y V
^
JV^/^;' '
«■ .-IT. ■ >, -^ .'
r^
f ?
A:.
^
:*:.
,';■
■^<:¥-
P^^'^s^-^y? i, ,
ä^
■'.^.
ir
T ■ .-4 ^. c'
^
r.L i:*i;\;^
^
(a
L/BRARY
\J
SAi
Helbig / Russische Günstlinge
Neubearbeitet von Max Bauer
Mit 34 Bildbeigaben
^iiiuiiininiiiiiiiiiuHiinuuinnmiiiHiiiiiiiiiiiMiniiiiiiiiiiiiiiiiiiMiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiiiiMimiiiiiiiMiiiniiiiiiiiniiiiiiiH
I Russische Günstlinge |
I VON I
I G. Ad. W. V. Helbig |
I UNTER I
I Benutzung von |
I NEUEN Quellenwerken |
I bearbeitet / eingeleitet UND mit I
I zahlreichen Anmerkungen |
I herausgegeben I
I VON I
1 MaxBauer i
I 1917 I
I MÜNCHEN UND BERLIN |
I Verlegt bei Georg Müller |
iiuMiiiiiiiiniiuiNitiiiinmiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiMiiHiiiiriiiMif^
Die Welt gleicht einer Opera,
Wo jeder, der sich fühlt.
Nach seiner lieben Leidenschaft,
Gern eine Rolle spielt.
Ein Kühner steigt die Bühn' hinauf
Mit einem Schäferstab,
Und sinkt dann mit dem Marschallstab
Oft ohne Kopf herab.
Götze
EINLEITUNG
ZU den wertvollsten Urkunden aus dem Werdegang
jenes Landes, das sich nach dem leuchtenden Bei-
spiel seiner Bundesgenossen als Kulturträger gegen-
über den deutschen Barbaren aufspielt, gehört Helbigs
Buch von den russischen Günstlingen. Es enthält ein-
himdertzehn Schilderungen von Geschöpfen, die za-
rische Willkür mit Glanz und Macht umgab. Nur garLZ
wenigen dieser Männer und Frauen, die sich in der
Sonne der Herrschergunst erfreuen durften, ist das,
was sie für Glück hielten, treu geblieben. Meist war ein
echt moskowitisches Ende ihr Los, auf dem Schafott,
imter Knutenhieben, in Schlüsselburg oder in Sibirien.
Mit Peter dem Großen, dem Schöpfer des jetzigen
Rußlands, setzt die Arbeit Helbigs ein, und sie schließt
mit den ersten Regierungs jähren Peters III., des un-
bedeutenden Sohnes der bedeutendsten Persönlich-
keit, die jem?Js auf dem mit Blut gemauerten und von
Knuten gestützten Throne Rußlands gesessen.
Über den Lebensgang des Verfassers dieses Buches
ist nur wenig bekannt.
Gustav Adolf Wilhelm von Heibig war Sachse. Er
kam im Jahre 1787, fünfundzwanzig Jahre nach dem
Regierungsantritt Katharinas, als Sekretär der sächsi-
schen Gesandtschaft nach Petersburg. Neun Jahre spä-
ter fand die Kaiserin bei der geheimen Durchsicht von
Briefschaften ein Urteil Helbigs, das man ihr, der Kai-
serin, zugeschrieben hatte. Erbost darüber forderte sie
VIII EINLEITUNG
die Abberufung Helbigs. Das sächsische Ministerium,
sehr zufrieden mit Helbigs einsichtsvollen und wahr-
heitsgetreuen Berichten, erfüllte den Befehl der Mon-
axchin, sandte Heibig als Legationssekretär nach Ber-
lin. Fünf Jahre darauf erhielt er dort den Adel und den
Titel Legationsrat. Das Jahr 1810 verbrachte er als
adeliger Assessor beim Landgericht und als Land-
syndikus bei der Landesobersteuerkasse in Dresden,
das folgende als Geheimer Legationsrat und sächsischer
Resident bei der freien Stadt Danzig. Bald darauf
kehrte er nach Dresden zurück, wo er am 14. November
1813 starb.
Helbigs schriftstellerische Tätigkeit ist allein Ruß-
lands Geschichte gewidmet.
In der Minerva von Archenholz erschienen seine Auf-
sätze über Potemkin, die auch jetzt noch Quellenwert
haben. Eine große Lebensbeschreibung Peters HL, Tü-
bingen 1808/1809, ist diktiert von Helbigs Vorhebe für
den gekrönten Schwächling, den er ebenso hochschätzt,
wie er dessen T\Iutter, Katharina IL, herabzusetzen sich
iDcmüht. Und dies ist nicht ohne Einfluß auf Helbigs
Hauptwerk geblieben, das ihm zum Nachruhm ver-
helfen sollte.
Die ,, Russischen Günstlinge", deren Neudruck hier
vorliegt, kamen im Jahre 1809 bei der J. G. Cottaschen
Buchhandlung in Tübingen heraus. Das Buch war bald
vergriffen.
In den folgenden Kriegsjahren zählte Rußland zu
den Verbündeten der Deutschen, deshalb war an eine
Neuauflage einer solchen Anklageschrift nicht zu den-
ken. So geriet sie in Vergessenheit und zählte bald zu
den Seltenheiten, die, mit hohem Preise bezahlt, in den
Raritätenkasten des Sammlers wanderten.
Scheible in Stuttgart, der große Antiquar und Wie-
CO -C
o =
o -^
tjO >
EINLEITUNG IX
dererwecker bibliographischer Kuriositäten, veran-
staltete im Jahre 1883 einen Neudruck, der eine ge-
naue Wiedergabe des Originales darstellen sollte. So-
gar die unbeabsichtigten Druckfehler sind in ihm über-
nommen. Aber auch dieser Neudruck ist längst vom
Büchermarkt verschwunden, so daß schon aus diesem
Grunde das Wiedererscheinen der ,, Russischen Günst-
linge" gerechtfertigt ist.
Der Zeitpunkt hierfür, jetzt im Toben des Welt-
krieges, erscheint mir als der geeignetste.
Helbigs „Günstlinge" stellen ein getreues Bild jenes
Reiches dar, das im Brustton der Überzeugung den
Satz von russischer Kultur aufstellt, und seinen Lehr-
meister, den Deutschen, herabsetzt und mit Schmutz
bewirft. Gerade den Deutschen, der das in Rußland ge-
baut, was europäisch ist und ohne den es heute noch
das wäre, was es vielleicht in absehbarer Zeit wieder
sein wird, eine Horde von Asiaten, nicht wert, in einem
Atem mit jenen Völkern genannt zu werden, die sein
numerisches Übergewicht, seine Roheit, seine Selbst-
sucht und Gewissenlosigkeit, sein rücksichtsloses Nie-
dertreten alier Menschenrechte und Naturgesetze, dem
Untergang ganz nahe brachte oder völlig vernichtet
hatte, indem es sie zu Kindern von Mütterchen Ruß-
land erklärte.
Deutsches Blut, deutscher Geist, deutsche Tat-
kraft und deutsches Können haben die Fesseln des
russischen Mongolentums an vielen Stellen gesprengt ;
sie ganz zu vernichten, waren sie niemals imstande;
dazu war die russische Rasseneigenschaft zu stark
und der Haß jener mit einem dünnen Kulturfirnis be-
deckten Halb- oder Ganza^iaten gegen den Lehrmeister
zu tief gewurzelt.
Der Franzose brachte neue freudig begrüßte Laster
X EINLEITUNG
ins Land, er war willkommen ; der Deutsche ernste Ar-
beit, unbequeme Neuerungen — hol' ihn der Teufel ! Jede
Zeile von Helbigs Buchist ein Beweis für diese Tatsachen ,
eine wuchtige Anklage. Und daher der große Wert,
die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Werkes.
Professor Bilbassow, ein stockrussischer Deutsclien-
fresser aber sehr bedeutender Geschichtsforscher, be-
absichtigte Helbigs ,,Günsthnge" ins Russische zu
übertragen, doch der allmächtige Zensor vereitelte das
Unternehmen, was aufrichtig zu bedauern ist, da Bil-
bassow viele Ergänzungen und Berichtigungen der
Helbigschen Angaben geplant hatte.
Diese sind leider unbedingt nötig.
Heibig kam zu einer Zeit nach Petersburg, wo er
noch manchen Zeitgenossen der Nachfolger Peters des
Großen hören und sprechen konnte. Den Hof Katha-
rinas kannte er aus eigener Anschauung. Ihm und
seiner Herrin, ihrer Staatskunst, ihren Schlafzimmer-
geheimnissen ist der größte Teil des Buches gewidmet.
Da, wo Katharina die Bühne betritt, kommt ein dra-
matischer Zug des Unmittelbaren in das Buch. Einer,
der selbst gesehen hat und leidenschaftlich Partei
nimmt, erzählt nun subjektiv, wie es ihm ums Herz ist.
Das Düstere in den Lebensbildern aus der Zeit dieser
Herrscherin von eigenen Gnaden ist ihm häufig nicht
düster genug. Er färbt, erzählt mit Behagen Klatsch
nach, den er geflissentlich nicht auf seinen wahren
Wert hin untersucht, wie es wohl in seiner Macht ge-
standen hätte. In dem Haremstreiben Katharinas sieht
Heibig nichts Verwerfliches. Er lebt zu lange unter den
Russen, um nicht ihre Moral gelten zu lassen und das
immöglich scheinende in dieser Hinsicht als möghches
anzunehmen. Aber er, der Durchschnittsmensch, haßt
die Frau wie der Hungernde den Prasser, soweit sein
EINLEITUNG XI
Alltagsgeist zu hassen vermag. Er vermag den Voll-
menschen Katharina, seine Schwächen, seine Größe,
nicht zu erfassen. Ihm scheint alles verzerrt an diesem
Überweibe. Sein Auge ist nur auf das Gewimmel rings
umher eingestellt. Dem mit dem Purpur bekleideten
Narr, wie dem dritten Peter, der sich als Herr gebärdet
imd doch nur ein hohler Popanz ist, gelingt es ihn zu
täuschen, weil der Kaiser dieselbe Alltagspflanze ist,
wie sein Geschichtschreiber. Er ist für Heibig nicht
der Sohn seiner Mutter, sondern deren Widersacher
und deshalb seiner Teilnahme sicher. Ihm naht sich
Heibig mit dem Katzenbuckel der Hofschranze. In
ihm verkörpert sich für den diensteifrigen Hofmen-
schen das Gottesgnadentum, während ihm Katharina
nur die gekrönte Dirne, die nordische Messalina ist.
Wie hätte auch der unbedeutende diplomatische
Handlanger zu einer höheren Auffassung kommen
sollen. Schon seme Stellung, mehr aber noch sein Bür-
gertum machte ihn zum Zaungast der Hofkreise, in
denen buntschillerndes Abenteurergelichter und adels-
stolzes Streberpack durcheinander wirbelten. Er fühlt
sich als Ausgestoßener, wo er so gerne eine Rolle ge-
spielt hätte. Er erkennt die ganze bodenlose Verderbt-
heit dieser Gesellschaft mit von Haß geschärften Augen,
und in Katharina sieht er die verderbteste unter allen
ihren Kreaturen.
Aber er haßt Katharina nicht nur, er verachtet sie
auch.
Wie die erste Katharina ist sie ihm ein Emporkömm-
ling, ein Günsthng, aber kein Studienobjekt, dessen
Erforschung sich gelohnt hätte. Sie blieb seine Geg-
nerin, wahrscheinlich nur in seiner Einbildung, bis
seine Bosheit ihm die Kaiserin zur wirklichen Feindin
machte, deren Grimm ihn aus Rußland tri^b.
XII EINLEITUNG
Heibig nahm die Tatsachen in Katharinas Leben
;Js unabänderhche hin, ohne sich über ihr Entstehen
klar werden zu wollen. Katharina verstehn, heißt
diese große Verbrecherin gegen landesübliche Moral
nicht hassen, sondern bemitleiden.
Das schüchterne deutsche Prinzeßchen, das übel be-
handelte Kind einer herzlosen, eigensüchtigen Mutter,
kommt aus den drückendsten Verhältnissen an den
Hof einer mit allen Lastern behafteten Frau. Dort wird
sie verschachert, wie eine Dirne. Der Gatte dieses Kin-
des ist ein roher Narr, ein verkommener Säufer, geist-
los bis zur Borniertheit, ohne jedes Wissen, der es als
schwerste Strafe empfindet, wenn er baden muß, der
sich nur in der Gesellschaft von gemeinen Weibern und
Lakaien wohl fühlt und seine Frau mißhandelt und
verachtet, weil sie sich seinen Sauforgien entzieht. In
diesem Boden mußte ein Geschöpf, wie es Katharina
war, verdorren oder sich dem Nährboden anpassen und
zur Giftpflanze werden, wie die anderen, die in jener
Schwüle den Lebensodem gefunden hatten. Mit Ka-
tharina geschah merkwürdigerweise beides und keines
von beiden ganz. Die deutsche Prinzessin ist in ilir nie
ganz erstorben. Die Giftpflanze kam nicht zur vollen
Entwicklung. Sie wurde eben Katharina IL
Man hat sie als Semiramis, als Mannweib bezeichnet.
Sie war es nicht, wenn sie sich auch gern nach Männer-
cixt kleidete und im Männersitz ritt, wie sie in ihren Er-
innerungen erzählt. Das sind Äußerhchkeiten, die bei
einer Eigenart wie sie Katharina darstellt, nicht ins
Geweicht fallen. Aber sie hat etwas von jenen Frauen
der Merowingerzeit und von den Viragines der italieni-
schen Renaissance, die, dem Manne gleich, jede
Schranke niederreißen, die sie nicht überspringen
wollen oder können. Ein Umgehen kommt ihr nicht in
EINLEITUNG XTII
den Sinn. Wie sie dem ersten Liebhaber widerstrebend,
den aufgepeitschten Sinnen nachgebend, vielleicht so-
gar gezwungen von dem tyrannischen Gebot ilirer
Peinigerin, der Kaiserin Elisabeth, in die Arme sinkt,
so bestimmt sie fortan den Liebhaber, der ihr zu-
sagt. Sie läßt sich nicht umwerben. Sie befiehlt und der
Sklave hat zu gehorchen. Selbst der willensstarke Po-
temkin ist nur ihr Sklave. Er hat eine Stimme im Rat,
sie fordert diesen ein, aber die Kaiserin entscheidet. Er
darf bitten, aber sie heischt. Sie ist und bleibt die Herr-
scherin, er der Günstling, den ein Machtwort hinweg-
fegen kann; nichts mehr. Und er weicht zähneknir-
schend, als sie seiner überdrüssig geworden. Er, der ihr
am meisten wahlverwandte unter allen ihren Lieb-
habern, hat nur das Recht, ,,sich selbst die Nachfolger
in der Gunst seiner Herrin" zu wählen. Er kennt ihren
Geschmack. Er kuppelt, intrigiert, schleicht, als er
selbst nicht mehr der Günstling ist, denn die Kaiserin
zahlt, zahlt gut. Er war und blieb stets der Knecht der
Frau, die ihm erlaubte, sie zu küssen und zu lieben.
Darum machte sich auch Katharina in einem Briefe
an Grimm (vom 23. Juni 1790) über Friedrich Wil-
helm n. von Preußen lustig, der sich seine Geliebten
zur linken Hand antrauen ließ. Sie ist erhaben über
solche Kleinigkeiten. Die Liebe ist ihr Privatvergnü-
gen, ihre Liebschaften die Scherze einer Kaiserin, die
nur im Schlaf gemach Frau ist, sonst aber der Gebieter
über Millionen, unter denen sich auch der augenblick-
liche Günstling befindet, und nicht einmal als der erste
unter ihren Untertanen. Denn sie liebt nicht mit dem
Herzen. Nur ihre Sinne verlangen einen Mann. Sie
nimmt ihn, wenn es ihre Laune eingibt, verstößt ihn,
wenn sich ein anderer zeigt, der ihr für den Augenblick
besser zusagt.
XIV EINLEITUNG
Der Aufgabe, einer solchen Frau als Scliilderer ge
recht zu werden, ist Heibig nicht gewachsen. Er wühlt
in Oberflächlichkeiten. Ihm ist das Geschichtchen lieber
als Geschichte. Er trägt zusammen, was er erfahren
kann, ordnet es sorgsam ein, numeriert und registriert
es und arbeitet es sauber aus. Der ganze Hofklatsch
dringt unmittelbar zu ihm, und er ist nicht der Mann,
sein Ohr vor einer schlüpfrigen Anekdote zu ver-
schließen. Je pikanter und entwürdigender für die
Kaiserin, desto besser. Händereibend fügte er zu dem
Leckerbissen noch eigene Zutaten bei. Kritik, das Be-
streben, die Wahrheit aus dem boshaften Gerede der
Zuträger zu kristallisieren, war seine Sache nicht. Er
erzählt alles weiter, verschweigt niemals absichtlich
das Wahre, wie auch das ihm selbst Unwahrscheinliche.
Und gerade darin liegt der große Wert und der intime
Reiz seines Buches. Durch die subjektive Wiedergabe
des Selbstgesehenen, Selbstgehörten, durch Schlüssel-
loch-Beobachtungen Erlauschten, auf Hintertreppen
Aufgeschnappten kommt ein Fluß in die Darstellung,
den kein geschichtliches Werk erreicht, das sich auf
unanfechtbaren Urkunden aufbaut.
Mag deshalb der Historiker achselzuckend die ,, Rus-
sischen Günstlinge" beiseite schieben, der Sittenge-
schichtler wird sie als ein Dokument von unschätz-
barem Werte ansehen, in einem Atem zu nennen, um
aufs Geratewohl einige Beispiele herauszugreifen, mit
Casanova, den Briefen Lise Lottes, Laukhards Lebens-
beschreibung.
Mein Hauptbestreben war es, aus diesen Erwägungen
heraus, das Werk Helbigs in seiner vollen Eigenart zu
erhalten. Ich habe nicht ein Wort an ihm geändert.
Nur Druck und Papier unterscheidet es von seinem
Original. Die Druckfehler sind allerdings verbessert
EINLEITUNG XV
und die Rechtschreibung modernisiert. Auch habe ich
hier und da langatmige Anmerkungen in den Text ein-
bezogen, da ich gezwungen war, selbst viele Fußnoten
und Anmerkungen zu geben. Sehr viele, wie der Augen-
schein lehrt. Doch leider noch lange nicht genug. Der
Krieg hat eine Verbindung jäh zerrissen, die ich mit
dem damaligen St. Petersburg angeknüpft hatte, um
weiteres Berichtigungsmaterial zu erhalten. So mußte
ich mich darauf beschränken, die deutschen geschicht-
hchen Werke über die behandelten Epochen heranzu-
ziehen. Sie haben nicht ausgereicht, eine Neuausgabe
zu schaffen, die vor dem strengen Blick des Fachge-
lehrten bestehen kann. Ich, und ich glaube mit mir
auch der Leser, dürfen uns aber leichten Herzens dar-
über hinwegsetzen, wenn nicht der Geburts- und To-
destag jedes der vielen Günstlinge richtiggestellt ist,
und Nebensächlichkeiten breitgetreten sind. Auch Er-
gänzungen hätten gegeben werden können. Heibig be-
gnügte sich häufig mit einfacher Namensnennung be-
deutender und bemerkenswerter Persönlichkeiten, die
eine ausführhche Lebensbeschreibung wohl verdient
hätten. Ich erwähne von ihnen nur die Brüder Tscher-
nitscheff, Sergey Soltikoff, Leon Narischkin, Repnin
usw. Vielleicht hatte Heibig seine Gründe, sie zu über-
gehn. Außerdem war von ihm weder Vollständigkeit
geplant noch durchzuführen. Dazu ist die Reihe der
durch Zarenwillkür Emporgehobenen zu lang. Ich habe
mich nicht für berechtigt gehalten, das Fehlende hin-
zuzufügen, denn mir stand nur das Werkzeug des Ge-
schichtschreibers zur Verfügung, nicht das Selbst-
erleben, die Selbstbeobachtungen Helbigs. Mit um so
größerer Sorgfalt habe ich das mir zugänghche Ma-
terial ausgenützt.
Ich will eine etwaige tadelnde Kritik nicht diirch
XVI EINLEITUNG
das offene Bekenntnis abschwächen, das mir die Be-
schränkungen im Verkehr mit Bibhotheken während
des Krieges, manche Quelle unerreichbar gemacht hat.
Aber alles Erreichbare habe ich herangezogen.
Die größte Ausbeute an Richtigstellungen boten
Cnisenstolpes ,, Russische Hofgeschichten". Eine Neu-
auflage dieses grundlegenden, geschichtUchen Unter-
haltungsbuches, in vorbildlicher Weise von Joachim
Delbrück bearbeitet, erscheint gleichfalls bei meinem
Verleger. Zu diesem Buche bietet der Heibig Ergän-
zung und Gegenstück. Ich möchte sogar behaupten,
daß beide für die bedeutsame Zeit von Peter dem
Großen bis Peter HI. ein unteilbares Ganzes bilden.
Was das umfassendere, die volle Geschichte des russi-
schen Hofes behandelnde Werk Crusenstolpes nur
flüchtig berühren kann, führt Heibig in breiter Detail-
maJerei aus. So füllt er die Lücken und illustriert gerade
die reizvollsten, bedeutendsten Teile der Crusenstolpen-
Geschichten.
Neben dieser Hauptquelle haben Katharinas Er-
innerungen, dann von neueren Werken die Arbeiten
Golikows, Bertholds, Schnitzlers, Schiemanns, Brück-
ners, Bilbassows und manche andere untergeordnete
reichen Stoff geliefert, so die geheimen Geschichten
Bülaus, die für einige Abschnitte wertvolles Material
entliielten.
Die beigefügten Bilder sprechen für sich selbst. Sic
sind so sorgfältig gewählt und so vollendet wiederge-
geben, wie man dies bei meinem Verlage von jeher ge-
wöhnt ist.
Friedenau, Mai 1916.
Max Bauer
Katharina II. von Rußland
(Gemälde von Lewitsky)
Vorerinnerung
Ehemals war Rußland derjenige Staat, in welchem
die meisten Günstlinge zu finden gewesen waren.
Diese Bemerkung hat sich mir oft dargestellt, wenn
ich während meines vieljährigen Aufenthalts in diesem
Reiche die neuere russische Geschichte durchlas. Ich
entdeckte dann so eine Menge Emporkömmlinge, daß
es mir bemerkenswert schien, ein Namenverzeichnis
davon aufzusetzen. Ihm fügte ich bald, aus eben der
Ursache, einige Merkwürdigkeiten ihres Lebens hinzu,
und so entstand nach und nach die Veranlassung zu
dieser Schrift. Mündliche, schriftliche und gedruckte
Nachrichten wurden nun genutzt, nach meinen Be-
griffen eingeldeidet, und in ein Buch geformt. Indem
ich es der lesenden Welt vorlege, hoffe ich, den Beifall
eines Teiles derselben zu erlangen. Es enthält zwar (und
das soll es auch nicht) keine zusammenhängende
russische Geschichte der neueren Zeit, aber in einem
Zeiträume von mehr als hundert Jahren, nämlich vom
Anfange der Regierung Peters I. an, bis zum Schlüsse
der Regierung Pauls I., gibt es, so viel ich mich er-
innere, kein merkwürdiges Ereignis in Rußlands Jahr-
büchern aufgezeichnet, von welchem nicht in diesem
Buche etwas Vollständiges gesagt wäre, weil, mehr
oder weniger, immer ein GünstUng daran Teil genom-
men hatte. Manche großen Taten findet man in dem-
selben nach Verdiensten bemerkt, aber — auch
manche Erbärmlichkeiten und Grausamkeiten auf-
gedeckt.
4 Vorerinnerung.
Die mündlichen und schriftliehen Quellen, aus denen
ich geschöpft habe, darf ich natürlicherweise nicht
anzeigen. Aber die gedruckten Bücher, die mich in
meiner Arbeit unterstützt haben, will ich, wenigstens
größtenteils, nennen, ohne jedoch ihre Titel genau
angeben zu können. Sie sind ungefähr folgende : Webers
neu verändertes Rußland, Büschings historisches Ma-
gazin, Mannsteins Memoiren, Stählins Anekdoten
Peters des Großen, Rulhiere Revolution de Russie en
1762, Vie de Catharine II, Orlows Leben, Anekdoten
von Potemkin, Memoires secrets sur la Russie, Reimers
Petersburg am Ende seines ersten Jahrhunderts und
verschiedene eigentümHche und veraltete Biographien
und Bücher, deren Titel mir entfallen sind.
Es ist mir nun noch übrig, über die Auswahl der-
jenigen Günstlinge etwas zu sagen, von denen ich hier
kleine biographische Aufsätze liefere.
Daß nicht alle Emporkömmlinge, die es jemals in
Rußland gegeben hat, hier aufgezeichnet sein können,
versteht sich von selbst. Dies würde zu weit führen,
denn ihre Anzahl ist ungeheuer groß. Ich habe also nur
diejenigen ausgehoben, die leitend oder handelnd an
wichtigen Begebenheiten im Staate oder in der bürger-
lichen Gesellschaft teilgenommen haben. — Nach
dieser Erklärung wird man sich vielleicht wundern,
manche Personen zu finden, die auf den ersten Anblick
unbedeutend scheinen ; allein bei näherer Betrachtung
wird man bemerken, daß irgendein Umstand in ihrem
Leben, in ihren Verhältnissen, in ihren Handlungen,
meine Wahl, wenn auch nicht ganz, doch wenigstens
zum Teil, rechtfertigt.
Andere Glückskinder übergehe ich mit Stillschweigen.
Hierzu rechne ich die Namen einer Menge Bedienten,
Wundärzte, Handwerker, Soldaten, oder anderer ge-
Vorerinnerung. 2
ringer Leute, die, wenn sie auch auf kurze Zeit in
einem kleinen Wirkungskreise einigermaßen wichtig
wurden, doch entweder sehr oft in ihr voriges Nichts
zurücksanken, ohne im Staate irgendeinen Einfluß ge-
habt zu haben, oder in einer mittleren Sphäre blieben.
Hingegen habe ich in die Zahl der Günstlinge eine
andere Klasse von Männern aufgenommen, die, un-
erachtet ihres schnellen Emporsteigens, doch nicht
eigentUch zu diesen Günstlingen des Glücks zu gehören
scheinen. Ich meine einige wenige von den erklärten
Lieblingen der Kaiserinnen Elisabeth und Katha-
rina IL, die keinen so außerordenthch hohen Rang,
und keinen besonderen Einfluß in die Staatsgeschäfte
erlangt hatten, und die auch allenfalls durch ihre Ge-
burt ihrer Erhebung etwas näher waren, als Leute von
ganz geringem Herkommen, die aber wegen ihrer
Jugend, und wegen ihrer geringen Verdienste, nicht
halb so weit auf dem Wege des Glücks würden ge-
kommen sein, als sie wirklich kamen, wenn nicht
Nebenumstände sie begünstigt hätten.
j-
Geschrieben im Monat Julius 1808.
Inhaltsverzeichnis.
Seit«
1. Franx Jakob Le Fort 13
2. Alexander Menschikovv 23
3. Katharina I. Aiexjewna 41
4. Peter Schaphirow 61
5. Heinrich Johann Friedrich Osterraann I . . . 68
6. Johann Christoph Dietrich Ostermann II . . 90
7. Pawl Jaguschinski I 92
8. Jaguschinski II 99
9. Emanuel Devi^re 100
10. Adam Weide 104
11. Anna Cramer 109
12. Mons de la Croix in
13. Kaiserling, gebor ne Mons de la Croix .... ii6
14. Balk, geborne Mons de la Croix 118
15. Balk 119
16. Glück 121
17. Villebois, geborne Glück 123
18. Villebois 123
19. Alsufiow I 126
20. Wassilej Alsufiow II 126
21. Wassilej 126
22. Alexej Makarow 128
23. Schulz 129
24. Hennin 129
25. Drewnik I 130
26. Drewnik II 131
37. Dmitrej Schepelew , , , . . . , 131
8 Inhaltsverzeichnis.
Seite
28. Vincent Kaiser 132
29. Ignatj Jelatschin 133
30. Johann Schlatter 133
31. Friedrich Asch 134
32. Abraham Hannibal 135
33. Carl Skawronski 136
34. Skawronska, Gräfin 140
35. Christina Hendrikow 140
36. Simon Hendrikow 141
37. Anna Jefimowsky 142
38. Michael Jefimowsky 143
39. Heinrich Fick . 144
40. Ernst Johann Bühren I 145
41. Carl Bühren II 175
42. GustaA' Bühren III . 176
43. Eichler 177
44. Sabakin 178
45. Johann Hermann L'Estocq 179
46. Schwarz 198
47. Grünstein 199
48. Alexej Rasumowsky I 200
49. Kyrilla Rasumowsky II 205
50. Schubin 209
51. Berger 212
52. Carl Sievers I 220
53. Sievers II 221
54. Loellin 222
55. Woschinsky 222
56. Jermolaj Skwarzow 223
57. Tschoglogow 223
58. Tschulkow 224
59. Iwan Tscherkassow , . . . . 225
60. Oloff 227
61. Poltarazky . 228
62. Iwan Schuwalow 228
63. Dimitrej Wolkow 236
64. Brössan 240
Inhaitsv^reeicJmis. g
Sdte
65. Gregorej Orlow I . 242
66. Iwan Orlow II 267
67. Alexej Orlow III ■. 268
68. Feodor Olrow IV 283
69. Wladimir Orlow V 285
70. Orlow VI 286
71. Passek 287
72. Schkurin 290
.73, Gregorej Teplow 291
.74. EngeUiardt 296
75. Stanislaw August Poniatowsky 299
76. Iwan Yelagin 330
77. Dietrich Osterwald 332
78. Iwan Betzkoy 333
79. Ribas 339
80. Andreas Tschernitschew 340
81. Kischensky 341
82. Saliern 347
83. Frederiks 353
84. Wlodimirow 354
85. Alexander Wasiltschikow 355
86. Gregorej Potemkin , 358
87. Turtschaninow 362
88. Michelson 364
89. Peter Sawadowsky 365
90. Alexander Besborodko I 370
91. Besborodko II 378
92. Lasarew 379
93. Wassiljew 381
94. Dubjansky 382
95. Sorizsch 382
96. Korsakow , 388
97. Iwan Strachow 394
98. Alexander Lanskoy 395
99. Alexander Yermolow 402
100. Alexander Mamonow . 408
loi. Eck 417
10 Inhaltsvereeichnk.
Seite
102. Dahl 418
103. Stepan Tschischkowsky 419
104. Radischew 421
105. Germann 425
106. Piaton Subow I 427
107. Valerian Subow II 441
108. Nicola] Subow III 450
109. Arcadj Markow 452
iio. Iwan Pavlovitsch Kutaizow 456
Register 462
Russische Günstlinge
I. Franz Jakob Le Fort.^)
Wenn eine Nation, mit Recht, die glänzenden Taten
eines Fürsten und seine segensvollen Bemühun-
gen um die Aufklärung seiner in Finsternis versunkenen
Untertanen erhebt ; wenn die gefühlvolle Nachkommen-
schaft diesem Regenten den Dank zollt, den er für den
Eifer verdient, mit welchem er während seiner ganzen
Regierung nach dem einzigen Zweck fort arbeitete, ihre
Vorwelt der Barbarei zu entreißen, und dadurch die
Vervollkommnung der Gegenwart zu erleichtern, so
darf sie auch nicht vergessen, ihren Dank dem An-
denken des Mannes zu bringen, der zuerst die Fackel
der Aufklärung anzündete, und in ihrem für das Große
und Nützliche empfänglichen Fürsten den Trieb des
Beglückens weckte, der noch unerkannt in seiner
jungen Seele schlief.
Franz Jakob Le Fort, aus Genf gebürtig 2), wurde
von seinem Vater, einem Kaufmann, nach Amster-
dam 2) geschickt, um daselbst die Handlung zu lernen.
^) Sein Biograph Posselt schreibt den Namen Lefort. Der Admiral
entstanunte einem italienischen Geschlecht, das ursprünglich Lifforti
hieß. Aus diesem Namen wurde in Genf Lifort, dann Lefortius.
*) Am 2. Januar 1656.
^) Nach Marseille (Posselt I. S. 53). Dort trat er als Kadett ins
Heer. Von seinem Vater nach Genf zurückgerufen, mußte er wohl
wieder im Geschäft des Vaters Dienste tun. Erst drei Jahre später
begab er sich nach Amsterdam, wo er Soldat im Gefolge des Prinzen
Karl von Kurland wurde. Nach dem Frieden mit Frankreich er-
hielt der neunzehnjährige Genfer von Rußland das Anerbieten, als
Kapitän in das russische Heer einzutreten, doch wurde diese Ab-
sicht vorerst in Rußland selbst vereitelt.
14 I- Franz Jakob Le Fort.
Die Neigung des jungen Menschen zum Soldaten-
stande machte, daß er den Absichten seines Vaters
zuwider in Kriegsdienste trat. Doch verließ er diese
sehr bald und ging im Jahre 1680, man weiß nicht
durch welche Veranlassung geleitet, über Archangel
nach Moskau. Dort wurden damals Ausländer zu
Kriegsdiensten gesucht ; Le Fort wurde also sehr bald
angestellt. Indessen war seine Existenz in Rußland in
den ersten Jahren ziemlich unbedeutend. EndUch aber
sah ihn der jüngste Zar Peter Alexjewitsch durch Zu-
fall bei einem fremden Gesandten, und wurde von ihm
eingenommen. Von diesem Augenblick an entstand
zwischen ihm und Le Fort eine Verbindung, die bis an
den Tod des letzteren nie getrennt, ja nicht einmal
durch Zufälle gestört wurde. Die Gleichheit der Cha-
raktere, die Übereinstimmung der Ideen, und die Ähn-
lichkeit ihrer Neigungen, verband den Fürsten und
den Günstling auf immer. Indessen war ihr Bund nicht
das Werk der Übereilung. In beiden lag der Keim zu
großen Unternehmungen. Er entwickelte sich nach
und nach, so wie sie sich näher kennen lernten. Peter
empfand es, daß er einen Lehrer und Gehilfen brauche
und Le Fort fühlte sich durch seine Talente berechtigt,
seinem Fürsten die erwartete Hilfe zu leisten. Den
ersten und wesentlichsten Beweis seines Diensteifers
gab Le Fort dem jungen Zar im Jahre 1688.
Die Empörungen der Strelzi^), die damals die Leib-
wache der Zaren und zugleich den besten Teil ihrer
Truppen ausmachten, waren sehr häufig. Sie wurden
durch die schöne, geistreiche, mit vorzüglichen Re-
gierungstalenten begabte, aber auch herrschsüchtige
Prinzessin Sophie*), die Halbschwester Peters, ver-
*) Der Strelitzen.
^) Sophia Alexejewna s. Crusenstolpe I. S. 15.
I. Franz Jakob Le Fort. 15
anlaßt. Von allen war der Aufruhr im Jahre 1688 der
heftigste. Er zweckte auf die Ermordung des jungen
Prinzen ab. Le Fort kam der Ausführung dieses ver-
räterischen Entwurfs, dessen Folgen, da wir den Ein-
fluß des Daseins Peters I. kennen, nicht zu berechnen
waren, zuvor, indem er mit einem ansehnlichen Korps
in das Kloster eilte, in welchem der Prinz schon ein-
geschlossen war, um ermordet zu werden. Er besetzte
die Zugänge des Klosters und bewachte den Prinzen,
bis die Gefahr vorbei war.^) Sophie mußte die Hin-
richtung ihrer Anhänger aus einem Zimmer von der
Ringmauer beim Dewitze-Monaster, oder Jungfern-
kloster, ansehen und wurde alsdann in eine Kammer
eingesperrt, die nur ein Fenster hatte, welches statt
der Glasscheiben mit eisernen Stäben zugemacht war.
Sie führte im Kloster den Namen Susanna und lebte
noch 15 Jahre in diesem traurigen Zustande. Sie starb
1703 und ward in dem nämlichen Kloster begraben.
Durch diese große Tat gewann Le Fort das Herz des
Zars, der nun alleiniger Beherrscher von Rußland
wurde, und seinen Günstling mit der größten Zu-
neigung und mit dem uneingeschränktesten Vertrauen
belohnte.
Von nun an wurden mit jedem Tage die Wirkungen
der Ratschläge, die Le Fort gab, sichtbarer. Er führte
das ausländische Kriegswesen ein, und ob er gleich das
Seewesen, sozusagen nur im Vorbeigehen, in Holland
oberflächlich gelernt hatte, so wurde er doch der
eigentliche Stifter der russischen Marine, die Peter L
in der Folge auf einen so hohen Grad der Vollkommen-
heit brachte.
') Von der Beteiligung Le 1-orts an der Befreiung Peters weiß
dessen Biograph Posselt kein Wort zu melden. Es dürfte daher mehr
als fraglich sein, ob diese stimmt.
l6 I. Frans Jakob Le Fort.
Le Fort schaffte manche Mißbräuche ab, ordnete viel
notwendige, gute und weise Einrichtungen im Staate
an, zog Ausländer in das Land, und führte den Zar auf
Reisen, um ihn durch Beispiele der Industrie und des
Wohlstandes von der Notwendigkeit der Befolgung
der Regeln zu überzeugen, die er ihm gab. Wer kennt
nicht die Geschichte dieser sonderbaren Reise nach
Livland, Preußen, Brandenburg, Lüneburg, Holland,
England, Sachsen, Österreich und Polen, ^) die Le Fort
als Gesandter des Zars im Jahre 1697 unternahm, und
seinen Gebieter, unter dem Inkognito eines Ober-
kommandeurs, in seinem Gefolge hatte.
Indessen war diese Reise für Peter I. von großem
Nutzen. Man würde sie weiter fortgesetzt haben, wenn
nicht ein neuer Aufstand in Moskau schleunige Rück-
kehr verlangt hätte.
Der Zar kam im Sommer 1698 wieder in seine Resi-
denz, und nun wurden die zweckmäßigsten und kräf-
tigsten, aber freilich sehr strenge Mittel zur völligen
Dämpfung des Aufruhrs angewendet.
Schon seit dem bestimmten Anfange der Gunst des
neuen Ministers hatten die vornehmen Russen das
wachsende Ansehen des Fremdlings mit Neid be-
trachtet, und über seine Neuerungen ziemlich laut ihr
Mißfallen zu erkennen gegeben. Anfänglich hatten
Peter und Le Fort diese Äußerungen mit Gleichgültig-
keit angehört, als aber der Tadel der Unzufriedenen
und Unkundigen zugleich immer lauter wurde, dann
glaubte Le Fort, daß es Zeit sei, sie mit Gewalt zum
Schweigen zu bringen. Auf seinen Rat unterdrückte
daher Peter I. schon vom Jahre 1692 an die FamiHen
der durch Geburt und Rang ausgezeichneten Ruhe-
störer, und gab von diesem Jahre an den Ausländern,
*) Cruseostolpe I. S. 20 ff.
I. Franz Jahoh Le Fort. 17
wenn sie es verdienten, bedeutende Stellen im Staate,
so daß oft Russen und Fremde gleiche Vorrechte
hatten.
Auf diese Art untermengt, dienten diese dem Günst-
linge zum Gegengewicht gegen jene.
Doch der Unmut der Russen war nur auf eine kurze
Zeit gedämpft, aber nicht erstickt worden. Er schien
nur zu schlafen, und sein Erwachen war fürchterhch.
Die Reise des Zars und des Ministers veranlaßte neue
Unruhen, und ihre lange Abwesenheit begünstigte sie.
Die Strelzi wurden gewonnen und unterstützten die
Empörung.
Wir wissen, daß auf die erste Nachricht davon Peter
und Le Fort im Jahre 1698 nach Moskau eilten.
Sie beschlossen sogleich, die aufrührerischen Strelzi
hinzurichten.
In dieser Absicht wurden auf den zum Richtplatz
bestimmten Ort Balken gelegt, auf welche die Ver-
brecher ihre Hälse legen mußten. Der Zar, Le Fort und
Menschikow, der schon seit einigen Jahren die Gnade
seines Herrn erlangt hatte, nahmen jeder ein Beil.
Peter ließ dergleichen ebenfalls an seine Minister und
Generale austeilen, und bot sogar zweien an seinem
Hofe sich aufhaltenden fremden Gesandten, von denen
der eine aus Holland war, zwei Beile an, allein sie ver-
baten diese Auszeichnung. Als nun alle bewaffnet
waren, ging jeder an seine Arbeit und hieb Köpfe ab.
Menschikow benahm sich dabei so linkisch, daß der
Zar ihm einige Ohrfeigen gab, und ihm zeigte, wie er
es machen müßte. — Der Geschichtschreiber und der
Leser wenden den Blick von solchen grausenerregen-
den Szenen hinweg und werden durch den Schein-
grund nicht beruhigt, daß die Notwendigkeit diese
blutigen Maßregeln herbeigeführt habe.
Russische Güustliogo. 2
l8 I. Franz Jakob Le Fort,
Le Fort würde dem Zar in seinen Bemühungen um
die Vervollkommnung seines Volkes noch mehr
wichtige Hilfe geleistet haben, wenn ihn nicht der
Tod übereilt hätte. Er starb im Jahre 1699 im sechs-
undvierzigsten Jahre seines Alters.
Dieser berühmte, imponierende und von seinem
Herrn selbst gefürchtete Mann war damals dessen
vertrautester Staatsminister, erster General und erster
Admiral und Ritter des Andreasordens, den Peter I.
im Jahre 1689 gestiftet hatte.
Die allerdings genialischen Talente dieses Günst-
lings und seine Verdienste uim Rußland sind unver-
kennbar groß. Er hatte einen umfassenden und sehr
gebildeten Verstand, eine scharfe Beurteilungskraft,
viel Gegenwart des Geistes, eine unglaubliche Ge-
schicklichkeit, diejenigen zu prüfen, die er brauchen
wollte, und nicht gewöhnliche Kenntnisse von der
Stärke und Schwäche des wichtigsten Teiles des russi-
schen Reichs, die ihm bei der Bildung dieses ungeheuren
Blocks notwendig waren. Im Grunde seines Charakters
lagen Festigkeit, unerschütterlicher Mut und Recht-
schaffenheit. In seiner Lebensweise war er aus-
schweifend und beschleunigte dadurch wahrschein-
lich seinen Tod.
Man wi^:ft ihm vor, daß er den Zar zur großen
Strenge, zur Untreue gegen seine Gemahhn und zur
Unregelmäßigkeit in der Lebensart verleitet habe. Es
fehlt jedoch nicht an Gründen, um diese drei Be-
schuldigungen zu schwächen oder abzulehnen.
Man denke sich das weitläufigste Reich der Erde in
moralische Finsternis aller Art verhüllt. Es war ein
Pfuhl, in welchem nur unter den Regierungen der
Zaren Joan^) Wassil je witsch und Alexej Michajlo-
') Joan = Iwau.
I. Frans Jakob Le Fort. IC)
N\'itsch, hier und da ein Schein von Aufklärung ent-
standen, aber aus Mangel an Unterhaltung wie ein
Irrlicht verlöscht war.
Diesen Pfuhl wollten Peter und Le Fort reinigen,
aber bei jedem Schritte, den sie taten, wurden sie
durch Bosheit und Vorurteile in ihrem Vorhaben ge-
hindert. Nur durch ausdauernden Mut, durch Klug-
heit und durch Strenge gelang es ihnen, diese Hinder-
nisse zu überwinden. Diese Mittel würden zwar schwer-
lich die Probe der strengen Moral aushalten, aber die
erhabenen Eigenschaften der Herrscher und der ersten
Männer im Kabinett und im Felde, müssen von den
bürgerhchen Tugenden^) unterschieden werden. Was
würde man nur mit Sanftmut und Güte ausrichten?
Das Herz regiert nicht, sondern der Verstand; und
mancher Fürst, mancher Staatsmann, mancher Held
würden nicht als Meteore in den unermeßHchen
Sphären der Geschichte glänzen, wenn sie — — —
gerecht und menschlich gewesen wären.
Le Fort war es auch nicht, der die Einigkeit in der
damaligen Ehe des Zars störte.
Die Verbindung Peters mit Eudoxien, das Werk der
Konvenienz, war wenigstens schon verabredet, ehe
Le Fort die ausschheßende Gunst dieses Fürsten er-
langte. Die Zarin war älter als ihr Gemahl. Ihre Reize
veralteten, als Peters Manneskraft erst im Aufblühen
und dann in der vollen Blüte war. Überdies fehlte
diesem Paare Übereinstimmung der Charaktere, dieses
einzige sohde Band glückhcher Ehen. Abneigung des
Prinzen war die natürliche Folge dieser physischen
und moralischen Verschiedenheit. Hierzukam, daß
^) Si Vous faites cas de vertus futiles, Votre röle ii'est pas trfis-
beau, sagte Diderot zu Katharina II., als sie mit ihm über Rulhieres
Buch von der Revolution 1762 sprach, mais si Vous preferez les
grandes actions heroiques, Votre öle e*t tres-glorieiix. Heibig.
20 J. Franz Jakob Le Fort.
Eudoxia die rechte Art, sich zu benehmen, ganz ver-
fehlte.
Peters Geist im kraftvollen Gefühle der Selbständig-
keit ließ sich nicht durch eine ebenso ungeschickte als
unschickliche Anmaßung zu den hergebrachten häus-
lichen Pfüchten der Ehe zurückführen; duldete es
nicht, daß seine Gemahlin, die seine Bemühungen
um die Beglückung seiner Untertanen mit ihm hätte
teilen sollen, voll Vorurteile, wie seine Gegner, sich zu
ihnen gesellte, um die Ausführung seiner Pläne zu ver-
eiteln. Peters Unmut, durch die Heftigkeit seines
Charakters und durch Jugendfeuer genährt, erreichte
einen hohen Grad. Die Ausbrüche desselben waren
furchtbar. Le Fort nahm sich der Prinzessin an. Die
Trennung von ihrem Gemahl konnte er zwar nicht
hindern, aber er rettete ihr Leben. Sie \\airde in ein
Kloster gesperrt, und hier war es freilich notwendig,
sie strenge zu behandeln, um ihren Anhängern zu
zeigen, daß ihre mächtigste Stütze für sie verloren sei.
Indessen gab Le Fort nicht zu, daß Peter, von
jugendhcher Übereilung bemeistert, sie durfte töten
lassen. Die weisen Gründe, die er zur Befestigung von
Peters Ruhm dagegen anführte, schlugen in dem
Herzen dieses Prinzen so tiefe Wurzeln, daß in der
Folge alle Bemühungen der mächtigen Feinde Eu-
doxiens nicht vennögend waren, sie ganz auszurotten.
Endlich war es wohl auch Le Fort nicht allein, der
dem Zar das Beispiel einer unregelmäßigen Lebens-
weise gab. Diese fand der Prinz häufig in seiner Nation.
Die Ausschweifungen im Trinken waren sehr groß. Sie
waren das charakteristische Zeichen der damaligen
Zeit. Man fand sie nicht in Rußland allein, sondern
auch in anderen Staaten, die kultivierte hießen.
Le Fort, der sich anfänglich herabheß, die Sitten und
/. Franz Jakob Le Fort. 31
Gewohnheiten der Russen anzunehmen, fand bald Ge-
schmack an dieser Unordnung, und ergab sich ihr end-
lich aus Neigung. Indessen war die Gewalt dieser
Sittenlosigkeit nie so groß, daß sie den Zar und ihn an
der Ausführung ihres großen Plans hätten hindern
können.
Le Fort war verheiratet gewesen, aber wir kennen
den Famihennamen seiner Gemahlin nicht. ^)
Aus dieser Ehe hatte er einen Sohn,*) den er einige
Jahre vor seinem Tode nach Genf zur Erziehung
schickte. Der junge Mensch kam, so viel wir wissen,
erst nach dem Tode des Vaters nach Moskau zurück
und starb schon im Jahre 1702,^) noch ehe er seinen
Charakter und seine Talente entwickeln konnte.
Der Kaiser Peter I. wurde dadurch verhindert, gegen
den Sohn die heilige Pflicht der Dankbarkeit zu er-
füllen, die er dem Vater schuldig war.
Die Familie Le Fort ist in der männlichen Linie
wahrscheinlich ausgestorben, wenigstens haben wir
von keinem dieses Namens gehört.
Ein Brudersohn des berühmten Günstlings trat in
früher Jugend in sächsische Dienste, zeigte große
Fähigkeiten, und wurde in der Zeit, da Rußland unter
Peter L mit den europäischen Mächten in bestimmte
diplomatische Verhältnisse trat, der erste bleibende
Gesandte^) Friedrichs Augusts L am russischen Hofe.
Noch gab es zur Zeit Peters L einen Generalmajor
Le Fort, wir haben aber nie den Grad seiner Verwandt-
1) Seine Frau Elisabeth war die Tochter des Obersten Franz
Souhay. Sie starb 1726.
*) Er hieß Heinrich.
') Am 28. April 1703.
*) Der allererste sächsische Gesandte in Rußland war ein General-
major von Carlowitz. Als Peter I. den König im Jahre 1698 besuchte,
reiste Carlowitz zugleich mit dem russischen Monarchen nacli Moskau'
blieb aber nur kurze Zeit daselbst. Heibig.
22- I- Franz Jakob Le Fori.
Schaft mit dem großen Le Fort erfahren können.^)
Vielleicht ist dieser Generalmajor Le Fort der nämliche,
der im Jahre 1697 die große Gesandtschaft in der
Eigenschaft eines Legationssekretärs begleitete. Im
Jahre 1719 hatte dieser Le Fort ein Infanterieregiment,
das seinen Namen hatte; ein Vorzug, der ganz einzig
war, weil in den damaligen Zeiten und lange nachher
alle Regimenter in der russischen Armee ihre Namen
nach den russischen Provinzen führten. Dieser näm-
liche Generalmajor Le Fort war einer der ersten, die
bei der Leiche Peters I. im Jahre 1725 die Ehrenwache
hatten.-)
Der Sohn des sächsischen Gesandten trat in russische
Dienste und war Zeremonienmeister am Hofe der
Kaiserin Elisabeth. Er wurde, wenn wir nicht irren, in
eine unglückliche Lotterieangelegenheit verwickelt, die
ihm großen Kummer verursachte. Wir glauben gehört
zu haben, daß er Rußland verließ und in Warschau
starb. Seine Witwe, eine geborene von Schmettau,^)
lebte noch im Jahre 1807 in Berlin.
Es ehrt die Fürsten, wenn sie die Verdienste der
treuen Diener ihrer Vorfahren auch noch in deren
späten Seitenverwandten belohnen. Der Großmut des
in seinen Absichten so edel und gutdenkenden und in
der Ausführung derselben so mißverstandenen und
unglücklichen Kaisers Paul I. war es vorbehalten, dem
') Er war der Neffe Le Forts und hieß Peter. Er ist derselbe,
von dem Heibig im folgenden spricht.
^) Le Fort verließ bald darauf Rußland, trat in sächsisch-
polnische Dienste und starb 1739 iii Dresden kinderlos. Mit wem
Heibig den folgenden Le Fort verwechselt, ist nicht leicht zu be-
stimmen. Ein weiterer Neffe Le Forts, auch Peter geheißen, kam
1694 nach Rußland, wurde Generalleutnant und Diplomat. Er starb
1764 auf seinem Gute Mollenhagen in Mecklenburg.
^) Ihr jüngerer Bruder war der königlich preußische General-
leutnant Graf von Schmettau, der im Jahre 1806 an den Wunden
starb, die er in der Schlacht bei Jena empfangen hatte.
2. Alexander Menschikow. 23
Andenken des Namens Le Fort einen Beweis seiner
Wohltätigkeit zu geben. Er erteilte der Frau von Le Fort
in Berlin einen lebenslänglichen Gnadengehalt, mit
dem Beifügen, daß derselbe nach dem Tode der Mutter
auch der Tochter ausgezahlt werden sollte.
2. Alexander Menschikow.
Das Zeitalter Peters I. ist zugleich die Epoche aus-
gezeichnet großer Männer im russischen Staate, In
keiner der nachfolgenden Regierungen findet man so
viele von dem wichtigen Gehalt derer, die der eigent-
liche Schöpfer des russischen Reichs in der Staats-
verwaltung, in der Militärverfassung, im Seewesen, in
den Finanzen, im Departement der ausländischen An-
gelegenheiten, in der Justiz Verfassung und im PoHzei-
wesen angestellt hatte. Manche fand er in den großen
Famihen seines Reiches, andere unter den vornehmen
Ausländern, die an seinem Hofe erschienen. Viele
kamen aus dem Pöbel im Auslande, verschiedene aus
dem Staube der niedrigsten Klassen des russischen
Volkes. Schon ehe Peter I. in das reifere Alter kam,
in welchem sein geübter Verstand die brauchbarsten
Subjekte aussuchen konnte, begünstigte ihn der Zufall
und führte ihm Jünglinge zu, die durch die größten
Geistesfähigkeiten sich merkwürdig machten. Selten
irrte er sich in ihnen, und sie nie in ihm. Die meisten
entsprachen seinen Erwartungen, und er zog sie her-
vor und belohnte sie großmütig. Aber die wenigsten
waren glücklich bis an das Ende ihres Lebens.
Der Gipfel des irdischen Glücks ist für die meisten
Emporkömmlinge der gefährUchste Punkt. Selten weiß
24 2« Alexander Menschikow.
einer von ihnen, sich bis an das Ende seiner Tage auf
dem erhabenen Platze zu erhalten, auf welchen ihn
ein kühner, genialischer Flug und eine mit Festigkeit
fortgeführte Tendenz gebracht haben. Er schwindelt
auf der ungewohnten Höhe, und — fällt.
Alexander Menschikow war im Jahre 1674, am
17. November^) geboren. Sein Vater war ein Bauer aus
der Gegend von Moskau und hieß Daniel Menschikow.*)
Mehrere Bauern in Rußland bringen ihre Söhne in
die großen Städte zu Handwerkern in die Lehre, und
so wurde auch Alexander zu einem Piroggenbäcker')
gegeben.
Nach Art dieser Lehrjungen mußte er seine Piroggen,
die er auf ein Brett gelegt auf dem Kopfe trug, m den
Straßen von Moskau ausrufen. Er tat dies auf eine so
lustige Art, daß er dadurch die Aufmerksamkeit des
berühmten Le Fort auf sich zog.*) Dieser Staatsmann
ließ ihn zu sich kommen, sprach viel mit ihm, und da
er seine Antworten genugtuend und seine Gesichts-
züge^) klug und einnehmend fand, so nahm er ihn als
Bedienten zu sich. Hier hatte Alexander oft Gelegen-
^) am 16. /6. November 1672.
*) Menschikows Vater war Stallknecht (Brückner, Peter der
Große S. 560).
^) Piroggen sind ein elendes Backwerk, das mit gehacktem Fisch
gefüllt ist und mit Leinöl gegessen wird. Nur das gemeine Volk
genießt diese ekelhafte Speise. Es versteht sich, daß auf den Tafeln
der Großen, gehörig zugerichtet, dieses Gericht eine Leckerei ist
(Anm. des Verfassers).
*) Eine andere Lesart bei Crusenstolpe I. S. 91.
^) Menschikow soll in seiner Jugend sehr hübsch gewesen sein;
besonders soll er sehr lebhafte Augen gehabt haben. Bilder von ihm,
die man noch in Rußland, obgleich sehr selten, antrifft, zeigen, daß
er einen sehr geistreichen, durchdringenden und angenehmen Blick
hatte. Dies bemerkt man vorzüglich an einem Porträt, das schon
in späteren Jahren gemacht ist, und das sonst im kaiserlichen
Schlosse in Gatschina, in den ehemaligen Zimmern des Kaisers
Pauls L, hing. Heibig.
Prinz Menzikow
s. Ahxandif Mensehihoxe. 35
heit, den jungen Zar, der nur zwei Jahre älter war als
er, zu sehen und zu sprechen und dessen Gunst zu ge-
winnen. Le Fort, ein gründlicher Beurteiler geistiger
Fähigkeiten, bemerkte mit Wohlgefallen den durch-
dringenden Verstand seines Bedienten und beschloß,
ihn zum Dienste des Staats geschickt zu machen.
Gewiß, der Mann verdient den wärmsten Dank, der,
entfernt von Eifersucht, seinem Herrn und dem Staate
einen so gebildeten ZögUng zurückläßt; und nicht
minder Bewunderung verdient dieser ZögUng, der in
den Plänen seines großen Vorgängers und nach den
Absichten seines Fürsten fortarbeitet.
Le Fort brachte den jungen Menschikow in die
Dienste des Zars, nahm ihn mit zu der großen Gesandt-
schaft im Jahre 1697, machte ihn auf alles aufmerksam,
lehrte ihn Mißbräuche abschaffen und neue Einrich-
tungen treffen, gab ihm Unterricht in MiUtärgeschäften
und suchte besonders seine eigenen Maximen in An-
sehung der Staatswirtschaft und der auswärtigen An-
gelegenheiten ihm so einzuimpfen, daß der kluge und
gelehrige Menschikow sich dieselben ganz zu eigen
machte. Indessen ist doch zu glauben, daß, wenn
Le Fort leben geblieben wäre, er, der gewiß des jungen
Mannes anmaßungsvollen Charakter durchspäht hatte,
denselben nie würde haben so hoch steigen lassen, als
er in der Folge wirkhch stieg.
Doch Le Fort starb und das Personale der russischen
Staatseinrichtung bekam dadurch eine ganz andere
Gestalt.
Peter L sah sich, obgleich umringt von Höflingen,
dennoch allein. Fast alle waren seinen weisen Ent-
würfen zuwider, wenigstens so lange, bis Überzeugung
sie besserte. Nur Menschikow allein stimmte unbedingt
mit den erhabenen Grundsätzen seines Fürsten über-
20 2. Alexander Menschikow.
ein.^) Er wurde sogleich der Nachfolger des verstor-
benen Günstlings in der Gnade seines Herrn und erhielt
nach und nach, aber doch immer in sehr bald auf-
einander folgenden Zeiträumen, alle die wichtigen
Stellen, die Le Fort bekleidet hatte.
Jetzt zeigte Menschikow, daß er unter die ausge-
zeichneten Menschen gehöre, die sich einen Namen in
der Geschichte zu erwerben wissen. Er war gewiß so
sehr Genie, als man es in einem despotischen Staate
sein darf, dessen Regent kein Gesetz zu kennen
braucht. In voller Geistes- und Manneskraft ent-
wickelte er seine großen Fähigkeiten, stand seinem
Herrn in allem treuhch bei, sowohl im Entwerfen wohl-
tätiger Regentenpläne als durch die folgsamste und
pünktlichste Befolgung der Befehle des Kaisers.
Die Erzählung der einzelnen wichtigen Dienste
dieses Staatsmannes und Feldherrn gehört in die
Regierungsgeschichte des großen Monarchen, die er
durch seine Talente wenigstens zum Teil verherrlichte.
Man entdeckte gleich anfangs in ihm die Anlage zu
einem Staatsdiener, der durch sein tatenvolles Leben
Mitwelt und Nachwelt in Erstaunen setzen kann, aber
man sah auch in den Folgejahren mit Bedauern, daß
sein vielversprechender Einfluß nicht immer für den
Staat der günstigste und für die Untertanen der heil-
samste blieb.
Peter ernannte ihn unter andern zum Hofmeister
seines nachher so unglücklich gewordenen Sohnes
^) über den sehr begründeten Verdacht, den diese Freundschaft
erweckte, siehe Bülau, Geheime Geschichten (Reclam), lo. Bändchen
S. 27. Auch die Briefe Peters des Großen an Menschikow (III. 780)
lassen kaum einen Zweifel über das Verhältnis zu. Übrigens war
Menschikow nicht der einzige Freund des Kaisers. Auch Jaguschinski
soll seine Laufbahn als Lustknabe begonnen haben. Von einem
weiteren derartigen Günstling gibt Bergholz nur den Namen an.
Es war der Denschtschik Talischoff.
2. Alexander Menschikow. 27
Alexej. Menschikow vernachlässigte die Erziehung
dieses Prinzen auf eine ganz unverantwortliche Weise.
Es war ihm gleichgültig, ob der Zarewitsch in den Lehr-
stunden fleißig war oder nicht. Auch gab er wohl gar
seinen Beifall, wenn er merkte, daß die Popen dem
Prinzen unnützen kirchlichen Tand beibrachten, ihn
in ihren albernen Gesellschaften festhielten und ihm
einen Abscheu vor allen Neuerungen seines Vaters ein-
zuflößen suchten.
Man wird verführt zu glauben, daß Menschikow
schon damals die Absicht gehabt habe, den Zarewitsch
durch den eigenen Willen des Kaisers von der Thron-
folge ausschUeßen zu lassen. Noch lag aber sein Projekt
sehr im Hintergrunde.
Menschikow stand mit Katharina,^) die er seinem
Monarchen abgetreten hatte, in der engsten freund-
schaftlichen Verbindung. Daraus entstanden gegen-
seitige Verpflichtungen. Er erhielt sie in Ansehen und
suchte sie immer höher zu bringen, und sie unter-
stützte ihn, wenn er wankte. Sie sollte dem Staate
Thronerben geben und er wollte nach Peters Tode das
Reich und den unmündigen Souverän beherrschen.
Um nun aber das alles zur Ausführung zu bringen,
war es nötig, den Sohn dem Vater verdächtig zu
machen, und auf diese Art den Prinzen vom Throne
zu entfernen. Es geschah, wie wir wissen, mehrere Jahre
nachher, als der Zarewitsch schon verheiratet gewiesen
war und von seiner Gemahlin einen Sohn und eine
Tochter bekommen hatte. Peter wurde ganz gegen
Alexis eingenommen, der durch sein unkluges, unzu-
^) Die Geschichte Katharinas ist so genau mit Menschikow»
Leben verwebt, daß man keines ohne das andere lesen kann. Um
Wiederholungen zu vermeiden, kann keines vollständig geschrieben
werden. Was hier fehlt, wird man in jenem finden, und so ist der
Fall auch umgekehrt. Heibig.
28 s. Alexander Menschikow.
verlässiges, niedriges, widerspenstiges und den Vater
und den Regenten empörenden Benehmen Veran-
lassung zu dem traurigen Schicksale gab, das ihn traf.
Es wurde gegen den unglücklichen Prinzen ein
Todesurteil abgefaßt, und der Fürst Menschikow war
der erste, der es unterschrieb.
Die Art des Umgangs Peters I. mit seinem Günst-
ling war einzig. Der Kaiser tat nichts, ohne Menschi-
kows Rat. In allen Ereignissen seiner Regierung und
seines Privatlebens zeigte er ihm ein Vertrauen, das
keinen höheren Grad erreichen konnte. Man würde
sagen können, daß der Monarch und der Günstling die
herzlichsten Freunde gewesen wären, wenn nicht dieser
ein immerwährendes Spiel seiner Leidenschaften, sich
dadurch der hohen Bestimmung, der Freund seines
Fürsten zu sein, unwürdig gemacht hätte. Menschikow
mußte fast beständig der Begleiter des Kaisers sein,
und wenn ihn Peter zuweilen zurückließ, so regierte
der Günstling mit Bewilligung seines Herrn den ganzen
Staat. Dieses Zepter konnte alsdann wirkhch eisern
genannt werden. Dadurch wuchs die Zahl von Menschi-
kows Feinden, die er besonders durch sein eigen-
nütziges Betragen sich täglich schuf. Sie beobachteten
alle seine Schritte und offenbarten dem Kaiser alles,
was ihnen von den gewinnsüchtigen Handlungen seines
ersten Staatsdieners bekannt wurde.
Dreimal kam dieser deswegen während der Regie-
rung Peters I. in die schärfste Inquisition, wovon wir
nur ein Beispiel vom Jahre 1719 anführen wollen.
Fürst Menschikow wurde beschuldigt, die Finanzen
des Reiches, die ihm allein anvertraut waren, übel ver-
waltet und große Summen davon zu seinem Nutzen
verwendet zu haben. Er mußte seinen Degen abgeben,
durfte sein Haus nicht verlassen und sollte nun die
2. Alexander Menschikow. 29
Strafe, die ihm der Kaiser auflegen würde, erwarten.
Man hatte Ursache zu glauben, daß die Sache eine sehr
schlimme Wendung nehmen würde; und man sprach
schon davon, daß Menschikow zu ewiger Gefangen-
schaft würde verurteilt werden. Allein die Freude seiner
Feinde war zu voreilig. Der Monarch ließ ihn rufen.
In dem Augenblick, als er ankam, warf er sich dem
Kaiser zu Füßen, bat um Gnade und versprach Besse-
rung. Peter hatte das Verbrechen schon fast wieder
vergessen und dachte nur an die Verdienste seines
Dieners. Er schenkte ihm seine Gnade wieder und legte
ihm eine sehr große Geldstrafe auf, die Menschikow auf
der Stelle entrichten mußte.
Für kleinere Verbrechen gab es auch kleinere Strafen.
So erzählt man: eines Abends erfuhr der Kaiser eine
Menge gegründeter Beeinträchtigungen, die der Fürst
verübt hatte. Am andern Morgen begab sich Peter nach
Wassilej-Ostrow^) zu Menschikow, der daselbst in
seinem Palais, dem jetzigen Landkadettenkorps,
wohnte, ging in das Schlafzimmer zu ihm, der noch
schlief, hielt ihm sein Vergehen vor und züchtigte ganz
in der Stille aber auf eine sehr fühlbare Art seinen
Günstling, der niedrig genug dachte, dergleichen
Strafen zu ertragen. Nachdem dies geschehen war, fuhr
Peter wieder fort. Auf dem Rückwege begegnete er
einer Menge Leute, die auf sein Befragen ihm sagten,
daß sie nach Wassilej-Ostrow gingen, um dem Fürsten
Menschikow zu seinem Namenstage Glück zu wünschen.
Der Kaiser kehrte sogleich mit ihnen um. Menschikow
erschrak heftig, weil er glaubte, Peter komme nur, um
ihn noch einmal zu züchtigen. Aber der Monarch sprach
^) Peter I. wollte keine Brücke über die Newa nach Wassilej-
Ostrow bauen lassen, um die Russen an die Schiffahrt zu gewöhnen.
Sobald Peter II. zur Regierung kam, ließ Menschikow die noch be-
stehende Schiffbrücke aufrichten. Heibig.
30 2. Alexander Menschikow.
ihm Mut ein, indem er ihm gleich beim Eintritt ins
Zimmer sagte; ich habe gehört, es ist heute dein Fest;
ich bin daher mit diesen guten Leuten gekommen, dir
Glück zu wünschen und bei dir zu schmausen.
So endigten sich fast immer die Klagen, die gegen
den Fürsten vorgebracht wurden, und es beweist hin-
länglich für die tiefen Einsichten und für die große
Brauchbarkeit dieses Mannes, daß Peter, der viel-
fachen Beschuldigungen ungeachtet, ihn doch bei
sich behielt und nichts ohne dessen Rat und Bei-
stimmung tat.
Die dem Monarchen bekannt gewordenen Züge des
Eigennutzes und der Treulosigkeit Menschikows waren
nicht die einzigen, die den Fürsten zum Verbrecher
machten. Es gab noch andere, die der Kaiser nicht
erfuhr, und welche die schärfste Ahndung und seine
gänzliche Entfernung von Staatsgeschäften verdient
hätten.
Peter I., der immer gewünscht hatte, deutscher
Reichsfürst mit Sitz und Stimme auf dem Reichstage
zu werden, stand einmal, wir wissen nicht zu welcher
Zeit und durch welchen Zufall, auf dem Punkte,
Schwedisch-Pommern zu bekommen. Der preußische
Hof, der nicht gern einen so unbequemen Nachbar
haben wollte, wendete sich an den Fürsten Menschi-
kow und bestach ihn mit zwanzigtausend Dukaten.
Der erste Staatsdiener des Kaisers, auf welchen dieser
sein ganzes Vertrauen setzte, brachte nun vermut-
lich Scheingründe vor, die den Monarchen von dem
Wunsche abbrachten, Pommern besitzen zu wollen.
Kurz, die Unterhandlung wurde abgebrochen.
Hätte Peter den wahren Zusammenhang erfahren,
so würde der GünstHng schwerlich mit einer gewöhn-
lichen Strafe losgekommen sein.
2. Alexander Metischikotv. 31
Daß Menschikow immer so glücklich sein konnte,
den verdienten Folgen seiner Verirrungen zu entgehen,
und nicht selten über seine Ankläger zu siegen, war
großenteils Katharinas Werk. Dafür war er aber auch
auf den Nutzen dieser Prinzessin bedacht. Mit diesen
Bemühungen vereinigte er aber zugleich die für seinen
Vorteil. Da keiner von Peters und Katharinas Söhnen
leben blieb, so fiel Menschikow zuerst auf den Ge-
danken, Katharina nach Peters Tod auf den Thron
ihres Gemahls zu erheben. Er teilte diese Idee dem
Monarchen mit, der sie billigte. Nun wurde sie zur
Thronfolgerin erklärt und im Jahre 1724 gekrönt. Es
war vorauszusehen, daß der Fürst Menschikow, welcher
der Hebel von diesem allen war, das Steuerruder im
Staate führen würde, wenn nach Peters Tod Katharina
zur Regierung käme.
Einem so mächtigen Günstlinge als er war, der dem
Kaiser und der Kaiserin zugleich sich unentbehrlich
gemacht hatte, konnte es nicht an Auszeichnungen
von Seiten der auswärtigen Mächte fehlen, die sich alle
um seine Freundschaft bewarben.
Der Wiener Hof hatte ihn schon längst zum Reichs-
grafen^) und bald nachher zum Reichsfürsten ^) er-
nannt, und die Höfe zu Kopenhagen, Dresden und
Berlin schickten ihm ihre Orden.
Peter I. selbst, um seinem Günstlinge öffentüche
Beweise seiner Dankbarkeit zu geben, erteilte ihm den
Titel eines Herzogs von Ingermanland ; erster Staats-
minister und erster Generalfeldmarschall der Armeen
des Kaisers war er schon.'')
Doch alle diese großen Auszeichnungen der Gnade
seines Monarchen konnten den Fürsten nicht auf der
Bahn der Rechtlichkeit festhalten. Seine Habsucht und
*) 1702. — -) 170S. — ^) Seit dem Jahre 1709.
32 2. Alexander Menschikow.
seine Treulosigkeit brachten ihn einige Monate vor dem
Tode des Kaisers noch einmal in die Ungnade dieses
Monarchen. Da eben in dem Augenblicke Kathrina
mehr als jemals, in ihren eigenen kritischen Angelegen-
heiten einen Ratgeber nötig hatte, so mußte Graf
Jaguschinski, ziun Vorteil Menschikows, den Kaiser
auf andere Gedanken zu bringen suchen. Es gelang
ihm; der Fürst war so glücklich, die Gnade seines
Herrn, und zwar diesmal ohne irgendeine Aufopferung
wieder zu erlangen.
Katharina und er fanden nun notwendig, für ihre
Selbsterhaltung alles zu wagen, und waren wahrschein-
lich gleich anfangs entschlossen, derselben das kost-
barste Opfer zu bringen. Peter I. war mit beiden höchst
unzufrieden und hatte ihnen harte Strafen gedroht,
wenn er von seinem schmerzhaften Krankenlager sich
wieder erheben würde, Katharinas und Menschikows
Betragen war schon seit langer Zeit den Befehlen des
Kaisers geradezu entgegengesetzt gewesen, und er hatte
beide schon oft gewarnt. Die gedrohten Strafen
konnten also sehr empfindlich werden und beide
wieder in den Staub zurückführen, aus welchem die
Huld des Monarchen sie hervorgezogen hatte. Es war
also der Klugheit der Kaiserin und des Fürsten und
ihren Gesinnungen gemäß, den Zeitpunkt der Wieder-
herstellung des Kaisers gar nicht eintreten zu lassen.
Und so wird es also wahrscheinhch, daß man der
Natur Vorgriff, und durch künstliche Mittel die Krank-
heit des größten Monarchen, der damals in Europa
regierte, eher endigte, als es nach dem Laufe der Natur
hätte sein sollen.^)
Peter starb 1725, und alle seine Entwürfe, die
*) Dieser unkritische Klatsch wurde sogar von Gegnern Menschi-
kows als solcher gekennxeichnet.
2. Alexander Menschikow. 33
er mit Katharina und Menschikow haben mochte,
und die gewiß groß und heilsam waren, wurden ver-
nichtet.
Menschikow, Jaguschinsky und der Priester Theo-
phanes halfen nun Katharina auf den russischen Thron.
Für keinen war dieses Ereignis vorteilhafter als für den
Fürsten.
Das erste Jahr der Regierung Katharinas war
eigenthch die Regierung Menschikows. Die Folge ent-
sprach dem Anfange nicht. Die Wagschale des Fürsten
stieg in die Höhe, indem die der FamiUe Holstein sank
und das Übergewicht behielt. Der bisherige Günstling
merkte den Verfall seines Ansehens deutlich, als er die
Zurückberufung seines Todfeindes, des Baron Scha-
phirow, nicht verhindern konnte. Demungeachtet ver-
lor er vor den Augen der Welt nichts von seinem Range
und von seiner scheinbaren Mitwirkung. Allein dies
war ihm nicht hinlänglich. Er wollte auch den wirk-
lichen Einfluß ferner behaupten, den er bisher gehabt
hatte. Was man ihm nicht zugestehen wollte, suchte
er auf eine andere Art sich zu verschaffen.
Es ist hart, wenn der Geschichtschreiber in kurz auf
einander folgenden Zeilen zweimal die nämhche Ver-
mutung eines Verbrechens wagen und dadurch die
Gewißheit des einen und des anderen gleichsam be-
stätigen muß.
Fast ist es keinem Zweifel unterworfen, daß Menschi-
kow, um allein und unumschränkt über das Land eines
unmündigen Fürsten zu herrschen und ihn mit seiner
Tochter zu vermählen, die Lebenstage der Vor-
gängerin dieses Prinzen verkürzt habe. Sein Egoismus
und seine Herrschbegierde unterdrückten alle Emp-
findungen, die das Andenken an seine ehemalige Ver-
bindung mit Katharina und sein Dank für alles, was
Russische Günstlinge. o
34 2- Alexander Menschikow.
sie für ihn getan hatte, notwendig in seinem Herzen
hervorbringen mußte.
Katharina starb 1727.
Peter II. bestieg den russischen Thron und Menschi-
kow ergriff mit kühner und sicherer Hand die Zügel
der Regierung. In den ersten Monaten des Jahres 1727
stieg seine Macht am höchsten, und als Privatmann
konnte sein Rang nicht erhöht werden.
Zur Zeit seines größten Glücks, unter Peter IL war
er Fürst des Deutschen Reichs, Herzog von Ingerman-
land, Generalissimus der russischen Armeen, erster
Staatsminister, Senator und Ritter der beiden russi-
schen und einiger fremden Orden, namentlich der
Orden vom weißen Adler, vom schwarzen Adler, vom
Elefanten und vom heihgen Hubertus.
Obgleich damals verschiedene deutsche Prinzen in
Rußland waren und viele russische Kiieesen Fürsten
genannt werden, weil ihnen hohe Geburt, Verwandt-
schaft mit dem kaiserhchen Hause und außerordent-
hch große Glücksgüter das Recht dazu gaben, so wurde
doch, und zwar schon seit langen Jahren, Menschikow
allein katexochen der Fürst genannt. Er war eben auf
dem Punkt, seine Tochter mit dem Kaiser zu ver-
mählen,^) als er durch seinen unvorsichtigen Geiz der
Famihe Dolgorucky^) Gelegenheit gab, ihn zu stürzen.
Er nahm nämlich eine Summe Geldes, die der Kaiser
seiner Schwester schenkte, zu sich, unter dem Vor-
wand, daß der junge Monarch den Wert des Geldes
noch nicht zu schätzen wisse. Da er nichts ahnte, so
^) Maria Alexandrowna Menschikow, geb. 1713, gest. 1728.
Siehe Crusenstolpe I. S. 99.
^) Die Familie Dolgorucky zählte zu den ältesten und einfluß-
reichsten fürstlichen Familien Rußlands. Sie führten ihre Ab-
stammung auf Rurik (f 879), den Gründer des russischen Reiches,
zurück.
2. Alexander Menschikow. 35
ging er nach Oranienbaum, einem Lustschlosse, das
ihm gehörte, und wohin er auch den Kaiser gebeten
hatte, um der Einweihung der dortigen Kapelle bei-
zuwohnen. Der Kaiser kam zwar nicht, aber Menschi-
kow Heß die Kapelle einweihen, die man noch daselbst
sieht, benahm sich dabei mit großer Ostentation und
kehrte darm ganz unbefangen nach Petersburg zurück.
Er wunderte sich zwar, den jungen Monarchen, der
bisher bei ihm gewohnt hatte, nicht mehr in seinem
Palais in Wassilej-Ostrow zu finden, ging aber zu ihm
in das Palais im Sommergarten, das Peter II. bezogen
hatte. Der Kaiser, der schon von den Kneesen Dolgo-
rucky wider den Fürsten eingenommen war, machte
ihm persönlich die bittersten Vorwürfe über die Un-
verschämtheit, ein Geldgeschenk, das er seiner
Schwester bestimmt hatte, zu unterschlagen. Der Fürst
wollte sich zwar entschuldigen, aber der Kaiser entließ
ihn mit den sichtbarsten Merkmalen seiner Ungnade.
Bald darauf ließ er ihm durch den Generalleutnant
Saltikow^) sagen, daß er seiner Ehre und Würden,
seiner Ritterorden, seines Vermögens und seiner Frei-
heit verlustig erkannt sei. Bei dieser Nachricht fiel der
Fürst in Ohnmacht. Die Fürstin, seine würdige Ge-
mahhn, eilte, und warf sich dem Monarchen, der eben
aus der Kirche kam, zu Füßen, aber dieser ließ sie
liegen, ohne ihr ein Wort zu sagen; ein Beweis, daß
Peter II. nur ein Kind ohne alle Beurteilungskraft war.
Man machte der Nation dieses wichtige Ereignis be-
kannt, indem man erklärte, daß künftig keine anderen
kaiserhchen Verordnungen Kraft haben sollten, als die
^) Saltikow war mit der kaiserlichen Familie nahe verwandt.
Sein Vater war der Bruder der Zarin Prascovia, der Gemahlin des
Zaren Joan Alexjewitsch. Dieser Zar war ein Halbbruder Peters I.
und der Vater der Herzogin Katharina von Mecklenburg und der
Kaiserin Anna von Rußland. H.
36 2. Alexander Menschikow.
der Kaiser selbst unterschrieben hätte. Bisher hatte
nänüich Menschikow die sogenannten kaiserlichen Be-
fehle unterzeichnet.
Man schritt hierauf zur Konfiskation seines Ver-
mögens, und fand an Juwelen, an barem Gelde und an
goldenen und silbernen Gefäßen für drei MiUionen
Rubel an Wert, ohne seine weitläufigen Besitzungen
zu rechnen, die ungeheuer gewesen sein müssen, da
man versichert, daß er gegen hunderttausend Bauern
gehabt habe.^)
Es erfolgte alsdann eine Inquisition, die sich einige
Tage nachher endigte. Menschikow wurde zu ewiger
Verbannung nach Sibirien verurteilt.
Er reiste noch im Monat September 1727, mit seiner
Gemahlin, seinem Sohne und seinen beiden Töchtern^)
nach Beresow, einer kleinen Stadt am Soswafluß,^) die
ungefähr hundertundfünfzig schlechte Häuser hat,
welche größtenteils von Kosaken bewohnt werden.
Hier lebte der vor einigen Wochen noch so mächtige
und allgemein gefürchtete Fürst Menschikow, der auf
dem Punkte stand, Schwiegervater des Kaisers zu
weiden, in den elendesten Umständen; denn zu seinem
Unterhalt war ilmi nicht mehr als täghch ein Rubel
ausgesetzt, den ihm seine Wache vielleicht nicht ein-
mal vollzählig gab. Demungeachtet lebte er doch so
sparsam, daß er von dem gesammelten Gelde eine
kleine unbedeutende hölzerne Kirche bauen konnte,
an der er selbst arbeitete. — Wenn man über diesen
f ürchterhchen Wechsel in dem Schicksale dieses Empor-
kömmhngs nachdenkt, so löst sich die Erbitterung
^) Nach anderen Quellen sogar 150000. Aktenmäßig stehen
114 000 männliche Leibeigene — nur diese wurden gezählt — fest.
^) Und seiner Schwägeirin Barb2ira, die als sein böser Geist be-
zeichnet wird.
^) Im Gouv«meir>ent Tobolsk.
2. Alexander Menschikow. yj
gegen den ungerechten Mann in Mitleid gegen den
bedauernswürdigen Menschen auf.
Der Kummer, der noch in Sibirien durch Todesfälle
in seiner Famihe vermehrt wurde, ^) siegte über seinen
großen Geist, und stürzte ihn in eine tiefe Schwermut.
In dieser traurigen Gemütsverfassung sprach er kein
Wort und nahm in den letzten Tagen seines Lebens
nichts zu sich als kaltes Wasser. Er starb endlich am
2. November 1729,*) im fünfundfünfzigsten Jahre
seines Alters.
Die fehlerhaften Hauptzüge in Menschikows Cha-
rakter waren Egoismus, niedriger Eigennutz, Eitelkeit,
unmäßiger Stolz, Herrschsucht, Unversöhnüchkeit und
Grausamkeit. Diese Fehler und Laster, die zum Teil in
Leidenschaften ausarteten, bestürmten ihn unaufhör-
lich und setzten ihn in einen immerwährenden Zustand
des Streites mit einer Menge Menschen, besonders aber
mit den Großen des Reiches. — Nun wollen wir aber
auch die schönere Seite der Medaille betrachten. —
Menschikow war gütig gegen alle Fremde und alle seine
Landsleute, wenn sie sich nur in seine Launen zu
schicken wußten; ein Eigensinn, den er in seinem hohen
Range wohl durchzusetzen verlangen konnte. Er war
dankbar für erzeigte Dienste, tapfer bis zur Verwegen-
heit und ein eifriger Beschützer derer, die ihm ergeben
waren. Sein Verstand und alle mit demselben in Ver
bindung stehenden Fähigkeiten des Geistes hatten
einen hohen Grad von Genie erreicht. Hätte er in der
frühesten Jugend eine sorgfältige Erziehung gehabt,
so würde er viel haben leisten können. Er ersetzte in
der Folge diesen Mangel durch großen Fleiß und er-
^) Die Fürstin, von vielem Weinen erblindet, starb auf dem Wege
in die Verbannung. Sie wurde in Kasan begraben. Seine älteste
Tochter starb an den Blattern.
*) Diese Zeitangabe steht nicht fest.
38 2. Alexander Menschikow.
warb sich nicht gemeine Kenntnisse in Künsten und
Wissenschaften. Sein Vaterland kannte er genau, und
wurde ihm dadurch sehr nützlich. Er tat viel für die
Kultur des Volkes, für den Anbau mehrerer Städte in
Gegenden, wo sie vorteilhaft waren, für die Aufnahme
des Handels, der Künste und Wissenschaften, für die
Verbesserung des Bergbaues, für die Vervollkomm-
nung der Kriegszucht, für den Glanz des Hofes und für
die Gründung des imponierenden Ansehens der russi-
schen Regenten im Auslande. — Gibt es wohl viele
Günstlinge, deren Verdienste man mit denen des
Fürsten Menschikow messen kann? Und wenn man
auch zuweilen beim Lesen seiner Geschichte sich von
Unwillen über manche seiner Ungerechtigkeiten hin-
gerissen fühlt, so kommt man doch darauf zurück, den
Namen eines Mannes, der die großen Taten Peters I.
ausführen half, mit Bewunderung zu nennen.
Die Fürstin Menschikow war eine geborene Arserüen;
ein Haus, das einen ausgezeichneten Rang unter den
adeligen Familien in Rußland behauptet. Sie war ein
Muster weibhcher Schönheit und Tugenden, die ihr die
Huldigung der ungeheuchelten Ehrfurcht aller er-
warben, die sie kannten. Bei dem Unglück ihres
Mannes zeigte sie vom ersten Augenbhck an die ganze
Vollkommenheit ihres erhabenen Charakters. Sie be-
gleitete ihn an den Ort seiner Verbannung. Schon als
sie mit ihm noch am Hofe im höchsten Glänze lebte,
hatte sie oft die Wirkungen seiner vielfachen Launen
ertragen müssen. Sie setzte bloß ihre liebreichen Be-
mühungen fort, indem sie jetzt das traurigste Schick-
sal durch Liebe und Teilnahme ihm zu erleichtern
suchte. Allein der Kummer, der sie schon lange ge-
drückt hatte, tötete sie sehr bald. Sie starb in BeresQw,
wahrscheinlich schon im Jahre 1728.
I
2. Alexander Menschikow. 3g
Die Kinder aus dieser Ehe waren ein Prinz und zwei
Prinzessinnen. Sie folgten alle drei ihren Eltern nach
Sibirien.
Der Prinz war am 17. März 1714 geboren. Der Vater
bewies an ihm besser als an dem Zarewitsch, dessen
Hofmeister er gewesen war, daß er sehr richtig ver-
stand, was zu einer guten Erziehung gehört; diejenige,
die er seinem Sohne gab, war vortrefflich. Der Fürst
Menschikow hatte die Absicht, seinen Sohn mit der
Großfürstin Natalia Alexjewna, Schwester Peters IL,
zu vermählen, allein sein unglückliches Schicksal über-
eilte ihn, ehe er seinen Entwurf ausführen konnte. So
lange der Fürst lebte, blieb der junge Prinz in Sibirien.
Die Kaiserin Anna Heß ihn zurückkommen und gab
ihm einen nicht sehr beträchtHchen Teil der väter-
lichen Güter wieder. Wir wissen nicht, ob er am Hofe
oder in der Armee einige Ehrenstellen bekleidet habe ;
nur daß er Ritter des Hubertusordens war, ist uns be-
kannt. Er pflanzte sein Geschlecht fort.^) — Sein Sohn
ist der jetzige Fürst Menschikow, der in der Armee sehr
rühmlich gedient hat. Als er aus ganz besonderer Nei-
gung zu einem sehr stillen, einförmigen Leben vor
mehreren Jahren den Dienst seines Hofes verließ, war
er Generalleutnant, Senator und Ritter des Hubertus-
und des russischen mihtärischen Georg-Ordens von der
dritten Klasse. Er lebt jetzt, meistens getrennt von
seiner FamiHe, im Auslande. Seine Gemahhn, die in den
Tagen ihrer blühenden Jugend ihrer Schönheit wegen
^) Er starb am 8. Dezember 1764. Sein Enkel was der Fürst
Alexei Sergewitsch Menschikow, geboren 11. September 1787, der
als Diplomat und Staatsmann ebenfalls eine bedeutsame Rolle in
der russischen Geschichte gespielt hat. Als außerordentlicher Ge-
sandter wiu-de er 1853 nach Konstantinopel geschickt und trug
durch sein brüskes Auftreten, indem er im Paletot und mit be-
schmutzten Stiefeln im Diwan erschien, nicht wenig zur Herbei-
führung des Krimkrieges bei. Er starb am 2. Mai 1869. Bülau S. 78.
40 2. Alexander Menschikow.
berühmt war, ist eine Kneschna oder Prinzessin Goli-
zin. — Der Sohn aus dieser Ehe, ein junger Prinz, der
viel nützliche Kenntnisse mit einer ausgezeichneten
Liebenswürdigkeit des Charakters verbindet, war in
den neuesten Jahren bei den russischen Gesandt-
schaften in Dresden und Berhn angestellt.
Die Prinzessin Maria Alexandrowna, älteste Tochter
des ersten Fürsten Menschikow, war am 9. Januar
1713 geboren und wurde von ihrer vortrefflichen
Mutter musterhaft erzogen. Ein junger Graf Sapieha,
Verwandter des kaiserhchen Hauses durch die Gräfin
Sophia Skawronska, Nichte der Kaiserin Katharina I.,
bat im Jahre 1720 um ihre Hand, erhielt sie aber nicht,
weil der Vater wahrscheinhch damals schon höhere
Absichten hatte. Der Fürst arbeitete unablässig an dem
Projekte, seine älteste Tochter mit dem Kaiser zu ver-
mählen, und auf diese Weise seine Nachkommen auf
den russischen Thron zu bringen. Es gelang ihm auch
schon gleich nach dem Ableben der Kaiserin Katha-
rina L, die Verlobung Peters II. mit der Prinzessin
Maria zustande zu bringen. Diese wurde am 6. Juni
1727 gefeiert. Die Vermählung sollte im Herbst er-
folgen. Indessen erhielt die kaiserhche Braut den Titel
kaiserliche Hoheit und wurde im Kirchengebete gleich
nach der Schwester des Kaisers genannt. Alle diese
Aussichten einer glänzenden Zukunft wurden durch
Menschikows Unglück getrübt. Der Umstand, daß
Peter IL keinen Unterschied in dieser Familie machte,
und alle Mitgheder derselben, Schuldige und Un-
schuldige, ja sogar seine verlobte Braut mit einerlei
Strafe belegen konnte, macht diesen Kaiser hassens-
wert. Maria folgte ihren Eltern nach Beresow, wo sie
schon im folgenden Jahre ein Opfer des tötenden Grams
wurde.
iüiii ii ii,iiV.:.-^-:fei*fe^-
.e^^
Ljt^j^-.' J^^^^w "
Katharina I.
H. Benner gem. J. Mecon gest.
j. Katharina I. Alexjewna. 41
Ihre jüngere Schwester, die Prinzessin Alexandra
Alexandrowna, war in den ersten Tagen des Januars
im Jahre 1715 geboren und war so glückhch, zugleich
mit Maria die vortrefflichen Lehren ihrer Mutter teilen
zu können. Sie kam mit ihrem Bruder aus Sibirien
zurück, wir wissen aber übrigens nicht, ob und an wen
sie verheiratet worden ist.^)
3. Katharina I. Alexjewna.
Die Muse der Geschichte beugt sich vor dem Namen
dieser außerordenthchen Frau. Sie findet in den
Archiven der Zeit keine, die, wie Katharina I., aus
der Hefe des Volkes hervorgegangen, sich auf den
Thron des größten Reiches der Erde emporgeschwun-
gen hätte. Sie betrachtet daher das Leben dieser merk-
würdigen Prinzessin, die als Bäuerin in Litauen ge-
boren wurde und als Kaiserin und unumschränkte
Beherrscherin von Rußland starb, als den auffallendsten
Beweis der wunderbaren Art, mit welcher die Vor-
sehung die Schicksale der Menschen leitet. Aus den
Annalen der Welt ist sie mit Beispielen von Weibern
bekannt, die durch Seelengröße, Heldenmut, Begeiste-
rung, erhabene Talente und mit einem Wort, durch
alles umfassende Eigenschaften des Geistes, sich in
dem Tempel des Ruhms auf die höchsten Stufen
stellten, Heere auf der Siegesbahn anführten, den
Thron mit ihren Fürsten teilten, durch ihren weisen
Einfluß das Schicksal ganzer Staaten entschieden, den
Lorbeerzweig errangen, den Künsten und Wissen-
^) Sie vermählte sich mit dem General Graf Gustav Biron. Sie
starb nach ganz kurzer Ehe am 24. Oktober 1736.
42 3- Katharina I. Alexjewna.
Schäften nur der Vollkommenheit reichen und über-
haupt den ausgezeichnetsten Männern den Rang
streitig machten. An solche Beispiele gewöhnt, glaubt
sie in Katharina, die am Ziele ihrer pohtischen Lauf-
bahn alle diese Frauen weit hinter sich zurückläßt, ein
Wunder menschlicher Fähigkeiten und Tugenden zu
sehen. Aber nun prüft sie diese scheinbare Größe. Die
Bewunderung, die der Name allein eingeflößt hatte,
verschwindet, der Nebel fällt vor ihren Augen und sie
wundert sich bloß, eine gewöhnhche Frau zu sehen,
die der physischen Sinnlichkeit und der Intrige die
hohe Existenz verdankt, zu welcher sie sich hin-
gedrängt hat, ohne die Eigenschaften zu besitzen, ihre
Bestimmung würdig erfüllen zu können.
Katharinas Vater, ein Bauer in Litauen und wahr-
scheinhch auf einem der Güter der Familie Sapieha,
hieß nur Samuel, i) und hatte weiter keinen Familien-
namen. Er lebte in einem uns unbekannten Dorfe,^)
ganz nahe an der livländischen Grenze. Hier wurden
ihm auch alle seine Kinder, ein Sohn Karl und drei
Töchter, Martha, Christina und Anna, geboren. Die
Familie war katholisch und alle vier Kinder wurden
daher in dieser Religion getauft. Der Bauer Samuel
scheint noch in Litauen lange vor der Erhebung seiner
Tochter gestorben zu sein.
Aber nach seinem Tode hatte sich die Familie, man
weiß nicht aus welcher Ursache, in dem nahen Liv-
land, das damals noch der Krone Schwedens gehörte,
und zwar in Lennewaiden, einem Dorfe im rigaischen
Kreise am kleinen Fluß Rumbe, niedergelassen.
Eine von Samuels Töchtern, namens Martha, war
nach ziemlich zuverlässigen Nachrichten am 15. April
^) Er hieß SkawTonsky.
') Jakobstadt in Kurland.
j. Katharina I. Alexjewna. 43
1686^) geboren. Die eingeschränkten Verhältnisse der
Mutter nötigten sie, ihre Tochter Martha schon als
Kind bei einem lutherischen Geistlichen in Dienste zu
geben. Sie kam in ihrer frühen Jugend zu dem Pastor
Daut nach Roop, einem Kirchspiele, das ebenfalls im
rigaischen Kreise liegt. Hier wurde die kleine Katho-
likin unmerklich in eine Lutheranerin umgeformt.
Martha scheint in diesem Hause nicht sehr lange ge-
blieben zu sein. Sie kam von Roop weg 1683 nach
Marienburg, einem damaligen kleinen Städtchen im
wendenschen Kreise, zu dem dortigen Probst Glück.
Das Mädchen, das zur Schönheit aufwuchs, war in dem
Hause dieses Geistlichen zwar immer nur mehr
Dienerin als Pflegetochter, wurde aber doch mit wenig
Zurücksetzung behandelt und sowohl in den Lehr-
begriffen der lutherischen Religion, als auch in nütz-
lichen Hausarbeiten zugleich mit der Tochter des
Propstes Glück erzogen. Hier war es, wo ein schwedi-
scher Dragoner, der Johann hieß, und wahrscheinlich
auch keinen Famihennamen hatte, sich in die auf-
blühenden Reize der Martha verliebte. 2) Er bat um
ihre Hand, und da das arme Mädchen eben nicht
wählen durfte, so nahm sie seine Anträge an. Martha
ward also Johanns Frau,^) aber nur auf einige Tage.
Ihr Mann mußte seinem Rufe als Soldat folgen.
Dies geschah 1702, kurz vor der Einnahme des un-
^) D. h. am 15. April 1679.
^) Villebois deutet an, daß Glück X'erdacht geschöpft habe, sein
Sohn sehe sie mit zärtlichen Augen an und sie sei nicht gleichgültig
dagegen. Der famose Bericht Bussy-Rabutins läßt sie von einem
schwedischen Rittmeister v. Tiesenhausen geschwängert, von Glück
aus dem Hause gejagt und dann durch den Rittmeister an eüien
seiner Reiter verheiratet werden, mit dem sie drei Jahre zu Narwa
im Ehestande gelebt hatte! Das mit dem Rittmeister erzeugte Kind
sei gleich nach der Geburt gestorben. (Bülau).
*) Im August 1702.
44 3- Katharina I. Alexjewna.
bedeutenden Schlosses Marienburg oder dessen Ruinen
durch die Russen. Die Einwohner der Stadt wurden zu
Gefangenen gemacht ; Martha befand sich unter ihnen.
Sie kam in die Hände des kommandierenden Generals
Scheremetjew; aber sie blieb nicht lange in dem Hause
dieses Bojars. Menschikow sah sie; ihre großen Reize
fielen ihm auf. Scheremetjew verstand den Wink und
trat seine Sklavin dem Günstlinge seines Herrn ab, der
sie sogleich zu sich nahm. Indessen war der schwedische
Dragoner Johann als Unteroffizier wiedergekommen.
Er hatte sich nach seiner Frau erkundigt und ihren
Aufenthalt erfahren. Sie zu reklamieren wäre ebenso
unnütz als gefährlich gewesen; er besuchte sie also im
geheimen.
Sie lebte in Menschikows Hause mit ziemlicher Frei-
heit, aber doch immer als Dienerin. So glücklich hatte
sie nie zu werden geglaubt. Menschikow, um ihren
Besitz nicht zu verlieren, an dem ihm sehr viel gelegen
war, hielt sie vor den Augen Peters I. und der vor-
nehmen Russen verborgen, gestattete ihr aber den Um-
gang mit ihresgleichen und trug auf diese Art dazu bei,
daß Johann und Martha sich ziemhch oft sehen
konnten. Man erzählt, Johann sei so verwegen ge-
wesen, Katharina zu besuchen, als sie schon beim
Kaiser war. Nach einer Überraschung auf dem Wege
zu ihr, habe er sich unnütz gemacht und sei nach
Sibirien gebracht worden. Übrigens kann diese Anek-
dote nicht verbürgt werden.
Menschikows ängstliche Vorsicht wurde durch die
Unbesonnenheit eines Augenblicks vernichtet. Im
Rausche prahlte er mit dem Besitze einer schönen
Geliebten. Man wollte sich überzeugen, ob er die Wahr-
heit rede, er weigerte sich aber, diesen Beweis zu geben.
Doch Peter I. verlangte sie zu sehen xmd nun galten
3. Katharina I. Ahxjewna. 45
keine Einwendungen mehr. Martha mußte kommen.
Der Moment ihrer Erscheinung entschied ihr künftiges
hohes Schicksal. Die Gestalt dieser sogenannten
schönen Frau besiegte den Monarchen; und wenn-
gleich die Gewalt ihrer Reize in der Folge oft unter-
brochen wurde, so war doch ihr erster Eindruck auf
Peter I. sehr tief und für Martha sehr unterrichtend.
Von diesem Augenbhcke an mußte sie Menschikow
seinem Herrn überlassen,^) und der Günsthng hatte
Gewandtheit genug, den physischen Verlust, den er im
Rausche gemacht hatte, durch reichlichen poütischen
Gewinn in der Nüchternheit zu ersetzen. Martha durfte
von nun an nicht denken und handeln, als durch
Menschikows Verstand. Sie wurde die Vermittlerin
zwischen Herrn und Diener, wenn dieser, was sehr oft
geschah, durch Beeinträchtigungen mancher Art
seinen Beherrscher mißmutig machte. Dafür unter-
richtete sie Menschikow, wie sie den Launen des Mon-
archen schmeicheln müsse, um daraus Vorteil für sich
ru ziehen. Sie tat es mit dem glücklichsten Erfolg, denn
der Kaiser führte sie endlich selbst an seiner Hand auf
den höchsten Gipfel des irdischen Glücks,
i Sobald Martha in die Dienerschaft des Hofes auf-
genommen war, veränderte sie noch einmal die Reli-
gion, trat in Moskau zu der griechischen Kirche über
^) Weber läßt den Zar in continenti dem Menschikow befehlen,
sich ein Weilchen zurückzuziehen und sie, nach gut bestandener
Probe, sogleich in den Palast des Zaren bringen. Villebois läßt den
Zaren, am Schlüsse seines Plaudems mit Katharina, dieser sagen,
sie müsse ihm beim Schlafengehen leuchten, was dann die Stelle
des sultanischen Schnupftuchs vertrat. Am Morgen habe er ihr —
einen Dukaten als Douceur gegeben, was seine gewöhnliche Taxe
gewesen sei. — Bussy- Rabutin läßt den Menschikow selbst, bei
einem Mahle, wo sie alle betrunken gewesen, Katharina dem Zaren
empfehlen, worauf dieser die probat Befundene bei sich behalten
und allen Generalen bei Lebensstrafe verboten habe, sich ferner bei
ihr treffen zu lassen. (Bülau, 5. Bändchen S. 24.)
46 .?• Katharina I. Alexjewna.
und nahm den Namen Katharina an. Bei dem Mangel
zuverlässiger Nachrichten glaubt man, daß die zarische
Prinzessin Katharina Alexjewna^), eine Halbschwester
Peters I., mit der sich dieser Monarch nach langen
Mißhelhgkeiten damals ausgesöhnt hatte, bei dieser
feierhchen Handlung die Stelle einer Taufmutter ver-
treten habe. So viel ist gewiß, daß der unglückHche
Zarewitsch Alexej Petrowitsch (wahrlich ein sonder-
bares Geschäft für einen Sohn) bei der Geliebten seines
Vaters und der unrechtmäßigen Stellvertreterin seiner
Mutter den Platz eines Taufvaters einnehmen mußte.
Martha ward nun für immer Katharina Alexjewna ge-
nannt.
Verschiedene Jahre hindurch befand sich Katharina
im Hofgesinde Peters L, unter dem Namen der Frau
seines Kochs. Als solche gebar sie in den Jahren 1708
und 1709 die Prinzessin Anna und Elisabeth, von
denen die erste in der Folge als vermählte Herzogin
von Holstein, die Mutter Peters HL, die zweite aber
Kaiserin von Rußland wurde. Beide gab man damals
für des Kochs Töchter aus. Aber bald nachher scheint
man die Maske abgenommen zu haben.
Ungefähr vom Jahre 1710 an wurde Katharina am
Hofe gnädige Frau genannt, und unter diesem neuen
Namen begleitete sie, als gleichsam zum Hofstaate ge-
hörig, den Monarchen überall. Als öffenthch ange-
kündigte Geliebte und nachher als erklärte Kaiserin,
gebar Katharina noch fünf Kinder, nämhch drei
Töchter, Natalia und Margaretha, die schon als kleine
^) Katharina Alexjewna, Peters Halbschwester, war eine kluge
und unternehmende Prinzessin. Wegen eines Verdachts, Anteil an
Empörungen gegen ihn genommen zu haben, der allerdings ge-
gründet war, setzte sie Peter in Moskau in ein Kloster. Nach sieben
Jahren kam sie heraus und lebte standesmäßig in Moskau. Nach
Petersburg wollte sie nie kommen. H,
j. Katharina I. Alexjewna. ^y
Kinder verblichen; noch eine Nataha, die ihren Vater
nur um einige Wochen überlebte^) und mit ihm zu-
gleich begraben wurde, und endlich noch zwei Söhne,
Paul^) und Peter^), die eben auch als Kinder starben.
Endlich wurde durch eine feierliche Handlung Ka-
tharinas hohe Bestimmung bekannt gemacht. Im Jahre
1713 erschien ein kaiserlicher Befehl, durch welchen
Katharina Alexjewna dem russischen Reiche als wirk-
liche Gemahlin Peters I. vorgestellt wurde. Die Recht-
mäßigkeit der Geburt der Prinzessinnen Anna und
Elisabeth wurde dadurch zugleich gesetzmäßig aber
stillschweigend bestimmt.
Katharinas Verdienste stiegen in den Augen des
Kaisers immer höher und die Belohnungen und die
Beweise seines Vertrauens wurden immer größer und
stärker. In den großen Unglücksfällen, die diesen Mon-
archen in seiner Familie betrafen, die ihm, bei Ab-
schaffung der Mißbräuche und bei Einführung heil-
samer Einrichtungen, immer in den Weg trat, hatte
Katharina, vielleicht nicht aus eigener Bewegung, viel-
leicht auch nicht aus eigenen Grundsätzen, aber doch
immer mit männlichem Geiste, ihm beigestanden. Von
seinen ehemaligen Verwandten war ihm niemand übrig
gebheben als ein Kind: der Sohn seines Sohnes. Dieser
unbedeutende Prinz, dessen Tugenden und Fehler man
noch nicht kannte, und der in der Folge, aber immer
noch als zarter Jüngling, unter dem Namen Peters IL,
eine kurze Erscheinung auf dem russischen Throne
machte, war gewiß nicht fähig, den Kaiser zu erfreuen.
Er mußte ihn vielmehr traurig machen, weil sein Da-
sein das Andenken an seinen Vater dem Monarchen
ins Gedächtnis brachte. Der junge Prinz hatte zwar
^) Geb. 1718, gest. 1725. — ^) Geb. iind gest. 1717.
^) Geb. 1715, gest. 1719.
48 3- tCatharina I. Alexjetüna.
noch eine ältere Schwester, die große Geistesfähig-
keiten zeigte, aber wegen ihrer verzehrenden Kränk-
lichkeit ihr nahes Lebensende voraussehen ließ.
Übrigens war sie in dem Falle ihres Bruders: ihr Da-
sein konnte dem Großvater nicht erfreulich sein. —
Der Kaiser also, verlassen wie er war, schmiegte sich
inniger an diejenige an, die er selbst gewählt hatte, die
er selbst gebildet zu haben glaubte, die ihm liebens-
würdige Kinder gab, und von welcher er die unein-
geschränkteste Treue und Dankbarkeit verlangen
konnte.
Im Jahre 1721 legte der Kaiser den Ghedern des neu
errichteten geistlichen Gerichts einen Eid vor, durch
welchen sie Katharina zugleich, so wie ihm, huldigen
mußten. Dies war die Vorbereitung zu einer andern
noch feierlicheren Huldigung, die im nächstkommen-
den Jahre erfolgte.
Peter I. bestimmte im Jahre 1722 Katharina förm-
lich zu seiner Nachfolgerin im Falle seines Todes; ein
Schritt, den er, als er kurz vor seinem Ableben sich in
mancher Rücksicht getäuscht sah, gewiß bereute.
Solange er aber noch in seinem Wahne war, tat er
alles, um Katharina die größten Auszeichnungen in
den Augen der Welt zu geben. Er krönte sie sogar in
Moskau im Anfange des Jahres 1724.^)
Dies war der größte, aber auch der letzte Beweis der
Achtung, den er der Kaiserin erteilte. In den letzten
Monaten dieses Jahres gab sie ihm jedoch Anlaß zur
Unzufriedenheit. Katharina hebte den Umgang mit
dem Kammerherrn Mons. Jetzt überraschte sie der
Kaiser mit ihm. Die Form der Unterhaltung lag wahr-
scheinlich außer den Grenzen der Ehrfurcht, die dieser
schöne Mann seiner Gebieterin schuldig war, denn
^) Am 7. Mai
Katharina Alexeiewna
j. Katharina I. Alexjewna. 4g
sonst würde es dem Monarchen unmöglich haben auf-
fallen können, den dienstleistenden Kammerherrn im
Zimmer seiner Gemahlin zu finden. Mons wurde ent-
hauptet und die Kaiserin mußte die Hinrichtung mit
ansehen. Sie fiel in Ohnmacht. Die Wut des Monarchen
gegen Katharina überschritt die Achtung, die er,
wenigstens in den Augen des Hofes, seiner Gemahhn
schuldig war ; alle ihre Vertrauten wurden entfernt und
durch Aufpasser ersetzt, auf die er sich verlassen
konnte ; Menschikow war schon seit einiger Zeit wegen
entdeckter Unrichtigkeiten in verschiedenen Teilen der
Staatsverwaltung in Ungnade gefaUen; Peter hatte
öftere Anfälle von einer Harnverstopfung, die ihm die
heftigsten Schmerzen verursachte; die Krankheit ent-
schied sich und behielt ihren Charakter; seine körper-
lichen Leiden wurden nur durch die fürchterlichsten
Ausbrüche von Unzufriedenheit unterbrochen.
Diese vereinigten Umstände machten Katharinas
Lage schreckhch und die Vorstellung der Zukunft
mußte für sie noch trauriger sein, denn nach den hin-
geworfenen Äußerungen des Kaisers zu urteilen, konnte
man eine Veränderung in der angeordneten Thronfolge
zum Nachteil der Kaiserin erwarten. Einem solchen
Unfall mußte man zuvorkommen. Hierzu war Menschi-
kows Unterstützung notwendig. Aber um sie wirksam
zu machen, mußte er erst von dem Kaiser wieder zu
Gnaden angenommen werden. Dieses schwere Geschäft
übernahm Jaguschinski, der gern wieder an der Spitze
des Staates einen Mann sehen wollte, der durch seinen
Rang, als Erster im Reiche, durch seine bekannten
Verbindungen mit der Kaiserin und durch seine großen
Fähigkeiten dazu geeignet war, die etwa sich zeigenden
Parteien zu vereinigen, oder ihnen die Stirn zu bieten.
Jaguschinski machte seine Vorstellungen mit so viel
Russische Günstlinge. a
50 3- Katharina I. Alexjewna.
Schonung und Klugheit, daß der Monarch sich sehr
bald dazu verstand, sein Vertrauen, wenigstens dem
Anscheine nach, dem Fürsten wieder zu schenken. So-
bald alles wieder im vorigen Gleise war, arbeiteten
Gemahlin und Günsthng mit verdoppelten Kräften an
der Befestigung ihres Schicksals. Natürlicherweise
philosophierten sie so: v/ird der Monarch, der seiner
Gemahlin durch die Hinrichtung des Günstlings das
größte Leid zugefügt hat, wieder hergestellt, so ist es
möghch, daß er die Thronfolge verändert; Katharina
geht vielleicht in ihr voriges Nichts zurück, oder es
wird ihr doch die Hoffnung benommen, dereinst Selbst-
herrscherin zu werden, und einen freien Lebe swandel
nach ihrem Wunsch zu führen; Menschikow auf seiner
Seite hat das nämliche zu erwarten, wird wahrschein-
lich großer Verantwortlichkeit ausgesetzt oder viel-
leicht gar vernichtet. Stirbt hingegen Peter, ehe er die
Thronfolge anders bestimmen kann, so regiert nach
seinem Tode Katharina oder vielmehr Menschikow mit
unumschränkter Gewalt in ihrem Namen. Überdies
sind seine körperlichen Leiden fast größer, als er sie
mit menschhchen Kräften ertragen kann; und es ist
also wahrscheinlich, daß man durch die Abkürzung
seines Lebens nur seine Krankheit eher endigt, die von
der Beschaffenheit ist, daß sie vielleicht nie die Wieder-
herstellung seiner Gesundheit gestattet. Doch, dem sei
wie ihm wolle, Peter L, ohne den seine Nachfolger nicht
das entscheidende Gewicht in den Wagschalen Europas
haben würden, das sie haben; ohne den seine Nation
nicht auf der hohen Stufe der Industrie stehen würde,
auf welcher sie steht, ohne den aber auch mancher be-
nachbarte Staat zu seiner Zeit sowohl, als in der Folge,
noch in seinem ganzen Umfange sein würde, was er war,
dieser große Monarch, der die meisten seiner gekrönten
3- Katharina I. Alexjewna. 51
Mitbrüder weit hinter sich zurückließ, weil er Schwierig-
keiten überwand, die sie kaum nennen gehört hatten,
dieser außerordenthche Mann starb am 28. Januar
1725 in dem ersten kaiserlichen Winterpalais in der
MiUionsstraße, wo er auch in den letzten Jahren gelebt
hatte. Dieses Palais steht noch. Es war unter der Re-
gierung der Kaiserin Katharina II. die Wohnung aller
zu dem Institut der russischen Tanz- oder Ballettschule
gehörigen Personen. Jetzt ist es Kaserne der Garde
Preobratschensky. Das Zimmer, worin der große Mon-
arch starb, und das man in eine Kapelle hätte um-
schaffen sollen, hat eine ungewisse aber immer gemeine
Bestimmung. Man sieht noch die Fenster seines Zim-
mers an dem kleinen Kanal, der aus der Newa nach der
Moika führt. Vom Theater der Eremitage oder von der
Newa sind es das dritte und vierte im Erdgeschoß.
Katharina, Menschikow und Jaguschinski, der
wenigstens jetzt ihr beiderseitiger Vertrauter war,
hielten für nötig, den Tod des Kaisers so lange geheim
zu halten, bis sie durch nötige Anstalten die Thron-
folge in der Person der Kaiserin festgestellt hatten.^)
Da Peters letzte Gesinnungen wegen Veränderung in
der Thronfolge wohl unter der Hand mochten bekannt
geworden sein, so brachten diese drei Personen den be-
rühmten Theophanes, der Peter bei Abschaffung vieler
Mißbräuche treulich geholfen hatte, dadurch auf ihre
Seite, daß sie ihm sagten, Katharinas Thronbesteigung
sei nötig, um Blutvergießen und Wirkungen des Partei-
geistes zu verhindern. Dieser Priester beschwur vor
dem versammelten Volke und den Truppen, daß ihm
Peter I. auf seinem Todbette gesagt habe : Katharina
allein sei würdig, ihm in der Regierung zu folgen. Hier-
^) Peter starb im Beisein der Kirchenfürsten und des Hofadels,
daher ist die hier geäußerte Annahme unrichtig.
4*
52 5. Katharina I. Alexjewna.
auf rief man diese Prinzessin zur Kaiserin und Selbst-
herrscherin aus, und der Eid der Treue wurde ihr aufs
neue geleistet. Katharina bestieg also den Kaiserthron
von Rußland, nicht aus Erbrecht, auch nicht eigent-
lich nach dem Willen ihres Gemahls, sondern durch
Intrigen und Usurpanz.
Zwei Monate nachher legte sie, zum äußeren Zeichen
der Souveränität, den Andreas-Orden an. Bis dahin
war sie die einzige Dame gewesen, die den von Peter I.
ihr zu Ehren gestifteten Katharina-Orden') an einem
weißen Bande getragen hatte. Jetzt erteilte sie ihn
ihrer Tochter Anna, die sie mit dem Herzog von Hol-
stein, Karl Friedrich, unter großen Vorteilen für das
neue Ehepaar, vermählte.
Ohne uns übrigens auf eine weitläufige Erzählung
der Regierungsgeschichte Katharinas einzulassen,
wollen wir nur bemerken, daß sie diese Staatsverwal-
tung, unter Menschikows Anleitung, anfänglich mit
ziemhcher Klugheit führte. Man arbeitete wenigstens
einige Zeit hindurch größtenteils nach den Plänen fort,
die unter Peters Regierung entworfen und befolgt wor-
den waren. Allein die natürliche Nachlässigkeit dieser
Fürstin war zu groß. Sie bekümmerte sich endlich um
nichts und überließ alles ihren Günstlingen. Die Nation
bemerkte den Unterschied, und so wie die Grundsätze
in der Staatsverwaltung sich änderten, so änderte sich
auch die Zufriedenheit des Volkes, die am Ende von
Katharinas Regierung oft in Murren ausbrach.
Das Privatleben dieser Fürstin war äußerst unregel-
^) Peter stiftete den Katharina-Orden im Jahre 1714, zum An-
denken der schönen Handlung Katharinas in der kritischen Lage
am Pruth. Deswegen gab ihm auch der Kaiser die Umschrift: aus
Liebe imd Treue fürs Vaterland. Jetzt, wir wissen aber nicht seit
wann, wird er an einem roten Bande mit silberner Einfassung ge-
tragen; ehemals hatte er ein weißes Band. H.
j. Katharina I. Alexjewna. 53
mäßig. Sie beging große Ausschweifungen, besonders
im Trinken. Man erzählt, ^) sie habe vorzüghch eine Art
gemeines Backwerk, das man Kringel oder Brezel
nennt, in starkem ungarischen Wein getaucht gegessen.
Die nächste Wirkung davon war Rausch ; hingegen die
entfernteste Folge einer so ungewöhnlichen Nahrung
war der Anfang der Wassersucht. Da indessen Katha-
rina sich immer noch in den Jahren des reifen mensch-
lichen Alters befand, so hätte durch Vorsicht in der
Lebensweise und durch zweckmäßige Arzneimittel
dieses Übel gleich im Entstehen sehr leicht können ver-
tilgt werden. Dies geschah aber nicht ganz so, wie es
hätte sein sollen. Die Kaiserin brauchte zwar Arzneien,
aber nicht in der gehörigen Ordnung. Sie änderte auch
auf kurze Zeit ihre Lebensart, aber sie überschritt doch
sehr bald und oft die diätetischen Regeln, die ihr die
Ärzte vorschrieben. Demungeachtet hätte der Zustand
der Monarchin, die eine sehr dauerhafte Leibes-
beschaffenheit hatte, sich nicht mit solcher Geschwin-
digkeit verschlimmern sollen, als es wirkhch der Fall
war. Die völlige Zerrüttung ihres ganzen körperhchen
Systems wurde immer bemerkbarer.
Der Grund so schneller Fortschritte dieser Krank-
heit konnte nicht natürlich sein. Auch glaubten im
Geheim die Besserunterrichteten am Hofe, die künst-
liche Ursache dieser gänzMchen Auflösung entdeckt lu
haben. Wenn es wahr ist, daß die kostbaren Tags
Peters L dem Egoismus, der Wollust, der Habsucht
und der Herrschbegierde schändlicherweise aufgeopfert
wurden, so kann man auch glauben, daß das Leben
Katharinas, aus Gründen, die wir gleich anzeigen wer-
den, ebenfalls abgekürzt wurde.
^) Büsching sagt es, der es in Petersburg von Personen gehört
hatte, welche Zeitgenossen der Kaiserin Katharina gewesen waiea.
54 3- Katharina I. Alexjewna.
Seit dem Jahre 1726 bemerkte der Fürst Menschi-
kow, daß bei der noch lange fortdauernden Regierung
der Kaiserin Katharina er sein ganzes Ansehen ver-
lieren würde. Diese Fürstin zeigte viel Anhänglichkeit
an ihre Kinder, besonders liebte sie die Herzogin von
Holstein und deren Gemahl. Es ging schon so weit, daß
sie sogar in Regierungsangelegenheiten diese beiden
Personen um Rat fragte und manche Anordnungen mit
ihnen machte, ohne Menschikow etwas davon zu sagen.
Solche Eingriffe schienen diesem ein Verbrechen zu
sein. Er fürchtete den wachsenden Einfluß der Familie
Holstein, der endlich seinen Fall nach sich ziehen
könnte und wollte diesem zuvorkommen. Eine Re-
gentenveränderung konnte ihm helfen. Nach Katha-
rinas Tode sollte Peter II. den russischen Thron be-
steigen. Diesen Zeitpunkt wollte er herbeiführen. Unter
einem unmündigen Prinzen konnte Menschikow allein
herrschen. Er beschloß also den Tod der Kaiserin zu
beschleunigen.
Dies alles ist die Hypothese, aber sie ist nicht von
aller Wahrscheinlichkeit entfernt. Hierzu kommt noch
eine Äußerung^) Menschikows, die er in dem Augen-
bhck machte, als er abreiste, um an den Ort seiner Ver-
bannung zu gehen: ,,Ich habe", sagte er, ,, große Ver-
brechen begangen, aber kommt es dem jungen Kaiser
^) Die bekannte Ritterin d'Eon war in den fünfziger Jahren
französischer I.egationssekretär in Petersburg. Sie sagt in ihren
Loisirs: Menschikow habe bei seiner Abreise ausgerufen: ,,j'ai fait
de grands crimes, mais est ce au Czar ä m'en punir". Man hat Iceinen
Grund, an dieser Nachricht zu zweifeln, die allerdings Anlaß zum
Nachdenken gibt. Eon kam nach Petersburg, da Peter und Katharina
noch nicht dreißig Jahre tot waren, lebte in der besten Gesellschaft,
welche die richtigsten Aufschlüsse geben konnte, und glaubte gewiß
nicht ungeprüft alles, was gesagt wurde. H.
