentin! templa require Norica iura petens, ubi 
Birrus ver^itur nndis Per Braynm itur iter qua se castella supinant; Hie montana 
sodens in coUe superbit Aguntus. (Aguntus ist Aguntum vde Acincus für Aquincum 
bei Sidon. ApoUinaris carm. 5, 107 ; ebenso war neben Dorostorum auch Doro- 
Btoms in (Gebrauch.)* Vgl. p. 528 : per Aipem Juliam pendulus, montanis anfracti- 
bus, Drayum Norico, Oenum Breonio, Licam Boiaria, Danubium, Alemannia, Bhennm 
Germania transiens. 

*) Vallis Venusta (?. Corbin.) c. 10. Breones, 1. c. 10. 88. 

^) Vgl. einen ähnlichen Sprachgebrauch in Gallien auf den Inschriften: 
die Bürger jedes Volkes setzen zur Bezeichnung ihrer Angehörigkeit dem Namen des 
Volkes das Wort „civis" vor: dvis HelvetinB, civis Sequanus u. s. w., was eben 
auf den politischen Zusammenhang dieser Völkerschaften hindeutet. Kuhn, die st&dt, 
und bürgerliche Verf. des Rom. Reiches n, 417 f. Ueber den obengenannten Do- 
minicas Waitz, Ver&ssung^gesch. n., 508. A. 5. 



— 158 — 

castrum, castellum, civitas'^ ^). Die Stadt hat Mauern und ist 
befestigt, sie hat auch eine Besatzung von Baiem, nachher von 
Langobarden 2), wie ^Asturis bei Eugipp von Barbaren 3), worüber 
sogleich die Bede sein wird. Dabei erfahren wir auch einiges 
über Land und Leute : die Gegend um Maia vrird genau geschil- 
dert: die Passer und ihr tiefes Bett, die Brücke darüber, die 
Felswände zu Seiten des Flusses, wie man dies heute noch sehen 
kann. Man rühmt den A-uchtbaren Boden, die Menge der W&lder, 
die Annehmlichkeit der Gegend, die Aecker, die Wiesen und die 
Alpen ; Viehzucht erscheint als Hauptculturzweig ; dem Grafen zu 
Trident sind eben 42 Binder an der Pest zu Grunde gegangen. 
Zahlreiche Weinberge vervollständigen das Bild dieser Landschaft 
um die „Bömerstadt^^ Maia, die bald nachher den Stürmen der 
Zeit erlag, wie dort an der Donau schon früher Lauriacum, Ba- 
tavis, Favianae u. a. *). 

So also in den grossen Städten und in den Kreisen der Ar- 
beiter, in den Flecken an der Donau; anders auf dem Lande, 
wenigstens dort, wo eine Latifundien- Wirthschaft nicht den freien 
Bauern unmöglich gemacht hatte, sondern dieser Stand sich er- 
hielt, nemlich in den Alpen. Da lebte das alte Volkstum noch 
lange fort, unberührt von der grossen Nivellirung aller Son- 
derunterschiede, welche die Begierung anstrebte. Hier ist das 
Werk nur zur Hälfte gelungen und zwar nicht durch den Staat, 
sondern durch die Kirche; der Bauer behielt seine alpenhafte 
Eigentümlichkeit, fühlte sich aber doch als Bomane und als Christ 
gegenüber den heidnischen Barbaren. 

Die Bewohner der raetischen Berge haben noch im 6. Jahr- 
hundert eine brauchbare Miliz abgegeben, welche die Grenzen und 
Pässe Italiens und das heutige Tirol vor den Germanen der baieri- 
schen Hochebene zu schützen hatten ^). 

^) Magense castrum c. 18. 26. 29. 85. 89. dvitas c. 88. 41. nrbs Mageosis 
c. 41. Magies c. 31. 

') y. Corbin. c. 12. 18 : praepositi castodes — c 86 : „porta nrbia" Ton „co' 
stodos** bewacht. 

') 7. Severini c. 1. 2. 

^) N&heres über Maia bei Schönkerr, Ueber die Lage der angeblich Terschfit* 
teten Römer Stadt Maia. Innsbrock 1872. 

*) Vgl. Gassiodor Var. I. 11. 1. Jftgor, Aber das raetische AlpenTolk der Bieo* 
neu. Sitzongsber. der W. Alud. 1868. S. 408 L 



— 159 — 

Ueber das Leben und Treiben der hiesigen Bauern in rö- 
mischer Zeit geben uns einige werthvoUe Documente erwünschten 
Aufschluss, welche einst zu ganz anderen Zwecken abgefasst worden 
sind; ich meine nemlich die Acten der Nonsberger Märtyrer Si- 
sinnius, Martyrius und Alexander. 

Das Val di Non liegt im Stadtgebiete von Trident und ist 
auch sonst durch wichtige Funde aus dem Altertum rühmlichst 
bekannt; schon E. Claudius hatte den Anaunern in höchsteigen 
geschriebenem Diplom das Bürgerrecht ertheilt, nachdem sie früher 
dem „splendidum municipium" attribuirt gewesen waren. 

Hier feierten am 28. Mai jedes Jahres, am selben Tage, an 
dem die römischen Ackerbrüder ihren Umzug zu halten pflegten *), 
auch die Nonsberger ihre Ambarvalien. Da kamen die Bauern 
und Hirten des Thaies rings von den Bergen herab, in festlichen 
Gewändern, das Haupt bekränzt. In Procession wird sodann das 
Bild des Saatengottes herumgeti-agen, führt man die verschie- 
denen zum Opfer bestimmten Thiere feierlich einher; Lieder und 
Musik ertönen. So gelangt man ausserhalb des Dorfes zur Stelle, 
wo das Heiligtum des Saturnus stand; dort wurden die Thiere 
unter neuerlichem Gesänge geschlachtet und verbrannt. Ein Fest, 
das unseren Frohnleichnamsprocessionen und Bittgängen auf ein 
Haar ähnlich sieht: in raetischer, römischer, germanischer Zeit 
hat man hier die gleichen Feste gefeiert, nur umgedeutet bald 
so und bald anders. 

Es wird uns zugleich von kundiger Hand das Thal selbst 
beschrieben, sein enger Eingang, die steilen Höhen, die es rings 
umschliessen ; auf deren Kante liegen die Dörfer 2), da die Sohle 
des Thaies nicht genug Baum dafür hat. 



^) Vgl. Marini, Atti de' fratelli Arvali p. 189. Henzen, Acta fratrum Ar- 
talium, quae snpersunt p. 47. Was in der Gontroverse Aber die Beziehangen von 
Arvalfest nnd Ambarvalien ins Gewicht Wlt Vgl. auch Mommsen, Böm. Chronolo- 
gie (2 Aofl.) S. 70. Für vergleichende Religionsgeschichte sind die hier angefahrten 
Thatsachen von der grössten Bedeatong. 

^) castellis undique positis in coronam. Man vgl. damit die »arces Alpibns 
impositas* welche nach Hora2 Od. IV. 14 Drusus brach; »moltis orbiom et ca- 
steUomm oppngnationibos* VeUeios II, 95. Es sind darunter befestigte Ortschaften 
im Gegensatz za den zerstreuten Wohnungen der Germanen (vgl. Tac. Germ. 16) 
und den offenen Dörfern der Kelten (Strabo V, 5. Polyb. II, 17: oTxoov ^ tnaxä 
xuifiai; ^ei)^bd'oo^) zu verstehen. Vgl. Planta, Das alte Baetien, S. 22. 



— 160 — 

Die Bewohner werden geschildert als rohe Hirten und Bauern; 
sie wohnen an den Seitengeländen zerstreut, der Viehzucht und 
dem Kömerbau ergeben, wie es die Natur der Gegend mit sich 
biingt. Der Buf der Hirten, der Schall ihrer Homer wiederhallt 
von den Bergen. Selbst Jodler scheinen schon vorgekommen zu 
sein *). Kuhschellen und Vieh, ungeheure Felsblöcke, Aexte und 
anderes bäuerliches Arbeitsgeräthe bilden sonst die Staffage; wir 
befinden uns inmitten einer Alpenlandschaft. 

Metho oder Methol beim heutigen Cles 2) war der Hauptort 
des Thaies, sowol in politischer wie in sacraler Beziehung. Hier 
ist das Edict des K Claudius öffentlich ausgestellt gewesen, hier 
fand der gemeinsame Gottesdienst statt, hier ward in die «Bru- 
derschaften" aufgenommen. Hier war die Begräbnis- beziehungs- 
weise Verbrennungsstätte, der Friedhof der Angehörigen der Ge- 
meinde: die „Campi neri", wie sie jetzt heissen. 

So /bieten uns jene Martyreracten eine Tiroler Bauemidylle, 
wie sie in römischer Zeit sich abgespielt hat. 



Es ist hier der Ort, einer sehr interessanten Controverse 
gegenüber Stellung zu nehmen, die sich vor nicht langer Zeit 
über die Entwicklung unserer Alpendörfer entsponnen und damals 
viel Staub aufgewirbelt hat. 

Im J. 1872 lies Prof. K. Th. v. Inama-Stemegg in Innsbruck 
ein Buch erscheinen „über das Hofsystem im Mittelalter mit be- 
sonderer Beziehung auf deutsches Alpenland." 

Darin wurden namentlich zwei Thesen verfochten; die erste 
gieng dahin, dass die Ansiedlungsweise hier im Gebirge schon 
wegen der natürlichen Productionsbedingungen eine andere hätte 
sein müssen, als wie im Flachlande (z. B. in Baiern) ; hier herrschte 
dorfweises Zusammenwohnen vor, dort aber das System der Ein- 
zelnhöfe, es sei dieses hier das ursprüngliche gewesen und erst 
später wären daraus auch Dörfer erwachsen. Der Unterschied zwi- 
schen beiden Ansiedlungsarten ist aber darin gelegen, dass d^ 



^) Unsere QaeUe erwähnt „strepentes et horridos iabilos pastondes." 

*) Mechel od. Meckel ist gemeint, ein Dorf und eine Gegend in der N&he ron 

Cles, das, nach »ecdesia* benannt, erst sp&ter emporkam. Vgl. GioTanelli, fiber 

den Satumnsdienst in den Tiidentiner Alpen. S. 76. 



— 161 — 

Hof characterisirt ist nicht blos durch seine Einzellage im 
Gegensatz zum Wohnverbande eines Dorfes, sondern auch durch 
den arrondirten Grundbesitz der privative^ Ländereien im Gegen- 
satz zur Gemengelage auf den Dorffeldmarken, woraus von selber 
die „Plurfreiheit" einerseits und den „Flurzwang" andererseits re- 
sultirt 1) ; es kann dabei ein Dorf aus zerstreut liegenden „Höfen" 2) 
bestehen - - wenn nur die Ländereien durcheinander liegen; wie 
es andererseits noch, kein Dorf ist, wenn mehrere Höfe zusammen- 
liegen. Das war der erste Punkt. Der zweite betonte, dass die eben 
angeführte eigentümliche Ansiedelungsart in den (jetzt deutschen) 
Alpenländem auf die Germanen zurückzuführen sei: die Schil- 
derungen des Tacitus stimmten genau damit überein, da ja dieser 
auch die Ansiedlungen im Gebirge von jenen in der Ebene unter- 
scheide u. s. w. ; wenn sonst nichts weiter so sei jedenfalls das 
aus der „Germania" zu entnehmen, „dass die jetzigen Hofansied- 
lungen des Alpenlandes ganz dem altgermanischen Geiste und 
den altgermanischen Sitten entsprächen"^). 

Diese Thesen gaben in der Folge zu weiteren Erörterungen 
Anlass: und darin liegt für uns eben der Werth jenes Buches. 
Zunächst schrieb G. Haussen eine ausführliche und sehr beleh- 
rende Anzeige von Inama's Buch in die Göttinger Gelehrten An- 
zeigen *), worin manche der apriorischen Ansichten des Verfassers 
klar gelegt oder deren Wiedersprüche aufgedeckt wurden. Auch 
wies bereits Haussen darauf hin, dass der Verfasser „die Mühe, 
die ältesten öconomischen Verhältnisse in den Alpen nach Ta- 
citus' Schilderung von den Germanen zurechtzulegen, sich hätte 
ersparen können, da eben die Alpen in jenen Zeiten noch gar 
nicht von germanischen Volksstämmen besiedelt waren, mithin 
die Nachrichten des Tacitus sich nicht auf dieselben mit be- 
ziehen." „Immerhin kann in einigen Alpengegenden das Hofsystem 
uralt sein, nur ist das nicht aus Tacitus zu deduciren" ^). 



^) Ausführliche Erörterung darüber ron Hanssen, Göttinger Gel. Anz. 1878 
St. 24. S. 921 fF. 

*) Das Wort Hof wird in Süddeutschland praktisch anders gebraucht als bei 
den KationalOconomen technisch. 

•) Vgl. Hofeystem S. 27 f. 

^) 1878. St. 24. S. 921--956. 

») A. a. 0. S. 947. 
Juif, die Donau-Pro?inxen. 11 



— 162 — 

Bald darauf erschien im „historischen Taschenbuche^^ ^) ein 
fywirthschaftsgeschichüicher Essay^^ von Inama-Stemegg, betitelt: 
„Die Entwicklung der deutschen Alpendörfer" ; worin der Verfas- 
ser den Einwendungen Hanssens gegenüber seine Meinungen im 
einzelnen modificirt und mehr präcisirt hatte, in der Hauptsache 
aber seinen alten Standpunkt vertheidigte. Namentlich auch in 
Bezug auf den germanischen Character der ältesten Ansiedlungen 
in den Alpen. „Aus den Stürmen der Völkerwanderung hatte sich 
als dauerndes und endgiltiges Ergebnis für die Alpen von den 
Quellen des Ehein und des Inn bis zur Wasserscheide der Drau 
und Bienz und von der schwäbisch - baierischen Hochebene bis 
tief in das Etschland hinein eine wesentlich deutsche Bevölkerung 
abgeklärt Die Beste einer älteren Culturperiode raetischen und 
celtischen Ursprungs, nebst den zurückgebliebenen römischen Fro- 
yincialen wurden theilts assimilirt, theils starben sie aus oder 
erhielten sich als vereinzelte Oasen, ohne irgendwelche bleibende 
Bedeutung für den Gesammtcharakter der deutschen Alpenbevöl- 
kerung und fOr ihr Culturleben." — So könne denn von dieser 
Zeit an auch mit Bestimmtheit die Gultivirung des Landes auf 
deutsche Wurzeln zurückgeführt, mit deutschem Masse gemessen 
und an den allgemeinen germanischen Einrichtungen beurteilt 
werden, während für die Zeit vor der Völkerwanderung eine einiger- 
massen bedeutende germanische Bevölkerung allerdings bezweifelt 
werden müsse, obschon sicherlich die vielen germanischen Durch- 
züge, welche die Alpen überschritten, nicht spurlos an der Cultar 
des Landes vorübergegangen seien. „So viel scheint gewiss, 
dass unsere Alpendörfer nicht auf römische Ansied- 
lungen unmittelbar zurückzuführen sind und dass ra- 
senische, besonders raetische und celtische Cultur für die späteren 
Ansiedlungen der Germanen nur insoweit massgebend geworden 
sind, als diese sich jene Beste einer älteren Bevölkerung as- 
similirten oder die von ihr verlassenen, bereits cultivirten Ländereien 
besetzten" *). 



^) Begründet ron F. v. Bannier, heraasgeg. r. W. H. Eiehl Jahrg. 1874, 
S. 09---169. 

*) Vgl. den Essay a. a. 0. S. 108 f. Man vgl. damit »Hofsystem« S. 46 f., 
wo gar von einer »solchen Verwandtschaft des ganzen Volkscharakten der Atemannen 



— 163 — 

Es wird dann die Art und Weise beschrieben, in der die 
Colonisation des Alpenlandes sich vollzogen haben sollte. 

Alle Spuren ältester Landescultur wiesen gleichmässig auf 
die Höhen: ,,Carey's Gesetz der Absiedlung wird durch die Ge- 
schichte der Cultivirung des Alpenlandes der Hauptsache nach 
bestätigt Die Spuren der Urbevölkerung ja wol noch einer spä- 
teren vor der Völkerwanderung finden sich zumeist auf dem Mit- 
telgebirge und in den Hochthälem ; auch die Bömer scheinen mit 
ihren Strassen und Wohnsitzen die Höhen aufgesucht zu haben^^ ^). 

So machten es denn auch die Germanen. „Auch in den Alpen 
lockte der leicht zugängliche Boden die ersten Stämme, welche 
sich hier eine dauernde Wohnstätte gründen wollten; die kampfes- 
frischen und jagdlustigen Germanen, welche den Ackerbau nicht 
einmal da mit Eifer betrieben , wo sich ihnen bequem Gelegenheit 
dazu bot, waren gewiss nicht dazu angethan, die Wildnis des 
Gebirges mit schwieriger weitaussehender Culturarbeit zu lichten, 
um sich erst einen Boden zu bereiten, auf welchem sie den Pflug 
einzusetzen vermochten ; sie verfügten über kein Kapital, das sie 
dem Boden anvertrauen konnten, um ihn erst zur Nützung zu 
befähigen ; wie er war, musste er dienen zur Erhaltung ihres ein- 
zigen Vermögens, ihrer Heerden." 

„Und so legten denn die deutschen Einwanderer ihre erste 
Axt an den Hochwald, der von den Thalgeländen bis zu den 
Grenzen des Holzwuchses hinauf da» Gebirge beherrschte und nur 
da unterbrochen war, wo er der Macht der Stm'zbäche nicht wider- 
stand .... Jeder Stamm, der dem Anbau weichen musste, fügte 
sich dem Stamme und bot dem Anbauer bald ein schützendes 
Dach füi seine Familie, Feuer für seinen Herd, Zäune für seinen 



mit jenem der Raetier* die Bede ist, dass in Folge dessen die Einwanderungen 
jener , jedenfalls wenig Yeränderangen hervorgebracht haben dürften.* Im übrigen 
bezeuge »die ungeheare Menge von Ortsnamen, die aof eine schon zu Zeiten der 
Römerherrschafb sesshafte Bevölkerung hinweisen, dass hier weniger als anderwärts 
durch die Völkerwanderung eine radicale Veränderung in der Bevölkerung vor sich 
gegangen seL* Was v. Inama das einemal sagt, nimmt er das anderemal wieder lu- 
rück, wenn es ihm nicht in den Kram passt. Schon Haussen hat das bemängelt. 
^) Hofsystem im M. A. S. 9. Essay S. 112. Ueber die Oiltigkeit von Carey's 
Gesetz in unseren Alpen vgl. das merkwürdige Urteil Felders, des Bc^iers, Dichters 
und Volksmannes aus dem Bregenzerwalde in dessen Biographie von H. Sander. 2. Aufl. 
1876. S. 229 i Vgl. auch Kerner, Sitzungsber. d. W. Ak. LXXI. (1875) Jan. 

11* 



— 164 — 

Hof und seinen Pferch, Werkzeuge und Gerätschaften für Haus 
und Feld, Wild, Beeren und Honig waren erwtoschte Speise; 
auf dem mit Moder und Abfall reich gedüngten Boden aber konnte 
sofort die erste Saat gestreut werden ; die Asche der ausgebrannten 
Baumstümpfe vermehrte reichlich die pflanzenidhrenden Theile 
der oberen Schichten, während Pferde, Hom- und Borstenvieh im 
nahen Walde reichlich Mast und Weide fanden" *). 

„In grossen Gruppen kamen sie also gezogen die letzten 
AusUlufer der grossen germanischen Völkerbewegung." Weite 
Strecken nahmen die einzelnen Sippen und Geschlechter in Besitz, 
oft eine einzige Familie ein ganzes Thal. Und zwar siedelten 
sie sich hof weise an. Beweis dafOr seien die patronymischen 
und jene Dorf- und Thalnamen, deren ursprüngliche Bedeutung 
das Vorhandensein eines Dorfes schon bei der Namengebung voll- 
kommen ausschUesst ; dann die Bezeichnungen der Höfe selbst, 
da ihnen ein Ortsname ausschliesslich zukonmie; dann die Be- 
stimmungen der Weisthümer, die seit dem 14. Jahrhundert uns 
vorliegen und eigene Bestimmungen enthalten fOr die Dörfler oder 
„Ebenmänner" einer- wie für die „Bergmänner", „Aussermänner", 
„Sunderfeldter" andererseits, die auf den entlegeneren Höfen 
Sassen ^). 

Dies im Allgemeinen die Ausführungen Inama^s über die 
Entwicklung der deutschen Alpendörfer ; Ausführungen, die Bich- 
tiges und Unrichtiges in gleichem Maasse in sich schliessen, die 
besonders an dem Fehler leiden, einer gesunden 4iistorischen Grund- 
lage allzusehr zu entbehren und die Epochen der Geschichte un- 
serer Alpengegenden nicht zu unterscheiden. 

Vor allem ist in dieser Hinsicht zu betonen, dass för die Al- 
pen der nationale Charakter der hier herrschenden Ansiedlungsart 
gar nicht in Betracht kommt ^: hier in den Bergen hat der Mensch 
sich der Natur von jeher unterordnen müssen ; also an der Hand 

1) Essay S. 118. 114. 

>) Vg:l. Essay S. 116. 124. 

*) Auch heute nicht. Z. B. im Nonsbergf ist im allgemeinen das Dorfeystem 
herrschend ; in dem Gebiete ron Tassnllo aber Hofsystem altherkOmmUch. Di« ein- 
zelnen Eamilien haben ihr arrondirtes Besitztum: maso Pilati, maso Finamonti 
n. s. w. ; y^H mir einer meiner Zuhörer, Herr Finamonti, mittheilt. Und die mn- 
zelnen römischen »praedia* mit den Namen auf annm waren ursprünglich Höfe| die 
erst sp&ter zu Dörfern wurden. Vgl. oben S. 74. 



— 165 — 

des Tadtas die hiesigen Yerhältnisse messen zu wollen «hat keinen 
Sinn und f&hrt höchstens 2a doctrinären Aufstellungen. 

Dann befanden sich vor den Germanen in den Alpen Baeter 
und Bomanen, die über die ersten Anfänge menschlicher Cultur be- 
reits hinausgekommen waren und die Entwicklung jener Gegend zu 
einem gewissen Abschlüsse gebracht hatten, als die Germanen hier 
der Herrschaft sich bemächtigten. Dinge worüber sich Inama nicht 
klar geworden ist Die Epoche, wo das freundlich gelegene Mit- 
telgebirge allein erst bewohnt war, während oben dichter Wald, 
unten im Thal Sumpfland sich ausdehnte, wo noch einzelne 
Hütten den Bewohnern ihr schützendes Dach gewährten, Wild, 
Beeren und Honig ihnen eine erwünschte Speise waren, die Jägerei 
vor dem Ackerbau den Yprzug hatte, liegen in jenem Dunkel vor- 
geschichüicher Zustände verborgen, das man als die „Stein- 
zeit^^ bezeichnet und mehr dem Naturforscher als dem Historiker 
das Objekt seiner Studien bildet ^). Vor zweitausend Jahren 
bereits, wo die ersten historischen Nachrichten beginnen, wa- 
ren jene Zustände längst überwunden , Land und Leute hatten 
bereits ein ganz anderes Gepräge angenommen ^ sei es dass 
die Steinleute selbst von der Stufe der Jägerei zur Stufe der 
Viehzüchter sich emporgeschwungen hatten, sei es dass ein anderer 
Yolksstamm mit seinen Yiehheerden in die Bergthäler eingezogen 
war und hier sich heimisch gemacht hatte ^). So ward die Vieh- 
zucht, weiterhin auch der Ackerbau und das Wohnen nicht nur 
auf Höfen, sondern auch in Dörfern fest begründet, in derselben 
Weise beiläufig wie die Quellen der mittelalterlichen Wirthschafts- 
geschichte es uns darthun; ein Fortschritt ist während dieser 
Jahrtausende wol im Einzelnen nicht aber in der ganzen Gestal- 
tong dieser Verhältnisse erfolgt. 

Kein Wunder also, wenn Liama's Schriften Gegner fanden. 
In der Augsburger «Allgemeinen Zeitung* ^) erschienen dagegen 

*) Vgl. die Tortrefiliche SchUdermig dieser Epoche in der Entwicklnng unse- 
rer Alpenwelt Ton A. Kemer in der »Oesterreich. Beyue« 1866. H. V. S. 57 ff. 

*) Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass man z. B. in den sfldtirolischen 
Th&lem wie in Enneberg die Ureinwohner, die einst da gelebt haben sollen, „Wal d- 
men sehen'* „Salyangsen" (yon „Silfanas")* in Oberinnthal und Vorarlberg mit 
der letzten H&lfte desselben Wortes „Fange", „Fenga" nennt. Vgl. Staffier, Tirol 
nnd Vorarlberg. U« 294 iL Stenb, Herbsttage in TiroL S. 127. 

>) In d«n Beilagen rom 16.— 18. Sept 1875. 



— 166 — 

drei gehanlischte Artikel von L. Steub, die den historischen Stand- 
punkt klar legten. Es ward ausgeführt, wie schon die alten Baeter 
in Dörfern beisammenwohnten ; das bewiesen unsere jetzigen Dör- 
fer, die noch in grosser Anzahl mit raetischen Namen benannt 
sind: „wir sehen sie in menschenfreundlichen, dem Anbau gün- 
stigen Thalgeländen so nahe aneinanderstehen, dass der Hahn- 
schrei und das Hundegebell von einem Dorf oft bis zum andern 
schallt* ^). Eine Beihe heutiger Flecken und Orte stammt aus 
raeto-romanischer Zeit: Schwaz, Imst, Wüten, Nauders, Brixen, 
Yipitenum, Bozen, Matrei, Clausen, Glums, Kaltem. Schon die 
Baeter waren ein zahlreiches Volk ^) ; sie bewohnten nicht nur die 
Höhen, sondern auch bereits die Sohle der Thäler • — wo eben 
jene genannten Flecken und Orte liegen; — nur wo diese Sohle 
zu enge ward, um Baum für eine Ortschaft zu bieten, wie z. B. 
am unteren Eisack, da kletterten sie auf die fruchtbaren Mittel- 
gebirge zu beiden Seiten des Thaies. 

Mit zunehmender Bevölkerungszahl schritt auch die Cultur 
der Gegend vorwärts durch Bodung der Wälder in den oberen 
Begionen einer-, durch Austrocknung und Urbarmachung der 
sumpfigen Auen im Thale andererseits ^. Es stellt sich dabei 
durch Yergleichung der Ortsnamen die interessante Thatsache 
heraus, dass diese Fortschritte namentlich während des halben 
Jahrtausends der römischen Zeit sehr bedeutend gewesen sind: 



*) Z. B. im Innthal aaf der Strecke yon Schwaz bis FerFens; am Eisack 
Yon Brixen bis Bozen; an der Etsch yon Meran bis Mals. — Was Inama ^gen 
Steub^s Methode der Namenforschung in der Allg. Zeitung, Beil. yom 7. Jänner 
1876, einwandte, ist schwach und nicht stichhaltig. Er macht dort zwar das Zu- 
geständnis, dass „für die ältere Periode alpiner Cultargeschichte bis zur Germani- 
sirung der raetischen Alpen, allerdings die Ethnologie die erste Voraussetzung wäre, 
um zu sicheren Ergebnissen zu gelangen" ; es sei aber über Hypothesen nicht hinaus 
zu gelangen, „durch welche wenigstens die weitere Forschung Anregung und Richtung 
erhält.** Von den undeutschen Ortsnamen meint er, man wisse äicht, „ob sie schon 
ursprünglich bewohnten Orten oder als blos orientirende Bezeichnungen unbewohnten 
Gegenden angehörten'*; als ob nachher die Deutschen ihre Dörfer romanisch oder 
gar raetisch benannt hätten, nicht Tielmehr alle Neugründungen eben durch ihren 
Namen bewiesen, ^»qua sint origine nati.* 

') Dio sagt yon den Baetern: snoXoavSpov, „sie waren ein zahlreiches Volk.*' 
*) Die Naturgeschichte solcher Yorgänge schildert eingehend Eemer a. a. 0. 
H. Vn. S. 128. 



— 167 — 

in den hinteren TMlem Tirols wenigstens ^) werden die raetischen 
Namen immer seltener und verschwinden mitunter ganz ; die hin- 
tersten Bergspitzen sind meist schon romanisch benannt. Es 
scheint also, dass ,den Baetem der Baum in den Hauptthalem, 
so zu sagen in den Ebenen*, genfigte, dass sie die Nebenthäler 
und Höhen zumeist nur als Weide benfitzten, ohne Dörfer dort 
2u grfinden und dass die steilen Gipfel kein raetischer I^uss be- 
treten hat* 

Erst in romanischer Zeit, da die Bevölkerung sich gemehrt 
hatte ^), »nahm die Cultur einen neuen Anlauf und griff auch die 
entlegeneren Thäler, die Höhen u'hd die Urwälder an, welche die 
Baeter nicht bedurft und daher nicht berührt hatten. * Zahlreiche 
Ortsnamen, denen das Yerbum runcare, » (aus-)reuten * zu Grunde 
liegt ^), stammen aus jenen Zeiten. In den hintersten Bergge- 
genden, in Hinterdux, in Stubai, Oetzthal, Fitzthal, Kaunserthal 
begegnen romanische Ortsnamen: „wenn aber der Mensch einmal 
getrieben war sich mit Weib und Kind in solchen unwirtlichen 
Wildnissen anzusiedeln, so ist wol sicherlich in milderen Gegen- 
den kein Baum mehr frei gewesen. * «Die Bomanen sind es 
also gewesen, welche Baetien bis in die innersten 
Winkel, bis in die ödesten Schluchten hinein durch- 
drangen. Sie haben den Anbau so weit getragen, dass er auch 
seit ihrer Zeit nicht mehr weiter getragen werden konnte.* 

So mit Becht L. Steub. Es wird nur noch hinzuzuffigen sein — 
um nicht des Guten zu viel zu sagen *), — dass mit dem Sturze 

^) In Graubflndten und Vorarlberg ist es theilweise anders. Strabo VII, 1 
sagt anch in der That: «PotiÄ hh xal Ncupixol flippt twv "AXicetuv ÖTtspßoXdiv 
ayia)^ooGc; das Land sei bis in die höchsten Alpen bewohnt; eine sehr allgemeine 
Angabe, die eben allerlei Einschränkungen im Einzelnen unterliegt. Vgl. Planta, 
Das alte Baetien. S. 15 f. 

*) Namentlich als zur Zeit der Völkerwanderung das Flachten aus den Ebe- 
nen ins Gebirge begann. 

^ Z. B. Bungg, Bunggen, Bnngebuns (runca bona oder de bones — PI. bona, 
Güter), Bungeletsch (runcalaocio), Bungelitsch (runcaUocio) und yiele andere w&lsche 
„Beutte's", die in der „Bhaetischen Ethnologie" yon Steub yerzeichnet sind. Vgl 
auch dessen Herbsttage in Tirol. S. 288. 

^) Steub dflrfte nemlich schliesslich in diesen Fehler rerfiUlen sein, indem er 
(AUg. Zeitung BeiL yom 29. Not. 1875) sagt: „Alttirol erscheint ron der raeti- 
schen Zeit bis zum heutigen Tage immerdar als ein stark beyölkertes Bergland. 
V7ennnandi6 Zahl der Einwohner ron jeher so ziemlich die gleiche 



— 168 — 

der Bömerherrschaft, während deren durch die Strassen Handel 
und Verkehr sehr belebt worden war, was den Wohlstand und 
die Zahl der Bewohner des Landes heben musste, wieder ein 
Bflckschritt, eine Verwilderung eingetreten ist, so dass nachher 
die germanische Culturepoche wieder genug zu thun vorfand ; dass 
sie über der raetisch-romanischen Basis weiter bauen und auch 
ihrerseits «reuten* konnte, wie fräher die Bömer über raetischer 
Basis „runcare*; die Ortsnamen zeigen auch in dieser Hinsicht 
eben die dreifache Schichtung und Wandelung der Verhältnisse 
in unseren Alpengegenden an ^). 

Und zwar ist es fdr unser Alpenland bezeichnend, dass hier 
während aller drei Epochen im Gegensatz z. B. zu Westphalen 
— nnd diesen Gegensatz muss man festhalten^) — die An- 
siedlung überall dorfweise geschah (oder in Weilern, was auf das 
gleiche hinauskommt); Höfe aber nur an den steileren Hängen 
der Thalwände entstanden, wo eben fOi ein Dorf absolut kein 
Kaum vorhanden war ^). 

In dieser Hinsicht hat allerdings die Natur dem Menschen 
seine Wege vorgeschrieben. Die Bewohner der Alpengegenden 
waren vor allem auf Ackerbau und Viehzucht angewiesen, doch 



war, 80 last sich auch annehmen, dass die Zahl, die Stellen und der Umfang der 
Ansiedlungen yon jeher die gleiche gewesen/* Was mit seinen eigenen Ausführungen 
nicht übereinstimmen würde; ygl. auch Grassauer, Jahrb. des deutsch, und österr. 
AlpenF. 1872, S. 245; wol aber ist die Gonfiguration der ganzen Landschaft in 
Bezug auf das Wohnen in Dorf oder Hof seit der raetischen Zeit so ziemlich die 
gleiche geblieben und die yiel zu allgemein gehaltenen Ausführungen Inama's da- 
gegen schweben in der Luft. 

^) Aus romanischer Zeit stammen pUerlei Ausdrücke für die yerschiedenen 
Gemeindeyerbände, die gegenwärtig noch im deutschen Sfldtirol gäng nnd gebe sind, 
wie „Dechanei** (decania), „Malgrei" (marcheria), „Riegel" (i^ola), „Leeg" (liga); 
kurzum die Deutschen haben sich hier einfach in romanische Nester hineingesetzt. 
Vgl. Steub, Herbsttage 256. 

') Inama denkt nur an den Gegensatz zwischen der baierischen Ebene 
und den Bergen yon Tirol, man muss aber auch andere Gregenden zur Vergleichung 
heranziehen. Hanssen gibt hiezu beachtenswerte Beiträge. 

^) Hanssen a. a. 0. S. 948 bemerkt, dass nach allen neueren Untersnchnngen 
das Dorfsystem die durchgreifende primitiye Art der Ansiedlung bei den germanischen 
Völkern (und nicht blos bei diesen, sondern ebenso bei den scandinayischen, slayischen, 
oeltischen [fügen wir bei: raetischen]) gewesen und die Niederlassung nach Ein- 
zelhOfen primitiy auf wenige Gegenden (innerhalb der Germania des Tadtns auf 
das nördliche Westphalen und einen Theil des Niederrheins) sich beschränkt hat 



— 169 — 

so dass die Viehzucht die Hauptsache war und blieb, aus deren 
Erträgnis man Getreide sich zu verschaffen wusste ^). 

Zu diesem Behufe war bei uns seit den ältesten Zeiten die 
Almwirthschaft in Schwung gebracht worden, über die Prof. Kemer 
vor zehn Jahren in der „ österreichischen?Eevue " ^j, eine Eeihe von 
interessanten Artikeln veröffentlicht hat, die zugleich von dem 
feinen historischen Tacte des geehrten Verfassers Zeugniss ab- 
legen und denen wir das folgende zu entnehmen uns erlauben. 

Kemer schildert zuerst den Aufschwung, den die Viehzucht 
in unseren Alpengegenden nach und nach nahm und welche Eück- 
wirkung dies auf die Cultur des Landes nothwendig übte; wie 
die Bewohner immer mehr Grasboden zu gewinnen strebten, um 
auch im Winter des Futters nicht zu entbehren. Die einfachste 
Methode, diesen Zweck zu erreichen, bestand im Niederbrennen 
der Wälder: »an die weitschattenden Eichen, Linden, Pappeln 
und anderen Laubhölzer wurde daher Stamm für Stamm Feuer 
angelegt und auf dem gerodeten fruchtbaren Boden entwickelte 
sich Jetzt aus der schon vorhandenen Grasnarbe unter dem Ein- 
fluss des unbehindert zutretenden Sonnenlichtes ein Graswuchs 
von der überschwenglichsten Ueppigkeit.* In dem Grade als die 
Viehzucht zunahm, wich der Wald vom Mittelgebirge zurück, 
erweiterte sich an seiner Statt das Gebiet der Weiden und Wiesen 
mit ihren Hütten, Ställen und Heumagazinen. »Wenn nun im 
Sommer über den dunkeln Hochwäldern der Schnee von den 
Berghöhen zurückwich und dort oben ausgedehnte Flanken sich 
in jungem frischen Grün zeigten, wenn herunten der Südwind die 
Thäler durchfegtiö und Mensch und Vieh, erschlafft vom Hauche 
des lauen Scirocco, sich vergeblich um Erfrischung in der Tiefe 
umsah, da musste den Besitzer der Heerde wol die Lust an- 
wandeln, hinauf zu ziehen zu den kühlen Bergeshöhen und seinen 



^) Gegenwärtig sind in den östlichen Alpenländern 18% Ackerland, ^2^/q 
Wiesen und Almen, 46^0 Wälder, 19% unproductiy. — Zu erwähnen wäre noch 
der Berghau, dessen Betrieh theüweise uralt und heute an Eisen, Kupfer, Blei, 
Qnecksilher auch sehr gewinnbringend ist, während er für die ältesten Zeiten wenigstens 
in Tirol wol nicht sehr in Betracht kam. Vgl. Grassauer, Culturzustände des AI- 
penhochlandes. Zeitschr. des deutsch, und österr. Alpeny. 1872. S. 248 fF. 

*) Jahrg. 1866. H. 5. u. 7.: »Die Alpenwirthschaft in Tirol, ihr gegenwär- 
tiger Betrieb und ihre Zukunft.*' 



— 170 — 

mitgetriebenen Yiehstand durch ein paar Monate auf dem alpinen 
Graslande, das so üppig zum Thal herab blickte, weiden zu lassen.^ 
Man sparte dadurch das Grasland in der nächsten Nähe des ei- 
genen Wohnplatzes fQr den Winter. So zog man denn hinauf, 
und da der Versuch gelang und das Vieh auf der alpinen Sommer- 
weide prächtig gedieh, so richtete man sich danach ein, indem 
in Mitte der saftigen Alpenwiesen Blockhäuser als Speicher för 
die Milcherzeugnisse und als Zufluchtsstätte für Menschen und 
Vieh bei schlechterem Wetter angelegt wurden; mit jedem neuen 
Jahr zog nach dem Ergrünen der alpinen Weide Herr, Gesinde 
und Viehstand hinauf zur blumigen Alpe und es entwickelte sich 
auf diese Weise jener eigentümliche Betrieb der Wirthschaft, die 
als Almwirthschaft hinlänglich bekannt ist. 

So Kemer 0- Da wirft sich uns sogleich die Frage auf, 
wann denn nun diese Entwicklung von Statten gegangen sein 
möchte, namentlich ob etwa erst die Germanen mit dem Tacitus 
in der Hand diese Dinge erfunden hätten ? es wäre dies vielleicht 
der Fall, wenn die Ansicht richtig wäre, dass die Deutschen, als sie 
ins Land kamen, erst „ ab ovo ", beginnen mussten, dasselbe zu cul- 
tiviren. Prof. Kerner erörtert auch diesen Punkt und kommt zu 
einem ganz anderen Eesultate. Wann die erste Sennhütte in 
Tirol errichtet wurde, bemerkt er, wissen wir nicht ; aber so viel 
sei ausser allem Zweifel, dass, als die Bömer ins 
Land kamen, die Almwirthschaft daselbst jedenfalls 
schon in lebhaftem Betrieb war. Denn das bewiesen „jene 
zahlreichen Namen von Almen, welche sich weder aus der ger- 
manischen noch aus der romanischen Sprache erklären lassen und 
die gewiss der Sprache jenes Volkes entstammen, das bei der In- 
vasion der Eömer Viehzucht treibend in den Bergen hauste. 
Gridlaun und Duwein im Stanzerthal, Gungaun und Tschan im 
Gebiete von Klausen, Gramai und Dalfaz in der Gegend des 
Achensees, sowie das so häufig vorkommende Lizum und Iss, 
mögen hier als Beispiele solcher Namen dienen, welche bis heute 
sich für Almen in Tirol erhalten haben und die wir wol ebenso wie 
die Namen der Thäler Pflersch und Pfitsch, Eidnaun und Patz- 
naun und jene der Bergspitzen Eafan, Irdein, Similaun und Tri- 



*) Vgl. a. a. 0. Heft V. S. 61. 



— 171 - 

buiaun mit Becht jenen Genaunen und Breunen oder — um alle 
verschiedenen Thalbewohner mit einem Namen zu nennen — jenen 
Baetem zuschreiben dürfen, welche von den Bömem im Lande 
angetroffen und bezwungen wurden" ^). 

Man sieht, Kemer weiss von den Forschungen L. Steub's 
fQr seine Studien einen ganz anderen Gebrauch zu machen, als 
K Th. von Inama-Stemegg 2). 

In römischer Zeit nahm die Cultur des Landes, wie bereits 
frflher bemerkt, mit der Zahl der Bevölkerung immer mehr zu. 
»Für die Geschichte der tirolischen Almwirthschaft ist es von 
hohem Interesse, dass in Deutschtirol noch jetzt gewiss ein Drittel 
jener Namen, mit welchen man die Almen benennt, den römischen 
Ursprung nicht verkennen lassen. Ein ausführliches Verzeichnis 
aU' dieser Namen würde zuverlässig einige Blätter füllen, hier 
mögen als Beispiele nur die Namen einiger Almen, wie : Dopreta 
(duo prata), Alpnova (alp' nova). Alpein und Alpona (alp' bona), 
Almajur (alp' majur), Lapones (laf pons), Valtmar (vallis major), 
Pineid (pinetum) eingeschaltet sein^j. Dass selbst die für" die 
Sennhütte in einigen Gegenden Oberinnthals übliche Bezeichnung 
»tei* oder »teja* so wie der för Almhütten in vielen Theilen Tirols 
gebräuchliche Name Käser römischen Ursprungs sind und sich 
auf tectum, teggia, beziehungsweise auf casa, casura zurückführen 
lassen, so wie dass höchst wahrscheinlich auch das Wort Senner, 
womit der Leiter der ganzen Almwirthschaft bezeichnet wird, von 
„senior" abzuleiten sei, verdient wol gleichfalls hier angeführt zu 
werden *). 



*) A. a. 0. S. 61 f. 

') Der Name Dalfaz ist, nebenbei bemerkt, nicht raetisch, sondern romanisch, 
entstanden aus rio d'ulvazza. Vgl. Steub, Herbsttage in Tirol, S. 127 und 289; 
was aber an dem Besultat nichts ändert, dass die Almwirthschaft schon vor zwei- 
tausend Jahren in Tirol heimisch und üblich war. 

^J Eine Reihe anderer findet man bei Steub genannt, in der Schrift zur 
»fihaetischen Ethnologie*, in den »ethnographischen Betrachtungen*, die den »Herbst- 
tagen in Tirol* einverleibt sind; endlich in der 2. Auflage der »Drei Sommer in Tirol* 
(bezüglich des Oetzthales IL 109 if., des Lechthales II, 47 f., Stubai und Lisens 
II, ,16; Patznann II, 61 u. s. w.). 

*) Kemer a. a. 0. S. 62. Was die Etymologie von »Senner* betrifft, so 
versuchten Andere, wie z. B. auchJ. Grimm, eine Ableitung von »Sahne*, mhd. s&n, 
ein Wort, das aber in dem ehemals romanisch redenden Theile der Alpen nie üblich 



— 172 — 

Steub hat in seinen neueren Schriften den Gegenstand in 
dieser Weise weiterverfolgt nnd namentlich auch dargethan, dass 
die raetische und nach ihr die romanische Bevölkerung die Aus- 
beutung des Almnutzens bereits nach denselben Begeln, nach 
derselben Organisation der Wirthschaftsleute vornahm, wie es 
nunmehr ihre deutschen Bechtsnachfolger thun ^) : einige uner- 
klärliche Wörter, die sich auf die Viehzucht, den inneren Haus- 
halt und das dazu gehörige 6eräthe beziehen, so etliche Kräuter 
und Thiemamen, die aus dem Bomanischen sich bisher nicht er- 
klären liesen, scheinen raetischen Ursprungs zu sein; was nicht 
befremden würde, wenn man bedenkt, dass die römische Sprache 
für derlei Gegenstände alpinischen Lebens keine eigene Nomen- 
clatur ausgebildet hatte ^). Dann sind aber eine ganze Beihe von 
Ausdrücken, welche sich auf die Almwirthschaft beziehen, roma- 
nischen Ursprungs ; es gehören dahin, abgesehen von den bereits 
genannten: »Senner* und » Käser % noch „Söller" (von.solarium*), 
„Schotten* (von „excoctum*) u. A Auch der grösste Theil der 
populären Alpenbotanik weist romanische Ausdrücke auf, wie 
„Marbl* (von „marrubium*), „Madaun« (von„montanum*), „Speik* 
(von „spica*) u. s. w. ^). Es haben eben bei uns in allen Theilen 
des jetzt deutschen Tirols und selbst noch der angrenzenden baie- 



w&r, während »Senner* gerade dort rolksthflmlich ist. Steab, Bhaet. Ethaol. 
205 f., yergleicht churw. segnun (7dl. Fon saonna, rh. wol suna, Kabel). Er fahrt 
aus dem Cod. dipl. yon Mohr zwei Urkunden an, die eine yon 1087, wo es heisst: ille 
qui dicitur Senne, was die deutsche Form ist; in der anderen ans dem IS. Jahr- 
hundert wird eine sannonia de Zirannes erw&hnt, welche alle fanf Jahre eine Kuh 
steuern muss, also eine Sennerei. Dieses noch öfter vorkommende sannonia sei 
»sicherlich ein raet. Wort sanuna, sanunia.* J. B. Schöpf in seinem Tir. Idioticon 
dentet es aus senior, was Kerner adoptirte. 

^) Die Alpenwirthschaft wird, wie Kerner bemerkt, thats&chlich in manchen 
Gegenden Tirols noch jetzt in einer Weise betrieben, wie sie primitiver nicht ge- 
dacht werden könnte. Darin liegt eben fOr den modernen Gnlturmenschen nicht 
zum geringsten Theile der Reiz der Alpenwanderong, gleichsam in die urwüchsige 
Kindheit seines Geschlechtes zurückgeführt sich zu fühlen. 

*j Vgl. Steub, Bhaet. Ethnologie, S. 44. Ch. Schneller dagegen meinte, es müssten 
anch jene annoch räthselhaften Worte seiner Zeit einmal mit Bomanischem Sehlüssel 
sich anf&ssen nnd deuten lassen. „Ueber Ursprung und Fortgang der rhaet. Namen- 
forschung." (1876) S. 21 f. Steub glaubt das nicht. KL Schriften HI. 82 1' f. 
851 f. 

>) Vgl. Steub, Herbsttage in Tirol, S. 141. 



— 173 — 

rischen Hochlande ^) bis tief in das Mittelalter hinein die roma^ 
nischen Sennerinnen ihre ladinischen Schnaderhüpfeln gesungen, 
wie derlei in Groeden noch jetzt Brauch ist 2). 

Die Nachrichten der römischen Naturhistoriker und Geographen 
ergänzen dies Bild der Alpenlandschaften, wie es vor achtzehnhundert 
Jahren sich darstellte. Strabo schildert die zahlreichen Viehherden, 
mit denen ein bedeutender Exporthandel betrieben ynirde ; nur in 
den tiefergelegenen und fruchtbareren Thälern wurde auch Ackerbau 
betrieben 3). Die Alpenbewohner selbst, besonders die kräftigen 
Mägde und Hausmütter, werden gerühmt als vorzüglich gewandt 
und kundig in der Wartung des Hornviehes. Von diesem selbst 
sagt Flinius, dass die Binder zwar klein aber zur Arbeit sehr 
tüchtig seien; femer dass dieselben nicht am Nacken sondern 
am Kopf angespannt würden. 

Auch des raetischen Pfluges eigentümliche Formen erregten 
die Aufmerksamkeit der italischen Forscher^). Mit dem Haupt- 
lande wurde ein lebhafter Handel unterhalten; namentlich mit 
Harz, Pech, Kienholz, Wachs, Käse und Honig 5) Zur Herstel- 
lung einer abgebrannten Brücke in Rom lies bereits K. Tiberius 
raetische Tannen verwenden^). Antoninus Pius starb an den 
Folgen des Genusses von Alpenkäse, wodurch er sich ohne Zweifel 
den Magen verdorben hatte'). 

In Bezug auf die LandwirthschafI; ist man, wie gesagt, bei 
uns damals in diesen Zweigen so ziemlich auf demselben Stand- 
punkt gestanden, wie heutzutage; wenigstens im Grossen und 

^) Steab, Herbsttage, 127 und 250 f. macht darauf aufmerksam, dass na- 
mentlich der hohe wilde, unbewohnte, nur mit Almhatten besetzte und nur im 
Sommer betretene Gebirgsstock hinter Tegernsee, zwischen dem Achenthai und der 
Schamitz, voll romanischer Namen stecke; dass derselbe demnach schon in roma- 
nischer Zeit so dicht besiedelt gewesen sein muss, wie nur immer möglich. 

') Steub, Drei Sommer in Tirol, 2. Aufl. III. 109, theilt ein solches grOdneri- 
sches Schnaderhapfel mit. Es wird darin der Mond und die Liebe gefeiert ; auch ein 
uraltes Thema, das Baeter, Bomanen, Deutsche in gleichem Maasse interessirte. 

•) Strabo IV. 6. 

*) Plinius h. n. Vm. 45. XVIH, 18. 

") Daraber ausfahrlich Strabo, der ein Menschenalter nach Baetiens Eroberung 
schrieb, IV. 6. 

•) Plinius h. n. XVI, 89. 

*) Vitft c 12. cum Alpinum caseum in cena edidisset avidins nocte reiecta- 
Tit etc. 



— 174 — 

Ganzen, soweit das eben hier in Frage kommt *) ; ein Ergebnis, 
zu dem wir auch gelangen, wenn wir andere Zweige ins Auge 
fassen und die Betrachtung zugleich auf weitere Gegenden aus- 
dehnen. 

Der Getreidebau z. B. blühte in Pannonien und war dort ein 
Exportartikel^); auch anderswo, wie selbst im heutigen Tirol 
wurde er betrieben, wo die Verhältnisse es gestatteten und hier 
sind bemerkenswerter Weise die im jetzt deutschen Theile des 
Landes üblichen Getreidemasse, der Star (sextarius) und das 
Mutt (modius) noch zur Stunde romanisch benannt 3). 

Dann erblühte unter den Brömem der Weinbau und wurde 
die Bebe verbessert. Schon zur Zeit des Augustus ward der 
raetische Wein sehr beliebt, der Kaiser selbst gab ihm den Vorzug 
vor allen anderen, Dichter wie Vergil haben ihn besungen*). 
Strabo, Plinius und Martial stimmen diesem günstigen urteile bei; 
noch ganz spät zu Cassiodors Zeit stand das Gebiet von Verona 
wegen seiner Weine in Ruf 5). 

Auf die Gegend von Verona — das ja ursprünglich ein 
raetisches »oppidum" gewesen war — scheint sich jenes Lob über- 
haupt zunächst zu beziehen, dazu stimmt auch die gelegentliche 
Nachricht^), dass bereits Cato die raetische Bebe gelobt habe, 
darüber jedoch von Catull, dem Veroneser, getadelt worden sei. 
Aber ohne Zweifel waren wenigstens später unter den »vina Kae- 
tica" namentlich auch die heutigen Tiroler und Veltliner Weine 
inbegriffen, die aus der Ebene kommend die Vorhügel und den 
Südabhang der Alpen erstiegen hatten^). Im deutschen Südtirol 



^) «Näheres mag bezQgrlich Baetiens bei Planta a. a. 0. S. 15 ff. nachgesehen 
werden. Noricums Verhältnisse bebandelt Muchar, Gesch. d. Steiermark I, 98 if. 

') „Frumentum Fannoniae quod non seyerunt vendiderunt'S schreibt am Aus- 
gang des 4. Jahrhunderts Ambrosius an den K. Valentinian. (St. Ambrosii opp. II. 
p. 888 ed. S. Maur). 

3) Vgl. Steub, Herbsttage, S. 141. 

^) Georg. 2, 95 : „et quo te carmine dicam Raetica? nee cellis ideo oontende 
Falernis." 

») Var. 12, 4. 

«) Bei Serrius zu Verg. 9. 5, 95. 

^) Vgl. V. Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere in ihrem Uebergange aus 
Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. 2. Aufl. S. 62 fL; 
woran ich mich liier überhaupt gehalten habe. 



— 175 — 

sind noch jetzt fast alle technischen Ausdrücke, die sich auf den 
Weinbau beziehen, dem Sprachschatze der Bomanen entlehnt; 
so z.B. „Torkel" vontorcolo, »Praschglet* von graspato, »Ihrn* 
von nma, „ Bazeide ^ vom mittelalterlich-lateinischen baccea. „ Der 
Saltaarius der Pandecten, saltarius der langobardischen Gesetze 
ist der jetzige Saltner, der Flurschütz der Weinberge im Etsch- 
lande'' *). Auch hierin waren die Eomanen die rechten Vorgän- 
ger und Lehrmeister der Germanen; das heutige Erzeugnis der 
raetischen Bebe, der „Traminer" und der „Kälterer Seewein" geht 
in seiner Veredlung unter der Etikette „Burgunder" nach aller 
Herren Länder. 

In römischer Zeit hat man übrigens dem Aufkommen der 
provinzialen Weincultur lange Hindemisse in den Weg gelegt, 
um den italischen Export nicht zu ruiniren. Man verbot den 
Provinzen die Cultur der Bebe, namentlich auch in Gallien und 
Pannonien. Vergebens. Bald übertrafen der „Champagner" und 
der „Tokayer" den „Caecuber* und den „Falemer"; namentlich 
seitdem einsichtige Kaiser, wie Probus, sich sogar positiv der 
Sache annahmen: die sonst so einsilbigen Geschichtsschreiber der 
Zeit finden es der Mühe werth, der Aufhebung jener Prohibitiv- 
massregeln ausdrücklich zu erwähnen 2) 

Noch heute lebt unter den technischen Ausdrücken der Weincul- 
tur mehr als ein Wort fort, das in den Sprachschatz Europa's allem 
Anschein nach aus unseren weinproducirenden Gegenden gekommen 
ist. So muss z. B. das provengalisch-französische Wort tona, tonne, 
das sich auch walachisch wiederfindet und in alle keltischen und 
germanischen Sprachen übergegangen ist, aber charakteristischer 
Weise im Italienischen fehlt, aus einer der Alpensprachen stammen, 
aus der ligurischen oder aus der raetischen. Weinfässer 
lernten die Alten erst im cisalpinischen Gallien kennen, sie selbst 
bedienten sich der Schläuche, wie dies noch jetzt im Orient ge- 
bräuchlich ist. Mit Staunen berichten daher die römischen Geo- 
graphen von den ungeheueren hölzernen Fässern, «gross wie Häu- 



>) Steub, Herbsttage, S. 258, Anm. 18. Saltner wird anderswo, z. B. auf 
der Seiser Alpe, auch der Viehbflter genannt. 

^) Eutrop b. R. 18 : Vineas Gallos et Fannonios habere permisit. Aurel. Victor, 
de Caes. 87, 2 : Hie Galliam, Pannoniasque et Moesorum colles Tinetis replevit. 
Flay. Vospisc. Prob. 18 nennt Gallien, Spanien, Britannien. Vgl. Hehn a. a. 0. S. 77. 



— 178 — 

ganz gerecht Bei Fannonien namentlich wollten ihnen die grossen 
Waldungen und besonders auch die Sümpfe nicht behagen. Den 
Wein, der hier anfänglich gepflanzt wurde, fanden sie sauer und 
schlecht. Boden und Luft tauge nichts — so urteilte ein ehema- 
liger Statthalter von Fannonien noch im dritten Jahrhundert. — 
Auch Oel sei wenig vorhanden und schlecht dazu, Speise und 
Trank bestehe aus Gerste und Hirse: „*aus purer Verzweiflung* 
— fugt er, charakteristisch genug, hinzu — „aus purer Ver- 
zweiflung sind die Eingeborenen so unbändig tapfer.'' 

In den Alpenlanden wussten die Bömer sich gleichfalls 
nicht zurecht zu finden. Die Empfinduugen, welche sie diesen 
entgegentrugen, hat Livius mit dem Worte „die Scheusslichkeit 
(foeditas) der Alpen** zum Ausdruck gebracht. Wo wir jetzt die 
Grossartigkeit der Gebirgswelt und ihre Wunder anstaunen, da 
hatten die Bömer ein Auge nur für Schwierigkeiten, die Gefahren 
und Schrecken, die den Beisenden drohten, für die steile Steigung 
und die Schmalheit der Saumpfade, die sich Schwindel erregend 
an grauenvollen Abgründen hinzogen, für die unwirtbare Oede 
der colossalen Eis- und Schneewüsten und die Furchtbarkeit der 
abstürzenden Lawinen. Und das Alles noch zu einer Zeit, da 
bereits die trefflichsten Chausseen über die Alpenpässe führten, 
Tausende von Eömern über dieselben zogen und romanisches 
Landvolk jene Gegenden bewohnte ^). 

Von Gebirgswanderungen und Bergbesteigungen oder gar 
»Alpenvereinen** der römischen Touristen konnte unter solchen 
Umständen natürlich nicht die Bede sein 2). Der Zug der 
Vergnügungsreisenden gieng von Italien aus durchwegs nach dem 
Süden und Osten, vor allem nach Griechenland, das ja für die 
Bömer schon ein klassisches Land war, wol auch ins Tempethal, 
das seiner Schönheit wegen gerühmt wurde, sonst aber nach Asien 
oder nach Aegypten zu den Wunderbauten der Fharaonen. 



^) Vgl. Friedländers vortreffliche Ausführungen in den »Darstellungen aus der 
Sittengeschichte Roms« U* S. 200 ff. 

*) Doch heisst es (Wilmanns 646) vom Dichter Merobaudes im 5. Jahrhundert: 
»in Alpihus acucbat eluquium*, was vielleicht auf einen Landaufenthalt dort sich 
deuten liese. 



VII. Die Völkerwanderung. Romanen und Germanen 
an der Donau in ihrem Wechselverhältniss zu 

einander. 



Von besonderer Bedeutung für die Verhältnisse der romani- 
schen Donaulandschaften waren die Zeiten der sog. Völkerwan- 
derung, die zum guten Theile dort sich abgespielt hat und der 
römischen Herrschaft, nachdem sie dieselbe schon von Anfang an 
bedroht und geschädigt hatte, zuletzt ein Ende machte. 

Die Bewegung unter den Völkern nordwärts der Donau und 
im Osten des Beiches gieng allmählig und stossweise vor sich; 
wir erkennen das aus der Verschiedenheit der Völkertafeln des 
Strabo (15—30 n. Chr.) des Plinius (79 n. Chr.), des Tacitus (der die 
Germania um d. J. 98 schrieb), des Ptolemaeus (um 160 n. Chr.) 
und der Berichte über den Marcomannenkrieg (167 — 180) bei 
Dio und Julius Capitolinus; es ist daraus ersichtlich wie beständig 
Gruppenverschiebungen unter jenen Völkern in verhältnismässig 
kurzen Zeiträumen stattfanden ^). 