(D'Eon [1728 — 1810] war im Jahre 1757 bei der französischen
Botschaft in St. Petersburg.)
j. Katharina I. Alexjewna. 55
zu, mich dafür zu strafen?" Könnte man diese Worte
nicht so auslegen, daß er an dem Tode der Kaiserin
schuld gewesen sei und daß Peter II. ihm deswegen
einige Verbindlichkeit haben sollte?
Es ist also glaubhch, daß Katharina die Strafe der
Rache traf,, und zwar durch die verbrecherische Hand
desjenigen selbst, der zwei Jahre vorher ihr Mitschul-
diger gewesen war.
Die Art, mit welcher Menschikow sein neues Ver-
brechen ausführte, soll folgende gewesen sein.
Die Kaiserin hatte eine Gewohnheit, die eine Folge
ihrer schlechten Erziehung war. Jedem von den Herren
des Hofes, der des Nachmittags zu ihr in die kleinen
Gesellschaften kam, klopfte sie auf die Taschen und
verlangte von ihm Bonbons. Dies tat sie auch vorzüg-
lich mit Menschikow, der immer, dem äußeren An-
schein nach, in großem Ansehen stand und der täglich
Gesellschafter der kaiserlichen Familie war. Eines
Tages nun, sagt man, gab er der Monarchin, die wieder
ihren gewöhnlichen Tribut von Näschereien verlangte,
überzuckerte und vergiftete Feigen. Das Gift war
künstlich. Es wirkte langsam, aber zuverlässig.^) Am
16. Mai neuen Stils 1727 behauptete man, es habe sich
ein Lungengeschwür geöffnet und am 17. abends um
acht Uhr starb Katharina I. im zweiundvierzigsten Jahr
ihres Lebens in dem nämlichen Hause, in welchem
Peter I. gestorben war, aber nicht in dem nämlichen
Zimmer. Die Kaiserin hatte von jeher in dem Haupt-
stockwerke, über dem Kaiser, gewohnt.
Die Kaiserin liegt in St. Petersburg in der Festungs-
kirche neben ihrem Gemahl begraben.
Es ist noch übrig, von den Vorzügen und Eigen-
^) Eine der vielen, auf keinerlei Beweise gestützte Annahmen,
wie sie der Verfasser liebt.
56 3- Katharina I. Alexjewna.
Schäften dieser berühmten Fürstin zu sprechen, wovon
übrigens in diesem kurzen Entwürfe ihres Lebens schon
manches gesagt worden ist.
Der Ruf ihrer vorgebhch großen Schönheit rührte
wahrscheinHch nur von dem Eindrucke her, den sie
auf den Grafen Scheremet jew, auf den Fürsten Menschi-
kow und auf den Kaiser Peter I. von Rußland gemacht
hatte. Es ist aber noch sehr die Frage, ob der größere
Teil des männlichen Geschlechts dem Urteile dieser drei
Männer würde Beifall gegeben haben. Wahrscheinlich
ist sogar, daß der allgemeine Ausspruch nicht günstig
für Katharina würde gewesen sein. Sie war wohl nicht
die Schöne, die allen gefällt. Denn nach den Bildern
zu urteilen, die man noch von dieser Prinzessin in den
kaiserhchen Schlössern sieht, und auf denen sie viel-
leicht noch geschmeichelt ist, war sie weit von einem
Ideale weiblicher Schönheit entfernt. Lebhafte Augen
und ein kolossaler Busen sind nicht hinreichend, dieses
Bild zu vollenden.^)
Was ihre geistigen Eigenschaften betrifft, so rühmt
man besonders ihren Verstand, ihre Gefälligkeit und
die Beharrhchkeit, mit der sie alles ausführte. Ihren
Verstand zeigte sie vorzüglich im Jahre 171 1 am Pruth.
In der unglückHchen Lage, worin sich Peter damals
mit seiner Armee befand, war dieser Monarch der Ver-
^) Die Markgräfin von Ba3T:euth schildert in ihren mit „mehr
Geist als Gutherzigkeit und Wahrheitsliebe" geschriebenen Denk-
würdigkeiten die junge Katharina: „Die Zarin war klein und breit,
braun (brünett), ohne allen Anstand und Ansehen. Man brauchte
sie nur zu sehen, um ihre niedere Herkunft zu erkennen." Dieses
Urteil ist zweifellos durch die grenzenlose Verachtung der stolzen
königlichen Prinzessin gegen einen Emporkömmling beeinflußt.
Außerdem waren die Moskowitischen Herrschatten für die Regenten
Westeuropas etwa das, was zwei Jahrhunderte später Schah Nasr
Eddin von Persien für die Nachkommen der Gastfreunde Peters
des Großen und seiner Familie werden sollte, eine exotische Merk-
würdigkeit, über die man im stillen lachend die Achseln zuckte.
3- Katharina I. Alexjewna. 57
zweiflung nahe. Katharina, Ostermann und Scha-
phirow überiegten, was zu tun sei, und hielten dafür,
daß man suchen müsse, den Wesir-Assem oder, wie
wir ihn gewöhnhch nennen, den Großwesir zu be-
stechen. Katharina gab alle ihre Juwelen her und
borgte alles bare Geld zusammen, das sie im Lager
gegen ihre Garantie auftreiben konnte und das nur
irgend entbehrhch war. Erst, nachdem das Mittel ge-
lungen und Peter auf diese Art vom Untergange ge-
rettet worden war, entdeckte sie, was sie getan hatte,
dem Kaiser, der ihr dafür ewig dankbar zu sein ver-
sprach. ^)
Auch in den anderen merkwürdigen Ereignissen des
tatenvollen Lebens dieses Monarchen gab sie ihm Be-
weise ihres Verstandes, wovon die weitläufigere Aus-
einandersetzung in die Geschichte Peters L gehört.
Schade war es, daß die nicht gemeinen Fähigkeiten
der Kaiserin so sehr vernachlässigt worden waren.
Katharina konnte nicht einmal schreiben. Die Prin-
zessin Elisabeth mußte allemal den Namen ihrer Mutter
unterzeichnen. Sie sprach zwar Lettisch, Polnisch,
Russisch, Deutsch und Holländisch, aber keine Sprache
gut und die wenigsten kaum erträghch.
Sobald übrigens Katharina in der Geschichte wichtig
zu werden anfängt, scheint sie sogleich, vermöge ihrer
Klugheit, ihre wahren Gesinnungen unter der Will-
fährigkeit, die Absichten des Kaisers zu befördern und
unter dem Beifall verborgen zu haben, womit sie alle
seine Handlungen begleitete. Auf diese Art hatte sie
nicht nur ihren Willen ganz unterdrückt und Peters
Gesinnungen zu ihrer Vorschrift genommen, sondern
1) Eine Anekdote, von der zuverlässige Quellen nichts wissen.
Sie zeigt aber von der Verehrung, die man in vielen russischen
Kreisen der Kaiserin weihte.
58 3- Katharina I. Alexjewna.
sich auch, ihres Verstandes ungeachtet, ganz unmerk-
lich daran gewöhnt, nie nach eigenen, sondern immer
nach erborgten Maximen zu handeln. Sogar während
ihrer Regierung, dem einzigen Zeitpunkte ihres Lebens,
in welchem sie alles nach ihrem freien Willen leiten
konnte, ließ sie sich erst von Menscliikow und dann von
ihren Kindern und deren Anhängern regieren.
Man sieht aus diesem allen, daß es schwer ist, den
eigentlichen Charakter dieser Prinzessin zu bestimmen.
Wenn man jedoch überlegt, daß es ihr bei ihrem ge-
rühmten Verstände und bei der Gewalt, die sie über
den Monarchen hatte, leicht sein mußte, Augenblicke
zu finden, in welchen sie mehreren seiner Handlungen
eine wohltätigere Wendung geben konnte; und wenn
man bedenkt, daß sie im Gegenteil oft in Augenblicken
der Übereilung den Zorn des Kaisers eher anfachte,
als dämpfte, so kann man sich nicht enthalten, ihr
wenigstens Unempfindlichkeit zuzutrauen. Am deut-
lichsten zeigte sich diese durch ihr weniges Mitleid bei
der üblen Behandlung der Eudoxia, deren trauriges
Schicksal Katharina, nach Peters Tode, sogar eher ver-
schlimmerte, als leidhcher machte; durch ihre straf-
bare Gleichgültigkeit bei dem Verfahren Peters I. mit
seinem unglückhchen Sohne, ein Punkt in dem Leben
dieses großen Kaisers, der sehr schwer, vielleicht nie
verteidigt werden kann ; und endlich durch ihre wenige
Liebe gegen ihre Familie, indem sie, selbst nach ihrer
Vermählung mit dem Kaiser, sich nicht um ihre Ver-
wandten bekümmerte, sondern durch sie erst an ihre
Pflichten erinnert werden mußte.
Durch eine natürliche Verknüpfung der Ideen hätte
eine Person, die aus dem Nichts hervorgegangen und
ihre Entstehung gewiß nicht vergessen konnte, auch
an ihre Blutsfreunde denken sollen, die, wie sie, im
j. Katharina I. Alexjewna. 59
Staube erzeugt und noch niedergedrückt in demselben
lebten. Sie tat es nicht und mußte erst von ihren Ver-
wandten dazu aufgefordert werden.
Es ist uns über diesen Umstand folgende Anekdote
zugekommen, die wir von der Handschrift eines sehr
unterrichteten Freundes wörtlich abgeschrieben haben.
,,Als das rigaische kaiserliche Landgericht das Gut
Lennewarden an die Anrepsche Familie überließ und
eben das Lennewardsche Wackenbuch^) durchge-
gangen worden war, hat der Herr von Scheelen, der
lange Jahre bei dem Landrat und Präsidenten von
Wolfenschild sich aufgehalten, als sie auf das Gesinde
unter Lennewarden gekommen, folgendes mit Zuver-
lässigkeit erzählt:
Als der hochselige Kaiser Peter L nach der Erobe-
rung Li vlands unterschiedenemale Reisen nach Deutsch-
land in Gesellschaft der Katharina unternahm, ge-
schah es, daß sie einmal in Riga in der Zitadelle dem
griechischen Gottesdienste beiwohnte. Beim Weg-
gehen aus der Kirche näherte sich derselben eine be-
jahrte Frauensperson mit verschiedenen Kindern, 2)
die aus dem Lennewardschen Gesinde gewesen, und
redete mit der Kaiserin. Diese gab derselben zu er-
kennen, sie sollte sich nur ganz ruhig nach Hause be-
geben, sie würde schon ihrer gedenken. Nachdem die
Kaiserin aus Deutschland in Petersburg retournieret,
kam von daher eine verschlossene Order an den da-
mahgen Generalgouverneur von Livland und General-
feldmarschall, Scheremetjew, daß er die in dem Lenne-
wardschen.Gesinde befindlichen Leute, die aus Litauen
^) Wackenbuch ist das Verzeichnis alles dessen, was zu jedem
Gute gehört. H.
^) Diese Kinder waren wohl die Enkel der alten Frau, nämlich
die Kinder ihres Sohnes und ihrer Töchter, Neffen und Nichten der
Kaiserin Katharina I. H.
6o 3. Katharina I. Alexjewna.
sich daselbst gesetzt, unverzüglich auf die honorabelste
Weise von Riga nach Petersburg transportieren sollte.
Der Herr von Wolfenschild ^) verfügt auf erhaltene
Order sich selbst nach Riga und will wegen der aus
seinem Gesinde genommenen Leute Vorstellungen tun.
Er ist aber bald befriedigt worden. Die nach St. Peters-
burg gebrachte alte Frau, als die Mutter der Kaiserin,
hat sich vom Hofe ein stilles Privatleben ausgebeten.
Die Kinder, die sie bei sich hatte, wurden auf Schulen
gebracht, um doch etwas zu lernen. Ihr Sohn und ihre
Töchter wurden in der Folge die Stifter der noch jetzt
in Rußland bekannten und in den Grafenstand er-
hobenen Famihen Skawronski, Henrikow und Jefi-
mowsky. — Die Bauern in Lennewarden wissen es
recht gut, daß Katharina bei ihnen gewesen ist und
bilden sich viel darauf ein, daß mancher von ihnen mit
der kaiserhchen Familie verwandt ist.^) — Diese Anek-
dote ist auf diese Art von dem Herrn von Scheelen
selbst aufgesetzt worden."
Wohin die Mutter Katharinas sich gewendet und wo
sie ihre übrigen Lebenstage zugebracht hat, wissen wir
nicht. Ebensowenig ist uns ihr Todesjahr bekannt. Da
wir nach dem Tode Peters L nichts von ihr bemerkt
finden, so ist es wahrscheinhch, daß sie bei Lebzeiten
dieses Monarchen gestorben sei.
Solange Peter I. lebte, durften Katharinas Ver-
wandten nicht an den Hof kommen.
^) Wahrscheinlich gehörte also ehemals Lennewarden dem Herrn
von Wolfenschild. H.
*) Eine andere Lesart bei Crusenstolpe I. S. 55 ff.
4- Peter Schaphirow. 6l
4. Peter Schaphirow.
Hätte Peter I. auch nicht so unendlich viel Großes
bewirkt, als er wirklich getan hat, so verdiente er doch
schon deswegen die Bewunderung seiner Zeit und der
Nachwelt, daß er den feinen Takt hatte, aus allen
Ständen, und selbst aus den Niedrigsten im Volke, die
Klügsten und die Brauchbarsten auszusuchen und
ihnen diejenige Bestimmung zu geben, in welcher sie
den wesentlichsten Nutzen stiften konnten.
Doch, um das richtige Gemälde dieses außerordent-
lichen Monarchen zu vollenden, müssen seine Bio-
graphen auch seine Schwächen nicht vergessen. Unter
diese gehört besonders die Übereilung. Aus ihr ent-
sprang zuweilen der Undank ; ein Fehler, der nur zu oft
bei Fürsten gefunden wird, die sich den ersten Regun-
gen des Zornes überlassen. In dieser heftigen Stimmung
bemächtigen sich ihrer die aufmerksamen Bösewichter,
die sich in ihrer Umgebung befinden und welche Privat-
zwist sehr geschickt in Staatsverbrechen umzuschaffen
wissen. So geschieht es denn, daß die besten Fürsten,
von den Launen des Augenblicks bemeistert, die Dank-
barkeit vergessen, die sie ihren treuesten Dienern
schuldig sind und auf diese Art ihren Ruhm in dem
Verstände der Gegenwart und der Zukunft kompro-
mittieren.
Peter Schaphirow war ursprünglich ein Jude. Sein
Vaterland wissen wir nicht eigentlich; doch war er
wahrscheinlich aus Holland, wo ihn auch Peter I. fand
und ihn von dort nach Rußland brachte. Hier wurde er
in der griechischen Religion getauft ; der Monarch ver-
trat Taufvaterstelle bei dieser feierlichen Handlung
und gab ihm seinen Taufnamen Peter. Wahrscheinlich
erhielt er auch bei dieser Gelegenheit, wir wissen nicht,
02 4- Pßiß^ Schaphirow.
durch welche Veranlassung, den Familiennamen
Schaphirow.
Gleich anfänglich bekam der junge Proselyt eine un-
bedeutende Stelle in der Reichskanzlei, wohin ihn der
Monarch nur setzte, um zu sehen, ob er sich nicht in
dessen Fähigkeiten geirrt hatte. Der Erfolg entsprach
Peters Erwartung. Schaphirow blieb nicht lange auf
diesem Platze. Sein richtiger und durchdringender
Überblick, seine genaue Beurteilungskraft und seine
große Lebhaftigkeit in Ausrichtung der ihm erteilten
Aufträge halfen ihm bald zu großen Ehrenstellen, i)
Im Jahre 171 1 besorgte er im russischen Ministerium
die deutschen Angelegenheiten, für welche Peter I.,
der selbst gern deutscher Reichsfürst werden wollte,
das größte Interesse zeigte. In eben diesem Jahre 171 1
war er als Vizekanzler mit dem Kaiser am Pruth.
Nachdem Katharina, Schaphirow und Ostermann über
die Rettungsmittel aus der fürchterlichen Lage einig
geworden waren und dieselben schon zusammenge-
bracht hatten, gingen diese beiden großen Minister in
das türkische Lager zu dem Großvezir, brachten ihm
unermeßliche Geschenke und vollendeten die Rettung
durch ihre Überredungskunst. Gegen Abtretung der
Stadt Asow durfte nun die russische Armee abziehen.
Schaphirow mußte als Geisel mit nach Konstantinopel
gehen, bis der Traktat erfüllt war. Da er sich daselbst
in einer Art von Gefangenschaft ohne Geschäfte befand,
so nutzte er diese Muse, um sich in der italienischen
Sprache zu vervollkommnen.
Er war alsdann noch russischer Gesandter am tür-
kischen Hofe, den er in den ersten Monaten des Jahres
1714 verließ, um nach Petersburg zurückzugehen. Hier
^) Peter Schaphirow, auch Schaffirow, Schafirow, wurde im
Jahre 1703 Geheimsekretär der Gesandtschaftskanzlei.
4- Peter Schaphirow. 63
wurde er, jedoch nur vom Kaiser, mit Freuden emp-
fangen. Dieser Monarch machte ihn in dem nämhchen
Jahre zum Wirklichen Geheimen Rat und gab ihm den
Andreasorden.
Von dieser Zeit an hatte er die größte Mühe, sich in
der Gunst des Monarchen zu erhalten. Seine Feinde,
die er in Menge hatte und unter denen sich Männer
von größtem Gewicht befanden, konnten ihn nicht
stürzen, solange der Kaiser von seiner großen Brauch-
barkeit überzeugt war. Dieser Monarch fuhr fort, noch
lange ein unverändertes Vertrauen in ihn zu setzen.
Schaphirow war einer von denen, die im Jahre 1718
das Todesurteil des Zarewitsch unterschrieben. Peter
vertraute ihm die wichtigsten, verwickeltsten und weit-
läufigsten Geschäfte an. So machte er ihn z. B. zum
Generalpostmeister im russischen Reiche; eine Stelle,
die wegen der ursprünglich zu machenden Posteinrich-
tungen in den Hauptprovinzen Rußlands mit großer
und schwieriger Arbeit verbunden war.
Wenig nissische Minister haben um das Reich und
um die Person des Souveräns so ausgezeichnete Ver-
dienste gehabt, als Schaphirow. Peter blieb nur noch
kurze Zeit davon überzeugt. In dem Falle, wo er das
meiste Vertrauen auf den Baron Schaphirow hätte
zeigen und ihn gegen die Anschläge seiner Feinde
schützen sollen, vergaß er den Dank, den er diesem
großen Staatsmanne schuldig war.
Die Hauptursache von Schaphirows Unglück waren
Privatuneinigkeiten zwischen ihm und Menschikow.
Sie waren von jeher die erklärtesten Feinde gewesen
und hatten sich oft im Beisein mehrerer Personen die
härtesten Vorwürfe gemacht. Bei diesen Zänkereien
war Schaphirow immer viel beißender gewesen als
Menschikow. Einst sagte der Vizekanzler dem Fürsten,
64 4- Pßiß^ Schaphirow.
wenn Menschikows Neid ein Fieber wäre, das er andern
mitteilen könnte, so würde gewiß kein reicher Russe
mehr leben. Solche Szenen waren fast täglich vor-
gefallen und hatten Menschikows Rachgier auf den
höchsten Grad getrieben.
Jetzt fand sich Veranlassung, diese Rache auszu-
üben. Es entstanden nämlich während des Feldzags
Peters I. nach Persien im Jahre 1722 zwischen Scha-
phirow und Menschikow Streitigkeiten in Regierungs-
geschäften. Man ist den bekannten besseren Gesinnun-
gen des Baron Schaphirow die Vermutung schuldig,
daß in diesem Zwiste das Recht mehr auf seiner als auf
Menschikows Seite war. Doch wußte dieser durch seine
klugen und boshaften Insinuationen, welche die Kaise-
rin mit ihrem ganzen Ansehen unterstützen mußte, den
Monarchen nach seiner Zurückkunft im Jahre 1723
ganz wider Schaphirow einzunehmen.
Die Wirkung davon war so heftig, daß Peter sich
ganz vergaß. Selten hatte man ihn so wütend gesehen
als bei dieser Gelegenheit. Katharinas und Menschi-
kows Scheingründe hatten ihn so irregeleitet, daß er
den Baron Schaphirow durchaus für ganz schuldig
hielt. Er ließ diesen großen Staatsminister arretieren
und ihm Orden und Degen abnehmen. Alsdann wurde
er vor ein Gericht geführt und nach einer kurzen Unter-
suchung, die Menschikow zu dirigieren wußte, zum
Tode verurteilt. Schaphirow hatte, so ward er beschul-
digt, Gelder entwendet, Handschriften nachahmen
lassen und das Postwesen vernachlässigt.
Auf einem schlechten Schlitten brachte man ihn auf
den Richtplatz, wo er geköpft werden sollte.
Schon lag einer der ersten Köpfe im Staate auf dem
Balken, um durch eine Trennung vom Körper aus der
Reihe der Lebendigen verdrängt zu werden, als der
4- Peter Schaphirow. 65
Kabinettssekretär Makarow Pardon rief und dem Un-
glücklichen ankündigte, daß er in das Exilium gehen
sollte.
Schaphirow, der nun schon einmal den Todesstreich
erwartet hatte, war über diesen Pardon nicht erfreut
und hätte den Tod dem kümmerlichen Leben,^das nun
folgen sollte, gern vorgezogen.
Als ihn dieses Unglück traf, war Baron Schaphirow
Wirklicher Geheimer Rat, Reichsvizekanzler, General-
postmeister und Ritter des Andreasordens.
Er hatte den Ruf eines Mannes von durchdringen-
dem Verstand und von großen zur Staatswirtschaft ge-
hörigen Kenntnissen. Schaphirow war ein vortrefflicher
Vizekanzler, und ob er sich gleich gegen seine Unter-
gebenen und selbst gegen Personen, die seinesgleichen
waren, zuweilen den ersten Aufwallungen des Zorns
überließ, so fanden doch bald nachher gründliche Vor-
stellungen bei ihm Eingang. Sein gegebenes Wort brach
er nie und redete immer die Wahrheit, daher die frem-
den Minister lieber mit ihm als mit jedem andern in
Unterhandlungen waren.
Menschikow konnte nach Peters I. Tode nicht ver-
hindern, daß Katharina I. auf dringendes Bitten des
Herzogs Karl Friedrich von Holstein Schaphirow aus
der Verbannung wieder an den Hof kommen ließ. Sie
gab ihm die Freiherrn würde wieder und schenkte ihm
den goldenen Degen Peters I., als man in den Konfis-
kationsmagazinen den von Schaphirow nicht finden
konnte. Die Kaiserin bot ihm auch sein schönes Haus
auf der Petersburger Insel wieder an, das während
seiner Abwesenheit im Jahre 171 2 zu bauen angefangen
worden war, aber er schlug es aus, weil, wie er sagte,
seine schlechten Vermögensumstände es nicht ge-
statteten, ein so prächtiges Palais zu bewohnen. In der
Russische Günstlinge. e
66 4- Pßiß^ Schaphirow.
Folge aber nahm er es doch wieder an und bewohnte es
auch.
Menschikows Ansehen war doch noch so groß, daß
Katharina nicht wagte, den Baron Schaphirow in
wichtigen Posten anzustellen. Sie errichtete eben da-
mals ein Kabinettsconseil, in welchem er gewiß auf
seinem Platze gewesen wäre, aber er wurde nicht dazu
ernannt. Sie machte ihn zum Präsidenten des Kom-
merzkollegiums. Bald nachher mußte er nach Arch-
angel in Handelsangelegenheiten gehen und nament-
lich, um dem Walfischhandel eine vorteilhaftere Ein-
richtung zu geben; ein Auftrag, der weit unter den
Talenten dieses großenMannes war. Von seinen übrigen
Ehrenstellen erhielt er keine wieder, auch den Orden
nicht, wenigstens steht er nicht unter den Rittern in
einem Verzeichnisse des russischen Hofstaates unter
Peter H.
Das Todesjahr des Baron Schaphirow ist uns un-
bekannt; doch scheint er zur Zeit der Kaiserin Anna
gestorben zu sein.^)
Wer Schaphirows Gemahlin gewesen ist, wissen wir
nicht, wohl aber, daß er einen Sohn und fünf Töchter
hinterheß.
Nachdem der Vater wieder zu Gnaden aufgenommen
worden war, erhielt auch der Sohn Ehrenstellen bei
Hofe. Es ist uns unbekannt, ob derselbe männliche
Nachkommen hinterlassen habe ; wir erinnern uns aber
nicht, jemals am Hofe oder bei der Armee in Rußland
einen Schaphirow nennen gehört zu haben.
Eine Tochter heiratete einen Knes Gagarin, dessen
Vater gehenkt worden war. Sie wurde die Mutter der
Gräfin Matjuschkin und der Knejina^) Golizin
^) Er starb am ii. März 1739.
^) Knes = Fürst; Knejina = Fürstin.
4- Peter Schaphirow. 67
Die Gräfin Matjuschkin war erste Staatsdame der
Kaiserin Katharina IL und endlich Oberhof meisterin
am Hofe der Kaiserin Maria Feodorowna, Gemahlin
Pauls I. und Mutter Alexanders I. Sie war auch Dame
des Katharinenordens und lebte noch im Jahre 1799.
Ihre Tochter, die vor ihr starb, hatte einen polni-
schen Grafen Wielhorski geheiratet.
Die Fürstin Golizin war auch Staatsdame der Kaise-
rin Katharina II. und die Gemahlin des Feldmarschalls
Knes Golizin, 1) der sich im ersten Türkenkriege unter
der Regierung dieser Kaiserin rühmlichst bekannt ge-
macht hat.
Sie war eine sehr ehrgeizige, aber äußerst kluge und
lebhafte Dame. Sie sprach mit großer Freimütigkeit
von allem, was am Hofe vorging und von ihrer Familie.
So erzählte sie, daß ihre Mutter als ein ganz junges
Mädchen von Peter I. eine derbe Erinnerung bekom-
men habe, weil sie nicht aus einem Pokale trinken
wollte, in welchem, außer dem Getränke, noch ein
widerstehender Liquor war.
Sie versicherte sehr drollig, daß in ihrer Familie alle
Leibesstrafen zu finden wären, die unter pohzierten
Völkern gebräuchlich sind, als aufknüpfen, köpfen,
rädern, spießen, knuten und dergleichen. 2)
Eine andere Tochter des Barons Schaphirow ver-
mählte sich mit einem Knes Chowansky und wurde,
wenn wir nicht irren, die Mutter der Knejina Borja-
tinsky, Gemahlin des Knes Borjatinsky, der bei der
Ermordung Peters III. ein Geschäft hatte.
Eine dritte Tochter wurde die Gemahlin eines Grafen
Gollowin.
^) Alexander Michailowitsch Golizyn (1718 — 1783), bekanat
als Eroberer voa Chotin in der Moldau (1769).
') Einige Ahnen der Fürstin starben im Gefängnis und als
Verbannte in Sibirien, so Wassilij (1713).
68 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
Eine vierte heiratete einen Knes Dolgorucky.
Das Schicksal der fünften Tochter des Baron Scha-
phirow wissen wir nicht. In den zwanziger Jahren war
sie noch nicht verheiratet.
Noch hatte Baron Schaphirow einen Bruder, den er
aus Holland hatte nach Rußland kommen lassen. Er
wurde nicht einmal in den Adelsstand erhoben, und im
Jahre 1719 war er nur in der Reichskanzlei geheimer
Sekretär. Er scheint keine Talente gehabt zu haben,
weil ihm sein Bruder keine wichtigere Stelle anver-
traute. Ihn können wir nicht in die Zahl der Empor-
kömmlinge aufnehmen.
5. Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
Der Nutzen einer größeren Aufklärung des Menschen
ist entschieden. Sie lehrt eine sich selbst befriedigen-
dere, für die Mitwelt gemeinnützigere und, überhaupt
genommen, vollkommenere Anwendung der mensch-
lichen Geisteskräfte; sie gibt hellere und höhere Be-
griffe von der einfachen, wahren Rehgion, die sich nicht
an die Namen der Unterabteilungen des Christentums,
oder des Moslemismus, des Judeismus, und wie die
Arten, den für alle Völker einzigen Gott anzubeten,
heißen mögen, bindet; sie veredelt die Früchte der Ge-
lehrsamkeit; sie flößt den Stolz ein, die hohe Bestim-
mung, zu der man berufen ist, zu erfüllen; sie reizt an,
die Geschäfte würdiger zu betreiben; sie ist die voll-
kommenste Trösterin in unverschuldeten Leiden; sie
erleichtert den Übergang vom Leben zum Tode. — Der
Wert der größeren Aufklärung ist noch vielfacher, aber
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 69
nicht alle aufgeklärten Menschen leisten allgemein den
Nutzen, den sie gewähren kann.
Heinrich Johann Friedrich Ostermann^) war der
zweite Sohn eines lutherischen Geistlichen in Bochum,
einer Stadt in der westfälischen Grafschaft Mark. Er
studierte in Jena^) und kam auf Empfehlung seines
älteren Bruders, der schon in Rußland war, im Jahre
1704 in die Dienste des russischen Vizeadmirals Cruys,
der ihn aber wegen seiner großen Geschicklichkeit und
wegen seiner sehr bald erlangten Fertigkeit in der
russischen Sprache bei einer vorfallenden Gelegenheit
seinem Monarchen als einen sehr brauchbaren Mann
empfahl.
Dieser Cornelius Cruys, ein Holländer aus einer an-
sehnlichen Familie, war schon in seinem Vaterlande
in wichtigen Seediensten gebraucht worden, als ihn
Peter I. mit nach Rußland nahm. Er hat die meisten
Verdienste um die Bildung der russischen Marine.
Cruys starb 1727 im 71. Jahre seines Alters.
Von diesem Augenblicke an leistete Ostermann in
politischen und einheimischen Geschäften dem russi-
schen Hofe die nützlichsten Dienste. Sie sind zu wich-
tig und zu vielfach, um nur obenhin berührt werden zu
können. Die Geschichte der Erfüllung der ihm auf-
erlegten Pflichten ist in den Jahrbüchern der russischen
Regenten bis zum Ende des Jahres 1741 so verwickelt
enthalten, daß es unmöglich ist, eine von den andern
zu trennen. Alle Regenten Rußlands, denen er diente,
setzten in ihn das vollständige Vertrauen, und ließen
sich angelegen sein, ihn zu belohnen.
Es würde zu weitläufig sein, das Leben dieses großen
Mannes ausführhch zu beschreiben, aber wir wollen
^) Geb. am 30. Mai 1686.
') Von wo er eines Duelles wegen nach Holland fliehen mußte.
70 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
einige Anekdoten von seinem Dienste und von dem
letzten Jahre seines Aufenthalts in Petersburg, ehe er
nach Sibirien ging, erzählen, die wenig bekannt sind.
Daß Ostermann, in Gemeinschaft mit Katharina und
Schaphirow, den Kaiser am Pruth aus der gefährlich-
sten Lage zog, ist bekannt genug. Es verdient nur des-
wegen wiederholt zu werden, weil seit der Zeit Peters
Zutrauen zu ihm unbegrenzt wurde.
Als der Friede mit Schweden geschlossen werden
sollte, schickte der Monarch im Jahre 1721 den Grafen
Bruce 1) und den Baron Ostermann nach Nystadt.
Ostermann nahm starke Wechsel mit vom Kaufmann
Meyer, 2) aber keine Dukaten, weil, wie er sagte, die
schweren Geldkasten viel Aufsehen machen möchten.
In Nystadt mußten allemal die sämtlichen Kommissa-
^) Ein Teil der schottischen Familie Bruce, die ehemals diesem
Reiche Könige gegeben hatte und noch jetzt in ihrem Wappen
das Zeichen der Herrscherwürde, den Streitkolben, führt, war schon
zur Zeit der Usurpation Cromwells nach Rußland gekommen.
Der, von welchem hier die Rede ist, war Generalfeldzeugmeister
und hatte viele literarische Kenntnisse. Der russische Zweig der
Familie Bruce ist in der männlichen Linie mit dem General en Chef
am Ende des vorigen Jahrhunderts ausgestorben. Die letzte Erbin
dieses Hauses, das eines der reichsten war, heiratete einen Grafen
Musin-Puschkin, Gesandten in Neapel, der sich seit der Zeit Musin-
Puschkin- Bruce nannte, um wenigstens das Andenken des großen
Namens zu erhalten. H. Bülau macht von Bruce folgende lebens-
geschichtliche Angaben: Jakob Daniel Bruce, geboren 1670 in
Moskau, aus einer in Rußland eingebürgerten schottischen Familie,
ward 1687 Fähnrich, nach der Eroberung Asows Oberst, 1705
Artilleriechef, 1706 Generalleutnant, 1709 Feldzeugmeister, Senator
und Präsident des Berg- und Manufakturkollegiums, nach dem
Schwedischen Kriege und dem Frieden von Nystadt Graf; 6. Juli
1726 als Feldmarschall in Ruhestand; gestorben 19. April 1735.
Er schrieb ein Lehrbuch der Geometrie und einen hundertjährigen
Kalender in russischer Sprache, übersetzte aus dem Deutschen und
Englischen in das Russische, arbeitete an einer Geographie von
Rußland und vermachte seine Sammlungen der Akademie.
*) Meyer, ein reicher altdeutscher Kaufmann in Moskau, der
sich in Petersburg niederließ, viel mit Peter L lebte, wurde unter
der Regierung der Kaiserin Elisabeth, zugleich mit dem sächsischen
5. Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 71
rien zusammenkommen, weil außerdem nichts aus-
gemacht werden durfte. Ostermann stellte sich dann
immer betrunken. Die Schweden glaubten schon, sie
hätten alles gewonnen. Aber Ostermann ging immer
außer der Versammlungszeit zu Cederkreutz, dem vor-
nehmsten der schwedischen Kommissarien, redete mit
ihm alles ab, gab ihm 100000 Rubel und alle Güter
seiner Familie in Livland zurück, und erhielt dadurch
seinem Kaiser die Herzogtümer Livland und Estland,
die in der Folge für eine Summe i) Geldes dem schwe-
dischen Hofe zum Schein abgekauft wurden, um durch
diesen Kauf die Krone Polen zum Schweigen zu
bringen, die Ansprüche auf diese Länder bildete.
In dem Augenbhcke, da alles schon unterzeichnet
war, kam Jaguschinski als Kurier aus Petersburg, um
Bruce und Ostermann zu sagen, sie sollten ohne Aus-
nahme alles zugestehen, was Schweden verlangen
würde, um nur Frieden zu erhalten, denn man habe die
sichere Nachricht, daß eine engländische Flotte unter
dem Befehl des Admirals Norris unter Segel gegangen
sei, um in das Baltische Meer zu kommen.
Zum Glück kam Jaguschinski zu spät.
Ostermann hatte alles erlangt, was er haben wollte
und brachte Wechsel über große Summen wieder mit,
die er nicht gebraucht hatte und die er dem Kaiser
wieder einhändigte.
Nach diesem allen war es wohl natürlich, daß
Peter L ihn sehr schätzte. Dieser Monarch hatte oft
gesagt, Ostermann, der von ihm selbst unterrichtet
worden sei, habe nie einen Fehltritt in der Erfüllung
Berghauptmann Kurt von Schönberg, unglücklich. Meyers Sohn,
Randolph, war ein Taufpate Peters I. und ein sehr unterrichteter,
rechtschaffener und allgemein geschätzter Kaufmann. H.
^) Wir glauben gehört zu haben, daß diese Kaufsum.me nicht
mehr als eine Million Rubel war. H.
72 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
seiner Pflichten getan. Seine Entwürfe in russischer
Sprache, die er alsdann für fremde Höfe in das
Deutsche, Französische oder Lateinische übersetzt
habe, wären immer unverbesserlich gewesen. Noch auf
seinem Totenbette (1725), da Ostermann ihn gar nicht
verlassen durfte, wiederholte der Kaiser dies alles, und
man weiß, daß in den letzten Jahren Peter I. sich den
Ratschlägen Ostermanns fast ganz allein anvertraute.
Dieser Fürst machte ihn zum Geheimen Rat und
erhob ihn in den Freiherrnstand.
Unter der Regierung der Kaiserin Katharina I.
wurde Ostermann Reichsvizekanzler und Wirklicher
Geheimer Rat. Auf ihrem Totenbette ernannte ihn
diese Prinzessin zum Oberhofmeister ihres Nachfolgers,
Peters IL, und zum Mitgliede des Conseils, dem wäh-
rend der Minderjährigkeit dieses Prinzen die Regierung
aufgetragen wurde.
Ostermann besorgte die Erziehung des jungen
Kaisers so gut es sein konnte und schrieb für ihn die
bekannte vortreffhche Einrichtung^) der Studien. Er
erhielt von seinem Herrn und Zöglinge, der noch fast
als Kind starb, 1730 die Würde eines russischen
Grafen.
Die Kaiserin Anna, in deren Umgebung Ostermann
einer der geistvollsten und aufgeklärtesten war,
machte ihn zum Kabinettsminister.
Er führte in demjenigen Teile der Regierung, der
ihm ausschließlich anvertraut war, das Ruder mit einer
immer sicheren Hand. Aber sein heller Verstand und
seine große Staatsklugheit und Menschenkenntnis
machten, daß, wenn die Kaiserin auch in andern Fällen
sich gar nicht mehr zu raten wußte, sie immer den
*) Sie steht im dritten Teile des veränderten Rußlands, der
1740 erschienen ist. H.
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 73
Grafen Ostermann kommen ließ, und nach seinem
Vorschlage ihre Entschheßungen erteilte.
Dieser weitsehende Mann suchte nach und nach sich
immer mehr vom Hofe zu entfernen und sich in dem
Kreise seiner Pflichten einzuschränken, den er immer
mehr zu verengen bemüht war. Er bemerkte die Ver-
wirrung und den Parteigeist am Hofe und in der kaiser-
lichen Familie und sah daraus mit prophetischem Blick,
daß wichtige Katastrophen erfolgten müßten, deren
Ausgang nicht zu berechnen war. Daher glaubte er,
durch seine Klugheit sich von den Wirkungen der
Explosion zurückhalten zu können. Er entschuldigte
sich durch Krankheit und ging nicht mehr an den Hof.
Zum Teil war dies nur ein Vorwand, denn man sagt,
um sich ein krankes Ansehen zu geben, habe Oster-
mann sein Gesicht mit Citrone gefärbt ; zum Teil war
er aber auch wirklich krank. Er hatte schon damals
einen ununterbrochenen Schmerz an den Füßen, der
ihn sehr bald ganz um den Gebrauch derselben brachte.
Doch alles das konnte ihn nicht schützen, sobald man
seinen Rat brauchte. Er mußte dann mit größter Sorg-
falt, Schonung und Bequemlichkeit in die Zimmer der
Monarchin getragen werden.
Nach dem Tode der Kaiserin Anna (1740) ging er gar
nicht mehr aus, blieb aber immer ein Hauptorgan im
russischen Staate. Er wollte gleich nach dem Ableben
dieser Fürstin seinen Abschied nehmen, aber der
Herzog von Kurland, der damals Regent war, bat ihn
so dringend, daß er blieb.
Die Regentin Anna, Mutter des Kaisers, bloß um dem
Grafen Ostermann einen höheren Rang, den eines Feld-
marschalls zu geben, ernannte ihn zum Großadmiral;
eine Stelle, für die er wohl eigentlich nicht gemacht
war, weil er das Detail derselben nicht verstand. Doch
74 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
als ein Mann von großen Talenten hatte er gewiß nach
einiger Übung auch in diesem Fache den richtigen
Überblick eines Chefs.
Unter der Regierung dieser Prinzessin fing die öster-
reichische Partei am russischen Hofe an, ihm vorzu-
werfen, daß er zu preußisch gesinnt sei. Der Vorwurf
war auch nicht ungegründet, und man muß glauben,
daß ein so weiser Minister, als Ostermann war, wenn
er seinen Hof auf preußische Seite zu lenken suchte,
auch gewiß von der Güte des Systems und des Ver-
standes des jungen und unternehmenden preußischen
Monarchen, Friedrichs H., überzeugt sein mußte.
Indessen machte sich Ostermann am russischen Hofe
dadurch große Feinde, zu welchen besonders Generalis-
simus Prinz Anton Ulrich von Braunschweig, i) Ge-
mahl der Regentin und Vater des Kaisers, gehörte, der
immer für Österreich stimmte. Doch dies alles hatte
weiter keine Folgen, zumal da man, um der Regierung
mehr Festigkeit zu geben, den Grafen Ostermann bald
dahin brachte, sich mit denen zu vereinigen, welche die
Großfürstin und Regentin Anna selbst auf den russi-
schen Thron zu setzen und den bisherigen Kaiser, ein
Kind von einigen Monaten, zum Thronfolger zu er-
klären im Sinne hatten; ein Projekt, über dessen Aus-
führung man durch die Revolution der Elisabeth über-
eilt wurde.
In der Zeit der vormundschafthchen Regierung der
Prinzessin Anna wurde Ostermann sehr ernstlich
krank. Im Monat März des Jahres 1741 versicherte
Dr. Kämpf, ein sehr geschickter Arzt aus Hamburg,
daß die Umstände dieses Ministers durch Salzfluß,
Harnverstopfung und Blutergießen so bedenklich
^) Vermählt mit Aana 1739. Er starb ii.ich fünfunddreißig
Jahren der Gefangenschaft 1776.
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 75
würden, daß man, obgleich Hilfe oder vielmehr Auf-
schub nicht ganz unmöglich sei, dennoch einen un-
erwarteten Tod befürchten müsse.
Zu seinem Unglück lebte Ostermann noch lange
genug.
Am Ende des Jahres 1741 erfolgte die Empörung der
Elisabeth. Nur eine so unbedeutende und schwache
Frau konnte die Verdienste dieses großen Mannes, dem
ihre Vorfahren besser zu schätzen gewußt hatten, ver-
kennen. Sie ließ sich von ihren Ministern und Höf-
lingen überreden, den Grafen Ostermann als den
größten Verbrecher von allen den Männern, die das
Opfer der Intrige ihres Hofs wurden, zum Tode zu ver-
urteilen.
Wir wollen, da sich eben die Gelegenheit darbietet,
die Inquisitionsgeschichte dieser Unglücklichen, die
mit Ostermann zugleich verurteilt wurden, und das
Schicksal einiger ihrer Verwandten so kurz als möglich
erzählen.
Das Leben der Elisabeth ist und bleibt ein durch-
gängig schändliches Buch, in welchem höchstens nur
zwei oder drei leidliche Blätter zu finden sind.
Noch in der nämlichen Nacht, als die neue Kaiserin
aus dem Winterpalais kam, wo sie die bisherige Dyna-
stie hatte in Verhaft nehmen lassen, wurden Truppen
ausgeschickt, um mehrere Personen in ihren Häusern
zu arretieren. Diese waren der Graf Ostermann, der
Generalfeldmarschall Graf von Münnich,i) der Groß-
^) Der Generalfeldmarschall Graf von Münnich, ein Holsteiner
von Geburt, war ebenso groß in seinen Talenten als in seinen Fehlern.
Er war einer der geschicktesten und glücklichsten Feldherren
seiner Zeit und ein vortrefflicher Ingenieur. Überdies hatte er viel
Verstand und ausgebreitete Kenntnisse, aber er war auch so sehr
Egoist, als man es nur sein kann. Daher mengte er sich in Staats-
sachen, die nie sein Fach hätten sein sollen. Seine Hauptfehler
waren Rachgier und Grausamkeit. Eine genaue Schilderung dieses
..ik:-
76 J- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
Mannes, der große Verdienste um Rußland hatte, würde zu weit
führen. Peter III. ließ ihn aus Sibirien zurückkommen, imd behielt
ihn bis zum letzten Tage seiner Regierung bei sich. Seines hohen
Alters ungeachtet leistete Münnich noch wichtige Dienste. Er starb
in der Mitte der sechziger Jahre. H. — Burchard Christ, von Münnich
wurde am 9. November 1683 auf dem Gute Neuenhuntorf in Olden-
burg als Sohn eines dänischen Oberstleutnants und General-Deich-
grafs geboren. Nach wechselvollem Soldatenleben trat er 37jährig
in russische Dienste. Er wurde Genieingenieur mit dem Range
eines Generalleutnants. Er ist der Erbauer des Ladogakanals und
der Schöpfer des russischen Ingenieurwesens. Unter der Regierung
Annas begannen die Umtriebe gegen Münnich, die nur geringen
Erfolg hatten, da er als Sieger aus dem ersten russischen Feldzuge
heimkehrte. Nach Annas Tod machte Münnich den Fehler, sich
auf Seite des Braunschweigischen Hauses zu stellen, der Eltern
Iwans VI. Antonowitsch, nämlich der Großfürstin Anna Leopol-
downa, der Tochter der Kaiserin Anna (1718 — 1746) und des
Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevem.
Münnich war vielleicht der Urheber, jedenfalls aber der vollstreckende
Arm des Anschlages gegen Biron. Nach dessen Gelingen wurde
Münnich Premierminister. Sein unzügelbarer Ehrgeiz schaffte
ihm nur Feinde und sein Sturz war daher unaufhaltsam. In der
Nacht des 24. Novembers 1741 wurden die Braunschweiger und
mit ihnen Münnich verhaftet. Einundzwanzig Jahre brachte
Münnich in Pelyur in Sibirien zu. Am i. Februar 1762 schlug die
Stunde der Befreiung. 25 Tage ohne Rast und Aufenthalt währte
die Reise des 79jährigen Mannes nach Petersburg. Peter III., dem
er seine Erlösung verdankte, gab ihm seinen Rang als Feldmarschall
zurück. Noch einmal hing das Henkerschwert über Münnichs
Haupt, als er sich bei Katharinas Staatsstreich auf Peters Seite
schlug. Katharina war zu klug, dem alten Manne seine Pflicht-
erfüllung zum Vorwurf zu machen, verzieh ihm und ernannte ihn
zum ,,Chef der baltischen Häfen, des Ladogakanals und der Strom-
schnellen", ohne ihm jedoch die Mittel zu geben, seine Stellung
auch auszufüllen. Gekränkt wollte er Rußland verlassen und nach
Oldenburg zurückkehren, doch er verschied, ehe er den Entschluß
ausführen konnte, am 16. Oktober 1767. Münnich war ein eiserner
Charakter, dem jedes Mittel gut genug war, wenn es ihn seinem
Ziele näher brachte. Sein Kriegführen wurde daher oft zum Morden,
seine Politik scheute nicht davor zurück, den Widersacher durch
gedungene Meuchler töten zu lassen, wie z. B. den schwedischen
Major Sinclair. Andererseits urteilt ein Vollblutrusse über ihn :
,, Münnich ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der
russischen Geschichte. Niemand hat so wie er es verstanden, die
Reformen Peters des Großen in dessen Geist und mit dessen Energie
fortzuführen. Ein Deutscher an Leib und Seele, hat er stets und
überall dae wahre Interewe Rußlands im Auge gehabt imd ge-
Katharina II.
Nach dem Gemälde von Schebanoff der Jüngere (1789)
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. yy
kanzler, Graf Golowkin,^) der Oberhof marschall Graf
Löwenwolde,^) der Präsident und Geheime Rat Baron
Mengden,^) der Staatsrat Demiresow und der Sekretär
Posniakow. Die Gefangenen kamen alle in die Staats-
gefängnisse in der Festung, außer Löwenwolde, der an-
fänglich in seinem Hause verhaftet war, endlich aber
auch dahin kam. Übrigens wurden sie alle sehr leidlich
gehalten.
Die zu der Untersuchung der vorgeblichen Ver-
brechen ernannten Kommissaren waren der General
Uschakow,*) der Generalprokureur Knes Trubetz-
koy,^) der General Lehwaschew/) der Oberstallmeister
Knes Kurakin,^) der Geheime Rat Narischkin^) und
im Januar 1742 kam noch ein Knes Golizin^) hinzu,
fördert." So Kostomarow (Prof. J. Engelmann, Baltische Monats-
schrift, 39. Bd., Heft 10, S. 545 ff., 1892). Also zugestandener-
maßen wieder ein Deutscher mehr, dem das auf Befehl Englands
und Frankreichs so urplötzlich zum Kulturstaate gewordene Ruß-
Icind unendlich viel verdankte.
^) Der Großkanzler, Graf Golowkin, war ein stolzer Mann, aber
ein sehr geschickter Staatsminister. Er starb an dem Orte seiner
Verbannung. H.
2) Der Oberhofmarschall Graf Löwenwolde war aus Livland
gebürtig und einer der würdigsten Staatsmänner Rußlands. Er
starb in Jaroslawl. H.
') Der Präsident Baron Mengden war ein Bruder der bekannten
Julie Mengden, von der in diesem Buche mehr gesagt werden wird.
*) General Uschakow war lange Zeit der gefürchtetste Mann
in Rußland. Von der Regierung Peters I. an bis in die Regierung
der Elisabeth' war er Präsident der geheimen Kanzlei. Von ihm
wird in mehreren Stellen dieses Buches gesprochen werden. H.
5) Kn6es Nikita Trubetzkoy war ein höchst strenger und rach-
gieriger Mann. Von ihm wird an mehreren Orten in diesem Buche
die Rede sein. Er hatte verschiedene Kinder hinterlassen, von
denen ich nur zwei erwähne: den Fürsten Peter Nikititsch Trubetz-
koy, einen sehr würdigen Patrioten und Staatsdiener, der im Anfange
der neunziger Jahre starb, und die in Petersburg noch lebende
Fürstin Wjasemsky. H.
') Lewaschew, Kurakin, Narischkin und Golizin. Von allen
diesen Männern können wir in diesem Augenblicke keine besonderen
Nachrichten angeben. Wahrscheinlich war Kurakin der Vater der
yS 5. Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
der zur Zeit der Kaiserin Anna Präsident des Justiz-
kollegiums gewesen war. Der Fürst Trubetzkoy hatte
das Geschäft zu fragen, und Herr von Betzkoy war
Protokollist.
An Ostermann wurden bis achtzig Fragen getan.
Dieser große Mann machte eine vollständige Geschichte
seines Ministeriums und verschwieg nichts. Er sagte,
solange er einer Regierung mit Eid und Pflicht zu-
getan wäre, hätte er auch geglaubt, seiner Obliegen-
heit nachkommen zu müssen. Unter der Menge un-
gegründeter und unsinniger Verbrechen, deren man
ihn beschuldigte, waren die hauptsächlichsten: daß
nach dem Tode Peters II. die Herzogin Anna von Kur-
land statt der Prinzessin Elisabeth auf den russischen
Thron gesetzt worden sei ; daß er die Flotte in Verfall
gebracht habe, damit Rußland genötigt sein möchte,
die Freundschaft der Seemächte zu suchen; daß die
Verurteilung der Knesen Dolgorucky im letzten
Regierungs jähre der Kaiserin Anna durch ihn beför-
dert worden sei ; daß er angeraten habe, die Prinzessin
Elisabeth in das Kloster zu sperren, und daß das
Projekt, den jungen Herzog Peter von Holstein aus
dem Wege zu schaffen, von ihm herrühre. Unter allen
wurde Ostermann am meisten beschuldigt. Er war, wie
wir wissen, immer sehr kränklich gewesen, und jetzt
wurde er im Gefängnisse so krank, daß er beichtete und
das Abendmahl nahm, so nahe glaubte er sich seinem
Ende. Nach dieser Krankheit bemerkte man eine ihm
ungewöhnliche Ängstlichkeit und Kleinmütigkeit an
ihm. Er ließ den Geheimen Rat L'Estocq zu sich
jetzigen beiden großen Staatsmänner in Rußland, Alexander und
Alexis; Narischkin, der Großvater der beiden, mit den ersten
Hofchargen bekleideten Männer, Alexander und Dimitrej; und
Lewaschew, der Vater des wahrscheinlich verstorbenen Generals
und ksdserlichen. Adjutanten.
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I . yq
bitten, der auch einigemal zu ihm ging, aber seinem
Vorgeben nach ihm nicht helfen konnte. Als Oster-
mann im Januar unter den Kommissaren den Fürsten
Golizin erblickte, bat er ihn wegen der Verfolgung der
Golizinschen Familie, woran er allerdings Schuld war,
um Verzeihung.
Ostermanns Vermögen, als er arretiert wurde, war
im Vergleich dessen, was andere aufgehäuft hatten,
sehr unbeträchtlich. Er hatte einige unbedeutende
Güter und ein Haus.^) Außerdem fand man bei ihm
II 000 Pfund Sterling und 130000 Gulden, die er in den
Banken^) in Londgn und Amsterdam niedergelegt
hatte. An barem Gelde und Juwelen hatte er nur
230 Rubel und vier oder fünf Porträts von Souveränen
mit Diamanten besetzt.
Münnich war zur Zeit der Revolution der Elisabeth
außer Diensten. Er hatte nämlich seinen Abschied ge-
nommen, weil er wohl merkte, daß die Regentin kein
Vertrauen mehr zu ihm hatte.
Anna fürchtete den unternehmenden Geist des Gra-
fen Münnich. Sie gestand wohl selbst ihren Vertrauten :
^) Ostermanns Haus war in etwas verkleinerter Gestalt das
jetzige Senatsgebäude. Sonderbar ist, daß alle Bewohner dieses
Hauses unglücklich geworden sind. Der erste war Graf Ostermann,
der nach Sibirien kam. Nach ihm erhielt es Graf Bestuschew, den
man auf seine Güter verwies. Alsdann bewohnte es Prinz Georg
von Holstein, der am Tage der Revolution im Jahre 1762 in diesem
Hause von russischen Soldaten gemißhandelt wurde, und es bald
nachher verlassen mußte. Endlich wurde der Senat dahin verlegt,
und man weiß, daß unter Katharina II. dieses höchste Reichs-
kollegium beinahe ganz seinen vorigen Wirkungskreis verlor, un-
bedeutend wurde. — Ein ähnliches Unglückshaus hat man auch in
Berlin unter den Linden. Der Erbauer desselben wurde bankerott.
Dann kam es an den Minister Görne, der wegen verübter Beeinträch-
tigungen von Friedrich II. weggejagt wurde. Nach ihm erhielt
es die berüchtigte Gräfin Lichtenau, deren politisches Ende man weiß.
^) Damals gab es in Rußland selbst noch keine öffentlichen
Anstalten, um Geld unterzubringen. H.
8o 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
ein Mann, der, wie er schon eine Revolution gegen den
Herzog von Kurland so geschwind und so glücklich be-
endigt hätte, könnte auch wohl Lust bekommen, noch
mehr zu wagen. Sie war sogar ruhiger, als Münnich an
der entgegengesetzten Seite der Newa wohnte.
Seinem Vorgeben nach wollte er eben abreisen, als
Elisabeth den Thron bestieg. Er würde aber wahr-
scheinlich wieder in Russische Dienste gegangen sein.
Man beschuldigte ihn unter anderm, er sollte an dem
Abende, an welchem er den Herzog von Kurland arre-
tierte, zu den Garden, um sie zu diesem Schritt zu be-
wegen, gesagt haben, die Prinzessin Elisabeth werde
als Kaiserin ausgerufen werden. Als er, natürlicher-
weise, diese Beschuldigung ableugnete, wurden Garde-
soldaten, die bestochen waren, herein gerufen, die ihm
ins Gesicht sagten, er habe sie selbst überredet. Mün-
nich blieb unerschrocken, und behandelte diese er-
bärmlichen Menschen, die Kommissarien sowohl als die
Soldaten, die alle eine gleiche Behandlung verdienten,
mit gebührender Verachtung. Er sagte mit edlem Stolz
den Richtern, wenn man die Sache so betreiben, und
ihn unglücklich machen wolle, so könne man das viel
kürzer haben. Man dürfe nur selbstbeliebige Antworten
zu den an ihn gerichteten Fragen setzen, und er ver-
spreche als ein ehrlicher Mann, sie ungelesen zu unter-
schreiben.
Indessen machte Münnich doch noch einen Versuch
zu seiner Rettung, der aber für seinen Charakter nicht
sehr rühmlich war.
Er schrieb nämlich an den Prinzen von Hessen-Hom-
burg, i) dessen erklärter Feind er von jeher gewesen
^) Der Prinz von Hessen- Homburg, Ludwig Johann Wilhelm
Gruno, geboren 1705, war schon unter Peter I. in russische Dienste
getreten, und starb im Jahr 1745 als Generalfeldzeugmeister. Von
seiner Gemahlin wird an einem andern Orte etwas gesagt werden.
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 8l
war, und der allen klugen und höflichen Leuten we-
nigstens gleichgültig sein mußte. In diesem Briefe
sprach er viel von seinem Eifer für das hessische Haus,
in dessen Armee er zu dienen angefangen hatte; ver-
sprach ihm, wenn er ihn befreien würde, viel geheime
Anekdoten von Hessen zu sagen; sprach von Präten-
sionen Hessens an Kurland und dergleichen mehr, aber
alles dieses half nichts.
Golowkin und Ostermann hatten sich, sagt man,
stürzen wollen. Jeder hatte besonders daran gearbeitet,
die Regentin zur Kaiserin zu machen. Endlich hatte
man sie vereinigt, und um diese Vereinigung zu be-
wirken, war Mengden gebraucht worden.
Übrigens haben wir keine Kenntnis der vorgebhchen
Verbrechen, deren man Golowkin, Löwenwolde und
Mengden beschuldigte.
Dimiresow wurde angeklagt, zuerst das Projekt ge-
macht zu haben, die Regentin Anna und ihre Nach-
kommenschaft auf den Russischen Thron zu setzen,
und die Prinzessin Ehsabeth ganz von demselben aus-
zuschließen.
Posniakow sollte mit Dimiresow zugleich an diesem
Entwürfe gearbeitet haben.
Alles war nichts als Hof Intrige. Man wollte nur Leute
entfernen, die durch ihre große Überlegenheit an
Geisteskräften, Erfahrung und Kenntnissen den neuen
Ministern und Höflingen unbequem wurden. Um sie
desto empfindlicher, grausamer und gewisser strafen zu
können, machte man sie zu Staatsverbrechern. Diese
Benennung war aber hier nicht anwendbar. Teils waren
diese Beschuldigungen erdichtet, und konnten höch-
stens nur durch ein hineingeworfenes, vielleicht über-
eiltes Wort bestätigt werden; teils war ja ehemals
Elisabeth, so gut wie jeder Untertan im Russischen
Russische Giinstlinge. ()
82 5- Heinrich Johann Friedrich Oslermann I.
Reiche, eine Privatperson, gegen die man kein Staats-
verbrechen begehen konnte.
Am 28. Januar 1742 fuhr die Kaiserin nach Sarskoe-
Muisa, jetzt Sarskoe-Selo. Sobald sie fort war, wurde,
mit Trommelschlag begleitet, durch die ganze Stadt
bekanntgemacht, daß man früh um 10 Uhr nach
Wassilej-Ostrow kommen sollte, um daselbst die Exe-
kution an den Feinden der Kaiserin zu sehen,
r Es war gerade vor dem Kriegskollegium ein ge-
meines Blutgerüst, sechs Stufen hoch, erbaut, auf
welchem ein Block stand. Das ganze Astrachansche
Regiment schloß einen Kreis, in welchem, außer den
zu der Exekution notwendigen Personen, noch ein
Wundarzt sich befand, aber kein Priester. Die Staats-
gefangenen waren schon ganz früh aus der Festung ge-
bracht worden. Punkt 10 Uhr kamen sie in den Kreis;
Grenadiere begleiteten sie mit aufgepflanztem Ba-
jonett.
Graf Ostermann war in seinem gewöhnlichen Mor-
genkleide, nämlich in einem rötlichen Fuchspelze. Er
trug eine kleine Perücke und einen schwarz sammetnen
heruntergeschlagenen Reisehut. Da er zu schwach war,
so wurde er in einem schlechten Iswoschiks- oder Fuhr-
mannsschlitten, mit einem Pferde bespannt, gefahren.
Graf Münnich und alle die andern kamen zu Fuße.
Münnich trug einen Pelz und eine Zobelmütze.
Nach ihm kamen Graf Golowkin, Graf Löwenwolde,
Baron Mengden und der Etatsrat Dimiresow.
Der Sekretär Posniakow kam nicht mit; er hatte
seine Strafe, nämlich die Peitsche, schon im Palais^)
bekommen.
'^) In den ungedruckten Nachrichten über diese Exekutions-
geschichte heißt es: im Palais, ohne weitere Bestimmung. Vielleicht
war es das ehemalige Palais der Prinzessin Elisabeth.
5. Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 83
Als die Staatsgefangenen im Kreise beisammen wa-
ren, wurde Ostermann, der immer als der Hauptver-
brecher angesehen worden war, von vier Soldaten auf
das Schafott getragen, und auf einen hölzernen Sessel
gesetzt. Er entblößte sein Haupt, und ein Sekretär vom
Senat las das Urteil. Die Delinquenten erfahren es nie
eher, als auf dem Richtplatze, Ostermann war verur-
teilt, geköpft und gerädert zu werden. Er hörte das
fürchterliche Urteil gelassen an, schien sich zu wundern
und sah gen Himmel. Gleich nachher legten ihn die
Soldaten mit dem Gesicht auf die Erde. Der Henker
streckte ihm den Hals auf den Block, hielt den Kopf
an den Haaren und nahm das Beil. Ostermann legte
beide Hände vor sich hin; ein Soldat rief ihm zu, er
solle sie zurücknehmen, und hierauf Heß er sie herab-
fallen, und hielt sie an den Leib. Indem man glaubte,
daß der Todesstreich kommen sollte, rief der Senats-
sekretär dem Grafen zu : Gott und die Kaiserin schen-
ken dir das Leben. Ostermann wurde wieder aufge-
richtet; er zitterte. Man setzte ihn wieder auf den
Schlitten, und nun mußte er warten, bis die andern ihr
Urteil wußten. 1)
Keiner mehr bestieg das Gerüste. Allen war das Le-
ben abgesprochen. Ehsabeth schenkte es ihnen, schickte
sie in die Verbannung, und verlängerte dadurch die
Qualen der Unglückhchen.
Als sie den Kreis wieder verließen, bemerkte man
an den meisten den Eindruck, den diese, die Mensch-
heit empörende Szene, auf die verschiedenen Charak-
ter der Staatsgefangenen gemacht hatte.
Münnich war der erste, der aus dem Kreise geführt
wurde. Sein Betragen war edel, sein Blick niederschla-
gend; frech nannten ihn seine Feinde. Er wurde in
^) S. auch F. W. Barthold, Historisches Taschenbuch, VIII, S. iii.
6*
84 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
einem zugemachten Schlaf schütten vom Hofe gesetzt,
hatte Hofhvree bei sich, und wurde von vier Grenadiers
mit Bajonetten begleitet. Man brachte ihn in die
Festung.
Dahin kam auch Ostermann auf seinem Iswoschiks-
schlitten; Soldaten gingen neben her. Er war zu sehr
durch körperliche Schmerzen und durch die Begeben-
heiten der letzten Stunde entkräftet, um durch äußere
Merkmale anzuzeigen, was in seiner großen Seele vor-
ging. Man kann sich jedoch seine Empfindungen leicht
denken.
Golowkin hatte immer das Gesicht bedeckt. Sobald
er es entblößte, bemerkte man verbissene Wut. Er
wurde auch auf einem Schlitten, und Wache ncl en her,
in die Festung gebracht.
Löwenwolde gab sich ein Ansehen von Freundlich-
keit, die wahrscheinlich Verstellung war, zeigte aber
übrigens viel gelassenen Mut. Er ging zu Fuß nach dem
wenig entfernten Senat zurück.
Mengden hatte immer das Gesicht bedeckt, weinte
beständig, und war äußerst kleinmütig. Er ging auch
zu Fuß in den Senat.
Dimiresow schien äußerst ruhig zu sein, und begab
sich eben auch dahin.
An diesem Tage reisten alle von Petersburg ab, um
sich an die Orte ihrer Verbannung zu begeben. — Graf
Ostermann nach Beresow, wo der Fürst Menschikow
gestorben war. — Graf Münnich nach Pelim. Er kam
daselbst in das Haus, das er nach seinem eigenen Risse
für den Herzog von Kurland hatte bauen lassen. —
Carl Golowkin an den Verbannungsort des Generals
Carl Biron, der eben damals zurückkam. Der Name
des Orts ist uns unbekannt. — Graf Löwenwolde nach
Jaroslawl, wohin damals der Herzog von Kurland von
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermayui I. ^i^
Pelim kam. Da Jaroslawl nur ein leidlicher Verwei-
sungsort ist, so durften wahrscheinlich beide Männer
Umgang zusammen haben. — Baron Mengden dahin,
wo bisher der General Gustav Biron, der auch zurück-
kam, gesessen hatte. —
Alle erhielten die notwendigsten Kleider. Manche
Bedienten wollten ihren Herren folgen, und es wurde
ihnen erlaubt. Ostermanns Bedienten erwarteten ihren
Herrn in der Jemskoy^) und gingen alle mit. Er erhielt
drei Fässer Ungarischen Wein. — Löwenwolde wurde
ebenfalls von seinen Leuten in der Jemskoy erwartet.
Sie blieben alle bei ihm. Er bekam überdies einen
Wundarzt, weil er oft kränklich war, und sein Pferd
zu seiner Bequemlichkeit. — Jedem Staatsgefangenen
gab man täglich Einen Rubel, und jedem Bedienten
zehn Kopeken. —
Eine schöne Handlung, die Herren und Diener ehrt,
war die, daß die meisten Bedienten ihr erworbenes
Geld brachten, worunter auch ansehnliche Summen
waren, und ihren Herrschaften gaben.
Die rührendste Szene war den Staatsgefangenen bei
ihrer Abreise von Petersburg aufbehalten : das Wieder-
sehen ihrer Verwandten, und bei vielen der ewige Ab-
schied von ihnen.
Zu Münnich waren seine Verwandten schon in der
Festung geführt worden. Die Gräfin Münnich ent-
schloß sich sogleich, ihren Gemahl zu begleiten. Sein
Sohn 2) war ebenfalls verhaftet gewesen, wurde aber
begnadigt, nicht auf den Richtplatz geführt, und ganz
frei gelassen. Der Vater verbot ihm zu weinen.
^) Jemskoy oder Fuhrmannsstadtteil ist eine Art Vorstadt
von Petersburg über der Anitschkowschen Brücke nahe beim
Alexander-Newsky-Kloster. H.
^) Graf IMünnich, der Sohn, war Hofmeister am kaiserlichen
Hofe gewesen und bekam jetzt Güter bei Moskau. Dieser äußerst
86 5- Heinrich Johann Friedrich Osiermann I.
Die Gräfin Golowkin ging ebenfalls mit ihrem Gemahl.
Für den Baron Mengden mußte diese Vereinigungs-
szene fürchterlich sein. Er liebte seine Gemahlin so sehr
als sie ihn liebte, und in welchem Zustande fand er sie !
Eine völlige Zerrüttung des Verstandes war die Folge
ihrer tiefempfundenen Schmerzen. Sie hatte ein kleines
Kind, und war von dem Entschlüsse nicht abzubringen,
ihren Gemahl zu begleiten, und das Kind mitzunehmen.
Graf Ostermann fand seine Familie in der Jemskoy.
Die Gräfin sah ihren Gemahl, um ihn nie wieder zu
verlassen. Seine Tochter und seine Söhne blieben zu-
rück. Über eine Stunde lang hielt er an diese die
rührendsten Vermahnungen. Alle, die gegenwärtig
waren, sogar die ganz fremden Offiziere und Soldaten
weinten. Endlich bat er sich von seinen Söhnen den
letzten Liebesdienst aus: sie mußten ihn in seinen
Reiseschlitten tragen.
In Beresow lebte Ostermann noch fünf Jahre,
schwächlich und mühsam, und starb am 25. Mai 1747
in größter Seelenruhe.
Man weiß schon die Ehrenstellen, die dieser be-
rühmte Mann bekleidete, als er mit dem Anfang der
Regierung der Kaiserin Elisabeth unglücklich ward.
Wir dürfen nur noch hinzusetzen, daß er Generalpost-
direktor und Ritter der beiden russischen und ver-
schiedener fremder Orden war.
Endhch wollen wir nun noch von den Eigenschaften
des Grafen Ostermann, eines der ersten Staatsmänner
Europas sprechen, und dabei das Urteil zu Rate ziehen,
das der berühmte gleichzeitige Schriftsteller Mannstein
hier und da über ihn gefällt hat.
rechtschaffene Mann starb als Wirklicher Geheimer Rat und
Andreasordensritter in den neunziger Jahren. Er hinterließ zwei
Söhne und wenigstens eine Tochter. Diese war die Gemahlin des
Wirklichen Geheimen Rats von Vietinghoff.
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 87
Ostermann hatte einen weitumfassenden, völlig auf-
geklärten Verstand, besaß eine nie trügende Beurtei-
lungskraft und Menschenkunde, und zeigte in allen
seinen nur irgend bedeutenden Reden und Handlungen
die feinste Delikatesse. In allem, was er unternahm
(und er befaßte sich nicht mit gewöhnlichen Dingen),
hatte er eine Tendenz, die sich durch keine Hinder-
nisse aufhalten ließ. Er war untadelhaft in seinem Le-
benswandel, geschäftig, ausrichtsam, unbestechlich
und treu, wie man es nur sein kann, in Verwaltung der
ihm anvertrauten Geschäfte und ansehnlichen Geld-
summen. In verschiedenen Teilen der Wissenschaften
besaß er eine gründliche Gelehrsamkeit, und hatte be-
sonders zu Erlernung der Sprachen eine Intelligenz,
wie man sie selten findet. AUen Männern von Ver-
diensten, und besonders allen Gelehrten, erteilte er
den vollkommensten Schutz. Sein größtes Talent als
Staatsminister, war eine nicht zu übertreffende Kennt-
nis der Europäischen Höfe, der eigentlichen oder übel-
verstandenen Stärke oder Schwäche ihrer Regierungen
und Länder, und ihrer Verhältnisse untereinander, und
eine genaue Beurteilung der damaligen gekrönten oder
eigentlichen Machthaber in Europa.
Aber Graf Ostermann war auch äußerst mißtrauisch,
und konnte nicht gern einen über sich und neben sich
leiden, den er nicht offenbar an Einsichten übertraf.
Zum Glück konnte ihm aber seine Überlegenheit an
Talenten selten streitig gemacht werden. Seiner Lei-
denschaften war er so sehr Herr, daß man die Geschick-
lichkeit, sie zu verhüllen, beinahe Falschheit nennen
konnte. Um seinem Vortrage mehr Nachdruck zu ge-
ben, und dadurch seinen Zweck zu erreichen, war es
ihm leicht, Tränen zu vergießen. Wenn in kritischen
Fällen die Meinungen der Minister verlangt wurden.
88 5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I.
stellte er sich krank, um die Verantwortlichkeit abzu-
lehnen. Mit den Gesandten der fremden Höfe sprach
er so rätselhaft, daß diese selten beim Weggehen von
ihm mehr woißten, als da sie zu ihm kamen. Nie sah er
den, mit dem er sprach, frei an, aus Furcht, sich zu
verraten. In seiner Lebensweise war er im höchsten
Grade unreinlich.
Die Gräfin Ostermann, zu ihrer Zeit eine der wür-
digsten Damen des russischen Hofs, war eine geborne
Stresnew; eine Familie, die mit dem Hause Romanow
nahe verwandt war. Nach dem Tode ihres Gemahls
kam sie aus Sibirien zurück.
Graf Ostermann verließ zwei Söhne und eine Toch-
ter, die in der Religion der Mutter, nämlich in der
griechischen, erzogen wurden.
Zur Zeit des Unglücks ihres Vaters waren die Söhne
Kapitäne von der Garde. Sie mußten zurückdienen,
denn sie wurden als Hauptleute bei Feldregimentern
angestellt. Man schickte sie in die Gegend der Basch-
koren, doch kamen sie bald von dort zurück.
Einer von ihnen woirde im. Departement der aus-
wärtigen Angelegenheiten angestellt, und sogar noch
zur Zeit der Kaiserin EHsabeth als Gesandter nach
Schweden geschickt, wo er lange blieb. Er war ein
höchst mittelmäßiger Diplomatiker. Die Revolution
Gustavs HI. im Jahre 1772 geschah unter seinen Augen
und ganz ohne sein Wissen. Dem Befehle des Königs
gemäß durfte ihm sein Bankier nur eine ganz unbe-
deutende Summe verabfolgen lassen, damit er keine
Bestechungen wagen konnte. Er wurde so einge-
schränkt, daß er nicht einmal einen Kurier abfertigen
durfte. Demungeachtet war man in Petersburg sehr
zufrieden mit seinen Depeschen.
Es war einmal eine Zeit unter Katharina IL, da
5- Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. 89
Graf Panin wenig galt. Dieser merkte es, und wollte
seine Entlassung haben, aber die Kaiserin gab sie ihm
nicht. Er bat um einen Gehilfen, vmd man überließ es
ihm, sich einen zu wählen. Panin nahm den Grafen
Ostermann aus Schweden, den. er für einen klugen
Mann hielt, weil seine Depeschen vortrefflich waren.
Aber diese hatte der Reichsrat Calling, Chef der russi-
schen Partei, geschrieben. Ostermann kam; man fand,
daß er ein eingeschränkter Kopf war, und er blieb null.
Als das griechische Projekt aufkam, das Panin durch-
aus nicht billigte, verlor dieser sein ganzes Ansehen,
und Ostermann bekam ausschließlich die Direktion der
ausländischen Angelegenheiten. Er behielt sie aber nur
dem Namen nach. Es entstanden, wie man zu sagen
pflegt, eine Menge Faiseurs, als: Besborodko, Potem-
kin, Markow, Woronzow, die Lieblinge, und w^er die
Herren alle waren, die in politischen Fällen von der
Kaiserin um Rat gefragt wurden, und im Departement
zu befehlen hatten; nur Ostermann nicht, der sich we-
der durch Geschicklichkeit noch Artigkeit zu seinem
Posten qualifizierte. Bisher war dieser Mann Vize-
kanzler, wirklicher Geheimrat und Ritter aller russi-
schen Zivilorden gewesen. Paul I., der seine Unbrauch-
barkeit längst bemerkt hatte, wollte ihn gern ent-
fernen, machte ihn zum Großkanzler, und ließ ihm zu
verstehen geben, daß er seinen Abschied verlangen
möchte. Aus Geiz, der seine Hauptleidenschaft ist,
schien er nicht zu verstehen, was der Kaiser von ihm
verlangte, bis dieser ihm geradezu sagen ließ : er würde
wohl tun, sich zu entfernen. Er tat es endlich und ging
nach Moskau, wo er noch am Ende des letzten Jahr-
hunderts lebte.
Seine Gemahlin, die er spät heiratete, war Alexandra
Iwanowna Talvsin, eine Tochter des Admirals dieses
go 6. Johann Cristoph Dietrich Ostermann II.
Namens. Sie war eine vortreffliche Frau und noch im
Mittelalter, als sie im Anfange der neunziger Jahre des
letzten Jahrhunderts starb.
Sein Bruder war im Militärdienste geblieben, und
nach und nach avanciert, ohne sich sehr ausgezeichnet
zu haben. Er hatte ebenfalls alle Ritterorden von Ruß-
land und war General en Chef, als Paul I. den Thron
bestieg. Dieser Fürst, der die Zivilgenerals nicht leiden
mochte, ernannte ihn zum wirklichen Geheimen Rat.
Er lebte am Ende des vorigen Jahrhunderts in Moskau
und war seit langen Jahren verheiratet.
Beide Brüder ersetzten den Mangel an Talenten
durch eine ganz außerordentliche Rechtschaffenheit.
Keiner von ihnen hat Kinder. Sie haben daher die
Söhne ihrer Schwester adoptiert, die seitdem Tolstoy-
Ostermann heißen, und in Hof-, Zivil- und MiHtär-
diensten sich rühmlich auszeichnen. Ihre Onkels hatten
von jeher den Ruf, große Reichtümer zu besitzen.
Die Schwester der beiden Grafen Ostermann heira-
tete schon zur Zeit der Kaiserin Elisabeth einen Oberst-
leutnant Tolstoy. Die Monarchin hatte so wenig Deli-
katesse, die Vermählung im Hause des Grafen Oster-
mann feiern zu lassen. Frau von Tolstoy scheint schon
lange gestorben zu sein. Ihr Gemahl starb als General
en Chef,
6. Johann Christoph Dietrich Ostermann II.
Johann Christoph Dietrich Ostermann war der ältere
Bruder der Großadmirals und Staatsministers dieses
Namens. Er kam eher, als dieser, wir wissen aber nicht,
durch welche Veranlassung, nach Rußland.
6. Johann Cristoph Dietrich Ostermann II. 91
Hier wurde er Lehrer der Zarischen Prinzessinnen
Katharina, Anna und Prascovia, Töchter des Zaren
Joan^) Alexjewitsch, altern Bruders Peters I. Dieser
letztere Monarch erhob ihn zugleich mit seinem Bruder
in den Freiherrnstand.
Der Umstand, daß Peter I. ihn in Geschäften zu
brauchen nicht für gut fand, und daß sein Bruder durch
sein unverändert großes Ansehen unter den verschie-
denen Regierungen ihn nie auf einen wichtigen Posten
bringen konnte, beweist, daß es diesem Ostermann,
von dem hier die Rede ist, an den dazu erforderlichen
Fähigkeiten fehlte; man müßte denn annehmen, daß
er vielleicht selbst den bescheidenen Stand der freiem
Mittelmäßigkeit einer glänzendem Rolle vorgezogen
habe.
Durch die Vermittelung der Herzogin Katharina
von Mecklenburg, 1) der Schwester der Kaiserin Anna,
und durch die Unterstützung seines Bruders, wurde
endlich der ältere Ostermann zum Mecklenburgischen
Gesandten am russischen Hofe ernannt; eine Stelle,
die ihm weniger Geschäfte als Ansehen gab.
Dem Herzoge, Carl Leopold, lag übrigens so wenig
daran, in Rußland einen Gesandten zu haben, daß man
ihm gar nicht den Vorschlag machen durfte, diesem
einen Gehalt zu geben. Die Kaiserin Anna tat es und
setzte ihrem ehemaligen Lehrer monatlich dreihundert
Rubel aus. Mit dieser für die damaligen Zeiten nicht
unbedeutenden Summe lebte er ruhig und anständig,
bis die Thronbesteigung der Kaiserin Elisabeth ihn in
seiner glücklichen Lage störte.
Am 29. Dezember 1741 wurde dem Baron von Oster-
mann im Namen der Kaiserin angesagt, sich von Pe-
^) Katharina, die Tochter Iwans (Joans) V., geb. 1692, gest. 1733,
heiratete 1716 den Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin.
02 7- -P«^"^^ Jaguschitiski I .
tersburg weg zu begeben. Er machte sich sogleich, so
gut er konnte, fertig, abzureisen; befand sich aber in
desto größerer Verlegenheit, da er außer dem Gehalt,
den er vom russischen Hofe bekam, nicht das geringste
Vermögen besaß.
Er ging im Anfang des Jahres 1742, wir wissen nicht,
in welche Gegend von Deutschland, und starb bald
nachher. .
7. Pawi Jaguschinski I.
Ein Charakter, der sich nie verleugnet, immer die
Wahrheit redet, keine Konvenienzen achtet, seinen
Mitbrüdern, seinen Vorgesetzten, und selbst seinem
Herrn diejenige Meinung, die ihm nach seiner Über-
zeugung die richtigste scheint, ohne Hülle vorträgt,
ein solcher Charakter verdient gewiß eine allgemeine
Verehrung. Die kleinen Flecke, die dem Gemälde den
hohen Grad der Vollkommenheit nehmen, verschwin-
den vor den größern Verdiensten, oder machen diese
nur noch hervorstechender.
Pawl Jaguschinski war im Jahre 1683 in Moskau
geboren.^)
Sein Vater, ein Küster der lutherisch-deutschen Ge-
meinde daselbst, war von Litthauischer Herkunft.
In seinem achtzehnten Jahre (1701) hatte Pawl das
Glück, Peter I. bekannt zu werden, und durch einige
geschickte Antworten die Gunst dieses Fürsten zu ge-
winnen.^) Bald nachher nahm er die griechische Reli-
^) Er wurde in Polen geboren, von wo sein Vater, Johann J.,
1687 nach Moskau auswanderte.
2) Siehe S. ii-
7- Pawl J aguschinski I. y3
gion an. Die Ursache, die ihn zu diesem Schritt be-
wogen haben mag, können wir nicht angeben.
Peter I. gab ihm anfänghch einen Platz in der
Reichskanzlei, wo er einige Jahre blieb und mit großem
Beifall arbeitete. Der Kaiser, der ihn fast vergessen zu
haben schien, erinnerte sich der Brauchbarkeit dieses
Mannes, der ihm aufs neue von Menschikow empfohlen
wurde und setzte Jaguschinski unter die Garde, wo er
Gelegenheit hatte, dem Monarchen näher bekannt zu
werden.
Vom Offizier bei der Garde, wurde er Deuschtschik^)
bei Peter I. und einer von dessen vertrautesten Lieb-
lingen.
Jaguschinski war einer von denen, die im Jahre 1718
das Todesurteil des unglücklichen Zarewitsch Alexej
Petrowitsch unterschrieben. Damals war er General-
major und Hauptmann von der Garde. Vier Jahre
nachher (1722) ernannte ihn Peter I. zum Gener al-
lieutnant, und endlich zum Generalprokureur^) im
Senat.
Nach dem Tode dieses Monarchen (1725) half er ge-
meinschaftlich mit Menschikow Katharina L auf den
russischen Thron. Diese Fürstin erhob ihn zwar in den
Grafenstand, aber wegen eines Streites mit dem Für-
sten Menschikow, dem er, wider seine Überzeugung,
durchaus nicht nachgeben wollte, verlor Jaguschinski
unter der Regierung dieser Kaiserin seine Stelle als
^) Deuschtschik war die einzige Art von Hoibedienten, die
Peter I. um sich liatte, und die wechselweise bei ihm de jour waren.
Man könnte sie daher dejourierende Adjutanten nennen. Der
Name kommt von dem russischen Worte: Deu = Tag her. H.
^) Generalprokureur ist dem Range nach der letzte im Senat,
aber dem Gewichte nach der Vornehmste. Er sitzt im Senat im
Namen des Kaisers, kontrolliert alles, was daselbst geschieht und
hat den alleinigen und entscheidenden Einfluß auf die Entschließun-
gen der Senatoren. H.
94 7- -Pfl"^^ Jaguschinski 1.
Generalprokureur. Demungeachtet blieb er immer im
russischen Staate in großem Ansehen. Der Hof fürch-
tete ihn, und die Armee zeigte ihm eine allgemeine
Liebe und Verehrung.
Während der Regierung Peter II. setzte er nur seinen
Mihtärdienst, aber mit einem unübertreff baren Eifer,
fort.
Nach dem Tode dieses Monarchen wurde er ein Mit-
glied der hohen Versammlung, die über die Thronfolge
entscheiden sollte.
Bei der Thronbesteigung der Kaiserin Anna (1730)
ließ ihn diese Versammlung arretieren, weil er der
neuen Monarchin den Rat gegeben hatte, die ihr vor-
gelegte Kapitulation zu zerreißen, und gleich, wie ihre
Vorgänger, nach ihrem eigenen Willen, ohne Ein-
schränkung zu regieren. Vielleicht nahm er bei diesem
Rate auf sich selbst Rücksicht, aber sein Vorhaben
schlug fehl.
Jaguschinski hätte damals unglücklich werden kön-
nen, wenn nicht die Kaiserin aus Dankbarkeit ihn so-
gleich losgegeben hätte. Dies war die erste Handlung,
womit Anna ihre Alleinherrschaft bezeichnete,
Jaguschinski wurde nun wieder Generalprokureur,
entzweite sich aber in dieser Würde mit dem Grafen
Biron, so daß er sogar den Degen gegen den Liebling
der Kaiserin zog. Dies war ein neuer Weg zum Ver-
derben, allein Anna, immer dankbar für den guten
Dienst, den ihr Jaguschinski geleistet hatte, suchte den
Folgen dieses Streites vorzubeugen, indem sie den
Generalprokureur zum Gesandten an dem Berliner Hof
ernannte. Einige Jahre nachher wurde er zurückge-
rufen und zum Kabinettsminister gemacht.
Er starb im Jahre 1736, und wurde mit allen mili-
tärischen Ehrenbezeigungen im Kloster Newsky be-
I
y. Pawl Jaguschinski I. g5
graben, wo man in der ersten Kirche unten, linker
Hand, am Eingange ins Kloster noch sein Epitaphium
sieht.
Am Ende dieser kleinen biographischen Skizze fügen
wir eine kurze Beschreibung der solennen Exequien
dieses berühmten Mannes bei.
Damals war Graf Jaguschinski General en Chef, Ka-
binettsminister, wirklicher Geheimer Rat und Ritter
des Andreas- und Alexander-Newsky-Ordens.^)
Jaguschinski war einer von denen, in deren Ver-
stände sich Peter I. nicht geirrt hatte, denn er war
wirklich ein Mann von außerordentlichen Fähigkeiten.
Sein Urteil war sehr richtig, so daß diejenigen von
seinen Untergebenen, die er gewählt hatte, gewiß sehr
brauchbare Männer waren. Er hatte ausgebreitete mili-
tärische Wissenschaften und große Kenntnisse von
seinem Vaterlande. Seine Gegenwart des Geistes half
ihm in den schwierigsten Fällen, und oft sogar dann,
wenn seine Übereilung ihn in Verlegenheit gebracht
hatte. Er war sehr tapfer, und scheute kein Ansehen
der Person, wenn es darauf ankam, seine Meinung als
ein ehrlicher Mann zu erklären. Jaguschinski war es
sehr oft, der dem Kaiser, Peter I., mit dürren Worten
die Wahrheit sagte, wenn andere sich fürchteten, gegen
die zuweilen heftigen Befehle dieses Monarchen Ein-
wendungen zu machen.
Bei diesen großen Talenten war Jaguschinski auf-
fahrend und hitzig, und war es noch mehr, wenn er,
was in den letzten Jahren fast täglich geschah, sich
berauscht hatte; ein Laster, das, sozusagen, ein not-
wendiger Bestandteil der Sitten seines Zeitalters war,
^) Der Alexander-Newsky-Orden war zwar von Peter I. gestiftet,
wurde aber erst von Katharina I. im Jahre 1725 ausgeteilt. Er ist
der zweite im Range und wird an einem roten Bande getragen. H.
g6 7. Pawl Jaguschinski I.
und das leider diesen großen Minister oft zu den größten
Ausschweifungen verleitete.
Jaguschinski war zweimal verheiratet.
Mit seiner ersten Gemalüin, deren Familiennamen
wir nicht kennen, zeugte er Kinder, lebte alsdann in
Unfrieden mit ihr, und verstieß sie mit Peters I. Be-
willigung.^)
Er heiratete hernach eine Gräfin Golowkin, die nach
seinem Tode sich mit dem Oberhofmarschall Grafen
Michael Bestuschew vermählte und höchst unglück-
lich wurde. Von dieser Gemahlin hatte Jaguschinski,
so viel wir wissen, einige Töchter.^)
Ein Sohn aus der ersten Ehe starb schon im Jahre
1724.
Ein zweiter Sohn von ihm, Sergej, wurde in verschie-
denen Regierungen in Geschäften gebraucht. So war
er z. B. im Jahre 1764 ein Mitglied der Kommission,
die nach der Ermordung des ehemaligen Kaisers Joan
Antonowitsch die Untersuchung gegen den unglück-
lichen Miro witsch anstellen mußte. In der Folge mußte
Sergej seinen Abschied nehmen, und wurde, wegen
übertrieben schlechter Verwaltung seines Vermögens,
im Alter pro prodigo erklärt. Er war Generallieutnant,
Kammerherr und Ritter des Annenordens, ä) und lebte
^) Sie wurde in ein Kloster •gesteckt.
^) Aus der zweiten Ehe stammt nur eine Tochter, von der später
die Rede sein wird.
^) Karl Friedrich von Holstein, der Schwiegersohn Peters des
Großen (1700 — 1739), der Vater Peters III., stiftete den Annenorden
im Jahre 1735 zum Andenken seiner Gemahlin, Anna Petrowna.
Der Annenorden war das einzige, was Paul I. als Großfürst \'on
seiner Souveränität von Holstein übrig behielt. Er teüte ihn als
Großmeister aus, und als er Kaiser wurde, machte er ihn zum
Militärorden und teilte ihn in verschiedene Klassen. Das Band
ist rot mit gelber Einfassung. Dieser Orden hat, nebst dem Danebrog-
orden, das Sonderbare, daß der Stern auf der rechten Seite ge-
tragen wird. H.
7. Pawl Jaguschinski I. 97
noch im Jahre 1799. Ob er Kinder hinterlasse, oder
hinterlassen habe, wissen wir nicht.
Eine Tochter erster Ehe heiratete einen Knes Ga-
garin, und wurde in das Unglück ihrer Stiefmutter ver-
wickelt, aber sogleich losgegeben.
Die älteste Tochter zweiter Ehe wurde ebenfalls mit
ihrer Mutter arretiert.
Kurze Beschreibung von den solennen Exequien
S. E. des Herrn Generals en Chef und Kabinetts-
Ministers, Grafen von Jaguschinski, welche den
28ten April 1736 in St. Petersbiurg gehalten worden.
Nachdem der Leichnam etliche Tage öffenthch in
Parade gelegen, und auf den 28. April durch einen
General-Auditorleutnant und einen Kapitän von der
Garde alle in- und ausländischen Minister, nebst allen
andern Personen von Distinktion, invitiert worden,
versammelte sich der Kondukt früh morgens gegen
9 Uhr in dem Hause des verstorbenen Herrn Grafen,
aus welchem der Zug nach dem Kloster des heiligen
Alexandri Newski, ungefähr in folgender Ordnung
geschah :
200 Mann von der Kaiserlichen Garde zu Pferde,
das Ingermannlandische Regiment,
das St. Petersburgische Garnison-Regiment,
3 Furiere zu Pferde,
4 Pauker,
12 Trompeter,
2 Fähnrichs mit dem gräflichen Wappen,
I Leutnant mit der roten Fahne,
I Stallmeister,
6 Trauerpferde,
Russische Günstlinge. j
g8 7. Pawl Jaguschinski I.
3 Marschälle,
die nissische und deutsche Kaufmannschaft,
2 Marschälle,
die Offizianten aus verschiedenen Collegiis,
2 Majore als Marschälle,
I in Freudenharnisch gewaffneter Ritter,
I Leutnant mit der weißen Fahne, in welcher der
verzogene gräfliche Name,
ein schwarz geharnischter Mann zu Fuß,
I Fähnrich mit der schwarzen Fahne,
1 Trauerpferd,
der Kirchenchor,
2 Obristen als Marschälle,
die sämtliche russische Geistlichkeit,
1 Brigadier und
2 Obristen als Marschälle,
diesen wurden nachgetragen:
das Kaskett,
die Handschuhe,
die Sporen,
der Degen,
der Alexanderorden,
der Andreasorden,
der Kommandostab.
Sämtliche Insignia lagen auf rot sammetnen mit
goldenen Tressen und Quasten besetzten Kissen, die
jedesmal ein Brigadier, Obrister oder Major nebst
2 Assistenten trug.
Auf den Seiten gingen Soldaten mit brennenden
weißen Wachskerzen, an welchen ein kleiner Schild mit
dem verzogenen gräflichen Namen angeheftet war,
3 Brigadiers als Marschälle,
6 Unteroffiziere vom Kadettenkorps,
der Leichenwagen, der von 6 verkleideten Pferden
8. Jaguschinski II. gg
gezogen wurde, über selbigen wurde ein mit
schwarzem Sammet und silbernen Tressen be-
setzter Baldachin von 12 Kapitänen und Majoren
gehalten, neben welchen Obristen gingen,
8 Offiziere vom Kadettenkorps,
1 Generalmajor als Marschall,
2 Adjutanten,
die übrigen invitierten Leichenbegleiter,
3 bezogene sechsspännige Trauerwagen, in welchen
die Leidtragenden weiblichen Geschlechts saßen,
I Furier zu Pferde,
I Eskadron von der Leibgarde zu Pferde,
Während der Prozession wurde alle Minuten von der
Festung eine Kanone gelöst.
Die Gruft war auf Ihre Kaiserliche Majestät Erlaub-
nis in der Kirche des erwähnten Klosters, wohin sonst
nur die Leichen des Kaiserlichen Hauses begraben
werden, zubereitet.
Bei der Einsenkung wurde, nach militärischem Ge-
brauch, von den obgesetzten Truppen aus dem kleinen
Gewehr eine dreifache Salve gegeben.
8. Jaguschinski II.
Jaguschinski, der jüngere Bruder des berühmten
Staatsministers, hatte weder einen vorzüglichen Ver-
stand, noch große Kenntnisse. Nur durch die Ver-
dienste seines Bruders schwang er sich im russischen
Militärdienste empor. So viel wir haben finden können,
ist er jedoch nur bis zum Range eines Obersten ge-
kommen.
Er starb im Jahre 1722.
Sit.
100 9- Emanuel DeviSre.
9. Emanuel Deviere.^)
Emanuel Devi6r, ein Portugiese von gemeiner Her-
kunft 2), war als ein Dienstjunge auf einem Kauffahr-
teischiff nach Holland gekommen, wo ihn Peter I.
durch ein Ungefähr zu sehen bekam.
Dieser Monarch gab ihn zu Menschikow in Dienst,
der ihn als Läufer annahm.
Hier hatte der Kaiser Gelegenheit, ihn zu sprechen,
und da er an ihm Fähigkeiten entdeckte, so nahm er
ihn zu sich. Er machte ihn zum Offizier von der Garde,
und bald nachher zu seinem Deuschtschik. In diesem
Dienste setzte sich Deviere in der Gunst des Monarchen
noch fester. Nach und nach erlangte er größere Ehren-
stellen in der Armee, und nun wurde er so dreist, die
Schwester seines vorigen Herrn, von deren Gegenliebe
er versichert war, zur Ehe zu verlangen. Menschikow
wies zwar diesen Antrag mit Verachtung ab, aber De-
viere gab deswegen sein Vorhaben nicht auf. Er er-
reichte auch seinen Zweck. Die Schwester des Fürsten
gab ihm so unwidersprechliche Beweise ihrer Gunst,
daß Deviere es endlich für notwendig hielt, ihrem Bru-
der vorzustellen, daß man mit der zeremoniellen Be-
stätigung der Ehe eilen müsse, wenn der Fürst nicht
den Verdruß haben wollte, seine Schwester als eine un-
verheiratete Mutter zu sehen. Statt aller Antwort ließ
Menschikow seinem zudringlichen Schwager die Ba-
togen^) geben. Mit den blutigen Wirkungen der Wut
^) Der Name des Portugiesen lautete Anton Devier, später
Anton Manuelowicz Devivier.
2) Nach Waliszewski, Pierre le Grand, S. 46, ist Deviere ein
orthodoxer Jude gewesen, der später zur griechischen Kirche
übertrat.
^) Batogen = Stockschläge auf den nackten Rücken und dessen
Fortsetzung.
g. Emanuel Deviere. lOI
des Fürsten bezeichnet, ging Deviere zum Kaiser, warf
sich ihm zu Füßen, und bat um Hilfe.
Man muß sich allerdings über eine solche Klage bei
dem Souverän, die unter Männern von Ehre nach
empfangener Beleidigung so ungewöhnlich ist, wun-
dern. Ein ausdrücklicher Befehl Peters I. kann ein
solches Benehmen nur schwach entschuldigen. Fast
sollte man glauben, Deviere wäre an solche Behand-
lungsarten gewöhnt gewesen, und habe weiter keine
Rache, als die Klage, gekannt. — In diesem Falle hätte
er keinen Beistand verdient.
Indessen versagte ihm Peter I. denselben nicht, und
zwang sogar den Fürsten Menschikow, seine Schwester
zum Traualtar zu führen.
Damals wurde Deviere zum Generalpolizeimeister
erklärt.
In diesem Posten erhielt er oft vom Kaiser fühlbare
Merkmale des Unwillens. Bei dem allen liebte ihn dieser
Monarch sehr und zeigte ihm oft, wie groß das Ver-
trauen sei, das er ihn setze. Er machte ihn zu seinem
Generaladjutanten.
Deviere bekleidete schon diese ausgezeichnete Wür-
de, als er im Jahre 1718 das Todesurteil des unglück-
lichen Zarewitsch mit unterschrieb.
Imjahre 1721 wurde er Generalleutnant, und bald
nachher Hofmeister der Prinzessinnen Anna und Eli-
sabeth.
So sehr sich auch Deviere dem Fürsten Menschikow
im Range näherte, so konnte ihm dieser doch die Art
nicht verzeihen, mit welcher sich Deviere in Menschi-
kows Verwandtschaft eingedrängt hatte.
Er rächte sich sogar dafür grausam unter der Re-
gierung der Kaiserin Katharina I.
Anfänglich erhielt Deviere von dieser Fürstin Be-
102 9- Emanuel DeviSre.
weise ihrer Gnade und ihres Zutrauens. Sie erhob ihn
in den Grafenstand, und gab ihm den Auftrag, im
Jahre 1726 nach Kurland zu gehen, um die Klagen der
Herzogin Anna gegen Menschikow daselbst zu unter-
suchen.
Er tat es mit derjenigen Strenge, die einem Wider-
sacher des Beklagten natürlich ist, und das Resultat
dieser Unternehmung war ganz zum Vorteil der
Herzogin.
Hierdurch nun wurde Menschikow noch mehr auf-
gebracht.
Er faßte einige Kritiken auf, die Deviere sehr tref-
fend über den anmaßenden Despotismus seines Schwa-
gers gemacht hatte, bildete sie aus, wie er sie brauchen
konnte, und machte daraus den vergeblichen Entwurf
eines Aufstandes gegen die damalige Regierung, an
welchem Deviere den meisten Anteil genommen haben
sollte.
Katharina I., die zu indolent war, um selbst zu prü-
fen, willigte ohne Schwierigkeiten in dessen Bestrafung.
Graf Deviere wurde nun im Jahre 1727 aller seiner
Ehre, Güter und Würden verlustig erklärt, bekam die
schändliche Strafe der Knute, von der, wie wir gesehen
haben, er durch öftere Schläge schon oft den Vor-
schmack bekommen hatte, und mußte nach Sibirien
gehen. Damals hatte er, außer den vielen Ehrenstellen,
womit ihn Peter I. und Katharina I. begnadigt hatten,
und von denen wir schon gesprochen haben, den
Alexander-Newsky-Orden, den ihn ebenfalls Katha-
rina I. erteilt hatte.
Man wundert sich mit Recht, daß die Kaiserii: Anna,
welcher Deviere wesentliche Dienste geleistet hatte,
nicht daran denken konnte, diesen Mann von dem Orte
seiner Verweisung zurück zu rufen. Ein so unnatür-
9- Entanuel Deviire. I03
lieber Undank dieser Monarchin kann nur dadurch
einigermaßen wahrscheinhch erklärt werden, daß De-
viere vielleicht so unglücklich gewesen war, dem all-
gewaltigen Biron zu mißfallen.
Endlich ließ ihn die Kaiserin Elisabeth, die alle
Diener ihres Vaters um sich her versammelte, die vor
ihrer Thronbesteigung in das Exil hatten gehen müssen,
im Jahre 1742 zurückkommen, und gab ihm seine
meisten Ehrenstellen und Orden wieder.
Deviere starb vier Jahre nachher in Petersburg in
einem hohen Alter, ohne jedoch dasselbe genau ange-
ben zu können.
Er war kein Mann von ganz außerordentlichem Ver-
stände, aber er hatte eine ziemlich treffende Urteils-
kraft, und war, was Peter I. ihm allerdings mit Recht
für ein großes Verdienst anrechnete, äußerst pünktlich
in der mechanischen Beobachtung der ihm auferlegten
Pflichten. Übrigens war er gutherzig, schwach und un-
überlegt in seinen Handlungen; Eigenschaften, die
man nur zu oft in einem Wesen vereinigt findet. Seine
Grundsätze von Ehre waren ganz falsch, sonst würde er
bei empfangenen Beschimpfungen und entehrenden
Strafen sich anders benommen haben.
Die Gemahlin des Grafen Deviere war, wie wir wis-
sen, eine Schwester des Fürsten Menschikow.
Aus dieser Ehe können vielleicht mehrere Kinder ge-
kommen sein, aber nur ein Sohn hat sich, aber freilich
auf keine verdienstliche Art, merkwürdig gemacht. Er
hieß Anton, war erst Herzoglich-Holsteinischer und
dann Großfürstlicher Kammerherr. Peter HI. machte
ihn 1762 nach seiner Thronbesteigung zu seinem Ad-
jutanten. Am Tage der Empörung, die Katharina II.
wider ihren Gemahl erregte, schickte ihn der Kaiser
nach Kronstadt, um sich des Hafens zu versichern.
104 ^^" ^^''^ Weide.
Deviere benahm sich dabei so ungeschickt, daß ihn der
Kommandant Kummers arretierte, ehe jener etwas
zum Vorteile seines Herrn unternahm, i)
10. Adam Weide.
Man kann durch pünkthche Erfüllung seiner Pflich-
ten, durch unwiderlegbare Proben einer strengen
Rechtschaffenheit, und durch Einsichten mancher Art,
die Zufriedenheit seines Herrn, seiner Freunde und aller
seiner Mitbürger erringen, und dennoch durch den
Schein einer einzigen verdächtigen Handlung den er-
langten Beifall größtenteils vernichten; durch einen
einzigen, dem Anschein nach, nicht ganz geraden
Schritt, wenn er zur Kenntnis der Welt kommt, das
Zutrauen, das man bis zu dem kritischen Augenblick in
bürgerlichen und freundschafthchen Verhältnissen un-
geteilt genoß, fast ganz verlieren.
Adam Weide war ein Deutscher, bürgerlichen Her-
kommens, von dem man aber nicht weiß, ob er unter
der Regierung Peter I., oder des Zars Alexej Michajlo-
witsch, nach Rußland gekommen ist.^)
Weide trat in Kriegsdienste, zeigte nicht gewöhn-
liche militärische Talente, und eine Anhänglichkeit an
seinen Monarchen, der alle andre Rücksichten, ja viel-
leicht selbst Grundsätze, weichen mußten. Dafür be-
^) Es ist dies jener Kammerherr Graf Deviere, dessen Katha-
rina II. in ihren Memoiren in wenig rühmlicher Weise gedenkt
(S. 55). Er war einer der geheimen Aufpasser der Kronprinzessin
Katharina. Später scheint sich das Verhältnis geändert zu haben;
denn Deviere wird auf Veranlassung Tschoglogoffs aus seiner
Stellung gebracht, weü er zur Großfürstin Katharina hält (S. 64).
^) Weide wurde in Rußland geboren.
10. Adam Weide. 105
lohnte ihn auch Peter I. durch öffentHche Beweise
seiner Großmut, indem er ihn durch außerordenthche
Auszeichnung sehr bald zum General en Chef, und im
Jahre 1714 zum Ritter des Andreasordens ernannte.
Überdies zeigte ihm auch der Kaiser, durch die Mit-
teilung mancher seiner Geheimnisse, ein ziemlich un-
eingeschränktes Vertrauen. Man kann sagen, daß viel-
leicht nicht noch drei Personen in der Welt waren,
denen der Monarch in gewissen Verhältnissen so ver-
traute Eröffnungen machte als dem General Weide.
Den größten Beweis davon gab der Kaiser bei Ge-
legenheit der fürchterlichen Katastrophe, die seinen
Sohn Alexis betraf.
Es ist gewiß, daß das ganz ungefällige, ungeschickte,
indolente, hartnäckige, und überhaupt genommen,
strafbare Benehmen des Zarewitsch, eine völlige Um-
wälzung der großen und mühevollen Schaffung Pe-
ters I. und den ganzen Umsturz der russischen Staats-
verfassung nach dem Tode des Kaisers befürchten
Heß, aber dem unerachtet bleibt die Geschichte der
letzten Tage dieses Kronprinzen immer und ewig ein
schändender Fleck in dem strahlenden Geschichtsbilde
Peters I.
Um dieses große und reichhaltige Gemälde voll-
kommen darzustellen, darf man diese schaudernerre-
gende Szene nicht weglassen. Man stelle sie aber noch
so sehr in den Hintergrund, so werden doch die treffen-
den, grellen Farben, die man in der Dunkelheit auf-
tragen muß, hervorstechen, und den brennenden Glanz
der Vorstellung des Regenten mindern.
Hätte im Jahre 1718 Le Fort noch gelebt, den
Peter I. so sehr fürchtete, so würde dieses für den sonst
ungewöhnlichen Ruhm des Monarchen so nachteilige
Ereignis nicht erfolgt sein.
Io6 lo. Adam Weide.
Wir wollen übrigens aus der Inquisitionsgeschichte
des Zarewitsch, die ohnedies nicht in ihrem ganzen Um-
fange hierher gehört, nur diejenigen Umstände aus-
heben, an welchen Weide teil nahm.
Vom ersten Augenblick der Untersuchung an, war
er in dieser Angelegenheit gebraucht worden. Selbst
dann, wenn es darauf ankam, den Prinzen durch
Zwangsmittel zum Geständnis zu bringen, brauchte
der Kaiser, der das Geheimnis keinen gemeinen Leuten
anvertrauen wollte, niemanden zu diesem Geschäfte,
als den General Weide,
So weiß man, daß ihn der Monarch an dem entschei-
denden Tage, an welchem Alexis sich ganz schuldig
bekannte, den General vorher mit sich in die Festung
und in das Gefängnis des Zarewitsch nahm, und daß
erst durch diesen Besuch das Geständnis erpreßt
wurde, das ihm das Leben absprach.
Das Todesurteil wurde abgefaßt, unter andern auch
vom General Weide unterschrieben, und vom Kaiser
(1718) bestätigt.
Um es nicht öffentlich zu vollziehen, beschloß der
Monarch, den Zarewitsch durch Gift umbringen zu
lassen. Er schickte Weiden zum Hofapotheker, einem
Deutschen, um daselbst, nach einem mitgegebenen Re-
zepte, einen starken Gifttrank zu bestellen. Der Apo-
theker erschrak heftig darüber, sagte aber doch, daß
in einigen Stunden der Trank fertig sein sollte. Nach
Verlauf dieser Zeit kam der General Weide, in einen
Mantel gehüllt, wieder, und verlangte den Trank.
Allein der Apotheker weigerte sich, ihn verabfolgen zu
lassen, und sagte, er würde denselben in keine andern,
als in die Hände des Kaisers geben. Weide war dies zu-
frieden und nahm den Apotheker mit zu dem Mon-
archen, der das Gift annahm. Der Kaiser und Weide
lo. Adam Weide. I07
brachten am 7. Juli den Trank dem Prinzen, allein
dieser war auf keine Weise zum Trinken zu bewegen.
Man schritt hierauf in dem nämlichen Augenbhck zu
einem andern Mittel. Man holte ein Beil, hob eine Diele
im Fußboden auf, damit das Blut in den Schutt laufen
konnte, und nun hieb man dem durch Ohnmächten
abgematteten Prinzen den Kopf ab.^)
Indem der Geschichtschreiber über diese schreck-
liche Begebenheit nachdenkt, um ein Urteil über den
Charakter des Generals Weide abzufassen, fühlt er sich
von einem Gemisch widerstreitender Empfindungen
durchdrungen. Es ist ihm nicht möglich, einen Mann
vom Verdacht des Verbrechens ganz frei zu sprechen,
der solche Geschäfte übernehmen konnte, als diejenigen
waren, von denen wir eben gesprochen haben ; er kann
aber auch den nicht ganz verdammen, der in diesem
grausamen Augenblicke nur das Instrument eines sonst
weisen, weitsehenden, und allgemein verehrten Mon-
archen ist.
Weide hatte den Ruf eines treuen Dieners, eines
rechtschaffenen Mannes, und eines einsichtsvollen
1) Nach Crusenstolpe (I, S. 54) war Weide der Henker, unter
dessen Beil das Haupt des Thronfolgers fiel. Nach anderen Quellen
enthauptete Peter selbst seinen Sohn: ,,Weil sich niemand wollte
finden lassen, der die Hand an seinen Kronprinzen, um solchen
zu torquieren, hätte legen wollen, so nahm der Czaar solches Amt
Selbsten über sich; da Er aber dieses Amt noch nicht so meister-
lich, als der ordinaire Büttelknecht verstehen mochte, versetzte
er seinem Sohn mit der Knutpeitsche einen solchen unglücklichen
Streich, daß Er gleich sprachlos zur Erde sank, und die anwesende
Ministri nicht anders meinten, als daß der Prinz sogleich ver-
scheiden würde; der Vater hörete zwar auf zu schlagen, ließ sich
aber im Weggehen diese heßliche Worte verlauten: ,Der Teufel
wird ihn doch nicht holen'." (A. F. Büschings Magazin für die
neue Historie und Geographie XI, 487.) Lamberti (bei Büsching
ni, S. 224) setzt dem noch hinzu: ,,Sehr sonderbar ist es, daß der
Czar, nachdem er ihm selbsten die Knutpeitsche gegeben, so eine
Art Folter ist, ihn auch selbst enthauptet."
Io8 10. Adam Weide.
Staatsbürgers. Vermutlich waren seine Begriffe von
Untertanenpflicht und Gehorsam so ausgedehnt, und
wenn man sich so ausdrücken darf, so materielle, daß
er, wenn der Kaiser etwas befahl, sich nicht die ge-
ringste Einwendung oder Prüfung erlaubte. Gewiß
glaubte er, daß, da der Monarch nun einmal den Zare-
witsch für unschuldig erkenne, und sein Todesurteil
unterschrieben sei, so könne weder Gott noch Welt aus
der Teilnahme der Vollstreckung des Urteils ein Ver-
brechen machen.
Doch vielleicht wird Weide in der jetzigen Zeit nur
deswegen noch mit einigem Interesse verteidigt, weil
jenes Ereignis in seinen Folgen heilsam war, und weil
die Periode, in welcher jene blutige Begebenheit vorfiel,
entfernter von uns ist, als die Zeitpunkte der Ermor-
dungen der drei Kaiser, Peter IIL, Johann IIL und
Paul I. Wir betrachten diese Katastrophen, durch
welche wenigstens zwei nicht genug gekannte, vortreff-
liche und verehrungswürdige Prinzen der Welt ent-
rissen wurden, mit weit weniger Kälte, als die Ge-
schichte der Enthauptung des Zarewitsch, durch des-
sen Tod Rußland wahrscheinlich gewann.
Doch, wenn auch Weide sein ganzes Leben hindurch
untadelhaft war, und wenn er auch den scharfsinnig-
sten Verteidiger seines Benehmens in der Geschichte
des Prinzen Alexis fände, so würde doch der widrige
Schein, den dasselbe auf sein ganzes Leben wirft, durch
den größten Scharfsinn nicht können verdrängt wer-
den. — Übrigens ist Weide wieder ein Beweis von der
tief in den menschlichen Herzen lesenden Klugheit Pe-
ters L Dieser Monarch wußte wohl, mit wem er zu tun
hatte, indem er den General Weide Geschäfte von so
fürchterlicher Art gab. Tausend andern hätte er der-
gleichen empörende Aufträge erteilen können, und sie
II. Anna Cramtr. I09
würden sie mit gebührender Verachtung abgewiesen
haben.
General Weide scheint bald nach dem schrecklichen
Jahre 1718, und zwar ohne Kinder, gestorben zu sein.^)
II. Anna Cramer.
Anna Iwanowna Cramer war die Tochter eines
Ratsherrn und Kaufmanns in Narwa.
Nach der Einnahme dieser Stadt, im Jahre 1704,
wurde sie als Gefangene nach Rußland, und zwar
sogar bis Kasan, geführt. Von hier kam sie nach
einigen Jahren weg und nach Petersburg, um an den
General Balk, den Gemahl der Schwester des schönen
Mons, von denen einige Artikel handeln, verschenkt
zu werden. Balk gab sie der Hoffräulein Hamilton
als Kammerjungfer.
Hier lernte sie Peter I. kennen. Einige behaupten,
dieser Monarch habe die Anna Cramer nach dem Tode
ihrer unglücklichen Gebieterin zu seiner Geliebten ge-
wählt, doch wird diese Nachricht von andern ebenso
glaubwürdigen Personen bestritten. So viel ist ge-
wiß, daß Peter viel Vergnügen in ihrer Unterhaltung
fand, und um sie desto öfter zu sehen und zu sprechen,
sie zur ersten Kammer] ungf er der Kaiserin ernannte.
In dieser Stelle erwarb sich Anna Cramer das Ver-
traueh des Monarchen und seiner Gemahlin in so
hohem Grade, daß sie sogar eine von den weftigen Per-
sonen war, die damals das Geheimnis der Ermordung
des unglücklichen Zarewitsch wußten. Nach der Ent-
^) Er starb am 2g. Mai 1720, nach anderen Berichten am
26. Januar 172 1.
HO . IT. Anna Cramer.
hauptung des Prinzen mußte Anna Cramer, die der
Kaiser und General der Weide aus dem Palais ab-
holten und in die Festung in das Gefängnis führten,
den Kopf wieder an den Rumpf annähen, und den
Leichnam alsdann anziehen, der einige Tage in der
Festungskirche ausgesetzt stand, und nachher daselbst
begraben wurde. ^)
Die bereitwillige Vollstreckung eines Auftrags von
so besonderer Art, den gewiß wenig Frauen würden
übernommen haben, verdiente Belohnung.
Unter diesem höfischen Himmelsstriche, wo es von
Pflanzen wimmelte, die teils ausländisch, teils künst-
lich in die Höhe getrieben waren, durfte man sich nicht
wundern, eine Kammer] ungf er in eine Hofdame um-
gewandelt zu sehen. Anna Cramer wurde Hoffräulein
der Kaiserin, und bald hernach ernannte sie Peter I.
zur Hofmeisterin der Prinzessin Natalia Petrowna, die,
wie wir wissen, ihren Vater, den Kaiser, nur ungefähr
sechs Wochen überlebte.
Nach dem Tode dieser Prinzessin verließ Anna
Cramer den Hof und ging nach Narwa, wohin sich ihre
Verwandten, und namentlich ihre Brüder, aus der
Gefangenschaft auch wieder begeben hatten. Hier
lebte sie von einer Pension und von den Einkünften
eines Ritterguts im Rigaischen Kreise, das ihr die
Kaiserin Katharina I. geschenkt hatte, und starb im
Jahre 1770 im sechs und siebenzigsten Jahre ihres
Alters. Verheiratet war sie nie.
Anna Cramer soll schön gewesen sein, Sie scheint
Verstand, und eine mehr als gewöhnliche Klugheit in
^) Daß es sich auch hier nur um Gerüchte handelt, denen keine
Beweise gegenüberstehen, ist selbstverständhch. Den wahrschein-
lichen Verlauf der Hinrichtung Alexejs stellt Brückner in seinem
Buche ,, Peter der Große" (S. 331 ff.) zusammen. Ein Auszug
daraus bei Crusenstolpe I, S. 54.
12. Mons de la Cvoix. III
ihrer Aufführung gehabt zu haben, da sie sich in der
Gunst des Kaisers zu erhalten, und die Gewogenheit
der Kaiserin zu erwerben wußte. Aus den beiden Zü-
gen, daß Anna Gramer nach dem Tode der Hamilton
sich an den Hof begeben, und daselbst endlich sogar
das Geschäft mit der Leiche des Zarewitsch über-
nehmen konnte, von dem wir gesprochen haben, läßt
sich schließen, daß diese Person wenigstens viel Un-
empfindlichkeit hatte. Überhaupt scheint sie im Cha-
rakter einige Ähnlichkeit mit dem General Weide ge-
habt zu haben.
12. Mons de la Croix.
Traurig ist es, wenn ein Mann, der von Empfin-
dungen der Freundschaft, und von sanften Regungen
des Herzens durchdrungen ist, die ihn zum Liebhng
des schönen Geschlechts machen, den unerlaubten
Wirkungen, die seine Vorzüge hervorbringen, nicht zu
gebieten weiß, und er also durch die Eindrücke seiner
zärtlichen Gefühle ein blutiges Opfer der rächenden
Eifersucht wird.
Mons de la Croix war der Sohn eines Weinschenken,^)
der aus Frankreich gekommen war, und sich anfäng-
lich in Riga niedergelassen hatte. Nach der Zeit war
er nach Moskau gegangen, und lebte daselbst im deut-
schen Quartier, oder wie man dort sagt, in der Ne-
metzkaja Sloboda.
Peter, der von jeher gern mit Ausländern lebte, ohne
zu untersuchen, ob Geburt oder Rang sie zu dieser Aus-
*) Mons soll der Sohn eines Moskauer Goldschmieds oder eines
Weinhändlers gewesen sein, der aus Deutschland oder Belgien
stammte. Mons selbst gab sich für einen Franzosen aus.
112 12. Mons de la Croix.
Zeichnung qualifiziere, sah mit Vergnügen den jungen,
wohlerzogenen und gutunterrichteten Mons, dessen
Schwestern der Monarch kannte, sie schön und liebens-
würdig gefunden hatte, und zum Teil noch ihren Um-
gang liebte.
Lange nach dieser Zeit, und zwar erst dann, als Peter
schon Kathrina geheiratet hatte, wurde der tiefe Ein-
druck bemerkbar, den die außerordentlich schöne Ge-
stalt des jungen Mons auf das Herz dieser Fürstin ge-
macht hatte.
Um die gegenseitige Neigung mit Anstand unter-
halten zu können, war es nötig, dem Günstlinge eine
Stelle bei Hofe zu geben, die ihn der Gemahlin des
Kaisers ohne Verdacht nahe bringen konnte. In dieser
Absicht brachte es Katharina so weit, daß er erst zum
Kammer Junker, und dann zum Kammerherrn der
Kaiserin ernannt wurde.
Peter war lange Zeit einer von den wenigen, die das
Geheimnis nicht wußten.
Einmal war er auf der Spur, es zu entdecken, als ihn
die ganz junge Prinzessin Elisabeth auf die große Un-
ordnung aufmerksam machte, die durch ihre uner-
wartete Dazwischenkunft in der Unterhaltung der
Kaiserin mit Mons entstanden war, allein der Monarch,
der eben damals andre Geschäfte im Kopfe hatte,
achtete nicht auf das Geschwätz eines Kindes, und so
hatte diese Entdeckung weiter keine Folgen.
Verschiedene Jahre nachher wurde Peter wahr-
scheinlich durch andre aufmerksam gemacht. Er gab
daher der Generalin Balk, einer Schwester des Kammer-
herrn Mons, den kritischen Auftrag, ihren Bruder und
die Kaiserin zu beobachten. Demungeachtet konnte er
nie etwas entdecken, und wurde immer beruhigt.
Endlich am 8. November 1724 gab er eine Reise
J2. Mons de la Croix. II3
nach Schlüsselburg vor, fuhr auch wirklich fort, war
aber einige Stunden nachher schon wieder in Peters-
burg und ging unbemerkt in das Palais des sogenann-
ten Italienischen Gartens an der Fontanka, wo er Ka-
tharina überraschte, als eben Mons bei ihr war. Mit
der ihm eigenen Heftigkeit teilte der Monarch vor-
läufig einige Strafen aus, von welchen man sehr richtig
auf diejenigen schließen konnte, die noch folgen sollten.
Von der Generalin Balk, die auch im Zimmer war,
sprechen wir in einem eigenen Artikel.
Ein Kabinettssekretär und ein Kammerdiener der
Kaiserin wurden in Arrest gebracht. Aber die härteste
Strafe traf den unglücklichen Mons.
Er wurde gleich arretiert.
Der Generalmajor Uschakow, den unsre Leser
kennen, war schon damals Präsident der geheimen
Kanzlei, und also ein sehr furchtbarer Mann, ob er
gleich nicht die Gewalt hatte, die er unter der Kaiserin
Elisabeth ausüben durfte. Dieser Mann holte den
Kammerherrn Mons noch an dem nämlichen Abende
ab und brachte ihn in sein Haus, das schon darauf ein-
gerichtet war, Arrestanten aufzunehmen. Hier wurde
Mons zwei Tage sehr scharf bewacht. Am 10. No-
vember brachte man ihn in das Winterpalais, wo das
höchste Gericht war. Hier rührte ihn der Schlag; eine
Folge des heftigen Schreckens. Die Inquisition wurde
mit großer SchnelHgkeit gehalten und in ein, wenig-
stens anfänglich, fast undurchdringhches, Geheimnis
verhüllt. Als das Urteil bekannt gemacht wurde, gab
man vor, Mons und die Mitschuldigen hätten sich be-
stechen lassen, um den Kaiser zu hintergehen. Kein
Mensch glaubte es. Einige der Arrestanten bekamen
die Knute oder wurden auf die Galeeren gebracht;
eine Strafe, die damals erst in Rußland eingeführt
Russische Günstlinge. ,'^
114 ^^- -^"^^ ^^ ^^ Croix.
wurde. Dies beides traf nach Umständen vorzüglich
eine Menge weibhcher und männücher Bedienten vom
Hofe, von der Generahn Balk und vom Kammerherrn
Mons. Aber die grausamste Strafe war diesem un-
glücklichen Manne vorbehalten. Er wurde am i6. No-
vember vor den Augen der Kaiserin, die aus Schmerz
sich schlössen, enthauptet.^)
Die körperliche Schönheit des bedauernswürdigen
Mons war der Stempel seines Charakters. Er war ein
sehr edeldenkender Mann, schadete am Hofe nie-
manden, half aber durch seine Dienstfertigkeit, Wohl-
tätigkeit und Rechtschaffenheit allen, die seine Hilfe
brauchten. 2)
Mit seinem Tode hörten die Strafen der Kaiserin
nicht auf. Peter Meß den abgehauenen Kopf in Spiri-
^) Crusenstolpe (I, S. 48 ff.) weiß über den Tod von Mons eine
höchst romantische Geschichte zu erzählen: ,, Katharina schien
verloren zu sein! Die Richter waren dem Zaren untertänig und
dieser über die ganze Sache bis zur Raserei erbittert. Mit der
größten Spannung erwarteten alle in die Angelegenheit Einge-
weihten den Ausgang der Sache. Da ereignete sich ein Zufall, auf
welchen wohl niemand gerechnet hatte: Mons de la Croix suchte,
von ritterlichem Gefühle geleitet, den Zorn des Zaren auf sich zu
leiten und opferte Katharina mehr als sein Leben, — seine Ehre,
indem er nämlich, um der Sache eine Wendung zu geben, welche
niu: ihn stürzte, sich selbst anklagte und freiwillig die Erklärung
abgab, daß er durch zauberische Mittel und Betrügereien sich des
Verbrechens schuldig gemacht habe, die Kaiserin em sich zu ziehen.
Die Richter, welche ihn verstanden, griffen begierig nach diesem
Verwände und verurteilten Mons zur Erduldung der Todesstrafe
wegen Anwendung betrügerischer Liebesmittel." Dann heißt es
weiter, in welch geschickter Art sich Mons die Liebeszeichen von
Katharina durch den Geistlichen, der ihm den letzten Trost spen-
dete, und durch den Henker vernichten ließ. Diese Anekdote geht
auf de Villebois zurück, dessen Angaben immer mit der größten
Vorsicht aufzunehmen sind.
^) Für Brückner („Peter der Große", S. 564) unterliegt es keinem
Zweifel, daß Mons sich Unehrlichkeit und Bestechlichkeit hatte
zuschulden kommen lassen. Er führt Zeugnisse an, die es für un-
wahrscheinlich halten, daß Katharina der Untreue schuldig ge-
wesen sei.
12. Mons de la Croix. II5
tus setzen, und Katharina mußte ihn mehrere Tage
vor sich stehen sehen. Der Kaiser gab den Kopf als-
dann in die Akademie der Wissenschaften und befahl,
daß er in einem besonderen Zimmer, mit einem andern
Kopfe, der schon dort war, verwahrt werden sollte.
Dies geschah mit größter Pünktlichkeit. Die Köpfe
wurden von den Aufsehern der Präparate sehr gut er-
halten, übrigens aber, da sogar Katharina auf eine un-
begreifliche Weise vergessen konnte danach zu fra-
gen, ganz aus der Acht gelassen.
Endlich nach sechzig Jahren wurden sie wieder
in Erinnerung gebracht. Es war in den achtziger
Jahren, da die Knejina Daschkow, als Präsident der
Akademie der Wissenschaften, die Rechnungen durch-
sah, und fand, daß zu viel Spiritus verbraucht würde.
Unter andern bemerkte sie dergleichen angesetzt tür
zwei Köpfe, die im Keller verwahrt würden. Sie fragte
nach und erfuhr von dem Manne, der die Aufsicht dar-
über hatte, daß im Keller sich ein Kasten befände, zu
welchem er allein den Schlüssel habe, und daß in die-
sem Kasten zwei Köpfe in Spiritus gesetzt ständen.
Man suchte im Archive nach, und man fand, daß
Peter I. die Köpfe der Fräulein Hamilton^) und des
Herrn von Mons dahin geschickt hatte, um sie in
Spiritus setzen und daselbst aufbewahren zu lassen.
Die Fürstin sprach davon mit der Kaiserin Katha-
rina IL Die Köpfe wurden geholt, und man bewun-
derte noch an ihnen die nicht zu verkennenden Reste
ihrer ehemaligen Schönheit. Katharina IL befahl als-
dann, diese beiden Köpfe im Keller zu begraben,
^) Man weiß fast allgemein aus No. 88 der Stählinschen Anek-
doten Peters des Großen, daß Fräulein Hamilton ihr eigenes Kind
ermordete, und dafür enthauptet wurde; aber es ist vielleicht
weniger bekannt, daß Peter I. Vater dieses Kindes war. H.
g»
Il6 13- Kaiserling, geborne Mons de la Croix.
13. Kaiserling, geborne Mons de la Croix.
Frau von Kaiserling, geborne Mons de la Croix, war
eine ältere Schwester des unglücklichen Mons. Wir-
nehmen sie nur deswegen in das Verzeichnis der
russischen Günstlinge auf, weil es bloß von ihr abhing,
Katharina zu verdrängen, und den russischen Thron
mit Peter I. zu teilen.
Alle Urteile vereinigen sich, die Frau von Kaiserling
als ein Muster weiblicher Vollkommenheiten zu schil-
dern. Mit einer außerordentlichen Schönheit, die
selbst in den Augen der großen Menge dafür galt, und
die der Famihe Mons eigen zu sein schien, verband sie
den reizendsten Charakter. Sie war empfindsam ohne
schmachtend zu sein, hatte pikante Launen, die nicht
in Eigensinn ausarteten, besaß Verstand, den sie an-
wendete, ohne der Güte ihres Herzens zu schaden,
milderte ernste Klugheit durch tändelnden Witz, und
erwarb sich durch alle diese Vorzüge eine Herrschaft
über die Herzen der Männer, die sie nicht durch Kunst-
griffe zu behaupten strebte.
So ausgezeichnete Eigenschaften konnten dem
scharfen Bhcke Peter I. nicht entgehen. Er trug dem
schönen Mädchen seine Liebe an und fand, was einen)
gekrönten Liebhaber so selten begegnet, den festesten
Widerstand. Er gab deswegen seine Entwürfe nicht
auf. Er arbeitete vielmehr mit größter Heftigkeit an
ihrer Ausführung. Obgleich im kalten Norden ge-
boren, überließ sich dieser Monarch doch immer der
Liebe mit allem Feuer eines Orientalen. Er erneuerte
seine Anträge, begleitete sie mit den vorteilhaftesten
Bedingungen, und schenkte ihr überdies ein schönes
Haus. Alles war vergebens. Menschikow und Katha-
rina, die damals schon am Hofe war, standen auf dem
zj. Kaiserling, geborne Mons de la Croix. 117
Punkt, alles zu verlieren, wenn die schöne Mons nach-
gab. Menschikow bot seinen ganzen Verstand auf, um
Peters Absichten zu hintertreiben. Dieser würde aber
doch wahrscheinlich der heftigen Leidenschaft seines
Herrn haben weichen müssen, wenn nicht die Stand-
haftigkeit des Mädchens selbst die Wünsche Menschi-
kows und Katharinas befördert hätte.
Wenn Katharina bei mittelmäßiger Liebenswürdig-
keit es dahin bringen konnte, zur Kaiserin von Ruß-
land erhoben zu werden, so ist es mehr als wahrschein-
lich, daß die schöne Mons mit ihren vortrefflichen
Eigenschaften diesen erhabenen Zweck noch viel eher
würde erreicht haben.
Allein sie zog ein Schicksal und einen GeHebten vor,
die, obgleich schon sehr über die Geburt und die Er-
wartungen des Mädchens erhaben, ihr doch immer
näher waren, als ein Thron und ein Kaiser.
Sie hatte sich in Geheim mit dem preußischen Ge-
sandten Kaiserling versprochen.
Peter erfuhr es, als er eben auf einen BaU gehen
wollte, durch einen aufgefangenen Brief, in welchem
sie sich über die Zudringlichkeiten des Monarchen be-
klagte. Diese unglückliche Entdeckung verwandelte
seine Liebe in Zorn. Er ging auf den BaU, wo er die
Schöne fand, und ihr sogar einen fühlenden Beweis
seines Unmuts gab.
Es tut wehe, zu sehen, daß dieser große Mann, dem
man so gern eine Übereilung verzeiht, die Kleinheit
haben konnte, das geschenkte Haus wieder zurück zu
fordern.
Um sie nicht wiederholten Mißhandlungen auszu-
setzen, entschloß sich Kaiserling, sie sogleich zu hei-
raten, allein zu der nämlichen Zeit wurde er von einer
heftigen Krankheit befallen, die ihn an den Rand des
Il8 14. Balk, geborne Mons de la Croix.
Grabes führte. Noch auf dem Totenbette hielt er sein
Versprechen als ein ehrlicher Mann, und ließ sich die
schöne Mons antrauen. Bald nachher gab Kaiserling
seinen Geist auf.
Seine Witwe blieb in Moskau, wo ihr Gemahl ge-
storben war, verlebte ihre Tage entfernt vom Hofe mit
Würde, in häuslicher Stille und versunken in dem An-
denken an ihre letzten unglücklichen Begebenheiten
und starb ebenfalls dabei.
14. Balky geborne Mons de la Croix.
Frau von Balk, geborene Mons de la Croix, vermut-
lich die älteste Schwester des unglücklichen Mons, war
schön und liebenswürdig und gefiel Peter L, der sie
lange Zeit außerordentlich liebte. Sie heiratete den
Generalmajor von Balk, und wurde Oberhof meisterin
der Prinzessin Katharina, nachherigen Herzogin von
Mecklenburg. In der Folge kam sie an den Hof der
Kaiserin. Ob sie gleich die Geliebte des Kaisers ge-
wesen war, so trug sie doch dazu bei, diesen Fürsten
in seinem Privatleben zu hintergehen. Als Peter I.
einigen Verdacht wegen der Verbindung seiner Ge-
mahlin mit Mons hatte, trug er der Frau von Balk auf,
diese beiden Personen zu beobachten. Aber die ge-
fällige Schwester verschwieg, was sie wußte. Eine
Folge davon war, daß sie an jenem fürchterlichen
8. November 1724, an welchem Peter I. die unglück-
liche Entdeckung machte, von dem Kaiser sehr emp-
findliche Merkmale seines Unwillens bekam. Sie legte
sich aus Verdruß ins Bette und wurde erst am 13. No-
vember von dem General Uschakow in Arrest gebracht.
15. Balk. 119
Ihr Sohn, der schon Kammerherr der Kaiserin war,
wurde zwar auch arretiert, aber unschuldig befunden,
und bald wieder losgelassen.
Die Mutter war unglücklicher.
Sie bekam die Knute, und wurde nach Sibirien ver-
wiesen, wo sie sehr bald gestorben zu sein scheint;
denn wenigstens sollte man glauben, daß Katharina,
die zwei Monate nachher zur Regierung kam, sogleich
eine Freundin würde zurückgerufen haben, die durch
sie unglücklich geworden war.^)
15. Balk.
Balk war der Sohn eines Altdeutschen aus Moskau,
von bürgerlichem Herkommen.
Er nahm in seiner Jugend Kriegsdienste, und stieg
bis zur Würde eines Generalleutnants, die er im Jahre
1715 erlangte.
Balk scheint unter der Regierung Peter I., und
zwar schon lange vor den Unglücksfällen gestorben zu
sein, die seine Familie betrafen.
Seine Gemahlin war, wie wir schon im vorhergehen-
den Artikel gesehen haben, eine geborene Mons de la
Croix.
Der Sohn aus dieser Ehe hieß Paul, und wurde in
der griechischen Religion erzogen. Er war mit seinem
Oheim zugleich Kammerherr bei Katharina, der Ge-
mahlin Peter I., und ward, wenigstens anfänghch, in
das Unglück seiner Familie verwickelt. 2)
^) Frau von Balk wurde tatsächlich von Katharina nach Peters
Tod zurückgerufen und in ihre Ehrenstellen wieder eingesetzt.
') Er wurde als Kapitän nach Ghilan versetzt. Ein zweiter
Sohn, der Kammerpage war, kam als Unteroffizier ins Heer.
120 15- Balk.
Der junge Balk pflanzte sein Geschlecht fort. Er
hinterließ, wenn wir nicht irren, einen Sohn und zwei
Töchter. Des Sohnes Sohn bekleidet noch jetzt an-
sehnliche Bedienungen am russischen Hofe. Die
Töchter waren Maria Pawlowna und Matrona Paw-
lowna, Damen, von deren Reizen und Galanterien die
alten Höflinge in Petersburg noch jetzt zu sprechen
wissen.
Maria heiratete einen Narischkin, der als Ober Jäger-
meister gestorben ist. Sie war sehr reich, machte als
Witwe einen großen Aufwand, und starb in den neun-
ziger Jahren.
Ihre Schwester Matrena starb lange vorher. Sie war
mit einem Saltikow vermählt, der sich im Anfange der
fünfziger Jahre durch seine Schönheit und seine Lie-
beshändel, besonders — am Hofe — bekannt machte.
Er war nach der Zeit Gesandter in Hamburg, und als-
dann an verschiedenen Höfen. ^)
^) Sie war mit Sergius Saltikow vermählt, dem älteren Sohne
von Maria Alexjewna, geborenen Fürstin Galizin, die der Kaiserin
Elisabeth bei ihrer Thronbesteigung große Dienste geleistet hatte.
Sergius Saltikow war der erste Liebhaber der jungen Großfürstin
Katharina. Katharina, nur dem Namen nach die Gattin des rohen,
vertrottelten und geschlechtlich unfähigen Großfürsten, mußte an
einem Hofe straucheln und fallen, dessen Oberhaupt, die Kaiserin
Elisabeth, seine Ausschweifungen mit den stets wechselnden Günst-
lingen und teuer bezahlten Liebhabern kaum zu verhehlen strebte.
Katharina hatte lange den Versuchungen widerstanden, ehe sie
dem glatten Hofmann in die Arme sank. Sie selbst erzählt darüber
in ihren Erinnerungen:
,, Saltikow erschien plötzlich häufiger am Hofe als er es gewohnt
war. Auch bei den langweiligen Konzerten des Großfürsten Peter
war er zu finden. Bei einem jener Konzerte ließ Sergius Saltikow
durchblicken, was die Ursache seiner Aufmerksamkeit gegen mich
war. Ich antwortete ihm zuerst nicht, als er aber immer wieder
über denselben Gegenstand zu sprechen begann, fragte ich ihn, was
er sich denn eigentlich davon verspreche? Darauf entwarf er ein
ebenso glänzendes wie leidenschaftliches Bild des höchsten Glückes.
Ich erwiderte: ,Und Ihre Frau, die Sie erst vor zwei Jahren aus
i6. Glück. 121
i6. Glück.
Ein Mann, der sich nur unmerklich über die Sphäre
erhebt, in welche ihn der Zufall der Geburt geworfen
Leidenschaft geheiratet und in die Sie, wie man sagt, bis zum Wahn-
sinn verliebt sind, ein Gefühl, das sie mit gleicher Glut erwidert,
was wird sie dazu sagen?' Hierauf bemerkte er nur: Nicht alles
sei Gold, was glänze, und er büße schwer für einen Augenblick der
Verblendung. Ich tat dennoch, was in meinen Kräften stand,
ihn auf andere Gedanken zu bringen; gutmütig, wie ich war, "glaubte
ich, daß mir dies gelinge — er tat mir leid. Schließlich aber erhörte
ich ihn doch. Er war schön wie der Tag, und niemand kam ihm
an dem großen Hofe der Kaiserin, geschweige denn an unserm
kleinen gleich. Es fehlte ihm weder an Geist, noch an jener Gewandt-
heit in Kenntnissen, Benehmen und Rücksichten, welche die große
Welt, besonders aber das Hofleben, verleiht. Er war sechsund-
zwanzig Jahre alt; kurz, Gebiu^t und manche andere Eigenschaften
machten ihn zu einem glänzenden Kavalier. Seine Fehler wußte
er geschickt zu verbergen, deren größte seine Neigung zur Intrige
und sein Mangel an Grundsätzen waren. Doch noch während des
ganzen Frühlings und eines Teils des Sommers widerstand ich
seinem Drängen, und obgleich ich ihn fast täglich sah, änderte ich
nicht mein Benehmen gegen ihn. Ich verkehrte mit ihm, wie mit
einem jeden, sah ihn nur in Gegenwart des Hofes oder wenigstens
mehrerer Personen meiner Umgebung. Eines Tages kam mir sogar
der Gedanke, mich seiner endlich zu entledigen, indem ich ihm
kurzweg sagte, er komme übel an, und hinzufügte: ,Was wissen Sie
denn? Vielleicht gehört mein Herz schon einem andern!' Aber
diese Worte, statt ihn zu entmutigen, bewirkten gerade das Gegen-
teil und er wurde immer leidenschaftlicher ..." Diesem Schwanken
mußte der Fall folgen. Er trat lange vor dem Zeitpunkte ein, da
Madame Tschoglokoff, die Obersthofmeisterin Katharinas, dieser
den Befehl der Kaiserin überbrachte, ein Kind zu bekommen,
da der Gemahl unfähig sei. Diesen Wunsch der Kaiserin zu er-
füllen, habe die Großfürstin die Pflicht, ,,den Verhältnissen von
höherem Interesse, die eine Ausnahme von der Regel notwendig
machten", Rechnung zu tragen. ,,Ich lasse Ihnen die Wahl zwischen
Sergius Saltikow und Leon Narischkin." Die Wahl war bereits ge-
troffen und Saltikow wurde der Vater Pauls. Diese von Katharina
in ihren Erinnerungen angedeutete Tatsache blieb dem Hofe nicht
verborgen, und Saltikow suchte sich in Sicherheit zu bringen. Er
vernachlässigte Katharina mehr und mehr, bis sie nach etwa einem
Jahre mit ihm brach und Leon Narischkin seine Stelle einnahm,
den wieder Poniatowski verdrängte. Das verschüchterte Prin-
zeßchen war die Großfürstin geworden.
122 x6. Glück.
hat, der durch seine Talente auf die wichtigsten Ämter
im Staate Anspruch machen kann, die ihm aber nicht
erteilt werden, und der in sehr mittelmäßigen Ver-
mögensumständen stirbt, kann gewiß nicht unter die
Emporkömmlinge gerechnet werden, wenn es nicht
durch besondere Veranlassung geschieht. Diese liegt
in dem Umstände, daß Glück mit Katharina I. erzogen
worden war und als ein schwedischer Gefangener an-
gesehen werden mußte, den sein Schicksal nach Ruß-
land führte.
Der Vater hieß Ernst Glück, ^) war in dem kleinen
livländischen Städtchen Marienburg Probst, welches
wohl nicht mehr sagen will als Pfarrer, und übrigens,
wie es hieß, ein gelehrter Mann; so viel ist gewiß, daß
er in der slawonischen Sprache, welche die russische
Kirchensprache ist, eine große Fertigkeit erlangt hatte.
Dieser letzte Umstand scheint auch Ursache gewesen
zu sein, daß der Probst Glück mit seiner ganzen Fa-
milie, in welcher besonders sein Sohn, seine Tochter,
die junge Martha, und sein Hauslehrer merkwürdig
sind, gefangen nach Moskau gebracht wurde.
Hier legte er mit Hilfe des Hauslehrers, der den Ruf
einer großen Gelehrsamkeit hatte, von dessen fernerem
Schicksale wir aber nichts weiter wissen,^) in- dem Pa-
last Narischkin eine Anstalt an, in welcher viele Bücher
in die russische Sprache übersetzt wurden. Der Probst
Glück scheint nur noch gelebt zu haben, um die Mor-
genröte des Glücks seiner Pflegetochter aufgehen zu
sehen.
^) Geb. in Wettin 1655, gest. in Moskau 1705.
') Der Lehrer Wurmb kam 1714 nach Petersbiu^g, ernährte
sich dort kümmerlich, bis er zu der Kaiserin gelangte. Sie erkannte
ihn sogleich wieder und sagte: ,, Lebst du auch noch, du guter
Wurmb; ich will dir Unterhalt geben." Sie setzte ihm monatlich
16 Rubel aus ihrer Schatulle aus.
J7- Vülehois, geborne Glück. — i8. Villehois. 123
Sein Sohn erhielt eine sehr gelehrte Erziehung. Er
wird als ein Mann gerühmt, der Talente und einen
sanften Charakter hatte. Doch scheint Furchtsamkeit
ein Hauptzug in demselben gewesen zu sein; eine
Schwachheit, die ihn immer hinderte, seine nützhcher
Eigenschaften geltend zu machen.
Er kam im Reichsfinanzfache in Petersburg nur bis
zum Posten eines Kammerrats, den er mit exempla-
rischer Treue verwaltete. In diesen Verhältnissen
starb er, ganz ohne Vermögen, und wahrscheinlich in
noch ziemlich jungen Jahren.
17. Villebois, geborne Glück.
Frau von Villebois war die Tochter des Probstes
Glück in Marienburg, des Pflegevaters oder vormaligen
Dienstherrn der Kaiserin Katharina I.
Sie wurde schon bei Lebzeiten Peter I. an Hof ge-
nommen, und als Hoffräulein bei der Gemahlin dieses
Monarchen angestellt. Hier heiratete sie der Admiral
Villebois nach dem Tode seiner ersten Gattin.
In der Folge ernannte sie die Kaiserin Elisabeth zu
ihrer Staatsdame.
Von ihrem Gemahl handelt der künftige Artikel;
übrigens aber wissen wir nichts von den Lebensum-
ständen der Frau von Villebois,
18. Villebois.
Villebois war ein Franzose von geringer Herkunft.
Wir haben nicht finden können, durch welchen Zufall
124 ^^- ^''■^^^^ois.
er nach Rußland gekommen ist.^) Wahrscheinlich
brachte ihn Peter I. aus Holland mit andern jungen
Leuten dahin.
Zuerst finden wir den jungen Villebois auf der Jagd
dieses Fürsten. Peter I. machte ihn zum Pagen und
bald nachher zum Seeoffizier. Mit den Jahren stieg er
im Dienste bei der Flotte immer höher und starb in
sehr hohem Alter im Jahre 1758 als Vizeadmiral und
Ritter des Alexander-Newsky-Ordens.
Villebois hatte das leichte Blut und die Annehmlich-
keiten seiner Nation, aber ausgezeichnete Kenntnisse
und Verdienste scheint er nicht gehabt zu haben.
Er war zweimal verheiratet.
Wer seine erste Frau gewesen ist, wissen wir nicht.
Die zweite war die Tochter des Probstes Glück, von
welcher der vorige Artikel handelt.
Aus beiden Ehen verließ er Söhne.
Von ihnen ist uns nur Alexander Villebois merk-
würdig, der als Generalfeldzeugmeister sich durch seine
tadelnswürdige Gefälligkeit am Thronbesteigungstage
Katharinas IL bekannt machte.
Dieser Mann hatte allerdings bedeutende Ver-
dienste, aber auch große Schwachheiten.
Als Katharina IL den Thron bestieg, war er schon
bei Jahren. Demungeachtet fiel es ihm ein, daß er ihr
noch gefallen könnte, weil sie ihm gefiel. 2) Katharina
^) Villebois soll das Schiff geführt haben, auf dem Peter der
Große von Saardam nach England fuhr. Sein Geschick und seine
Geistesgegenwart bewahrte das Fahrzeug in einem dreitägigen
Sturm vor dem Untergang. Peter nahm den tüchtigen Schiffs-
führer hierauf als Kapitän und Flügeladjutant in seine Dienste.
Dies erzählte Villebois selbst, nicht ohne Zweifel über die Wahrheit
seiner Angaben zu wecken. Die Denkwürdigkeiten Villebois sind
1853 in Brüssel erschienen.
^) Villebois schien damit in Gewohnheiten aus meiner Jugend ver-
fallen zu wollen. Bülau erzählt darüber: „Villebois war im Trünke
i8. Villebois. I25
kannte seine Neigung, und zog Vorteile von dieser
törichten Stimmung.
Als sie nämlich am 28. Juni aus dem Quartier der
Garden nach der Kasanschen Kirche fahren wollte,
begegnete sie dem Feldzeugmeister Villebois, der auf
das Gerücht einer Revolution aus seinem Hause nach
dem Zeughause fuhr. Die Kaiserin ließ sogleich halten,
und ihn zu sich rufen. Indem nun Villebois auf ihr
Verlangen auf den Wagentritt, um mit ihr sprechen
zu können, trat, machte sie ihm eine unbedeutende,
schmeichelnde Demonstration, die er vielleicht gar für
eine Liebkosung annahm. Sie gewann dadurch ganz
zu ihrem Vorteil einen Mann, der durch treue Anhäng-
lichkeit an seinen Herrn die Revolution gleich in ihrem
Entstehen hätte ersticken können.
seiner nicht mächtig. Er hatte in diesem Zustande schon drei Men-
schen getötet und vermied ihn daher möglichst. Einst vom Kaiser zu
dessen Gemahlin nach Kronstadt geschickt, hatte er sich gegen die
furchtbare Kälte nur durch, wenn auch mäßigen Genuß von Brannt-
wein schützen zu können geglaubt, war dann plötzlich in ein sehr
heißes Kabinett und aus diesem an das Bett Katharinas geführt
worden, während die Damen ihres Gefolges sich aus Diskretion
zurückzogen. Der plötzüche Übergang aus der Kälte in die Wärme,
der vorher genossene Branntwein, der unerwartete Anblick des
schönen Weibes auf dem Nachtlager raubten ihm die Besinnung,
und er stürzte sich auf sie, ohne ihr die Zeit zu lassen, ihre Damen
zu Hufe zu rufen. Doch war es diesmal nicht eine grausame, sondern
eine wollüstige Wut, die ihn hinriß. Er ward ergriffen, gebunden
und ins Gefängnis geworfen. Der Zar aber zeigte sich diesmal un-
gemein müd und maßvoll, hielt sich überzeugt, daß Villebois außer
Sinnen gewesen sei und begnügte sich, ihn zu zwei Jahren Ge-
fängnis zu verurteilen, welche Strafe er schon nach sechs Monaten
erließ und ihn wieder in seine Ämter und sein Vertrauen einsetzte.
Die Geschichte soll übrigens 1722 vorgefallen sein, wo Katharina
noch nicht gekrönt war."
126 IQ- Alsufiow I. — 21. Wassilej.
19. Alsufiow I.
Alsufiow war, wie einige sagen, von niedrigem Her-
kommen. Wir haben diesen Namen nicht eher gefun-
den, als da er zum Marschall der Kaiserin Katharina,
der Gemahlin Peters I., ernannt wurde. Im Jahre
1722 machte ihn dieser Monarch zum Oberhofmeister
dieser Fürstin.
Dieser Alsufiow starb 1723.
20. Wassilej Alsufiow II.
Wassilej Alsufiow, der Bruder des vorigen, war
Marschall des Kaisers (1722), und wurde auch Ober-
hofmeister im Hofstaate dieses Monarchen. Unter der
Regierung Peter II. finden wir ihn als Oberhofmar-
schall und Ritter des Alexander-Newsky-Ordens.
Dieser Mann scheint noch vor der Regierung der
Kaiserin Anna gestorben zu sein.
Sein Sohn war der berühmte und talentvolle russi-
sche Staatsminister Adam Wassil je witsch Alsufiow,
der in den achtziger Jahren starb, und, wenn wir nicht
irren, drei Söhne in Mihtärdiensten, und zwei Töchter
hinterließ. Eine von ihnen heiratete einen Knes
Nicolaj Golizin, die andere einen Staatsrat Condoidy,
aus dem Departement der auswärtigen Angelegen-
heiten.
21. Wassilej.
Nicht immer war es notwendig, durch Talente die
Gunst Peters I. zu erlangen. Gutmütigkeit, Anhäng-
3j. Wassilej. I27
lichkeit an seine Person und selbst Einfalt, von der
man nichts zu besorgen hatte, galten bei ihm für
Empfehlungen, auf die er immer Rücksicht nahm.
Wassilej Petrowitsch war von so gemeiner Herkunft,
daß er, nach Art verschiedener russischer Bauern, nicht
einmal einen Familiennamen^) hatte. Er kam als
Kirchensänger in Zarische Dienste. Da er eine sehr
gefällige Gesichtsbildung hatte, so machte ihn Peter
anfänglich zu seinem Bedienten und dann zu seinem
Denschtschik oder dejourierenden Begleiter, welches
er auch bis zum Tode dieses Monarchen blieb. 2)
Katharina I. machte ihn erst zum Kammer] unker
^) Einige dieser Bauern haben, wie Wassilej, bloß einen Tauf-
uamen; andere, die auch keinen Familiennamen haben, nehmen
die Namen ihrer Herrschaft an: so findet man unter den Bauern
Tschernitschews, Saltikows, Woronzows; noch andere aber haben
eigene Familiennamen. H.
') Von Wassilej, „welcher nur von gar schlechtem Herkommen
und Ansehen ist," schrieb Bergholz: „Der Zar hat ihn als einen
armen Jungen in seine Kapelle der Sänger genommen, weil er eine
ziemliche artige Stimme gehabt haben soll, und da der Herr selbst
ein Sänger ist, auch alle Sonn- und Festtage bey den andern ge-
meinen Sängern in einer Reihe stehet, und mit ihnen in der Kirche
singet, so hat er diesen Burschen zu sich genommen, und dermaßen
nachgerade seine Affection auf ihn geworfen, daß er keinen Augen-
blick fast ohne ihn leben kann. Die beyden zuletzt erwehnten
(nämlich Tatischoff und Wassilej) sind die größten Favoriten,
und ob man gleich den Tatischoff für den allergrößten hält, indem
selbiger auch fast ordinair, wenn der Zar allein oder in kleinen
Gesellschaften ist, mit ihm an der Tafel speiset, so bin ich doch
gewiß der Meynung, daß der allerletzte noch diesen weit übertrifft,
indem der Zar ihn zuweilen wohl hundertmal an einem Tage beim
Kopf kriegt und ihn küsset, auch die vornehmsten Ministers stehen
läßt und zu ihm gehet, um sich mit ihm zu entreteniren. Man kann
sich nicht genug wundern, wie die großen Herren ihre Gnade auf
allerhand Arten von Leuten werfen können. Dieser Mensch ist von
schlechten, gemeinen Leuten her, hat niemalen andere Education
gehabt, als die gemeinen Sängerjungen zu haben pflegen, er ist auch
sonst nur von gar schlechten und gemeinem Ansehen, mit einem
Wort, aller Wahrscheinlichkeit nach, nur ein simpler, einfältiger
Mensch; und dennoch machen ihm die vornehmsten Herren aus
dem ganzen Reich die Cour." (Büsching ig. Bd., S. 43.)
128 22. Alexej Makarow.
und dann zum Kammerherrn. Sie fügte auch den
Gütern, die er schon vom Kaiser bekommen hatte,
noch einige Besitzungen hinzu, so daß Wassilej in sehr
glückhchen Vermögensumständen war.
Von seinen übrigen Lebensverhältnissen wissen wir
nichts.
Wassilej stand beim Kaiser und bei der Kaiserin in
großem Andenken.
22, Alexej Makarow.
Alexej Makarow, der Sohn eines gemeinen Russen,
war nicht ohne Verstand, hatte aber so wenig Kennt-
nisse, daß er nicht einmal lesen und schreiben konnte.
Es scheint, daß eben diese Unwissenheit Makarows
Glück gemacht habe. Peter I. nahm ihn zu sich, gab
ihm den Titel eines Kabinettssekretärs und brauchte
ihn zum Abschreiben geheimer Schriften, eine Arbeit,
die für Makarow höchst beschwerlich sein mußte, weil
er das Vorgelegte nur mechanisch nachmalte. Maka-
row war es, der dem unglücklichen Baron Schaphirow
das Todesurteil vorsagen und alsdann Pardon rufen
mußte.
Unter der Regierung der Kaiserin Katharina I.
wurde Alexis Makarow Geheimrat.
Peter IL ernannte ihn im Jahre 1727 zum Präsi-
denten des Kommerzkollegiums.
Makarow scheint gleich im Anfange der Regierung
der Kaiserin Anna gestorben zu sein.
Noch jetzt findet man Nachkommen von diesem
Makarow, die ansehnliche und wichtige Ämter am
russischen Hofe bekleiden.
rJlAN(;OIS^XE FORT.
'rcneralj^miral etl-'^Jf^inislre acPüfrc J
___ Jl, tnp ereur cle^Riu<^stes .
— '■ -mm^m"""^ ■■""'■•'■ ' '""'""'
Franz Lefoit
Nach der Zeichnung von Petrus Schenk gestochen von D. Sornique
23. Schulz. — 24. Hennin. 129
23. Schulz.
Schulz, ein Stückgießergeselle, war, wie wir gehört
haben, im Braunschweigischen geboren. Er kam, sein
Glück zu machen, nach Rußland, wo er sogleich bei
dem Artilleriewesen eingestellt wurde. Seiner großen
Geschicklichkeit hatte er es zu danken, daß er sehr
bald Offizier wurde. Er stieg endhch bis zu der Stelle
eines Generalmajors, und erhielt den Alexander-
Newskyorden.
Schulz starb unter der Regierung der Kaiserin Eli-
sabeth in den vierziger Jahren.
24. Hennin.
Hennin oder Henning (denn ob man gleich beide
Namen findet, so gehören sie doch wohl nur einer Per-
son) war aus Utrecht gebürtig. Er wurde Peter I. als
ein geschickter Stückgießergeselle empfohlen, als
dieser Monarch in Holland war. Der Zar und Le Fort
prüften ihn, entdeckten Talente an ihm und nahmen
ihn mit nach Rußland. Hier wurde er im Gießhause und
dann im Artilleriekorps angestellt. Da er große mecha-
nische Kenntnisse besaß, so mußte er im Jahre 1719
als Generalmajor auf Befehl des Kaisers eine Reise
nach Deutschland, Frankreich und Italien machen.
Von den merkwürdigsten Maschinen, die er auf
seiner Reise sah, mußte er Abrisse nehmen oder Mo-
delle verfertigen lassen. Der Hauptzweck seiner Reise
war aber, Bergleute anzuwerben, die nach Rußland
kommen sollten, um die dortigen Bergwerke auszu-
bauen. Auf dieser Reise brachte er zwei Jahre zu.
Russische Günstlinge. 9
130 25- Drewnik I.
Nachher beschäftigte er sich immer mit dem Artillerie-
wesen. Im Jahre 1722 wurde er Generalleutnant
von der Artillerie, und im Jahre 1731 Ritter vom
Alexander-Newsky-Orden.
Er lebte noch im Jahre 1749.
25. Drewnik I.
Die Natur, die sich in ihren Schönheiten, Eben-
maßen und Veränderungen nie beschränken läßt, ge-
fällt sich besonders in immerwährenden Abwechse-
lungen. Sie bringt nie zwei Wesen hervor, die sich in
allem ganz ähnlich sind. Ist auch ihre Gestalt die
nämliche, so finden sich doch die Abweichungen in
dem innern Gehalt. Dieser ist gewiß nie überein-
stimmend.
Drewnik, sagt man, war aus Danzig gebürtig, und
der Sohn eines polnischen Edelmanns, i)
Mit dieser Nachricht von dem Ursprünge Drewniks
muß man eine andere vereinigen, nach welcher es
heißt, daß er von niederem Stande gewesen sei. So
viel ist gewiß, daß Peter I. ihn und seinen Zwillings-
bruder als kleine Knaben, die keine Eltern mehr hat-
ten und gleichsam in der Irre hemm liefen, zu sich
nahm und sie erziehen ließ. Der Erfolg war verschie-
den. Dieser Drewnik hatte Kopf und Fleiß und machte
daher bedeutende Fortschritte in Erlernung der Wis-
senschaften. Peter I. nahm ihn als Pagen zu sich, und
machte ihn alsdann zum Denschtschik. Als solcher
^) Danzig kam mit Westpreußen im Jahre 1466 unter polnische
Oberherrschaft, in der es bis 1793 verblieb. In diesem Jahre wurde
die einst so mächtige Hansastadt preußisch.
26. Drewnik II. — 27. Dmiierj Schepelew. 131
mußte er immer bei dem Monarchen bleiben, der ihn
oft in Geschäften brauchte.
Nach dem Tode des Kaisers blieb er beständig bei
der Kaiserin Katharina I.
Elisabeth gab ihm den Titel eines Kammerherrn und
schenkte ihm Güter in Livland.
Er starb daselbst im Jahre 1753.
Seine Gemahlin war eine Tochter des Küchen-
meisters Veiten. Wir wissen aber nicht, ob er Kinder
hinterlassen habe.
26. Drewnik II.
Drewnik, der Zwillingsbruder des vorigen, war ihm
im Äußern so ähnhch, daß man, um beide Brüder nicht
zu verwechseln, sie durch Unterscheidungszeichen in
ihren Kleidern kennbar machen mußte. An Fähig-
keiten glich er ihm nicht. Er war ein sehr einge-
schränkter Kopf. Die Kaiserin Katharina hatte ihn
gleich anfänglich als Pagen, und in der Folge als
Kammer] unker angestellt.
Dieser Drewnik scheint schon unter der Regierung
dieser Monarchin gestorben zu sein.
27. Dmitrej Schepelew.
Dmitrej Andrej e witsch Schepelew war der Sohn
eines gemeinen Russen.
Er war erst Wagenschmierer bei Hofe, und kam als-
dann unter die Garde. Peter L, der an ihm einige Fähig-
132 27- Dmiterj Schepelew. — 28. Vincent Kaiser.
keiten zu bemerken glaubte, machte ihn im Jahre 1716
zu seinem Reisemarschall.
Im Jahre 1728 bekam er von Peter II. den Alexan-
der-Orden.
Unter der Regierung der Kaiserin Anna wurde er
Hofmarschall.
Elisabeth endlich machte ihn zum Hofmarschall und
Ritter des Andreas-Ordens.
Er starb im Jahre 1755.
Schepelew machte sich durch seine Grobheiten all-
gemein verhaßt.
Sein Sohn, Major von der Garde, auf den die Em-
pörer am Tage der Thronbesteigung Katharinas II. ge-
rechnet hatten, und der durch ein Versehen nicht
gleich erschien, war der erste, der die souveräne Macht
der neuen Kaiserin fühlte. Er wurde arretiert, und
konnte nicht sogleich die Gnade der Monarchin wieder
erlangen.
Der Sohn dieses Mannes heiratete eine Nichte des
Fürsten Potemkin-Tawritscheskoy, eine geborene En-
gelhardt. Schon dieser Umstand beweist, daß der junge
Schepelew einen bedeutenden Rang und beträchtliche
Reichtümer hatte.
Die Schwester des Oberhofmarschalls Schepelew
wurde die Gemahlin des nachherigen Generalfeldmar-
schalls Grafen Schuwalow.i)
28. Vincent Kaiser.
Vincent Raiser, aus schwedisch Pommern gebürtig,
hatte in Greifswald studiert. Er diente anfänglich in
^) Peter Iwanowitsch, Generalfeldzeugmeister und Kriegs-
minister; gest. 1762.
29- Ignaij Jelatschin. — 30. Johann Schlauer. 133
sehr geringen Stellen beim Bergwesen in Schweden.
Bei Gelegenheit des angebrochenen Krieges dieser
Macht mit Rußland wurde er Peter I. für das neu er-
richtete Bergkollegium empfohlen.
Er ward von diesem Monarchen und allen dessen
Nachfolgern mit großem Nutzen gebraucht, und starb
im Jahre 1755 in einem sehr hohen Alter als Vize-
präsident des Bergkollegiums.
Kaiser verließ einen Sohn, der Flügeladjutant des
Kaisers Peter III. wurde, und am Tage der Thron-
entsetzung dieses Monarchen ihm treu Wieb.
29. Ignatj Jelatschin.
Ignatj Feodorowitsch Jelatschin war ein Russe von
gemeiner Herkunft.
Er gehörte zu den jungen Leuten, die Peter I. selbst
aussuchte, um sie beim Galeerenbau anzustellen. Durch
seine große Geschicklichkeit stieg er bis zu dem Posten
eines obersten Schiffbauers mit dem Range eines
Brigadiers.
Unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth hatte er
die Direktion über den ganzen Galeerenbau.
Er starb im Jahre 1760 in sehr hohem Alter.
30. Johann Schlatter.
Johann Schlatter war von altdeutschen Eltern,
bürgerlichen Standes, in der deutschen Sloboda in
Moskau geboren.
134 31- Friedrich Asch.
Er widmete sich den Bergwerkswissenschaften mit
dem glücklichsten Erfolg. Peter I. gab ihm einen Platz
in dem neu errichteten Bergkollegium, und ließ durch
ihn in Hüttenwerken und in der Petersburger Münze
manche Verbesserungen machen, die ihm die höchste
Zufriedenheit seines Monarchen erwarben.
Überall, wo ihn der Kaiser und seine Nachfolger
brauchten, leistete ihnen Schlatter sehr wichtige
Dienste. Viele guten Einrichtungen in der Münze
rühren noch von ihm her.
Im Jahre 1764 finden wir ihn unter den Mitgliedern
der Versammlung, die das Todesurteil des unglück-
lichen Mirowitsch unterschrieben.
Schlatter starb bald nachher als Direktor des Münz-
hofs und wirklicher Staatsrat.
Er war der Verfasser verschiedener sehr brauch-
barer Schriften vom Bergbau, Hüttenwerken und
Münzwesen.
31. Friedrich Asch.
Friedrich Asch war der Sohn eines gemeinen Man-
nes aus Schlesien. Sein Glück zu suchen kam er nach
Rußland, wo er durch seine Geschicklichkeit im Schrei-
ben sehr bald ein Unterkommen fand. Anfänglich
wurde er Sekretär des durch die Ermordung des Zare-
witsch bekannt gewordenen General Weide. Dieser
brachte ihn in die Dienste Peters I., der ihn beim Post-
wesen anstellte.
Unter der Regierung der Kaiserin EHsabeth wurde
er deutscher Reichsfreiherr, wirklicher Staatsrat und
Postdirektor in Petersburg.
32. Abraham Hannibal. 135
Er starb daselbst im Jahre 1771, in einem Alter
von mehr als achtzig Jahren.
Er hinterließ zwei Söhne. In der Mitte der neun-
ziger Jahre war einer von ihnen russischer Resident
in Warschau, und der andre Beisitzer im Medizinischen
Kollegium in Petersburg. Dieser lebte noch im Jahre
1804.
32. Abraham Hannibal.
Abraham Petrowitsch Hannibal war ein Mohr, den
Peter I. als Schiffsjungen aus Holland nach Rußland
brachte.
Er ließ ihn taufen, vertrat Patenstelle bei ihm und
nannte ihn (eine sonderbare Zusammenstellung der
Namen) Abraham Hannibal. Petrowitsch hieß er, weil
Peter I. sein Taufvater war. Der Kaiser ließ ihn in
den Lehren der griechischen Religion unterrichten
und gab ihm überhaupt eine sehr gute Erziehung.
Der junge Mohr hatte einen hellen Kopf und zeigte
sehr große Fähigkeiten in Erlernung der Fortifika-
tionswissenschaften. Sein Fleiß war außerordentlich.
Er wurde zeitig im Ingenieurkorps angestellt und
bekleidete nach und nach unter allen folgenden Re-
gierungen ansehnliche Posten. Endlich wurde er
Generaldirektor des Korps, Generalleutnant und Ritter
des Alexander-Newsky- und des Annen-Ordens. Sei-
nem Wunsche gemäß entließ ihn Peter III. 1762 seiner
Dienste.
Hannibal starb im Jahre 1781, im siebenundacht-
zigsten Jahre seines Alters.
Er war zweimal verheiratet. Man sagt, die erste
I^Ö 33- Carl Skawronski.
Frau gebar ihm lauter weiße Kinder, die andere
schwärzliche.^)
Ein Sohn von der zweiten Frau lebte noch am Ende
der neunziger Jahre und war verabschiedeter General-
leutnant und Ritter des Alexander-Newsky- und
Annen-Ordens.
33. Carl Skawronski.
Carl, ein Bauer ohne Familiennamen, aus Litauen
gebürtig, war ein Bruder der Kaiserin Katharina I.
Seit dem Tage, an welchem die Fürstin durch ihre
Mutter an ihre kindhchen Pflichten erinnert worden
war, sorgte sie mit Bewilligung des Kaisers für ihre
Verwandten. Die meisten von ihnen hatten sich, wie
wir wissen, in Lennewarden niedergelassen; aber der
Bruder der Kaiserin war entweder in Litauen ge-
blieben, oder wieder dahin zurückgegangen und hatte
sich dort verheiratet. Ein Graf Sapieha erhielt Befehl
von Katharina, sich ihrer Verwandten in Litauen
anzunehmen. Sie bekamen genug, um nach ihrem
Stande als Landleute bequemer als andre ihresgleichen
leben zu können, aber nicht so viel, um durch unge-
wöhnlichen Aufwand ein Aufsehen zu erregen.
Am Ende des Jahres 1726, als Katharinas Ent-
schließungen nicht mehr dem Willen eines Gemahls
unterworfen waren, der das Unschickhche seiner ehe-
lichen Verbindung wohl mochte gefühlt haben, wurde
Carl mit seiner Frau, zwei Töchtern und drei Söhnen
nach Petersburg gebracht. Man nannte ihn anfänglich
^) Der berühmte Nachfahre Abraham Hannibals von mütter-
licher Seite war einer der größten russischen Dichter aller Zeiten:
Alexander Sergejewitsch Puschkin (geb. 1799. im Duell gefallen 1839).
33- Carl Skawronski. 137
Ikaworonski, wahrscheinlich eine Verstümmelung des
Namens Skawronski, den man ihm eigenthch gegeben
hatte, und den er auch behielt. Man weiß nicht, wer
zuerst auf diesen polnischen Namen gefallen ist, man
glaubt aber, daß ihn Graf Sapieha in Vorschlag ge-
bracht hat.
Graf Carl Skawronski erhielt in Petersburg ein
schönes Haus. Die Haushaltung war prächtig, so wie
sie zum Unterhalt einer Familie vom vornehmsten
Privatstande gehört. Um den mit diesem Stande ver-
bundenen Aufwand bestreiten zu können, wurden dem
Grafen Skawronski nicht nur ansehnliche Einkünfte
an barem Gelde angewiesen, sondern er erhielt auch so
einträgliche Güter in Rußland geschenkt, daß noch
jetzt die Reichtümer der Familie Skawronski zu den
allerbeträchthchsten im russischen Reiche gerechnet
werden; und das will viel sagen, weil es wenig Länder
in Europa gibt, in welchen der hohe Adel so reich ist,
als in Rußland. Hierzu kommer noch Juwelen und die
kostbarsten Kleider.
So unmäßig verschwendete Geschenke als Ska-
wronski, seine Schwestern und ihre sämtlichen Fa-
milien erhielten, erregten den Neid der Nation. Man
geriet auf Untersuchungen, und entdeckte den wahren
Stand dieser Emporkömmlinge. Der Unmut der Höf-
linge darüber wurde so allgemein, so groß und so bitter,
daß sogar (wie demütigend war dieser Schritt für die
Kaiserin) bei Lebensstrafe verboten werden mußte,
über den Ursprung dieser Fürstin nachzugrübeln, oder
ungebührhche Reden zu führen. Dieses Verbot war
aber eben ein Bewegungsgrund, den verschiedenen Ge-
rüchten ganz auf die eigentliche Spur zu kommen. In-
dessen verlor sich der Unwille der Großen des Hofs nach
und nach, als sie sahen, daß diese Günsthnge keine be-
^v
138 33- Car/ Skawronski.
deutenden Stellen im Staate erhielten, denen sie aber
auch aus großer Unwissenheit nicht hätten vorstehen
können.
Carl Skawronski, zum Beispiel, ob er gleich Bruder
der Monarchin war, wurde, so viel wir wissen, nur
Kammerherr, erhielt aber weiter keine Hofchargen,
und nicht einmal einen Ritterorden.
Die Zeit des Todes dieses Mannes können wir nicht
bestimmt angeben; doch glauben wir gehört zu haben,
daß er schon unter der Regierung Peters IL, und zwar
im Bekenntnis der katholischen Religion gestorben sei.
Von der Gemahlin des Grafen Carl Skawronski
handelt ein eigener Artikel.
Er brachte, wie wir gehört haben, drei Söhne und
zwei Töchter mit nach Rußland. Dort ward ihm noch
eine Tochter geboren. Diese Kinder wurden meistens
in der griechischen Religion erzogen.
Die Söhne hießen Iwan, Martin und Anton.
Nur einer von ihnen, Martin, scheint das Geschlecht
fortgepflanzt zu haben. Man findet ihn im Jahre 1748
als Kammerherrn und Ritter des Alexander-Newsky-
Ordens, den er von der Kaiserin Ehsabeth im Jahre
1744 erhalten hatte. Im Jahre 1764 unterzeichnete
er das Todesurteil des unglücklichen Mirowitsch.
Übrigens wissen wir nichts von den Lebensumständen
dieses Grafen Skawronski.
Seine Gemahlin war Staatsdame der Kaiserin Elisa-
beth und Katharina IL und lebte noch im Jahre 1799.
Sein Sohn starb in ziemlich jungen Jahren als Ge-
sandter in Neapel, wo er mit fürstlichem Autwand
lebte. Seine Feste waren gewöhnlich eben so kostbar
und angenehmer als die des königlichen Hofs.
Seine Witwe, eine geborene Engelhardt, Nichte und
Günstlingin des Fürsten Potemkin und Staatsdame
33- Carl Skawronski. 139
der Kaiserin, heiratete (gewiß das erste Beispiel dieser
Art), einen Kommandeur des Maltheserordens, den
Grafen Litta, zu der Zeit, als Paul I. sich zum Groß-
meister des Ordens aufgeworfen hatte.
Dieser Graf Skawronski soll mehrere Söhne hinter-
lassen haben. ^)
Die Töchter des alten Grafen Carl Skawronski
hießen Sophia, Anna und Katharina.
Sophia Carlowna wurde, sobald sie nach Peters-
burg kam, Hofdame ihrer Tante, der Kaiserin Katha-
rina I. Sie heiratete aber sehr bald den Grafen Peter
Sapieha, von dem wir schon gesprochen haben. Die
Kaiserin, die ihm wegen der Aufsuchung ihrer Ver-
wandten einigen Dank schuldig war, gab ihm im Jahre
1726 den Alexander-Newsky-Orden. Sapieha, einer der
ersten Magnaten in Polen, hielt es für eine Ehre, eine
Bäuerin zu heiraten, die eine Nichte der Kaiserin von
Rußland war. Sophia hat mehrere Kinder gehabt, und
ist als Katholikin gestorben.
Anna Carlowna heiratete den Grafen Michael Wo-
ronzow, der als Großkanzler gestorben ist. Sie wurde
Staatsdame der Kaiserin Elisabeth und Katharina IL,
und Dame des Katharinen-Ordens.
Diese Gräfin Woronzow war eine ganz vortreffliche
Frau, aber sie liebte den Trunk.
Ihre einzige Tochter heiratete den noch lebenden
alten Grafen Strogonow, mit dem sie sehr glücklich
war. Sie starb nicht ohne Verdacht, von einem Herrn
vom Hofe Gift bekommen zu haben.
Katharina Carlowna wurde erst geboren, nachdem
ihre Eltern nach Rußland und an den Hof gekommen
waren. Sie heiratete einen vortrefflichen Mann, den
^) Der eine von ihnen, Martin, wurde General en chef, Oberhof-
meister und Senator.
140 34- Skawronska. — 55. Chfisiina Hendrikow.
Baron Korf, der nach Kiel geschickt wurde, den Groß-
fürsten Peter abzuholen, und sich in der unglücklichen
Geschichte des abgesetzten Kaisers Joan Antono-
witsch, rühmlichst bekannt gemacht hat. Ob sie Kin-
der gehabt habe, wissen wir nicht. Die Familie Korf ist
noch in Livland und Kurland, und viele noch lebende
Personen in derselben stammen vielleicht noch von
dieser Katharina Carlowna ab.
34. Skawronska.
Die Gräfin Skawronska, Gemahlin des Grafen Carl
Skawronski, Bruders der Kaiserin Katharina L, mit
dem sie im Jahre 1726 nach Petersburg kam, war eine
Bäuerin aus Litauen.
Sie machte sich durch Trunkenheit, und durch
ihren zügellosen Hang zu Ausschweifungen mit Män-
nern bekannt.
Ihr Todesjahr ist uns unbekannt. Wir wissen nur,
daß sie in der römisch-katholischen Rehgion gestor-
ben ist.
Von ihrem Gemahl und ihren Kindern kann man in
dem vorhergehenden Artikel mehr lesen.
35. Christina Hendrikow.
Christina, eine Schwester der Kaiserin Katharina I.,
hatte schon in ihrem Vaterlande einen Bauer aus Li-
tauen, Namens Simon Heinrich, geheiratet. Sie kam
mit ihm nach Rußland. Von ihm und ihren Kindern
handelt der künftige Artikel. Sie bUeb den Lehren der
katholischen Rehgion zugetan.
I
36. Simon Hendrikow. 141
36. Simon Hendrikow.
Simon Heinrich, ein Bauer aus Großlitauen, hei-
ratete Christina, eine Schwester der Kaiserin Katha-
rina I.
Er kam mit seiner Frau und seinen Kindern schon
im Jahre 1725 nach Petersburg, und war der erste von
den Verwandten der Monarchin, den man dort sah.
Da er keinen Famihennamen hatte, so machte man
einen aus seinem zweiten Taufnamen Heinrich oder
Henrich, den man etwas veränderte, und ihm eine
russische Endung gab; und so entstand der Name
Hendrikow. Um der Sache mehr Ansehen zu geben,
erhob man ihn und seine Famihe in den Grafen-
stand.
Da er, wie man denken kann, nicht die geringsten
Kenntnisse hatte, so konnte man ihm keine Stelle
geben, die mit Geschäften verbunden war. Er wurde
nur Kammerherr und erhielt keinen Ritterorden ; aber
er bekam Güter, kleinere Grundstücke und Reich-
tümer in größter Menge.
Graf Hendrikow war katholisch, wie alle Bauern in
Litauen, und blieb es auch.
Von seiner Gemahhn hinterließ er zwei Söhne und
zwei Töchter, die alle in der griechischen Religion er-
zogen wurden.
Die Söhne hießen Andreas und Iwan.
Andreas 1) wurde Kammerherr und erhielt im Jahre
1744 den Alexander-Newsky-Orden. Er starb im Jahre
1748.
Iwan wurde auch Kammerherr und bekam im Jahre
1748 den Alexander-Newsky-Orden. Er unterschrieb im
Jahre 1764 mit andern zu einer außerordentlichen
^) Mit einer Tochter des Ministers Wilinski vermählt.
1^.2 57- Anna Jefimowsky.
Kommission ernannten Männern das Todesurteil des
unglücklich gemachten Mirowitsch.
Iwan setzte sein Geschlecht fort, und lebte noch
im Jahre 1770.^)
Man findet noch in Rußland Grafen Hendrikow.
Eine seiner Töchter heiratete einen Grafen Münnich,
Enkel des Generalfeldmarschalls und lebte noch in den
neunziger Jahren.
Die Töchter des Grafen Iwan waren Maria und
Marfa oder Martha.
Maria vermählte sich mit dem nachherigen Ober-
hofmeister der Kaiserin Elisabeth, Tschoglogow, der
ihr besonders gefiel. Von ihm wird in einem eigenen
Artikel, was wir von ihm wissen, bemerkt werden.
Marfa soll in Rußland geboren worden sein. Sie
heiratete einen Russen, Seffanow, von dem wir aber
gar nichts wissen.
37. Anna Jefimowsky.
Anna, eine Bäuerin aus Litauen, war die zweite
Schwester der Kaiserin Katharina I. Sie kam schon
als Ehefrau eines polnischen Bauern nach Rußland,
der Michael Joachim hieß, von dem der künftige Ar-
tikel handelt, welcher auch einige Nachrichten von
ihren Kindern enthält.
Sie starb, wie ihre Schwester Hendrikow, als Ka-
tholikin.
1) Seine Frau war eine Tochter des Kammerherrn Butturlin.
Er hatte fünf Söhne und vier Töchter. Katharina II. charakterisiert
ihn in ihren Erinnerungen: „Alle fühlten sich in seiner Gesellschaft
wohl, ohne ihm im geringsten zu mißtrauen, weil er nie jemand
bloßstellte, noch gegen jemand fehlte. Er war ein rechtschaffener,
wenn auch etwas beschränkter Mensch, schlecht erzogen, sehr un-
wissend, aber fest und ohne Böswüligkeit" (S. 71).
j8. Michael Jefimowsky . 143
38. Michael Jefimowsky.
Michael Joachim war ein Bauer aus Großpolen und
heiratete schon in Litauen Anna, eine Schwester der
Kaiserin Katharina I.
Er wurde am Ende des Jahres 1725 nebst seiner
Frau und seinen Kindern, nach vielen Einwendungen
von Seiten seiner Gutsherrschaft, endlich mit List aus
Polen weg, und nach Petersburg gebracht.
Da er, so wie sein Schwager Hendrikow, ebenfalls
keinen Familiennamen hatte, so übersetzte man seinen
zweiten Tauf n amen Joachim ins Russische, und hing
eine russisch-polnische Endsilbe daran; und so schuf
man aus Joachim oder Jefim, den Familiennamen
Jefimowsky. Man gab diesem Bauer den Grafentitel,
und machte ihn zum Kammerherrn. Übrigens erhielt
er keine Auszeichnung und keine Geschäfte; Reich-
tümer aber und Besitzungen bekam er nicht weniger
als Hendrikow. Es ist unglaubhch, welche Summen die
Kaiserin ihrem Bruder und ihren Schwestern gab.
Graf Jefimowsky änderte ebenfalls die katholische
Religion nicht. Er starb in derselben.
Mit seiner Gemahlin erzeugte er vier Söhne, die in
der russischen Religion erzogen wurden. Sie hießen
Joseph, Iwan, Jakob und Andreas.
Einer von ihnen war Generalmajor, bekam im
Jahre 1745 den Alexander-Newsky-Orden und starb
1748. 1)
Ein andrer war Großfürstlicher Hofmarschall und
wurde 1748 Ritter des Alexander-Newsky-Ordens.
Man findet noch jetzt Grafen Jefimowsky in Ruß-
land.
Eine Tochter eines der vier Söhne des Grafen
^) Andreas wnrde Generalleutnant.
144 39- Heinrich Fick.
Michael Jefimowsky und also dessen Enkelin, heiratete
einen Grafen Münnich, Enkel des berühmten General-
feldmarschalls dieses Namens und Bruder des Ge-
mahls ihrer Kusine Hendrikow. Sie lebte noch am
Ende der neunziger Jahre.
39. Heinrich Fick.
Heinrich Fick war ein Schwede aus der niedrigsten
Klasse des Volks. Er erwarb sich das Wohlwollen der
russischen Regierung dadurch, daß er in den damaligen
Unruhen Spion in Schweden und Verräter seines Vater-
landes wurde. Fick ging nachher in russische Dienste
und wurde Sekretär des Fürsten Menschikow. Hier
erntete er den Lohn für seine unedeln Hand ungen ein.
Er erhielt beträchtliche Geldsummen und die ansehn-
liche Besitzung Kirchspiel Oberpahlen in Livland.
Peter I. stellte ihn im Kammerkollegium an und
machte ihn zum Kammerrat, mochte aber, was nicht
für Fick spricht, ihn nicht zu wichtigen Geschäften
brauchen.
Unter Katharina I. wurde er zum Vizepräsidenten
des Kommerskollegiums ernannt, weil man wollte
wahrgenommen haben, daß durch seine Bemühungen
(wahrscheinlich zum Schaden der Untertanen), die
jährhchen Zolleinkünfte mit zweimal hunderttausend
Rubel vermehrt worden waren.
Er behielt diese Stelle und seinen Kredit auch unter
der Regierung Peters IL, da er die Feinheit gehabt hatte,
nach dem Falle des Fürsten Menschikow sich an die
Famihe Dolgorucky anzuschließen.
Aber unter der Kaiserin Anna wurde er zugleich
40. Ernst Johann Bükren I. 145
mit dieser Familie unglücklich und nach Sibirien ver-
wiesen, ohne über Artikel vernommen zu werden. Sein
Verbrechen war, zu der vom Konseil verfertigten Ka-
pitulation der Anna beigetragen und unüberlegt von
Biron gesprochen zu haben.
Die Kaiserin Elisabeth ieß ihn zwar zurückkom-
men, allein er wurde nicht wieder angestellt ; und wirk-
lich verdiente er es auch nicht, nach dem allgemeinen
Urteil derer, die ihn kannten.
Fick starb auf seinen Gütern in Livland im Jahre
1751.
Er hatte, sagt man, nicht nur ein schlechtes Herz,
sondern auch nichts weiter, als den Verstand und die
Ränke eines gemeinen Spions.
Den Namen seiner Frau wissen wir nicht.
Er hinterheß nur eine Tochter, die an einen Major
Law verheiratet wurde, die ebenfalls nur zwei Töchter
gebar.
Das schöne Gut, Schloß Ober-Pahlen, blieb nicht
bei der Familie, die darüber in Prozeß geriet. In den
neunziger Jahren wurde es, wenn wir nicht irren, an
die adelige Familie Bock für zweimal hunderttausend
Rubel verkauft.
40. Ernst Johann Bühren I.
Ungewöhnliche Schicksale berechtigen allerdings zu
einer ausgezeichneten Bemerkung in den Annalen der
Menschheit. Die Muse der Geschichte findet ihre an-
genehmste Beschäftigung in der Erzählung der Be-
gebenheiten der außerordentlichen Menschen, die aus
den niedern Abteilungen des Volks, allein durch die
Russische Günstiingo. lO
146 ^o. Ernst Johann Bühren I.
Vorzüge ihres Geistes, bis nahe an den Thron hinan
strebten, und ihr Dasein durch ruhmvolle Taten und
durch weise, die Untertanen beglückende Bemühungen
merkwürdig machten. Aber sie wird mit Kummer er-
füllt, wenn sie gezwungen ist, das Geschick desjenigen
aufzuzeichnen, der ohne große Eigenschaften und ohne
wahre Verdienste, aus dem Staube auf die erste Stufe
im Staate erhoben, seine Entstehung vergessen kann;
der diejenigen mit Stolz und Verachtung behandelt,
denen Geburt und Verdienste die gütigsten Ansprüche
auf seine Macht und auf sein Ansehen geben; der in
keinem Verhältnisse des Lebens andre glückhch zu
machen versteht; der das Gefühl der Menschheit nur
zu haben scheint, um darin die Quelle der blutigsten
Grausamkeit und Ungerechtigkeit zu suchen; und
dessen Andenken mit einem Worte der Gegenwart und
der Nachwelt verabscheuend ist. Klio kann sich gleich-
wohl diesem Geschäfte nicht entziehen, und muß ihre
Beruhigung nur in dem Bewußtsein der strengsten Er-
füllung ihrer Pflichten finden.
Eine weitläufige Lebensbeschreibung Bührens darf
man nicht in einem Buche suchen, das nur dazu be-
stimmt ist, die Abrisse der Hauptbegebenheiten einiger
Emporkömmlinge aufzunehmen. Die Erzählung dessen,
was Bühren tat, oder was er nicht hätte tun sollen,
liegt außer den Grenzen desselben, und gehört in die
Geschichte der Kaiserin Anna Joannowna und des
Kaisers Joan Antonowitzsch und in die Jahrbücher
des ehemaligen Herzogtums Kurland.
Die der Welt bekannt gewordenen Nachrichten von
Bührens Familie gehen bis auf dessen Großvater.
Dieser war, ungefähr in der Mitte des siebzehnten Jahr-
hunderts, Stallknecht bei dem Herzog Jakob HL von
Kurland.
1
4-0. Ernst Johann Bühren h 147
Der Sohn dieses Mannes hieß Karl, und war im
Februar 1653 geboren.
Schon dieser machte, im Vergleich mit seinem Ur-
sprünge, ein nicht unbedeutendes Glück,
i Er lernte die Jägerei und bekam in der Folge einen
sehr einträglichen Dienst in den herzoglichen Forsten.
Dadurch wurde er in den Stand gesetzt, nicht nur ein
nach seiner Art bequemes Leben zu führen, sondern
auch seinen drei Söhnen die Aussicht nach einer Lauf-
bahn zu eröffnen, die ausgezeichneter war, als die-
jenige, auf welcher er sich selber befand.
Ein übel verstandener Ehrgeiz verleitete Bühren,
sich den Titel eines polnischen Leutnants geben zu
lassen; eine fast unbemerkbare Erhebung, zu welcher
er durch das Fürwort seines Herrn, eines der letzteren
Herzöge von Kurland aus dem Kettlerischen Hause,
leicht gelangen konnte. Die steigende Gunst seines
zweiten Sohnes am Hofe der verwitweten Herzogin
Anna von Kurland, nachherigen Kaiserin von Ruß-
land, war das Signal der Glücksveränderung der ganzen
Familie Bühren.
Hj Der Vater und seine drei Söhne verstümmelten nun
auf eine sehr vorteilhafte Art ihren Namen und nannten
sich Biron. Zu gleicher Zeit nahmen sie das Wappen
dieser in Frankreich so berühmten Familie an. Daß
der Vater mit dem mittelsten Sohne auch in den
Reichsgrafenstand erhoben worden sei, haben wir
nicht finden können. Aber ihm einen höheren Rang
zu geben, schien allerdings nötig zu sein. Friedrich
August L, um sich der Kaiserin gefällig zu zeigen,
machte ihn zum Generalleutnant, ohne ihn jedoch an-
zustellen. Übrigens hatte der Vater Biron die Beschei-
denheit, nicht an Höfen erscheinen zu wollen. Er lebte
in Kurland auf den Gütern, die er der Freigebigkeit
148 ^o. Ernst Johann Bühren I.
der Kaiserin zu danken hatte und starb daselbst im
Jahre 1734.
Von den Lebensumständen seiner Frau wissen wir
nichts weiter, als daß sie im Jahre 1661 geboren war.
Auch ihren Familiennamen wissen wir nicht.
Seine Söhne waren Karl, Ernst Johann und Gustav.
Von allen dreien wird besonders gehandelt werden,
Ernst Johann Bühren, der zweite Sohn Karl Büh-
rens, war am 12. November^) 1690 geboren.
Er und seine Brüder erhielten im Hause ihres Vaters
nur eine mittelmäßige Erziehung. Als diese einiger-
maßen vollendet sein sollte, ging Ernst Johann Bühren,
so wenig vorbereitet er auch sein mochte, doch nach
Königsberg, um daselbst, wie es hieß, zu studieren.
Von der Universität hinweg begab er sich nach
Petersburg. Er wollte dort eine Anstellung suchen, die
er aber nicht so fand, wie der Dünkel, den er von
sich hatte, sie zu verlangen wagte. Man erzählte so-
gar, er habe sich am Hofe des Zarewitsch, des Sohnes
Peters I., um die Stelle eines Kammer] unkers be-
worben, sie sei ihm aber mit der verächtlichen Be-
merkung, daß er von zu niederer Abkunft sei, abge-
schlagen worden.
Diese Erzählung ist nicht wahrscheinlich. Bühren
mußte doch gewiß gehört haben, daß man an Höfen
die Stellen, die zunächst an der Person der Prinzen
sind, gewöhnhch nicht mit Leuten besetzt, die, ohne
irgend einen Namen oder gültigen Anspruch zu haben,
sich dazu anbieten, und daß, wenn es auch damals in
Rußland an Geschäftsmännern fehlte, man doch bei Be-
setzung der Hofämter nicht in so großer Verlegenheit
war, um auf ihn Rücksicht nehmen zu müssen. Hatte
Bühren aber wirklich die Stirn, eine Kammer junker-
^) Am I. Dezember in Kalpz«em.
I
40. Ernst Johann Bükren I. 149
stelle am Hofe des russischen Kronprinzen zu ver-
langen, so war die erwähnte Antwort darauf sehr na-
türlich.
Da wir die Epoche der Namensveränderung der Fa-
milie Bühren nicht eigentlich wissen, so könnte man
vielleicht annehmen, daß Ernst Johann, ehe er nach
Rußland ging, sich den vornehmen Namen von Biron
zugeeignet habe.
Nach dem mißlungenen Versuche in Petersburg
ging Ernst Johann nach Mietau zurück, wo seine Be-
werbungen einen günstigeren Erfolg hatten.
Die verwitwete Herzogin Anna von Kurland er-
nannte ihn ungefähr im Jahre 1720 zu ihrem Kammer-
junker. Da er ein schöner Mann war, so wählte sie ihn
bald nachher zu ihrem Liebling, und knüpfte mit ihm
eine Verbindung, die nur durch den Tod dieser Fürstin
getrennt wurde. Anna beobachtete, so lange sie lebte,
in ihrem geheimen Privatleben einen außerordentlichen
Anstand. Infolge dieses Grundsatzes wollte sie ihr Ein-
verständnis verbergen, erreichte aber freihch nicht
ihren Zweck. Es geschah auf ihre Veranlassung, daß
Biron heiraten mußte, i)
Schon die Ausführung dieses Plans der Herzogin
war, wie wir weiter unten sehen werden, mit großen
Schwierigkeiten verbunden; aber sie war es weniger,
als das Verlangen, unter den Adel des Landes aufge-
nommen zu werden; ein Wunsch, den Biron mit Un-
gestüm biUigte. Solange Anna und er in Kurland
waren, konnte er nie dieses Vorrecht erlangen, und
das sonst große Ansehen der Herzogin mußte sich vor
dem Nachdrucke beugen, mit welchem der Adel von
Kurland seine Rechte verteidigte.
1) Nämlich die Hofdame Annas, Benigna von Trotta genannt
Treyden.
150 40- Ernst Johann Bühren I.
In der Folge, als Anna den russischen Thron be-
stiegen hatte, glaubte er in diesem Umstände Ur-
sachen zu finden, seine Hartnäckigkeit bereuen zu
müssen. Er veränderte sein Benehmen, und zeigte
einen entgegengesetzten Charakter. Der Adel war nur
standhaft gewesen, so lange er geglaubt hatte, nichts
fürchten zu dürfen. Jetzt bot er Biron selbst das In-
digenat an, das dieser die Gefälligkeit hatte anzu-
nehmen.
In der Zeit, als Anna und Biron noch in Kurland
lebten, machten sie im Jahre 1726 eine Reise nach
Rußland, wo damals Katharina I. regierte. Die Haupt-
veranlassung dieser Reise waren Privatangelegen-
heiten der Herzogin, die Menschikow immer verwickel-
ter zu machen suchte. Birons guter Rat trug allerdings
dazu bei, daß Anna in ihrem Gesuch glücklich war.
Übrigens hielt sich diese Prinzessin nicht lange am
Russischen Hofe auf; die geringe Auszeichnung, die
Biron daselbst erhielt, verursachte ihre baldige Rück-
reise nach Kurland.
Wer hätte damals gewähnt, daß dieser Mann an den
Orten, wo er jetzt aus Achtung für seine Gebieterin,
nur mit Gleichgültigkeit behandelt wurde, bald den
rächendsten Despositismus ausüben würde? Dennoch
geschah es.
Anna wurde im Jahre 1730 zur Kaiserin von Ruß-
land erwählt, und nun gelangte Biron sogleich zu den
größten Ehrenstellen.
Er fing damit an, Kammerherr zu werden ; bald dar-
auf erhob ihn der deutsche Kaiser in den Reichs-
grafenstand; dann wurde er Oberkammerherr und
Ritter des Andreas-Ordens. Die Ordenszeichen verschie-
dener Höfe, die mit dem russischen in Verbindung
standen, folgten bald nach.
40. Ernst Johann Bühren I. 151
Nun erst fing Biron an, in Europa bekannt zu wer-
den, und nun erst schrieb der Chef des Hauses, dessen
Namen er angenommen hatte, der Duc de Biron, an
diesen Pseudo-Biron und erkundigte sich, auf welche
Art er die Ehre hätte, mit ihm verwandt zu sein.^)
Der russische Biron verstand den persifHerenden
Ton dieser Erkundigung und zog sich aus der Ver-
legenheit, indem er gar nicht antwortete.
Aber allgemein schien man sich einstimmig das
Wort gegeben zu haben, durch Niedrigkeit dem Stolze
dieses Mannes zu frönen.
Nach der Zeit, als Ernst Johann den Kurländern als
Herzog aufgedrungen wurde, schickte der Duc de
Biron einen Kavaher von seinem kleinen Hofstaate
nach Rußland, um seinem Herrn Vetter Glück wün-
schen zu lassen.
In Kurland hatten Biron und seine Gattin immer
mit der Herzogin in einem Hause gewohnt. In Ruß-
land geschah es ebenfalls. Er und seine Famihe be-
zogen mit der Monarchin am Tage der Thronbesteigung
das Kaiserliche Palais und bewohnten es mit ihr, so
lange die Kaiserin lebte.
Auf diese Art konnte der Günsthng ohne Aufsehen
zu erregen, erst die Regierungsgeschäfte mit seiner
Gebieterin teilen, und sie alsdann unbemerkt allein
übernehmen. Dies stimmte ganz mit dem Wunsche
der Kaiserin überein, die sehr bald die alleinige Herr-
schergewalt ihrem LiebHnge überheß. Wenige Fürsten
haben das Glück, wie Anna, sich von so anerkannt
großen Männern umgeben zu sehen. Münnich, Oster-
1) Kaiserin Katharina II. erzählt in ihren Erinnerungen, daß
die französische Familie Biron den Kurländer als Verwandten an-
erkannt hatte, auf Veranlassung des Kardinals Fleury (1653 — 1743),
des Lehrers und Ministers Ludwigs XV., der sich den russischen
Hof geneigt machen wollte (Memoiren, S. 124).
152 «^o. Ernst Johann Bühren I.
mann, Golowkin, Jaguschinski, Golozin,^) Tnibetzkoy,
Löwenwolde, welche Kolossalliguren unter den Staats-
männern jener Zeit ! und doch durften sie nicht so viel
bewirken, als sie wollten und konnten, weil oft Biron
ihre Handlungen lähmte. Die Annalen der Regierung
der Kaiserin Anna sind zugleich die Geschichte seiner
Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten. Diese wurde
nur selten durch gute, zweckmäßige und weise Ver-
fügungen unterbrochen.
Sein niederdrückender Despotismus 2) erregte endlich
so viel Unzufriedenheit, daß in den Jahren 1738 und
1739 eine Empörung gegen die Kaiserin und Biron
dem Ausbruche nahe war. Man hatte förmliche Klage-
punkte gegen ihn aufgesetzt, die allerdings begründet
waren.
Die Neigung der Kaiserin zu Biron und ihre Nach-
sicht mit allen seinen Handlungen, ohne sie zu prüfen,
stritten freilich sehr mit ihren Regentenpflichten, und
waren in mancherlei Betracht verschiedenen Teilen
der Regierung schädhch, weil Biron die Güte seiner
Monarchin mißbrauchte und unter ihrer Autorität,
aber größtenteils ohne ihr Wissen, oder doch wenig-
stens unter Vorspiegelung einer scheinbaren Gerechtig-
keit, widerrechtlich und willkürlich regierte. Man be-
kam sehr zeitig Nachricht von dem Entwürfe dieses
Aufstandes und vereitelte den Ausbruch desselben,
Biron fand in der Bestrafung der vorgeblichen Em-
^) Knes Mihajla Michajlowitsch Golizin war ein Zögling Peters I.,
der ihn außerordentlich schätzte. Er leistete diesem Fürsten und
seinen Nachfolgern im Seewesen wichtige Dienste. Golizin starb
im Jahre 1760 in hohem Alter als Generaladmiral und Chef des
Admiralitätskollegiums.
*) ,,Man versichert, daß sich die Kaiserin mehrere Male ver-
geblich zu Füßen ihres Günstlings niedergeworfen habe, um von
ihm eine Milderung seiner Grausamkeiten zu erflehen" (Crusen-
stolpe 1, S. 118.)
40. Ernst Johann Bühren I. 153
pörung neue Nahrung zur Befriedigung seiner mörde-
rischen und habsüchtigen Begierden.
Seine Macht in Rußland war auf den höchsten Grad
gestiegen. Seine Reichtümer wuchsen täglich, seine
Einkünfte waren groß, sein Aufwand wurde von der
Monarchin bestritten, und er hatte überdies alle Mittel
in Händen, sich zu bereichern. In Geldsachen bediente
er sich des Hofjuden Liepmann, und teilte mit diesem
den Wucher, den sie gemeinschaftlich durch Monopole
und andere Handelsbedrückungen erpreßten.
Seine Besitzungen in Rußland waren sehr wichtig,
und wurden noch außer Landes durch die Herrschaft
Wartenberg^) in Schlesien vermehrt. Den größten Zu-
wachs aber erhielten seine Besitzungen durch das Her-
zogtum Kurland. Indem er dadurch eine kleine Sou-
veränität erhielt, wurde sein Rang der größte unter
den russischen Staatsdienern.
Durch Geld und Intrigen brachte es der russische
Hof so weit, daß die Edelleute in Kurland nach Aus-
sterben des Kettlerischen Stammes 2) im Jahre 1737
sich sehr geschmeichelt fühlten, denjenigen zu ihrem
Herzog erwählen zu dürfen, den sie zehn Jahre vorher
nicht als ihresgleichen hatten annehmen wollen. Im
Jahre 1739 erhielt der neue Herzog die Belehnung mit
seinem Lande durch Deputierte in Warschau am
Throne des Königs. In dem darauf folgenden Monat
Juli schickte der deutsche Kaiser aus eigener Bewe-
gung dem Herzog ein Diplom, in welchem er ihm den
Titel Durchlaucht erteilte. Biron hatte den Stolz, lange
^) Die Standesherrschaft Wartenberg in Schlesien, noch heute
im Besitze der Familie Biron von Kurland.
*) Der Kettlersche Stamm starb mit Ferdinand, dem Gemahl
der späteren Kaiserin Anna Iwanowna, aus. Er war der Nach-
komme Gotthard Kettlers, des letzten Meisters des Deutschen
Ordens und des ersten Herzogs von Kurland (gest. 1587).
154 ^*'" ^*'^5^ Johann Bühren I.
nicht darauf zu antworten, weil er fand, daß diese Ur-
kunde schon eher hätte ausgefertigt werden können.
Am Ende des Monats Oktober, im Jahre 1740, starb
Anna.
Der Herzog hatte es durch seinen entscheidenden
Einfluß aui die Handlungen dieser Fürstin dahin zu
bringen gewußt, daß sie ihn auf ihrem Totenbette zum
Regenten von Rußland während der Minderjährigkeit
des jungen Kaisers, Joan Antonowitsch, ernannte.
Mit dem Tode der Kaiserin trat Biron die Regent-
schaft an. Sie war das letzte Auflodern eines ver-
löschenden Lichtes. Er erhielt den Titel Hoheit, gab
und unterschrieb im Namen des Kaisers einige Schen-
kungen an die kaiserliche Famihe, Verordnungen, die
Gnadenbezeichnungen enthielten, und Urkunden, wie
sie gewöhnlich beim Antritt einer Regierung bekannt-
gemacht werden; ließ fast an jedem Tage Menschen
arretieren, die ihm verdächtig waren, und vollendete
dadurch den allgemeinen Haß. Mehr zu tun wurde er
verhindert. Nach drei Wochen verlor er alles.
Die Großfürstin Anna, Mutter des Kaisers, i) erregte
eine Revolution, die der Generalfeldmarschall Münnich
mit seinem Generaladjutanten, dem berühmten Schrift-
steller Mannstein, 2) ausführte.
^) Anna von Braiinschweig, geboren 18. Dezember 171 8 in
Rostock, gest. i8. März 1746 in der Verbannung. Sie war die
Nichte der Kaiserin und die Tochter des Herzogs Karl Leopold
von Mecklenburg. Auch eine der vielen Frauen aus deutschen
Fürstengeschlechtern, denen der russische Hermelin zum Nessus-
gewande geworden war.
^) Christoph Hermann v. Manstein (nicht Mannstein) wurde
am I. September 171 1 in Petersburg geboren. Nachdem er an-
fänglich in preußischen Diensten gestanden, trat er zur russischen
Armee über, wo er bis 1744 Adjutant von Münnich war. Unter
Elisabeth Petrownas Regierung wiederholt verleumdet und mit
Verbannung bedroht, verließ er Rußland im Jahre 1745 und trat
in Friedrichs des Großen Dienste. Im Siebenjährigen Kriege zeich-
40. Ernst Johann Bühren I. 155
Die Anekdote, ist ziemlich bekannt, daß, am Abende
vor dem Ausbruche der Empörung, Münnich bei dem
Herzog-Regenten war; daß dieser, ganz unmutig und
zerstreut, wie er an diesem Abende war, eber nichts zu
reden wußte und den Feldmarschall fragte, ob er schon
jemals in der Nacht einen gewagten und großen Streich
ausgeführt habe; daß Münnich, der sich für verraten
hielt, auf dem Punkte stand, sich dem Regenten zu
Füßen zu werfen und ihm alles zu gesteher; daß
Münnich noch Gegenwart des Geistes genug besaß, an
sich zu halten, um zu sehen, ob der Regent noch eine
Äußerung machen werde, aus welcher zu schließen sei,
daß er das Schicksal wisse oder ahne, das man ihm
zum Anbruche des kommenden Tages bereitete; und
daß endlich Münnich, völlig hierüber beruhigt, und
mit dem festen Vorsatz den Herzog-Regenten verließ,
ihm in einigen Stunden zu zeigen, wie man sich be-
nehmen müsse, wenn man ein gewagtes Vorhaben in
der Nachtzeit ausführen wolle, i)
In der Erzählung dieser merkwürdigen Begebenheit
folgen wir dem in schlechtem Stil geschriebenen Be-
richte, den der Oberstleutnant und Adjutant Mann-
stein selbst davon in französischer Sprache gegeben
hat:
,,Am letzten Sonntage, welches der 9. November
alten Stils oder der 20. November neuen Stils
nete er sich als General bei Prag aus und wurde bei Kolin verwundet,
wo er durch seinen eigenmächtigen Angriff auf den linken öster-
reichischen Flügel hauptsächlich den Verlust der Schlacht herbei-
führte. Als er mit anderen Blessierten auf der Reise nach Dresden
die Gegend von Welmina passierte, überfielen Laudons Kroaten
den Wagenzug und zerstreuten die geringe Bedeckung. ,, Wollt
ihr euch gefangen geben?" ..Nimmermehr!" antwortete Manstein
imd sprang aus dem Wagen, ergriff ein Gewehr und ward auf der
Stelle niedergehauen (27. Juni 1757). (Crusenstolpe I, S. 141 ff.)
^ Crusenstolpe I, S. 137 f.
156 40. Ernst Johann Bühren I.
war, 1740, ließ S. E. der Generalfeldmarschall Graf
von Münnich mich frühe um drei Uhr zu sich rufen,
um mit ihm auszugehen. Nachdem ich bei S. E. an-
gekommen war, gingen wir in das Winterpalais zu
I. K. H. der Prinzessin. Als der Gerieralteldmarschall
ihr gesagt hatte, er sei gekommen, ihre letzten Be-
fehle zu vernehmen, befahl er mir die Offiziere von
der Wache zu rufen. Sie kamen, und I. K. H. sagte
ihnen mit Tränen, sie möchten doch überlegen, auf
welche Art der Kaiser, sie und ihr Gemahl vom
Herzog-Regenten behandelt würden, der in allem
so viel bösen Willen gegen sie zeige, daß man glauben
müsse, er habe die Absicht, den Kaiserlichen Thron
zu usurpiren. Um dieses Unglück zu verhüten, be-
fehle sie den Officiers, den Anordnungen des General-
feldmarschalls nachzukommen und den Regenter
zu arretiren. Einstimmig willigten alle sogleich ein,
ohne sich einen AugenbHck zu besinnen. Alsdann
wendete sich S, E. der Generalfeldmarschall an mich,
indem er mir sagte, er habe das große Zutrauen
zu mir, daß ich als ein ehrlicher Mann, und als ein
treuer Diener S. K. M. handeln würde. Nachdem wir
der Prinzessin die Versicherungen unsrer Treue ge-
geben hatten, erlaubte sie uns ihre Hand zu küssen,
und umarmte uns alle, so viel wir waren. Wir stiegen
nun die Treppe hinab, und nachdem unser unver-
gleichlicher Chef die Soldaten, die auf der Wache
waren, unter die Waifen gestellt hatte, kündigte er
ihnen den Befehl I. K. M. an, dem sie willig gehorchen
zu wollen erklärten. Wir gingen alsdann mH vierzig
auserwählten Männern nach dem Sommerpalais, und
hatten unsern Schutzengel an unsrer Spitze. Als
wir ohngefähr zweihundert Schritte von der Wache
des Palais entfernt waren, schickte mich S. E. hinein.
40. Ernst Johann Bühren I. 157
die Oificiere von der Wache zu benachrichtigen, daß
sie herauskommen möchten, um Sachen von der
größten Wichtigkeit zu erfahren. Sie kamen sogleich
ohne Schwierigkeit mit mir, und nachdem ihnen der
Generalfeldmarschall den Befehl I. K. H. mitge-
teilt hatte, erboten sich alle einmütig, zu gehorchen.
Ich wurde alsdann mit zwölf Soldaten abgeschickt,
mit denen ich, ohne den geringsten Widerstand zu
finden, bis an das Schlafzimmer kam. Ich gehe zuerst
hinein, ziehe die Vorhänge vom Bett auf und rufe
laut: Wo ist der Regent? Die Herzogin, die mich zu-
erst gesehen hatte, fängt an zu schreien. Er stürzt
sich aus dem Bette heraus auf die Erde und schreit :
Wache! Ich werfe mich auf ihn und halte ihn, bis
die Grenadiere, die ich mitgebracht hatte, ins Zimmer
gekommen waren Sie ergriffen ihn, und da er sich
von ihnen losreißen wollte, Faustschläge und Fuß-
tritte gab, und aus vollem Halse schrie, stopfte man
ihm ein Schnup'tuch in den Mund, und trug ihn in
das Vorzimmer, wo man genötigt war, ihm die Hände
zu binden. Ich ließ ihn in den Wagen des General-
feldmarschalls setzen und einen Offizier von der
Wache neben ihm. Soldaten umgaben den Wagen,
der Generalfeldmarschall ging voran, und so wurde
der Gefangene in das Winterpalais gebracht." Mann-
stein sagt ferner: ,,Man ließ sogleich die Wache ins Ge-
wehr treten, und das große Conseil, das heißt, der
Senat, der Synod und die Generale, wurde ver-
sammelt. Es ist nicht eine Seele in Petersburg, die
nicht die größte Freude über dieses Ereigniss gezeigt
hätte. Nachmittags wurden der Herzog, die Herzo-
gin, der Prinz Carl und die Prinzessin nach Schlüssel-
burg in die Festung gebracht. Der Prinz Peter blieb
hier, weil ernoch krank war." Endlich schließt Mann-
1^8 <^o. Ernst Johann Bühren I.
stein: „Gestern, als den lo. erschien der Ukas, worin
befohlen wurde, dem Kaiser und der Großfürstin
Anna, seiner Mutter, als Regentin des Reichs während
seiner Minderjährigkeit, den Eid der Treue zu leisten;
welches dann auch die Regimenter, und jeder ins-
besondere, mit großer Freude getan haben, weil man
überzeugt ist, daß eine Prinzessin von so seltener Tu-
gend, und von so ausgezeichneten Verdiensten, wäh-
rend ihrer Regierung alle glücklich machen wird.
Das Benehmen des Herzogs- Regenten hat ihm seinen
Fall zuziehen müssen, denn gleich mit dem Anfange
seiner Regierung hat er die Kaiserhche Familie nicht
geschont. Er hat der Großfürstin gesagt: wenn sie den
geringsten Mißfallen zeigte, so würde er sie nach
Deutschland schicken und den Herzog von Holstein
kommen lassen. Er hat dem Herzoge von Wolfen-
büttel seine Chargen genommen, und hat ihm ver-
boten, sich öffentlich zu zeigen."
Soweit Mannsteins Bericht, der in seinem Urteil
über Biron allerdings parteiisch ist.
Obgleich Birons Handlungen seit zehn Jahren sehr
strafbar waren, so mußten doch seine Feinde selbst
gestehen, daß diese hier angeführten Beschuldigungen
meistens unbegründet waren.
Die eigentliche Ursache dieser Revolution war nur
darin zu suchen, daß Anna gern regieren wollte. Gleich-
wohl hatte sie hierzu nicht die geringsten Talente. Sie
war unwissend, wollüstig und im höchsten Grade in-
dolent ; Fehler, für welche sie, als Regentin, durch Ju-
gend und große Schönheit nicht entschädigen konnte.
In ihrer Neigung zum Regieren wurde sie durch den
Stolz, die Rachsucht, und die Begierde nach größemi
Einfluß des Grafen Münnich bestärkt.
Man schickte sogleich Kuriere nach Moskau, um
Kanzler Bestuschef
40. Ernst Johann Bühren 1 . 15 g
Birons altern Bruder, und nach Riga, um den Gouver-
neur und Generalleutnant Bismark i), dessen Gemahlin
eine Schwester der Herzogin war, in Arrest zu bringen.
In Petersburg wurden ebenfalls alle, die seine Krea-
turen hießen, als z. B. der Geheimrat Bestuschew^)
arretiert.
'^) Außer den hier angeführten Umständen wissen wir nichts
von Bismark. Er kam im Jahre 1742 mit Birons Brüdern aus der
Verbannung zurück. Zu dieser Bemerkung Helbigs diene folgende
Ergänzung und Richtigstellung: Ludolf August von Bismarck
aus der Schönhauser Linie, geboren am 21. März 1683 in Preußisch-
Holland, diente als Oberst in Magdeburg. Im Jähzorn erstach er
seinen Diener. Infolge dieser Tat nahm er 1732 seinen Abschied
und ging nach Rußland, wo er sofort in Biron einen Gönner fand.
Er wurde gleich Generalmajor und durch seine Vermählung mit
Trotta von Treiden, der Schwester von Birons Gattin, öffnete er
sich die Aussicht auf die höchsten Stellen. Schon nach einem Jahre
wuxde Bismarck Generalleutnant, dann Vizepräsident des Kriegs-
rats im Kriegsministerium xmd Gouverneur von Riga. Diploma-
tische Sendungen führten ihn nach England. Bei der Herzogswahl
Birons in Kurland (1737) besetzte Bismarck das Wahllokal in Mitau
und erzwang durch sein forsches Vorgehen die Wahl seines Schwa-
gers. Der Dank dafür war die Ernennung zum General en Chef und
zum Generalgouverneur von Livland. Beim Sturze Birons erlosch
plötzlich, wenn auch nur für kurze Zeit, Bismarcks Glücksstern.
Bismarcks Vermögen wurde beschlagnahmt und er, seiner Würden
entkleidet, nach Sibirien verschickt. Am i. (12.) Januar 1741 trat
er von Iwangorod über Moskau seine Fahrt nach Tobolsk an. Von
dort kam er später nach Joroslawl. Nach sechs Jahren der Ver-
bannung, also 1747, erfolgte seine Rückberufung und zugleich seine
Ernennung zum Oberbefehlshaber der Ukrainischen Armee. Nur
drei Jahre erfreute sich Bismarck der wiedererlangten Würde,
dann starb er 1750 in Poltawa. Aus seiner ersten Ehe mit Johanna
Margarethe von Assenberg (gest. 1719) hinterließ Bismarck eine
Tochter, Albertine Louise, die sich mit dem preußischen Offizier
Friedrich Wühelm von der Alben vermählte. Die zweite Ehe war
kinderlos.
2) Alexej Bestuschew-Riumin war aus einer mrsprünglich engli-
schen Familie in Rußland geboren. Er trat erst in englische Dienste
und dann in die Peters I. Unter dieser und allen folgenden Regie-
rungen war er Gesandter, Vizekanzler und Großkanzler. Zum
Glück der Menschheit gibt es wenig so boshafte Männer, als er war.
Er erregte eine Kabale gegen den Großfürsten Peter, deren Opfer
er selbst wurde. Elisabeth verbannte ihn auf seine Güter. Peter III.
i6o
40. Ernst Johann Bühren I.
Sobald Biron in Sicherheit gebracht war, fing man
an, sein Mobiharvermögen und seine Besitzungen zu
konfiszieren.
Der Wert der Kostbarkeiten, die man in seinem
Palais fand, behef sich auf vierzehn Mi lionen Rubel.
Unter andern war daselbst eine ganz go dene Toilette,
an welcher auch noch Edelsteine von Wert angebracht
waren. Sonderbar schien es, daß bei dem allen Biron
dreimalhunderttausend Rubel Schulden haben konnte.
In Mitau, Libau und Windau wurden alle herzog-
lichen Effekten unter Siegel gelegt. Um etwas mehr zu
tun, mußte man erst die Einwilligung Friedrich
Augusts II.i) haben, der als Oberlehensherr sich für den
Herzog verwendete.
Da aber Biron doch eigentlich in russischen Diensten
gewesen war, und jetzt als Verbrecher betrachtet
wurde, so konnte der König nichts bewirken. Er be-
willigte also aus Freundschaft für den russischen Hof
die Sequestration der herzoglichen Allodialgüter in
Kurland, und erteilte darüber die nötigen Befehle an
die dortigen Oberräte oder Minister. Zugleich aber
unterließ der König nicht, für die Freiheit seines Va-
sallen zu bitten. Münnich und Ostermann waren die
Männer, an die man sich besonders wenden mußte,
wenn mein damals von Rußland etwas verlangen
wollte.
Münnich antwortete: die Betrügereien und Unge-
rechtigkeit Birons wären zu groß, um ihn ungestraft
frei zu lassen ; täglich würden deren mehrere offenbar.
rief ihn nicht zurück, aber Katharina II. machte eine Demonstra-
tion von Dankbarkeit für seine ihr günstigen Gesinnungen. Sie
ließ ihn kommen, gab ihm keine Geschäfte, aber 20000 Rubel
Pension. Bestuschew starb im Jahre 1768 in einem Alter von
78 Jahren. H.
^) von Sachsen-Polen (1696 — 1763).
40. Ernst Johann Bühren I. l6l
Der König verliere durch ihn nichts ; die Freundschaft
und Hochachtung der Großfürstin-Regentin gegen
Friedrich August II. wäre zu fest gegründet; das ver-
einigte System der Höfe zu Dresden und Petersburg
bliebe das nämliche; zu dem Besitze des Herzogtums
Kurland könne Biron nicht wieder gelangen, weil er
ein Verbrecher sei ; der König würde also den größten
Beweis seiner Zuneigung für den russischen Hof geben,
wenn er seine Beistimmung zu der Wahl eines neuen
Herzogs in der Person eines Prinzen von Braun-
schweig^) erteilen wollte.
Ostermann antwortete, wie gewöhnlich, mit Phrasen,
die, wenn man sie zergliederte, nichts bedeuteten.
Man glaubte daß schon im Monat März 1741 ein
endliches Urteil über Biron würde gesprochen werden ;
aber die wider ihn niedergesetzte Kommission wurde
vielmehr erst noch erneuert, und zu seinem fernem
Verhör nach Schlüsselburg geschickt. Dahin wurde
auch Bestuschew, der ebenfalls in das Unglück des
Herzogs verwickelt war, gebracht, um mit Biron zu-
sammengestellt zu werden.
Endlich wurde im Monat Mai 1741 das über den vor-
mahgen Herzog-Regenten abgefaßte Urteil öffentlich
ausgeteilt und drei Sonntage nacheinander in allen
Kirchen bekanntgemacht.
Man verdammte ihn zum Tode, aber die Regentin
schenkte ihm das Leben, doch sollte er zu ewiger Ge-
fangenschaft nach Sibirien gebi^acht werden. In Pelym
sollte sein künftiger Aufenthalt sein.
^) Wahrscheinlich zielte Münnich auf den Prinzen Ludwig, der
damals in Rußland war, um Elisabeth zu heiraten. Er ging nach
der Revolution dieser Prinzessin nach Holland, wo er sich verhaßt
und verächtlich machte. Die Holländer nannten ihn, weil er sehr
dick war, das Braunschweigische Monstrum. Er mußte Holland
verlassen und ging nach Weimar, wo er starb. H.
Russische Günstlinge. II
102 40- Ernst Johann Bühren I.
Diese kleine Stadt, die damals ungefähr sechzig
schlechte Häuser in sich faßte, liegt sechshundert
Werste hinter Tobolsk, der Hauptstadt von Sibirien.
Ein geschickter Architekt war schon lange dahin ge-
schickt worden, um ein kleines hölzernes, mit hohen
Palisaden umgebenes Gebäude aufzuführen, dessen
Riß Münnich selbst entworfen hatte.
Der Unglückliche ahnte damals nicht, daß seine
Feinde die studierte Grausamkeit haben würden, ihn
bald selbst dieses Haus bewohnen zu lassen.
Durch die neuesten Ereignisse hatte die Gesundheit
Birons sehr gelitten. Es wurde ihm aber alle mögliche
Hilfe geleistet, und er und seine Familie wurden über-
haupt sehr gut gehalten.
Nachdem er wieder hergestellt war, wurden An-
stalten zur Abreise nach Sibirien gemacht. In der Folge
sollte zwar Biron, wie die Großfürstin-Regentin ver-
sprach, an einen andern Ort kommen, weil das Klima
in Pelym zu rauh ist, aber jetzt sollte er doch dahin
gehen und auch daselbst bleiben. Zu seiner Aufsicht
wurde ihm ein Offizier von der Leibgarde gegeben, der
alle Jahre abgelöst werden sollte. Übrigens wurde dem
unglücklichen Herzoge und seiner Familie ein an-
ständiger Unterhalt ausgemacht. Es wurde ihm auch
ein deutscher evangelischer Prediger zugegeben, des-
gleichen auch ein Wundarzt, der einige Zeit vorher das
Unglück gehabt hatte, einen russischen Offizier zu er-
stechen, und sein Leben, das er verlieren sollte, nur
unter der Bedingung, den Herzog zu begleiten, erhalten
konnte.
Von nun an verliert Birons Leben zwanzig Jahre
lang alles Interesse. In Pelym bheb er nur ein Jahr.
Münnich, der Stifter und Beförderer seines Unglücks,
löste ihn dort ab.
]}Ol'l^C]-jÄll]:> O^Ri,- TOPHI ^^ ' Ä
KiOiwiCJ-; . W
'-'' "c .^•J / , \ -' inj/ /, <7>L i^, ^ ^ ^/ Fr/,7 JLr ' ! ' ^
Arrrcrr J~ Sji Jri7f^SJh///nt.',!fri / /Vv/< r LlitU^--^ -f-jü.r-^cir.r-
ipriiBii'WMiiHiiiiaiMiJitBiiujiiiiiwBiiii iiipitiii^
40. Ernst Johann Bühren I. 163
Als Biron von dort weg und Münnich hingebracht
wurde, begegneten sich diese beiden merkwürdigen
Männer auf der Landstraße. Beide sahen einander
starr an und fuhren vorüber, ohne nur durch irgend-
einen Bhck ihre Empfindungen zu verraten.
Der Herzog hatte immer gesagt: die Prinzessin
Ehsabeth würde ihn noch aus der Gefangenschaft be-
freien. Nach ihrer Thronbesteigung erinnerte sie sich
dessen, und einer ihrer ersten Befehle betraf die Be-
freiung der Familie Biron. Allein es gab Leute an dem
Hofe dieser Fürstin, die den Herzog nicht zurückzu-
wünschen Ursache hatten.
Elisabeth, die leicht zu lenken war, widerrief ihren
Befehl, und ließ die Familie Biron, die schon von
Pelym abgereist war, nach Jaroslawl gehen. Dieser Ort
ist eine Provinzialstadt im Gouvernement dieses Na-
mens, die ihren damaligen Flor, der bei weitem größer
war, als jetzt, unter der Staatsverwaltung des Herzogs
erlangt hatte. ^
Hier lebte die Familie Biron, bis an das Ende der
Regierung der Kaiserin Elisabeth, mit großer Freiheit
und sogar im Wohlstande, weil man ihr die Einkünfte
ihrer Allodialgüter in Kurland vorbehalten hatte.
Peter HL ließ aus eigener Bewegung 1762 den Her-
zog zurückkommen.^)
Seit den fünfziger Jahren hatte sich Friedrich
August IL nicht mehr für die Freiheit dieses Ge-
fangenen verwendet.
Elisabeth, um der immerwährenden abschlägigen
Antworten überhoben zu sein, hatte ein für allemal
für sich und ihre Nachfolger erklärt, daß Biron nie
wieder auf freien Fuß kommen, noch weniger jemals
wieder in den Besitz des Herzogtums Kurland einge-
^) Crusenstolpe I, S. 210 ff.
164 4(^- Ernst Johann Bühren I.
setzt werden sollte. Auf eigene Veranlassung der Elisa-
beth war nun dieses Land dem Prinzen Karl von
Sachsen und Polen erteilt worden.
Es entstand jetzt ein Gemisch von Wohltätigkeit
und Ungerechtigkeit, und vernichtete dies alles.
Als Biron das erstemal vor dem Kaiser erschien,
warf er sich ihm zu Füßen, dankte für die erlangte
Freiheit und bat um fernere Gnade.
,,Wenn Sie auch", sagte Peter III., indem er ihn
aufhob, ,, nicht eben wieder Herzog von Kurland wer-
den, so will ich Sie doch auf eine Art entschädigen,
daß Sie zufrieden sein können."
Diese Erklärung klang freilich sehr edel, der Sinn
derselben war es aber nicht.
Biron sollte zwar Kurland nicht bekommen, aber
demungeachtet sollte doch der jetzige rechtmäßige
Besitzer dieses Landes daraus vertrieben werden. Das
sächsische Haus, und besonders der Prinz Karl, waren
dem Kaiser aus tadelnswürdigen Privatursachen ge-
hässig. Jetzt wollte er seinen Haß zeigen, dem Herzog
Karl das Land mit Gewalt nehmen, und es einem
seiner holsteinischen Vettern geben.
Die Erzählung der Absichten des Kaisers mit Biron
gehört nicht hierher. Sie blieben überdies nur ein Pro-
jekt.
Indessen lebte Biron in Petersburg während der
kurzen Regierung Peters III. und wohnte in dem Hause
seines Schwiegersohnes, des Barons Tzscherkassow.
Hier, an dem Hofe des Kaisers, wo so viele Menschen
sich wieder fanden, von denen einer das Unglück des
andern gemacht hatte, hier trafen sich auch Biron und
Mürmich wieder an. Die Empfindungen aller dieser
Personen, besonders aber dieser beiden Männer, wür-
den, wenn sie bekannt wären, dem Psychologen noch
40. Ernst Johann Bühren I. 165
manche unbekannten Falten des menschlichen Herzens
entwickeln.
Als Biron und Münnich sich das erstemal bei Hofe
sahen, rief ihnen Peter III. entgegen: ,,Ah, das sind ja
zwei alte gute Freunde, diese müssen zusammen
trinken." Er ließ sogleich Wein geben, goß ein und gab
selbst jedem ein Glas. In dem Augenblicke trat Gudo-
witzsch ins Zimmer, und sagte dem Kaiser etwas ins
Ohr (hinterdrein erfuhr man, daß es ein entfernter
Wink gewesen war, den Monarchen auf die künftige
Revolution aufmerksam zu machen, den er aber nicht
achtete). Peter III. ging hinaus und blieb lange weg.
Sobald er sich entfernt hatte, sahen sich Biron und
Münnich mit dem ernsten Blick der unterdrückten
Rache an, und mit einer Bewegung setzten sie die
Gläser auf den Tisch und wendeten sich den Rücken
zu. Der Kaiser kam ins Zimmer zurück, hatte aber zum
Glück die Aussöhnung vergessen, denn schwerlich wür-
den Biron und Münnich bei der Farce dieser Szene in
ihrer Miene den Ausdruck ihres Charakters haben er-
halten können.
Bald darauf erfolgte die bekannte Revolution (1762).
Biron hatte während seiner Verbannung und im voll-
ständigen Gefühle seiner Ohnmacht so wenig seinem
Henkersinne entsagt, daß er bei dieser Gelegenheit
noch erklärte: ,, Hätte Peter III. aufknüpfen, köpfen
oder rädern lassen, so würde er Kaiser gebheben sein,"
Birons Maxime konnte richtig sein, aber ihre Aus-
führung wäre doch für die russische Nation fürchter-
lich gewesen.
Für Biron war die Regierungsveränderung in Ruß-
land sehr glücklich. Katharina IL fühlte nicht so viel
Zuneigung für das holsteinische Haus, wie Peter III.
gehabt hatte, aber sie teilte mit ihrem Gemahl den Haß
l66 40. Ernst Johann Bühren I.
gegen das Haus Sachsen. Ohne Rücksicht auf die ge-
kränkten Empfindungen des Vaters und die verletzten
Hoheitsrechte des Lehensherrn zu nehmen, schrieb Ka-
tharina IL an Friedrich August U. einen Brief, der
immer ein Dokument einer hämischen und unge-
schickten Verhöhnung bleiben wird. Sie sagte ihm : sie
eile, der so oft geschehenen großmütigen Verwendung
des Königs für den Herzog Biron von Kurland "Genüge
zu leisten, und erwarte nur die Genehmigung des
Lehensherrn, um ihn in sein Land zurückkehren zu
lassen. An den Prinzen Karl, als rechtmäßigen Herzog
von Kurland, dachte sie mit keiner Silbe. Die ver-
einigten Vorstellungen des Königs und der kurländi-
schen Stände halfen nichts. Karl wurde endlich in
Mitau so eingeengt, daß er fliehen mußte, um nicht
gefangen zu werden. Friedrich August IL, der größere
Weitläufigkeiten vermeiden woUte, hatte die Mäßigung,
die Entscheidung der Sache der Kaiserin zu über-
lassen. Bald nachher (1763), wurde Biron mit Gewalt
in Kurland eingesetzt.
Der König starb noch in dem nämlichen Jahre, 1763,
und sein Nachfolger Stanislaus Poniatowski bestätigte
im Jahre 1764 Birons Wiedereinsetzung in Kurland.
1 Von dieser Zeit blieb der Herzog immer in seinem
Lande und regierte mit so großer Strenge, daß die
Klagen der Untertanen gegen ihn sehr laut wurden.
Nach einigen Jahren^) übergab er die Regierung seinem
ältesten Sohne.
Biron starb in Mitau am Ende des Jahres 1772, in
einem A ter von 82 Jahren ; der russische Hof erzeigte
seinem Andenken die Ehre, im Januar 1773 acht Tage
lang die Trauer um ihn anzulegen.
Er hatte viel Verstand, und, nachdem er einige
*) Am 24. November 1769.
I
.••"?^»1£
Nach dem Gemälde von Bonvicini gestochen von J. E. Nilson
40. Ernst Johann Bühren I. 167
Jahre in Rußland gearbeitet hatte, große Kenntnisse
vom russischen Reiche. Außerdem besaß er allerdings
Fähigkeiten zu Regierungsgeschäften, und trug dazu
bei, daß die Regierung der Kaiserin Anna für eine der
ruhmwürdigsten ihres Jahrhunderts gehalten wird.
Übrigens wissen wir, daß er eine sehr mittelmäßige
Erziehung gehabt hatte ; er sprach nicht einmal Fran-
zösisch. Sitten hatte er gar nicht. Seinem Charakter
nach war er prachtliebend, herrschsüchtig, ehrgeizig,
unhöflich, gewinnsüchtig, unversöhnlich und grausam.
Daß ehemals Ernst Johann Biron in Kurland ge-
heiratet hatte, wissen wir schon. Es geschah nach dem
Willen der Herzogin Anna, damit ihr eigenes Ver-
ständnis mit ihm weniger verdächtig scheinen sollte.
Biron gab sich viel Mühe, eine Braut zu bekommen,
aber die reichen Edelleute in Kurland trugen alle Be-
denken, einen Mann ohne Namen in ihre Familien auf-
zunehmen. Endlich verstand sich doch ein Edelmanr
dazu. Es war Wilhelm von Trotta, genannt Treyden,
ein Mann von sehr guter Famihe, der aber in äußerst
dürftigen Umständen lebte. Dieser gab ihm seine
Tochter. Sie hieß Benigne Gottliebe, war am 4. Ok-
tober 1703 geboren und wurde mit Biron im Jahre 1722
vermählt. Von den Eigenschaften der Herzogin wissen
wir nichts, als daß sie einen unerträghchen Stolz hatte,
übrigens aber viel Anhänghchkeit an ihren Gemahl
zeigte, seine Launen mit Ergebung zu tragen wußte,
und sie auch wohl zu mildern verstand. Die Zeit ihres
Todes ist uns unbekannt.
Biron hinterließ zwei Söhne und eine Tochter, deren
Lebensumstände wir noch oberflächlich berühren
wollen.
Peter war am 4. Januar 1724^) geboren.
^) Am 15. Februar 1724.
l68 40. Ernst Johann Bühren I.
Viele Personen am Petersburger Hofe behaupten,
von ihren Eltern und Großeltern gehört zu haben, daß
Peter zwar ein Sohn von Ernst Johann, aber nicht von
der vorgeblichen Mutter, Benigne Gotthebe, sondern
von der verwitweten Herzogin Anna von Kurland,
nachherigen Kaiserin von Rußland, gewesen sei. Man
sagt sogar, daß Peters Gesichtszüge mit denen der
Anna große Ähnlichkeit gehabt hätten.
Peter erhielt in Rußland eine für die damaligen
Zeiten sehr gute Erziehung.
Bei dem Falle seines Vaters blieb er in Petersburg,
weil er am hitzigen Fieber krank lag. Als er wieder
hergestellt war, mußte er das Schicksal seines Vaters
teilen. Nach seiner Zurückkunft nach Petersburg
(1762) machte ihn Peter HI. zum Generalmajor von
der Kavallerie.
Am Ende der sechziger Jahre übergab ihm sein
Vater die Regierung in Kurland. Es sei nun, daß die
Stände anfänglich noch erbittert gegen den Vater
waren, oder daß sie in der Folge aus andern Gründen
auch mit ihm unzufrieden zu sein, Ursache hatten, so
ist doch so viel gewiß, daß seine Regierung höchst
stürmisch war. Der unmäßigen Habsucht des Herzogs
gab mein die meiste Schuld. Er sammelte unermeßliche
Reichtümer, und als ob er sein Unglück vorausgesehen
hätte, kaufte er viel Güter in Böhmen und im preußi-
schen Staate. Um nach seinem Willen handeln zu
können, verwendete er Begünstigungen, Geschenke
und Geld an die Höfhnge und Minister in Rußland, die
ihm aber nichts halfen. Endhch brach die Unzufrieden-
heit öffentlich aus. Eine Deputation der Stände ging
nach Petersburg, und Katharina IL, die nicht den
entferntesten Schein eines Rechts hatte, aber aufge-
bracht darüber war, daß der Herzog sich an Preußen
40. Ernst Johann Bühren I. 169
anschloß, maßte sich an, Schiedsrichterin zwischen
dem Herzoge und den Ständen zu sein. Sie ghch dabei
dem Richter in der Fabel, der die Auster verschluckte,
und jeder Partei eine Schale gab. Sie nahm das Herzog-
tum Kurland in Besitz. Nie ist eine Usurpation von
unanständigem und empörendem Umständen be-
gleitet gewesen, als diese. Eine gewonnene Deputation,
die nicht von dem Lande dazu berufen war, kam nach
Petersburg, und trug das Land an, über das zu dispo-
nieren sie kein Recht hatte. Zu gleicher Zeit ließ man
den Herzog auch dahin kommen, und nun erlebte er
die größte Demütigung, die je ein Fürst erlebt hat.
Er mußte im Sommer 1795 dem Besitze von Kurland
entsagen; die Kaiserin geruhte an dem Tage mit großer
Feierlichkeit in einer öffentlichen Audienz im Sommer-
gartenpalais das von der Deputation ihr angebotene
Land anzunehmen ; und diese Deputation hatte an dem
nämlichen Tage die Unverschämtheit, ihrem abge-
setzten Herzoge die Visite zu machen.
Man hätte glauben sollen, so viel Unfälle würden
diesen Mann niedergeschlagen haben, aber man sagt,
sein Charakter wäre immer der nämliche geblieben.
Er ging auf Reisen und auf seine Güter und starb den
13. Januar 1800.
Peter war dreimal verheiratet und in keiner Ehe
glücklich. Wahrscheinhch war dies seine Schuld.
Seine erste Gemahlin war eine Prinzessin von Wal-
deck. So viel wir wissen, trennte er sich von ihr, und
sie starb bald nachher.
Nach ihrem Tode vermählte er sich mit einer
Kneschna Yusupow^). Sie konnte nicht mit ihm leben
^) Der Bruder dieser Dame lebt wahrscheinlich noch in Peters-
burg als Wirklicher Geheimer Rat und Ritter des Andreas-Ordens.
Dieser sehr reiche Mann ist Beschützer imd Kenner der Künste und
170 40- Ernst Johann Bühren I.
und verließ ihn sehr bald. Er mußte ihr achtzigtausend
Rubel sogleich und jährlich zwanzigtausend Rubel
geben. Sie starb in Rußland.
Endlich vermählte er sich mit seiner letzten Ge-
mahlin, Anne Charlotte Dorothea, i) geborene von
Medem,2) aus Kurland.
Lange Zeit lebte er glücklich mit ihr, aber endlich
wurde auch die Zufriedenheit dieser Ehe gestört. Diese
liebenswürdige Frau ist durch ihre Liebe zu den Wissen-
schaften, durch ihre ästhetischen Kenntnisse und durch
ihre umfassenden Empfindungen des rjbxaXbv rühm-
lichst bekannt. Sie hat sehr große Reichtümer. In den
letzten Jahren lebte sie in Berlin und jetzt in Peters-
burg.
Nur sie allein hat dem Herzog Kinder gegeben, und
zwar vier Töchter.
Katharina Friderike, die älteste und reichste, die
man von ihrer Besitzung Herzogin von Sagan nennt,
war sonst mit einem Prince de Rohan vermählt, trennte
sich von ihm und heiratete einen Knes Trubetzkoy,
der ebenfalls wieder entfernt von ihr in Rußland lebt.
Die zweite, Maria Paulina, ist die Erbprinzessin von
Hohenzollern-Hechingen, ist aber selten bei ihrem
Gemahl.
Die dritte, Johanna Katharina, war in den letzten
Lebensjahren ihres Vaters bei ihm. In dieser Epoche
hatte er freilich nicht mehr die Eigenschaften, die er-
fordert werden, um die Aufsicht über eine junge,
Wissenschaften. Seine Gemahlin, geborene Engelhardt, ist eine
Nichte des Fürsten Potemkin und Witwe des Generals Michajla
Potemkin. H.
1) Sie (1756 — 1833) ist die jüngere Schwester der talentvollen
deutschen Schriftstellerin Elisa Charlotte von der Recke (geb. 3. Fe-
bruar 1761, gest. 30. August 1821).
') Diese Familie wurde nachher in den Grafenstand erhoben.
40. Ernst Johann Bühren I. 171
reizende und lebhafte Tochter zu führen. Sie ist jetzt
mit einem Duca d'Acerenza-Belmonte-Pignatelli ver-
mälilt, der gewöhnlich in Berlin lebt.
Die vierte, Dorothea, ist noch unverheiratet, i)
Karl Ernst, 2) der zweite Sohn des Herzogs Ernst
Johann Biron, war den 30. September 1728 geboren.
Er wurde mit seinem Bruder zugleich erzogen und
teilte alsdann mit ihm die Schicksale ihres Vaters.
Peter III. ernannte ihn zum Generalmajor der In-
fanterie. (1762.) Sein Vater äußerte immer Unzu-
friedenheit mit ihm, und mit seinem Bruder war er
wegen Geldforderungen, die Karl Ernst machte, und
die, wie man sagt, wenigstens in ihrem Entstehen,
nicht ganz unbegründet waren, in ewigem Streit.