Der Stoss der Bewegung richtete sich alsbald nach den rö- 
mischen Grenzen hin — schon der Cimbem- und Teutonenkrieg 
war ein Vorläufer der kommenden Ereignisse gewesen. Als Caesar 
nach Gallien kam, war eben eine neue Invasion von Germanen 
unter K Ariovist im Anzug, die der Proconsul noch zu guter 
Stunde zurückschlug und dann durch die Occupation Galliens und 
die Einrichtung der Bheinfestungen die Defensivstellung des 



^) Die neueren Forschuns^en hierüber hat Krones in seinem Haüdbuche der 
österr. Geschichte I, S. 218 ff. übersichtlich zasammengestellt. 

12* 



— 180 — 

Beicbes begründete, die seine Nachfolger auch an der Donau 
eingerichtet haben. So ward der Gefahr ein Eiegel vorgeschoben 
an den Grenzströmen Borns. Aber Buhe war damit nicht ein- 
getreten. Besorgt blickten die römischen Politiker hinauf nach 
dem Norden, wo das Schicksal des Beiches, wie sie wol erkannten, 
sich vollenden musste. Man war über die dortigen Vorgänge stets 
ziemlich gut unterrichtet, wir verdanken diesem Umstände eine 
Beihe trefflicher Berichte über die Völker rechts vom Bhein und 
im Norden der Donau. 

Boms Politik gieng denselben gegenüber dahin, sie möglichst 
auseinanderzuhalten; deshalb wurden alle Zwistigkeiten, die unter 
ihnen ausbrachen, genährt und benützt. Mehr als einmal sind 
seit den Tagen Marbods und des Vannius Könige und Fürsten 
der Germanen über den Fluss gekommen, den Schutz des Erb- 
feindes zu suchen; oft war ihre Vertreibung erfolgt durch eine 
Erhebung der eigenen Volksgenossen, unter denen Monarchie und 
Bepublik um den Vorrang stritten. Diese vornehmen Flüchtlinge 
wurden dann im Inneren des Beiches intemirt und blieben römische 
Staatspensionäre — wusste man doch nicht, ob sie etwa nicht 
noch einmal zu brauchen sein würden; — man verlieh ihnen das 
Bürgerrecht, wobei sie dann gewöhnlich den Geschlechtsnamen 
des Kaisers sich beilegten und ihre alteinheimische Benennung 
nur als Beinamen behielten, mitunter, wenn sie zu barbarisch 
klang, mit romanisirter Endung. Ihre Söhne führten schon nicht 
mehr den Königstitel ^). 

Mitunter kam es wol vor, dass einer der in Bom erzogenen 
Prinzen in der Heimat wieder zur Herrschaft kam, wie jener 
Italicus, der Neffe des Arminius, bei den Cheruskern, dessen Ge- 
schichte uns Tacitus berichtet 2); ein Werkzeug der Politik des 
Beiches und ein Pionnier römischer Cultur und Verdorbenheit 



1) Vgl. hierüber Hübner im Hermes X. 893 ff. Unter Hadrian lebte zu Pola 
in Exil oder Gefangenschaft »Publius Aelius Rasparaganus, rex Boxolanorum* mit 
seinem Sohne >P. Aelius Peregrinus regis Sarmatarum Basparagani filius.« In Car- 
nontum fand sich die Grabschrifb (G. I. L. HI. 4458) eines »Septimius Aistomodios 
rez Germanorum* von seinen BrQdern »Septimii Philippus et Heliodorus* ihm gesetzt ; 
dieser scheint anter Septimius ähnliches erlebt zu haben wie der Koxolanenkönig 
unter Hadrian. 

*j Vgl. Annal. XI. 16. 17. 



— 181 - 

So inaugnrirte sich eine der üebergangsperioden, welcbe die Ger- 
manen durchzumachen hatten, um schliesslich selbst die Herr- 
schaft über das Beich in die Hand nehmen zu können. 

Bom betrachtete diese germanischen Fürsten und Völker 
damals beiläufig wie die Engländer jetzt die indischen Könige 
und Stänune: die Statthalter des Reiches übten über dieselben eine 
Art Aufsichtsrechtes aus, man setzte sie ab, wenn sie nicht mehr 
genehm waren, oder auch bloss, wenn sie sich abgenützt hatten. 

Nach Tacitus und dem damit grösstentheUs übereinstimmenden 
Berichte des Ptolemaeus sassen im Norden der Donau die vier 
suevischen Stämme der Hermunduren, der Narisker, der Marco- 
mannen, der Quaden ; östlich von ihnen die Marsigner, die Buren, 
die Grotinen, die Ösen ; von denen die beiden ersten ebenfalls als 
Oermanen bezeichnet, die Gotinen aber für Kelten erklärt werden , 
welche den Marcomannen Zins zahlten und im ungarischen Erz- 
gebirge Eisenbau trieben. Die Ösen waren pannonischer Abkunft. 

Im Marcomannenkriege hatte man gegen diese ganze Yölker- 
reihe zu kämpfen gehabt, an die noch eine Anzahl von „sarma- 
tischen^ Stämmen sich anschloss, die damit zuerst den Schau- 
platz der Geschichte betraten. Es war der grosse Erfolg von 
K. Marcus gewesen, diese gewaltige Coalition gesprengt und 
auf eine Beihe von Jahren wieder unschädlich gemacht zu 
haben. 

Im dritten Jahrhunderte brachten die damals neu sich orgar 
nisirenden Völkerbünde der Alemannen im Westen, der Marcoman- 
nen, Quaden u. s. w. in der Mitte, der Gothen im Osten der 
grossen Donaulinie Boms Herrschaft in den dahinterliegenden Land- 
schaften Baetien, Noricum und Pannonien, Dacien und Moesien, 
ja das Beich selbst an den Band des Verderbens. 

Im vierten Jahrhundert gesellten sich hiezu neuerdings die Sar- 
maten; die Aufnahme von Barbaren ins Beich und ihre Absied- 
lung daselbst gieng nunmehr stossweise vor sicL Nachdem die 
römische Volkskrafk erschöpft war, colönisirten die Barbaren 
das Beich; namentlich waren es deutsche Stämme, wie wir 
wissen, die dieser Aufgabe sich unterzogen. Deutsche Fersonen- 
wie Ortsnamen (burgus, Quadriburgium, Teutiburgium u. s. w.) 
begegnen seitdem mehr und mehr an der Donau. K. Maximin, 
der um das J. 170 in Thrakien geboren war, hatte einen Gothen 



— 182 — 

zum Vater, eine Alanin zur Muttor: als ^ Halbbarbar* ist er auf- 
gewachsen. 

Dann erfolgte im letzten Viertel des vierten Jahrhunderte der 
Anstoss zur eigentlich sog. Völkerwanderung; ganze Provinzen 
an der Donau blieben Jahrzehnte hindurch im Besitze der Ger- 
manen, im fünften Saeculum war Pannonien und das trajanische 
Daden der Hauptsitz der hunnischen Macht unter Attila. Nach 
dessen Tode setzten ähnliche Verhältnisse sich fort; es wurden 
auch Noricum und Baetien mehr und mehr in den Wirbel der 
Ereignisse hereingezogen, bis auch hier die römische Herrschafk 
zusammenbrach, die der Deutschen sich begründete. 

Es soll hier nun einiges bemerkt werden über die Zustande 
unter den Donauromanen, die von den Barbaren beherrscht wurden 
und über die Verhältnisse der Provinzen, die noch immer als 
römische betrachtet wurden. 

Es ist dabei vor allem zu betonen, dass mit dem Aufhören 
der Herrschaft des Beiches über eine Provinz und deren Occu- 
pation durch die Germanen noch lange nicht die romanische 
Gultur und Bevölkerung aufhörte zu existiren; sie lebte fort, wenn 
auch in veränderten, mitunter besseren, Verhältnissen als früher. 
Darüber geben uns die übereinstimmenden Zeugnisse eines Hiero- 
nymus, eines Priscus, eines Salvian interessante Aufschlüsse: alle 
drei siad ihren Sympathien nach „Bömer* und constatiren mit Ver- 
wunderung jene Thatsache, dass diese » geknechteten* Bomanen 
nicht das mehr zurücksehnten, was man im byzantinischen Beiche 
mit naiver Impertinenz „Freiheit* zu nennen beliebte: beiläufig 
in derselben Weise, wie die russische Politik gegenwärtig für 
die 9 Freiheit* schwärmt und eintritt, nur nicht für die ihrer ei- 
genen ünterthanen. Hieronymus meint: „die Thränen seien 
getrocknet im Laufe der Zeit, da ja alle, bis auf we- 
nige Greise in En.echtung und Unterwürfigkeit auf- 
gewachsen, die „Freiheit*, die sie nicht kennen ge- 
lernt hatten, nunmehr auch nicht herbeisehnten*^). 



^) £p. CXXm. 17: Olim a mari Pontico nsque ad Alpes Jnlias 
non erant nostra, qnae nostra sunt et per annos trigiiita fracto DanuYÜ limite in 
mediis Romani imperii regionibus pugnabatur. Aruerunt yetustate lacri- 
mae; praeter paucos senes omnes in captiritate et obsidione ge- 
nerati non desiderant, quam non norerant libertatem. 



— 183 — 

Der Gesandte Priscus lernte an Attila^s Hofe einen BSmer 
kennen, der als Gefangener dorthin gekommen war, dann sich 
beliebt mid nützlich zu machen gewusst hatte, die Freiheit er- 
hielt, eine Hmmin heirathete und sich vollkommen wol dabei 
befand, wie er dem erstaunten Priscus ausführlich auseinander- 
setzte: hier gebe es nicht ewige Chicane, wie im Beiche, die 
Bechtspfiege sei streng, die Bichter nicht käuflich, die Niederlagen 
der Heerfahrer und die dadurch bedingten unerschwinglichen 
Steuern nicht permanent. Was man in ehrlicher Arbeit erworben, 
vermöge man hier ruhig zu geniesen; ganz im Gegensatz zu den 
verrotteten Verhältnissen im Beiche *). Und Salvian bemerkt ein- 
mal, dass diejenigen, welche zu den Gothen geflohen seien, nichts 
so sehr fürchteten, als dass sie wieder Bömer werden müssten. 
Ja alle kleinen Leute würden bei den Gothen Zuflucht suchen, 
wenn sie ihr bischen Hab und Gut mitnehmen könnten. Denn 
dort sei es den Grossen nicht, wie bei den Bömem, gestattet, 
die Kleinen ungestraft zu unterdrücken ^). 

So sehen wir denn die Bomanen unter der Fremdherrschaft 
sich ziemlich wol befinden. Der niedere Theil der Bevölkerung 
blieb mindestens in derselben Lage, in der er sich früher befrm- 
den hatte: als Goloni oder Ackerknechte der neuen Besitzer, wie 
einstens der alten. Eine Ausrottung der Bevölkerung eines Lan- 
des, das sie erobert hatten, ist von den Germanen auf romani- 
schem Boden nirgends vorgenommen worden. So zahlreich waren 
ihre einzelnen Stänmie nicht, dass sie der bereits vorhandenen 
Arbeitskräfte zu entrathen vermocht hätten: Knechte brauchten 
sie immer, je mehr sie bekamen, desto besser. Es ist dabei femer 



^) Prisd exe p. 198 f. Bonn. A. t. Gutschmid hat im Lit. Gentralbl. rom 21. 
Okt. 1876 dAgegen eingewandt, dass dem byzantinischen Gesandten gegenüber Ton 
den hunnischen Unterthanen alles im rosigsten Lichte dargestellt wurde; man auf 
des Priscus Bericht daher nicht zu viel geben dürfte. Aber die Stellen bei Hiero- 
nymus und Sal?ian liessen sich doch nicht leicht mit dieser Aui&ssung yereinigen; 
wenn auch der Antithese zu Liebe einige Uebertreibung mituntergelaufen sein sollte« 
etwas wahres muss an diesen übereinstimmenden Aeusserungen wol gewesen sein. 

*) De gnb. dei V. 8 : Una et consentiens illic Romanae plebis oratio, ut 
liceat eis yitam, quam agrunt, agere cum barbaris. Et miramur, si non yincuntur a 
nostris partibus Gothi, cum malint apud eos esse quam apud nos Bomani? Itaque 
non solum transfugere ab eis ad nos fratres nostri omnino nolunt; sed nt ad eos 
confngiant, nos relinquunt. etc. Eine sehr bemerkenswerte Stelle. 



— 184 — 

zu beachten, dass die germanische wie die hunnische Herrschaft in 
den Donanländem einem viel zu raschen Wechsel unterlagt als 
dass dieselbe vermocht hätte, die romanische Bevölkerung sich zu 
assimiliren, wie das später in Noricum, in Baetien und am Bhein 
die Deutschen wirklich vollbracht haben. Die einzelnen Nationen 
blieben getrennt und namentlich in Attila^s Weltreich behielten 
dieselben ihre Selbständigkeit vollkommen bei ; es gab am Hofe 
des grossen Hunnenherrschers ein Völkergewimmel, wie das Jahr- 
hunderte später erst wieder in solcher Mannigfaltigkeit an der 
Donau sich entwickelt hat. 

So haben die Bomanen im traianischen Dacien sich während 
dieser Zeiten erhalten, als Knechte der Germanen; ähnlich wie 
nachher in Noricum als Barschalke der Baiwaren. 

Anders verhielten sich die Siädtisoh gebildeten Kreise ge- 
genüber der Occupation durch die Fremden. Theilweise flüchteten 
sie sich, zumal im ersten Schrecken und da die Kriege selbst 
grausam genug geführt wurden, in die binnenländischen Provin- 
zen des Beiches. Namentlich vor den Hunnen gieng ein pani- 
scher Schrecken einher, da ihre Verwüstungen so furchtbar waren, 
wie nur irgend möglich: Städte, die sie nach ^.ngerer Belage- 
rung eingenommen hatten, verschwanden für einige Zeit oder 
auch für immer vom Erdboden *). Aber dieser Schrecken dauerte 
eben nur, so lange Krieg geführt wurde. Dann traten wieda* 



^) Es sind die betreffenden Berichte freilich mit Vorsicht aufzunehmen. Ueber 
Aqnileia, dessen »Zerstörung* Jordan. 6et. 42 al. erzählt, bemerld; Mommsen im 
C. I. L. V. p. 88: »Jordani quidem si fldes est, Attila urbis vixyestigium reliquit 
nee dubium est, quin splendorem urbis attriverit ; sed tarnen quam cante talia 
admittenda sunt, nemo ignorat videturque fide magis digna narratio eomm 
qui de rebus Langobardids scripserunt, his invadentibus Italiam c. a. 568 Panlinum 
Patriarcham sedem inde transtulisse.* Aehnlich mag es mit Sirmium gewesen sein, 
das Attila (nach des Priscus Bericht) erobert und (nach E. Instinians Behauptung nor. 11) 
yerwflstet hatte; Sirmium ist gleichwol auch nachher eine wichtige Stadt geblieben, 
um das sich im 6. Jahrhundert Byzantiner, Gepiden und Ayaren wiederholt schlagen. 
Vgl. G. I. L. m. p. 418. Der Zug Attilas nach Gallien war sicherlich auf der 
grossen Heerstrasse, die Donau entlang nach dem Bhein erfolgt; Eugipps Darstel- 
lung zeigt uns Ufemoricum in leidlichem Zustande und wol bevölkert. Deshalb hat 
auch die Fortdauer der römischen Bevölkerung im traianischen Dacien trotz des 
öfteren Wechsels der herrschenden Stämme, den neuerdings A. v. Gntschmid a. a^ 
0. meiner AofEftSsung gegenüber betont hat, die Wahrscheinlichkeit nicht wider sich. 



— 185 - 

rahigere Zeiten ein, während deren man sich vom ünglflck all- 
mäblig erholte. Intelligente Barbarenherrscher halfen den Leuten 
wieder auf, da es in ihrem eigenen namentlich financiellen Inte- 
resse lag, wohlhabende ünterthanen zu besitzen. Zudem waren die 
Bomanen zu gebrauchen fOr die Cultivirung der eigenen Leute, als 
Träger der Cultiir der alten Welt, als Vermittler mit dem Orbis 
Bomanus. Einen solchen „Bömer* in Barbarenland haben wir bereits 
nach Priscus erwähnt Derselbe byzantinische Gesandte berichtet, 
wie an Attila^s Hofe vornehme Bomanen die hervorragendsten 
Stellungen einnahmen, wie man bei der Tafel des Herrschers 
auch lateinisch sprach, der Hofiiarr selbst in diesem Idiom seine 
Scherze vorbrachte ^). Unter hunnischer Herrschaft lebte damals 
an der Save auch Orestes, der nachmalige Kaisermacher von Westrom, 
der aber gleichwol eine Dame aus Poetovio in Noricum heirathete, 
woraus man sieht, dass selbst das Connubium zwischen Bomanen 
hoben und drüben trotz der trüben Zeiten keineswegs einge- 
stellt war. 

Auch nach Atüla's Tode war es nicht anders. S. Antonius 
Lirinensis — wie er später genannt wurde — kam aus Pannonien 
nach Noricum zu Severin; wobei wir seine Familienverhältnisse 
des Näheren kennen lernen. 

Sein Vater Secundinus war ein vornehmer Mann; dem Bi- 
schof Constantius von Lorch war er verwandt ^. Man sieht auch 
hieraus, wie die norischen und pannonischen Confinien beständig 
mit einander verkehrten und die Einwohner sich verschwägerten. 



*) Prise, a. a. 0. p. 205 t Bonn. 

*) Antonius wurde geboren »circa fluminis ripas in ciyitateValeria.* £n- 
nodiiopp. p. 417 Sirmond. Das Uferland der Prorinz Valeria erstreckte sich nach der 
not. dignit. p. 94 f. 7on Altinum (bei Mohacs) bis Brigetio (Szöny). Vgl. 0. I. 
L. m. p. 416. Im Innern gehörte die Gegend am Plattensee (lacus Pelsonis) und 
bei Sopianae (Fflnfkirchen) dazu, welch* letzteres Ammianus 28, 1, 5: »oppidum 
Valeriae« nennt. Die »dvitas« Valeria erkl&rt Bfldinger a. a. 0. S. 48 fftr die 
ProTinz Valeria. Qanz ins Beine ist darüber nicht zu kommen. Procop. b. 0. m. 
84. 85 erzählt, K. lustinian habe die Langobarden beschenkt Nü>pix({> tt icoXti 
mal zolq ha nowovio^ hyippih\i.aai xal £XXot( X^P^^^^ icoXXot^. Auch in der »de- 
sdiptio orbis* (bei Mai 8, 404) wird eine »ci Titas Noricum* erwähnt. VgL*Bfl- 
dinger S. 58. A. 2. Um 1800 n. Chr. gebraucht den Ausdruck »dritas Norienm* 
Bemardns Norieus fQr der Baiem Hauptstadt Regensburg. Massmann, Kaiser- 
dironik m. 795. 



— 186 — 

Was aber besonders bemerkenswerth ist, das ist der Um- 
stand, dass, als die pannonische Stadt Savaria (Stein a. 
Anger) Freitags den 7. September des J. 455 durch ein 
Erdbeben zerstört wurde, dies in den ofßciellen Annalen 
der Beichshanptstadt umständlich erwähnt wird ^). Es ist das um 
so auffallender, als es gegen alle Begel genannt werden muss. Die 
aimalistisGhen Aufzeichnungen nemlich, die während des fünften und 
sechsten Jahrhunderts im römischen Beiche gemacht wurden und 
die sich an die Gonsularfasten anschlössen, zeigen im Allgemeinen 
eine sehr bestimmte örtliche und sachliche Begrenzung des Ge- 
sichtskreises. Sie vermelden nach der alten Gepflogenheit dieser 
Art von Aufzeichnungen vor allem die Geschicke der Herrscher 
und der Familie derselben, dann sonst bedeutende staatliche 
Ereignisse, endlich wol auch Naturerscheinungen, wie Erdbeben, 
Feuersbrünste, Sonnen- und MondfiLUstemisse u. s. w.; sie be- 
schränken sich aber auch bezüglich der letzteren Funkte fast 
ausschliesslich auf den Ort ihrer Entstehung, die Hauptstädte 
Bom und Bavenna; höchstens, dass noch Italien als das Haupt- 
land des Beiches in Betracht gezogen wird; von den Provinzen 
ist sonst nie die Bede, ausser wenn etwa den Herrscher unmit- 
telbar berührendes dort sich ereignet hatte. 

Von der Begel, die ich hier auseinandersetzte, macht jene 
Nachricht über die Zerstörung Savaria's durch ein Erdbeben im 
J. 455 die einzige, räthselhafte Ausnahme ^). Während sonst die 
römischen Annalisten, die unter barbarischer Herrschaft lebten, 
wie Idatius in Gallaecien, Marius von Avenche, Prosper von Aqui- 
tanien u. A. sich ganz als Bömer gebehrden und von den facti- 
schen Begenten nicht mehr Notiz nehmen als von einer Bäuber- 
bande, hingegen die Ereignisse am kaiserlichen Hofe getreulich 
referiren, ist hier der umgekehrte Fall eingetreten: die offfcielle 
Geschichtschreibung beachtet ein Ereignis, das sich in Pannonien 
zugetragen hat, in Pannonien, das schon seit langem nicht mehr 
römische Provinz war. 



^) ^jValentiniano Vm et Antemio cos. — ererBa est Sararia a terrae mota 
Vn. id. Sept. die Veneris.* Anonym. Cuspin. ed. Mommsen p. 666. 

') Vgl. hierflber Holder-Egger, Untersuchangen Ober einige annalistische Qaellen | 

zur Geschichte des fünften und sechsten Jahrhunderts. Neues Archiv, d. GreseUschaft 

I 

U ältere deutsche Geschichtskunde I. (1876) S. 281. 



- 187 - 

Es zeigt eben, dass die Leute mit ihren Gedanken nnd Ge- 
fftUen noch inuiuir mein- der Vergangenheit soigelidrtfln als der 
Gegenwart Boms Schatten beherrschte die Welt. Bei den Theilun- 
gm nach Attila's Tode ist von den Gothen in Fannonien das Land 
Yom Beiche zu Lehen genommen und daam \m am foJgandm 
Theümgen nnter die einzelnen Fürsten durchwegs die alte Fro- 
vincialeintheilnng zu Grunde gelegt worden *). Im zweiten Jahr- 
hundert nach dem Beginne der sog. Völkerwanderung noch 
erscheint dieser Stand der Dinge aufrechterhalten : der Geschicht- 
schreiber der Gothen Gassiodor (Jordanes) rühmt die vielen Städte, 
die das Land schmückten, angefangen von Sirmium bis hinauf 
zu Vindobona ^). K. Theoderich adressirte seine Erlasse nach 
Fannonien an beide Theile der Bevölkerung : an die Bomanen und 
an die „Barbaren^, indem er zugleich die gegenseitigen Bechts- 
verhältnisse derselben regelte, namentlich das Gonnubium zwi- 
schen Germanen und römischen Weibern ^). 

Als dann Alboin und seine Langobarden mit Weib und Kind 
nach Italien zogen, brannten sie vorher die bisherigen Wohn- 
stätten nieder; unter dem Schwann fremder Elemente, die den 
Zug mitmachen — die Langobarden haben ausnahmsweise es 
nicht verschmäht, mit solchen sich zu amalgamiren, — werden 
neben Norikem auch Fannonier genannt *) , ohne dass wir über 
die ethnographische Bedeutung dieser Benennungen klar würden. 

Darauf haben Avaren und Slaven das Land occupirt und die 
ethnische Neugestaltung desselben vollendet. 

Das war die Lage der Dinge in den östlichen Landschaften 



1) Jordanis c. 52 : Walemir inter Scarniangam et aquam nis;ram flayioB, 
Theodemir iuzta lacum Pelsodis, Widemir inter utrosque manebat. V^l. Büdinger, 
a. a. 0. 45. A. 4. 

*) Jord. 6et. 50: Omata est patria dvitatibus plnrimis, quarnm prima Sir- 
mis, extrema Vindomina (i. e. Vindobona). 

^ Gassiodor. Var. 2, 16: »uniTersis barbaris et Bomanis per Pannoniam con- 
stitatis.« Vgl. aach Var. m. 24. V, 14: »antiqui barbari, qui Bomanis mulieribus 
elagerint nnptiali loedere sodari« ; sie sollen zur Zahlung der Gnmdsteuer yerhalten 
werden, »qnolibet titolo praedia quaesiverint.* 

^) Paul. diac. II. 26. ygl. Bfidinger, S. 60. A. 1. Paulus erwähnt, dass 
diese fremden Völker noch zu seiner Zeit ihren Wohnsitzen in Italien den Namen 
gäben. Was bloss eine etymologische Conjectur des Paulus, was aber auch richtig 
sein kann. 



— 188 — 

fm der Donau, namenflich in Fannonien. Etwas anders standen 
dieselben in den Provinzen des Westens, in Noricum und Baetien. 
Diese lagen dem Hauptlande Italien am nächsten, sie waren die 
Schutzmauer desselben gegen die drohende Occupation durch die 
Barbaren und deshalb von der Regierung mit besonders wachsamem 
Auge gehütet. Es handelte sich dabei in erster Linie danun, 
wo möglich die Donaugrenze selbst zu halten; wenn aber dies 
nicht gelang wenigstens die norischen und raetischen Alpen zu 
Bollwerken der italischen Herrschaft zu gestalten. Diese zweite 
Alternative hat nachher König Theodorich der Gothe ergriffen; 
unter den letzten weströmischen Kaisem und selbst noch unter 
Odovacar eine Zeitlang war man zu diesem Entschlüsse noch 
nicht gekommen — die Donau war als Grenze noch nicht definitiv 
aufgegeben. Freilich soll damit aber auch nicht gesagt sein, dass 
man sie energisch vertheidigt hätte. Es entsprach vielmehr ganz 
dem schlaffen Charakter der Zeit, dass man einfach gar nichts 
that, sondern die Dinge gehen lies, wie sie eben giengen. Das 
^Beich*' war in vollster Auflösung begriffen, aus den einzelnen 
Theüen aber eine Constituirung auf romanisch -germanischer 
Grundlage, worauf die Ereignisse mehr und mehr abzielten, noch 
nicht erfolgt. In Italien regierten die SöldnerfQhrer , indem sie 
Kaiser von ihren Gnaden ernannten. Das stets wechselnde Be- 
giment und der usurpatorische Charakter desselben demoralisirte 
wieder seinerseits die Provinzen ; diese waren in den letzten Jahr- 
zehnten vor ihrer endgiltigen Occupation factisch auf sich selbst 
angewiesen, so Spanien, die Provence, das mittlere GaUien, so 
endlich auch Baetien und Noricum an den Ufern der Donau ^). 
Das sind die Zeiten und die Zustände, welche von Eugipp 
in treuem Bilde uns vorgefahrt werden. Wir sehen da Ufemo- 
ricum noch unter römischer Hoheit, den „limes^^ des Beiches be- 
setzt^) — aber bereits alles in Unordnung und Zerrüttung; die 



*) Vgl. Panmann, Gesch. der VöUcerwandening, II. 889. 809 fP. Er «rimtert 
an den Wirrwarr in der Proyence unter Ecdidus. Ueber Spanien s. ebenda S. 72. 
In Oallien nördlich der Loire hat bekanntlich der Statthalter Syagrins auf eigene 
Fanst sich gehalten bis zur Schlacht yon Soissons im J. 486. 

*) Eugipp c. 20 : Per id tempus, quo Bomanum constabat impenum, malto- 
rum milites oppidorum pro custodia limitis publicls stipendiis alebantur. An dem 



— 189 — 

Zufahr von Lebensmitteln und endlich auch der Sold für die 
(rrenzsoldaten bleibt aus; die Offiziere mit nur weniger Mann- 
schaft, die der Fahne trotzdem treu blieb, suchen sich noch ei- 
nige Zeit zu halten ^); man macht den Versuch, den Sold aus 
Italien durch einige Kameraden holen zu lassen; als auch das 
misslingt, geht alles aus einander^). Von nun an müssen sich 
die Bomanen selbst zu helfen suchen. 

Nun war das freilich nicht so leicht gethan, wie gesagt. 
An eine nachdrückliche selbständige Action der Provinzen hätte 
sich wol denken lassen, wenn dieselben bereits an ein gewisses 
SeUgovemement gewöhnt gewesen wären. Aber das war eben 
nicht der Fall. Das Bestreben der Begierung war vielmehr von 
Anfang an dahin gegangen, das National- und Selbständigkeits- 
gefOhl ihren Unterthanen gänzlich auszutreiben; dieselben sollten 
sich gewöhnen, blind zu gehorchen. So waren denn diese Bo- 
manen, als sie durch die Ereignisse auf sich selbst angewiesen 
waren, eine unmündige, duldende Masse, die jeglicher Initiative 
entbehrte. Sie vermochte durch den passiven Widerstand, den 
sie dem Eroberer entgegensetzte, diesen wol zur Verzweiflung und 
schliesslich sogar um die Früchte seines Sieges bringen; sie war 
aber nicht fähig selbst einen Staat zu bilden. Ihre Eigentümlichkeit 
bestand eben darin, der Thefl eines Ganzen zu sein oder mit 
anderen Worten beherrscht zu werden. Ein neues politisches 
Leben haben deshalb in diese Gegenden auch erst die einwan^ 
demden deutschen Stänune verpflanzt, indem sie mit den unter- 
worfenen Bomanen sich vermischten und sie germanisirten ^. 

Es bildeten sich damals, nachdem die eigentliche Grenzwehr, 
die bisher das Beich unterhalten hatte, durchbrochen, „limes* und 
»annona*', die grossen Institutionen, durch die die römische Herr- 



Statthalter Generidus im ersten Viertel des ffinften Jahrhunderts wird besonders gelobt, 
dass er die Verbindung mit Italien aufrechterhalten and fQr die Annona gesorgt 
habe. 

^) Vgl. Eugipp c 4 : Mamertinas tribunus : »Milites quidem habeo paadssimos 
et ideo non andeo com tanta hostiom multitadine oonfligere* : inermes milites. c. 20 ; 
Batabino utconque numero perdorante. 

') c 20: qna consuetudine (publicorom stipendiorum) deleta simol militares 
tarbae deletae com limite. 

') Vgl. Both, Gesch. des Benefidalwesens. S. 59 f. Mommsen, die Schweiz 
in röm. Zeit. S. 8. 



— 190 — 

8cliafti an der Donau sich gesichert hatte, beseitigt waren, eigentüm- 
liche Zustände aus. Das Land durchstreiften ringsum die Barbaren, 
ohne sidi jedoch in demselben niederzulassen. So blieben der 
kleine Ejrieg und die Flünderzüge von hüben nach drüben per- 
manent Die Bomanen hielten sich innerhalb der Mauern ihrer 
Städte und Städtchen und bewachten dieselben mit ängstlidier 
Sorgfalt Musste man auf dem Felde arbeiten, so lies man stets eine 
kleine Besatzung zurück ^) ; wobei freilich beide Theile gleich sehr 
geföhrdet waren, indem die Germanen gerade solche Augenblicke 
erspähten, um einzudringen. Mitunter musste man auch eine 
förmliche Belagerung aushalten. Man konnte von Glück sprechen, 
wenn in diesem Falle es gelang durch einen plötzlichen Ausfall 
die überraschten Feinde zurückzuschlagen. Die Beste von Sol- 
daten und Offizieren des einstigen „limes^^ leisteten dabei gute 
Dienste. Auf eine längere Belagerung Hessen es die Barbaren 
in der Begel nicht ankommen. Es fehlte ihnen nemlich durch- 
aus an den nöthigen Maschinen ; auch trat bei ihnen, wenn die 
ganze Bevölkerung mit ihren Habseligkeiten sich in die Stadt 
zurückgezogen hatte, alsbald Mangel an Lebensmitteln ein. Waren 
die Eomanen daher gewarnt, so wurde ihnen gewöhnlich nicht 
beigekommen. Die Barbaren legten sich dann wol in den Hin- 
terhalt und fingen Menschen und Vieh, das sich ausserhalb der 
Mauern etwa blicken lies. Stets musste man dagegen auf der Hut 
sein und verdächtige Orte fleissig durch Kundschafter eclairiren ^). 

Das waren nun freilich Zustände, die auf die Dauer sich 
unmöglich halten Hessen und es darf daher auch keineswegs Wun- 
der nehmen, wenn die Leute durch die beständige Gefahr etwas 



') Vgl. G. 22: Batavis. Vierzig Männer müssen hier in einem solchen Falle 
Wache stehen, c. 80: Lorch: »dlspositi per muros.* Und so öfters. 

') Vgl. Engippc. 25: Raabzug der Alemannen. Die Gastelle von Innemoricam 
sind dadurch nicht gefährdet, weil sie benachrichtigt waren, c. 80 räth Seherin den Leuten 
von Lauriacum: »omnem paupertatis suae suffidentiam intra muros conduderent, quatenas 
inimicorum feralis incursio, nihil humanitatis inveniens, statim fame compolsa iwiT"^^"» 
cmdelltatis coepta deseret.* Was auch gelingt, »cum nihil victuallum reperissent*; nur 
»animaliam gregem cuiusdam hominis, qui sua fugare contempserat, diripaerant.* ^ 
Geschehen »ad suspecta loca exploratoribus destinatis.* — lieber andere mehr ge- 
lungene AnMe auf Städte vgl. c. 24: Joviaco. c. 22: Batavis. c. 1: Asturis. 



— 191 - 

nervös wurden. Man verzweifelte daran, dass es länger so fort 
gehen könnte ^). 

Zuletzt entschloss man sich doch dazu, da die Umstände 
drängten, den geliebten heimatlichen Boden zu verlassen; wenig- 
stens theilweise. Aus einer kleineren und demnach weniger wider- 
standsfähigen Stadt übersiedelten die Bewohner in eine grössere 
und festere, die noch intact war, um sich dort mit vereinigter 
Kraft auch länger zu halten. Die Zurückgebliebenen fielen den 
Germanen zur Beute ^). 

So wurden zuerst die oberen, raetischen Castelle aufgegeben, 
auf welche die Barbaren am meisten gedrückt zu haben scheinen. 
Die Bewohner von Quintanis zogen stromabwärts nach Batavis, 
das so zur Doppelstadt ward. Aber es half nichts; die Feinde 
waren dadurch nur noch mehr entflammt und fassten die ge- 
meinsame Zufluchtsstätte erst recht ins Auge ^. Die vereinigten 
Gemeinden von Quintanis und Batavis wurden belagert ; es erfolgt 
ein glücklicher Ausfall, in dem die Alemannen zurückgeschlagen 
werden. Aber der Erfolg ward nur dazu benützt, um nunmehr 
auch Batavis zu verlassen und nach Lauriacum zu übersiedeln. 
Hier drängte sich dann die ganze Menge der Auswanderer aus 
den oberen Castellen zusammen, wie die Schafe bei einem Ge- 
witter^). Von hier hat der Eugenkönig Fava sie dann hinweg- 
verpflanzt donauabwärts in die Städte, die ihm zinspflichtig waren. 
Damit hatte die selbständige Action der Bomanen in diesen Ge- 
genden ein Ende: die Schafe wurden nunmehr geschoren. 

Ehe wir aber auf dies neue Stadium in der Leidensgeschichte 
unseres Völkleins übergehen, müssen wir noch einiger Institute 
gedenken, die eben während dieser jammervollen Zeit die segens- 
reichste Wirksamkeit entfaltet haben. Ich meine die Institute 
der öffentlichen Armenpflege und des Loskaufes der Gefangenen 
durch die Liebesgaben der Freigebliebenen. Es begegnen uns 



') Üugipp c. 27 : mansores oppidi Quintanensis creberrimis Alamatinorum in- 
cursibus defessi. 

*) Z. B. zu Batayis c. 27. 

^) Qua causa plus inflammati sunt ; quod duorum populos oppidorom uuo im- 
petu praedarentur. c. 27. 

^) Oder wie Seyerin sich ausdrückt: »ingruente barbarie.* c. 27. 



— 192 — 

dieselben auch anderswo, z. B. in Irland ^) ; bezflglich Noricums 
sind wir darüber am genauesten unterrichtet, da hier Severin, 
der Held Eügipps, die Sache in die Hand genommen und orga- 
nisirt hatte. 

Durch die ganze Provinz Noricum hin gieng diese Organi- 
sation der Armenpflege, die um so nöthiger sein musste, als die 
Armen sich in diesen Zeiten, wo mit Handel und Verkehr auch 
jeglicher Erwerb stockte, ausserordentlich rasch vermehrten und 
auf fremde Hilfe angewiesen waren, da ihnen natürlich Niemand 
Arbeit zu geben vermochte. Die Institution selbst war so alt wie 
das Christentum und trug, wie manche andere, die uns profan 
scheint^), damals einen kirchlichen Charakter: auf Grund des 
Zehentgebotes in der hl. Schrift war sie eingeführt worden. Na- 
türlich, dass in gewöhnlichen Zeiten diese Verpflichtung auch 
leichter genommen wurde; durch Bitten und Beschwörungen und 
indem er mit den Strafen des Himmels drohte, setzte Severin 
es durch, dass sie jetzt strenge eingehalten wurde ^). Seine Klöster, 
allen voran jenes zu Favianis, wurden förmliche Magazine für diese 
Vorrathe der Armen und Gefangenen; auch die femer gelegenen 
Gegenden Innemoricums, die von der Gefahr erst in zweiter 
Linie bedroht waren, wusste Severin heranzuziehen; selbst arm 
kamen die Leute ihrer Verpflichtung beizusteuern nach, da Nie- 
mand wissen konnte, ob er nicht demnächst selbst von diesen 
öffentlichen Almosen sein Leben zu fristen genöthigt war^). 



^) S. Patridi synodi, canones, opuscola ed. VillanaoFa. Dublini 1885 p. 244: 
Consuetado Bomanorum Gallorumque Christianoruu (est), mittunt Presbyteros sanctos 
(et) idoneos ad Francos et exteras gentes cum tot miUibas solidorom ad redimendum 
captivos baptizatos. Bei Friedrich, Kirchengesch. Deutschlands I, 416. A. 1255. 

') So war z. B., wie es scheint, mit jeder Kirche zugleich ein „Hospiz* ver- 
bunden, worin man, dem Gebote gemäss, die Fremden beherbergte. Eagipp c 1: 
(Seyermus) rerersus ad hospitium, quo ab eodesiae fuerat custode susceptus cC c. 24 : 
Presbyter hospitalitatem praebere cupiens. Vgl. hiezu Batzinger, Gesch. der IdichL 
Armenpflege. I. 118. 

') Eugipp c 17 : ut pene omnes per universa oppida vel castoUa panperefl 
ipsius (sc. Sererini) industria pascerentur. — cuins largitionem tarn piam in pan* 
peres plurimi contemplantes, quamvis ex duro barbarorum imperio fiunis angustiam 
sustinerent, deyotissime frugum suarum dedmas pauperibus impendebant« 

*) »substantiam panperum captivorumque* nennt Sererinc. 42 selbst sein Kloster ; 
pro dedmis autem dandis, quibus pauperes alerentnr, Norid quoque populos missifl 
exhortabantur epistolis. c 18. frugum dedmas pauperibus offene, c. 19. 



- 193 — 

Mit der Armenpflege gieng die Sorge für ^e Lösung der 
Gefangenen Hand in Hand. Wie in Noricum sehen wir auch in 
Baetien auf diese Weise den socialen üebelständen der Zeit ent- 
gegenarbeiten ^). Um die « armen Gefangenen* loszukaufen, gieng 
man auf die Märkte im Barbarenland, auf denen das Geschäft 
dann abgemacht ward ^). Auch in diesem Punkte ergänzt Eugipp 
vortrefflich, was wir aus anderen Quellen über diese Verhältnisse 
wissen. Friscus berichtet, wie bei der Belagerung von Sümium 
durch die Hunnen, im Jahre 441—442, der dortige Bischof Con- 
stantius Jemandem goldene Eirchengefässe übergab, um ihn, oder 
nach seinem Tode Andere, die in Gefangenschaft gerathen wären, 
wieder zu lösen. 

Wir kommen darauf, die Verhältnisse zwischen Roma- 
nen und Germanen in diesen Zeiten zu erörtern. Es waren 
dieselben nicht überall und nicht allemal die gleichen. Die ver- 
schiedenen Stänmie der Germanea standen noch auf sehr ver- 
schiedenen Stufen der Entwicklung. Bei den Sueven, den Ala- 
mannen, den Herulem und den Thüringern dauerte theilweise noch 
der unstäte Zustand fort, wonach die überschüssige Bevölkerung 
unter Anftlhrung irgend eines Häuptlings einfach auf einen Beu- 
tezug nach ^Bomanien* ausgieng; nicht mit Unrecht wurden sie 
von den Romanen als «Räuber'' bezeichnet und behandelt ^). Von 



*) Vgl. die Grabschrift des Bischofs Valentinian Fon Chur (f 548), die ihm 
sein Neffe und Nachfolger Panlinus gewidmet hat: 

»Hoc ladt in tomolo, qaem deflevit Ketica tellus 

Maxima sommorom gloria pontificam: 

Abiectis qui fadit opes, nudataque texit 

Agmina captivis praemia larga ferens etc.* 
Bei Mommsen, inscript. Helvet. p. 100. Vgl. Planta, das alte Baetien S. 278. Im 
Uebrigen Batzinger, a. a. 0. and H. BQckert, Galturgeschichte II. 895. 
*) Vgl Eagipp. c. 6. c 9. c. 10. 

') Schon aaf den Inschriften des 2. und S. Jatirhanderts. In der Gegend 
▼on Ofen ist unter Commodus die Bede Fon »bargis a solo exstructis item prae- 
sidiis per loca opportuna ad dandestinos latrunculorum transitus oppositis.* G. I. 
L. m. p. 486. n. 8885. Aehnlich an anderem Orte unter Severus. n. 8887. 
Hieza ?gl. man Eagipp^s Aussprache, c 10: Utrones. c. 5: praedones barbari. c. 5: 
tnrba latrodnantium et barbari. c. 8 1 : praedonum rastatio creberrima. Sie Uofen 
aach daron wie Bäuber: c. 80. — c. 4 wird als ihr MotiF angegeben »ayiditas 
praedandL* Hender werden so genannt c. 24. Alemannen, von denen eine zahl- 
reiche Scfaaar (copiosissima moltitado) ?or Tiburia »feraliter cnncta vastaYit*, c 25. 

Jonf, die Donan-ProYinien. 13 



— 194 — 

jenseits der Do«au schwärmten sie herüber durch die ganze Pro- 
vinz, nicht nur des Ufers, sondern auch des Binnenlandes; es 
ward geplündert, gemordet und gefangen, ünvermuthet erschien 
wol auch einer ihrer kleinen Könige mit geringem Erfolge, gleich- 
sam privatim ^). Diese Haufen versteckten sich dann tagüber in 
die Wälder, nachts rückten sie an mit Leitern versehen, um die 
Mauern zu ersteigen ^). Kein Castell war vor ihren Anfallen 
sicher ^). Alle Wege wurden unsicher gemacht ^) ; Wanderer waren 
des Todes, wenn die Barbaren sie ereilten ^). 

War einmal eine Stadt in den Händen einer solchen Horde, 
so war auch nichts mehr vor ihnen sicher; sie erschlugen Alles, 
was ihnen unter die Hände kam, selbst die Priester in der Kirche ^) 
und raubten, was nicht niet- und nagelfest war: nichts blieb übrig, 
als die nackten Wände, die sich nicht fortschleppen Hessen. Was 
noch am Leben war, wurde in die Gefangenschaft abgeführt und zu 
Hunderten verkauft oder nur gegen reichliche Lösung wieder frei- 
gegeben 7). 

Diese Klasse von Barbaren war die böseste, da sie um gött- 
liches und menschliches Eecht sich gar nicht kümmerte. An- 
dere standen bereits auf einer höheren Stufe, indem sie nicht nur 
todtschlugen, sondern auch zu pactiren bereit waren; in Folge 
dessen das Verhältnis zwischen Bomanen und Germanen schon 
auf eine festere, gesichertere Grundlage zu stehen kam. So war 
es z. B. in Commagenis und zwar, wenn anders Eugipp hierin 
genau ist, schon zur Zeit von Severin's Ankunft. Unföhig die 
Barbaren zu vertreiben, Hessen die Eomanen hier dieselben ver- 
tragsmässig in die Stadt, als „Bundesgenossen und Beschützer', 



') K. Gibold der Alemannen c. 19. Chunimundus paucis barbaris comitatus 
oppidum Batavis invaserat. c. 22. 

') Vgl. c 80 : scalae, quas ad urbis excidium praeparantes etc.. 

') cum pene nuUum castellum barbarorum vitaret incursus. c. 11. 

^) c. 87: Mönche in Gefahr : periculum, qua barbaris evaserant. 

^) c. 20: Soldaten, die Sold holen wollten, erschlagen. 

') Vgl. c. 22. 24 über den Fall von Batavis und Jopia. Einer dieser Prie- 
ster wird dort aufgehängt, c. 27 : nee defuit contemptoribus (Severini) gladins 
inimici. 

'') Vgl. c 19, wo von siebenzig Gefangenen die Rede ist. Vgl. c. 2^, wo Se- 
verin warnt: ,si in hac nocte remanserint, sine dilatione capientur.* 



— 196 — 

wie man etwas euphemistisch sienamite ^): demi diese , Beschützer" 
waren damit ja zugleich die Herren der Stadt mid deren Be- 
wohner gleichsam die Gefangenen der Besatzung, die sie einge- 
nommen hatten^). 

Durch einen glücklichen Zufall gelang es den Bürgern von 
Commagenis^ ihrer ungeladenen , Gäste* wieder los zu werden: ein 
Erdbeben setzte diese so in Schrecken, dass sie in der Meinung, 
ihre Feinde kämen die Stadt zu belagern, aus den Thoren eilten 
und bei der herrschenden Finsternis und Verwirrung sich gegen- 
seitig schädigten und umbrachten ^j. 

Ein Bild im Kleinen des Schauspieles, das bald nachher 
Odovacar in Italien im Grossen aufgeführt hat, wo ja auch die 
»Schützer*, d. h. die germanischen Söldner, meuterten und sich 
hiebei genau an die Einquartirungsgesetze des römischen Beiches 
hielten, indem sie den besitzenden Klassen je ein Drittel ihres 
Besitztums wegnahmen ^). Die Ostgothen unter Theoderich haben 
sich dann ganz jn derselben Weise als »Gäste" — »hospes* 
hiess der einquartirte Soldat — in Italien eingeführt: wie die 
anderen Stämme der Germanen in anderen Landschaften auch. 

Sobald einmal die »Schützer* in dieser Stellung sich be- 



^) Jener Eaphemismas gehörte in das System der Heuchelei, das im »heiligen* 
romischen Keich nan einmal gäng und gäbe war und blieb. Kluge Leute, deren es 
za allen Zeiten einige gegeben hat, wassten schon, woran man war. Auch liessen 
die SduiftsteUer zwischen den Zeilen manches durchblicken. So rfihmt z. B. der 
Lobredner Pacatus in seinem Panegyricus c 82, 4 ?on Theodosius, dass er es yer- 
standen habe, die fremden Nationen in römischen Kriegsdienst zn ziehen, der Gothe, 
Hunne, Alane bewache die Städte Pannoniens als Soldat, die er als Feind geplün- 
dert, c. 11, 4 aber sagt die Republik zu Theodosius: »perdidi infortnnata Panno- 
nias, lageo fnnus Illyrici.* Bei Bfldinger a. a. 0. S. 39. A. 8. 

*) c. 1 : »(Oppidum Gommagenis) barbarorum intrinsecus oonsistentium, qui 
cum Romanis foedus inierant, custodia servabatar arctissima, nullique ingrediendi 
aut egrediendi fadlis lioentia praestabatnr.* Einem Unbewaibieten, wie Severin war, 
wird jedoch der Eintritt nicht Ferweigert. 

^ c. 2 : barbari intrinsecus habitantes exterriti, ut portas sibi Romanos co- 
gerent aperire relociter — aestimantes se quam vidnorum hostium obsidione ?alla- 
tos plebs serrata praesidio. 

*) Vgl Dahn, Die Könige der Germanen U. 48 f. Odovacar siedelte seine 
Söldner durch ganz Italien an. Bist. misc. p. 99 : »barbari per universas urbes dif- 
fusa* Nicht, ohne dass auch hier Widersetzlichkeiten vorgekommen wären : »multas 
dritates parantes resistere extinctis habitatoribus ad solum usque dejecere.* 

13* 



— 196 — 

haupten konnten, war das betreffende romanische Gebiet in den 
Händen der Germanen. 

Endlich gab es Stämme, die bereits in stabile Verhältnisse 
eingetreten waren und romanisches Land bleibend occupirt hatten. 
In diesem FaUe befanden sich damals die Gepiden in Dacien, die 
Gothen in Pannonien und theilweise die Eugen in Noricum. 

Man war nemlich schliesslich auch hier auf den vernünftigen 
Gedanken gekommen, die Bomanen nicht mehr todtzuschlagen 
und zu plündern, sondern sie zu schützen und tributpflichtig zu 
machen. 

Das war die Politik, die König Fava verfolgte. Bereits 
früher, als die oberen Donaucastelle sich noch hielten, hatten deren 
Bewohner gestrebt, mit „Eugiland** ein Handels- und Schutzbündnis 
einzugehen ^). Als dieselben dann zur Auswanderung in die öst- 
lichen Städte, zuletzt nach Lorch, g.^drängt worden waren, ver- 
anlaste er nicht ohne einige Gewaltsamkeit, dass die Bomanen 
auch dieses aufgaben und nach Favianis und andere Orte über- 
siedelten, die den Bugen bereits zinspflichtig waren 2). Von da 
an waren hier Bomanen und Germanen in „wolwollender Ge- 
meinschaft" zu einem Staate vereinigt ^). 

Severin, der bei all diesen Begebenheiten den Mittler zwischen 
beiden Theilen gemacht hatte, ermahnte den König noch kurz 
vor seinem Tode, er möge mit diesen ünterthanen so umgehen, 
wie ^r einst für seine Begierung dem Herrn Bechenschaffc geben 
zu können wünsche. Und der König versprach es*). 

Bechte und Pflichten, Leistung und Gegenleistung waren 



^) Eugipp. c. 22. Die Städter fordern »mercandi lioentiun.« Seyerin meint : 
»quid necesse est mercimonia proyidere, ubi ultra non poterit apparere mercator* ? Sie 
antworten: »non se debere contemni, sed consaeto sublevari regimine.* Dabn, Mün- 
chener Gel. Anz. 1859. n. 84: »Althergebrachte Rechte oder früher gewahrter 
Schutz? Wol beides.« 

') Eugipp. c. 81 definirt der Bugenkönig die Zielpunkte seiner Politik: »Hnnc 
populum non patiar Alamannorum aut Thuringorum iniquorum saeva depraedatione 
vastari vel gladio trucidari, aut in servitium redigi, cum sint nobis oppida seu ca- 
Stella in quibus debeant ordinari.* Diese werden dann näher bezeichnet als »oppida* 
tributaria atque yicina, quae a Bugis tantummodo dirimebantur Danubio.* 

3) Eugipp. c. 81 : Bomani benevola cum Bugis societate rixerunt. 

^) »ut ita cum sibi subiectis ageret, quo se iugiter cogitaret pro statu 
regni sui rationem domino redditurum.* c 40. 



— 197 — 

einigermassen jetzt ins Gleichgewicht gebracht. Die Germanen 
sollten durch das Schwert, die Eomanen durch ihre financiellen 
Leistungen das gemeinsame Staatswesen aufrechterhalten. Wie 
bei anderen Stämmen, so wuchs auch bei den Eugen durch diese 
Stabilirung der Herrschaft das Königtum an Machtvollkommenheit; 
der eroberte Boden und dessen Bewohner waren zunächst Krongut. 
K. Fava hat seinem Bruder Friedrich Favianis als Apanage ver- 
macht; dieser lies den Besitz durch einen eigenen Beamten — 
„villicus" wird er genannt — verwalten^). 

Auch über einen grossen Theü der Gefangenen, vielleicht 
sogar über alle, scheint der König das Verfügungsrecht gehabt 
zu haben: der Alemanne Gibold hat einmal auf Severins Bitten 
deren eine grosse Menge freigegeben 2). 

Fühlte sich nun aber auch die Mehrzahl der Romanen durch 
die Neugestaltung der Dinge befriedigt, so gab es doch eine 
fanatische Minderheit, die es höchst „ungerecht* fand, dass Ro- 
manen von Germanen beherrscht würden ^). Für diese Eiferer 
war das römische Reich das „gelobte Land*; aus der Bibel 
wiesen sie nach, dass die Welt zugleich mit ihm zu Gininde 
gehen würde. Danach construirten sie sich ihre Politik: damit 
die Welt noch länger existiren konnte, musste man die Herrschaft 
des Reiches wiederherstellen und zu diesem Zwecke die Staatenbil- 
dungen der Barbaren zerstören. So ist nachher durch Justinian 
noch einmal unter dem Beifall der orthodoxen Romanen die Reac- 
tion des Römertums in Africa gegen die Vandalen, in Italien 
gegen die Gothen siegreich geworden; hat Rom gegen die Lan- 
gobarden gekämpft und deren Staat vernichten helfen; hat Karl 
d. Gr. sein Kaiserreich gegründet, um diesen Ideen Rechnung zu 
tragen, die noch immer eine zahlreiche Partei auf ihre Fahne 
schrieb: das römische Papsttum hat dieselben adoptirt und mit- 



^) Eugipp. c, 42 : cum Fridericus a fratre suo ex paucis, qnae super ripam 
Danubii permanserant, oppidis unum acciperet Fayiauis. Cf. c. 45. 

*) Eugipp. c. 27. E. Gibold verspricht >quantos recepturus fuisset numeros 
^capÜTorum*, freizulassen. SeTerin bittet, er möge seine Plünderzage einstellen und 
»captivos, quos sni tenuerant*, zurückgeben: danach konnte der König darüber ver- 
fügen. 

") Eugipp c. 40 last Severin, der zu den Bugen im besten Verhältnisse stand, 
gleichwol 7Ön der künftigen Befreiung >ab i n i u s t a barbarorum dominatione* sprechen. 



- 198 — 

telst derselben das «Beich* in «Vierfürstentflmer* aufgelöst; noch 
heute ist der ültramontanismus, der Verfechter jener römischen 
Staatsidee angewandt auf das römische Papsttum, stark in Europa 
und predigt (was wir Alle glauben) den Untergang der Welt, 
der Sittlichkeit und dgl. m., wenn man ihn nicht mit souveräner 
Willkür schalten und walten last. 

Eine solche Partei also gab es vor vierzehn Jahrhunderten 
auch im Staate der Bugen, der deutsch war, während jener Theil 
seiner Unterthanen Bom als .gelobtes Land* betrachtete; so 
ward hier die religiöse Frage acut und für die Politik von der 
grössten Bedeutung. 

Schon im dritten und vierten Jahrhundert hatte bei den 
Gothen das Christentum Wurzel gefasst, namentlich durch die 
zahlreichen Gefangenen, die sie aus dem ganzen Osten des rö- 
mischen Beiches zusammengeschleppt hatten, ülfilas selbst, der 
berühmte Apostel des Volkes, stammt von kappadocischen Eltern 
ab; die lebhafte Verbindung zwischen der Kirche von Cappado- 
cien und den gothischen Christen hat Jahrhunderte lang ange- 
halten ^). 

Man weiss, wie dann eine Zeitlang eine Beaction gegen das 
Christentum eintrat. Dieses suchte eine Annäherung an das rö- 
mische Beich herbeizuführen, was die Gegner als Verrath an der 
Sache des eigenen Volkes bezeichneten. Die nationalheidnische 
Partei hat zuletzt in den Jahren 370—372 Gewalt gebraucht; 
die Christen, die sich weigerten zum alten Glauben zurückzu- 
kehren, wurden getödtet und, als man wegen der grossen Menge 
dies Verfahren fortzusetzen sich scheute, zur Auswanderung nach 
römischen Gebieten gezwungen^). 



*) Die Acta s. Sabae haben die Ueberschrift: »eodesia Dei, quae est in Grotlua 
eoclesiae Dei, quae est in Cappadoda et omnibos ecdesiae catholicae Christiams.* 
Vgl. Rackert, Calturgreschichte I. 197 ff. 

*) Die Acten einiger damals umgekommener Christen geben uns darOber in- 
teressante Einzelnheiten. Man führte ein Götzenbild auf einem Wagen zu den Zelten 
herum, damit ihm Opfer und Anbetung geleistet würde. Geschah das nicht, so>^ 
wurde das Zelt mit den Inwohnern yerbrannt : in ein Zelt, das als Kirche diente 
(Inl v^ ox'Tjv^v TYj^ ivd-dlds IxxXiqaio^ flohen Männer und Frauen mit Kindern 
und S&uglingen und kamen dort ums Leben. Acta Kicetae. A. SS.. 5. Sept. 
Nach der Vita S. Sabae (Acta SS. April 11. p. 967) drang der Verfolger Atharidas, 



— 199 — 

Bald darauf erfolgte der Anprall der Hunnen gegen das 
ostgothische Beich, das demselben unterlag ; die Westgothen, um 
sich zu retten, traten auf römisches Gebiet über. Derselbe Atha- 
narichf der einst der Führer der nationalen Partei gewesen war, 
wurde nunmehr ein Bewunderer der römischen Cultur und ein 
eifriger Christ. Von den Goihen verbreitete sich dann das Chri- 
stentum, ohne das wir den näheren Verlauf anzugeben im Stande 
wären, zu den übrigen Germanenstämmen, die mit ihnen in Ver- 
bindung standen. Und zwar war es das mehr rationalistisch ge- 
erbte arianische Bekenntnis, worin Christus als Mensch aufgefasst 
wird, das sie annahmen, weil es unter K. Valens eben das von 
der römischen Eegierung protegirte gewesen war, und sie blieben 
demselben treu, auch nachdem die officiellen Kreise im Beiche sich 
wieder dem spiritualistischen System des Athanasius, das Chri- 
stum als Gott bezeichnete, in die Arme geworfen hatten 

Es ist dies, wenn ich recht sehe, ein Umstand gewesen, 
der auf das Verhältnis zwischen Germanen und Bomanen 
in den Donauprovinzen nicht ohne Bedeutung geblieben ist. Die 
arianische Lehre hatte nemlich in diesen Landschaften auch 
unter den Bomanen zahlreiche Anhänger gefunden: Sulpicius Se- 
verus hat ma das J. 400 Pannonien als von dieser Häresie 
auf das heftigste ergriffen hingestellt. Da wird denn die unter- 
drückte Partei an den Gothen, die alsbald dort sich niederliessen, 
einen Büddialt gesucht und gefunden, der gemeinsanie Glaube 
zur Consolidation der guthischen Herrschaft beigetragen haben ^). 



der Sohn des Rhotesteus, mit einer Schaar in das von den Christen bewohnte Ge- 
biet ein, lies sie gefangen nehmen und hinrichten. Es werden dann 2 gothische 
Geistliche genannt, Gutthica und Sansala, Ton denen dieser anfangs ober die Donau 
geflohen war, znm Osterfest aber zurückgekehrt gleichfalls seinen Tod fand. Den 
Uebrigen »dum prae multitudine horreret interficere, dedit lioentiam, de regno suo 
exire atqne in Bomanorum migrare prorindam.* 

^ Germanische Einwirkungen auf die -Romanen auch in dieser Hinsicht sind 
allerdings nachzuweisen. Eugipp erwähnt einmal c. 22. 28 den Segen des hl. Jo- 
hannes ; es ist dies aber nichts anderes als ein Liebestrank, der bei den christlichen 
Germanen an die Stelle alter heidnischer Opfer getreten war. Vgl. hiezu Muchar, 
Rom. Noricum II. 204. Gretser opp. Y. 2 S. 268 f. J. Grimm, D. Mythologie 
54 t J. y. Zingerle, Johannissegen und Gertrudenminne. Sitzungsber. d. Wien« Ak. 
XL. (1862) S. 177. Dagegen AI. Huber I. 879 ans unzureichenden Gründen. — Aehnliche 
Bräuche bei Griechen und Kelten (vgl. Gretser 1. c.) knüpfen nicht an S. Johannes an. 



— 200 — 

In den anderen Landschaften, wo die Orihodoxie die Oberhand 
gewonnen hatte, ward der Gegensatz zwischen Bomanen und Ger- 
manen zugleich der von Katholiken und Arianem ; wurden diese 
als .häretische Feinde* angesehen ^) und der unterschied der 
Confession bei jedem Anlasse betont : , wenn uns ^ Glaube ver- 
bände*, sagt Severin einmal zum Bugenkönig Feletheus, dem Vater 
des Fava, .dann würde volle üebereinstimmung in allen Dingen 
zwischen uns möglich sein* ; so verkehre man nur über weltliche 
Angelegenheiten, könne über sie allein seinen Bath abgeben^). 

Diese Gegensätze erfüllen dann die ganze innere Politik; 
im Königshause selbst ist man darüber nicht einig. Der König 
Fava wird uns geschildert als billiger und rechtlicher Maim, der 
mit sich reden last und die Bomanen anständig zu behandeln 
gewillt ist 3); in derselben Weise etwa, wie das K. Theoderich 
nachher in Italien durchzuführen versucht hat. Das gemeinschaft- 
liche christliche Bekenntnis soUte als Basis trotz der neben- 
sächlichen Verschiedenheiten genügen; deshalb ist er mit Severin, 
der bei den Bomanen das grösste Ansehen sich erworben hat, 
in engster Verbindung ^). Die Königin Gisa hingegen ist anderer 
Meinung. Ihrem Gemal zwar ist sie aufrichtig ergeben: mehr 
als Gold und Silber und Alles in der Welt liebe sie ihn, sagt sie 
zu Severin, der ihr nicht sehr hold ist: den Bomanen gegenüber 
wird sie als .schlimm* und selbst grausam bezeichnet^. Sie 
betrachtet dieselben als ihre Knechte und erlaubt sich deren 
über die Donau aufs andere Ufer schleppen zu lassen, um sie 



*) »hostes haeretid.* Engipp. c. 4. 

*) 0. 5: si DOS una cathollca fldes annecteret etc. Man bemerke, dass Ea- 
Vipp unter K. Theoderich schrieb, wo diese Fragen neuerdings von Bedeutung waren, 
der Abt ron LucuUanum sich also yorsiehtig ausdrücken mnsste und wol auch mit* 
unter Sererin seine eigene Meinung in den Mund legt. — Ueberhaupt ist die Vita 
Seyerini eine sehr gute QueUe, um den Gedankengang gewisser Kreise in der Ost« 
gothenzeit zu rerfolgen. 

•) Vgl. Eugipp. c. 8. 40. 

^) Dass es auch einer solchen Politik nicht an der realen Grundlage man- 
gelte, beweist der Umstand, dass Severin bei den Germanen nicht weniger als bei 
den Bomanen als heiliger Mann galt, in seinen Klöstern bereits Barbaren als Mönche 
lebten. Gf. c. 85: Bonosus, monachus b. Seyerini, barbarus gener^. 

'0 c. 8. 40: crudelissima. c 45: noxia. 



— 201 — 

Mar zü d^ strengsten Dienstleistungen anzuhalten ^). Sie pocht 
auf das Becht, mit ihren Knechten thun zu können, was ihr^ der 
Herrin, beliebt^. Ihren Gemal, den sie — wie unser Bericht- 
erstatter merken last — etwas beherrscht zu haben scheint, suchte 
sie von seiner milderen Politik beständig abwendig zu machen ^). 

üeberhaupt eine sehr energische Frau; auch das religiöse 
Moment tritt bei ihr merklich hervor: eine eifrige Arianeiin ist 
sie den Katholiken spinnenfeind. Severins Einmischung in welt- 
liche Dinge wies sie mit spitzen Worten ab: er, der Mann Gottes, 
solle im stillen Kämmerlein dem. Gebet obliegen^), sich nicht 
aber um anderes kfimmem, was ihn nichts angehe. Sie hat wol 
versucht, einige Katholiken nochmals zu taufen ^) ; mit Mühe hielt 
sie der kühler denkende Gemal von diesen und ähnlichen gehäs- 
sigen Schritten zurück. 

Dieser Zwiespalt erstreckte sich auch auf die anderen Mit- 
glieder des königlichen Hauses. Der Bruder Fava's, Friederich, 
ist ebenfalls dafür, gegen die Bomanen schonungslos vorzugehen. 
Meinungsverschiedenheiten, die zuletzt eine gewaltsame Kata- 
strophe herbeiführten, als Friederich von seinem eigenen Neffen 
erschlagen worden war. 

Eugipp fahrt uns, indem er diese Verhältnisse schildert, auch 
noch andere Züge vor, die die Haltung an diesen königlich 
germanischen Höfen charakterisiren. Wir lernen die Besidenz des 
Alemannenkönigs Gibold kennen: der Abgesandte Severin-s muss 
eine gute Weile „an der Pforte* des Palastes antichambriren. 
Endlich, nachdem bereits einige Tage verstrichen waren, konmit 
Jemand von den Leuten des Königs, ein «Bote*, um zu fragen, 
woher er sei und was er wolle; darauf wird er zur Audienz zu- 
gelassen % 

Man erinnert sich an die Gemächlichkeit der Germanen, wie 



^) c. 8: Romanos diris conditionibns aggrayabat, quosdam etiam Danabio 
abdud inssit; TÜissimi sc. ministem Servitute damnandos. 

*) c. 8: lioeat nobis de serris nostris ordinäre qnod Tolnmas. 

*) e. 8: semper a dementiae remedüs retrahebat (regem). 

^) >ora tibi, serve Bei, in tua oellnla delitescens.* c 8. 

^ rebaptizare quosdam est oonata catholicos. c. 8. 

*) c. 19 : Amantius diaoonus — mnltis diebos non potmt nmidaxi. — ianaa 
regis. — regia nontius. 



— 202 — 

Tadtus sie schildert, wenn sie öffentliche Angelegenheiten erledigen 
sollten : seit das Schwergewicht der Entscheidung von der Yolks- 
versammlung an den König gekommen war, hatte sich daran 
nichts geändert. Des Priscus Bericht über Attila*s Hofhaltung 
stimmt damit überein, wonach der Gesandte überall freien Zutritt 
hatte, weil er den Leibwächtern und dem Gefolge des Herrschers 
bekannt war ^). 

Auch an den Hof König Fava's werden wir geführt; er zeigt 
ebenfalls Analogien zu den Zuständen im hunnischen Beiche und 
dem Berichte des Priscus. Wir wissen daraus, dass Attila ge- 
fangene Bömer dazu verwandte, sich seine Besidenz möglichst 
comfortabel einzurichten: so musste z. B. ein Baumeister aus 
Sirmium ihm ein Bad bauen ^) ; und da es im Flachlande zwischen 
Donau mid Theiss an Steinen gebrach, so wurden deren aus süd- 
licheren Gegenden herbeigebracht; schon damals hat man allem 
Anscheine nach inschriftliche Denkmale zu derlei profanen Zwecken 
benützt, wie dies seither öfter geschehen ist ^). An Attila's Hofe 
ward femer besondere Kücksicht genommen auf Schmuck und 
köstliches Geschmeide, auf Tapeten und Webereien: ausführlich 
werden vou Priscus die Arbeiten der Dienerinnen beschrieben, die 
unter der Leitung der königlichen Frauen selbst ausgeführt wurden. 

So finden wir denn auch am inigischen Hofe eine eigene 
Werkstatt eingerichtet — „ ergastulum ** genannt, wie die altrö- 
mischen Sclavenzwinger ; — es waren Goldarbeiter da, merkwür- 
digerweise barbarischer Abkunft, während man gerade in solchen 
Dingen romanische Künstler erwartete ; und diese Arbeiter hatten 
zu erdulden, was einst im grauen Altertum dem Daedalus wider- 
fahren und jetzt wieder nicht mehr ganz ungewöhnlidi war: je 
kunstfertiger sie sich zeigten, in desto engerer Haft wurden sie 
gehalten, als kostbares Material, dessen Besitz man sich wahren 
müsse* So waren denn diese Goldarbeiter, durch die strenge 



W I I i ii li 



*) Prise. Exe. p. 198 Bonn. 

*) Aehnlioh berichtet Theophylact Simocatta J, 40 p» 40 Bonn. Ton den 
Araxen, dass der Ghakan Baian einmal ans Rücksicht auf seine Fraaen, die sieb 
dies als Gnade aasbaten, bei einem Yerheerungszuge römische Badeanlagen schonte 
nnd einer seiner Nachfolger gefangene Römer geflissentlich in Fanuonien, nament- 
)ldi m SiriDüim, ansiedelte. Yg}. Bfidinger^ Oest. Gesch. I, 6^. 

9) Vgl. C. I. L. III. p. 420. 485. 



— 203 — 

Haft und die angestrengten Bemühungen, zu denen sie verhalten 
wurden, bereits ganz ausgemergelt *)• Da kam eines Tages der 
Hpine Friederich, der Königssohn, von kindlicher Neugierde 
getrieben, hinab in die Werkstätte, wo jene arbeiteten. Sogleich 
ergreifen diese die günstige Gelegenheit; sie nehmen den 
Knaben fest und drohen, erst ihn und dann sich selbst zu tödten, 
wenn man sie nicht freiliesse ; man muss ihnen eidlich versichern, 
den eingegangenen Pakt auch wirklich zu halten : so erlangen sie 
endlich die ersehnte Freiheit. 

Während so die Zustände bei den einzelnen germanischen 
Stämmen und ihr Verhältnis zu den unterworfenen Bomanen sich 
consolidirte, kamen dabei doch zugleich auch Gegensätze anderer 
Art zu Tage, welche von der grössten Bedeutung geworden sind, 
nemlich die Gegensätze zwischen den einzelnen jexnar germani- 
schen Stämme selbst. Dieselben äusserten sich zunächst in den 
Schimpfvergleichen, mit denen ein Stamm den andern höhnte. 
Eine Eeihe schöner Sagen ist uns darüber erhalten 2). So spot- 
teten die Gepiden über die Langobarden, weil sie weisse Fuss- 
binden trugen, als sähen sie aus wie „alte Mähren.* Es standen 
aber die Gepiden seit alter Zeit in Fehde mit den Langobarden; mit 
wechselnden Glücke haben sie gegen einander gekämpft, bis zuletzt 
die Gepiden ihren Gegnern erlagen, die mit den wilden Avaren 
gemeinsame Sache gemacht hatten: Trümmer dieses Volksstam- 
mes haben noch Jahrhunderte hindurch, erst in souzeräner 

* 

Stellung unter den Avaren und später in fränkischer Zeit an 
der Theiss und Donau, sich erhalten. 

Wie die Langobarden und Gepiden in den östlichen Land- 
schaften so standen in den westlichen die Gothen und Bugen sich 
feindlich gegenüber. Die Gothen waren viel grösser an Zahl und 
missgönnten den Bugen ihre Erfolge. 

K. Flacciteus gieng einmal ihre Fürsten an, ihm den Durchzug 
nach Italien zu gestatten, offenbar auf der grossen Heerstrasse von 
Camuntum über Savaria und Poetovio. Es ward ihm dies rund- 
weg abgeschlagen: Flacciteus fOrchtete, indem er vor Severin in 



^) c. 8: qnosdam anrifioes arcta cnstodia (Gisa) dauswat pro iabrieandis re- 
gaübas ornamentiB; — maoerati diutumis ergastalis. 
*) Vgl. Dahn, Könige der Germanen U. 26. 



— 204 — 

Klagen sich ergieng, schon das äusserste, dass er nemlich möchte 
flbeifaUen und niedergehauen werden ^). 

Die Goihen hatten sich Italien eben selbst ausersehen ; bald 
nachher ist jener Haufe, der die Bugen so erschreckt hatte, dahin 
abgezogen ^). 

Die Bugen ihrerseits verhalten sich nicht weniger exclusiv 
gegenüber den Alemannen und Thüringern. Sie gönnen diesen 
nidit, die norischen Bomanen zu plündern und auszubeuten, 
sondern wollen dieselben für sich reservirt wissen ^. Die in 
Gommagenis eingedrungenen Barbaren sind in Angst vor ihren 
eigenen Landsleuten, sie glauben sich zuletzt von denselben * ange- 
griffen ^). Dem E. Fava wird von einigen Barbaren eifrig nach- 
gestellt, ihm einmal an drei Orten zugleich ein Hinterhsdt gelegt; 
mehrere Bugen werden von ihnen gefangen ^). Wie ja anderer- 
seits an derem königlichen Hofe auch gefangene Barbaren zu den 
strengsten Arbeiten angehalten werden. 

Von Dauer, wie gesagt, sind diese germanischen Staaten- 
bildungen auf dem Boden unserer Landschaften nicht gewesen, 
eine so hervorragende Bolle in der Geschichte derselben sie 
durch zwei Jahrhunderte gespielt haben. Sie giengen zu Grunde 
einerseits an dem Gegensatz zum officiellen römischen Beiche, 
das auf den grösseren Theil ihrer romanischon ünterthanen noch 
immer seine Anziehungskraft nicht verloren hatte, andererseits 
an der eben bemerkten Feindseligkeit der deutschen Stamme 



* ') Hex Flftcdtens coepit nutare — habens Gothos ex inferiore Pannonia yehe- 
menter infensos, quornm innumera maltitadine terrebatar. — In suis pericnlis — 
dum Tehementissime turbaretar, — Se?erinam consolebat: deflebat, se a Gothomm 
principibus ad Italiam transitam postulasse, a qaibus se non dubitabat, quia hoc 
ei denegatum faerat, ooddendum. c. 5. « 

*) Seyerin tröstete a. a. 0. den Flaodteas: »Gotborum nee oopia nee ad- 
Tersitate torbaberis, qnia dto secoros eis disoedentibos tu desiderata prosperitate 
legnabis.« Sin Passas, der fftr die Chronoloerie der hier en&blten Begebenheiten 
nicht ohne Bedeutung ist. Im J. 478 wandte ein Theil der pannonischen Gothen 
nch nach Moesien, ein anderer unter Widemir zog nach Italien und in Folge einer 
Auiforderung des K. Glyoerius ron da nach Grallien. Jordan. Get. c. 56. VgL hier- 
flber TiUemonts Excurs, H. d. Emp. VI* 1081—1088. Fallmann II. 408. 

*) Engipp 0. 81. 

*) c 2. 

*) c 5. 



— 205 — 

unter sich. Uneinigkeit im Innern, unter den Mitgliedern des 
k^^niglichen Hauses, die eine verschiedene Politik befolgten oder 
auch privatim sich gegenseitig gram waren, that das übrige. 
Dies Leos traf auch den Staat der Bugen. 

Gerufen von einer der Parteien, ersehnt von der romanischen 
Bevölkerung üfemoricums überzog Odovacar, der Regent von 
Italien, die Bugen zweimal mit Krieg ^) und zerstörte ihren Staat ; 
den König mid die Königin führte er gefangen hinweg. Zugleich 
aber verfugte er, da die Donaulinie sich nicht langer halten lies, die 
Abführung der Bomanen aus der üferlandschaft nach Italien, wo 
sie angesiedelt wurden^). 



*) In den J. 487 und 488 n. Chr. Die Chronologie dieser Kriege kennen 
wir ans den Annalen der Hauptstadt Ba^enna; alles nähere Detail aus Eugipp und 
aus Ennodius (vita Epiphanii ; Panegyricus Theoderici regis). Vgl. Waitz, Nachrichten 
der Götting. Ges. 1865. S. 118 f. Bfidinger Gest. Gesch. I, 52. Pallmann ij, 418. 
Man sieht, wie sich die zwei Arten von Quellen, die officiellen und die populären, 
gegenseitig ergänzen. 

*) Die Massregel ist jener analog, welche Aurolian einst für das Traianische 
Daden rerfflgt hatte ; nur sind wir darflher genauer unterrichtet. Der Wortlaut der 
QueUe ist interessant: wie dort Fla?ius Vopiscus, so sucht hier Eugipp darzuthun, 
dass alle Promcialen auf römisches Gebiet abgeführt worden seien, die römische 
Sache also eigentlich gar keine Einbusse erlitten hätte. Eugipp last den Seyerin 
schon weisssagen: »unirersos in Romani soli provinciam absque nllo llbertatis 
migraturos inoommodo* c 81 (Welser). >Sdtote,* inquit, »fratres sicut filios Israel 
oonstat ereptos esse de terra Aegypti: ita cunctos populos terrae huius oportet 
ab ininsta barbarorum dominatione liberari: etenim omnes cum suis £acultatibus 
de his oppidis emigrantes ad Romanam provinciam absque ulla sui captivitate per- 
venient.* c. 40. Die Ausführung geschieht dem entsprechend: Aonulfus vero prae- 
oepto fratris admonitus universos iussit ad Italiam migrare Romanos.* Tnnc 
omnes incolae — s. Se?erini oracula eognoverunt. — UniverBi per oomitem 
Pierium compellebantur exire. Cunctis nobiscum prorincialibus idem iter agen- 
tibus: qui oppidis super ripam Danubii derelictis,. per diversas Italiae regiones va- 
rios suae peregrinationis sortiti sunt fundos. c. 45. Wie fOr Daden die Stelle des 
Flavius Yopiscus, so hat fflr Noricum diese des Eugipp zu den wunderlichsten Aus- 
legungen' Anstoss gegeben Es wurde angenommen, dass in der That alle Romanen 
die Odovacar unterworfenen Donauprovinzen verlassen hätten oder dass mindestens 
ganz Noricum gemeint sei ; so Wittmann, Eichhorn und Andere : man wollte tabula 
rasa gemacht wissen zwischen römischer und deutscher, resp. slavischer Zeit: was 
ein verfehltes Unternehmen war. Vgl. darüber Glück in den Sitzunggber. d. Wiener 
Akad. XVn. S. 89. 



VIII. yyLadiner'' oder ,yWalchen'S ^^Rumunen'' oder 
yyWaiachen'' und deren Schicksale im Mittelalter. 



Zwei Massen Volkes von römischer Bage haben sich auf dem 
Boden der einstigen Donaulandschaften bis 'auf unsere Tage er- 
halten. Eine kleinere im Westen, die jetzt in raschem Hinschwinden 
begriffen ist, während sie vor tausend Jahren noch ziemlich bedeutend 
war: die sog. »Walchen* — wie sie in Graubündten noch heissen 
und einst auch bei uns hiessen — oder »Ladiner*, wie die Enne- 
berger und Groedner sich selbst bezeichnen, oder 9Bomaunschen^ 
wie jene wol von den Nachbarn genannt werden. Die beiden Zweige 
dieser romanischen Bage, die in Bündten und Tirol noch existi- 
ren, sind dermalen zusammen 54—60000 Köpfe stark. 

Die zweite der Massen, von denen hier die Bede geht, sind 
die »Walachen* — wie sie von Slaven und Deutschen genannt 
werden, oder «Bumunen", wie ihr einheimischer Name lautet, oder 
«Bomänen*, wie sie wol sonst auch bezeichnet werden. Sie haben 
ihre Wohnsitze in den heutigen Donaufürstentümem, in Bcißsar 
rabien und der Bucowina, in Siebenbürgen, dem Banat und im 
östlichen Ungarn über eine Fläche von mehr als 4900 □ Meilen 
zerstreut und zählen dermalen fast 8 Millionen Köpfe. 

Diese beiden Massen von Donau-Bomanen nehmen unter den 
romanischen Völkern einen abgesonderten Bang ein, bilden zwei 
eigentümliche Sprachkreise der sog. „lateinischen Ba^e.* 

Sehen wir zuerst auf unsere Landsleute, die „Ladiner.* Es 
sind diese »Ladiner* die Ueberbleibsel eines Stammes, der zur 



— 207 — 

Zeit seiner Blüte bogenförmig über dem Gebiete der italienischen 
Zunge vom adriatischen Meer bis zum St. Gotthardt sich hJLner- 
streckte, so dass die Maulische Mundart auf der einen, und die 
churwälsche auf der anderen Seite seine Endglieder bildeten*). 
Es standen aber damit während des Mheren Mittelalters noch im 
Zusammenhange die jetzt ausgestorbenen Bomanen in den Land- 
schaften des mittleren wie des nördlichen Baetiens und von No- 
rieum, in den Seitenthälern der Drau, in Oberösterreich, um Salz- 
burg, am CMemsee, an der Donau selbst. 

Die ladinische Sprachgruppe in Südtirol, welche ausser En- 
neberg (Mareo) und Groeden auch Abtei (Badia — die Fortsetzung 
des Ennebergerthales, die einst der Abtei Sonnenburg gehörte), 
Buchenstein (Livinalongo) und Ampezzo umfasst, zeigt noch heute 
zahlreiche und grelle Sondereigentumlichkeiten. Mit Becht schliesst 
daraus Chr. Schneller, dass die Lautverhältnisse dieses Kreises 
auch früher, da er gegen Norden, Osten und Westen hin eine weit 
grössere Ausdehnung hatte, ungemein mannigfaltig gewesen sein 
müssen: jedes Thal hat seine eigene Mundart gehabt, wie das 
in den Alpen ja überhaupt die Begel ist. Eine bedeutendere 
Verschiedenheit wird in dieser Beziehung bedingt worden sein, 
je nachdem die romanisirten Ureinwohner früher der keltischen oder 
der etruskischen Zunge angehört hatten, welche letztere bekanntlich 
bis tief nach Oberitalien und Baetien hinein verbreitet gewesen ist. 

Das bemerkenswerthe und charakteristische für diesen r;anzen 
Sprachkreis war und ist es, dass er seinen nächsten Verwandten 
nicht am Italienischen hat, sondern am Proven^alischen^); 

^) .Vgl. Ch. ScbueUer im Programm des Innsbrucker Gymnasiums ?om J. 1869 : 
»Ueber die vollcsmuodai-tlicbe Litteratur der Bomanen in Sfldtirol.* S. 8. »Die ro- 
manischen Yplksmundarten in Südtirol < Gera 1870, Bd. I. Einl. S. 8 ff. 

') Braun-Wiesbaden erwähnt in seinem Buche »Eine türkische Reise*, S. S98, 
eines Vortrages, den Jos. v. Planta schon im vorij^en Jahrhundert in dor kgl. Ge- 
sellschaft der Wissenschaften zu London über die Geschichte der romänisch-grau- 
bündtnerischen Sprachen gehalten hat. Planta erzählt darin, zwei Katalonier seien 
in der Schweiz gereist und dort sehr erstaunt gewesen, eines Tages in einem Dorfe 
ihre Muttersprache zu hören, sie hätten die dortige ladinische Sprache verstanden 
und seien ihrerseits von den rumon'schen Bündtnern verstanden worden. Aus dieser 
Verwandtschaft der romanischen Idiome wird es erklärlich, wie z. B der in Gröden aufge- 
wachsene Minnesänger Oswald v. Wolkenstein im 15. Jahrhundert die Sprachen fast 
ganz Europa's sich mit solcher Leichtigkeit angeeignet hat. Vgl. B. Weber, 0. v. 
Wolkenstein, S. 8. 



— 208 — 

iL z. trennt ihn vom Italienischen auf das entschiedenste fin 
durch alle seine Mundarten gehendes Lautzeichen, nemlich »die 
wenn auch nicht überall gleich geartete Quetschung des guttu- 
ralen c in ca — eine Analogie zum französischen ch'^ ^). 

Zur Bildung einer einheitlichen Nation haben es die « Walchen " 
oder^Ladiner*' nie gebracht; die einzelnen Gruppen des friaulisch- 
ladinisch-churwälschen Kreises gelangten selbst nie zum Bewusst- 
sein eines inneren Zusammenhanges. Eine eigene Litteratur haben 
in ihrer Sprache nur die Churwalchen entwickelt, bei denen seit 
den humanistischen Zeiten der alte Name „Baetia*' wieder auf- 
lebte, von ihnen hochgeehrt, wie jener der Germanen bei den 
DeutschiBn. Die »Ladiner'^ haben erst in unserer Zeit ihre Lit- 
teratur zu begründen angefangen, indem sie eine zehn Seiten 
lange »Via deUa santa Crusch* (hl. Kreuzweg) der Presse über- 
gaben; während sie im übrigen sich darauf beschränkten, den 
gelehrten Romanisten wie die Ghurwälschen ein wichtiges Exer- 
cirfeld ihrer Studien darzubieten 2). 

Nicht weniger interessant sind in dieser Beziehung die »Ws^ 
lachen '^ oder ^^Bumunen'' und ihre Sprache. Diese steht dem 
«romaun^schen'^ Idiom nahe genug, dass Ladiner und Bomänen 
sich gegenseitig verständigen können 3). Wie die ladinische 



^) Z. B. lat. calidus — lautet gröd. d sc band. 

» casteU » » dschastöll. 

» glades » » dlatscha. 

» eodesia » » dlifischa. 

Lat. aqua g^öd. ega buchenst, jega bad.-eimeb. ega-öga 
» pater » pere » pere » » pere-pöre. 
Q. 8. w. (Nach SdmeUer). 

*) Es ist far alle ladinischen Dialecte im weitesten Sinne des V^Tortes — yom 
Oberrhein bis nach Friaul — namentlich za y^rweisen aaf Asooli's »Saggi Ladini* im 
Archiyio glottologico Italiano. Vol. I. (1878) p. 1 — 587. — Ferner erwähne ich 
die »Bomanischen Studien^ von Ed. Böhmer, in deren siebentem Hefte (1876) 
S. 157 ff. »Ghurwälsche Sprichwörter* mitgetheilt sind. 

") Margu in seinem sonst sehr seltsamen Bache »Beweis, dass die WalachsD 
der Römer unbezweifelte Abkömmlinge sind* (Ofen 1880) erz&hlt, dass er mit seinen 
walachischen Reisegefährten in (Gegenwart unbekannter Dritter Romaenisch gesprochen, 
darauf einer der Unbekannten ihn gefragt, was das fQr eine Sprache sei und auf 
die Autwort: »Wahichisch*, entgegnet habe, von dieser Sprache habe er zwar nie- 
imds gehört, allein er verstehe sie doch, weil sie mit seiner Mattersprache, dem 
Qraabflndtner Ladinisch, die grösste Aehnlichkeit habe. Braun-Wiesbaden a. a. O.S. 399. 



— 209 — 

Sprache eine Beihe raetischer Idiotika in sich enthält, so die 
walachische nicht wenige illyrischen Ursprungs. Dann theilt sie 
mit ihrer westlichen Schwester die Eigentümlichkeit, mehr klas- 
sische Wörter recipirt zu haben, als irgend eine der vier ro- 
manischen Sprachen Westeuropa^s. Der Tisch heisst bei den 
Ladinem nicht tabola, sondern meisa, walachisch masa von mensa. 
Das Haupt heisst lateinisch caput, walachisch copu, italienisch 
testa. Gehen heisst lateinisch ambulare, walachisch amblare, ita- 
lienisch andare. Verstehen heisst lateinisch intelligere, walachisch 
intelegere, italienisch intendere. Jagen heisst lateinisch venare, 
walachisch venare, italienisch cacciare u. s. w. Eine Eigenthüm- 
lichkeit, die mit dem (Ladinischen und) Bumunischen übrigens auch 
das Albanesische theilt, d. h. dasjenige illyrische Idiom, das der 
Somanisirung entgieng, gleichwol aber eine starke Beimischung 
lateinischer Bestandtheile während der Zeiten der Bömerherrschaft 
in sich aufgenommen hat ^). 

Ausserdem enthält das Bumunische zahlreiche Slavismen, die 
im Mittelalter demselben, wie wir später ausfuhrlicher erörtern 
werden, imprägnirt worden sind. 

Zu den Walachen zählen auch die sog. Kutzowlachen ^), die 
südwärts der Donau in den Bergen wohnen, und deren Dialect 
so sehr mit griechischen, türkischen und slavischen Bestandtheilen 
vermengt ist, dass er von Fremden, die der rumunischen Sprache 
sonst wol mächtig sind, kaum mehr verstanden wird ^). 

Im vorigen Jahrhundert hatten diese macedonischen Walachen 
eine Beihe von Handelsstädten inne und cultivirten ihre Schrift- 
sprache durch Bücherdruck und Schulen^). Es ist das um so 
mehr zu beachten, als sonst auch das Walachische, wie das Ghur- 
wälsche eine eigene Litteratur erst seit dem 16. Jahrhundert be- 
sitzt, als im J. 1580 ein eifiriger Lutheraner aus Kronstadt in 
Siebenbürgen unter ihnen in ihrer eigenen Sprache Propaganda 
zu machen suchte ^). 

^) Vgl. Mädosich, Die slavischen Elemente im Bomonischen. Denkschriften 
d. W. Akademie. 1862. S. 2. 

*) Auch Jurucken, d. h. Fussgänger genannt. 

^ Vgl. W. T. Berg, Thradsche Seisesdzzen IX. Beil. zur Wiener Abendpost. 
1876. Mai 26. 

*) Vgl. Jirecek, Gesch. der Bulgaren. S. 457 ff. 

>) Vgl Kopitar, Wiener Jahrb. der Litt. 46, 59 ff. 
Jungi die Donaa-Proyinien. 14 



— 210 — 

Das ist also der gegenwärtige Stand der Dinge. Wir gehen 
nunmehr daran, die Geschichte dieser beiden Zweige der Donau- 
Bomanen, die mancherlei Interesse bietet, das Näheren zu ver- 
folgen, da die sprachlichen Studien uns nur so weit interessiren, 
als sie eben dem Historiker zur Quelle dienen. Ich beginne mit 
den Walchen oder Ladinem. 



Durch die sog. Völkerwanderung war der Wall, der bis 
dahin das römische Beich umgeben hatte, durchbrochen, die ro- 
manischen Landschaften waren unter germanische Herrschaft ge- 
kommen; es beginnt nunmehr die lange Einwirkung von Bo- 
manismus und Germanismus aufeinander, welche die Zeiten des 
Mittelalters erfüllt und schliesslich mit der Begründung einer 
Beihe romanischer und germanischer Nationalstaaten ihr Ende 
gefunden hat. 

Aus sich selbst heraus hatten die Bomanen eine Staaten- 
bildung nicht zu schaffen vermocht. Erst die AufiErischung durch 
germanisches Blut hat die verkommene Bage mit neuem Leben 
erfüllt. Bis es aber zu dieser Anfl&ischung kam, sind Jahrhun- 
derte vergangen. Schroff standen anfangs die beiden Volkselemente 
sich gegenüber. Die Bomanen sträubten sich gegen die HerrschafI; 
der „Fremden*; die Germanen wollten auch unter den neuen 
Verhältnissen ihre angestammte Nationalität bewahren. Hiezu 
kamen noch die religiösen Differenzen. An diesen Gegensätzen 
scheiterten die Staatenbildungen der Ostgothen in Italien, der 
Vandalen in Africa; selbst jene anderer Stämme, wie der Bur- 
gunder u. s. w. sind daran verkümmert, das langobardische Beich 
ward seinem Untergange zugeführt: bis zuletzt die Franken die 
Existenzbedingungen erfElllten, die eine Staatenbildung jener Zeiten 
nun einmal voraussetzte: die Verbindung romanischer und ger- 
manischer Elemente zu der höheren Einheit eines ideellen „ römi- 
schen Beiches": die Idee hat die folgenden Jahrhunderte beherrscht, 
trotz aU' der Kämpfe und Gegensätze, die ihre Verwirklichung 
mit Notwendigkeit wachrief und die die Geschichte jener Epoche 
und ihre welthistorische Bedeutung bedingten: aus dem Chaos 
dieses neuen „römischen Beiches'* entrangen sich, nachdem die 
universalen weltlichen und kirchlichen Mächte sich gegenseitig 



— 211 — 

lahmgelegt hatten, die «Nationen'' Europa's, geschmiedet unter 
den gewaltigen Schlägen der Zeit 

Eine FtUle von Grestaltungen hat sich während dieses Bin- 
gens ergeben: wie in einem Kaleidoscop sehen wir die Bilder 
vor miseren Augen wechseln. Völkersplitter nach allen Sichtungen 
hin, ehe der Neubau gelingt. Da flüchten sich die letzten Beste 
der Gothen in die Berge Baetiens, die einst ihr König Theode- 
rich wol befestigt hatte: Dietrich von Bern lebte dort im Anden- 
ken seines Volkes fort und seine Abenteuer bildeten den Inhalt 
ihrer Lieder. Das heutige Tirol ward der Schauplatz der deutschen 
Heldensage. Ein Glossar des 12. Jahrhunderts nennt die Be- 
wohner von Meran noch einmal Gothen, als letzter Nachklang 
vielleicht alter Erinnerung ; F. Dahn und L. Steub ^) haben die 
Sache weiter verfolgt und den kräftigen Volksschlag der Thäler 
von Passeier und von Ulten, sowie des Burggrafenamtes und des 
Samthaies als Nachkommen der einstigen Gothen Theoderichs 
bezeichnet Auch der Ortsname „Gossensass^, der als «Gothen- 
sitz * erklärt wurde 2), ward für die Hypothese ins Feld geführt ; 
eine Hypothese, wie Steub einmal launig bemerkte, die freüich 
noch ein bisschen in der Luft schwebt, uns Allen aber schon viele 
Freude gemacht hat 

Die Bewohner des Eggenthaies in Südtirol nennen sich selbst 
»Hessen.'* Ihr Dialect gibt dieser Bezeichnung weiteren Grund, 
da er von Kennern, wie Vilmar, wirklich als hessisch anerkannt 
ward. Wenn nicht aus den Zeiten der späteren Colonisationen 
könnten auch diese Leute versprengte Trümmer der Völkerwande- 



^) Dahn, Beisebriefe aus Italien. Dentsohes Museum 1868. S. 424 ff. Steub, 
Herbsttage in Tirol, S. 159 ff. Bhaetische Ethnologrie S. 108. 

*) Bhaetische Ethnologie, S. 108. Vgl. Kl. Schriften III. 87 mit Beziehung 
auf Grimms Deutsche Grammatik 2. Aufl. S. 158 : »Der Name Gotones würde mittel- 
hochdeutsch Gozones gelautet haben, wie Patanum Pazowa ; und wie aus mhd. Pa- 
zowa Passau, so ist aus mhd. Gozzinsasse Gossensass geworden.^ — Dagegen erklärt 
neuerdings W. Schmidt im »Correspondeuzblatt d. Gesellschaft f. Anthropologie, 
Ethnologie und Urgeschichte* München 1876 N. 5, Gossensass als »Sitz des Gozzo* 
(althd. Männername, vgl. Buodker Gozzinsun in einer Begensburger Urkunde ; Gozzin 
ist der althd. Genitiv singularis von Gozzo). Die von Prof. Sepp mit Gossensass in 
Analogie gestellten Namen aus der oberen Isargegend Gossenmandl, Gossenweber, Gos- 
serhoferalm sind als von »Gasse* abgeleitet und corrumpirt nachzuweisen. Vgl. Schmidt, 
a. a. 0. Ueber sprachliche Spuren von Gothismus vgl. Steub, Herbstt. S. 260. 

14* 



— 212 — 

rungsepoche sein ^). Bei dem Mangel an Quellen lässt sich dar- 
über nicht ins Beine kommen^). 

Während so für die Epoche der Völkerwanderung manches 
in Dunkel gehüllt bleibt, wird es für die folgenden Zeiten, da 
die germanischen Staaten auf romanischem Boden sich endgiltig 
stabilirt hatten, bereits heller. Zu derselben Zeit, da in Italien 
die Langobarden die Herrschaft überkamen, hatten die Stamme 
der Alemannen und Baiuvaren sich in das alte Baetien getheilt; jene 
westlich vom Lech sich festgesetzt, diese die Gebiete links davon 
in Besitz genommen, dazu noch den nordwestlichen Streifen von 
Noricum, den die Slaven nicht occupirt hatten. 

Diese Umwälzungen hatten unter anderem nun auch zur 
Folge, dass die Kamen der einstigen römischen Provinzen Baetien 
und Noricum ihre alte Bedeutung einbüssten und eine andere 
annahmen. Von jetzt d. h. von der Mitte des sechsten Jahrhunderts 
an verstand man unter „Baetien*" wenig mehr als den Sprengel 
des Bistums Chur, das vom Geschlechte der Yictoriden geistlich 
beherrscht ward und zu Alemannien gehörte. 

Das heutige Deutschtirol einst raetischen Antheiles hies nun- 
mehr (schon bei Yenantius Fortunatus) „ Montana *", das Land im 
Gebirge; das von den Baiem besiedelte Gebiet aber wurde kurzweg 
9 Noricum *" genannt, das Eisackthal, das in der Folge, als die 
Baiem sich der Strasse nach Italien (»des riches sträze*", wie sie 
die Kaiserchronik nennt) bemächtiget hatten, davon das „ Norithal '^ ^). 

Diese deutschen Stämme aber bildeten hier germanisch- 
romanische Gemeinwesen, in denen das deutsche Element das 
active und treibende, das romanische aber das passive und ge- 
triebene vorstellte ; und da die Geschichte eben nur von Neuerungen 
und dem Fortschritt der Dinge Notiz nimmt, so ist in ihren 
Blättern wol von den Germanen die Bede ; die Bomanen hingegen 



^) Körperwachs, Tracht, Sitte und Charakter dieser Völkerschaft sind fremd' 
ländisch ; auch haben sie einen eigentümlichen Geruch, der sprichwörtlich geworden. 
Vgl. V. M. Gredler. »Ezcursion auf Joch Grimm.* Innsbruck. 1867. Steub. Kl. 
Schriften UI. 17. 

') Zu beachten ist auch, dass bereits in römischer Zeit auf Teriolis »Gen- 
tiles* stationirt waren. 

3) Vgl. B. Kink, Akad. Vorlesungen über die Geschichte Tirols S. 87. Steob, 
Herbsttage S. ISl. Waitz, D. Verfassungsgesch. V. 166. 168. 



— 213 - 

werden nur selten, vorübergehend und gleichsam unabsichtlich 
genannt; weswegen auch die neuere Geschichtsforschung über den 
wahren Sachverhalt so lange nicht ins klare zu kommen ver- 
mochte ^) ; und deshalb manches controvers blieb. 

Es geht nun aber aus den indirecten Zeugnissen, die uns 
hier als Leitfaden dienen müssen, hervor, dass die eigentlichen 
Sitze des baierischen Stammes in der Hochebene nordwärts der 
Alpen concentrirt waren; hier, wo die Bomanen während der 
Stürme der Yölkerwanderung nahezu ausgerottet oder zur Flucht 
in die Berge genSthiget worden waren, bezeichnet noch gegen- 
wärtig ein Netz archaistischer deutscher Ortsnamen jene ersten 
Ansiedlungen der Einwanderer. Selbst die Mehrzahl der Fluss- 
namen, die doch sonst mit grösserer Zähigkeit, als irgend andere 
Benennungen die alte Form bewahrten 2), wie die Moosach, die 
Loisach (Liubisacha), Mangfall (Managfalt), Salzach u. s. w. ist 
deutsch benannt. Ganz ausnahmsweise gibt es bei Dachau ein 
Bunmielzhausen (früher Bumaneshusir), am Wörthsee und bei 
Wolfrathshausen ein Walchstadt^; bei näherem Suchen würden 
sich vielleicht noch mehrere finden, die in ihrer Vereinzelung uns 
die Begel bestätigen. Damit stimmt auch durchaus die That- 
sache überein, dass die Baiem nach der Eroberung nicht wie die 
Gothen, Burgunder und andere Stämme der Germanen die roma- 
nische Bevölkerung eines oder zweier Drittheile ihres Besitztumes 
beraubten und an sich nahmen^); sie fanden eben herrenloses 
Land genug, wo sie sich ansiedeln konnten. 

Während das Flachland zwischen Lech, Inn und Donau im 
Allgemeinen fast gänzlich von Baiwaren eingenommen wurde, 
waren die Bömerstädte an der Donau, wo die Bomanen sich noch 
bis zuletzt gehalten hatten, ihrer Mauern beraubt, ebenfalls in 



^) Auch in neueren Werken noch, die sonst sehr massgebend sind, wie in 
der deutschen Verfassungsgeschichte von Waitz, in der Tortref&ichen Schilderung der 
baierischen Zustände im 10. und 11. Jahrhundert von Hirsch ist die ethnographische 
Gestaltnng dieser Gegenden nicht ganz präcis dargestellt, weil die hier ausschlag- 
gebenden Resultate der Namenforschung nicht benfitzt wurden. 

*) »omn praesertim fluvios multo magis quam oppida popuiosque antiqua no- 
mina retinnisse experientia docet* bemerkt einmal Mommsen im C. I. L. III. p. 721. 

*) VgL W. Schmidt, Correspondenzblatt der Ges. f. Anthropologie n. s. w. 
1876. Mai: »Vindeliker, Bömer und BaiuTaren in Oberbaiern.^ S. 86. 

*) Vgl. Bfldinger, Oesterr. Gesch. I. 92 ff. 



- 214 — 

deren Besitz übergegangen ; so vor allem Passau und Begensbnrg, 
wie jetzt die alten Batavis oder Fatavium und Castra Begina 
sich nannten ; ähnlich wie Augusta Vindelicorum jetzt den Namen 
Augsburg erhalten hatte. 

In diesen Städten nun hat die Erinnerung an die rSmischen 
Zeiten nie eine Unterbrechung erlitten: selbst von Fassau, das 
doch die Vita Severini von den Barbaren zerstört werden last, kann 
man die Continuität der üeberlieferung vom fünften Jahrhundert in 
die späteren Zeiten schlagend nachweisen. Wir besitzen nemlich 
ein TJrkundenfragment aus der Zeit von 450 — 490 n. Chr., welches 
in einem Fassauer Formelbuche sich erhalten hat ^) : römische 
Namen, römische Aemter, römische Soldaten als Zeugen; alles 
erinnert an Cassiodors Ausspruch (Var. VIT. 4) dass die Soldaten 
des Dux von Baetien leben sollten „iure civilis 

Nicht anders war es in Begensburg, das alsbald zu Baiems 
Hauptstadt heranwuchs, unter den späteren Karolingern sogar 
zeitweise die ganz Deutschlands gewesen ist. Eine Beschrei- 
bung derselben aus dem 8. Jahrhundert erwähnt noch der gewal- 
tigen, wol erhaltenen Bauten und Werke aus römischer Zeit 2), 
denen die Germanen nichts ebenbürtiges an die Seite zu stellen ver- 
mochten, und, was uns vor allem interessirt, noch im neunten 
Jahrhundert sassen hier in dem einstigen Bollwerke Boms an der 
oberen Donau „Ladiner** (Latini); u. z. hatten sie daselbst ein 
eigenes Quartier inne, „inter Latinos*', nachher Walchenstrasse 
genannt, wo sie Handelsgeschäften nachgiengen. Auch um die 
Stadt herum nennen die Urkunden des Stiftes S. Emmeram 
mancherlei solche „Bomani*', theils freie Leute, theils Goloni. 
Doch sind sie hier bereits im Assimilirungsprocesse begriffen: 
sie tragen zum Theil deutsche Namen und die Urkunden zeigen 
keine Spur von römischem, wol aber von deutschem Becht; zu- 
gleich, wie ich meine, ein Beweis dafür, dass wir es nicht mit 
eingewanderten italienischen oder französischen Kaufleuten zu 



1) Mon. Boica. 28. 2. p. 5. Vgrl. PaUmann, G^Boh. der VOlkerwandenme 
n. 898. 

*) Aribo in der Vita Emmerami Acta SS. Sept. VI. 474 : Badasbonam nrbem 
quae ex sectis lapidibus constracta in metropolim huius grentis (der Baiern) aroem 
creyerat. Vgl. hieza Hirsch, Jahrbücher Heinrichs II. S. 19 ff. 



— 215 — 

thnn haben, sondern wirklich mit den Besten der ,,Donau- 
römanen* *). 

Oestlich vom Inn und nach Süden, je näher wir den Bergen 
kommen, werden dann die Spuren des Eomanismus, der , Walchen '^ 
immer zahlreicher; einerseits um Partenkirchen, wo der einstige 
Walchengau sich an Tirol anlehnt; dann an der oberen Traun, 
wo wir bereits früher auf die zahlreichen mit „Walchen'' compo- 
nirten Ortsnamen aufmerksam gemacht haben ^) ; vor allem in den 
wahrscheinlich erst später durch die Baiem besetzten, jetzt öster- 
reichischen Landestheilen, dem Chiem-, Salzburg-, Atter-, Mattig-, 
Traungaue. Hier waren überall die einstigen römischen Städte 
gebrochen und zerstört, das Land verwildert und in der Cultur 
zurückgegangen ^) ; erst durch die deutsche Colonisation, die als- 
bald in Gang kam, ist wieder Wohlstand und Bevölkerung ge- 
wachsen % Doch rings um jene alten Stätten Sassen noch zahlreiche 
romanische Coloni; und unter diesen hatte sich die Tradition von 



*) Es ist dies vielfach bestritten worden. Vgl. darüber Waitz, Deutsche Verfas- 
sungsgeschichte 11. 209, wo der Controyerse Erwähnung geschieht zwischen Ge- 
meiner, Ueber den Ursprung der Stadt Begensburg (1817) und Maarer, Städtever- 
fassnng I, 406. Es gab hiezu Anlass die urkundlich erwähnte »traditio Batherii 
carasdam Bomani* in Begensburg, worüber man sich nicht einigen konnte. Man 7gl. 
namentlich Hegel, Gesch. der ital. Städteverfassung II. 884: z. B. dass die Ueber- 
schrift jener Urkunde durch nichts gesichert sei, als durch die Autorität des 
Schreibers, der sie dem Inhaltsverzeichnisse des Codex hinzugefügt hat. (»Dass dies 
geschah, hat doch sicher seinen Grund!* Hirsch a. a. 0. I, 28). — Latini hiessen 
sonst auch die Italiener, wie die Franzosen ; s. Du Gange, Glossar s. v. ; Galli oder 
Walen finden sich auch zu Soest in Westphalen, wo das Stadtrecht ihrer erwähnt. 
Hegel II. 892. Aber im alten Baetien scheint doch der Sprachgebrauch von 
»Latini* beschränkter gewesen zu sein ; die ladinischen B a u e r n , die genannt werden, 
lassen darüber kaum einen Zweifel. Die weiteren Folgerungen über die Fortdauer der 
römischen Stadtverfassung möchte ich aber auch nicht theilen. — Ueber die baieri- 
schen Latini vgl. Mehr eres in den »Quellen und Erörterungen zur baier. und deutschen 
Geschichte L 97. A. 1. 

«) Vgl. oben S. 84. 

') »ut saltus bestiis in augmentum daretur* sagt S. Emmerams Biographie 
darüber. Vgl. Büdinger Gest. Gesch. I. 111. 

*) Vgl. Kemer, Das Pflanzenleben der Donauländer S. 155, zunächst über 
das Waldviertel im Westendes Manhartsberges, nördlich der Donau von der Oberpfelz 
bis Wien: an 90 Ortsnamen sind auf diesen 90 Quadrat-Meilen mit »Schlag* und 
»Reut* gebildet. Es war aber auch südwärts der Donau nicht viel anders. 



— 216 — 

der einstigen HeiTÜchkeit und Pracht des rSmischen Cultnrlebens 
ungeschlacht erhalten: um Juyayum erzählten sie den Fremden 
„von den wundervollen Bauten der alten Zeit, die nunmehr 
versunken und im Walde versteckt waren* *). Auch über 
Brigantium in alemannisch Baetien hatten sich ziemlich ähnliche 
Traditionen unter der Landbevölkerung erhalten 2). Das alte 
Lauriacum (Lorch) war völlig zum Gegenstand der Mythe ge- 
worden: man behauptete wenigstens später, wo man auch sonst 
allerlei heiligen und profanen Schwindel damit trieb, diese Stadt 
sei einst so gross gewesen wie Eom selbst ^). 

Wir sehen zugleich, welcher Art sonst die Traditionen hier 
waren^ die sich erhalten hatten : es sind dieselben durchaus kirch- 
licher Natur. 

Die Verehrung der Grabstätten der alten Bekenner und Mär- 
tyrer ist in diesen Gegenden nie unterbrochen gewesen. Durch 
^le Stürme der Zeit hatte sich bei Lorch, dort wo sich jetzt 
mächtig und gebietend das schöne Chorherrenstift S. Florian er- 
hebt, der Cult des »kostbaren Märtyrers* S. Florian erhalten; 
das Andenken von seinem Stande und der Zeit seines Todes war 
treu in der Erinnerung bewahrt worden: der Grabstein der Va- 
leria, die Florians Leichnam bestattet hatte, wurde im Kloster 
daselbst verehrt und besungen f). 

Die Deutschen traten überall die Erbschaft an aus römischer 
Zeit. So war es auch anderwärts geschehen: die Verehrung der 
hl. Afra in Augsburg, die S. Valentins in Mala war der neutrale 
Boden, auf dem Bomanen und Germanen sich fanden ^. Im 
Salzburgischen lebte der S. Maximilianscult fort. 



^) Hrodbert hörte: »ullum esse locum iaxta fluyiam iFaram (JuTaronem 
Mommsen) antiquo Tocftbolo Juvarensem Tocatum, ubi antiquis sc. temporibus mnlta 
faerunt nürabiliter constructa aedifida et tunc paene dilapsa silvisque cooperta.* 

M. G. xm. 5. 

*) Vgl. Vita S. Galli M. G. IL 7 : »didiceront — ciTitatem qnandam esse 
dirntam nomine Pregentiam.* 

^) Vita S. Floriani metr. aas dem 12. Jahrhundert bei Pez, SS. r. Aust. I, 
55. Vgl. E. Mflhlbacher, Zur ältesten Geschichte des Landes ob der Ens. S. 87. 

*) Vgl. Kenner, Archir f. Ost. Gesch. XXXVm. 175. Mflhlbacher a. a. 0., 
wo auch das Urteil de Bosses über diesen Gegenstand mitgetheilt ist. 

^) Venantius Fortunatus yergisst in seiner Beiseschilderung um die Mitte des 6. 
Jahrhunderts nicht die Mahnung: »illic ossas. yenerabere Afrae.< p. 885. Ebenso er- 



— 217 — 

Die Bomanen, die in diesen Gegenden wohnten, waren grössten- 
fheQs unfrei ; die einstigen Possessoren hatten sich eben vor der 
germanischen Invasion grösstentheils geflüchtet, die Colonen der- 
selben waren zurückgeblieben; sie hatten lieber den Herrn gewech- 
selt, als den heimatlichen Boden verlassen. Hauptsächlich war 
es der Herzog, in dessen Hand diese tributpflichtigen Leute über- 
gegangen waren und dessen Macht nicht zum geringsten Theile 
darauf beruhte ^). Dabei waren sie nicht etwa kopfsteuerpflichtig, 
sondern sie zinsten von ihren Besitzungen ; einigemale sehen wir in 
den romanischen Dörfern Zins- und Knechteshuben (tributales et 
serviles mansos), auch verödete Hüben (apsos mansos) unter- 
schieden ; den unfreien Knechten werden deren Inhaber wiederholt 
entgegengesetzt. Der Ausdruck barschalk, der in den baierischen 
Bechtsquellen wiederholt sich findet und wahrscheinlich den freien 
Knecht bezeichnet, deutet eben diese Art von Abhängigkeit an: 
die Verhältnisse des römischen Colonats, wie es sich eiast in 
den Provinzen ausgebildet hatte und dessen Wesen eben in der 
Verbindung von persönlicher Freiheit mit abhängigem Grund- 
besitz bestand, dauerten so auch in germanischer Zeit ungeändert 
fort. Zu Hunderten sind sie nachher von den Herzogen der Baiem 
an die Kirche von Salzburg vergabt worden, deren Grundbesitz so 
sich begründete : die Aufzeichnungen dieser Kirche sind zugleich 
unsere einzige Quelle für die hier geschilderten Verhältnisse ^). 



muntert sich der Wanderer: ,s. Valentin! templa require.* Im Tridentinischen wird 
das Gedächtnis der Nonsberger Märtyrer erweckt. Das waren die Zielpunkte der 
Touristen jener Zeit. 

*) Vgl. Ghabert, Bruchstück einer Staats- und Bechtsgesch. der dsleith. Län- 
der. (Denkschriften der k. k. Akad. m) p. 82 if. Roth, Benefidalweson S. 248 ff. 
Bfldinger, Oesterr. Gesch. I. 91 ff. Waitz, D. Verfkssungsgesch. II. 184. 186. 

') Vgl. den »Indicnlus Amonis* von 788 und die »breves notitiae* bei 
Kleimaym, Juvayia, Anhang. Da heisst es denn: »Dux tradidit romanos et 
eorum tributales mansos LXXX commanentes in pago salzburgoense per di- 
Torsa loca — in pago atragoe — romanos et eorum mansos tributales V inter 
restitos et apsos (p. 2 1) ; in pago Salzburcgaoe — romanos et eorum mansos 
tributales XXX (p.'2S); in ipso pago — tributarios romanos CXVI — per di- 
yersa loca (p. 28); in pago iuxta fluenta druna — romanos et eorum mansos 
tributales LXXX — nee non et in pago atragoe — romanos et eorum mansos 
tributales III ; in pago drunense tributarios XX, apsos mansos eorum (Bo- 
manorum). In pago matagoe — tributarios IV, cum mansis eorum (wahrschein- 



— 218 — 

£b erschemen darin einzelne Bomanen, die vielleicht durch 
herzogliche Gunst ihre Besitzungen oder auch ihren Adel gerettet 
hatten: ein Santulus, ein Milo, ein Severinus, ein Dignolus werden 
als „ ?iri nobiles * bezeichnet, was nach dem Sprachgebrauch der Zeit 
eben freie Grundbesitzer bezeichnet; im raetischen Gebirge, bei 
den Breonen, die sich vielleicht nach kurzem Kampfe vertrags- 
mässig den Baiem angeschlossen hatten und deshalb auch glimpf- 
licher behandelt wurden, kommen solche Fälle noch häufiger vor; 
so wird ein „Dominicus, nobilis Bomanus — Breonensis plebis 
civis * in Aribo's Leben S. Corbinians genannt ^) ; in mehreren 
Urkunden aus dem Anfange des 9. Jahrhunderts treten ein Quar- 
ti(nus) nationis Noricorum (der Baiem) et Pregnariorum (der 
Breonen), seine Mutter Clauza und einige Nachbarn auf, die 
gleichfalls romanische Namen führen 2). 

Damit sind wir aber auf dem Punkte angekommen, wo über 
die ethnographischen und die damit auf das engste verknüpfte 
politischen Verhältnisse des raetischen Berglandes einiges zu be- 
merken ist 

Die Geschichte des Gebietes, welches das heutige Tirol bildet, 
ist zu allen Zeiten auf das engste verknüpft gewesen mit den 
Wandelungen, welche das Verhältnis von Italien zu Deutschland 
durchgemacht hat. Durch dieses Land führt die Strasse, der 
niederste Pass über die Alpen; ihm verdankt es seine welthisto- 
rische Bedeutung, während sonst der Charakter des Landes, wo 
nur Viehzucht und Graswirthschaft sich lohnen, Städte und In- 
dustrie wenig in Betracht kommen, immer ein sehr conservativer 
gewesen und geblieben ist. 



lieh auch Bömer). p. 29. Vgl. brev. not. 84. u. s. w. Dazu eine Reihe »vici Bomanisd* 
S. 28. 87 u. s. w., welche zeigen, dass ein gewisser Gemeindeverband nicht fehlte. 
In einem Vicas Bomaniscus (»Walchendorf*) wird »inter tributales et seryües 
mansos XV et inter yestitos et apsos* eine Schenkang gemacht, p. 28. 

^) c. 85 (Meichelbeck, bist. Frisingens. I. p. 17). Hegel, Gesch. d. St&dte- 
yerf. von Italien II. 885 meint, er wolle diese Angabe des Bischöfe Aribo von 
Freisingen (f 784) selbst nicht in Zweifel ziehen, »obwol sie mit einem durch die 
Gtebeine des Heiligen Terrichteten Wonder in Verbindung steht' ; woran er sehr 
wol thnt, denn sonst müsste überhaupt die ganze mittelalterliche Gesehichte in 
Zweifel gezogen werden. 

*) Drei oft gedruckte Urkunden ; unter anderem auch bei Meichelbeck Histoiia 
Frising. II. n. 582. 



— 219 — 

Das war nun auch nach den Zeiten der YSlkerwandernng 
dff Fall: hier hatte der Bomanismus, geschlitzt durch die Berge 
dne sichere Zufluchtsstätte gefanden: und auch als das Land, 
soweit es raelischen Antheiles gewesen war, durch die Baiem oc- 
capirt wurde, scheinen diese schonend vorgegangen zu sein : schon 
die Biyalität mit den Langobarden, die das tridentinische Gebiet 
unterdessen an sich genommen hatten und Lust zeigten ihre 
Grenzmark noch weiter nach Norden zu schieben, musste sie dasu 
yeranlassen. 

Und auch sonst waren die damaligen Zeitläufte kritisch 
genug und es bedurfte der ganzen Thatkraft der agilolfingischen 
Herzoge, um Herren der Situation zu bleiben. In der zweiten 
Hälfte des 6. Jahrhunderts hatten nemlich eben die Wenden ganz 
Innemoricum occupirt und sich dort niedergelassen. Immer weiter 
drängten sie nach Westen ; bereits besassen sie das untere Puster- 
thal, bis zu den Quellen der Drau; wenn sie noch das obere 
nahmen, dazu etwa die Position von Franzensfeste und Brixen, 
so war auch das Etschland verloren und die Verbindung zwischen 
Bsdem und Italien abgeschnitten. Indem nun aber die baierischen 
Fürsten das mit sicherem Blicke erkannten, haben sie auch alles 
daran gesetzt, das .Unheil abzuwenden; nach schweren Kämpfen 
wurde dem Vordringen der Wenden endlich ein Ziel gesetzt und 
um das Besultat zu festigen das Pusterthal colonisirt. • Wie man 
etwa heutzutage eine Universität gründet, um ein neuerobertes 
Beichsland auch geistig sich zu assimiliren, so ward damals hier 
an den Quellen der Drau ein Kloster gestiftet» ,,um das ungläu- 
bige Geschlecht der Slaven auf den Weg der Wahrheit zu fahren.* 
Und auch sonst lies man es an nichts fehlen: keine Landschaft 
in Alttirol, hat so viel baierisches Blut in sich aufgenommen, 
wie das Pusterthal, wo so der Germanismus mit fester Hand 
gepflanzt ward. Das zeigt die Menge der archaistischen deutschen 
Ortsnamen, die dort sich finden und von denen Dietenheim, 
Tesselberg, Greimwalden, üttenheim noch heute an die 
agilolfingischen Begründer erinnern ^). So ward der Pass nach 
Italien fireigehalten, gegen Wendei^ und Bomanen die Superiorität 
des baierischen Stammes erstritten. In den alten Sagen, welche 



^) VgL Steub, Bhaet. Ethnologie S. 185 f. Allg. Zeitung. B, 17^ Sept. 1875, 



— 220 — 

die Kaiserchronik uns erhalten hat, finden wir diese Thaten ver- 
herrlicht: bei Brixen soll danach der grosse Entscheidungskampf 
stattgefunden haben zwischen dem ,, Baierherzog Adelger'' und 
dem «Bömerkaiser Servatus'', in welchem ersterer siegte und am 
,hes6linen Brunnen*' dortselbst seinen Speer aufpflanzte als Grenz- 
zeichen des baierischen Machtbereiches ^). Im Angesichte beider 
Kriegsschauplätze aber, des windischen wie des romanischen^ erhob 
sich zu Meransen hoch oben am Berge das Heiligtum der drei 
Kriegsgöttinnen der Deutschen Aubert, Cubert, Guerbert, welche 
die damals noch halbheidnischen Baiwaren hieher mitbrachten 
und deren Cult sie auf jene Hochwarte verpflanzten zum Zeichen 
ihrer Kämpfe und ihrer Siege in diesen Landen: die christlichen 
Glaubensboten haben nachher aus den Kriegsgöttinnen christliche 
Heilige gemacht, als welche sie noch heute verehrt werden^). 