Überhaupt war das Leben dieses Prinzen ein Wechsel
unverschuldeter Unglücksfälle, und ein Gewebe von
Verirrungen, die ihn in die unangenehmsten Verhält-
nisse setzten. Wir wollen den Grund oder Ungrund
dieser Verirrungen dahingestellt sein lassen. Indessen
waren sie in der öffentlichen Meinung für ihn so nach-
teihg, daß Katharina II. von ihm die demütigende Ver-
zichtleistung auf die Sukzession in Kurland, zum Vor-
teil seines Sohnes, verlangen konnte. Karl Ernst starb
auf einem Landgute in Preußen am 16. Oktober 1801
in nicht sehr begünstigten Glücksumständen.
Seine Gemahlin war eine PoHn aus dem alten und
berühmten Geschlecht Poninski. Ob sie noch lebt,
wissen wir nicht.
^) Sie wurde 1809 die Gattin des Herzogs Alexander Edmond
von Talleyrand, Herzogs von Dino (gest. 1872).
^) Anekdoten von Karl Biron, wahr oder unwahr, sind gedruckt
unter anderem in dem Buche: ,, Merkwürdige, in dem Archive der
Bastille wirklich gefundene Inquisitions-Akten,> Protocolle und
andre wichtige Papiere. Ein Beitrag zur Geschichtskunde und
Menschenkenntniss." Leipzig 1790.
172 ^o. Ernst Johann Bühren I.
Die Kinder aus dieser Ehe waren zwei Söhne und
zwei Töchter.
Der jüngste Prinz, Peter Alexius, ist russischer
Kammerherr, hatte einen Prozeß mit seiner Tante und
ihren Töchtern, der sich für ihn vorteilhaft entschied,
und soll jetzt auf Reisen sein.
Das Schicksal der Töchter Luise Karoline und
Anna Katharina ist uns unbekannt.
Dem ältesten Sohne Calixt Gustav ging eine Morgen-
röte von Glück auf, die ihm einen glänzenden Tag
versprach.
Katharina IL, um den Herzog Peter recht zu krän-
ken, hatte die vorübergehende Idee, diesen jungen
Biron an ihrem Hofe zum künftigen Herzog von Kur-
land zu erziehen; eine Idee, die sie sehr bald bereute.
Der Oberst Budberg^) wurde im Anfange der neun-
ziger Jahre insgeheim nach Preußen geschickt, trat
mit dem Prinzen Karl Ernst Biron in Unterhand-
lungen, 'die, wie wir gesehen haben, sich nicht sehr
ehrenvoll für diesen endigten, und brachte dessen
Sohn, den Prinzen Calixt Gustav, nach Petersburg.
Die Kaiserin empfing ihn mit so ausgezeichneter
Gnade, daß man gar glaubte, es könne einst die Rede
davon sein, ihm die Großfürstin Helena, die in der
Folge den Erbprinzen von Mecklenburg- Schwerin hei-
ratete, zur Gemahhn zu geben.
Er wohnte in der Stadt, aber die Kaiserin ließ ihn
oft bei sich speisen und täglich zu sich und zu dem
jungen Großfürsten kommen. Dieser mußte ihn sogar
besuchen.
^) Der Oberst Budberg war in der Folge Ambassadeur in Schwe»
den und hatte endlich auf kurze Zeit das Portefeuille der auswärtigen
Angelegenheiten in Petersburg. Ehemals hatte er einigen Anteil
an der Erziehung des jetzigen Kaisers. Im Jahre 1808 hat er seine
gänzliche Entlassung erhalten. H.
40. Ernst Johann Bühren 1. 173
Einst, als er bei der Kaiserin war, stellte ihn diese
Monarchin einem vornehmen Herrn vom Hofe vor,
sprach alsdann mit diesem Herrn von ihrem groß-
mütigen Vorhaben, dem jungen Biron zu dem recht-
mäßigen Besitze von Kurland zu verhelfen, und schloß
mit den merkwürdigen Worten: „il me paroit, que
c'est de toute justice."
Aber nicht lange hernach schien es ihr ebenfalls de
toute justice zu sein, die Erwartungen des Prinzen
Gustav Biron zu täuschen, und das Herzogtum für
sich zu nehmen. Die glänzenden Hoffnungen gingen
nach und nach in Rauch auf, und der junge Erbprinz
von Kurland wurde — Gardeoffizier und Kammer-
herr.
Indessen hatte das von der Kaiserin entworfene und
wieder aufgegebene Projekt doch den Vorteil, daß die
Söhne des Prinzen Karl Ernst Biron (denn der jüngste
war mit seiner Mutter auch nach Petersburg gekom-
men), eine gute Erziehung erhielten.
Auch ihre Glücksumst ände verbesserten sich, denn
der Herzog mußte, zur Erziehung seiner Neffen, an
der ihm freilich wenig lag, wenn wir nicht irren, jähr-
lich vierzigtausend Albertstaler geben, und andere be-
trächtlichen Forderungen des Prinzen Karl Ernst be-
friedigen.
Prinz Gustav Biron hat in Schlesien Güter gekauft,
wo er jetzt lebt.^)
Neuerlich hat er sich mit einer Gräfin Malzahn ver-
mählt, deren Vater große Besitzungen in dieser Pro-
vinz hat.
Die Tochter des Herzogs Ernst Johann Biron von
^) Er kämpfte auf Preußens Seite gegen Napoleon I. und starb
als preußischer Generalleutnant und Gouverneur der Festung Glatz
am 20. Juni 1821.
1 74 4'^- Ernst Johann Bühren I.
Kurland, Hedwig Elisabeth, war den 23. Juni 1727 ge-
boren. Sie wurde in Rußland sehr gut erzogen. Im
Jahre 1740 machte man schon dem Vater Heirats-
anträge.
Ein apanagierter Prinz von Sachsen- Meiningen hielt
um sie an, und schrieb sogar an den Chef seines Hauses,
den König Friedrich August H., um ihn zu bitten, daß
er seine Anträge bei dem Herzog unterstützen möchte.
Wer hätte geglaubt, daß der König sich in dieser
Sache kompromittieren würde, und dennoch ge-
schah es,
Biron hatte die Frechheit, das Gesuch des Prinzen
abzuschlagen.
Bald hernach erfolgte die Revolution, und Hedwig
Elisabeth begleitete ihre Eltern und Brüder nach
Schlüsselburg und an die Orte ihrer Verbannung.
Hier mochte sie lange Weile haben, denn wohl nur
dieser Empfindung kann man den Entschluß zu-
schreiben, die griechische Religion anzunehmen. Die
Kaiserin Elisabeth erfuhr ihn, und schwach und aber-
gläubisch, wie sie war, eilte sie, diesen falschen Religions-
eifer zu belohnen. Die Prinzessin Hedwig Elisabeth
erhielt ihre Freiheit, nahm am 26. August 1749 die
griechische Religion an, und wurde kaiserliche Staats-
dame, i)
Sie hatte Zeit genug, den ungeschickten Stolz ihres
Vaters, der sie wahrscheinlich einem regierenden
Fürsten bestimmte, zu bereuen.
Sie wurde alt und mußte endlich im Jahre 1759 einen
Baron, Alexander Tscherkasson, heiraten, der damals
nur Leutnant der russisch-kaiserlichen Garde war. Wir
^) über die Abenteuer dieser Dame am kaiserlichen Hof erzählt
Katharina II. in ihren Erinnerungen. Sie haßt die Prinzessin imd
anscheinend nicht mit Unrecht.
41. Carl B Uhren II. 175
glauben gehört zu haben, daß diese Ehe nicht glück-
lich war, und keine Kinder aus derselben kamen.
Übrigens wissen wir nichts von den Lebensumständen
der Hedwig Elisabeth. Um wohlfeiler leben zu können,
ließ sie sich in Dorpat, einer ansehnlichen Stadt in
Livland, nieder, und lebte daselbst noch am Ende der
neunziger Jahre.
41. Karl Bühren II.
Karl Bühren, der ältere Bruder des Herzogs, ging
in seiner frühen Jugend in russische Kriegsdienste. Er
wurde Offizier, aber bald nachher in dem damaligen
Kriege von den Schweden gefangen. Bühren entkam
durch die Flucht, ging nach Polen, und wurde in dor-
tigen Militärdiensten Oberstleutnant.
Sobald die Herzogin Anna von Kurland den russi-
schen Thron bestiegen hatte, ging Karl Bühren nach
Rußland, wo er sehr bald General en Chef und endhch
Kommandant von Moskau wurde. Er war es noch bei
dem Falle seines Bruders.
Es wurden damals gleich Befehle nach Moskau und
Riga geschickt, ihn und den General Bismark, Kom-
mandanten in Riga, der ein Schwager des Herzogs
Biron war, zu arretieren.
Karl Biron wurde ebenfalls an einen Verbannungs-
ort gebracht.
Im Jahre 1742 kam er schon wieder in Freiheit.
Dies geschah zu eben der Zeit, als der Herzog von
Pel5mi nach Jaroslawl gebracht wurde.
Karl Biron ging nun auf seine Güter in Kurland,
wo er auch gestorben ist.
Er war höchst ungesittet und ein Trunkenbold.
176 4^- Gustav B Uhren III.
Durch Schlägereien im Rausch hatte er sich eine
Menge Wunden zugezogen, die ihn zum Dienst ganz
untüchtig machten.
42. Gustav Bühren III.
Gustav Bühren, der jüngste Bruder des Herzogs von
Kurland war anfänglich in polnischen Kriegsdiensten.
Nach der Thronbesteigung der Kaiserin Anna ging
er nach Rußland, wurde Major bei der Garde, und sehr
bald General en Chef.
Das Unglück des Herzogs hatte auch einen widrigen
Einfluß auf Gustav Biron, der sich eben damals in
Petersburg aufhielt. Mannstein sagt in seiner Relation:
,,Auf dem Rückwege vom Palais des Sommergartens
nach dem Winterpalais, wurde ich abgeschickt, um
den General Biron zu arretieren. Ich fand ihn im
Bette, und sagte ilim, er möchte geschwind aufstehen,
weil ich ihm etwas Wichtiges zu sagen hätte. Nach-
dem er auf diese Art bis an die Tür gekommen war,
ergriff ich seine beiden Hände und sagte ihm, daß ich
ihn im Namen I. K, H. arretierte, und daß der Her-
zog, sein Bruder, ebenfalls schon arretiert sei. Er fing
an die Wache zu rufen, aber man stopfte ihm ein
Schnupftuch in den Mund. Ein Soldat hatte, ehe er
ins Zimmer trat, die Vorsicht gebraucht, den Riemen
von seiner Flinte loszumachen. Mit diesem band man
ihm die Hände, dann legte man ihn in einen Schhtten,
hüllte den Kopf in einen Soldatenmantel und brachte
ihn in das Winterpalais, wo der Herzog schon in Ver-
wahrung war." — Gustav Biron kam nun ebenfalls
nach Sibirien.
i
43- Eichler. 177
Jm Jahre 1742 wurde er wieder zurückgerufen, und
ihm eine Stelle bei der Armee versprochen, aber er
starb zu Petersburg, noch ehe er dieselbe erhielt.
Gustav Biron war ein sehr rechtschaffener Mann,
aber ohne Erziehung, wie seine Brüder und ohne Ver-
stand.
43. Eichler.
Eichler, ein Deutscher, von ganz geringem Her-
kommen, war ein Flötenspieler im Dienste eines der
Knesen Dolgorucky, welche die Gunst Peters III. aus-
schließhch besaßen. Durch die Unterstützung seines
Herrn erhielt Eichler einen Platz in einer kaiserlichen
Kanzlei.
Unter Regienmg der Kaiserin Anna wurde er
Kabinettssekretär, und in dieser Stelle vom Kabinetts-
minister Walinsky in vielen Geschäften gebraucht.
Dies gereicht Eichlers Fähigkeiten sehr zur Ehre.
Wahnsky war einer von Rußlands großen Männern,
und überdies nicht sehr nachsichtig. Er würde ihn
also gewiß nicht so lange unter seiner Direktion be-
halten haben, wenn dieser nicht brauchbare Talente
gehabt hätte.
Eichler wurde in die schreckliche Inquisitions-
geschichte verwickelt, durch welche Waünsky seinen
Kopf verlor. Man erkannte Eichler für mitschuldig.
Er bekam die Knute und wurde nach Sibirien ver-
wiesen.
Unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth wurde
er zwar wieder zurückgerufen, aber nicht in Geschäften
gebraucht.
Russische Günstlinge. X2
178 44- Sabakin.
Von seinen übrigen Lebensumständen wissen wir
nichts.
Eichler hatte eine Tochter. Sie heiratete einen
Knes Chowansky, der eine Tuchfabrik hatte, die das
Tuch für die ganze russische Armee heferte. Dieser
Chowansky lebte noch in der Mitte der neunziger
Jahre, und kam wegen seinen Lieferungen oft nach
Petersburg.
44. Sabakin.
Sabakin, ein russischer Bauer, hieß eigentlich Saba
Jakoblewitsch, und nannte sich nur dann erst Sabakin,
als er durch einiges Vermögen sich etwas über seinen
Ursprung erhob. Es war immer ein sonderbarer Ein-
fall, einen Namen zu wählen, der im Russischen hün-
disch bedeutet.
Sabakin fing unter der Regierung der Kaiserin Anna
(1730) damit an, Fische feil zu bieten. Von dem, was
er erwarb, lebte er kümmerlich, sparte viel, fing einen
größeren Handel an, machte Lieferungen an den Hof,
wurde wohlhabend unternahm weitläufigere Ge-
schäfte, war vorsichtig und glücklich, machte größere
Lieferungskontrakte mit der Krone, sammelte ein an-
sehnliches Vermögen, lebte immer noch sparsam,
wucherte mit seinen großen Reichtümern und hinter-
ließ bei seinem Tode zur Zeit der Kaiserin Elisabeth den
ungeheuren Schatz von beinahe zwölf Millionen Rubel.
Sabakins Grabmal auf dem Kirchhofe des Alexander-
Newsky-Klosters, von Marmor und Bronze, kostete
große Summen und ist geschmacklos.
Die Nachkommen dieses Mannes sind noch in Pe-
tersburg und stehen in Ansehen.
Johann Hermann L'Estocq
Kupter von Schienen
45- Johann Hermann L'Estocq. 17g
45. Johann Hermann L'Estocq.
Unter allen Naturgaben, womit die weise Vorsehung
die Menschheit beglückt, ist Frohsinn gewiß eine der
erwünschtesten. Er würzt die Vergnügungen und
macht dadurch ihren Genuß vollendeter ; leiht dunkeln
Gegenständen die hellsten Farben; erhebt mit Leich-
tigkeit über alle bedenkhchen Ereignisse; stärkt die
Lebensgeister durch sanften Schlaf und Hoffnung, die
beiden wirksamsten Erholungsmittel, die den unglück-
lichen Sterblichen verliehen sind; hilft die größten
Widerwärtigkeiten, verdiente und unverdiente, mit
gleichem Mute ertragen, und führt zu einem späten
Alter ohne Klage und Gram, und endlich gewöhnlich
zu einem leichten Tode. Frohsinn war in einem hohen
Grade dem Manne zuteil geworden, von dessen Leben
wir hier eine unvollkommene Skizze entwerfen.
Johann Hermann L'Estocq war im Jahre 1692 in
Hannover von französischen Eltern geboren.
Diese, die ehrliche Bürger waren, von der Unfehl-
barkeit ihrer Religion überzeugt zu sein glaubten und
daher fest darin beharrten, hatten ruhig in Frankreich
gelebt, bis die Bekehrungswut Ludwigs XIV. sie ge-
nötigt hatte, ihr Vaterland zu verlassen.
Dieser Monarch, durch die übel verstandenen Re-
ligionsbegriffe seiner Gattin Maintenon verführt, hatte
geglaubt, seine Regierungssünden mancher Art durch
die gewaltsamste Bekehrung und Verfolgung seiner
protestantischen Untertanen abzubüßen ; ein Umstand,
der immer eine wenig vorteilhaftere Vorstellung von
dem Verstände dieses Königs gibt. Auf sein Geheiß
hatte Frankreich mit Franzosen eine Art von Reli-
gionskrieg, der zwar eigentlich nur einseitig geführt
wurde, aber höchst mörderisch war, wie es gewöhnhch
12*
l8o' 45, Johann Hermann L'Estocq.
die Kriege sind, die aus der Verschiedenheit der Mei-
nungen entstehen. Die Schwächern mußten weichen.
Sie flohen nach Deutschland, wo man sie mit to-
leranten Armen aufnahm, und L'Estocqs Eltern ließen
sich in Hannover nieder. Der Vater, ein geschickter
Wundarzt, kam in die Dienste des damals noch herzog-
lichen Hofes daselbst.
Seinen mittelsten Sohn, von dem hier die Rede ist,
und der Neigung und Fähigkeiten zeigte, lehrte er
ebenfalls die Wundarzneikunst und zwar mit so glück-
lichem Erfolg, daß er sehr bald eine nicht gewöhnliche
Geschicklichkeit erlangte.
Hermann entwickelte zeitig einen großen Verstand
imd einen unternehmenden Geist. Die Bühne, auf der
er stand, war ihm zu klein.
Von Reisenden, die aus Rußland kamen, hatte er ge-
hört, daß Geschicklichkeit ohne Unterschied in jedem
Fache ein untrügliches Mittel sei, daselbst Reichtümer
und Ansehen zu erlangen. Auf diesem Schauplatze nun
hoffte er eine bedeutendere Rolle übernehmen zu
können.
Der junge L'Estocq ging im Jahre 1713 nach Peters-
burg, und da man damals am russischen Hofe dienst-
fähige Leute brauchte, so hatte er das Glück, sehr bald
in die Dienste Peter I. als Wundarzt zu kommen. Der
Kaiser ernannte ihn zu seinem Leibchimrgen. Diese
Stelle brachte ihn der Person des Monarchen nahe. Er
mußte ihm und dessen Gemahlin auf allen Reisen,
selbst wenn es nur Lustfahrten zu Wasser waren,
folgen. Bei diesen Gelegenheiten zog ihm seine oft aus-
artende muntere Laune zuweilen Züchtigungen von der
Hand des Kaisers zu. Die Ausbrüche seines Mutwillens,
oder besser gesagt, seiner ausgelassenen Aufführung
und Unbesonnenheit, brachten ihn endlich in die Un-
45- Johann Hermann L'Estocq. i8l
gnade des Kaisers. Sein eigentliches Verbrechen kennt
man nicht. Kein Geschichtschreiber und keine münd-
liche Überlieferung geben darüber Aufschluß. L'Estocq
selbst, so freimütig er immer und so schwatzhaft er oft
war, soll nie von der Natur dieses Versehens gesprochen,
sondern nur gesagt haben, ein andrer Hofbedienter
hätte ihn verklagt. Sein Vergehen kann jedoch, nach
der Strafe zu urteilen, nicht klein gewesen sein. Peter I.
schickte ihn im Jahre 1718 nach Asien in die Stadt
Kasan. Hier lebte er bis zum Tode des Monarchen und
erwarb sich durch seine Geschicklichkeit ein großes
Zutrauen, einen anständigen Unterhalt und eine ge-
wisse Wohlhabenheit, die unter Personen seiner Kate-
gorie in jenen Gegenden nicht gewöhnlich ist.
Katharina I. erirmerte sich der guten Dienste, die
ihr L'Estocq im Jahre 1716, auf ihrer Reise nach Hol-
land, in ihrer Krankheit geleistet hatte. Sie rief ihn im
Jahre 1725 zurück und gab ihm die Stelle eines Wund-
arztes am Hofe ihrer Tochter Ehsabeth.
Von diesem AugenbHck an gab L'Estocq seiner Ge-
bieterin Beweise seiner unverbrüchlichen Treue.
Schon nach dem Tode Peters IL (1730), wollte er ihr
zum Besitz des russischen Throns verhelfen, aber die
Prinzessin hatte damals nicht den Mut, diesen Schritt
zu wagen. Mit Unwillen sah er seinen Plan verwerfen,
erneuerte aber doch elf Jahre nachher seine Vor-
schläge zu einer gewaltsamen Thronbesteigung, zur
Zeit des jungen Kaisers Joan Antono witsch, unter der
Vormundschaft von dessen Mutter, der Großfürstin
und Regentin Anna Carlowna, Prinzessin von Braun-
schweig, geborene Prinzessin von Mecklenburg.
Jetzt machten diese Vorschläge Eindruck auf Eli-
sabeth.
Sie genehmigte alles, was L'Estocq tun wollte.
l82 45- Johann Hermann L'Estocq.
Dieser traf nun die zweckmäßigsten Verfügungen, die
aber allerdings sehr gewagt waren. Seine unglaublichen
Bemühungen gelangen.
Man wundert sich darüber desto mehr, wenn man die
Teilhaber dieser Unternehmung kennt. Diese waren
Michael Woronzow,^) ein Kammerjunker der Prin-
zessin Elisabeth und ein sehr junger Mensch; L'Estocq,
ein Wundarzt, Schwarz, ein gewesener Musikus, der
wahrscheinlich keine musikalischen Talente hatte und
ein Grünstein, ein gemeiner Gardesoldat. 2)
Von Personen von Rang und Ansehen waren nur der
französische Gesandte, Marquis de la Chetardie^) und
dessen Legationssekretär, von dem Revolutionsplane
im ganzen genommen unterrichtet, mit dessen ge-
nauen Umständen aber ganz unbekannt.
Die Haupttriebfeder in der Maschine war L'Estocq,
und es ist unleugbar gewiß, daß ohne ihn Elisabeth
nie Kaiserin von Rußland geworden wäre.
Er, der Genie und Staatskenntnisse hatte, wußte, daß
dem Hofe zu Versailles eine Empörung in Rußland will-
kommen sein müßte, die vielleicht dem französischen
System daselbst einen günstigen Einfluß geben könnte.
^) Michajla Woronzow wurde unter der Regierung der Elisabeth
deutscher Graf, Vizekanzler und endlich Großkanzler; eine Würde,
die er noch in den beiden folgenden Regierungen bekleidete. Er
hatte den Ruhm eines sehr edeln Mannes. Seine Gemahlin, eine
geborene Skawronska, war eine Kusine der Kaiserin Elisabeth. H.
^) Siehe über diese Palastrevolution Crusenstolpe I, S. 144 ff.
^) Joachim Jacques Trotti, Marquis de la Chetardie (1705 — 1758)
bekam für seine Person große Belohnungen, aber für seinen Hof
konnte er keine bleibenden VorteUe erlangen. Sein Einverständnis
mit der Elisabeth, das ohnedies nicht von Bedeutung gewesen
war, hörte gleich nach der Thronbesteigung auf. Er ging nach
Frankreich zurück, kam aber bald wieder als Gesandter nach Ruß-
land. Hier machte er sich verdächtig, und würde von der Regierung
gemißhandelt worden sein, wenn ihn nicht sein Charakter geschützt
hätte. Man nahm ihm den russischen Orden und das Bild der
Kaiserin und schickte ihn über die Grenze.
45- Johann Hermann L'Estocq. 183
Nach seinem Rate fing die Prinzessin mit dem Mar-
quis, um ihn zu ihrem Vorteil zu gewinnen, ein Liebes-
verhältnis an, das L'Estocq und Woronzow ein-
leiteten und das äußerst geheim gehalten wurde.
Alsdann wendete sich L'Estocq, unter dem Titel
eines Landsmannes und unter dem Vorwand einer be-
sondern Anhänglichkeit, an das ursprüngliche Vater-
land seiner Familie, an den französischen Gesandten,
zeichnete ihm die Grundlinien des Plans und verlangte
von ihm Geld zur Ausführung desselben.
Chetardie, der in dieser Unternehmung eine vorteil-
hafte Alternative sah, gab ihm in sehr kurz aufein-
ander folgenden Tagen neuntausend Dukaten, und
endlich nach und nach vierzigtausend Dukaten.
L'Estocq war so vorsichtig gewesen, nie in das Pa-
lais des Gesandten zu gehen. Er, Chetardie und der
Legationssekretär hatten ihre Unterredungen bei Hof
und in Gesellschaften. Diese waren immer kurz, weil
die Gesandtschaft nie die Geschichte des Ganges der
Unternehmung, sondern nur zuweilen die Resultate
einzelner Schritte erfuhr. Wenn sie sich etwas zu
schreiben hatten, so legten sie die Zettel in Dosen,
aus denen sie sich Tabak anboten.
So behutsam aber L'Estocq und seine Gehilfen
waren, so hatten sie doch eine gewisse Publizität nicht
verhindern können.
Es gehört in die Geschichte der Kaiserin Elisabeth,
alle genauen Umstände ihrer Revolution zu erzählen.
Sie sind auch zum Teil allgemein bekannt.
Wer kennt nicht die Szenen, die während der Krise
dieser großen Begebenheit vorfielen; wie Graf Oster-
mann, unterrichtet von den außerordentlichen Geld-
summen, die Chetardie erhielt, die Regentin Anna
darauf sowohl als auf L'Estocq besonders aufmerk-
184 45- Johann Hermann L'Esiocq.
sam machte, von dem er wußte, daß er einen geheimen
Umgang mit der französischen Gesandtschaft hatte;
wie Finch, ^) der enghsche Gesandte, diese Prinzessin
warnte; wie Graf Löwen wolde, auf erhaltene Nach-
richt die Regentin in der Nacht wecken Heß, um ihr die
Gefahr zu zeigen, in welcher der Kaiser, sie und ihr
Gemahl schwebten; wie ein vorgeblich in Breslau ge-
schriebener Brief die Großfürstin von dem Vorhaben
der Elisabeth benachrichtigte und den Rat enthielt,
L'Estocq gefangennehmen zu lassen; wie Anna infolge
dieser vereinigten Umstände eine sehr lebhafte Unter-
redung mit Elisabeth hatte; wie diese, aus Schwäche
des Geistes, Tränen vergoß; wie Anna, eben so schwach
als Elisabeth, sich durch diese Tränen täuschen ließ;
wie Elisabeth, von Angst und Schrecken getrieben,
nach Hause eilte und L'Estocq bat, das ganze Vor-
haben aufzugeben; wie dieser sie zu beruhigen und
dann in dem Vorsatze zu bestärken suchte, mit der
Ausführung des Plans zu eilen; wie er, während der
hitzigsten und wichtigsten Unterredung, mit leichter
Hand auf einem Blatte Papier eine Nonne und einen
Galgen zeichnete, 2) und der Prinzessin zu verstehen
gab, daß, bei längerem Zögern, sie die Gestalt von
jener bekommen, und er an diesem aufgeknüpft wer-
den müsse ; und wie er endlich alle Schwierigkeiten be-
siegte, in der Nacht vom 24. zum 25. November 1741
mit der Prinzessin und dem Kammer j unker Woronzow
in die Kasernen der Garden fuhr, die Revolution unter-
nahm und beendigte, und Ehsabeth auf den Thron
ihres Vaters setzte.
Die ersten Tage der Souveränität dieser Fürstin ver-
^) Finch war, wenn wir nicht irren, in der Folge Gescindter in
Dresden und Berlin. H.
*) Crusenstolpe I, S. 143, wo diese hochdramatische Szene näher
beschrieben ist.
45- Johann Hermann UEslocq. 185
strichen unter einer Menge Verhaftungen und Gnaden-
bezeigungen, von denen die einen so unverdient waren,
als die andern. Gegen L'Estocq schien die neue Mon-
archin ganz von Regungen der Dankbarkeit beseelt
zu sein.
Er, als ein Mann von durchdringendem Verstand,
und vermöge desselben und seiner Erfahrung, ein
scharfer und zuverlässiger Beurteiler des menschlichen
Herzens, sagte seiner Gebieterin schon damals mit
seiner gewöhnlichen Freimütigkeit, daß er im Geiste
voraussehe, wie sie seine Dienste vergessen, ihn mit
Undank belohnen und wohl endlich gar ihn seinen
jetzigen und künftigen Feinden aufopfern würde.
Elisabeth machte ihm zwar die größten Beteuerungen
ihrer unveränderUchen Dankbarkeit und sagte ihm,
daß, wenn sie jemals einer ihr jetzt so fremden und un-
natürlichen Empfindung fähig sein könnte, er nur an
sie schreiben, ihr seine Dienste in das Gedächtnis
rufen und sie an diese Unterredung erinnern dürfe.
L'Estocq, von seiner gewöhnlichen Heiterkeit belebt,
lachte darüber, blieb aber immer von der Richtigkeit
seiner Meinung überzeugt, und unterheß nicht, bei
vorfallenden Gelegenheiten der Kaiserin zu zeigen, daß
sein Urteil über den Charakter dieser Prinzessin und
über das Schicksal, das er von ihr zu erwarten habe,
immer das nämliche bleibe.
Doch, wie schon gesagt worden ist, in den ersten
Augenbhcken war sie ganz von Dank gegen L'Estocq
durchdrungen. Sie ernannte ihn zum Wirklichen Ge-
heimen Rat zu ihrem ersten Leibarzt und zum Di-
rektor sämtlicher medizinischer Kanzleien.
Wie viel er als Leibarzt hatte, wissen wir nicht, aber
die letzte Stelle war mit einem Gehalt von sieben-
tausend Rubel (eine für jene frugalen Zeiten ungeheure
l86 45. Johann Hermann L'Estocq.
Summe) verbunden. Sie war überdies in Rußland von
desto größerer Wichtigkeit und Weitläufigkeit, weil
kein Arzt und Wundarzt, der nicht in diesen Kanzleien
eingeschrieben und geprüft worden war, die Heilkunst
ausüben durfte, und kein Apotheker von jemand an-
ders, als von der Krone gehalten werden konnte.
Als Leibwundarzt mußte er immer der Kaiserin die
Ader öffnen, und erhielt dafür allemal zweitausend
Rubel; ein Vorteil, der ihm ebenfalls eine bedeutende
jährliche Einnahme zusicherte.
Am 30. Dezember 1741, an dem nämlichen Tage, an
welchem sie ihm Ehrenstellen und Ämter erteilte,
fügte sie noch die größte Gnadenbezeugung hinzu, in-
dem sie ihm ihr reich mit Diamanten besetztes Porträt
schenkte, mit der Erlaubnis, es an einem blauen Bande,
gleich einem Ordenszeichen, um den Hals tragen zu
dürfen.
So schmeichelhaft diese Auszeichnung war, so schien
sie ihm doch, weil sie keinen Ritterorden zur Seite
hatte, eine Art von Hintansetzung anzudeuten.
L'Estocq würde daher sich lieber mit einem gewöhn-
lichen Ordensbande, das ihn andern Staatsdienern
vom ersten Range auch im Äußern gleichgestellt hätte,
begnügt haben. Mit der ihm eigenen Offenherzigkeit
gab er diesen Wunsch oft zu erkennen, aber Elisabeth,
man weiß nicht, von welchem Vorurteile getrieben,
nahm nie Rücksicht auf diesen Wunsch. Indessen
konnte doch nur vorgefaßte Meinung den Willen der
Kaiserin lenken ; denn Leute von weit geringerem Her-
kommen, und was Elisabeth sich selbst sagen mußte,
von ungleich weniger Verdiensten als er, waren reich-
lich mit Ordensbändern behangen.
Auch aus dem Auslande erhielt L'Estocq Würden
und Geschenke. Der König von Polen und Kurfürst
i
45- Johann Hermann L'Estocq. 187
von Sachsen, Friedrich August IL, der die Freund-
schaft seines Vaters für den russischen Hof unter allen
dort oft vorkommenden Regierungsveränderungen
mit Eifer fortsetzte, machte es sich zur Pflicht, den
jedesmaligen Günstlingen der Souveräne in Rußland
Beweise seines Wohlwollens zu geben. Er erhob den
Geheimen Rat von L'Estocq in den ersten Tagen des
Jahres 1742 in den Grafenstand und schenkte dem-
selben ebenfalls sein reich mit Brillanten besetztes
Porträt, um es im Knopfloche zu tragen.
Graf L'Estocq besorgte nun die mit seinen Ämtern
verbundenen Geschäfte und arbeitete, infolge einer
eigenen Aufforderung der Kaiserin sehr viel in Staats-
sachen.
Diese Einmischung in Angelegenheiten, die ganz
außer dem Wirkungskreise seiner eigentlichen Ämter
lagen, erregte die Mißgunst derer, die ausschließlich
diese Geschäfte betreiben zu müssen glaubten. Durch
sein sorgloses Benehmen, selbst in den ernsthaftesten
und wichtigsten Vorfällen, gab er seinen Feinden Ge-
legenheit und Vorwand, ihn der Kaiserin gehässig vor-
zustellen. Seine Unbefangenheit, die oft in Leichtsinn
überging, noch mehr aber seine natürliche und immer-
währende Unruhe, seine unbezähmte Freimütigkeit
und seine Ausschweifungen mancher Art, die freilich
in der Person eines Leibarztes bedenklich scheinen
mußten, machten, daß er der Kaiserin verdächtig
wurde.
Nach der Vermählung des damaligen Thronfolgers
und nachherigen Kaisers, Peters IIL (1745), zeigte er die
größte Anhänglichkeit an diesen Prinzen und dessen
Gemahlin, ohne dabei etwas anderes zu beabsichtigen,
als immer in der muntern Gesellschaft des Großfürsten
zu sein, und die geistreiche Unterhaltung der Groß-
l88 45- Johann Heymann L'Estocq.
fürstin zu hören. Von diesen vereinigten, geringfügigen
Umständen nahmen L'Estocqs hitzigste Gegner, der
Großkanzler, Graf Bestuschew-Riumin, und der Gene-
ralfeldmarschall, Graf Apraxin,^) Gelegenheit, ihn zu
stürzen.
Dies wurde ihnen leicht bei einer Monarchin, die
keiner Prüfung und keiner dankbaren Erinnerung fähig
war. Bestuschew und Apraxin sagten ihr, L'Estocq
halte es mit den Höfen zu Berlin und Stockholm, zum
Nachteil des russischen Systems ; er stehe in geheimer
Verbindung mit dem preußischen Gesandten und sei
dem österreichischen Hofe ganz entgegen. Zugleich
raunten sie der Kaiserin ins Ohr; L'Estocqs Einver-
ständnis mit dem großfürstlichen Hofe könne leicht
auf eine Revolution abzwecken, durch welche er den
Thronfolger vor der Zeit auf den russischen Thron
setzen wolle. Um diese Insinuation noch etwas glaub-
licher zu machen, setzten sie noch hinzu: L'Estocq
habe schon ehemals den Großfürsten Peter anstatt der
Kaiserin Ehsabeth auf den Thron bringen wollen.
Nichts konnte sinnloser sein, als diese letztern Be-
schuldigungen, die, wie man leicht denken kann, durch
nichts erwiesen werden konnten. Demungeachtet ließ
es die schwache Kaiserin geschehen, daß der Mann,
dem sie allein die Größe ihrer Existenz zu danken
hatte, unglücklich wurde,
Sie ließ ihn im Jahre 1748 arretieren und in die
Petersburger Festung bringen, wo ihm der Prozeß ge-
macht wurde.
^) Der Generalfeldmarschall Stephan Feodorowitsch Apraxin
(1702 — 1758), von Geburt ein Russe, war Bestuschews treuer
Freund. Er kommandierte die Russen im Anfange des Sieben-
jährigen Krieges, hatte Teil an Bestuschews Kabalen, und starb,
ehe er bestraft werden konnte, im Jahre 1758 in Triruky, einem
damals kaiserlichen Lusthause bei Petersburg. H.
45- Johann Hermann L'Estocq. 189
Die Verfahrungsart desselben war so ungerecht, daß
sie jeden Unbefangenen mit Unwillen erfüllte, doch
für die muntre Laune des Grafen L'Estocq wurde sie
eine neue Quelle der Belustigung. Aber bald verUeß
ihn sein Mut, wenigstens auf einige Zeit.
Um ihn strafbar zu finden, mußte man sein Ge-
ständnis haben. Hierzu war er auf keine Weise zu
bringen.
Man wollte es erzwingen, und drohte ihm im Jahre
1749 mit der Tortur. Doch dieses fürchterhche Zwangs-
mittel war nicht nötig. Einige leichte Peitschenhiebe
waren hinreichend, den Grafen L'Estocq zum Be-
kenntnis von Verbrechen zu bringen, an die er nie ge-
dacht hatte, die er sich aber aufbürden ließ, um nur
größern Martern zu entgehen. Indessen, wenn er auch
ein Verbrechen gestand, so fehlte es doch immer an
Beweisen. Überführen konnten ihn seine Feinde nicht,
doch, da sie einmal eine Entfernung von Geschäften,
seinen Fall und den Raub seiner Güter beschlossen
hatten, so zogen sie seinen Prozeß in die Länge.
Es wurde eine Kommission niedergesetzt, die aus
dem Vermögen des Grafen L'Estocq besoldet wurde.
Schon dadurch verminderte man dasselbe beträchtlich.
Wie verschwenderisch übrigens die Besoldungen ge-
geben, und wie willkürlich die Betrügereien getrieben
wurden, kann man schon daraus sehen, daß man die
Frechheit hatte, achthundert Rubel für Feder, Tinte
und Papier in Rechnung zu bringen; eine Unver-
schämtheit, über die L'Estocq zu lachen nie aufhören
konnte.
Der Prozeß endigte sich im Jahre 1750.
Das Urteil, das die verächtliche Ehsabeth vielleicht
nicht einmal kannte, aber doch unterschrieb, zeigte die
ganze Unmenschlichkeit dieser Monarchin, die sie selbst
igo 45. Johann Hermann L'Estocq.
gar nicht zu haben glaubte, und enthüllte völlig die
Grausamkeit seiner Feinde, die, ohne den Namen zu
haben, seine eigentlichen Henker waren.
Jetzt, da L'Estocq sein Urteil kannte, glaubte er,
daß der Augenblick gekommen sei, die Kaiserin auf
eine schickliche Art an seine Dienste und an ihre Dank-
barkeit zu erinnern.
Er schrieb an die Monarchin, aber sein Brief blieb
ohne Antwort. Man kann indessen zur Ehre der Elisa-
beth glauben, daß L'Estocqs Feinde ihr dieses Schrei-
ben nie haben einhändigen lassen.
Der unglückhche Mann wurde aller seiner Ämter,
Würden und Gnadenzeichen, die er schon im Jahre
1748 verloren hatte, verlustig erklärt. Nur den Grafen-
stand, den ihm Rußland nicht gegeben hatte, konnte
man ihm nicht nehmen.
L'Estocq hatte große Reichtümer an Häusern, Gü-
tern und Kostbarkeiten, die er noch in seinen glück-
lichen Zeiten von der Kaiserin Elisabeth bekommen
hatte. Nur allein an barem Gelde fand man vierzig-
tausend Rubel. Dies alles wurde konfisziert und
größtenteils seinen Feinden geschenkt. So erhielt zum
Beispiel Apraxin das Wohnhaus des Grafen in Peters-
burg.
Der Verlust aller dieser Güter würde den Grafen
wenig gerührt haben, aber die körperlichen Züchti-
gungen, die man die Unverschämtheit hatte, an ihm
auszuüben, schlugen seinen Mut auf einige Zeit nieder.
Er bekam in der Festung die entehrende Strafe der
Knute. Nachdem er von den Wunden, die ihm dieselbe
verursacht hatte, geheilt war, wurde er 1750 nach
Uglitsch, einer Provinzialstadt an der Wolga in der
Jaroslawschen Statthalterschaft, seinem Verbannungs-
orte, gebracht. Hier blieb er bis zum Jahre 1753.
45- Johann Hermann L'Estocq. igi
Man kennt die Ursachen nicht, die die Regierung
bewogen haben, den Grafen L'Estocq in diesem Jahre
von dort wegzubringen, und ihn nach Ustiug-Wehki,
einer Provinzialstadt in der Archangelschen Statt-
halterschaft, zu verweisen. Seine würdige dritte Ge-
mahlin begleitete ihn überall
Von seinem Aufenthalte in Uglitsch und in Ustiug-
Weliki weiß man nichts. Er konnte nicht anders, als
so eingeschränkt sein, als das geringe Tagegeld war,
das man ihm zum Unterhalt reichte. Er blieb in Ustiug-
Weliki bis zum Jahre 1762.
Peter III., dieser wohltätige Monarch, der die von
seiner Tante vielfach ausgeübten Kränkungen wieder
gut zu machen suchte, rief den Grafen L'Estocq zu-
rück, gab ihm aber außer semen Ehrensteilen wenig.
Er sollte zwar seine Besitzungen wieder bekommen,
konnte aber nur sein Haus erhalten, weil sie während
seiner Verbannung schon in mehrere Hände gekommen
waren. Nach seinen Juwelen, Kostbarkeiten und
Möbeln suchte er zwar ir den Kaiserlichen Konfika-
tionsmagazinen, konnte aber nichts von Bedeutung
wieder finden.
Er klagte seine Not dem Kaiser und dieser Monarch
riet ihm im Scherze, seine Sachen, die er vermutlich
noch kennen würde, und die wahrscheinlich in Privat-
häusern zerstreut wären, aufzusuchen und wegzu-
nehmen, wo er sie fände. Diese Erlaubnis war eine neue
Nahrung für des Grafen Neigung, sich zu belustigen,
die er noch in einem ziemlich hohen Grade wieder mit-
gebracht hatte. Er kannte von alters her die Personen,
die ihm nicht wohl woUten. Er fuhr zu ihnen, und da
sie seinen Besuch nicht erwarteten, so hatten sie auch
nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen. Wenn er
etwcLS fand von seinen Gemälden, Silberzeug und Kost-
102 45- Johann Hermann L'Estocq.
barkeiten, so nahm er es sogleich ohne Umstände mit,
versicherte, daß es sein wäre und daß er es auf Befehl
des Kaisers behalten würde. Man wagte es nicht, über
ihn zu klagen, und so bekam er einen kleinen Teil
seiner Sachen wieder.
Wahrscheinhch würde Peter III. ihn in seinen
vorigen Wohlstand versetzt haben, wenn nicht sein
eigenes unglückliches Schicksal ihn daran gehindert
hätte,
Katharina II. hatte die Großmut, die wahrschein-
lichen Absichten ihres Gemahls in Ausführung zu
bringen. Sie gab dem Grafen L'Estocq seinen be-
stimmten vorigen Gehalt von siebentausend Rubel
wieder, ohne ihm jedoch Geschäfte zu geben, die in
seinem hohen Alter ihm würden beschwerhch geworden
sein. Dies entsprach auch L'Estocqs Wunsche, der sich
mit nichts mehr befassen wollte.
Der einzige Mann, mit dem er von Geschäften sprach
war der französische Gesandte, Baron von Breteuil.^)
Dieser hatte selbst die Veranlassung dazu gegeben.
Wir erinnern uns der vierzigtausend Dukaten, die
L'Estocq zur Beförderung der Thronbesteigung der
EUsabeth, besonders zur Erkauf ung der Gardesoldaten,
von dem Marquis de la Chetardie bekommen hatte.
Von dieser Summe nun war unter der Regierung der
Elisabeth nicht mehr als die Hälfte 2) zurückbezahlt
worden. Die Ursache davon war in der schon damals
^) In den neueren Zeiten wurde Breteuil durch die Staats-
umwälzung in Frankreich veranlaßt, sein Vaterland zu verlassen.
Wenn wir nicht irren, erhielt er erst vom Kaiser Napoleon die Er-
laubnis, dahin rurückzukommen. Er starb im Jahre 1807. H.
*) Da diese Schuld von der Elisabeth selbst nicht bezahlt worden
war, so kann man wohl denken, daß ihre nächsten Nachfolger noch
weniger daran dachten, sie zu entrichten, und so ist es wahrscheinlich,
daß der russische Hof, noch vom Jahre 1741 her, der Krone Frank-
reichs iiumer noch 20000 Dukaten schuldig ist. H.
45- Johann Hermann L'Estocq. 193
einreißenden, unordentlichen Staatsverwaltung zu
suchen. Indessen nahmen, nach L'Estocqs Fall, dessen
Feinde davon Veranlassung, zu behaupten, er habe
das Geld bekommen und verschwendet. Breteuil wen-
dete sich nun an L'Estocq, der aber die Sache von sich
abzulehnen wußte, weil, wie er dem Gesandten sagte,
er voraussehe, daß seine Bemühungen fruchtlos sein
würden.
Nachdem L'Estocq im Jahre 1762 Peter IIL und
Katharina IL seinen persönlichen Dank für ihre Gna-
denbezeigungen gebracht hatte, ging er nie wieder an
den Hof. Er fürchtete den schlüpfrigen Fußboden, auf
welchem er zweimal gefallen war. Ein kleiner Zirkel
von Freunden, Zurückerinnerung an die sonderbaren
Ereignisse seines Lebens, und die Freuden der Tafel
waren seine einzige Erholung. Aber auch die letztern
mußten bald wegfallen, da er, nicht lange nach seiner
Zurückkunft, anfing, kränkhch zu werden. Die mäßige
Lebensart in seiner Verbannung, das Werk der Not-
wendigkeit, hatte ihn vielleicht so lange erhalten. Als
er von dort kam, schien er eine noch ziemlich unzer-
störte Leibesbeschaffenheit zu haben; aber bald nach-
her zeigten sich bedenkhche Zufälle, die sich nach und
nach vervielfältigten, und durch sein hohes Alter, noch
mehr aber durch seine unglaubliche Unreinlichkeit,
tödlich wurden. Es ist nicht Übertreibung, wenn man
sagt, daß L'Estocq von Ungeziefer verzehrt wurde.
Er starb im Jahre 1767, ir der reformierten Religion.
L'Estocq war ein genialer Kopf. Er hatte einen
durchdringenden Verstand, eine schwer zu übertref-
fende Gegenwart des Geistes, eine sehr richtige Beur-
teilungskraft, tiefe Menschenkenntnis und ein gutes
Herz, das aber leider sehr oft durch seinen Leichtsinn
irre geführt wurde. Seine großen Eigenschaften hatte
Russische Günstlinge. I^
194 45- Johann Hermann L'Estocq.
er durch ausgebreitete Wissenschaf ten und Kenntnisse,
besonders in der Staatskunst, ausgebildet. Übrigens
hatte er einen nicht niederzudrückenden Frohsinn, war
sehr lebhaft, mutwillig bis auf den letzten Augenblick
seines Lebens, höchst unbesonnen und niedrig frei in
seinen Reden; Fehler, durch die er andern, aber, was
noch mehr ist, sich selbst mehr schadete, als er viel-
leicht durch Bosheit würde haben tun können.
L'Estocq war dreimal verheiratet.
Wer seine erste Frau war, ist unbekannt. Sie scheint
lange vor L'Estocqs Glück gestorben zu sein. Viel-
leicht war sie mit ihm in Kasan.
Die zweite Gattin war eine Deutsche, von gemeiner
Herkunft. Ihr Familienname war Miller. Sie war häß-
lich, unreinlich und liebte den Trunk; und dennoch
(so schwer sind die Ursachen und Wirkungen der Liebe
zu ergründen und zu berechnen), dennoch fanden diese
Reize einen Anbeter. Damals war in Petersburg ein
Sachse, Kurt von Schönberg, einer der schönsten
Männer seiner Zeit. Elisabeth als Prinzessin und als
Kaiserin war von seiner Schönheit gerührt und machte
ihm unter der Hand Anträge, die so wenig zweideutig
und geheim waren, daß sie sogar in Petersburg eine
Art von Publizität erlangt hatten. Aber sollte man es
glauben, Schönberg verwarf die Anträge einer schönen
Kaiserin, deren geheimer Liebling zu werden nur von
ihm abhing, und blieb in den Fesseln der Gräfin
L'Estocq.
Schönberg verstand die Bergwerkswissenschaften
vollkommen und wurde von Friedrich August IL nach
Rußland geschickt, um den Bau der dortigen Berg-
werke zu organisieren. Er erhielt für seine wichtigen
Dienste große Belohnungen. Dadurch erregte er Neid
und wurde durch Kabalen am Hofe der schwachen Eli-
45- Johann Hermann L'Estocq. 195
sabeth unglücklich. Diese Kaiserin, die nie wußte, was
sie tat, unterschrieb Schönbergs Haftbefelil, ohne es
zu ahnen. Als sie aus dem Senat in das Vorzimmer trat,
sah sie Schönberg, ging auf ihn zu, und drückte ihm
die Hand ; und der Unglückhche küßte diese Hand, die
eben sein Unglück unterzeichnet hatte. Er war in Ruß-
land General, Bergdirektor und Ritter des Alexander-
Newsky-Ordens. Er ging nachher nach Sachsen zurück,
wo er Berghauptmann war.
Die dritte Gemahlin war Maria Aurora, Freiin von
Mengden. Auch diese Ehe ist sonderbar, denn wie
konnte Aurora einen Mann lieben, der durch die von
ihm beförderte Revolution ihre Schwester, die be-
kannte Julie von Mengden, i) und viele ihrer Ver-
^) Julie, Freiin von Mengden, war erste Hofdame und Günstlingin
der Regentin Anna Carlowna und erste Erzieherin des jungen Kaisers
Joan. Sie war eben mit dem polnisch-sächsischen Gesandten,
Grafen Lynar, versprochen, als Elisabeth den Thron bestieg. Julie
kam nach Sibirien imd man hatte die Bosheit, ihr mit einem ihr
verhaßten Manne einen Verbannimgsort und sogar eine Wohnung
anzuweisen. Dies war der Oberstleutnant von Haimbiu"g, Adjutant
des Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig. Prinz und Prinzessin
waren selten einig zusammen und Adjutant und Hofdame folgten
dem Beispiele ihrer Gebieter. Man denke sich nun die schöne,
talentvolle Julie in ihrer neuen Lage. Sie, die an das Hofleben ge-
wöhnt war, mußte jetzt die geringsten wirtschaftlichen Dienste
verrichten. Sie mußte endlich, um sich zu kleiden, Zeug dazu
wirken. Bei einem Verwandten der Julie haben wir Proben von
diesem wollenen Zeuge in Rot und Weiß gesehen. Diese Dame
kam im Jahre 1782 zvurück und lebte in Livland. Als Katharina Ha
im Jahre 1764 in Riga war, sprach sie mit der Freiin von Mengden,
ließ sich ähnliche Proben des Zeugs zeigen imd verlangte die genauen
Umstände ihrer Verbannung zu erfahren. Nach geendigter Erzäh-
lung rief die Monarchin aus: ,,Celä fait fremir!" — Dies sagte
Katharina im Jahre 1764, und zwar in der nämlichen Zeit, in
welcher der vormalige Kaiser Joan, der kleine Zögling der Julie, in
Schlüsselburg, nicht ohne Wissen des Hofs, ermordet wurde. Juüe
Mengden starb im Anfange der achtziger Jahre in Livland. H.
Wie jetzt bekannt ist, war Juliane Mengden die Geliebte Annas:
,,Wenn sich Juliane Mengden bei der Regentin befindet, wird dem
Gemahl der Eintritt ins Schlafgemach und ins Ehebett verweigert",
^3*
Ig6 45- Johann Hermann L'Estocq.
wandten unglücklich gemacht hatte. Übrigens war
diese Gräfin ein vortreffhche Frau und eine treue Ge-
fährtin ihres Gemahls. An dem Tage, an welchem er
arretiert wurde, war sie eben in der Kirche und zum
Abendmahl. Man stelle sich ihr Erstaunen vor, als sie
ihn nicht mehr in ihrem Hause fand. Sie folgte ihm in
die Festung, um ihn nie wieder zu verlassen.
Als sie aus Ustiug-Weliki zurückkam, und Peter III.
aufwartete, um ihm zu danken, sagte sie zu ihm: ,,Ew.
Majestät sind immer noch der liebenswürdige, men-
schenfreundliche Prinz, der Sie waren. Ihr groß-
mütiges Herz vergibt Ihren Feinden, aber glauben
Sie mir, Ihre Güte wird Ihnen gefährlich^) werden.
Es wäre wohl nötig, eine Menge Menschen, die als
Ihre Feinde bekannt sind, hinrichten zu lassen." —
Ach, Gräfin," fiel der Monarch lachend ihr ins Wort,
haben Sie Mitleid mit diesen armen Leuten. Bin ich
nicht alles, was ich zu sein wünschen kann, Kaiser von
Rußland? SoU ich meine Regierung durch Blutgerichte
anfangen? Wir wollen immer diese Leute leben lassen,
die ich durch Wohlthun auf bessere Gedanken bringen
werde."
Die Gräfin lebte, wie ihr Gemahl, in der Stille, und
kam nie an den Hof. Nach dem Tode des Grafen ging
sie nach Livland, woselbst ihr Katharina II. die Ein-
künfte von dreißig HaaJcen^) auf Lebenszeit ange-
wiesen hatte. Dort lebte sie noch im Jahre 1794.
berichtet Le Chelardie (Waliszewski, L'heritage de Pierre le Grand,
S. 313). Graf Lynar, mit dem Juliane angeblich verlobt war, galt
als der Geliebte Annas von Bravmschweig seit deren siebzehnten
Jahr.
^) Leider traif die Prophezeihung der Gräfin L'Estocq, daß die
Güte des Kaisers ihm selbst gefährlich werden würde, nur zu pünkt-
lich ein. H.
^) Der Haken Landes in Livland wird 5000 Rubel an Wert
gerechnet. In Estland sollen die Haken kleiner sein. H.
45- Johann Hermann L'Estocq. 197
L'Estocq hinterließ keine Kinder, aber er hatte zwei
Brüder, durch die er eine zahlreiche Verwandtschaft
bekam, die von dem Vermögen des Grafen ungefähr
zehntausend Rubel erhielt. Das übrige fiel an seine Ge-
mahlin.
Sein ältester Bruder, Johann Paul, von dem wir
nicht wissen, welches Amt er bekleidet hat, scheint in
den vierziger Jahren gestorben zu sein. Er hinterließ
drei Söhne, Johann Ludwig, Königlich Preußischen
Kriegs- und Stadtrat in Königsberg; August, König-
lich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Obersten
beim Gouvernement in Dresden und Christian Werner
Theodor, Kaiserlich Russischen Obersten.
Der jüngste Bruder des Grafen L'Estocq, Ludwig,
war Oberstleutnant in Königlich Preußischen Diensten
und starb im Siebenjährigen Kriege. Er hinterließ einen
Sohn, Wilhelm, Königlich Preußischer Leutnant im
Husarenregiment Ziethen und eine Tochter, Anna
Sophie Hedwig. Der Leutnant Wilhelm L'Estocq
vom Regiment Ziethen ist wahrscheinlich der näm-
liche, der sich, als preußischer Husarengeneral, im
letzten Kriege rühmlichst bekannt gemacht hat.
Der im sächsischen Dienst verstorbene Oberst
L'Estocq ist vorzüglich dadurch merkwürdig, daß der
in der neuesten Geschichte Polens berühmt gewordene
General Dombrowski^) in seinem Hause und zum Teil
von ihm erzogen worden ist.
^) Dombrowski fing seine militärische Laufbahn im sächsischen
Dienste an, in welchem auch sein Vater war. Zur Zeit der wieder-
holten Aufstände in Polen ging der Sohn in polnische Dienste. H.
ig8 46. Schwarz.
46. Schwarz.
Schwarz, ein Deutscher, von gemeiner Abkunft, war
anfänghch Musikus in Petersburg. Seine Kunst mochte
mittelmäßig sein, denn sie ernährte ihn nur kärghch.
Es war also natürlich, daß er sein Glück auf andern
Wegen zu machen suchte. Er hatte Gelegenheit, eine
Reise nach China zu unternehmen, und da er ein Mann
von Kopf war, so machte er diese Reise mit großem
Nutzen. Nach seiner Zurückkunft wurde Schwarz bei
der Akademie der Wissenschaften mit einem Gehalt
angestellt, der so gering war, daß er nicht davon leben
konnte.
In dieser traurigen Lage öffneten sich ihm fröh-
lichere Aussichten. Er wurde mit L'Estocq bekannt,
der ihn als einen unternehmenden Mann zu brauchen
verstand. L'Estocq unterrichtete ihn im allgemeinen
von dem Empörungsplan und gab ihm das Geschäft,
Gardesoldaten zur Beförderung der bevorstehenden
Thronbesteigung der Prinzessin Ehsabeth zu gewinnen.
Schwarz benahm sich dabei mit ebenso außerordent-
licher Gewandtheit als entschlossenem Mute und trug,
nächst L'Estocq und Woronzow, durch seine uner-
müdeten Bemühungen zu dem glücklichen Ausgange
der Revolution im Jahre 1741 sehr viel bei. Ehsabeth
schenkte ihm dafür ansehnliche Besitzungen und
machte ihn zum Obersten in der Armee. Dies war je-
doch nur ein Titel, denn er tat nie Mihtärdienste, die
er auch nicht zu leisten gelernt hatte.
Schwarz ging auf seine Güter, wo er immer blieb.
Hier fand er auch seinen Tod, der allerdings nicht
ehrenvoll war. Ein Landmädchen erstach ihn mit einer
Heugabel, als er sie mit Gewalt zum Beischlaf zwingen
wollte.
4T. Grünstein. 199
47. Grünstein.
Die Notwendigkeit der Bildung der Sitten wird dann
erst recht auffallend, wenn der, dem sie fehlt, es fühlen
lernt, daß er durch diesen Mangel unglückhch wird.
Grünstein, ein Sachse von geringer Herkunft, war
gemeiner Gardesoldat und arbeitete bei seiner Kom-
pagnie, gemeinschaftlich mit Schwarz, zum Vorteil der
Prinzessin Elisabeth. Nach der Thronbesteigung dieser
Kaiserin wurde Grünstein bei der neu errichteten Leib-
Kompagnie^) Adjutant mit Brigadiersrang. Er erhielt
große Besitzungen und ward sehr bald Generalmajor.
Grünstein hatte nicht Verstand und noch weniger
Sitten genug, sich seinem Range gemäß zu benehmen.
Täglich gab er Beweise, daß er nur zum gemeinen Sol-
daten geboren war, der durch entehrende militä-
rische Disziphn zurechtgeführt werden mußte. Endlich
sprach er sogar an öffentlichen Orten in unanständigen
Ausdrücken von der Kaiserin und ihrem Lieblinge. Er
wurde arretiert, bekam die Knute und wurde nach
Ustiug-Weliki verwiesen.
Im Jahre 1762 kam er zurück und ging auf die ihm
schon ehemals gegebenen Güter.
Seine übrigen Schicksale sind uns unbekannt.
^) Diese Leibkompagnie war diejenige Kompagnie Garde-
soldaten vom Regiment Preobratschensky, durch deren gewaltsame
Hilfe Elisabeth den russischen Thron bestieg. Diese sämtlichen
Soldaten wurden in den Adelsstand erhoben und erhielten Offiziers-
rang, blieben aber bei der Leibkompagnie gemeine Soldaten. Die
Offiziere waren Männer vom ersten Rang. Elisabeth selbst erklärte
sich zum Chef. Diese Leute hielten sich für das große Werk der
Revolution berechtigt, die größten Ausschweifungen zu begehen.
Sie lebten zügellos. Peter IIL schaffte sie deswegen ab. Katha-
rina IL stellte sie unter dem Namen der Chevaliersgarde wieder
her. Paul I. gab ihnen eine kostbare Uniform von silbernen Har-
nischen und eine Verfassung, die sie wohl noch haben. Die Ge-
meinen sind gewöhnlich Leute von sehr guten •Familien. H.
200 4^. Alexej Rasumowsky I.
48. Alexej Rasumowsky I.
Unsere Leser werden am Schlüsse dieses Buches die
Bemerkung machen, daß es unter keiner Begierung in
Rußland so viel gemeine und so ganz verworfene
Günsthnge, die schlechterdings auf keinen Vorzug der
Seele Anspruch machen konnten, gegeben hat, als
unter der Kaiserin Elisabeth. Am Hofe dieser Prin-
zessin wimmelte es von Bauern, Stallknechten, Kut-
schern, Soldaten und Bedienten, die zwar, weil sie
Selbstgefühl hatten, sich wegen ihrer eingeschränkten
Fähigkeiten nicht in Staatsämtern anstellen ließen, aber
doch ansehnHche Hofchargen bekleideten, Ordens-
bänder bekamen und vorzüglich, ganz unverdienter-
weise, die ungeheuersten Reichtümer erhielten.
Alexis Rasumowsky!) war der Sohn eines Bauern
aus der Ukraine. Wegen seiner schönen Stimme wurde
er als Sänger in der Kirche einer kleinen Stadt ange-
nommen. Ein Oberster Wischnowsky nahm ihn von
dort weg und in seine Dienste. Er empfahl ihn hierauf
dem Oberhof marschall, Grafen von Löwenwolde, ^) der
ihm einen Platz unter den kaiserlichen Sängern gab.
Hier sah ihn die Prinzessin Elisabeth und wurde von
seiner schönen Gestalt eingenommen.
Obgleich damals Schubin ihr Günstling, und zwar
der gefürchtete Günstling war, so machte doch Elisa-
beth schon Anschläge auf den aufblühenden Rasu-
mowsky. Unter dem Vorwand, daß dessen musikali-
sches Talent ihr sehr gefalle, bat sie den Grafen Löwen-
wolde, ihr diesen jungen Menschen zu überlassen.
^) Geboren 1709 im Dorfe Lemeschi, Gouvernement Tschemigow.
') Unbegreiflich ist es, daß Alexej nichts tat, um den Grafen
Löwenwolde, der so viel für ihn getan hatte, zu retten. Wenn ihm
nicht die Hände sehr gebunden waren, so zeigt dieses Benehmen
wenigstens die tadelnswürdigste Unempfindlichkeit. H.
Alexej Gregorowitsch Rasumowsky
48. Alexej Rasumowsky I. 201
Alexis wurde nun zuerst Sänger, und als seine schöne
Stimme sich zu verlieren anfing, Pandorist bei der
Prinzessin Elisabeth. Ungefähr um diese Zeit wurde
Schubin auf Befehl der Kaiserin Anna nach Sibirien
geschickt. Seine Stelle bei Elisabeth war also erledigt.
Frau von Ismailow, eine Freundin der Prinzessin,
wurde veranlaßt, dem jungen Rasumowsky Anträge
zu machen, die angenommen wurden. Er erschien nun
unter den Hausoffizianten der Elisabeth und wurde
bald als ihr erklärter Liebhng bekannt. Sie avancierte
ihn so gut sie konnte und machte ihn bald zum Ober-
aufseher ihres ganzen Hauses. Nach dem Tode der
Kaiserin Anna ernannte ihn Elisabeth, die sich damals
schon mehr Freiheiten erlaubte, kurz vor ihrer Thron-
besteigung zu ihrem Kammmerjunker.
Ehe er noch diese Stelle erhielt, ehrte ihn schon der
kleine Hof dieser Prinzessin als den geheimen Gemahl
seiner Gebieterin.
Der Kaiserin Anna blieb das alles nicht verborgen.
Da sie aber sah, daß Rasumowsky sein Glück mit Be-
scheidenheit und Mäßigung genoß, und da sie überdies
immer noch hoffte, durch irgendeine Heirat die Prin-
zessin, die als eine Tochter Peter I., ihr sehr unbequem
war, ganz entfernen zu können, so glaubte sie, der
Empfindlichkeit der Elisabeth schonen zu müssen und
störte daher die Liebesverhältnisse derselben nicht
mehr.
Sobald diese Prinzessin den Thron bestiegen hatte,
setzte sie in ihrem Umgange mit Rasumowsky allen
Zwang und sogar allen Anstand aus den Augen.
Sie lebte fast öffentlich mit ihm, als mit einem Ge-
mahl. Seine Zimmer waren zunächst an den ihrigen,
und alle Kammerleute waren Zeugen, daß die Kaiserin
und Alexis alle Morgen sich unangekleidet besuchten.
202 4^' Alexe j Rasumowsky I.
Ein so vertrauter Umgang hatte auch für Rasu-
mowsky einen höhern Rang notwendig gemacht. An
ihrem ersten Regierungstage ernannte ihn die Kaiserin
zum Kammerherrn. Am Krönungstage dieser Mon-
archin wurde er Ober Jägermeister, russischer Graf und
Ritter des Andreas-Ordens. Endlich erhielt er den Rang
eines Generalfeldmarschalls.
Die Reichtümer, die er nach und nach bekam, waren
unermeßlich.
Die Freunde des Grafen Rasumowsky, die immer für
ihn denken mußten, fanden es für die Erhaltung ihres
gemeinschaftlichen Vorteils notwendig, daß Ehsabeth
und Alexej durch priesterliche Einsegnung ehehch ver-
bunden würden. Sie sahen voraus, daß bei der Kaiserin
Überdruß an die Stelle der Liebe treten würde, und
wollten wenigstens die Verhältnisse durch das Band
der Ehe so fest knüpfen, daß keine förmliche Trennung
und der notwendig damit verbundene Verlust großer
Vorteile daraus entstehen könnte.
Rasumowsky mußte nun die Geistlichen, die immer
um die Person der Kaiserin waren, zu gewinnen suchen.
Dies geschah mit leichter Mühe. Die Popen machten
eine Gewissenssache daraus, stellten der Monarchin
ihren Umgang mit Rasumowsky, der ganz das Ansehen
einer Ehe hätte, als strafbar vor, und gaben die ehe-
liche Verbindung als das einzige Mittel an, den Himmel
für diese Sünde zu versöhnen.
Man wußte wohl, mit wem man zu tun hatte.
Die schwache Elisabeth, die nicht imstande war,
ihre eigenen Sünden zu beurteilen, wilhgte ein und
ließ sich insgeheim mit Alexis trauen.
Was die Freunde des geheimen Kaisers voraus-
gesehen hatten, erfolgte im Anfange der fünfziger
Jahre.
48. Alexej Rasumowsky I. 203
Rasumowsky verlor durch die größere Schönheit des
jungen Schuwalow seine ObHegenheiten als Liebling,
konnte aber als Gatte nicht entfernt werden. Er wurde
fortdauernd und bis an den Tod der Kaiserin mit der
nämlichen Auszeichnung und Ehrfurcht behandelt.
Nach dem Ableben der Monarchin 1762 bezog er das
Anitzschkowsche Palais,^) das für ihn erbaut worden
war. Da er auf die Gewogenheit des neuen Regenten
Peter III. sich nicht verlassen zu können glaubte, ob
sie gleich, allgemein genommen, auf einem guten Fuß
zusammen gestanden hatten, so schenkte er demselben,
nach russischem Gebrauch, 2) beim Einziehen in das
neue KaiserHche Winterpalais einen vorzüghch schönen
Stock und eine Million Rubel. Wenige Monate nachher
erfolgte die Thronentsetzung dieses Monarchen.
Unter der folgenden Regierung lebte Rasumowsky
noch verschiedene Jahre, geehrt und geschätzt von
allen, die ihn kannten. Er sah den Hof selten, ohne ihn
ängstlich zu vermeiden, und sah es im Gegenteil gern,
wenn die Höfhnge und die gute Gesellschaft von Pe-
tersburg sich mn ihn her versammelten. Selbst die
Kaiserin besuchte ihn zuweilen.
Wir glauben gehört zu haben, daß Graf Alexis Rasu-
mowsky in den siebziger Jahren starb. ^)
Personen, die ihn kannten, sagen, daß er ein sehr
^) Das Anitzschkowsche Palais ist noch einer der prächtigsten
Paläste in Petersburg. Er ist nach den Rissen des Grafen Rastrelli
gebaut, von dem soviele Paläste der damaligen Zeit in dieser Resi-
denz sind. Selbst das kaiserliche Winterpalais ist von ihm. Den
Namen Anitzschkow hat das Palais von der dabei befindlichen
Brücke, die von dem ersten Polizeiaufseher in diesem Viertel der
Stadt so genannt wurde. H.
^) Wenn man in Rußland ein neues Haus bezieht, so kommen
die Freunde der Familie und bringen ein Geschenk, das Salz und
Brot genannt wird. H.
^) Er starb am i8. Juni 1771.
204 4^- Alexej Rasumowsky I.
schöner, sehr ehrlicher und sehr wohltuender Mann,
aber ein eingeschränkter Kopf war. In Geschäften
wurde er nie gebraucht, weil ihn Ehsabeth schonen
wollte und sogar deswegen einen Befehl gegeben hatte,
daß niemand sich unterstehen sollte, Bitten oder Vor-
träge an ihn gelangen zu lassen.
Nach dem Tode der Kaiserin Elisabeth hatte er sich
nicht wieder verheiratet.
Man behauptet, 1) Elisabeth hätte acht Kinder ge-
habt, worunter auch die sämtlichen Geschwister Sak-
rewsky zu rechnen wären; allein Personen, die es
wissen konnten, versicherten wenigstens, daß nur der
Geheime Rat und Präsident des medizinischen Kolle-
giums, Sakrewsky, ein Sohn der Kaiserin Ehsabeth
und des Grafen Rasumowsky war. 2)
Er hatte, so viel wir wissen, drei Töchter, von denen
eine den General Paul Potemkin heiratete. Zwei waren
in den neunziger Jahren noch unverheiratet, und beide
nicht so schön als ihre älteste Schwester. Sakrewsky
scheint am Ende der neunziger Jahre gestorben zu
sein.
Wahrscheinlich waren mit der Erhebung des Grafen
Alexej Rasumowsky mehrere dieses Namens nach Pe-
tersburg gekommen. Es gab zwei Fräulein Rasumows-
ky, von denen eine den Brigadier Dedenow geheiratet
hatte, einen Mann von höchst bizarren und für die Ge-
^) Duclos sagt in seinen ,,M6moires secrets sur la France", bei
der Gelegenheit, da er vom russischen Hofe spricht: „Elisabeth
a eu huit enfans naturelsdont aucun n'a et6 reconnu, et qu'une
de ses favorites, italienne, nommee Jouanna prenoit sur son compte."
Soviel wir wissen, hatte sie nur zwei Kinder, einen Sohn von Rasu-
mowsky und eine Tochter von Schuwalow, von der noch mehr
gesagt werden wird. H.
*) Nach den neuesten Forschungen scheint es zweifelhaft, daß
der Ehe Elisabeths mit Rasumowsky Kinder entsprossen sind.
(Brückner, Katharina II., S. 308.)
Kirill Gregorowitsch Rasumowsky
4g. Kyrüla Rasumowsky II. 205
Seilschaft ganz unbrauchbaren Charakter. Wir wissen
nicht, in welchem Grade sie mit dem Grafen Alexis
Rasumowsky verwandt waren.
49. Kyrilla Rasumowsky II.
Cyrillus oder Kyrilla Rasumowsky, i) war der jün-
gere Bruder des Grafen Alexej Rasumowsky, des Lieb-
lings und Gemahls der Kaiserin Ehsabeth von Ruß-
land.
Nach der Thronbesteigung dieser Monarchin wurde
er mit seiner Mutter nach Petersburg geholt.
Die Mutter bheb am Hofe und die Kaiserin begegnete
ihr mit der größten Ehrfurcht. Da diese Frau nicht für
den Platz gemacht war, auf welchen man sie stellte,
so entstanden daraus verschiedene lächerliche Szenen,
die für Elisabeth sehr beschämend waren.
Der junge Kyrilla wurde mit seinem Hofmeister
nach Berlin geschickt, woselbst er einige Jahre blieb,
und von dem berühmten Euler 2) so gut erzogen wurde,
als es ohne Anstrengung mögUch war.
Für die Akademie der Wissenschaften war es wohl
kein feiner Lobspruch, daß man diesen jungen Men-
schen, als er von Berlin zurückkam, zum Präsidenten
dieser Versammlung gelehrter Männer ernannte.
Bald nachher machte ihn die Kaiserin, im neun-
zehnten Jahre seines Alters, zum Hettmann der Ko-
1) Kyrill Grigorjewitsch wurde am 29. März 1728 geboren.
2) Der berühmte Mathematiker Leonhard Euler (1707 — 1783),
ein Baseler, wirkte erst als Professor der Physik in Petersburg,
folgte 1741 einem Rufe Friedrichs des Großen an die Berliner
Akademie der Wissenschaften. Er kehrte 1766 nach Petersburg
zurück, wo er als Direktor der mathematischen Klasse der Kaiser-
lichen Akademie starb.
206 49- Kyrilla Rasumowsky II.
saken; eine Stelle, die ihm den Rang über alle Hof-
leute gab, und mit sehr großen Einkünften verbunden
war. Auch ernannte ihn Elisabeth zum Oberstleutnant
des Ismailowschen Garderegiments.
Mit dem Nachfolger dieser Fürstin schien er nur an-
fänglich gut zu stehen, trat aber bald ganz auf die
Seite der Kaiserin. Hierzu wurde er durch Personen
gebracht, auf deren Redlichkeit er sich verlassen zu
können glaubte; unter andern durch Teplow.
Sein Regiment war es hauptsächlich, das den glück-
lichen Ausgang der Revolution von 1762 entschied.
So groß der Dienst war, den Rasumowsky dadurch der
Kaiserin leistete, so schien sie doch ihre Verbindlich-
keit vergessen zu haben. Sie zog die Hettmannsstelle
ein, machte ihn zum Feldmarschall, das ein geringerer
Grad im Range war, und gab ihm dafür eine jähr-
liche Pension von zweiundsiebzigtausend Rubel; eine
Summe, die den vorigen Einkünften bei weitem nicht
beikam.
Er war zwar Feldmarschall geworden, aber er war
nichts weniger als Militär.
Einst kam er nach Berlin und Friedrich IL fragte
ihn: ,,ob er schon eine Armee kommandiert habe?"
,,Nein", antwortete er scherzend, „ich bin nur ein
Zivilgeneral." — „Ah", rief der König lachend, „das
kennen wir hier nicht!" — Wirkhch hatte er auch nie
eine Armee oder auch nur ein kleines Korps komman-
diert. Aber es stand demungeachtet eine Division von
einigen Regimentern, eine der kleinsten von allen,
unter seinen Befehlen.
Als sein Bruder starb, erbte er größtenteils dessen
großes Vermögen und wurde dadurch unermeßlich
reich. Seine Einkünfte beliefen sich weit über dreimal-
hunderttausend Rubel. Man kann aber auch sagen.
4g. Kyrilla Rasumowsky II. 207
daß er einen schönen Aufwand machte. Er hatte an
der Moika in Petersburg einen der prächtigsten und
weitläufigsten Paläste der Stadt. Hier wohnte und
lebte er ganz mit dem Anstände eines großen Herrn.
Man rechnete, daß er in diesem Hause in der Stadt
über zweihundert Personen in seinem Dienste hatte.
Er gab große Feste, hatte oft zahlreiche Versammlun-
gen und täglich Gesellschaft bei sich. Man wurde durch
das gute, treuherzige und edle Benehmen des Feld-
marschalls, durch seine verdienstvollen Söhne und
durch seine Töchter, die Verstand mit Liebenswürdig-
keit verbanden, dahin gezogen.
Der Fürst Potemkin hätte es gern gesehen, wenn der
Graf Rasumowsky, der im Range über ihm war, seine
Entlassung verlangt hätte. Aber dieser erzeigte ihm
nicht die Gefälligkeit. Erst nach des Fürsten Tode, in
der Mitte der neunziger Jahre, bat er um seinen Ab-
schied. Katharina H. verweigerte ihm denselben und
gab ihm nur einen Urlaub auf zwei Jahre. Er ging nach
Moskau und war noch da, als die Kaiserin starb.
Paul I. bestätigte ihn ebenfalls in allen seinen hohen
Würden.
Endlich starb er im Anfange des neunzehnten Jahr-
hunderts in ziemlich hohem Alter. i)
Graf Kyrilla Rasumowsky war damals Generalfeld-
marschall, Mitglied des hohen Konseils, Generaladju-
tant, Senator, Präsident der Akademie der Wissen-
schaften zu St. Petersburg, Wirklicher Kammerherr,
Oberstleutnant der Ismailowschen Garde und Ritter
des Andreas-, des weißen Adler-, des Alexander-
Newsky- und des Annen-Ordens.
Er hatte keinen glänzenden aber einen sehr richtigen
Verstand und war nicht ohne Kenntnisse. Deutsch und
^) Am 21. Januar 1803.
2o8 4g. Kyrüla Rasumowsky II.
Französisch sprach er recht gut. Den Mangel großer
Talente ersetzte er durch Patriotismus, Rechtschaffen-
heit und Wohltätigkeit ; Eigenschaften, die er in einem
hohen Grade besaß und durch welche er sich allge-
meine Verehrung erwarb.
Die Gräfin Rasumowsky war aus einer vornehmen
russischen Famihe, deren Namen wir nicht mehr
wissen. Wir glauben, sie war eine Schwester der Ober-
stallmeisterin, Maria Osipowna Narischkin.-^)
Unter seinen Kindern, deren er sehr viele hatte,
haben uns besonders drei Söhne und zwei Töchter
merkwürdig , geschienen.
Andreas, 2) ein Mann von großer Feinheit und durch-
dringendem Verstand, war Gesandter in Neapel und
Stockholm und Ambassadeur in Wien. Er hat sich
durch seine Galanterien mit der Königin Maria Karo-
line von Neapel und mit der Großfürstin Nataha Alex-
jewna, ersten Gemahlin Pauls L, bekaimt gemacht.
Alexis, oder vielleicht hieß er Gregor, war Geheimer
Rat und Senator und nahm seinen Abschied, um sich
nur den Wissenschaften zu widmen. Er ist vielleicht
einer der gelehrtesten Russen, und würde in jeder Aka-
demie der Wissenschaften für einen der ersten Ge-
lehrten gelten.^)
Peter war General und ist es vielleicht noch. Im
Kriege gegen Schweden zeichnete er sich sehr rühm-
lich aus.*)
^) Ihr Gemahl war Lew Alexandrowitsch Narischkin. Die beiden
mit hohen Hofchargen bekleideten Männer, Alexander Levowitsch
und Dmitrej Levowitsch, sind Söhne aus dieser Ehe. H.
^) Geboren am 2. November 1752. Er starb am 23. September
1836. Unsterblich wurde er dadurch, daß ihm Beethoven mehrere
seiner Werke, so das Quartett, Op. 59, widmete.
^) Alexis, geboren 1748, starb im Jahre 1822.
*) Peter starb 1837. Mit ihm erlosch die russische Linie der
Rasumowsky.
30. Schubin. 209
Die eine Tochter heiratete einen Apraxin und lebte
in Moskau. _'
Eine andere Tochter, Nataha, ist durch ihren Ver-
stand, ihren Witz und ihre große Liebenswürdigkeit
bekannt. Sie ist die Gemahhn des Oberschenken, Kam-
merherrn und Ritter des Alexander-Newsky- und
Annen-Ordens, Sagraiskoy; ein Name, den man nicht
mit Sakrewsky verwechseln muß. Sagraiskoy ist ein
sehr verehrungswürdiger Mann, durch seine Kennt-
nisse sowohl, als durch seinen Charakter.
50. Schubin.
Der Wert der körperlichen Schönheit kann nie mit
den Vorzügen des Geistes gemessen werden. Diese sind
vielfach und bleibend; jene hingegen ist den Ein-
drücken der Zeit, der Krankheiten und des Kummers
unterworfen und gewährt alsdann, durch diese Zufälle
vernichtet, nicht den geringsten Vorteil mehr.
Schubin, ein gemeiner Russe, fing seine Kriegs-
dienste unter der Regierung der Kaiserin Katharina I.
auf der untersten Stufe an.
Er war es, der Elisabeth zuerst die Liebe lehrte, als
diese Prinzessin noch nicht das siebzehnte Jahr er-
reicht hatte.
Diese Verbindung, die im Jahre 1726 im sogenannten
Sommergcirten in Petersburg entstand, mußte, so-
lange die Kaiserin lebte, sehr geheim gehaten werden.
Nach dem Tode der Mutter (1727) erhielt Ehsabeth
mehr Freiheit, aber ihr Wirkungskreis wurde noch
enger.
Ihr Ansehen unter der Regierung Peters IL war so
Russische Gunstlmgo. ZA
310 50- Schubin.
schwach, daß, ungeachtet ihrer Fürsprache, Schubin
doch nicht höher als bis zur Stelle eines Sergeanten
kommen konnte. Die Lebensweise einer Prinzessin
kann selten lange ein Geheimnis bleiben, und so mußte
die der EHsabeth, die wegen Schubins unhöflichen!
Betragen gegen die Prinzessin nicht ganz unbekannt
bheb, ebenfalls zu den Ohren der Kaiserin Anna, der
Nachfolgerin Peters II., kommen.^)
Diese Fürstin, zwar wollüstig, aber, wie Friedrich II.
sehr richtig bemerkt, ohne Ausschweifung, beschloß
sogleich, ihr Ansehen zur Auflösung eines Bandes an-
zuwenden, das in so ungleichen Verhältnissen geknüpft
worden war.
Ein Zufall verschob die Ausführung dieses Ent-
schlusses, bis neue Szenen der Übereilung der Kaiserin
bekannt wurden und ihren Willen bestimmten.
Schubin wurde ohne alle Vorbereitung nach Si-
birien gebracht, wo er in einem unterirdischen Ge-
fängnis schmachtete, bis ihn EHsabeth, als Kaiserin,
befreite.
Diese Fürstin bestieg den Thron in der Nacht vom
24. zum 25. November 1741 und schon früh um 5 Uhr
schickte sie einen Kurier nach Sibirien und versprach
ihm große Belohnungen, wenn er Schubin entdecken
könnte. Dies zu bewerkstelligen war wirklich schwer.
Schubin hatte, wie alle Verwiesenen, vor seiner Ab-
reise seinen Namen verändern und schwören müssen,
ihn nie zu entdecken. Sein wahrer Name war dann
vergessen und hingegen der angenommene bei der ge-
heimen Kanzlei eingeschrieben worden. Niemand
konnte also darüber Auskunft geben als Schubin selbst.
* Anna Iwanowna (1693 — 1740) regierte als Kaiserin von 1730.
Sie war die zweite Tochter des älteren Halbbruders Peters des
Großen.
^o. Schubin. 211
Der Kurier, der mit dem Auftrage, ihn zu ent-
decken, abgefertigt wurde, durchsuchte in dem Unge-
heuern Sibirien alle Gefängnisse, fragte alle Verwie-
senen, wie sie hießen, und fand ihn nicht, weil er unge-
schickt genug gewesen war, nicht zu sagen, wer ihn
schicke und wer damals Rußland beherrschte.
Endhch, nachdem er beinahe zwei Jahre vergebens
gesucht hatte und schon auf der Rückreise begriffen
war, kam er zum zweitenmal in ein Gefängnis, fragte
wieder nach, und rief endlich voUer Unmut aus: ,,was
wird unsre Kaiserin Elisabeth Petrowna sagen, wenn
ich ihr nicht Schubin bringe!" „Was?" schrie einer
der Gefangenen, ,,ist Elisabeth Kaiserin, so bin ich
Schubin." So gelangte dann dieser Unglückhche wie-
der zum Genuß sines freien Lebens.
Schubin trat nun die Rückreise aus Sibirien an und
kam im Sommer des Jahres 1743 nach Petersburg. Er
wurde sogleich, ein unerhörtes Avancement, vom Ser-
geanten, Major von der Garde, Generalmajor und
Ritter des Alexander-Newsky-Ordens.
Die ehemalige Verbindung der Elisabeth mit Schu-
bin schien dem neuen Liebling gefährlich. Alexis Rasu-
mowsky wünschte daher dessen Entfernung. Dieser
Wunsch stimmte mit Schubins Neigung zum Privat-
leben überein. Er war nicht für den Hof gemacht, und
der Hof nicht für ihn. Ehsabeth hatte ihm beträcht-
liche Güter in Rußland geschenkt. Er nahm nun seinen
Abschied als Generalleutnant, begab sich dahin und
ging nie von dort weg. Hier lebte er noch im Jahre
1749.
Personen, die Schubin bei Hofe sahen, als er aus
Sibirien kam, versicherten, er habe blaß und vom
Kummer entstellt ausgesehen, doch habe man Spuren
seiner vorigen Schönheit entdecken können. Daß er
14*
212 5-f- Berger.
ganz bäurisch in seinen Sitten sein mußte, ließ sich
leicht erwarten und man konnte es im ersten Augen-
bhcke nach seiner Zurückkunft bemerken. Es währte
aber auch nicht lange, so sah man deuthch, daß er
nicht die geringsten Fähigkeiten zu irgendeinem Ge-
schäfte von einiger Erhebhchkeit hatte. Der Zug, daß
er erst auf wiederholtes Nachfragen des Kuriers in
Sibirien sich entdeckte, zeigt deutlich, daß er ein
höchst eingeschränkter Kopf war.
51. Berger.
Der Name des Mannes, von dem dieser Artikel han-
delt, ist fast das einzige, was wir von seinem Leben
wissen. Aber dieser Mann veranlaßt uns, eine der
fürchterlichsten Greuelszenen aus der Regierung der
Kaiserin Ehsabeth zu erzählen. Wenn man nun weiß,
daß er der Stifter dieses Unglücks war, so entbehrt
man gern alle übrigen genauen Lebensumstände von
ihm. Bosheit war wahrscheinhch die Grundlage seines
Charakters und der Hebel seiner Handlungen. Man
könnte vielleicht an die Stelle dieser schädlichen Eigen-
schaft Unbesonnenheit und Schwäche des Verstandes
setzen, aber wie traurig ist es, seine Handlungen durch
solche Fehler entschuldigen zu müssen.
Berger war ein Kurländer, von der gemeinsten Ab-
kunft. Er ging nach Rußland, wo damals Biron unter
dem Namen der Anna regierte. Hier nahm er Mihtär-
dienste, und durch Empfehlung wurde er Offizier in
einem Feldregimente.
Im Jahre 1743 bestimmte man ihn, nach Jaroslawl,
dem Verbannungsorte des Grafen Löwenwolde zu
51. Berger. 213
gehen, um die Wache bei diesem vornehmen Gefan-
genen, die bis jetzt ein andrer Offizier, Namens Soli-
kamski, ein gemeiner Mensch ohne Famihennamen
aus der Stadt Sohkamsk, im Kasanschen Gouverne-
ment, gehabt hatte, zu übernehmen.
Das Kommando war allerdings langweihg, großer
Verantwortung unterworfen und in jedem Betracht
unangenehm. Berger wollte es gern ablehnen, aber es
fehJte ihm an Vorwand. Endlich führte der Zufall einen
herbei, den er auf die fürchterlichste Art benutzte.
Die Staatsdame Lapuchin,^) Gemahhn des General
leutnants und Kammerherrn, hatte gehört, daß ein
Leutnant Berger die Wache bei dem Grafen Löwen-
wolde haben sollte ; sie trug also ihrem Sohne, der unter
dem Kaiser Joan Kammerjunker gewesen, jetzt aber
nichts war, auf, die Bekanntschaft des Leutnants Ber-
ger zu suchen und ihm aufzutragen, er möchte den
Grafen Löwenwolde ihres beständigen Andenkens ver-
sichern und ihn in ihrem Namen bitten, er möchte ja
nicht verzagen, sondern auf bessere Zeiten hoffen.
Dieser unschuldigen Äußerung des Trostes, den die
Freundin dem leidenden Freunde gab, und die sich
auf nichts gründete, wurde eine Auslegung gegeben, die
nur Bosheit erfinden und Unklugheit glauben kann.
Sie wurde zum Vorwand genommen, um eine Plau-
derei, die Weiber und junge Leute ausgebrütet hatten
und durch welche der hirnlose Kopf einer schwachen
und eiteln gekrönten Kokette sich für beleidigt hielt,
wie ein Staatsverbrechen zu bestrafen.
Die Sache war diese: Frau von Lapuchin und die
Gräfin Bestuschew, Gemahhn des Oberhofmarschalls
und ehemaUge Witwe des Grafen Jaguschinski, sollten
einmal gesagt haben, sie wären noch jetzt, als ziemlich
*) Die Familie hieß Lopuchin.
214 5^- Berger.
veraltete Damen, schöner als die Kaiserin. Sie mochten
es nun gesagt haben oder nicht, so entstand doch dar-
aus ein Gerücht, das Weiber und junge Leute ver-
breiteten und so bis zu den Ohren der EHsabeth
brachten. Diese, sobald ihre Schönheit nur einiger-
maßen in Zweifel gezogen wurde, schäumte aus Wut.
Ihre vertrauten Freundinnen, denn sie selbst war zu
indolent und eingeschränkt, um es zu tun, mußten nun
auf Gelegenheit zur Rache denken und diese fand sich
bald.i)
Berger, der die Schlechtigkeit seiner Regierung
kannte, kam auf den teuflischen Einfall, daß ihn der
Auftrag der Frau von Lapuchin von der Wache bei
dem Grafen Löwenwolde frei machen könnte. Seiner
Überzeugung zuwider Heh er demselben eine auf-
rührerische Auslegung, durch deren Angabe er sich
ein Verdienst maghen wollte. Er machte sie beim
General Uschakow, beim Knes Nikita Trubetzkoy und
beim Grafen L'Estocq.
General Uschakow war schon seit vielen Jahren In-
quisitor von Rußland oder Präsident der Geheimen
Kanzlei. Als solcher hatte er besonders unter der Eli-
sabeth einen uneingeschränkten Wirkungskreis. Der
Fürst und der Bauer, der Autorität Uschakows ent-
gegengestellt, fühlten beide den ganzen Umfang ihrer
^) Das Verbrechen Natalia Balks, Gemahlin des Grafen Lopuchin,
war noch viel schwerer als hier angegeben: Sie hatte die Eifersucht
der Kaiserin geweckt. Bei einem Hofballe erschien Elisabeth mit
einer Rose in den Haren. Die Lopuchin hatte den unglückseligen
Einfall, dies nachzumachen. Wütend stürzte die Kaiserin auf die
Verbrecherin los, zwang sie auf die Knie nieder, nahm eine Schere
und schnitt ihr die Rose samt dem Haarbüschel herunter. Dann
versetzte sie der Knienden einige Schläge ins Gesicht und kehrte
zum Tanze zurück. Als man ihr berichtete, daß die Gräfin in Ohn-
macht gesunken sei, zuckte Elisabeth die Achseln und sagte: „Die
Törin hat, was sie verdient!" (Stern II, S. 49 ff.)
51. Berger. 215
Nichtigkeit. Er hatte den Ruf einer außerordentlichen
Strenge.^und wenn man ihm auch gleich eine große
Rechtschaffenheit nicht absprechen konnte, so zit-
terten doch alle Bewohner Rußlands, sobald nur sein
Name genannt wurde.
Knes Nikita Trubetzkoy hatte sehr despotische
Grundsätze und war nicht durch Handlungen der
Menschlichkeit und Nachsicht bekannt.
Der Charakter des Grafen L'Estocq ist aus diesen
Blättern bekannt. Damals, im Jahre 1743, beobachtete
er noch aus Vorsicht eine größere Strenge als eigent-
lich in seinen Gesinnungen lag: denn er fürchtete
immer noch, daß das neue Gebäude der Regierung der
Ehsabeth eben so geschwind zerstört werden könnte,
als er es aufgerichtet hatte.
Zu diesen drei Männern nun ging Berger, erzählte
ihnen den Auftrag der Frau von Lapuchin und gab zu
verstehen, er glaube, daß diese vorgespiegelte Hoff-
nung sich doch auf etwas gründen müsse. Man gab ihm
den Rat, den jungen Lapuchin in Gegenwart von Zeu-
gen auszuforschen. Berger tat dies. Er ging in ein
Weinhaus, wo die jungen Leute gewöhnlich zusammen
kamen. Lapuchin erschien. Er, Berger und ein gewisser
Maltiz, Adjutant der Prinzen von Hessen-Homburg,
der sich als Zeuge einfand, tranken zusammen. Berger
stellte sich mißvergnügt mit der Regierung, und der
unbefangene Lapuchin fiel in die Schlinge und sprach
in freien und allerdings unklugen Ausdrücken von der
Kaiserin. Mehr brauchten seine Verräter nicht. Nun
wurde Elisabeth von der Sache unterrichtet.
Die Weiber, die bei ihr waren, schrien gleich, Frau
von Lapuchin und Gräfin Bestuschew hätten immer
schlecht von der Monarchin gesprochen, dahinter liege
der Entwurf einer Empörung verborgen und man
2l6 51. Berger.
müsse das Übel in der Quelle ersticken. Elisabeth er-
innerte sich nun im heftigsten Grimm des vorgeblichen
Verbrechens ihrer beleidigten Schönheit, und im vollen
Ausbruche ihrer Weiblichkeit befahl sie sogleich, auch
die entferntesten Teilnehmer dieses sogenannten
Staatsverbrechens, die gewiß noch alle mit den Ver-
wiesenen in Verbindung ständen, gefänglich einzu-
ziehen, und besonders die beiden Damen gerichtlich
und öffentlich zu bestrafen. Die Kaiserin hatte eben
wollen nach Peterhof fahren, aber nun unterblieb es.
Die Untersuchung nahm einen f ürchterhchen Anfang.
'■ In der Nacht vom 4. zum 5. August mußten in allen
Straßen von Petersburg Patrouillen umhergehen. Noch
an dem nämlichen Abende gingen die gerichtlichen
Einziehungen an. Generalleutnant Lapuchin, seine
Frau und ihr Sohn wurden arretiert. Die Hofdame
Fräulein Lapuchin, Tochter des Generalleutnants La-
puchin, war bei dem jungen Großfürsten in Peterhof,
der sie wegen ihrer muntern Unterhaltung sehr liebte.
Sie kam mit diesem Prinzen am andern Morgen vom
Lande gefahren, und wurde unter dem Vor wände, daß
ihre Mutter tödlich krank sei, sogleich nach Hause ge-
bracht und dort arretiert. Am 6. August wurde die
Gräfin Bestuschew, die auf dem Lande war, mit ihrer
ältesten Tochter arretiert und nach der Stadt gebracht.
Ihrem Gemahl ließ man sagen, daß er nichts zu fürchten
habe und dort bleiben könne. Alle wurden anfänghch
in das vormalige Palais der EHsabeth, das man noch
auf dem jetzigen Marsfelde sieht, gebracht.
Kurz darauf kamen die Herren von Lapuchin, Frau
von Lapuchin und die Gräfin Bestuschew in die Pe-
tersburger Festung.
Die Töchter wurden, als unschuldig befunden, nach
Hause geschickt.
Die öffentliche Auspeitschung der Frau Lopuchin
Nach einem russischen Holzschnitt
51. Berger. 217
Nun wurde eine Kommission niedergesetzt. Die Mit-
glieder waren: General Uschakow, Knes Trubetzkoy
und Graf L'Estocq. Protokollist war der Staatsrat De-
midow. Täglich wurden nun mehrere arretiert, denn
wenn einer, seit länger als einem Jahre, ein Wort ge-
sagt hatte, das einer Auslegung fähig war, die Unzu-
friedenheit mit der Gegenwart, oder Erinnerung einer
glücklichen Vergangenheit anzeigte, und einer seiner
Feinde gab es jetzt an, so wurde er für einen Mitschul-
digen der jetzigen vorgebhchen Verschwörung ge-
halten und sogleich eingezogen. Dies widerfuhr unter
andern einer Kammerherrin Lilienfeld, einer Kammer-
herrin Knejina Gagarin, gebornen Jaguschinski, einem
Leutnant Maschkow von der Garde, einem Kapitän
Knes Putjatine von der Garde, einem Staatsrat Sybin
und andern. Der junge Lapuchin wurde unter der
Knute befragt und der Schftierz preßte ihm Geständ-
nisse aus, die man ihm in den Mund legte.
Nun wurde die Sache noch ernsthafter, und sogar
ausländisch-politisch.
Der Marquis de Botta, Gesandter der Königin von
Ungarn und Böhmen, der schon vor einiger Zeit aus
Rußland weggereist war, hatte mit den Häusern La-
puchin und Bestuschew in der innigsten Verbindung
gestanden.
Diesen Umstand nutzte die französische Gesandt-
schaft, um den russischen Hof dem ihrigen geneigt zu
machen und dem österreichischen, der damals mit dem
französischen in ewiger Fehde war, einen empfindlichen
Streich zu versetzen.
D'Aillon teilte, wer weiß von welchen Schfiften, Ex-
trakte mit, worin stand, Botta hätte gesagt, die Re-
gierung der Elisabeth könne nicht bestehen. Er setzte
hinzu, dieser Gesandte habe mit der Frau von Lapu-
2l8 5-r- Berger.
chin und der Gräfin Bestuschew bei seiner Abreise Ab-
rede genommen, den König Friedrich II. von Preußen
zur Wiedereinsetzung der braunschweigischen Familie
zu bewegen.
Die Klagen über Botta gingen nach Wien.
Maria Theresia, menschHcher, klüger und gerechter
als Elisabeth, schrieb an ihren Residenten Hohen-
holzer, man könnte den Marquis de Botta nicht ver-
dammen; um dies zu tun, müsse man umständliche
Beweise haben.
Nun ließ Elisabeth ganze Stöße unsinniger Proto-
kolle, die fast nichts als Weibergeschwätz enthielten,
nach Wien bringen, versicherte, sie sei selbst bei den
Interrogatorien gewesen und verlangte Genugtuung.
Das erste war nicht wahr, aber demungeachtet wurde
ihr das zweite einigermaßen zugestanden; Botta fiel
wirklich zum Schein auf eine kurze Zeit in Ungnade.
Friedrich II., von dem in diesen Verhören auch die
Rede gewesen war, Heß, sobald er Nachricht davon
bekam, durch seinen Gesandten, den Baron Mardefeld,
die größten Entschuldigungen in Petersburg machen
und feierlich beteuern, daß ihm nie Vorschläge wegen
der Wiederherstellung der braunschweigischen Famihe
und dem russischen Throne gemacht worden wären,
daß er aber auch, wenn es je geschehen sollte, sie ge-
wiß sogleich zurückweisen würde.
Indem dies alles im Auslande verhandelt wurde,
fuhr man in Rußland fort, zu untersuchen, um die
Augen bald an der henkermäßigen Vollziehung der
Strafen weiden zu können. Es wurde eine große-Ver-
sammlung gehalten. Senat und Synod mußten schwören
zu schweigen und zu richten. Der Synod wollte sich
ausschließen, aber er mußte der Versammlung bei-
treten, um nicht selbst verdächtig zu erscheinen.
51. Berger. 219
Den Tag nach Alexander - Newsky, das ist den
18. September, war die Exekution auf dem damaligen
Richtplatze in Wassilej-Ostrow.
Zwei Tage vorher wurde sie unter Trommelschlag be-
kanntgemacht.
Der Generalleutnant Lapuchin, seine Gemahlin, die
kaiserHche Staatsdame, die OberhofmarschalHn, Gräfin
Bestuschew, der junge Lapuchin, der Leutnant Masch-
kow von der Garde, der Knes Putjatine, Hauptmann
von der Garde, und der Staatsrat Sybin bekamen die
Knute. Den vier ersteren wurden überdies die Zungen
abgeschnitten. Die Knutknechte zeigten die abge-
schnittenen Stücke der Versammlung, und mit teuf-
lischem Scherz boten sie dieselben zum Verkauf aus.^)
Die Unglücklichen wurden alsdann, auf kleinen Bauer-
wagen, zehn Werste weit geführt, wo sie in einem
Dorfe von ihren Verwandten Abschied nehmen durften.
Dann kamen sie einzeln an die Orte ihrer Verbannung.
Viele andere Personen, die eingezogen worden waren,
wurden gleich aus ihren Gefängnissen nach Sibirien
verwiesen. Die wenigsten kamen ohne Strafe davon.
So wurde also durch ein Geschwätz, das wahrschein-
lich nur auf einer Lüge beruhte, die Trennung und das
Unglück so vieler Familien bewirkt. Und so geht es oft.
Kleine Ursachen bringen die schrecklichsten Begeben-
heiten hervor.
Bergers Empfindungen, wenn er deren fähig sein
konnte, müssen bei allen diesen Ereignissen fürchter-
lich gewesen sein.
Die weitläufigere Auseinandersetzung der näheren
Umstände seines unwürdigen Lebens hat gewiß für die
^) Eine ausführliche Schilderung der mit barbarischer Bosheit
und Schamlosigkeit ausgeführten öffentlichen Bestrafung der
Natalie Lopuchin bei Crusenstolpe I, S. 154 ff.
220 5^- Carl Sievers I.
Neugierde unserer Leser keinen Reiz. Berger erhielt
die Erlaubnis, nicht zum Grafen Löwenwolde zu gehen,
die er durch das Unglück so vieler Menschen erkauft
hatte. Er anvancierte zwar mit ziemlicher SchneUig-
keit in der Armee, machte aber ein schlechtes Glück,
und starb endhch, unter der Regierung der Kaiserin
Katharina IL, als Generalmajor in den elendesten Um-
ständen.
52. Carl Sievers L
Karl Sievers, der Sohn eines Bedienten des Herzogs
Biron von Kurland, wurde selbst Bedienter bei einem
Herrn von Nieroth in Livland. Von da an kam er nach
Petersburg, und nach einem kurzen Aufenthalt in die
Dienste der Prinzessin Elisabeth.
An diesem Hofe erhielt er die Stelle eines Kaffee-
schenken. Elisabeth hatte sich so sehr an seine Zu-
bereitung dieses Getränks gewöhnt, daß Sievers alle-
mal an die Orte in der Stadt kommen mußte, wo die
Prinzessin speiste, vnn den Kaffee für sie zu kochen.
Da er übrigens ein schöner Mann war, so wurde er
auch bald einer von Elisabeths Lieblingen.
Nach der Thronbesteigung dieser Fürstin bekam
Sievers Hofchargen und wurde nach und nach endhch
deutscher Reichsgraf, Ritter verschiedener Ritter-
orden und Oberhofmarschall.
In dieser Würde starb er unter der Regierung der
Kaiserin Katharina IL, und hinterheß große Reich-
tümer.
Sievers war ein treuherziger, gutdenkender und
dienstfertiger Mann, der nur einen mittelmäßigen Ver-
5J. Sievers II. 221
stand und, wie man leicht denken kann, weder Er-
ziehung noch Kenntnisse hatte.
Seine Gemahlin war eine Schwester des Geheimen
Rats und Leibarztes Kruse. i)
Er hinterließ aus dieser Ehe drei Söhne, die alle in
russischen Militärdiensten waren, und eine Tochter.
Diese vortreffhche Frau vermählte sich mit ihrem
Vetter, von dem in dem Artikel seines Vetters die Rede
sein wird, und trennte sich von ihm, nachdem sie ihm
drei Töchter geboren hatte. Sie heiratete hierauf einen
sehr kenntnisreichen Mann, den Geheimen Rat, Kam-
merherrn und Oberbaudirektor Knes Putjatine und
lebte mit diesem in sehr glücklicher Ehe seit mehreren
Jahren in Sachsen.
53. Sievers II.
Man hat behaupten wollen, dieser Sievers sei aus der
holsteinischen adeligen Familie dieses Namens ent-
sprossen, allein diese Nachricht ist vöUig unbegründet.
Er war ein naher Verwandter des vorigen Sievers. So-
bald dieser einiges Ansehen erlangte, verschaffte er
seinem Vetter unbedeutende Magistratsstellen in
kleinen livländischen Städten. Nach und nach ließ
man auch diesen Sievers höher steigen. Er kam nach
Petersburg und wurde Wirkhcher Staatsrat. In den
Grafenstand ward er nicht erhoben.
Erst sein Sohn 2) wurde Graf. Er war es, der als Am-
'■) Nach Katharinas Ermnerungen war eine Frau Kruse, die
Schwiegermutter des Kammerherm Sievers, Kammervorsteherin
Katharinas (S. 82).
^) Jakob Jefimowitsch starb am 10. Juli 1808. Ihm dankt
Rußland u. a. die Aufhebung der Folter. Die Polen achteten ihn
so hoch, daß sie während der Wirren sein Eigentum schonten
(9. Karl Ludw. Blum, Ein russischer Staatsmann. 1857).
222 54- LoelUn. — 55. Woschinsky.
bassadeur Katharinas IL die politische Existenz Po-
lens vernichtete; ein Geschäft, wodurch er sich mit
Recht den Haß der unparteiischen Welt zuziehen
mußte. Am Ende des vorigen Jahrhunderts war er
Mitglied des hohen Conseils, WirkHcher Geheimer Rat,
Senator, hatte noch verschiedene, unbedeutendere
Würden und war Ritter von zehn Ritterorden.
Seine Gemahlin war die jetzige Fürstin Putjatine,
die ihm nur drei Töchter gab, von denen die erste und
die dritte in Rußland vermählt sind, die zweite aber,
die schon lange gestorben ist, einen sächsischen Grafen
von Schönburg- Penig, jetzigen Königlich Sächsischen
Gesandten in Kassel, geheiratet hatte.
54. Loellin.
Loellin, ein junger schöner Russe aus der niedrigsten
Klasse des Pöbels, gefiel der Prinzessin Elisabeth, die
ihn einst auf der Straße sah, so sehr, daß sie ihn so-
gleich in ihre Dienste nahm. Er blieb Bedienter bei ihr,
bis sie den Thron bestieg. Zwei Tage nachher machte
sie ihn zum Kammerherrn, schenkte ihm Güter und
wies ihm noch ansehnliche Einkünfte an. Er war täg-
lich in der Gesellschaft dieser Monarchin.
55. Woschinsky.
Woschinski, ein kaiserhcher Stallknecht, führte
gemeinighch am kaiserlichen Wagen die Lenkseile, auf
russisch Woschnje. Von diesem Worte erhielt er den
Graf J. J. von Sievers
S6. Jermolaj Skwarzow. — 57. Tschoglogow. 223
Namen Woschinski, denn vorher hatte er, wie viele
russische Bauern, nur einen Taufnamen. Unter der Re-
gierung der Ehsabeth wurde er Kammerherr und be-
kam Besoldungen und ansehnliche Güter.
56. Jermolaj Skwarzow.
Jermolaj Skwarzow war der Sohn eines Kutschers,
wurde Bedienter bei der Prinzessin Elisabeth und nach-
dem dieselbe den Thron bestiegen hatte, Kammerherr
dieser Monarchin. Er hat übrigens nie eine bedeutende
Rolle gespielt.
Sein Sohn, Wassilej Jermolaj itsch, wurde General,
Kammerherr und Ritter des Alexander- Newsky-
Ordens, Dieser lebte noch im Jahre 1770.
57. Tschoglogow.
Tschoglogow, der Sohn eines armen Russen, den ejr
mit einer Deutschen von geringem Herkommien er-
zeugt hatte, war so glücklich, in das Kadettenkorps
zu kommen, wo er eine gute Erziehung hätte haben
können, wenn er selbst Lust gehabt hätte, von dieser
Gelegenheit Vorteil zu ziehen. Als er das Korps verließ,
wurde er Tänzer bei Hofe. Er bheb es nicht lange.
Tschoglogow gefiel der Gräfin Maria Hendrikow, und
dieser Umstand machte es begreifhch, daß er ohne
Verdienste von einer Ehrenstelle zur andern steigen
konnte.^)
^) Von einem sehr pikanten Seitensprung dieses Tschoglogow
erzählt Katharina mit unverhohlener Schadenfreude (S. 79 ff.).
224 5^- Tschulkow.
Er starb als Oberhofmeister der Kaiserin und Ritter
des Danebrog-Ordens.
Seine Gemahlin war die nämliche Gräfin Maria Hen-
drikow, leibliche Kusine der Kaiserin Ehsabeth.i)
Er hinterließ vier Söhne und drei Töchter.
Wenigstens drei von den Söhnen saßen auf Lebens-
zeit in Gefängnissen, teils, weil sie die öffentliche Ruhe
gestört hatten, teils, weil sie in Verschwörungen wider
die Kaiserin Katharina II. verwickelt gewesen waren.
Die Familie Tschoglogow existiert noch.
Im Anfange der neunziger Jahre war ein Enkel des
ersten merkwürdigen Mannes dieses Namens Stabs-
offizier in einem Feldregiment.
58. Tschulkow.
Tschulkow*) war bei der Prinzessin Elisabeth ein ge-
meiner Bedienter gewesen. Nach der Thronbesteigung
dieser Fürstin wurde er Kammerherr und bekam von
ihr beträchtliche Güter in Rußland geschenkt.
Seine Erhebung hatte er nicht, wie andere, der
Schönheit zu danken, denn er war übel gewachsen und
auffallend häßlich. Aber er hatte den leichtesten Schlaf,
den man finden konnte und dadurch machte er sein
Glück. Ehsabeth war furchtsam, wie alle Usurpatoren.
Sie fürchtete die etwaigen Unternehmungen, die man
^) Diese Madame Tschoglogow oder Tschoglokow wurde die
strenge Oberhofmeisterin der Großfürstin-Thronfolgerin Katharina.
Die Erinnerungen der bedauernswerten jungen Prinzessin sind voll
von Klagen über die bissige Art ihrer Aufseherin und deren auf-
geblasenen Gatten. Selbst Graf Hendrikow, der Bruder der Tscho-
glogow, „magmierte sich über die Dummheit imd Roheit seiner
Schwester und seines Schwagers" (S. 71).
^) Wassilij Iwanowitsch Tschulkow war ursprünglich Ofen-
heizer am Hofe.
Sg. Iwan Tscherkassow. 225
bei Nachtzeit wagen könnte, weil sie selbst ihre Revo-
lution während der Nacht unternommen hatte, und
weil die gegen den Herzog von Kurland ebenfalls um
diese Zeit geschehen war. Der Erfolg beider Empö-
rungen hatte dem Wunsche der Empörer entsprochen.
Um also nicht aus Mangel an Wachsamkeit über-
rascht zu werden, mußte Tschulkow immer des Nachts
bei der Kaiserin bleiben. Man kann sagen, daß sie
keine Nacht ohne ihn zubrachte, denn er mußte alle
Nächte in ihrem Zimmer auf einem Lehnstuhl schlum-
mern. Lange Jahre hindurch kam Tschulkow in kein
Bett. Der Schlaf war für ihn weit weniger Bedürfnis,
als für andere Menschen. Ein leichter Schlummer auf
einem Stuhle war ihm Erholung genug, so daß er nie
nötig hatte, sich während der Tageszeit in ein Bett zu
legen. Da Tschulkow das sonderbare Amt hatte, alle
Nächte bei der Kaiserin zu sein, so kann man wohl
denken, daß die Monarchin auch das vollkommenste
Zutrauen zu ihm haben mußte. Er wußte ihre ge-
heimsten Privathandlungen.
In den siebziger Jahren war ein Wassilej Iwano-
witsch Tschulkow General, Kammerherr und seit dem
Jahre 1755 Ritter des Alexander-Newsky-Ordens ; und
am Ende des vorigen Jahrhunderts gab es in Peters-
burg einen Staatsrat Tschulkow, der zugleich Ritter
des Annenordens war. Vermuthch waren beide Ver-
wandte des obigen Kammerherrn Tschulkow.
59. Iwan Tscherkassow.
Iwan Tscherkassow war von gemeiner Herkunft.
Peter I. nahm ihn zu sich und ließ ihm Unterricht im
Schreiben geben. Als er einige Fertigkeit darin erlangt
Russische Günstlinge. je
226 59- -^^"^w Tscherkassow.
hatte, machte er ihn zu seinem Schreiber. Er mußte
in dieser Bedienung den Kaiser auf Reisen begleiten,
konnte aber unter der Regierung dieses Monarchen nie
zu einer höheren Stelle gelangen.
Katharina I. ließ ihn im KaiserHchen Kabinett, wo
er unter dem Geheimrat Makarow immer als Schreiber
mit dem Titel eines Kabinettsekretärs arbeiten mußte.
Unter der Regierung der Kaiserin Anna wurde
Tscherkassow wegen vieler schlechter Streiche auf
Birons Befehl nach Astrachan verbannt.
Damals konnte man nicht glauben, daß durch eine
seltsame Kombination der Umstände dieser Tscher-
kassow der Schwiegervater der Tochter des allge-
waltigen Birons werden würde. — In Astrachan mußte
er bis zum Jahre 1742 bleiben.
Ehsabeth, die es für ein großes Verdienst hielt,
ihrem Vater gedient zu haben, es mochte nun mit
großer Zufriedenheit dieses Monarchen geschehen sein
oder nicht, rief ihn zurück und überhäufte ihn mit
Ehrenstellen und Reichtümern, die er beide nicht ver-
diente. Er wurde endlich Baron und Kabinettsminister
imd brachte es auf eine unbegreifliche Weise so weit,
daß die von ihm unterschriebenen Befehle so viel
galten, als Kaiserliche Ukase.
Tscherkassow starb in Petersburg im Jahre 1760.
Er war grob, unwissend und naclilässig über alle
Beschreibung. Nach seinem Tode fand man fünfhun-
dert und siebzig Pakete Landesangelegenheiten, die
ihm ins Kabinett vom Senate waren zugeschickt wor-
den und die er nicht eröffnet hatte.
Sein Sohn Alexander heiratete im Jahre 1759 die
Prinzessin Hedwig Elisabeth Biron von Kurland.
Übrigens steht die Familie Tscherkassow als eine der
vornehmsten in großem Ansehen am russischen Hofe.
6o. Oloff. 227
60. Oloff.
Oloff war der Sohn eines sogenannten Altdeutschen
in Moskau. Er wurde durch Empfehlung Offizier. Als
solcher kam er in Bekanntschaft mit den Kammer-
leuten der Kaiserin Elisabeth, die ihm den Rat gaben,
zur griechischen Kirche überzutreten. Er tat es und
sein Glück war gemacht. Elisabeth, die einen Teil ihrer
Religionspflichten zu erfüllen glaubte, nahm es nun
auf sich, für das irdische Glück Oloffs zu sorgen. Er
wurde sehr bald Oberster und bekam ein Regiment.
Einst erhielt er den Befehl, mit seinen Truppen in
eine Provinz einzurücken, um einen Aufstand zu
dämpfen, den die Bauern daselbst erregt hatten. Allein
die Aufrührer, in weit stärkerer Anzahl als die Soldaten,
vertrieben diese, bekamen den Obersten in ihre Ge-
walt, legten Hand an ihn und jagten ihn fort. Dieser
Unfall hatte indessen keinen Einfluß auf Oloffs Schick-
sal, so lange Elisabeth lebte.
Als ihn die Reihe traf, wurde er Generalmajor,
Ganz anders ging es 1762 unmittelbar nach dem
Tode der Kaiserin,
Eines Abends während der Tafel, als eben die Rede
von den Avancements war, die bei dem bevorstehen-
den Friedensfeste bekanntgemacht werden sollten,
befahl Peter III. seinem Generaladjutanten Gudo-
witsch, die Liste der Obersten und Generalmajore vor-
zulesen, die bei dieser Gelegenheit anvancieren zu
müssen glaubten. Es geschah, und der Kaiser machte
bei einem jeden mit der ihm eigenen Sachkenntnis
die gründlichsten Anmerkungen. Als nun die Reihe an
den Generalmajor Oloff kam, schrie Peter III. : , »Aus-
gestrichen, ich will keinen General haben, der sich
von Bauern hat prügeln lassen. Er mag mit dem
15*
228 6i. Poltarazky. — 62. Iwan Schuwalow.
Generalmajors-Charakter, den ihm meine Tante ge-
geben hat, davon laufen." Er^bekarn auch wirklich
seinen Abschied. ."'iVi,! '.'.:. s^|;
Er liielt sich nunmehr an die Kaiserin und vermehrte
die Anzahl derer, die dem Kaiser den Thron raubten.
Unter der Regierung Katharinas II. wurde er wieder
angestellt, bekam zuweilen nicht unwichtige Befehle,
benahm sich gut und stieg im türkischen Kriege bis
zum Posten eines General en Chef.
Oloff starb im Jahre 1771.
Seine Gattin war eine Russin, und die Liebe zu ihr
mochte wohl auch Anteil an seiner Religionsverände-
rung haben. Ob er Kinder hinterlassen habe, wissen
wir nicht.
61. Poltarazky.
Poltarazky war der Sohn eines ukrainischen Bauern.
Wegen seiner schönen Stimme kam er in die kaiserliche
Kapelle. Hier fand er geheime Wege, sich in die Höhe
zu schwingen. Elisabeth schenkte ihm beträchtliche
Güter.
Er starb im Jahre 1795.
Poltarazky war Direktor der kaiserlichen Kapelle
und Wirklicher Staatsrat mit dem Prädikat Exzellenz.
62. Iwan Schuwalow.
Iwan Schuwalow war aus einem alten adligen Ge-
schlechte, aber von wenig begüterten und noch we-
niger in Ansehen stehenden Eltern geboren.^) Seine
Verwandten am Hofe, der Generalleutnant und nach-
^) Am 12. November 1727.
62. Iwan Schuwalow. 229
herige Generalfeldmarschall Peter Iwanowitsch Schu-
walow und dessen Gemahlin, eine geborene Schepelew,
die Freundin der Ehsabeth, nahmen sich seiner an.
Durch ihre Unterstützung erhielt er eine Stelle unter
den kaiserlichen Pagen und wurde bald Kammerpage.
Er blieb es nicht lange. Seine Gestalt gefiel der Ehsa-
beth, die ihn zu ihrem Liebhng wählte. Dies ge-
schah im Anfange der fünfziger Jahre. Schuwalow
wurde sogleich Kammerjunker und bald nachher
Kammerherr und Ritter des Alexander-Newsky- und
des weißen Adler-Ordens.
Er blieb der öffentliche Liebling der Kaiserin bis an
den Tod dieser Prinzessin, ohne jedoch außerordent-
liches Gewicht zu haben.
Einige Stunden vor ihrem Tode gab Elisabeth an
Schuwalow den Schlüssel zu einem Geldkasten und
sagte ihm: was er darin finden würde, sei für ihn.
Schuwalow, durch Gefühle von Furcht und Ehrlichkeit
getrieben, gab nach dem Tode der Kaiserin den Schlüs-
sel ihrem Nachfolger Peter III. Dieser Prinz nahm ihn
und fand in dem Kasten dreimal hunderttausend Du-
katen, i)
Zurzeit seiner größten Gunst zeigte Schuwalow eine
Bescheidenheit, die man selten an den Liebhngen der
Kaiserinnen von Rußland bemerkt hat. Dadurch er-
hielt er sich auch bis auf den letzten Augenbhck die
Gnade der Monarchin, die ihn sehr liebte. Wenn er
auch durch eine vorübergehende jugendliche Untreue
(die einzige Art von Versehen, deren er sich schuldig
machte), die Empfindlichkeit der Elisabeth reizte, so
vergab sie ihm doch sehr bald und schob die Schuld
seiner Verirrungen auf andere, die ihn verführt haben
^) Die Uneigennützigkeit Schuwalows wirc? bestritten. (Crusen-
stolpe I, S. 160.)
230 62. Iwan Schuwalow.
sollten. So entstand am Ende der fünfziger Jahre in
Petersburg jene Verfolgung der Weiber, die man ge-
fänglich einziehen ließ und unter Martern befragte,
um zu erfahren, ob eine es gewagt habe, ihre Augen
auf den Liebling der Kaiserin zu werfen. Die Kaiserin
las alle Aussagen selbst, erfuhr aber doch nicht, was
sie zu wissen verlangte.
Von seiner Gutmütigkeit gab Schuwalow wieder-
holte Beweise. Er stellte immer die Eintracht in der
kaiserlichen Familie her, die zur Zeit der Ehsabeth so
oft gestört wurde.