So war also ein ausgiebiger germanischer Menschenstrang 
ins Land geführt worden. Bereits waren auch die schönsten Ge- 
genden des ünterinnthals und die ammuthigeren Seitenthäler von 
den Baiwaren occupirt worden ; wie denn die Gegend von Innsbruck 
und Telfs, wo die vielen archaistischen deutschen Ortsnamen auf 
jjing', wie Flauerling, Fölling, Haiming, Hötting u, s. w. sich 
finden, zu den frühest colonisirten des Landes gehört; die Haupt- 
strasse über den Brenner, das nunmehrige Norithal, ward gleich- 
falls besiedelt 

und während die Vandalen und Gothen in Africa und Italien 
einst zu Grunde gegangen waren, weil sie isolirt und jeder Ver- 
bindung mit der alten Heimat und Yolkskraft baar im romani- 
schen Lande sich fanden ; während auch die Franken in Gallien, 
wenigstens in den westlichen und südlichen Theilen desselben sich 
romanisirten, namentlich weil die Bomanen an Cultur und Wissen 
ihnen weit überlegen waren, und nur die Bheinlandschaft end- 
giltig dem deutschen Wesen gewonnen wurde, giengen die Dinge 
in baiwarisch Bomanien anders. Hier, wie dort am Bhein 
vermochten die Eroberer immer neues Volk aus den eigentlichen 
Stammsitzen nachzuschieben; von besonderer Gelehrsamkeit und 



1) Vgl. die Kaiserchronik Z. 6641—7154 und Massmanns eingehenden Ezcnrs 
hiezu in seiner Ausgabe III. p. 784 ff. 

S) Vgl. Steub, Herbsttage in Tirol. S. 166. 



— 221 — 

Cultarblüte war bei den Donauromanen nie die Bede gewesen; 
die wälschen Bauern, die hier sassen, und auch die paar Herren, 
die eben nichts waren als grössere Bauern, machten vielmehr auf 
die findigen Baiwaren den Eindruck grosser Tölpelhaftigkeit und 
Boheit ^): sie fühlten sich ihnen überlegen; so ward hier in Bae- 
tisch-Ladinien der Sieg des Germanismus auf die Dauer ent* 
schieden. 

Die politische Nothwendigkeit, die Pässe nach Italien in der 
Hand zu behalten, welche einst das Vorgehen der Agilolfinger 
bestimmt hatte, blieb auch für die Folgezeit dieselbe und ward 
sogar noch dringlicher, seitdem Deutschland und Italien unter 
dem Scepter desselben Herrscher vereiniget waren. Zugleich kam 
noch ein anderer umstand hinzu, das romanische Baetien zum 
rechten Golonialland zunächst des baierischen und des alemanni- 
schen Stammes und in weiterem Sinne ganz Deutschlands zu 
machen : denn überall her kamen Ansiedler gezogen ^). 



') »Töle sint Uaalhä, spachö sint Peigirä* lautet der Spruch der WesBobrun- 
ner Handschrift in München, wo zugleich die Uebersetzung beigefügt ist: »Stulti 
Büot Romani, sapienti (sie) sunt Baioarii.* Massmann, a. a. 0. HL 759. Bei Aribo 
heissen die Baiwaren: »homines proceri in caritate et humanitate fundati.* Spätere 
Urkunden haben ähnliche Ausdrflke, und es sind überhaupt in allen deutschen Golo- 
nialländern deren gäng und gäbe gewesen. Gnler Ton Wineck, ein SchriftsteDer 
des XVI. Jahrhunderts, behauptet im Wallgau Leute gekannt zu haben, die »grob 
rae tisch reden kunnten.* Steub, Bhaet. Ethnol. S. 84. Zur selben Zeit 
und noch später pflegten die Ortsbehörden von Zittau in Sachsen in Geleitsbriefe 
die Klausel einzuschieben, dass Yorzeiger »guter rechter deutscher, unta- 
delhafter, nicht wendischer oder einiger anderer lasterhafter 
Nation« sei. Archiv f. saechs. Geschichte IL 261. YgL Waitz. Y. 6. Y. 147. 

*) Dass namentlich die Alemannen, abgesehen von Churraetien, das dem ale- 
mannischen Herzogtume einverleibt war, auch in unserem »Gebirge* nicht fehlten, 
werden wir später an einem interessanten Beispiele ersehen. Schon zur Zeit der 
Völkerwanderung waren sie in die raetischen Alpen vorgedrungen — »Suevis tunc 
iuncti Alemanni aderant, Alpes raeticas omnino regentes.« Jordan, c. 55. »Einem 
baiuvarischen Ohr scheint noch heutigen Tages jeder Tiroler mehr oder weniger zu 
schwäbeln.« Steub, Herbsttage S. 262 A. 25. — Im übrigen denke man an die 
Bessenoolonie im Eggenthal und dass »Flandrer« wol überall hinkamen, wo nach 
Ansiedlern der Buf gieng. Der Sage nach verdankt die Stadt Boveredo die Ent- 
stehung zwei niederdeutschen Bittern, aus dem Gefolge des Tridentiner B. Adalbert 
von Flandern, (saec. XII.) Bidermann, die Italiener im tirolischen Provindalverbande 
S. '17. Flaemische und westphälische Ansiedler im V^irtembergischen sollen dort 
schon von Karl d. Gr. eingeführt worden sein. Vgl. überhaupt Waitz. Y. G. Y. S. 288 L 



— 222 — 

Dieser Umstand war das BedürMs nach den Früchten und 
Froducten des Südens, die man in Baiem aus dem baierischen 
Gebiete südwärts des Brenners, wo noch jetzt deutsche Sprache 
mid italienischer Himmel sich vereinen, zu beziehen anfieng, allen 
voran die deutsche Kirche, die baierischen Bistümer und Klöster. 

Da war z. B. Freising, das von Anfang an in Beziehungen 
getreten war zu den damals lange zwischen Langobarden und 
Baiem streitigen Gebieten in der Gegend um das heutige Meran. 
Dem B. Corbinian in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts «be- 
deutete in Leben und Tod das Mais im Thale der Etsch fast 
ebensoviel, wie die Stätte seiner Kathedrale ^ ; über Mais, Kains, 
Kortsch ist die erste Urkunde ausgestellt, durch die K. Hein- 
rich L der Sachse zur bis dahin dem Herzoge allein unterge- 
benen baierischen Kirche in Beziehungen trat (931) und wodurch 
er die Politik seines Hauses inaugurirte, das Herzogtum durch 
das Bistum zu lähmen und im Zaume zu halten. 

Zugleich gehörte das Kloster Innichen zu Freising, schon 
von den Zeiten seiner Stiftung an; das Gebiet an der oberen 
Bienz, zwischen dem Gsiess- und dem Antholzbach und aufvirärts 
dieser Bäche bis zum Kamme der Alpen, das eine Zeitlang dem 
Bistum entfremdet worden war, wurde demselben durch Kaiser 
Otto n. wieder zugetheilt; und dies Eevier wuchs dann mit dem 
benachbarten Innichen zu der Herrschaft dieses Namens zusam- 
men, die bis zur Auflösung des deutschen Beiches im J. 1803 
hier bestanden hat. 

Freisingens Politik gieng in der Folgezeit dahin, diesen 
Besitz in Tirol möglichst abzurunden und die einzelnen Theile 
mit einander zu verbinden. Bischof Gottschalk, eben einer der 
kräftigen Kirchenfürsten, welche die Ottonische Epoche so recht 
eigentlich charakterisiren , der Nachfolger B. Abrahams, der 
957 — 993 mächtig in Baiems Geschicke eingegriflfen hatte ; Gott- 
schalk erwarb zu Ausgang des 10. Jahrhunderts von einem Grafen 
Otto an beiden Ufern des Eisack eine Beihe von Punkten, die 
sich von Layen (Legian) durchs Grödnerthal über Seiss bis 
nach Tiers (Tieres) hinzieht und mit einem Weinberg bei Bozen 
schliesst. *j 



1) Die Urkunde bei Besch, Annal. Sabionens. lU. p. 711 f. Es sind in der 



— 223 — 

Es war das um dieselbe Zeit, als das Bistum selbst, dem 
das Land in diesen Gebirgen zugetheilt war, nemlich Saeben, 
seinen Sitz weg verlegte von der alten Burg der Sömer, die auf 
steilem Fels gelegen einst hier den Pass gesperrt, die Zoll- 
statte ^) geschützt und während der folgenden Zeiten der Völ- 
kerwanderung in ihren weiten Baumlichkeiten eine erwünschte 
Zufluchtsstätte gegen die Barbaren geboten hatte ; jetzt zog man 
herab in die Ebene von Brixen, wo der Könige Gunst reichen 
Besitz geschenkt hatte, wo man zugleich dem baierischen Stanmi- 
lande etwas näher war. 

Im Dienste dieser geistlichen Herren sehen wir deut- 
sche Bauern und Dienstleute auf deren Besitzungen sich ansie- 
deln und ein reichbewegtes Leben sich entfalten. Nicht immer 
sind wir über das Einzelne genauer unterrichtet: nur so im All- 
gemeinen vermögen wir den Gang der Dinge zu erkennen. Noch 
im 13. Jahrhundert erfahren wir aus einer Urkunde, wie Bischof 
Friedrich von Wanga (1:^08 — 121 y) an zwei Bozener Bürger 
Uhich und Heinrich die Höhen von Costa Cortura, von Folgaria 
bis Genta im Tridentinischen verleiht, um daselbst wenigstens 
zwanzig neue Höfe zu gründen und Arbeiter dahin zu berufen: 
sie sollten dann das ganze Gebiet auftheüen, urbar machen und 
davon dem Bischöfe einen Zins zahlen. Für diesen Dienst 
durften die obigen Neubelehnten zwei der zu gründenden Höfe 
für sich als Stiftslehen behalten^;. 



Schenkung beg^en die Orte : Legian, Parpian (Barbian), Sutsis (verschrieben statt 
Siasis? d. i. Seiss), Tieres, Albiun (Albions zwischen Layen und Clausen), Tanurcis 
(Tanirz am Ausgang des Grödnerthals), Tsevis (Tschöfs bei Layen), Segies (St. Peter 
hinter Layen, wo eine Oertlichkeit noch Sciesa heisst), »ad Gredine (Gröden) forestum 
anum* etc. Ausserdem einiges bei Aufkirchen im Pusterthal, und Tier Hüben »in 
monte Torento* ober Brixen; »et in Bauzano fineam unam.* — Vgl. hiezu Hirsch, 
Jahrb. Heinrichs IL Bd. J. 52. 

^) Vgl. darüber oben S. 88. Uebrigens ist hier auch das ganze Mittelalter 
hindurch eine Zollstätte gewesen : das heutige Klausen verdankt diesem Umstände seine 
Entstehung, sein Wachstum und seine Bedeutung in jenen Zeiten. 

'j Codex Wangianus (Fontes rer. Austriac. dipl. V.) p. 804. Urkunde yom 
16. Febr. 1216: »concessit montem etc. ad construendum et consignandum in illo 
monte riginti curtes seu mansos vel plures, quantoscumque sine fraude potuerint, 
et conducere in eis mansibus bonos et utiles et prudentes laboratores 
— (also keine »stulti Romani*) — qui dictos mansos vel curias pro episcopata 



— 224 - 

Durch derartige Ansiedlang deutscher Arbeiter im tridenti- 
nischen Gebiete entstanden eine Beihe deutscher Enclaven im 
romanischen Gebiet, die sich theilweise bis an die Ebene des Fo 
vorschoben und deren Ueberreste die VII und Xin Gemeinden 
in den Bergen ober Verona und Vicenza, sowie ,die deutschen 
Gemeinden in Wälschtirol*' sind ^). Andere Urkunden beweisen, 
dass derlei Ansiedlungen in jener Zeit mehrfach statthatten^). 
So gieng es eben auch in den nördlicheren Gebieten. Mannig- 
fache Bechtsgestaltungen sehen wir vor unserem Auge sich bilden 
und es genügte nicht, hiefür blos das romanische Colonialland 
in Betracht zu ziehen, man müsste auch die slavischen Gegenden 
berücksichtigen, man müsste überhaupt die Geschichte sänunüicher 
deutschen Colonisationen des Mittelalters Bevue passiren lassen, 
sollte ein nach allen Seiten hin erschöpfendes Bild jener folgen- 
reichen Thätigkeit gegeben werden, wodurch während des Mittel- 
alters das Gebiet der deutschen Nation reichlich um die Hälfte 
sich erweitert hat ^). Es mag genügen, für das Allgemeinere auf 
den sehr belehrenden Aufsatz Prof. Wattenbach's über „die Ger- 
manisirung der ösüichen Grenzmarken des deutschen Beiches '^ ^) 
zu verweisen; und hier nur einige charakteristische Züge aus 
den Urkunden und Saalbüchern der Zeit hervorzuheben. 



Tridenti et episcopo teneant, utantur et laborent; et dividere debent inter illos 
laboratores terram, montes et prata et omne territorium ei^^oaliter, ita qaod curie 
et mansi illi eqaales et onius bonitatis sint, sine frande et — episoopus nomine 
soi episcopatus illos homines et laboratores, qoi dictos mansos aooeperint, tenebont 
et laborabunt, debeat investire de saprascriptis mansibus et cartam unicuique 
facere per se et per eorum heredes ac proheredes adtendendum 
et bene laborandum dictos mansos, sicut unicuique pro suo manso ded- 
gnabiturasupradictis* etc. Man vgl. damit die Art der römischen Ansiedlung. S. 72 ff. 

^) Vgl. Schneller, die Romanischen Volksmundarten in Sfldtirol. S. 18 fC 

*) Eine Urkunde yom Jahre 1208, Cod. Wang. p. 164 ff. erwähnt im Ge- 
biete der Gastaldie Beseno ausdrücklich »coloni* und »astiticii.* Vgl. weiteres bei 
H. Ig. Bidermann, die Italiener im tirolischen PreyindalTerbande. (Innsbruck 1874) 
S. 16 ff. 

') »Eine Linie yon Kiel über Lüneburg und Halle nach Bamberg, von da über 
Begensburg nach Linz und weiter südlich bis zur Grenze der italienischen Bevöl- 
kerung, wird ungefähr den alten Besitz vom neuen scheiden*, bemerkt Watten- 
bach- an sogleich anzuführender Stelle. Dabei ist Baetoromanien nicht einmal in 
Anschlag gebracht. 

*) In V. Sybels histor. Zeitschrift. IX. 386—417. 



— 226 — 

Da sehen wir z. B. den Bischof Piligrim von Passau — den- 
selben, dessen Namen das Nibelungenlied verewigt hat, — wie 
auch er, einer der rührigsten Kirchenfürsten der Epoche, emsig 
bedacht ist, Ansiedler in das menschenarme Gebiet seines Bistums 
einzuführen ; alsbald weiss er es beim Könige durchzusetzen, dass 
dieselben vom Gerichtsbann des baierischen Mai-kgrafen — es 
handelt sich um „ österreichische * Gebiete — losgezählt und mit 
allen Eechten und Leistungen der bischöflichen Voigtei untergestellt 
werden; was einerseits eine Minderung des Geburtsrechtes der 
Colonisten, andererseits aber auch eine Wohlthat für dieselben 
involvirte *). 

Einsicht in einen anderen Fall gewährt uns das Saebener Tra- 
ditionsbuch aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts, das die man- 
nigfaltigen Hechts- und Tauschgeschäfte enthält, womit nament- 
lich B. Albwin das Besitztum seiner Kirche mehrte und arrondirte : 
in weitausschauender Politik werden mitunter einzelnen Besitzern 
grosse zeitliche Vortheile gewährt, wenn sie dafür nur versprechen, 
später das Bistum desto freigebiger zu bedenken. Da begegnet 
uns denn auch ein Alemanne, Namens Hupold, der beim Bischof 
von Saeben Dienste nahm, um von ihm ein Lehen zu erwerben; hier 
heirathet er eine Hörige der Saebener Kirche, mit der er einen 
Sohn erzeugte. Aus Liebe zu Weib und Kind, bringt er dann 
— wenn ich anders recht verstehe — seine eigenen Leute aus 
Schwaben ins Land, erwirbt ein Gut und weiss durch allerlei 
juristische Kniffe es dahin zu bringen, dasselbe seinem Sohne als 
unabhängiges Eigentum zu hinterlassen ^). Unter seinen Hörigen, 



*) Böhmer reg. n. 688. Stampf n. 891 : »quatenus ?1. ingenui, qui ex 
inopia serrorum in loois ecdesiastici patrimonii constituantur coloni, quicquid nostrae 
publicae exactionis iudiciaria potestate deberent ad pristinae restaurationem cultnrae 
suis largiremur usibus .... qaicqaid noster publicas fiscus ab illis exigere vel per- 
dpere poterit, hoc totam in cunctis adFocato prefatae eoclesiae potestatire exigendum 
et perdpiendum ad iam dicti pontiftds Piligrimi successoramqae suorum utilitatem 
perpeti condonamas, nee pro ulla alia oocasione ant vadium solvere aut ad comi- 
tatam Ire a marchione yel aliqua iadiciariae potestatis persona cogantur, nisi ea lege 
yel iore, quo ecdesiastid serri ab extraneorum pulsati redamationibns pro satisfa- 
denda iustida ad pladtum ire compellantur.* Vgl. Hirsch, Jahrb. Heinrich II. 
Bd. I, S. 58 ff. 

*) Vgl. Bosch, Annal. Sabion. p. 690, n. 62 : »quidam advena Alamannus 
nomine Hubold in episcopatam Sapionensis ecdesiae usque yenit ibique ab episoopo 

Jung, die Donaa-Provinzen. 15 



— 226 — 

die bei Au&ahme des Thatbestandes genannt werden, sind bereits 
mehr deutsche als romanische Namen zu bemerken ^) ; und da zu 
dieser Zeit hier zu Lande die beiden Nationsditäten gerade an' 
der verschiedenen Nomenclatur noch sich unterscheiden lassen^), 
so ersieht man daraus das Anwachsen der deutschen Arbeitskräfte, 
welche die Fremden mit sich ins Land brachten. 

Li dieser Weise ward wie der Herrenstand so auch der 
Bauernstand «im Gebirge*' allmählig germanisirt. Um das Jahr 
1000 war der erstere bereits völlig deutsch ; während er zweihun- 
dert Jahre früher noch zum Theil romanisch gewesen. 

Jener reiche Quartinus , aus der Nation der Noriker (Baiem) 
und Pregnarier (Breonen)*, den wir bereits mehrfach genannt 
haben, erscheint im J. 828 zwar als erbangesessen in der Gegend 
von Sterzing, wo seine Ahnen schon zur Zeit der Antonine nach 
römischer Sitte Grabsteine abgesetzt hatten^); aber er war der 
letzte seines Stanmies und schenkte sein ganzes Besitztum na- 
mentlich am Eisack an das Kloster Innichen „zum Heil seiner 
Seele. "" Seine Gutsnachbam waren theils Deutsche, die „more 
bavarico'^ bei den Ohren gezupft wurden, theils Bomanen. Ln 
J. 993 erscheinen als Besitzer in jener Gegend nur mehr deutsche 
Hdle, während die «mansi latini'', die von romanischen Bauern 
besetzten Höfe, noch nach Jahrhunderten genannt werden. 



— benefldam servitio promeruit. Qai ancillam ipsias ecclesiae uxorem aocepit, et 
ex ea filium genuit, quoram amore captus eins mancipia in eandem episcopatam ad- 
duxit ex Alamannia; insuper et praediam acqaisivit. Cumque idem senio et morbo 
lassns deftceret praeÜEita mancipia et praedium cuidam nobili yiro n. Rihheri tradidit 
eo tenore: si ante proximum natale domini obiret, ut eins iilio, ecclesiaB serFO, in 
CMSoltatem et proprietatem perferret. Quo facto non post longam tempas idem Hopold 
ante natale domini morte praeyentus ; deinde idem Bibheri in praesentia Albwini b. m. 
episoopi memorato Hupoldi filio ecdesiae servo idem praediam et eadem maudpia — 
tradidit potestatire tenendam et qaicqaid inde placuerit, faciendum . . . .^ 

*) »Haec sunt nomina mancipiorum, quae tradita sunt Hupoldi f., ecclesiae 
seryo: Liutrih; filius eins Beginhart; item filia eins Gotta; Gezo; filia eins Geza; 
Wiso ; Fmmiza ; Heiza ; fllia eius Heiza ; et fllius eius Diozo ; item filia eins Waza ; 
filius eius Martinns et Minigo; et Penno filius eius; filia eius Liuza.* 

*) Vgl. Steub, Herbsttage in Tirol, S. 252 f. 

') Vgl. C. I. L. V. 5088. Wol mit Recht bringt mau den hier genannten Aurelias 
QnartinuB mit der Familie der späteren Quartine in Verbindung, lieber die Vererbung 
▼on Namen innerhalb einer Familie ygl. Holder-Egger, Unters. Ober einige annal. 
Quellen des 5. und 6. Jahrhunderts UI. p. 50. 



— 227 - 

So lernen wir die Verhältnisse kennen im zehnten Jahr- 
hundert und in der ersten Hälfte des eilften. 

Alle baierischen Klöster jener Zeit, Tegemsee, Benedictbeuem, 
Altaich, S. Emmeram, Steingaden, Weihenstephan, Diessen, Fol- 
lingen, Biburg, Altdorf u. s. w. besassen wie ihren Salzantheil 
zu Beichenhall so ihre Weinberge bei Bozen, die während des 
Mittelalters so berühmt waren. So hatte z. B. Tegemsee zur 
S[arolinger-Zeit 11866 Mausen Grundbesitz, be^og Salz von 
BeichenhaU und vierzig Karraden Wein von Bozen. Die ganze 
Politik dieser kleinen Earchenstaaten gieng dahin, ihren Be- 
sitz im Etschland zu mehren ^). In den Klosterchroniken, die 
für die Geschichte jener Epoche von der grössten Bedeutung sind, 
findet man mitten unter den Nachrichten hochpolitischer Natur 
Notizen über den Stand jener Weinberge, wenn sie z. B. durch 
eine Ueberschwemmung u. dgl. geschädigt worden waren. In 
allem Sturm der Zeiten, der über Baiem im zehnten Jahrhundert 
während der beständigen Einfälle der Magyaren hereinbrach, hat 
man den Zusammenhang mit den Besitzungen am Südabhange 
der Alpen festgehalten; wir hören z. B. aus Benedictbeuem, dass 
damals zwei geistliche Genossen, davon nur einer ein Mönch, 
das Brodkorn auf ihren Schultern über die Alpen von Wälschtirol 
hergeholt haben ^). Das Lob des «Bozenaere*' sangen nachher 
die Minnesänger durch das ganze Mittelalter hindurch. 

So entschädigte die wirthschafUiche Superiorität des Colo- 
niallandes dieses gleichsam für seine politische Abhängigkeit 
Wie die baierischen Klöster jenseits der Gebirge ihre Weinberge, 
so besassen hinwieder z. B. die Bischöfe von Brixen und von 
Trident ihre Paläste in Baierns Hauptstadt Begensburg, wo sie 
den Hof des Herzogs zu suchen hatten, so oft es ihnen dieser 

^) Man 7gl. auch hierüber die meisterhaft entworfene Scizze 7on Siegfr. Hirsch 
in der Einleitung zu den »Jahrbüchern des deutschen Reiches unter Heinrich II*, 
wo die Beziehungen zwischen dem Stammlande Baiern und seinem slavischen und 
romanischen Colonialbesitze, (d. h. Kärnten und den Marken; dann dem heutigen 
Tirol) ausführlich erörtert sind. — Die Combination von Hirsches Manier mit der 
Ton Steub und den wirthschafts-politischen Studien, wie sie Inama-Sternegg versucht 
hat und durch die von ihm und Ign. V. Zingerle unternommene Herausgabe der 
deutsch-tirolischen Weissthümer neue Anregung erhält, wird gewiss noch schöne 
Resultate erzielen. 

*) Chronic. Benedictobur. c. 9. M. G. SS. IX. 229. 

16* 



- 228 — 

gebot; bis auch hier die allgemeine Beichspolitik dazu führte, 
dieselben von der herzoglichen Gewalt vollends zu eximiren und 
selbständig zu machen. Es geschah dies durch den König na- 
mentlich auch zu dem Zwecke, um die Strasse nach Italien in 
der Hand zu haben, selbst gegen den Willen des Herzogs. Da- 
mals, im eilften Jahrhundert, ward auch Trident zu Deutschland 
geschlagen, das seit den Zeiten der Bömerherrschaft zu Italien 
gehört hatte ^): wie früher südwärts der Alpen, so lag eben damals 
der politische Schwerpunkt Westeuropa's im Norden derselben 
und danach gravitirte auch von jeher die Zuständigkeit jener 
zwischlächtigen Gebiete am mittleren Laufe der Etsch^). 

Dann kamen wieder stürmische Zeiten, welche die ganze 
Welt aus den Fugen zu heben drohten und die selbst in den 
hintersten Bergthälern sich fühlbar machten; es war die grosse 
Eevolution, die wieder von Eom ausgieng und die durch Mönch 
Hildebrand, Papst Gregor VU., heraufbeschworen ward. Es war^ 
die Zeit, da Kirche und Eeich in tödtlichem Kampfe sich gegen- 
überstanden und sich aufs äusserste befehdeten ^) ; für Deutschland 
eine unheilschwangere Epoche. Dennoch — so wenig hat der 
Mensch die Zukunft in der Hand — war es gerade in dieser 
Zeit, wo ein neuer Stoss gegen das raetische Bomanentum von 
Seite des Deutschtums erfolgte und diesen grossen und entschei- 



*) Ueber die wechselnden Grenzen des Reiches in diesen Gregenden rgl. K. Fr. 
Stumpf-Brentano an 6. Waitz. Forsch, zur deutschen Gesch. Bd. XV. H. 1. zu 
Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. V. 140. 196. Es Ist dabei zu bemerken, dass 
der Brenner niemals in früheren Zeiten^ weder unter den Bömem, noch unter den 
Deutschen im Mittelalter, selbst nicht unter Napoleon eine politische Grenze gewesen 
ist. £8 handelte sich stets nur um Trident und sein Gebiet, dessen Grenzen in den 
yerschiedenen Zeiten auch verschiedene waren. 

*) Es ist zu beachten, dass die bischöflichen Gebiete im heutigen Tirol in 
Folge ihrer Treue gegen Kaiser und Reich emporkamen: 955 ward Erzbischof He- 
rold T. Salzburg, der gegen Herzog Heinrich y. Baiern aufgestanden war, geblendet 
und in Sehen internirt ; B. Altwin war einer der treuesten Anhänger E. Heinrich^s IV. 
Auch im 12. und 18. Jahrhundert sassen auf den BischofsstQhlen von Trident und 
Brixen dem Kaisertum treu ergebene Männer; zu ihrem eigenen Vorteile; in der 
nachfolgenden kaiserlosen Zeit säcularisirte ihr Vasall, der Graf von Tirol, beide Stifte 
und gründete ein weltliches Fürstentum: die Grafschaft Tirol. 

') Im J. 1080 ward zu Brixen von der königlichen Partei Hildebrand, der 
»falsche Mönch*, abgesetzt und duich SO Bischöfe aus Italien und Deutschland Guibert 
Ton Ravenna erhoben. Vgl. Giesebrecht, Gesch. der deutschen £[aiserzeit. III. 872. 



— 229 — 

denden Wendepunkt der Weltgeschichte nunmehr auch för die 
Ethnographie jener Gebiete von Bedeutung machte. Der religiös- 
schwärmerische Geist der Hildebrand'schen Epoche, der die Kreuz- 
züge veranlasste, rief nemlich zugleich eine neue Aera der Kloster- 
gründungen hervor und diese Gründungen erfolgten, der ascetischen 
Weltanschauung der Mönche zu Folge, häufig in »Einöden*, in 
abgelegenen Thälern, fem von den Obscoenitaeten des weltlichen 
Verkehrs ^). 

Zudem wurden während des Bürgerkrieges Bischöfe und 
Priester der einen oder der anderen Partei je nach dem Wechsel 
des Glückes von ihren Sitzen vertrieben und sie konnten dann nur 
in der Heimlichkeit weniger besuchter Oerter ihres Amtes noch wal- 
ten. Mitunter hat das zu mancherlei Legenden, die man da prakti- 
scher Zwecke halber erfand, den Anlass gegeben 2). Wie aber dem 
auch immer sein mag, diese Flüchtlinge, wie jene Klöster zogen wie- 
der neue Gegenden in den Kreis der damaligen Civilisation herein, und 
diese war bei uns eben eine deutsche und förderte den Fortgang der 
weiteren Germanisation. So fasste diese immer tiefere Wurzeln. 

Und zwar wäre es ein Irrtum, wenn man glauben wollte, 
dass diese Entnationalisirung der Saeto- und Norico-Bomanen 
etwa zonenweise vor sich gegangen sei, dass zuerst das Innthal 
und dann ebenso das Wippthal, hierauf das Etschland u. s. w. 
durch die Baiwaren, Alemannen u. s. w. völlig ausgefegt und as- 
similirt worden wären. Im Gegentheil; es geschah hier, was 
anderswo in analogen Fällen. 

Odovacar und nach ihm die Gothen haben sich in Italien, 
die Yandalen in AMca, die Franken in Gallien festgesetzt, indem 
sie geschlechterweise die wichtigsten Punkte occupirten. So hat 
nachher auch in Italien die deutsche Kaiserherrschaft sich stabilirt. 



^) In Kärnten und den Marken erstanden damals Aber ein Dutzend neuer 
Klöster; im heutigen Peutschtirol mehr als ein halbes Dutzend: S. Gteorgenberg, 
Wilten im Innthale, Neustift bei Brixen, S. Michael an der Etsch, in der Aue bei 
Bozen ; Marienberg im Vintschgau ; dazu das ältere Sonnenburg im Pusterthal ; deren 
Urkundenbacher die yorzfiglichste Quelle fQr die Culturgeschichte des Landes im 
Mittelalter bilden. | 

*) Damals ward z. B. Bischof Altmann aus Passau yertrieben und schlug zeit- 1 

weilig seine Residenz in Lorch auf, das dann als die angebliche Mutterkirche Nori- 1 

cums in römischer Zeit gefeiert wurde ; wofür mit gefälschten Urkunden der Beweis 
erbracht ward. Vgl. Wattenbach, Gesch. Qu. I^, 44. A. 2. 



— 230 — 

üeberall an den Kreuzpunkten des Verkehrs erhoben sich auf 
stolzer Höhe und wolbefestigt die Beichsburgen, auf denen die 
Dienstmannen des Kaisers sassen und durch die Giebigkeiten der 
Beichsleute in Italien verpflegt wurden. Man weiss wie oft das 
Land gegen die deutsche Herrschaft rebellirt hat ; wie namentlich 
der municipale Geist, der Italien eigen war und blieb, sich gegen 
das Begiment der Kaiser aufbäumte, wie die letzten Hohenstaufen 
hier beständig kämpften und organisirten : in den stürmischesten 
Katastrophen, die in Folge dessen eintraten, haben jene Boll- 
werke, wenn auch Jahrzehnte lang auf sich selbst angewiesen, 
dennoch sich unbezwungen erhalten ; z. B. in der Zeit vom Tode 
Heinrichs VI bis auf jene Otto's IV und von diesem bis auf Frie- 
drich n, den »Hammer der römischen Kirche.* 

und wenn wir den Blick weiter schweifen lassen, so vollzog 
sich die Ansiedlung der Bulgaren auf der Balcanhalbinsel dadurch, 
dass Stadt und Land ihre Bewohner tauschten; jene die Beherr- 
scher, dieses die Beherrschten innehatten. Die Slaven haben da- 
selbst in den von Bomanen bewohnten Gegenden geschlechterweise 
sich niedergelassen, wie die Ortsnamen dies beweisen ^). Die 
Türken begründeten ebenso ihre Herrschaft, indem sie an die wich- 
tigsten Funkte der Halbinsel Colonien ihres Volksstammes hin- 
führten. Durch ähnliche Mittel hatten schon früher die Byzan- 
tiner regiert; auch sie haben, ganz nach der älteren römischen 
Weise zahlreiche Verpflanzungen von Völkerschaften vorgenommen 
und durch Theilen die Herrschaft behauptet, so lange es eben 
angieng. Die Magyaren in Pannonien hielten die Kraft ihres 
Volkes dort in der Ebene zusammen und warfen nur nach Sie- 
benbürgen an den wichtigsten Funkt einen Splitter desselben, die 
.Szekler*' als transsilvanische Grenzwacht; wie denn Attila und 
die Avaren vor ihnen ähnlich vorgegangen sein mögen: die Natur 
eines jeden Landes bedingt dessen politische und strategische 
Bedeutung und schreibt der Folitik unabweichliche Gesetze vor. 

So auch im raetischen Gebirgslande. Der baiwarische Adel, 
der in dasselbe gekommen war, besetzte zuerst die strategisch 
wichtigen Funkte und machte dort auf den Burgen sich heimisch. 
Von hier aus ward dann das ringsumliegende römische Grebiet 



^) Vgl. Jirecek, Gesch. der Bulgaren, S. 107. 



— 231 — 

gezSgeit und in der Hand gehalten. Es ist in dieser Beziehung, 
sagt Steub^), euie bemerkswerthe Thatsache, dass von der Burg 
zu Buchenstein an, die hinter Enneberg fast schon im venedischen 
Gebirge liegt und mit italienischem Namen Castel d^Andrazzo 
genannt wird, bis auf das Schloss zu Hohenbalken bei Somwix im 
stockromanischen Hochthal am bündtnerischen Vorderrhein, ganz 
unabhängig von der Sprache, welche die Landleute sprachen oder 
sprachen, die Schlösser zum grössten Theil deutsche Namen ia:'agen. 
Mitten in jetzt völlig romanischen Landestheilen, z. B. im heutigen 
Enneberg finden sich in den alten Urbaren eine Anzahl deutscher 
Höfe oder , Lehen*' verzeichnet: die Germanen kamen, nahmen 
so viele Höfe als sie brauchten und lebten dann mitten unter 
den Bomanen fort, bis sie in diesen aufgiengen ^). 

Auch die höhere Politik spielte in diesen Dingen mit. Im 
J. 1 167 erlies K. Friedrich I. das Verbot, einem Lombarden oder 
Veroneser mit der Hut des Schlosses Garda zu betrauen, sondern 
nur getreue Tridentiner ^). Trident selbst war eine überwiegend 
deutsche Stadt, ihr ältestes Stadtrecht ist deutsch abgefasst, das 
lateinisch concipirte Bergrecht ihres Gebietes enthält meist deutsch- 
technische Ausdrücke, da die Knappen aus Deutschland kamen; 
ebenso war der Adel auf dem Nonsberg deutsch, wie jener in 



. 1) Vgl. Bhaet. Ethnologie, S. 67 f. 

*) NamentliGh ist hiefür die Nomenclatnr des von J. V. Zingerle herausgege- 
benen Sonnenburger Urbarbuches, das aus dem 14. Jahrhundert stammt, interessant. 
VgL Steub, Kl. Schriften m. 175 f. Aus den Urkunden, welche das KirchenarchlT 
Yon Abtei enthält und 41^ bis ins 15 Jahrhundert znrflckgehen, ergibt sich die- 
selbe Thatsache: diese Urkunden sind schon damals zum grosseren Theile deutsch 
abgefasst, die ladinischen Ortsnamen dem germanischen Ohre angepasst : Untercastell 
statt sn dschastöll, Valgreit statt Valgarei, Oberplang fQr das jetzige Plans bei Ck)r- 
Tara, Canascheid statt Canazei, wie es gegenwärtig hiutet; Alfreid fQr Alfarei. Mit 
dem Verfalle der grossen Edelgeschlechter, der bereits vom 15. Jahrhundert her 
datirt, wo der LandesfQrst Friedrich mit der leeren Tasche die Bauern gegen den 
Adel aufrief und die sociale Beyolution organisirte, ist hier das Deutschtum zurttek- 
gegangen; denn es war eben durch jene edlen Geschlechter und ihren Anhang re- 
pr&sentirt. Seitdem hat in Enneberg das romanische Bauerntum die deutschen 
Endayen in sich aufgesogen. In Groeden war es ähnlich, wo ans dem hintersten 
Thale der deutsche Minnesänger Oswald y. Wolkenstein stammte, der die »Gra- 
serinnen* auf der Seisser Alm, die noch jetzt zum guten Theile Ladinerinnen sind, 
in deutscher Sprache besang. 

*) Cod. Wang. S. 86. 



- 232 — 

Churrätien: also durch das ganze Land waren die beiden Natio- 
nalitäten in unzähligen Enclaven vertheilt: nur in Graubündten 
hat sich ähnliche Buntheit bis auf diesen Tag erhalten ^) Mit der 
Zeit wuchsen in Folge der Arrondirungspolitik ihrer Besitzer 
einzelne dieser Enclaven zusammen und suchten weitere Fühlung. 
So gieng es fort, die Hauptthäler wurden bald ganz germanisirt, 
während der Ladinismus mehr und mehr sich in die Seitenthäler 
zurückzog und auch da an Terrain stetig verlor. 

Wann dieser Process, der bis auf den heutigen Tag fort- 
dauert, in den einzelnen Gegenden vollendet wurde, lässt sich nicht 
genauer bestimmen, da über solche Dinge, die sich von selbst 
machen, eben die Chroniken nichts berichten. Jedenfalls ist es 
beachtenswert, dass noch in den älteren Salzburger Necrologien 
aus dem zwölften Jahrhundert vier Männer, nemlich Johannes, 
Mediolanus, Marquard und sein Sohn Ulrich, femer eine Frau 
Namens Kominia aufgeführt werden als „Latinus*, »Latina*^). 
Danach würde es im Salzburgischen noch damals Walchen ge- 
geben haben; vielleicht dass diese bis ins dreizehnte Jahr- 
hundert dort fortvegetirten, wo von 1272—1284 Erzbischof Fried- 
rich von Walchen auf dem Stuhle S. Euperts sass, aus der Fa- 
milie Wallern oder Walchen in Pinzgau stammend : das Stamm- 
schloss dieses Hauses, der Walchenturm bis in unsere Zeit genannt, 
lag beim gegenwärtig zur Pfarrei Piesendorf gehöiigen Filialdorf 
Walchen. Auch um Berchtesgaden dürften bis ins zwölfte 
Jahrhundert romanische Grundbesitzer sich erhalten haben ^). 

Um dieselbe Zeit sprach man auch in der Gegend von Inns- 
bruck, wie sich urkundlich erweisen last, noch theilweise romanisch. 



^) Die Entwicklung dieser Verhältnisse in Alemannisch-Bomanien zu verfolgen, 
muss ich mir auf eine andere Gelegenheit yersparen. Durch die Vergleichnng 
des alemannischen mit dem baierischen Ck)loniallande wird die Oermanisirung Baeto- 
Bomaniens erst ins rechte Licht gestellt werden. 

*) Archiv f. österr. Geschichtsquellen XIX. S. 866. Kominia heisst S. 284 : 
»laica latina.* 

*) Eine Berchtesgadener Urkunde von 1127 (Quellen und Erörterungen zur 
baier. und deutschen Geschichte, Manchen 1856. I. 861) nennt einen »Buodolfus de 
loco Trecento professus ex natione sua lege vivere Bomana*, den Bfldinger, Gest. Qeach. 
I, 98. A. 1. »für einen freien Grundbesitzer römischer Abstammung aus der Gegend 
von Berchtesgaden* erklärt; es gehört derselbe jedoch, nach den OertUchkeiten zu 
schliessen, die geschenkt werden, wol nach Erain nicht nach Baiem. 



— 233 — 

um die Mitte des zwölften Jahrhunderts schenkten „Egilolfiis 
et üxor eins de Omras (Ambras) etfilie eins et latini Meribot 
ac Hegini, Dietmar, Giselmar ', die Güter, die sie zu Oberhofen 
in Oberinnthal besassen, nach Neustift ^) : Bomanen mit deutschen 
Namen. 

Eine andere Urkunde aus dem zwölften Jahrhundert, die in 
Absam bei Hall a. J. ausgefertigt wurde, führt unter den Zeugen ver- 
schiedene Bomanen auf, als Solvangnus (Sylvanus), Martinus, Ba- 
dillus, Vivianus ^), So hält es denn Steub für „wahrscheinlich, 
dass zur Zeit, da Innsbruck Stadtrecht erhielt (1234), ein guter 
Theil seiner Bürger noch Ladiner gewesen sind.* 

Aber von da an muss die Germanisation doch rasche Fort- 
schritte gemacht haben: die Zahl der deutschen Gründungen hat 
damals sich stark vermehrt. Es begann für Tirol eine Epoche 
städtischer Entwicklung, namentlich gefördert durch den Ueber- 
landhandel, der von Venedig aus die Producte des Orients dem 
nördlichen Europa vermittelte: wieder ward die grosse Verkehrs- 
ader des Landes für seine Entwicklung entscheidend. Es erstanden 
im dreizehnten Jahrhundert und in den ersten Decennien des vier- 
zehnten die Städte Innsbruck, Glums, Sterzing, Meran, Hall. AUe 
diese Neugründungen kamen aber dem Deutschtum zu Gute, dessen 
Genius sie hervorgerufen hatte, bedeuteten einen Bückschritt des La- 
dinismus. Im vierzehnten Jahrhundert machte dann allem Anschein 
nach die Pest des J. 1348, dem der Decamerone Boccaccio's seine 
Entstehung verdankt, auch für die Baetische Ethnologie Epoche. 
.Kaum der sechste Theil der Bewohner unserer Thäler* — schreibt 
ein Zeitgenosse, der Prior Goswin von Marienberg •— , blieb übrig. 
Im Kloster Marienberg raffte die Seuche alle Brüder hinweg, bis 
auf drei*; Goswin war einer von ihnen. Nach einer anderen Auf- 
zeichnung, die im Kloster Neustift gemacht wurde und die Sin- 
nacher mittheilt, blieb im Wippthal nur der dritte Theil der Be- 
wohner noch übrig '). Die Folge war grosser Mangel an Arbeits- 
kräften im Lande; wie in England unter Wat Tyler ein Arbei- 



1) Siimacher, Beiträge zur Gesch. der Kirche Saehen-Brixen. III. 441. Stenh, 
Herbsttage 268 f. 

*) Mon. boica X. 88. Stenh, »AUg. Zeitung« B. 15. Sept. 1875. 

*) Vgl. Eink, Akad. Vorlesungen Aber d. Gesch. Tirols S. 472. Ueber diQ 
Pest im allgemeinen Tgl. Boscher, System der Yolkswirthschaft P. S. 518. 



— 284 - 

teraufgtand ausbrach, der auf die Folgen jener Pest zurfickzi}- 
fiQiren ist, so begann auch in Tirol eine sociale Bewegung unter 
dn ^Baialaiiton*; die durch verschiedene Landesordnungen zu 
Gunsten derselben beigelegt warde '). Die darin zugestandene 
Jbreizügigkeit musste ebenfalls dazu beitragen, das romanische 
Element mitor dorn deutschen zu verflüchtigen. 

Noch in den letzten Jahrhunderten haben die grossen Welt- 
ereignisse, wie auf das Verhältnis zwischen Bomanismus • und 
Germanismus in unseren Alpenlanden überhaupt, so namentlich 
auch auf die Ladiner einen stärkeren Bückschlag ausgeübt, als 
man eigentlich denken sollte. Der sprachliche Zusammenhang 
zwischen Groeden und Enneberg mit Graubündten z. B. ward zer- 
rissen erst in Folge der Beformation. Die Churwalchen bekannten 
sich nemlich zu der Lehre des Eeformators Zwingli; die Tiroler 
> hingegen wurden, so sehr sie selbst auch grösstenteils der Hae- 
resie zugethan gewesen waren, schliesslich der Politik ihrer Ee- 
gierung gemäss gezwungen, katholische Christen zu bleiben oder 
vielmehr wieder zu werden ^). Um nun den religiösen Gegensatz 
durch den der Sprache — Nationalität kann man ja eigentlich nicht 
sagen — zu verschärfen, germanisirten die Benedictiner des Stiftes 
Marienberg im Laufe des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts 
die Grenzstriche im oberen Yintschgau, das bis dahin zum guten 
Theile noch romanisch gewesen war. — Li Wälschtirol und in Ober- 
italien dagegen erlitt aus derselben Ursache das Deutschtum eine 
Einbusse. Bis zur Beformationszeit nemlich holten sich die dortigen 
deutschen Gemeinden ihre Priester aus Deutschland % wie etwa jetzt 

^) Bei Brandis, Gesch. der Landeshauptleute 3. 72 ff. 

*) Aach die Ennebergror waren nemlich nicht zurückgebUeben, wie einige 
Aufzeichnangen im Abteier Kirchenarchiy darthun. Im J. 1577 war ein Dominas 
Simplicianus Patayiensis saoerdos regulär, ord. Augustini in Abtei Seelsorger. »Dieser 
gieng nach Eastelrutt beichten und hatte eine Concubina.* Später war er in S» Martin, 
bis er zuletzt wegen ärgerlichen Lebenswandels verwiesen wurde. Als Cooperator 
erscheint um dieselbe Zeit in Abtei ein mit falschem Licenzbrief entlaofener and 
ketzerischer Mönch. Femer wird noch ein Supemumerar vom Orden des hl. Eian- 
dscus genannt, der gleichfaUs ohne Erlaubnis sein Kloster yerlassen hatte. — Die 
Gegenreformation, die eben in den Siebenziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts 
von der Innsbrucker Regierung energisch ins Werk gesetzt wurde, trat ein und 
yereitelte, dass d.e Ostiadiner ebenso eine Litteratur sich schufen wie ihre west- 
lichen Verwandten in Graubflndten oder die Bomanen an der unteren Donau. 

^ Vgl. Friedr. y. Attelmayr: Die deutschen Golonien im Gebirge zwischen 



— 23B — 

noch die Siebenbürgener Sachsen ihre künftigen Pfarrer auf deutschen 
Universitäten studu'en lassen; seit dem sechzehnten Jahrhundert, als 
der Katholicismus siegreich gegen die Beformation reagirte, schloss 
man sich ab von der geistigen Bewegung in Deutidihod ixsA 
betheiligte sich lieber an jener Italiens : so änag das WSscIxtain 
erfolgreich vor erst in dar Srche, dann in d^ Schule, von da in 
die Familie nad den Staat. Yerhältnisse, die bis in unser Jahr- 
hundert noch die deutschen Gemeinden in Wälschtirol und um 
Yerona und Yicenza ihrer Nationalität entfremdet haben. In 
neuester Zeit germanisiren in Enneberg und Grroeden neben dem 
nivellirenden Einflüsse, den die grossen Yerkehrsstrassen der Ge- 
genwart unwillkürlich ausüben, auch die verbesserten Schulen, 
in denen die deutsche Sprache neben der heimischen obligat ist. 
Zugleich sucht die österreichische Begierung, um den annezions- 
lustigen Italianissimi des Trentino entgegenzuarbeiten, das Deutsch- 
tum, wo es noch besteht, zu erhalten und zu stärken; worin sie 
von deutschgesinnten Männern des In- und Auslandes unterstützt 
wird. Yon dem Erfolge dieser Bemühungen wird es abhängen, 
ob die deutsche Sprachgrenze nach Süden oder nach Norden sich 
verrücken oder aber stabil bleiben wird. 



Wie die „Ladiner* oder »Walchen* der raetischen Berglande, 
so haben auch ihre viel zahlreicheren Yettem im Osten auf dem 
Boden der einstigen Provinz Dacien die Aufmerksamkeit neuerer 
Forscher auf sich gezogen, nicht ohne dass bei der Mangelhaftig- 
keit unserer Quellen manches bis auf diesen Tag dunkel und 
controvers geblieben wäre. Es handelte sich in erster Linie um 
die Herkunft und die früheren Wohnsitze der heutigen Walachen 
oder Bumunen. 

Darüber hat vor einigen Jahren Bob. Boesler ein Buch ge- 
schrieben, das viel Aufsehen erregte^). Es wurde nemlich darin 



Trient, Bassano und Verona. U. Abtheilang. Zeitschriffc des Ferdinandenms in Inns- 
braok. 8. Folge. Heft 18. (1867). Nach den Forschangren des Herrn Joh. G. Widter, 
bis 1866 k. k. Postdirektor in Vioenza. 

^) Bomaenische Studien. Leipzig 1871. Der hioherbezügliche Abschnitt Aber 
»die Wohnsitze der Bomaenen im Mittelalter« erschien zuerst als »Dacier and 
Somaenen* in den Sitznngsber. der Wiener Akademie 1866, wurde aber damals 
noch weniger beachtet. 



— 236 — 

der Nachweis versucht, dass die heutigen Bomaenen während des 
Mittelalters bis zum Anfang des zwölften, dem Beginn des dreizehn- 
ten Jahrhunderts gar nicht da gesessen wären, wo sie jetzt sich vor- 
finden, sondern dass deren Stammväter, als die Bömer ihre Hen- 
schaft Ober das Trajanische Dacien aufgaben, mit diesen abgezogen 
seien; erst nach neun Jahrhunderten wären sie in die alten Sitze 
wieder zurückgekehrt, während sie bis dahin südwärts der Donau 
auf byzantinischem Gebiete gelebt hätten. 

Die These Boesler's frappirte, weil sie neu schien; obwol sie 
nicht neu war. Im vorigen Jahrhundert hat Franz Jos. Sulzer 
im zweiten Bande seiner vortrefflichen „Geschichte des transal- 
pinischen Daciens ' ^) sich fast ganz in derselben Weise geäussert. 
Sulzer war kein Gelehrter, sondern ein praktisch gebildeter Mann ; 
in einer Beihe trefflicher Ezcurse hat er uns die Sitten, Meinungen 
und Bräuche, die religiösen und politischen Zustände der mo- 
dernen Walachen geschildert. 

Dabei fiel ihm der Slavismus dieser Bomanen auf, der frOher 
nicht genügend beachtet worden war, da schon damals puristische 
Bestrebungen unter den Schriftkundigen des Volksstammes sich 
geltend machten: kein Zweifel, dass hier einmal SlavenundSo- 
manen sich vermischt haben mussten. Darüber ward Sulzer 
stutzig: «in Siebenbürgen u. s. w.* — so glaubte er — „sassen 
ja keine Slaven.*" Also müssen die dacischen Bomanen früher 
dort gewesen sein, wo sie mit Slaven in Berührung zu kommen 
Gelegenheit hatten. Das konnte nur südwärts der Donau ge- 
schehen, wo jetzt noch die sog. Eutzowlachen sich vorfinden^). 
Es wird dann wahrscheinlich zu machen gesucht, ja als das allein 



<) Wien 1781. Der Verfasser war. »ehemaliger k. k. Hauptmann und Au- 
ditor*, Ton Gebnrt ein OberOsterreicher, aber verm&lt mit einer Siebenbfirger S&chsin, 
also in Dacien heimisch. Er starb in Siebenbürgen und so blieb sein auf drei Bände 
gediehenes Werk, eine musterhafte Arbeit voll gesunden Verstandes und praktischer 
Erfahrung, leider unvollendet; seine nachgelassenen Papiere giengen verloren. Vgl 
Kopitar, Wiener Jahrb. d. Litterat. 46. S. 62. 

*) Es ist dabei zu bemerken, dass diese Kutzowlachen im vorigen Jahrhundert 
noch in blfihenderem Zustande sich befanden, als im jetzigen. Jirecek, a. a. 0. 
457 ff. und 475 f. Daraus erklärt sich vielleicht der Widerspruch von Leake, re- 
searches of Greece (1819), gegen Thunmann, Untersuchungen über die Geschidite 
der östlichen europäischen Völker (1774); dieser behauptete, der südlichen Boma- 
nen seien nicht weniger, als der norddanubischen, was jener entschieden in Abrede stellte. 



— 237 — 

Mögliche hingestellt, dass die nördlich der Donau sitzenden Wa- 
lachen eben Einwanderer wären aus jenen südlich des Stromes 
gelegenen Gegenden ,am Berge Haemus, im alten Dardanien, in 
Moesien oder in der Bulgarei.^ — Dass Boesler das Buch seines 
Vorgängers nicht kannte, als er gleichwol über den Gegenstand 
schrieb, möchte ich ihm keineswegs zum Lobe anrechnen, wie das 
einige seiner Freunde thun, um post festum noch gleichsam eine 
Art Priorität för ihn zu retten *). 

Nach Sulzer hat auch der bekannte ungarische Gescldcht- 
schreiber Joh. Chr. Engel in seinen zahlreichen Werken ähnliche 
Ansichten von einer Auswanderung und nachmaligen Wiederkehr 
der Bomänen geäussert; nur dass er die letztere im Gegensatz zu 
Boesler, der sie erst im dreizehnten Jahrhundert vor sich gehen liess, 
bereits in das neunte und zehnte Saeculum versetzte. Die Bulgaren 
hätten damals die zahlreichen Gefangenen, die sie auf ihren 
Streifzügen in das römische Beich machten, im alten Dacien 
angesiedelt und daraus sei mit der Zeit das Volk der Walachen 
erwachsen 2). Auch diese These erklärt Boesler bei seiner Arbeit 
nicht gekannt zu haben. 

Es waren aber jene früheren Anläufe überhaupt nicht weiter 
beachtet worden. Autoritäten wie Schafarik, Kopitar, Miklosich hatten 
sich theils ausdrücklich dagegen erklärt, theils dieselben geflissent- 
lich ignorirt, als Boesler, durch sprachliche und historische Studien 
veranlasst, wieder darauf zurück kam; und indem er die These 
mit Ener^e und Eleganz verfocht, auch scheinbar schlagende Be- 
weise dafür vorbrachte, den grössten Erfolg erzielte. Die meisten 



*) Z. B. Krones in Koesler's (gest. 1874 als Professor in Graz) Necrolog. Zeit- 
schrift f. die österr. Gymnasien 1875. S. 228 f. Solzers's Bach war Kopitar be- 
kannt, der sehr viel davon hielt. Vgl. Wiener Jahrb. der Litt. 46, S. 62. In 
der Becension von Fallmerayer^s Geschichte der Halbinsel Morea im MA. ebenda 51, 
S. 112, spricht Kopitar von den »vier Millionen Walachen, die wiewol jetzt dem 
grösseren Theile nach im Norden der Donau angesiedelt, doch ursprünglich in des 
Verfassers (Fallmerayer's) »illyrisches Dreieck* (zwischen Triest, Gialatz, Matapan) 
zu Hause gehören, nur romanisirte Brüder im Thale, oder doch Cousins der reiner 
gebliebenen Albaner im Gebirge sind.* Ein Anklang an Sulzer's Wanderungstheorie, 
deren Anhänger sonst Kopitar nicht war. 

*) Vgl. Engel, Commentatio de expeditionibus Traiani et origine Valachorum, 
Wien 1794. Gesch. der Moldau und Walachei I. 185 ff. Gesch. des ungarischen 
Reiches I. 62 ff. 



— 288 — 

Eritiken, die sein Buch in den deutschen Journalen erlebte, 
sprachen sich günstig über dessen Hauptinhalt aus ^) ; der Wider- 
spruch Einzelner blieb dem gegenüber unberücksichtigt 2) ; die 
heftige Polemik, welche von den romanischen Gelehrten dagegen 
eröfihet wurde, imponirte wenig, da dieselben nicht im Stande 
waren, sie zu widerlegen^). 

Die politischen Leidenschaften mengten sich ins Spiel: die 
Bomanen glaubten durch Boesler ihren (angeblich hochadeligen) 
Stammbaum geschändet; die Gegner der Bomanen fanden desto 
mehr Gefallen an der neuen (beziehungsweise hundert Jahre alten) 
These. G. D. Teutsch, der rühmlichst bekannte Geschichtschreiber 
der Siebenbürger Sachsen, hat deren Inhalt vor zwei Jahnen (1874) 
in die neue Auflage seines Buches übernommen. Wattenbach 
neigte ihr ebenfalls zu; während er in seinem Vortrag über die 
, Siebenbürger Sachsen*" noch anderer Ansicht gewesen war. Zu- 
letzt noch hat Boesler*s These Fr. Mauer in seiner populären 
Schrift: ,yDie Besitzergreifung Siebenbürgens durch die das Land 
jetzt bewohnenden Nationen*" (1875) zu polemischen Ausführungen 
gegen gewisse Ansprüche der Bomanen benützt, wonach diese 
als älteste Bewohner des Landes Siebenbürgen allein besitzen 
wollen, Sachsen, Szekler und Ungarn als spätere Eindringlinge 
betrachtet werden. Nach Boesler würden aber die Bomanen bei 
der Theilung der dacischen Welt zu spät gekommen sein; es 
liesse sich somit der Spiess umdrehen und gegen sie geltend 
machen, was bisher ihrerseits gegen die "andern Nationalitäten 
des Landes vorgebracht wurde. 

Die Sache interessirt, wie man sieht, schon weitere Kreise 
und spielt in der Politik eine Bolle; sie könnte leicht noch einmal 
zu diplomatischen Noten für und wider Boesler Anlass geben und 



^) So £. Daemmler in der hisior. Zeitschrit. XXVII. (1872) S. 475—479 
und zahlreiche andere. H. J. Bidermann, Fr. Krones, 0. Lorenz, G. Fr. Hertzbergi 
und A. erklärten sich ausdrücklich dafür. 

') Namentlich jener W, Tomaschek^s. Vgl. Brumalia und Rosalia. Sitzungsber. 
d. Wiener Akad« LX. 1868. S. 851—404. Ferner in der Zeitschrift f. d. österr. 
Gymn, XXIU. 149 f. 

') Noch zuletzt hatte EUisdeu, istoria criticü a Romänilorü Bd. I. II. H. 1 Buka- 
rest 1874 bei all seiner Gelehrsamkeit kein einziges Factum gegen Boesler beizubringen 
vermocht. Vgl. SchuchardVs Rec im Lit. Centralbl. 1875. n. 12. S. 880 f. 



— 239 — 

80 die orientalischen Wirren um neue ., Fragen* bereichem. Hier 
soll darüber jedoch nur „academicamente'^ gehandelt werden. Auf 
welche Grunde stützten sich denn Sulzer, Engel, Boesler, um 
ihre Ansicht zu verfechten? ^). 

Es ist in dieser Hinsicht von vom herein zu erklären, dass 
die ganze These vielfach auf irrigen Gründlagen aufgebaut wurde. 
Boesler behauptete, Dacien sei nur sehr oberflächlidh romanisirt 
gewesen; »auf nur dünnbesiedeltem Boden* — so meinte er — 
^ward ein reines Colonialland geschaffen, in dem das Bömertum 
nicht so tiefe Wurzeln trieb, wo es nicht auf der breiten Grund- 
lage eines auch geistig eroberten Volkstums ruhte. Daher die 
Leichtigkeit, mit der es später wieder entfemt wurde — ohne 
einmal so viele Spuren zu hinterlassen, als selbst in Britannien 
oder in Noricum, wo es wie ein Firnis abgerieben worden ist.* 
Ansichten, die vor den Thatsachen nicht Stich halten und abgesehen 
davon, dass sie sich widersprechen, auch etwas phrasenhaft wieder- 
gegeben sind. Denn dünn besiedelt, war der Boden ja von Dakern 
und es hat eben deshalb, wie wir wissen, die Bomanisirung unter 
denselben mittelst der eingeführten Colonisten schnellere Fort- 
schritte gemacht als anderwo^). Endlich ist der Bomanismus 



^) Ich yerweise für das Detail auf meine Abhandlang »Die Anfänge der Bo- 
maenen.* Zeitschrift f. d. österr. Gymn. 1876. H. I. 2. 5, wovon auch ein Sepa- 
ratabdrnck erschienen ist. Hier können nur die Hauptpunkte berührt und einige 
nachträgliche Ausführungen gegeben werden. 

') Aus diesem Grunde ist auch Mommsen gegen Boesler^s Auflassung. A. y. 
Gutschmid hat im Litt. Centralblatt vom 21. Okt. 1876 dagegen eingewendet, dass 
die VoUendung der Romanisirung Daciens in den Zeitraum yom Gommodus auf Aure- 
lianfaUen müsste, d.i. in die siebenzig Jahre des Militärkaisertums, die sich sonst durch- 
aus steril erzeigt hätten: »und hier soUte es die Bomanisirung gewissermassen in 
extremis improvisirt haben?* In Britannien sei die Romanisirung in weiteren 400 
Jahren nicht gelungen. — Diesem Einwurf gegenüber müssen wir (mit Mommsen) 
geltend machen, dass die exceptionellen Verhältnisse, in denen Dacien unter allen 
römischen Provinzen sich befand, auch exceptionelle Folgen gehabt haben dürften. 
Uebrigens sind gerade die sonst sterilsten Zeiten der römischen Eaiserepoche dem 
Fortschritte des Bomanisirungsprocesses am günstigsten gewesen. Vgl. bezüglich 
der thrak. Stämme auf der Balcanhalbinsel W. Tomaschek, Brumalia und Bosalia 
S. 898, bezüglich Baetiens meine Ausführung S. 68. Auch ist die Analogie zwischen 
Dacien und Britannien nicht völlig zutreffend; hier hat das keltische Element bis 
auf unsere Zeit sich erhalten, im Mittelalter sogar in seiner Weise geblüht; das 
dacische Volk hat nie mehr eine bedeutendere BoUe in der Weltgeschichte gespielt. 



— 240 — 

auch in Noricum bekannflich nicht wie ein Firnis abgerieben 
worden, sondern hat daselbst Jahrhunderte nach dem Sturze der 
römischen Herrschaft noch fortvegetirt üeberhaupt hätte Koesler 
gut gethan, nicht blos die Bomänen im Auge zu behalten, sondern 
auch die anderen Donauromanen zu berücksichtigen, weil ihm 
dabei mannigfache Analogien zwischen dem östlichen und west- 
lichen Zweige derselben auffallen mussten; ebenso wäre das 
verschiedene Schicksal derselben daraus leicht erklärlich gewesen, 
warum die einen germanisirt wurden, die anderen sich dagegen 
in üeberzahl erhielten. Jener naheliegende Vergleich ist denn 
neuerdings von einem geistreichen Touristen auch wirklich ange- 
stellt, wenn auch nicht weiter verfolgt worden *). 

Von der geringen Intensität des Bomanismus im traianischen 
Dacien, die Boesler behauptete, ist also gerade das GegentheQ 
richtig. Wenn er ferner ausführte, dass sich daselbst keine Orts- 
namen aus der römischen Zeit bis auf unsere Tage erhalten hätten, 
so ist das ebenfalls irrig. Eine Anzahl von Flüssen hat nemlich 
auch hier, wie in anderen Gegenden des einstigen Orbis Bomanus, 
die Namen römischer Städte und Orte bis jetzt bewahrt ^) ; doch 
wol ein Zeugnis dafür, dass die Continuität der Bevölkerung hier 
nie unterbrochen gewesen ist Neuerdings haben darauf gestützt 
sogar einzelne Forscher den Versuch gemacht, die Lage antiker 
Städte, von denen nur der Name bekannt ist, aus modernen 



seit Deoebalas gefallen war; unter Germanen und Romanen ist es aufgegangen. ^ 
Ich gebe gerne zu, dass wir über diese Dinge nicht yiel wissen können; ent- 
scheidend ist daher dieser Punkt in keinem Falle und für keine Meinung; aber es 
ist doch möglich, dass das Dunkel der Geschichte hier Dinge verbirgt, die man nur 
zu leicht geneigt ist, für »nicht glaublich* zu halten. 

^) Von K. Braun- Wiesbaden, in dem Buche: »Eme türkische Reise, 1. Bd. 
1876 ; Die Donau. Serbien. Rumaenien* ; wo auch der Gontroversen fiber die ro- 
manische Sprache gedacht wird. S. 896 ff. Von Roesler^s Buch und seiner These 
hat Herr Braun aber nicht Notiz genommen. 

') Das Thal des Ompoly erhielt den Namen des römischen Ampelum G. I. 
L. III. 1808. 1298; die Berzava, ein Zufluss der Temes, den der Station Bersovia; 
der Fluss Gzema jenen der Golonie Tsiema oder Zerna; »Samus* hies schon in rö- 
mischer Zeit die Gegend am Szamos G. I. L. III. 827. Den Namen der letzten Sta- 
tion an der Strasse yon Apulum durch den Rothenthurmpass nach der Donau hat 
der Motru, ein Nebenfluss des Schyl, bewahrt. Die Flussnamen der Maros (Marisia), 
Theiss (Tisius), Aluta, Sereth (Hierasus) sind noch die der römischen Zeit Vgl. die 
ZusammensteUung von Detlefsen in Bursian's Jahresbericht aber die Fortschritte der 



— 241 — 

Ortsnamen zu bestimmen ^). Auf diese Contintiität der Nomen- 
clator in Siebenbürgen war übrigens schon längst aufmerksam 
gemacht worden^); es ist kaum zu billigen, dass Boesler davon 
nicht Notiz nahm oder vielmehr den wahren Thatbestand seiner 
These zu Liebe vertuschte. Im Uebrigen verdienen die 
Ortsnamen Siebenbürgens eine eingehende Unter- 
suchung, wie sie von den Einheimischen allein mit geringer 
Mühe vollbracht werden könnte und wobei etwa Steub^s „Shae- 
tische Ethnologie*' zum Muster zu dienen hätte. Es würde 
vor allem das Verhältnis der slavischen zu den ro- 
manischen Namen festgestellt werden müssen; und 
daraus liessen sich dann ebenso Schlüsse über die Intensität der 
Bevölkerung dieser beiden Nationalitäten in früheren Zeiten ziehen, 
wie dies durch Steub für die ladinischen Landschaften thatsäch- 
lich durchgeführt worden ist. Zunächst genügt es zu constatiren, 
dass auch „die Bergnamen an der Bucowina-Marmaros-Sie- 



klassischon Altertumswissenschaft 1878. VII. 799 ff. Man bringet flberdles auch 
Abrudbanya mit dem alten Ortsnamen Alburnus major in Verbindung. Vgl. 
Krones, Handbuch der österr. Gesch. I. 556. 

') Vgl. 0. Hirschfeld, Epigraph. Nachlese zum C. I. L. m. u. s. w. S. 15. 
über die Lage der alten colonia Malyensis, die er nach Malu-de-jos und Malu-de-sns 
verlegen möchte. Prof. Schuchardt ist fibrigens entschieden gegen diese Annahme 
Hirschfelds, »da malü.ein gut rumänisches Wort ist und »Ufer* so wie einiges 
andere bedeutet.* Vgl. auch Hirschfeld a. a. 0. S. 8 über Cetate, die walachische 
Bezeichnung für civitas, womit noch jetzt ehemalige römische Orte bezeichnet werden. 

*) Vgl. Kiepert im histor. geograph. Atlas. 1848. S. 82. W. Tomasohek, 
Zeitschrift f. d. österr. Gymnasien. 1867. S. 109. Massmann, Libellus aurarius 
(1840) S. 118. 128 u. a. Dass — nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung 
— höchstens eine oder die andere der römischen Mansionen und Städte ihren Namen 
bewahrte, ist erklärlich, da diese von den Römern unter Aurelian yöllig geräumt wurden ; 
das städtische Leben dann neunhundert Jahre unterbrochen gewesen ist. In dieser 
Beziehung lagen die Dinge in Siebenbürgen anders, als z. B. in Noricum oder Bae- 
tien, wo übrigens die deutschen Städtegründer auch mitunter die alten Namen ge- 
ändert haben, obwol diese sich erhalten hatten. Z. B. wurde aus Juyavum: Salz- 
burg; aus Vipitenum r 'Bt^ziog — im Namen Wippthal, der noch gebräuchlich 
ist und Wibtenwald, det'in mittelalterL Urkunden erscheint, (vgl. Steub, Herbst- 
tage S. 245) erhielt sich der unter den Römern gebräuchliche Name. In Sieben- 
bürgen baute die städtische Entwicklung des Mittelalters ebenso auf ganz neuen 
Grundlagen sich auf, daher auch neue Namen an die Stelle der alten traten (z. B. 
Zibin wurde zu Hermannstadt vgl. Boesler S. 188); die ländliche Nomendatur 
blieb die alte. 

Jnng, die Donau-Provinxen. 16 



— 242 — 

benbürgener-Grenze ziemlich weit ins Land hinein, nnd zwar na- 
mentlich die Benennung sehr hervorragender Höhen, 
durchaus der romanischen Sprache und zwar inihrer 
alteren Form angehören**). Boesler hatte hier überall 
nur slavische Nomenclatur sehen wollen oder romanische jünge- 
ren Gepräges. 

Dann stützten sowol Sulzer und Engel als auch Boesler ihre 
Ansichten von den Wohnsitzen der Komänen im Mittelalter auf 
angeblich positive historische Zeugnisse. Zunächst auf den Be- 
richt des riavius Vospiscus aus der Keihe der Scriptores hi- 
storiae Augustae, der über die Aufgabe Daciens durch Aurelian 
in ein paar Worten sagt, der Kaiser habe bei dieser Gelegenheit 
Heer und Provincialen auf römisches Gebiet überführt und den 
letzteren dort neue Wohnsitze angewiesen ^), Diese ziemlich all- 
gemein gehaltene Angabe eines sehr kurz angebundenen Schrift- 
stellers wurde nun weidlich für die zu beweisende Aus- und 
Einwanderungsthesis ausgebeutet ; eigentlich war, wenn man sich 
auf die Angabe verlassen konnte, allem Zweifel auf einmal ein 
Ziel gesetzt. Nur Schade, dass diejenigen, die andere daran 
glauben machen wollten, selbst nicht daran glaubten : denn wenn 
die Stelle bei Flavius Vopiscus wirklich von so schlagender Be- 
weiskraft war, bedurfte es nicht noch eines Buches, um die 
Sache erst recht zu beweisen ^). So aber nimmt es sich komisch 



^) So A. Ficker grelegentlich in der »Wiener Abendpost* Beil. vom 7. Juni 
1876, indem er sich zugleich überhaupt gegen Koesler^s These erklärt. Es sprächen 
gegen eine Wanderung aus dem »walachischen* Tiefiande in's siebenbürgische Hoch- 
land sowol die Analogie anderer Fälle, als auch die Traditionen der Bomänen. 

A. Ficker ist eben im Begriffe, die Resultate seiner vieljährigen Studien im Auftrage 
des statistischen Congresses für die »statistique internationale* zu verwerthen. Hof- 
fentlich werden jene Andeutungen über die romanische Nomenclatur Siebenbürgens 
dort weitere Ausführung finden ; es könnte eben dieser Punkt für das Problem der 
romanischen Existenz im M. A. geradezu entscheidend werden. Vgl. auch A. Ficker, 
Noch einmal der Ursprung der Ostromanen nordwärts der Donau, »Allg. Zeitung* 

B. 1876 Nov. 8. lieber die romanischen Ortsnamen im Bihargebiete s. den Excurs. 
— A. Ficker hat ferner darauf aufmerksam gemacht, dass die Bomänen sich im Nord- 
osten ihres Wohngebietes auch mit den Buthenen vermischt haben ; was Boesler ver- 
neint, und darauf Schlüsse gebaut hatte. Vgl. »AUg. Zeitung* vom^ 11. März 1876. 

*) Vgl. oben S. 107. 

^) Dasselbe gilt namentlich auch, wenn :» gewisse linguistische Thatsacben zu 
Gunsten der Boesler'schen Theorie sprächen; vor allem die grosse Verwand tschafi; 



— 243 — 

aus, wie man allen Ernstes, nemlich ad hoc, vorbrachte, der gute 
Vopiscus sei „ein sehr besonnener, auf gründliche Prüfung der 
Thatsachen bedachter Geschichtschreiber gewesen, dem reiches 
Material zu Gebote stand/ Es ist nemlich daran kein wahres 
Wort. Die Scriptores historiae Augustae sind zunächst Biographen 
der Kaiser, mannigfach von Anekdoten durch webt; Compilatoren 
aus späterer Zeit und alles Geistes baar: man kann sie nicht 
schlecht genug sich denken; gleichwol für uns eine schätzbare 
Quelle, weil uns eben bessere nicht zu Gebote stehen *). Haben 
übrigens die Scriptores historiae Augustae nicht alle Tugenden 
der anderen römischen Geschichtschreiber, so haben sie doch alle 
ihre Fehler: zu Gunsten der Gloire des Eeiches etwas oberfläch- 
lich zu sein, war damals sehr beliebt, war die EegeL Und so wird 
man den Mavius Vopiscus ebenso wenig für eine gänzliche Aus- 
wanderung des romanischen Volkes aus Dacien anfahren dürfen, 



des Sfld- und Kordromänischen* ; wie mir Prof. Schuchardt bemerkt. In der ein- 
gehenden und einsichtigen Besprechung meiner »Anfänge der Rom&nen* im Lit. 
Centralbl. vom 21. Okt. 1876, die ich nur nachträglich berücksichtigen konnte, hat 
A. Y. Gutschmid eben£Etlls auf die aus den fremden Elementen in der romanischen Sprache 
entnommenen Argumente Gewicht gelegt. Ich hatte darauf hingewiesen, dass Ko- 
pitar und Miklosich die dem albanesischen verwandten Elemente fflr altdäcische 
Ueberbleibsel ansahen: Albanesen d. h. niyrier, und Dacier d. h. Thraker seien ja 
nahe verwandte Stämme gewesen. Dagegen bemerkt Gutschmid: »dass die Daker 
dem grossen trakischen Stamme angehört haben, ist eine der sichersten Thatsachen 
der alten Ethnographie ; dass die Illyrier, die Ahnen der Albanesen, und die Thraker 
zwei gänzlich verschiedene YOlker gewesen sind, die von den Alten 
stets strenge auseinandergehalten werden, steht nicht minder sicher [ich folgte oben 
S. 57 der Ansicht Fr« Müllers, die anders lautet]; die Hypothese vom illyrischen 
Charakter des Dacischen ist also bodenlos.* Wenn im Romanischen doch albanesische 
Elemente enthalten sind, wäre, da die Romanen. dieselben nur in den Balcanland- 
Schäften sich angeeignet haben könnten, einstiger Aufenthalt in jenen Gegenden 
notfawendig anzunehmen. — Roesler selbst hat übrigens Gutschmid^s Ansicht über 
das Verhältnis von Thrakern und lllyriern zu einander nicht getheilt. Ist diese richtig, 
so wird daher auch die ganze Einwanderungsthese anders zu formuliren und aus- 
scUiesslich auf linguistische Basis zu gründen sein: die Begründung Roesler's last 
sich in allen Hauptpunkten wiederlegen. 

*) Ueber Flavius Vopiscus spedell hat gehandelt Brunner in Büdingers Unter- 
suchungen zur rOm. Kaisergeschichte Bd. II. Im übrigen vgl. man die Art und 
Weise, wie Mommsen diese Scribenten in seinem rOm. Staatsrechte Bd. II. Abth. 2 
an verschiedenen Stellen kritisirt und benützt hat. 

16* 



— 244 — 

wie Eugipp fttr ein derartiges Ereignis in Eaetien und Noricum ^). 
Das haben Sulzer, Engel, Boesler nicht bedacht. 

Ein weiteres Argument Boesler's war, dass vom 3. — 13. Jahr- 
hundert von Bomanen im alten Dacien nie die Bede sei; während 
sie südwäxts der Donau allerdings schon früher vorkämen. Aller- 
dings, aber wann kommen sie dort denn zuerst nach Jahrhunderte 
langem Schweigen in den Quellen wieder vor? Zuerst im J.976, wo 
von einigen walachischen Wanderern, wie ein byzantinischer Schrift- 
steller berichtet, ein slavobulgarischer Häuptling ermordet worden 
war^); und seitdem werden sie noch öfter genannt; im ganzen 
11. Jahrhundert aber doch nur zwei- oder dreimal. Sind nun 
diese Walachen der Balcanhalbinsel auch erst im 10. Jahrhundert 
: — etwa aus Wolkenkukucksheim — eingewandert? Sie werden 
ja früher hier nicht genannt Niemand hat das bisher angenom- 
men. Die Sache dürfte so liegen, dass „ die Quellen '^^ das heisst 
zunächst wol die byzantinischen Schriftsteller, eben sich nicht 
bewogen fanden, über die Walachen ausführlicher zu berichten. 
Man konnte nemUch zu Zeiten ganz gut byzantinische Greschichte 
schreiben, ohne gewisser interessanter Nationalitäten zu gedenken, 
die damals das Beich bewohnten ^), So gut, wie man z. B. jetzt 
eine österreichische Geschichte für gewisse Jahrhunderte schreiben 
kann, ohne die Walachen — gegenwärtig der zwölfte Theil der 



^) Siehe oben S. 107 und S. 205. — Dieser Theil meines Raisonnements 
scheint sidbi bisher allgemeiner Billigung zu erfreuen. Auch A. y. Gntschmid er- 
klärt sich damit einverstanden, dass in dieser Weise der Versuch gemacht ward, 
»fOr die magere Ueberlieferung Aber die Aufgabe Daciens die richtige Auffiassang zu 
gewinnen.« Idt. GentralbL 1876 Okt. 21. 

') W. Tomaschek hat auf die betreffende Stelle bei Eedrenos IL p. 485 zu- 
erst aufinerksam gemacht. Bosalia und Brumalia S. 401. 

') Die Albanesen werden zum. erstenmale in den Geschichtsqnellen des Mit- 
telalters genannt am Ausgange des eilften Jahrhunderts n. Chr. : »nach fast tau- 
sendjähriger Vergessenheit.« Hahn, Albanes. Studien. I. Sil. Ihre Geschichte ist 
jener der Romanen in dieser Beziehung völlig analog. Vgl. Jirecek, Bnlgar. 216 ff. 
A. y. Gntschmid hätte auf die ebenfalls fast tausendjährige Vergessenheit der nord- 
danubischen Romanen nicht wieder zurQckkommen sollen. Er meint (Lit. Centralbl. 
21. Okt. 1876), das Stillschweigen nahezu eines Jahrtausendes könne denn doch 
nicht zu leicht genommen werden, »namentlich wenn man dazu nimmt, dass es an 
Zeugnissen über die Romanen südlich yon der Donau aus demselben Zeitraum nicht 
fehlt.« Natürlich; denn die Romanen südlich der Donau lagen den Byzantinern 
näher, als die norddanubischen ; daher sie etwas früher und öfter erwähnt werden. 



— 245 — 

Bewohner des Kaiserstaates *) und auf mehr denn 2000 □ Meilen 
in demselben zerstreut lebend — auch nur zu nennen. 

Man sehe nur einmal, wie oft Prof. Kronös derselben in 
seinem eben erscheinenden Handbuche der österreichischen Ge- 
schichte Erwähnung thut^); bis auf das 19. Jahrhundert herab 
gewiss höchstens ein Dutzendmal. Etwas anders wird sich die 
Sache gestalten, wenn moderne österreichische Geschichte behandelt 
wird, also etwa wie in Helfert's bekanntem Werke. Da treten 
eben in Folge verschiedener äusserer und innerer Ereignisse die 
Nationalitäten als politische Mächte auf den Schauplatz und bilden 
Pactoren, die die Geschichte des Reiches bestimmen: an den 
Kämpfen gegen die Ungarn im J. 1848 haben die Walachen 
lebhaften Antheil genommen; jetzt bilden sie einen Theil der 
dortigen Opposition, der politisch sehr wol in Betracht kommt ^). ' 
,Erst in Folge dieses Auftretens wurden die Eomänen wie die 
übrigen Nationalitäten des Reiches Gegenstand der Aufmerksam- 
keit der Staatsmänner: die Mannigfaltigkeit der ethnographischen 
Verhältnisse der Monarchie erschwerten das Regieren; das ward 
der Anlass zum ersten eingehenden Studium derselben. 

„Alle Hauptstämme der Bevölkerung Europa's* — so hiess 
es jetzt ^) — „begegnen sich im Umfange des Reiches, bilden 



') Nach A. Ficker^s neuester Zusammenstellung 8 Millionen Seelen. Beil. z. 
»Wiener Abendp.« 7. Juni 1876. 

') Die Frage, die uns hier interessirt, ist von Erones a. a. 0. Bd. I. 577 f. 
behandelt worden, ohne dass der Verfasser sich bestimmt far die eine oder andere 
Ansicht entschiede. Ygl. auch I. S. 128 f. und II. S. 62 f. 

3) Ygl. über die nationale Bewegung der Romanen (Walachen) Czoernig, Ethno- 
graphie der österr. Monarchie (1857) III. 154. 

*) Vgl. Czoernig in der Vorrede zur österr. Ethnographie. Er beklagt dabei 
die Schwierigkeiten, denen »bei dem mangelhaften Material, weläies die bisherigen 
Geschichtswerke von Oesterreich in ethnographischer Beziehung darbieten* die ethno- 
graphische Forschung noch yor dreissig Jahren unterlag. »Die Verwaltung* — heisst 
es in der Vorrede zu dem grossartigen Werke — »hatte ihre Aufmerksamkeit noch 
nicht auf diesen Zweig gerichtet, und die Litteratur bot nur geringe Ausbeute, die 
kaum zum Anhaltspunkte für weitere Forschungen, in keinem Falle aber zur festen 
Bestimmung und Begrenzung der Verhältnisse dienen konnte, da es dem Einzelnen 
nur selten möglich ist, über seinen eigenen beschränkten Gesichtskreis hinaus das 
ethnographische Material zu sammeln, Unternehmungen von gelehrten Körperschaften 
aber keine stattgefunden hatten. Schafarik hatte dayon eine Ausnahme gemacht. In 
Ungarn beeinflusstem politische Bficksichten oft genug die ethnographischen Angaben; 



— 246 — 

hier compacte Massen, durchdringen dort in verschiedenster na- 
tionaler Färbung einander und gestalten sich zu ethnographischen 
Oruppen und Inseln, welche, in buntester Mischung die nirgend 
anderswo wieder zu findende Eigentümlichkeit des Yölkerbestandes 
von Oesterreich ausdrücken. Aber nicht allein die Yölkermischung 
ist es, welche diese Eigentümlichkeit begründet; es geschieht dies 
hauptsächlich durch die grossartigen Verhältnisse, in denen die 
Hauptvölkerstänmie auftreten, so dass sie eioander durch Zahl 
und innere Kraft der einzelnen Völker, sowie dm*<;h die Abstu- 
fungen der Civüisation das Gleichgewicht halten und in ihrer 
Vereinigung, nicht in ihrer Unterordnung, die Grundfesten bUden, 
auf denen das Staatsgebäude ruht.' 

Wie aber in Oesterreich die politischen Ereignisse und die 
Kenntnisnahme der ethnischen Gliederung des Beiches Hand in 
Hand giengen, also war es seiner Zeit auch in Byzanz. Das 
oströmische Beich war kein Nationalstaat, sondern umfasste ver- 
schiedene Nationalitäten als „Bomäer'' in sich: wie man jetzt 
wol einen „Walachen* als »Oesterreicher* oder als „Ungarn* 
bezeichnen kann und auch factisch bezeichnet, weil er Angehöriger 
des betreffenden Staatswesens ist ^). Aber wie für „ Oesterreich- 
Ungam* so kam auch für „Bom* die Zeit, wo die Nationalitäten 
eine Macht wurden, die eine vom «Beiche*, dem sie bisher an- 
gehört hatten, verschiedene Politik trieben. Das Ausland schürte 
den Zwist und hetzte eine Nation gegen die andere und gegen 
die herrschende Gentralgewalt, um dann im Trüben fOr sich zu 
fischen; so erst die Normannen, die seit Bobert Guiscard ihre 
Blicke begehrlich auf Constantinopel gerichtet hatten, dann die 
Venezianer, welche die wichtigsten Handelsplätze in der Levante 
von sich abhängig zu machen trachteten. Der sog. vierte Kreuzzug 
löste die „ orientalische Frage * des Mittelalters, indem nach dem 
Sturze der byzantinischen Herrschaft die „Franken* sich in den 
Besitz der Küstenlandschaften setzten, während im Innern der 
Balcanhalbinsel die bisherigen „Bomäer* als Bulgaren, Walachen, 



der herrschende Stamm wollte natürlich seinen Unterthanen gegenüber nicht gar zu 
winzig erscheinen. ' 

') Der Gesetzartikel XLIV vom J. 1868 bestimmt ausdrücklich, dass sämmt- 
liche Staatsbürger Ungarns dine politische Nation bilden. Ueber die practi- 
Bche Anwendung dieses Artikels wird allerdings gestritten. 



— 247 — 

Albanesen u. s. w. sich entpuppten und eine selbständige Bolle 
spielten. Dann haben die Türken neuerdings Byzanz zur Herr- 
scherin dieser Nationen gemacht; mit dem Verfall ihres Beiches 
treten diese jetzt wieder aus dem Dunkel hervor, in das ihre 
Existenz seit fünfhundert Jahren gehüllt war, während deren sie 
eben als ^ Türken '^ gegolten hatten ^). 

Boegler ist diesen Thatsachen nicht gerecht geworden und 
fand Beweise für seine These, wo keine waren. Ueberdies ist in 
neoester Zeit positiv nachgewiesen worden, dass Boesler wie 
Sulzer Unrecht hatte die angenommene Einwanderung erst nach 
dem J. 1186 geschehen zu lassen, in welchem Jahre der Aufstand 
der Bulgaren und Walachen gegen Byzanz erfolgt ist. Bereits 
1164 sassen nachweislich hart an den Grenzen Ton Haliö Wa- 
lachen^); dort, wo sonst die Kumanen herrschten und deshalb 
auch allein von den Schriftstellern genannt zu werden pflegen. 
Es sassen eben in jenen Gegenden, wie wir auch sonst wissen % 
trotz des oftmaligen Wechsels der herrschenden Horden und trotz 
der Einfälle der Kumanen verschiedene andere — ausser roma- 
nischen namentlich slavische — Volkselemente, die, wahrschein- 
lich gegen Entrichtung . eines Tributs an die Herren, von diesen 
hier belassen worden waren; während in Folge des griechischen 
Bekenntnisses derselben die Beziehungen zu Byzanz nie ganz 
abgebrochen worden sind. 

') In Folge dessen war z. B. noch im J. 1826 Scha&rik über Zahl und Ver- 
breitung der Balgaren völlig im Unklaren. Er beschränkte sie aafs Gebiet zwischen 
Donau und Balcan und schätzte ihre Zahl auf 600000 Seelen. 

*) Vgl. W. Tomaschek »zur walachischen Frage.* Zeitschrift f. d. österr. 
Gymnasien 1876. S. 842— S46. Er macht aufmerksam auf den Bericht des Nice- 
tas Yon Chonae, de Manuele imp. IV. 2 p. 169—172 über die Flucht des Seva- 
stocrator*s Andronicus Komnenos von 'A^x^^^^o^ {^Äytkvn), dem heutigen Akhjolu, nach 
Halic : »xal xdiv ttj? raXtiCTj? 6piu)v Xaßojxsvo^, Tzpb^ -»Jv to? t\q odiCov xpfjOcpüYSTOV 
u>ppL*r]TO, xoie ^fjpeoiÄv IjxittitTet xal^ äpxoot * ooXXTjf O-e'^; ^^p Tcapöt BXa^&v 
ol^ 4j ^Tjp.T] T7]V a5xoö cp^doaoa cpoyfjv bfr^^rpOLXO, Iq xobiiiaia izpbq ßaotXla 
icdXiv dirrjYexo.* Damit fällt Licht auf andere bisher vielumstrittene SteUen, wie 
die bei Kinnamos VI. 260. Vgl. »Anfänge der Bomänen* (Separatabdr.) S. 59. 

B) Vgl. Roesler, Rom. Studien. S. 821 ff., namentlich die S. 828 A. 8 ange- 
führte Urkunde von 1184, die in bulgarischer Sprache von einem ruthenischen 
Fürsten, der über jetzt moldauisches Grebiet herrschte, abgefasst ist. Eine Urkunde, 
die man übrigens nicht dafür wird anführen wollen, dass damals in der heutigen 
Moldau keine Walachen sassen; sonst würde sich als terminus a quo das J. 1184, 
als terminus ad quem das J. 1164 für die angenommene Einwanderung ergeben. 



— 248 — 

Mit der Boesler^schen Theorie, wonach das ganze Volk 
der Walachen in seine Wohnsitze nördlich der Do- 
nau erst 1186 gelangt sei, ist nicht zu verwechseln die 
bekannte Thatsache, dass zwischen Siebenbürgen, der Moldau- 
Walachei und den süddanubischen Gegenden wirklich zu wieder- 
holtenmalen ein Bevölkerungswechsel eingetreten ist. „Es erhielt 
die romanische Bevölkerung des Banats und Siebenbürgens noch 
zu verschiedenen Zeiten durch Einwanderungen aus dem Donau- 
ländem einen Zuwachs, some die Bomanen der siebenbürgisch- 
ungarischen Grrenzgebirge erst seit dem Karlowitzer Frieden sich 
wieder gegen das Tiefland ausbreiteten'' ^). Ein eigenes Capitel 
in Czoemig's ethnogrs^hischem Werke handelt über „ die Ein- und 
Auswanderungen der Bomanen in Ungarn und Siebenbürgen vom 
J. 1000 — 1700*; ein anderes über „neue Einwanderungen und 
Ansiedlungen der Bomanen im achzehnten und neunzehnten Jahr- 
hundert'^). Es heisst darin: „Die Bomanen waren seit Jahr- 
hunderten grösstentheils als Hirten und Dienstleute, theilweise 
auch als Handelsleute und Hausirer an ein wanderndes Leben ge- 
wöhnt ^ ; bei Bedrückungen oder Kriegen in der türkischen Moldau 
und Walachei begaben sie sich gern auf ungarischen Boden. Nach 
der Vertreibung der Türken aus den östlichen Comitaten wan- 
derten mehrere romanische Abtheilungen aus der Walachei und 
aus Siebenbürgen daselbst ein, besonders in die mittlere Szol- 
noker, Biharer und Arader Grespannschaft, oder zogen sich von 
den bergigen Höhen dieser Gegend herab in die verheerten Ort- 
schaften der Ebene.* Ein Vorgang der sich öfter wiederholte, 
me er denn seit alten Zeiten herkömmlich war, ohne dass des- 
halb von einer Einwandenmg im Sinne Boesler's die Bede 
sein kann^). Es kamen auch derlei Auswandenmgen vor, von 



') Gzoernig, Oesterr. Ethnographie I, 65. 

') A. a. 0. II. 140 jf. und III. 150 If. Unter »Bomanen« sind hier die Wa- 
lachen gemeint. 

") Noch gegenwärtig Hben die siebenbOrgischen Walachen ans Mangel an in- 
ländischer Hntweide in den Donaufürstentümem Viehzncht aus. Die Abschaffang der 
daffir zu entrichtenden doppelten Steuer bildete im J. 1848 eines der Orayamina 
der romanischen Nation. Gzoernig, a. a. 0. in. 198. 

*) Auf solche Vorgänge beziehen sich z. B. die Klagen auf den siebenbflrgi- 
schen Landtagen yon 1659, 1628 n. s, w., die Eoesler, Born. Studien 141 f. dtirt 



- 249 — 

Siebenbürgen nach Ungarn, aus Ungarn in die Türkei : die öster- 
reichische Eegierung ergriff in den siebenziger Jahren des vorigen 
Jahrhunderts ernstliche Massregeln, „um das Ausreissen der Wa- 
lachen aus der Marmaros nach der Moldau zu verhüten.** Im 
J. 1787 war die Auswanderung der Walachen, wegen Armuth 
und Noth, aus den Thordaer und Inner-Szolnoker Comitaten nicht 
unbedeutend; um zur Eückkehr zu bewegen, wurden den ßück- 
kehrenden (1789) vier und (1790) fünf steuerfreie Jahre bewilligt. 
Auch im Missjahre 1816 verliessen mehrere Walachenfamilien 
ihre Dörfer, z. B. im Biharer Comitate wanderten damals die 
Walachen vom Gute Madarasz und Oläh-Homony aus; an deren 
Stelle siedelte der Grundherr Joseph Klobusiczka vierzehn Ti- 
roler Familien daselbst an ^). Die ethnographische Configuration 
jener Gegenden wurde dadurch wol im Einzelnen, aber nicht im 
Grossen und Ganzen verändert. Das Studium der Geschichte 
der Colonisation im vorigen Jahrhundert aber bietet mannigfache 
Belehrung über alle einschlägigen Verhältnisse. 

Darauf näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Uns inte- 
ressirt vielmehr, neben jener Streitfrage über die Wohnsitze der 
Walachen im Mittelalter die ethnische Wandelung der Balcan- 
halbinsel und deren Analogien an der Donau zu verfolgen: zu 
sehen, was bei dieser Catastrophe sich änderte, was beim Alten 
bUeb. 

Gegenwärtig wohnen in den westlichen Gebieten des »illy- 
rischen Dreiecks* noch 1,600000 Albanesen; hiezu kommen die 



hat. — Vgl. auch Czoernig, a. a. 0. II. 148 f . : »Es existiren im siebenbargischen 
Gesetzbache Sparen davon, dass die arspr üngliche walachische Beröl- 
lierong Siebenbürgens darch Ankömmlinge dieses Volkes aas 
der Walachei and Moldau zu verschiedenen Zeiten vermehrt worden sei 
(Compil. Gonstitut. p. III. tit. IX. art. 10 erwähnt einer solchen Ansiedlang in 
Jovis) ; ja dass manchmal eigenmächtig, ja mit offenbarer Gewalt von Seite der Wa- 
lachen derlei Niederlassungen erfolgten. (Approb. Constit. p. III. tit. V. art. 2. — 
Unter K. Mathias Corvin wurde 1487 ein auf obige Art gegründeter walachischer 
Ort Ujfalu sogar niedergebrannt). Auch sollen alte herrschaftliche Briefe vorhanden 
sein, nach welchen die Anlegung mehrerer walachischer Dörfer mit dem ausdrücklichen 
Vorbehalte erfolgte, dass im Falle der Vermehrung der anderen Bevölkerung oder 
der anderweitigen Verwendung des Platzes durch die Grundherrschaft, die gedachten 
Walachenorte geräumt werden müssten.* 
*) Czoernig, a. a. 0. in. 152. 



— 250 — 

fast acht Millionen romanisirter ThrakoUlyrer, die theils in den 
nordöstlichen Gegenden concentrirt sind, theils in den Gebirgen von 
Thessalien u. s. w. zerstreut leben. An den Küsten hin sitzeii 
Grifichen oder Bomäer, die inneren Gegenden sind sonst durchaus 
rtm den slavischmi Stäau&Bn occnpirt 

In den westlichen Donaulandschaften stösst slavisehes Ele- 
ment auf romanisches ebenfalls nur an den Küsten des adriatischen 
Meeres, in Görz und Friaul auch etwas weiter im Innern des 
Landes; u. z. theils an das italienische Sprachgebiet, theils an 
4m Aii8Uhi£ar des alpenromanischen Idioms. 

lieber die Art und Wose, in der Bomanen und Slaven hier 
gegen- und nebeneinander um ihre Wohnsitze kämpften oder sich 
vertrugen, sind wir sehr mangelhaft unterrichtet Aus den zeit- 
genössischen Schriftstellern erfahren wir nemlich nichts als die 
ausserordentlichen Ereignisse, die Kriegsthaten und Plünderungen, 
an denen es die Slaven mitunter nicht fehlen liessen ^). Dia fried- 
liche Entwicklung der Dinge, die daneben her gieng, vermögen 
wir nur nur auf indirectem Wege zu erkennen, zumal aus der 
Betrachtung der Ortsnamen. 

Was die westlichen Donaulandschaften betrifft, so stiessen 
dort im sechsten und siebenten Jahrhundert Bomanen und Slaven 
hart auf einander; geordnete Zustände waren in den Grenzland- 
schaften, wie z. B. dem Pongau, auf Jahrhunderte hinaus, unmög- 
lich gemacht von der stammfremden und heidnischen Nation ^). 



1) Vgl. darüber Jirecek, Gesch. d. Balgaren S. 94 1 : »Scbafiarik befand sich 
im Irrthom, als er meinte, die slavischen Familien wären nie in Massen und nie 
unter Eriegslärm nach Moesien und in die angrenzenden Länder, sondern vereinzelt 
und in aller Buhe eingezogen, indem sie nur zur friedlichen Feldarbeit einen ge- 
eigneten Boden suchten und nur zur Selbstvertheidigung die Waffen ergriffen. Diese 
Anschauung ist allzu idyllisch. In der Wirklichkeit waren die Slaven, als sie die 
Gefilde Thrakiens, Makedoniens, Moesieus und lUyriens besetzten, dasselbe kriege- 
rische Volk, welches das ganze Mittelalter hindurch unaufhörlich die Byzantiner 
bekämpfte und in unseren Tagen den Türken mehr als einmal seinen Kriegsmuth 
fühlen liess. Diesen Gharacter zeigten die Einwanderer bei den Stürmen auf Thes- 
salonich, auf den Corsarenfahrten im Mittelmeer und in hundertfachen Kämpfen mit 
den Griechen.* 

^ Vgl. darüber die Aufzeichnungen der Salzburger Kirche. Da heisst es unter 
anderem: »Gontigit ut a yidnis sdavis illi fratres, qui ad Fongor ö^f^ SaUburgensi 
sede ibidem destinati erant, ezinde expellebantur et ita multis temporibus de?asta 



-- 251 — 

Die Slaven drangen damals bis Innichen vor, wo ümen erst 
die Baiem entgegenzutreten vormochten. Das ganze untere Fu- 
sterthal ward von ihnen überfluthet; die Gegend an den Quellen 
der Drau, wo sie eben auf ernsten Widerstand trafen, furchtbar 
verwüstet. Den Fluss abwärts, hinein nach Kärnten, die Seiten- 
thäler der Drau, wie das sonst sehr slavisch gefärbte Tefereggen 
und das Gailthal, haben aber noch lange Bomanen neben Slaven 
innegehabt An den Grenzen Kärntens Meng damals die ladi- 
nische mit der nächst verwandten friauHschen Bevölkerung zu- 
sammen; sie zog sich hin fast bis zu den (ost-) romanischen 
(walachischen) Sprachinseln, deren Trümmer noch jetzt durch 
Erain, Istrien und Dalmatien zerstreut sind ^). Zahlreich erhielten 
in jenen Thälem im Gebiete der Drau sich die romanischen Orts- 
namen neben den slavischen und deutschen. Hierauf hat schon 
früher in Allgemeinen Steub aufmerksam gemacht^); jetzt sind 
von H. J. Bidermann darüber bei den Vorarbeiten zu seinem Buche 
über die „Bedeutung und Verbreitung der Eomanen in Oester- 
reich* an der Hand der Ortsnamen, wie die zu Lienz befindlichen 
Steuerbücher der theresianischen Zeit sie noch nennen, überraschend 
neue Thatsachen constatirt worden *). Die grösseren Orte der 

(sie) eadem ceUa (s. Maximiliani) propter imminentes sclavos et crudeles paganos.* 
JuTavia Anh. 88. Der salzburgische Lungau weist noch jetzt zahlreiche sla?ische Lo- 
calbenennungen auf. 

^) Vgl. Gzoernig, Oesterr. Ethnographie. I. 69. Miklosich, die slav. Elemente 
im Bumunischen S. 2 : »Eine zwischen Dalmatien, Groatien und Bosnien gelegene 
Gegend hies ehedem Vlachia.« In Dalmatien sassen die sog. Morlacchi, d. i. 
fiÄüpoßXa/ot, schwarze Lateiner. Näheres über diese bei W. Tomaschek, Oesterr. Gymnas. 
Zeitschr. 1876. S. 846. Die Reste von Bomanen in diesen Gegenden haben sich 
alle auch die slaTischen Landesprachen zu eigen gemacht und gehen in .die. Slaven 
allmählig auf; die Ausläufer eines Prooesses, der schon mehr als ein Jahrtausend 
währt. 

«) Vgl. Herbsttage in Tirol S. 252. Steub bemerkte unter anderem, der 
Ortsname Malentin, bei Gmünd in Kärnten — im zehnten Jahrhundert »molentina* 
— sei »deutlich ein romanisches molendino.* Im kärntischen MöUthale findet sich 
976 ein (durch den Namen als Bomane gekennzeichneter) Minigo mitten unter 
slavischen und deutschen Hörigen genannt. — Ueber Bomanismus und Slavismus 
im Traungau vgl. Krones, Handb. der österr. Gesch. I. 100. 

^) Prof. Bidermann hatte die Güte, mir darüber noch vor dem Erscheinen 
seiner Arbeit Nachricht zukommen zu lassen. Er macht aufmerksam, »dass vor 
hundert Jahren ein Gebiet, dessen Grenzen im Westen das Vilgratner oder richtiger 
das Winkel-Thal, im Norden die Berge Pater, Monzal und Bothstein, im Osten das 



— 252 -^ 

Bömerzeit haben in Ndricum fast alle ihre alten Namen beibe- 
halten, so Poetovio (Pettau), Celeia (Cilly), Teuniia (Debem im 
Lumfeld); den Namen von Loncium bewahrte Lienz im Puster- 
thale, an dessen Stelle das alte Aguntum gestanden zu haben 
scheint <), so dass eine der in den Donau- und Balcanlandschaften 
auch sonst nicht seltenen Namensübertragungen hier stattgehabt 
haben dürfte «). 

üeber das Verhältnis von Bomanismus und Slavismus m 
den Balcangegenden hat neuerlich Konstantin Jos. Jirecek in seiner 
vortrefflichen »Geschichte der Bulgaren* manchen guten Wink 
gegeben, indem er namentlich die bisher nur in fremden Idiomen 
publicirten Ergebnisse slavischer Forscher darin zusammenfasste ^. 



»böse Weible* sind, — (nOrdlich von der Drau) — rOUig imprftgnirt mit romanischen 
Namen war, wogegen am Abhängte gegen, das Iselthal zu diese slavischen und deut- 
schen Benennungen Platz machten, und jenseits Yilgratten die deutschen LocaJitäts- 
bezeichnungen wenigstens weitaus überwogen (wenn gleich noch einzelne romanische 
und auch slansche dort vorkamen). < In diesen Bereich, fallen die heutigen Orts- 
gemeinden Anrass, Assling, Bannberg und Burgfrieden. (Bemerkenswerth erscheint 
unter diesen Verhältnissen der Umstand, dass bei Bannberg die Volkssage ron einer 
hier yerschfltteten Bömerstadt zu erzählen weiss, auch nicht wenige antiquarische 
Funde dort zu Tage kamen. Vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg II. 449 f.) Aehnlich 
lassen sich für das hintere Gailthal mehr als hundert Kamen ron unzweifelhaft ro- 
manischen Gepräge anfahren, die meist noch jetzt im Munde der deutschen und 
slarischen Bewohner des Thaies fortleben als Nachklänge aus den rönusch-ladinischen 
Zeiten dieser (Gebiete. Dagegen weisen die yon Bidermann ebenfieills durchforschten 
westlichen Gegenden (um Toblach, Welsberg, Antholz u. s. w.) romanische Namen 
nur sehr yerelnzelt auf. Was mich zu obigen Schlüssen yeranlasste. Bezüglich des 
sehr interessanten Details ist auf Prof. Bidermanns Buch zu yerweisen, das alsbald 
erscheinen wird. 

■) Vgl. Mommsen im C. I. L. in. p. 590. Man hat früher Agunt und Innichen 
mit einander identiftdrt, den ältesten Namen Innichens : Intica aus Ag-untica ent- 
standen gedacht. Nach den übereinstimmenden Angaben yon Itinerar und Meilen- 
steinen muss aber Agunt in die Gegend yon Lienz yersetzt werden. Was V. Hintner 
im »Boten für Tirol und Vorarlberg* yon 29. Sept. 1874 dagegen yorgebracht hat, 
hält nicht Stich. Vgl. Mommsen in der Ephemeris epigr. II. p. 445. 

') Vgl. Jfilg, Verhandlungen der ^nnsbr. Philologenyers. 1874. S. 8. 

') Von Bedeutung ist die Schrift des Bulgaren Marin Drinoy, Prof. in Charkow, 
über die Golonisation der Balcanhalbinsel durch die Slayen, die 1878 in russischer 
Sprache erschien. In demselben Jahre yeröifentlichte Roesler in den Sitzungsber. 
der W. Akad. Bd. LXXIII. S. 77 — 126 einen Aufsatz »über den Zeitpunkt der 
slayischen Ansiedlung an der unteren Donau*, der yon anderen Gesichtspunkten aus- 
gehend zu anderen Resultaten kam. Jirecek hat ihn nicht benützt. 



— 253 — 

Jirecek bemerkt, dass, als die Slaven auf die Halbinsel ein- 
wanderten, sie die Länder zwar wüst, aber nicht menschen- 
leer fanden. ,, Nirgends auf der Erde ist es geschehen, dass ein 
unterworfenes Volk vollkommen verschwunden wäre, ohne einen 
Blutstropfen in den Adern oder ein Wort in der Sprache der Ero- 
berer zu hinterlassen* *). 

Er fuhrt dann aus, wie dieser Satz sich an der Balcanhalb- 
insel wirklich erwahren lasse. Die Slaven nahmen hier vor allem 
die zum Ackerbau geeigneten Thäler in Besitz, indem sie die 
Flüsse hinauf zogen bis zu derem Ursprung. Vor den slavischen 
Einwanderern flüchteten die früheren Bewohner in die Berge und 
diese blieben noch Jahrhunderte hindurch im Besitze von Thrakern, 
Albanesen, Bumunen, welche sich dort theilweise bis auf den 
heutigen Tag erhielten, zum grösseren Theile jedoch ihre Natio- 
nalität eingebüsst, höchstens den alten Namen sich bewahrt 
haben. 

In den Bergen des Balcans sind die slavisirten Beste dieser 
alten Bevölkerungen noch sehr wol von den eigentlichen -slavi- 
schen Bewohnern zu unterscheiden 2). 



^) Gesch. der Bulgaren S. 111. 

*) So schreibt z. B. ein neuerer allem Anscheine nach wol unterrichteter Cor- 
respondent der »Kölnischen Zeitung* vom 29. Mai 1876 (N. 149; 2. Blatt) aus 
Philippopel vom Bezirk Otlyk-Keui im Balcan, dessen Hauptstadt auf den Ruinen 
der alten Stadt Eamengrad erbaut ist: »Die Einwohner, nur Bulgaren, tragen in 
ihrem Typus noch Spuren anderen Stammes; so glaubt man manchmal ein tatari- 
sches, ein griechisches, ein römisches, ein urthrakisches Profil zu unterscheiden.* — 
Vgl. auch Jirecek S. 111. »Eine Reihe von thrakischen Stammesnamen hat sich 
erhalten: jener der im Altertum hochherflhmten Bossen als »Besenfara* oder Be- 
sengeschlecht ; der Sapaier als Sopi an der oberen Struma und an der Lilin-Planina ; 
der Faioner als Pijanci an den Quellen der Bregalnica in Nordmakedonien. Den 
Namen der Neroper gebrauchte man im altserbischen Staate, um eine Klasse von 
Unterthanen zu bezeichnen, etwa wie in Deutschland einst Slave und Sclave iden- 
tisch war. Wir scheinen es hier mit slavisirten Thracoromanen zu thun zu haben. -^ 
F. Kanitz constatirt in seinem Buche »Donau-Bulgarien und der Balcan*, dass noch 
heute bei den christlichen und moslimischen Bulgaren Traditionen der heidnischen Ro- 
saliafeste nachklingen. »Auf dem Rhodopegebirge sollen in letzter Zeit bei den 
»Pomad* (moslimischen Bulgaren) noch Traditionen des Orpheusmythus aufgefunden 
worden sein. Der Franzose Dozon erklärt aber diese Lieder für eine arge Mystifl- 
cation ihres Sammlers Verkovich.* Feuilleton der »N. Fr. Presse* 1876. Jänner 12. 
Man sieht, wie in diesen Dingen Vorsicht geboten ist. Auch walachische Volks* 



— 254 — 

Dass dieser Process in der Folge ziemlich friedlich von 
statten gieng, zeugt unter anderem auch die Thatsache, dass ein 
grosser Theil der alten thraco-illyrischen, hellenischen, romani- 
schen Nomenclatur von Bergen, Flüssen, Städten bis auf unsere 
Tage entweder unverändert, oder doch nur dem slavischen Ohr 
angepasst, sich erhalten hat. Im adriatischen Eüstenlande wurde 
aus Scodra Scadar, Lissus Ljes, Salona Solin, Albona 
Labin, Nona Nin, Scardona Scradin (das romanische ona 
ward regelmässig zu in). In Bulgarien wurde Bononia zu 
Biidin, Batiaria zu Arcar, Almus zu Lom, Dorostorum 
ZU Drstr, Naissus zn Nis, Astapus zu Stip, Scupi zu Skopje, 
Sirrae zu Ser, Debolia zu Devol. Nicöpolis behielt seinen 
Namen. Serdica, nach dem thrakischen Stamme der Serden 
so benannt, erhielt den Namen Sredec, was die Byzantiner in 
Triaditza umänderten. Thessalonica hies man Solun, Ha- 
drianopolis Odrin, Didymoteuchos Dimotica. Die Stadt 
Philippopolis überkam von dem benachbarten Plötinopolis 
den Namen Plovdiv. — Von Gebirgsnamen blieben vor allem 
S Card US (Sar) und Eh o dope (Eudopa). • Antike Flussnamen 
erhielten sich in grosser Zahl, freilich mitunter lautlich sehr ver- 
ändert: Naro Neretva, Drilon Drim, Margus Morava, Ti- 
macus Timok, Cebrus Cibrica, Oescus Isker, Utus Vid, 
Jatrus Jantra, Strymon Struma u. s. w. Altgriechische to- 
pische Bezeichnungen erhielten sich unverändert an den Küsten- 
strichen: Mesembria (altbulg. Nesebr), Anchialos, Kal- 
lipolis u. a. *). 

Die Bomanen widerstanden in den Gebirgen von Daden und 
der Balcanhalbinsel zum guten Theil der Assimilationskraft der 
Slaven: es bildete sich zwischen beiden Theilen vielmehr ein 
ähnliches Verhältnis aus, wie nachher in England zwischen den 
Normannen und den Angelsachsen : ein sprechendes Zeugnis davon 
ist die heutige walachische Sprache, in der das romanische 



lieder historisch-aatiquarischen Inhalts sind fabricirt worden. Braun-Wiesbaden 
a. a. 0. 890. 

^) Jirecek, a. a. 0. S. 107. Die Byzantiner behielten Qbrigens die klassische 
Nomenclatur auch für Gegenden noch hei, wo die yolkstflmliche längst eine andere 
geworden war. Officiell schien sich nichts geändert zu haben; dauerte die alte 
Yertuschungsmethode fort. 



- '255 — 

Element zum slavischen beiläufig in demselben Verhältnis 'fifteht, 
wie dort das germanische zu den eingesprengten franz^Tsischen 
Bestaudtheilen. Und auch sonst mag die Lage der Dinge eine 
ähnliche gewesen sein: denn wie in England drei Jahrhunderte 
hindurch die Bagen sich getrennt hielten, das Französische die 
Sprache des Hofes und Parlamentes war, vor dem das Angelsäch- 
sische als bäuerischer Dialect mehr in den Hintergrund trat, so 
bestimmten auch Jahrhunderte hindurch die Slaven die ganze 
Entwicklung in Kirche und Staat und in Sprache jener östlichen 
Donau-Bomanen *). Das Slaventum hat mit einem Worte der 
ganzen walachischen Ba^e recht eigentlich die Signatar aufgedrückt. 
Besonders scharf hat dies der alte Sulzer hervorgehoben. „Ich 
muss gestehen" — schreibt er^) — „ehe ich die Nation der 
Slaven und ihre mit^ den Walachen so ganz und gar übereinstim- 
menden Sitten, Tracht, Musik und Charakter durch den Umgang 
kennen lernte, ergieng es mir, wie anderen, die ohne Kenntnis 
dieses Volkes in dem Walachen und seinem römischen Namen und 
seiner Sprache nichts als trajanisch-dacische Bömer fanden oder 
zu finden glaubten.* .... Bald habe er sich jedoch vom Gegen- 
theil überzeugt. „Weit leichter wäre mir der Beweis geworden, 
wenn ich die Walachen für blosse Slaven ausgegeben hätte. Ihre 
halb lateinische Sprache und der Name Bumüny Bömer stund 
mir nicht im Wege *). Ich würde den Beweis also geführt haben: 



^) Miklosich, Altsloven. Formenlehre (1874) XXV: »Gelegentlich will ich nar 
hemerken, dass die christliche Terminologie der Bamunen so wie der his in eine 
riemlich späte Zeit fortgesetzte Gebrauch slanscher Kirchenbflcher auf einen Antheil 
der Slaven an der wol ziemlich späten Christianisirnng des rumänischen 
Volkes einen Schluss gestattet.* Vgl. Jirecek a. a. 0. S. 221. 

S) Gesch. des transalpinischen Badens. II. S. 428. 

*) Bezüglich des einheimischen Namens der Bomänen bemerkt Miklosich, die 
8la7. Elemente im Bnmunischen S. 4, dass derselbe dem lateinischen Bomanus so 
genau entspreche, als es nach den Lautgesetzen der rumunischen Lautlehre nur 
immer möglich sei. »Derselbe kann nicht aus dem griechischen Tco- 
|i.aloc entstanden sein und sein Ursprung darf nicht in jene Zeit versetzt 
werden, wo nach Verlegung des römischen Thrones nach Thraden auch die Griechen 
anfiengen sich Bömer zu nennen, wie sie es noch jetzt thun.* Wie Boesler Born. 
Stud. S. 145 gleichwol gehaupten konnte, »dass der Name, nach dem die Bomänen 
sich nennen und der ihnen gemeinsam ist mit den Griechen und zum Theil den 
Bulgaren eine Erinneiung sei an jene Tage, als auch sie Unterthänen des Ostlichen 
Beiches waren*, begreife ich nicht. 



— 256 — 

«Die Walachei! sind dea Slaven in der Tracht, Kost, Beligions- 
nnd Profangebräuchen, Tänzen, Musik und Gemüthscharackter, ja 
sogar drei Achttheilen der Sprache selbst vollkommen gleich, 
mithin aller Yermuthung nach ein slavischer Stamm; als Slaven 
Hessen sie sich unter Bömem nieder, nahmen ihren alten Namen 
an und bequemten sich nach dem ordentlichen Laufe solcher Be- 
gebenheiten zur römischen Sprache; doch nicht ohne merkliche 
Vermischung mit der ihrigen.* 

So Sulzer. Und gerade bezüglich der Sprache macht Diez, der 
Altmeister der romanischen Philologie, noch auf etwas aufmerksam. 
»Unter Umständen* — so meint er ^) — „kann eine Sprache ohne 
Beeinträchtigung ihres Charakters die stärkste Mischung ertragen; 
allein das Walachische war so zu sagen noch nicht 
zur Besinnung gekommen, als die fremden Stoffe 
es zu durchdringen begannen. Wie sehr ihm noch die 
Frincipien der Assimilation mangelten, bezeugt die allzu buch- 
stäbliche Aufnahme des Fremden. Slavische Laute und ganze 
Buchstabenverbindungen setzten sich unbewältigt fest.* Kaum 
die Hälfte dieser östlichen Lingua rustica sei lateinisch geblieben: 
unter dem Buchstaben B des Wörterbuches findet man 42 latei- 
nische und 105 fremde Wörter. 

Man ersieht daraus, dass hier die Slaven auf eine rohe ro- 
manische Bevölkerung trafen, der sie ihre Cultur und Sprache 
dann aufgepfropft haben ^). Das war namentlich der Fall seitdem 



^) Vgl. Grammatik der Roman. Sprachen. I. 141. 188. 

') Näheres Ist darüber nicht bekannt. Es ist namentlich, wie Miklosich be- 
merkt, »schwer festzustellen, welcher Grad von Sättigung einer Sprache mit Ele- 
menten einer anderen uns berechtigen, eine fleischliche Vermischung zweier Völker 
anzunehmen.* Die slav. Elemente im Bumunischen, S. 4. Doch hat Salzer, ge- 
stützt auf seine Kenntnis der jetzigen Verhältnisse, wie auf psychologische und 
sprachliche Erwägungen originelle Bückschlfisse versucht. Er führt aus, wie die 
yBömer*, die früher herrschende Nation, nach Festsetzung der Slaven unter ihnen, 
in sehr gedrückter Stimmung waren. »Jetzt war die Beihe anderen zu gehorchen 
an. sie gekommen; jetzt mussten sie froh sein, dass ihre slavischen Weiber ihre la- 
teinische Sprache radebrechen lernten, und lüstern genug, ^ie zu besitzen, mussten 
die Freier sichs vorher gefallen lassen, einige slavische Wörter zu erlernen, womit 
sie ihren Bräuten ihre Zärtlichkeit vortragen und ihre Liebe erklären konnten.' 
Denn der Begriff »Ich liebe* wird im walachisohen nicht durch ein romanisches, 
sondern durch ein slavisches Wort bezeichnet. Auch sei dem schönen Gescblechte 



— 257 — 

diese während des neunten Jahrhunderts zu nicht geringer Blüte 
sich entwickelt hatte, der Gottesdienst selbst hier in slavischer 
Sprache abgehalten wurde, die Schüler Gyrills und Methods — 
aus dem grossmährischen Eeiche vertrieben — bei den Bulgaro- 
Slovenen Aufnahme gefunden hatten. Unter deren Herrschaft 
haben die Walachen wie der Balcanhalbinsel, so auch wenigstens 
zeitweise jene von Dacien gestanden ^), und dessen Geschicke 
getheilt. 