Die Hauptzüge in seinem Charakter waren Schwäche
und Furcht. Er heß sich verleiten, der Unterhändler in
dem Verständnisse zu sein, daß die Großfürstin Katha-
rina mit dem Grafen Poniatowski unterhielt, wofür er
in der Folge übel belohnt wurde.
Seine große Furchtsamkeit war Ursache, daß er zur
Zeit seines größten Glücks nie sehr hohe Stellen suchte,
und sich nie in Staatsgeschäften brauchen heß, denn
er fürchtete immer, nach dem Tode der Kaiserin zur
Verantwortung gezogen zu werden und seine erlangten
Vorteile zu verlieren.
1' Er hatte keinen glänzenden Verstand und wenig
Kenntnisse und war daher, zur Zeit der Elisabeth, ein
sehr unvollkommener Beschützer der Künste und
Wissenschaften. Doch war er eitel genug, sich einen
Namen machen zu wollen; von ihm rührt daher die
Stiftung der Akademie der Künste^) her,
s Unter der kurzen Regierung Peter III. 1762 bheb
Schuwalow immer in Petersburg, aber ohne irgend
einen Einfluß zu haben. Doch zeichnete ihn der Kaiser
sehr aus, und gab ihm öffentliche Versicherungen
seiner Freundschaft,
1) Im Jahre 1758.
62. Iwan Schuwalow. 231
- Als einst über der Tafel des Monarchen, an welcher
auch Schuwalow saß, von der verstorbenen Kaiserin
gesprochen wurde, traten diesem die Tränen in die
Augen. „Weine nicht," sagte^) Peter III. gütig zu ihm.
„Suche keinen Kummer in der Vergangenheit, die nicht
zurückgerufen werden kann. Die Kaiserin liebte Dich,
und wegen ihres Andenkens wirst Du immer einen
Freund an mir haben."
Schuwalows Benehmen entsprach diesen gütigen
Äußerungen nicht. Er nahm, obgleich sehr erfreut,
1762 doch einigen Anteil an der Empörung gegen seinen
Monarchen. Schwachheit, die oft seine Handlungen lei-
tete, war es, die ihn zu diesem Schritte brachte. Man
gewann ihn, um durch seine Teilnahme, oder vielmehr
nur durch sein Dasein, den Soldaten, die ihnen so
werten, sorglosen Zeiten der Ehsabeth in das Gedächt-
nis zurück zu rufen.
Am Abend der Thronbesteigung ritt er neben der
neuen Kaiserin an der Spitze einer kleinen Armee nach
Krasnaja Kabak, einem Wirtshause auf dem Wege
nach Peterhof, wo die Monarchin übernachtete.
Schuwalow glaubte wahrscheinlich unter der neuen
Regierung eine Rolle zu spielen, aber er irrte sich. Man
dachte nicht weiter an ihn. Indessen bheb er immer in
Petersburg, wo er von seinem großen Vermögen lebte.
Einen ansehnlichen Teil davon verlor er im Spiel.
Endlich fiel er, wir wissen nicht wodurch, in Ungnade.
Er ging auf Reisen.
Als er am wenigsten daran dachte, glaubte Katha-
rina II. es ihm schuldig zu sein, ihn im Jahre 1777 zu-
rückrufen zu müssen. Sie gab ihm einen bestimmten
^) Vermutlich aus Nachahmung dieser Anekdote sagte Paul I.
nach dem Tode Katharinas II. ungefähr das nämliche zum Fürsten
Subow. H.
232 62. Iwan Schuwalow.
Gehalt von viertausend Rubel und eine Pension von
sechstausend Rubel und erteilte ihm nach und nach
wichtige Hofämter. Schuwalow, der sein Vermögen
beinahe ganz aufgezehrt hatte, mußte sehr froh sein,
die Zusicherung einer ge%\dssen Einnahme zu bekom-
men, obgleich die Veranlassung dazu, wie wir weiter
unten sehen werden, höchst traurig für ihn war. Er
lebte run von diesen zehntausend Rubeln und von den
geretteten Trümmern seines ehemaligen glänzenden
Glücks, ziemlich eingezogen, doch sehr anständig in
seinem Palast in Petersburg. Schuwalow besaß ein
großes Viereck in der Newskyscher Perspektive und in
der Sommergartenstraße. Den vierten Teil davon, in
der Perspektive, nahm sein Palast ein. Die andern drei
verkaufte er. Zwei Paläste in der Gartenstraße kaufte
der Knes Wjasemsky. Zur Zeit der Ehsabeth wohnte
der Prinz Karl von Sachsen in einem derselben. Den
vierten Teil neben Schuwalows Wohnung kaufte, wie
wir glauben, die Familie Borosdin und baute ein präch-
tiges Haus dahin. Soviel wir wissen, hatte er ferner
keine merkwürdigen Schicksale.
Sein Tod erfolgte am Ende der neunziger Jahre. ^)
Er war Wirklicher Geheimer Rat, Dienstleitender
Oberkammerherr, Kurator der Universität Moskau,
Ritter des Andreas- und Alexander-Newsky-Ordens,
Großkreuz des Wladimirordens von der ersten Klasse
und Ritter des weißen Adler- und des Annen-Ordens.
Schuwalow wird für den Vater einer Tochter ge-
halten, welche die Kaiserin Elisabeth ungefähr im
Jahre 1753 gebar. Sie wurde Elisabeth genannt und
erhielt, wenn wir nicht irren, in der Folge den Namen
Prinzessin Tarakanow. Dieses Kind, für dessen Mutter
man eine italienische Kammerfrau der Monarchin aus-
^) Am 25. November 1798.
02. Iwan Schuwalow. 233
gab, wurde nach Italien geschickt und daselbst er-
zogen. So lange die Kaiserin lebte, mochte es wohl an
nichts fehlen aber nach dem Tode dieser Fürstin desto
mehr an allem. Schuwalow kam auf seinen Reisen auch
nach Italien, wo er seine Tochter sah,^) ohne es jedoch
zu wagen, sich ihr zu erkennen zu geben. Diese lebte in
den siebziger Jahren in sehr dürftigen Umständen.
Archenholz 2) erzählt in seinem Buche: England und
Italien eine Anekdote von ihr, die kurz vor der trau-
rigen Katastrophe herging, wodurch diese unglück-
liche Person ihr Leben verlor. Ihm nach, die nämhche
Begebenheit in veränderten Ausdrücken erzählen za
wollen, wäre Vermessenheit. Unsre Leser werden es uns
danken, wenn wir die eigenen Worte dieses beliebten
Schriftstellers hier hersetzen. — ,,Eine merkwürdige
Begebenheit ereignete sich hier (in Livorno) im März
1775. Eine russische Dame von unehelicher Geburt,
aber aus dem durchlauchtigsten Blute dieses Landes,
hatte sich zwei Jahre lang in Rom aufgehalten, wo-
selbst sie in der größten Dürftigkeit lebte. In diesem
Zustande konnte es ihr wohl nie einfallen, ihre Blicke
auf einen Thron zu richten. Sie besaß Klugheit, gute
Bildung und einen sehr sanftmütigen Charakter. Ihr
^) Das ist ein Irrtum Helbigs. Die angebliche Tochter der
Kaiserin Elisabeth gab sich niemals für das Kind Schuwalows
aus, sondern für das Kind Kyrül Rasumowskys, der übrigens nie-
mals zu den Liebhabern Elisabeths gezählt hatte. Sie verwechselte
ihn mit seinem Bruder. Den ganzen Schwindel der Abenteuerin, der
so recht das Gepräge der großstüigen Betrüger des 18. Jahrhunderts
trägt und dankbaren Stoff für eine ganze Reihe von Romanschrift-
stellern geliefert hat, ist jetzt völlig aufgedeckt. (G. B[revern], Die
vorgebliche Tochter der Kaiserin Elisabeth. Berlin 1867. Dr. Alex.
Brückner, Katharma II. Berlin 1883. S. 208 ff.)
^) Johann Wilhelm Baron von Archenholz (174.-? — 1812), der
Verfasser der noch immer gern gelesenen Geschichte des Sieben-
jährigen Krieges. Sein Buch „England imd Italien" erschien 1787
in 2. Auflage.
234 ^^' •^^^^'^ Schuwalow.
eingezogenes Leben wurde aber auf einmal durch einen
abgeordneten russischen Offizier unterbrochen, der
gegen sie mündlich Äußerungen von einer sehr außer-
ordentlichen Art tat, denen er durch das Anerbieten
einer sehr ansehnlichen Summe Geldes ein großes Ge-
wicht gab. Dieses letztere Argument tat die erwartete
Wirkung in ihrer großen Not. Die Dame ließ sich über-
reden und kam im Anfang des Jahres 1775 nach Pisa,
woselbst sich damals der Graf Alexis Orlow befand.
Dieser empfing sie wie eine Königin. Er begleitete sie
allenthalben, und wenr er mit ihr im Schauspielhause
war, so begegnete er ihr vor den Augen des Publikums
mit einer Ehrerbietung, die den gesamten Adel in Er-
staunen setzte. Niemand konnte ergründen, wer diese
unbekannte Dame sei, gegen die der stolze Graf so viel
Herablassung zeigte. Endhch wurde ein Vorschlag ge-
tan, das nahe gelegene Livorno zu besuchen. Es ge-
schah. Man stieg beim englischen Konsul Dyck ab, und
alles war im Wohlleben. Bei der Tafel wurde von der
Flotte gesprochen, und da die Dame nie ein Kriegs-
schiff betreten hatte, so schlägt sie es nicht aus, eins zu
besehen. Wie wenig argwohnte die Unglückliche ihr
Schicksal! Sie steigt mit dem Grafen ins Boot, fährt
zu dem bestimmten Schiff und wird hineingehoben.
Auf einmal verändert sich die Szene. Man kündigt ihr
mit verächtlichem Ton ihre Gefangenschaft an und
schließt ihre Hände in Ketten. Das Schiff blieb noch
zwei Tage auf der Reede liegen, um sich zur Reise nach
Rußland vorzubereiten. Kein fremdes Boot durfte sich
diesem Schiffe nähern ; die darauf bef indhchen Schild-
wachen drohten Feuer zu geben. Dies hinderte aber
nicht, daß die zahlreichen Boote der Livorneser nicht
nahe genug kamen, um bisweilen den bedauernswür-
digen Gegenstand ihrer Neugierde zu sehen; sie war
Alexcj Gregorowitsch Oiiow
62. Iwan Schuwalow. 235
oft am Fenster der Kajüte, wo sich ihre Verzweiflung
sichtbar zeigte. Am dritten Tage segelte das Schiff mit
seiner Beute ab. Der Hof gab über diesen Vorfall seinen
Unwillen sehr deuthch zu erkennen und die ganze Stadt
war darüber aufgebracht."
Wir erzählen nun selbst weiter, was wir von der
schrecklichen Geschichte wissen. Die Dame wurde
durch den so berühmt gewordenen Admiral Greigh
nach Petersburg gebracht. Hier setzte man sie unter
dem unmenschlichen Vorwande, daß sie wahnwitzig sei,
anfänglich in die Festung, brachte sie aber bald nach-
her nach Schlüsselburg, wo sie in den ersten Monaten
der Jahres 1776 nach einer kurzen Krankheit, nicht
ohne Verdacht eines gewaltsamen Todes, ihren Geist
aufgab. 1) — Ist dieser Verdacht begründet, so entsetzt
man sich, die Zahl der Ermordungen wichtiger Personen
noch mit einer vermehrt zu sehen, die nicht den ge-
ringsten Vorteil brachte, und die eine Person tötete, die,
in jeder politischen Hinsicht, den russischen Regenten
nie gefährlich sein konnte. Starb aber diese unglück-
^) Diese Schauermär, zuerst in Casteras „Vie de Catherina"
aufgezeichnet, wird von Heibig nachgeschrieben und mit Schein-
gründen belegt. Elisabeth litt an Schwindsucht, die sich aber im
Gefängnis schneller entwickelte als es in der Freiheit der Fall ge-
wesen wäre. Sie starb am 4. Dezember 1745. Das Gemälde Fla-
vitzkis, das den Tod der „Fürstin Tarakanow" in der überschwemm-
ten Zelle der Schlüsselburg dairstellt, „wird in neuester Zeit in
weiteren Kreisen noch mehr dazu beigetragen haben, die Legende
dieser Todesart der Abenteurerin zu verbreiten" (Brückner, S. 216).
Auch Bernhard Stern gibt sie in seiner „Geschichte der öffentlichen
Sittlichkeit in Rußland" (II. Bd., S. 528 ff.) noch im Jahre 1908
weiter, obgleich er das Brücknersche Buch kennt und wiederholt
anführt. Heute würde man ein so pathologisch verlogenes Geschöpf,
wie es Elisabeth war, nach Gesetz und Recht in ein Irrenhaus
sperren. Damals kam es, und nicht nur in Rußland, auf die Festimg.
Die Geschichte des Moskowiterreiches ist so reich an wirklichen
Greueln aller Art, daß jeder künstliche Aufbau von erdachten mehr
als entbehrlich ist.
236 6j. Dimürej Wolkow.
liehe Elisabeth eines natürlichen Todes, so konnte Ka-
tharina IL sich allerdings über die Härte des Zufalls
beklagen, der diese Dame eben zu einer Zeit sterben
ließ, wo ohnedies schon aller Verdacht wider den russi-
schen Hof rege war. Gesetzt nun auch, dieser Tod
wäre Zufall gewesen, welchen Vorwand kann der Pe-
tersburger Hof für die boshafte Abschickung des russi-
schen Offiziers finden, der Elisabeth zu ihrem ersten
unüberlegten Schritt verleitete? und womit kann er
die grausame Art entschuldigen, mit der man eine
Unglückliche behandelte, die man keines Verbrechens,
sondern nur des unwillkürlichen Felilers beschuldigen
konnte, die uneheliche Tochter einer ausschweifenden
Kaiserin zu sein? Ein Jahr nach diesem Tode ließ Ka-
tharina II. den Herrn von Schuwalow, den Vater der
unglücklichen Ehsabeth Tarakanow, der sich im Aus-
lande befand, zurückkommen und erteilte ihm die
Gnadenbezeigungen, von denen wir oben gesprochen
haben. Schien es nicht, als ob man durch diese Wohl-
taten den Vater für den Verlust seiner Tochter trösten
wollte? und machte man nicht auf diese Art den Ver-
dacht ihrer Ermordung aufs neue wider sich rege?
63. Dimitrej Wolkow.
Dem Freunde der Geschichte kann gewiß nichts An-
genehmeres begegnen, als wenn er, ermüdet durch das
Lesen der Begebenheiten einer Menge unbedeutender
oder boshafter Emporkömmhnge, zuweilen einen Mann
findet, der sich durch Talente emporschwingt, sich dem
Regenten und seinen Ministern notwendig macht, der
Nation nützlich ist, und dessen Fehler, die meistens
6j. Dimitrej Wolkow. 237
nur Beziehung auf die Lebensweise haben, gleichsam
nur da zu sein scheinen, um die Vollkommenheit der
rühmlichen Eigenschaften noch mehr zu erheben. In
diesem Falle gleicht der Geschichtsforscher einem Wan-
derer, der lange auf traurigen und furchtbaren Wegen,
in rauhen und unwirtbaren Gegenden, oder auch in
leeren Sandwüsten reist, und endhch auf einen Pfad
kommt, wo er seine Wanderung mit Bequemlichkeit
und Vergnügen fortsetzen kann, und sich in Umgebun-
gen befindet, die durch kleine Abweichungen von den
Schönheiten der Natur nur noch hervorstechender
werden.
Dimitrej Wolkow,^) ein Russe von gemeinem Her-
kommen, war zufälligerweise so glücklich, eine sehr
sorgfältige Erziehung zu bekommen.
Nachdem er in einigen Kanzleien gearbeitet, und
überall Beweise von großer Brauchbarkeit gegeben
hatte, kam er, unter der Regierung der Kaiserin Ehsa-
beth, als Sekretär in die damahge sogenannte Konfe-
renz. Hier wurde er mit großem Nutzen gebraucht.
Es war kein politisches Geheimnis ^m russischen
Hofe, von dem er nicht unterrichtet gewesen wäre. Er
war es, der alle Berichte an die Konferenz und alle da-
hin kommenden Schriften, ehe sie der Kaiserin vorge-
legt wurden, auf so eine Art umarbeiten mußte, daß sie
imstande waren, Elisabeth in ihrem Hasse gegen
Preußen zu erhalten. Es war im Siebenjährigen Kriege,
als er, durch Ausschweifungen im Spiel, sich in eine
Verlegenheit stürzte, aus welcher selbst sein großer
Verstand ihn nicht retten konnte. Auf einmal ward er
unsichtbar, und verließ, auf eine sehr tadelnswürdige
^) Es gibt auch eine adlige Familie dieses Namens und einen
Schauspieler, der ebenso hieß und von dem noch mehr gesagt werden
wird. Der Wolkow, von dem hier die Rede ist, war weder mit
diesem noch mit jener verwandt. H.
238 6j. Dimitrej Wolkow.
Art, seine Frau, seine Kinder und eine allerdings sehr
glänzende Laufbahn. Da er die Ausfertigung der Reise-
pässe gehabt hatte, so glaubte man, daß er selbst einen
geschrieben hätte, um nach Berhn zu gehen und die
Staatsgeheimnisse des russischen Hofes zu verraten.^)
Man war sehr besorgt und wendete sich an Gesandte
freundschaftHcher Höfe in Berhn, um ihn dort auszu-
kundschaften. Sobald Wolkow, der sich m einem
Schlupfwinkel verborgen hielt, diese nachteihgen Ge-
rüchte erfuhr, kam er hervor, -um seine Ehre wenig-
stens auf dieser Seite zu retten. Man war am Hofe froh,
ihn wieder zu haben, und erkaufte seine Rückkehr
durch die Bezahlung seiner Schulden. Nicht lange her-
nach veruneinigte er sich mit dem Grafen Bestuschew,
und verriet dessen Entwurf, den Großfürsten von der
Thronfolge auszuschließen, welches zugleich die Ur-
sache des Rückzuges der Russen aus Preußen war.
Bestuschew wurde durch diesen Umstand gestürzt,
Wolkow aber, ohne eben ausgezeichnet große Ehren-
stellen zu haben, blieb die Hauptperson im russischen
Kabinett.
Peter IH., dankbar für den Dienst, den ihm Wolkow
in früheren Jahren geleistet hatte, setzte das größte
Vertrauen in ihn und brauchte ihn zu den wichtigsten
Arbeiten. Der Kaiser unternahm nichts ohne Wolkows
Rat und Beistimmung, und man kann sagen, daß dieser
Mann an den ruhmvollen und wohltätigen Handlungen
dieses Monarchen sehr wesentlichen Anteil hatte. 2) Er
war so rechtschaffen, seinen Herrn von der Empörung
zu benachrichtigen, die wider ihn erregt werden sollte.
Wolkows durchdringender Geist hatte sie fast ganz
1) Nach Katharinas wegwerfender Bemerkung soll Wolkow,
„nachdem er hilflos in den russischen Wäldern herumgeirrt war",
sich fangen lassen haben (S. 265).
^) Crusenstolpe I, 213.
6j. Dimitrej Wolkow. 239
durchspähet, aber der unglückliche Prinz vernach-
lässigte, aus zu großer Sicherheit, die Ratschläge eines
Freundes, dessen sicherer Leitung er hätte folgen
sollen.
Katharina II. kannte Wolkows unternehmenden
Charakter und dessen Anhänglichl^eit an ihren Ge-
mahl. Sie ließ ihn daher arretieren und nicht eher wie-
der auf freien Fuß stellen, als bis sie ganz sicher war.
Sie kannte seine große Brauchbarkeit, wollte ihn aber
nicht gern um sich haben. Man gibt vor, diese Prin-
zessin habe oft Männer von großem Verstände von sich
entfernt, um nicht das Ansehen zu haben, als ob sie
durch sie regiert würde. Dem sei wie ihm wolle, so ist
so viel gewiß, daß Wolkow vom Hofe wegkam und eine
Stelle in Orenburg erhielt. Doch wurde er durch Ver-
mittelung seiner Freunde bald zurückgerufen. Man
ernannte ihn zum Polizeimeister, und endlich zum
Wirklichen Geheimen Rat und Gouverneur von Peters-
burg, eine Stelle, die er mit großer Klugheit bis an
seinen Tod verwaltete. Als die Pest in Moskau wütete,
wurde er dahin geschickt und durch seine zweck-
mäßigen Anstalten und uneimüdeten Bemühungen
wurde dieses schreckliche Übel aufgehalten und ge-
dämpft. Überall brauchte man ihn, weil er in allen
Angelegenheiten die weisesten Maßregeln angab. So
sollte er im Jahre 1772 mit Orlow auf den Kongreß
nach Fokschanj gehen, aber er mußte noch in Moskau
bleiben, wo seine Gegenwart unentbehrlich war.
Sein Todesjahr wissen wir ebensowenig als nähere
Umstände von seiner Familie. i)
Wolkow war ein Mann von sehr aufgeklärtem Ver-
stände, sprach verschiedene Sprachen in der größten
^) Dimitrij Wassiljewitsch Wolkow, geboren 1718, starb im
Jahre 1785.
240 64- Bressan.
Vollkommenheit, ob er gleich nie aus Rußland ge-
kommen war, kannte sein Vaterland genau, hatte eine
außerordentliche Menschenkenntnis und war über-
haupt einer der größten Köpfe, die Rußland jemals
hervorgebracht hat. Er hatte immer im politischen
Fache gearbeitet, daher konnte er auch, soviel es einem
Ausländer möglich ist, die Vorteile und Mängel der
übrigen europäischen Staaten kennen, und ihre natür-
lichen und politischen Verhältnisse untereinander be-
urteilen. — Seine Grundsätze als Gatte, als Vater, als
Freund, werden von allen, die ihn kannten, gerühmt.
64. Bressan.
Schon dadurch zeichnet sich die Regierung Peters III.
vorteilhaft aus, daß in einer Zeit von sechs Monaten
nur ein^) Günstling aufzuweisen ist, der sein Glück ge-
macht hat. Und auch dieses Glück war nur mäßig und
wurde einem Manne von Verdiensten erteilt, der nicht
gewöhnliche Kenntnisse in seinem Fache und eine
seltene Rechtschaffenheit in sich vereinigte.
Bressan, 2) aus Monako in Italien gebürtig, hatte
einen Teil seiner frühern Jugend in Frankreich zuge-
bracht, wo er eine sehr gute Erziehung und nützlichen
Unterricht in Kameralwissenschaften, Künsten und
Handelskenntnissen bekommen hatte. Arm, wie er
war, suchte er sein Glück in andern Ländern und fand
es in Rußland, wo damals Elisabeth regierte und wohin
^) Wolkow, von dem im vorhergehenden Artikel gehandelt
wurde, stieg zwar unter Peter III. empor, doch war er schon unter
der Regierung der Elisabeth in wichtigen Geschäften gebraucht
worden. H.
2) Alexander, geboren 1719.
64- Bressan. 24I
er durch Zufall kam. Hier gab er sich geradezu für
einen Franzosen aus, weil er wußte, daß dies als eine
Empfehlung von Gewicht in einem Lande galt, wo
man nur auf dem Wege war, sich zu zivilisieren. Er
wurde dem Großfürsten Peter zum Kammerdiener vor-
geschlagen. Dieser Prinz nahm ihn an und war außer-
ordentlich mit ihm zufrieden. Es war ihm desto ange-
nehmer zu hören, daß Bressan eigentlich ein Italiener
war, da er nicht gern von seinem Vorurteil, alle Fran-
zosen für leichtsinnig und unzuverlässig zu halten, ab-
gehen wollte. Nach und nach erwarb sich dieser recht-
schaffene Mann das uneingeschränkte Zutrauen seines
Herrn.
Sobald Peter den Thron bestiegen hatte (1762),
dachte er daran, Bressan eine anständige Anstellung
zu geben, und sogleich dessen Treue zu belohnen. Er
machte ihn zum holsteinischen Kammerherrn und
Brigadier, zum Direktor der Petersburger GobeHn-
fabrik, zum Präsidenten vom Manufaktur- Kollegium,
zum Direktor aller von demselben abhängenden Fa-
briken, und endlich zum russisch-kaiserlichen Staats-
rat.
In dem fürchterlichen Augenblicke der Thronbestei-
gung Katharinas II. gab Bressan einen auffallenden Be-
weis seiner Geistesgegenwart und seiner Treue gegen
den Kaiser. An diesem schrecklichen Morgen fanden
die Anhänger der Kaiserin, daß es für ihr Unternehmen
gut sei, die Kommunikation mit Oranienbaum zu hem-
men, damit Peter III. nicht vor der Zeit von dem Vor-
haben der Empörer unterrichtet wurde. Um dies zu
bewirken, wollten sie die sogenannte Kalinkische
Brücke besetzen, die am nächsten auf die Straße nach
Oranienbaum führt. Sie taten es auch, indem sie ein
Korps Truppen auf diese Brücke stellten und dadurch
Russische Günstlinge. ig
242 65. Gregor ej Orlow I.
den Übergang gänzlich sperrten. Indessen war ihnen
Bressan schon zuvorgekommen. Sobald er Nachricht
von dem Ausbruche der Empörung und von dem Vor-
haben der Kaiserin hatte, deren Betragen ihm schon
lange verdächtig war, schrieb er ein kleines Billett an
den Kaiser, in welchem er ihm den Vorgang der Sache
meldete, soweit er ihn kannte. Dieses Billett gab er
seinem treuesten Bedienten, verkleidete ihn als Bauer,
setzte ihn auf einen kleinen, dort gewöhnlichen Bauer-
karren, mit einem Pferde bespannt und schickte ihn
nach Oranienbaum, mit dem strengen Befehl, das
Billett in keine andern Hände, als in die des Kaisers zu
geben. Dieser vermeinte Bauer war eben über die
Brücke gefahren, aJs die Truppen dahin kamen, um sie
zu besetzen. Bressan hatte seine Pflicht getan, aber
Peter III. tat nicht die seinige. Er hatte dasBillett seines
treuen Dieners erhalten, aber es fehlte ihm der unter-
nehmende Geist, der ihn hätte beseelen sollen, um die
Ratschläge seiner Freunde zu befolgen.^)
Nach dem Tode Peter III. verlor Bressan alles. Er
zog sich gänzlich zurück. Übrigens wissen wir nichts
von dem Schicksale dieses braven Mannes. 2)
65. Gregorej Orlow I.
Geringfügige, in ihrem Entstehen fast unbemerkbare
Umstände waren von jeher der Hebel der wichtigsten
Begebenheiten. — Die Nachlässigkeit des russischen
Staatsministers, Grafen Panin, 3) der eine Depesche aus
^) Crusenstolpe I, S. 258 ff. — ^) Er starb 1779.
8) Nikita Paiiin war rechtschaffen, klug, angenehm, gutherzig
und konnte nicht bestochen werden. Er war Hofmeister des Groß-
fürsten Paul und nahm damals teil an der Thronentsetzung
Gregor Gregor o witsch Orlow
63. Gugorej Orlow I. 243
Konstantinopel, welche konziliante Vorschläge der
Pforte enthielt, und die man ihm beim Spiel brachte,
ungelesen in die Tasche steckte und sie daselbst ver-
gaß, '. brachte unter der Regierung der letzten Kaiserin
von Rußland den ersten Türkenkrieg hervor; per-
siflierende Berichte der russischen Diplomatiker in
Stockholm, die Katharina IL belustigten, und Gustav
III., der sie erfuhr, in Harnisch brachten, rüsteten im
zweiten Türkenkriege Schweden gegen Rußland; und
ein Blick dieser Kaiserin, den sie noch als Großfürstin,
voll Unmut und Zerstreuung, aus dem Fenster warf,
und den der gegenüberstehende schöne Orlow auffing,
erzeugte durch seine Folgen die unerwartetsten Er-
eignisse. Er raubte dem Kaiser Peter III, den Thron
und das Leben, veränderte die Gestalt der Staatsver-
waltung in Rußland, und hatte einen bestimmten, oft
diktatorischen und meist schädlichen Einfluß auf den
größten Teil Europas.^)
Die Familie Orlow ist nicht preußischen Ursprungs,
wie man hat behaupten wollen, sondern gehört zu den
altadeligen Geschlechtern des russischen Reichs. 2) Ob
übrigens ihre Entstehung durch die Geschichte der
Peters III., in dessea^Tod er sogar willigte. Dies verdunkelt seine
guten Eigenschaften sehr, die auch schon dadurch gemindert
wurden, daß er sehr schwach und unarbeitsam oder, besser gesagt,
nachlässig war. Katharina II. machte ihn zum Grafen. Er starb
mit dem Range eines Feldmarschalls. H.
^) Hierzu steht Brückers Äußerung in Widerspruch: ,,Der
eigentliche politische Einfluß der Günstlinge ist meist überschätzt
worden. Katharina ließ sich von keinem derselben beherrschen.
Selbst die hervorragendsten unter ihnen, Gregor Orlow, Potemkin
und Subow blieben in einer gewissen Abhängigkeit von der Kaiserin"
(Brücker, Katharina II., S. 600.)
^) Ihr Ahnherr soll Gregor Orlow gewesen sein, der als Strelitze
1689 in Gegenwart Peters des Großen hingerichtet werden sollte
und durch seine Todesverachtung die Aufmerksamkeit des Herr-
schers auf sich zog. Er wurde nicht nm: begnadigt, sondern zum
Gardeoffizier ernannt.
16*
244 ^5- Gregorej Orlow I.
kleinen Stadt Orlow am Fluß Wjatka im Gouverne-
ment Kasan, oder andrer kleiner örter, die Orlow
heißen, erläutert oder berühmter gemacht werden
könnte, ist uns unbekannt.
Nach einer Nachricht des Grafen Alexis Orlow, die
vielleicht in Ansehung der Bestimmung des Ranges
zu vorteilhaft angegeben ist, bekleidete der Vater,
Gregor Orlow, unter der Regierung Peters I. ungefähr
die Stelle eines Oberstleutnants der Strelzi, heiratete
in seinem dreiundfünfzigsten Jahre ein Fräulein Sino-
wiew, ein Mädchen von sechzehn Jahren, und zeugte
mit ihr noch neun Söhne. Vier von ihnen starben wahr-
scheinhch als Kinder, aber fünf sind uns bekannt ge-
worden. Sie hießen: Iwan, Gregorej, Alexej, Feodor
und Wlodimir. Von jedem wird besonders gehandelt
werden.
Die drei ältesten Brüder, von denen Gregor der
zweite war, kamen in das Landkadettenkorps, wo sie
eine recht gute, militärische Erziehung erhielten und
besonders die vornehmen ausländischen Sprachen,
Deutsch und Französisch, lernten.
Gregor 1) kam von hier in ein Garderegiment zu Fuß,
wurde aber, wahrscheinlich auf sein Verlangen, bald
versetzt und kam zur Artillerie. Er war der schönste
Mann des Nordens und dieser Vorteil trug dazu bei,
ihm den Platz eines Adjutanten beim Generalfeldzeug-
meister zu verschaffen. In dieser Stelle hatte er durch
die entdeckte Verbindung mit einer Dame Verdrieß-
lichkeiten, die ihm beinahe seine Freiheit geraubt
hätten, die aber noch glücklich vorübergingen. Übri-
gens lebten Gregorej und seine drei Brüder, denn Feo-
dor war nun auch dazu gekommen, in größter Einig-
keit. Sie hatten eine nicht unbeträchtliche Besitzung
^) Gregor wurde am 17. Oktober 1734 geboren.
65. Gregoyej Orlow I. 245
ihres Vaters verkauft, zehrten von dem Kapital, waren
immer in lustiger, wenig gewählter Gesellschaft, spiel-
ten und machten durch ihre Ausschweifungen bei Hofe
und in der Stadt von sich reden. Auf diese Art wurde
ihr Vermögen aufgezehrt und Schulden traten an
dessen Stelle. Da ihnen bald der Kredit fehlte, so fing
die Lage der vier Brüder an, bedenklich zu werden,
doch halfen sie sich durch Klugheit und durch Glück
im Spiel.
Als im Siebenjährigen Kriege, unter der Regierung
der Elisabeth, der von den Russen zum Gefangenen
gemachte preußische Graf Schwerin^) nach Petersburg
gebracht werden sollte, und man bei dieser Gelegenheit
um Leute verlegen war, die mit einem guten Äußern
Entschlossenheit und Mut verbänden, kam einer auf
den Einfall, daß man wohl den Gregor Orlow, der da-
mals schon Offizier war, auch dazu geben könnte, da
er alle erforderlichen Vorzüge besäße und überdies
nichts als Unfug in den öffentlichen Häusern in Pe-
tersburg machte. Gregor erhielt auch wirklich diese
Bestimmung. Als er mit dem Grafen Schwerin ankam,
dem man eine Wohnung in dem Woronzowschen, jetzt
Strogonowschen, Hause in der Perspektive und an der
Moika anwies, bezog Orlow ein kleines Haus in der
Nähe, um sogleich bei der Hand sein zu können.
In dieser Gegend stand auch das ehemalige Winter-
palais, welches die kaiserliche Familie bewohnte.
Man erzählt mit großer Bestimmtheit, Katharina
habe nach einer der unmutsvollen Szenen, die sie zu-
weilen mit der Kaiserin oder mit ihrem Gemahl hatte,
aus Zerstreuung ein Fenster geöffnet und ihr erster
Blick sei auf Orlow gefallen. Von diesem Augenblick
^) Schwerin war, wenn wir nicht irren, der nämliche, der als
Oberstallmeister starb und ein Günstling Friedrichs 11. war. H.
246 65- Gregorej Orlow I.
an war alles entschieden. Der Anblick des schönen
Mannes war ein elektrisches Feuer, das Katharina be-
seelte. Der bloße Gedanke an ihn füllte in ihrem Her-
zen eine Leere aus, die daselbst, nach dem Abgange des
Grafen Poniatowski von Petersburg, entstanden war.
Seitdem hatten zwajr manche Gegenstände auf sie Ein-
druck gemacht, aber keiner war bleibend gewesen.
Gregor, sich seiner großen Schönheit bewußt, und des-
wegen sozusagen seiner Sache bei der Großfürstin ge-
wiß, bemerkte als Kenner sehr bald und mit Freuden
die Wirkung, die er gemacht hatte.
Von nun an entstand zwischen Katharina und Or-
low eine Intrige, die den gewöhnlichen Gang solcher
Händel hatte.
Die Nacht verbarg in Gregors Zimmern die ver-
botenen Zusammenkünfte, die dem Tage ein Geheim-
nis blieben.
Die Folgen davon wurden noch unter der Regierung
der Kaiserin Ehsabeth sichtbar und machten den Vor-
wand eines kranken Fußes notwendig, der die Groß-
fürstin des Zwanges überhob, sich vor der Monarchin
anders als sitzend, sehen zu lassen. Erst im Monat
April 1762, also unter der Regierung Peters IH.,
wurde Katharina wieder hergestellt.
Die Finanzen dieser Prinzessin, als Gemahhn des
Thronfolgers, waren sehr eingeschränkt. Sie konnte der
Verschwendung Orlows und seiner Brüder nicht Ge-
nüge leisten^ und kam in Verlegenheit. Diese wurde
dringender, als die wichtigen Bedürfnisse in den ersten
sechs Monaten des Jahres 1762 größere Zahlungen
heischten.
Beispiele gelungener Empörungen aus der neuern
Geschichte des russischen Hofs erweckten in Katha-
rina den Gedanken der Möglichkeit einer ähnlichen
63- Gregorej Orlow I. 247
Unternehmung. Dieser Gedanke wurde besonders
durch zwei Empfindungen unterstützt : durch Herrsch-
sucht und durch ein Gefühl, das man sehr uneigentHch
Liebe nennt. ^) Nun wurde die Idee einer Revolution
dem Günstlinge mitgeteilt und daraus entstand ein
förmhcher Entwurf. Gregors Brüder nahmen daran
lebhaften, wesentlichen Anteil. Im Hause ihres Bru-
ders wurden sie mit der Kaiserin bekannt, Orlows
Wohnung, sonst der Sitz des sinnHchen Vergnügens,
ward jetzt zur Höhle der Empörung. Die Brüder Or-
low übernahmen das Geschäft, die Garden zum Vorteil
der Kaiserin zu gewinnen, indes diese Prinzessin ihrer
Freundin, der Fürstin Daschkow^), die Rolle gab,
einige Großen des Hofs in Katharinas Interesse zu
ziehen. Hierzu gehörte nur Feinheit allein, aber zu
jenem Gewerbe wurde auch Geld erfordert. Um die
Disposition großer Summen zu haben, geriet man auf
den Einfall, die Zahlmeisterstelle bei der Artillerie, die
eben damals unbesetzt war, dem Leutnant Gregor Or-
low zu verschaffen. Die Kaiserin empfahl ihn durch
die dritte Hand. Der General Purpur^), der damals sein
^) ,,Über das Maß des Anteils verschiedener Personen an dem
Sturze Peters und der Erhebung Katharinas sind einander wider-
sprechende Mitteilungen in den Quellen enthalten. Ebenso ist es
nicht leicht, die Zeit der Entstehung des Verschwörungsentwurfs
anzugeben. Es gibt eben im einzelnen sehr abweichende Angaben."
(Brücker, S. 91.)
*) Diese Dame, eine geborene Woronzow, war eine Schwester
der Freundin Peters III. und der beiden großen Staatsmänner
Semen und Alexander Woronzow. Sie lebte noch am Ende der
neunziger Jahre und hatte sich vom Hofe und von Geschäften
entfernt. Diese Frau hatte großen Verstand, sehr viel Kenntnisse
und unübertreffbare Annehmlichkeiten in der Unterhaltung, aber
auch einen Grad von Anmaßung, die besonders der Kaiserin un-
erträglich wurde. H.
^) Purpur war damals Generalmajor, imd für diese große Gefällig-
keit brachte er es doch nur bis zimi Generalleutnant. Er war es
noch im Jahre 1799 und nur Ritter des Annen-Ordens. H.
248
65. Gregoref Orlow I.
Chef war, wendete zwar ein, daß man eine so große
Kasse nicht füglich einem so jungen und allerdings
nicht ganz ordentlichen Menschen anvertrauen könne.
Allein er schwieg endlich als er hörte, daß die Emp-
fehlung von hoher Hand käme. Der Besitz so großer
Summen setzte ihn in den Stand, zum Nutzen der
Kaiserin zu wirken. Wenn Peter III. durch preußische
Waffenübungen die Truppen ermüdet und unmutig
gemacht hatte, dann fachten die Orlows diesen Zorn
noch mehr an und gaben zur Erholung den Soldaten,
im Namen der Kaiserin, kleine Summen. Sie streuten
mit der einen Hand in allen Garderegimentern den Sa-
men der Unzufriedenheit und des Aufruhrs aus und
verteilten mit der andern Hand die Wohltaten der
Kaiserin. So gewannen sie vorzüglich zwei Kompa-
gnien des Regiments Ismaüow, das unter den Befehlen
des Grafen Kyrilla Rasumowsky stand, der sich schon
unter der Hand für die Kaiserin erklärt hatte.
; Man weiß, daß die Revolution erst dann geschehen
sollte, wenn der Kaiser seinen Feldzug gegen Däne-
mark würde angetreten haben, daß man sie aber be-
schleunigte, weil Passek, einer der Verschworenen,
sich im Trünke verraten hatte und nun arretiert wor-
den war. Zum Glück für die Unternehmung war alles
bereit und der fürchterliche Vorhang konnte ohne Be-
denken in jedem Augenblick aufgezogen werden. Es
geschah auf Passeks Veranlassung. Die Empörer, ohne
die Kaiserin zu fragen, kamen überein, das Werk zu
beginnen. Noch in der nämlichen Nacht begab sich
Alexis Orlow nach Peterhof, um die Kaiserin abzu-
holen. Gregor blieb in der Stadt, spielte und berauschte
die ganze Nacht hindurch einen gewissen Perfiliew,^)
^) PerfUiew soll damals Offizier von der Garde gewesen sein.
Daß er nie mehr wurde, kann man denken. H.
ö^- Grggorej Orlow I. 249
der von Peter III. den Auftrag hatte, die Anhänger
Katharinas, die ihm nicht ganz unbekannt waren, zu
beobachten. Orlow verlor einige tausend Rubel an ihn.
Gegen Morgen, als Perfiliews Bemühungen nicht mehr
gefährlich werden konnten, Heß er ihn gehen, begab
sich in die Garden, und war schon mit allen seinen Ge-
schäften fertig, ehe die Kaiserin kam. Gregor fuhr ihr
entgegen; er rief ihr zu, daß alles bereit sei. Man eilte
in die Garden, die Revolution begann und hatte den
erwünschsten Fortgang.
An dem nämUchen Abende ritt die Kaiserin an der
Spitze einer ziemhch ansehnlichen Armee auf den Weg
nach Peterhof, um von dort aus die Revolution durch
die Unterjochung Peters III. zu beendigen, im Fall er
sich sollte beikommen lassen, sich zu widersetzen. Gre-
gor war im Gefolge dieser Prinzessin. Man kam erst am
andern Morgen nach Peterhof. Von hier aus ging dieser
Orlow mit Ismailow^) nach Oranienbaum, ließ sich aber
nicht von dem Kaiser sehen. Durch die elende Ver-
zichtleistung dieses Prinzen wurde die Revolution be-
endigt.
An diesem Tage kehrte man nach Petersburg zurück.
Abends war Cour im Sommergartenpalais und nun
enthüllte sich den Höflingen ein Umstand, der ihnen
bisher ein Geheimnis gewesen war. Orlow hatte sich
tags zuvor an das Bein gestoßen. Da er nicht gut stehen
konnte, so setzte er sich, und zwar sehr bedeutungsvoll,
neben den Thron. Als einige Generale kamen, bat er
um Verzeihung, daß er nicht aufstehen könne. Wenige
Zeit nachher mußten diese vor ihm aufstehen.
*) Michael IsmaTlow war damals eigentlich am Hofe des Kaisers,
als er dessen Verräter wurde. Er lebte noch am Ende des letzten
Jahrhunderts als Wirklicher Geheimer Rat und Ritter des Andreas-
Ordens. H.
250 65- Gregorej Orlow I.
Die Sache wurde noch deutlicher gemacht.
Er bezog sogleich eine Menge Zimmer im Kaiser-
lichen Winterpalais, ganz in der Nähe der neuen
Monarchin und wurde auf diese Art, nach dem
Beispiele der großen Vorgängerinnen Katharinas, der
Kaiserin Anna und Elisabeth, dem ganzen Hofe,
und zwar noch bei Lebzeiten des gefangenen Kaisers
Peter III., als öffentlich erklärter Liebling, feierlich
dargestellt.
Gregor Orlow legte nicht selbst Hand an, als Pe-
ter III. sterben mußte, aber er war der Urheber der
Ermordung dieses Fürsten.
Die Belohnungen für die wichtigen Dienste, die er
geleistet hatte, fingen damit an, daß ihm die Kaiserinden
Kammerherrnschlüssel und den Alexander-Newsky-
Orden gab. Die Grafenwürde für ihn und seine Brü-
der und höhere Ehrenstellen folgten bald nach, als:
Generaladjutant der Kaiserin, Generaldirektor aller
Fortifikationen, Chef der Chevaliergarde, Oberstleut-
nant der Garde zu Pferde und Präsident des Gerichts
über die neuen Pflanzbürger. Endlich wurde er Gene-
ralfeldzeugmeister, Ritter des blauen Bandes von Ruß-
land und verschiedener fremder Orden und Reichs-
fürst.
Er war übrigens lange Jahre hindurch der einzige,
der das Glück hatte, das Porträt seiner Monarchin im
Knopfloche tragen zu dürfen. Es war mit einem Unge-
heuern BriUant, einem sogenannten Tafelsteine, in
Form eines Herzens, bedeckt.
Daß seine Reichtümer nach Millionen gerechnet
werden konnten, versteht sich von selbst. Hierzu
kommt noch der prächtige Stegelmannsche Palast i)
^) In späteren Zeiten bewohnte ihn Graf Anhalt, zuletzt Kos-
cziusko. H.
6^. Gregore j Orlow I. 25 1
in Petersburg an der Moika, die Kaiserlichen Kammer-
güter Gatschina^) und Ropscha,^) wo Peter IIL ver-
blich, und sehr erträghche Güter in Livland, Estland
und hauptsächlich in Rußland.
Orlows Macht war die eines Souveräns. Aus allen
kaiserhchen Kassen konnte er auf seine Unterschrift
bis hunderttausend Rubel erheben.
Aber sein Ansehen sollte noch höher steigen.
Katharina und er wünschten sich zu heiraten. Sie
wußten geschickt .genug dieses Heiratsprojekt in den
Jahren 1762 und 1763 bekanntzumachen, um dar-
über die Gesinnungen der Nation und des Hofs zu er-
forschen.
Diesem unwidersprechlichen Beweise der Verblen-
dung der Kaiserin widersetzten sich die Grafen Bestu-
schew, Woronzow und Panin, drei Männer, die in der
russischen Geschichte . berüchtigt, bekannt und be-
rülunt geworden sind. Da dieses Projekt unausgeführt
bleiben mußte, so wurde Orlow dafür in den Fürsten-
stand erhoben, die Kaiserin behielt aber das Diplom
noch bei sich.
Dieser Günsthng, den man in der Verwaltung seiner
weitläufigen, mit unimterbrochenen Beschäftigungen
verbundenen Ämter, besonders aber in der Aufsicht
über das Kolonistenwesen, großer Nachlässigkeit be-
schuldigen mußte, zeigte doch immer, wie er auch von
dem ersten Augenbhcke seiner Bekanntschaft mit der
Kaiserin getan hatte, die unverändertste Anhänglich-
keit an ihre Person. Seiner Vorsicht, seiner Entschlos-
senheit und seinem Mute hat es die Monarchin zu dan-
^) Gatschina, ein schönes Schloß und Garten mit einer kleinen
Stadt, gehört jetzt der Kaiserinmutter. H.
*) Ropscha, ein Dorf mit Schloß und Garten, wurde von Orlow
an den Armenianer Lasarow verkauft. Von ihm kaufte es Kaiser
Paul I. H.
252
65- Gregorej Orlow I.
ken, daß drei Verschwörer gegen sie entdeckt und
fruchtlos gemacht wurden.
Wenn aber auch auf der einen Seite die treue An-
hänghchkeit noch fortdauerte und nur im Äußern
augenblickhch unterbrochen schien, so war doch auf
der andern der entschiedenste Überdruß an die Stelle
der Zuneigung getreten. Hierzu hatte der GünstHng in
seinem Privatleben durch sein pöbelhaftes, immer
mehr anmaßendes Betragen selbst Veranlassung ge-
geben.
Orlow hatte keinen Begriff von Förmlichkeiten.
Seine Verhältnisse mit Katharina hatten ganz den
Charakter gemeiner Verbindungen, die ohne Grund-
sätze und nur in physischer Hinsicht geschlossen
werden.
Katharina lernte nun einsehen, wie gut es sei, daß
die Heirat mit Orlow nicht zustande gekommen war.
Jetzt dachte sie nur darauf, ihn, der ihr lästig wurde,
zu entfernen.
Gelegenheit dazu gab der Umstand, daß im Jahre
1771 die Pest in Moskau so fürchterlich wütete, daß
dort allein hundertundfünfzigtausend Menschen star-
ben und daher ein Mann von großem Rang erfordert
wurde, der durch weise Anstalten dieses Übel aufzu-
halten suchen sollte.^)
Die Kaiserin selbst stellte ihrem Günstlinge vor,
daß, da er den ganzen Krieg über ruhig in Petersburg
gewesen sei, er jetzt, durch eine kurze Reise nach Mos-
kau und durch seine Bemühungen daselbst, den leb-
haftesten Dank der Nation einernten könne.
Graf Orlow reiste mit einem zahlreichen Gefolge ab
^) Brücker kennzeichnet das Gerücht, als ob Katharina sich
Orlows durch diese Sendung habe entledigen wollen, als Abge-
schmacktheit.
ö^. Gregorej Orlow I. 253
und ein sehr geschickter Wundarzt, Todte,^) begleitete
ihn.
Durch die vorsichtigen und zweckmäßigen Ver-
fügungen dieses Mannes, besonders aber des Geheimen
Rats Wolkow, wurden nicht nur die weitern Fort-
schritte dieses Übels gehemmt, sondern auch die
Krankheit an den Orten, wo sie wütete, ausgerottet.
Orlow kam nun wieder zurück, mußte aber Qua-
rantäne halten. Als er nachher in Petersburg eintraf,
heuchelte man die größte Freude. Es wurde ihm zu
Ehren eine Medaille geschlagen, auf welcher er, ein
zweiter Curtius, in den Pfuhl sprang. In Zarskoje-Selo
wurde ihm ein marmorner Triumphbogen, nach der
Sitte der Römer, errichtet.
Er war, wie auch ehemals zuweilen es der Fall war,
nicht ein Zeichen des Sieges, sondern dazu bestimmt,
das Andenken einer großen Bürgertat auf die Nach-
kommenschaft zu bringen.
Die Kaiserin und ihre Freunde, die jetzt Orlows
Gegner waren, dachten nun auf einen schicklichen
Vorwand, ihn ^uf inuner zu entfernen, und dieser fand
sich bald.
In Fockschanj, einer kleinen Stadt in der Walachei,
an den Grenzen der Moldau, sollte ein Kongreß er-
öffnet werden, um den Türkenkrieg zu endigen. Katha-
rina trug ihm an, das Friedensgeschäft zu übernehmen
und auf diese Art zum zweiten Male den Dank der Na-
tion zu verdienen.
^) Todte wurde für seine unendlichen Bemühungen schlecht
belohnt. Er bekam nicht mehr als 200 Rubel. Außer diesem
Dr. Todte wurde Orlow noch von den Ärzten Binder, Hertens und
Meltzer begleitet, anscheinend lauter Deutschen. Das Werkchen:
,, Anekdoten zur Lebensgeschichte des Fürsten Gregorius Gregorie-
witsch Orlow", das näheres über die Moskauer Reise enthält
(Frankfurt und Leipzig 1791), war mir leider nicht zugänglich.
254 ^S- ^^S^^i Orlow I.
Sein Stolz machte ihn blind, er sah den Fallstrick
nicht, den man ihm legte, er ging in die Schlinge.
Die Anstalten zur Reise des mächtigsten Monarchen
konnten nicht mit größerm Aufwände gemacht wer-
den. Er hatte Marschälle, Kammerherren, Kammer-
junker, Pagen, kaiserliche Bediente und die präch-
tigsten Equipagen. Nach diesem Maßstabe war Küche,
Kellerei und alles übrige eingerichtet. Die Juwelen in
seinem Anzüge waren von ungeheuerm Wert.
Übrigens begreift ein jeder, daß Graf Orlow für die
eigentlichen Geschäfte nur den Namen hergab, die Ar-
beit aber andern Männern übertragen war. Demunge-
achtet wurde der Zweck seiner Sendung ganz verfehlt.
Er benahm sich mit einer Arroganz, die alle empörte,
und mißhandelte sogar die Türken.
Er war noch in Fockschanj als er im September 1772
erfuhr, daß auf Empfehlung seines Feindes, des Grafen
Panin, ein Offizier namens Wasiltschikow von der
Kaiserin als Günstling gewählt worden sei.
Bei dieser Nachricht wütete Orlow.
Er setzte sich sogleich in eine Kibitka,i) mit zwei
Pferden bespannt, und fuhr Tag und Nacht nach Pe-
tersburg zu. Er glaubte daselbst unerwartet ankom-
men zu können, aber man hatte seine Eilfertigkeit ver-
mutet und Maßregeln dagegen genommen.
Man schickte ihm einen Kurier entgegen, mit einem
Briefe der Kaiserin. Sie schrieb ihm: ,,es sei nicht nötig,
daß er Quarantäne halte, aber sie schlage ihm vor, sein
Schloß Gatschina zu seinem einstweiligen Aufenthalt
zu wählen."
Der Kurier, der ihm diesen Brief überbrachte, traf
ihn unterwegs an. Orlow war der Verzweiflung nahe.
^) Kibitka ist ein ganz gemeines, aber sehr leichtes Fuhrwerk,
dessen sich gewöhnlich die Kuriere bedienen. H.
65. Gregore j Orlow I. 255
Man würde unrecht tun, wenn man dieses Gefühl
gekränkte Liebe nennen wollte ; es war nur Scham, sich
hintergangen zu sehen, und beleidigter Ehrgeiz, nicht
mehr der erste Gebieter im Staate zu sein.^)
Diese Begebenheit hatte sehr verschiedene und son-
derbare Wirkungen. In Gatschina war Orlow in der
größten Wut und sein Zorn war durch die Gewalt, die
man ihm entgegenstellte, unnütz gemacht. In Peters-
burg zeigte die Kaiserin, bei allem Bewußtsein der
Macht, die sie umgab, eine so große Ängstlichkeit, eine
so knechtische Furcht, daß man glauben mußte, ihr
sonst so männlicher Charakter sei ganz von ihr ge-
wichen. Als Panin sie beruhigen wollte, und diese
Furcht unnütz nannte, sagte sie zu ihm: ,,Sie kennen
ihn nicht, er ist fähig, mich und den Großfürsten um-
zubringen." Diese Äußerung'der Monarchin ließ einiger-
maßen schließen, daß Katharina Orlows Wut aus Er-
fahrung kenne.
Sie ließ vor der Tür des Schlafzimmers eiserne Riegel
machen und der Kammerdiener Sacharow mußte mit
geladenen Pistolen Wache halten. In der Folge machte
ihr Orlow über diese Vorsicht, die er wieder erfuhr, die
härtesten Vorwürfe.
Indes äußerte sich Orlows Zorn in Gatschina in hef-
tigen Ausbrüchen.
Der Hof fand es (welcher Beweis eigentlicher
Schwäche !) seiner eigenen Sicherheit angemessen, mit
ihm in Unterhandlungen zu treten. Man verlangte bloß
von ihm, daß er sich ruhig verhalten und seine Stelle
als Liebling einem andern überlassen sollte.
Unter den Personen von Ansehen und Gewicht, die
^) Die Kaiserin hatte die eigentümliche Verfügung getroffen,
daß mindestens ein Jahr vergehen müsse, ehe sich der ehemalige
Günstling wieder vor ihr zeigen dürfe.
256 65. Gregorej Orlow I.
zu ihm geschickt wurden, die Unterhandlung anzu-
knüpfen, war auch Betzkoy, von jeher ein Freund,
aber keiner war imstande, nur die geringste Bewilli-
gung zu erlangen. Die Kaiserin schickte ihm durch den
Geheimen Rat Adam Wassil je witsch Alsufiow eine
Million Rubel mit der Entschuldigung, daß sie nicht
mehr habe. Sie hatte ihm nämlich an seinem Namens-
tage und an seinem Geburtstage zusammen zweimal
hunderttausend Rubel ausgesetzt. Dies Geld hatte er
nie genommen und so waren in zehn Jahren zwei Mil-
lionen erwachsen, von denen ihm folglich Katharina
die Hälfte schuldig blieb. Orlow, als ihm die Million
gebracht wurde, sagte, er verlange nichts mehr, er
wisse, daß es dem Reiche zu schwer würde.j
Übrigens brachte dieser Schritt der Kaiserin keine
besondere Wirkung hervor.
Für Katharina und für Orlow war es ein fürchter-
liches Vierteljahr, die drei letzten Monate des Jahres
1772. Er bewies, daß selbst ein Feind in Fesseln (denn
beides war er doch in diesem Augenblick) gefürchtet
werden kann. Die Kaiserin war in einer immerwähren-
den und übertriebenen Bangigkeit und konnte auf
keine Weise begreifen, daß ein einzelner Mann, den
man ihr nicht nahe kommen ließ, ihr unmöglich ge-
fährlich werden konnte; Orlow hingegen hatte in
seinem Betragen alle Symptome eines Rasenden. Sein
Toben war unnütz, da ihm gegenüber die ganze sou-
veräne Macht des Hofs aufgestellt war.
Weil es sich denn nun gar nicht fügen wollte, fand
man nötig, ihm zu drohen,''aber welchen Mut hatte die
Kaiserin dazu? Er solle alle seine Würden niederlegen
und nur die Titel davon behalten; er könne reisen im
Reiche und außer Landes, wohin er wolle, nur dürfe er
nicht nach Petersburg und Moskau kommen ; er müsse
65- Gregorej Orlow I. 257
das Porträt der Kaiserin hergeben. Dafür wolle man
ihm denn hundertundfünf zigtausend Rubel Pension
geben, und hunderttausend Rubel zur Erbauung eines
Hauses auf einem seiner Güter. Würde er aber die ihm
gemachten Anträge nicht annehmen, so wollte man
ihn, welcher teufhsche Einfall, nach Ropscha ver-
weisen, wo Peter III. auf Orlows Geheiß gestorben
war.
Die Antwort auf alle diese Vorschläge fiel nicht nach
Wunsch aus. Von dem Porträt brach er gleich die
Brillanten los und gab sie zurück ; das Bild selbst be-
hielt er und sagte, er wolle es in die Hände der Kaiserin
geben. Man kann denken, daß sie nie den Mut hatte, es
zu verlangen und nur froh war, daß er nicht selbst
daran dachte.
Seine Entlassung, sagte er, könne man ihm durch
einen Ukas bekanntmachen. Dieser erfolgte auch so-
gleich. Was übrigens, setzte er hinzu, seinen künftigen
Aufenthalt anbelange, so würde er sich an nichts bin-
den, sondern nach beendigter Quarantäne nach Pe-
tersburg kommen. Man wagte es nicht, die Drohung
wegen Ropscha in Erfüllung zu bringen.
Endlich wurde noch ein Versuch gemacht, ihn zu
einer bestimmten Entfernung zu überreden.
Graf Zachar Gregor] ewitsch Tschernitschew^) ging
zu ihm, machte ihm den Antrag, auf Reisen und in die
Bäder zu gehen und drang, im Namen der Kaiserin,
auf eine kategorische Antwort. Orlow schwatzte ilmi
von Dingen vor, die gar nicht zur Sache gehörten, das
Resultat davon aber war, daß er tun werde, was ihm
beliebe. Tschernitschew kam also zurück, ohne etwas
^) Damals war Graf Tschernitschew Präsident des Kriegs-
kollegiums. Er starb als Generalfeldmarschall und Generalgouver-
neur von Moskau. H.
Russische Günstlinge. xj
258 6 3- Gregor ej Orloiv I.
ausgerichtet zu haben, versicherte aber, er habe an
Orlow eine sichtbare Verrücktheit bemerkt. Nun
schickte man einen Arzt zu ihm. Sobald dieser in das
Zimmer trat, rief ihm jener entgegen : ,,Ah, Du bringst
mir gewiß Bourgognerwein, den Peter III. so gern
trank."
Nunmehr schrieb die Kaiserin an ihn, sie habe ge-
hört, er sei kränkhch und sie gebe ihm daher die Er-
laubnis, die Luft zu verändern, und auf Reisen zu
gehen. Wahrscheinlich mochte ihm wohl sein Auf-
enthalt langweilig werden. Er antwortete also in
sehr gemäßigten Ausdrücken : er sei sehr gesund und
wünsche nur das Glück zu haben, der Kaiserin münd-
liche und überzeugende Beweise davon zu geben, und
die Erlaubnis zu erhalten, seine bisherigen Geschäfte
nach wie vor betreiben zu dürfen. An der mündlichen
Unterhaltung war nun aber der Kaiserin nichts ge-
legen. Sie schickte ihm das Fürstendiplom, nannte ihn
Durchlaucht, und bat ihn, eines ihrer Lustschlösser zu
seinem Aufenthalt zu wählen.
Orlow ging nach Zarskoje-Selo und ging gern dahin,
weil ihn dieser Ort um die Hälfte des Weges der Re-
sidenz näherte.
Hier lebte nun Fürst Orlow eine kurze Zeit mit der
Pracht und dem Aufwände eines Kaisers und ver-
sammelte täglich eine Menge der vornehmsten Be-
wohner Petersburg um sich her.
Aber auf einmal verschwand er im Monat Dezember
1772, kam nach Petersburg und trat in das Zimmer der
Kaiserin. Anfänglich glaubte sie vor Schrecken umzu-
sinken, allein sie faßte sich desto eher, da Orlow ganz
die unbefangene Miene und das Ansehen eines alten
Freundes annahm. Sie betrugen sich beide sehr gut und
söhnten sich förmlich aus. Orlow bheb nun den Winter
'\
Graf Zacharias Tschernitschc^
63. Gregore] Orlow I. 259
über in Petersburg, bat wieder um Geschäfte, und die
Kaiserin gab ihm alle seine vorigen Beschäftigungen
im Staate zurück.
Die Monarchin suchte nun, ihn durch Geschenke,
wie man zu sagen pflegt, beim Guten zu erhalten; ein
Grundsatz, den sie gewöhnlich beim Abgange ihrer
Günsthnge befolgte.
So gab sie ihm z. B. unter andern sechstausend
Bauern, hundertundfünfzigtausend Rubel Pension und
ein in Frankreich gearbeitetes silbernes Service, das
zweihundertundfünfzigtausend Rubel kostete. Doch
das kostbarste Geschenk von allen war der Marmor-
palast, i) Fürst Orlow auf seiner Seite machte der Kai-
serin ein Geschenk, das, so lange der russische Hof
seinen jetzigen Glanz behält, immer an diesen Günst-
ling erinnern wird. Er kaufte den berühmten großen
Brillant, 2) der der Monarchin zu teuer gewesen war, für
vierhundertundsechzigtauser d Rubel und schenkte
^) Der Bau des Marmorpalastes wurde 1770 angefangen und 1783
auf kaiserliche Kosten beendigt. Katharina II. gab ihm, als sie ihn
an Orlow schenkte, die Inschrift: ,, Gebäude aus Dankbarkeit".
Der Unterteil ist Granit, der Oberteil grauer Marmor mit roten
Säulen, die Fensterrahmen Bronze, stark vergoldet, die Scheiben
Spiegelglas, die Dachsparren Eisen, das Dach Kupfer. Katharina II,
kaufte das Palais den Erben Orlows ab. Als der Großfürst Kon-
stantin sich vermählte, bewohnte er es. Nachher bezog es der
unglückliche Stanislaw Poniatowski, der hier starb. H.
^) Die erste bekannte Nachricht von dem großen Brillant, der
jetzt das russische Zepter ziert, ist die, daß er sich in dem
Schatze des berüchtigten Schach Nadir befand. Nach mancherlei
Schicksalen kam er durch armenische Kaufleute nach Peters-
burg, und wurde mit iioooo Gulden versichert. Von der Kauf-
summe, 460000 Rubel, bezahlte Orlow einen Teil sogleich, den
andern auf seinen Reisen. Der ,, Orlow" bildete ursprünglich das
Auge einer Brahmastatue. Orlow kaufte ihn 1794 für 450000
Rubel, einer Leibrente von 4000 Rubel und einen Adelsbrief.
Der Stein ziert jetzt die Spitze des russischen Zepters und
wiegt 194V4 Karat. Er ist bis jetzt der größte aller geschliffenen
Diamanten.
17*
200 65. Gregorej Orlow I.
ihn dieser Prinzessin;^) noch mehr aber verherriichte
er seine Epoche durch den auf seine Kosten voll-
führten Bau des schönen Arsenals in Petersburg.
Aber das Gefühl, nicht mehr der allgewaltige Mann
zu sein, der er gewesen war, brachte in ihm eine Un-
ruhe hervor, die auf keine Art gedämpft werden konnte.
Auf einmal fiel es ihm ein, sich in Reval niederzulassen.
Er verlangte hierzu die Erlaubnis der Kaiserin, die sie
ihm mit Freuden gab und ihm ein kleines Schloß in der
Nähe, Katharinental,2) zur Wohnung anbot. Kaum
war er daselbst angekommen, als er den Einfall be-
kam zu reisen. Er ging nach Frankreich, blieb aber
nicht lange daselbst, sondern kehrte nach Petersburg
zurück.
Dort hatte sich die Szene mit Wasitschikow auch
schon wieder geändert, und Potemkin war an dessen
Stelle gekommen, auf dessen Entschlossenheit die
Kaiserin melu: rechnen konnte, und daher den Fürsten
Orlow weniger fürchtete. Dieser, der wohl sah, daß für
ihn am Hofe gar nichts mehr zu tun sei, verließ einen
Ort, der ihm unerträglich wurde, und begab sich nach
^) über dieses Geschenk entrüstete sich die sittenstrenge Kaiserin
Maria Thersia von Österreich in einem Brief an den Grafen Lacy
vom 3. Januar 1774: „Sie werden schon von dem Geschenk, bestehend
aus diesem großen holländischen Diamanten, gehört haben, das der
Günstling Orlow der Kaiserin am St. Katharinentag zu machen
gewagt hat; sie hatte sich diesen Stein schon lange gewünscht, nur
war er ihr zu teuer. Er hatte die Unverschämtheit, ihn für vier-
hunderttausend Rubel zu kaufen und ihn ihr zum Geschenk an-
zubieten. Man hat ihn angenommen und ihn zum Gegenstand der
Bewunderung und des Beifalls gemacht; ich gestehe, daß ich in
meiner ersten Bewegung beim Lesen den Brief unter den Tisch
warf, so sehr schämte ich mich unsrer menschlichen Natur und der
Schwachheit unseres Geschlechts." (Briefe der Kaiserin Maria
Thersia. Ausgew. und herausgeg. von W. Fred. München 1914.
Georg Müller, i. Bd. S. 336; II, S. 133.)
*) Katharinental, ein kaiserlicher Garten mit einem Haus, liegt
einen Viertelstunde von Reval. H.
65. Gregore] Orlow I. 261
Moskau, dem gewöhnlichen Aufenthalt der vielen Un-
zufriedenen unter der Regierung Katharinas.
Demungeachtet reiste er doch immer ab und zu,
ging an den Hof, und heiratete endlich in Petersburg.
Seit diesem Augenblicke bemerkte man die Rückkehr
der Ruhe in sein Herz. Er zog nun, aus Geschmack, das
Privatleben seiner vorigen rauschenden und glänzen-
den Existenz vor. Fürst Orlow ging mit seiner Ge-
mahlin auf Reisen, hatte aber das Unglück, sie sehr bald
zu verlieren.
• Nach dem Tode seiner Frau, die ihn mit sanfter
Hand geleitet hatte, kam er im Jahre 1782 nach Pe-
tersburg zurück. Bei dem Anblick der Gegenden, die
er ehemals als Herrscher bewohnt hatte, trat seine
vorige Unruhe wieder hervor.
Durch seine freimütigen und eigentlich unüberlegten
Äußerungen vergrößerte er die Zahl seiner Wider-
sacher. Es ist wohl ausgemacht gewiß, daß Orlows
Feinde ihm ein abzehrendes Gift beibrachten, dem
zwar seine starke Natur so viel als möglich widerstand,
das aber doch die Spuren seiner Wirkung durch eine
gewisse Zerrüttung des Verstandes bezeichnete. Zum
Glück wechselte diese Stimmung mit Ruhe ab, die oft
gar nicht, zuweilen aber nur wenig, unterbrochen
wurde. Ganz seiner vorigen Gewohnheit zuwider, fing
er an, sich zwar immer prächtig, aber ganz nach dem
russischen alten zarischen Kostüm zu kleiden. Er
sprach zwar oft sehr vernünftig, aber immer außer-
ordentlich frei. Seine Feinde, die sich über dieses son-
derhngische und für ihn selbst höchst gefährliche Be-
tragen heimlich freuten, bedauerten öffentlich, daß
der Schmerz über den Tod seiner Gemahlin so traurige
Folgen für ihn hätte und ermangelten nicht, der Kai-
serin gutgemeinte Winke, wegen der unbedachtsamen
262 65- Gregorej Orlow I.
Reden ihres Günstlings, zu geben. Demungeachtet tat
Katharina weiter nichts, als daß sie ihm den Verfall
seines Ansehens zeigte. Orlow, der noch Verstand ge-
nug hatte, zu bemerken, daß sein Einfluß täghch ge-
ringer wurde, und der diesen Verlust nicht ertragen
konnte, fing an, immer mehr von seiner Besinnung zu
verlieren. Er hatte schon oft mit der Kaiserin sehr frei
gesprochen, aber nun tat er es ganz laut und im Bei-
sein des ganzen Hofs. So sagte er ihr bei Gelegenheit
des Falls des Grafen Panin, den er sonst gehaßt hatte,
jetzt aber davon zurückgekommen war, daß sie, da sie
doch von nichtswürdigen Leuten umgeben sein wollte,
wohl getan hätte, diesen rechtschaffenen Mann von
sich zu entfernen. — Dem ganzen Hofe sagte der Fürst,
er wisse wohl, daß er selbst, weil er doch noch einige
Ehrlichkeit habe, sehr bald werde sterben müssen, daß
er aber nur noch so lange zu leben wünsche, bis der
Großfürst von seinen Reisen zurückgekommen wäre. —
Man kann leicht denken, daß Orlows Feinde ihn diesen
Termin, der sehr nahe war, nicht abwarten ließen. —
Einige Tage nach dieser Szene wurde er heftiger krank,
als jemals. In den Augenblicken des Ausbruches seiner
Geistesverwirrung gab er dem ganzen Hofe das grauen-
vollste Beispiel. Er sah immer die blutende Erschei-
nung des sterbenden Kaisers, und der um ihn her
irrende Schatten dieses Prinzen klagte ihn vor einem
höhern Gericht an, und er erschreckte dadurch sein
Gewisser. Noch eine kurze Zeit sträubte sich Or-
lows starke Natur, bald aber mußte sie unterhegen. Er
starb im April des Jahres 1783 in der größten Ver-
zweiflung.^)
Dies war das Ende eines Mannes, der seine Rolle in
der großen Welt als Leutnant anfing, zehn Jahre lang,
^) Orlow starb im Wahnsinn.
6j. Gregore j Orlow I. 263
ohne den Namen zu haben, als Kaiser lebte, und end-
lich ohne Besinnung starb. Orlow war der schönste
Liebling Katharinas. Er hatte mehr Verstand als
Kenntnisse, war mehr leichtsinnig als boshaft, mehr
verschwenderisch als guttätig, und entschlossen und
mutig. In seinen letztern Lebensjahren zeigte er eine
jiußerordentliche Rechtschaffenheit. Entweder war
diese in seiner Jugend von seinem größern Leichtsinn,
und von seinem Hange zur Wollust, zur Verschwendung
und zum Stolz verdrängt worden, oder es war eine Ver-
änderung, die man dem Umgange mit seiner würdigen
Gattin, oder dem Umstände zuschreiben muß,' daß
er wegen seines geringen Einflusses weniger als sonst
nötig hatte, seinen Charakter zu verleugnen.
Die Fürstin Orlow war eine geborne Sinowiew, aus
dem nämlichen adeligen Geschlechte, aus welchem Or-
lows Mutter entsprossen war. Als sie der Fürst heiratete,
war sie Hoffräulein der Kaiserin. Sie wurde gleich nach
der Vermählung Staatsdame, und erhielt den Katha-
rinen-Orden. Die Geschenke, welche die Fürstin von der
Kaiserin empfing, entsprachen dem hohen Range und
der Großmut der Geberin. Von allen nennen wir nur
eine goldene Toilette von so großem Wert und von so
schöner Arbeit, daß vielleicht wenig souveräne Prin-
zessinnen ähnliche Nachttische aufweisen können. All-
gemein hatte die Fürstin Orlow den Ruf einer Frau von
vortrefflichen Grundsätzen, die durch ihre weise Lei-
tung den traurigen, mißmutigen und aufbrausenden
Launen ihres Gemahls immer die Stimmung zu geben
wußte, die für ihn und seine Umgebung die heilsamste
war. Diese würdige Frau starb schon einige Jahre nach
ihrer Vermählung^) in Lausanne, wohin sie zur Wieder-
herstellung ihier Gesundheit gereist war.
1) Drei Jahre, im Jahre 1780.
264 ^5- Gregore] Orlow I.
Von ihr hatte Orlow keine Kinder; wohl aber von
andern Frauen und hierbei müssen wir uns noch etwas
aufhalten.
Im April 1762 näherte sich die Krise der Krankheit
der Gemahhn Peters III. Es war darauf berechnet, in
dem eintretenden Augenbhcke derselben diesen Prin-
zen durch eine artifizielle Feuersbrunst zu entfernen,-
die der Stubenheizer Schkurin in seinem Hause veran-
staltete, das an einem Ende der Stadt lag und eigent-
lich nur eine hölzerne Hütte genannt zu werden ver-
diente. Orlows erster Sohn wurde den 18. April alten
Stils oder den 2g. neuen Stils geboren. Gleich nach
seiner Geburt nahm Schkurin diesen Knaben zu sich
und erzog ihn, bis er in das Lardkadettenkorps kam.
Um diese Zeit war es schon unter der Hand bekannt,
daß er ein Sohn der Kaiserin sei. Diese Fürstin selbst
gab Veranlassung zu dieser Pubhzität. Sie sah es gern,
daß ihn Ribas, sein Erzieher, und Betzkoy, der Direk-
tor des Korps, vor seinen Mitschülern auszeichneten.
Ja es ging so weit, daß man, als er das Korps verheß,
allen Großen des Hofs und selbst den fremden Ge-
sandten, zu verstehen gab, man würde es gern sehen,
wenn dem jungen Bobrinskoy Feste gegeben würden.
Seinen Namen erhielt er von der Herrschaft Bober oder
Bobrin in Rußland, die man für ihn kaufte, überdies
wurde noch eine Milhon Rubel für ihn in der Leihbank
in Petersburg niedergelegt. Da der junge Mensch auf
seinen nachherigen Reisen, besonders in Paris, wo er
öffentlich gestand, daß er ein Sohn der Kaiserin von
Rußland sei, Schulden machte, so wurden diese von
seinem Kapital bezahlt und er bekam von der Zeit an
nur dreißigtausend Rubel jährlich, die er in Reval,
wohin die Monarchin, die unzufrieden mit ihm war, ihn
verwiesen hatte, verzehren mußte. Hier lebte er im
6s. Gregorej Orlow I. 265
Anfang der neunziger Jahre, und wir glauben gehört zu
haben, daß er noch daselbst war, als ihn Paul I. bald
nach dem Antritte seiner Regierung im Jahre 1797 an
den Hof kommen ließ. Dieser Prinz zeichnete ihn sehr
aus, erhob ihn in den Grafenstand, machte ihn zum
Generalmajor und gab ihm den Annen-Orden. Durch
alle diese Auszeichnungen lieh der Kaiser die PubUzi-
tät, die Bobrinskoy selbst von seiner Geburt ausge-
breitet hatte, eine bestimmtere Gewißheit. Wo er sich
jetzt aufhält, wissen wir nicht. — Die Kaiserin, die
ihn in seiner Kindheit sehr geliebt hatte, konnte ihn
in reifen Jahren nicht leiden, eine Ungnade, die er sich
Wcihrscheinlich durch sein Betragen zugezogen hatte.
Bobrinskoy sieht seinen schönen Eltern nicht ähnhch,
soll aber ganz den wilden Charakter seines Vaters
haben.
Ein andrer Sohn Orlows hieß Galachtheon, ein ganz
gemeiner Taufname. Man sah ihn als einen kleinen un-
bekannten Liebhng in der Kaiserin und in Orlows Zim-
mern. Er wurde Offizier und zur Erziehung nach Eng-
land geschickt, woselbst er Ausschweifungen beging,
deren Folgen ihn schon in der Jugend töteten.
Ein dritter Sohn hieß Wospanoy oder Pockner, weil
von ihm die Pockenmaterie für den Großfürsten Paul
genommen wurde. Er starb schon als Page in Peters-
burg.
Zwei Töchter, sagte man, wären in Petersburg im
Fräuleinstifte auf Kosten der Kaiserin erzogen wor-
den, doch ist nur das Dasein der einen mit Zuverlässig-
keit anzugeben. Diese heiratete in der Folge den
jetzigen General, Grafen Buxhövden. Buxhövden ist
einer der besten russischen Generale. Er fing seine
miUtärische Laufbahn im ersten Türkenkriege als Ka-
dett an, und zeichnete sich besonders bei der Einnahme
206 65. Gregore] Orlow I.
von Bender sehr aus. Seitdem hat er immer Beweise
von mihtärischer Kenntnis und persönHcher Tapferkeit
gegeben. Mit diesen Talenten verbindet er einen vor-
trefflichen Charakter, Er ist jetzt Graf, General en
Chef, Generalgouverneur von Livland, Estland und
Kurland und Ritter aller russischen Orden. Sie war
noch im Anfange der neunziger Jahre eine sehr schöne
Blondine und hatte den Ruhm einer ganz vortreffHchen
Frau.
Im Jahre 1792 erzälilte man in Petersburg folgende
Anekdo'te: Vor ungefähr zwanzig Jahren, vielleicht im
Jahre 1770 oder 1771 hatte ein Itahener ein Kind nach
Chambery in ein Kloster gebracht und reichliche Pen-
sion für dasselbe auf zwanzig Jahre bezahlt. Dieses
Kind war in Gatschina geboren und hatte Papiere mit-
gebracht, von denen man erst nach zwanzig Jahren
Gebrauch machen sollte. Dies geschah, und man fand,
daß dem Kinde dreißigtausend Rubel zugesichert und
in Petersburg deponiert waren. Die Sardinische Ge-
sandtschaft erhielt im Jahre 1792 Befehl, das Geld zu
reklamieren.
Man vermutete, daß dieses Kind von Orlow und von
einer Hofdame wäre, die noch vor einigen Jahren un-
verheiratet in Petersburg lebte. Es ist zuverlässig, daß
die Kaiserin zu der oben benannten Zeit behauptete,
diese Dame sei schwanger und bald nachher, sie habe
in Wochen gelegen.
Im Sommer des folgenden Jahres 1793 erfuhr man
das Dasein noch einer Tochter des Fürsten Orlow, die
in einem Zustande lebte, welcher dem Glänze ihres
Vaters wenig entsprach.
Eines Tages ging die Kaiserin im Garten zu Zarskoje-
Selo allein spazieren. Auf einmal springt eine junge
Frau aus dem Gebüsch hervor, wirft sich nieder und
66. Iwan Orlow II. 267
umfaßt die Knie der Monarchin. Sie erzählt, daß sie
eine Tochter des Fürsten Orlow ist, bestätigt das, was
sie sagt, durch schriftliche Beweise, klagt, daß sie sich
in der drückendsten Armut befindet und bittet um ein
besseres Schicksal. Die Kaiserin verspricht es ihr und
versichert ihr auch wirklich einen anständigen Unter-
halt auf Lebenszeit. — Indessen war die Monarchin
doch sehr über diesen Vorfall erschrocken. Um ähn-
Hche Auftritte in Zukunft zu vermeiden, durfte sich
niemand im Garten in den Stunden zeigen, in welchen
die Kaiserin in demselben sich aufzuhalten pflegte.
66. Iwan Orlow II.
Iwan Gregor] e witsch Orlow, der ältere Bruder des
Fürsten,^) wurde mit diesem und Alexis zugleich er-
zogen. Er kam alsdann als Unteroffizier in die Garde
und trug als solcher sehr viel zu der Revolution bei,
durch welche die Orlows ihr Glück machten. Nachdem
die Empörung glücklich vollendet war, zog er sich zu-
rück. Nie wollte er eine Stelle weder bei Hofe noch in
der Armee bekleiden. Er nahm bloß die Grafenwürde,
beträchtliche Güter und eine jährliche Pension von
zwanzigtausend^) Rubel an, die jedem der Hauptteil-
nehmer an der Verschwörung von Katharina IL ver-
sichert worden war. Unter allen Brüdern Orlow war
er derjenige, der das meiste Gewicht bei ihren Bruder,
dem Fürsten, hatte. Die Kaiserin, die das wußte, ließ
^) Geboren 1733.
2) Eigentlich sind die Nachrichten über diese Revolutions-
pensionen sehr verschieden, doch die Mehrheit der Meinungen
kommt darin überein, daß sie 20000 Rubel betrugen. Die geringeren
Gehilfen bekamen jährlich 2000 Rubel. H.
268 67. Alexej Orlow II.I
ihn auch deswegen im Jahre 1772 nach Petersburg
kommen und schickte ihn nach Gatschina und Zarskoje-
Selo, um den ExgünstHng auf nachgebendere Gedan-
ken zu bringen, aber diesmal scheiterte Iwans Über-
redungskraft. Gregor beharrte nachdrücklich auf seiner
Meinung, bis er endhch selbst davon zurückkam.
Graf Iwan Orlow lebte noch im Jahre 1794; 2) es ist
uns aber glaublich, daß er noch vor dem Antritt der
Regierung Paul I. gestorben ist, weil wahrscheinlich
dieser Monarch ihn eben so gut als seinen Bruder Alexis
bei Gelegenheit der feierlichen Beerdigung Peters III.
würde mit Gewalt an den Hof gezogen haben.
67. Alexej Orlow III.
Die kostbaren Monumente im Garten zu Zarskoje-
Selo sind nur Erinnerungen verfallener Größe. Die
meisten der hohen Staatsdiener, denen sie errichtet
wurden, überlebten ihr Ansehen und mit ihm zugleich
die wankelmütige Gunst der Monarchin, die in An-
wandlungen von Schwäche und sogar zuweilen von
Furcht, oder auch aus Hang zur Ostentation und Ver-
schwendung, diese Denkmäler aufführen ließ, die man
daher auch Monumente ihrer eigenen Leidenschaften
nennen könnte. Der Anblick derselben gibt reichHchen
Stoff zum Nachdenken. Er führt zu den Empfindungen
ernster Trauer über die Nichtigkeit gesunkener irdi-
scher Größe, die ihre flüchtige Existenz bloß Menschen
zu danken hat ; er erfreut aber auch mit der seligen Be-
ruhigung, die das Bewußtsein eigener Erhabenheit des
Geistes und Herzens gewährt, welche keiner feilen Mo-
^) Er starb bereits 1791.
67. Alexe j Orloiv III. 269
numente von Erz und Stein bedarf, sondern durch die
Wohltätigkeit ihrer Handlungen sich bleibende Denk-
male errichtet, die von keiner Menschenhand, sei sie
auch die mächtigste der Welt, zerstört werden können
und selbst dem Raube der Zeit Trotz bieten.
Alexis, der dritte der Brüder Orlow,^) hatte mit den
beiden altern gleiche Erziehung und wurde alsdann
ebenfalls Unteroffizier in der Garde. Er zeigte eine voll-
kommene Übereinstimmung mit den Gesinnungen
seiner Brüder, schien aber doch für Gregor eine größere
Vorliebe als für die andern zu haben. Übrigens teilte
er mit ihnen alle jugendlichen Ausschweifungen, von
denen jedoch eine seinem Gesichte einen Stempel auf-
drückte, der immer blieb.
In dem Hause des Weinhändlers Überkampf in der
Großen Millionstraße in Petersburg, bekam Alexe j
Gregor je witsch Orlow, als er noch Sergeant von der
Garde war, sehr ernsthaften Streit mit einem Gemeinen
der Leibkompagnie, der Swanev/itzsch hieß. Orlow
wollte sich entfernen, wurde aber von jenem verfolgt,
auf der Straße angefallen und gehauen. Der Hieb traf
über der linken Seite des Mundes. Verwundet, wie
Alexis war, wurde er sogleich zu dem berühmten Arzt
Kaaw-Boerhave^) gebracht und daselbst verbunden.
Nachdem er geheilt war, blieb immer noch eine große
Narbe, von der er den Beinamen Orlow mit der
Schmarre (le Balafre) erhielt.
Bei der Revolution im Jahre 1762 war er vielleicht
der tätigste von seinen Brüdern und trug durch seine
Bemühungen dazu bei, die Garden zum Vorteil Katha-
^) Geboren i737-
^) Hermann Kaaw, Leibarzt des Großfürsten Peter, war ein
Neffe des weltberühmten Boerhaave, Arzt und Anatom in Holland
(1668 — 1738), dessen Namen er annahm. Kaaw-Boerhave wohnte
im Hause des Grafen Scheremet jew in der Millionstraße. H.
270 67- Alexe j Orlow III.
rinas zu gewinnen. Als die Verschworenen in der Nacht,
die vor dem entscheidenden Tage herging, die Rollen
unter sich verteilten, die ein jeder von ihnen bei der
Empörur^g am folgenden Morgen übernehmen sollte,
erhielt Alexis Orlow das Geschäft, sogleich mit Bibi-
kow,^) einem Sergeanten von der Garde, nach Peterhof
zu reiten um die Kaiserin, die sich nur mit einigen
Personen daselbst aufhielt, abzuholen. Dies geschah.
Die Fürstin Daschkow,-) die schon seit langer Zeit eine
alte Halbchaise und Bauernpferde in der Nähe von
Peterhof für die Kaiserin bereit stehen hatte, gab an
Orlow ein Billett für diese Prinzessin, um sie zu über-
zeugen, daß die Absendung der beiden Sergeanten
das Werk der Überlegung der vereinigten Verschwor-
^) Bibikow ist vielleicht derjenige, der es in den Folgejahren
mit dem Großfürsten Paul hielt. Er wurde deswegen ein Opfer der
Rache Potemkins, den Bibikow in seinen Briefen an Alexander
Kurakin, Ambassadeur in Wien und damaligen Freund des Thron-
folgers, immer le Borgne genannt, und von dem er manche Schlechtig-
keiten geschrieben hatte. Vielleicht ist es aber auch der, welcher als
General gegen Pugatschew gebraucht ward und blieb. H.
^) Die Fürstin Katharina Romanowna Daschkow war die Tochter
des Grafen Roman Illarionowitsch Woronzow (1707 — 1783). Eine
ihrer Schwestern, Elisabeth {1739 — 1792), war die Geliebte Peters III.,
die andere war die Gräfin Buturlin. Katharina wurde am 28. März
1743 in Petersburg geboren. Acht Jahre nach dem mit ihrer Hilfe
glücklich beendeten Anschlage gegen Peter II. verlor sie Freund-
schaft und Vertrauen Katharinas und begab sich auf Reisen nach
Westeuropa. Wieder zu Gnaden aufgenommen, erhielt sie 1783
den Auftrag, eine russische Akademie nach dem Muster der franzö-
sischen zu gründen. Sie wurde deren Präsidentin. Diese Akademie
wurde 1841 mit der älteren Akademie der Wissenschaften vereinigt.
Die Fürstin entfaltete eine reiche wissenschaftliche und literarische
Tätigkeit, die ungemein befruchtend auf das geistige Leben der
russischen Hauptstadt wirkte. 1793 fiel sie aufs neue in Ungnade
und mußte in die Verbannung ziehen. Sie starb am 16. Januar 1810
in Moskau. Die kluge und zielbewußte Frau, ,,eine e^hte russische
Frau mit ihren Vorzügen und Schwächen", hat die Denkwürdig-
keiten ihres abwechslungsreichen Lebens vier Jahre vor ihrem
Tode niedergeschrieben, die sehr wertvolles Material zur Geschichte
Rußlands und Katharinas büden (Leipzig 1876).
Katharina Fürstin Daschkow
67. Alexe j Orlow III. 27 1
nen sei. Nun ritten Orlow und Bibikow mit Blitzes-
schnelle nach Peterhof, wo sie sehr bald ankamen.
Alexis war fremd im Palais, aber Gregor, der die innere
Einteilung desselben und die Zimmer Katharinas
besser kannte, hatte ihn gut unterrichtet und sein
Bruder hatte die Lehren gut gefaßt. Unaufgehalten
(denn Katharina hatte schon in diesen und andern
Fällen dafür gesorgt, unbewacht sclilafen zu können)
drang Orlow bis in das Schlafzimmer dieser Fürstin.
Er weckte sie und ohne des Briefs der Daschkow zu er-
wähnen, sagte er ihr bloß : ,, Eilen Sie, es ist kein Augen-
blick zu verlieren. Alles ist in Petersburg fertig." So-
gleich schoß er fort wie ein Pfeil, holte den Wagen und
ehe Katharina, von mancherlei Gefühlen bemeistert,
sich einigermaßen sammeln und ankleiden konnte,
war Alexis schon wieder da und rief ihr zu: ,,Hier ist
Ihr Wagen, steigen Sie ein." Die Kaiserin tat es; neben
sie setzte sich ihre Kammerfrau Katharina Iwanowna
Tzeregowsky; hinten auf stand der Kammerbediente
Schkurin; Orlow fuhr als Kutscher; Bibikow ritt. So
wenig es auch der Lage der Sache und der leicht zu
begreifenden Bangigkeit der Reisenden angemessen
war, so wurde doch, wie wir gleich sehen werden, diese
kleine Reise mit großer Lustigkeit gemacht. — Die
Kaiserin und ihre Kammerfrau hatten, nach der Theo-
rie des Putzes, beide etwas Wesentliches in ihrem An-
züge vergessen, das Stoff zum Lachen gab. — Orlows
Pferde waren schlecht. Da nun die Gesellschaft einem
Bauer begegnete, der vor seinem Heuwagen ein sehr
schönes Pferd hatte, so schlug ihm Alexis vor, mit
einem seiner Pferde zu tauschen. Der Bauer weigerte
sich. Orlow prügelte sich mit ihm herum, überwältigte
ihn, spannte das gute Pferd ab und ließ ihm dafür sein
schlechtes. — Als die Reisenden näher an die Residenz
272 67. Alexej Orlow III.
kamen, begegneten sie einem Sachsen, der Neumann
hieß und in Petersburg ein öffentUches Haus hielt, in
welchem viele junge Leute und auch die Orlows zu-
sammenkamen. Als er seinen Freund Alexis sah, rief
er ihm in traulicher russischer Mundart zu: ,,Je, Alexis
Gregor] e witsch, wen hast du denn da alles aufge-
laden?" ,,Sei nur stille," antwortete Orlow, ,, morgen
sollst du es schon erfahren."
So kam man dann in das Quartier der Ismailowschen
Garde, welches das nächste am Wege war. Die Em-
pörung begann sogleich. Nachdem man sich der sämt-
lichen Garden versichert hatte, fuhr die Kaiserin in
dem nämlichen Wagen nach der Kasanschen Kirche.
Noch ehe der Zug aufbrach, ging Alexis, von einer vor-
übereilenden guten Regung getrieben, zu der Kaiserin
und sprach heimlich mit ihr. Er kam mit ihr überein,
sie vor der Kirche nicht zur Kaiserin-Regentin, wie es
erst der Plan der Verschwornen, besonders des Ober-
hofmeisters Panin war, sondern zur alleinigen Selbst-
herrscherin von Rußland auszurufen; doch müsse sie
ihm versprechen, den Großfürsten Paul, dem eigent-
lich nach Peters III. Entfernung der Thron gehöre, in
erwachsenen Jahren zum Reichsgehilfen anzunehmen.
Katharina tat es. Orlow schwang sich aufs Pferd, ritt
voran, und sobald die Kaiserin bei der Kirche ankam,
rief er sie daselbst zur Monarchin Rußlands aus.
Man weiß, daß die neue Regierung zu ihrer Sicher-
heit den Tod Peters III. für notwendig hielt. i) Alexis
^) Diese scheinbar so harmlose Bemerkung Helbigs hat Katha-
rina II. zur Mörderin ihres Gatten gestempelt. Wieder ist sein
Gewährsmann Castera. Die unbefangene Forschung, als deren
Wortführer Brücker gelten darf, spricht die Kaiserin von der An-
stiftung und Ausführung der schändlichen und überflüssigen
Mordtat frei und sieht in den Orlows die Urheber dieses Gewalt-
aktes. Es liegt kein Grund zur Vermutung vor, daß die Kaiserin
^"'' l KK.ORJ\-
»1 CXCHMT l< "^*
• IMPERIAL m'«!*^
R^-'&^A
x:\\
Mr >> tXIV . >UVT IVN.A.»- <'1M>.> LUX
J. H. Gaß und J. E. Nilson
67. Alexe j Orloiv III. 273
ritt mit einigen andern nach Ropscha, um ihn zu be-
schleunigen. — Der größte Bösewicht hat zuweilen
gute Augenblicke. — Orlow hatte damals nicht Ver-
worfenheit genug, der eigentliche Mörder seines Herrn
zu werden. Er fiel ihn zwar zuerst an, ließ ihn aber los,
als ihm der Kaiser darüber Vorwürfe machte, und lief
auf die Terrasse. Hier gab er Zeichen der schreck-
lichsten Verzweiflung.^) Sobald der Mord verübt war,
ritt Alexis mit verhängtem Zügel nach Petersburg.
Personen, die ihn dort ankommen sahen, sagten, daß
seine natürlich wilden Gesichtszüge durch das Bewußt-
sein innerer Schlechtigkeit, Unmenschlichkeit und
Raubgier und durch das Urteil seines Gewissens über
diese anordnete. Sie mochte beim Empfang der Nachricht ebenso
überrascht sein, wie die Fürstin Daschkow, welche den Eindruck
derselben schilderte. Katharina äußerte gegen ihre Freundin, daß
die unheilvolle Kunde sie niedergeschmettert habe. Beide empfan-
den, wie schwer dieses Ereignis den Gesamteindruck der ganzen
Staatsumwälzung bei Mit- und Nachwelt schädigen müsse. Die
Daschkow, welche aus bester Quelle von den näheren Umständen
der Ermordung Peters wissen mußte, hielt Alexej Orlow für den
Täter. Sie erklärte sogleich, daß sie jeden Verkehr mit ihm abbreche
und hielt ihr Wort. Sie erzählt: ,,Wer so niedrig denkt, daß er arg-
wöhnt, die Kaiserin habe die Ermordung ihres Gemahls anbefohlen
oder auch nur gutgeheißen, der findet einen unbedingten Beweis
für die Ungerechtigkeit eines solchen Verdachtes in einem noch
vorhandenen Briefe Alexej Orlows, welcher wenige .\ugenblicke
nach dem begangenen Frevel geschrieben wurde. Der Stil und die
Zusammenhanglosigkeit darin zeugen, trotz der Betrunkenheit des
Verfassers, von dessen Entsetzen und der Aufgeregtheit. Er bat
in demütigen Worten um Vergebung für seine Tat. Dieses Schreiben
wurde von Katharina II. sorgfältig mit anderen wichtigen Doku-
menten in einer Schatulle verwahrt, deren Inhalt nach ihrem Tode
auf Befehl ihres Nachfolgers, Paul, von dem Fürsten Beskorodko
in Gegenwart des Kaisers geprüft. Als Beskorodko mit Vorlesen
des Schreibens Alexej Orlows zu Ende war, machte Paul das Zeichen
des Kreuzes und rief aus: ,Gott sei gelobt! Die Zweifel, die ich in
betreff der Haltung meiner Mutter in dieser Angelegenheit hegte,
sind nun geschwunden'." (Brücker, S. 106.)
^) Jetzt herrscht die .Ansicht vor, daß Orlow den Kaiser er-
drosselt hat.
Rassische Günstlinge, j§
274 ^7- Alexe] Orlow III.
die Folgen aller dieser Eigenschaften, in diesem Augen-
blicke schrecklicher und noch entstellter geworden
wären. Er brachte die traurige Nachricht der Kaiserin,
welche sie mit einer Fassung annahm, die nur Personen
eigen ist, die wie Katharina im Besitz vollkommener
Charakterstärke sind.
Alexis wurde für seine großen Bemühungen reich-
lich belohnt. Nach Gregor war er von allen Brüdern
Orlow derjenige, der die größten Ehrenstellen und
Reichtümer erlangte. Er hatte Gelegenheit, von den
letztern Gebrauch zu machen.
Zu der Zeit war Katharinas Hof prächtiger und ge-
räuschvoller als jemals. Die Orlows verherrlichten ihn
durch ihre kolossale Schönheit, durch ihre reizende
Munterkeit und durch ihren vortrefflichen Anstand.
Sie, die es mit allen Klopffechtern im Ringen allemal
mit Vorteil aufnahmen und dieselben, wie es die Russen
nennen, im Kulaken übertrafen, trugen eben so leicht
den Sieg in ritterlichen Übungen davon.
Damals (1766) wurde in Petersburg das berühmte
Karussell gehalten.
Gregor führte die Quadrille der Römer, Alexe j die
der Türken. Ihr Aufzug erreichte alles, was man sich
nur von Pracht denken kann und ihre Gewandtheit und
ihre Stärke entsprachen der Erwartung, die ihr maje-
stätisches Ansehen einflößte. Gregor und Alexis waren
von allen Rittern die geschicktesten. Ihr Sieg war ent-
schieden. Nur unter ihnen selbst war er zweifelhaft.
Alexis hatte die nachgebende Klugheit, ihn seinem
Bruder zu überlassen. Nach geendigtem Karussell
ließen sich beide Brüder in ihren Kostümen in Lebens-
größe zu Pferde malen und diese herrlichen Gemälde
hängen noch jetzt in der Kaiserlichen Eremitage neben
dem Bilde Katharinas IL, auf welchem sie zu Pferde
67. Alexej Orlow III. 275
und in der Uniform der Garde zu Fuß an ihrem Thron-
besteigungstage vorgestellt ist.
Doch im glänzenden und wollüstigen Zirkel des Hofs
fand Alexis nicht Befriedigung für seinen Ehrgeiz. Da-
mals bot eben der erste Türkenkrieg Gelegenheit dar,
Ruhm zu erwerben. Orlow war Generalleutnant, Gene-
raladjutant der Kaiserin, Leutnant der Chevaliers-
Garde, Oberstleutnant der Garde Preobratschensky
und Ritter der damaligen russischen Orden. Mit einem
so ausgezeichneten Range wollte er keine subalterne
Rolle übernehmen. Gleichwohl konnte man ihm keinen
Oberbefehl über Landarmeen geben, die altern und
erfahrnem Feldherren anvertraut waren. Er machte
also oder gab vielmehr nur der Kaiserin den Opera-
tionsplan einer Flotte, die in den Gewässern des Ar-
chipelagus kreuzen und Eroberungen in den dortigen
türkischen Besitzungen machen sollte. Der Plan
schmeichelte der Ruhmsucht der Kaiserin, daher ge-
fiel er ihr auch und wurde angenommen. Alexej Gre-
gor je witsch ward zum Generalissimus oder General-
admiral der ganzen russischen Flotte im Archipelagus
ernannt. 1) Im Jahre 1771 machte Orlow eine kurze
Erscheinung in Petersburg und brachte noch erweiterte
Projekte mit. Er erhielt damals eine Vollmacht von der
Kaiserin unterzeichnet, wodurch ihm die vollkom-
menste Gewalt erteilt wurde, mit der ihm untergeord-
neten Flotte alle ihm selbst gefälligen Unternehmungen
zu wagen, ohne jemals eine VerantwortHchkeit fürch-
ten zu dürfen. — So legal und uneingeschränkt ist we-
der vorher noch nachher eine Vollmacht gegeben wor-
den. — Die ganze Expedition gab den europäischen
Küsten das Schauspiel eines pomphaften Theaterauf-
zuges. Auch in andrer Hinsicht paßt dieser Vergleich.
^) Im Jahre 1769.
18*
2/6 fy]- Alexe] OyIovd III.
Sie war kostbar und zwecklos. Im Jahre 1772 kostete
sie schon über zwanzig Milüonen Rubel. Sie machte
übrigens unbedeutende Eroberungen, die überdies
noch beim Frieden zurückgegeben wurden, und brachte
für die Besiegten die unglücklichsten Folgen hervor.
Eine \o\\ Orlows Großtaten war die Verbrennung
der türkischen Flotte bei Tschesme,^) wofür er den
Beinamen Tschesmenskoy, der Tschesmeer, erhielt.
Alexis heß durch den berühmten Hackert^) in Italien
diesen fürchterlich majestätischen Gegenstand auf vier
Gemälden aus verschiedenen Gesichtspunkten und in
aufeinander folgenden Momenten betrachtet, vor-
stellen. Um dem Künstler die schreckliche Begeben-
heit recht anschaulich zu machen, ließ der Generalissi-
mus (freihch mit großer Unbedachtsamkeit), in der
Nähe von Livorno ein altes Kriegsschiff in die Luft
sprengen. Das übrige aber mußte durch Erzählung er-
gänzt, oder der bilderreichen Phantasie des Malers
überlassen werden. Diese schönen Gemälde hängen
noch jetzt im Audienzsaale in Peterhof und sind von
einem englischen Künstler in Kupfer gestochen worden.
Hier in Livorno war es auch, wo Alexis die hilfsbe-
dürftige, aber gewiß nicht gefährliche Tochter der EH-
sabeth täuschte und zu ihrem Tode nach Rußland
führen ließ.
Aber ehe dies alles geschah, war Orlow ebenfalls
noch bei der Flotte, als Gregor die Stelle eines Günst-
lings verlor. Die Kaiserin, die einen so sehr fürchtete
^) Am 26. Juni 1770. „Seit dem Tage von Lepanto (1571) hatte
die Pforte kein solches .Mißgeschick erfahren."
^) Philipp Hackert, ein geborener Brandenbm-ger, wurde der
größte Landschaftsmaler seiner Zeit und starb in Rom im Jahre
1807. H. Hackert, geb. 13. September 1737 zu Prenzlau in der
Uckermark, starb in Careggi am 28. .\pril 1807. Bekanntlich hat
tioethe Hackerts Leben kurz beschrieben.
6~. Alexe j Orlow III. 277
als den andern, schickte einen Kurier aji Alexis, mel-
dete ihm die Entfernung seines Bruders vom Hofe und
fügte die in solchen Fällen gewöhnlichen Beteuerungen
und Redensarten hinzu.
Dieser Schritt schien jedoch der Kaiserin für ihre
eigene Ruhe noch nicht hinlänglich zu sein. Sie
fürchtete den unternehmenden Geist des Grafen Alexej ,
der leicht auf den Einfall kommen konnte, den unbieg-
samen Charakter seines Bruders unterstützen zu wollen.
Sie schickte daher noch einen Kurier an den General-
admiral, um ihm zu befehlen, daß er schlechterdings
die Flotte nicht verlassen möchte. Doch, da dieses
nicht hinreichend schien, so wurde dem Grafen
Browne, 1) Generalgouverneur von Livland, der drin-
gendste Befehl zugefertigt, alle Reisenden, die nach
Riga kommen würden, genau zu beobachten und im
Fall Alexis unter ihnen sei, ihn nicht weiter reisen zu
lassen.
Als Orlow endlich nach einigen Jahren nach Peters-
burg zurückkam, fand er zwar daselbst große Verände-
rungen, aber sie hatten keinen schädlichen Einfluß auf
sein Schicksal. Im Gegenteil tat die Kaiserin, wahr-
scheinHch aus Furcht, alles mögliche, um ihm zu zeigen,
daß sie wenigstens dem Schein nach seine Freundin
bleiben wolle. Alle Künste mußten wetteifern, seine
Siege zu verkündigen und zu verewigen. — Auf dem
Theater wurden Vorstellungen zu seinem Lobe gegeben.
Die Gestalten Peters I., Katharinas II. und Alexis Or-
lows (eine sonderbare Zusammenstellung), wechselten
bunt miteinander ab und Chöre ertönten von Lob-
sprüchen der Taten des Besiegers der Türken. — Me-
^) Graf Browne, ein geborener Engländer, trat schon unter
Peter I. in russische Kriegsdienste und starb in den neunziger Jahren
in Riga ds Generalgouverneur von Livland und General en Chef.
278 67. Alexej Orlow III.
daillen, auf denen sein Bildnis im Kostüm des Kriegs-
gottes erschien, wurden ihm zu Ehren geprägt. — In
Zarskoje Selo verherriichte man sein Andenken durch
eines der schönsten und kostbarsten Monumente. Ein
ungeheurer Marmorblock, in eine Ehrensäule umge-
formt, erhebt sich auf einem Würfel von Granit. — Ein
kleines kaiserliches Lustschloß, das bis zu dem Augen-
blick Kikerikexino (Froschsitz) geheißen hatte, wurde
Tschesme genannt und zum Palast oder Kapitelshause
des militärischen Georg-Ordens bestimmt. — Im Haupt-
saale steht ein sehr großes und prächtiges Schreibzeug
von Bronze und Email. In der Mitte ist eine Säule mit
Armaturen geziert. Drei Schilde hängen an derselben.
Auf zweien sind herrliche Gegenden von dem eigent-
lichen Tschesme gemalt. Auf dem dritten sieht man die
Kaiserin auf dem Throne und den Grafen Alexej Or-
low, welcher kniend das große Band des Militärordens
empfängt, das so selten^) ist, daß es bis jetzt nie mehr
als höchstens vier Ritter auf einmal getragen haben. —
Aber das wesentlichste von allem waren wohl die uner-
meßhchen Reichtümer, die Alexis erhielt.
Doch dies alles konnte ihn rieht mehr an den Hof
fesseln, wo er seit dem Abgange seines Bruders, zwar
mit scheinbarer Auszeichnung, aber nicht mehr mit der
sonstigen Herzlichkeit behandelt wurde. Potemkins
anmaßende Allgewalt zu ertragen, war ihm unmöglich.
^) Im Todesjahre Katharinas II., die diesen Orden gestiftet
hatte, trugen das große Band der General en Chef Orlow Tsches-
menskoy, der Feldmarschall Suvvarovv-Rym-nikskoy, der Admiral
Tschitschagow und der Feldmarschall Repnin. Paul I. trug ihn nie.
Als Großfürst bekam er ihn nicht, und als Kaiser wollte er ihn nicht
tragen. Er hat ihn auch nicht ausgeteilt, sondern dafür den Annen-
orden zum Militärorden eingerichtet. Der Georgorden hat ein
weißes Kreuz. Die Ritter sind in vier Klassen geteilt und tragen
den Orden an einem Bande, das drei orangenfarbene und vier
schwarze Streifen hat. H.
6']. Alexej Orlow III. 27g
Da er reich genug war, um mit großer Pracht unab-
hängig leben zu können, so bat er um seine Entlassung.
Er erhielt sie nach einiger Weigerung, die mehr eine
Demonstration von Höflichkeit als Ernst war, und ging
nach Moskau. Damals war er General en Chef. Als sein
Bruder, der Fürst, starb, gab die Kaiserin ihr Porträt,
das derselbe getragen hatte, dem Grafen Alexej ; ein
Ehrenzeichen, das damals niemand tragen durfte, als
Potemkin.
Im Sommer des Jahres 1791 kam Orlow nach Peters-
burg und wohnte dem Thronbesteigungsfeste in Peter-
hof bei. — Es war für den Psychologen eine ganz eigene
und unterhaltende, für den Menschenfreund aber keine
genugtuende Bemerkung, diesen Mann an dem Ge-
dächtnistage dieser merkwürdigen Begebenheit, mit so
vielen Teilnehmern derselben zusammengestellt, eben
an diesem Orte zu sehen. Man sah ihm an, daß ihn die
Vergangenheit übelgelaunt, die Gegenwart aber unzu-
frieden machte. Er mochte vielleicht sich selbst sagen,
daß, wenn er im Jahre 1762 pflichtmäßiger gehandelt
hätte, die Lage Rußlands im Jahre 1791 vorteilhafter
sein könnte; und daß, wenn er in jener Epoche seinem
Herrn treu gewesen wäre, er in der jetzigen sich zwar
nicht in so glänzenden Vermögensumständen befinden,
aber gewiß ein zufriedenes und vorwurfsfreies Herz
haben würde.
Orlow sprach damals, wahrscheinhch mehr aus Ver-
druß als aus Gutmütigkeit, sehr frei mit der Kaiserin
und erinnerte sie an ihr Versprechen, den Großfürsten
Paul bei erwachsenen Jahren zum Mitregenten anzu-
nehmen. Man weiß nicht, was sie ihm antwortete, nur
der Erfolg zeigte, daß sie keine Rücksicht auf diese Er-
innerung nahm.
Alexis ging wieder zurück nach Moskau und kam,
28o 67. Alexej Orlow III.
SO lange Katharina lebte, nie wieder nach Petersburg.
Aber bald nachher mußte er, und zwar in ganz andern
Verhältnissen als sonst, dahin gehen.
Paul I. bestieg den Thron und ließ (ein Beweis, daß
er die Geschichte Peters III., wenigstens zum Teil,
kannte) sogleich den Grafen Alexis Orlow nach Peters-
burg kommen. Mit welchem krampfhaften Gefühl
dieser mag gereist, in der Residenz angelangt und in
die Audienz gegangen .sein, kann man leicht denken.
Diese war bei verschlossenen Türen, man hörte aber
sehr laut sprechen. Es gibt Personen, welche behaup-
ten, von andern gehört zu haben, der Graf sei hinkend
aus dem Zimmer des Kaisers gekommen. Dies ist aber
nicht erwiesen und würde auch auf keine Mißhand-
lung deuten können. Paul I. konnte sich nie so sehr
vergessen und Orlow eine solche Behandlung nie er-
tragen. Vielleicht hatte Alexis die Gicht und ging eben
auch hinkend ins Zimmer, denn so viel ist gewiß, daß
man ihn bei der Beerdigung Peters III. hinkend sah.
Dem sei wie ihm wolle, so war ihm die schrecklichste
Rache noch aufgespart. Er mußte bei der feierlichen
Abholung der Leiche Peters III. aus dem Alexander-
Newsky-Kloster, von dort bis in das Kaiserliche Winter-
palais und von da bis in die Festung, gerade vor dem
Sarge hergehen und die Kaiserkrone tragen, die er ehe-
mals ihrem rechtmäßigem Eigentümer hatte rauben
helfen, dessen Reste hinter ihm getragen wurden. —
Man braucht nicht sehr gefühlvoll zu sein, um zu schau-
dern, wenn man sich recht lebhaft die Verfassung
denkt, in der sich Orlow damals befunden haben muß.
Er, einer der ersten Männer an diesem Kaiserhofe,
mußte in einem schon hohen Alter und in kränkhchen
Umständen einen beschwerhchen Weg von mehr als
drei Viertelstunden zu Fuß machen und sich auf dem-
6-]. Alexe) Orlow III. 281
selben der Neugier, dem Hohngelächter und dem Ge-
nüsse der studiertesten Rache preisgeben. — Es konnte
wohl keine Beruhigung für ihn sein, einen Mitschul-
digen zum Begleiter zu haben. Dieser war der Knes
oder Fürst Borjatinsky,^) der ehemals bei dem Tode
Peters III. gewesen war und jetzt ebenfalls ein Reichs-
kleinod trug.
Nach der feierhchen Beerdigung des letztverstorbe-
nen Kaiserpaares mußte Orlow, was er sehr gern tat,
gleich wieder abreisen, durfte aber nicht in Moskau
bleiben, als der neue Monarch sich zur Krönung dahin
begab.
Mit Mühe erhielt er die Erlaubnis zu reisen und ging
nach Dresden. Er wollte sich in Sachsen ankaufen,
aber die weise sächsische Regierung, die sich mit dem
damaligen russischen Kaiser, der für die leichtesten
Beleidigungen so sehr empfänglich war, nicht über-
werfen wollte, suchte diesen Ankauf zu hintertreiben.
Nach der Ermordung Pauls I. ging Alexis Orlow nach
Rußland zurück und starb in Moskau im Januar 1808.
In öffentlichen Blättern stand: ein achtzigjähriger
Sergeant, der dreißig Jahre lang in des Grafen Orlow
Hause gewesen sei und diesem einmal das Leben ge-
rettet habe, sei mit unter den Leichenbegleitern er-
schienen, habe den Sarg einsenken helfen und sei gleich
in dem nämlichen Augenblick gestorben.
Man kennt die hohen Ehrenstellen, die er bekleidet
hat, und man wird bemerkt haben, daß er im Charakter
^) Knes Borjatinsky war im letzten Lebensjahre Katharinas 11.
Oberhofmarschall und Ritter des Alexander-Nevvsky-Ordens.
Nachdem er, gleichwie Alexis Orlow, die Leiche Peters IIL hatte
begleiten müssen, verbannte ihn Paul L auf seine Güter. Ob und
wo er jetzt lebt, .vissen wir nicht. Durch Katharinas IL Gnade war
er sehr reich. Seine Gemahlin war eine Prinzessin Chowansky und
seine Tochter die schöne und talentvolle Fürstin Dolgorucky, die
wir in Deutschland gesehen haben. H.
282
6"]. Alexej Orlow III.
seinem Bruder Gregor sehr ähnlich war, doch soll er
mehr Verstand als dieser gehabt haben.
Ebenfalls öffentUche Nachrichten sagten, Graf Alexis
Orlow habe fünf Milhonen Rubel in Geld, und zwei und
dreißigtausend Bauern hinterlassen. — So reich er
auch war, so glauben wir doch, daß diese Angabe über-
trieben war. Er würde auf diese Art über viermal hun-
derttausend Rubel Einkünfte gehabt haben, und so
viel hatte er gewiß nicht.
Graf Alexej Gregor jewitsch Orlow war verheiratet,
wir wissen aber nicht, wer seine Gemahhn gewesen ist.
Von ihr hatte er eine Tochter, die schon in ihrem
zehnten Jahre Hofdame der Kaiserin Katharina II.
war. Sie befand sich noch unverheiratet mit ihrem
Vater in Dresden.^)
Orlow hatte auch einen natürlichen Sohn, der aber
legitimiert worden war. Den Namen der Mutter wissen
wir nicht ; dem Sohne aber hatte der Vater seinen Bei-
namen Tschesmenskoy gegeben. Er war ein außer-
ordentlich schöner Mann. Am Ende der achtziger Jahre
hieß es allgemein, daß er hätte Liebling werden sollen,
daß aber wegen der Arroganz des Vaters der Fürst Po-
temkin Bedenken getragen habe, ihm diese wichtige
und einträgliche Stelle zu geben. Damals war Tsches-
menskoy Offizier von der Garde zu Pferde. Nach dem
Tode Katharinas II. nahm er seinen Abschied als Ober-
ster. Er soll verheiratet sein.
^) Elisabeth Alexejew wurde 1790 die Gattin von Friedrich
Maximilian von Klinger, dem Stürmer und Dränger. Von den drei
Kindern aus dieser Ehe starben zwei schon früh. Der Sohn Alexan-
der erlag 1812 seinen in der Schlacht von Borodino erhaltenen
Wunden. (Erich Schmidt, Allgem. deutsche Biographie, 16. Bd,
S. 192.)
6i. Fgodor Orlow IV. 383
68. Feodor Orlow IV.
Ein Mißbrauch, der die Emporkömmlinge unter der
Regierung Katharinas II. für das Reich besonders
schädhch machte, war, daß ein jeder von ihnen alle-
mal einen so großen Anhang mit sich brachte. Es war
nicht genug, daß ein Liebhng, ohne das geringste Ver-
dienst für den Staat zu besitzen, von der Kaiserin selbst,
ohne daß er sie aufzufordern brauchte, unermeßhche
Reichtümer erhielt; sie mußte auch oft den entfern-
testen Verwandten, nicht etwa Geschäfte und Wohl-
habenheit, nein, hohe Würden, Ordensbänder, starke
Besoldungen, Güter und Geldgeschenke geben.
Feodor war der vierte der Orlows.^) Er wurde wie
sie im Kadettenkorps erzogen, das seine Brüder, bald
nachdem er dahin gekommen war, verließen. Alsdann
hatte er das nämliche Schicksal und kam in die Garde.
Hier diente er mit ihnen zugleich. Ohne etwas Vorzüg-
liches getan zu haben, genoß er doch die glücklichen
Folgen der Bemühungen der drei altern Orlows für den
Dienst der Kaiserin.
Durch sie stieg er bald im Kriegsdienste empor,
zeichnete sich aber auch im ersten Türkenkriege bei
verschiedenen Gelegenheiten rühmlichst aus. 2) Er
wurde dafür durch höhere Ehrenstellen belohnt. Auf
der Expedition nach dem Archipelagus begleitete er
seinen Bruder Alexis und bekam wichtige Aufträge
unter dessen Oberbefehlen. So gewann er unter andern
eine sehr bedeutende Seeschlacht bei Morea. Dafür er-
hielt er Belohnungen, die seinem Ehrgefühl schmei-
cheln mußten und ihm große Vorteile brachten. Im
Garten zu Zarskoje Selo sieht man noch eine graumar-
*) Geboren 1741.
^) So durch die Einnahme von Navarin.
284
68. Feodor Orlow /F.
morne Säule mit weißmarmornen Schiffsschnäbeln, die
das Andenken dieser großen Tat auf die Nachwelt
bringen soll.
Im September 1772 kam er von der Flotte nach Pe-
tersburg. Er hörte von der Veränderung der Verhält-
nisse der Kaiserin mit seinem Bruder Gregor und ging
nicht nach Hofe. Endlich wurde er zu der Kaiserin ge-
fordert, ging dahin, hielt sich aber doch, so viel er
konnte, entfernt.
Nach dem Abgange des Fürsten von seiner Stelle
und nach dessen Zurückkunft an den Hof, bemerkte
man an der Kaiserin im Januar 1773 eine große Be-
trübnis. Man konnte sie nicht sogleich erklären, erfuhr
aber endlich, sie rühre daher, weil Feodor Orlow ihr
mit großer Freimütigkeit die Wahrheit gesagt habe.
Man behauptet nämlich, er habe ihr erklärt, daß, da sie
mit seinem Bruder gebrochen habe, so sei sie ganz ohne
Anhänger und befinde sich in den Händen ihrer eigenen
Feinde.
Er blieb nachher nicht lange mehr in Petersburg.
Potemkin, der alle Orlows verscheuchte, vertrieb auch
diesen. Feodor ging nach Moskau und bheb beständig
daselbst, bis er am Ende der neunziger Jahre starb.^)
Als er abging, war er General en Chef, Wirklicher
Kammerherr, Ritter des Alexander-Ordens und des
Großkreuzes des militärischen Georg-Ordens.
Feodor war unter allen Orlows der klügste, der
feinste und der unterrichtetste, aber auch vielleicht der
boshafteste. Seine Tapferkeit verachtete jeden Wider-
stand.
') Im Jahre 1796.
6c). Wladimir OyIow V. 285
69. Wladimir Orlow V.
Wladimir, der jüngste der fünf Brüder Orlow, wurde
drei Jahre lang in Leipzig erzogen. Da seine Brüder da-
mals schon in Gunst waren, so kann man denken, daß
es mit allem möghchen Aufwände geschah, ohne darauf
Rücksicht zu nehmen, ob der junge Mensch etwas lerne
oder nicht.
Als er im Jahre 1765 zurückkam, ernannte ihn die
Monarchin zum Direktor der Akademie der Wissen-
schaften, nach dem Beispiele der Kaiserin Ehsabeth,
die dem Bruder ihres Lieblings eine ähnliche Stelle gab ;
gleichsam als ob es genug sei, einige Jahre im Auslande
gelebt zu haben, um so ein wichtiges Amt bekleiden zu
können. — Damals wurde auch Graf Wladimir zum
Wirkhchen Kammerherrn ernannt. Übrigens hat er
wohl nie eine höhere Würde verlangt oder bekommen.