Erst im eilften Jahrhundert trat eine Wendung ein. Im 
J. 1018 erlag die bulgarische Macht den Angriflfeu der Byzan- 
tmer unter E. Basilius II, dem „Bulgarentod.'' Die kirchlichen 
wie die politischen Verhältnisse des eroberten Landes wurden neu 
geregelt, unter der neuen Herrschaft Bulgaren und Walachen 
nunmehr sich gleich gestellt Der griechische Erzbischof für 
Bulgarien sollte unter sich alle Sitze vereinigen, welche zu Leb- 
zeiten der bulgarischen Gare Peter und Samuel demselben unter- 
stellt waren; es werden namentlich genannt die aus Khorasan 
stammenden und nach Macedonien als Gefangene übersiedelten 
Türken, die am Flusse Yardar wohnten, und überdies die über 
das ganze Bulgarengebiet zerstreut vorkommenden Walachen^). 



der alten Slaven immerhin so yiele Schamhaftigkeit, als dem neumodischen Frauen- 
zimmer, zuzutrauen, dass es seine Liebe nicht zuerst dem Mannsvolke werde ange- 
tragen haben. »Ganz gewiss lies es sich wie das unserige freien; es sah und hörte 
es gerne, wenn man ihm schön that, dass man ihm viel angenehmes sagte, sowie 
die Frauen in den galantesten Orten der Welt: denn Mädchen auf dem Dorfe sind 
wie die Mädchen in der Stadt [s. Uzens Briefe bei seinen Gedichten] ; und ich bin 
der Meinung, dass die Mädchen von der alten Welt hierinfalls ganz den Mädchen 
unserer neuen Welt gleichen, und dass ich also aus dieser sonst hieher nicht ge- 
hörigen Stelle schliessen könne, dass die walachische Sprache, wie wir sie itzo mit sla- 
Tischen Worten ausgeschmflckt, obwol noch allzuwenig kennen, ihren Ursprung keiner 
anderen Veranlassung, als der Liebe, zu danken habe.* Gesch. des transalpin. Ba- 
dens II. 60 iL Die ganze »sonst nicht hieher gehörige Stelle* legt zugleich Zeug- 
nis ab von dem Humor und dem praktischen Sinne, der durch Sulzer^s ganzes Werk 
sich hinzieht. 

^) Vgl. Jirecek, Gesch. der Bulgaren, S. 147 n. a. Die Bulgaro^Slovenen 
hatten im neunten und zehnten Jahrhundert sämmtliche von Ostromanen be- 
wohnten Gebiete inne. Ein Umstand, den Boesler consequent ignorirte. 

') Zu lesen in einer Nachtragsbestimmung zu einem Chrysobullion, welches 
K. Basilius nach Unterwerfung des bulgarischen Beiches im J. 1019 an den Erz- 
bischof Johannes erlassen hatte und von dem ein vollständiges Exemplar der russische 

Jong, die Donaa-Provinzen. 17 



— 2B8 — 

So verbUebea dieselben unter byzantinischer Herrschaft, bis 
diese im J. 1204 durch die erste Seemacht jener Zeit, die Ee- 
publik von S. Marco mit Hilfe der Kreuzfahrerschaaren zertrüm- 
mert ward mid nachdem schon die letzten Jahre vorher der Auf- 
stand ausgebrochen war, nunmehr das Eeich der vereinigten Bul- 
garen und Wlachen auf dem Boden des alten Moesiens und darüber 
hinaus neuerdings sich begründete ^). Zuletzt haben die Türken 
neuerdings «Stambul* zur Herrin der ganzen Balcanhalbinsel 
gemacht, was es bis in unser Jahrhundert geblieben ist, wo erst 
«Bomänien'' fast ganz wieder selbständig wurde und nunmehr 
einen der Halbculturstaaten des europäischen Ostens bildet, deren 
Zukunft die „orientalische Frage '^ in sich schliesst. 

Es ist dabei allerdings zu beachten, dass der Schwerpunkt 
der romanischen Dinge im Laufe der Zeit sich nach Norden ver- 
schoben hat. Im eilften und zwöften Jahrhundert sassen noch 
bedeutende Massen von Walachen in Thessalien an den Abhängen 
des Pindus, woher das dortige Hochland , Gross wlachien" (i^ ^sr^&kti 
Bkayla) genannt wurde. Ein anderer Theil sass in Moesien zwie- 
schen Haemus und Donau und bildete das , Weiss wlachien* der By- 
zantiner^); in deren Geschichte spielen zunächst diese beiden Massen 
eine EoUe, während die dritte nördlich der Donau befindliche für 
sie weniger in Betracht kam und gewöhnlich unter dem Collectiv- 
begriff „Scythen* zusammengefasst wurde. Offlciell hatte man 
es ohnedies nur mit deren Beherrschern zu thun, den verschie- 
denen Turkvölkem, den Kumanen, den Petschenegen, endlich den 
Magyaren. 



Archimaiidrit Forphyrii UpensMi in dem Kloster Sinai gefunden hat. Darin heisst 
es unter anderem: d'8aTCt{o|j.ev xauxa tcocvt« Yaxejjsiv t6v ahxb\f dY^tuxaxov &px^' 
nioxoTCOV vjai Xo^ßdvetv zb xavovtxöv cd>xm ndvTfuv xal xu>v ftva icäaav BooX- 
Yapiav BXdxü>v xai tu>v icspl tov BapBdpeiov Toüpxmv 2aoi Wzhq BooXfOLpixwv 
Spcuv eloL. — Bei W. Tomachek, zur walach. Frage a. a. 0. S. 845. VgL Jirecek, 
Gresch. der Bulgaren. S. 217. 

^) Vgl. über diese Zeit der Erhebung der Walachen Hopf: Gesch. Griechenlands 
im MA. Bd. 85. S. 167 ff. Roesler, Born. Studien, S. 100 ff. Jirecek, Gesch. der 
Bulgaren, 228 ff. Einige ethnographische Annahmen Boesler^s bezüglich der romän. 
Sprachinseln in Bulgarien berichtigte Kanitz in Petermanns Mitth. 1878. S. 68. 
Jirecek, a. a. 0. 576. 

*) Vgl. Hopf, Griechenland im Mittelalter. Ersch und Graber Bd. 85. S. 165. 
Jirecek, a. a. 0. S. 217 IL 



— 259 — 

Unter diesen stand ein Theil der dacischen Walachen, seitdem 
bulgarische Beich im J. 1018 aufgehört hatte zu existiren. 
Während auf der Balcanhalbinsel die Dinge ihren Gang giengen, 
die Macht der Bomäer langsam zerbröckelte, vollzog sich an der 
Donau die Consolidirung des ungarischen Beiches. Um diese 
endgiltig zu sichern, ward von dem herrschenden Stamme, der 
bisher auf das alte Pannonien sich beschränkt hatte, das dacische 
Hochland occupirt; es wiederholte sich sodann der Vorgang, der 
unter Traian hier einst für nöthig erachtet worden war, um die 
feste Position hier zu halten: das »Land jenseits des Waldes **, 
Siebenbürgen, ward colonisirt 



Vorher noch einige Worte über Daker, Slaven, Eömer und 
ihr Verhältnis daselbst zu einander; es sind darüber neuerdings 
wieder Ansichten geäussert worden, die ich unmöglich theilen kann. 

In den Liedern und Sagen jener südöstlichen Nationen, wie 
der Eleinrussen, der Serben, der Bulgaren und der Bumunen 
findet sich bis heute der Name Traians vor. Daraus zog man 
Schlüsse für die Ethnologie und Geschichte dieser Völkerschaften. 
Es ward behauptet, dass schon im Beiche des Decebalus neben 
den eigentlichen Dakern auch Slaven gesessen seien, als unter- 
drückte Bage ; die dann durch die Siege Traians be&eit den Namen 
ihres Befreiers in ihren Liedern verewigten. 

Auch auf der Balcanhalbinsel knüpften sich an Bauten Traians 
derartige Erinnerungen. « Unter dem Balcan ist eine Stadt Troian 
mit einem Kloster ; über die Topolnica nahe bei Tatar-Pazard2ik 
fahrt die Troiansbrücke (Troianov most); unweit davon sind Buinen, 
die von den Bauern „Troianograd" genannt werden, und der Pass 
Troianova Vrata (Kapud2ik).*' — „In der altrussischen Helden- 
sage ,Slovo polku Igorovö* (aus dem Anfange des dreizehnten 
Jahrhunderts) liest man von einem „trop Trojanj', d. h. von dem 
wolbekannten Traianswall im Gouvernement von Kyjev *), einer in 
der südrussischen Flachebene dem Volke jedenfalls geläufigen 
Erscheinung ; man liest vom Lande jenseits des Walles — nemlich 
von Dakien; die Zeit Troians wird dort weit vor die Jahre Ja- 



<) V|^ oben S. 44. 

17* 



— 260 — 

roslav's oder die Begierung des Oleg Svatoslaviß ins graue Al- 
tertum versetzt u. s. f. ^). 

Die Walachen machen noch besonders fttr sich geltend, dass 
bei ihnen auch K. Aurelian als Ler und Oilerun in Lied und 
Sage fortlebe ^). An Traian erinnerten sich die Walachen beson- 
ders lebhaft in der Nähe des eisernen Thores, wo Traians Brücke 
und Strasse gelegen war. In Siebenbürgen liegt ein Feld ,prat 
de la Traian **, magyarisch »Eeresztes-mezö** genannt^). 

Also die Abkömmlinge der alten Daker nicht weniger, wie 
die von deren Herrschaft befreiten Slaven priesen und preisen 
Traian. Mindestens die ersteren hätten dazu keinen Grund gehabt; 
und wahrscheinlich ist die ganze Sache anders zu erklären, als 
es den slavischen und walachischen Gelehrten bisher beliebt hat 
Die Bumunen des früheren Mittelalters .werden so wenig den 
Traian besungen haben, wie die Baeto-Bomanen den E. Augustus, 
unter dessen Auspicien sie die Freiheit verloren. Es war vielmehr 
hier wie dort ein stumpfes Geschlecht, das irgend welchen höheren 
Aufschwungs gar nicht fähig war — und von nationalen 
Helden könnte ohnedies nie die Bede sein, wenn man von Augu- 
stus und Traian spricht ; denn beide vernichteten eben Nationen, 
um das römische üniversalreich — die Negation jeder nationalen 
Sondergestaltung — zu erweitern und zu befestigen. 

Das vortreffliche Buch JireJ'eks gibt uns selbst einen Fin- 
gerzeig, wie wir die Frage vielleicht lösen könnten. Traian wird 
hier wie anderswo seine Popularität zu verdanken gehabt haben 
der Apokryphenlitteratur, die im Mittelalter so beliebt war und 
die auch bei den Bulgaren durch Vermittlung byzantinischer Ein- 
flüsse eine Fluth von Pseudoevangelien und Sagen hervorrief und 
namentlich durch die bekannte Secte der Bogomilen besonderen 
Vorschub erhielt^). Von Bogomil selbst, der im zehnten Jahr- 
hundert wirkte, stammte eine Beihe von Tractaten; darin war 
z. B. behandelt, wie Kaiser Frobus Christum seinen Freund nannte 



^) Vgl. Jirecek, Gesch. der Balgaren S. 75. Dort ist auch die sonstige Lit- 
terator über den Gegenstand verzeichnet. 

*) Vgl. Kopitar in den Wiener Jahrbüchern d. Litt. 48, 81. Miklosich, die 
slay. Elemente im Bumnnischen S. S. Hasden, istoria critica a Bom&nilorü. Bd. 1. 

*) Büsching, Grosse Erdbeschreibung VI. 271. Jirecek a. a. 0. 

^) Vgl. Jirecek a. a. 0. 485 ff. 



- 261 — 

(Anspielungen auf die Heiligkeit des südslavischen Pobratimstvo). 
In grossem Ansehen stand bei den Bogomilen ausserdem die 
uralte, schon den Gnostikem und Manichäern wolbekannte Vision 
des Isaias, die zum TheU von einem Juden zu Nero's Zeit ver- 
fasst sein soll u. s. w. 

Aehnliche Verbreitung, wie die religiösen Apokryphen erlangten 
auch zahlreiche Bomane und Märchen griechischen, arabischen und 
indischen Ursprungs, welche den Slaven durch bulgarische Ueber- 
setzungen bekannt wurden; so z. B. die Alexandersage, die ja 
auch im occidentalen Europa Verbreitung fand. Aus Bulgarien 
kam die Alexandersage nach Serbien, von dort ungefähr im fünf- 
zehnten Jahrhundert einerseits nach Bussland, andererseits ins 
adriatische Küstenland, wo sie im dortigen Dialecte umgearbeitet 
wurde. «Dem Einflüsse der Litteratui* ist es zu danken, dass 
der Name Alexanders des Gr. dem bulgar. Volke jetzt so gut 
bekannt ist, wie der K Marko's." Aehnlich war die trojanische 
Sage allgemein verbreitet ; mit naiver Impertinenz setzte im drei- 
zehnten Jahrhundert ein fränkischer Bitter — Gesandter der la- 
teinischen Constantinopolitaner — dem Könige der Bulgaren den 
trojanischen Ursprung der Franken auseinander, deren Nachkom- 
men das Becht hätten, an den Griechen Bevanche zu nehmen^). 

Ich denke, dass auch der Name Traians in solcher Weise 
und nicht in anderer bei den Bulgaren populär geworden ist, von 
denen er sowol zu den Bumunen — deren ganze mittelalterliche 
Entwicklung eben durch die Bulgaren bestinmit ward — als zu 
den anderen Slaven gekommen ist^). 

Traians Name kommt nemlich auch in den Apokryphen 
Westeuropa's vor; z. B. in der deutschen Kaiserchronik. Darin 
' wird vermeldet, dass S. Gregorius den K Traian von den Qualen 
der ÖöUe losgebeten und derselbe in der That vor Gott Gnade 
gefunden habe, weil er, obwol Heide, ein so weiser Bichter ge- 
wesen sei u. s. w. ^). Auch in spanischen Bomanzen ward Traian 



*) Vgl. Hopf, Chroniques Gr^co-Bomanes p. 79 f. 

') Es ist in dieser Hinsicht beachtenswert, dass wenn der Geschichtschreiber 
der Gothen Cassiodor (Jordanis) die Herrschaft derselben pragmatisch mit denen der Vor- 
gänger bis zurück auf die Scythen verfolgt, er das auch nur als gelehrter Compilator, nicht 
nach der Anschauung des Volkes zu thun unternahm. Wattenbach, Gesch. Qu. I, 69. 

3} Näheres bei Massmann, ]^ais9rchronik Jll. 758. 



— 262 — 

wegen seiner Gerechtigkeit und Milde gepriesen. — Bei den Slaven 
begegnet er häufig in ähnliche Apokryphen hineininterpolirt. 

Damit fallen nun aber die Gonsequenzen, die zuletzt JireSek 
aus dem Vorkommen Traians in den Sagen und Legenden der 
Slaven gezogen hat. 

Wenn Traian darin sogar den slavischen Göttern beigezählt 
wird, wenn er in der serbischen Volkssage dreiköpfig mit Wachs- 
fiügeln erscheint und was derlei mythologische Züge mehr sind, 
so zeigt das eben nur, dass seine Gestalt mit anderen zusam- 
menwuchs ; wie wir Analogien z. B. in der deutschen Sage genug 
haben. Mit Becht bemerkt hiezu einmal Boesler: «Wie manches 
ist auch mythisch im Liede, das man fdr historisch hält, die 
Gestalt heisst Earl der Grosse oder Friedrich Bothbart und ist 
eigentlich der alte Himmelsgott Wodan* *). 

Ein Beweis dafür, dass im Beiche des Decebalus Slaven 
sassen, diese üherhaupt schon in so früher Zeit in nähere Be- 
rührung mit den Bömem kamen, lässt sich daraus nicht ableiten 
und überhaupt nicht erbringen ^), 

Man hat dafflr ausser den Volksliedern und Sagen der Slaven 
und Walachen auch noch andere Momente vorgebracht; namentUch 
nach Schafariks Vorgänge^ einige Ortsnamen ins Feld geführt, 
die in römischer Zeit genannt werden und als slavische erklärt 
wurden. Der Plattensee sollte »lacus Pelso** genannt worden sein 
vom slav. pleso, d. h. See ; die Stadt Tsiema, am heutigen Flusse 



^) Born. Studien S. 288. In unserem Fall ist noch hervorzuheben der lit- 
terarische Schwindel, der seit dem Wiedererwachen der klassischen Studien, schon 
im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, mit dem Namen Traians in Sieben- 
bflrgen getrieben wurde: sofort hat man ihm zu Ehren Inschriften gefälscht. Vgl.* 
C. I. L. in. p. 6* ff. Auch nannte man römische Ruinen überhaupt Traiansldgrad 
(Traiansstadt), wie z. B. jene bei Bumum in Dalmatien (G. I. L. III. p. 867), welche 
von den Italienern »archi Bomani* benannt sind. 

') Bezüglich der angeblichen Erwähnung des Zusammenstosses Ton Wlachen, 
d. h. BOmem mit den Slayen bei Nestor vgl. Boesler, Born. Stud. S. 80. Die Be- 
oeption des Wortes »Calendae* in alle slayischen Sprachen (Jirecek S. 76) beweist wol 
ebenso wenig. Dasselbe wird im Zeitalter der Eiirolinger durch die lateinischen 
Priester zu den Slovenen gekommen, von diesen zu den Bulgaren und so weiter 
verbreitet worden sein. Vgl. Miklosich, Die slav. Elemente im Magyarischen, Denk- 
Bcriften d. Wiener Akad. 1871. S. 2 f. 

*) Vgl. JireSek, S. 74. Massmann, Libellus aurarius, 118. 



— 263 — 

T 

Ceraa unweit der walachisch-ungarischen Grenze wurde bezüglich 
der Stammsilbe mit dem slav. gern, schwarz in Verbindung ge- 
bracht. Schafarik that diesbezüglich den Ausspruch: «Da die 
Lage des Ortes über alle Zweifel erhaben, so ist Tsierna der 
Angelpunkt aller slavischen erdkundlichen Etymo- 
logie* ^) ein Anspruch, den wir völlig zu unterschreiben bereit 
sind. 

Es hat nun aber ein anderer berühmter Slavist einmal ein 
Wort geäussert, das ich mir ebenfalls zu citiren erlaube. Es lautet : 
9 Bei gutem Willen kann man ohne viel Scharfsinn selbst Mekka 
und Medina für slavisch erklären" ^), Dies Wort scheint mir 
wirklich hier zur Sache zu gehören und die Wahrheit zu prä- 
dsiren. 

Tsierna, wie es auf einer Inschrift heisst, oder Zerna, 
(bei Ulpian) oder At^pva (bei Ptolemaeus), Tiema (auf der Peu- 
tinger^schen Tafel) ward schon durch Traian römische Colonie '). 
Der Ort Zemetz in Engadin hat einen ähnlichen Stamm und ein 
scheinbar slavisches Sufiflx, obwol an Slaven in jener Gegend nicht 
leicht Jemand denken wird *). Jedenfalls haben die Versuche, 
demselben mit anderem Sprachschlüssel beizukommen, mindestens 
die gleiche Berechtigung; wenn sie auch nur zeigen sollten, wie 
sehr in diesen Dingen das Eathen über dem Wissen bei den 
Forschern zu überwiegen scheint. Jenes Zemetz leitete nemlich 
Steub bald nach Massmann, aber ohne von dessen Ansicht Kunde 
zu haben, vom raetischen Carunutusa ab 5). — Das scheinbar 



1) Schafarik, Abkunft der Slaven. 1828. S. 177. 

') Vgl. Miklosich, die slaylschen Ortsnamen aus Appellatiyen. (Denkschriften 
der Wiener Akad. XXI. 1872) S. 77. Uebrigens spricht sich auch Jirecek S. 67 ff. 
entschieden gegen ^ie Phantasien slayischer Gelehrter aus, die auf Grund willkürlich 
gedeuteter Ortsnamen die alten lUyro-Thraker für Slaven erklärten. 

8) Vgl. C. I. L. III. p. 248. 

^) Massmann, Libellus aurarius S. 118 hat es allerdings gethan. Auch 
Bidermann hat in seinem Aufsatze »Slavenreste in Tirol* (aus den »Slavischen 
Blättern* abgedruckt von der » Dorflinde ^, Wochenblatt f. tu-ol. Belletristik. 1866. 
N. 1. 2. 8) Dinge behauptet, die ich nicht verantworten möchte : sämmtliche Veits- 
kirchlein in Tirol und selbst Vorarlberg nimmt er direct für Gott Suantevit in Be- 
schlag, obwol S. Veit auch Patron der deutschen Bergknappen war; in Wälschtiro] 
werden slavisch-communistischeEinflt^sse gewittert, die Trachten herangezogen n. dgl. m. 

3) Vgl. Steub, über die Urbewohner Kaetiens. 1848. S. 184. Zur Bhaet. 



— 264 — 

slavische SofQx aber kommt ebenfalls in raeto-romanischen Orts- 
namen oft genug vor. So wurde z. B. aus der römischen Station 
unweit des Ursprunges der Isar, Scarbia: Scarantia, Scharanz, 
Schamitz, wie Eostnitz aus Gonstanz; das man deshalb doch 
nicht für eine slavische Ansiedlung halten darf ^). 

Was aber den ,lacus Pelso* betrifft, so würde derselbe, 
wenn Pelso das slav. «See* ist, der See „See'' heissen; was am 
Ende nicht unmöglich wäre, da solche Umwandlungen von Ap- 
pellativen u. s. w. in Eigennamen auch sonst in zweisprachigen 
Gegenden erfolgt sind^. Aber es spricht gegen eine Deutung 
des Namens aus dem Slavischen nicht weniger als AUes. Der 
«lacus Pelso* kommt bereits bei Plinius vor und als dessen 
Anwohner erscheinen die keltischen Boier. lu der Nähe des Pla1>- 
tensees ist ein römisches Müitärdiplom aus der Zeit des Ante- 
ninus Pius gefunden, welches einem Mann vom pannonischen 
Stamme der Azaler angehörte^. Alles Fingerzeige, dass die 
damalige ethnographische Gestaltung der Umgegend nicht eiae 
slavische war, der Name « Pelso* mit «pleso* nichts zu thun hat 

Und das hat auch seinen guten Grund. Zwischen Römern 
und Slaven sassen in jenen früheren Zeiten noch die germani- 
schen und andere Yölkerstämme (wie z. B. die freigebliebenen 
Daker) und hinderten einen unmittelbaren Verkehr zwischen jenen; 
erst in dem Maasse als die Germanen gegen Westen zogen, 
drangen die Slaven nach der Donau und der Balcanhalbinsel vor. 



Ethnologie S. 158 und 187. Vgl. auch Namen wie Ardez in Engadin, Lngnez am 
Vorderrhein, Vigniz, Seitenthal der Faznann n. s. w. 

Es hat allerdings nicht an Anl&ufen dazu gefehlt, Schamitz für einen slavi- 
schen Namen zu erklären ; Prof. Bidermann wollte a. a. 0. damit sogar in Verhindong 
bringen, dass Kloster Innichen im (damals slavischen) Pusterthale von Scharnitz aas 
mit Mönchen versehen wurde. Der ganzen Annahme fehlt die rechte Begründung: 
das Pusterthal ist jedenfalls nicht von slavischen, sondern von deutschen Mönchen 
germanisirt worden. Uebrigens vgl. man was Miklosich über das auch im Albane- 
sischen und Neugriechischen vorkommende Suffix itza sagt; es hat auch hier mit 
dem Slavischen nichts zu thun, obwol man es für einen Beweis der Slavisirung des 
Griechischen mitunter angeführt hat. »Die slav. Elemente im Neugriechischen* S. 586. 

*) Z. B. Schnapfenkeller in Tirol ; Schnapfen, scheint das alte canaba, »Keller* 
zu sein. Steub, Rh. Ethnol. S. 109. Anderer Beispiele gibt es genug. 

^ C. L L. m. p. 528. Vgl oben S. 59. 



— 265 — 

um im sechsten und siebenten Jahrhundert die ethnische Wan- 
delung derselben von Grund aus zu bewirken ^). 

Damals war Dacien das Durchzugsland der slavischen Horden, 
die Griechenland bis zu seiner südlichsten Spitze hinab mit neuem 
Blute erfüllten: wie hier der Graecismus hat dort der Bomanis- 
mus sich erhalten und sich das fremde Element assimilirt 

So war die Lage der Dinge, als die ungarische Begierung 
im zwölften Jahrhundert das wichtige Bergland von Dacien in 
Besitz nahm und colonisirte. Eines der interessantesten Kapitel 
mittelalterlicher Golonisationsgeschichte, an das sich gleichfalls 
allerlei Hypothesen und Irrthümer knüpfen bezüglich der Ge- 
schichte der Walachen oder Rumänen. 



Siebenbürgen, einst in römischer Zeit die blühendste der 
Landschaften an der Donau, war während der folgenden acht- 
hundert Jahre völlig in Barbarei versunken gewesen. Alle mög- 
lichen Völker hatten sich hier herumgetummelt: erst während der 
Völkerwanderung Germanen, dann die verschiedenen Turksiämme, 
die aus der südrussischen Steppenplatte hervorgebrochen waren: 
die Begründung eines neuen Zeitalters der Gultur war von keinem 
derselben ausgegangen. Die. Bewohner hielt man in strenger 
Knechtschaft, sie waren die Heloten der Eroberer. In ärmlichen 
Hütten wohnten sie, theils mit Ackerbau beschäftigt, theils als 
Nomaden mit ihren Heerden herumziehend. Die Bevölkerung war 
unter diesen Umständen ziemlich dünn, das Land rauh und mit 
Wäldern bedeckt. 

War es doch in Pannonien damals nicht viel anders. Dort 
sassen seit dem Ausgange des neunten Jahrhunderts die Magya- 



^) Man ygl. bezflglich der ganzen Krage, um die es sich hiebe! handelt, die 
Abhandlung von Boesler »Ueber den Zeitpunkt der slayischen Ansiedlnng an der 
unteren Donau.« Sitzungsber. d. W. Akad. LXXIII. S. 77 ff. Bei der kritischen 
Bestimmung jenes Zeitpunktes wird dabei nelleicht Aber das Ziel hinausgeschossen : 
das »argumentum ex silentio* und »ad hominem* über ethnographische Fragen des 
Mittelalters ist viel vorsichtiger anzuwenden, als es Boesler (a. a. 0. S. 108 f.) 
zu thun pflegt. Aber den Ausführungen über die Lage der Dinge in den früheren 
Jahrhunderten der rOm. Kaiserzeit, S. 77 — 83, wird man beistimmen und gegen die 
Einwanderungsthese von Drinov, die Jirecek wiedergibt, geltend machen müssen. 
Auch Büdingers Ausführungen, Gest. Oesch. I. 71 ff. scheinen mir durchaus zutref- 
fend zu sein. 



— 266 - 

ren, ein finnisches Beitervolk, als der Adel unter slavischen 
Knechten; das Land selbst unter der Herrschaft des arbeits- 
scheuen Stammes, der nur Erleg Jagd und Fischerei als seiner 
würdig erkannte, vernachlässigt und verwildert^). 

Noch im zwölften Jahrhundert wohnten die Magyaren hier 
unter Zelten und verabscheuten städtisches Leben. 

Da machte die Gonsolidation des deutschen Beiches im 
Westen, des byzantinischen im Süden den Plünderzügen ein Ende, 
die sie bis dahin in alle umliegenden Landschaften untemonmien 
hatten, um sich jenen Comfort zu verschaffen, den durch eigene 
Arbeit zu erzielen sie zu faul waren. Da ihnen zugleich durch 
die Turkstänmie im Osten der Bückzug dahin versperrt war, er- 
folgte denn nothgedrungen und eingezwängt nach allen Seiten, 
wie man war, durch einige gewaltige Fürsten die Einfügung des 
Magyarenreiches in die Beihe der Halbculturstaaten der damaligen 
civilisirten Welt, durch die Annahme der Beligiön und der Ver- 
fassungsformen des germanisch-römischen Europa's. 

Dieses aber war damals wesentlich bestimmt durch die im- 
ponirende Machtstellung, die Deutschland und das Eaiserreicli 
deutscher Nation einnahmen. 

um Fannonien selbst in der Hand zu haben muss man auch 
Siebenbürgen besitzen. Noch im Laufe des eilften Jahrhunders 
ward die Eroberung realisirt. Hierauf colonisirte man die wich- 
tigsten Funkte des Landes erst durch magyarische Ansiedler, die 
sog. „ Grenz Wächter '^ oder Szekler; und als man sah, dass die 
Kraft des eigenen Volkes nicht hinreichte, beschlossen die unga- 
rischen Könige Ansiedler »aus allen Theilen der Welt*, wie einst 
Traian, hieher zu verpflanzen. Diese » Welt ** war nun aber nicht 
ungarisch, wie sie einst römisch gewesen war, sondern vorzugs- 
weise deutsch ; und so pactirte die Begierung mit den Golonisten, 
die ihrem Bufe folgten^; dafür, dass sie den expönirten Posten 



*) Vgl. Kegiuo M. G. SS. I. 600 über die Ungarn: »Et primo quidem Pan- 
noniorum et Avarum solitndines pererrantes, yenatu et piscatione yictoin 
cottidianum quacritant.* 

3) Es waren hauptsächlich »flandrische* oder »sächsische* Ansiedler, d. h. 
zumeist Leute yom Niederrhein, die hieherzogen aus der fiberyölkerten und sonst 
durch Unglück beschädigten Heimat. Ein merkwürdiges Beispiel, worauf Watten- 
bach zuerst aufmerksam gemacht hat, ist hiefür, dass im J. 1108 Anselm, ein yoll- 



— 267 ~ 

zu halten und zu schützen unternahmen, wurden sie mit Privi- 
legien bedacht, welche ihnen die ausgedehnteste Autonomie zu- 
sicherten. 

So erfolgte die deutsche Colonisation Ungarns und Sieben- 
bürgens, wodurch diese Länder erst wieder der Cultur zugeführt 
wurden; denn diese hängt auf das innigste zusammen mit dem 
städtischen Leben, mit der Entwicklung bürgerlicher Freiheit und 
Behäbigkeit ; Begriflfe, die seitdem die Eömer hier vertrieben oder 
vernichtet worden waren, unbekannt geblieben sind, bis die „ Schwa- 
ben*, die »Flander*, die „Sachsen* sie neuerdings begründeten. 
Zwischen dem magyarischen Adel, der am liebsten nichts that, 
und den geknechteten früheren Bewohnern, die als Parias behan- 
delt wurden, bildete sich so ein Mittelstand, der Arbeit und Frdheit 
zu gleicher Zeit auf die Fahne geschrieben hatte und die Cultur 
in Wahrheit nach dem Osten trug ^). 

Die ungarische Geschichte ist die Geschichte des Verhält- 
nisses, in dem diese drei Factoren der Bevölkerung des Beiches 
zu einander gestanden sind und wie zugleich das Königtum je- 
weilig dazu sich gestellt hat. 

Zunächst sehen wir nur König, Adel und das deutsche Bauem- 



freier Mann aus dem Ardennerwalde, den Entschluss üasste, sein Lehen (er trug bis 
dfthin den Zehnten der Kirche zu Bras unweit Kloster Stablo zu Lehen) zurflckzu- 
geben und mit den dafür erhaltenen 12 y^ Mark Silber nach Ungarn zu gehen, 
dort wie viele andere sein Grlfick zu suchen. Maurer, Die Besitzergreifang Sieben- 
bflrgens S. 88. Ueber den Collecti?begrüf »Flandrer* ebenda S. 72 ff. Watten- 
bach, Die Germanisirung der dstL Grenzmarken S. 406. 

^) Merkwürdig ist die in dem ungarischen Gesetzbuche (»Corpus Juris Unga- 
rid Tripartitum*) vorkommende Stelle einer Schrift StefEin's, ersten Kbnigs von 
Ungarn an seinen Sohn Emmerich (c. 6 : »de acceptatione Exterorum et nutrimento 
Hospitum*), wo er seine Ansicht über die Colonisation und Berufung von Einwan- 
derern fremder Yolksstämme ausspricht: »In hospitibus et adventidis viris tanta 
inest utilitas, ut digne sexto in loco Begalis dignitatis possit haberi.* 

§. 1. »Unde imprimis Bomanum crevit Imperium, Romanique Beges subli- 
mati fuerunt et gloriosi ? nisi quod multi nobiles et sapientes ex diversis illuc con- 
fluebant partibus. Borna vero usque hodie esset andlla, nisi Aeneades ipsam feds- 
sent liberam. §. 2. Sicut enim ex diversis partibus provindarum veninnt hospites, 
ita diversas linguas et consuetndines, diversaqne doeamenta et arma secum ducnnt, 
quae omnia Begiam ornant et magnificant aulam et perterritant exterorum arrogan- 
tiam. §. 8. Nam unius linguae uniusque moris Begnum imbecille 
et fragile est.* — VgL Czoemig, Ethnographie der Osterr. Monarchie I. Yorr.XlI. 



— 268 — 

und Bürgertum auf dem Plane: die geknechtete frohere Bevöl- 
kerung ward ignorirt und hatte keinerlei Einfluss auf die öffent^ 
liehen Angelegenheiten. 

Wie in Ungarn, so auch in Siebenbürgen. Wie ein KeU 
war im zwölften Jahrhundert hier die magyarisch-deutsche Colo- 
nisation eingedrungen in das Territorium der Walachen. Die 
einzelnen Glieder jener Oolonisation : die sächsischen Ansiedler, 
die Szekler, der magyarische Adel theilten sich zugleich in die 
Herrschaft des Landes als kraft des Bechtes der Eroberung aus- 
schliesslich und allein berechtigte « Nationen ''; wärend die Wa- 
lachen nichts waren, als die dienende rechtslose Masse. Es war 
hier wie anderswo in den Goloniallanden der Deutschen, und aller 
anderen Völker der alten wie def neueren Zeiten. 

D. h. darum dreht sich eben die Gontroverse. Boesler be- 
hauptete nemlich, dass die Walachen deshalb von den privile^rten 
Standen ausgeschlossen worden seien, weil sie bei der Theilung 
des Landes zu spät kamen. Er stützt diese These damit, dass in 
den ersten Urkunden, die den Besitzstand der Sachsen und der 
eine zeitlang hier gegen die Eumanen kämpfenden Deutschordens- 
ritter bestätigten, das Land als ,wüst und unbewohnt^ bezeichnet 
werde. Um 1200 würden die Walachen noch in einer Urkunde 
nicht genannt; im J. 1222 erscheinen sie in einer solchen: 
kein Zweifel, meint Boesler, dass sie inzwischen erst hier einge- 
wandert seien. 

Der Beweis scheint wirklich schlagend zu sein und wer die 
Dinge so abstract ninunt, wie sie hingestellt werden, mag sich 
immerhin davon überzeugen lassen. Indess man muss nur wieder 
die Verhältnisse anderer Landschaften zur Vergleichung heran- 
ziehen, um zu einem ganz anderen Besultate zu kommen. 

Wenn nemlich in den Urkunden des zwölften und dreizehn- 
ten Jahrhunderts die Gegend, in der die Siebenbürger Sachsen 
angesiedelt wurden, als „Wüstenei* (desertum) bezeichnet wird, 
so beweist das für den damaligen ethnographischen Character Alt- 
daciens so wenig, als ganz und gar ähnliche Ausdrücke in den 
Gründungsurkunden der Erlöster, durch die die Germanisation in den 
westlichen, theils romanischen, theils slavischen Colonisations- 
gebieten der Deutschen vor allem vollbracht ward, für völlige 
Abwese^heit dort romawschen hier 9lavi9cbeu Bauemvolkes und 



— 269 — 

die damalige Verödung ganz Tirols oder Steiermarks oder Schle- 
siens ins Feld geführt werden dürften und könnten ^). Denn wei- 
tere Urkunden oder sonstige Nachrichten, die uns zu Grehote 
stehen, beweisen eben das Gegentheil und zeigen, dass jene «Wü- 
steneien* und 9 Einöden '^ sehr ,cum grano salis'* zu nehmen 
seien. Es sind rhetorische Floskeln, auf die Wenigstens für ethno- 
graphische Forschung irgend wie ein Gewicht nicht gelegt werden 
darf. Mitunter macht sich die Manier fast komisch, wenn es 
z. B. in der Stiftungsurkunde der Fropstei Neustift vom J. 1142 
— in der herlichen Gegend von Brixen — in einem Athemzuge 
heisst, das Kloster sei gegründet ,an einem schauerlichen und 
öden Orte, am Zusammenflusse aller Strassen; in der Umgebung 
von Landhäusern und Nachbarn * ^). 

Als Ausgangs des achten Jahrhunderts der baierische Herzog 
Tassilo zur Bekehrung der Slaven das Erlöster Innichen im Pu- 
sterthale gründete, wird auch hier die Gegend bezeichnet als ,von 
jeher öde und unbewohnt % obwol häufige romanische Ortsnamen 
darthun, dass die Gegend damals ganz gut bebaut war. — So 
auch in Graubündten. Dort wanderten im dreizehnten Jahrhun- 
dert die Walliser ins Thal Daves ein. ,Dass dies Thal nicht, 
wie gewöhnlich behauptet wird, eine unbewohnte Wüstenei gewe- 
sen, geht schon aus den vielen romanischen Ortsnamen hervor, 
welche doch gefunden werden und die jedenfalls vor dieser Ein- 
wanderung schon vorhanden waren**). — Ganz dieselbe Wahr- 

^) Der Sprachgebranch der römischen Zeit war ähnlich. In der »Boierwfiste*. 
Sassen, wie die Inschriften darthnn, noch in der Kaiserzeit Boier, obwol Schrift- 
steUer deren irflhere Ausrottung durch die Daker yermelden. C. I. L. III. p. 625. 
Bei Strabo ist zu lesen, dass die illyrischen Dassareten yon keltischen Soordiskem 
der Art aufgerieben worden seien, dass ihr Land mit unermesslichen W&ldem sich 
überzog. Hahn hat aber eine Inschrift entdeckt, welche beweist, dass auch die Das- 
sareten diese Gegenden noch in der Eaiserzeit bewohnten. Jirecek, 6. d. Bulgaren 61. 

*) »in looo horrendo et incnlto — in capite omnium platearum — adiaoen- 
tibus Tillis et Tidnis.* — Nenstifter Urkundenb. Font. rer. Anst. dipl. XXXIV. 
p. 2. VgL Steub, in dem Aufsatze über »die Entwicklung der deutschen Alpen- 
dörter« Augsb. »Allg. Ztg.« Beil. 1875. Sept. 15. — Inama hat Beil. z. »Allg. 
Ztg.« 29. Okt. 1875 einige Folgerungen Steub's in wirthschaftlicher Hinsicht modi- 
fldrt ; in Bezug auf die Ethnographie hat Steub Becht behalten. 

*) »ab antiquo tempore inanis atque inhabitabilis.« Meichelbeck. bist. Frising. 
n. n. 582. Vgl. Steub. a. a. 0. 

«) Vgl. Steub, XI. Schriften III. 152. 



— 270 — 

nehmnng machen wir in den slavischen Grenzmarken des deutschen 
Reiches ^). Da ward z. B. im J. 1175 wenige Meilen unterhalb 
Bresslau das Kloster Leubus gegründet In wenigen Jahrzehnten 
war durch den Fleiss der Klosterleute die dortige Gegend wie 
gänzlich umgewandelt, so dass ein alter Mönch schon für nöthig 
hielt, seinen Genossen den Zustand der ersten Stiftung ins Ge- 
dächtnis zu rufen; er that es in einem Gedicht. Darin heisst 
es: »Das Land war von Wald bedeckt und ohne Be- 
bauer; das polnische Volk arm und faul. Es pflügte 
den sandigen Boden mit krummen Hölzern und verstand nur 
mit zwei Kühen zu ackern. Im ganzen Land war keine Stadt, kein 
Flecken, sondern nur bei den Burgen ein offener Marktplatz und 
eine Kapelle. Kein Salz, kein Eisen, keine Münze und kein Me- 
tall hatte das Yolk, auch keine guten Kleider; nur seine Heerden 
weidete es. Solche Herrlichkeiten fanden die ersten Mönche; durch 
sie aber ist das Land mit allen diesen Dingen erfüllt, weil sie 
diejenigen hereinbrachten, durch welche alles dieses aufgefunden 
wurde. Durch ihre Arbeit leben wir nun so frei, aber nie sollen 
wir glauben, dass wir es durch uns selbst haben. ^ 

So der alte Mönch ^). Seine Äusserungen sind sehr charakte- 
ristisch für die Anschauungsweise und das Selbstgefühl der deut- 
schen Golonisten in den Landen des Ostens und für den Sprach- 
gebrauch der Zeit. Dieser wörtlich genommen würde voll 
üebertreibungen sein, wie auch Wattenbach bemerkt. Denn schon 
in den ältesten Nachrichten kommen recht ansehnliche Tribute 
vor, welche die Slaven zahlen mussten, wenn sie im Ejriege be- 
siegt waren, wie z. B. Kasimir von Polen im J. 1054 sich gegen 
die Eückgabe von Schlesien zu einem jährlichen Tribut von 500 
Mark Silber uud 50 Mark Gold an den Herzog von Böhmen ver- 
stand, was denn doch beweist, dass das Metall hier nicht so un- 
bekannt war, wie der Mönch schreibt; Gold ward schon in pol- 
nischer Zeit gewonnen; auch Abgaben der Bauern an Geld in 
ihren eigenen Ländern werden nicht selten erwähnt. Und die 
Bedensart: ,,das Land war von Wald bedeckt und ohne Bebauer; 



') VgL Wattenbach »Die Gennaiiisinuig der Ostlichen Grenzmarken des deat- 
sehen Beiches.« Bist. Zeitschr. IX, 886-^417. 

*) Wattenhach a. a. 0. 404. (Monum. Lubensia. 14). 



- 271 — 

das polnische Volk arm und faul' hebt eigentlich im zweiten 
Satz auf, was im ersten gesagt ist. Eis zeigt das eben nur neuer- 
dings, wie die Floskel von der , Wüstenei" in den Gründungs- 
berichten der deutschen Colonien jener Zeit überall aufgefasst 
wurde und welches Gewicht wir darauf zu legen haben. »Der 
schlechte Anbau des Landes, der elende Zustand des polnischen 
Bauers ist unzweifelhaft und wenn man jene Schilderung auf die 
unterdrückte Bevölkerung des Leubuser Kreises beschränkt, mag 
sie wol der Wahrheit nahe kommen* *). 

Beispiele, die sich leicht vermehren liesen, wenn es darauf 
ankäme, z. B. aus den Urkunden die sich auf die Golonisation 
der kämtischen Marken beziehen ; ich will aber nur noch an eine 
Analogie erinnern, weil dieselbe mit der Golonisation Siebenbür- 
gens völlig übereinstimmt, sowol zeitlich als auch was die An- 
siedler betrifft. Ich meine nemlich die Golonisation Wagriens 
durch den Grafen Adolf von Holstein, worüber der Ghronist Hel- 
mold, der Pfarrer zu Bosau am Ploener See und Zeitgenosse 
Heinrichs des Löwen, ausführlich berichtet. Nachdem Helmold 
die Unterwerfung des Landes Wagrien durch den genannten Grafen 
erwähnt hat, föhrt er dann (I, 57) fort: »Weil aber das Land 
menschenleer war, so sandte er Boten in alle Lande, nach 
Flandern und Holland, nach Utrecht, Westfalen und Friesland, 
und lies alle die, welche um Land verlegen wären, auffordern, mit 
ihren Familien hinzukommen: sie würden dort ein vortrefiSiches 
Land erhalten, ein geräumiges, fruchtbares Land u. s. w. ' Zahl- 
reiches Volk folgte dem Bufe und nahm Besitz von dem Ge- 
botenen. 

„Das Ploener Land war noch unbewohnt* 

Von Ploen eben heisst es aber später (83) : , der Graf baute 
die Ploener Burg wieder auf und gründete daselbst eiae Stadt 
und einen Markt. Die Slaven aber, die in den umlie- 
genden Ortschaften wohnten, zogen sich zurück und 
es kamen Sachsen und wohnten daselbst. »Und die Slaven 
verschwanden allmählig aus dem Lande.^ 

So wurden damals auch die sächsischen Marken germanisirt. 
Man sieht aber aus Helmold^s obigem Berichte wieder, wie das 



^) Wattenbach a. a. 0. 405. 



— 272 — 

Floener Land erst als «unbewohnt* bezeichnet wird, während 
gleich daranf «die Slaven, die in den mn die Floener Borg lie- 
genden Ortschaften wohnten^, erwähnt werden. 

Nun, demselben Sprachgebrauch begegnen wir eben auch in 
den Nachrichten, die uns über die Colonisation Siebenbürgens 
erhalten sind. Da erscheint z. B. in einer XJi^unde von 1211 
«das Burzenland jenseits des Waldes gegen die Eumanen zu 
als verödet und unbewohnt* *). Wie das zu nehmen ist, be- 
weist eine zweite Urkunde vom J. 1222, worin die von 1211 
bestätigt und erweitert wird; auch hier ist, u. z. mit denselben 
Worten «das Burzenland jenseits des Waldes gegen die Kuma- 
nen zu als verödet und unbewohnt* genannt; aber als angrenzend 
«SzeMerland* und «Walachenland* erwähnt 2). 'Und von da 
an erscheinen Walachen und Petschenegen in den Urkunden des 
Landes, worin die Bechte der einzelnen Yolksstämme und Ansied- 
lergruppen näher bestimmt werden, z. B. im grossen Freiheits- 
brief der Sachsen von 1224 ^ immer wieder genannt. 

Jene gedrückte Stellung der Walachen im ungarischen Staate 
hat eben bis ins vorige, ja bis in unser Jahrhundert herein sich 
erhalten, wo dann wie bei den südslavischen und sonstigen unter 
türkischer Herrschaft stehenden Völkern auch hier die Emand- 
pationsbestrebungen begannen. Die österreichische Begierung, mit 
den Ungarn häufig in Gonflict, suchte sich auf die anderen Na- 
tionalitäten des Landes zu stützen und beförderte deren Gultivi- 
rung durch deutsche Beamten und Schulen^). Ln J. 1774 hat 



^) Die Urkunde nennt »terram Borza nomine ultra Silvas yersns Cunumos licet 
desertam et inhabitatam.* Siebenbürg. Urkundenb. p. 9. 

*) Siebenbürg. Urkundenb. p. 12. 

*) »preter supradicta silyam Blacorum et Bissenorum cum aquis, usus oom- 
munes ezercendo cum predictis sc. Blacis et Bissenis, eisdem contnlimus.* Siebenb. 
Urkundenb. S. 28. S. 

^) K. Joseph n gal^sich alle Mühe, die Gehässigkeiten zwischen Romanen 
und anderen Nationalitäten auszugleichen, welche, genährt durch die Beligionsyer- 
sdiiedenheit, seit lange eingewurzelt waren, und in dem siebenbürgi8ch-walacliische& 
Aufstände unter Bora und Kloschka, auf so auff&llende Weise sich kundgaben; To- 
leranz und Unterricht sollten die bessere Verständigung nach dem Wunsche des Ho- 
narchen anbahnen. In der Instruction an die königlichen Ereiskommissäre in Un- 
garn heisst es : »die Walachen sind noch sehr der Unterdrückung und einer sdan- 
scihen Behandlung gewohnt gewesen, dass ihnen auch ihre WohnOrter ganz c^eich" 



— 273 — 

Thunmann in seinen Untersuchungen über die Geschichte der 
östlichen europäischen Völker zuerst wieder die Aufmerksamkeit 
des Occidents wie auf die Albanesen, so auch auf die Walachen, 
gelenkt. Dann erschien Sulzer's Buch, angehaucht von dem Geiste 
des achtzehnten Jahrhunderts, dem Geiste Voltaire's, den der Ver- 
fasser häufig citirt, und Joseph's II, von dessen Eeformen er das 
Beste far die Hebung des walachischen Volkes erwartete. Und 
so gieng es fort *). Dem ernstlichen Streben secundirte, da die 
Regierung oft genug die Zügel verlor und ihr System nicht mit 
Ausdauer, Energie und Intelligenz fortzuführen verstand, der 
Schwindel und die Ueberhebung der Nationalität: man träumte 
von einem daco-romanischen Eeich und von der Vertreibung der 
Colonisten des Mittelalters von dem geheiligten Boden der Römer 
imd Rumunen. 

Die Magyaren stürmen gleichzeitig in blindem Chauvinismus 
gegen die Sachsen an, da diese einst gegen sie zur österreichischen 
Regierung gehalten hatten. Und mitten in diesem Treiben droht 
die Lösung der orientalischen Frage, welche all' diese Lande der 
slavischen Rage vindiciren will. Dem gegenüber thäte Einigkeit 
noth, wenn nicht alle gemeinsam verderben sollen: mehr wie 
je ist jetzt wieder Siebenbürgen das BoUwerk des Reiches, das 
den Landweg nach Eonstantinopel sperrt, dessen Geschicke zu 
allen Zeiten auf jene der Donauländer entscheidend eingewirkt haben. 



giltig und sie also zur Unbeständigkeit, zum Wechsel und allen Ausschweifungen 
sehr geneigt sind. Bei diesen müssen sowol Schulen eingeführt, als ihre Geistlich- 
keit besser belehrt werden; endlich muss auch eine menschlichere Behandlung von 
ihren Grundherren und Obrigkeiten Yor sich gehen, um sie zu bessern und sie an 
den Grund und Boden zu heften, auf welchem sie sind.* — »Ich glaube mich nicht 
zu irren, dass an Orten, wo diese Leute unter dem Deckmantel der Leibeigenschaft 
dem Viehe gleich gehalten wurden, sie nicht anders, als wie sie seynd, beschaffen 
sein können und sich auf derlei Leute und Unterthanen, in so lange die gänzliche 
Unterdrückung fortdauert, nie verlassen werden möge. Würde man sie aber mensch- 
lich und christlich halten, so würde man hoffen können, aus ihnen Menschen und 
Christen, mithin staffelweise katholische Christen zu machen und zugleich zum Be- 
hufe des Staates selbige, wie anderswo, anwenden können.* Bei Czoernig, Oest. 
Ethnographie III. 158 f. 

^) Ueber diese modernen Verhältnisse wird Prof. H. J. Bidermann in dem 
Werke über » Bedeutung und Verbreitung der Romanen in Oesterreich* ausführlich 
handeln. 

Jong, die Donaa^ProYiuzen. 18 



— 274 — 

Mitten in die nationalen Angelegenheiten der Walachen und 
Welchen gegenüber Ungarn und Deutschen spielt noch eine an- 
dere Frage hinein, die damit scheinbar nichts zu thun hat und 
gleichwol von der grössten Bedeutung für die Zubmft ist, nemlich 
die sociale Frage. 

Das Schwergewicht der socialen Verhältnisse unter einem 
Volke ist in der Eegel dem der nationalen Existenz desselben 
complimentär. Nationales Selbstgefühl ist nemlich nothwendig 
bedingt durch eine gewisse Wolhabenheit des betreffenden Indi- 
viduums, des gerammten Volkstammes: darauf beruht zugleich 
die politische Macht desselben. Grosser Eeichtum und gänzliche 
Armuth tragen hingegen ein cosmopolitisches Gepräge. Der Mil- 
lionär kann sein Geld überall anlegen, wird in aller Welt ein 
angesehener Mann sein, ohne Ansehen der Nationalität. Das Pro- 
letariat sieht nur darauf, wie es sich nähre und mehre; es hat 
nicht Zeit, um höhere Interessen sich zu kümmern, es hat kein 
Nationalgefühl und steht jedem zu Gebote, der es bezahlt und 
seine Zustände bessert oder auch nur zu bessern verspricht. 

Mit diesen Umständen hängt nun die Volks Vermehrung in 
sofern zusammen, als sie von den verschiedenen Ständen ver- 
schieden geregelt wird. Das Proletariat gehorcht dem blinden 
Triebe, weil es andere Genüsse sich nicht zu verschaffen weiss. 
Der verständige Mittelstand pflegt mit vernünftiger Mässigung 
vorzugehen und zur Begründung oder Mehrung des Hauswesens 
nur zu schreiten, wenn seine Mittel es erlauben; der Wolstand 
der Familie hängt .davon ab, dass die Zahl ihrer Mitglieder nicht 
zu gross sei: jedes derselben soll durch das gemeinsame Vermögen 
so weit gebracht werden, bis es die Volljährigkeit und damit die 
Möglichkeit, sich eine selbständige Existenz zu schaffen, erreicht hat. 

Die obersten Stände, wie der Adel, beschränken die Zahl 
der Kinder, um das ererbte Vermögen ungetheilt auf die Nach- 
kommen zu bringen und den Glanz der Familie zu erhalten*). 

Wirthschaftliche Grundsätze, die in den romanisch-germanischen 
Gegenden der einstigen Donauprovinzen von weitgehenden Folgen 
waren und noch sind. 

1) Die neueren Theorien über Be7Ölkerung, Volksrermehrang im allgemeinen, 
sowie die Gegentendenzen der Volksvermehrung, die seit dem epochemachenden 
Auftreten yon Malthus entwickelt wurden, sind behandelt in Koscheres System der 
Volkawirthschaft Bd. I. B. 5. c. 1. § 298—248. 



- 275 - 

Zunächst in Siebenbürgen. Hier bildeten in Mittelalter und 
bis auf unsere Zeiten die ungarisch-deutschen Ansiedler, die sog. 
, herrschenden Nationen** der Ungarn, Sachsen, Szekler gleichsam 
den Adel gegenüber der von ihnen beherrschten romanischen Ka^e. 

Jene, voll nationalen Selbstgefühles, stützten ihre Herrschaft 
zugleich auf ihren Wolstand gegenüber der Masse des walachi- 
schen Proletariates. Die letzteren vermehren sich, um den Aus- 
druck ihres Gegenparts zu gebrauchen, „wie die Schweine**; die 
Magyaren vergleichen sich mit den Löwen, die nur ein, höchstens 
zwei Junge zu erzeugen die Gepflogenheit haben; die Sachsen 
huldigen dem „ Zweikindersystem ** ^). Die Folge davon ist, dass 
die Zahl der Magyaren und der Sachsen in ein immer grösseres 
Missverhältnis zu jener der Eomänen geräth, dass sie in Gefahr 
sind mit der Zeit von diesen erdrückt zu werden. Es erheben 
sich gegen den alten Brauch nun allerdings patriotische Stimmen, 
um den Eückgang der Population aufzuhalten, so lange es noch 
Zeit ist; verständige Geistliche, wie sie namentlich die Sachsen 
besitzen, eifern gegen das Zweikindersystem, das in seinem Ge- 
folge Abtreibung der Leibesfrucht, oft genug auch das Aussterben 
einer ganzen Familie hat; aber in solchen Dingen dringt die Ver- 
nunft immer nur langsam durch und der Kampf gegen das Zwei- 
kindersystem erfordert jetzt nicht geringere Anstrengung, als einst 
dessen Einführung gekostet haben muss, die von patriotischen 
Männern für nothwendig gehalten wurde, um im verwilderten 
Lande auf dem einmal angewiesenen und allein durch 
Privilegien beschützten^) B o d e n Wolstand zugleich und 
Nationaliiat zu bewahren: so gross ist die Kraft der Trägheit 
in der Geschichte ^). 



*) Vgl. darüber Näheres in Ch. Boner's »Siebenbürgen* oder auch in Wat- 
tenbach 's Schrift über »die Siebenbürger Sachsen.* 

') Im Gegensatz zur römischen Zeit, wo der Diffusion der Bevölkerung keine 
ähnliche Schranke entgegenstand. Wenn damals die »unzählige Menge von An- 
siedlern* auch nur eine halbe Million stark gewesen ist, so dürfte die Bevölkerung 
in 150 Jahren nach einem in Colonialländern, z.B. den Vereinigten Staaten (Koscher I^. 
S. 484), nicht ungewöhnlichen Vermehrungsverhältnisse sich verdreifacht haben. 

^) Ueber die Volksbewegung im Hermannstädter Stuhl und demnach über den 
gegenwärtigen Stand dieser Dinge überhaupt während des J. 1875 gibt das »Sie- 
benbürgisch-Deutsche Tagblatt* vom 16. August 1876 folgende Daten: das Ver- 
hältnis der Todesfälle zu den Geburten ist relativ günstiger für die Deutschen und 

18* 



— 276 — 

Indem nun aber diese Verhältnisse in Siebenbürgen seit Jahr- 
hunderten wirken, können wu" daraus Schlüsse auf die Vergan- 
genheit thun, wo uns ausführliche statistische Belege fehlen. Aus 
der verschiedenen Fortpflanzungsmethode der Nationalitaten Sie- 
benbürgens erklärt sich, wie gegenwärtig die Walachen den an- 
deren an Zahl so sehr überlegen werden konnten. Wenn zu An- 
fang des zwölften Jahrhunderts in Siebenbürgen zweimal hundert- 
tausend Walachen sassen, so konnte das grosse und von Natur 
fruchtbare Land, das somit höchstens zweihundert Menschen auf 
einer Geviertmeile hatte — diese noch dazu grossentheils noma- 
disirende Hirten — gewiss , menschenleer « und ,wüst« genannt 
werden *). Es kamen hiezu im Laufe des Säculums der Coloni- 
sation etwa eine halbe Million »Flandrer* oder »Sachsen* ^); dann 
einige hunderttausend »Szekler* und andere »Ungarn." 



stellt sich noch bedeutend günstiger, wenn nur die Bekenner der evangelisch-luthe- 
rischen Confession, also die Sachsen, gegenübergestellt werden den Bekennem der 
beiden griechischen Confessionen. Nach der Volkszähhing im J. 1870 hatte der Her- 
mannstädter Stuhl 25126 Einwohner evangelisch-lutherischer Confession und 54787 
griechisch-orientalischer oder griechisch-katholischer Religion. Auf 899 Geburten 
unter den erstem entfallen blos 681 Todesfälle, also übersteigt die Anzahl der Ge- 
burten jene der Todfälle hier um 218, während bei einer mehr als doppelten An- 
zahl der Geburten unter den Bomänen die Todesfälle so häufig yorkommen, dass 
die Ziffer der Geburten jene der Todfälle um 298 übersteigt, also nur um 75 mehr 
als bei den Sachsen. Die Ursache wird wol in der Lebensweise und schlechteren 
Gesundheitspflege der Bomänen zu suchen sein. — Unter den deutschen Stuhlge- 
meinden sind es die mit »Ländlern* colonisirten Gemeinden Neppendorf und Gros- 
sau, welche den grössten Bevölkerungszuwachs mit 48 und 41 Köpfen erfahren 
haben. Diese Landler sind nicht eigentliche »Sachsen*, sondern Oberdeutsche aus 
Baden, Breisgau, Schwaben, Salzburg, Steiermark, Kärnten, die erst im achtzehnten 
und neunzehnten Jahrhundert hier eingewandert sind. 

1) Warum die Population in den früheren rohen Zeiten, wo die Naturkräfte 
nur auf occupatorischem Wege benützt wurden, nicht wol höher gewesen sein kann, 
die Gründe, welche deren Anwachsen verhinderten, mögen aus der Erörternng bei 
Boscher, a. a. 0. I. B. 5. § 244 ersehen werden. In Folge der Bechtsunsicher- 
heit, der die Unterthanen barbarischer Herren immer ausgesetzt sind, ward jede 
höhere, mehr Unterhaltsmittel gewährende Cultur unmöglich gemacht: Hungersnoth, 
Seuchen decimirten die überschüssige Bevölkerung und erhielten dieselbe, unbedeu- 
tende Schwankungen in sehr guten oder sehr schlechten Jahren abgerechnet, immer 
auf dem gleichen Niveau. Das änderte sich erst bei Verbesserung der begleitenden 
Umstände, als welche die ungarische Herrschaft immerhin angesehen werden kann. 

') Vgl. Maurer, Die Besitzergreifung Siebenbürgens durch die das Land 
jetzt bewohnenden Nationen, S. 80. Die Berechnung beruht auf Schlüssen aus den 



— 277 — 

Nun war die Lage, wie das Schicksal dieser einzelnen Be- 
völkemngselemente eine verschiedene. Die Zahl der „SzeUer' 
und der »Ungarn* — so dürfen wir wol annehmen — wird 
ziemlich stationär geblieben sein, da das Mutterland in der Nähe 
war und mit der , Grenzwacht* am oberen Alt stets nationale 
Fühlung zu erhalten vermochte. Menschenverluste in den Grenz- 
kriegen der folgenden Zeit Hessen sich demnach ziemlich leicht 
wiederersetzen, so weit eben das Bedürfnis es erheischte. Gegen- 
wärtig sind die magyarischen Elemente in Siebenbürgen eine halbe 
Million stark. 

Anders ergieng es den »Sachsen.*. Während der Türken- 
kriege erlitten sie starke Verluste. Dann aber ist namentlich zu 
bemerken, dass diese deutschen Ansiedler mit dem Mutterlande 
nicht unmittelbar zusammenhiengen, also ein Ersatz für die Ver- 
luste in dieser Weise nicht geboten wurde ^). Zu alle dem ge- 
sellte sich seit dem vierzehnten Jahrhundert die nationale Beaction 



Leistuoffen, welche dem Hermanstädter Gau im J. 1224 Yon K. Andreas II auf- 
erlegt wurden: 500 Mark Silbers als jährliche Beichssteuer; 500 Mann zum Heere, 
wenn der König innerhalb des Reiches das Heer führt, 100 Mann, wenn das Heer 
ausserhalb des Reiches kämpfen soll ; 50 Mann, wenn nur ein Grosser das Heer 
fahrt. Danach würden sich für den Hermannstädter Gau in jener Zeit 50000 Höfe, 
und danach zwischen 2 — 800000 deutsche Einwohner ergeben. »Rechnet man 
dazu die Colonisten im Kronstädter und Bistrizer Distnct, die deutschen Gemeinden 
am oberen Mieresch (Maros), die zu Grunde gegangenen Deutschen im Norden des 
Mieresch, in den Orten, die noch durch die Zusammensetzung mit »Nemethi* und 
;,Szasz* als einst von Deutschen bewohnt gekennzeichnet sind, sowie jene im Erzgebirge 
und von Bodna, so wird es nicht zu hoch gegriffen sein, wenn die Zahl der um 
das J. 1200 in Siebenbürgen angesiedelten Deutschen auf etwa ein halbe Million 
festgesetzt wird.^ 

^) Anders wären die Dinge wol gegangen, wenn der deutsche Bitterorden sich 
im Burzenland behauptet und den Plan ausgeführt hätte, auch die Walachei bis ans 
schwarze Meer hin in Besitz zu nehmen und zu colonisiren ; wie er nachher Preussen 
occupirte nnd germanisirt hat. Die ganze Geschichte der Donaulandschaften würde 
damit eine andere Wendung genommen haben und eine Lösung der orientalischen 
Frage erfolgt sein, indem die seefahrenden Nationen des Mittelmeeres die Küsten, 
die Deutschen aber den Handel auf der Donau hinab nach Byzanz in die Hände 
bekommen hätten: im Innern der Balcanhalbinsel mochten dann die übrigen Völker- 
schaften ihrer Freiheit geniessen. Die Eifersucht der ungarischen Könige vereitelte, 
was die Schlaffheit polnischer Begenten geschehen lies. Vgl. Maurer, die Besitzer« 
greif ung Siebenbürgens u. s. w. S. 68. 



— 278 — 

des herrschenden Stammes der Magyaren gegen die fremden An- 
siedler, die nunmehr auch der König oft im Stiche lies. Das 
hatte einen Bückgang im Bestände der Nation zur Folge ^) ; eine 
Beibe von Ortschaften gieng, theilweise durch den Ehrgeiz vor- 
nehmerer Sachsen, die sich dem ungarischen Adel anschlössen und 
ihre Landsleute verliessen, verloren. Gegenwärtig sind die „ Sachsen ' 
nur mehr zweihunderttausend Seelen stark. 

Unter all diesen Wechselfällen mehrte sich die in Stumpfheit 
und Unterthänigkeit dahinlebende Masse der walachischen Be- 
wohner des Landes in geometrischer Progression weiter 2), indem 
sie in Befolgung des Gebotes der Schrift „Crescite et multipli- 
camini* ihre einzige Befriedigung fand, während die „Nationen", 
um zu besitzen und zu herrschen, in dieser Beziehung sich sehr 
reservirt verhielten^. Dann ist zu beachten, dass auch die Wa- 
lachen mit ihren Stammesgenossen ausserhalb Siebenbürgens zu- 
sanmienhiengen und dass bei der nomadisirenden Lebensweise 
eines grossen Theiles dieses Volkes der Menschenverlust hier und 



^) Nach der im J. 1787 Yorgenommenen Volkszählang betrag die sächsische 
Bevölkerung S 02, 2 04 Seelen; jetzt sind mehr als hunderttausend weniger. Vgl. 
Boner, Siebenbürgen. S. 288. 

') Wenn ihre Zahl um 1200 nur zweihunderttausend betrug und sich seither 
in jedem Saeculum durchschnittlich um hunderttausend Köpfe mehrte, so wären um 
das J. 1800 in SiebenbQrgen neunhunderttausend Walachen gesessen ; seitdem hätte 
sich die Zahl in Folge ihrer Emancipation verdoppelt. Die beiläufigen Angaben 
darüber aus dem Beginne unseres Jahrhunderts ergeben nemlich eine solche Verdop- 
pelung seit jener Zeit: nach Sulzer, III. 850, der sich dabei auf Büsching stützt, 
machten die Walachen in Siebenbürgen im J. 1761, ohne die im Kronstädter oder 
Burzenländerdistrikte, beinahe 600000 Köpfe aus. Hingegen berechnete man die 
Zahl der Einwohner der Moldau und Walachei auf nur 500000 Seelen. Sulzerhandelt 
dann ausführlich »über die Bevölkerung dieser Länder, als Wirkung und Ursache 
von ihrer Finanzeinrichtung und den fürstlichen Einkünften betrachtet.* 

^) Die Römer haben sich während ihrer Herrschaft keine solche Reserve auf- 
erlegt, sondern der Propagation, wie sie namentlich das römische Militär beförderte, 
in jeder Weise Vorschub geleistet. Möglich, dass die Walachen das von ihren 
Stammvätern ererbten. Die Walachinnen wenigstens haben, wie Sulzer II. 858 
aus dem russisch-türkischen Kriege seiner Zeit mittheüt, eine solche Vorliebe fQr 
das Militär, »dass damals ein jeder russischer Soldat sowie der Offizier seine Mä- 
tresse hatte; und Mädchen, Weiber und Wittwen vom Bauern- und Bürgerstande 
sowol als vom Adel ihre Männer, Eltern und Kinder verliessen, um diesen Bezwingern 
der Türken auf ihren Märschen nachzufolgen.* — Die Russen sollen in ihrem brus- 
quen Vorgehen und in der Manier zu colonisiren viel von den alten Römern haben. 



— 279 — 

dort durch Zuwanderungen sich auszugleichen vermochte. So ist 
es gekommen, dass gegenwärtig die Walachen in Siebenbürgen 
doppelt so stark sind, als Magyaren, Szekler und Sachsen, die 
einst alleinberechtigten Nationen des Landes, zusammengenommen. 



Aehnlich wie in Siebenbürgen bilden die angegebenen Mo- 
mente der Bevölkerungspolitik auch in Tirol Anlass, darauf bei 
ethnographischer Beschreibung des Landes einzugehen. 

Die deutschen Bauern daselbst halten darauf, d.ass Niemand 
unter ihnen sich verheirathe, der nicht seinen eigenen Hof be- 
sitzt: blossen Arbeitsleuten, die in ihrem Alter der Gemeinde 
zur Last fallen würden, gestatten sie das Connubium nicht. Da- 
durch wird wie das Erstehen eines bäuerlichen Proletariats, so 
auch die Vermehrung der Population überhaupt hintangehalten *). 
In Kärnten ist ein grosser Procentsatz unehelicher Kinder die 
Folge solcher Ehehindernisse; in Tirol ist dies nicht der Fall; 
der Volksgeist hält hier unentwegt wie in Siebenbürgen an dem 
einmal acceptirten System fest 2). Was nun in früheren Zeiten 
sehr gerechtfertigt und demnach zu billigen war, bringt gegen- 
wärtig verschiedene Uebelstände mit sich. In Folge des gestei- 
gerten Verkehrs, wie er namentlich durch den Bau der Eisen- 
bahnen im Lande bedingt wurde, fanden rührige Hände leicht 



*) Vgl. über diese Abnahme der Beyölkerung in vielen Orten aaf dem Lande 
den »Boten für Tirol und Vorarlberg* vom 21. Sept. 1876, wo dies blos in einigen 
Beispielen aus der Nähe von Innsbruck illustrirt wurde, obwol das Gleiche überhaupt . 
constatirt werden könnte. Das Thal Seirain zählte im J. 184S (nach Staffler's 
Topographie) 1529 Einwohner, jetzt hat es nur mehr 1816. Absam besass damals 
eine Bevölkerung von 1885 Seelen, jetzt nur noch 1255; Weerberg damals 1024, 
jetzt 941 ; das Daxer Thal damals 1041, jetzt 870 (!); das Thal Schmirn früher 
ungefähr 600, jetzt 480 Seelen. Das Achenthai wird im J. 1842 mit 1071 Ein- 
wohnern aufgeführt, jetzt zählt es nach dem ganz verlässlichen Diöcesan- Schema- 
tismus nur mehr 940. Sehr bedeutend ist die Abnahme der Bevölkerung auch in 
manchen Strichen und Seitenthälern vom Oberinnthal, Wippthal, Pusterthal. Da- 
gegen haben allerdings einzelne Ortschaften, z. B. Hötting und Wüten bei Innsbruck, 
sowie die Landeshauptstadt selbst, eine bedeutende Zuname erfahren; viele ver- 
lassen nemlich ihre ländliche Heimat und ziehen nach Innsbruck und in andere 
grössere Ortschaften, dort leichter ihr Unterkommen zu finden. 

') Ueber ähnliche Präventivmassregeln anderswo, z. B. in früheren Zeiten in 
Norwegen, wodurch die Bevölkerung daselbst immer auf der gleichen Hohe erhalten 
wurde, vgl. Koscher a. a, 0. § 2i7. 



— 280 — 

Beschäftigung; namentlich Burschen, die beim Militär gewesen 
waren und sich in der Welt umgesehen hatten, fanden als Bahn- 
wächter u. s. w. Unterkunft, Andere als Holzarbeiter u. dgl. 
mehr. Daraus resultirte Mangel an Arbeitskräften bei den Bauern, 
die an dem alten Präventivsystem gegen drohende üebervölkenmg 
festhielten; Erhöhung der Löhne für die „ Ehehaften "^ war die 
weitere Folge. Eeiche Bauern wurden durch ihre Dienstboten 
oder weil sie in Ermanglung derselben genöthigt waren, mehr 
extensive als intensive Wirthschaft zu treiben % arm, arme, aber 
mit Kindern reichlich gesegnete, wurden reich 2). 

Zugleich erfolgte, da einheimische Knechte und Taglöhner 
völlig rar geworden waren, die Zuwanderung wälscher Elemente: 
auch hier haben die Bomanen ein anderes System acceptirt, als 
die Deutschen. Zum Bau der Eiseabahn, zum Betrieb der Berg- 
werke % als Strassenarbeiter, als Maurer beim Hausbau werden 
fast überall Italiener beschäftigt, die billig und zu solchen Ar- 
beiten geschickter sind, als die Deutschen: so zunächst in den 
Durchzugsländem dieser südlichen Wandervogel, in Tirol und 
der Schweiz, aber bekanntlich auch schon darüber hinaus. 

Doch ist es dabei bemerkenswert, dass diese Wälschen sich 
nicht ansiedeln, sondern abgeschlossen für sich bleiben und mit 
ihrem Verdienst meist wieder in ihre Heimat zurückwandern« 
Bauern zu werden haben sie keiae Lust: sie haben in ihrer Heimat 
nicht gelernt, so intensive Landwirthschaft zu treiben, wie die 
, Deutschen, da bereits in Wälschtirol der Bauer meist nicht Eigen- 
tümer sondern blos Pächter des Grundstückes ist, das er versieht ; 
als Colone seines Patron's hat er diesem jährlich ein Drittheil 
des Emteerträgnisses abzuliefern: das verleidet ihm die Lust, 
allzu viel zu thun, da doch der volle Gewinn nicht sein ist und 
er verlässt sich auf die ZußUligkeiten des Wetters und die Gunst 



^) Fälle davon wurden mir in Passeyer mitgetheilt. 

*) Dies war z. B. buchstäblich der Fall zu Völs in Südtirol am Fnsse des 
Schiern, wo in den letzten zehn Jahren die Beyölkerunsr wegen des rigroros yer- 
weigerten Eheconsenses um 200 Seelen zurückgegangen sein soll. Jetzt werden dort 
Fassaner und Fassanerinnen in Arbeit genommen, die den reichlichen Lohn ezportiren. 

') Z. B. auf dem Schneeberg, zwischen Sterzing und Passeyer, sind der grös- 
sere Theil der Knappen Wftlsche, da Deutsche in genügender Anzahl nicht autzu- 
treiben sind. 



- 281 — 

des Jahres: ist dies gut, so nimmt er viel ein, ist es schlecht, 
wenig und hat den Trost, das es dem Herrn nicht besser ergan- 
gen ist. 

So ist eigentlich für den Bückgang des deutschen Elementes 
in Südtirol weniger zu fürchten, als mitunter wol geschieht. Nur 
in den sumpfigen Niederungen an der Etsch, die hoffentlich durch 
die Eegulirung des Flussbettes sich bessern werden, drang das 
italienische Idiom vor, da die Deutschen jenen üebelstand we- 
niger ertrugen : auf den Höhen zu beiden Seiten der Etsch blieb 
alles deutsch. 

Auch sind die (gothischen ?) Stämme der Passeirer, Sam- 
thaler,* Burggraf enämtler so kemhafte Germanen, dass eine Bück- 
wirkung des socialen Uebels, eine Verwälschung der sesshaften 
und im ganzen wolhabenden Bevölkerung durchwegs ausgeschlossen 
ist. Der Mangel an Arbeitskräften wird wol durch zeitgemässe 
Modiflcirung der bisherigen Bevölkerungspolitik nach und nach 
wieder sich heben und sollte das »Begno d^Italia'' die Hand 
nach der Brennergrenze ausstrecken und so zweihunderttausend 
Deutsche annectiren wollen, so sind diese inmierhin noch so 
bereit, den wälschen Erbfeind niederzuschlagen, wie im Jahre 
Neun ruhmvollen Andenkens, wo sie den Kern der Volkserhebung 
bildeten und Andreas Hofer, der Oberkommandant von Tirol, aus 
ihrer Mitte hervorgieng. 

Das Verhältnis zwischen Ladinem und Deutschen hat sich 
in dieser Hinsicht etwas anders gestaltet, als das zwischen Ita- 
lienern und Deutschen. In Groeden hat seit dem Ausgange des 
siebenzehnten Jahrhunderts der Ueberfluss der Bevölkerung, wie 
das ähnlich auch in einigen deutschen Thälern, wie z. B. im Lech- 
thal, Zillerthal u. s. w. geschehen ist, sich durch Entwicklung einer ei- 
gentümlichen Industrie einen Erwerbszweig zu schaffen gewusst; das 
einsame Thal ward dadurch reich und hat in seinem Hauptorte 
S. Ulrich (Urtisei) so stattliche Häuser aufzuweisen, wie nicht 
leicht anderswo im Lande. Die Bündtner gehen bekanntlich als 
Zuckerbäcker nach aller Herren Länder ; man trifft deren in Berlin 
wie in Florenz, während die Groedner ihre Sachen sogar bis nach 
America versenden und in allen Hauptstädten Europa's Nieder- 
lagen unterhalten. 

Die Enn eberger haben nichts dergleichen adöptirt, finden aber 



— 282 — 

gleichwol ihr Auskommen. Zu Hunderten ziehen sie als Knechte 
und Mägde ins Pusterthal oder ins Eisakthai und lernen dabei 
deutsch, das sie in Folge dessen alle kennen — denn einmal 
geht Jeder und Jede — bis auf die alten Weiber und di6 kleinen 
Kinder. Ein bescheidenes Völkchen, das nicht viel Wesens aus 
sich macht Heirathet z. B. ein solches ennebergisches Mädchen 
einen deutschen Mann, wie das mitunter vorkommt, — denn hier 
herrscht, im Gegensatz zu Siebenbürgen, seit jeher Connubium 
der Ba^en vor — so erzieht sie ihre Kinder deutsch und schämt 
sich wol gar in ihrer Naivität des heimatlichen Idioms ^) : auf 
diese Art vollzieht sich der Process der Germanisirung. 

Vorgänge, die in früheren Jahrhunderten gewiss in ähnlicher 
Weise sich abgespielt haben. Denn nichts neues gibt's unter 
dem Monde ; um die Vergangenheit zu verstehen, muss man vor 
allem die Gegenwart studiren, die den lebendigen Commentar 
bildet zu den ärmlichen Notizen, die die Entwicklung jener früherer 
Jahrhunderte uns höchstens anzudeuten aber nimmermehr zu schil- 
dern im Stande sind. 



^) Ich lernte heuer eine Ennebergerin in solchen Verhältnissen zu Theiss 
kennen, einem Dorfe im Eisakthai am Eingang ins Villnöss. Ihr Mann, bei dem 
sie früher Magd gewesen war, hatte sie geheirathet, »weil er sich nicht traute, 
eine Andere anzureden.* (Ein Seitenstack zu »Hermann und Dorothea*). Sie selbst 
wollte von ihrer »schiechen* Muttersprache nichts mehr wissen: man kann die 
Superiorität der deutschen Ba^e gegenüber der ladinischen nicht nachdrucklicher 
anerkennen, als dieses Weib that. 



IX. Bihar'sche Excurse. 

1. Die Bomänen im Bihargebiete. 



Bisher sind nur im Bihargebiete an der Grenze von Ungarn 
und Siebenbürgen Untersuchungen über Land und Leute auch auf 
die Ortsnamen der Bomänen ausgedehnt worden. Wir verdanken 
dies den Naturforschem, die im J. 1858 und nachher, von dem 
ungarischen Gouvernement beauftragt und unterstützt, das Bihar- 
gebirge und seine Umgebungen bereisten und durchforschten. Die 
Herren Prof. A. Kemer, d. Z. in Innsbruck, K. Peters, d. Z. in 
Graz, A. Schmidl, gest. 1863 als Professor in Pest, schrieben 
darüber werthvoUe Publicationen. Yor allem ist zu nennen 
A. Schmidl's Buch „Das Bihargebirge.* Wien 1863. 

Es gibt dies Buch zu allerlei Bemerkungen Anlass, die sich 
gegen Koesler's Wanderungsthese zuzuspitzen scheinen. »Es ist 
das erste Werk in Osterreich, in welchem bei einer grösseren 
Anzahl topographischer Namen die richtige romanische Schreib- 
weise mit lateinischen Lettern durchgeführt ist^).* 

Das Bihargebiet hat nemlich eine Nomenclatur, die zum 
grösseren Theile romanisch, zum kleineren slavisch ist oder an- 
derem Idiom angehört. 



^) Schmidl a. a. 0. S. 406. Der Name Bihar selbst wird yon Einigen mit 
dem sla7. hora (Berg) in Verbindung gebracht. Schmidl S. 2. Hier wird zugleich 
behauptet, dass Bihor gesprochen würde (magyar. Bihar). Prof. Eerner bemerkt mir 
aber, dass er die Walachen stets Bihar (mit reinem a) sprechen hörte. Deshalb 
schreiben auch die Geographen Bielz und Söllner Bihar. Dann wäre die Ableitung 
von hora doch zweifelhaft. 



— 284 ^ 

Schmldl äussert sich ^) über diesen Funkt folgendermassen: 
«Dass die Bomanen Siebenbürgen vor den Magyaren bewohnten, 
beweist schon der Umstand, dass die meisten Landschaften und 
Berge nur romanische ^) Namen führen. Auch der eigentümliche 
romanische Namen für Siebenbürgen, Arddlu, soll nicht etwa eine 
Umänderung des ungarischen Names Erd^ly sein ^). Nicht minder 
bezeichnend ist der Beichtum individueller topographischer Namen, 
was interessante Yergleichungen mit den deutschen Alpenländem 
darbietet. Die topographischen Benennungen der Bomanen sind 
fast durchaus wie in den Alpenländern zwar zunächst Gattungs- 
namen, Vervu Gipfel, Vertopu Sumpf, Poi^na Ebene, Lazur Ko- 
dung, Geräuth, Pescere'a Höhle, Dealu Hügel, Bücken etc. und 
sie kommen hier wie dort auch ohne individuelle Beinamen vor, 
sehr häufig aber sind es auch eigentümliche, bestimmte Namen." 

Boesler hat dieser Stelle von Schmidl's Buch eine eigene 



^) Das Bihargebir^, S. 116. 

*) Romanisch ist bei Schmldl wie bei Czoernig gleich Bomänisch; weil 
damals offidell die Walachen als Bomanen bezeichnet worden. Ueberhaupt darf der 
Leser durch die wechselnde Bezeichnung Bumunen — die eigentlich von den Wa- 
lachen gebrauchte — Bomanen, deren officielle Uebersetzung ; Bomanen, wie Boesler 
will; Bumänen, was die Extreme yereinigt u. s. w. sich nicht beirren lassen. Es 
ist nun einmal keine Einigung bis jetzt erzielt. 

') Söllner, das Grossfarstentum Siebenbargen (Hermannstadt 1856), L 151 
und nach ihm Andere halten nemlich in der That Ardelu (Ardealu) für das unga- 
rische Erddly. Auch Erones acceptirt diese Ansicht II, 66 ; er meint, dass demnach 
»der eingewanderte Bumäne den Landesnamen dem Magyaren, seinem altern sess- 
haften Grundherrn, abborgte.* Söllner hatte a. a. 0. eine andere Schlussfolgerung: 
ans dem Factum gezogen: »Dies ist um so merkwürdiger, da die W^alachen Sie- 
benbflrgen vor der Ankunft der Ungarn bewohnten. Der Mangel einer selbständig 
nationalen Bezeichnung ist um so auffallender, da die meisten Berge und viele Land- 
schaften nur die Namen führen, die ihnen die V7alachen gegeben haben. Man sieht, 
dass die V^Talachen wol Berge und Thäler innehatten, aber nicht Herren des Landes waren.* 
Man muss entschieden den Erklärungsversuch Söllner^s jenem von Erones vorziehen. Dass 
die Bomanen keinen Namen für das Land hatten, findet eine Analogie an den Ladinern Ti- 
rols, die auch während des Mittelalters »wol Berge und Thäler innehatten, aber nicht Her- 
ren des Landes waren.* Dies hiess bei den baierischen Herren »im Gebirge*, wie nachher 
Siebenbürgen bei den Ungarn Erdäly oder das »V7aldland.* — Erones thut Unrecht, 
wie ich glaube, wenn er meine Parallelstellung von Tirol und Transsilvanien gleich- 
sam als verfehlte Speculation ansieht. In seinem Buche wären die einschlägigen 
Verhältnisse beider Länder viel ^räciser dargelegt, wenn [er dieselbe Methode lie- 
folgt haben würde. 



— 285 — 

Anmerkang in seinen »Eomänischen Studien '^ gewidmet, aller- 
dings nicht in dem Artikel über »die Wohnsitze der Bomänen 
im Mittelalter", wo man eine eingehende Würdigung derselben 
hatte erwarten können, sondern zu Ende der Abhandlung über „die 
Anfange der Ungarn und den anonymen Notar* *). Er meint 
dort: j, Der Eeichtum individueller topographischer Namen, welche 
die Eomänen Siebenbürgens sollen verbreitet haben ^j, beweist 
bei näherem Betrachte nichts (gegen die Wanderungshypothese), 
weil er zu weit grösserem Theil aus slavischen Wortstammen 
sich zusammensetzt* Vervu, Vertopu, Poi^na sind slavischen 
Ursprungs ; ebenso magura, iezere, izbucu, izvoru, pestere, prislopu, 
stina, die häufig vorkommen. Dealu und ebenso Codru erklärt 
Boesler für alt-bulgarisch 3). Daneben bleiben dann romanische 
Appellative genug übrig, wie cimp, dosu, fintina, munte, muntel, 
piatra, vale, wie Boesler selbst zugibt; und namentlich die vier 
letzten Namen kommen gewiss hundertmal vor^). 

Wenn dieser Umstand nun auch von vorn herein nicht 
gegen die Wanderungshypothese spricht, so wird man ihn auch 
für dieselbe nicht ins Feld führen können. Es ist höchstens das 
eine ersichtlich, dass die Gegend am Bihargebirge von Alters her 
durch Slavo-Bomanen d. i. Walachen bewohnt gewesen ist Dabei 
ist es immerMn möglich, dass Bomanen schon Jahrhunderte vor 
den Slaven hier sassen ^) ; sei es, dass die Landschaft schon zur 



^) Born. Stud. S. 280. 

*) Warum denn »sollen*, wenn es thatsäcblich so ist? 

») Vgl. Rom. Stud. S. 254. 

*) Man ygl. darüber unten das Verzeichnis romanischer Ortsnamen aus jenen 
Gegenden. Bemerkenswerth ist übrigens was Schmidl a. a. 0. S. 117 constatirt; 
dass nemlich im Gegensatz zu den Alpenländern, wo man nicht leicht einen Bauer 
trifft, der nicht mit den Bergnamen vertraut wäre und selbst ziemlich entfernte zu 
nennen wfisste, im Bihar der Beisende stets mit der Unwissenheit der Führer zu 
kämpfen hätte; dies selbst bei Hirten, die Jahr aus Jahr ein dieselbe Bergweide 
besuchen. »Diese Unwissenheit ist jedenfalls ein Produkt des IndifFerentismus, der 
GleichgUtigkeit gegen den eigenen heimatlichen Boden und insofern ein Ausdruck 
mangelnden nationalen Solbstgefühles, als dadurch auch das nationale Bewusstsein 
im Individuum abgeschwächt wurde.* 

^) Da für »Rodung* das slavische Wort Lazur gebraucht wird, wäre jeden- 
faUs auch durch die Slaven neues Land cultivirt worden. Möglicher Weise gehen 
aber den slavischen Rodungen romanische vorauf, wie in den Alpenländern »runcare* 
älter ist als »reuten.* Prof. Kerner wusste darüber nicht Auskunft zu ertheilen. 



— 286 — 

Zeit der Bömer bevölkert wurde, sei es dass sie nach dem Sturze 
ihrer Herrschaft durch die in den Bergen sich zusammendrän- 
genden Flüchtlinge sich bevölkerte — wie z. B. in Bergraetien 
geschehen ist ; es wäre aber auch möglich, dass die Bihargegend 
erst in der späteren Zeit des Mittelalters, seit dem dreizehnten 
Jahrhundert besiedelt worden ist. In dem letzteren Falle — und 
in diesem allein — würde die Wanderungshypothese damit in 
Einklang gebracht werden können. 

Erones hat dies in der That eingesehen. Doch als Anhänger 
Boesler's weiss er sich zu helfen. Er behauptet, erst — was 
nicht richtig ist — dass die rumänischen Berg- und Gegpndnamen 
im ganzen Umkreise Siebenbürgens und dessen Nachbarschaft an 
Masse hinter den sla vischen und magyarischen weit zurückstanden ; 
dann i^hrt er fort : „ und wo die rumänischen Namen dominiren, 
beweist dies nur, dass Rumänen als die ersten mittelalterlichen 
Besiedler der Gebirgslandschaft aufzufassen sind" *). 

üeber die Art und Weise, in der das Bihargebirge besiedelt 
worden ist — gleichviel wann — geben uns die Forschungen 
der schon genannten Naturhistoriker einige Anhaltspunkte an die 
Hand. Und zwar hat ^ich am eingehendsten darüber Prof. Kerner 
ausgesprochen 2). „Ueber die höchsten Bücken des Biharia zieht 
ein Netz von Saumpfaden, welche aus dem Thale der schwarzen 
Koros in die Thäler des siebenbürgischen Nachbarlandes hinüber- 
führen. Man würde aber sehr fehlen, wenn man hier nach der 
Analogie mit anderen Gebirgen schliessen, und die höchsten Punkte 



*) Handbuch der österr. Gesch. II. 68 f. Ueber den eigentlichen Sachyerhalt 
gibt Schmidl a. a. 0. Auskunft. »Uebrigens haben sich nur die topographischen Namen 
des Gebirges rein ri manisch erhalten, selbst yon diesen nicht alle, die Namen der Ort- 
schaften aber sind bereits seit lange fast ausnahmslos magyarisirt, oder die Dörfer haben 
vollständig magyarische Namen erhalten, häufig nur Uebersetzungen der urspranglichen 
romanischen Benennungen. Die magyarischen Namen sind denn auch seither officiell 
geworden, indess die romanischen im Munde des Volkes bleiben, 
welches jene sogar manchmal kaum kennt, wie z. B. Farkas Patak, 
welches gemeinhin auf romanisch Lupoe heisst.* (Aehnlich sind in Siebenbürgen 
ungarische Ortsnamen ins Bomänische übersetzt worden. Oestcrr. Bevue 1866. 
XII. 280). 

') Eerner, das Fflanzenleben der Donauländer S. 108. Vgl. Schmidl, das 
Bihargebirge S. 189 f. Feters, die Rumänen im Bihargebirge. Oesterr. BoToe 1868 
V. 804 ff. 



— 287 — 

V 

dieser üebergänge für die tiefsten Einsattlungen des Gebirgs- 
walles ansehen wollte. Im Gegentheil kann es als allgemeine 
Kegel gelten, dass die Saumwege die höchsten Rücken aufsuchen 
und mit diesen sich hebend und renkend, oft im weiten Bogen 
herumlaufen, statt einen kurzen Uebergang zu wählen. Dass die 
ersten Ansiedler sich diese Wege über die waldlo- 
sen am leichtesten gangbaren Eämme des Gebirges 
wählten, von wo aus sie den besten Ueberblick über 
das Gewirre von Bergen und walderfüllten Thälern 
gewannen und sich am besten zu Orientiren vermoch- 
ten, ist wol natürlich. Gewiss aber würde jedes andere Volk 
nachträglich einen mit leichter Mühe herzustellenden Weg, der 
durch die gelichteten Thäler und über die niedersten Einsattlun- 
gen des Gebirgswalles setzt, sich ausgemittelt und hergestellt 
haben. Die hiesigen Eomanen aber, die Mühe einer solchen 
Arbeit scheuend, reiten noch heute auf ihren Saumwe- 
gen, die sich in stundenlangen Umwegen auf viel- 
fach gewundenen Bergrücken fortschlängeln, gerade 
so wie ihre Urahnen und es ist keine Seltenheit, dass ein 
Weg, welcher zwei Orte mit einander verbindet, von denen der 
eine diesseits, der andere jenseits des Hauptgebirgsrückens liegt, 
nicht über die niedrigsten 300(3 Fuss hohen Einsattlungen, son- 
dern über die gegen 6000 Fuss ansteigenden höchsten Kuppen und 
Kämme führt.* 

So Kerner. Es scheint aber aus den angeführten Thatsachen 
hervorzugehen, dass die ersten Ansiedlungen am Bihar in einer 
Zeit erfolgten, da die Leute kein Interesse an guten Wegen fanden. 
Sie scheinen sich in ihren Bergen sicherer gefühlt zu haben, wenn 
diese möglichst unzugänglich waren. Ist dies doch noch heutzu- 
tage so. Das Bihargebirge steigt an der Westseite, Ungarn zu, 
ziemlich steil empor, auf der östlichen, der siebenbürgischen Seite 
ist der Abfall massiger *). Der Kamm des Gebirges lässt sich 
leicht vertheidigen. Im J. 1 848 warfen die Walachen dort Schanzen 
auf und der kräftige Stamm der „Mozen" — so heissen die Ro- 
manen auf der siebenbürgischen Seite des Gebirges — drang 
sogar herüber und verbreitete Schrecken unter den diesseitigen 



*) Vgl. Kerner a. a. 0. S. 110. 



- 288 - 

Stammesgenossen, die unter magyarischer Enechtschaft muthlos 
dahinlebten, und unter den Ungarn, gegen welche die Mozen die 
grössten Grausamkeiten verübten^). 

So mögen es aber schon ihre ühranen gehalten haben. In 
jenen abgelegenen Gebirgsthälem lebten die Bomanen in ziem- 
licher Freiheit und Wolhabenheit. Es wird kaum zu bezweifeln 
sein, dass sie diese Thäler zu einer Zeit erfüllten, wo die bes- 
seren Gegenden des Landes eben geknechtet waren und ihnen 
keine Sicherheit boten. Mitunter freilich sind die ^schiechsten' 
Oerter deshalb sogar früher bewohnt gewesen, als die besseren ^). 

Im dreizehnten Jahrhundert muss das Bihargebiet, nach dem, 
was Schmidl mittheilt, ziemlich bevölkert gewesen sein. Schmidl 
schildert nemlich in seinem Buche ^) das eigentümliche Volksfest, 
den Mädchenmarkt (Tergul de Datu oder T. de fete) auf dem 
Bihar, der am griechischen Festtage der heiligen Peter und Paul 
stattzufinden pflegte. Dieser Mädchenmarkt hiess auch der Biharer- 
Jocu, nach dem Tanze, der dabei üblich war. „Der Ursprung des 
Festes soll aus der Mongolenzeit herrühren, deren Horden hier 
in der Gegend alles verwüsteten. Da schlössen die ungarischen 
und siebenbürgischen Eomanen ein Bündnis ; die ß&bänyer trie- 
ben die Mongolen auf den Bihar hinauf, wo die Siebenbürger sie 
erwarteten und niedermachten, um das J. 1242 oder 1246.* Zum 
Andenken daran sollen jährlich die beiderseitigen Anwohner des 
Gebirges auf dessem Eamme wieder zusammengekommen sein zu 
Spiel und Tanz, wobei die Burschen über die Mädchen Brautschau 
zu halten pflegten. |lrst in unsei'em Jahrhundert hat die Polizei 
diese Festlichkeit wiegen der mancherlei Missbräuche, die mit un- 
terliefen, unterdrückt. 

Danach wäre also das Bihargebiet schon in der ersten Hälfte 
des dreizehnten Jahrhunderts bevölkert gewesen u. z. von Eo- 

^) Es sind z. B. Pfählangon n. dgl. vorgekommen. Vgl. Feters a. a. 0. 
S. 804 if. Schmidl a. a. 0. S. 112 ff. Herrn Prof. Eemer verdanke ich münd- 
liche Mittheilnngen. 

') Eine Ansicht, die bekanntlich der americanische Nationalöconom Carey weit- 
läufiger ausgeführt hat. Vgl. oben S. 168. Was das Bihargebirge spedell betrifft, 
80 ist dasselbe so abgelegen von den grossen Heer- und Völkerstrassen, die der 
Donau entlang und in Siebenbürgen durch die südwestlichen P&sse führen, dass es 
als Zufluchtsort in gefahrvoller Zeit stets verwendet worden sein wird. 

8) A. a. 0. S. 145. 



— 289 — 

manen. Wären sie erst in jenem Säculum eingewandert, so würden 
sie im ^ menschenleeren * Lande wol bessere Wohnsitze gefunden 
haben, als die rauhen Biharberge. 

Dass dies Gebiet aber von Anfang an ein Zufluchtsort und 
fester Stützpunkt der romanischen Bevölkerung gegen die Ungarn 
gewesen sein muss, dass es zwischen beiden Volksstämmen dort 
sogleich zu Eeibungen kam und diese noch lange fortwährten 
scheint mir aus der Darstellung des sog. anonymen Notar's K. 
Belags über die Anßnge der Magyaren in Ungarn hervorzugehen. 

Ich bitte, nicht darüber stützig zu werden, dass ich den ver- 
rufenen Notar hier anführe, der über die Anfänge der Ungarn so 
spät und nicht nach den Quellen, noch nach der unverfälschten 
Sage schrieb und deshalb historisch für die Geschichte des neunten 
Jahrhunderts nicht im Betracht kommt. Wenn aber der Nota- 
rius auch nicht jene Mheren Zeiten richtig dargestellt hat, so 
ist er nichts desto weniger für die Anschauungen der Zeit, in 
der er schrieb, eine Quelle und insofern zu beachten. 

Nach der Ansicht eines der besten Kenner der älteren Ge- 
schichte Oesterreich-Ungams — ich meine M. Büdinger — ist 
die Arbeit des Notars »eine Schrift von bestimmter politischer 
Absicht aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts" ^). Diese 
, bestimmte politische Absicht* wird nach Dümmler's Ausspruch 
bedingt durch den , lächerlichen Nationalstolz des Autors*, in 
Folge dessen er die Geschichte fälschte und verdrehte. 2) 

In diesem Sinne schrieb der »Notar* über die Niederlassung 
der Magyaren in ihren gegenwärtigen Gebieten; wie dabei die 
Slaven und Bomänen unterjocht wurden. 

Wozu er dabei die Bomänen auch genannt hätte, wenn diese 
zu seiner Zeit als Einwanderer des 13. Jahrhunderts gegolten 

1) Büdinger, Oesterr. Gesch. I, 212. A. 1« vgl. S. 215. A. 2. S. 416 A. 1. 

S) Dümmler, Gesch. des ostfränkischen Beiches II. 451. A. 51. Boesler hat 
in der Abhandlung Aber »die Anfänge der Ungarn and den (uionymen Notar* (seine 
Erstlingsarheit »zar Kritik älterer ungarischer Geschichte*, Troppauer Gymnasial- 
profipramm von 1860, überarbeitet und den Born. Studien S. 147 — 281 einyerleibt) die 
kritischen Resultate von SchlOzer, Büdinger, Dümmler durch den Erweis mancher 
Uebertragungen ans späterer Zeit yeryollständigt, aber über Umstände und Zweck 
des Entstehens, was yiel wichtiger zu wissen wäre, keine ^genügende Aufklärung 
gewonnen. Vgl. Dümmler in der Kec. der Eom. Studien. Bist. Zeitschrift. Bd, XXVII. 
(1872) S. 475—479. Im Uebrigen Erones, Handbuch der österr. Gesch. II. 54— &7f 

Jung, die Donau-Provinzen. 19 



— 290 — 

hätten — und Traditionen aus froheren Zeiten lebten ja unter den 
Magyaren fort und wurden gerade damals von dem Chronisten ' 
Edza, dem Zeitgenossen E. Ladislaus lY. (gest. 1290), aufge- 
zeichnet — ist nicht abzusehen. Der magyarische Nationalstolz 
hätte sich so gut damit begnügt, die Herrschaft über die späteren 
Einwanderer mit dieser Verspätung zu motiviren *), wenn etwas 
daran gewesen wäre, wie es neuerdings die sächsischen Schrift- 
steller in Siebenbürgen thun. Aber nichts davon. Die Magyaren 
des dreizehnten Jahrhunderts pragmatisirten anders, zu einer Zeit, 
wo sie nicht auf Worte ihre Herrschaft stützten und nichts zu 
verhehlen hatten« Der „ Notar' schrieb in der Tendenz, die Ma- 
gyaren zu erheben, und darin fö^lschte er die Tradition; den Bo- 
mänen gegenüber hatte er keine Absicht, er wird hierin der 
wahren Ueberlieferung, wie sie zu seiner Zeit gäng und gäbe 
gewesen ist, Ausdruck gegeben haben ^). 

Nach diesem Anonymus stand bei Ankunft der Magyaren 
in Ungarn die Gegend von Bihar unter dem Chazarenherzog Me- 
numorout, und Siebenbürgen, wo die „feigsten aller Menschen', 
Slaven oder Wlachen hausten, unter dem Fürsten Gelou ^). 

loh lege auf die weiteren Ausführungen des Notars kein 
Gewicht. Alles Detail ist dabei Fabel und verdient nicht mehr 
Giauben als jeder andere historische Boman. Aber es geht im 
Allgemeinen doch hervor, dass schon im dreizehnten Jahrhundert 
Niemand daran dachte, die norddanubischen Walachen für spä- 
tere Eindringlinge zu halten und dass das Bihargebiet damals 



^) Theilweise Ab- and Zuwanderungen sind auch im Bihargebiete Forge- 
komen und werden yon Niemandem gel&ugnet. Vgl. oben S. 248 und 249. 

*) Denn man wird doch nicht annehmen wollen, dass ein F&lscher so dumm 
war, mehr zu f&lschen, als zu seinem Zwecke unumgänglich nOthig war? Die Grund- 
sätze, nach denen Urkundenfälschungen im M. A. zu kritisiren sind, hat eben 
J. Ficker in seinen »Beiträgen zur Urkundenlehre* Innsbruck 1877 entwickelt. Fäl- 
schungen yon anderen histor. Denkmalen sind nach mannigfach analogen Gesichts- 
punkten zu beurteilen. Der »Notar* Aber die Bomänen z. B. nach' denen bei Be- 
nützung echter Vorlagen (hier die Ueberlieferung) für »Fälschungen angeblich gleicher 
Entstehung.« Ficker § 10. 

>) Dux yero Arpad .... legatos misit in castrum Byhor »ad ducem Menumo- 
rout. Anonymus ed. Bndlicher c. 19. femer c. 20, 51, 58. Vgl. Schmidl S. 2. 
Krones n. 55. 



^ 291 - 

schon seit Menschengedenken fttr bewohnt galt. In gewissen Dingen 
sind bekanntlich auch historische Bomane glaubwürdig ^). 



Wir haben früher das Leben und Treiben der Bomanen in 
den raetischen Bergen zu schildern, über die Population und die 
Entwicklung der Alpendörfer an der Hand der Ortsnamen Auf- 
schluss zu erlangen gesucht. Für die Ostromanen sind diese 
Forschungen, wie bereits bemerkt, erst in den Anfangen begrif- 
fen. Dennoch bieten die YerMltnisse von hier zu dort so viele 
und so bemerkenswerte Analogien, dass es wol erlaubt sein mag, 
hierauf etwas näher einzugehen, gestützt auch hier auf die Pu- 
blicationen von Schmidl und Feters, vor allem aber den freund- 
lichen Bath von Prof. Kemer. 

Ein Gebirge, dessen Eammhöhe mehr als 4700 Fuss, dessen 
Gipfelhöhe 5840 Fuss beträgt, wie der Biharia ^) in seinem süd- 
lichen Abschnitt und dessen nördlicher Theil als ein grosser bei- 
nahe ebenflächiger Felsstock bis zur Seehöhe von mehr als 5000 
Fuss emporsteigt, ein Gebirge von dieser geographischen Breite und 
diesen Yegetationsverhältnissen, bedingt in seinem Bereiche eine 
der „Almwirthschaft" ähnliche Entwicklungsform der Viehzucht^). 

In der That gibt es am Biharia eine Almwirthschaft, wenn 
auch nicht ganz in der Weise, welche die Yiehwirthschaft in un- 
seren Alpen zu einem wirthschaftlich eben so wichtigen, wie in 
landschaftlicher Beziehung reizvollen Objekt macht. Die zwei 
wesentlichsten Momente derselben, die Hochgebirgsweide und die 



^) Gzoernig II. 79 ff. und Bidermann sind in ihrer Ausnutzang des Notars 
fQr ethnographische Zwecke zu weit gegangen, indem sie ihn wie ein den Ereignis- 
sen gleichzeitiges ActenstQck ansahen; die Neueren, indem sie ihn gar nicht be- 
nutzten. Vgl. Erones II, 68. Es sind aber die Fälschungen wichtige Quellen far 
die Geschichte des Mittelalters: z. B. die gemischten österr. Prinnlegien ffir die 
Bestrebungen H. Rudolphs IV; die Lorcher Falsificate für die Tendenzen der Fas- 
sauer Bischöfe u. s. w., ebenso der Anonymus ffir gewisse ungarische Aspirationen 
im 18. Jahrhunderts — wie man sieht, trotz aller Verlogenheit eine Quelle ffir die 
Ethnographie jener Zeit und ein Prüfstein neuerer Theorien. 

*) Biharia ist der walachische Name ffir magyarisch Bihär und wird yon 
Kemer und Feters gebraucht, während Schmidl Bihar schreibt. Um den Leser auf 
die Unsicherheit in diesen Dingen aufmerksam zu erhalten, ffihre ich keine Schrei- 
bung consequent durch. 

S) Vgl. fiber das folgende Schmidl S. 168—167. Feters 809 ff. 

19* 



— 292 — 

Käserei, hat er mit ihr gemein. Dieser Character des Gebirges 
konnte auf das Wesen seiner Bewohner nicht ohne Einflnss blei- 
ben. Die Almen und Bergweiden erheben den ungarischen Berg- 
Bumänen über den Wald, d. h. über seine sonstige, auf Wald- 
verwüstung begründete Gewerbthätigkeit und machen ihn zum 
Viehzüchter. Der Bursche verlebt einige Sommer im Hochge- 
birge und wenn er auch die guten Eigenschaften des deutschen 
Aelplers bisher nicht völlig aus sich entwickelte, so hat die Be- 
völkerung in Folge der harten aber lohnenden und erheiternden 
Arbeit an Ernst, poetischem Sinn und an Energie wesentlich ge- 
wonnen. Sie unterscheidet sich in allen diesen Dingen sehr zu 
ihrem Yortheil von den Bewohnern des ferneren Hügellandes, die 
weder an den Almen noch an der Pusztenweide Antheil haben. 

Die Almhütten fahren den Namen Stäna oder St^na (spr. Stina 
mit eigentümlich tiefem i, fast wie ia). Doch ist sehr bemerkens* 
werth, dass man manchmal auch Gasa hört, ähnlich wie in den 
Alpen, wo ja das Wort ^Easer' nichts anderes ist, als das dem 
Deutschen, mundgerechte Casa ^). 

Die Alphütte des Bumänen ist der Wohnung des deutschen 
und slavischen Aelplers viel ähnlicher, wie sein Haus den steier- 
märMschen und oberkrainer Bauernhäusern ; und ebenso darf man 
die walachischen Käser und Hirtenjungen mit unseren Sennen 
recht wol vergleichen, trotz dem gewaltigen Unterschiede zwischen 
dem rumänischen Volke im Ganzen und den Stämmen unserer 
Alpenländen 

Steigen wir durch den Fichtenwald des Biharkammes hinan 
bis zu den schmalen Simsen über der Waldgrenze, die in der 
Begel durch treffliche Quellen ausgezeichnet sind, oder konmien 
wir nach Üebersteigung eines kleinen Ealksteingrats aus dem 
Nadelurwald in einen der gerodeten von frischen Bächlein durch- 
strömten Kessel des Petrosser HochgeMrgs, so gewahren wir 
mitten im üppigsten Grün ein oder zwei mit Baumrinde gedeckte 
Blokhäuschen. Sie sind an der vom Winde geschützten Seite 
angelegt und entbehren deshalb auch der in den Alpen gebräuch- 



^) »St&na di Hdtra anf dem Batrinftplatean hörte ich auch Casa dl Pi^tra 
nennen. Auf einer alten Benerkarte fand ich diesen Punkt gleichfalls als Casa di 
Pi^tra yerzeidmet.* Eemer. 



— 293 — 

liehen Steinbeschwening ihres nur allznleichten Daches. Um sie 
herum finden wir ganz dieselbe Flora, bemerkt Eemer ^}, 
„dieselben saftig grünen Oebüsche des Alpenampfers, dieselbe Art 
Oänsefuss, die gleichen Senezionen und dunkeln Eisenhutgebüsche', 
wie wir sie aus der nächsten Umgebung unserer Almhütten ken- 
nen. Der Käser im russgrauen Leinenhemd und seiner von der 
Gatya durch viel geringere Weite^ abweichenden nodi dunkleren 
Hose sieht beinahe so aus wie ein Pinzgauer Senn; sein Gruss, 
seine Bereitwilligkeit, uns mit Milch und Brinza (frischem Schaf- 
käse) zu versorgen, erinnert an die Gastlichkeit der Almhütten. 
Der Bube draussen am Gehänge, der durch einen langgezogenen, 
im Tonfall dem Jauchzen nicht ganz unähnlichen Buf die ihm 
anvertrauten Ochsen zusanmienhält, ist eine eigentümliches Mit- 
telgeschöpf zwischen dem bekannten Alpenjungen und dem «Hir- 
tenknaben aus der Bömagna', für den manche deutsche Maler 
eine so warme Vorliebe haben 2). 

Selbst eine Art «Schnaderhüpfeln' kommen vor, Stegreif- 
verse meist erotischen Inhalts, zugleich satyrische Anspielungen 
auf die Anwesenden enthaltend, die Decantece genannt und zum 
Tanze gesungen werden. Wenn auch im allgemeinen der mehr 
indolente Yolkscharakter das fröhliche Almleben, wie es in unseren 
Alpengegenden sich entwickelt hat, nicht hat aufkonmien lassen; 
so zeigen doch wieder die Volksfeste, die am Biharsattel und an 
der Gaina abgehalten werden und den Gebräuchen in unseren 
Alpen ähnlich sind, von der Liebe des Bumänen zu seinem Ge- 
birge und bringen hier wie dort Abwechselung ins eintönige Leben 
des Volkes. 

, Mit einem Worte, die Natur und die Menschen ge- 
mahnen uns im Bihargebirge lebhaft an die eigen- 
tümliche Culturform, die sich seit mehr als einem 
Jahrtausend in unserem mitteleuropäischen Hoch- 
gebirge entwickelt hat'^). 



^) Fflanzenleben der Donaul&nder S. 186. 

^ Feters a. a. 0. S. 8 10. Aehnlieh, wie die Bom&nen im Bihar, leben, wie es scheint, 
die Jumcken (Macedowlachen) im Bhodopegebirge^ dessen Plateau mit weiten Wei- 
defl&cben bedeckt ist. ZahUose Heerden Ton Hornvieh, Schafen, Pferden werden hier im 
Sommer ron den Walachen aufgetrieben, während sie im Winter die Küsten des ägeischen 



— 294 — 

So das Leben auf den Almen der Bumänen. Steigen wir 
hernieder in die hinteren Thäler des Aranyos, wo es nach Prof. 
Eemer ähnlich aussieht wie in unserem Dux, so finden wir, dass 
hier, wie in den Alpen ^), die einzelnen Gehöfte nach den alten 
Besitzern ihre »Hausnamen** schöpften: so z. B. Sed da Nicolai, 
Matie Todor, Niog Görge, Pitrose Petru, Perca Basili u. s. w. ^). 

In den Längenthälem des Aranyos, auch am Szamös haben 
sich, wie in den Alpen, auf der Alluvialsohle und bis hoch hinauf 
£m den sanften Gehängen, und bis in die innersten Thalwinkel 
auf Meilenweite zerstreute Gehöfte gebildet. Während die Ru- 
mänen auf der ungarischen Seite des Gebirges ärmliche, mit 
Stroh gedeckte Hütten bewohnen, haben die „Mozen* Siebenbür- 
gens stattliche, häufig stockhohe Häuser, massiv aus Holz, auf 
einem steinernen, weiss getünchten Unterbau. An der Langseite 
des Hauses zieht sich eine hölzerne Gallerie am Stockwerke hin, 
zu der eine Stiege hinauflFtthrt, wie in den Alpen. Alles Holz- 
werk — ausser an ganz neuen Häusern — hat die dunkelbraune 
Farbe, welche den Holzbau so malerisch macht. 

Was aber die siebenbürgischen Häuser besonders charakte- 
risirt, das ist der Baustyl derselben. Die Häuser der Mozen tra- 
gen im buchstäblichen Sinn einen Baustyl zur Schau und zwar 
haben diese siebenbürgischen Bomanen wirklich den romani- 
schen Bundbogenstyl aus uralter XJeberlieferung erhalten!? 
Hausthüre und Fenster, selbst das Geländer der Gallerie am 
Oberstock, ist im Bundbogen ausgezimmert, ja selbst die klei- 
neren Holzverzierungen bis zu den niederen Gittern vor den 
Thüren sind im Bundbogen geschnitten. Es ist kaum zu sagen, 



Meeres aufsuchen. »Mit Weib, Kind und allem Vieh ziehen sie im Juni hinauf auf 
die Berge, wo sie gemeinschaftlich in förmlichen Dörfern von Kindenhütten wohnen. * 
W. V. Berg, Thrac. Beisesdzzen IX. »Wiener Abendpost* B. vom 26. Mai 1876. 

^) Bei den Ladineru wie bei den Deutschen sind in dieser, wie in anderer 
Beziehung die Verhältnisse völlig analog. Zu S. Ijeonhardt in Abtei sah ich die 
Aufschreibungen der Wirtin durch, die Schuldigkeiten der Zecher enthaltend. Da 
stand verzeichnet »Osop de Mene dala vila* d. i Joseph (der Sohn) des Dominicus 
von (dem Dorfe) Stern« »zeirt« so und so viel. Ferner »Sepl de tita de tone«, 
d. i. »Josephus (filius) Johannis (filius) Antonii.« In Deutschtirol wird die Filia- 
tion ganz ähnlich angegeben ; z. B. Qorl-Luisens-Christl, d. i. Christoph, der Sohn 
des Alois, des Sohnes Gregors. 

*) Nach Prof. Kerner. 



— 295 — 

wie anmufhig überraschend auf den Wanderer, der vom Hochgebirge 
herab konunt, der Anblick dieser Häuser wirkt, deren pittoresker 
Charakter noch dadurch erhöht wird, dass in den weitgedehnten 
Alpendörfem Haus fttr Haus, mehr weniger isolirt, mit seinen 
^Nebengebäuden ein malerisches Objekt fOr sich bildet. '^ 

So Schnddl*). Sehen wir uns weiter in der Gegend um. 
Da sehen wir einen Berg, Comu, das Hom oder ^Hömdl* ge- 
nannt, wie bei uns das „Kitzbüchler Hom.' Die Gipfel anderer 
Berge heissen „ Vervul ' (slav. vTLch) ; sie sind nicht selten nach Pflan- 
zen benannt, z. B. Vervul Fericea nach dem Farne, Vervul ceresilor 
nach der Ersehe, Vervul coronului nach der Eiche. Was wir 
in den deutschen Alpen Bühel, Anhöhe, Bücken nennen würden, 
heisst hier Dealul und ist gleichfalls oft nach Pflanzen, aber auch 
nadi Thieren beigenannt; also: Dealul ursului (Bürenbühel), 
Dealtil boului (Ochsenbühel), Dealul vultiucMului (Geierklauen- 
bflhel). Für felsige Abstürze oder Gipfel gilt der Ausdruck: Pi^tra, 
der sehr oft vorkommt. Z. B. Pidtra lunga, Pidtra alba, Pidtra 
greitori (Echo-Felsen), Piötra Talhariului, Pi^tra tritestilor u. s. w. 
Manche Berge haben einfache Namen, z. B. Cucurbeta, Buginosa; 
besonders interessant sind die Bergnamen Tataro^a und Vulcan. 
, Sie weisen entschieden auf die Continuität der Bevölkerung hin, 
d. h. sie sprechen dafür, dass die Gebirgswalachen die zurückgeblie- 
benen romanisirten Daker sind. Im Mittelalter eingewanderte 
Walachen würden die Berge nicht mehr so benannt ha- 
ben.' Für Felsenenge, Elamm gebrauchen die Bumänen das Wort 
Stragia; für Almboden, kleines Plateau, Plan aber Plaiul; z. B. 
Flaiul GUGurbetei. Einen Erdabriss ähnlich wie der reisende 
Banggen bei Innsbruck nennen sie Bipa. Der Verbindungsknoten 
mehrerer Bergzüge östlich von Pdtrosa heisst Carligata ; ein Fel- 
senthor im Aranyosthal Porta JuanetL 

Ein quellenreiches Kar, Grube, (»Grund* im Zillerthal) wird 
als sFundul'^ bezeichnet, z. B. Fundul isvorului. Für Thal ge- 
braucht man das Wort Valea; z. B. Valea Alunu, Valea n^gra, 
Valea Gorlata, Valea Gropili, Valea Gepei, Valea Odincutia, Valea 
carului; die genannten sind durchwegs Hochgebirgsthäler: femer 
Valea sdca, Valea pdtrilor u. s. w. 



1) S. 128 £F. seines Buches. 



- 296 — 

Eine Quelle heisst Fontana rece (fons recens). Bächenamen 
sind: ßiul micu (kleiner Bach^ rivulus), ßiul mare (grosser Bach), 
Jüul alb (weisser Bach) u. s. w. Ein kleiner Wasserfall bei Vidra 
heisst Pisioria, d. i. , Pissoir.* 

' Ortsnamen sind nicht selten nach Gehölzen gebildet, so Gar- 
pinetu nach Carpinus, Hainbuche. Auch Ortsnamen wie Campu, 
Gampeni, in welchen Campus anklingt, sind nicht selten. Femer 
spielt der Bär in den Namen häufig eine Eolle: Ürsadu u. dgl., 
ebenso der Fuchs in Vulpitor u. s. w. Der dacische Drache „Dracu* 
aber lebt noch fort in den Sagen der Biharrumänen ^). 

Magyarische Berg- und Thalnamen fehlen im Hochgebirge. 
B&bänya (d. i, Kupferbergwerk) und Vaskdh (d. i. Eisenhammer) 
im Thale der schwarzen Koros sind wegen ihrer Montanwerke 
eben von Fremden besiedelt und officiell magyarisch benannt. Was 
sonst an magyarischen Ortsnamen auf den Karten oder auf den 
Tafeln am Eingang der 'Dörfer steht, hat bei der rumänischen 
Bevölkerung keinen Eingang gefunden. 

Deutsche Worte wurden im Bihargebirge nur wenige von 
den Bumänen aufgenommen: „Grumpini*', wie die Kartoffel oder 
der Erdäpfel bei ihnen heisst, ist offenbar die » Grundbirne ** der 
Siebenbürger Sachsen, dem walachischem Idiom mundgerecht ge- 
macht — Der Ausdruck »Mussein* wird angewendet, wenn eine 
Leistung im höheren Auftrag vollzogen werden muss. „Wenn 
wir Vorspannpferde wollten und die Bauern weigerten sich, sie zu 
liefern, so donnerte der Vorsteher ein „Hussein** unter die ob- 
stinaten Leute, was sicher und rasch wirkte.^ 

Neben den oben verzeichneten romanischen Flur- und Orts- 
namen finden sich zahlreiche slavische Namen, sowol auf der un- 
garischen als auf der siebenbürgischen Seite des Bihargebirges 



^) »Dracn* ist übrigens jetzt gleichbedeutend mit ^ Teufel*, aber nicht mit dem 
biblischen, der vielmehr Diayoln und Dimonu (Daemon) genannt wird. Der »Draca* 
hat mftchtigen Einfluss anf Menschen ond Thiere und was die Hauptsache, er ist weder 
an Zeit noch an Ort gebunden. Die zweite n&chst niedere Bangstufe gehört dem 
Balaur, der als eine ungeheure Schlange mit sieben Köpfen dargestellt wird. Die 
dritte Klasse sind die Smei, zwar durch ungeheure Körperkraft ausgezeichnet, sonst 
aber ein harmloses fröhliches Völkchen, yon dessen Festlichkeiten und Vergnügungen 
in unterirdischen, mit unerhörter Zauberpracht ausgestatteten Palästen manches er- 
zählt wird. Auch nach den Smei sind Oertlichkeiten benannt, Schnüdl, S« 148 t 



— 297 — 

und zwar nicht gruppenweise, sondern durch das ganze Gebiet 
zerstreut z. B. Valea Netitze, Tamitza, Dregitza, Dobrasca, Do- 
brina, Sortize, Slatina u. s. w. 