Unerachtet er nicht so viel Gelegenheit gehabt hat,
als seine Brüder, Reichtümer zu erwerben, so beliefen
sich doch seine jährlichen Einkünfte auf hundertund-
dreißigtausend Rubel. — Nimmt man diese Summe,
die sehr richtig ist, für wahr an, so scheint die Berech-
nung, nach welcher die fünf Brüder Orlow dem russi-
schen Reiche siebzehn Millionen Rubel gekostet haben
sollen, zu geringe gemacht zu sein.
Am Ende der neunziger Jahre lebte er in Moskau,
wohin er gleich nach der Entfernung seines Bruders
Gregor vom Hofe sich begeben hatte. Wahrscheinlich
lebt er noch daselbst.^)
Seinem Charakter nach soll Wladimir große Festig-
keit und viel Gutmütigkeit gehabt haben. Seine Ta-
lente zu entwickeln hat er nie Gelegenheit gehabt.
Wladimir Orlow war vermählt. Seine Gemahlin, eine
') Er starb im Jahre 1832.
286
70. Orlow VI.
geborne Livländerin von altadeliger Familie, deren
Namen wir nicht wissen, gab ihm mehrere Kinder. Eine
von seinen Töchtern ist die Gemahlin eines ausgezeich-
net gelehrten und verdienstvollen Mannes. Dieser ist
der Graf Panin, ehemaHger Gesandter in Berlin und
nachheriger Vizekanzler.
70. Orlow VI.
Orlow, ein Verwandter dieser fünf Brüder, ward
durch das Glück seiner Vettern aus dem Staube her-
vorgezogen, nachdem er ebenfalls bei der Revolution
sehr untergeordnete Aufträge und bei der Ermordung
Peters III. (1762) eine Art von Rolle ohne Bedeutung
übernommen hatte.
In den Grafenstand wurde er nicht erhoben, aber er
erhielt nach und nach Reichtümer und ansehnliche
Stellen am Hofe.
Er nahm im Jahre 1795 seinen Abschied, lebte aber
noch am Ende des vorigen Jalu-hunderts.
Als er abging war er Oberhofmarschall, Wirklicher
Kammerherr und Ritter des Alexander-Newsky- und
des Annen-Ordens.
Dieser Orlow hatte nicht die geringste Erziehung und
war so unwissend, daß er nichts als Russisch sprach.
Sonderbar ist es, daß nach ziemlich öffentlichen
Nachrichten unter den Mördern Pauls I. sich ebenfalls
ein Orlow befand. Es hieß damals, er wäre General,
Wir wissen übrigens nicht, wie nahe er mit allen diesen
Orlows verwandt war.
']!. Passek. 287
71. Passek.
Passek, ein Russe, vom niedern Adel, nahm Kriegs-
dienste und brachte es mehr durch Empfehlungen als
durch Verdienste so weit, daß er noch unter der Re-
gierung der Kaiserin EHsabeth Offizier in der Garde
wurde.
Die Orlows kannten seine boshafte Verwegenheit
und teilten ihm daher das Geheimnis der Verschwörung
gegen den Kaiser mit. Sobald er unterrichtet war, ver-
wendete er sich für dieses Projekt mit einem Enthu-
siasmus, der einer rühmlicheren Unternehmung würdig
gewesen wäre. Er wollte das Ansehen haben, einer der
Haupträdelsführer bei der Revolution zu sein; da er
aber ein sehr eingeschränkter Kopf war, so konnte er
zu dem Plane dieser Begebenheit wenig beitragen. Die
übrigen Teilnehmer, die Passeks Tollkühnheit zu
schätzen wußten, rechneten desto mehr auf ihn bei der
Ausführung. Die Kaiserin lernte ihn bei Orlow kennen
und konnte nicht anders, als seinen Eifer für ihre An-
gelegenheit loben. Mit einer in Raserei übergehenden
Begeisterung warf er sich dieser Prinzessin zu Füßen
und bat sie um die einzige Erlaubnis, den Kaiser an der
Spitze der Garden und im Angesicht des Volks ermor-
den zu dürfen. Sie schlug es ilim ab, wie man leicht
denken kann; allein sein wütendes Bestreben, der
Kaiserin nützlich zu sein, beruhigte sich dabei nicht.
Auf seine eigene Gefahr lauerte er dem Monarchen auf
einsamen Spaziergängen auf, aber die Todesstunde
dieses Fürsten war noch nicht gekommen ; Passek ver-
fehlte ihn immer. Indessen wurde durch ihn der Aus-
bruch der Revolution beschleunigt. Er sprach im
Rausche von dieser bald erfolgenden Begebenheit, und
von dem Eifer, den er dabei für den Dienst der Kaiserin
288 !-[■ Passeh.
zeigen, wollte. Ein gemeiner Soldat von der Garde, der
dabei war, aber nicht zu den Verschwornen gehörte,
nutzte diese Gelegenheit, sich an Passek zu rächen,
der ihn einige Tage vorher gemißhandelt hatte. Er
ging in die Regimentskanzlei und gab seinen Offizier
als Teilnehmer einer Verschwörung gegen den Kaiser
an. Am 8. Juli 1762 neuen Stils, abends um 9 Uhr,
wurde Passek arretiert, und der Monarch, der in Ora-
nienbaum war, durch einen Kurier von dem Vorgange
benachrichtigt. Peter III. setzte die Untersuchung bis
nach den Festen aus, die in Peterhof sollten gegeben
werden. Man überhob ihn dieser Mühe. Die Verschwor-
nen erfuhren Passeks Arrest und die Veranlassung
dazu. — Das Glück unterstützte die Wachsamkeit und
die Verwegenheit. — Man eilte, die Revolution am fol-
genden Morgen anzufangen. Als die Kaiserin bei dem
Gefängnisse vorbeifuhr, in welchem Passek saß, befahl
sie, ihn zu befreien. Er wollte der Nachricht nicht
trauen und konnte nur mit Mühe dazu gebracht wer-
den, der in Freude taumelnden, hintergangenen Menge
zu folgen. — Sonderbar war es, daß dieser Mann, der
eine so unbezähmbare Begierde gezeigt hatte, den
Kaiser zu ermorden, als er noch frei und Herrscher war,
sich jetzt zu diesem Geschäft nicht brauchen ließ, da er
weder Widerstand noch üble Folgen zu fürchten hatte.
— Diesen Umstand, der, wie uns dünkt, ein Beweis ist,
daß Passek mehr ein Mörder aus Tollkühnheit als aus
Blutgier war, würde ein Psycholog richtiger erklären
können.
Passek bheb seinem Charakter treu und ein un-
veränderter Anhänger der Orlows. — Wir wissen,
daß einmal die Rede davon war, die Kaiserin mit
Gregor zu vermählen und daß Panin sich diesem
Projekt widersetzte. Passek, der es erfuhr, machte
yj. Passek. 289
sich sogleich gegen den Günsthng anheischig, Panin zu
ermorden. Orlow, der nicht noch mehr Blutschuld
aufhäufen wollte, willigte nicht ein und Panin blieb
lebend.
Daß Passeks Belohnungen nach beendigter Revolu-
tion beträchtlich waren, kann man leicht denken. Er
erhielt, wie alle, die nähern Anteil daran genommen
liatten, Ehrenstellen, Geschenke und Pension. Über-
dies blieb er, so lange die Orlows in Gunst waren, immer
in großem Ansehen am Hofe. Aber so wie der Einfluß
dieser Brüder zu sinken begann, so wurde Passeks
Wirkungskreis immer unbedeutender. Potemkin ver-
achtete ihn, und man sprach einmal öffentlich da-
von, daß beim Spiel in Mohilew der dasige General-
gouverneur Passek geprügelt habe. Zwar ist es nicht
erwiesen, ob dies geschehen sei, aber es ist doch immer
schlimm genug, wenn ein Mann von so hohem Range
in so schlechtem Rufe steht, daß die niedrigsten Ver-
leumdungen auf seine Rechnung erfunden werden dür-
fen. — Das duldende Benehmen Passeks bei dieser Ge-
legenheit wäre wieder eine ungewöhnliche Falte des
menschlichen Herzens, die nur der erfahrenste Kenner
desselben entwickeln kann. Wie konnte Passek, der
tollkühnste Mensch, den man sich denken kann, die
schimpflichste Behandlung ertragen, ohne auf der Stelle
die blutigste Rache zu nehmen?
Nach dem Tode Katharinas verlor er sein General-
gouvernement, eines der schönsten im Reiche.
Passek lebte noch im Jahre 1799, war General en
Chef und Ritter der vornehmsten russischen Orden.
Nach allem, was wir wissen, brauchen wir von seinem
Charakter nichts zu sagen. Wahre militärische Fähig-
keiten hatte er gewiß nicht ; wenigstens hat er ebenso-
wenig einen Beweis davon gegeben, als von persön-
Russische Günstlinge. ig
290 12. Schkuvin.
lieber Tapferkeit. — Sein Gesicht war der Stempel der
Tücke und der Eingeschränktheit.
Passek hatte eine Tochter, die Hoffräulein der Kai-
serin war.
72. Schkurin.
Schkurin war zur Zeit der Kaiserin Elisabeth Stuben-
heizer bei Hofe. Eine vorteilhafte Gestalt verschaffte
ihm die Gnade der Großfürstin Katharina. Schkurin
ward ihr Bedienter und als Peter HI. den Thron be-
stiegen hatte, machte ihn diese Prinzessin zu ihrem
Kammerbedienten.
Er war es, der (1762) in dem Augenblick der Geburt
des Herrn von Bobrinskoy sein hölzernes Haus in
einem entfernten Teile der Stadt anzündete, um den
Kaiser zu entfernen, der, wie man wußte, bei jeder
Feuersbrunst gegenwärtig war. Schkurin nahm das
Kind noch in der nämlichen Nacht zu sich, in eine
schon vorher zu diesem Behuf gemietete Wohnung und
behielt es immer bei sich.
Schkurin zeigte beständig die größte Anhänglichkeit
an seine Gebieterin und verheß sie nie. — In der Nacht
vor dem Tage der Revolution im Jahre 1762 fuhr er
als Bedienter mit Katharina von Peterhof nach Pe-
tersburg.
Wie alle, die nur etwas bei dieser Begebenheit getan
hatten, erhielt Schkurin nach der glücklichen Beendi-
gung der Revolution Ehrenstellen und Reichtümer.
Dem Günstlinge Orlow war die zu große Freigebigkeit
der Kaiserin gegen Schkurin — verdächtig ; er wünschte
ihn zu entfernen, konnte es aber nicht dahin bringen.
Schkurin wurde endlich Geheimer Rat, Wirklicher
7J. Gregorej Teplow. 29I
Kammerherr und Direktor der kaiserlichen Garde-
robe.
Er starb im Anfange der achtziger Jahre.
Zwei Töchter, die er hinterheß, wurden Hoffräuleins.
— Eine von ihnen war es noch im Jahre 1799. — Die
andre mußte im Jahre 1789 bei der Veränderung des
Grafen Mamonow, zu dessen Ausschweifungen sie sollte
behilflich gewesen sein, den Hof meiden.
73. Gregore] Teplow.
Gregorej Nicolajitzsch Teplow war der Sohn eines
Einheizers im Alexander- Newsky-Kloster. Da er keinen
Familiennamen hatte, so gab ihm der Archireji, oder
Erzbischof, um ihn immer an seinen Ursprung zu er-
innern, den Namen Teplow; ein Wort, das im Russi-
schen warm bedeutet.
Im Kloster erlernte der junge Teplow einige Wissen-
schaften, und studierte dann auf Kosten des Archireji
im Auslande, wo er sich unter andern mit glücklichem
Erfolg auf die Botanik legte, aber auch in andern Wis-
senschaften große Fortschritte machte.
Nach seiner Zurückkunft nach Rußland wurde er als
ein geschickter Mann, besonders vom Minister Wa-
linsky,^) gebraucht; ein Umstand, der sehr für Tep-
1) Walinsky war einer der würdigsten Staatsmänner Rußlands,
hatte aber das Unglück, Biron zum Feinde zu haben. Dieser nahm
von der vorerwähnten Tabelle Veranlassung, ihn zu beschuldigen,
daß er Absichten auf den russischen Thron habe. Das Vorgeben
war abgeschmackt. Nur ein Mann, wie Biron, konnte es wagen,
der öffentlichen Meinung so grausam zu spotten, und ein Vorgeben,
das nur das Hirngespinst eines Kopfes war, ebenso hart, als das
größte Majestätsverbrechen zu strafen. — Vvalinsky verlor seinen
Kopf auf dem Blutgerüste. H.
19*
292
7J. Gregovej Teploiu.
lows Talente spricht, weil dieser berühmte Staatsmann
nie die Unwissenheit in Schutz nahm. Zur Erholung
von größern Geschäften arbeitete Teplow mit diesem
Minister nach archivarischen Nachrichten an einer
Geschlechtstabelle, wodurch die bekannte Meinimg,
daß das Haus Walinsky mit der Familie Rurik, dem
alten Herrschergeschlechte in Rußland, verwandt sei,
bestätigt wurde. Diese Tabelle machte ahnsky Un-
glück, in welches auch Teplow auf kurze Zeit ver-
wickelt wurde.
Unter der Regierung der Kaiserin Ehsabeth machte
man ihn zum Hofmeister des Grafen Kyrilla Rasu-
mowsky, bei dem er von dieser Zeit an alles galt.
Nach dem Tode dieser Fürstin, die kurz vorher Tep-
low zimi Kammerherrn ernannte, schloß sich dieser an
die Anhänger der Kaiserin Katharina an und zeigte
sich in seinem Wirkungskreise immer als ein erklärter
Feind Peters HI.
Der Kaiser, der Teplows Ränke erfuhr, ließ ihn kom-
men, gab ihm im Scherz einen Schlag mit dem Stocke
und sagte: ,,Gehe, ich verzeihe dir, aber bessre dich."
Er tat es aber nicht. Auf seinen Rat schlug sich Ky-
rilla Rasumowsky auf die Seite der Kaiserin und wen-
dete sein Ansehen als Kommandeur eines Regiments
der Garde wider Peter HI. an. Bei dem Ausbruche der
Revolution, durch welche Katharina H. den Thron
ihres Gemahls bestieg, verfertigte Teplow die bei dieser
Gelegenheit ausgestreuten, verleumderischen Mani-
feste. — Übrigens war er Zeuge der Ermordung Pe-
ters III.
Der Mord des ehemahgen Kaisers Joan Antono-
witzsch (1764), der seit Peters III. Tode in einem genau
verwahrten und grausenerregenden Kerker in Schlüs-
selburg saß, war Teplows Werk.
7J. Gvegorej Teplow. 293
Dieser unglückliche Prinz, dessen Existenz selbst die
schwachsinnige und furchtsame Elisabeth nicht genug
gefürchtet hatte, um ihn töten zu lassen, schien dem
Hofe Katharinas gefährlich zu sein. Nur war die
Schwierigkeit, sich seiner auf eine geschickte Art zu
entledigen. Man wendete sich an Teplow, dessen Bos-
heit man kannte und er erfand wirklich den scheuß-
lichen Entwurf, dessen Ausführung gelang.^) Vermöge
desselben gewann man einen Offizier von einem Feld-
^) Die ganze Erzählung Helbigs ist vom Anfang bis zum Schluß
ein Phantasiegebilde, das Dichtung und Wahrheit höchst un-
geschickt durcheinandermischt.
Iwan saß in Schlüsselburg gefangen, während der Regierung
Katharinas nicht strenger behandelt als zur Zeit Elisabeths und
Peters. Er wurde scharf bewacht. Eine Instruktion aus der Zeit
Peters III. an den wachthabenden Offizier in Schlüsselburg befahl:
Falls wider Erwarten irgend jemand den Versuch machen sollte,
den Gefangenen zu befreien, so soll man sich mit allen Mitteln
widersetzen, und den Gefangenen nicht lebend aus den Händen
geben.
Der Sekondeleutnant Wassili j Mirowitsch, ein Kleinrusse, der
aber mit Mazeppa keinerlei Verbindung hatte, faßte den Plan, Iwan
zu befreien, um mit dessen Hilfe seine ehrgeizigen Pläne zu ver-
wirklichen. Seine Mitverschworenen waren Unteroffiziere, Solda-
ten imd ein Hofbediensteter namens Kassatkin, der vielleicht
Grund hatte, Katharina zu hassen, auf deren Thron es abgesehen
war. Mirowitsch diente im Smolenskischen Regiment und hatte
von Zeit zu Zeit, wenn die Reihe an ihn kam, mit seiner Abteilung
die Wache der Schlüsselburger Festung zu verstärken. — So war es
auch Anfang Juli. Mirovvitsch hatte einen der Offiziere für sich an-
werben wollen und dadurch seinen Plan einem Anhänger Katha-
rinas verraten. Nun galt es, rasch zu handeln. Schon in der nächsten
Nacht überfiel er mit seinen Soldaten die Wache und bemächtigte
sich einer Kanone. Als die Iwan bewachenden Offiziere, Kapitän
Wlaesjew und Leutnant Tschekin, sahen, daß jeder Widerstand
unmöglich sei, befolgten sie den Befehl und töteten Iwan. , .Während
im Innern der Kaserne das Entsetzliche geschah, stürzte Mirowitsch
mit seinen Soldaten auf das Gefängnis los, eilte die Treppe hinauf,
traf auf dem Flur den Leutnant Tschekin und fragte ihn: ,Wo ist
der Kaiser?' Tschekin antwortete: ,Wir haben eine Kaiserin und
nicht einen Kaiser!' Es war dunkel; man holte Licht. Mirowitsch
trat in das Gemach des Prinzen. Dieser lag auf dem Boden — eine
Leiche." (Brückner, S. 153 ff.)
294 73- Gregor ej Teplow.
regimente, dem man große Belohnungen versprach,
wenn er eine Revolution zugunsten des Prinzen Joan
erregen wollte. Dieser Offizier liieß Mirowitzsch und
war der Enkel eines Mannes, der ein eifriger Anhänger
des bekannten Hetmans der Kosaken, Mazeppa,i)
und Karls XII. gegen Peter I. gewesen war. Damals
hatte seine Familie ihre Güter verloren. Jetzt ver-
sprach man dem jungen Wassilej Mirowitzsch größere
Vorteile, wenn er die Empörung wagen wollte. Miro-
witzsch war ein kurzsichtiger Mensch, der gern etwas
gewinnen wollte. Alles war verabredet, und zu dem
Ausgange, den die Sache nehmen sollte, vorbereitet.
Den Offizieren, die bei dem Prinzen im Kerker selbst
die Wache hatten, war von jeher befohlen worden, bei
dem geringsten Tumult von außen denselben sogleich
zu ermorden. Mirowitzsch hatte die Wache in der
Festung. Er erregte eine Revolution, der Lärm näherte
sich dem Kerker, die Offiziere kamen dem Befehle
nach und Joan — endigte sein trauriges Leben. — Nun
wurde Mirowitzsch, der sich gutwillig greifen ließ, ein-
gezogen und kam in gerichtliche Untersuchung. Er
lachte über die Verfahrungsart, weil er überzeugt war,
daß er, weit entfernt, bestraft zu werden, vielmehr
große Belohnungen erwarten könnte. Um nicht durch
ihn verraten zu werden, hatten seine Henker die teuf-
lische Grausamkeit, ihm seinen Wahn nicht zu be-
nehmen. Mirowitzsch lachte immer fort, als er zum
Richtplatz geführt wurde und dort sein Urteil erfuhr;
^) Mazeppa, von Geburt ein Pole, kam durch Zufall in die
Ukraine und erwarb sich durch Verstand, Kenntnisse und Tapfer-
keit einen so großen Anhang unter den Kosaken, daß ihn Peter I.
zum Hetman dieses unter russischem Schutze stehenden Landes
ernennen mußte. Mazeppa war nicht dankbar dafür. Er hielt es
in den damaligen Unruhen mit Karl XII. und den polnischen
Rebellen gegen Peter I. und Friedrich August I. H.
7J. Gregore] Teplow. 295
und lachte noch, als er statt des gehofften Pardons
den Todesstreich empfing. Erst nach seinem Tode
wurde er von seinem Irrtum und von der Falschheit
seiner Henker überführt.
Teplow bekam einige Jalire nachher Geschäfte einer
ganz andern Gattung. Die Kaiserin wollte, wie es hieß,
den Thronfolger in Regierungsgeschäften unterrichten
lassen. Aber, welchen Unterricht gab man diesem Prin-
zen ! Teplow bekam Auftrag, ilim denselben zu erteilen.
Mit studierter Bosheit übernahm er diese Arbeit. Er
hätte dem Großfürsten gründliche Kenntnisse von
Staatswirtschaft und Politik beibringen sollen und er
brachte ihm große Stöße Prozeßakten, die im Senat
anhängig w^aren. Dies machte dem Prinzen Langeweile.
Er wollte nichts mehr davon hören; und so erreichte
man seinen Zweck. Paul lernte durch diesen Unter-
richt nichts und bekam einen Abscheu vor dieser Art
von Geschäften.^)
Für alle diese wesentlichen Dienste wurde Teplow
reichlich belohnt, denn er starb als Geheimer Rat,
Senator und Ritter verschiedener Orden.
Von den Fälligkeiten und dem Charakter dieses
Mannes darf nichts hinzugefügt werden. Es ist genug
gesagt worden, um die Brauchbarkeit des erstem und
die Schändlichkeit des zweiten beurteilen zu können.
Sein Sohn, ein allgemein geschätzter Mann, ist wirk-
licher Staatsrat und Ritter des Annen-Ordens. Erlebt,
entfernt von Geschäften, in Moskau von den Ein-
künften des von seinem Vater ererbten großen Ver-
mögens. Der berühmte Mathematiker und Philolog,
Johann Jakob Ebert, der vor einigen Jahren als Pro-
fessor in Wittenberg gestorben ist, ein Mann von vor-
^) Brückner nennt diese Mitteilung Helbigs „eine abgeschmackte
Anekdote" (a. a, O. S. 613).
296 14- Engelhardt.
trefflichen Grundsätzen, war sein Erzieher in Rußland,
sein Hofmeister auf deutschen Universitäten und sein
Begleiter auf Reisen.
74. Engelhardt.
Der vollendetste Bösewicht kann selten den innern,
unbestechbaren Richter seiner Handlungen auf immer
zum Schweigen bringen. Die Befriedigung des Geizes,
des Stolzes, der Wollust, oder andrer sinnlicher Be-
gierden, die ihn verleiteten, Verbrecher zu werden,
verliert endlich für ihn ihre Reize. Seine Lieblings-
empfindungen werden abgestumpft. Er fühlt nur die
Vorwürfe seines Gewissens.
Engelhardt, der Sohn eines deutschen Arztes, war in
Petersburg geboren. Er folgte seiner Neigung und ward
Soldat. Der Vater hatte ihn zeitig in einem der drei
Garderegimenter zu Fuß einschreiben lassen und so
wurde der junge Mensch im Jahre 1761 Sergeant der
Garde. Dieser Umstand brachte ihn in die Bekannt-
schaft der Brüder Orlow. Aus diesem ersten Grade der
Verbindung kam Engelhardt bald durch seinen Hang
zu einem unregelmäßigen und sittenlosen Leben in den
zweiten Grad derselben und wurde der tägliche Gesell-
schafter der Orlows. Diese arbeiteten mit andern im
Anfange des Jahres 1762 an dem Entwürfe der Em-
pörung, der bald nachher ausgeführt wiu-de. So sehr es
ihnen aber auch darum zu tun war, ihre Bande durch
unternehmende Mitglieder zu verstärken, so scheinen
sie doch Bedenken getragen zu haben, Engelhardt zum
Vertrauten ihres Vorhabens zu machen. Wahrschein-
lich zweifelten sie an der Festigkeit seines Charakters
und glaubten, daß, um sein eigenes Glück zu machen,
'J4- Engelhardt. 297
er ohne Bedenken sie verraten und aufopfern würde.
Überdies mochten sie auch wohl einsehen, daß sein
Verstand zu mittelmäßig war, um bei der Anlage des
Plans einen wesentlichen Nutzen leisten zu können.
Die Fäden dieses schändlichen Gewebes mußten in
einer Feinheit gesponnen werden, deren Engelhardt in
keinem Betracht fähig war. Indessen konnten die Or-
lows seine brauchbare Verwegenheit nicht ableugnen.
Sobald alles bereit war und der Aufstand seinen An-
fang nehmen sollte, dann wurde Engelhardt mit leich-
ter Mühe in das Interesse der Kaiserin gezogen und
leistete wesentliche Dienste. Er wurde durch sein
kühnes Benehmen (1762) der neuen Monarchin be-
merkbar. Sie versicherte ihn selbst ihrer besonderen
Zufriedenheit.
Seine Freunde, die Brüder Orlow, nunmehr von
seiner Brauchbarkeit, die sich an keine Grundsätze
band, überzeugt, bestimmten ihm ein Geschäft, durch
dessen Ausführung er seine ganze Verworfenheit zeigen
und alsdann auf wichtige Belohnungen Anspruch
machen konnte. Im Grunde hatte Engelhardt bis jetzt
zu dem glücklichen Ausgange der Revolution nicht
mehr beigetragen, als jeder Anhänger der Kaiserin und
jeder Freund der Orlows; aber nun sollte er diesem
schändlichen "Werke durch das strafbare Verbrechen
die Krone aufsetzen. Entschlossenheit und Gefühl-
losigkeit waren die Eigenschaften, die man verlangte,
um das unglückliche Dasein Peters III. gewaltsam zu
endigen.
Alexis Orlow, sein Vetter Orlow, ein Knes Borja-
tinsky, der Schauspieler Wolkow, Teplow, Engelhardt
und einige andere von geringerem Gehalt, gingen nach
Ropscha, wo der bisherige Kaiser gefangen saß, in der
Absicht, ihn eigenhändig zu ermorden, im Fall das
298 74- Engelhardt.
Gift, das man ihm reichen würde, ihn nicht geschwind
genug töten sollte. Da das Gift nicht wirken konnte,
weil Peter warme Milch trank, so entschlossen sich die
Mörder, den Kaiser zu erwürgen. Sie glaubten nämlich,
daß dies die einzige Todesart sei, die unter allen die
wenigsten Spuren von Gewalttätigkeit zeige. Man
knüpfte ein Tuch um den Hals des Prinzen, erstickte
ihn, da er zu schreien anfing, mit Betten und zog nun
das Tuch fest zusammen. Engelhardt war derjenige,
der den Druck gab, durch welchen der unglückliche
Monarch sein Leben aushauchte. Bis jetzt ist die Teil-
nahme Engelhardts an der Ermordung Peters III.
ziemlich unbekannt gewesen. Gleichwohl ist diese
Nachricht so zuverlässig, daß sie nicht bestritten wer-
den kann. Seine übrigen Gehilfen sind alle genannt.
Nur er wurde verschwiegen, da doch sein Verbrechen
allerdings berechtigte, seinen Namen der Vergessenheit
zu entreißen.
Von diesem Augenblick an war Engelhardts Glück
gemacht. Die Orlows sorgten dafür, und Katharina IL,
ihre Empfindung dabei sei nun gewesen, welche sie
wollte, belohnte ihn. Er erhielt bei jeder Gelegenheit
Geschenke und stieg von einer Ehrenstelle zur andern.
Indessen kam er selten nach Hofe, wo er weder ver-
langt noch vermißt wurde.
Er starb als Generalleutnant und Gouverneur von
Wiburg, wenn wir nicht irren, schon in den siebziger
Jahren, oder im Anfang der achtziger Jahre.
Wie der Charakter dieses Mannes gewesen sein müsse,
kann man sich leicht denken. Er hatte weder recht-
liche Grundsätze, noch einen aufgeklärten Verstand.
In seinen Sitten war er rauh und pöbelhaft. So verab-
scheuenswürdig übrigens Engelhardt war, so konnte er
doch bei dem Andenken an die grausame Tat, an wel-
Stanislaus August Poniatowski
Gemälde von Angelika Kauffmcinn
75- Stanislaw August Poniatowsky. 299
eher er den wesentlichsten Anteil genommen hatte,
nicht gleichgültig bleiben. Oft bemerkte man an ihm
die deutlichsten Spuren der Verzweiflung.
Wir wissen nicht, ob Engelhardt jemals verheiratet
gewesen ist und Kinder hinterlassen hat. Aber er hatte
andre Verwandte, die im Staate und in der bürger-
lichen Gesellschaft sehr schätzbare Verdienste gezeigt
haben.
Es fehlen zwar, wie man aus diesem unvollkomme-
nen Abrisse sieht, genaue Nachrichten von dem Leben
dieses Mannes, aber nach dem, was man von ihm weiß,
entbehrt man sie gern. Eine weitläufigere Auseinander-
setzung seiner Geschichte würde den Unmut des
Schriftstellers und der Leser vergrößern.
75. Stanislaw August Poniatowsky.
Zu den empfindlichsten Kränkungen, denen die un-
vollkommene Menschheit unterworfen ist, gehören un-
streitig diejenigen, die wir von Personen erfahren,
deren unveränderte Zuneigung wir durch die strengste
Anhänglichkeit und durch Aufopferungen, die uns
selbst vor den Augen der Welt kompromittieren, zu
verdienen glauben. Man stelle sich zwei Liebende vor,
die insgeheim in der reizendsten physischen Verbin-
dung leben. Ihr Einverständnis wird bekannt, die Mo-
ralität tadelt es und durch Gewalt wird ein Band ge-
trennt, das in ungleichen und unerlaubten Verhält-
rissen geknüpft war. Bald nachher kommt die Ge-
liebte auf den erhabensten Platz irdischer Größe. Auf
demselben erhält sie die Macht, die Schicksale mehrerer
Millionen Menschen teils willkürlich zu bestimmen.
300 75- Stanislaw August Poniatowsky.
teils durch ihren Einfluß zu lenken. Sie erinnert sich
ihres Geliebten, und obgleich neue Verbindungen sie
fesseln, so erhebt sie ihn doch mit starker Hand aus
dem Privatstand in ihre eigene Kategorie und stellt
ihn an die Spitze eines benachbarten, imterdrückten
Volks. Sie vergißt in der Folge die Vereinigung, durch
die sie sonst so glücklich ward. Das Ansehen ihres vor-
maligen Gehebten wendet sie bloß zur Ausführung
ihrer Entwürfe an und weil er ein Schwächling ist und
immer nachgibt, so macht sie ihn verächtlich. Den
Glanz, der ihn umgab, verwandelt sie in einen düstern
Schein. Endlich beraubt sie ihn ganz, läßt ihm nur un-
zulängliche Mittel der Subsistenz und macht ihn völhg
unglücklich.
In dem Falle war Stanislaw August Poniatowski,
der in diesem Buche notwendig einen Platz finden
muß. Ein Mann, der, wie er, in Rußland anfing, in der
politischen Welt merkwürdig zu werden ; der durch die
Gewalt einer russischen Monarchin auf den schwanken-
den sogenannten Wahlthron seiner Nation erhoben
ward; den diese nämliche Fürstin stufenweise wieder
von demselben herabführte und ihn (welches schreck-
liche Gefühl für den Unglücklichen) dem Mitleid, der
Verachtung oder dem Hohngelächter Preis gab; ein
solcher Mann paßt doch gewiß in die Reihe russischer
Emporkömmlinge .
Die Familie Poniatowski gehört nicht zu den vor-
nehmsten Geschlechtern der polnischen Nation; sie
wurde erst durch den Vater des Mannes, von dem wir
hier sprechen, berühmt.
Dieser hieß Stanislaw und war 1678 geboren.^)
In den Kriegen Friedrich Augusts I. mit Karl XII.
hielt es Poniatowski, der Vater, mit der Partei des
^) Richtig 1677.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 30I
Königs von Schweden, in dessen Dienste er förmlich
trat. Nach der Schlacht bei Pultawa, die das Unglück
des zwölften Karls entschied, und ihn nötigte, nach
Bender zu fliehen,^) war es wahrscheinlich, in Polen
ein Interregnam entstehen zu sehen.
Friedrich August I. konnte den Thron dieses Landes
noch nicht besteigen, von welchem der ohnmächtige
Stanislaw Lesczynski^) herunter zu wanken schien.
Unter diesen Umständen bekam Poniatowski, der
seinen Herrn verlassen hatte und noch ein junger
Mann war, den vorübergehenden Einfall (den allen-
falls jeder polnische Edelmann ohne Bedeutung haben
konnte), selbst König zu werden. In dieser Absicht be-
gab er sich nach Polen.
Auf der Reise kam er abends in ein Gasthaus. Neben
seinem Zimmer war lustige Gesellschaft. Da er nicht
schlafen konnte, stand er auf und ging auch dahin. Er
fand die Anwesenden beschäftigt, eine Wahrsagerin
anzuhören, die, sobald sie ihn erblickte, ihn Exzellenz
nannte. Er zeigte ihr seine Hand. Sie streben, sagte die
Zigeunerin, nach der höchsten Würde, aber Sie werden
sie nicht erlangen, wohl aber einer Ihrer Söhne. Ponia-
towski schrieb diese Begebenheit auf und Stanislaw
August fand sie unter den Papieren seines Vaters.
Auf den ersten Anblick könnte diese Anekdote wohl
den Aberglauben befördern, a.ber sie ist sehr natür-
licher Erklärungen fähig. Poniatowskis Leute konnten
wohl den Plan ihres Herrn wissen und vielleicht gar
damit prahlen. Auf diese Art konnte ihn auch die Zi-
geunerin erfahren haben, und durch vernünftige Kom-
binationen der damaligen LTmstände, die ihr vielleicht
^) Karl XII. von Schweden, 1697—1718. Die Schlacht bei
Poltawa fand am 8. Juli 1709 statt.
2) Stanislaus I. Lesczynski, König von Polen (1677 — 1766),
wurde 1735 gezwungen, der polnischen Krone zu entsagen.
302 75- Stanislaw August Poniatowsky .
natürlicher waren, als dem Kronkandidaten selbst,
konnte sie den Schluß gezogen haben, daß seine Be-
mühungen um die Krone vergeblich sein würden. Zu-
gleich aber wollte sie ihn doch mit der Hoffnung
trösten, daß einer seiner Söhne, von denen damals noch
keiner lebte, unter andern Umständen, dereinst König
werden könnte. Dem sei, wie ihm wolle, so machte doch
diese Prophezeihung auf Poniatowski so viel Eindruck,
daß er seinen Plan, König zu werden, den er ohnedies
hätte müssen fahren lassen, gutwillig aufgab.
Er wählte nun ein andres Mittel, sich merkwürdig
zu machen, das wohl schwerlich die Prüfung einer
strengen Moral aushalten würde.
Er begab sich nämlich zum König Stanislaw Lesc-
zynski, brachte die diesem Könige ausgestellte Ab-
dankungsakte des Königs Friedrich August I. an sich,
und eilte dann, sie demjenigen wieder zu geben, der sie
gezwungenerweise hatte ausstellen müssen. Für diesen
allerdings wichtigen, aber gewiß nicht ehrenvollen
Dienst wurde Poniatowski von Friedrich August I.,
oder wie er in der polnischen Königsreihe heißt,
August IL, königlich belohnt.
Einige Zeit nachher brachte ihn der König in Ver-
bindung mit einer der ersten Familien des Reichs, in-
dem er ihm im Jahre 1720 eine Prinzessin Czartoryska
zur Gemahlin^) verschaffte. Poniatowski nannte sich
nunmehr Graf, wie gemeiniglich die Polen zu tun
pflegen, wenn sie sich zu den großen Geschlechtern des
Landes rechnen.
Die Gräfin Poniatowski, die sehr reich war, und den
Ruf einer höchst geistreichen und liebenswürdigen
Frau hatte, machte ihren Gemahl sehr glücklich.
^) Die Fürstin Konstantia Czartoryiska (so) war die zweite
Frau Staniilaus Poniatowskis.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 303
Der König, immer dankbar und großmütig wie er
war, gab ihm, den zuweilen widrige Grundsätze seiner
Gemahlin lenkten, verschiedene große und einträgliche
Reichschargen, erteilte ihm im Jahre 1726 den weißen
Adlerorden und ernannte ihm im Jahre 1731 zum Woy-
woden von Masuren. Dieser Stanislaw starb im Jahre
1762 als Kastellan von Krakau.
Seine Gemahlin, die drei Jahre vor ihm starb, gebar
ihm fünf Söhne. — Der erste, Kasimir,^) wurde Kron-
Groß-Kammerherr und erhielt andere wichtige Char-
gen. Er war der Vater des Fürsten Stanislaw Ponia-
towski, der jetzt Kriegsminister in Diensten des Kö-
nigs von Sachsen und Herzogs von Warschau ist und
den Ruhm eines sehr edlen Mannes hat. 2) — Der zweite
starb in französischen Diensten. — Der dritte war
Stanislaw August, von dem hier mehr gesagt werden
soll. — Der vierte, Michael, wählte den geistlichen
Stand. Er wurde Primas von Polen, ob es gleich wider
die Reichsgrundgesetze war, daß ein so naher Ver-
wandter des Königs diese Würde bekleiden durfte.
Dieser Poniatowski war ein Anhänger von Rußland und
starb im Jahre 1794 in Warschau. — Der fünfte, An-
dreas, starb in österreichischen Diensten. 3) Sein Sohn
Joseph, von einer Gräfin Kinsky, hat sich in der un-
glücklichen Revolution Polens ausgezeichnet, in wel-
cher er durch die Russen alles verlor.*)
Stanislaw August, der dritte von diesen Brüdern,
war den 17. Januar 1732 geboren. Seine Erziehung war
^) Kasimir, geboren 1721, starb 1800.
^) Stanislaus, geboren i757, war General der polnischen Kron-
armee. Er starb in Florenz am 13. Februar 1833.
') Als Ö5terreichischer Generalfeldzeugmeister im Jahre 1773
in Wien.
*) Joseph (geb. 1762) war der bekannte Führer der Polen im
Heere Napoleons I., der nach der Schlacht bei Leipzig in der Elster
ertrank.
304 75- Stanislaw August Poniatowsky.
so vortrefflich, als man sie von der Sorgfalt seiner er-
habenen Mutter erwarten konnte. Nachdem sie voll-
endet war, ging er auf Reisen nach Sachsen, in das
übrige Deutschland und nach Frankreich. Seine große
Schönheit und seine Liebenswürdigkeit brachten ihn
an allen Höfen in Verbindung mit den angesehensten
Frauen. Übrigens lebte er überall sehr viel mit den
ausländischen Diplomaten und zeigte Talent für die
kleinliche Intrige dieser unechten Schwester der
wahren Politik, von der sie oft die Maske entlehnt und
dadurch die Unkundigen täuscht.
Aus Frankreich begab sich Poniatowski nach Eng-
land, wo es ihm ungleich besser, als irgendwo gefiel.
Von dieser Zeit an bis an seinen Tod behielt er eine
entschiedene Vorliebe für dieses Land und dessen
Staatsverfassung bei.
In London sah er den Ritter Williams Hanbury^)
wieder, den er schon kannte und der eine ungewöhn-
liche Freundschaft für ihn zeigte. Dieser Mann ging in
der Mitte der fünfziger Jahre als Ambassadeur nach
Petersburg, und schlug den Grafen Poniatowski vor,
ihn zu begleiten. Anfänglich konnte er die Einwilligung
seiner Mutter zu dieser Reise nicht erlangen.
Sie, eine geborne Czartor/ska, und folglich eine
Feindin des in Polen regierenden Hauses Sachsen,
wollte nicht ihren Sohn an einen Hof gehen lassen, der
mit dem sächsischen in der genauesten Vereinigung
stand. Endhch aber gab sie doch den Gründen nach,
die man ihr entgegenstellte und durch Überredung
unterstützte. Man sagte ihr, daß in Verbindung mit
Hanbury ihr Sohn für das Interesse Englands und
Preußens und besonders für das der Familie Czarto-
^) Hanbury war vorher ein Gesandter am Dresdener Hofe. Er
starb in England bald nach seiner Zurückkunft aus Rußland.
J. A. Fürst Poniatowski
Stich von J. G. Mansfeld
75- Stanislaw August Poniaiowsky. 305
ryska, die damals ihre Absichten auf den polnischen
Thron nicht undeutlich zu erkennen gab, eingenom-
men wäre. Hanbury und Poniatowski reisten nach
Petersburg; jener als Botschafter, dieser als Legations-
sekretär, ohne jedoch diesen Namen zu haben.
Hier trat der junge Mann auf Empfehlung des Am-
bassadeurs in Bekanntschaft mit der Großfürstin, die
in seiner Jugend sein Glück und in seinem Alter sein
Unglück machte.^) Er wendete sein Ansehen bei dieser
Prinzessin dazu an, sie auf den Fall der Erledigung des
Throns nach dem etwaigen Tode Friedrich Augusts IL
vorzubereiten und ihre Mitwirkung zur Erhebung eines
Czartoryski zu verlangen; ein Vorzug, an welchen da-
mals das mindermächtige Haus Poniatowski für sich
nicht denken durfte, obgleich der Vater in unruhigem
Zeiten schon diese Idee gehabt hatte. Den Großfürsten,
der, wie immer der Fall ist, der letzte war, der das Ein-
verständnis seiner Gemahhn mit dem schönen Polen
erfuhr, gewann Poniatowski ebenfalls durch die An-
nehmlichkeiten seiner Unterhaltung, durch seine fa-
natischen Lobeserhebungen des Königs von Preußen,
und durch seine Abneigung gegen den König, seinen
Herrn. Diese gab sogar der Graf dem Publikum auf
eine höchstbeleidigende Art zu erkennen. — Einst war
er mit vielen GHedern des Corps diplomatique nach
^) Kurz herausgesagt: Stanislaus wurde der Liebhaber Katha-
rinas, der Nachfolger von Sergij Soltikow und Leon Narischkin.
Reizend ist in Katharinas Erinnerungen die Szene, in der sie be-
schreibt, wie Stanislaus Poniatowski und der schwedische Gesandte,
Graf Hom, sie in ihren Gemächern besuchten und das Bologneser-
hündchen der Großfürstin den Schweden wütend anbläfft, den
wohlbekannten Polen aber umsprang. Graf Hörn nahm darauf
Poniatowski beim Rocke und raimte ihm zu: „Das schrecklichste,
was es gibt, ist ein Bologneserhündchen, lieber Freund. Das erste,
was ich stets getan habe, wenn ich Frauen liebte, war, ihnen einen
solchen Hund zu schenken. Durch diese Tiere habe ich dann immer
erkannt, ob jemand mehr in Gunst stand als ich" (S. 212).
Russische Günstlinge. 20
306 75. Stanislaw August Poniatowsky.
Kronstadt gefahren, um den Hafen und die dortigen
Anstalten zu sehen. Die Gesellschaft speiste bei einem
Admiral. Bei Tische brachte nach damaliger Sitte ein
jeder seines Herrn Gesundheit aus. Als die Reihe an
Poniatowski kam, trank er auf das Wohl der Republik,
und da man ihn fragte, warum er den König vergesse,
sprach er in den unanständigsten Ausdrücken von
diesem Monarchen und von dem Grafen Brühl. —
Dies alles und der Umgang des jimgen Mannes mit der
Großfürstin ward in Warschau so gut bekannt als in
Petersburg, und bewirkte von Polen aus den Befehl
an Poniatowski, in sein Vaterland zurückzukehren. Er
tat es, aber mit dem festen Vorsatz, bald wieder an den
russischen Hof zu kommen.
Als er in Warschau angelangt war, legte er es darauf
an, Bewegungsgründe zu ersinnen, um wieder nach Pe-
tersburg geschickt werden zu können. Es sprach mit
großer Lebhaftigkeit auf dem eben versammelten
Reichstage von der Notwendigkeit, in der damahgen
Lage der Sachsen einen eigenen polnischen Gesandten
in Rußland zu halten, dessen Obliegenheit mit denen
der sächsischen Gesandtschaft nicht vermengt werden
dürften. Dabei gab er nicht undeutlich zu verstehen,
daß er wegen seiner großen Verbindungen in Rußland
eigentlich der Mann sei, der daselbst dem Vaterlande
die besten Dienste leisten könnte. Andere Umstände
unterstützten noch den Plan des Grafen Poniatowski.
Die Großfürstin wünschte ihn zurück und hatte sich
in dieser Absicht an ihren Gemahl selbst und an den
Großkanzler Grafen Bestuschew gewendet. Der gut-
mütige Großfürst, der damals von der Verbindung
seiner Gemahlin mit Poniatowski nichts ahnte, wurde
auf eine sehr feine und ganz unmerkliche Art gewon-
nen und sprach selbst mit dem Großkanzler von
75- Stanislaw August Ponicitowsky. 307
seinem Verlangen, den polnischen Grafen wieder in
Rußland zu sehen. Bestuschew verstand sich sehr
leicht dazu, die deswegen notwendigen Einleitungen zu
machen, teils weil er die Großfürstin nicht beleidigen
wollte, deren Mitwirkung er noch länger brauchen
konnte, teils weil er glaubte, daß man in Warschau nie
einen Mann zum Gesandten in Rußland ernennen
würde, von dem man wußte, daß er ein Anhänger Eng-
lands und Preußens und folglich ein Feind der Koa-
lition gegen Friedrich IL war. Hierin irrte er sich je-
doch. Die französische Gesandtschaft^) in Warschau,
die den Grafen Poniatowski für einen sehr verdächtigen
und sogar gefährlichen Mann hielt, wendete alles an,
um dessen Ernennung zu hintertreiben. Dies nahm
Brühl sehr übel auf. Ihm in dieser Angelegenheit Vor-
schriften geben zu wollen, hielt er für einen Eingriff
in seine Rechte. Ohne darauf zu achten, was Vernunft
und Staatsklugheit ihm rieten, beförderte er die Er-
nennung des Grafen Poniatowski zum polnischen Ge-
sandten am russischen Hofe, weil, wie er behauptete,
man sich im voraus der Gunst des großfürstlichen Hofes
für nötige und unvorhergesehene Fälle versichern
müßte. Ehe der neue Gesandte nach Petersburg ging,
wurde er zum Stohick oder Großtruchseß in Litauen er-
nannt und erhielt den weißen Adlerorden; eine uner-
hörte Auszeichnung, denn bis dahin hatte gewiß noch
kein Privatmann in seinem sechsundzwanzigsten Jahre
diesen Orden erhalten. — Es fiel bei dieser Gelegenheit
ein Umstand vor, der erzählt zu werden verdient. —
Als Poniatowski vom König den Orden bekam, wurde
dem Kammerdiener des Monarchen befohlen, einen
Stern zu geben. Dieser vergriff sich und gab einen wie
ihn der Großmeister trägt, nämhch mit der Inschrift:
^) Broglie und d'Ailkm.
308 75- Stanislaw August Poniaiowsky.
pro fide, grege et lege, dahingegen die Sterne der Ritter
die Inschrift haben : pro fide, rege et lege. Viele sahen
damals dieses Versehen als eine üble Vorbedeutung an.
Nachdem Poniatowski in Petersburg^) angekommen
war, dachte er nicht mehr an seine gesandtschaftlichen
Pflichten, deren Erfüllung er in Warschau schon vorher
so gerühmt hatte. Er lebte nur für die sinnlichen Ver-
gnügungen. — Mit der Großfürstin setzte er seinen
Umgang fort. AnfängHch sahen sie sich gewöhnhch in
Yelagins Hause. Diese Zusammenkünfte hatten Fol-
gen, die am Schlüsse des Jahres 1757 der Welt bekannt
wurden. — Doch duldete man ihn noch. Man war aber
am russischen Hofe in einer höchst unangenehmen
Stimmung, als der Prinz Karl von Sachsen und Polen
nach Petersburg kam. Die Kaiserin und der großfürst-
liche Hof wendeten sich an diesen Prinzen in betreff
des Gesandten seines Vaters. Elisabeth wollte den-
selben gern vom Hofe entfernt haben ; der Thronfolger
und seine GemahMn wünschten ihn da zu behalten.
Endhch beförderte er selbst seine gewaltsame Entfer-
nung durch eine Unbesonnenheit.
Damals besuchte Poniatowski die Großfürstin sogar
schon in den kaiserlichen Schlössern. Einst schlich er,
als Friseur verkleidet, um das Palais dieser Prinzessin
in Oranienbaum herum. Peter wurde davon benach-
richtigt, lauerte ihm auf und empfing ihn ziemlich un-
freundlich. Er wurde alsdann arretiert vor den Groß-
fürsten gebracht und von dem Grafen Branicki,^) der
^) Als Gesandter wohnte Poniatowski in der Newskischen
Perspektive an der Ecke nach dem Katharinakanal hin. Das Haus
gehörte in den achtziger Jahren der Generalfeldmarschallin Fürstin
Golizin, die daselbst starb. Von ihren Erben kaufte es der Traiteur
Lion, der es sehr vergrößerte und Maskeraden darin gab. H.
^) Branicki, der nicht eigentlich aus der berühmten Familie
dieses Namens herstammt, war durch russische Unterstützung
Kron-Groß-Feldherr von Polen i^eworden. Er heiratete eine Nichte
75- Stanislaw August Poniatowsky. 309
eben bei diesem Prinzen war, durch einen Stoß zur
Türe hinaus in Freiheit gesetzt. Der Großfürst lachte
herzlich über diese ungesittete Art, jemand zu ent-
fernen. Indessen war sie sehr zweckmäßig. Die Be-
gebenheit kam vor die Kaiserin, und Poniatowski
mußte, ohne seinen Rappel erhalten zu haben, im Som-
mer 1758 Petersburg verlassen.
Er begab sich nach Warschau, wo er zumal von dem
Grafen Brühl, der Ursache genug hatte, seinen Starr-
sinn zu bereuen, nicht günstig empfangen wurde.
Poniatowski hatte nun in seinem Vaterlande eine
sehr unbedeutende Existenz. Indessen suchte er seine
Verbindung mit Katharina, aber freilich nur durch
Briefe, zu unterhalten. Die Unterhändler der Prin-
zessin in dieser Angelegenheit waren Iwan Schuwalow,
Günstling der Kaiserin Elisabeth, und Baron von der
Osten, ^) dänischer Gesandter in Rußland, die man
beide schon lange in das Geheimnis eingeweiht hatte.
Doch die Hitze des Briefwechsels erkaltete von Seiten
der Großfürstin, besonders seitdem sie mit Gregor Or-
low in Verbindung getreten war. Ganz wurde sie aber
nicht aufgehoben ; Katharina fand nötig, sie nie fallen
zu lassen.
Nach dem Tode der Elisabeth rächte sich Ponia-
towski für die Gleichgültigkeit, mit welcher ihn der Ho{
seines Vaterlandes behandelt hatte. Auf eine für seinen
Charakter nicht sehr ehrenvolle Art zeigte er sich auf
dem polnischen Reichstage als einen erklärten Feind
Potemkins und wurde seitdem immer gebraucht, um Unzufrieden-
heit in seinem Vaterlande zu erregen oder die königliche Würde
zu mißhandeln, je nachdem man es brauchen konnte. Alle seine
Schändlichkeiten zu erzählen würde zu weit führen. Er wollte selbst
König werden, diente aber zurück und wurde nur russischer General.
^) Adolph Siegfried von der Osten ging von Petersburg als Ge-
sandter nach Neapel.
310 75- Stanislaw August Poniatowsky.
des Hauses Sachsen, das nun nicht mehr von Rußland
unterstützt werde. Sein Ansehen bei der Gemahlin
Peters III. gewann durch dieses Benehmen sehr. Sie
gab ihr Wohlwollen darüber öffentlich zu erkennen.
Bald nachher erfolgte die Revolution.
In einer der ersten Depeschen, die Friedrich II. an
seinen Gesandten Gols in Rußland schrieb, trug er dem-
selben auf, sich unter der Hand zu erkundigen, ob der
Graf Poniatowski wieder nach Petersburg kommen
würde. Doch an eine solche Wiedervereinigung war
nicht wieder zu denken. Indessen fuhr Katharina II.
immer fort, mit ihrem ehemaligen Freunde in Verbin-
dung zu bleiben, und machte sich anheischig, ihm in
vorkommenden Fällen tätige Beweise ihres Wohl-
wollens zu geben.
Der Zeitpunkt hierzu erschien sehr bald.
Friedrich August II. erlag unter dem Kummer, den
ihm seine und seines Landes Unglücksfälle und wahr-
scheinlich der Gedanke verursachten, daß er aller mo-
ralischen und pltysischen Mittel beraubt sei, seinen
Erbstaaten wieder aufzuhelfen. i) Der edeldenkendc
und bedauernswürdige Monarch starb im Oktober 1763.
Katharina II. bestimmte sogleich den erledigten
Tliron für ihren ehemaligen Günsthng, der ihr, wie
man leicht denken kann, selbst die Anleitung dazu gab.
Zum Schein versammelte sie ihr Konseil, um dessen
Meinung über die polnischen Angelegenheiten zu ver-
nehmen. Bestuschew, ein alter Anhänger des säch-
sischen Hauses, dessen Absichten auf die polnische
Krone er schon wußte, riet, daß man die Wahlfreiheit
in Polen nicht stören solle. Alle traten dieser Meinung
bei, die Katharina allein bestritt, und endhch durch
1) In Wahrheit überließ der König- Kurfürst dem eben<;o edel-
denkendeu Grafen Brühl die Sorgen um seine Erblande.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 311
ihren Entschluß zeigte, daß sie keine Ratschläge an-
nehmen wolle. Sie erklärte ihrem versammelten Kon-
seil, daß sie den Grafen Stanislaw August Poniatowski
auf dem polnischen Throne zu sehen wünsche : Kaum
hatte sie diese Erklärung geendigt, so sprang Gregor
Orlow, der als Generaladjutant hinter ihrem Stuhle
stand, hervor. Nach seiner gewöhnlichen energischen
]\Iundart legte er dem Kronkandidaten ein sehr kraft-
volles Epitheton bei und sagte: ,,nun das wäre schön
wenn der sollte König werden." Doch da er auf diese
Art den beschwerhchen Mann, dessen Dazwischen-
kunft er immer noch fürchtete, los werden konnte, so
machte er weiter keine Einwendungen. Katharina II.
sprach nun viel von vorgeblicher Wahlfreiheit der
Polen, vereinigte sich aber mit dem König von Preu-
ßen, um dieselbe auf die zweckwidrigste Art durch
Truppen an der Grenze zu unterstützen. Zu gleicher
Zeit erklärte sie, daß alle fremden Prinzen von der
Wahl ausgeschlossen wären, und sie nur einen Piasten
als König von Polen erkennen würde. Endlich (man
könnte über den Widerspruch und über die Art des
sämtHchen Europa zu spotten, lachen, wenn der Be-
wegungsgrund nicht so traurig wäre), schickte sie selbst
Truppen nach Polen, um — die Wahlfreiheit daselbst
aufrechtzuerhalten.
Die Muse der Geschichte bebt zurück vor allen den
Greueln, die sie in den polnischen Annalen von diesem
Augenblick an bis zum Jahre 1795 fast ununterbrochen
findet.
Stanislaw August Poniatowski wurde unter dem Ge-
kHrre der russischen Waffen am 7. September 1764 zum
König von Polen nicht erwählt, sondern ausgerufen
und mit Drohungen, mit Gewalt und mit Blutvergießen
eingesetzte .:
312 75- Stanislaw August Poniatowsky.
Dieser Prinz mußte selbst über die Art erschrecken,
mit welcher er in die Königswürde eingeführt wurde.
Vielleicht schmeichelte er sich, dereinst die verschie-
denen Meinungen auf eine glückliche Art zu vereinigen,
aber seine und seines Reichs Feinde wußten dies sehr
geschickt zu verhindern. Die Ruhe Polens, durch Ge-
walttätigkeiten teuer erkauft, hätte nun nahe sein
sollen, und nie war sie entfernter als jetzt. Dieser Wahl-
tag bestimmte das Unglück des Landes auf lange Zeit.
An ihn reihte sich eine Kette von Begebenheiten,
welche die Nachwelt für Übertreibung halten würde,
wenn sie nicht durch pfhchtmäßige und authentische
Urkunden und durch andere unverdächtige Zeugnisse,
eine unwidersprechbare Glaubwürdigkeit erhalten
hätten.
Die weitläufige Erzählung dieser schrecklichen Er-
eignisse findet ihren eigentlichen Platz besonders in
der Geschichte Polens und Rußlands, und dann auch
zum Teil in der der Monarchien Österreichs und
Preußens. Aber sie gehört nicht in den kurzen Abriß
der Biographie eines Mannes, der zwar an der Spitze
des Volkes stand, dessen Schicksale die benachbarten
Souveräne auf eine gewaltsame Art zu bestimmen für
gut fander, der aber eben deswegen nur eine leidende
oder unbedeutende Rolle spielte. Wir wollen jedoch
wenigstens etwas von den Hauptbegebenheiten der
nervlosen Regierung Stanislaws Augusts oberflächlich
berühren.
Am 8. Mai 1765 stiftete er den Stanislausorden, der
endlich durch die Schwäche des Königs und durch
seine zwecklose und unüberlegte Begierde, sich ephe-
mere Freunde und Anhänger zu machen, so herabge-
würdigt wurde, daß ihn im Auslande, zumal in Ruß-
land, keiner, wenigstens nicht ohne den weißen Adler-
Fürst Repnin
75- Stanislaw August Poniatowsky. 313
orden, annahm, und in Polen ihn nur ganz junge Leute
trugen.
In den Jahren 1765 und 1766 enthüllten sich die
wahren Bewegungsgründe, die diesen König auf den
Thron erhoben hatten : Katharina II. wollte durch ihn
Polen vöUig unterjochen. — Bisher hatte in diesem
Lande die nicht unierten Griechen und die Dissidenten
oder Nichtkatholiken, als nänüich Lutheraner, Kal-
vinisten, von denen jedoch alle Sekten ausgenommen
waren, zusammen ein Korps gebildet. Sie hatten, ob-
gleich nicht die ersten, doch immer ansehnliche Stellen
im Staate und ohne Unterschied in der Armee alle be-
kleidet, zu denen sie hatten gelangen können, waren
übrigens zufrieden gewesen und hatten ruhig gelebt.
Jetzt gewann man einige von ihnen und namentlich
zwei Brüder Grabowski, die von dem neuen König eine
der Toleranz der Zeit angemessene, und folglich aus-
gebreitetere Rehgionsfreiheit als bisher verlangen
mußten, Stanislaw August war nicht abgeneigt, ihren
Wunsch zu erfüllen. Aber die orthodox-kathohschen
und despotischen Edelleute, die den Reichstag bildeten,
widersetzten sich dem Willen des Königs. Nun wen-
deten sich die Dissidenten an die russische Kaiserin
und diese Fürstin versprach sie zu unterstützen, ver-
langten die Erfüllung des Traktats von Olive, worin
den Dissidenten größere Rechte versprochen sind, an
welchem aber Rußland nicht den geringsten Anteil ge-
nommen hatte, und ließ Truppen in Polen einrücken.
Repnin^) ging als Ambassadeur nach Polen, gebot un-
umschränkt im Namen seiner Monarchin, und der
Schattenkönig mußte der erste sein, ihm zu gehorchen.
^) Von diesem im Felde mid im Kabinett berühmt gewordenen
Manne ist nicht nötig, etwas mehr zu sagen, als daß er als Feld-
marschall im Anfange dieses Jahrhunderts starb. H.
314 75- Stanislaw August Poniatowshy.
Man stellte der Kaiserin vor, daß die Weisheit einer
Regierung und der allgemeine Vorteil es doch not-
wendig machte, gehörige Schranken zwischen der dul-
denden Religion und der geduldeten zu errichten, allein
Katharina IL war nicht mit der Toleranz zufrieden,
sie verlangte für die Dissidenten eine völlige Gleichheit
mit den Kathohken.
Der Plan der Unterwerfung Polens war entworfen
und mußte ausgeführt werden. — Man gab die, welche
sich, wie billig, den Eingriffen einer fremden Macht zu
widersetzen schienen, für Rebellen aus. Viele von ihnen,
worunter auch ein Radziwill^) war, wurden gefangen
genommen, und manche sogar nach Sibirien geschleppt,
wo sie ihren Patriotismus, eine der erhabendsten Tu-
genden, mit sechsjähriger Gefangenschaft büßen muß-
ten. Es formierte sich zu Bar in Podolien eine Kon-
föderation, die den König absetzte. Es wurde ihr an-
fänglich unter dem Schutze Repnins ebenfalls eine
Konföderation von Dissidenten entgegengestellt, dann
wurde die zu Bar, von der man auf die ungerechteste
Weise behauptete, daß sie von dem sächsischen Hofe
gestiftet sei, zerstreut.
Polnisches Blut floß an allen Enden. — Endlich
wurde (denn so sollte man eigentlich sagen) Friede mit
Polen gemacht. Im Februar 1768 wurden in einer förm-
lichen Urkunde den nicht unierten Griechen und den
Dissidenten freie Religionsübung und andere Frei-
heiten, jedoch immer mit mehr Einschränkung als die
^) Fürst Karl Radziwill (geb. 1734) mußte vor den Russen, die
sein Schloß Mieswiesz stürmten, ins Ausland fliehen. Nach seiner
Rückkehr wurde er 1767 zum Generalmarschall der gegen den König
Stanislaus und die Familie Czartoriski gebildeten Radomer Kon-
föderation gewählt, worauf er sich v.-ieder ins .Ausland begeben
mußte. Erst durch Vermittlung der Kaisern; Katharina II. erhielt
er seine beschlagnahmten Güter zurück. .Radziwill starb 1790.. •.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 315
Kaiserin verfangt hatte, zugestanden. Hierauf ward
(kürzer kann man wohl keine Ewigkeit finden) ein so-
genannter ewiger Friede zwischen Rußland und Polen
geschlossen.
Der König war bei dem allen in einer unglücklichen
Lage.
Auf der einen Seite schrieb Rußland ihm Befehle vor,
die er in Erfüllung sollte bringen lassen, und ihm fehlte
die Kraft, es zu bewirken; auf der andern Seite ver-
langten die Polen seinen energischen Beistand, der
ihnen doch so wenig helfen als seine Widersetzhchkeit
ihnen schaden konnte. Auf diese Art verlor er die
Freundschaft seiner Landsleute, ohne die Gunst der
Russen wieder erhalten zu können. —
Im Jahre 1771 hatte dieser Prinz eine der seltsam-
sten Begebenheiten, von der man, wenn wir nicht irren,
außer dem bekannten sächsischen Prinzenraube, kein
ähnhches Beispiel in der Geschichte hat.
Er wurde im November abends in der Straße zu
Warschau durch die Konföderierten angefallen, und
förmlich dem Staate geraubt oder entführt. Pulawski^)
entwarf den Plan zu dieser Unternehmung. Andre
führten ihn aus. Stanislaw August wurde bei Gelegen-
heit dieses Unfalls am Fuße verwundet. Nach und nach
verließen ihn die Räuber und der letzte Anführer Heß
ihn gehen. Man brachte ihn am andern Morgen zurück
in die Residenz. —
Ebenfalls noch im Anfange der siebziger Jahre war
Baron von der Osten, der mit Stanislaw August zu
gleicher Zeit im Corps diplomatique in Petersburg ge-
wesen war, dänischer Gesandter bei ihm. Der König
glaubte, sich auf die Freundschaft dieses Mannes ver-
^) Nach dieser Begebenheit mußte Pulawski aus seinem Vater-,
land entfliehen und starb in der Verbannung. H. .
3l6 75- Stanislaw August Poniatowsky.
lassen zu können und bat deswegen den dänischen Hof,
daß er Osten als Gesandten nach Rußland schicken
möchte, woselbst dann derselbe aus alter Bekannt-
schaft mit der Kaiserin das Interesse des Königs be-
sorgen sollte. Poniatowski wurde eben damals auf eine
schreckliche Art vom russischen Hofe gedrückt; be-
sonders durch die Brüder Tschernitschew.^)
Endlich fiel der Kredit dieser Männer, und der König
nutzte den Umstand und gab Osten einen Brief an
Katharina, worin er über die Tschernitschews klagte.
Als der dänische Gesandte nach Petersburg kam, hatte
sich das Blatt gewendet. Die Tschernitschews erhielten
Kenntnis von dem Briefe des Königs, und um sich zu
rächen, beförderten sie die erste Teilung von Polen, die
eben damals in Vorschlag gebracht WTirde.
Der bekannte Saliern war, wie man weiß, der Schöp-
fer dieses Projekts. Man machte dem preußischen Ge-
sandten in Rußland Eröffnungen darüber, allein Fried-
rich IL antwortete : non, mon principe est, de prot^ger
les faibles^) et de me defendre contre mes ennemis. Je
n'ajoute rien ä mes Etats, c'est l'heritage, que je laisse
ä mon Neveu. Österreich und Rußland waren jedoch
1) Es waren drei Brüder Tschernitschew. Peter Gregorjewitzsch
war ehemals Ambassadeur in Frankreich und England, Kammer-
herr, Wirklicher Geheimer Rat und Senateur. Graf Peter Tschernit-
schew war bevollmächtigter Minister am Hofe Friedrichs des Großen
und bei Ludwig XV. Von Zachar ist schon in diesen Blättern
gesprochen. Iwan war Vizepräsident des Admiralitätskollegiums
(Präsident war der Großfürst Paul), Kammerherr, wirklicher Ge-
heimer Rat, Senator und Mitglied des hohen Conseils. Alle drei
waren Ritter der vornehmsten russischen Orden. Iwan Tschernit-
schew starb 1797.
2) Dies sollte der Grundsatz aller echt-großen Souveräne sein.
So dachte Friedrich II., der aber bei geringerer Macht seinen Willen
immer den Umständen unterwerfen mußte; und so befolgt diesen
Grundsatz mit unumschränkter Gewalt der Held unseres Jahr-
hunderts, Napoleon, der nicht allein dem Namen nach, sondern in
jeder Rücksicht der Erste zu heißen verdient. (Anm. d. Verf.)
•^
-f^
%
^r^
Graf Iwan Tschernitschew
75- Stanislaw August Poniatowsky. 317
nicht davon abzubringen. Friedrich IL wußte das,
schickte seinen Bruder Heinrich^) nach Rußland, um
daselbst die Gesinnungen zu prüfen, und willigte end-
hch ein, um nicht von der Teilung ausgeschlossen zu
werden, die sonst ohne ihn würde geschehen sein.
Stanislaw August war der letzte, mit dem man über
das Vorhaben der Teilung sprach. Er wütete, und ver-
schwendete Bitten und Drohungen. Man achtete nicht
auf die erstem und lachte über die letztern. Es wurde
ein Reichstag zusammen berufen. Eine Deputation
ging zum König: er mußte die härtesten Vorwürfe
hören ; doch konnte er nichts ändern. Nun war schon
alles verdorben, er war von jeher zu schwach an Geist
gewesen.
Die russischen Offiziere Igelström^) und Drewitz^)
zeichneten sich durch Grausamkeiten aus.
Der polnische Boden wurde wieder mit polnischem
Blute getränkt, und Männer vom höchsten Range
mußten in die Verbannung nach Sibirien gehen.
Die Teilung von Polen im Jahre 1772 kostete diesem
Reiche fünf Millionen Einwohner, und zum Teil die
schönsten Provinzen. Der König und der Reichstag
mußten sie ratifizieren. Stanislaw August jammerte
und klagte immer über sein Unglück und die Lage
seines Vaterlandes, aber es ist noch eine Frage, ob er
nicht mehr würde ausgerichtet haben, wenn er mit
^) Prinz Heinrich (Friedrich Ludwig) von Preußen (1726 — 1802).
Über seine Reise nach Rußland (1770 — 1771) und seinen Einfluß
auf die Teilung Polens siehe Brückner S. 29.
^) Igelström schloß mit Armfeldt den Frieden zu Werela (Werelä
in Finnland; der Frieden zwischen Gustav III. von Schweden und
Katharina II. wurde hier am 14. August 1790 geschlossen), und
machte sich dadurch einen besseren Namen als durch seine Grau-
samkeiten in Polen. Er ist, soviel wir wissen, im Anfange dieses
Jahrhunderts gestorben. Damals war er General en Chef und Ritter
der vornehmsten russischen und schwedischen Orden. H.
^) Drewitz war ein treuer Gehilfe Igelströms in Polen.
3l8 75- Stanislaw August Poniatowsky.
Aufopferung seiner politischen Existenz sich diesen
Gewalttätigkeiten widersetzt hätte.
Es wurden nun, wie man nach jeder gewalttätigen
Begebenheit und nach jedem Raube getan hat, Ga-
rantien der übriggebliebenen Ländereien, Konstitu-
tionsentwürfe, Urkunden und dergleichen ausgefertigt.
Eine solche Schrift des russischen Gesandten enthielt
eine Umbildung der Staatsverfassung, ward aber ver-
worfen.
Die strafbare Gefälligkeit des Königs schützte ihn
nicht vor empfindUchen Ahndungen, die er wohl, we-
nigstens von Rußland, nicht verdient hatte. Er kam
am 15. März des Jahres 1775, auf Vorschlag der drei
Mächte, unter völlige Vormundschaft eines Konseil
permanent, der, wie ganz Polen, von Rußland abhing.
Sonderbar war es, daß der russische Gesandte allein
diese Urkunde unterschrieb. Als ein Beweis von Ruß-
lands zuversichtlichem Despotismus kann wohl ange-
führt werden, daß der russische Hof auf die fehlende
Ratifikation Preußens und Österreichs gar nicht
achtete.
Stanislaw August, der sich nun so ganz unglücklich
fühlte, wollte einen Versuch machen, sich mit Ruß-
land, oder vielmehr mit der Kaiserin und mit Potem-
kin, durch erneuerte Beteuerungen von Dienstgefällig-
keit auszusöhnen, um auf diese Art einige Vorteile
für sich zu verlangen. Er bat um die Erlaubnis, oder
leitete es so ein, daß er gebeten wurde, die Kaiserin zu
sehen, wenn sie auf dem Dnjepr bei Kaniew vorbei-
fahren würde . Dahin konnte er gehen, denn dieser Ort
gehörte damals noch zu Polen, aber außer Landes sich
zu begeben, verboten ihm die Reichsgesetze. Der Könioi
bekam zu dieser Reise von der Kaiserin hunderttau-
send Rubel.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 319
Katharina und Stanislaw August hatten sich seit
dem Sommer 1758 nach den Szenen in Oranienbaum
nicht wieder gesehen. Wie sehr hatte sich seitdem
alles geändert! Wir werden bald sehen, daß Ponia-
towski nun auch in der Nähe bemerken konnte, daß
Katharinas Gesinnungen für ihn nicht mehr die näm-
lichen waren. Indessen wurde er auf der kleinen russi-
schen Flotte in Dnjepr, auf welcher die Kaiserin war,
mit der ausgezeichneten Ehrfurcht empfangen, die
man dem Titularbruder der russischen Monarchin
schuldig war. Indem er ihr die Hand küßte, umarmte
und küßte sie ihn. Er schien anfänghch verlegen, sie
aber war immer ganz unbefangen, doch amalgamierte
sich bald ihre beiderseitige Stimmung und ward gleich-
mütig und heiter. Nachdem die ersten geistreichen
Floskeln, auf die man sich von beiden Seiten gehörig
vorbereitet hatte, hergesagt waren, stellte man sicli
gegenseitig sein Gefolge vor. Die Unterhaltung ward
nun allgemein im Beisein der beiden Höfe, ungezwun-
gen und, wie gewöhnlich, unbedeutend, aber nicht un-
angenehm. Man ging auf ein andres Schilf zur Tafel
und die Unterredung wurde munter, anziehend und
witzig. Als man aufstand, überreichte der König der
Kaiserin ihre Handschuhe; sie ihm seinen Hut.
,,Ah, Madame," sagte er ihr, indem er auf die pol-
nische Krone deuten wollte, ,,ah, Madame, vous m'en
avez donne un plus beau."
Sie antwortete ihm nicht darauf, vermutlich des-
wegen, weil sie noch Absichten mit dem Hute hatte,
den der König meinte. Nach dem Kaffee entfernten
sich beide; sie in ihr Kabinett, er um den Damen vom
russischen Hofe Besuche zu machen.
Um fünf Uhr kam er zu der Kaiserin zurück. Er
wurde wieder vom ganzen Hofe empfangen, aber von
320 75- Stanislaw August Poniatowsky.
Mamonow allein in den Gesellschaftssaal geführt, wo
ihn die Monarchin erwartete. Sie gingen beide im
Saale auf und ab, und nun fing man an, von Politik zu
sprechen. Der König klagte über seine unglückliche
Lage und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß sie
von der Teilung seines Landes herrühre. Dies war desto
unweiser, da ihm diese Klagen über die Vergangenheit
nichts helfen und seiner Zukunft schaden konnten.
Katharina entschuldigte sich, indem sie alle Schuld
auf Österreich und Preußen schob.
Nun kam Stanislaw August mit seinen verschie-
denen Gesuchen der eigentlichen Absicht seiner Reise
näher.
Er bat um die Bezahlung seiner Schulden, um die
Abschaffung des immerwährenden Rats und um die
Feststellung der Erblichkeit der polnischen Krone in
seiner Familie. Die Kaiserin, empfindlich über seine
vorhergegangenen Klagen, versprach ihm zwar die Er-
füllung des ersten Punktes, tat es aber in ganz unbe-
stimmten Ausdrücken. Sie sagte ihm, daß er erst einen
Etat seiner Schulden einreichen müsse, alsdann wolle
sie mit ihrem Finanzminister sprechen und wenn dies
geschehen sei, könne man über die Bezahlung der
Schulden fernere Verabredungen treffen. Eine be-
stimmtere und vorteilhaftere Erklärung von der Kai-
serin zu erlangen, war dem König nicht möglich. In
betreff der andern beiden Punkte verbarg sich Katha-
rina wieder hinter die Höfe zu Wien und Berlin, und
versicherte, es stehe nicht in ihrer Macht, ohne deren
Einwilligung etwas in der bisherigen polnischen Kon-
stitution zu verändern, oder ihr etwas Neues hinzuzu-
fügen. Stanislaw August ward mißmutig; die Unter-
haltung wurde einsilbig. Endlich gab die Kaiserin
einen Wink an Mamonow und der ganze Hof trat aus
75- Stanislaw August Poniatowsky. 32I
dem Vorzimmer herein. Einige mußten sich zum Spiel
setzen.
Die Kaiserin, der König und die Gräfin Branicka^)
setzten sich auch, spielten aber nicht. Potemkin, Ma-
monow, die aus Petersburg und Warschau mitgekom-
menen fremden Gesandten und einige der vornehmsten
Herren der beiden Höfe standen. Man sprach, aber die
Verstimmung, die von den beiden Hauptpersonen aus-
ging, wurde bald sichtbar und teilte sich den andern
mit. Die Unterhaltung ward schläfrig. Man wurde
durch ein Feuerwerk und durch eine Erleuchtung ge-
weckt. Der ganze Berg, auf welchem Kaniew stand,
bis herunter an den Dnjepr, schien in Feuer zu stehen.
Der Anblick dieser Dekoration vom Schiffe der Kai-
serin aus war über allen Ausdruck prachtvoll. Gerührt
über die Aufmerksamkeit des Königs, sagte ihm diese
Prinzessin die verbindlichsten Phrasen. Bald nachher
trennten sie sich, um sich nie wieder zu sehen. Wahr-
scheinlich dachten beide bei sich selbst, da sie so lange
und in angenehmem Verhältnissen, sich nicht gesehen
hatten, so hätte es jetzt auch unterbleiben können.
Doch machten sie vor den Augen des Hofs den Ab-
schied so rührend, als es ihnen möglich war. Die Mon-
archin begleitete den König bis auf das Ufer und also
bis auf das polnische Gebiet. Dann ging sie zurück und
begab sich zur Ruhe; Stanislaw August aber gab in
Kaniew den beiden Höfen und den vielen Fremden, die
aus Neugier dahin gekommen waren, ein prächtiges
Fest. Am andern Morgen setzten beide Souveräne ihre
Reise fort.
Stanislaw August ließ Joseph II., der eben damals
^) Die Gräfin Branicka war die älteste und schönste von Potem-
kins Nichten. Sie war Staatsdame der Kaiserin und Dame des
Katharinen-Ordens. Ihr Charakter wird ebensowenig gerühmt als
der ihres Gemahls. H.
Russische Günstlinge. 21
322 75- Stanislaw August Poniatowsky .
zu Katharina II. reiste, vorschlagen, sich irgendwo
unterwegs zu sprechen, aber der österreichische Mon-
arch wich der für ihn lästigen Unterredung aus.
Dieser Umstand vermehrte des Königs Unmut.
Er kam in Verzweiflung nach Warschau zurück, wo
er von seinen und Rußlands Gegnern die beißendsten
Vorwürfe über seine Reise öffentlich anhören mußte.
Die Polen und ihr König waren in dumpfen Schmerz
versunken. Ihre Gefühle schienen abgestumpft zu sein.
Es war nur schlafende Rache, die im Jahre 1788 mit
krampfhaften Verzückungen erwachte.
Damals war Rußland in einen doppelten Krieg ver-
wickelt und konnte also wenig Aufmerksamkeit auf
Polen wenden. Dort schaffte man unter der täuschen-
den Ägide von Preußen, die im Jahre 1775 aufgedrun-
gene Konstitution ab, entsagte der russischen Garan-
tie und verband sich mit dem preußischen Hofe. Ganz
Polen, oder wenigstens der bessere Teil der Einwohner,
arbeiteten an einer neuen Konstitution : die Mächtigern
mit weisei Überlegung, ohne Anmaßung ; die Geringern
mit Hingebung und eifrigem Gehorsam. Der König
selbst, hingerissen von der edlen Begeisterung des
Reichstags und der Nation, war äußerst tätig, opferte
alle Privatvorteile auf und zeigte durch seine Rat-
schläge, daß er von einem Patriotismus beseelt sei, dem
man nur — Ausdauer wünschen mußte.
Endlich erschien am 3. Mai 1791 die neue Konsti-
tution. Polen wurde ein Erbreich, in welchem man die
Thronfolge dem jetzigen König von Sachsen und Her-
zog von Warschau und seiner Tochter anbot; allein
zum Wohl seines Landes, das leicht in einen Krieg
hätte verwickelt werden können, entschloß sich dieser
weise Fabius cunctator nicht dazu, dieses Anerbieten
anzunehmen. Die neue Konstitution enthielt, wie man
75- Stanislaw August Poniatowsky. 323
denken kann, noch eine Menge Punkte, unter denen
die Errichtung einer großen Armee einer der wich-
tigsten war. Um den Mut seiner Krieger anzufeuern,
stiftete Stanislaw August einen Militär-Orden, den er
auf eine schimpfliche Weise im Jahre 1793, auf Befehl
der Kaiserin, selbst wieder vertilgen mußte.
Der russische Hof zerstörte die neue Konstitution
sehr bald, indem er sich mit dem preußischen darüber
einverstand. Man gewann selbstgemachte Patrioten,
erklärte alles, was geschehen war, für gesetzwidrig und
errichtete eine Konföderation zu Targowicz.^) Die
Kaiserin schrieb an den König, er möchte selbst der-
selben beitreten, wenn er wünschte, daß sie sich länger
seine Schwester nennen sollte. Der schwache Stanis-
law August verstand die Drohung, erklärte infolge der-
selben, daß man der Gewalt der russischen Waffen
nicht widerstehen könne und trat der Konföderation
bei. Alle bisherigen Grausamkeiten in Polen waren nur
Vorspiele von dem gewesen, was jetzt folgte.
Endlich mußte der König, auf Befehl der Kaiserin
mit achttausend Dukaten Reisegeld nach Grodno
gehen, wohin ein Reichstag ausgeschrieben war. Da
dieser sehr stürmisch wurde, so wagte es der russische
Ambassadeur Sievers, den König und die Reichsver-
sammlung arretieren zu lassen. Das Resultat dieser
Gewalttätigkeit war die erzwungene Einwilligung des
Königs und der Stände in die zweite Teilung Polens.
Sie geschah am 9. April 1793. Diesmal teilten nur Ruß-
land und Preußen, das in den Jahren 1788 und 1790
seine Rolle nur deswegen angenommen zu haben schien,
um jetzt der Teilnahme an dem Raube desto gewisser
zu sein. Vom ganzen Polen blieb jetzt nur der dritte
und vielleicht der schlechteste Teil übrig. Der König
^) Am 14. Mai 1791.
324 75- Stanislaw August Poniatowsky.
und der Reichstag sanktionierten feierlich diese Tei-
lung.
Es kam nun, wie gewöhnlich, wieder ein Traktat
zum Vorschein, der dem unglückhchen Reste Land,
das den Namen behielt, jetzt, da es keine Kräfte mehr
hatte, sich zu helfen, mehr Freiheiten erteilte, als vor-
her. Der Entwurf davon war am 13. Juli bekanntge-
macht worden. Man sah daraus deutlich, daß das russi-
sche Ministerium über die Leichtgläubigkeit und
Schwäche einer unterdrückten Nation spottete, indem
es von ihr die Bestätigung des Besitzes der Provinzen
verlangte, die es ihr mit Gewalt genommen hatte und
ihr die überflüssige Garantie der übriggebliebenen
Ruinen ihres großen Staates anbot, von welcher man
voraussah, daß sie ebensowenig würde gehalten wer-
den, als diejenige, die auf die erste Teilung folgte.
Bei allen diesen Unternehmungen bleibt man unent-
schieden, ob man seinen Unwillen mehr gegen Stanis-
law August, oder mehr gegen die Höfe zu Petersburg
und Berlin wenden soll.
Im Jahre 1794 wollte Thadeus Koscziusko^) die
1) Wie Paul I. oft mit Undank belohnt wurde, so geschah es auch
von Koscziusko. Der Kaiser gab ihm die Freiheit und machte ihm
ansehnliche Geschenke. Er schien gerührt zu sein und bat um die
Erlaubnis, nach Amerika gehen zu dürfen. Paul gab sie ihm, aber
Koscziusko hielt nicht Wort. Doch da er sonst ein sehr braver
Mann war, so kann man ihn entschuldigen. Heißer Patriotismus
verleitete ihn, undankbar zu werden. Krank und krüppelhaft, wie
er war, ging er nach Sachsen und Frankreich, wo er die unzufriedenen
Polen um sich versammelte und noch eine Revolution wagen
wollte, die nicht zustande kommen konnte. H. Tadeusz K., geb.
12. Februar 1746. Paul I. gab nach dem Tode Katharinas im Jahre
1796 Kosziuszko die Freiheit wieder, unter der Bedingung, daß er
nach Amerika auswandere. Dies tat Kosziuszko im Jahre i797-
Ein Jahr später kehrte er als Gesandter des Kongresses nach Frank-
reich zurück, hielt aber sein dem Kaiser Paul gegebenes Wort, nicht
gegen Rußland zu kämpfen, weder damals und noch später {1806).
Er starb am 15. Oktober 1817 in Vevey und wurde auf Kosten
Alexanders I. im Dom zu Krakau beigesetzt.
75- Stanislaw August Poniatowsky. 325
Trümmer der Freiheit retten. Aber er hatte nur per-
sönlichen Mut und Willen; ihm fehlte Unterstützung.
Er und Madalynski^) sammelten einige Truppen und
schlugen siebentausend Russen.
General Igelström ließ in Warschau einige dem
Interesse Rußlands verdächtige Personen arretieren.
Dieser Umstand und das Benehmen des Grafen Va-
lerian Subow bewirkten einen Aufstand, der in War-
schau ausbrach. Viele der von Rußland erkauften Lan-
desverräter, wohl auch Unschuldige mitunter, wurden
aufgeknüpft.
Koscziusko verstärkte seine Armee, so gut er konnte.
Stanislaw August, dessen Schulden bezahlt werden
sollten, vermehrte den Unmut seiner Landsleute, in-
dem er immer zum Vorteil des russischen Hofs unter-
handelte. Rußland und Preußen schickten nun ihre
besten Truppen gegen die Insurgenten, wie man die
patriotischen Polen nannte.
Koscziusko fiel und wurde gefangen nach Peters-
burg gebracht.
Suwarow tat sich nun durch die Einnah meVonPraga,
eines abgesonderten Teils der Stadt Warschau, her-
vor. Die Blutbäder, die er dort veranstaltete, über-
steigen alle Vorstellung.
Aberglaube und Unglaube grenzen in ihren rasenden
Ausbrüchen so oft aufeinander. — Suwarow, 2) dieser
abergläubige Unchrist, konnte keine Mücke töten sehen
und ließ ohne Bedenken Tausende von Menschen über
^) Madalynski entfloh bei dem Falle seines Vaterlandes wenn
wir nicht irren nach Frankreich. H.
^) Wer kennt den unmenschlichen Suwarow nicht, der im Anfange
dieses Jahrhunderts oder am Ende des vorigen als Feldmarschall
starb. Ihm zu Ehren ist von Paul I. auf dem Marsfelse ein Stand-
bild errichtet. H. Fürst Italijskij Alexander Suwörow-Rym-
nikskij (geb. 1729) erstürmte 1768 Krakau. Er starb am 18. Mai 1800.
Sein Standbild wurde von Kaiser Alexander I. errichtet.
326 75- Stanislaw August Poniatowsky.
die Klinge springen. Die Zahl der wehrlosen Einwohner
in Praga, die er ruhig ermorden ließ, gibt man in einiger
Unbestimmtheit auf achtzehntausend an.
Das Ende von dem allen war die völhge Vernichtung
der bisherigen politischen Existenz Polens.
Die Höfe zu Petersburg Wien und Berlin teilten den
Rest des unglücklichen Landes.
Stanislaw August hörte nun auf zu regieren, was er
auch eigentlich nur immer bloß dem Namen nach getan
hatte. Am 25. November 1795 entsagte er dem pol-
nischen Throne^),
Er mußte in Grodno bleiben, wo er so gut als unter
den Befehlen des russischen Generalgouverneurs
Fürsten Repnin stand, und also bloß ein Titulatur-
König in partibus infidelium heißen konnte. — Seine
Schulden beliefen sich auf drei Millionen Dukaten und
man machte Anstalt, sie zu bezahlen. Zu seinem Unter-
halte gab man ihm eine Pension von zweimal hundert-
tausend Dukaten, deren Auszahlung in fünf Teile ab-
gesondert war, von denen Rußland drei, Österreich und
Preußen je einen bezahlten. In dieser Lage blieb der
Exkönig bis zum Tode Katharinas IL
Dann rief ihn Paul I. nach Petersburg^) und aus
Prahlsucht, die allerdings ein erheblicher Fehler dieses
Monarchen war, ließ er den unglücklichen Stanislaw
August oft den Glanz des russischen Hofs vermehren
'^) Die Insignien der königlichen Würde von Polen wiurden, soviel
uns bekannt ist, ehemals in Krakau verwahrt. Wo sind sie aber bei
Vernichtung des Königtums hingekommen? Nach Berlin und
Petersburg wohl nicht, wenigstens ist nie davon etwas bekannt
geworden. Sollten sie in Wien sein? In eine Polterkammer kann
man sie doch nicht geworfen haben. Wäre es nicht jetzt der Zeit-
punkt, sie herbeibringen zu lassen? In Dresden verwahrt man das
Zepter und die Kronen, die Friedrich August II. und Maria Josepha
trugen. Sie gehören aber dem Hause Sachsen. H.
^) Als König wohnte Poniatowski im Marmorpalast. Hier starb
er auch. H.
( C R.\y ^ o\' y i)M o w = ]\ i >i x i k .s r y
( /( //i />//
/////■ • /////.; ' -^/ ///.!/. h// ^
I, . ^ (
-■' y^ A////f/r.-fr //////
75- Stanislaw August Poniatowsky . 327
helfen, zeigte ihm aber doch, wie er eigentlich immer
tat, viel Gutmütigkeit und Freundschaft. Mehr zu tun,
oder ihm seinen großen Verlust ganz oder zum Teil
wieder zu ersetzen, dazu hatte der Kaiser nicht Macht
genug, und ihm das wieder zu geben, was Rußland von
Polen abgerissen hatte, erlaubte ihm die Staatsklug-
heit nicht.
Stanislaw August führte hier in gewisser Art ein
ziemlich glückliches Leben. Paul ließ ihm alle seinem
hohen Range gebührende Ehrfurcht bezeugen. Der
König ging oft nach Hofe und der Kaiser, die Kaiserin
und die kaiserliche Famihe gingen oft zu ihm. Außer-
dem zog Stanislaw August die Großen des Reichs und
seine Lieblingsgesellschaft, die Gelehrten, an seine
Tafel. Er führte dieses Leben nicht lange. Spasmatische
Zufälle, die er von jeher gehabt hatte, erschlafften seine
Nerven und erschöpften seine Lebenskräfte ganz. Er
starb schon am 12. Februar 1798 imd wurde in der ka-
tholischen Kirche begraben, wo Paul I. seinem Freunde
eine merkwürdige Grabschrift setzen ließ.
Verheiratet war Stanislaw August nie. So viel wir
wissen, hatte man nur zweimal das Projekt, ihn zu ver-
mählen. Erstlich : mit der Kaiserin Katharina IL von
Rußland; und \virldich war schon einmal im Konseil
dieser Monarchin, wir glauben im Jahre 1766, die Rede
so sehr davon, daß Gregor Orlow sich schon die fürch-
terlichsten Drohungen gegen den König erlaubte.
Zweitens: mit der Prinzessin Kunigunde von Sachsen
und Polen. Dieser Vorschlag soll jedoch nie zur Aus-
führung gekommen sein.
Stanislaw August Poniatowski war nach dem
Geständnis aller, die ihm in den blühenden Tagen seiner
reifern Jugend nahe gewesen waren, einer der schön-
sten Männer seiner Zeit. Er war sehr gut gewachsen
328 75- Stanislaw August Poniatowsky.
und groß, hatte aber nicht die kolossale Gestalt Po-
temkins und der Orlows. Sein Ansehen war imponie-
rend, sein Blick der Ausdruck der höchsten Annehm-
lichkeit. Er besaß die liebenswürdigsten und interessan-
testen Eigenschaften eines Privatmannes, aber keine,
die ihn des Thrones würdig machte. Polnisch, Latei-
nisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und
Russisch sprach und schrieb er mit einer Leichtig-
keit, Vollkommenheit und Eleganz ohnegleichen. Für
wahre Geschäfte hatte er nicht den eigentlichen Geist.
Seine Beredsamkeit, das große Talent seiner meisten
Landsleute, war bloß eine Phraseologie, durch welche
kein Mann, der ihren Wert zu bestimmen wußte, ge-
täuscht wurde. In seinem Charakter scheint er sich
selbst mißverstanden zu haben Schwäche hielt er für
Sanftmütigkeit; Verschwendung für Großmut; Stolz
für Ehrgeiz; die Gabe, den großen Haufen durch seine
glänzenden Eigenschaften zu blenden, für Geschick-
lichkeit, Geschäftsmänner zu überzeugen.
Alle diese vereinigten Mißverständnisse machten,
daß er sehr für sich eingenommen war; ein Umstand,
wodurch seine Fehler noch vergrößert wurden.
Aber unter diesen allen war seine Schwäche der
größte. Sie, die unstreitig der tadelnswürdigste Fehler
eines Regenten ist, wurde durch seine natürliche, wirk-
lich ausgezeichnete Herzensgüte nicht gemildert, und
machte oft unschuldigerweise seinen Charakter ver-
dächtig, wenn er es auch eigentlich nicht war.
Stanislaw August zeigte sehr oft gute Gesinnungen
für sein Vaterland, aber eben seine Schwäche machten
seine besten Anschläge immer wanken und fallen, und
gab seinen Handlungen zuweilen den schwärzesten
Anstrich.
Viele seiner Feinde haben versichern wollen, er habe
75- Stanislaw August Poniatowsky. 329
in manchen kritischen Vorfällen seines Lebens wenig
persönlichen Mut gezeigt, allein, um diesen schänd-
lichen Vorwurf zu behaupten, fehlt es wohl ganz an
Beweisen.
Niemals sprach man wohl mit einem Monarchen in
so freimütigen, oder vielmehr ungebührlichen Aus-
drücken, als mit Stanislaw August.
Es ist bekannt und mehrmals gesagt, daß einst eine
Dame, als die Rede von des Königs angenehmen, ge-
sellschaftlichen Talenten war, zu ihm sagte: ,,I1 faut
avouer, Sire, que Vous etes le particulier le plus aima-
ble, mais aussi" und hierbei zuckte sie mitleidig die
Achseln, „le Roi le plus insupportable, qu'on puisse
trouver."
Während der Streitigkeiten über die Dissidenten im
Jahre 1766 sagte der Bischof von Kiew bei öffentHcher
Versammlung des Hofs zu ihm: ,,Autrefois, je priais
Dieu pour Votre prosp6rite; aujourdhui je le prie,
pour que le diable Vous empörte."
Was würde der Mann gesagt oder getan haben, wenn
er im Jahre 1795 gelebt hätte.
Bei Gelegenheit des Beitritts des Königs zur Targo-
wiczer Konföderation schrieb ihm Fehx Potocki unter
andern : ,,L'accession de Votre Majeste n'est que forcee,
et ce n'est que la bonne volonte de Tlmperatrice, qui
vous a empeche, Sire, de ne pas faire, ce que Votre
mauvaise volonte Vous dicte."
Höchst schimpflich war es, daß Stanislaw August
diesen Brief der Kaiserin schickte und seinen eigenen
Untertan bei ihr verklagte.
Nicht lange nachher, nach der zweiten Teilung pol-
nischer Provinzen, erschien eine Schmähschrift, worin
alle diejenigen Polen aufgeführt wurden, die zum Un-
glück ihres Vaterlandes beigetragen hatten. Es war
330 7Ö- Iwan Yelagtn.
ein vorgeblicher Bücher-Catalogus, der an allen Ecken
der Straßen, am Schlosse und sogar an den könighchen
Zimmern angeschlagen war. Er enthielt achtund-
zwanzig Bücher, und der eigenthche Titel des Verzeich-
nisses war: ,,Catalogue des livres, qu'on trouve chez
Groll, libraire de Sa Majeste Polonoise." Diejenigen
zwei Bücher, die vom König handelten, waren: ,,Deux
traites sur les devoirs des Rois, compares avec les
actions des trois Boleslas, des Jagelions, d'Etienne
Bathory et de Jean Sobieski; ouvrage immortel de
Stanislas Auguste Poniatowski, Roi des Pologne." Daß
man die Zahl Zwei gewählt hatte, war eine Anspielung
auf die Traktaten der zwei Teilungen Polens, die Sta-
nislaw August geschlossen und unterzeichnet hatte.
Das zweite Buch hieß : ,,Moyen aise de payer ses dettes
par le meme"; eine Satire, die plumper war als die
erste.
Es ist höchst traurig, wenn ein Fürst das Unglück
hat, so bittre Vorwürfe anhören zu müssen, denen er
keine andre Rechtfertigung, als Schwäche seines Cha-
rakters, die so oft die Quelle der ungeheuersten Un-
glücksfälle gewesen ist, entgegenstellen kann. Der
wahre Menschenfreund wird indes immer am Grab
eines solchen Regenten dessen Andenken innigst be-
trauern.
76. Iwan Yelagin.
Iwan Yelagin, ein Russe von ganz gemeiner Ab-
kunft, war Schreiber in der Expedition der von der
Kaiserin Elisabeth errichteten Leibkompagnie ; eine
Stelle, die ihm keinen Rang gab.
Da er in seinem Amte wenig Geschäfte hatte, so
76. Iwan Yelagtn. 33 1
wendete er seine Zeit dazu an, seine allerdings großen
Fähigkeiten durch Wissenschaften auszubilden. Er
lernte vorzüglich Französisch und Deutsch und erwarb
sich viel nützliche und angenehme Kenntnisse in der
neuesten Literatur, mit derem Geiste er in allen Folge-
jahren immer fortging.
Durch Zufall bekam er Gelegenheit, mit Hofleuten
in den niedern Klassen bekannt zu werden und schon
dadurch einige für ihn nicht unbedeutende Vorteile zu
erlangen.
Endlich heiratete er eine Kammer] ungf er der Kai-
serin Elisabeth und machte dadurch sein Glück. Yela-
gin kam nun zu Ehrenstellen und durch Recht und,
wie man sagt, auch durch Unrecht, erwarb er sich
Reichtümer und sogar ansehnliche Besitzungen.
In den letzten Jahren der Elisabeth wurde Yelagin
auf seine Güter bei Kasan verwiesen, weil er bei der
geheimen Verbindung der Großfürstin Katharina mit
dem Grafen Poniatowski Vermittler gewesen war, und
als solcher die geheimen Zusammenkünfte beider Per-
sonen in seinem Hause gestattet hatte.
Peter HI. kannte die Ursache von Yelagins Bestra-
fung und ließ ihn deswegen nicht wieder zurückkom-
men.
Aber Katharina IL erinnerte sich der Dienste, die er
ihr geleistet hatte, und rief ihn aus der Verbannung zu-
rück an den Hof. Er wurde sogleich Geheimer Sekretär
der Kaiserin, ihr täglicher Gesellschafter, wenn sie eine
wissenschaftliche Unterhaltung haben wollte, und ihr
Gehilfe in literarischen Arbeiten.
Unter der Regierung dieser Monarchin erhielt er
Reichtümer und ansehnliche Ehrenstellen. Unter an-
dern ward er Kaiserlicher Oberhofmeister.
Im Jahre 1786 war man am Hofe, wir wissen nicht
332 77- Dietrich Osterwald.
aus welcher Ursache, unzufrieden mit Yelagin und
legte es ihm so nahe, daß er seinen Abschied verlangen
mußte. Man gab die Oberhofmeisterstelle an Bes-
borodko, der dadurch, ohne andern vorzuschreiten, den
Rang eines Wirklichen Geheimen Rats erhalten konnte.
Yelagin starb im Anfange der neunziger Jahre.
Er wurde Oberhofmeister des Kaiserhchen Hof-
staates, Senator und Ritter des weißen Adler- und
Alexander-Newsky-Ordens.
77. Dietrich Osterwald.
Die Wahl der Erzieher der Thronfolger soUte eine
Hauptsorge der Regenten sein. In den Händen eines
solchen Mannes liegt zum Teil das Wohl der Nachwelt
— oft aber wird diese Pflicht der Fürsten aus klein-
licher Politik vernachlässigt, Sie glauben durch eine
weniger sorgfältige Erziehung ihrer Thronfolger zu be-
wirken, daß ihre Regierung, verghchen mit der künf-
tigen, auffallender hervorsteche.
Dietrich Osterwald, von bürgerhchen Eltern ohne
Ansehen in Petersburg geboren, erhielt im Kadetten-
korps eine gute aber ganz gewöhnliche Erziehung.
Nachdem diese vollendet war, wurde er erst Assessor
im Kommerzkollegium und dann Offizier im Kadetten-
korps. In der Folge wurde er zum Lehrer des Groß-
fürsten Paul erwählt. Er unterrichtete diesen Prinzen
in der Geschichte, in der Erdbeschreibung, in der russi-
schen und in der deutschen Sprache. Nach vollendeter
Erziehung des Thronfolgers kam Osterwald in den
Senat.
Er starb im Jahre 1794.
7^- -^tt'«« Betzkoy. 333
Damals war Osterwald Wirklicher Geheimer Rat,
Senator und Ritter des Alexander-Newsky- und Annen-
Ordens.
Osterwald war ein sehr guter und rechtschaffener
Mann, hatte aber wenigstens nur einen ganz gewöhn-
lichen Verstand und bei weitem nicht die Kenntnisse
und den Charakter, den der Erzieher eines Throneiben
von Rußland haben muß.
Osterwaids Gemahlin war eine geborne von Saß,
Hoffräulein der Kaiserin. Sie war sehr schön gewesen
und hatte viel häusliche Verdienste. Aus dieser Ehe
sind keine Kinder gekommen.
78. Iwan Betzkoy.
Iwan Betzkoy, ein Bastard des Generalfeldmar-
schalls Knes Iwan Jurgewitzsch Trubetzkoy,^) wurde
von einer Schwedin im Jahre 1702 in Stockholm, wo
sich sein Vater als Gefangener aufhielt, geboren. Der
FeldmarschaU, der diesem unehelichen Sohne seinen
Familiennamen mit Hinweglassung^) der ersten Silbe
••) Knes Iwan Jurgewitzsch Trubetzkoy, ein verdienstvoller
General, dem Peter I. von jeher das größte Vertrauen gezeigt hatte.
Als Kapitän der Garde hatte er sogar die Wache bei der in Arrest
gesetzten Halbschwester des Monarchen, der Prinzessin Sophia
Alexjewna (s. Crusenstolpe I, S. 15). Er erhielt sich in allen folgen-
den Regierungen in mittelmäßigem Kredit und starb im Jahre 1751
als Feldmarschall, aber entfernt vom Hofe, in seinem 82. Lebens-
jahre. H.
^) Es gibt in Rußland viele Personen, deren Familiennamen
Verkürzungen, Verdrehungen oder Umwendungen wirklicher
Familiennamen sind: als Lizin von Golizin, Vieting von Vietinghof,
Ronzow von Woronzow, Lot von Toll, Nekas von Sacken. Andere
geben ihren Bastarden Namen von ihren eigenen Beinamen oder
von ihren Gütern, als: Tschesmenskoy von Orlow Tschesmenskoy,
Muromskoy von Murom, einem Gute der Grafen Tschernitschew.
334 7^- ■?^«'«w Betzkoy.
Tru gab, ließ denselben sehr gut erziehen, in Künsten
und Wissenschaften, besonders aber in Sprachen unter-
richten und auf Reisen gehen.
Er wurde anfänglich Soldat, aber auch sehr bald in
Zivilgeschäften angestellt.
Bei der Inquisition der Staatsgefangenen im Jahre
1742 führte Betzkoy das Protokoll. Nach und nach
erhielt er Ehrenstellen bei Hofe, und in Militär-
diensten stieg er bis zum Posten eines Generalleut-
nants.
Er verließ diese Laufbahn, um sich bloß den Zivil-
geschäften des Staats zu widmen.
Rußland verdankt ihm viel gute und prächtige
öffentliche Anstalten; doch behaupten Männer von
Einsichten, daß er in der ursprünglichen Verfassung
derselben große Fehler begangen habe. Von ihm rühren
hauptsächlich die Einrichtungen des Fräuleinstiftes in
Petersburg, des dasigen Findelhauses, der dortigen
Leihbank, des Findelhauses in Moskau und des Heb-
ammeninstituts daselbst her. Indessen ist nicht zu
leugnen, daß vor ihm, mit ihm und nach ihm die Ideen
andrer viel zu diesen vortrefflichen Anstalten beige-
tragen haben. Alle diese Institute, die durch ihren
Innern Wert so nützlich sind, tragen durch ihre pracht-
vollen Gebäude zur Verschönerung der beiden Haupt-
städte des Reichs viel bei.
Diese war ihm überhaupt, wenigstens in Petersburg,
größtenteils übertragen. Unter seiner Leitung entstan-
den unter andern die kostbaren Einfassungen der Newa
und die der Fontanka und des Katharinenkanals mit
ihren Brücken von Granit ; desgleichen auch die Errich-
tung des berühmten Denkmals Peters I.
Der Umfang der Geschäfte, die Betzkoy hatte, war
von einer außerordentlichen Weitläufigkeit und man
'j8. Iwan Betzkoy. 335
kann wirklich sagen, daß die Fähigkeiten und Kräfte
eines Mannes, wenn er nicht talentvolle Gehilfen^) hat,
zur genauen Besorgung derselben nicht hinreichend
sind.
Ehemals war Betzkoy Direktor des Landkadetten-
korps, und was sehr sonderbar dazu paßt, des Fräulein-
stifts in Petersburg gewesen; desgleichen auch Direk-
tor des dortigen Findelhauses und der allgemeinen
Leihbank daselbst.
Man nahm ihm diese Geschäfte ab, weil er zu alt und
schwach wurde, um sie länger besorgen zu können.
Aber auch die Beschäftigungen, die er noch behielt,
waren zu beschwerlich für seine physischen Kräfte, die
sich durch die äußerste Hinfälligkeit ganz ihrer Auf-
lösung näherten.
Er blieb noch erster Chef des Baukontors und erster
der kaiserlichen Gärten, 2) Präsident der Akademie der
Künste und erster Kurator des Findelhauses in Mos-
kau. Dem Range nach war er Wirklicher Geheimer Rat,
Wirklicher Kammerherr, Ritter des Andreas- und
Alexander-Newsky-Ordens, Kommandeur der ersten
Klasse des Wladimir- Ordens und Ritter des Annen-
Ordens.
Betzkoy starb endlich in Petersburg im Jahre 1795.
Personen, die ihn in den schönen Tagen seines Herb-
stes gekannt hatten und ihn beurteilen konnten, ver-
^) Er hatte unter anderm beim Bauwesen einen sehr tätigen
Gehilfen an dem Knes Putjatine, von welchem schon in diesem
Buche die Rede gewesen ist. H.
^) Betzkoy realisierte die hängenden Gärten von Babylon, die
vielleicht nur ein Märchen oder doch nichts weiter als Gärten auf
Hügeln angelegt waren. Allein die schwebenden Gärten in Peters-
burg stehen im zweiten Stockwerk und sind durch ihre hohen und
dickbelaubten Bäume sehr schattenreich. Betzkoy legte auch den
Wintergarten in der Eremitage an, der aber eigentlich nur ein
Gewächshaus genannt werden sollte. H.
336 iS. Iwan Betzhoy.
sicherten, daß er ein Kopf von mittelmäßigem Ver-
stand und nicht ganz richtiger Beurteilungskraft war,
dem man aber große und ausgebreitete Kenntnisse
mancher Art nicht absprechen konnte.
Er hatte erhabene und für die Menschheit segens-
volle Ideen, die er besonders durch die alles über-
treffende Großmut der Kaiserin Katharina II. leicht
ausführen konnte, wie wir aus der Gründung und Ver-
besserung so mancher vortrefflicher Anstalten gesehen
haben. Allein es ist auch wahr, daß zuweilen dabei
Fehler vorfielen, die so ungeschickt sind, daß sie un-
glaublich scheinen, und die, wenn sie auch nicht von
ihm herrührten, doch durch den scharfen Überbhck
eines Chefs gerügt und abgeändert werden mußten.
So wurden zum Beispiel in dem Hebammeninstitut zu
Moskau unverheiratete Frauen aufgenommen, die sich
zu Hebammen bilden sollten.
Übrigens hatte er tiefe ästhetische Kenntnisse, und
eine große Vollkommenheit, sich in den vornehmsten
lebenden Sprachen mündlich und schriftlich auszu-
drücken. Außer seiner Muttersprache redete er Fran-
zösisch, Deutsch, Itahenisch undEngHsch. Am hebsten
und geläufigsten sprach er Deutsch, und dabei auch
mit solcher Genauigkeit, als es in Deutschland selbst
nur in Gesellschaften vom besten Ton gesprochen
wird.
Mit solchen Hilfsmitteln ward es ihm leicht, in allen
Fächern, die in seine Beschäftigungen einschlugen, die
besten und zweckmäßigsten Schriften zu lesen. Von
allem, was er gelesen hatte, sprach er noch am Abende
seines Lebens sehr gut und man konnte daraus schlie-
ßen, daß er diese Annehmlichkeit in der Unterredung
von jeher gehabt hatte. Er sprach aber immer mit einer
Art von Wohlgefallen, die diejenigen, der dieses lie-
75. Iwan Betzkoy. 337
benswürdige Talent der einseitigen Unterhaltung miß-
braucht, leicht in den Ruf eines Schwätzers bringen
kann.
In Anekdoten über die Beherrscher und Höflinge
Rußlands, besonders aber aus dem Zeitalter Peters I.,
den er sehr genau gekannt hatte, war er unerschöpfhch,
und teilte sie mit edler Freimütigkeit, aber immer mit
großer Vorsicht und Bescheidenheit mit.
Die Hauptzüge seines Charakters waren Treue,
Rechtschaffenheit und Menschenliebe.^)
Die verschwenderische Freigebigkeit Katharinas IL,
von der man in den unermeßlichen Gefilden der Ge-
schichte kein ähnliches Beispiel findet, und die Freund-
schaft der Orlows, hatten Betzkoy in den Stand ge-
^) Zu Betzkois Tugenden scheint Uneigennützigkeit nicht gezählt
zu haben, wie aus den Denkwürdigkeiten der Fürstin Daschkow
zu ersehen ist. Sie schreibt: ,,Am vierten Tag nach der Revolution
verlangte Herr Betzkoi eine Audienz, die ihm auch gewährt wurde.
Zufällig war ich mit Ihrer Majestät ganz allein im Zimmer, als er
eintrat. Er warf sich zu unserem großen Erstaunen auf die Knie
und beschwor die Kaiserin, doch zu gestehen, wessen Einfluß sie
ihre Thronbesteigung verdanke. — ,Dem allmächtigen Gott,' er-
widerte sie, ,und der Wahl meiner Untertanen!' — ,Dann', rief er
verzweifelt aus, ,darf ich auch nicht länger dieses Ehrenzeichen
tragen,' und dabei wollte er sich das Band des hl. Alexander-Ordens
abreißen. Aber die Kaiserin hielt ihn davon ab und fragte, was er
denn eigentlich meine. ,Ich bin der unglücklichste Mensch auf der
Welt,' sagte er, ,wenn eure Majestät nicht in mir die einzige Person
anerkennt, der Sie Ihre Krone verdanken. Habe ich nicht die
Garden dazu aufgereizt? Habe ich nicht Geld unters Volk ver-
teilt?' Wir glaubten beide, er sei verrückt geworden und fingen
schon an, uns über seinen Zustand zu beunruhigen, als die Kaiserin
mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit ein Mittel ersann, um uns seiner
auf kluge Weise zu entledigen, zugleich aber auch seine Eitelkeit
aufs höchste zu befriedigen." — Katharina übertrug ihm die An-
fertigung ihrer Krone und stellte die Juweliere des Reiches unter
seine Oberaufsicht, worauf er sich beglückt zurückzog. Es ist wohl
unnötig, hinzuzufügen, wie herzlich wir über diesen Vorfall lachten,
der ebenso charakteristisch für die Gewandtheit imd Klugheit der
Kaiserin war als für Betzkois Einfältigkeit." (Erinnerungen der
Kaiserin Katharina II. Stuttgart 1907, S. 328.)
Russische Günstlinge. 22
338 t8. Iwan Betzkoy.
setzt, sehr große Reichtümer^) zu sammeln. Er hinter-
ließ sie Personen, die sich um ihn verdient gemacht
hatten. Den größten Teil derselben erhielten die he-
benswürdigen und durch ihre Mutter vortrefflich er-
zogenen Töchter des Admirals Ribas.
Verheiratet war Betzkoy nie gewesen; aber unter
andern Verbindungen mit merkwürdigen Frauen hatte
er auch eine mit der Fürstin von Anhalt-Zerbst, der
Mutter Katharinas IL, mit welcher er nach dem Tode
ihres Gemahls in Paris lebte. 2)
In Ansehung der Bastarde ist man wohl in keinem
Lande so vernünftig tolerant als in Rußland. Die Prin-
zessin von Hessen-Homburg 2), eine ehehche Tochter
^) Unter andern hatte er drei sehr schöne Häuser in Petersburg,
am Ufer der Newa. Zwei stehen nebeneinander und sind in ihrem
Innern zusammen verbunden. Hier wohnte und starb Betzkoy.
Man sieht daselbst den schönsten hängenden Garten, den man sich
denken kann. Das dritte, nahe am kaiserlichen Sommergarten,
zeichnet sich durch seine originelle Bauart aus. Es hat Eigenheiten,
die man nirgends findet. Zum Beispiel eine Treppe, ganz von ge-
gossenem Eisen, eine Sache, die in Feuersgefahr wohl sehr gefährlich
sein kann. Ferner einen weitläufigen schwebenden Garten von
sonderbarer Einteilung. Da man denselben auf lauter Offizen,
Schuppen und Ställen angelegt hat, so ist, weil der Garten viele und
kleine symmetrische Gänge hat, der Hof ganz verbaut und vielleicht
unbequem gemacht worden. Im ganzen genommen ist es ein sehr
schönes und für den herrschaftlichen Bewohner gut eingeteilte? Haus.
2) Die Erbin Betzkois war seine Tochter. Belbassoff spricht von
dieser unehelichen Tochter Betzkois, Anastowja Iwanowa Ssokolow,
die KammerjuDgfer der Kaiserin Katharina IL, später die Gattin
O. M. Ribas war.
^) Als diese Dame den Prinzen von Hessen- Hombtirg heiratete,
war sie die Witwe des Molduanischen Fürsten Cantemir, von dem
sie eine Tochter hatte, die sich mit dem Fürsten Golizin, Ambassa-
deur in Wien, vermählte. — Die Prinzessin von Hessen- Homburg
war eine vertraute Freundin der Kaiserin Elisabeth, die ihr am Tage-
nach der Revolution den Katharinenorden umhing, den sie in jener
schrecklichen, bedeutungsvollen Nacht getragen hatte. Man sieht
dieses Ordensband noch in der Akademie der Künste, wo es in einer
Urne verwahrt wird, in welche die Prinzessin von Homburg es selbst
gelegt hat. Diese Dame starb im Jahre 1755 und liegt in der alten
79- ^ibas. 339
des Feldmarschalls Iwan Jurgewitzsch Trubetzkoy,
und folglich eine Halbschwester des Herrn von Betz-
koy, lebte mit ihm ganz öffentlich in inniger schwester-
licher Vertraulichkeit. Sie ließ ihr Bild mit dem sei-
nigen in Kupfer stechen und die Porträts dieses Ge-
schwisterpaares werden in der Akademie der Wissen-
schaften, in dem dortigen Buchladen, noch als Kom-
pagnons verkauft.
79. Ribas.
Ribas war in Neapel geboren. Sein Vater, ein
Schmied, von Geburt ein Spanier, lebte in Barcelona.
Da er nicht sehr glücklich, dabei aber ein unterneh-
mender Kopf war, so ging er im Gefolge des Königs
Don Carlos nach Neapel, wo er einen Platz in der
Kriegskanzlei erhielt.
Sein Sohn, derjenige, von dem wir hier reden, wurde
Offizier, war aber bald genötigt, Neapel zu verlassen.
Er ging nach Livorno, wo damals Alexis Orlow war.
Dieser machte ihn zum Schiffsleutnant und brauchte
ihn so gut er konnte. Ribas half die unglückliche Toch-
ter der Elisabeth hintergehen, und wurde mit der
Nachricht, daß sie in Orlows Händen sei, als Kurier
nach Petersburg geschickt. Hier blieb er, wurde Hof-
meister des jungen Bobrinskoy und führte diesen auf
Reisen. Für diese Dienste wurde er nach und nach
Oberstleutnant, Oberster und Brigadier. Als Oberster
kommandierte er ein Karabinierregiment.
Während der Belagerung von Oczakow machte ihn
Alexander-Newsky-Kirche begraben. Man hat ihr daselbst ein
prächtiges, aber nicht geschmackvolles Grabmal errichtet. Die
Tochter dieser Prinzessin von Hessen- Homburg aus ihrer ersten
Ehe mit dem Gospodar Prina Kantemir war eine Fürstin Galizin.
22*
340 8o. Andreas Tschernifschew.
Potemkin zum Konteradmiral. Bald hernach wurde er
Vizeadmiral und kommandierte die Ruderflotte auf
der Donau.
Ribas starb im Anfang des jetzigen Jahrhunderts.
Damals war er General-Kriegskommissarius, Vize-
admiral, Ritter des Alexander-Newsky- und Georg-
Ordens von der zweiten Klasse und des Matheser-
ordens, den er mit Soritzsch zugleich erhalten hatte.
Man sagt wenig von seinem Verstand und wenig von
seinem Herzen. Ob er alle Fähigkeiten hatte, die in den
so sehr verschiedenen Posten erforderlich waren, die er
bekleidete, ist noch sehr problematisch; aber persön-
liche Tapferkeit konnte man ihm wohl nicht ab-
sprechen.
Er heiratete eine sehr würdige Frau. Sie wurde Ma-
demoiselle Beby genannt und war Kammerdienerin
der Kaiserin. Man behauptete, sie wäre eine Tochtei
des Herrn von Betzkoy.^) So viel ist gewiß, daß man
ihren Ursprung nicht kannte. Sie war eine der klüg-
sten, unterrichteten und vortrefflichsten Frauen an-
ganzen Hofe.
Aus dieser Ehe kamen zwei liebenswürdige Töchter
die durch ihre Grundsätze und Erziehung das Glück
ihrer Männer machen können.
80. Andreas Tschernitschew.
Andreas Tschernitschew, der Sohn eines Bauern von
einem Dorfe des Grafen Tschernitschew, nahm, weil
er keinen Familiennamen hatte, den Namen seines
Herrn an.
^) Siehe Seite 338 Anmerkung 2.
Graf Alexis Orloff
Kupfer von M. Haar
8i. Kischensky. 341
Er wurde als Rekrut nach Petersburg geliefert,
aber der Vorteil einer sehr schönen Gestalt machte,
daß er, anstatt Soldat zu werden, eine Bedientenstelle
bei Hofe erhielt. Er gefiel der Kaiserin Katharina IL,
die ihn zum Kammerbedienten machte. Der damalige
Günstling Orlow fand nötig, ihn zu entfernen.
Tschernitschew erhielt eine Hauptmannsstelle bei
der Armee. In der Folge ließ ihn die Kaiserin wieder
nach Petersburg kommen und immer höher steigen.
Unsre Nachrichten über Tschernitschew gehen nur
bis zum Jahre 1796. Damals war er Generalmajor und
Kommandant der Festung in Petersburg, i)
81. Kischensky.
Zu den sonderbarsten Begebenheiten der Regierung
Katharinas II. gehört unstreitig die Auswanderung der
Kalmücken im Jahre 1770.
Dieses auffallende Ereignis war für die Ruhmlust
dieser Monarchin desto kränkender, da es durch die
niedrigste, boshafteste und unbegrenzteste Raubsucht
eines Menschen bewirkt wurde, der aus der Hefe des
Pöbels gekrochen, es nach dem Maßstabe seiner Ge-
burt, seiner Fähigkeiten und seines Charakters für den
Gipfel des irdischen Glücks halten mußte, daß er als
Subalternoffizier eines Feldregiments geduldet wurde.
^) Mit den Brüdern Tschernitschew hat dieser ganz bedeutuug;.-
lose Günstling nur den Namen gemein. Graf Zacharias T. und seine
Brüder gehörten zu ganz wenigen Freunden der jungen Großfürstm
Katharina am Petersburger Hofe. Sie hat der Freundschaft dieser
liebenswürdigen Herren in ihren Memoiren ein Denkmal gesetzt.
Vielleicht hatte die Erinnerung an die Jugend einigen Anteil an
das kurzp Abenteuer mit Andreas T., obgleich sonst Sentimentalität
Katharinas Sache nicht war.
242 "^J. Kischensky.
Kischensky hieß dieser Verworfene. Er war Sous-
leutnant im Astrachanschen Regiment, als er vom
Generalgouverneur der kaukasischen Statthalterschaft
oder vom Kommandanten der Provinz Astrachan den
allerdings unüberlegten Befehl erhielt, die Aufsicht
über die Kalmücken zu übernehmen. Um den ganzen
Umfang der Albernheit des Auftrags besser zu be-
merken, wird es hier nicht am unrechten Orte sein,
über diese Völkerschaft etwas zu sagen.