Hieher ist femer zu rechnen Isbucu und Isvor % womit 
sumpfige nasse kalte Gründe bezeichnet werden ; desgleichen wol 
auch Fouora, eine Mulde, Girda ein Bachrinnsall; Magura, ein 
Grenzberg oder Scheiderücken, Boifoa, die Ebene, Vertopu der 
Sumpf. Viele Flurnamen mögen gleichfalls slavisch sein; von 
einigen äusserte der verstorbene Schulrath K Halder, ein Kenner 
dieser Dinge und zugleich des slavischen Idioms mächtig, zu 
Prof. Kemer, er halte sie weder für romanisch noch slavisch ^). 

Diese ganze Ausführung über die Orts- und Flurnamen des 
Bihargebietes beruht auf den Mittheilungen von Herrn Prof. Kemer. 
Aus dem Umstände, dass die slavischen Namen sich „im ganzen 
Gebiete gleichmässig zwischen den romanischen zerstreut* finden, 
ist der geehrte Gewährsmann zur subjectiven Ansicht gelangt, ,dass 
die nicht zu verkennenden slavischen Anklänge, welche viele Flur- 
namen auch im Hochgebirge haben, nicht erst nach der 
Bomanisimng aufgekommen sein werden. * Denn genannten Um- 
stand müsste man in diesem Falle dahiu erklären, dass die Sla- 
ven welche sich zwischen den zurückgebliebenen romanisirten Da- 
kern ansiedelten, über alle Thäler und Thälchen sich ausbreiteten 
und gleichmässig durch das ganze Gebiet vertheilten. Das sei 
an und für sich sehr unwahrscheinlich. „Ich kann mir zudem 
nicht denken, dass in den Aranyosthälem, wo nur zerstreute Höfe 
zu finden sind und daher der Verkehr nur ein sehr beschränkter 
ist, der Einfluss der später gekommenen Slaven (die sich ja doch 
auch wieder in Einzelhöfen ansiedeln mussten) auf die schon vor- 
handenen Bomanen so intensiv gewesen sein sollte, dass von den 
Bomanen die von den Slaven gegebenen neuen Namen für Berge 
und Thäler angenommen wurden. Mir ist es viel wahr- 
scheinlicher, dass die von den Bömern bezwungenen 
Daker Slaven waren. Der Einfluss der Bömer mochte ge- 
waltig genug gewesen sein, diese Slaven zu romanisiren. 

Zur Zeit der Bezwingung der Daker durch die Römer war 



*) Vgl. Roesler Born. Stud. 280. A. 1. 
*) Vgl. Boesler a. a. 0. und oben S. 285. 



— 298 — 

das BäaigBhiat wahrscheinlich nur spärlich oder gar nicht be- 
wohnt ^). Durdi den Bergbau (im Aranyosthale) nistete sich all- 
mählig mehr und mehr Volk dort ein. Dass die Leute, welche 
mit dem Bergbau zu thun hatten, der Mehrzahl nach lateinisch 
sprachen oder es doch erlernten, steht ausser Zweifel. Ich denke 
hiebei insbesonders auch an die Bauern, welche sich damals in 
der Umgebung der Bergbau treibenden Orte ansiedelte und die 
Bergleute mit Lebensmitteln versorgten. Das besiedelte Land, 
ThUer, Orte, Berge wurden theils mit lateinischen, theils mit dar 
Uschen (beziehungsweise slavischen) Namen belegt und diese Namen 
haben sich auch bei dem im Gebirge (nach dem Abzug der Römer) 
zurflct^bliebenen Volke erhalten, — erhalten bis auf den heuti- 
gen Tag." 

Absichtlich habe ich die ganze Stelle, wie sie mir "Prot Kemar 
mederschriab, hier wörtlich wiedergegeben. Die hierin ausgespro- 
dieiie Ansieiit ist nemlidi dieselbe, welche nenestens von den 
sfamschen Gelehrten Marin Drinov und E. Jos. Jiree^ek ausge- 
sprochen worden ist; nur dass natürlich unter aDakem** nicht 
der herrschende Stamm im dacischen Beiche gemeint ist, der im- 
zweifelhaft thrakischer Nationalität war, sondern die den Dakem 
unterworfenen Völker, die in ihrer Unterwürfigkeit damals ebenso 



^) Aus dem gegenwärtigen Bestände der Wälder nnd Calturen, deren Ab> 
nfltzong gewissen Gesetzen unterliegt, femer aus der Bebauung mit gewissen Pflanzen, 
glaubt Prof. Eemer den Schluss ziehen zu dürfen, dass das Bihargebirge jedenfalls 
Ober tausend Jahre bewohnt sei. Peters hat eine ähnliche Ansicht geäussert. Vgl. 
Eemer »die Vegetationsverhältnisse des mittleren nnd Ostlichen Ungarns und des 
angrenzenden Siebenbürgens.* Innsbmck, 1875. S. 77 z. B. ist constatirt dass 
Linnm nsitatissimum, das im mittelnngarischen Berglande und im Tieflande nur 
selten ist, dagegen häufig im Bihargebirge gebaut wird. »Die höchst gelegenen Lein- 
felder im Gebiete des Aranyos bei den MozenhOfen nächst der Eishöhle bei Scaii- 
sGöso und hei den obersten Häusern von Vidra gegen den Dealul boului. 950 — 1200 
ÜCeter.* Bis aber die Cültur so intensiv wurde, erforderte es lange Zeit. Ebenso 
liegt die hOchstgelegene beobachtete Cnlturstätte von Cucurbita Pepo in dem von 
Eemer behandelten Gebiete bei den obersten MozengehOften unter dem Pealul boului : 
1188 Meter. A. a. 0. S» 168. Prunus domestica L. findet sich gepflanzt in den Gar- 
sten des Bihargebietes, wo Eemer die hOchstgelegenen Culturstätten der Zwetschken- 
bäume, die MozenhOfe ober Vidra, 1188 Meter und jene nächst der Eishöhle von 
Scasiöra, 1185 Meter notirte, während im waldlosen Steppengebiete der Tiefebene 
Prunus domestica nicht gedeihen will und schon an der Grenze des Waldgebietes 
die Bäume ein kümmerndes Aussehen zeigen. Ebenda S. 187. 



— 299 — 

wenig in der of&ciellen Benennung des Beiches eine Bolle spielten, 
wie jetzt die Walachen in derjenigen von Oesterreich-IIngam oder 
in dem langen Dunkel des Mittelalters. 

Ich habe oben die Begründung dieser Ansicht durch Drinov, 
soweit sie auf einige Ortsnamen sich stützte, zu widerlegen 
gesucht. 

Auch gegen Prof. Eemer's Ansicht möchte ich mir einiges 
zu bemerken erlauben. Es ist freilich eigentümlich, dass sla- 
yische und romanische Nomenclatur so durcheinander gewürfelt 
ist Aber dasselbe ist eben überhaupt mit der Sprache der Bö- 
mänen der Fall, nicht nur ün alten DaUen, sondern auch auf 
der Balcanhalbinsel bis hinab nach Thrakien, und hier dürften 
doch — wie auch JireSek zugesteht — vor dem Ausgang des 
fünften Jahrhunderts keine Slaven gesessen haben. 

Eine Durchsprenkelung der Namen fand und findet wol in 
allen Ländern statt, wo auf den Grundlagen einer älteren Gultur- 
epoche eine neue sich erhebt: die älteren Elemente sterben ab 
und indem sie von jüngeren ersetzt werden, die mit jenen wenig 
Commerz pflegen, bildet sich die neue Nomenclatur; wo ein sol- 
cher Commerz länger anwährte und demnach ein üebergang statt- 
hatte bleiben wol in der Begel, aber nicht immer die alten Namen. 
Dafür gibt es Beispiele genug in Hellas, in Tirol, in den deutsch- 
slavischen Colonialländem und sogar in America ^). So mag es 



^) Aas der »Kölner Zeitung*, wenn ich nicht irre, habe ich vor Kurzem eine 
Notiz entnommen, die hier ihren Platz finden mag : »Wie die Indianer Nordametica^s 
bald selbst zu den Geschöpfen gehören werden, die der Vergangenheit angehören, 
so sind auch die meisten der Namen verloren gegangen, mit denen sie die Haupt- 
punkte ihrer Heimat bezeichneten ; nur in Galifomien hat man solche Bezeichnungen 
möglichst gewissenschaft bewahrt, wo nicht durch die spanische Colonisation die- 
selben den Heiligen des Kalenders weichen mussten. — Im Innern des Landes waren 
es zum Theil französische Canadier, welche dort die ersten Entdeckungsreisen unter« 
nahmen, entweder die Urbezeicfanang französirten, oder, wie die mormonischen Co* 
lonisten, nach Namen des alten und neuen Testaments griffen, so dass im Gkmzen 
wenige von den ursprünglichen Indianemamen auf die neuen Ansiedlungen flbergiengen.* 
In Oalifomien wurden in neuerer Zeit den Niederlassungen die Namen der ersten 
Ansiedler oder ron Naturereignissen gegeben, wo nicht spanische Bezeichnungen schon 
Torhanden waren. Namen ron Staatsmännern und Stftdten Europa^s wurden ebeniUls 
angewandt. — Daraus entstand im Westen ron den Vereinigten Staaten eine sehr 
gesprenkelte Nomendatnc der dortigen Gegenden. 



— 300 — 

immerhin auch in Dakien gewesen sein, als hier Bomanen und 
Slaven jene merkwürdige Süschung eingiengen, der die Bom9jien 
ihre Entstehung verdankMi ^). 

2. Bomänische Ortsnamen in magyarischer Form. 

Die Magyaren sind ein stolzes Volk, das inmitten ihm stamm- 
fremder Nationen sitzend, diese zu beherrschen und ihnen das Ge- 
präge ihrer Nationalität aufzudrücken unternahm und unternimmt 

Nicht ohne, dass dabei selbst die Wissenschaft leiden muss. 
Z. B. bei Volkszählungen sucht man die Zahl der Magyaren grösser 
hinzustellen, als sie wirklich ist u. dgL m. Auf den Landkarten 
aber sollen alle Namen magyarisch wenigstens scheinen, wenn sie 
es auch nicht sind: so erhfilt die romanische Nomenclatur einen 
derartigen ofiGiciel ungarischen Anstrich, dass unter dieser Hülle 
nicht leicht Jemand den wahren Eem ausfindig zu machen ver- 
möchte 2). 

Prof. A. Eemer und seine Freunde richteten bei ihren natar- 
wissenschafüichen Streifzügen ihr Augenwerk auch auf diesen 
Punkt. Dadurch sollte fOr die Publicationen eine richtige Namen- 
schreibung erzielt werden. 



^) Wenn man Mischung von Römern mit froher angesessenen Slaven an- 
nehmen würde, kAme man schliesslich auf die gleiche Erklärung desselben Besultats 
hinaus: Durchsprenkelnng slavischer Nomenclatur mit romanischer, nur dass diese 
überwog. 

') Schmidl macht hierüber S. 405 folgende Bemerkungen: »Bei diesen Gele- 
genheiten konnte ich mich nur zu oft überzeugen, wie ohne genaue Kenntnis der 
Landessprachen die fehlerhafteste Schreibart der rulg&ren Namen entstehen muss. 
Man sieht es den Ortsnamen auf den Landkarten reöht gut an, ob es ein Deutscher, 
ein Magyare oder ein Slave gewesen, der die Namen nach dem Gehör aulEuste 
und niederschrieb, wie er sie geschrieben hätte, wären es Namen seiner Sprache 
— und sie daher fast immer falsch schrieb. Viele Unrichtigkeiten selbst der 
amtlichen Publicationen sind auf diese Art zu erklären. Im Bihargebiet 
ist die weitaus überwiegende Mehrzahl der Benennungen romanischen Ursprungs, aber 
alle romanischen topographischen Namen werden von altersher auf magya- 
rische Art geschrieben, wie der Magyare sie eben nach seiner Aussprache ge- 
schrieben hat. . Das sind übrigens Uebelstände, die unter ähnlichen Umständen sieb 
überall finden; man darf nur auf die orientalischen Ortsnamen Torweisen, wie rer- 
schieden diese von Franzosen und Engländern geschrieben werden.* 



~ 301 — 

Schmidl hat in seinem Werke die so hergestellte Nomen- 
clator wUich angewandt ^). Doch wird mir bemerkt, dass er 
dabei nm den magyarischen Chanvinismns nicht heransznfordem 
und in Fest unmöglich zu werden, sich mancherlei Beserve habe 
auferlegen müssen. 

Es ist diese Kenntnisnahme der modernen Verhältnisse nicht 
unwichtig ftlr die Beurteilung der mittelalterlichen Zustände. 
Boesler argumentirte nemlich in den Born. Stud. S. 130 f. also : 
9 Die (siebenbürgischen) Urkunden des zwölften Jahrhunderts sind 
voll Ortsnamen, Namen von Bergen, Thälem, Bächen, Fluren und 
Gehöften. Wenn die Bomänen als mehrhundertjährige Einwohner 
das Land bebaut haben, so müssen diese .Benennungen doch hier 
und da die rondnische Sprache erkennen lassen. Allein die 
Namen sind nicht romanisch, sie zeigen weder ro-. 
manische Stämme noch Formen.' Also sassen zur Zeit 
der ungarisch-deutschen Colonisation hier keine Bomänen ! ^Man 
kann nur die Möglichkeit zugestehen, dass es vor Beginn der weslr^ 
liehen Einwanderung von Ungarn her wenigstens nur romanische 
Hirten gegeben habe.' 

Ich habe dagegen schon in der Schrift über die «Anfänge 
der Bomänen' S. 70 f. mich ausgesprochen. Von den Ortsnamen, 
die in den ältesten siebenbürgischen Urkunden vorkommen, zeigt sich 
ein grosser Theil als slavisch ; möglich, dass der Bomanismus den 
Slavismus damals noch weniger verdaut hatte. Dann aber sehen 
wir, ganz wie heutzutage, die Magyaren die Nomenclatur jener 
Gegenden sich mundgerecht machen. Nehmen wir das sieben- 
bürgische Urkundenbuch zur Hand, so betrifft gleich Beg. n. 1 
vom J. 1075 eine Schenkung E. Geisa's an die Benedictinerabtei 
im Oranthal; darunter ist genannt «tributum in loco, qui dicitur 
hungarice Aranyas, latine autem aureus.' 

Beg. n. 4 vom J. 1138 führt die siebenbürgischen Besitzungen 
der Pröpste der hl. Margaretha von Demos an und gibt dabei 



^) In dem »topog^raphischen Register^, das er seinem Werke S. 408 fP. an- 
gefügt hat. Zur Bectifidmng der Namenschreibung war unseren Expediücnsmit- 
gliedern Herr A. Koman, damals Prof. der romän. Sprache in Pest, behilflich. Doch 
sind in Schmidls Buch die romanischen Ortsnamen ans Opportunitätsgrflnden yielfiach 
anders behandelt, als in Prot Kerner^s Aufzeichnungen ron Romanos Hand. Vgl. dar- 
über Schmidl selbst S. 406. 



- 302 — 

mtoressante Aufschlflsse über die dortigen Cülturzustände : die 
eigenen Leute hatten jährlich 20 Marderfelle, 100 Biemen, 2 Bä- 
renfelle und ein Auerochsenhom zu leisten. Die ganze Stelle lautet: 
^m ultrasilvanis partibus sunt mansiones, qui sal dare debent, 
sc. yiginti quattuor millia salis. Nomina mansionum sunt: Yosas, 
Martin, Einis, Besedi, Senin, Sokol, Lesen, Ginon, Tuglidi, Both, 
Eosu, Hamudi, Satadi, Uza, Kulengen, Vir, Emis, Viusti, Habisa, 
Ellu, Yendi, Ogsan, Cesti, Orsti, Sonnig, Simeon, Yasil, Isak, 
üttos, Sima.*" 

Die Nomenclatur dieser Urkunde ist auf den ersten Blick 
als nicht slavisch zu erkennen, da eben slavische Ortsnamen im 
Laufe der Jahrhunderte den wenigste Modificationen unterliegen, 
die meisten einfach und uncomponirt sind, die Wirkung des Accents 
gering ist YgL Miklosich, «die slay. Ortsnamen aus Appella- 
tiven.« Denkschriften der Wiener Akad. XXI (1872) S. 77. 

Hingegen unterliegen die romanischen Ortsnamen solchen 
Aenderungen und es ist zu vermuthen, dass in den Urkunden 
deren vorkonmien unter der Nomenclatur, die weder slavisch, noch 
deutsch noch ungarisch ist^). 

In welcher Weise aber das Bomänische magyarisirt wird, 
mOgen vorläufig die folgenden Zusammenstellungen von Ortsnamen 
aus dem Bihargebiete zeigen. 

Ungarische Schreibung. Bomänischer Name. 

Ylagyasza Ylad^sa 

Atsuva Aduva 

Grosz Grosi 

Lyasza Leasa 

Tysza Ttsa 

Czermore Ti^rmure 

Bogyesd Bodesd 

Mermesd Mermesci 

Magulitza Maguritia 



*) Aach setzten die magyarischen Urkandenschreiher bei Namen, die sie nicht 
Torstanden, wol »locus qui vocatur.* Vgl. » Anfänge der Eom&nen< S. 71 A. 2. 
Per magyarisirte romanische Name wurde dann erst noch latinisirt. Und das ma- 
gyarische Latein ist ja berühmt. 



- SOS 



ungarische Schreibung. Bomänischer Name. 



Guravoj 

Pleskutza 

Atsutza 

Talats 

Csats 

Kallinyasza 

Yalea rianik 

Nyärsz^g- 

Halmägy 

Körösb^ya 

Mezes 

Krayko 

Czoresty 

Dolyo 

Yalea Ijenky 

Tycserea Dosculuj 

Glavojä (Globoje) 

Yalea Bestere 

Botondo 

Yalea Lunksora 

Tyeyusul 

Nemesaszka 

Galis^a Czutsenylor 

Yalea Cautsy 



Gura-Yoiu 

Flescutia 

Aciutia 

Talaciu 

Ciuci 

Calin^sa 

Yalea-Bimnicu 

Merstgu 

Almagin 

Baia-de-Crisiu 

Mediesin 

Craicu 

Cioresci 

DöUu 

Yalea Lenchi 

Ticerea-Doscului 

Glavoia 

Valea-Pescere 

Botundu 

Yalea-Luncsidra 

Teiusiul 

Nemesi^sca 

Galistea-Ciucenilor 

Yalea-Ciucii. 



3. Bomänische Ortsnamen aus dem Bihargebiete. 



Herr Boman fertigte für Prof. Eemer ein Yerzeichnis der 
Ortsnamen im Bihargebiete an, indem dabei die magyarisirte No- 
menclatur der ungarischen Comitatskarten, die auch Schmidl in 
seiner Karte meist beibehalten hat, auf das ursprüngliche Bomär 
nisch redudrt ward. 

Die betreffenden Karten wurden in kleine Segmente von Nord 
nach Süd, von West nach Ost abgetheilt, und dieselben durch 
Zahlen unterschieden. Es schien passend, diese beizubehalt^ 



— 304 — 

da danach auf jeder grösseren Karte es sich leichter orientiren 
last 1). 

Einige der Hauptorte sind mit gesperrter Schrift gegeben. 
Wie die Magyaren und (in Siebenbürgen) die Deutschen zu den 
Bondnen stehen, wird ein unbefangenes Eingehen auf die roma- 
nische Namenforschung nicht so bald zu erwarten sein. Die Bomä- 
nen selbst aber werden vorläufig auch nicht Zeit finden, mit diesen 
Dingen sich zu beschäftigen. So wird es gerechtfertigt sein, dies 
Verzeichnis hier abzudrucken, da es vielleicht dem Sprachforscher 
von Nutzen sein kann; sollte dies nicht zutreffen, so ist der 
Schaden gering, es hier zu finden. 

Comitatul Bihariei. 

L 1. Mierleu. 2. üsopa. 
n. 1. Gepisiu. 2. DecanescL 3. Läsuri. 4. Gurlungu. 5. Ca- 

randu-mare. 6. Carandu-micu. 7. Bicaciu. 
in. 1. Stracosiu. 2. Dragesci. 3. Topesci. 4. Coteletu. 5. Bu- 

ciumu. 6. Ceca. 7. Cesdra. 8. Topa inf. 9. Corbesci. 
IV. 1. Topa sup. 2. Bulsu. 3. Govoresci. 4. Dobresci, 5. M(unte) 

Magora. 
V. 1. Dämosiu. 
VI. 1. M(unte) Senea. 

Vn. 1. Osiandu. 2. Gepisiu Eom. 3. Husaseu. 4. Pumasiu. 
Vin, 1. JencescL 2. Dusiesci. 3. Carpesci-mari. 4. Carpesci- 
mici. 5. Eorosigu. 6. Hodlsiu. 7. Nan-Idisielu. 8. Cran- 
cesci. 9. Sitani 10. Lunca-Spria. 11. Eosia. 12. Cam- 
pern sup. 13. Turburesci. 
IX. 1. Verätecul. 2. Eontanele. 
X. 1. Gurbedlu. 2. Tinea. 3. Eipa. 4. Valea-mare. 5. Mo- 

eiaru. 
XI. 1. Lupöea. 2. Sambasiagu. 3. Dumbravitia. 4. Bogosu. 
5. Holodu. 6. Vinteri. 7. CopacenL 8. Varasieni. 9. Ose- 
sci. 10. Botaresci. 
Xn. 1. Albesci. 2. Hidisiu. 3. Spinusiu. 4. Campeni inf. 5. Co- 
sidenL 6. Gurbesci. 7. Valeni. 8. Gab e sei. 9. Lasuri. 
10. Sohodoru. 11. Gomu Salisului. M(unte). 

*) Auch das > topographische Register« in Scliiniars Buche bietet erwünschte 
Beihilfe, die aber gleichwol nicht immer ausreicht. 



— 305 — 

XIII. 1. Belfirea. 2. Cociuba. 3. Locusior. 4. Crisiu Negru. 
5. Qinta ung. 

XIV. 1. Ginta rom. 2. Capela. 3. Saldabagiu. 4. C. Maliern. 
5. Presdca M. 6. Babagani. 

XV, 1. Maliciu C. 2. Salisce. 3. SaucanL 4. Dragoteni. 

5. Eemetea. 6. Gurbesci. 7. Mediadu. 
XVI. 1. Beinsiele. 2. Baüncele M. 3. Tunsure M. 4. Pötra 

Babei 
XVn. 1. Olcea. 2. Caraseu. 3. Petidu. 4. Ursadu. 
XVni. 1. Seplacu. 2. San-Nicdra. 3. Sioimu. 4. Urvinisiu. 
5. Geosani (Soldusalisce). 6. Presöca. 7. Locunou. 
XIX. 1. Valeni. 2. Petrani. 3. Finirisiu. 4. Pocola. 5. Siun- 
cuiusiu. 6. San-Martinu. 7. Delani. 8. Petrasi. 9. Cu- 
ratiele. 10. Mmoesci. 
XX. 1. Pociovelisce. 2. Cresuia. 3. Burda. 4. Carbuuari. 

5. Budurösa. 6. Vervul Poienei. 7. Vervul Botiesei. 
XXI. 1 . Ucurisiu. 2. Bodiu. 3. Hodisielu. 4. Ciuntasa. 5. Po- 

clusia. 6. Borsu. 7. Dumbravitia de Codru. 
XXn. l.Ivanisiu. 2. Salcetu. 3. Finisiu. 4. Tarcaia. 5. Negru. 

6. Beinsiu (Beldnyes). 7. Mediesi. 8. Talpe. 9. Dra- 
ganesci. 10. Tiganesci. 11. Balageni. 12. S^ca 13. Sodu. 
14. Fericea. 15. Gumanacelu. 16. Eiul somesiu. 17. Sa- 
lisce. 

XXm. 1. Siadu. 2. Bogosu. 3. Marisielu. 4. Marisiu-mare. 
5. Craiova. 6. Getatea Beli. 7. Magura. 8. Tarcaitia. 

9. Miragu. 

XXIV. 1. Tatareni. 2. Balaleni. 3. Paganesci. 4. Läsuri 5 In- 
chirisiu 6. Cusenisiu. 7. Cacaceni. 8. Sudrisiu. 9. Eieni. 

10. Valea-Nögra inf. 11. Dumbravani. 12. Brdsce. 
13. Poiene sup. 14. Gurani. 15. Poiene inf. 16. Le- 
lesci. 17. Buntesci. 18. Cociuba. 19. Petrdsa. 20. Bra- 
detu. 21. Cohumicu. 

XXV. 1. Varasidea. 2. Pdiara-Boghi. 3. Pescerea. 4. Stana de 

Pdtra. 5. Magura- VSneta. 6. Balaciana. 7. Betrana. 
XXVI. 1 . Locumicu. 2. Bandardsa. 3. Bochia. 4 Benesci. 5. Me- 
gisiu. 6. Cumanesci. 7. Agrisiu. 8. Botfeiu. 9. Urvi- 
nisiu. 10. Clitu. 11. Cepariu. 12. Plesi M(unte). 
XXVn. 1 . Poncoiu M. 2 Brieni. 3.» Didisieni. 3.^ Voeni. 4. Mär- 

JuDf, die Düuau'Proriuien. 20 



— 8ö6 — 

gini. 5. Lunca-Urdiesci 6. Scei. 7. Petrileni. 8. Öa- 
voienL 9. Sadesci. lO.Erdiesci. ll.Campeniinf. 12.Cam- 
peni sup. 13. Sadescelu. 14 Fenatie. 15. Serbesci od. 
Folesci. 16. Valea n^gra sup. 17. Magura. 18. Cul- 
mediusiu. 19. Calin^sa. 
XXVIIL 1. Belu. 2. Sicu. 3. Arcosi. 4. Nermediu. 5. Ca- 
randu. 6. Chiertisiu. 7. Grosi. 8. BarsescL 9. Susani. 
10. Nadalbesci. 11. Ignesci. 
XXIX. 1. ifisori. M. 2. Mon^sa. 3. N^gra. 4. Miniadu. 5. Slä- 
tina. 6. Cicera Ursului M. 7. ColescL 8. Campu. 9. CohiL 
10. Sustu. 11. Baresci. 
XXX. 1. Verdiari inf. 2. Verdiari sup. 3. Carpinetu. 4. Soho- 
doru. 5. Calügarl 6. Leheceni. 7. Foi^na. 8. Salisce. 
9. C r i s c i r u inf . 10. Criscioru sup. 11. Muntele Bi- 
hariei (Culmea = Gipfel) Cucürbeta. 
XXXI. 1. Des na. 2. Desna vechia. 3. Brusturesci. 4. Foi^na. 
5. M. Moma. 6. Aciuva. 7. Grosi. 

Comitatul Aradului. 

I. 1. Arcosi, 2. Nermediu, 3. Stcu, 4. Carandu, b.^ Grosi, 
5.^ Barsesci, 6. l^suri, 7. Susani, 8. Nadalbesci, 9. N^gra, 
10. Mon^sa, 11. Colesci, 12. Campul, 13. Sustu, 14. Ci- 
cera Ursului, 15; Baresci, 16. Co hu, 17. Carpinetu. 
n. 1. Albesci, 2. Chiertisiu, 3. Boani, 4. Ignesci, 5. Miniadu, 
6. Slättna, 7. Desna, 8. Bavna, 9. Bescirata, 10. Soho- 
doru, 11. Calügäri, 12. Criscioru inf. 
in. 1. Grosi, 2. Läsuri, 3. Aciuva, 4. Poi^na, 5. M Moma, 
6. Brusturesci, 7. Slmbru, 8. Dulcele, 9. Sugäu, 
10. Desna vechia, 11. Lasu, 12. Donceni, 13. Prediesci, 
14. Selagiani, 15. Bosia, 16. Govosdia, 17. Sabisiu, 18. 
BSrsa. 

IV. 1. Vidra, 2. Plescutia, 3. Guraväii, 4. Valea Mare, 5. Pi- 
nisiu, 6. Crocna, 7. Dieci, 8. Bevettsiu, 9. C. Semerdu, 
10. Berindia, 11. Cociuba, 12. Buteni. 

V. 1. Talada, 2. Aciutia, 3. Dumbrava, 4. Bostociu, 5. Sat- 
tele, 6. Gurahontiu, 7. losasielu, 8. losasiu, 9. Bontiesci, 
10. Cilu, 11. Almasiu, 12. Bodesci, 13. Cacar&u. 



— 807 — 

VI. 1. Hontisitfra, 2. Saturöo, 3. Yerdiari, 4. Seoacea, 5. Mu-r 

stesd. 
Vn. 1. Ciungani, 2. Codru Vasl, M., 3. Dealul Pmcului, 4. Bu- 

ciava inf., 5. Buciava sup., 6. Madrisesci, 7. Drocea M. 
Ym, 1. Casanesci, 2. Obersia, 3. Dealul Fontane!, 4. Fdtra Alba, 

5. Mihaldsa, M., 6. Yervul Cärpini, 7. Capu Musa, 8, 

Slaüna. 

4. Bomänische Pflanzennamen. 

Schliesslich stellt Prof. Eemer den Bomanisten seine Samm- 

* lung romanischer Pflanzennamen zur Yerfdgmig, die, wie er glaubt, 

einem botanischen Werke einverleibt, ihrer Aufmerksamkeit leichter 

entgehen könnte, als in einem Buche, das über ,Bömer und Bo« 

manen in den Donauländem'' handelt. 

Nicht leicht in anderen Dingen ist die Energie, mit der der 
römische Sprachgenius auf altdacischem Gebiet sich pflanzte und 
durch mehr als anderthalb Jahrtausende dann forterhielt, so zu 
erkennen und zu bewundem, als in dieser Aenderung und Fort- 
pflanzung der Nomenclatur der gewöhnlichsten Pflanzen in roma* 
nischer Form bis auf unsere Tage. Auch hierin sind wir noch 
immer die Epigonen der gewaltigen Epoche der römischen 
Kaiser. 

Doch sind auch hierin einige räthselhafto Namen zu bemerken, 
z. B. die Bezeichnung « Baichen ** fQr Ahorn, der weder mit roma* 
nischem noch mit slavischem Schlüssel beizukommen ist und 
dabei ist der Ahorn den Bumänen ebenso ein heiliger, durch Sagen 
und Märchen verherrlichter Baum, wie etwa den Slaven die Linde. 

Es sind im Folgenden die technische Bezeichnung, die vul- 
gäre und die schriftmässige romanische Namensform der betref- 
fenden Pflanzen zusammengestellt. 

TechnischerName. Yulgarromänisch. Schriftromänisch. 

Bumex alpinus Stjevie Scevea 

Yiola (species) Eeruschelje Garusiele 

Heracleum Dijets 

Juniperus nanna Ginapan Juneaperu 

20* 





— 808 — 




Technischer Name. 


Vulgarromänisch. 


Schriftromänisch. 


Betula alba 


Mestial^an 


Mesteacanu 


Origaniim Majorana 


Majoran 




Fragaria vesca 


Frasch 


Frage 


Dieranum (species) 


Muscht 


Musd 


Fagus sylvatica 


Fag, Faga 


Fagu 


Astrantia major ^ 
Leonurus cardiaca / 


Erba (Jerpa) niagre 


T^lrba n^gra 


Taxus baccata 


Gyissa 


Tisia 


XTInins campesLris 


Ulmu 




Abies excelsa 


Molydja 


Molidia 


Abies pectinata 


Bradu 




Acer pseudoplatanus 


Baichen 


PaltTnu 


Fraxiniis excelsior 


Fraccin 


Frastnu 


Quercus Bobur 


Goronu 




Salix Caprea 


Mucesore 


Mucisiöra 


Salix fragilis 


Ralka 


Salce 


Sambucus nigra 


Sok 


Socu 


Carpinus Betulus 


Carpinu 




Corylus Avellana 




Alunu (Tufa, Tufetu 
Gebüsch) 


Cucumis sativus 


Krestavetz 


Crastaveti 


Cucurbita Fepo 


Eukurbeta 


Cucürbeta 


Cucumis Melo 


Pepine 




Citrullus vulgaris 


Lepenitza 


Lebenitia,Pepene mu- 
stosu 


Fanicum 


Malai? 


Malaiu 


Lactuca sativa 


Salata 


Laptuca 


Fapaver somniferum 


Mak, Boschor 


Macu, Bosioru 


Urtica dioica 


Ursica 


Urtica 


Coruus mas 


Comu 




Bubus Idaeus 


Smior, Mori 


Smeuri 


Bubus fructicosus 




Mure 


Bosa canina 


Bugu 




Aspidium filix mas 


Ferice 




Fyrus communis 




Peru 


Fyrus Malus 


Mor 


Märu 


Prunus domestica 


Prunü 





— 309 - 



TechnischerName 


Vulgarromänisch. 


Schriftromänisch. 


Juglans regia 


Nucu 




Fhaseolus vulgaris 




Fastfle 


Pisum salivum 


Mäsere 




Ervum Lens 




Tiinte 


Solanum tuberosum 


Grumpini 


Grumpini 


Zea Mays 




Cucurudiu, Porumbu 


Avena sativa 




Ovesu 


Hordeum vulg. 




Ordiu 


Seeale cereale 




Secara 


Linum usitatissimum 


• 


Jinu 


Bibes rubrum 




Bibise 


Bibes Grossularia 




Acricei 


Tilia grandifolia 


Djiei Tphei? 


Teiu 


Populus tremula 


Plopu 


,^ 


Sorbus aucuparia 


Skurus 


Scorusie, Sorbu 


Cannabis sativa 




Cftnepa 


Vitis vinifera 




Vüa, Vitia 


Carum carvi 




Cuminu 


Castania vesca 




Castanu 


Prunus Cerasus 


Visinu 




Prunus Avium 


Cerasiu 




Dipsacus fallonum 




Scaiu 


Polygononum fagopy- 






rum 




Kirisca 


Vicia faba 


Bobu 




Levisticum 




Leuscianu 


Tanacetum Balsam. 


Carpa 




Nasturlium Armora- 




1 
1 


cia 




Ereanu 


Artemisia Abrotan- 




1 


num 


Lemnulu Domnului 


(Pelinu = Absynt) 


Mentha crispa 




]^rba Grdtia 


Tanacetum vulgare 


Vetrice 




Baphanus sativus 




Badichia 


Hedera Helix 


Hiedjere 


l^dera. 

1 

1 



BEBIGHn&TJir&Eir TJirD ÜTAGHTMaE. 



Wo nur Buchstabenfehler vorliegen, die leider zahlreich sind^ 
bitte ich den Leser, das selbst zu berichtigen. 

S. 8 Z. 17 y. unten 1. Pannonien st. Fannien. 

Zn S. 22 ff. Cap. 2 und 8. Ueber das Finanz- und Militärwesen der römi- 
schen Eaiserzeit gibt reichlichere Aufschlflsse der inzwischen erschienene zweite Band 
von J. Marqnardt*s »Römischer Staatsverwaltung.* Leipzig 1876. 

S. 65 Z. 4 V. oben 1. den gall. Landschaften st. der galL Landschaften. 

S. 74 Z. 10 V. unten 1. Baetiens st. Raetius. 

Zn S. 101. Neuerdings sind auch in Fompeii den siebenbOrgischen vollkom- 
men ähnliche Wachstafeln zu Tage gekommen. Ygl. »Le tavolette cerate di Pompei 
rinvenute a* 8 e 5 Luglio 1875.« Memoria del prof. Giulio de Petra. Napoli 1877. 

Zu S. 148. Für die Intensität römischen Wesens in unseren Landen zeugen 
namentlich die zum Theil bewundernswerten »Bömischen Büdwerke einheimischen 
Fundorts in Oesterreich*, die Gonze publicirt hat. Vgl. Denkschriften der Wiener 
Akad. XXII. 1878. 1 iL Der ebenda genannte Palast Piocletians bei Salonae wird 
jetzt einer um&ssenden Restauration unterzogen. 

S. 176 A. 2 1. Strabo 5, 1, 18 st. Strabo 5. 18. 

Zu S. 178 ist zu bemerken, dass zwar nicht römische (italisdie) Touristen 
sich auf Bergbesteigungen verlegten, wol aber im Laufe der Zeit die Romanen 
am Rhein und wol auch an der Donau. Salvian wirft de gub. dei VI. 2 seinen 
Zeitgenossen rohe Schaulust vor: »adeuntur loca abdita, lustrantnr 
invii saltns, peragrantur silvae inexplicabiles, conscenduntur 
nubiferae Alpes, penetrantur inforae (so die beste Leseart ; eine andere 
Handschrift hat niviferae vgl. Halm. Sitzungsber. d. Mflnch. Akad. 1876. 1. 6. S. 898) 
valles. 

Zn S. 215. Der Walchengau (»Walhogoi*) von dem hier die Rede geht, 
ist nichts anderes als das heutig^ Wallgau südlich vom Walchensee. »Gau* hat hier 
wie in zahlreichen anderen Fällen, z. B. in Ammergau n. s. w. die Bedeutung von 
»Gemarkung* ; (daher wol die Redensart »ins Gän gehen*) ; auf welche AufEassung 
schon der urkundliche Zusatz: »cum lacn subjacente* (dem Warmsee) hinweist. 
Vgl. in den Brizner Urkunden des eilften Jahrhunderts bei Sinnacher II. 604 ff. : »pa- 



— 311 — 

gti& TTirna, pagus Buch, pagus Nuzdorf, pagas Taverds, pag^as Fonopensis, pagus 
Entholz* u. 8. w. Ygl. darüber die anch sonst beachtenswerten Bemerkungen ron 
mezler in der Eist. Zeitschrift Bd. XXXYI. (1876) S. 498 ; besonders auch fiber 
die Einwanderung der Baiern nach Donauraetien. Es sei wahrscheinlich, dass die 
Baiuyaren ihr Land bei der ersten Ansiedlung nur in rier Gaue getheilt haben: 
Snndergau, Westergau, Nordgau, Ostergau; die bis auf den drittgenannten später 
mehrüach getheilt wurden. Der Sundergau habe noch »Prichsnatalia*, das Brixen- 
thal, in sich gefi&sst; während »die baierische Einwanderung in^s Oberinnthal und 
fiber die Tauem erst später, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des sechsten 
Jahrhunderts erfolgte.* 

Zu S. 240 t In die Liste aus dem Altertum erhaltener daco-romanischer 
Ortsnamen ist fernerhin aufzunehmen: Ssidowin, benannt nach Sidoria, einer 
römischen Station im h. Temeser Banat. Schwicker, »Allg. Zeitung* Q. vom 3. De- 
zember 1876. 

Prof. J. H. Schwicker, Verfasser der »Statistik des Königreichs Ungarn* (Stutt- 
gart 1877), yerOffentlichte a. a. 0. einen Artikel »zur Frage über die Herkunft 
der Rumänen* zu Gunsten Boesler's gegen A, Ficker's Aufsatz »Noch einmal der 
Ursprung der Ostromanen nordwärts der Donau* ebenda, 8. Nor. 1876, worin den 
Resultaten meiner »Anfänge der Romanen* beigestimmt worden war. Schwicker 
stützt sich namentlich auf die eben erst erschienene »Ethnographie ron Ungarn* 
des durch seine linguistisch-historischen Arbeiten rühmlichst bekannten ungarischen 
Akademikers P. HunfEdyy, die Schwicker übersetzt und mit selbständigen Anmer- 
kungen yersehen hat, mir aber erst in letzter Stunde zugekommen ist. 

Viel neues ist darin, wie ich ersehe, nicht zu Tage gefördert. Gleich an- 
&ngs wird nach der alten Weise das Wesen der römischen Colonisation — 
— der Gardinalpunkt in der ganzen Frage -^ falsch aufgefiisst und in Folge 
dessen auch weiterhin falsch raisonnirt. »Dacien bot in dieser (d. i. römi- 
scher) Zeit ungefähr das Bild wie Ungarn ror fünfzig Jahren. Hier wurde des- 
gleichen die Gesetzgebung, die Verwaltung und Rechtspflege in lateinischer Sprache 
geführt. Die Gebildeten rerkehrten mündlich und schriftlich in diesem Idiom, die 
Lehrer an den mittleren und höheren Bildungsanstalten unterrichteten darin, und die 
Gelehrten schrieben ihre Werke lateinisch. Wer Ungarn aus diesen Thatsachen allein 
ethnographisch beurteilen wollte, der müsste daraus folgern, dass Ungarns gesammte 
Bevölkerung eine einheitliche und zwar lateinisch sprechende gewesen sei.* In der- 
selben falschen Weise ziehe man wol aus den lateinisch geschriebenen Inschriften 
den Schluss, dass die (aus asiatischen u. s. w. Elementen) gemischte Berölkerung 

I 

Badens sämmtlich lateinisch gesprochen habe. Vgl. Hunfi&lTy S. 842. 

Diesem Versuche gegenüber, den »Orbis Romanus* mit dem »ungarischen 
Grlobns* zu vergleichen, der auf einem völligen Verkennen der römischen Staats- 
maximen beruht, verweise Ich auf meine Ausführungen, worin eben der gründliche 
Unterschied beider Epochen in der Geschichte der Donauländer, der römischen und 
der ungarischen, in Bezug auf die Behandlung der Nationalitäten dargethan wird. 

Und 80 geht es fort. Die Daker seien der Hauptsache nach gar nicht romanisirt 
worden (dafür desto stärker die süddanubischen Gegenden ! ?) ; Thrako-Walachen und 
Daco-Romänen seien sick völlig ähnlich) und demnach wäre es nicht möglich, dass vom 



S.— 12. Jahrhundert da und dort gleiche Verhältnisse obgewaltet hätten. (M ö glich ist 
es schon ! Uebrigens dürften bei eingehenderem Studium noch Verschiedenheiten neben 
den Aehnlichkeiten wol oonstatirt werden. Die Jurucken werden Ton des nördlichen 
Bumunisch kundigen Leuten nicht rerstanden. Vgl. oben S. 209). Dann kamen 
die Stürme der Völkerwanderung; Gothen, Hunnen, Gepiden, Slaren, Magyaren; >iU 
diese Völker brachen herein mit Brand und Mord, Ton ihrer Grausamkeit erzählen 
morgen- und abendländische Historiker auf jedem Blatt und all diese Stürme haben 
das Volk der »Daco-Bomanen^^ unberührt gelassen!* (So gut als die Schindereien 
der Magyaren und anderer Ungarn im Mittelalter und bis herab zum Jahre 1848 ! 
Auf der Balcanhalbinsel waren die Zeiten kaum besser). Gegen die Parallelstellung 
der Ladiner und Bumnnen wendet Hunfalyy S. 846 ein, »dass die Ladiner nördliche 
Nachbarn der Lombarden, somit Ton den übrigen Bomanen durchaus nicht so abge- 
schieden gewesen seien, wie dies bei den Walachen der Fall.*^ (Am Balcan nicht 
weniger, als in Daden). 

Dann wird auch von Hunfalry und Schwicker auf das topographische und 
sprachliche Moment Gewicht gelegt. »Dr. Jung blickt etwas verächtlich auf dies 
topographische Element herab. Das ist bei Historikern allerdings keine seltene Er- 
scheinung, bleibt aber nichts desto weniger unberechtigt.* Ich lege im Gregentheü 
auf das topographische Element ein sehr grosses Gewicht (vgl. Einleitung S. XIII f.) 
nnd glaube, das dasselbe, wie die Dinge jetzt stehen, mehr gegen als für Boesler 
spricht. Eher ist von diesem und seinen Anhängern das topogi-aphische Element zu 
leicht genommen worden. 

Bezüglich des sprachlichen Momentes, erlaube ich mir zn bemerken, dass man 
besser thun wird, zu warten, bis die Bomanisten auf Grundlage viel eingehenderer Stu- 
dien uns ihre Besultate vortragen als bisher geschehen ist. Ich berufe mich dabei auf 
Diez. Dieser kannte Boesler^s Aufsatz über »Dacier und Bomänen* ; gleichwol be- 
handelte er in der dritten Auflage der Grammatik (1870. Bd. I. S. 185 — 148) die 
Frage von den mittelalterlichen Wohnsitzen der^Bomänen für controvers. Er be- 
klagt zugleich a. a. 0. S. 142 den Mangel eines befriedigenden Wörterbuches, worin 
von der walachischen Sprache ausgegangen würde : »Urkunden des Landes aus dem 
Mittelalter (slavische versteht sich) würden die Geschichte der Sprache, wenn auch 
nur aus Eigennamen, weiter zurückzuführen erlauben und manches Verhältnis auf- 
klären. Ihren Mangel hat die Forschung schwer zu empflnden.* — Dass im Bo- 
mänischen gothische Elemente fehlen, hat, wenn auch nicht Hr. Schwicker, doch 
Diez sich wol zu erklären gewusst. Vgl. dio Einleitung und oben S. 103. Nebenbei 
bemerkt, hält auch Hunfalvy S. 68 f. und S. 844 Ulyrier und Thraker für sehr 
nahe Verwandte. 

Aus dem Urteil von Diez und den wiederspruchsvoUen Angaben der anderen 
Sprachforscher scheint hervorzugehen, dass das entscheidende Urteil vorläufig 
von den Linguisten abgelehnt und den Historikern zugeschoben wird. Wenn 
daher die Freunde und Anhänger Boesler's, wie Hr. Schwicker betont, »aus per- 
sönlichen Gründen* an Boesler^s diesbezüglich mit grosser Zuversicht aufgestellten 
Behauptungen festhalten, so ist dabei mehr die Freundschaft als die wissenschaft- 
liche Tendenz zu loben. 

Aus Herrn Schwicker^s Auslassungen ist ferner zu entnehmen, dass die Boes« 



— 313 — 

ler'sche These bei den Ungun der Jetztsät bereits desaelbe& Inseheiis sidi etfirenti 
wie Anfiuigs dieses Jabriumderts, z. B. in den Werken von Engel, der anonjine 
Notar. Man lAsst dnitfablidmn, als ob dordi die entgegengesetzten Annahmen daoo- 
romanisdien Zakonftsplänen Torgearbeüet wflidel Es sei dabei allerdings »eine eigen- 
tflmliche Ironie, dass gerade die Gegner des Boesler'sdien Standpunkts die ran- 
romanische Grundlage des Walaehentoms, wonof doch die Bom&nen so flbermus 
stolz sind, Torläognen, indem sie diese f&r »romanisirte Dader* oder »Daooromanen* 
erUären.* Es ist sehr gleichgiltig, ob Hr. Scfawicker hierin eine »eigentümlidie 
Ironie* findet, wie aach das Urteil der Rumänen selbst nicht Jedermann kfimmert 
Es werden in diesem Budie über Waladien und Waladiinnen Dinge gesagt, die dem 
Yer&sser schwerlidi einen romanischen Orden eintragen werden. 

Ton allen Argumenten, die Hr. Schwidcer Torgebracht hat» ist nur eines, 
dessen Gewicht Niemand rerkennen wird. Ein Mann wie Boesler habe eine Beihe 
arbeitsToUer Jahre daran gesetzt, die romanischen Ori genes zu stndiren: »mit stei- 
gendem Interesse und grossem Beiftkll folgte man diesen resultatreichen Studien* ; 
und jetzt wolle ein Priratdocent wieder alles in Frage stellen. Das ist widersinnig, 
unmöglidi, und Ton Tom herein anzunehmen absurd ! 

Zu S. 278. Die statistischen Ausführungen, die hier gegeben sind, beruhen 
auf dem unTollkommenen Material, das fOr firühere Zeiten uns zu Gebote steht. In 
Schwartner's »Statistik des Königreichs Ungarn* Pest 1798, finde ich daraber noch 
folgende Daten. Um das J. 1780 schätzten die besten einheimischen und nach ihnen 
die auswärtigen Greographen und Statistiker die Yolksmenge Ungares auf 8,200000 
Seelen. »Wie auffiülend mag es ffir ihre Leser, wol auch für Europa also gewesen 
sein, als Schlözer bald darauf den Beweis fahrte, dÄss in Ungarn (mit Slayoiiien und 
ungarisch Kroatien und Dalmatien, aber ohne SiebenbOrgen) 7 Millionen Menschen 
gefanden worden sind.* A. a. 0. S. 70. 

Danach werden Sulzer's Angaben, z. B. Aber die Yolkszahl in der Moldan- 
Walachei, mit einiger Vorsicht aufzunehmen sein. Dann wflrde auch die Zahl der 
Walachen, die Anfiuigs des zwölften Jahrhunderts in Transsilyanien Torhanden gewesen 
sein dürften, eher etwas höher gegriffen werden können. Die Angabe Sulzer^s, dass 
zu seiner Zeit nur 500000 Menschen in der Moldau- Walach ei wohnten, bestimmte 
jenen Ansatz. Unter Karl VI. rechnete man nach Schwartner S. 100 f. auf Sie- 
benbürgen 185.000 der Contribution unterliegende Familien, unter diesen sollen 85000 
walachische gewesen sein. Im J. 1791 gabeadie Walachen in der Schrift »Bepraesen- 
tatio et humillimae preoes uni?ersae in Transsilvania YaJachicae Nationis se pro regnioo- 

lari Natione qualis fuit auctoritate regia dedarari supplicantis*, ihre Zahl 

in Siebenbürgen auf beinahe eine Million an. »Das ist wol übertrieben, aber mehr 
als die Hälfte der sämmtlicben Volksmenge (1,200000) machen sie in Siebenbürgen 
doch ganz gewiss aus. In Ungarn bewohnen sie an den Grenzen der Walachei und 
Siebenbürgens 1024 Dörfer, und sind durch ihr schnelles Wachstum den 
Baselern, wo sie sich mit ihnen zu Termischen anfangen, eben 
so gefährlich, als es (in anderen Gegenden) die Slayen für die 
Deutschen und Ungarn sind.* 

Interessant sind auch die Daten, die Schwartner S. 81—87 über die Yolks- 
menge in Ungarn gibt, die zu heben im achtzehnten Jahrhundert die Begierung so 
Jung, di6 Donaa-ProTinsexu 21 



— Sl4 — 

» 

ir l)emftht war. »War doch vor 60 Jahren beinahe der glänze Bekescher Co* 
mitat (in der pusztenreichen Theissebene) nur eine fortlaufende Viehtrift und auf der 
fruchtbaren Fl&che, auf welcher jetzt Marktflecken Ton 500 bis 1000 Häusern 
blähen und mehr als 60000 wolhabende Menschen den König und ihren Grund- 
herrn segnen, stand noch Tor zwei Menschenaltern nur hie und da eine halbTcrfal- 
lene Hirtenhfltte oder ein armenischer Meierhof und rielleicht, dass kaum 100 No- 
maden mit ihren Heerden auf einer Quadratmeile herumgraseten. * 

Ein Seitenstfick zu Ttanssilvanien ?or dessen Golonisation ! Nur dass dies 
seine schützenden Berge roraus hatte, und daher etwas dichtere Bevölkerung gehabt 
haben wird. Wie dflnn diese aber in den ersten Zeiten der ungarischen Herrschaft 
gewesen sein muss, geht daraus heryor, dass die Magyaren bei ihrer E inwanderung 
nur eine halbe Million, mit ihren Verbündeten im Ganzen 800000 Seelen stark waren. 
Krones II. 58 nach der ungarischen Tradition bei K^za, wonach das magryariscfae 
Lager aus 210.000 Kriegern bestand: Ungarn und Siebenbürgen waren damals in 
Wahrheit »wüst und leer.* 

Unter günstigen Umständen, durch Hebung der Industrie und Landwirthschaft 
etc. »müsste in fünfzig Jahren Ungarns Bevölkerung auch ohne Hilfe der Pfälzer 
und Schwaben sich verdoppeln, haben sich doch die alten Israeliten im Mutter- 
lande der Pestilenz und unter der Peitsche aegyptischer Vögte alle dreissig Jahre 
dupplirt und haben doch die Nordamerikaner nach Franklin^s Zeugnis nicht einmal 
so viele Zeit — nur zwanzig Jahre — zu ihrer Verdoppelung nöthig gehabt.* 

Es freut mich, mit dem alten Schwartner so ziemlich übereinstimmen zu können. 
Tgl. oben S. 275 A. 2. Man braucht nur die sozialöconomischen Principien, die 
im achtzehnten Jahrhundert wirksam waren, auch für die römische Epoche gelten 
zu lassen, um die Anfänge der Bomänen keineswegs räthselhaft zu finden. 

Zu S. 800 ff. Was ich hier über die Magyarisirung von Ortsnamen in den 
Urkunden des Mittelalters gesagt habe, wird bestätigt durch Hunfalvy, Ethnographie 
von Ungarn S. 284 f. »Unbegründet ist die Ansicht [einiger Magyaronen], dass 
die ursprünglichen Einwohner der Zips Magyaren gewesen seien, weil die Zipser 
Urkunden zahlreiche magyarische Namen und Wörter aufweisen. Vor der Nieder- 
lassung der Deutschen fanden sich ohne Zweifel überall einige Bewohner; — den- 
noch muss man jede Gegend, wo neue Einwohner ohne Verdrängung einer fHlheren 
Bevölkerung sich niederlassen konnten, als eine leere, unbevölkerte betrachten. Von 
einer solchen Verdrängrung findet man in der Zeit der Arpadenkönige nirgends auch 
nur die leiseste Spur. [Theilweise weil sie selbstverständlich ist]. Die Anwesenheit 
der ungarischen Namen und Wörter in den Zipser Urkunden erklärt sich (unter 
anderem) ganz ungezwungen dadurch, dass überall magyarische Beamte vorhanden 
waren, dann insbesondere durch den Umstand, dass die Verfasser der Urkunden, 
die königlichen Notare, die Ortsnamen und andere Benennungen in magyarischer 
Uebersetzung ausdrückten, weil ihnen das Magyarische besser geläufig war als das 
Deutsche.* — Eine Ansicht, die gewiss richtig ist. 

Das Buch Hnn&lvy's gibt auch sonst nicht wenige Aufschlüsse über einzelne 
Punkte, die ich nur vorübergehend berührte. Ueber die Besiedlung der Marmaros 
wird S. 858 gehandelt; auch hier seien nach der grossen Slavenfluht die ersten 
Ansiedler Magyaren gewesen, dann seien Deutsche, zuletzt erst Buthenen und Wa- 



— 315 — 

lachen hergrekommen. W&s aus den Ortsnamen zu zeigen gesnclit wird: ein selir 
gewagter Versuch, der nur bei g&nzlicher Yemachl&ssigung der romanischen Nomen- 
datur gelingen kann. Vgl. oben S. 241. Im J. 1218 heisst es in einer Urkunde» 
dass irgend Jemand »in refrigerium animarum suarum progenitorumque suorum, qui 
lucem Erangelii et ?eritatis in Christo Domino nostro amplezi 
sunt* ein Grundstück der Kirche Ton Bihar Torleiht; daraus gehe deutlich die 
Neuheit des Christentums in dieser Gegend hervor. Was ich nicht finden kann. 

Auf S. 854 f. behandelt Hunüalyy die Stellung der walachischen Enese im 
Mittelalter. Bei einem Bauernaufstand im J. 1487 Torlangten die Walachen, »man 
möge sie im Genüsse ihrer ?on den heiligen Königen (d. h. Stephan und Ladislaus) 
ihnen yerliehenen Freiheiten belassen und ihre Nacken aus dem Joche der unerträg- 
lichen Knechtschaft befreien. < S. 228 und 851 f. Eine typische Formel, die aber 
doch schwerlich fflr die Einwanderungthese spricht. 

Es stellt sich übrigens heraus, dass diese noch alter ist als Sulzer. Sie ist 
schon dem Josef Benkö einge&llen. »Denke nicht* — schreibt Benkö, Transsilvania, 
Wien 1778 — »dass alle Walachen ron den Römern Trajan^s abstammen. In 
Hoesien und Bulgarien lebten sie unter den östlichen Kaisem yerborgen und yer- 
breiteten sich ron dort allm&hlig nach Podolien, Bussland und Siebenbürgen, indem 
sie mehr ?on Viehzucht als ron Adcerbau lebten. Es ist ein derart fruchtbares 
Yolk, dass es mit der Abnahme der Magyaren in Siebenbürgen und in den nahen 
Theilen Ungarns an deren Stelle trat, ja seine Schaaren auch nach der Walachei 
und Moldau entsendete.* 

AU^ diesen Annahmen liegt der Glaube zu Grunde, dass die Magyaren die 
ältesten Bewohner von Ungarn seien. Auf dies Besultat, das, wie schon 
bemerkt, nicht ohne politische Tendenz betont wird, kommt schliesslich auch Hun- 
falyy hinaus. S. 878. Es ist hier nicht der Ort, darauf einzugehen, wie dies be- 
züglich der sla?ischen Be?ölkeruug Ungarns durchgeführt wird. Unseren Wider- 
spruch gegen die romanische Einwanderungsthese halten wir auch gegen das bedeu- 
tendste Erzeugnis aufrecht, mit dem in neuerer Zeit die magyarische Wissenschaft 
uns beschenkt hat, gegen die »Ethnographie ?on Ungarn* des P. Hunüalyy. 



INHALT. 



Einleitung: Die Bedeutnn; der rOmisohen Epoehe fQr die Do- 
naulandschaften. Die Quellen ihrer Geschichte. Ethnogra- 
phische Prohleme S. Y— XLIY 

I. Die Eroherung durch die BOmer » 1 — 21 

n. Römische Proyinzial?erwaltung » 22 — 89 

III. Militärwesen der römischen Kaiserzeit . . * » 40 — 55 

lY. Die GauTorfiftssung der Barbaren und das St&dtewesen der Ita- 

liker in den Ponanl&ndem , 56 — 107 

Die Prorinz Daden » 88—107 

Y. Yerkehr und Handel, Beligion und litteratur. Martyreracten 

und Heiligenleben als (jeschichtsquellen » 108 — 141 

YI. Sociale Yerh&ltnisse. Leben und Treiben der Donau-Bomanen 

im lY. und Y. Jahrhundert n. Chr. » 142 — 178 ' 

YIL Die Yölkerwanderung. Romanen und Germanen an der Donau 

in ihrem Wechsel?erhftltniss su einander » 179 — 205 

Yni. »Ladiner* oder »Walchen*, »Rnmunen* oder »Walachen* und 

deren Schicksale im Mittelalter » 206—282 

IX. Bihar'sche Excurse , 282—810 

1. Die Rom&nen im Bihargebiete. 

2. Romanische Ortsnamen in magyarischer Form. 
8. Rom&nische Ortsnamen aus dem Bihargebiete. 
4. Rom&nische Pflanzennamen. 

Berichtigungen und Nachtr&ge , 310 — 815