Die Kalmücken oder Chalmiken sind eine sehr merk-
würdige Abteilung der großen Nation der Mongolen.
Sie nennen sich in ihre Sprache Oelöt. Ihre Vorfahren
waren schon vor einigen hundert Jahren in die russi-
schen Wohnplätze gekommen. Die Nachkommen der-
selben bewohnten vor ihrer Auswanderung im Jahre
1770 die unermeßlichen und fruchtbaren Ebenen
zwischen der Wolga und dem Ural. Damals konnte ihre
Bevölkerung auf fünfundneunzigtausend Kibitken oder
Zelte, jedes zu fünf bis sechs Personen, gerechnet wer-
den. Die Gesichtszüge dieses Volkes, so wie die der
Mongolen und Borjaten,^) weichen auf eine auffallende
Weise von denen der übrigen menschlichen Ge-
schlechtsarten ab. Alle Kalmücken sind Nomaden
und wohnen in Zelten von einer Materie, die dem Filz
gleicht, ungefähr wie derjenige ist^ den man in Rußland
Woilok nennt. Solche Filzzelte sind bei allen noma-
dischen Völkern in Asien gebräuchlich. Die Kalmücken
haben sehr zahlreiche Herden von Hornvieh, Pferden,
Kameelen und Schafen. Die letztern sind von einer
Art, die sich von allen andern durch große Köpfe,
^) Die Familie Borjatinsky, noch jetzt eine der vornehmsten
in Rußland, von der in diesen Blättern schon einiges ist gesagt
worden, beherrschte ehemals dieses Volk, ehe sie (wahrscheinlich
unter Joan Wassiljewitzsch) sich taufen ließ. Von dem Namen des
Volks Burjaten behielt sie ihren Familiennamen Borjatinsky bei.
8i. Kischensky. 343
langhängende Ohren und sehr fette und schwere
Schwänze unterscheidet. Diese nämliche Gattung
Schafe ist die einzige im ganzen asiatischen Orient.
Die Kalmücken sind alle von der Rehgion des Dalai
Lama, die man in verschiedenen Ländern des orienta-
lischen Teils von Asien findet. Die gewöhnlichen
Schriftzüge der Kalmücken und überhaupt der Mon-
golen gleichen denen der syrischen Sprache. Es haben
nämlich einige syrische Mönche als Missionare in
mehreren Ländern von Asien die Kenntnis und den
Gebrauch der Buchstaben verbreitet.
Diese reiche, oder doch wenigstens wohlhabende und
zahlreiche Völkerschaft, lebte unter dem mächtigen
Schutze der Regenten von Rußland und genoß seit
Jahrhunderten ungestört das Recht der Gastfreund-
schaft. Für diese Wohltaten waren den Kalmücken sehr
unbedeutende Verbindlichkeiten auferlegt. Sie hatten
übrigens ihre alte Verfassung beibehalten und befan-
den sich besonders im Jahre 1770 sehr glücklich unter
der Verwaltung eines Khan, der ein alter, verehrungs-
würdiger Mann war, dem wegen seiner Tugenden
Katharina IL mehrere Beweise von Wohlwollen ge-
geben hatte, und der sogar das Porträt der Monarchin
in Brillanten gefaßt, ein Geschenk ihrer Großmut, am
Halse trug.
Dies alles war nötig zu sagen, um das ungeschickte
Benehmen derer in das wahre Licht zu stellen, die es
wagen konnten, ein gutmütiges, ruhiges und eigentlich
furchtsames Volk, das einen braven Fürsten an seiner
Spitze hatte, der Aufsicht eines Leutnants Kischensky
zu übergeben.^)
^) Eine von Helbigs Erklärung abweichende von den Ur=;achen
der Kalmückenauswanderung im Jahre 1771 gibt J. H. Meyer in
seinem Buche: „Briefe über Rußland" (Göttingen 1778/79) im
I. Bd, S, 248.
344 ^^- Kischensky.
Dieser Elende war gleichsam der Hofmeister des
Khan und der Gouverneur der ganzen Völkerschaft.
Er kam nur von Zeit zu Zeit in die Wohnungen der
Kalmücken, aber seine jedesmalige Erscheinung ver-
breitete allgemein Furcht und Schrecken. Sie war das
Signal neuer und immer schwerer aufzubringender Er-
pressungen. Da er den von ihm willkürlich auferlegten
Tribut allemal mit geübter Geschicklichkeit stahl oder
eintrieb und die Kalmücken aus Furchtsamkeit dabei
stets ruhig blieben, so erwarb er sich sogar durch seine
Geschäftsführung die Zufriedenheit seiner nächsten
Vorgesetzten in so hohem Grade, daß er sehr bald
durch alle Stellen hindurch bis zum Oberstleutnant
avancierte. — Kischensky ließ ohne Umstände von
den zahlreichen Herden aller Art diejenigen wegtrei-
ben, die ihm die vorzüglichsten schienen und schrieb
dem Khan die Gattung und den Wert der Geschenke
vor, die er ihm machen mußte. Das alles verwandelte
er in Geld and verschaffte sich dadurch unglaubliche
Reichtümer. Aber den meisten Gewinn machte er
durch die vorgebliche Rekrutenaushebung. Die Kal-
mücken waren derselben nie unterworfen gewesen. Ihre
Obhegenheit in mihtärischer Hinsicht ging nur dahin,
zum Dienst der Kaiserin, wenn es verlangt wurde,
gegen China ein Korps Streiter zu stellen, das nur aus
Männern ihrer Nation bestand, aber freilich immer dem
Oberbefehl eines russischen Generals unterworfen war.
Aber an Rekrutenlieferungen war von selten der russi-
schen Regierung nie gedacht worden. Die Kalmücken,
wie viele russische Völkerschaften, taugten nicht dazu,
untermengt unter disziplinierten Truppen zu dienen.
Ihre Religion, ihre Sitten und Gebräuche und beson-
ders ihr überall fremder, scheuer und furchtsamer Cha-
rakter, welcher dem der Juden noch vor ungefähr fünf-
8i. Kischensky. 345
zehn Jahren glich, paßte nicht für zivihsierte mihtä-
rische Einrichtungen. Dem ungeachtet gab Kischensky
vor, daß er von der Kaiserin Befehl habe, unter den
Kalmücken Rekruten auszuheben. Der Khan sträubte
sich, berief sich auf die sanktionierten Rechte seines
Volks und bat dringend und demütig, aber vergebens.
Alles, was er erlangen konnte, war, daß er die Rekru-
tenaushebung durch ungeheure Geschenke abkaufen
durfte, die Kischensky für sich behielt. Dieser begnügte
sich aber damit nicht, kam bald wieder and verlangte
unter allerlei Vorwand noch mehr. Der Khan, empört
durch die Ungerechtigkeit und Raubsacht des Russen,
machte diesem bittere aber gemäßigte Vorwürfe, Der
Niederträchtige vergaß sich und hatte die Frechheit,
den Khan zu schlagen und seinen ersten Minister
öffentlich prügeln zu lassen. Kischensky erzwang da-
durch die geforderten Erpressungen, die aber auch die
letzten waren.
Der furchtsamste Charakter nimmt oft, wenn er
durch Ungerechtigkeiten auf den höchsten Grad des
Unwillens gebracht wird, einen Schwung von Energie,
die schnell wirkt und ausdauernd ist.
Der Khan versammelte ein Konseil von seinen Mi-
nistern, den Ältesten des Volks und den Priestern ; und
nun eilte man, zweckmäßige Maßregeln zu treffen and
auch sogleich auszuführen, ehe man von Kischensky
übereilt und durch die russischen Truppen zurückge-
halten oder wenigstens gestört werden konnte. End-
lich erschien der entscheidende Augenblick und nun
erlebte man das seltene Beispiel, daß auf einmal eire
ganze Population verloren ging. Fünfundsiebzigtau-
send Kibitken, Zelte, oder wie es eigentlich heißen
sollte, Familien, verließen im Monat Oktober 1770
ihre nomadischen Wohnsitze und suchten neue Wohn-
346 8i. Kischensky.
örter auf chinesischem Boden, wo sie im Monat Mai
1771 ankamen. Sie unterwarfen sich durch eine Depu-
tation dem Kaiser von China, der sie mit Freuden auf-
nahm, und unter dessen wohltätigem und schützendem
Zepter sie noch jetzt ruhig und zufrieden leben.
Der russische Hof reklamierte zwar bald hernach
seine Exantertanen, allein der Kaiser antwortete, die
Kalmücken wären in die Wohnplätze zurückgekehrt,
die ihre Voreltern vor vielen hundert Jahren bewohnt
hätten; er könne nicht so ungerecht sein, Leute, die
ihm Zutrauen zeigten, undankbar zu behandeln oder
sie gar zu vertreiben; die Kaiserin möchte sich nur an
Kischensky halten, der durch sein schändliches Be-
tragen diese Wanderung verursacht hätte.
Aber nun stelle man sich das Erstaunen des Ur-
hebers dieser Begebenheit vor, als er sie zwei Tage
nachher erst erfuhr. Man machte zwar sogleich An-
stalten, die Flüchtigen einzuholen, sie konnten aber
nicht sehr zweckmäßig sein. Damals war der erste
Türkenkrieg in vollem Gange. In der ganzen weitläu-
figen Statthalterschaft hatte man also kaum vier Re-
gimenter Infanterie. Drei von ihnen, welche die näch-
sten waren, wurden eilend nachgeschickt. Sie erreich-
ten die Kalmücken nicht, und da sie bald nachher in un-
übersehbare Steppen kamen, der Gegenden und Wege
unkundig waren und an Proviant Mangel htten, so
wurden auch von ihnen viele aufgeopfert. Sie irrten in
den Wüsteneien umher und die Hälfte von ihnen kam
um.i)
Von der ganzen Völkerschaft blieben nur zwanzig-
tausend Zelte übrig, die von den andern etwas entfernt
und näher an Astrachan gewohnt hatten. Sie gingen
^) Von 169000 Kalmücken erreichten etwa nur 70000 ihr Ziel:
Osttnrkestan aa chinesischen Boden.
82. Saliern. 2>A7
auch von dort weg, blieben aber unter russischer Ober-
herrschaft und bezogen Wohnplätze zwischen der
Wolga und dem Don, wo sie noch jetzt nomadisieren.
Kischensky, dessen strafbares Benehmen der russi-
sche Hof eigentlich, erst durch die Antwort des Kaisers
von China kennen gelernt hatte, fiel nun in Unter-
suchung und wurde einem Kriegsgerichte unterworfen.
Der Räuber wendete einen Teil seiner Beute dazu
an, sich Freunde am Hofe zu verschaffen. Dadurch
erhielt die Sache eine ganz andere Wendung. Hierzu
kam, daß die Kaiserin zum Grundsatz genommen
hatte, alle, die in ihrem Dienste waren, gegen auslän-
dische Beschuldigungen zu schützen, und sie sogar,
wenn sie auch nach dem Urteile der Welt offenbar Un-
recht hatten, noch zu belohnen. Dieser Grundsatz war
vielleicht sehr edel in seiner Entstehung, aber seine
Befolgung ließ zuweilen in dem Verstände der unpar-
teiischen Beurteiler einen nachhaltigen Eindruck zu-
rück. Dies mußte auch hier geschehen, als Kischensky,
anstatt bestraft zu werden, noch mit dem Range eines
Obersten belohnt wurde.
Zum Glück wissen wir von diesem Menschen nichts
weiter, als daß er endlich Generalmajor warde und von
seinem Raube mit Gemächhchkeit und Aufwand lebte.
82. Saliern.
Saliern, ein Holsteiner von Geburt, war der Sohn
eines dasigen Handwerkers.
Sein Verstand war größer als seine Beurteilungskraft.
Da er zufälligerweise eine gute literarische Erziehung
gehabt hatte, so war sein Kopf durch Kenntnisse man-
348 '52. Saliern.
eher Art ausgebildet worden. Sein Dünkel verleitete
ihn, zu glauben, daß er intrigant sein könne. Er war
es aber nicht mehr, als es die russischen Emmissarien
damals gewöhnlich waren. Wenn man zu seiner Dis-
position volle Geldkasten und zweimalhunderttausend
Arme hat, so braucht der Kopf, der ihre Anwendung
bestimmen kann, nicht sehr nachdenkend zu sein.
Kurz, Saliern war nur ein Meister in der plumpen des-
potischen Intrige. Übrigens, sagt man, war seine Mo-
ralität befleckt und seine Sitten waren und blieben
bäurisch.
In Holstein fand Saliern sein Glück nicht. Er bekam
einen unbedeutenden Dienst, der ihn nur kärglich er-
nährte. Wahrscheinlich ist es Verleumdung, daß er ihn
durch bekannt gewordene Beeinträchtigungen ver-
loren habe. So viel ist gewiß, daß er seinen Dienst und
sein Vaterland verließ und sich nach Rußland wen-
dete; ein Reich, das die meisten Holsteiner wegen der
ehemals schon bestandenen und künftig wieder zu er-
wartenden, Vereinigung unter einem Zepter, als ihr
zweites Vaterland und als einen Zufluchtsort betrach-
teten.
Saliern wurde schon unter der Regierung der Kai-
serin Elisabeth im Reichskollegium der auswärtigen
Angelegenheiten angestellt. Hier zeigte er nicht ge-
meine Fähigkeiten, und kam bald auf Plätze, die ihm
eine sehr vorteilhafte Aussicht eröffneten. Bisher war
er nicht mehr als jeder Schreiber bemerkt worden, so-
bald er aber Titel und ansehnliche Geschäftsstellen be-
kam, machte er sich selbst bekannt. Sein Name klang
ihm nun zu gemein. Er nannte sich von nun an Sal-
dern und gab vor, von der bekannten altadehgen Fa-
milie von Saldern im Preußischen abzustammen.
Diesei» Geschlecht, zu welchem der ehemalige Gouver-
82. Saliern. 349
neur von Magdeburg, General Saldern, gehörte, machte
zwar gegen diese Anmaßung die gehörigen Einwen-
dungen, allein der neue Saldern achtete darauf nicht,
und die Familie ließ die Sache ruhen, zumal das ich
dieser Emporkömmling in einem Range zeigte, der ge-
wiß sehr ehrenvoll war.
Saldern tat sich besonders unter der Regierung der
Kaiserin Katharina IL durch große Brauchbarkeit
hervor, aber er hatte auch das Talent, das, was er
wußte, geltend zu machen. Die Kaiserin, die schon seit
langer Zeit dem dänischen Hofe nicht günstig war, und
ihn immer zu demütigen suchte, ernannte am Ende der
sechziger Jahre den Herrn von Saldern zam Gesandten
nach Kopenhagen. Der König von Dänemark hat oft
vom russischen Hofe unter Katharina iL Kränkungen
empfinden müssen, aber keine waren so heftig, als die-
jenigen, die er durch Salderr erfahren mußte. Das Be-
nehmen dieses Mannes entsprach ganz seinem Ur-
sprünge. Er betrug sich mit einer Arroganz, die em-
pörend war, ließ sich von den geheimsten Staatssachen
unterrichten und mischte sich sogar in die häuslichen
Angelegenheiten des Hofs. Die Klagen über ihn wur-
den laut und machten seinen Rappel notwendig, wenn
nicht eine Störung in den Verhältnissen zwischen
Dänemark und Rußland erfolgen sollte.
Saldern hätte nach seiner Rückkehr nach Peters-
burg bestraft werden sollen, und wurde — belohnt. Es
währte nicht lange, so bekam er neue Aufträge im
Auslande.
Polen wurde schon damals als eine russische Provinz
behandelt. Um diejenigen dieser Nation, die noch eini-
ges Ehrgefühl hatten und sich daher nicht gutwiüig
nach dem Willen der Monarchin Rußlands fügen woll-
ten, im Zarm zu halten, mußte ein Botschafter nach
350 82. Saliern.
Warschau geschickt werden, der Energie mit Klugheit
verband. Man wählte Saldern.
Seine Instruktion, als er im Jahre 1771 abreiste,
ging dahin, daß er außer jenem Geschäfte sich be-
streben sollte, den König nie aus der immerwährenden
Vormundschaft zu lassen, die schwankenden Personen
zu leiten und überhaupt die Gemüter unter dem
alleinigen Einflüsse des russischen Hofs zu vereinigen.
Saldern, dem dies alles wohl zu weitläufig und zu
fein sein mochte, erdachte einen Plan, dessen Aus-
führung ihm für das Interesse seines Hofs vorteilhafter
schien. So wurde er der Schöpfer eines der schänd-
lichsten Werke, die jemals die Staatskunst ausgebrütet
hat: der ersten Teilung Polens, die dann den zweiten
Raub der Provinzen dieses Landes nach sich zog, und
endlich dessen gänzliche politische Auflösung zur
Folge hatte. Der Kaiserin gefiel die Sache vortrefflich.
Um vor aller Einmischung gesichert und, im Fall der
Notwendigkeit, eines reellen Beistandes gewiß zu sein,
machte Katharina II. den Höfen zu Wien und Berlin
den ersten Vorschlag der Teilung von Polen. Der öster-
reichische Hof nahm den Antrag ohne Bedenken an;
aber der weise Friedrich IL zauderte und willigt.' erst
nach einiger Überlegung ein. Da er doch einmal diesen
Raub, den ihm Rußland und Österreich so nahe
brachte, nicht hindern konnte, so glaubte er mit Recht,
daß es, politischerweise betrachtet, vernünftiger sei,
Teil daran zu nehmen, als zu gestatten, daß zwei
mächtige Nachbarn sich bereicherten, ohne daß er
dabei einen Vorteil haben sollte.
Saldern leitete nun die ganze Sache ein, verlangte
Geld zu Bestechungen und Truppen, und erhielt alles,
was er haben wollte. Indessen konnte er doch nicht
sein Werk vollenden. Er machte sich überall Feinde.
82. Saliern. 35 1
In Warschau wurde er nicht nur durch sein Geschäft,
sondern auch durch sein persönhches, äußerst grobes
Benehmen verhaßt; dem König von Preußen schrieb
er einen insolenten Brief, und in Petersburg, wo er
durch seine Berichte allerdings Blößen gab, kabalierte
Repnin gegen ihn. Diese vereinigten Umstände mach-
ten seine Existenz in Warschau unangenehm und für
ihn selbst gefährlich. Er brachte, so viel er konnte, das
Werk der Teilung zustande, bat aber noch im Sommer
1772 um seinen Rappel. Katharina II. antwortete ihm
eigenhändig und versprach ihm, daß er noch im Monat
September zurückkommen sollte. Wirklich reiste er
auch, sozusagen, in den ersten Stunden des nämlichen
Monats von Warschau ab und kam im Oktober in Pe-
tersburg an. Die Teilung geschah in den ersten Tagen
des Septembers.
Saldern erhielt von der Kaiserin große Geschenke
und zugleich das Versprechen, in angenehmem Ver-
hältrissen angestellt zu werden. Dies war jedoch mit
Schwierigkeiten verbunden. Seine Feinde waren zahl-
reich und mächtig. Maskow, sein ehemaliger Lega-
tionssekretär in Warschau, mit dem er in Unfrieden
gelebt hatte, und der eher nach Petersburg gekommen
war als er, hatte mit großer Feinheit die Mächtigen am
Hofe gegen Saldern eingenommen. Selbst die Kaiserin
fing an, ihm nicht so ausdauernde Zufriedenheit zu
zeigen, als er erwartet hatte. Endlich schien sogar ihre
Ungnade bestimmt zu sein, als er, um sich der Gunst
des Großfürsten für die Zukunft zu versichern, der
Monarchin unter der Hand den Plan überreichen ließ,
diesen Prinzen zum Mitregenten zu nehmen. Saldern
hätte sich fast durch diesen unüberlegten Schritt ge-
stürzt, und erhielt sich nur noch mit Mühe.
Nun merkte er wohl, daß er auf ein baldiges Zurück-
352 S2. Saliern.
ziehen aus den Geschäften denken müsse und wollte
daher für die Zukunft sich einen Aufenthalt sichern,
wo er den Ertrag seines großen Vermögens in Ruhe
verzehren könnte. Er fing in dieser Absicht Privat-
unterhandlungen mit dem dänischen Hofe an, nahm
Geschenke von ihm, und ließ sich mehrere versprechen,
im Fall er seinen Zweck erreichte. Dieser war die förm-
liche Abtretung von Holstein. Saldern stellte der Kai-
serin vor, daß es weder ihr, noch ihrem Sohne zur Ehre
gereiche, durch dieses kleine Land gewissermaßen ab-
hängig vom Deutschen Reiche zu sein, und gab ihr da-
bei ziemlich deutlich zu verstehen, da der Großfürst
immer älter werde, so müsse man ihm diese Besitzung
nehmen, weil zu befürchten sei, daß der Thronfolger
als Deutscher Reichsfürst sich in einer Art von Unab-
hängigkeit von der Kaiserin halten, und als solcher,
wenn er bösen Willen habe, sich wohl gar in Verbin-
dungen zum Nachteil der Monarchin einlassen könne.
Katharina IL, auf welche diese Furcht am meisten
wirkte, fand zu ihrem Schaden diese Gründe ein-
leuchtend. Holstein wurde gegen Oldenburg und Del-
menhorst abgetreten, und diese beiden Grafschaften
wurden ebenfalls dem Fürsten-Bischof von Lübeck
überlassen. Die Urkunde dieser Zession wurde im No-
vember 1773 unterzeichnet.
Bald hernach erfuhr die Kaiserin den ganzen Zu-
sammenhang der Sache, und ihre Ungnade traf Saldern,
wie er es verdiente. Er bemerkte es, bat um seine Ent
lassung und erhielt sie.
Damals war er Wirklicher Geheimer Rat und Rittei
verschiedener Orden.
Saldern ging nach Holstein, wo er noch mehrere
Jahre, ganz von Geschäften entfernt, bloß für die Wis
senschaften lebte. Hier ließ er seiner Zunge und seinei
83. Frederiks. 353
Feder freien Lauf.^) Wahrscheinlich erfuhr es der
russische Hof, und wollte ihn auf bessere Wege lenken.
Saldern erhielt einen Ruf nach Petersburg, aber er
lehnte ihn ab.
Nach Katharinas Tode erschien eine vom Herrn von
Saldern hinterlassene Biographie Peters III. In diesem
Buche hat der Verfasser die Wahrheit oft verfehlt und
sich nur von seinem Hasse gegen die Kaiserin be-
meistern lassen, der eine Folge seiner unbefriedigten
Leidenschaften, des Stolzes und des Geizes war.
83. Frederiks.
Frederiks, ein gemeiner Kaufmannsbursche aus
Archangel, lebte viel mit den Orlows, da diese noch
nichts waren. Als sie emporstiegen, machten sie auch
das Glück ihres Freundes. Durch sie wurde er Baron
und Hofbankier und erhielt dadurch Gelegenheit, un-
glaubliche Reichtümer zu sammeln. Da er mit weniger
als nichts, das heißt, mit Schulden anfing, so sind seine
Reichtümer ein Beweis, daß er große Talente zum
Handel hatte. Der erste Türkenkrieg unter Katha-
rina IL brachte ihm am meisten ein. Er gab einst
während desselben ein Fest an den Günstling Orlow,
an die vornehmsten Höfhnge und an das Corps diplo-
matique. Bei dieser Gelegenheit hatte er in seinem
Speisesaal über die Tür geschrieben: Krieg ernährt,
Friede verzehrt.
^) Saldem ist Verfasser vou politischen Schriften, ,,in denen er
sich meist in seiner Eigenart gegeben, sie — ganz aus Lüge und
Fälschung zusammenzusetzen", die eine Folge seiner unbefriedigten
Leidenschaften, des Stolzes und des Geizes war. (Bübassow
II, S. 108.)
Russische GünstliBge. 23
354 ^4- Wlodimirow.
Frederiks starb in den achtziger Jahren und hinter-
ließ mehrere Söhne und Töchter. Die Söhne haben sich
in Kriegsdiensten rühmlich ausgezeichnet.
84. Wlodimirow.
Wlodimirow war der Sohn eines russischen Kauf-
manns, der ihm ungefähr fünfzigtausend Rubel hinter-
ließ. Der junge Mensch fing seine merkantilische Lauf-
bahn bei einem der bekannt reichen Demidows an. Er
handelte alsdann für sich und heiratete die Tochter
seines Herrn, mit der er ebenfalls viel Vermögen erhielt.
Sein Handel wurde ausgebreiteter und vorteilhafter.
Wlodimirow war lange Zeit und noch im Anfange der
Regierung der Kaiserin Katharina IL, der einzige
Zuckerfabrikant in Ruß and. Klugheit und Glück
unterstützten ihn in seinen Geschäften so sehr, daß er
bei seinem Tode im Jahre 1792 ein Vermögen von mehr
als dreizehn Millionen Rubel hinterlassen konnte. Er
setzte die Monarchin zur Erbin seiner großen Reich-
tümer ein.
Der Fürst Orlow, der einem Menschen vom Hofe,
welcher sich dem alten Wlodimirow als Schwiegersohn
aufdrang, durch Drohungen und sogenannte gute
Worte sehr unterstützte, machte diesem ehrlichen
Mann dadurch großen Kummer. Diese Tochter Wlodi-
mirows, das einzige Kind, das er hatte, starb bald
nachher, ohne Kinder zu hinterlassen, so daß also die
Absicht des Schwiegersohns ganz verfehlt wurde.
55- Alexander Wasütschikow. 355
85. Alexander Wasütschikow.
Die Höflinge unter der Regierung Katharinas II. be-
merkten bald, daß sie an der Seite ihrer Monarchin im-
mer einen Günsthng erblicken würden, in dessen Unter-
haltung dieselbe sich von ihren wichtigen und ausge-
breiteten Regierungsgeschäften erholen könnte. Sie
sahen voraus, daß man bei der Wahl dieses Mannes
nie auf Geschäftsfähigkeiten, aber immer auf ange-
nehme Talente sehen würde. Sie glaubten aber auch
in dem Beispiele Orlows die Notwendigkeit gefunden
zu haben, diese Wahl oft zu verändern, um dadurch
Anmaßungen aller Art zu verhindern, die so oft die
Folge eines zu langen und eben deswegen zu vertrauten
Umganges sind. Die klügsten und angesehensten dieser
Höflinge hielten sich für berechtigt, in dieser Absicht
die nötigen Vorschläge zu machen, die Sache alsdann
einzuleiten und endlich die Wahl der Kaiserin zu
lenken. —
Jetzt, da Orlows'Gewalt sie zu sehr drückte und es
sogar bemerkbar war, daß sein durchdringendes, hef-
tiges Benehmen der Monarchin selbst lästig wurde,
jetzt kamen Panin und die Brüder Tschernitschew
überein, dem despotischen Günstlinge einen Nach-
folger zu geben. Mit Recht überließ man es dem klugem
Panin, den Mann auszusuchen, den er für den wür-
digsten halten würde, diesen Platz auszufüllen. Er über-
nahm dieses Geschäft und fand denjenigen, von dem
wir hier einige Lebensumstände berühren wollen.
Alexander Wasütschikow, ein russischer Edelmann
von sehr guter Familie, war Offizier von der Garde zu
Pferde, als ihn Panin der Kaiserin zum Gesellschafter
vorschlug. Da er ein schöner Mann war und geistreiche
und vielversprechende Gesichtszüge hatte, so nahm
23*
356 8S- Alexander Wasiltschikow.
die Monarchin den Vorschlag an. Er bezog, während
Orlows Abwesenheit, im September 1772 die Zimmer,
die dieser bei Hofe bewohnt hatte und Grenadiere stan-
den als Ehrenwache Tag und Nacht vor seiner Tür.
Um ihm einen höhern und angemessenem Rang zu
geben, erhielt er den Titel eines dienstleistenden Kam-
merherrn und bald nachher den Alexander-Newsky-
Orden. Panin, die Tschernitschews und Borjatinsky
unterrichteten ihn in der Kunst, sich beliebt zu machen
und sich in Gunst zu erhalten, und da er gelehrig war
und die Kaiserin nur froh sein konnte, ihre bisherige
Verbindung zerrissen und eine andre geschwind wieder
angeknüpft zu haben, so gefiel er ihr ganz außer-
ordentlich.
Doch Erziehung und guter Wille ersetzen nur
schwach und auf kurze Zeit den Mangel natürlicher
Talente.
Wasiltschikow erhielt sich mit Mühe noch nicht zwei
Jahre in der Gunst seiner Monarchin. Der klügere Po-
temkin drängte sich in seine Stelle. Die Kaiserin zeigte
bei der Entlassung ihres Günstlings ein Benehmen,
dem wir keinen Namen zu geben wagen, das aber jeder
unsr^r Leser leicht nennen wird. Als Wasiltschikow das
letztemal bei Katharina war, konnte er das Schicksal,
das ihn in der nächsten Stunde erwartete, nicht ahnen.
Sie gab ihm, ohne sich nur irgend von ihrem Vorhaben
etwas merken zu lassen, die schmeichelhaftesten Be-
weise ihrer Gnade. Kaum war der Unbefangene aus
ihrem Zimmer in das seinige zurückgekehrt, als er den
unerwarteten Befehl erhielt, sich nach Moskau zu be-
geben. Er gehorchte sogleich ohne Widerrede, und be-
wies dadurch, daß er die ihm zugeteilte glänzende Rolle
nicht, wie ein wahrer Künstler, con amore gespielt
hatte.
85- Alexander Wasütschikow. 357
Hätte Wasütschikow mit seinem schönen Ansehen
mehr Verstand und Kühnheit verbunden, so würde
Potemkin seinen Platz nicht so bald eingenommen
haben. Indessen hat er sich einen Ruhm erworben, den
nach ihm kein Günstling Katharinas ihm streitig ge-
macht hat: er war unter allen der uneigennützigste,
gefälligste und bescheidenste. Diese großen und in
einem Lieblinge so seltenen Tugenden machten, daß
man seine Entlassung sehr ungern sah.
Wasiltschikow hatte keine Neider, weil er seinen
Kredit bei der Kaiserin nur mit Mäßigkeit brauchte.
Er half vielen und schadete keinem. Zu seinem eigenen
Vorteil tat er wenig, denn an dem Tage, an welchem
er abreiste, hatte er keinen höhern Rang, als den,
welchen ihm die Prinzessin am ersten Tage seiner
Gunst erteilt hatte. Sie lobte selbst seine große Mäßi-
gung und suchte durch ihre gewöhnliche Großmut ein-
zubringen, was seine Bescheidenheit vernachlässigte.
Damals hatte die Günstlinge noch keinen etatmäßigen
Gehalt, aber Wasiltschikow erhielt nach einer ge-
druckten Nachricht in einer Zeit von noch nicht zwei
Jahren an Geld und Geschenken: hunderttausend Ru-
bel bares Geld, siebentausend Bauern, die nach einer
mäßigen Taxe fünfunddreißigtausend Rubel jährlich
einbringen, für sechzigtausend Rubel Brillanten, ein
Silberservice für fünfzigtausend Rubel, die Versiche-
rung einer jährlichen Pension von zwanzigtausend Ru-
bel und ein prächtiges und schön möbliertes Palais^) in
^) Nachdem die Kaiserin das Palais von Wasiltschikow wieder
gekauft hatte,, schenkte sie es an Korsakov/, der, wenn wir nicht
irren, es an den französischen Gesandten Marquis de Verac für
3000 Rubel vermietete. Jetzt bekommt man es gewiß nicht unter
10 000 Rubel, so sehr hat die zugrunde richtende Teuerung zu-
genommen. Die Lage und das Äußere dieses Palastes sind vor-
trefflich. Er steht auf dem großen Schloßplatze nicht weit vom
kaiserlichen Winterpalais, seitwärts nach den Zimmern Kathari-
358
86. Gregorej Potemkin.
Petersburg. Dieses hatte die Kaiserin nach ihrem
eigenen Plan erbauen lassen und dadurch bewiesen,
daß man nicht in allem gleich groß sein kann. Da es erst
fertig wurde, als Wasiltschikow schon in Moskau war,
so kaufte es ihm diese Fürstin für hunderttausend
Rubel ab.
Bald nach seinem Abgange vom Hofe heiratete er
und führte eine sehr glückhche Ehe.
Er lebte noch am Ende des vorigen Jahrhunderts
und war mit seinem Schicksale höchst zufrieden.
,,Ich würde", sagte er oft, „bei den wichtigsten Ver-
diensten um das Reich doch nie so große Reichtümer
haben erwerben können, als ich durch Zufall erlangt
habe."
86. Gregorej Potemkin.
Es ist bloß eine Redensart, die eben so oft widerlegt
als bestätigt werden kann, wenn behauptet wird, daß
man durch Erfahrung gebessert werde. Die Geschichte
Katharinas gibt uns einen auffallenden Beweis, daß
jener Spruch auch nur eine leere Phrase sein kann.
Diese Prinzessin vergaß den anmaßungsvollen Despo-
tismus, den Orlow zehn Jahre lang ausgeübt hatte, ent-
ließ den anspruchslosen, sanften und gefälligen Wasilt-
schikow und wählte den arroganten, alles um sich her
niederdrückenden Potemkin, den sie schon zu Orlows
Zeiten mit Wohlgefallen bemerkt hatte; eine Wahl,
welche die Monarchin bei mancherlei Vorteilen, die sie
ihr gewährte, dennoch oft zu bereuen Ursache hatte.
nas II. hin. Diese Fürstin, die einst ungehalten auf Verac war,
gab ihm sogar Schuld, er gucke in ihre Fenster. Der Palast hat einen
schönen Balkon, der auf Marmorbäulen ruht. H.
pot>:mkjn,
86. Gregor ej Poiemkin. 359
Potemkins Leben und Handlungen hier aufzuzeich-
nen, würde ein unnötiges Geschäft sein, da der größere
Teil des lesenden Publikums die Minerva des Haupt-
manns von Archenholz kennt. Dahin verweisen wir
unsre Leser. Sie werden, wenn wir nicht irren, in den
Jahrgängen 1797, 1798 und 1799 dieser schätzbaren
Zeitschrift die Anekdoten Potemkins, des Tauriers,
finden, in welchen alles, was sich von diesem merk-
würdigen Manne sagen läßt, weitläufig und wenigstens
wahr erzählt ist.^) Hier wollen wir nur ganz oberfläch-
lich einige Hauptumstände seines Lebens berühren.
Gregore] Potemkin, der Sohn eines verabschiedeten
Garnisonmajors, stammte aus einer adeligen FamiHe
in Rußland, die eigentlich polnischen Ursprungs ist.
Sie hatte sich in Rußland niedergelassen, war aber,
wie der sämtliche Adel daselbst, nie zu einigem An-
sehen gelangt. 2) Erst diesem Potemkin, von dem hier
die Rede ist, blieb es vorbehalten, den Namen seiner
Familie merkwürdig zu machen.
Er war im September 1736 in der Nähe von Smo-
lensk^) geboren, und erhielt eine höchst einfache Er-
ziehung. Anfänglich sollte er in den geistlichen Stand
treten, da man aber militärische Talente an ihm zu be-
merken glaubte, so wurde er nach Petersburg geschickt
und dort in der Garde zu Pferde angestellt.
Bei der Thronentsetzung Peters HI. war er Wacht-
meister und einer von denen, die man bei dieser Ge-
legenheit für die Vorteile der Kaiserin gewonnen hatte.
Nach der Revolution wurde er Offizier und Kammer-
^) Heibig kennt diese Arbeit sehr genau, da er der Verfasser
dieser 40, in 113 Paragraphen abgeteilten Abhandlungen ist.
^) Schon ein Ahne Gregor Potemkins, Peter Iwanowitsch, hatte
sich im 17. Jahrhundert als Gesandter des Zaren Alexej Michailo-
witsch ausgezeichnet.
') Auf dem väterlichen Gute Tschichowo.
200 86. Gregorej Potemkin.
Junker und nach Schweden geschickt, um die Thron-
besteigung der neuen Beherrscherin Rußlands zu
melden. Als er zurückkam, hielt er sich eine Zeitlang
am Hofe auf und entwarf den Plan, Günsthng zu wer-
den. Die Orlows verhinderten die Ausführung dieses
Entwurfs und schickten ihn zur Armee. Hier war er so
vöUig unnütz, daß der Graf Rumjanzcw^) die Gelegen-
heit ergriff, ihn mit einer wichtigen Nachricht nach
Petersburg zu senden.
Nach der Entfernung Orlows und Wasiltschikows
erreichte endlich Potemkin seinen Zweck und wurde
erklärter Günstling der Kaiserin, blieb aber nach
seinem eigenen Willen nur kurze Zeit auf dieser Stelle.
Dem ungeachtet war er von diesem Augenblick an
bis zum Jahre 1791 die Hauptfeder in der russischen
Staatsmaschine. Sein Leben in diesem Zeitpunkt He-
fert reichhaltigen Stoff zu einer eigenen Geschichte.
Er war im ganzen russischen Reiche, im Kabinett, im
Felde, am Hofe und selbst in dem Privatleben der Mon-
archin, ohne Vergleich der wichtigste Mann.
So weitläufig und wundervoll die Zonen der Ge-
schichte sind, so findet man dennoch wenig Empor-
kömmlinge, die mit so geringen Mitteln als Potemkin
hatte, auf die hohe Stufe des Glücks kamen, auf wel-
cher er stand.
Ganz Rußland und die benachbarten Staaten
mußten bei dem fürchterlichen Gedanken zittern, daß
^) Wer kennt nicht den Namen des Besiegers der Türken.
Potemkin opferte ihn seinem Stolze, nicht seinem Ehrgeize auf.
Paul 1. errichtete ihm auf dem Marsfelde ein prächtiges Denkmal
in Form eines Obelisken. Er hinterließ drei Söhne. Nikolaj und
Sergej waren als Gesandte in Deutschland nicht so merkwürdig
als sie es jetzt sind. Beide sind Männer von großen Kenntnissen
und haben jetzt den Ruhm wichtiger Staatsmänner. Der dritte,
der Peter heißt, war schon bei des Vaters Tode Generalleutnant
und hat mit Ehren gedient.
Graf N. P. Rumjanzow
Gemälde von G. Dawe
86. Gregor ej Potemkin. 36 1
das Schicksal ganzer Generationen von den Launen
dieses Menschen abhing.
Den glänzenden Namen des Tauriers erhielt er von
der Besitznehmung der Krim im Jahre 1783, der
man die alte Benennung Taurien wiedergab. Er half
den gewaltsamen Plan zu dieser Unternehmung ent-
werfen, aber die Ausführung desselben — überließ er
andern.
Der Fürst Potemkin, der Taurier, starb im Oktober
1791, nicht, wie einige behaupten, durch Gift, sondern
an einer abzehrenden Krankheit, der Folge seiner un-
ordentlichen Lebensweise, unterwegs auf dem Grase,
als er eben aus der Moldau sich in die Gegend von
Oczakow begeben wollte.
Noch nach seinem Tode wurde Potemkins Andenken
verherrlicht. Bei der Feier des türkischer Friedens ver-
fertigte man im Senat auf Befehl der Kaiserin eine
Lobschrift auf ihn, die in der Hauptkirche in Cherson
in einem silbernen Behältnisse aufbewahrt wird. In
dieser Kirche wurde ihm auch ein Denkmal errichtet
und im Zeughause daselbst sein Bildnis aufgestellt,
auch eine Denkmünze wurde auf ihn geprägt.^)
Man weiß nicht, aus welcher Grille Potemkin sich
erst spät entschloß, sich malen zu lassen. Im Jahre
1789 saß er endlich einem russischen Künstler, der ein
viel zu jugendhches und schmeichelhaftes Bild von
ihm verfertigte. Dieses hing in der Eremitage und
wurde in der Folge in Kupfer gestochen. Man hat aber
^) Kaiser Paul soll im Jahre 1798 befohlen haben, das Denk-
mal Potemkins in Charson zu zerstören und die Asche Potemkins
ins Wasser zu streuen. (Golorkine, La Cour et la Regne de Paul I.
Paris 1905. p. 168.) Der russische Geschichtsforscher Schilder sagt
in seiner Lebensbeschreibung Pauls, daß der Kaiser im genannten
Jahre Potemkins Sarg entfernen und in aller Stille an einem un-
bekannt gebliebenen Ort einscharren ließ, weil die Chersoner Kirche
ein Wallfahrtsort für Neugierige geworden sei.
362 ^7- Turtschaninow.
in Privatsammlungen gezeichnete Bilder von diesem
Fürsten, auf welchen er sehr gut getroffen ist.
Sehr unzuverlässig schätzt man die Summen, wo-
durch der Staat das unnötige Dasein Potemkins er-
kaufen mußte, auf fünfzig Millionen Rubel. Wäre es
wirklich möglich, seine Reichtümer und die Kosten,
welche die Erhaltung seines Hofstaats verursachte,
genau zu bestimmen, so würde man gewiß finden, daß
obige Summe, so ungeheuer groß sie auch scheint, den-
noch zu gering angesetzt ist.^)
87. Turtschaninow.
Turtschaninow, 2) ein getaufter Jude, hatte Gelegen-
heit, sich sehr nützliche Kenntnisse zu erwerben und
Sprachen zu lernen. Er wurde ein brauchbarer Mann
und als solcher dem Fürsten Potemkin empfohlen, der
ihn als Sekretär zu sich nahm. Von ihm kam er in die
Dienste der Kaiserin, die ihm nach und nach höhere
Stellen gab. Erst machte sie ihn zum Kabinettssekre-
tär, 2) dann im Jahre 1793 zum Direktor des Bau-
^) ,, Heibig, der selbst stets in Geldnöten gewesen, hält in allen
seinen Werken genaue Abrechnung über jede Kopeke; so sammelt
er denn auch in dieser seiner Schrift (Minerva) sorgfältig alle Nach-
richten über die von Potemkin bezogenen Summen." (Bilbassow
II, S. 124.)
*) Es gibt in Rußland auch eine adlige Familie Turtschaninow.
Von ihr nahm dieser Emporkömmling den Namen an.
') Der Geschäftskreis der Kabinettssekretäre Katharinas II.,
deren immer mehrere waren, hatte einen sehr großen Umfang. Sie
standen unmittelbar unter dieser Monarchin, verfertigten alle
kaiserlichen Befehle an den Senat, an die Generalgouverneure der
Pro\anzen, an das Kriegskollegium, an die Admiralität; alle sogenann-
ten namentlichen Ukase, die au einzelne Personen gerichtet waren;
waren im hohen Konscil gegenwärtig, führten das Protokoll und
Sj. Turtschaninow. 363
kontors und der Kaiserlichen Palais und Gärten unter
Betzkoy, und endlich zum Kabinettsminister. i) Noch
vor dem Tode der Kaiserin Katharina IL nahm er
seinen Abschied und lebte von den Einkünften seiner
sehr beträchtlichen Güter.
Wahrscheinlich lebt er noch.
Er war im Jahre 1799 Generalleutnant und Ritter des
Annen-Ordens.
Turtschaninows Gemahlin war eine Tochter des Ge-
neralfeldmarschalls, Grafen von Elmpt. Sie war Hof-
dame der Kaiserin Katharina IL, und wegen ihrer
witzigen und Hebenswürdigen Unterhaltung bekannt.
Sie und Frau von Diwow^) waren in der Mitte der
achtziger Jahre im Verdacht, zu den Karikaturen und
Schmähschriften beigetragen zu haben, die damals auf
viele Personen am Hofe, besonders aber auf den
Fürsten Potemkin, gemacht wurden. —
richteten die Befehle der Kaiserin nach den Beschlüssen des Konseils
ein; endlich entwarfen sie auch alle Briefe der Monarchin, die teils
an auswärtige Souveräne, teils an andere Personen in Geschäften
geschrieben wurden. Dies waren die Staats- und politischen An-
gelegenheiten, die sie zu besorgen hatten; sie mußten aber auch,
wenn sie die erforderlichen Talente hatten, literarische Geschäfte
mit andern dazu bestimmten Personen übernehmen. Unter andern
gehörte zu ihren Obliegenheiten, die schriftstellerischen Arbeiten
dieser Prinzessin zu — verbessern. H.
^) Die Kabinettsminister hatten die Direktion der Einnahmen
und Ausgaben der kaiserlichen Privatkasse und aller dahin ein-
schlagenden Geschäfte. H.
') Frau von Diwow, geborene Gräfin Buturlin, ist die nämliche,
die in der neuesten Zeit verschiedene Jahre lang mit ihrem Gemahl
und Sohne in Deutschland und Frankreich zugebracht hat. Ihre
Mutter war im Anfange des Jahres 1754 — eine große Freundin der
Großfürstin Katharina. H.
364 SS- Michelson.
88. Michelson.
Michelson war, wie man sagt, der Sohn eines Tisch-
lers auf der Insel Oesel.
Er nahm Kriegsdienste, wurde durch seine Lands-
leute unterstützt und durch diese sehr bald Offi-
zier. Von jeher zeichnete er sich durch militärische
Klugheit und persönhche Tapferkeit aus. Hierzu
kam seine schöne Gestalt, die ihm die höchsten
Gunstbezeugungen verschaffte, und so wurde es ihm
leicht, sehr bald ansehnliche Stellen in der Armee zu
bekleiden.
Schon im ersten Türkenkriege gab er Beweise seiner
kriegerischen Talente und wurde dafür Oberster.
Aber ungleich mehr Ruhm erwarb er sich während
der Rebellion des berüchtigten Pugatschew.^) In dem
Augenblick, als dieser Rebelle Kasan belagerte, eilte
Michelson der bedrängten Stadt zu Hilfe. Aber Pugat-
schew fand nicht ratsam, ihn zu erwarten. Er hob die
Belagerung auf und wollte entfliehen. Michelson ver-
folgte ihn, erreichte ihn nach einigen Tagen und schlug
das Korps der Aufrührer vollkommen. Pugatschew
entkam mit Mühe an der Spitze einiger hundert seiner
bravsten Anhänger. Kurze Zeit nachher schnitt Mi-
chelson der Armee der Rebellen eine große Zufuhr
Proviant ab und griff sie alsdann an. Sie waren von
Müdigkeit, Hunger und Kleinmütigkeit entkräftet, es
mußte also eine große Menge von ihnen auf dem Platze
bleiben. Pugatschew selbst entkam wieder und
^) Der Rebell Pugatschew erhielt seine Strafe in Moskau am
24. Januar 1774. Der Kosak Jemeljan Pugatschew, der sich für
den Zaren Peter III. ausgab, war ebensoviel Räuber wie Rebell,
der es vornehmlich auf Abschaffung der Leibeigenschaft abgesehen
hatte. H.
8g. Peter Sawadowsky. 365
schwamm, wie das erste Mal, durch die Wolga. Bald
nachher wurde er gefangen.^)
In dem Kriege, den Rußland am Schlüsse der acht-
ziger und am Anfange der neunziger Jahre gegen
Schweden führte, hatte Michelson, der ein Korps in
Finnland kommandierte, wenig Gelegenheit, sich zu
zeigen. So oft er sie aber hatte, benutzte er sie sehr
sorgfältig und glücklich.
Er wurde von der großmütigen Kaiserin jetzt
ebenso, wie nach dem Türkenkriege und nach der
Bezwingung des RebeUen Pugatschew, sehr reichhch
belohnt.
Selbst in seinem hohen Alter verheß ihn sein Mut
nicht. Er führte noch im Jahre 1807 die russische Ar-
mee an, die gegen die Osmanen bestimmt war. Aber
Michelson starb auf diesem Feldzuge im neunund-
siebzigsten Jahre seines Alters. Sein Leichnam wurde
in Bukarest beigesetzt.
Michelson war General en Chef und Ritter der vor-
nehmsten russischen Orden. ^)
89. Peter Sawadowsky.
Peter Sawadowsky war der Sohn eines russischen
Geisthchen aus der Ukraine.
Durch die Sorgfalt seines Vaters erhielt er in seiner
frühesten Jugend einigen Unterricht, besonders in der
lateinischen Sprache, in der Geschichte und Philoso-
phie.
^) über den Anteil Michclsons an der Niederlage Pugatschews
siehe ,, Zuverlässige Nachrichten von dem Aufrührer Jemeljan
Pugatschew und der von demselben angestifteten Empörimg."
Halle a. S. 1784 bei Bilbassow I, S. 384 Nr. 446.
366 8g. Peter Sawadowsky .
Sein Vater brachte ihn nach Petersburg in das Haus
seines Landsmannes, des Generalfeldmarschalls Grafen
Rasumowsky. Hier war auch der junge Besborodko,
mit dem Peter Sawadowsky eine Freundschaft knüpfte,
die beide ihr ganzes Leben hindurch unterhalten haben.
In dem Hause dieses Bojars waren diese beiden jungen
Ukrainer nichts weiter, als Bediente. Er ließ sie im
Schreiben unterrichten und empfahl sie dem General-
feldmarschall Grafen Rumjanzow, der sie anzustellen
versprach.
Sawadowsky kam anfängUch in Militärdienste und
zeichnete sich im Türkenkriege so gut aus, daß er so-
gar den Georg-Orden erhielt ; dann ging er aber in die
Kanzlei des Generalfeldmarschalls Grafen 'Rumjan-
zow und rückte daselbst, was in Rußland damals sehr
leicht war, im Militäretat bald in den Rang eines
Oberstleutnants.
■ ' Als die Kaiserin im Jahre 1775 nach Moskau kam,
war Sawadowsky noch in der Kanzlei des Grafen Rum-
janzow. Die Monarchin bat den Feldmarschall, ihr doch
einige Männer vorzuschlagen, die sie als Kabinetts-
sekretäre brauchen könnte. Rumjanzow empfahl ihr
hierauf die Herren von Sawadowsky und von Bes-
borodko. Mit beiden war er außerordenthch zufrieden.
Auch sie zeigten beide viel Anhänglichkeit an ihn und
nur der Befehl der Kaiserin, und der Umstand, daß sie
ihrem Glück entgegengingen, konnte sie bewegen, ihn
zu verlassen.
Sawadowsky stand, gleich vom ersten Augenblick
an, in größerem Ansehen als Besborodko und man be-
merkte, daß die Monarchin ihn mit besonderer Gunst
beehrte. Doch benahm sie sich dabei mit großer Vor-
sichtigkeit. Sawadowsky und Besborodko erhielten
immer ihre Belohnungen, ihre Ehrenstellen und ihre
8g. Peter Sawadowsky. 367
Geschenke zusammen, keiner eher und keiner mehr,
als der andere. Diese Behutsamkeit war notwendig,
um nicht den gewaltigen und um sich greifenden Po-
temkin zu beleidigen. Erst als dieser selbst den Ent-
schluß faßte, seine Rolle abgeben zu wollen, erschien
Sawadowsky als erklärter Günstling der Monarchin.
Diese Veränderung, die im Monat November 1764
geschah, wurde dem Hofe durch den Umstand bekannt,
daß Sawadowsky im Palais die bisher von Potemkin
bewohnten Zimmer bezog. Damals war der neue Lieb-
hng zwar immer noch Kabinettssekretär, hatte aber
den Rang eines Generalmajors. Er hatte nicht Talente
genug, sich lange zu erhalten und gab selbst Gelegen-
heit zu seinem Fall, der vielleicht durch die Gnade der
Kaiserin und seine eigene Gutmütigkeit noch hätte
können aufgeschoben werden. Er wollte nämlich, als
ein Anhänger der Orlows und des Grafen Rumjanzow,
den Fürsten Potemkin stürzen, der ihm aber an Macht
und an Verstand überlegen war, und ihn durch seinen
schon damals alles zermalmenden Despotismus im Juli
1777 schnell vom Hofe auf Urlaub deswegen entfernte,
weil er ihn als Instrument anderer fürchtete.
Sawadowsky kam jedoch bald wieder an den Hof,
und da er für einen gelehrten Mann galt, so wurde er
bald in Geschäften angestellt. Potemkin, der über-
haupt nicht rachsüchtig war, hinderte dies nicht. Ka-
tharina II. war darüber desto mehr erfreut, da sie
wirklich ein sehr großes Vertrauen in Sawadowsky
setzte. Es war einmal eine Zeit in den achtziger Jahren,
da dieser Mann, auf Eingeben seiner besser unterrich-
teten Freunde, im Konseil es allein wagen durfte, der
Kaiserin wegen ihrer Anordnungen Vorstellungen zu
machen. Sie nahm von ihm alles an und zeigte ihm oft
dafür ihre Dankbarkeit. Auch kann man denken, wie
368 8g. Peter Sawadowsky.
hoch sie ihn nach und nach im Range steigen Heß, da,
wie wir eben gesehen haben, er in den achtziger Jahren
Mitghed des hohen Konseils der Monarchin war. In-
dessen Wieb sein Einfluß nicht immer der nämliche,
und wenn das Ansehen seiner Freunde Woronzow und
Besborodko fiel, so sank das seinige gemeiniglich auch.
Doch war er nach Potemkin der einzige von allen
Günstlingen dieser Fürstin, der, auch nach seiner Ent-
fernung aus dem Palais der Monarchin, in der Residenz
blieb, den Hof immer besuchte und selbst in wichtigen
Geschäften angestellt wurde. In dieser Kategorie blieb
er bis an den Tod der Monarchin und wurde mit Gna-
denbezeigungen, Ehrenstellen und Geschenken über-
häuft.
Paul I. setzte die freundschaftlichen Gesinnungen
seiner Mutter gegen Sawadowsky fort, bestätigte ihn
in allen seinen Würden und erteilte ihm ebenfalls
Gnadenbezeigungen.
Alexander I. folgte dem Beispiele seiner Durch-
lauchtigsten Vorfahren und wahrscheinlich lebt Sawa-
dowsky noch an dem Hofe dieses Prinzen, mit dessen
Vertrauen und Gnade beehrt.
Im Jahre 1799 war er Graf, Wirklicher Geheimer
Rat, Senator, Direktor und Chef der Bank, Ritter des
Andreas-, Alexander-Newsky-, Weißen Adler- und
Stanislaus-Ordens, Kommandeur der ersten Klasse des
Wladimir-Ordens und Ritter der vierten Klasse des
militärischen Georg-Ordens.
Sawadowsky war ein Mann, der eben keinen glän-
zenden, aber doch einen sehr gesunden Menschenver-
stand und dabei die gute Eigenschaft hatte, daß er
nicht klüger zu sein glaubte, als er wirklich war. Er
besaß eine große Stärke im russischen Stil und mußte
daher die captieusen Manifeste und Ukase verferti-
Kaiser Alexander I.
Gemälde von C. Vemet
8g. Peter Sawadowsky. 369
gen. Einige Kenntnisse, die er hatte, und die lateinische
Sprache gaben ihm den Ruf eines Gelehrten. Daher er-
hielt er auch, in Gemeinschaft mit dem großen und
verehrungswürdigen Äpinus, die Generaldirektion bei
der Einrichtung der Normalschulen. Er war übrigens
ein anspruchsloser, gleichmütiger und ruhiger Mann.
— In den neunziger Jahren warf man ihm vor, daß er
die Freuden der Tafel zu sehr liebe und daher für die
Geschäfte weniger tauglich sei.
In seiner Jugend war er ein schöner Mann gewesen,
und seine Augen zeigten noch bei herannahendem
Alter viel Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.
Als Günsthng hatte er nicht Zeit gehabt, große
Reichtümer zu sammeln, auch hatte es ihm wohl an
der Art, sie zu fordern, gefehlt, aber in der Folge hatte
man ihm die Gelegenheit und den Unterricht dazu ge-
geben.
Nach dem, was man nur weiß, bekam er, bei seiner
Entfernung aus dem Pa'ais, achtzigtausend Rubel
bares Geld, zweitausend Bauern in Polen und fünf-
tausend Rubel Pension. Nachher erhielt er, so viel be-
kannt ist, sechstausend Bauern in der Ukraine und
achtzehnhundert Bauern in Rußland. Ferner gab man
ihm ein silbernes Tafelservice für achtzigtausend Ru-
bel, weil ein anderes für fünfzigtausend Rubel ihm nicht
gut genug war.^) Wir können ihm nicht alles genau
nachrechnen, aber am Ende des letzten Jahrhunderts
behauptete man, daß er über hunderttausend Rubel
Einkünfte habe.
Von seiner Gemahlin, einer Gräfin Apraxin, die eine
sehr schöne Frau war, hatte er Kinder.
^) Dieses erhielt der kaiserliche Generaladjutant Graf von Anhalt.
Russische Günstlinge. 24
370 po- Alexander Besborodko I.
90. Alexander Besborodko I.
Wenn man die großen Talente des Mannes kennt,
von dessen Leben wir hier einen kurzen Entwurf lie-
fern, so söhnt man sich mit einer Fürstin aus, die
während ihrer langen Regierung eine Menge Empor-
kömmlinge in die ansehnlichsten Stellen der Staats-
verwaltung, an die Spitze ihrer Heere, an ihrem Hof-
lager und kurz, in der Nähe und in der Ferne ihrer ge-
heiligten Person, auf alle Stufen des Throns von unten
bis oben herauf erhoben hat und so unglücklich ge-
wesen ist, fast immer Mißgriffe zu tun. Aber wir wür-
den den Tribut der Bewunderung, die wir diesem Mann
zollen, noch vergrößern, wenn er mehr Fleiß auf die
Unterhaltung seiner Geistesfähigkeiten gewendet hätte.
Ob Alexander Besborodko der Sohn eines geringen
Edelmannes in der Ukraine, oder, wie andre wollen,
eines Landmanns aus dieser Provinz, der einen Handel
mit dortigen Hornviehherden trieb, gewesen sei,
müssen wir unentschieden lassen.
Er erhielt anfänglich eine ganz gewöhnHche Schul-
erziehung, wurde aber in noch sehr jungen Jahren
nach Petersburg in das Haus des Generalfeldmar-
schalls Grafen Rasumowsky gebracht. Hier fand er
den jungen Sawadowsky, mit dem er von diesem
Augenbhck an immer vereinigt blieb. Sie waren in
ihren freundschaftlichen Gefühlen ebenso überein-
stimmend, als in ihren Fähigkeiten verschieden. Bes-
borodko lernte durch die Güte des Feldmarschalls
Wissenschaften und Sprachen und brachte es in man-
chen Tei en zu einiger Vollkommenheit.
Der Graf Kyrilla Rasumowsky empfahl ihn und Sa-
wadowsky dem Generalfeldmarschall Grafen Rumjan-
zow, der sie beide in seiner Kanzlei anstellte und be-
go. Alexander Beshorodko I. 371
sonders Besborodko bei wichtigen Geschäften und
Ausarbeitungen mit großem Nutzen brauchte. Hier,
wo Besborodko schon ansehnliche Einkünfte hatte,
wendete er einen Teil derselben und die Zeit, welche
ihm seine Geschäfte übrigließen,' dazu an, seine Kennt-
nisse in einheimischen und ausländischen Angelegen-
heiten außerordentlich zu vermehren. Auch in den
schönen Wissenschaften, besonders in der französi-
schen und deutschen Literatur, machte er damals noch
wichtige Fortschritte. Er lernte beide Sprachen voll-
kommen richtig sprechen.
Auf diese Art hatte Rumjanzow Recht, ihn der Kai-
serin, die eben im Jahre 1775 zwei Kabinettssekretäre
brauchte, zu empfehlen. Besborodko machte sich in
dieser Stelle durch seine große Geschicklichkeit der
Monarchin unentbehrlich. Sie konnte sich gar nicht
von seiner Arbeit trennen; noch im Jahre 1781 war er
Kabinettssekretär. Keiner der Staatsminister konnte
ihr, selbst in den schwierigsten Fällen und in welchem
Teile der Staatsverwaltung es auch sein mochte, einen
so faßlichen Bericht machen, als Besborodko. Eines
seiner vorzüglichsten Talente war seine Fertigkeit im
russischen Stil. Wenn die Kaiserin ihm den Befehl gab,
einen Ukas, einen Brief oder dergleichen aufzusetzen:
so ging er ins Vorzimmer und nach physisch möglicher
Kürze der Zeit berechnet, kam er wieder und brachte
ihr den Aufsatz, mit einer Präzision, mit einer Eleganz
geschrieben, die schlechterdings nichts zu wünschen
übrigließen.
Er wurde im Jahre 1781 Generalmajor, das hieß da-
mals in Rußland : er bekam im Zivildienste den Rang
eines Generalmajors und wurde im Konseil aufgenom-
men. Aber von dieser Zeit an hörte sein Fleiß auf. Zwar
wurde er, mehr als bisher, in den allerwichtigsten
24*
^y2 90. Alexander Besborodko 1.
Staatsgeschäften gebraucht und nichts ohne ihn getan,
aber man brachte ihn nicht leicht dazu, so wie sonst,
jetzt aber in noch wichtigern Angelegenheiten ausführ-
liche Ministerialarbeiten zu übernehmen. Alles, was
von der Art war, ließ er liegen und aus Bequemlichkeit
antwortete er oft nicht einmal auf Briefe, die Prinzen
aus souveränen Häusern an ihn schrieben. Seine Rat-
schläge, die er mit Liberalität erteilte, waren das ein-
zige, was man von ihm erlangen konnte. Besser hätte
die Kaiserin getan, wenn sie in allen ihren Handlungen
sich immer hätte von Besborodko, der gewiß im ganzen
Konseil, nächst dem Grafen Alexander Woronzow, der
Klügste und Unterrichteste war, leiten lassen.
Aber an keinem Hofe wechselte die Oberhand der
Parteien so oft ab als unter der damaligen Regierung
in Rußland. Ein Günstling, ein Exliebling und der-
gleichen machten oft am politischen Himmel Regen
und Sonnenschein und bestimmten, wer in der Gunst
der Kaiserin steigen oder faUen sollte.
Besborodko erfuhr das nämliche Schicksal.
Woronzow, Sawadowsky und er hielten immer zu-
sammen. Wenn sie sich aber im Ansehn bei der Kai-
serin zu schwach fühlten, dann hielten sie es, wenn es
mit Anstand geschehen konnte, mit den weiblichen
Individuen des Hofs, mit Wjasemsky, mit Potemkin,
mit den jedesmahgen Günstlingen, mit dem Thron-
folger, je nachdem es nötig war.
Durch Subows Organ siegte endlich Markows hä-
mische Eitelkeit und Habsucht über diese drei Männer.
Woronzow wurde entfernt, Sawadowsky geduldet, und
Besborodko verdrängt. Da die Kaiserin mit dem be-
schränkten Grafen Ostermann schlechterdings nicht zu-
stande kommen konnte, so hatte Besborodko, als
zweites Mitglied des ausländischen Departements, das
po. Alexander Beshorodko I. 373
Portefeuille dieser Angelegenheiten übernommen. Su-
bow und Markow sahen es ungern in dessen Händen,
hatten aber doch keinen schicklichen Vorwand, es ihm
zu nehmen. Besborodko selbst gab ihnen denselben.
Nach dem Tode des Fürsten Potemkin, der immer
den Türkenkrieg zu verlängern suchte, sollte, nach dem
Willen der Kaiserin, schlechterdings Friede gemacht
werden. Die Schwierigkeit war nun, einen Mann zu
finden, der das Friedensgeschäft übernehmen konnte.
Besborodko bemerkte dies, und teils aus Gutmütigkeit
und anhänglichem Eifer für den Ruhm der Kaiserin,
teils auch aus Eitelkeit, dem Reiche den Frieden geben
zu wollen, bot er der Monarchin seine Bereitwilligkeit
an, die Leitung der Unterhandlungen nach ihren Be-
fehlen zu übernehmen. Um aber dabei des glücklichen
Erfolgs seines Antrags gewiß zu sein, schlug er vor, daß
während seiner Abwesenheit Subow das Portefeuille
der auswärtigen Angelegenheiten übernehmen möchte.
Dies hatte man nur gewünscht und der Vorschlag
wurde, nachdem ihn die Kaiserin mit Subow und durch
diesen mit Markow überlegt hatte, angenommen.
Besborodko erhielt nun Befehl, den Frieden um je-
den Preis zu schließen, weil die Kassen zu sehr er-
schöpft wären, imi den Krieg fortsetzen zu können.
Dabei sollte er aber doch den ängstlichen Wunsch des
Friedens künstlich verbergen, die Osmanen mit ge-
bührender Arroganz behandeln und beiher Züge, von
Großmut ausgehen lassen. Dieser Unterhändler reiste
nun ab, verbreitete, wo er hinkam, den Luxus eines
regierenden, orientalischen Sybariten und schloß den
Frieden, so wie wir ihn alle kennen. Ehe es aber noch
dazu kam, sagte er den türkischen Kommissaren, ganz
am Ende der Unterhandlung: er habe noch eine Be-
dingung, ohne die er schlechterdings den Frieden nicht
374 PO- Alexander Beshorodko I.
unterzeichnen könne. Man erschrak, verlangte sie zu
wissen, und wollte sich der Verzweiflung übergeben,
als man erfuhr, daß Besborodko, im Namen seiner
Monarchin, eine ganz ungeheure Summe Geldes, zwölf
Millionen Piaster, verlangte und zugleich erklärte, daß
ohne die Erfüllung dieser Bedingung die Feindsehg-
keiten sogleich wieder anfangen sollten. Die Türken
waren in einer fürchterlichen Lage. Frieden sollten und
mußten sie machen, aber das Geld aufzutreiben, war
eine Unmöglichkeit. Anfänglich widersetzten sie sich
und behaupteten, daß auf diese Art der Krieg fortge-
setzt werden müsse. Besborodko wäre in einer schreck-
hchen Verlegenheit gewesen, wenn man ihn beim Wort
gefaßt hätte. Doch zum Glück geschah dies nicht. Im
Gegenteil fingen die Kommissare an, zu handeln, nicht
an der Summe, denn von dieser wurde nichts ab-
gelassen, sondern an der Zeit, und Besborodko ließ
sich ihre Versicherung gefallen, die Schuld in kurz
aufeinander folgenden Terminen zu zahlen. Die Os-
manen setzten nun die Schuldverschreibung auf und
brachten sie dem Russen. Sobald er sie in seinen Hän-
den und gelesen hatte, zerriß er sie, warf sie auf die
Erde und sagte mit Stolz und Verachtung: ,, Meine
Monarchin braucht Euer Geld nicht."
Dieser Zug gefiel Katharina außerordentlich und
vermehrte wahrscheinhch die Belohnungen, die Bes-
borodko erhielt und die außerordenthch waren ; er be-
kam nämhch ein sehr beträchtliches Landgut, eine
im ganzen Reiche bekanntgemachte Belobungsschrift
und einen großen und kostbaren Ölzweig von Bril-
lanten.
Übrigens aber hatte er bei seiner Zurückkunft eine
sehr empfindliche Kränkung, als die Kaiserin ihm
sagte, daß Subow das Portefeuille des ausländischen
go. Alexander Besborodko I. 375
Departements behalten würde. Besborodko sah nun
mit Schmerzen, daß sein ganzes Ansehen gefallen war,
und zog sich mit Würde zurück. Er lebte in Petersburg
in den Armen der Wollust aller Art, besorgte seine
übrigen Geschäfte mit Leichtigkeit im ausgedehnten
Sinne des Wortes und reiste zuweilen nach Moskau,
um seine alten Freunde, die Mißvergnügten mit der
Regierung, zu besuchen. Übrigens schloß er sich fest
an den Thronfolger an und die Folge bewies, daß er
sehr weise gehandelt hatte. Besborodko war auch der
erste, der diesen Prinzen von dem tödlichen Zustand
seiner Mutter unterrichtete.
Als Katharina starb, war er deutscher Reichsgraf,
Wirklicher Geheimer Rat, Mitghed des hohen Konseils,
Oberhofmeister des Kaiserhchen Hofstaats, General-
postdirektor und Ritter der russischen Orden. Die
Einrichtung seines Hauswesens war fürstlich und seine
Einkünfte beliefen sich weit über hunderttausend
Rubel.
Paul I. belohnte die treue Anhänglichkeit, die Bes-
borodko ihm gezeigt hatte, mit dem uneingeschränkten
Vertrauen. Graf Besborodko hingegen wankte nie in
seiner Treue gegen seinen Herrn und gab ihm immer
die weisesten Ratschläge. Die Befolgung derselben war
in dem Leben des Kaisers sehr merklich. Die größten
Bizarrerien in Pauls Regierung fallen erst in die Zeit
nach Besborodkos Tode. Dieser Minister, um sich im-
mer im Ansehen bei dem Monarchen zu erhalten, hatte
sich mit Kutaizow, dem Kammerdiener des Kaisers,
der alles über seinen Herrn vermochte, verbunden.
Dieser Mensch überzeugt, daß er von einem klügern
Manne, als er war, geführt würde, sprach und^tat
nichts, als was dieser ihm gebot.
Übrigens zeigte Besborodko unter dieser Regierung,
376
go. Alexander Beshorodko I.
daß er ein wahrer Hofmann war. Seine Gefälligkeit,
den Launen seines Monarchen zu schmeicheln, ging
bis zur Übertreibung.
Als Paul I. zur Krönung in Moskau war, wohnte er
in dem Palast Besborodkos, dem weitläufigsten und
prächtigsten in ganz Moskau. Eines Tages stand er mit
dem Kaiser am Fenster eines Zimmers, aus welchem
man den kostbaren Garten übersehen konnte. Der Mon-
arch, der alles in militärischer Hinsicht betrachtete,
meinte, daß das ein schöner Exerzierplatz sein könnte.
Dies war nur so ohne Beziehung und ohne Wunsch ge-
sprochen; als aber der Kaiser früh erwachte und ans
Fenster ging, fand er den Garten in einen Exerzierplatz
verwandelt. Besborodko hatte in der Nacht durch Sol-
daten Bäume und Sträucher glatt von der Erde weg-
hauen lassen.
Solche Gefälligkeiten verdienten auch große Be-
lohnungen, und wir werden sehen, daß sie ihm Paul I.
in Menge erteilte.
Aber Besborodko genoß sein großes Glück nicht
lange; eine Wassersucht, die Folge seiner Ausschwei-
fungen, endigte sein Leben im April 1799, in einem
Alter von fünfzig und einigen Jahren.
Er war damals russischer Reichsfürst, mit dem Prä-
dikat: Durchlauchtigst, trug das Porträt des Kaisers
Paul L, hatte Generalfeldmarschalls-Rang, war Groß-
kanzler des Reichs, Wirklicher Geheimer Rat, Senator,
Generalpostdirektor im ganzen russischen Reiche,
Ritter des Andreas-, Alexander-Newsky- und Annen-
Ordens, Großkreuz (eine sonderbare Zusammenstel-
lung), Großkreuz des Maltheser St. Johannis-Ordens
von Jerusalem, russischer Kreation und Großkreuz des
Wladimir-Ordens erster Klasse.
Ein sehr aufgeklärter Verstand, eine nie trügende
-^
Fürst Alexander Besborodko
go. Alexander Besborodko I. 377
Beurteilungskraft und eine seltene Gegenwart des
Geistes erhoben den Fürsten Besborodko zum Genie.
Seine Sprachkenntnisse, seine Fertigkeit im Arbeiten,
und seine Einsichten in der Politik, waren wenigstens
auf dem Schauplatze, auf welchem er stand, unüber-
treffbar. Die schönen Züge in seinem Charakter waren
Gutmütigkeit, die keine Unversöhnlichkeit kannte, und
Dankbarkeit, für manche in früher Jugend genossene
Wohltat. Nie empfanden Subow und Markow seine
Rache und nie vergaß er, was Rasumowsky und Rum-
janzow für ihn getan hatten.
Diese Tugenden würden aber in der weitläufigen und
erhabenen Sphäre, in der sich Besborodko befand, noch
viel mehr Gutes haben stiften können, wenn sie nicht
so oft durch seine Fehler wären unwirksam gemacht
worden. Er war in jeder Art der Wollust versunken und
wenn von Arbeiten die Rede war, von einer Indolenz,
von der man wenig Beispiele hat. Aus diesen beiden
Fehlern entsprang ein dritter, der ungleich schädlicher
war, nämlich, daß er sein gegebenes Wort fast nie —
hielt. Er gab immer die besten Versprechungen und
dachte wohl kaum daran, sie zu erfüllen, weil er freilich
auch nicht immer imstande war, alles zu tun, was man
von ihm verlangte. Sein Haus wurde nicht leer von
Bittenden. Oft wollte er sie nicht ungetröstet von sich
lassen, zuweilen aber zog er sich sehr gut aus der Ver-
legenheit. Wenn die ganze Straße voll Wagen stand,
die Personen gebracht hatten, welche in seinem Vor-
zimmer warteten, dann schlich er zu Fuße, in einen
Mantel gehüllt, zur Hintertür heraus und ließ alle
Bittenden warten, die dann endhch selbst fortgingen,
wenn sie merkten, daß an diesem Tage die Sonne nicht
scheinen würde. In seinen früheren Jahren war Besbo-
rodko ein sehr schöner Mann gewesen und man sagte.
378
gi. Besborodko II.
daß er vielen Frauen, selbst vom höchsten Range, ge-
fallen habe.
Sein Umgang war munter, witzig und unterrichtend.
Von der bekannten Großmut der beiden Regenten,
denen Besborodko diente, läßt sich erwarten, daß seine
Reichtümer unermeßlich waren. Bei seinem Tode be-
liefen sich seine Einkünfte auf weit mehr, als zweimal
hunderttausend Rubel. Er hatte neunundvierzigtau-
send Bauern. Sein Mobiliarvermögen, ohne die Bilder-
galerie, vielleicht eine der stärksten und kostbarsten,
die jemals ein Privatmann gehabt hat und die nicht
leicht zu schätzen war, rechnete man auf vier Millionen
Rubel. Seine meisten Güter hatte er in der Ukraine und
in Polen, aber bei weitem seine reizendsten Besitzun-
gen in Petersburg und Moskau. Das Palais in Peters-
biug und ein andres in einem auf der Wiburger Seite
liegenden Garten waren in ihrem Innern so schön, als
man nur irgend etwas in der Art sehen konnte, aber sie
waren nur eine Kleinigkeit gegen den Palast in Moskau,
der ein wahres Feenschloß zu sein schien.
Daß Besborodko, bei seinen großen Reichtümern,
eine Million Schulden hinterlassen konnte, wird jeder
unglaublich finden und doch ist es buchstäblich wahr.^)
91. Besborodko II.
Dieser Besborodko war der jüngere Bruder des
Staatsministers. Von ihm wissen wir nichts zu melden,
als daß er seine Laufbahn in Kriegsdiensten anfing,
dieselben aber bald verließ und Zivilstellen bekam. Er
^) Es wird dies dadurch erklärlich, daß Besborodko ein leiden-
schaftlicher Spieler gewesen sein soll.
g2. Lasarew. 379
wurde zugleich mit seinem Bruder von dem deutschen
Kaiser in den Grafenstand erhoben.
Im Jahre 1799 war er Wirkhcher Geheimer Rat, Se-
nator im dritten Departement und Ritter des Alexan-
der-Newsky-Ordens.
Er war der einzige Erbe der Reichtümer seines
Bruders.
So viel wir wissen, hat er sich vermählt und sein Ge-
schlecht fortgepflanzt.
92. Lasarew.
Lasarew, ein ganz gemeiner Armenischer Kauf-
mann, besaß schon einiges Vermögen, als er in Peters-
burg zu handeln anfing.
Er hatte das Glück, daselbst mit Männern im Staate
bekannt zu werden, die ihn durch die Autorität der
Krone in seinem Handel unterstützen konnten. Diese
waren anfänglich die Orlows, und in den folgenden
Zeiten Potemkin, Wjasemsky,^) Alexander Woronzow
und Besborodko. Man machte mit Lasarew gemein-
schaftliche Unternehmungen, bei denen nur zu ge-
winnen, nicht aber zu verlieren war. So übernahm man
die Lieferung des Kupfergeldes aus Katharinenburg^)
in die Hauptstädte und Provinzen des Reichs, die man
^) Knes oder Fürst Wjasemsky war für die Fmanzen gewiß
einer der brauchbarsten Männer, die Rußland jemals gehabt. Panin
sprach immer übel von ihm, aber er hatte Unrecht. Wjasemsky
war für die Kaiserin vielleicht nützlicher als er. Er kannte die
Stärke und Schwäche seines Vaterlands und half aus allen Verlegen-
heiten. Er starb in den neunziger Jahren in großer Geistesschwäche
imd war nicht so reich, als man glaubte. H.
^) Katharinenburg, von Peter I. angelegt, hat die beträchtlichste
Kupfermünze. Das Pud Kupfer, das der Krone nicht fürf Rubel
kostet, wird zu mehr als 16 ausgeprägt. H.
380 92- Lasarew.
verzögerte, das Kupfer anderwärts mit größerm Vor-
teil nutzte und dadurch überall Mangel an dieser Münz-
sorte verursachte; ein Umstand, den die Kaiserin nie
erfuhr.
Lasarew war es auch, der den großen Diamant nach
Petersburg kommen ließ. Er stand an der Spitze dieser
Unternehmung, zog aber den größten Vorteil davon,
denn er machte sich die Bedingung, jährlich, so lange
er lebte, viertausend Rubel Gnadengehalt zu bekom-
men. Es war klug von ihm, daß er diese Bedingung
aufstellte, aber es war auf der andern Seite sehr
schwach, daß man sie zugestand.
Durch die Unterstützung seiner Beschützer in Ruß-
land wurde er Staatsrat und durch die des Grafen
Cobenzl,!) Ambassadeur des Deutschen Kaisers, wurde
er deutscher Reichsgraf.
Er starb im Jahre 1801 und hinterließ zwölf Millio-
nen Rubel.
Man rühmt einige guten Eigenschaften an ihm. Ein
Denkmal seiner Wohltätigkeit, oder seiner Pracht-
liebe, war die Erbauung der Armenischen Kirche
in der Newskyschen Perspektive in Petersburg, die
noch jetzt eine Zierde dieser Residenz ist.
Er hatte einen Sohn, den er mit großen Geldauf-
opferungen zu der Stelle eines Adjutanten des Fürsten
Potemkin brachte; ein Schritt, durch welchen derselbe
leicht zu großen Ehrenstellen gelangen konnte. Dieser
Sohn starb in den neunziger Jahren an den Pocken.
— Wir wissen nicht, wer Lasarews großes Vermögen
geerbt hat.
^) Graf Cobenzl war zuletzt österreichischer Staatsminister,
verlor aber diese Stelle nach der Schlacht bei Austerlitz. — Ludwig
Graf Cobenzl (1753 — 1809) war 1779 — 1797 kaiserlicher Gesandter
in Petersburg.
9J. Wassiljew. 38 1
93. Wassiljew.
Das Bewußtsein, nie gestrauchelt zu haben, ist die
herrlichste, sehgste und unvergänglichste Beruhigung
eines hohen Staatsbeamten.
Wassiljew war von dunkler Herkunft, aber er er-
setzte diesen unwillkürlichen Mangel durch Geistes-
gaben und durch Kenntnisse, die der höchsten Ge-
burt würden zur Ehre gereicht haben. Dieser wirk-
lich große Mann war zwanzig Jahre lang, nächst
Wjasemsky, die Seele der russischen Finanzen und
so verwickelt sie auch in der Regierung Katha-
rinas IL waren, so verstand er es doch, die Mittel
zu finden, um den Willen der Souveräne zu befrie-
digen, und den Bedürfnissen des Staats Genüge zu
leisten, ohne die Untertanen übermäßig zu drücken.
Was außer dem eigenthchen Finanzfache zum Nach-
teil der Finanzen im allgemeinen am Hofe, in der
Armee und bei der Flotte geschah, konnte, vermöge
seines engern Wirkungskreises, von ihm nicht ver-
hindert werden.
Wassiljew fing seine Laufbahn in der Kanzlei des
Knes Wjasemsky an. In der Schule dieses guten Lehr-
meisters, den er jedoch endlich übertraf, erwarb er sich
eine Kenntnis der Stärke und Schwäche des russischen
Reichs, wie sie vor ihm noch kein Finanzminister ge-
habt hat.
Was den Wert der vorzüglichen Geistesgaben noch
erhöht, war sein vortreffUcher, wohltätiger und fester
Charakter.
Er starb im Jahre 1807.
Damals war Wassiljew russischer Graf, WirkHcher
Geheimer Rat, Senator, Schatzmeister des Reichs,
382 94- Dubjansky. — g^. Sorizsch.
Generaldirektor des medizinischen Kollegiums und
Ritter des Alexander-Newsky-, des Annen- und Wla-
dimir-Ordens von der zweiten Klasse.
94. Dubjansky.
Dubjansky war ein gemeiner Mönch. Seine große
Rechtschaffenheit machte, daß er von jedermann ge-
schätzt wurde, und seine unter Leuten seines Schlages
ungewöhnliche Gelehrsamkeit half ihm zu der wich-
tigsten geisthchen Stelle im Staate: er wurde Beicht-
vater der Kaiserin Katharina IL Hier hatte er Ge-
legenheit, große Reichtümer zu sammeln.
Er hinterließ einen Sohn und eine Tochter, die er
nach seinem Beispiele sehr gut erzog. Der Sohn war
in den neunziger Jahren Hauptmann der Garde mit
Oberstenrang, die Tochter aber Hoffräulein der Kai-
serin Katharina IL
95. Sorizsch.
Sorizsch, von Geburt ein Edelmann, aber aus einem
Geschlechte, das bisher ganz ohne Ansehen gewesen
war, hatte von seiner frühesten Jugend an in Mihtär-
diensten sich ausgezeichnet und kam nun als Husaren-
major nach Petersburg, um eine vorteilhaftere An-
stellung zu suchen. Er hatte viel Dreistigkeit, ließ sich
durch keinen Schein von Möglichkeit, eine Fehlbitte
tun zu können, abschrecken und wendete sich daher
sogleich an den alles vermögenden Potemkin, um durch
ihn die Beförderung seines Glücks zu erhalten. Dieser
tat es auch, aber gewiß nicht auf dem glänzenden Wege,
95- Sorizsch. 383
auf welchem Sorizsch die Verbesserung seines Schick-
sals gesucht hatte.
Potemkin war eben damals mit dem Versuche Sa-
wadowskys, anmaßend werden zu wollen, sehr unzu-
frieden und suchte einen Mann, den er in dessen Stelle
bei Hofe anbringen könnte. Er fand ihn zufälligerweise
in Sorizsch, der alle für den bestimmten Platz erforder-
lichen Eigenschaften in sich vereinigte und ihm weder
durch Verstand und Charakter, noch durch Familien-
verbindungen gefährlich werden konnte.
Potemkin erhob ihn zu seinem Adjutanten und
Oberstleutnant und stellte ihn in einer Husaren-Uni-
form der Kaiserin vor.
Er gefiel.
Noch an dem nämlichen Tage bezog er die Zimmer,
die Sawadowsky eben verlassen hatte und wurde zum
Obersten und Flügeladjutanten der Monarchin ernannt.
Nun ging die Sache ihren gewöhnlichen Gang. Ehren-
stellen, Gnadenzeichen und Reichtümer häuften sich
täglich. Keiner von Katharinas Günstlingen hat in
einer Zeit von elf Monaten (denn so lange währte nur
seine Gunst) so ungehemre Gnadenbezeigungen er-
halten als Sorizsch. Er erhielt während der Zeit als er
am Hofe war, weit über fünfmalhunderttausend Rubel
bares Geld, worunter zwanzigtausend Rubel zu seiner
ersten Einrichtung, achtzigtausend zur Einrichtung
auf seinen Gütern, zweihundertundvierzigtausend zur
Bezahlung seiner Schulden und alle seine Besoldungen
waren. Ferner bekam er an Besitzungen und andern
Vorteilen: fünfzehnhundert Bauern; desgleichen für
hundertundzwanzigtausend Rubel einige Güter, die
man vom Grafen ButurMn^) in Livland kaufte, und da
^) Graf Buturlin ist einer der .vitzigsten und unterrichtetsten
Köpfe in Rußland. Sein großes Vermögen setzt ihn in den Stand,
384 95- Sorizsch.
das Geschenk zu unwichtig schien, so fügte die Kaiserin
aus ihrer Kasse die Einkünfte dieser Güter von zehn |
vergangenen Jahren hinzu ; alsdann eine Konunanderie
des Maltheser-Ordens in Polen, die ungefähr zehn-
tausend Rubel einbrachte, und endhch die ansehn-
liche Stadt und Herrschaft Schklow in Polen, die man
vom Fürsten Adam Czartorynski^) für vierhundertund-
fünfzigtausend Rubel gekauft hatte.
Sein Schatz an Diamanten behef sich weit über zwei-
hunderttausend Rubel. Nur allein am Krönungstage
1777 bekam er Stern und Ordenszeichen vom Schwert-
Orden, Achselband, Säbel (denn er ging immer als Hu-
sar gekleidet). Federstutz, Ring, Halsknopf (die man
damals trug, wie jetzt die Busennadeln), und Schuh-
schnallen von Brillanten. — Auch seinem Stolze wurde
geschmeichelt. Er übersprang den Grad eines Briga-
diers und wurde Generalmajor und Generaladjutant
der Kaiserin.
ganz unabhängig vom Hofe zu sein, von dem er auch imter Katha-
rina II. nicht gesucht wurde. Seine Talente für die Gesellschaft
sind unübertreffbar. Frau von Diwow ist seine Schwester.
^) Fürst Adam Czartorynski, einer der vornehmsten und reichsten
Polen, der selbst Absichten auf die Krone seines Vaterlandes hatte,
war ein leiblicher Cousin Stanislaws Augusts. Die Umstände
änderten sich so, daß er nach Dresden gehen mußte, um die Krone
dem damaligen Kurfürsten, jetzigen König von Sachsen, anzubieten,
der sie nicht armahm. Cz. lebt wahrscheinlich in Wien. H. Seine
Söhne waren: der russische Staatsminister Adam Czartorynski
und Konstantin, der Kammerherr ist. Fürst Adam Kasimir Czjir-
torynski, geboren 1734, starb am 19. März 1823 auf seinem Gute
Sieniawa in Galizien. Seine Söhne waren Adam Georg, geboren
1770 — der berühmte polnische Patriot, — starb als Verbannter
1861 in Montfermeil bei Paris. Sein Bruder, Fürst Konstantin,
geboren 1773, kämpfte auf der Seite Napoleons gegen Rußland,
trat dann später ins russische Heer ein. Er zog sich 1828 nach Wien
zurück. Fürst Konstantin ist der Gründer der bekannten Fürstlich
Czartorynskischen Kunstsammlungen (s. Theod. v. Frimmel, Lexikon
der Wiener Gemäldesammlimgen. München, Georg Müller, 1913,
I. Bd., S. 275 ff.). Er starb am 23. April 1860.
gß. Sorüsch. 385
Von russischen Orden hatte er nur die vierte Klasse
des Georg-Ordens, den er sich durch seine Bravheit
verdient hatte, aber er hatte einige ausländische Orden.
Im August 1777 schickte der Großmeister von Malta
der Kaiserin zwei Kreuze zu ihrer Disposition. Sie gab
eines an Ribas und das andere an Sorizsch. Der König
von Schweden, der eben damais in Petersburg war,
machte ihn, als einen Militär, zum Ritter des Schwert-
Ordens und schickte ihm von Helsingfors aus das
große gelbe Band. Endlich ließ man am Ende des
Jahres 1777 auch noch aus Warschau den Weißen
Adler-Orden für ihn kommen.
Sorizsch blieb, wie gesagt, nur elf Monate im Ge-
nüsse dieses Glücks. Unbedachtsam, wie er war, glaubte
er mit eigenen Flügeln fliegen zu können. Aber Potem-
kin bemerkte dessen eigenmächtigen, kühnen Flug und
drückte ihn zu Boden. Eine unbedeutende Zänkerei,
die Sorizsch mit dem Fürsten hatte, veranlaßte die
Entfernung des erstem. Potemkin hatte keinen Groll
gegen ihn, war nicht neidisch auf dessen ungeheure
Reichtümer und fürchtete nicht dessen schnell empor-
geschossenes Ansehen, weil er wußte, daß Sorizsch
durchaus so unbedeutend war, daß er ihm schlechter-
dings nicht gefährlich werden konnte; aber er wollte
zeigen, daß man nicht ungestraft sich auch nur den
Schein erlauben dürfe, sich ihm widersetzen zu wollen
und wollte durch Beispiele vor der Gefahr warnen, je-
mals einen solchen Gedanken zu fassen.
Der Fürst stellte der Kaiserin vor, daß es für ihre
aufgeklärten Einsichten unangenehm und demütigend
zugleich sei, einen Mann von so ganz eingeschränkten
Kenntnissen, wie Sorizsch, um sich zu haben und
machte ihr Vorschläge zur Wahl eines andern Adju-
tanten, mit dem sie in diesem Stücke zufriedener sein
Russische Günstlinge. 25
386 95- Sorizsch.
könne. Da sie eben in dem Augenblicke auch wenig Zu-
neigung zu ihm fühlte, so nahm sie den Vorschlag des
Fürsten an.
Sorizsch war eben im Sommer 1778 mit der Kaiserin
und Potemkin in Zarskoje Selo. Er befand sich im Juni
eines Abends allein in seinem Zimmer, als er den Be-
fehl erhielt, sich in dem nämlichen Augenblick vom
Hofe zu entfernen, und sich auf seine Güter zu begeben.
Er war wie vom Schlage getroffen. Wie ein Pfeil schoß
er bis an die Zimmer der Monarchin, aber man ver-
wehrte ihm den Eingang. Er bat um die Erlaubnis, Ab-
schied nehmen zu dürfen, aber sie wurde ihm rund ab-
geschlagen. Nun eilte er zu dem Fürsten Potemkin,
aber dieser bestand darauf, daß er noch an dem näm-
lichen Abende auf seine Güter nach Livland und von
da nach Weiß-Rußland gehen müsse, um dort diejenigen
Güter zu übernehmen, die man für ihn von Czarto-
rynski gekauft hatte. Einwendungen halfen nicht. Er
mußte abreisen und vertraute Bediente zurücklassen,
die ihm seine Sachen nachbringen mußten.
Er nahm den Weg, den man ihm vorgeschrieben
hatte. In Schklow heß er sich nieder und richtete sich
fürstlich ein. Alles, was die Annehmhchkeiten des Le-
bens durch Aufwand befördert, das hatte er; sogar eine
Theatergesellschaft. Aber bald waren seine großen Ein-
künfte nicht hinreichend, seine sybaritische Lebens-
weise zu unterhalten. Da er nicht Herr genug über sich
war, seinem Aufwände Schranken zu setzen, so geriet er
bald in die größte Verlegenheit. Am Ende des letzten
Jahrhunderts waren seine Besitzungen mit Schulden
beladen und fast alle seine Juwelen verkauft.^)
^) Sorizsch soll sich dadurch aus der Verlegenheit geholfen
haben, daß er mit Eifer und Geschick Falschmünzerei betrieb.
(Beruh. Stern I, S. 273.)
gS- Sorizsch. 387
Sorizsch war klug genug gewesen, sich bald nach
seiner Entfernung vom Hofe durch demütige Unter-
werfung mit dem Fürsten Potemkin auszusöhnen.
Dieser erlaubte ihm sogar im Jahre 1787 unterwegs zu
ihm zu kommen, als der Fürst auf dem Wege nach
Cherson beschäftigt war, die theatralischen Einrich-
tungen anzuordnen, welche die Kaiserin auf ihrer Reise
täuschen sollten.^)
Potemkin nahm ihn mit Güte auf und hätte es gern
gesehen, wenn er durch ihn den stolzen und gefähr-
lichen Mamonow hätte verdrängen können.
Sorizsch war noch ein schöner Mann und nicht an-
spruchslos.
Die Kaiserin willigte ein, ihn zu sehen, behandelte
ihn mit Gnade und machte ihn zum Generalleutnant.
Doch dabei blieb es. Potemkin, der seit einiger Zeit nur
in Intervallen am Hofe gelebt hatte, verlor nach und
nach von seinem Ansehen. Er bemerkte es jetzt deut-
lich, wollte aber keine auffallende Szene wegen einer
Sache erregen, die ihn im Grunde nicht so außerordent-
lich interessierte.
Sorizsch ging zurück, wie er gekommen war.
Dieser außerordentlich schön gebildete Günstling ge-
hörte, wie wir jetzt gleich zeigen werden, zu der ge-
ringen Anzahl von Männern, die kein Laster, wenig
Fehler, einige Tugenden und viel angenehme Eigen-
schaften besitzen.
Sorizsch hatte keinen durchdringenden Verstand,
aber er war weit entfernt, ein eingeschränkter Kopf zu
sein. Erziehung hatte er nicht und folglich auch, außer
^) Gemeint sind die ,,Potemkinschen Dörfer", die der allmächtige
Günstling als Statthalter der Krim 1787 errichtete, um der Kaiserin
den blühenden Zustand der Provinz vorzutäuschen.
25*
388 9^- Korsakow.
der französischen Sprache, nicht die geringsten Kennt-
nisse erlangt. Aber er war äußerst witzig, belustigend
im höchsten Grade und von einer unerschöpflichen und
ununterbrochenen guten Laune. Diese für die Gesell-
schaft so angenehmen Eigenschaften machten ihn ohne
Widerspruch zum liebenswürdigsten von allen Günst-
lingen Katharinas. Er war überdies brav, ehrhch, gut-
mütig, dienstfertig und keiner Verstellung fähig. Schade
war es, daß so gute Eigenschaften oft durch eine un-
glaubliche Eitelkeit, durch einen schwer zu übertref-
fenden Leichtsinn und durch einen unmäßigen Hang
zur Verschwendung verdunkelt wurden.
96. Korsakow.
Korsakow war ein Edelmann von einer sehr guten
russischen Familie, die eigentlich Korsakow-Rimskoy
heißt.
Er fing seine Militärdienste als Sergeant in der Garde
zu Pferde an, ließ sich aber durch Empfehlung zu einem
Kürassierregimente setzen und diente mit Auszeich-
nung in den polnischen Unruhen.
Er war Hauptmann, als der Fürst Potemkin ihn
kennen lernte.
Korsakow gefiel ihm und wurde daher zweien Kom-
petenten zugesellt, von denen die Kaiserin an die
Stelle des eben entlassenen Adjutanten Sorizsch einen
wählen sollte. Diese waren: Bergmann, ein Livländer,
und Ronzow, der Bastard eines Grafen Woronzow,
den wir aber nicht genauer anzugeben wissen. Beide
J
g6. Kofsakow. 389
hatten wenig Empfehlendes, auch wenn sie nicht mit
Korsakow verghchen wurden. Neben ihm gestellt,
verloren sie ganz, weil er ein äußerst elegantes An-
sehen hatte.
Es war aber auch noch eine andre Ursache, die Kor-
sakow den Vorzug versicherte.
Dieser junge Mann hatte den Ruf, ein Neuling in
allem, unerfahren in den Intrigen jeder Art und folg-
lich ganz imschuldig zu sein. Einen solchen Mann um
sich zu haben, hatte man längst gewünscht.
Man war übereingekommen, der Kaiserin die drei
Kandidaten in ihren innern Vorzimmern zu zeigen. Sie
kamen dahin, der Fürst Potemkin war noch nicht da.
Die Kaiserin erschien, sprach mit allen Anwesenden,
und ging endlich zu Korsakow hin. Sie gab ihm ein
Bukett, das man ihr eben brachte und trug ihm
auf, es in ihrem Namen dem Fürsten Potemkin zu
bringen und ihm zu sagen, daß sie ihn zu sprechen
wünsche. Korsakow richtete den Befehl aus. Potemkin
verstand den Wink und lun, wie er sagte, den Über-
bringer eines kaiserlichen Geschenks zu belohnen,
machte er ihn zu seinem Adjutanten.
So erzählte man wenigstens lange hernach die Ge-
schichte der Ernennung dieses Günsthngs.
Dem sei, wie ihm wolle, so ist gewiß, daß er den Tag
nach seiner Vorstellung, im Monat Juni 1778, Flügel-
adjutant wurde, und im Kaiserlichen Palais in Zarskoje
Selo wohnen blieb.
Er bheb nach und nach, aber immer in kurz aufein-
ander folgenden Monaten, Fähnrich von der Cheva-
liersgarde, die ihm, so viel wir uns erinnern, den Rang
vom Generalmajor gab, dann Wirklicher Kammerherr,
dienstleistender Generalmajor, Ritter des Weißen
oQo <)6. Korsakow.
Adler-Ordens und endlich Generaladjutant der Mon-
archin.
Seit einigen Jahren konnten die Günsthnge sich nicht
lange in der Gunst ihrer Gebieterin erhalten.
Korsakow war in dem Fall seiner nächsten Vor-
gänger.
Er verlor seine Stelle im Oktober 1779, also fünf-
zehn Monate nachdem er sie erhalten hatte. Potemkin
selbst war es, der ihn entfernte, nicht weil er ihn fürch-
tete (denn Korsakow war von selten der Verstandes
ebensowenig gefährhch als Sorizsch), sondern weil er
durch ihn die Hebens würdige Gräfin Bruce, i) die
Schwester seines Todfeindes, des Generalfeldmarschalls
Grafen Rumjanzow, stürzen wollte.
Korsakow hatte angenehme Formen und gefiel der
Gräfin, die einen besonderen Wert auf Männerschön-
heit zu setzen wußte. Sie, eine vertraute Freundin der
Kaiserin, hatte täghch Gelegenheit, den Günstling zu
sehen.
Potemkin merkte das Verständnis der Liebenden,
und weit entfernt, es zu stören, ermunterte er vielmehr
beide es fortzusetzen, um den Fall desto zuversicht-
licher bereiten zu können.
Als er seiner Sache gewiß war, entdeckte er den Ro-
man der Monarchin, die mit Recht über die Treulosig-
keit ihrer Freundin und den schwarzen Undank ihres
Günstlings aufgebracht sein mußte. Sie ließ beide ihre
Empfindlichkeit fühlen. 2)
^) Die Gräfin Bruce, eine sehr schöne und geistreiche Frau, starb
in der Mitte der achtziger Jahre. Von ihrem Gemahl ist in diesem
Buche schon die Rede gewesen. H.
2) Die „Empfindlichkeit" war echt russisch: Katharina ruft
wütend die ganze Dienerschaft zusammen und läßt das Paar noch
im Bette durchprügeln. (Stern II, S. 53i-)
g6. Korsakow. 3g I
Korsakow erhielt Befehl, in fremde Länder zu reisen,
und die Gräfin Bruce mußte nach Moskau gehen.
Doch, wenn auch dieser Fall nicht eingetreten wäre,
so würde sich Korsakow doch nicht haben auf seinem
Posten erhalten können. Dieser vorgebliche Neuhng in
allem hatte, wie man erfuhr, schon ehemals in War-
schau ein unregelmäßiges Leben angefangen, das er
noch im Kaiserlichen Palais fortsetzte. Er hatte öftere
Unpäßlichkeiten und man fing eben an, Folgen davon
zu fürchten, als sein unbesonnener Umgang mit der
Gräfin Bruce ihn vom Hofe entfernte.
Er Wieb nach seinem Abgange noch in Petersburg,
weil eine ernsthafte Krankheit ihn hinderte, diese Re-
sidenz zu verlassen. Es mußte ihm mehrmals die Ader*
geöffnet werden und es vergingen einige Wochen, ehe
er sich wieder erholen konnte.
Sobald er wieder hergestellt war, ging er einigemal,
so wie die andern Höflinge, an den Hof.
Man hat dieses Benehmen tadeln wollen, doch dünkt
uns, geschieht dies mit Unrecht. Warum sollte er, da
er noch nicht reisen durfte, nicht ebensogut wie
andere seine Ehrfurcht öffentlich einer Monarchin be-
zeigen können, die so viel Gnade für ihn gehabt hatte?
Indessen machte diese Erscheinung bei Hofe und
andre Bemühungen keinen Eindruck, so sehr er auch
gewünscht hatte, wieder in seinem Posten angestellt
zu werden. Er hoffte es sogar, weil seine Zimmer im
kaiserlichen Palais aus andern Ursachen noch unbe-
wohnt blieben ; allein er irrte sich.
Da er endlich hiervon überzeugt war, ging er so viel
uns bekannt ist nicht auf Reisen, sondern nach Mos-
kau, wo er nach dem Tode der Gräfin Bruce ein neues
Verständnis mit der geschiedenen Gemahlin des alten
3Q2 9^- Korsakow.
Grafen Strogonow,^) einer gebornen Prinzessin Tru-
betzkoy^) anknüpfte.
Er blieb immer in Moskau wohnen und lebt wahr-
scheinlich noch daselbst von den Einkünften seines
großen Vermögens.
In der Zeit seiner Gunst hat er ungefähr folgende
Geschenke erhalten: das Palais von Wasiltschikow, das
man für hunderttausend Rubel gekauft hatte. Er ver-
mietete es jährlich für dreitausend Rubel, damals eine
große Summe, jetzt eine Kleinigkeit. In der Folge ver-
kaufte er es an den alten Grafen Musin- Puschkin, 3)
wir glauben für hunderttausend Rubel.
Mit Inbegriff seiner Besoldungen bekam er an barem
Gelde zweimal hunderttausend Rubel; zur Bezahlung
seiner Schulden hunderttausend Rubel und zu seiner
Reise hundertundsiebzigtausend Rubel. Ferner erhielt
er in den besten Provinzen Rußlands viertausend
Bauern und für hundertfünfzigtausend Rubel Bril-
lanten.
Korsakow war im Grunde wohl mehr liebenswürdig
^) Graf Strogonow ist ohne Widerrede einer der gelehrtesten
Ästhetiker in Rußland. Seine großen Reichtümer haben ihm die
Mittel verschafft, die schönsten Sammlungen von Gemälden, Antiken
und Naturalien anzulegen. Dieser würdige Mann hat schon ein sehr
hohes Alter erreicht. Er ist Oberkammerherr und Ritter der russi-
schen und polnischen Orden. Sein Sohn ist ebenfalls ein Mann von
Verdiensten und schon Staatsminister. Alexander Strogonow, ge-
boren 1734, starb als Präsident der Akademie der Künste 1811 in
Petersburg. Sein Sohn Paul war General in den russischen Feld-
zügen gegen Napoleon I. Er starb 1817.
*) Sie i=t eine Tochter des Fürsten Peter und eine Enkelin des
Fürsten Nikita Trubetzkoy. Von beiden Männern ist schon in
diesem Buche etwas gesagi worden. H.
^) Graf Mu«in-Puschkin lebte noch im Jahre 1709 und war
Generalfeldmarschall. Er kommandierte einmal die Armee in Finn-
land im Jahre 1790^ wobei nichts Merkwürdiges vorfiel. Sein Sohn
hat die Gräfin Bruce geheiratet und heißt seitdem Musin-Puschkin-
Bruce. H.
g6. Korsakow. 393
als schön, aber seine Formen waren die elegantesten
und reizendsten, die man sehen konnte. Diese Politur
verlor sich jedoch bald, sein Ansehen wurde das eines
angenehmen Wüstlings und predigte die Geschichte
seiner unregelmäßigen Lebensweise.
Die Hauptzüge in seinem Charakter waren Leicht-
sinn und Gutmütigkeit.
Er hatte die Gabe einer sehr angenehmen Unter-
haltung und einen richtigen, obgleich nicht durch-
dringenden Verstand, aber nicht die geringsten Kennt-
nisse. Über diesen letztern Punkt hat man eine Anek-
dote, die sogar gedruckt ist, deren Wahrheit wir jedoch
nicht verbürgen.
Man sagt nämhch, Korsakow habe gehört, daß ehe-
mals die alten Staatsminister und vornehmen Hof-
männer zahlreiche Bibliotheken hatten, die zum Staate
in einem großen Palais notwendig waren. Als er nun
den Palast des Herrn von Wasiltschikow von der Kai-
serin geschenkt bekam, habe er emen Buchhändler
kommen lassen und bei ihm eine Bibliothek für einen
bestimmten Saal bestellt. Auf die Frage des Mannes,
ob Herr von Korsakow den Aufsatz der Bücher ge-
macht habe, die er haben wollte und welche Wissen-
schaften besonders darin aufgenommen werden sollten,
habe der Günstling geantwortet: ,, Darum bekümmere
ich mich nicht, das ist Ihre Sache, unten müssen große
Bücher stehen und immer höher hinauf kleinere, just,
wie es bei der Kaiserin ist."
394 97- ■^W'^w Strachow.
97. Iwan Strachow.
Iwan Strachow, ein Russe bürgerlichen Herkom-
mens, war der Vetter einer Kammerfrau der Kaiserin
Katharina II.
Sein Wuchs war klein, sein Gesicht häßhch und
sein Anstand unangenehm. Dennoch glaubte er, auf
die Monarchin — die eben damals den Günstling
Korsakow vom Hofe entfernt hatte — Eindruck
gemacht zu haben, weil diese Fürstin, als sie ihm
von ungefähr in Zarskoje Selo in ihrer Garderobe sah,
ihn mit ihrer gewöhnlichen Anmut und Herablassung
anredete.
Strachow war so gewiß von seinem Wert überzeugt,
daß er sogar von der Möglichkeit, Günstling zu werden,
mit dem Grafen Panin sprach, in dessen Kanzlei er
als Sekretär arbeitete. Er machte diese Entdeckung
dem Grafen, als er mit ihm von Zarskoje Selo herein-
fuhr, woselbst der Minister Vortrag bei der Kaiserin
gehabt hatte. Panin hielt ihn geradezu für toll und
wollte ihn von diesem törichten Wahn abbringen.
Doch Strachow war wirklich nicht so sinnlos als
Panin glaubte ; wenigstens ward er durch seinen Wahn
glücklich.
Er ging öfter zu seiner Verwandten und sah immer
die Kaiserin, die, auf eine ganz unbegreifliche Weise,
wahrscheinlich um sich zu belustigen, sich zuweilen
gern mit ihm unterhielt.
Als sie einst zu ihm sagte, er sollte sich eine Gnade
ausbitten, fiel Strachow auf seine Knie, und bat um
ihre Huld. Diese Probe seines Verstandes mochte wahr-
scheinlich zu stark sein. Die Kaiserin sah ihn nie wie-
der als öffentlich am Hofe.
Indessen hatte er bei dieser Gelegenheit sein Glück
g8. Alexander Lanskoy. 395
gemacht. Er bekam große Geschenke an Geld und
Bauern und wurde Wirkhcher Staatsrat, Vizegouver-
neur von Kostroma und Ritter des Wladimir-Ordens.
98. Alexander Lanskoy.
Alexander Lanskoy war der Sohn eines russischen
Edelmanns von sehr guter Familie.
Er war Chevaliergardist, als ihn der General Tolstoy^)
schon in der Zeit, als noch Korsakow bei Hofe wohnte,
der Monarchin zum Generaladjutanten empfahl. Sein
äußerer Anstand und seine Unterhaltung gefielen zwar
dieser Prinzessin, allein — besondere Umstände ver-
anlaßten sie damals, ihre bestimmte Entschließung
noch zurückzuhalten. Indessen erhielt er zehntausend
Rubel, um sich einigermaßen einrichten zu können.
Zugleich gab man ihm von verschiedenen Seiten teils
den Befehl, teils den freundschaftlichen Rat, sich an
den Fürsten Potemkin zu wenden. Der Fürst nahm
dieses Zeichen des Zutrauens sehr günstig auf und
machte ihn sogleich zu seinem Adjutanten. In dieser
Stelle blieb Lanskoy sechs Monate.
Erst in der heihgen Woche 1780 fand die Kaiserin,
die bisher wichtige Geschäfte gehabt hatte und kränk-
lich gewesen war, einen Augenblick Zeit, sich den jun-
gen Lanskoy vorstellen zu lassen. Sie ernannte ihn zu
ihrem Flügeladjutanten und zum Obersten.
An dem nämlichen Tage bekam er den Befehl, die
^) General Tolstoy hatte sich im ersten Türkenkriege einen sehr
rühmlichen Namen erworben. Die beiden Grafen Tolstoy, die jetzt
wichtige Staatsämter am russischen Hofe bekleiden, sind seine
Söhne. Er starb in den achtziger Jahren. H.
396 9^- Alexander Lanskoy.
Zimmer, die Korsakow im Palais bewohnt hatte, ein-
zunehmen.
Lanskoy machte seine Existenz am Hofe nur durch
seine lobenswürdige Anhänghchkeit an die Kaiserin
und durch die Belohnungen merkwürdig, die er dafür
erhielt.
Er befaßte sich nie mit Staatsgeschäften, die so
wenig für ihn gemacht waren als er für sie. Demunge-
achtet hätte er doch oft Gelegenheit gehabt, sich wich-
tig zu machen.
Zu seiner Zeit kamen Joseph IL, dann Friedrich
Wilhelm, der Thronfolger Friedrichs IL, und endlich
Gustav III. nach Rußland. Jeder von ihnen hätte ihn
gern in sein Interesse gezogen, aber sein Betragen war
immer so zurückhaltend, daß man ihm nie beikommen
konnte.
Hofintrigen vermied er sorgfältig, und man kann
sagen, daß, so lange er am Hofe war, Weiber und
Schwätzer wenig oder gar keine Geschäfte dieser Art
daselbst treiben konnten.
Selbst seine Verwandten hatten keinen Zutritt bei
ihm, obgleich die Monarchin, aus eignem Antrieb,
einigen von ihnen Stellen am Hofe gegeben hatte.
Kurz, Lanskoy verband sich mit keinem, lebte bloß
für seinen Dienst und opferte sich seinen Pfhchten auf.
Diese Ruhe des Günstlings schien für keinen gefähr-
lich und war es für alle. Sein Ansehen bei der Mon-
archin, die er nie verließ, war unbegrenzt. Jeder ge-
stand sich, daß es Lanskoy nur ein Wort koste, um
ihn zu stürzen, und Potemkin selbst fühlte, daß sein
politisches Dasein fast nur allein von dem Willen dieses
Günstlings abhänge.
Zum Glück für die Höflinge lebte dieser furchtbare
Mann nicht lange. Seit seiner Erscheinung am Hofe
g8. Alexander Lanskoy. 397
war er immer kränklich. Gleich anfänglich hatte er ein
hitziges Fieber. Durch die Bemühungen der Ärzte und
durch die sorgfältigste Pflege erholte er sich wieder von
seiner Krankheit. Doch war seine Gesundheit nicht un-
unterbrochen; er hatte zuweilen kleine Anfälle von
Kränklichkeit. Hieran war er wohl größtenteils selbst
Schuld. Seit einiger Zeit hatte er die Gewohnheit, viel
erhitzende Arzneien zu sich zu nehmen, um dadurch,
wie er fälschlich wähnte, seinen Kräften aufzuhelfen.
Man kann denken, daß er dadurch seinen Zustand eher
verschlimmerte. Doch würden seine Jugend und seine
starke Natur ihn gerettet haben.
Aber eines Tages im Sommer 1784, als er sich eben
außerordentlich erliitzt hatte, aß er eine große Menge
süßer Zitronen.^)
Von diesem Abend an verfiel er in eine tödliche
Krankheit. Alle Künste der Hof- und Stadtärzte wur-
den aufgeboten, aber vergebens.
Endlich, vierzehn Tage nachher, am 25. Juni, ließ
die gütige und besorgte Kaiserin, die sogar die Pflege
in der Krankheit nach ihrem Befehl geleitet hatte, den
berühmten Weickhard^) rufen, den sie schon so lange
vorher wegen seines großen Rufs aus Fulda nach Pe-
^) Gemeint sind Apfelsinen, damals und viel später noch eine
kostbare Frucht.
^) Weickhard ward das Opfer einer Kabale. Als er nach Peters-
burg kam,, wurde er gar nicht so geschätzt, als ti verdiente. Es war
ihm schmerzhaft, sich aus seinen glücklichen \>rhältnissen gerissen
zu sehen. Sein Bruder ist ein geschickter Arzt in Petersburg. Jegar
Adamowitsch Weickhard (1742 — 1803) war vom Jahre 1784 an der
Luibarzt der Kaiserin. Sein Leben und sein? Erfahrungen am russi-
schen Hofe hat Weickhard in der Schrift „Denkwürdigkeiten aus der
Lebensgeschichte des Kaiserl. Russischen Staatsrats M. A. Weick-
hard" (Leipzig 1802) niedergelegt. Umständlich wird darin (S. 276)
über das Leiden und den Tod Lanskoys berichtet. Die von Heibig
hervorgehobene Mißstimmung Weickhards hat seinen Grund in dem
Größenwahn des Arztes, der sich von allen verfolgt und imterschätzt
wähnt.
398 9^- Alexander Lanskoy,
tersburg hatte kommen lassen. Er gehorchte ungern,
weil ihn Lanskoy schon zuvor einmal durch Unhöüich-
keiten von sich gejagt hatte. Aber auf den Befehl der
Monarchin ging er doch mit dem Assessor Kelchen^)
zu dem Kranken.
Sobald er diesen sah, sagte er gleich zu der Kaiserin :
„Noch heute abend stirbt er." Er fand nämhch, daß
Lanskoy schon den Brand im Halse hatte. "Die Mon-
archin wollte es nicht glauben und zog die Wissen-
schaft des Arztes in Zweifel. Sie behauptete, dieser
nahe Tod sei unmöglich, weil der Kranke schon wieder
sprechen könne. 'Indessen hatte Weickhard doch recht.
Der Brand im Halse hatte schon gewirkt.
Lanskoy starb noch am Abende des 25. Juni 1784, im
siebenundzwanzigsten Jahre seines Alters.
Da er mit niemand in Verbindung gestanden hatte,
so wurde er auch von niemand betrauert als von der
menschenfreundhchen Monarchin, deren sanftes Herz,
immer von den Gefühlen der Freundschaft durch-
drungen, einen sehr gerechten Schmerz bei dem Ver-
lust eines Mannes äußerte, den sie täglich in ihrer Ge-
sellschaft zu sehen gewohnt war, und dessen Dienste
sie zu schätzen wußte. Aus Vorsicht öffnete man ihr
eine Ader. Sie verhüllte dabei ihr Gesicht mit einem
dichten Schleier, um ihren Zustand zu verbergen, der
zu irgendeiner Auslegung hätte Anlaß geben können.
Die Kaiserin konnte sich jedoch lange nicht von dem
Schrecken erholen, den ihr natürlicherweise dieser
ganz in ihrer Nähe erfolgter Tod verursacht hatte.
Ihr erhabener Geist schien auf einige Zeit zu schlafen,
aber die Regungen ihres gefühlvollen Herzens sprachen
laut.
Katharina IL gab jetzt aufs neue Beweise von der
^) Kelchen war Hofmedikus und ein geschickter Arzt.
g8. Alexander Lanskoy. 399
großen Menschenliebe, die man immer zu bemerken
Gelegenheit gehabt hatte.
Noch lange knüpften sich, wenn man so sagen kann,
ihre traurigfrohen Empfindungen an die Gestalt des
Verstorbenen.
Die Kaiserin fuhr nach dem Tode Lanskoys mit
dessen Schwester, einer Frau von Kurselew, ^) nach Pe-
tersburg und von da nach Pela, einem kleinen unaus-
gebauten Lustschloß in der Nähe der Residenz; aber
nach Zarskoje Selo kam sie in diesem Sommer nicht
wieder zurück.
Ein schwärmerischer, jugendlicher Wunsch, den
Lanskoy einmal gehabt hatte, in einer romantischen
Gegend des Gartens in Zarskoje Selo begraben zu wer-
den, wurde ausgeführt. Man brachte seine Leiche da-
hin und bezeichnete den Ort durch eine einfache aber
kostbare Urne von Marmor, die man noch in den neun-
ziger Jahren daselbst sah. Die Leiche selbst blieb bis
zum Winter in dieser Grabstätte.
Ungesittete Bösewichter nahmen den Leichnam aus
dem Sarge, verstümmelten ihn und suchten durch
schändliche Schmähschriften, die aber doch einen Ver-
fasser von Verstand verrieten, das Andenken des Ver-
storbenen zu entweihen.
Die Kaiserin, die darüber mit Recht aufgebracht
war, ließ den Sarg in der Kirche der nahe gelegenen
Stadt Sophia beisetzen, bis eine andre kleine aber ge-
schmackvolle Kapelle daselbst erbaut war, in welcher
man ihn begrub, und die man daher das Mausoleum des
Günstlings Lanskoy nennen könnte.
Die großen Gnadenbezeigungen der Monarchin bei
*) Der Gemahl dieser Dame wurde nach Lanskoys Tode Flü^el-
adjutant und Oberst, nahm aber bald seinen Abschied und lebt
von seinem großen Vermögen.
400 gS. Alexander Lanskoy.
Lanskoys Leben und nach seinem Tode wurden aller-
dings durch seine scheinbar unverfälschte Güte des
Herzens, durch seinen gleichmütigen, von keinem
äußern Eindruck beunruhigten Lebenswandel und
durch seine unverbrüchlich treue Anhänglichkeit an
die geheiligte Person der Kaiserin gerechtfertigt. Es
ist gewiß, und diese Prinzessin gestand es selbst, daß
sie in ihrem Leben nie ein Beispiel solcher Treue ge-
funden habe.
Aber übrigens war seine Existenz für viele Menschen
im russischen Reiche schädlich, für keinen nützlich und
für die meisten gleichgültig. Er hatte weder Kennt-
nisse noch Geistesfähigkeiten, die ihn bedauern mach-
ten, und es wäre noch sehr zu untersuchen, ob seine
Treue gegen die Monarchin eine überlegte Tugend, eine
natürliche Stimmung oder ein studierter Betrug war.
Verborgener Geiz war der Grund seines Charakters und
der Hebel seiner Handlungen, die nur darauf ab-
zweckten, unermeßliche Reichtümer, Ehrenstellen und
Gnadenzeichen zu häufen.
Wenn Lanskoy länger gelebt hätte, so würde er alle
Emporkömmlinge übertroffen haben. Er, der in seinem
siebenundzwanzigsten Jahre starb, war damals schon
Generalleutnant, Generaladjutant, Wirklicher Kam-
merherr, Leutnant des Korps der Chevaliersgarde, Chef
des Kürassierregiments Troizk und Ritter des Alexan-
der-Newsky-, des Weißen Adler-, des Stanislaus-, des
Nordstern- und des Annen-Ordens.
Lanskoy kostete dem Staate in einer Zeit von drei
Jahren und einigen Monaten sieben Milhonen Rubel;
so hoch belief sich seine Verlassenschaft an Gütern.
Häusern, Kostbarkeiten, barem Gelde und Brillanten.
Er machte die Kaiserin zur Erbin seiner Reichtümer,
allein diese Fürstin hatte die Großmut, sie seinen
g8. Alexander Lanskoy. 401
nächsten Verwandten zu überlassen. Sie behielt nur
die kostbare Gemäldesammlung, das für den Kenner
unschätzbare Medaillenkabinett, die Bibliothek, die
freilich manchen Ladenhüter enthielt, alles Silberge-
schirr und für viermal hunderttausend Rubel Güter.
Dies alles kaufte sie aus der Erbschaftsmasse mit ba-
rem Gelde. Seine Besitzungen waren vortreffHch und
in den besten Provinzen des Reichs gelegen. Sein
Haus^) ist noch das schönste in Petersburg.
So wurde Lanskoy durch die Gnade der Kaiserin
wider seinen Willen erst nach seinem Tode wohltätig
für seine Verwandten, für die er bei seinen Lebzeiten
gar nichts getan hatte. Daß er den Männern in seiner
Familie nicht wichtige Staatsämter erteilen ließ, wozu
sie vielleicht nicht Fähigkeiten hatten, oder sie auf
Kosten des Reichs nicht bereicherte, wäre löblich ge-
nug, wenn er diese Enthaltsamkeit aus Patriotismus
gehabt hätte, aber daß er von seinen eigenen Reich-
tümern ihnen kein besseres Schicksal bereitete, war
schändlich und bewies, daß er keines Mitleids fähig war.
Seine Schwestern hatte die Kaiserin zu Hoffräuleins
ernannt, aber der Bruder war nicht weiter als bis zum
Oberstleutnant avanciert. Das war er noch in den neun-
ziger Jahren.
Diese Geschwister hatten keinen Vorteil von ihm,
als daß sie an der Tafel von dreißig Personen speisen
konnten, welche die Hofküche für ihn unterhielt und
an welcher er selbst niemals aß. Sieben Vettern von
Lanskoy, worunter sehr verdienstvolle Leute waren,
konnten doch nichts weiter als ganz unbedeutende
Plätze in der Armee erhalten.
^) Dieses Haus steht dem Winterpalais gegenüber. Das große
Portal und die Balkons sind ganz von dem schönsten grauen, weißen
und roten Marmor. In diesem Palast ist ein sehr geräumiges Theater,
worin gewöhnlich die deutschen Schauspiele gegeben werden.
Russische Günstlinge. 20
402 99- Alexander Yermolow.
War Lanskoy der geschätzteste von allen Günst-
lingen der Kaiserin, so war er auch gewiß einer der
schönsten.
Die Natur hatte ihm eine vollkommen reizende Ge-
stalt gegeben, die mit einem richtigen Ebenmaß des
Wuchses und des Ghederbaues vorteilhaft verbunden
war. Seine Schönheit soll auf einem vortrefflichen
Bilde^) in der Eremitage nicht erreicht sein. Er ist auf
demselben in der rot und schwarz mit Silber gestickten
Uniform der Artillerie vorgestellt.
Die Adjutanten der Kaiserin hatten das Recht, alle
Uniformen in der Armee ohne Unterschied nach ihrer
Wahl zu tragen ; nur die Uniform der Flotte war davon
ausgenommen. Wahrscheinlich fand Lanskoy, daß die
von der Artillerie ihn am besten kleide.
Das Bild ist in Kniestück. Der Günsthng ist darauf
vorgestellt, wie er den Generaladjutanten-Stock^) in
der Hand hat und vor einem Tische steht, auf welchem
sich die Büste der Kaiserin befindet und Zeichnungen
liegen.
99. Alexander Yermolow.
Nach dem Tode des Adjutanten Lanskoy machten
sich die Freunde der Kaiserin zur Pfhcht, ihre Gebie-
terin zu bitten, daß sie einen Gesellschafter wählen
möchte. Es währte lange, ehe sie von der Monarchin
die Erlaubnis erhalten konnten, ihre Vorschläge tun
zu dürfen ; endlich aber gab sie ihre Genehmigung dazu,
1) Das Bild ist von dem Engländer James Walker in Kupfer ge-
gestochen worden.
^) Dieser Stock war von Ebenholz mit einem goldenen Knopf,
worauf der kaiserliche Adler schwarz emailliert war.
Fürstin Katharina Romanowna Daschkovv
gg. Alexander Yermolow. 403
und nun bemühte man sich, schickhche Individuen zu
finden.
Dies tat unter andern die Fürstin Daschkow,^) und
man konnte von der Klugheit und den Kenntnissen
dieser Frau erwarten, daß sie gewiß einen sehr geist-
reichen Mann vorschlagen würde. Dies geschah auch.
Der Kompetent war ihr Sohn, ein junger Mensch von
den größten Hoffnungen, der unter der Aufsicht seiner
Mutter in England studiert hatte. Der Oberst, Knes
Daschkow,2) hatte wirkhch für die GeseUschaft viel
liebenswürdige Eigenschaften und sein Äußeres war
äußerst empfehlend. Er gefiel auch sogar der Kaiserin.
Aber das alles war nicht hinreichend. Der Fürst Po-
temkin, der den unruhigen Geist der Mutter kannte
und ihren Einfluß fürchtete, gab ihm die Exklusion.^)
Er nahm es nun allein auf sich, einen Mann auszu-
suchen, der den Posten des verstorbenen Lanskoy be-
kleiden könnte, und kam endlich im Februar 1785 mit
diesem Geschäfte zustande.
Alexander Yermolow, ein russischer Edelmann von
guter aber nicht in großem Ansehen stehender Familie,
war Unteroffizier im Semenowskyschen Garderegi-
ment als ihn der Fürst Potemkin zu seinem Adju-
tanten ernannte und ihn der Kaiserin bei einem des-
wegen veranstalteten Feste zeigte. Yermolow war da-
mals erst zweiundzwanzig Jahre alt und hatte den Bei-
fall der Monarchin.
Adjutant Potemkins zu sein, war, wie wir gesehen
^) Gemeint ist die alte Freundin Katharinas.
') Knes Daschkow nahm seinen Abschied als General, vermählte
sich und lebt bloß für die Wissenschaften in Moskau.
^) Nach ihren Memoiren hat die Fürstin Daschkow, ganz im
Gegensatze zu den Angaben Helbigs, alles aufgeboten, ihren Sohn
vor der verächtlichen Rolle eines Günstlings zu bewahren. (Engl.
Ausgabe, London 1840, I. Bd., S. 218, 228, 341.)
26*
AOA 99- Alexander Yermolow.
haben, gewöhnlich der erste Schritt. Es währte nicht
lange, so wurde er Flügeladjutant der Kaiserin und
bezog die gewöhnhchen Zimmer der Günstlinge.
Yermolow, der viel gemeinnützigere und liberalere
Grundsätze hegte als Lanskoy, befolgte auch ein ganz
anderes System als dieser. — Er half allen, so viel er
konnte, teils durch seine eigenen Mittel, teils durch
seinen Einfluß und ließ keinen, er mochte sein, von
welchem Stande er wollte, sobald er nur überzeugt
war, daß er es verdiene, unzufrieden von sich gehen.
Dabei machte er aber keinen Mißbrauch von seiner
Gunst, denn seine Reichtümer waren nichts im Ver-
gleich mit dem, was andere gesammelt hatten. Auf
seine Empfehlungen konnte sich die Kaiserin ver-
lassen, weil er Kenntnisse und Prüfungskraft hatte,
und keinen hervorzog, der es nicht verdiente.
Für seine Verwandten war er ein vernünftiger Wohl-
täter. Einem^) von ihnen, einem brauchbaren Mann,
verschaffte er von der Kaiserin ein Geschenk von fünf-
zigtausend Rubel; einem andern-) schenkte er selbst
dreihundert Bauern und wies ihm eine jährhche Pen-
sion von fünfzehnhundert Rubel an. An Staatsge-
schäften nahm er Anteil, sobald er glauben konnte,
daß durch seine Dazwischenkunft das Gute befördert
und das Böse verhindert werden könnte.
Eine seiner edelsten Tugenden war die Freimütig-
keit. Sie, die immer ihre Bekenner und Verehrer un-
glücklich macht, tat es auch hier. Yermolow glaubte
sich durch seine Verhältnisse mit der Monarchin be-
rechtigt, ihr über die vernachlässigten und gemiß-
^) Er hieß Lewaschew, war Flügeladjutant, Major von der Gaide
und Generalleutnant. Paul I. machte ihn zum General der Infanterie.
Ritter des Alexander-Ordens war er schon vorher.
2) Es war auch ein Lewasche »v, und zwar der nämliche, der mit
Yermolow auf Reisen ging.
gg. Alexander Yermolow. 405
brauchten Pflichten des Fürsten Potemkin in der
Staatsverwaltung Vorwürfe zu machen. Er tat es mit
der ihm eigenen Rechtschaffenheit und hatte dafür das
Vergnügen, zu bemerken, daß seine Vorstellungen auf
den Verstand und das Herz der Monarchin einen emp-
findlichen Eindruck machten. Um jedoch in den Augen
dieser Prinzessin nicht das Ansehen eines Verleumders
zu haben, so bestätigte er seine Anklagen durch ein
Beispiel, das allerdings für den Ruhm des Fürsten sehr
nachteilig war.
Dem ehemaligen Khan^) der Krim war bei der Be-
sitznahme des Landes eine ansehnliche Pension ver-
sichert worden. Fürst Potemkin, als Generalgouver-
neur von Taurien, mußte die Auszahlung der stipu-
lierten Summe besorgen. Er bekümmerte sich aber so
wenig darum, daß der Ex-Khan seit einem Jahre nichts
erhielt. Dieser brachte seine Klagen an, konnte aber
nichts erlangen. Hierauf wendete er sich an Yermolow,
dessen Teilnahme an den Schicksalen der Unglück-
lichen man ihm gerühmt hatte. Yermolow nahm die
Klage an, und machte die Kaiserin mit dem unrecht-
mäßigen Verfahren Potemkins bekannt. Die Monarchin
machte dem Fürsten über das alles die gerechtesten
Vorwürfe, ohne ihm jedoch, wie man leicht glauben
kann, die Quelle ihrer Nachrichten anzugeben.
Potemkin erriet aber den Verräter sehr bald, und
wartete nur auf Gelegenheit, sich rächen zu können.
Sie fand sich bald.
Einst beim Spiel sagte er zu dem Onkel Yermolows,
General Lewaschew, sehr harte Sachen. Dieser klagte
es seinem Neffen, der Neffe der Kaiserin und die Kai-
^) Der Khan Sabin-Cherai wurde durch Potemkin? Ungerechtig-
keiten genötigt, nach Konstantinopel zu entfliehen, woselbst er
stranguliert ward.
406 99- Alexander Yermolow.
serin brachte die Sache in Vorwürfen wieder an den
Fürsten.
„Ich sehe wohl," antwortete Potemkin, „woher die
Klagen alle kommen. Ihr weißer Mohr," so nannte er
immer Yermolow, der sehr blond war, und nach Art
der Afrikaner eine etwas platte Nase hatte, ,,Ihr weißer
Mohr sagt ihnen das alles, um mir zu schaden. Sie
können aber wählen zwischen ihm und mir ; einer von
uns muß sich entfernen."
Die Kaiserin hätte sehr wohl getan, wenn sie die
Alternative zu Yermolows Vorteil entschieden hätte.
Sie tat es nicht und fing schon an, so sehr auf Potem-
kins Seite zu wanken, daß es Yermolow bemerkte und
seinen nahen Fall für gewiß hielt. Er gab diese Meinung
sogar der Kaiserin sehr deutlich zu verstehen. Als sie
ihm den eben für ihn aus Polen angekommenen Weißen
Adlerorden imihing, sah er es für eine Art von Ab-
schiedszeichen an und sagte : malum signum. Die Kai-
serin wollte diese Äußerung nicht bemerken, aber die
Folge zeigte, daß Yermolows Bemerkung richtig ge-
wesen war. Man mußte glauben, daß Yermolow selbst
eine Veränderung wünschte.
Am Thronbesteigiingstage des Jahres 1786 — dem
großen Feste in Petershof — heß er eine ganz unge-
wöhnliche Lustigkeit blicken und nahm gegen den
Fürsten Potemkin eine beleidigende Arroganz an.
Beide lagen nicht in seinem Charakter und waren na-
her äußerst auffallend.
Dieses Benehmen war das letzte Emporstreben seiner
Kraft; Potemkin drückte ihn zu Boden. Er forderte
von der Kaiserin eine bestimmte Entschließung und
sie erfolgte sogleich. Yermolow hatte schon oft der
Kaiserin gesagt, daß er die kurze Dauer seiner Gunst,
nach dem Beispiele seiner Vorgänger, voraussehe und
gg. Alexander Yermolow. 407
in diesem Falle wünsche er nur, die Erlaubnis zu er-
halten, auf Reisen gehen zu dürfen. Jetzt erinnerte
sich die Monarchin dieses Wunsches.
Am letzten Abende des Juni, als eben Potemkin den
kategorischen Entschluß der Kaiserin verlangt hatte,
schickte sie einen Generaladjutanten zu Yermolow und
gab ihm die Erlaubnis, drei Jahre in das Ausland zu
gehen. Er nahm das Anerbieten mit Freuden an, ver-
ließ den Hof einige Stunden nachher und ging nach
Petersburg, von wo aus er sehr bald eine Reise mit
seinem Verwandten, dem Obersten Lewaschew, an-
trat.
Der Graf Besborodko erhielt Befehl, ihm Empfeh-
lungsschreiben an alle russischen Gesandtschaften in
Deutschland und Italien zu geben. Yermolow ging über
Warschau und Wien nach Italien ; benahm sich überall
mit der lobenswürdigsten Bescheidenheit, die man
während der Größe seiner Gunst immer an ihm be-
wundern mußte und erwarb sich ausgebreitete Kennt-
nisse. Nach seiner Rückkunft ging er nach Moskau,
dem Sitze aller unzufriedenen und halb oder ganz in
Ungnade gefallenen Höfhnge. Aber überall wo er hin-
kam, war er so geschätzt, wie an den Ufern der Newa,
und er verdiente diesen Tribut.
Als Yermolow den Hof verließ, war er nicht mehr
als Generalmajor und Ritter der beiden polnischen
Orden.
Das Vermögen, das er in sechszehn Monaten ge-
sammelt hatte, konnte ungefähr so berechnet werden :
zweimalhunderttausend Rubel als Besoldungen, vier-
tausend Bauern in der Mohilewschen Statthalterschaft,
ein Gut von hunderttausend Rubel, Gratifikation beim
Abschiede hunderttausend Rubel, und zu der Reise
sechzigtausend Rubel. Er hatte überdies viele und
A08 100. Alexander Mamonow.
schöne Brillanten, sie waren aber nicht beträchtlich Im
Vergleich mit denen, die seinen Vorgängern und Nach-
folgern gegeben wurden.
Yermolow hatte viel Verstand, und obgleich seine
Beurteilungskraft nicht die geschwindeste war, so
konnte man ihr doch eine große Genauigkeit nicht ab-
sprechen. Außer der Kenntnis der französischen
Sprache war er als er an den Hof kam, ziemUch un-
wissend. Die Zeit, die ihm seine Geschäfte übrigließen,
wendete er jedoch dazu an, sich wissenschaftliche und
politische Kenntnisse zu erwerben. Im Auslande bil-
dete er seinen Verstand vollkommen aus. Der höchste
Grad von Rechtschaffenheit und eine Freimütigkeit,
die allen Widerstand verachtet, waren die Hauptzüge
seines Charakters. Man kann denken, daß diese beiden
Eigenschaften, vereinigt mit einer immer düstern
Laune, die oft an Hypochondrie grenzte, ihn ebenso-
wenig zu einem Höfling, als zu einem Nachfolger des
Günsthngs Lanskoy geschickt machten.
Yermolows Wuchs und Ghederbau waren nach dem
Urteile aller, die ihn kannten, vortreffHch und sehr ver-
hältnismäßig, und sein Gesicht, die große Blondheit
und die Negernase ausgenommen, sehr schön.
100. Alexander Mamonow.
Alexander Mamonow, aus einer altadeligen russischen
Familie entsprossen, die eigentlich Dmitriew-Mamo-
now heißt, war bei dem Falle seines Vorgängers Yermo-
low Kapitänleutnant der Garde.
So wie alle bisherigen Adjutanten der Kaiserin von
dem Fürsten Potemkin gewählt worden waren, so
100. Alexander Mamonow. 409
wurde auch Mamonow am Tage nach dem Abgange
Yermolows der Monarchin vorgestellt. Man weiß, daß
er ihn als seinen Adjutanten mit einer gezeichneten
Figur zu der Kaiserin schickte, und daß der Fürst mit
dieser Prinzessin daliin überein gekommen war, daß
die Rezension der Zeichnung eigentlich das Urteil über
den Überbringer sein sollte. Katharina, indem sie das
Blatt Papier zurück gab, trug Mamonow auf, dem
Fürsten wieder zu sagen: ,,Die Zeichnung sei gut,
aber das Kolorit schlecht." Ob nun gleich dieses
Urteil nicht günstig war, so ernannte die Monarchin
diesen Offizier doch zum Obersten und zu ihrem
Flügelad j ut anten .
Er war damals nur vierundzwanzig Jahre alt, aber
er nahm gleich einen Schwung, der auf sein künftiges
anmaßendes Benehmen schließen ließ. Ehe er aber ir-
gend etwas unternahm, befestigte er sich mit großer
Klugheit so sehr in seinem Ansehen bei der Kaiserin,
daß er in der Gesellschaft dieser Prinzessin ganz unent-
behrlich war. Die Gnadenbezeigungen fingen nun sehr
bald an. Im September wurde er schon Fähnrich von
der Chevaliergarde und Generalmajor. Im Oktober
scliickte ihm der König von Polen seine beiden Orden
auf einmal (denn den Stanislaus-Orden allein nahm
schon damals kein vornehmer Russe mehr an). Mamo-
now lehnte noch ab sie zu tragen und bat den König,
ihm zu erlauben, daß er sie verwahren dürfe, bis er
einen russischen Orden erhalten habe. Hierauf ging er
zum Thronfolger und bat ihn um den Annen-Orden,
den er auch am Katharinentage, reich mit Brillanten
besetzt, trug. Nachher erst legte er auch die polnischen
Orden an.
Mit dem Anfang der Jahres 1787 begann die merk-
würdige Reise der Kaiserin. Mamonow begleitete sie.
410 100. Alexander Wamonow.
Sein Ansehen war damals schon so groß, daß sie sich
und ihn in Reisekleidern malen ließ.
Beide Bilder, die in der Eremitage zu sehen sind, hat
James Walker in Kupfer gestochen und sie werden,
was freilich nicht sehr anständig ist, überall als Kom-
pagnons verkauft. Die Unterschrift unter dem Bilde
der Kaiserin ist in mancher Hinsicht merkwürdig. Hier
ist sie:
Reconnois, vers le Nord, l'aimant, qui nous attire,
Cet heureux conquerant, profond, legislateur.
Femme aimable, grand homme, et que l'envie admire,
Qui parcourt Ses Etats, y verse le bonheur.
Grande en l'art de regner, savante en l'art d'6crire,
Repandant la lumiere, ecartant les erreurs.
Si le sort n'avoit pü Lui donner un Empire,
Elle auroit eü toujours un Throne dans nos cceurs.
L'original se trouve dans la collection
de S. E. Mr. le Comte de Mamonow.
Die Verse sind von dem damaligen französischen Ge-
sandten, Grafen Segur.
Während der Reise saß er immer in dem Wagen der
Monarchin zu sechs Personen, indessen die andre Ge-
sellschaft in demselben abgewechselt wurde.
Als die Reisenden in Smolensk anlangten, bekam er
die gewöhnliche Krankheit — Halsweh.
Die Kaiserin hatte die Güte, mit der ganzen Gesell-
schaft sechs Tage da zu bleiben; ein Umstand, der in
den Reisekosten, wegen der überall bestellten Pferde,
täglich viertausend Dukaten kostete, die übrigen ver-
lornen großen Ausgaben ungerechnet. Außerdem war
diese Reise insofern glücklich für ihn, daß er während
derselben unter andern Vorteilen zwei Regimenter und
den Kammerherrnschlüssel erhielt.
Mamonow fing in dieser Zeit auch an, Teil an den
100. Alexander Mamonow. 41 1
politischen Verhandlungen zu nehmen. Wie konnte es
aber auch anders sein? Er sah täglich und stündhch
die Gesandten von Österreich, Frankreich und Eng-
land, die ihn, jeder einzeln, gewinnen und mit den
wahren Verhältnissen der beiden andern bekannt
machen wollten. Die Kaiserin und der Fürst sprachen
in seiner Gegenwart auch immer von Politik. Endhch
kamen auf dieser Reise der Deutsche Kaiser und der
König von Polen, bloß politischer Gegenstände wegen,
mit der russischen Monarchin zusammen. Mamonow
war immer gegenwärtig, wenn Katharina II. mit Jo-
seph II. sprach, und bei der Unterredung semer Ge-
bieterin mit Stanislaw August war er der einzige Zeuge.
Überdies erzeigte ihm auch wohl die Kaiserin die Ehre,
ihm manche vertraulichen Eröffnungen zu machen,
um, wie sie sagte, ihm den gehörigen Unterricht zu
geben, von dem er vielleicht künftig einmal Gebrauch
machen könnte. Da Mamonow Verstand hatte, so
zeigte er bei der Unterweisung viel Gelehrigkeit und
erlangte sehr bald ausgebreitete politische Kenntnisse.
Er fing nun selbst an, in einheimischen und auslän-
dischen Angelegenheiten das Wort zu führen und Rat-
schläge zu erteilen, die nicht selten befolgt wurden. Auf
diese Art wurde er wichtig und selbst dem Fürsten Po-
temkin gefährlich. Schon versuchte dieser einigemal,
den Günstling zu stürzen, aber alle diese Versuche glei-
teten an demselben ohne Wirkung herab. Indessen
würde der Fürst gewiß sehr bald seinen Zweck erreicht
haben, wenn er immer in Petersburg gewesen wäre;
Mamonow gab genug Blößen, um getroffen werden zu
können.
So hatte er zum Beispiel im Jahre 1788 ein Verständ-
nis mit der Gräfin Skawronska,^) einer Nichte Potem-
*) Jetzige Gräfin Litta.
412
loo. Alexander Mamonow.
kins, das bekannt zu werden anfing. Nachdem man
ihm aber Zeichen von Unzufriedenheit gegeben hatte,
brach er diesen Umgang ab und benahm sich mit so
viel Klugheit, daß sein Ansehen größer als jemals wurde.
In den ersten sechs Monaten des Jahres 1789, die
auch die letzten seiner Gunst waren, stieg sein Kredit
am höchsten und er stand sogar schon auf dem Punkt,
Vizekanzler zu werden. Er würde es auch, des Wider-
strebens des abwesenden Fürsten Potemkins unge-
achtet, gewiß geworden sein, wenn man nur dem Gra-
fen Besborodko, der eben damals nicht in Gunst stand,
hätte einen schicklichen Platz geben können, denn den
Grafen Ostermann wollte und konnte man sehr leicht
auf Pension setzen. Wer weiß auch, wie alles würde ge-
kommen sein, wenn nicht Mamonow durch eine neue
Unvorsichtigkeit sich selbst gestürzt hätte.
In den letzten Tagen des Juni erfuhr man seine ge-
heime Verbindung mit der Prinzessin Schtscherbatow,
Hoffräulein der Kaiserin. Die Monarchin war mit Recht
über ein Bündnis aufgebracht, das ohne ihr Wissen und
sogar wider ihr Verbot geschlossen worden war. Sie
überhäufte beide Personen mit den gerechtesten Vor-
würfen und (was sie wohl nicht vermutet hatten) ver-
lobte sie noch an dem nämlichen Abende. Am 12. Juli
wurde schon die Vermählung in Zarskoje Selo in Ma-
monows Zimmern, die er auch nach der Verlobung
immerfort bewohnt hatte, gefeiert. Gleich am folgen-
den Tage mußte er mit seiner Gemahlin nach Moskau
reisen und kam, so lange die Kaiserin lebte, nie wieder
nach Petersburg.
Indessen hatte er auch dort einigemal Unannehm-
lichkeiten, weil man seine Grundsätze der Regierung
verdächtig geschildert hatte. Doch war bald nicht mehr
die Rede davon, weil die Beschuldigungen nicht er-
Stanislaus Lescinski, König von Polen
100. Alexander Mamonow. 413
wiesen werden konnten. So viel wir wissen, lebt Ma-
monow noch jetzt in Moskau ruhig und zufrieden mit
seiner Gemahlin, welches im Anfange der Ehe gar nicht
der Fall war.
Als Mamonow sich auf dem Gipfel seiner Gunst be-
fand, war er deutscher Reichsgraf, Generalleutnant,
Generaladjutant, Wirklicher Kammerherr, Leutnant
der Chevaliergarde, Premiermajor der Garde Preo-
bratschensky, Chef des Kürassierregiments Casan und
noch eines Kavallerieregiments und Ritter des Alexan-
der-Newsky-, des Weißen Adler-, des Stanislaus- und
des Annen-Ordens.
Seine Reichtümer waren nicht zu berechnen. Nur
allein von seinen Besitzungen beliefen sich die Ein-
künfte auf dreiundsechzigtausend Rubel, wozu zwei-
tausendsiebenhundert Bauern in der schönen Statt-
halterschaft Nishnij -Nowgorod gerechnet werden
müssen.
Über die Summen, die er an barem Gelde erhalten
hat, können wir nur einige Nachrichten angeben.
Gleich am ersten Tage seiner Gunst erhielt er sechzig
tausend Rubel. Dies war jedoch nur der Anfang von
ungleich größeren Geschenken.
Als vorzüglichster Generaladjutant bekam er monat-
lich fünfzehntausend Rubel etatmäßigen Gehalt, ohne
die Besoldungen von seinen übrigen Chargen; jedes-
mal an seinem Geburtstage hunderttausend Rubel, an
seinem Namenstage ebensoviel; an seinem Verlobungs-
tage endlich auch noch hunderttausend Rubel. Im No-
vember 1788 berechneten Personen, die es einiger-
maßen wissen konnten, er habe in den nächst vorher-
gehenden drei Monaten allein über eine halbe Million
Rubel erhalten.
Aber wahrscheinlich die meisten Summen, deren Ge-
414 100. Alexander Mamonow.
wißheit nur durch die Rechnungen des kaiserlichen
Kabinetts bestätigt werden könnte, erhielt Mamonow
aus dieser Privatkasse der Monarchin, aus welcher er
auf seine Unterschrift erheben konnte, so viel er wollte.
Es waren wohl, wie gesagt, die meisten Summen und
mußten gewiß sehr beträchtlich sein, weil die Kaiserin,
die so etwas nicht leicht bemerkte, im Anfange des
Jahres 1789 dem Kabinettsminister Streckalow^) ihr
Befremden zeigte, als dieser die Richtigkeit seiner Be-
rechnungen durch eine Menge kleiner Zettel von Ma-
monows Hand belegte.
Den größten Teil aller dieser bestimmten und zu-
fälligen Einnahmen konnte er zu Kapital machen, weil
er bei Hofe alles, sogar die Bedienung, frei hatte und
man ihm, so wie seinen Vorgängern und Nachfolgern,
eine Tafel hielt, die etatmäßig in der Hofwirtschafts-
kasse jährlich mit sechsunddreißigtausend Rubel in
Rechnung gebracht wurde.
Wenn man nur allein die Summen zusammennimmt,
die bekannt worden sind, so wird die Meinung derer,
welche behaupten, daß er weit über eine Million Taler
an barem Gelde erhalten habe, nicht übertrieben ge-
funden werden.
Als er den Hof verließ, verlor er natürlicherweise aUe
Besoldungen und erhielt einen etatmäßigen jährlichen
Gnadengehalt von zehntausend Rubel.
^) Streckalow lebte noch am Ende des vorigen Jahrhunderts und
war damals Wirklicher Geheimer Rat und Ritter der vornehmsten
Orden. Er war einer der unterrichtetsten, klügsten und witzigsten
Russen. — Einst begegnete ihm der Fürst Borjatinsky, der Peter III.
hatte erwürgen helfen, auf der Straße. Der Knes faßte Streckalow
am Halse und aus Scherz schüttelte er ihn. ,,Nein," sagte ihm dieser,
,,das verbitte ich mir, denn ich weiß, daß Sie diesen Handgriff sehr
ernsthaft machen." So empfindlich war bis zu Pauls I. Regierungs-
antritt Borjatinsky gewiß noch nie an sein Verbrechen erinnert
worden.
100. Alexander Mamonow. 41 5
Der Schatz seiner Brillanten stand mit seinen übri-
gen Reichtümern in sehr richtigem Verhältnis.
Alle Ordenszeichen und Sterne von allen seinen Or-
den hatte er in Brillanten sowohl als in Perlen, und alle
von der Monarchin bekommen. Zum Beispiel an seinem
Geburtstage 1788 bekam er, außer dem bestimmten
baren Gelde, den Alexander-Orden und Stern von
Brillanten, den die Kaiserin von Lanskoys Erben für
dreißigtausend Rubel gekauft hatte. Wir reebnen nicht
her, was er alles von Putz der Männer in Brillanten
hatte. Man wird es leicht beurteilen können, wenn wir
sagen, daß er unter andern mehrere Achselbänder hatte,
von denen das teuerste fünfzigtausend Rubel kostete.
Die Verlobungsringe erhielten er und seine Frau von
der Kaiserin. Jeder kostete fünftausend Rubel.
So bestrafte die großmütige Monarchin Vernach-
lässigung und Undank. Zugleich befestigte sie aber
auch durch ihre Güte die Grundsätze des Eigen-
nutzes.
Es kann den Lesern dieses Aufsatzes wohl nicht ent-
gangen sein, daß eben Eigennutz der hervorstechend-
ste Fehler in Mamonows Charakter war. Zu ihm ge-
sellten sich vorzüglich Stolz, Eitelkeit und Undank.
Ihnen hielten Ausdauer in den angefangenen Unter-
nehmungen und Anhänglichkeit an seine Familie nur
schwach das Gegengewicht ; und auch diese Tugenden
waren vielleicht nur Wirkungen seines Eigennutzes.
Desto schätzbarer waren seine Talente.
Mamonow war gewiß unter allen, die wir in seiner
Kategorie kennen, der Unterrichtetste. Er hatte sehr
viel Verstand, eine durchdringende Feinheit und so
viel Kenntnisse, daß man in einigen wissenschafthchen
Teilen, besonders in der französischen und italienischen
Literatiu:, ihn sogar gelehrt nennen könnte. Er ver-
4l6 100. Alexander Mamonow.
stand einige lebende Sprachen, aber Französisch redete
und schrieb er in der größten Vollkommenheit.
Einss seiner geringsten Verdienste war, daß er Lust-
spiele,^) im Geschmack des Aristophanes, mit hämisch
persiflierendem, leicht zu deutendem Witz verfertigte.
Dieser, dem er immer nachjagte, war selten natürlich,
und daher nicht oft glücklich. Gewöhnlich beruhte er
auf täuschendem Nachäffen des sittlichen Benehmens
einiger Personen, die man lächerlich machen wollte.
Dem Drange, durch dieses schädliche Talent zu ge-
fallen, opferte er alles, selbst Personen auf, denen er
Achtung schuldig war.
So angenehm Mamonow in Gesellschaften seinkonnte,
wenn er es wollte, so wenig war er es, wenn er Launen
hatte, die er, selbst an öffentlichen Hoftagen, eher zu
zeigen, als zu verbergen sich Mühe gab.
Sein Umgang mit jedermann war, je nachdem es ihm
nötig schien, höflich, ungezwungen und gütig. Gegen
den Thronfolger und dessen Gemahlin zeigte er die
größte Ehrerbietung und eine Aufmerksamkeit, die
ihm immer die Gnade dieses hohen Paares erhielt.
Sein Wuchs war vortrefflich, aber sein Gesicht, mit
Ausnahme der Augen, nichts weniger als schön. Das
Urteil der Kaiserin über ihn, daß das Kolorit schlecht
wäre, war eben so richtig, als die Meinung des Fürsten
Potemkin, welcher behauptete, Mamonow habe eine
Art von Kalmücken-Physiognomie.
Mit einem Wort, alle seine Vorgänger waren hüb-
scher als er.
^) Sie stehen im Th6ätre de l'Hermitage, das in Paris in zwei
Oktavbänden herausgekommen ist. Die Verfasser der darin ent-
haltenen Stücke waren, wenn wir nicht irren, die Kaiserin, die
Grafen Segur, Cobenzl, Mamonow, Strogonow und ein gewisser
Estades, der nachher in Paris guillotiniert wurde. Die besten Stücke
sind von Segur.
loi. Eck. 417
Für seine Verwandten sorgte er durch die Gnade der
Kaiserin sehr freigebig.
Der Vater, der bisher eine Charge in der Provinz ge-
habt hatte, wurde Senator, Geheimer Rat und Ritter
des Alexander-Newsky-Ordens. Zugleich gab ihm die
Kaiserin achtzigtausend Rubel zur Bezahlung seiner
Schulden,
Jeder der vier Schwestern des jungen Mamonowo
gab diese Prinzessin fünfzigtausend Rubel bares Geld
und für zwanzigtausend Rubel Schmuck.
loi. Eck.
Eck war von altdeutschen oder schwedischen Eltern
geboren. Er hatte einen sehr fähigen Kopf; ein Um-
stand, der ihm bei einer ziemlich sorgfältigen, wissen-
schaithchen Erziehung, die er erhielt, sehr vorteilhaft
war. Eck erwarb sich sehr nützliche und angenehme
Kenntnisse. Damit verband er treffenden Witz und
muntere Laune, so daß seine Unterhaltung unterrich-
tend und belustigend zugleich war. Diese verlor er je-
doch in den achtziger Jahren, den letzten seines ge-
schäftigen Lebens.
Eck war von Jugend an im Postwesen angestellt ge-
wesen, und wurde endlich Oberpostdirektor in Peters-
burg und Mitglied der sogenannten Dechiffrierexpe-
dition, ^) die unglaubliche Summen kostete, große Mühe
und Genauigkeit erforderte, und doch nur durch Kom-
binationen und den goldenen Schlüssel dechiffrierte.
^) Die Dechiffrierexpeditionen kosteten der Kaiserin große Sum-
men (z. B. die in Riga jährlich 20000 Rubel) und waren zwecklos.
Man brachte nichts als unzuverlässige Kombinationen heraus. Der
einzige oder wenigstens der sicherste Schlüssel war wohl der goldene.
Russische Günstlinge. 27
4l8 102. Dah!.
Eigenes Vermögen hatte er wohl nicht erworben,
wenigstens wird es nicht beträchthch gewesen sein;
aber seine bedeutenden Einkünfte und die Gnade der
Kaiserin setzten ihn in den Stand, den großen Aufwand
zu bestreiten, den ihm sein Hauswesen verursachte.
Er und sein Freund Dahl folgten sich im Tode bcJd
nach. Eck starb auch am Ende der achtziger Jahre.
Eck war Oberpostdirektor, Wirklicher Staatsrat und
Ritter des Wladimir-Ordens von der dritten Klasse und
des Nordstern-Ordens. 1) Den letztern hatte er während
der Anwesenheit des Königs von Schweden in Rußland
erhalten.
102. Dahl.
Dahl, der Sohn eines Handwerkers auf der Insel
Oesel oder in Riga, erlangte eine große Fertigkeit im
Rechnen und Schreiben.
Dieser Vorzug brachte ihn in die Zollexpedition in
Riga. Hier zeichnete er sich für den Vorteil der Krone
so nützlich aus, daß er Oberzolidirektor wurde. Allein
er blieb es nicht lange.
Seine Verdienste brachten ihn im Anfange der acht-
ziger Jahre in die nämliche Stelle nach Petersburg. Er
bekleidete seinen Posten in der Residenz ebenfalls zur
größten Zufriedenheit der Monarchin, aber freilich
nicht zur großen Freude der Kaufleute, die ihn wegen
seiner großen Strenge haßten.
Dahl hatte in seinen Ämtern Gelegenheit, Reich-
tümer zu sammeln und von der Großmut der Kaiserin
^) Als der Großfürst Paul unter dem Namen eines Grafen von
Norden auf Reisen ging, ließ man von Eck den Nordstern-Orden holen
und nach demselben eine Petschaft stechen, dessen sich der Prinz
während seiner Reise bediente.
loj. Stepan Tschischkowsky. 419
ansehnliche Geschenke zu bekommen. Von dem Er-
trage dieses Privatvermögens und von den sehr be-
trächthchen Einkünften seiner Stelle konnte er einen
glänzenden Aufwand bestreiten und täglich Leute an
seiner wohlbesetzten Tafel sehen. In keinem Lande ist
man so großmütig gastfrei als in Rußland; gewiß für
einen Fremden die willkommenste und vorteilhafteste
Tugend. Dahl übte sie ausgedehnten Sinne des Wortes
aus und dies war desto mehr zu bewundern, da er alt
und immer kränklich war. Bei ihm fand man, wie an
den meisten Tafeln der Russen, Leute aus allen Klas-
sen; eine Verschiedenheit, die den Wert der Gast-
freundschaft noch erhöhte.
Dahl starb am Ende der achtziger Jahre und wurde
von der Kaiserin und von denen, die ihn kannten und
schätzten, sehr bedauert.
Er war Oberzolldirektor, Wirklicher Staatsrat und
Ritter des Wladimir-Ordens von der zweiten Klasse.
103. Stepan Tschischkowsky.
Stepan Tschischkowsky, ein gemeiner Mensch von
Herkunft, Erziehung und Grundsätzen, war unter der
Regierung Katharinas IL der Schrecken des Hofs und
der Stadt.
Diese Fürstin hatte ihn zum Direktor der geheimen
Kanzlei, oder eigentlicher zu reden, zum Großinqui-
sitor von Rußland ernannt; ein Posten, den er mit
fürchterlicher Pünkthchkeit und Strenge bekleidete.
Er handelte mit einem empörenden Despotismus
und hatte keinen Begriff von Nachsicht und Schonung.
Tschischkowsky rühmte sich selbst, daß er das Mittel
A20 103- Stepan Tschischkowsky.
besitze, Geständnisse zu erzwingen; er stoße nämlich
mit dem Stocke unter das Kinn, daß die Zähne klap-
perten, oder auch wohl herausfallen müßten, ..^ ,-.
Kein Dehnquent durfte bei Lebensstrafe sich ver-
teidigen.
Gleichwohl muß man bemerken, daß diese Behand-
lung nur bei Personen von hohem Rang stattfand,
denn gemeine Verbrecher wurden durch seine unter-
geordneten Helfer behandelt. Auf diese Art brachte
Tschischkowsky Geständnisse heraus.
Die Bestrafimg vornehmer Personen vollstreckte er
auch selbst. Rutenstreiche und Peitschenhiebe teilte
er sehr oft aus. Die Knute gab er mit einer Geschick-
lichkeit, die eine Folge der Übung ist.
Als Potemkin nach langer Abwesenheit nach Peters-
burg kam und Tschischkowsky unter denen sah, die
ihm die Aufwartung machten, fragte er ihn öffentlich :
,,Wie viel Personen haben in meiner Abwesenheit von
dir selbst die Knute bekommen?" jener hatte doch die
Scham, bloß durch eine Verneigung für diesen gnädigen
Scherz zu danken.
Bei Gelegenheit der Karikaturen und Schmäh-
schriften in den achtziger Jahren, gerieten einige Per-
sonen vom Hofe in seine Hände.
In Petersburg ha'tte er täglich Geschäfte, aber auch
auswärts wurde er gebraucht.
Wenn z. B., was sehr oft geschah, von der Menge
Unfriedener in Moskau ungebührhche Reden geführt
wurden, und die Kaiserin erfuhr es, so glaubte sie, wie
in den neunziger Jahren, den Samen von Aufruhr zu
entdecken und suchte ihn zu ersticken. Sie schickte
Tschischkowsky dahin. Ganz Moskau zitterte und die
Sache wurde, nachdem einige bestraft worden waren,
wieder beigelegt.
104- Radischew. 42I
Wir tragen Bedenken, einige von den Herren und
Damen zu nennen, die in den vornehmsten Städten des
Reichs von ihm gezüchtigt wurden.
Wenn Tschischkowsky noch lebt, so ist er wenigstens
unter dem philantropischen Alexander I. ganz ohne
Beschäftigung,
Am Ende der Regierung Katharinas II. war er Ge-
heimer Rat, mit dem Prädikat : Exzellenz und Ritter
des Wladimir-Ordens von der zweiten Klasse. Seine
Reichtümer waren sehr groß, denn bei jeder Gelegen-
heit erhielt er Geschenke an Geld und Bauern.
Im Jahre 1793, als der türkische Friede geschlossen-
wurde, wozu er doch nichts beigetragen hatte, bekam
er die Versicherung einer jährlichen Pension von zwei-
tausend Rubel.
Tschischkowsky hatte einen Sohn, der sieh durch
Kenntnisse, gute Gesinnungen und gefälliges Beneh-
men auszeichnete.
104. Radischew.
Offene oder verdeckte Wahrheit den gewöhnlichen
Großen der Erde vorgetragen, war von jeher der ge-
wisse Weg, unglücklich zu werden.
Radischew machte durch seine Kenntnisse, durch
seine Tugenden und durch seine Brauchbarkeit seine
geringe Abkunft vergessen. Er hatte Gelegenheit ge-
habt, in Leipzig zu studieren und war daselbst so
fleißig gewesen, daß man wirklich sagen konnte, er
hatte in der deutschen, französischen und lateinischen
Literatur einen wahren Schatz von Kenntnissen ge-
sammelt. Diese Gelehrsamkeit war desto verdienst-
422 104- Radisckew.
lieber, weil Radischew mit ihr eine Bescheidenheit ver-
band, wie man sie selten findet.
Nach seiner Zurückkunft aus Sachsen wurde er beim
Zollwesen angestellt und blieb daselbst bis auf den
Augenbhck seiner Verbannung.
Er hätte verdient, wichtigere Stellen im Staate zu
bekleiden, aber ein Mann von Verstand paßt auch in
geringere Fächer. Da er sehr brauchbar war, so rückte
er bald in höhere Plätze in der Zollexpedition und
wurde der nächste nach dem Oberzolldirektor Dahl.
Das Haus dieses Mannes war fast der einzige Ort,
wo man Radischew sah.
Er sprach sehr wenig und selten eher, als bis er ge-
fragt wurde. Aber wenn er eine Veranlassung hatte,
dann drückte er sich gut aus und war sehr unterrich-
tend. Übrigens war er immer in sich gekehrt und hatte
das Ansehen eines Mannes, der auf nichts achtet, was
außer ihm vorgeht und mit einem Gegenstand be-
schäftigt ist, der ihm Nachdenken verursacht. Außer-
dem besuchte er noch in kleiner hterarischer Gesell-
schaft den Grafen Alexander Woronzow und dessen
Schwester, die Fürstin Daschkow; zwei Personen, die,
wie wir wissen, durch Verstand und Kenntnisse unter
den Großen des Hofs sich vorteilhaft auszeichneten.
Überdies hatte Radischew noch eine sehr gültige An-
weisung, zu dem Grafen Woronzow zu gehen, da dieser
Minister damals der eigentlich erste und vornehmste
Chef des Zollwesens war.
Nach Dahls Tode wurde er Oberzolldirektor und
Staatsrat. Ritter des Wladimir-Ordens von der vierten
Klasse war er schon gewesen, als er noch Kollegienrat
war. Auf seinem neuen Platze blieb er nicht lange.
In einer der kleinen Bücherbuden, dem großen Kauf-
hofe in der Wladimirskaja-Uhtza {Wladimirstraße),
104- Radischew. 423
Nr. 21, 22 oder 24, wurde ein kleines russisches Buch
verkauft, das den Titel führte: Reise von Petersburg
nach Moskau. Auf dieser Reise hatte der Verfasser
einen Traum, den er erzählte. Er sprach bei dieser Ge-
legenheit mit großer Freimütigkeit von Begebenheiten
der damaligen Staatsverwaltung, die wohl nicht dazu
geeignet waren, in ihrem wahren Zusammenhange be-
kannt zu werden. Indessen waren alle Personen unter
andern Namen verborgen, nur in dem einzigen Um-
stände (und dieser machte wohl Radischews Unglück)
war die Kaiserin genannt, als die Wahrheit verschleiert
vor ihr erscheint, sich darauf enthüllt und ihre blu-
tende Gestalt dieser Prinzessin zeigt.
Das Buch fand Abgang, weil es in einem hinreißen-
den, pikanten Stil geschrieben war. Jeder, der nur
einige Kenntnis von der damaligen Behandlung der
Geschäfte hatte, konnte ohne Schlüssel sich die An-
spielungen erklären. In einigen Tagen war schon eine
Menge Exemplare verkauft.
Auf einmal erfuhr Tschischkowsky diese Sache. Er
bekam das Buch in seine Hände, erklärte wie jeder
andere die verborgenen Namen und machte eine An-
zeige an die Kaiserin. Alle noch vorrätigen Exemplare
wurden konfisziert, der Buchladen geschlossen und der
Eigentümer unglücklich gemacht.
Dies geschah nur unter der Hand, aber nie hörte man
wieder von ihm reden.
Durch ihn erfuhr man, daß Radischew der Verfasser
dieses Buches sei. Seine Wohnung wurde untersucht,
und man entdeckte, daß er das Buch auch selbst ge-
druckt hatte. Die Verwunderung aller, die diesen Mann
kannten, war ebenso groß als das Bedauern über das
Schicksal, das ihn erwartete. Man fand diese Unter-
nehmung mit seiner sonst bekannten Vorsicht gar nicht
424
104- Radischew.
übereinstimmend. Hätte er in diesem Buche nur nicht
die Kaiserin genannt, so würde man ihn nicht haben
überführen können, daß er eine boshafte Absicht ge-
habt habe. Wahrscheinhch aber hatte er geglaubt, da
er in einem entfernten Teile der Stadt, in der Jemskoy,
wohnte und also das, was in seinem Hause vorging,
nicht so genau beobachtet werden könnte ; da er alles
selbst machte und keinen vertrauten Gehilfen hatte;
und da er das Buch in kleine Buchladen gab, wo der
Handel nicht auffallend ist, so würde er nicht verraten
werden können. Indessen wurde doch die ganze Sache
mit ihren kleinsten Umständen der geheimen Polizei
bekannt.
Einem so geübten Spürer wie Tschischkowsky blie-
ben kaum die Gedanken unentdeckt; seinen Händen
zu entrinnen, war Unmöglichkeit.
Der unglückliche Radischew befand sich in seiner
Gewalt. Bald hörte man, daß er nach Sibirien gebracht
worden sei. Dies geschah im Anfange der neunziger
Jahre. Er war schon von dem größten Teile der Ein-
wohner Petersburgs vergessen, als man zwei Jahre
nachher wieder von ihm reden hörte.
Der Unglückliche, obgleich in Sibirien, hatte doch
einen sehr leidlichen Arrest gehabt. Der Kommandant
des Orts, wo er war, ein menschenfreundlicher Mann,
erfreut über Radischews Unterhaltung, hatte ihm alle
mögliche Freiheiten gestattet. Unter diese gehörte der
Gebrauch aller Schreibmaterialien. Radischew, be-
meistert von dem Drange, immer, auch unaufgefordert,
die Wahrheit zu sagen oder vielmehr zu schreiben,
hatte wieder ein Werk, dem erstem ähnlich, geschrie-
ben und die Handschrift bereits, wir wissen aber nicht
wohin, abgehen lassen. Der Unglückliche ward wieder
entdeckt. Man brachte ihn einige hundert Werste
105. Germann. 425
weiter in ein härteres Gefängnis und beraubte ihn seiner
Liebhngsbeschäftigungen und aller Bequenüichkeiten.
Er starb bald hernach.
Katharina II., menschlicher als Potemkin, der den
größten Teil des Buchs aus seiner eigenen Geschichte
erklären konnte, nahm sich der vaterlosen Kinder des
unglücklichen Radischews an und ließ sie erziehen.
Auf die Beschützer Radischews, den Grafen Woron-
zow und die Knejina Daschkow, hatte diese Geschichte
ebenfalls Einfluß. Man wußte ihre Verbindung mit
diesem Manne. Sie wurden beschuldigt, Anteil an dem
Buche zu haben und mußten sich vor der geheimen
Inquisition rechtfertigen. Bestraft wurden sie nicht,
aber sie verloren ihr Ansehen bei der Kaiserin und
mußten endlich nach und nach sich vom Hofe und von
den Geschäften entfernen. —
Durch die Konfiskation des Buchs verhinderte man
doch nicht, daß es bekannt wurde. In Rußland kamen
Abschriften davon in Umlauf, und es kamen sogar
Exemplare über die Grenze. Das Orakel zu Endor ent-
hält viele Stellen, die Auszüge aus diesem Buche sind.
105. Germann.
Ein Mann, der aus dem niedrigsten Pöbel entspros-
sen, nach und nach nur durch Talente und Tapferkeit
sich emporschwingt, verdient gewiß die Verehrung der
Nation, welcher er die Früchte seines Geistes und seines
Charakters darbringt.
Germann war der Sohn eines Dorfschmieds aus der
Gegend von Pretzsch in Sachsen. Er studierte in seinem
Vaterlande die Gottesgelahrtheit und ging dann, durch
426 105- Germann.
Empfehlung unterstützt, nach Livland, wo er eine
Hofmeisterstelle erhielt.
Sein Prinzipal, dem er seine Lust zum Militärdienste
blicken ließ, beförderte dieses Vorhaben, Soldat zu
werden und verschaffte ihm bald einen militärischen
Grad. Germann wiu^de dem General Bauer bekannt,
der an ihm einen fähigen und unternehmenden Kopf
entdeckte, ihm großen Unterricht gab, und ihm vor-
teilhafte Anstellungen verschaffte. Er zeichnete sich
einigemal vorteilhaft aus und wurde reichlich dafür
belohnt.
Im zweiten Türkenkriege hatte er das Glück, den be-
kannten Batal-Beyi) von Natolien gefangen zu neh-
men.
Für diesen Sieg, der einem Manne wie Germann
wenig Mühe kostete, erhielt er fünfhundert Bauern in
Finnland. In jeder andern Provinz wäre dieses Ge-
schenk beträchtlich, aber in diesem steinreichen Lande
ist es ganz unbedeutend. Rühmlicher war es, daß er
das Ehrenzeichen des militärischen Georg-Ordens von
^) Batal-Bey war schon ein alter Mann, als er das Unglück hatte,
gefangen zu werden. Er wurde nach Petersburg gebracht, wo er
von der Großmut der Kaiserin eine Pension von 12000 Rubel erhielt.
Demohnerachtet war er sehr unzufrieden mit seinem Schicksal, und
die Ursache war seinem Charakter nach sehr natürlich. Bei der An-
näherung der Kriegsgefahr hatte er seine kostbarsten Schätze ver-
graben. Zu diesem Geschäfte hatte er nur zwei Menschen, seine
treuesten Bedienten, gebraucht. Da aber dem alten Bösewicht das
Geheimnis nicht sicher genug verwahrt zu sein schien, so ermordete
er diese beiden Diener, die wohl mit Recht seine Freunde genannt
werden konnten. Batal-Bey hatte bald Ursache, diesen schändlichen
Mord zu bereuen. Die Russen kamen unter Germanns Anführung
und nahmen ihn gefangen. Er wurde weggeführt und mußte seine
Schätze verlieren, die sonst eine Beute der Feinde würden geworden
sein. Nachkommen konnte er sie nicht lassen, weil sie die Türken
nicht würden haben verabfolgen lassen imd abholen konnte er sie
auch nicht, denn er wurde beim Frieden nicht ausgewechselt und
würde also seinen Kopf verloren haben.
xo6. Piaton Subow I. 427
der zweiten Klasse erhielt. General Bauer i) und er
waren die einzigen, die mit dieser Klasse des Militär-
Ordens angefangen hatten, Ordenszeichen zu be-
kommen.
Paul I. bestimmte ihn zum Gouverneur in Malta;
dies konnte er aber freilich nicht werden. 2)
Germann gab noch verschiedene Beweise seiner mili-
tärischen Talente.
Reichtümer sammelte er nicht, aber Ehrenzeichen.
Am Ende des vorigen Jahrhunderts war er General-
leutnant, Generalquartiermeister und Ritter des Alex-
ander-Newsky- und des Annen-Ordens und des Groß-
kreuzes der zweiten Klasse des Georg-Ordens.
Ob er jetzt noch lebt, wissen wir nicht.
Seine Gemahlin war eine Tochter des Etatsrats und
berühmten Wasserbaumeisters Gerhardt.
106. Piaton Subow I.
Wenn der Dichter und der bildende Künstler kein
Bedenken tragen, den Gegenständen, die sie bearbeiten,
gefällige Formen zu geben und über die Fehler mit
Leichtigkeit hinwegzugleiten, oder dieselben nur oben-
hin zu berühren, um durch die Art ihrer Darstellung
einen angenehmem Eindruck zu bewirken, so darf der
historische Schriftsteller sich nicht dergleichen Frei-
heiten erlauben.
^) Bauer war ein sehr großer Ingenieur und erwarb sich um die
Verschönerung von Petersburg große Verdienste. Er starb im
Anfange der achtziger Jahre.
*) Paul I. verlangte als Großmeister der vertriebenen Malteser-
ritter von England 1799 die Auslieferung der von ihnen eroberten
Insel Malta — ohne Erfolg.
428
io6. Piaion Stibow I.
Wahrheit ist das erste, das unverbrüchlichste Gesetz
des Geschichtschreibers.
Die Familie Subow gehört allerdings zu den alt-
adeligen Geschlechtern des russischen Reichs, aber
erst am Ende der Regierung der Kaiserin Katharina II.
ist sie zu einigem Ansehen gelangt.
Der Vater Subows bekleidete das Amt eines Vize-
gouverneurs in der Provinz und verwaltete dabei die
in seiner Nachbarschaft liegenden Güter des damaligen
General en Chef, Nicola] Iwanowitzsch Saltikow.^) Er
hatte selbst so ansehnliche Besitzungen, daß man seine
Einkünfte auf zwanzigtausend Rubel schätzte. Durch
das Glück seiner Söhne stieg er ebenfplls empor. Er
wurde sogar Generalprokureur im Senat und Geheimer
Rat. Allein er konnte sich nicht erhalten. ,
Klug mochte er wohl sein, aber er war auch boshaft.
Man beschuldigte ihn, daß er unter der Autorität der
Kaiserin Ungerechtigkeiten und Betrügereien verübe.
Das Unrecht, das er beging, mußte groß sein, weil man
es wagen konnte, das Geschrei darüber bis zu den Ohren
der Monarchin zu bringen, die sich dadurch bewogen
fand, den Vater des Günstlings zu verabschieden und
ihn sogar vom Hofe zu entfernen. Wir glauben gehört
zu haben, daß er noch vor der Kaiserin starb.
Seine Gemahlin war Staatsdame der Monarchin.
Aus dieser Ehe kamen vier Söhne, Nikolaj, Piaton,
Valerian und Dmitrej und eine Tochter.
Der Vater gab den Söhnen eine nur gewöhnliche,
aber doch nicht ganz vernachlässigte Erziehung. Ihre
Hauptwissenschaft war wohl eine ziemhch oberfläch-
liche Kenntnis der französischen Sprache. Er brachte
^) Nikolaj Iwanowitzsch Saltikow war Chef der Erziehung der
beiden Großfürsten Alexander und Konstantin, Präsident des
Kriegskollegiums, Ritter aller Orden von Rußland, und jetzt Feld-
marschall. Übrigem zifth«! Viele »eine Verdienst© sehr in Zweifel.
io6. Piaton Subow I. 429
alle vier Söhne nach Petersburg, wo sie durch die Un-
terstützung des Generals Saltikow in den verschie-
denen Regimentern der Garde sogleich als Offiziere
angestellt wurden. Von den drei ältesten Söhnen han-
deln eigene Artikel.
Dmitrej ist in jedem Betracht der unbedeutendste
von allen und wahrscheinlich eben deswegen der beste.
Man machte ihn zum Kammerherrn und gab ihm eine
Prinzessin Wjasemsky, eine Tochter des ehemaligen
Generalprokureurs, zur Gemahlin. Er hat das Unglück,
etwas taub zu sein.
Die Schwester der Subows machte sich von jeher
durch ihre ausschweifende Lebensweise bekannt. Ihr
Gemahl hieß Tscherebtzow und wurde Kammerherr.
Sie hatte auch einen Sohn, der schon Kammer Junker
war. Dieser wurde mit der Nachricht von dem Tode
Pauls I., wovon er Zeuge gewesen war, nach Berlin ge-
schickt. Man hatte ihn sehr schlecht abgerichtet, denn
durch ihn erfuhr man alle genauen Umstände dieser
schaudernden Begebenheit. Er sprach davon mit einem
Eifer, als ob er die rühmhchste Handlung verbreiten
wollte. Seine Mutter war damals auch in Deutschland.
Sie hatte die Vorsicht gebraucht, schon vor der Er-
mordung des Kaisers aus Petersburg zu entfliehen. —
Piaton Subow, der zweite von allen diesen Brüdern,
war Offizier in der Garde zu Pferde und hatte am Tage
des Falls des Grafen Mamonow die Wache in Zarskoje
Selo. Er war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Seine
Erhebung war das Werk des Zufalls, und wenn man
will, der Notwendigkeit.
Durch ein bloßes Ungefähr war es bisher geschehen,
daß schon verschiedene Abwechselungen der Günst-
linge in Zarskoje Selo stattgehabt hatten. Im Grunde sah
man es am Hofe gern, daß sich das immer so traf, weil
430 io6. Piaton Subow I.
man auf diese Art glaubte, daß in einiger Entfernung
von der Hauptstadt manche besondern Umstände der
jedesmaligen Veränderung dem Nachspüren des Corps
diplomatique entgehen könnten; ein Zweck, der übri-
gens wohl ziemlich verfehlt wurde. Außerdem konnte
die Entfernung von Petersburg keine Schwierigkeit
wegen Besetzung der Stelle machen, weil der Fürst
Potemkin es über sich genommen hatte, der Monarchin
die Adjutanten vorzuschlagen. Aber jetzt war er ab-
wesend und man befand sich daher wirkHch in einiger
Verlegenheit. Sie sprach darüber mit Saltikow und
dieser hatte nichts Angelegentlicheres zu tun, als ihr
den Offizier von der Wache vorzuschlagen. Der Ge-
neral stand mit dem Vater des Novizen in Verbindung.
Wenn er das Glück des jungen Menschen machte, so
konnte er auf dessen Dankbarkeit und auf einen durch-
dringenden Einfluß in den Geschäften rechnen.
Piaton Subow erschien. Sein Ansehen war so wenig
empfehlend als seine Fähigkeiten. Hätte man eine
Alternative gehabt, so wäre er nie gewählt worden;
doch da man Mamonow zeigen wollte, daß man um
Adjutanten nicht verlegen sei, so wurde er angenom-
men. Bisher hatten viele von ihnen Alexander geheißen.
Jetzt kam ein kleiner, schwächlich scheinender Mann,
der den für einen Günstling nicht sehr bedeutenden
Namen des großen Plato hatte. Die witzig sein wollen-
den Höflinge sagten daher: ,,Die Monarchin wolle
keinen Adjutanten mehr annehmen; sie habe sich in
die Arme der Philosophie geworfen."
Schon am ersten Abend der Ungnade Mamonows
wurde Subow zum Flügeladjutanten der Kaiserin und
zum Obersten ernannt und erhielt durch Saltikow den
Befehl, die Monarchin und einige Personen des Hofs
auf einer Lustfahrt zu Wasser zu begleiten.
io6. Piaton Subow I. 43 1
Da MamoROws Gemächer nicht erledigt waren, in-
dem die Kaiserin ihn vor seiner Vermählung nicht vom
Hofe entfernen wollte, so bezog Subow andre sehr
prächtig möblierte Zimmer im Kaiserlichen Palais.
Um sich seiner Bestimmung gemäß einzurichten,
erhielt er gleich in den ersten Tagen dreißigtausend
Rubel.
Übrigens hatte man anfänglich nicht Ursache, sich
dieser Wahl zu freuen.
Subows Unterhaltung war weder lebhaft noch witzig,
und seine große Jugend machte, da.ß er zuweilen Fehler
beging, die nur denen eigen sind, welche in diesem Alter
ihre Erziehung noch nicht vollendet haben. Er fühlte
das Unschickliche seines Benehmens, legte es ganz ab
und wurde endlich in Gesellschaften (den Nimbus ab-
gerechnet, der ihn in seiner hohen Würde immer um-
geben mußte) ziemlich liebenswürdig.
Subow gab sich auch viel Mühe, sich wissenschaft-
liche Kenntnisse zu erwerben und tat es mit glück-
lichem Erfolg.
Seine LiebHngsneigung war die Tonkunst. Das Stu-
dium derselben trieb er mit Feuer und erlangte eine
große Fertigkeit auf der Violine. Er konnte den Stu-
dien desto besser obliegen, da er am Hofe eine Lebens-
weise gewählt hatte, die so still war als es nur das Ge-
räusch des Hofs erlaubte.
Diese Wahl traf er auf Anraten Saltikows, seines vor-
maligen Beschützers, denn schon jetzt brauchte er
keinen mehr. Sein Mentor hatte ihn vor allen Verbin-
dungen, die so leicht das Ansehen von Intrigen haben
können, gewarnt und ihm diejenigen Regeln gegeben,
deren Befolgung zur Befestigung seines Ansehens wohl
nötig sein mochte, die aber für das Wohl der Mensch-
heit gewiß nicht die besten waren.
432 io6. Piaton Subow I.
Infolge dieser Lehren machte es sich Subow zam
Grundsatz, der bei ihm Gesetz wurde : nie einen Willen
für sich zu haben, wenn er nicht mit den Gesinnungen
der Kaiserin übereinstimmte ; immer ihren Launen und
Hauptleidenschaften, mit welchen ihn Saltikow bei-
läufig bekannt machte, zu schmeicheln; und endlich
dem Fürsten Potemkin Demut zu zeigen und sich ihm
nicht eher zu widersetzen, als bis er so fest stehe, daß
jener ihn nicht mehr stürzen könne. Subow befolgte
diese Regeln genau, und befand sich, wenigstens in An-
sehung des äußern Glanzes, sehr glücklich dabei.
Katharina erkannte die Aufopferungen, die er, seiner
großen Jugend ungeachtet, in ihrem Dienste machte,
und belohnte ihn dafür mit Gnadenbezeigungen und,
was noch mehr war, mit ihrem Vertrauen.
Piaton wurde nun von allen auswärtigen, inländi-
schen und militärischen Angelegenheiten des russischen
Hofs unterrichtet ; bald aber erlangte er ein solches An-
sehen, daß er eine der Hauptfedern in der russischen
Staatsmaschine ward. Endlich entschied seine Stimme
fast allein im Konseil der Kaiserin. Die merkwürdig-
sten Ereignisse seines öffentlichen Lebens bis zum Tode
Katharinas zu erzählen, liegt außer den Grenzen dieser
Blätter. Seine Geschichte ist so genau mit den Jahr-
büchern der sieben letzten Jahre der Regierung Katha-
rinas verflochten, daß man sie beide liest, wenn man
nur eins zu lesen glaubt.
Die merkwürdigsten pohtischen Begebenheiten aus
der Zeit, in welcher Subow den größten Einfluß am
Hofe hatte, waren ungefähr folgende: der Krieg mit
Schweden, dem er entgegen war, weil Saltikow es ihm
anriet; der Friede mit dieser Macht zu Werela, den er
aus eben dieser Ursache beförderte ; der Krieg mit den
Türken, den er ebenfalls auf Saltikows Eingeben mit
io6. Piaton Subow 1. 433
Recht tadelte und sich dadurch mit Potemkin verun-
einigte; der Tod Josephs IL; der zerschlagene Kon-
greß zu Szistove; der Tod Potemkins, der ein erklärter
Fein.i des Subows gewesen war und dessen große Macht
an dem größern Ansehen dieses Günstlings, als an
einem glatten Stein, ohne Wirkung herabgütt; der
Friede mit der Pforte zu Jassy, auf dessen Beendigung
er drang ; die Revolution und die daraus entstehenden
Aufstände in Polen; die zweite Teilung dieses Reichs,
die er und Marko w auf die schändlichste Art veranlaßten
una zustande brachten; die Ermordung Gustavs IIL;
der Tod Leopolds IL; die Aufnahme des Grafen
von Artois und der französischen Emigrierten; die
Handelsmaßregeln gegen Frankreich; die widerrecht-
liche Besitznehmung von Kurland, das Werk seiner
und Markows usurpierenden und habsüchtigen Grund-
sätze; die gänzliche Vernichtung der bisherigen poli-
tischen Geographie Polens, die auch Subow und Mar-
kow ersannen und dadurch den Ruhm der Kaiserin auf
eine unersetzliche Art befleckten ; und endlich der ver-
eitelte Plan, Gustav Adolph IL mit der Großfürstin
Alexandra Pawlowna zu vermählen, woran er ebenfalls
großen Anteil hatte.
Mit dem Versuche der Ausführung dieser Idee ging
Katharina unter; sie, der die Geschichte dereinst wohl
keinen passendem Namen geben kann als Katharina
die Glückliche, Dieser Entwurf war vielleicht der ein-
zige ihres Lebens, der ihr nicht gelang. Es ist wohl aus-
gemacht gewiß, daß der Schmerz über den Unfall, sich
auf eine so kränkende Ait vor den Augen der Welt
kompromittiert zu sehen und ihre Lieblingsidee fahren
lassen zu müssen, sie ins Grab führte.
Subow eilte, dem Großfürsten von der tödlichen
Krankheit seiner Mutter Nachricht geben zu lassen,
Russische GUnstlioge. 28
434
io6. Piaton Subow t.
aber seine Dienstfertigkeit war verspätet ; Besborodko
war ihm schon zuvorgekommen.
Bei dem Tode der Kaiserin war Subow deutscher
Reichsfürst, trug das Porträt der Monarchin, war Ge-
neralfeldzeugmeister, Generaladjutant, Generalgou-
verneur von Katharinoslaw und Taurien, Senator, Chef
des Korps der Chevaliergarde und Ritter des Andreas-,
Alexander-Newsky-, Weißen Adler-, Schwarzen Adler-
und Annen-Ordens.
Alle die Schätze zu berechnen, die Subow an Be-
sitzungen, Geld und Juwelen erhielt, wäre eine zu
schwere Aufgabe, die er vielleicht selbst nicht würde
lösen können. Wahrscheinlich geben sie den Reich-
tümern wenig nach, die Lanskoy hinterließ und wenn
man erwägt, was Subows Brüder und Eltern erhielten,
so kostet dieser letzte Günsthng Katharinas dem Staate
weit mehr als Lanskoy.
Die Einkünfte von seinen Gütern betrugen jährlich
gewiß mehr als zweimalhunderttausend Rubel. Er
hatte deren in Rußland, Kurland und Litauen. Die
letztern waren die beträchtlichsten.
Subow hatte einen Hauptanteil an den beiden letzten
Teilungen Polens und an der Besitznahme Kurlands.
Um alles das zu bewirken, wurde er der Mitstifter
der Mordszenen in Polen. Der Fluch der Nation, der
ihn jetzt verfolgt, wird ihn noch jenseits des Grabes
treffen. Aber diese Schändlichkeit wurde doch belohnt.
Man gab ihm die sämtlichen könighchen Tafelgüter in
Litauen, deren jährlichen Ertrag man über vierund-
dreißigtausend Dukaten rechnete.
Die Summen, die er an barem Gelde erhielt, kann
man nicht angeben. — Ebensowenig seinen Schatz an
Juwelen. Sein Anzug glänzte täglich von den ausge-
suchtesten Brillanten.
To6. Piaton Sübow I. 435
Subow blieb nicht immer im ungestörten Genuß
dieser Schätze. Pauls Sonderbarkeiten führten Um-
stände herbei, die Piatons Rache fürchterlich reizten.
Jetzt beginnt nicht der beste Teil seiner Geschichte.
Nach dem Tode der Kaiserin, die ihr Leben mit einem
gräßlichen Schrei aushauchte, stellte sich Subow dem
neuem Monarchen dar, der ihn in allen seinen Würden
bestätigte und, indem er ihn umarmte, huldreich zu
ihm sagte: ,,rami de ma mere, sera toujours le mien."
— Wirklich schien es auch anfänglich, als ob diese
Worte keine leere Redensart sein sollten. Subow war
der tägliche Gesellschafter seines Herrn.
In diese Zeit fällt eine Anekdote, die vielleicht we-
nigen unsrer Leser bekannt ist.
Paul I.^) brachte den ersten Sommer seiner Regie-
rung mit seiner Gemahlin, seinen Kindern und einer
kleinen Anzahl von Freunden, zu denen auch Piaton
Subow gehörte, auf seinem Lustschlosse Pawlowsk zu.
Der Kaiser hatte eine große Abteilung von mehreren
tausend Mann Garden bei sich, die er des Tages über
fleißig übte und um ihre Wachsamkeit und militärische
Geschwindigkeit zu prüfen, sie des Nachts durch Alarm-
blasen aufwecken und sich marschfertig machen ließ.
Er stand dann allemal selbst auf, ließ sich ankleiden
und ging in den Schloßhof und in die Kasernen, um
Alarm blasen zu lassen und die Fertigkeit der Truppen
zu beurteilen. Übrigens lebte der Monarch daselbst im
Schöße seiner Familie sehr häuslich. Abends entließ er
den Hof gewöhnlich sehr zeitig. Er zog sich alsdann
mit seiner Gemahlin und einigen Personen von Ver-
trauen in das kaiserliche Schlafzimmer zurück, ließ
sich auskleiden und brachte noch eine Stunde in
freundschaftlichem Gespräch zu. Eines Abends, es war
^) Paul Petrowitscb I., geboren 1734, regierte 1796 — 1801.
28*
436 io6. Piaton Subow I.
schon nach 11 Uhr, glauben die Garden einen Ton zu
hören, der dem Alarmblasen gleicht, wovon man aber
im kaiserlichen Palais nichts vernimmt. Im Augen-
bhck machen sie sich fertig und erscheinen im Schloß-
hofe, um die Befehle des Kaisers zu vernehmen, Sie
wundern sich, den Monarchen nicht zu sehen, harren
aber seiner in Geduld. Indessen hatte ihre Ankunft
doch Geräusch verursacht und dadurch im Schlosse
Verwunderung verbreitet, die in den kaiserlichen
Zimmern sogar in Schrecken ausartete. Der Kaiser ge-
rät außer sich und glaubt das Toben einer Revolution
zu hören, die (man denke sich die Ungereimtheiten, die
der Schrecken hervorbringen kann) sein Sohn Alexan-
der wider ihn erregt hat. Die Anwesenden wollen hin-
ausgehen, um Erkundigungen einzuziehen, er läßt sie
nicht von sich, um nicht durch sie die Zahl seiner vor-
gebhchen Feinde zu vergrößern. Er will sich ankleiden,
kann aber nichts finden. Subow hilft ihm aus der Ver-
legenheit, zieht sich seine Stiefeln aus, und gibt sie ihm.
Paul zieht sie an, scheint beruhigt, will Anstalten tref-
fen, verliert aber gänzlich den Kopf. Kein Zureden
hilft; er ist einer Ohnmacht nahe. Die Kaiserin schreit:
„Rettet den Kaiser !" Die Furcht scheint ansteckend zu
werden. Das Beispiel des Monarchen wirkt auf die an-
dern, wenigsten für einen Augenblick. Zum Glück war
dies alles nur die Geschichte von ungefähr zehn Mi-
nuten. Ein Kammerdiener tritt ein, um mit kaltem
Blute den Hergang zu erzählen, der sich damit ge-
endigt hatte, daß die Garden, von ihrem Irrtum über-
zeugt, ihren Wohnungen zugeeilt waren. Doch dieses
Detail vorzubringen, ließ man ihm nicht Zeit. Der Kai-
ser, sobald er ihn sah, schrie ihm entgegen: daß man
den Augenblick den Großfürsten Alexander herbei-
führen sollte. Am Arm seines Bruders erschien der
io6. Piaton Suhow I. 437
junge Prinz mit der ganzen Unbefangenheit, die der be-
schämte Vater ihm wohl hätte zutrauen sollen. In wel-
chem Lichte hatte der unglückliche Monarch sich ge-
zeigt! Paul beruhigte sich bald.
Man fiel nun auf den Gedanken, sich zu erkundigen,
wodurch diese sonderbare Begebenheit veranlaßt wor-
den war. Die Ursache davon war folgende : Einige Tage
vorher hatte der Kaiser, der gern alles germanisieren
wollte, befohlen, daß die Postillions deutsche Posthör-
ner bekommen sollten, um das Zeichen ihrer Ankunft
nach deutscher Art darauf anzugeben. Der Befehl war
noch nicht einmal allgemein bekannt. Indessen hatte
einer der Postknechte, mit einem Posthorn versehen,
einen Reisenden mit Extrapost von Petersburg nach
Pawlowsk gebracht und sich im ganzen Orte bei allen
Wohnungen der Garden hören lassen. Diese hatten
den Ton des Posthorns für Alarmblasen gehalten,
und — nun war erfolgt, was wir wissen.
Jedermann begab sich nun zur Ruhe. Aber Subow
zog aus diesem Vorfalle die Lehre, die er einige Jahre
nachher anzuwenden wußte : daß nämlich Paul I. sehr
leicht intimidiert werden konnte.
Man weiß nicht, wie es kam, aber die Gnade des
Kaisers gegen Subow hörte bald auf. An die Stelle
derselben trat der entschiedenste Unwille des Mon-
archen.
Den Vorwand zu seinem Benehmen entlehnte Paul L
von einem Defekt von achtzehntausend Rubel, der sich
in der ArtiUeriekasse befand, die Subow als Feldzeug-
meister vertreten mußte.
Der Kaiser ließ sogleich Beschlag auf dessen Güter
legen, aber ehe noch der Befehl zur Ausführung kam,
hatte Subow das fehlende Geld schon bezahlt. Indessen
verlor Subow damals alle seine Ämter und wurde von
438 io6. Piaion Subow I.
nun an nur als ein verabschiedeter General en Chef be-
handelt.
Dieser Vorfall machte ihn jedoch vorsichtig. Er hielt
es für ratsam, sich außer den Wirkungen eines BHtzes
zu halten, der so leicht traf.
In dieser Absicht bat er um die Erlaubnis, reisen zu
dürfen, und erhielt sie mit so großer Leichtigkeit und
mit solchen Äußerungen, daß man diese Reise fast für
eine Verbannung halten konnte. Er kam nach Deutsch-
land, und alle, die ihn in Rußland gekannt hatten,
glaubten einen ganz andern Mann zu sehen. Ehemals
war er stolz und zurückstoßend; jetzt, da die Götzen-
diener fehlten, die ihn sonst verehrt hatten, jetzt war
er angenehm und munter. —
In Rußland hatte er, wie man denken kann, seine
Verbindungen immer beibehalten.
Dort hatte man jene scheußliche Verschwörung
ausgebrütet, durch welche Paul I. wahrscheinlich
nur seinen Thron verlieren sollte, durch eine Ver-
kettung der Umstände aber auch sein Leben traurig
endigte.
Piaton wollte aus Rache daran teilnehmen. Die
Schwierigkeit war nur, wieder an den Hof zu kommen.
Sie wurde gehoben.
Man fand Mittel, an Kutaizow zu kommen, indem
man seine Geliebte zu gewinnen suchte.
Durch diesen damals gewaltigen Mann erhielten
alle Subows die Erlaubnis, nach Petersburg zurück-
kehren zu dürfen.
Piaton, als er dahin kam, heuchelte Empfindungen,
die ihm fremd waren. Kutaizows Bemühungen schienen
ihn zu rühren. Um ihm Dankbarkeit zu zeigen, stellte
er sich, als ob er dessen Tochter heiraten wollte. Durch
diesen Kunstgriff gewann er die Gunst des Monarchen
io6. Piaton Subow I. 439
wieder, der ihm und seinen Brüdern die vollständigsten
Beweise seiner Gnade gab.
Dieses großmütige Verfahren hätte Pauls Feinde ver-
söhnen sollen, allein solcher Empfindungen waren sie
nicht fähig. Sie fürchteten einen Rückfall des Kaisers,
der immer nach dem augenbhcklichen Eindruck han-
delte, und dadurch allerdings seinem Charakter das
Gepräge eines tadelnswürdigen' Wankelmuts auf-
drückte.
Der Plan der Verschwörung wurde nun vöUig ent-
worfen, verbessert und ausgeführt. Um die Ehre der
Verschwörer einigermaßen zu retten, kann man glau-
ben, daß, wie schon gesagt ist, wahrscheinlich die Aus-
führung durch Zufälle grausenvoller gemacht wurde,
als der erste Entwurf sie eingeleitet hatte. Um die Re-
bellion desto zuverlässiger unternehmen zu können,
wurde der Kaiser auf die boshafteste Weise dazu ge-
bracht, durch die unglaublichsten Sonderbarkeiten den
Haß der Nation auf sich zu laden, und auf diese Art
den kritischen Augenblick der Entwickelung selbst her-
beizuführen. Er erschien.
Der spätere Geschichtschreiber wird nie mit zu auf-
fallender Stärke die blutige Ausführung dieser schreck-
lichen Unternehmung schildern können, die ein ewiger
Schandfleck in der Historie unsers Jahrhunderts bleibt,
und durch welche die würdigste Gemahlin und die vor-
trefflichsten Kinder auf lange Zeit in Schmerz und zu-
gleich in Ungewißheit über ihr eigenes Schicksal ge-
stürzt wurden.
Die Hand des jetzigen Geschichtschreibers muß noch
den Vorhang über die jammervollen Szenen dieses
Trauerspiels ziehen. Noch darf er von der Verteilung
der Rollen in demselben nicht sprechen, nur unter
mehrern, die an der Begebenheit nahe und entfernt
440
io6. Piaton Subow I.
Anteil nahmen, kann er die Namen Pahlen,^) Ben-
nigsen,^) Nicola] Subow, Piaton Subow, Valerian Su-
bow, Orlow.i) Tschitscherin,^) Tartarinow^) und Tol-
stoj'^) nennen, ohne dabei zu bemerken, welche Ge-
schäfte sie bei der Empörung im Schlosse sowohl,
als außerhalb desselben übernommen hatten.
Doch der jetzige liberale Geist der Zeit wird viel-
leicht bald bewirken, daß man diese ganze schreck-
liche Begebenheit unentliüUt der Welt vor Augen legen
und auf diese Art die vielen falschen Gerüchte berich-
tigen darf, die darüber verbreitet worden sind.
Der unglückliche, so sehr verkannte Paul I. starb,
und Alexander der Gütige bestieg den Thron. 2)
Bald nachher verheß Piaton Subow emen Hof, wo
für ihn nichts mehr zu tun war, und ging auf seine
Güter nach Kurland.
Aus dieser kurzen und unzulänglichen biographi-
schen Skizze werden unsre Leser doch haben einiger-
maßen beurteilen können, daß Subow seinen ziemlich
gewöhnlichen Verstand dennoch durch Fleiß sehr aus-
gebildet hatte und daß Stolz, Rachsucht und Grausam-
keit fast alle seine Handlungen leiteten.
Ehemals sah man in der Galerie der kaiserhchen
Eremitage in Petersburg Subows Bild zweimal: als
Staatsmann und als Generalfeldzeugmeister. Das
erstere war ein Kniestück. Piaton saß vor einem Tisch,
auf welchem Landkarten, Zeichnungen und Bücher
lagen. Dieses Bild ist in Kupfer gestochen worden. Auf
dem andern war er in Lebensgröße vorgestellt. Er steht
geharnischt, mit einer purpurfarbenen Toga zum Teil
^) Diese Herren sind zurzeit ganz unbekannt und werden es wohl
auch gern bleiben wollen. H.
2) Alexander 1., Pawlowitsch, geboren 23. Dezember i777,
bestieg am 24. März 1801 den Thron. Er ist der Kämpfer Rußlands
gegen Napoleon I. Er starb am i. Dezember 1825.
10']. Valerian Subow II. ^.41
bekleidet, und mit einer Menge Geschütze, den Sinn
bildern seiner hohen mihtärischen Würde, umgeben.
Dieses Bild hat der berühmte Lampi gemalt.
Am Ende dieses Aufsatzes werden gewiß unsere
meisten Leser auf den Gedanken kommen, eine Paral-
lele zwischen Gregorej Orlow und Piaton Subow zu
ziehen, die zum Teil auch auf ihre Brüder ausgedehnt
werden kann.
Hier sind ungefähr die auffallendsten Punkte in ihrer
Ähnlichkeit und in ihrer Verschiedenheit: die Orlows
raubten Peter III., dem Gemahl Katharinas, den
Thron und beförderten seinen Tod ; die Subows raubten
Paul I., dem Sohne Katharinas, den Thron und beför-
derten seinen Tod; die sämtlichen Brüder Subow wur-
den, wie ehemals die Brüder Orlow, in den Grafenstand
erhoben; Gregorej Orlow war der erste etatmäßige
Günstling während der Regierung Katharinas II. ; Pia-
ton Subow der letzte; beide bekleideten am längsten
diese Würde; Gregorej Orlow war der größte, stärkste
und schönste von allen diesen Günstlingen, Piaton Su-
bow hingegen der kleinste, schwächste und häßlichste
von ihnen; beide waren die zweiten unter ihren Brü-
dern; endlich waren beide Generalfeldzeugmeister, tru-
gen das Porträt der Monarchin und wurden im letzten
Jahre ihrer Gunst deutsche Reichsfürsten.
107. Valerian Subow II.
Nichts war unter der Regierung der Kaiserin Katha-
rina II. auffallender, als die schnelle Veränderung in
dem Betragen der jungen Leute, die ein unerwarteter
Glück.swechsel dem Throne nahe führte. Den Tag vor-
442 10"]. Valerian Subow II.
her befanden sie sich noch in der Kategorie, in welche
Geburt und Fähigkeiten sie gestellt hatten, und sie
waren bescheiden und oft hebenswürdig. Am großen
entscheidenden Tage ihres Schicksals wurden sie vom
Glück überrascht. Sie erhoben sich in höhere Sphären,
und näherten sich der irdischen Gottheit. Der Hoheits-
schwindel ergriff sie. Sie benahmen sich linkisch und
mußten geführt werden. Den Tag nachher zeigten sie
gewöhnlich die ganze Unverschämtheit eines Empor-
kömmlings, der es vergessen konnte, daß er achtund-
vierzig Stunden zurück nichts war, alle, die damals um
ihn gewesen waren, zu verachten sich bestrebte und
seine unverdiente Erhöhung zu mißbrauchen drohte.
Der junge Mann, von dem wir hier sprechen, war
ganz in dem Falle eines solchen Benehmens.
Valerian Subow, der dritte dieser Brüder, war bei der
Erhebung Piatons neunzehn Jahre alt, und Fähnrich
in der Garde zu Pferde. Er wurde sogleich auf Wache
nach Zarskoje Selo kommandiert, und da er gefiel, so
heß man ihn täglich an den Gesellschaften der Kaiserin
teilnehmen. Die Monarchin zeigte ihm ebenso viel
Gnade als seinem Bruder. Um ihn doch wenigstens
einigermaßen mit Anstand emporbringen zu können,
wurde er als Hauptmann von der Garde zu der Armee
des Fürsten Potemkin geschickt.
Dieser, unzufrieden mit der Erhebung der Subows,
zeichnete ihn durch die Verachtung aus, die er ihn
öffentlich vor allen andern fühlen ließ.
Da indessen Potemkin von Petersburg aus Winke
erhielt, den jungen Subow bei der nächsten glücklichen
Begebenheit dahin zurückzuschicken, so gab er der
Politik nach und sendete ihn mit der Nachricht von
der Einnahme irgendeiner türkischen Festung, uns
dünkt, es war Ismail, an den Hof.
J07. Valerian Subow II. 443
Als Valerian vor seiner Abreise noch einmal zum
Fürsten kam, um seine letzten Befehle zu vernehmen,
fiel die interessante Anekdote vor, die schon einigemal
wiederholt worden ist, aber immer auffallend bleibt.
Um das Epigramm zu verstehen, muß man wissen, daß
im Russischen Sub, der Zahn, und Subj, die Zähne,
heißen. — ,,Wenn dich die Kaiserin fragt," sagte der
Fürst in traulicher russischer Mundart zu Valerian,
,,wie ich mich befinde, so sage ihr, die Zähne verur-
sachten mir Schmerzen, aber wenn ich nach Petersburg
käme, so wollte ich sie schon ausreißen."
Was der Fürst sagte, traf nicht ein. Die Zähne fuhren
fort, ihm wehe zu tun. Potemkin kam und wollte sie
ausreißen, aber seine Kunst als Zahnarzt scheiterte.
Sobald Valerian am Hofe angelangt war, rückte er
in einen erhöhten militärischen Grad, wurde Flügel-
adjutant der Kaiserin, und erhielt, außer andern großen
Geschenken, den Georg-Orden von der vierten Klasse.
Er blieb nun in Petersburg, war täglich bei der Kai-
serin und wurde mit Gnadenbezeugungen überhäuft.
Schon im Jahre 1791 rechnete man seine Einkünfte auf
zweiundzwanzigtausend Rubel.
So angenehm allerdings dieses Leben für seine sehr
unbedeutenden Verdienste sein mußte, so wünschte
Valerian doch, auf dem Wege des mihtärischen Ruhms,
aber freilich immer nach seiner Art, weiter zu gehen.
Die Unruhen in Polen gaben ihm Gelegenheit, zwar
nicht berühmt, aber doch bekannt zu werden.
Er bekam als Generalmajor und Ritter des Alexan-
der-Newsky-Ordens ein ansehnliches Kommando und
machte sein Dasein überall durch Spuren der Unbe-
sonnenheit und Grausamkeit bemerkbar.
Die äußerst niedrige, schamlose und empörende Art,
mit der er einige polnische Herren und ihre Frauen be-
444 ^^1- y^^^vian Subow II.
handelte, beförderte den Ausbruch des Aufstandes in
Warschau im Jahre 1794 und das daraus entstehende
Unglück der Russen daselbst.
Man kennt die Mittel, die gebraucht wurden, um die
Polen zur Ruhe zu bringen.
Subow beschäftigte sich auch mit der gewaltsamen
Anwendung derselben. Er fand aber an den Orten, wo
er das meiste Unrecht verübt hatte, auch seine Strafe.
Einst ritt er im Spät] ahre 1794 rekognoszieren und zwar
da, wo es am gefährlichsten war. Teils tat er es zur Un-
zeit, teils war er nicht dazu berufen. Es war also nicht
Mut, sondern Mutwille. Die Polen bemerkten ihn, zielten
und eine mäßige Kanonenkugel nahm ihm ein Bein weg.
Gleich wurde ein Kurier nach Petersburg geschickt,
der gewiß keine Belohnung bekam. Die Nachricht ver-
breitete Schrecken am Hofe. Die Kaiserin schrieb selbst
an ihn und bat ihn, nach Petersburg zu kommen. Sie
schickte ihm einen äußerst bequemen englischen Reise-
wagen und zehntausend Dukaten zur Reise. Ferner gab
sie ihm den Andreas-Orden, wodurch er Generalleut-
nant wurde, und dreimalhunderttausend Rubel zur Be-
zahlung seiner Schulden.
Mit dem Anfange des Jahres 1795 kam Subow in
Petersburg an. Man hatte auf jeder Station hundert-
undzehn Pferde für ihn bestellt, die er auch alle
brauchte, indessen m^an für den Herzog Biron von Kur-
land, der eben damals auch nach Petersburg kommen
mußte, nur sechzig Pferde auf jeder Station befohlen
hatte, von denen er nur vierzig brauchte.
Valerian ließ sich der Kaiserin im Rollwagen vor-
stellen.
Diese in allem, so auch in ihren Empfindungen,
große Monarchin konnte bei seinem Anblick ihre Trä-
nen nicht zurückhalten, Sie suchte noch durch Ge-
joy. Valerian Subow II. 445
schenke ihre Teilnahme zu zeigen und sein Schicksal
zu erleichtern. Man erfuhr sie wahrscheinlich nicht alle.
Die bekannt gewordenen waren : das schöne und nied-
liche Palais in der Großen Millionstraße, das in altern
Zeiten dem General Gustav Biron gehört hatte und das
jetzt vom Kammerherrn Diwow gekauft worden war;
ferner ein Geschenk von fünfundzwanzigtausend Rubel
in Gold und endlich eine jährliche Pension von drei-
zehntausend Rubel in Silber.
Seine Kur war schmerzhaft und ging langsam, weil
er immer in allen Arten der Wollust ausschweifte.
Er blieb ein Krüppel. Es hatte viel von seinem Beine
abgesägt werden müssen. Einige behaupteten: man
habe zu viel davon abgenommen; die andern sagten:
zu wenig. Man ließ künstliche Beine aus England kom-
men, aber keines konnte angebracht werden. Als er
sich wieder öffentlich am Hofe zeigte, ging er auf einem
Stelzfuße. Dem allen ungeachtet ging sein Avance-
ment immer fort.
Valerian wurde im Jahre 1795 General en Chef der
Infanterie und Direktor der Kadettenkorps der Ar-
tillerie und der Ingenieure.
Aber Subows Ruhmsucht war noch nicht gesättigt.
Er bat um die Erlaubnis, die Armee in Persien kom-
mandieren zu dürfen, und erhielt sie.
Ehe wir von diesem Feldzuge sprechen, müssen wir
von der Ursache des Zwistes reden.
Vor mehreren Jahren, zur Zeit des Fürsten Potemkin,
kommandierte einer seiner Neffen, der General Paul
Potemkin,^) die russische Armee am Kaukasus. Da-
^) Paul Potemkin hatte den Übeln Ruf, ein böses Herz zu haben,
und da=, was hier von ihm gesagt ist, bestätigt dieses Gerücht. Er
war sehr brav und erhielt wegen seiner Tapferkeit den Georgorden
von der zweiten Klasse. Dieser Potemkin starb während des Pro-
zesses. Seine Gemahlin wax eine Sakrewsky.
446 J07- Valerian Subow IT.
mals gab es in dem benachbarten, oder wenigstens
nicht sehr entfernten Persien mehrere Brüder, die sich
die einzelnen Teile der Regierung des Landes streitig
machten und einander verjagten.
Einer von ihnen, den ein anderer vertrieben hatte,
rettete sich einst mit allen seinen Schätzen zu Paul Po-
temkin. Dieser nahm ihn auf, und sagte ihm, er wolle
ihn nach Rußland bringen. Alle Schätze wurden auf
ein Schiff geladen und dem persischen Prinzen sagte
man, daß er auf einem andern Schiffe nachkommen
könnte. Dieser ließ es sich gefallen, aber zu seiner
größten Verwunderung wollte man ihn auf keinem
Schiffe aufnehmen. Indessen war das andere schon
fort. Der Perser setzte sich auf ein kleines Fahrzeug
und fuhr nach. Als er an dem Schiffe, das seine Schätze
enthielt, nahe genug war, um es erreichen zu können,
sprang er in die Höhe und faßte den Rand mit beiden
Händen. Man hieb ihm die Finger ab und der Unglück-
liche fiel in sein Fahrzeug zurück. Verstümmelt, wie er
war, floh er in sein Vaterland und wurde von seinem
Bruder umgebracht.
Dieser war ein Eunuche von fünfundsiebzig Jahren.
Ein anderer Bruder hatte ihn ehemals in seiner Jugend
der Mannheit beraubt. Jetzt war dieser Eunuche der
Usurpator des größten Teils von Persien. Er hatte
einen andern Bruder, Murtasa Kuli Chan, Schach von
Erivan, ebenfalls verjagt, und russische Kaufleute, die
in Persien handelten, nach Baku vertrieben, übrigens
aber weiter keine Feindseligkeiten gegen Rußland ver-
übt. Murtasa war schon mit den Russen bekannt. Im
Jahre 1793 hatte er sich, als er schon einmal seiner
Herrschaft von dem Eunuchen entsetzt worden war,
ebenfalls auf russischen Boden und namenthch nach
Astrachan, geflüchtet. Dies tat er jetzt wieder und
io'^. Valerian Subow II. 447
kam, da er ein Mann war, der sich zu helfen wußte, so-
gar bis Petersburg. Hier Heß er sich der Kaiserin vor-
stellen, reklamierte die seinem verstorbenen Bruder von
Paul Potemkin entwendeten Schätze und bat um den
Schutz der russischen Monarchin gegen den Eunuchen.
Er wurde ihm erteilt, und Valerian Subow erhielt das
Kommando über die nach Persien bestimmte Armee.
Dieser General ging, wie man denken kann, mit aller
ersinnlichen Bequemlichkeit dahin, verwüstete einige
Provinzen, ließ eine ungeheure Menge Menschen um-
bringen und machte Anstalt, die Stadt Derbent^) zu
belagern. Die Blutbäder, die vorhergegangen waren,
hatten den Kommandanten furchtsam gemacht. Die
Stadt ergab sich sogleich.
Man erzählt, ein Greis von hundertundzwanzig Jah-
ren habe dem General Subow die Schlüssel der Stadt
gebracht, die er selbst schon ehemals dem Kaiser Pe-
ter I. überreicht hatte.
Wenn die Anekdote, die man vielleicht nur der Son-
derbarkeit wegen erdachte, wahr ist, so konnte sich
der Greis allerdings über die Härte des Schicksals be-
klagen, das ihm, nach so langen Jahren, eine ungleich
beschämendere Demütigung, als die erstere war, auf-
gespart hatte. Ehemals hatte er die Schlüssel einem
großen, allgemein verehrten und gekrönten Sieger ge-
bracht ; jetzt mußte er sie einem jungen, unwissenden
und mörderischen Emporkömmling bringen.
Mit der Einnahme von Derbent beschloß Valerian
seine militärische Laufbahn. Die Epoche seines Glanzes
war vorüber.
Katharina II. starb.
1) Von Derbent gibt es ein Modell im Arsenal in Petersburg.
Peter I. hat es machen lassen. Man sieht daraus, daß eigentlich die
Stadt selbst nie belagert worden, weil eine imglaublich große Armee
dazu gehören würde.
448 JO?- Valerian Subow II.
Paul I. fand in der Bekriegung der Perser kein In-
teresse für seinen Staat. Er rief seine Truppen zurück,
tat es aber allerdings auf eine Art, die für Valerian Su-
bow höchst empfindlich war.
Ohne ihn, als kommandierenden Chef, durch ein
Wort zu benachrichtigen, ließ er an alle unter ihm
stehenden Generale den Befehl geben, mit ihren sämt-
lichen Korps zurück nach Rußland und in ihre Garni-
sonen zu gehen. Valerian wäre endlich allein geblieben,
wenn er nicht ungerufen den Entschluß gefaßt hätte,
den andern zu folgen.
In diesem für Subows Ehre so nachteiligen Befehl
Pauls I. kann man einen Bewegungsgrund zu der Em-
pörung gegen diesen Monarchen finden.
Valerian kam nach Petersburg zurück und ward von
dem neuen Monarchen nicht gut empfangen. Da die
andern Brüder schon den Hof verlassen hatten, so be-
gab sich dieser Subow ebenfalls von dort hinweg, und
ging auf seine prächtigen Güter in Kurland, die ehe-
maligen Domänen des Herzogs, unter welchen Wür-
zan^) die schönste Besitzung ist. Auf diese Art teilte
Valerian das Schicksal seiner beiden altern Brüder. In
der Folge kam er ebenfalls mit ihnen nach Petersburg
zurück und machte die Grundsätze der Empörer zu den
seinigen. An der gewaltsamen Ausführung der fürchter-
lichen Katastrophe nahm er wirklich einen größern
Anteil, als man seinem traurigen physischen Zustande
hätte zutrauen sollen.
Die Klugheit riet allen Verschworenen, bald nach
der Thronbesteigung Alexanders, wenigstens auf einige
Zeit, sich zu entfernen, da sie wohl zu bemerken Ge-
1) Würzan hat ein prächtiges Schloß; nur schade, daß die Zimmer
zu niedrig sind. Die erste Anlage des Gartens soll die Kaiserin
Anna als Herzogin von Kurland gemacht haben. H.
X07' Valerian Subow II. 449
legenheit hatten, daß sie unter der neuen, zwar scho-
nenden, aber doch gerechten und menschenf reundHchen
Regierung schwerlich ihr Glück machen würden. Va-
lerian folgte auch diesem Rufe der Klugheit, und ging
nach Kurland. Hier starb er im Sommer des Jahres 1804.
Wir kennen schon alle die ansehnlichen Würden, die
Valerian Subow bekleidete. Doch müssen wir noch hin-
zusetzen, daß er deutscher Reichsgraf und Ritter des
Weißen, Schwarzen und Roten Adler-Ordens war.
Valerian Subow war nicht groß, aber demungeachtet
ein äußerst schöner Mann. Besonders waren seine
Augen sehr lebhaft und sein Blick höchst angenehm.
Nachdem er den Gebrauch eines Fußes verloren hatte,
und daher immer sitzen mußte, ward er sehr dick. Sein
innerer Gehalt war in keinem Verhältnisse mit seinen
äußern Vorzügen. Er war ein eingeschränkter Kopf,
hatte nichts gelernt, war leichtsinnig, ausschweifend,
verschwenderisch, unversöhnlich und grausam.
Gewiß sehr unzulänglich gibt man das, was Valerian
von der Kaiserin an barem Gelde und an Gütern er-
hielt, nur auf eine Million Rubel an ; richtiger wäre es
wohl, wenn man zwei Millionen sagte.
Sein Schatz an Juwelen war ebenfalls sehr beträcht -
üch.
Valerian Subow war verheiratet. Seine Gemahlin
war die getrennte Gattin des Grafen Proto-Potocki,
eines ehemals reichen Polen, der Wechselgeschäfte in
Warschau gemacht hatte und durch das Unglück seines
Vaterlandes selbst unglücklich geworden war. Subow
lebte öffentlich mit ihr, und nachdem sie sich förmlich
von ihrem Gemahl getrennt hatte, heiratete sie Va-
lerian, Wir glauben gehört zu haben, daß aus dieser
Ehe Kinder gekommen sind.
Russische Günstlinge. 29
450 loS. Nicolaj Subow III.
io8. Nicolaj Subow III.
Nicolaj Subow war der älteste von allen. Er ist (denn
wahrscheinlich lebt er noch) sehr groß, aber häßlich,
hat wenig Verstand, ist äußerst unwissend, scheint
nicht sehr tapfer zu sein, hat Beweise der empörendsten
Grausamkeit gegeben und war, wenigstens ehemals,
in einem hohen Grade unregelmäßig in seiner Lebens-
weise.
Nach allem diesen muß es einem jeden befremdend
vorkommen, diesen Mann mit ansehnlichen Würden
in der Armee bekleidet zu sehen. Piaton und Valerian
brachten ihren altern Bruder empor, der eben so ver-
dienstlos war wie sie.
Nicolaj wurde erst zu der Armee gegen die Türken
geschickt. Ohne etwas verrichtet zu haben, kam er von
dort an den Hof zurück und erhielt den Zivilverdienst-
orden.
Er ging alsdann unter Igelström nach Polen.
Eben war er in Warschau im Jahre 1794, als der
schreckliche Aufstand daselbst erfolgte.
Subow entfloh und kam aus eigenem Antrieb als Ku-
rier mit dieser Nachricht nach Petersburg, richtete es
aber so ungeschickt ein, daß er eben am Geburtstage
der Kaiserin am Hofe eintraf.
Jetzt konnte er wohl auf keine Belohnung rechnen,
doch erhielt er sie in der Folge.
Bei der Unterjochung Polens wurde er wieder ge-
braucht, und bekam bei Gelegenheit eines unbedeuten-
den Gefechts, in welchem seine Leute den Polen vier
oder fünf Kanonen abnahmen, einen goldenen Degen
mit Diamanten reich besetzt.
Nach Beendigung dieses sogenannten Feldzugs er-
hielt er den preußischen und einen russischen Orden.
io8. Nicolai Sübow III. 451
Nicola] Subow verließ hierauf die Kriegsdienste und
wurde kaiserlicher Stallmeister.
Nach dem Tode der Monarchin wurde er in die
Ungnade seiner Brüder verwickelt. So lange diese
dauerte, lebte er auf seinen imd seiner Gemahlin
Gütern und in Moskau. Nachher kam er nach Peters-
burg zurück und nahm Teil an der Verschwörung
wider Paul I.
Die noch geschlossene Zukunft wird erst ganz frei
von der schaudernden Explosion der Mine sprechen,
die man gegen diesen unglücklichen Monarchen sprin-
gen ließ, um seine Regierung, und, da es die Umstände
so mit sich brachten, auch sein Leben zu endigen. Sie
wird die Verkettung der sonderbarsten und unerwar-
tetsten Ereignisse aufgeschlossen sehen und mit em-
pörtem Unwillen die Geschichte eines Mannes lesen,
der mit unnatürhcher Wildheit und mit stürmender
Hajid an der Beendigung dieser schändenden Begeben-
heit arbeitete.
Nach diesen Taten ging er wieder auf seine Güter,
die er, so viel wir wissen, nie wieder verlassen hat.
Als Katharina II. starb, war er Generalmajor, Stall-
meister, Ritter des Schwarzen Adler-, des Alexander-
Newsky- und des Wladimir-Ordens von der dritten
Klasse.
Paul I. ließ ihm alle seine Würden und Gnaden-
zeichen ; nur den GeneraJmajorstitel mußte er ablegen,
weil dieser Monarch keine verabschiedeten Militärper-
sonen leiden mochte, sondern ihnen immer einen in
gleichem Rang stehenden Ziviltitel gab.
Nicolaj Subow heiratete zur Zeit der Gunst seiner
Brüder die einzige Tochter des Generalfeldmarschalls
Grafen Suworow-Rimnikskoy.
Teils durch die Heirat, teils auch durch die Gnade
29*
452 lOQ. Arcudj Markow.
der Kaiserin erhielt Nicolaj Subow so beträchtliche
Güter, daß man ihn den reichsten Privatpersonen iw
Rußland an die Seite stellen kann.
109. Arcadj Markow.
Große Talente geben dem, der sie besitzt, ein ge-
gründetes Recht, Ansprüche auf hohe Staatsämter zu
bilden, nur müssen sie nicht von Fadheit, Dünkel und
Bosheit begleitet werden.
Die erste, die schon die Schönheit übel kleidet, ver-
unstaltet die Häßliclikeit noch mehr und macht sie auf-
fallender ; der zweite vermindert den Wert der Geistes-
fähigkeiten; und die dritte, wenn sie durch Einfluß
wirkt, hat oft den Fluch ganzer Nationen zur Folge. —
Dies ist die Charakteristik eines Mannes, von dessen
Leben wir einige Merkwürdigkeiten nur oberflächlich
berühren wollen.
Ob Arcadius Markow,^) wie einige sagen, der Sohn
eines russischen Bauern, oder nur, wie andre mit größe-
rer Gewißheit behaupten, dessen Enkel ist, können wir
nicht bestimmen. So viel ist gewiß, daß seine Erziehung
weit über seinen Ursprung erhaben war. Er lernte
Sprachen und andre elegante und nützliche Wissen-
schaften und machte in allen desto größere und ge-
schwindere Fortschritte, da er ungewöhnliche (reistes-
fähigkeiten besaß.
Männer von Einsicht, die ihn schon damals kannten,
sagten, in ihm lagen vielversprechende Keime, die sich
aber nicht durch günstigen Einfluß entwickelten.
Markow fing seine politische Laufbahn damit an,
*) Markow bedeutet ätif russisch Mohrrübe. H.
jog. Arcadj Mavkow. 453
daß er Privatsekretär eines Fürsten Golizin wurde, ^)
welcher Gesandter in Holland war. In dem Hause dieses
Ministers blieb er nicht lange. Seine Talente verlangten
eine größere Sphäre.
Er wurde dem Grafen Stackeiberg '^) bekannt, der als
Gesandter nach Spanien ging und ihn erst als Privat-
sekretär mit sich nahm, ihm aber sogleich Geschäfte
des Hofs anvertraute und ihm sehr bald die Stelle eines
kaiserlichen Legationssekretärs in Madrid verschaffte.
Stackeiberg war also der eigentliche Schöpfer von
Markows Glück, man wirft aber diesem vor, daß er in
der Folge diesen wohltätigen Umstand ganz vergessen
habe.
Als Markow nach Rußland zurück kam, wurde er
nach Warschau geschickt, wo damals Saldern russischer
Ambassadeur war.
Hier hatte er ein weites Feld, sein schon entschie-
denes Talent für Intrigen zu zeigen, die damals das
Hauptgeschäft der russischen Diplomatiker in Polen
waren. Er spann sie gewiß feiner als Saldern, der übri-
gens in bösem Willen mit ihm wetteiferte. Über die
Sache selbst waren sie einig, nur in der Methode der An-
wendung der Mittel, zu ihrem Zweck zu gelangen,
wichen sie voneinander ab.
Diese Verschiedenheit wurde die Hauptursache eines
Zwistes, der endhch der Entscheidung der Kaiserin
mußte überlassen werden.
Beide vergaßen sich, und der Gesandte heß den Le-
gationssekretär arretieren. Markow wurd«: sehr ge-
schwind des Arrestes entlassen, weil Saldern einsah,
*) Dmitrij Alexejewitsch Golizin (1738— 1803), der Frcumi
Voltaires und der Enzyklopädisten.
*) Stackeiberg, einer der brauchbarsten Minister, starb vor sechs
oder acht Jahren in Dresden. Einer seiner Söhne, ebenfalls ein ge
schickter Mann, ist auch Gesandter. H.
454 •^*^- ^^(^df Markow.
daß er kein Recht gehabt habe, diesen eigenmächtigen
Schritt zu tun.
Bald darauf kam der Befelil, daß Markow nach Pe-
tersburg kommen sollte. Er reiste im Monat Februar
1772 nach Rußland und nun geschah, was man erwar-
tet hatte: der klügere Legationssekretär stürzte den
sich klüger dünkenden Gesandten.
Von nun an blieb er in Petersburg in der Kanzlei des
Departements der auswärtigen Angelegenheiten bis
1779-
In diesem Jahre ging er als Legationsrat mit dem
Fürsten Repnin zum Kongreß nach Teschen.^)
Von da wurde er als Geschäftsträger nach Paris ge-
schickt.
Hierauf ging er als Grcsandter nach Schweden und
leitete ein und fing an, was Razumowsky fortsetzte und
vollendete.
Im Jahre 1787 war die dritte Stelle im Ministerium
der auswärtigen Angelegenheiten durch Bakunius^)
Entfernung erledigt. Besborodko, der Marko ws
Brauchbarkeit kannte, brachte es dahin, daß ihn die
Kaiserin zum dritten Mitgliede dieses Reichskollegi-
ums ernannte.
Besborodko und Markow, beide Männer von Ver-
stand, waren in der Führung der Geschäfte vollkom-
men einig. Den ungeschickten Grafen Ostermann, wel-
cher der erste unter ihnen dreien war, behandelten sie
*) Nikolaj Wassiljewitscb Repnin, der Enkel von Anikita Iwano-
witsch Reputa (i658 — 1726), dem Feldherm und Günstling Peters
des Großen, wurde 1734 geboren. Er eroberte im Türkenkriege
Ismail und Kilia und schloß 1774 den Frieden von Kücük-Kainardza.
Auf dem Teschner Kongreß bewog er Österreich zum Frieden mit
Friedrich dem Großen. Im zweiten Türkenkriege war ihm 1792
der Friede von Jassy zu danken. Er starb als Marschall und Gou-
verneur der Ostseeprovinzen 1801 in Riga.
^) Bakunins Charakter wird nicht gerühmt, wohl aber sein Kopt.
/
W • tl ' ''
Graf Repnin
• log. Arcadj Markow. 455
nicht anders als einen Automat, der nichts tun durfte,
als was sie haben wollten. Diese Übereinstimmung war
ihnen desto natürlicher, da sie beide treue Gefährten
auf dem Pfade des unregelmäßigsten Lebens waren,
das sich nur denken läßt.
Aber auch gegen Besborodko vergaß Maikow sehr
bald den Dank, den er ihm schuldig war. Er stürzte ihn,
indem er sich an den unwissenden, aber allgewaltigen
Subow anschloß.
Man sieht daraus, daß ein kluger Mann oft erreichen
kann, was er will, wenn er auch Hindernisse findet.
Die Kaiserin hatte eine vorgefaßte Meinung gegen
Markow, die man sich nicht erklären kann. Demunge-
achtet brachte es Markow dahin, daß Subow im Grunde
bloß sein Organ wurde, und er durch diesen Empor-
kömmling schlechterdings alles machte, was er nur
wollte.
Saldern war der Schöpfer der ersten Zerstückelung
von Polen gewesen; Markow brachte es noch weiter.
Er war es, der als Hauptperson mit Subow und Sie-
vers den zweiten Raub der polnischen Provinzen und
endlich die völlige Vernichtung der politischen Exi-
stenz dieses Reiches veranlaßte. Der Fluch der Be-
wohner dieses Landes wurde laut gegen ihn ausge-
sprochen. —
Nach Katharinas Tode blieb er nicht lange in seinen
Posten. Paul I., der ihn verachtete und wenigstens auf
eine Zeitlang empfindlich strafen wollte, gab ihm nur
einige Stunden Frist, imi sich aus Petersburg zu ent-
fernen, und auf seine Güter zu begeben. Der Monarch
ließ ihm in der Folge antragen, wieder in Dienste zu
gehen, aber Markow hatte die Klugheit, den Antrag
abzulehnen.
Er blieb auf seinen Gütern nicht allein unter Pauls,
456 Tio. Iwan Pavlovüsch Kutaizow.
sondern auch unter der jetzigen Regierung und lebt
wahrscheinlich noch daselbst von den Einkünften
seines unermeßlichen Vermögens.
Als er abging, war er deutscher Graf, Geheimer Rat
und Ritter des Alexander- und Wladimir-Ordens der
zweiten Klasse.
Marko w war nie verheiratet, aber er lebt seit langen
Jahren mit einer alten französischen Schauspielerin,
Madame Hus, die er aus Stockholm nach Petersburg
kommen ließ und die verschiedene Kinder von ihm hat.
In ihren schönen Tagen war sie von dem jetzigen König
von Bayern,^) damahgen Prinz Maximilian von Zwei-
brücken, in Straßburg unterhalten worden.
HO. Iwan Pavlovitsch Kutaizow.
Klio errötet wenn sie einen Monarchen strauchein
sieht, den sie wegen seiner vielen guten Eigenschaften
mit so großer Teilnahme gegen die, welche ihn bem;-
teilen und richten, ohne ihn gekannt zu haben, gegen
seine Feinde und gegen seine Mörder in Schutz nimmt,
wenn sie bemerken muß, daß, obgleich dieser Fürst
während seiner ganzen Regierung nur einen Günstling
aufkommen läßt, er doch auch bei dieser einzigen Wahl
in den Fehler der meisten seiner Vorgänger verfällt,
und einen Emporkömmling ohne Verdienste erhebt.
Kutaizow, der wahrscheinhch noch lebt, ist von Gt;-
burt ein Mohammedaner.
Er wurde im ersten Türkenkriege, im Jahre 1770,
bei der Einnahme von Bender als ein ziemhch großer
') Maximilian I. Joseph, der erste König von Baj'crn (i709
bis 1825), v-ordem Prinz von Zweibrücken-Birkenfeld.
HO. Iwan Pavlovüsch Kutaizow. 457
Knabe zum Gefangenen gemacht und als eine Art von
Seltenheit dem Großfürsten Paul, der auch noch sehi-
jung war, geschenkt. Dieser Prinz ließ ihn in der grie-
chischen Religion taufen und wir glauben, daß der
junge Proselyt bei dieser Gelegenheit den Namen Jwan
erhielt. Die Entstehung des ihm ebenfalls erteilten Fa-
miliennamens Kutaizow kennen wir nicht.
Der großmütige Prinz ließ es bei den Religionslehren
nicht bewenden. Auf seinen Befehl wurde sein Günst-
üng (denn das war er schon damals) in der französi-
schen Sprache und in den nötigsten Wissenschaften,
wenigstens oberflächlich, unterrichtet.
Obgleich Kutaizow nur gewöhnliche Fortschritte
machte, so lernte er doch mehr, als gemeiniglich die
Leute seines Schlages zu wissen pflegen.
Der Großfürst nahm ihn unter seine Hofoffizianten
auf, erhob ihn aber nicht einmal zum Kammerdiener.
Alle, die den russischen Hof im Anfange der neun-
ziger Jahre sahen, werden sich erinnern, in den Zim-
mern des Thronfolgers im Winterpalais und bei den
Winterfesten in dem kleinen Lustschlosse Kamenoy-
Ostrow bei Petersburg, Kutaizow in der Offizianten-
livree gesehen zu haben. Weil er ein Türke war, so zeigte
man sich ihn damals immer noch als eine Art von sen-
derbarem Wesen.
Gegen die Mitte des letzten Jahrzehntes zog er end-
lich die Livree aus und wurde Wirklicher Kammer-
diener.
Schon damals sagte man sich ins Ohr, daß Kutaizow,
wenn der Großfürst zur Regierung käme, eine Rolle
spielen würde.
Zugleich erzählte man sich insgeheim die Ursache
seines wachsenden Kredits.
Wie oft ist das schändliche Gewerbe der Gelegen-
458 HO. Iwan Pavlovitsch Kutaizow.
heitsmacherei die erste Stufe zu Ehrenstellen und
Reichtümern gewesen !
So auch hier. Kutaizow war der Unterhändler bei
der Verbindung des Thronfolgers mit seiner ersten Ge-
liebten, Fräulein Nelidow,^) Hofdame der Großfürstin
Mutter.
Der Günstling Kutaizow benahm sich dabei mit
großer Geschicklichkeit und zur Zufriedenheit seines
Herrn, doch erhob er sich, so lange Katharina II. lebte,
nicht über seine bisherige Sphäre.
Mit dem Tode dieser Fürstin ging sein Glücksstern
auf.
Der neue Kaiser erklärte ihn durch die Tat zu seinem
Günstling, indem er ihn mit Ehrenstellen und Geschen-
ken überhäufte.
Der Monarch mochte aber diesen Mann erheben so
hoch er wollte, innern Gehalt konnte er ihm doch nicht
geben, und dessen natürhch gutem Herzen nicht den
Schwung eines geistvollen Charakters erteilen.
Paul I., der wahrscheinlich Kutaizows Schwäche
kannte, hatte ihm als ein unverbrüchliches Gesetz vor-
geschrieben : nie mit den Fremden zu sprechen, damit
diese von des Kaisers Privatleben nicht durch ihn
etwas erfahren möchten.
Der feine Besborodko, der den GünstUng bald zu
durchspähen wußte, stieg von seiner Größe herab und
schloß sich an Kutaizow an, um durch ihn noch höher
zu steigen. Die Vereinigung dieser beiden Männer
brachte eine unumschränkte Gewalt hervor, die sie aus-
übten. Besborodko leitete Kutaizow und dieser lenkte
den Monarchen nach dem Willen seines Freundes. —
^) Fräulein Nelidow verband Klugheit und Kenntnisse mit einem
vortrefflichen Charakter. Übrigens war es zu verwundem, wie
Paul ihre kleine, häßliche Gestalt der anerkannten Schönheit seiner
Gemahlin vorziehen konnte. H,
Kaiser Paul I.
Nach dem Gemälde von Voile gestochen von J. S. Klauber
HO. Iwan Palvovitsch Kutaizow. 459
Fräulein Nelidow sollte entfernt werden. Ihre wah-
ren Verdienste hatten sie zur Freundin der Kaiserin
gemacht. Einigkeit in der kaiserlichen Familie war
nicht, was jene beiden Männer wünschten, denn
diese konnte ihrem Übergewicht gefährhch werden.
Sie mußten also eine Verbindung stören, die ihnen
Gefahr drohte.
Das Ansehen der Brüder Kurakin^) war zwar durch
Besborodko und Kutaizow geschwächt worden, oder
\'ielniehr ganz gefallen. Aber die Kurakins waren
Freunde der Kaiserin und der Nelidow. Wie leicht
konnten sie empor kommen, und sich an ihren Geg-
nern rächen. Diesem Unfall mußte man zuvorkommen.
Ehemals hatte Fräulein Lapuchin^) bei der Krönung
in Moskau Eindruck auf das Herz des Monarchen ge-
macht.
Man weckte diese Neigung aufs neue, indem man
dem Kaiser im Jahre 1798 eine abermalige Reise nach
Moskau mit einem kleinen Gefolge vorschlug. Die Reise
wurde unternommen. Kutaizow ging mit, vielleicht
auch Besborodko, und beide erreichten wenigstens
ihren Zweck.
Um die Lapuchin zu stürzen, wurde eine Art von
Verschwörung gegen sie gemacht, die Kutaizow nach
der Rückkunft nach Petersburg zu entdecken die Ge-
schicklichkeit hatte. So wie die Teilnehmer jener Ka-
bale in der Gnade des Monarchen sanken, so erhoben
sich auf den Trümmern derselben ihre Antagonisten.
f^ *) Die beiden Fürsten Kurakin, Alexander und Alexis, sind
ebenso liebenswürdige Männer als schätzbare Patrioten. Sie waren
von jeher echte Freunde Pauls. Der älteste ist jetzt Ambassadeur
iu Wien, der zweite Staatsminister in Petersburg. H.
^) Fräulein Lapuchin, hübscher als Fräulein Nelidow, aber des-
wegen noch nicht schön, ist jetzt mit einem Knes Gagarin vermählt,
der einmal Gesandter in Neapel war. H.
^6o HO. Iwan Palvovitsch Kutaizow.
Die Familie Lapuchin wurde in den Fürstenstand
erhoben.
Besborodko stand damals schon so hoch, daß er qicht
höher steigen konnte. Aber Kutaizow, der nur noch
Jägermeister mit Generalleutnants - Rang, Ritter des
Annen -Ordens von der ersten Klasse und Malteser-
ritter^) war, wurde bei Gelegenheit der Vermählung
der Großfürstin Helena mit dem Erbprinzen von
Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1799 Reichsgraf, und
wenn wir nicht irren, auch schon damals Ober Jäger-
meister mit Generalsrang und Ritter des Andreas-
Ordens.
Kutaizow wendete sein Ansehen nicht an, wie er
sollte. Er hätte manches Gute befördern und manches
Übel verhindern können, und er tat keins von beiden.
Er hatte vielmehr oft Anteil an Begebenheiten, welche
die fürchterhche Katastrophe herbeiführten und be-
schleunigten, durch welche Paul I. sein Leben endigte.
Am Tage der Ermordung erhielt er einen Brief,
worin man ihm die Verschwörung entdeckte, welche
ausbrechen sollte.
Einige versichern, er habe zwar das Billett geöffnet,
aber auf den Inhalt nicht geachtet, weil er schon der-
gleichen oft bekommen hatte, die nicht in Erfüllung ge-
gangen waren ; andere sagen, er habe das Schreiben gar
nicht aufgemacht, weil er geglaubt habe, es sei ein Me-
morial, wie er sie oft erhielt. Dem sei, wie ihm wolle,
so kann man ihm wohl Schuld geben, daß er diese Mord-
szene nicht verhinderte. In der nämhchen Nacht be-
kam er ein zweites Billett, worin man ihm den Tod
seines Herrn meldete.
Man kann sich seine Lage bei dieser Nachricht leicht
*) Gewiß das erste Beispiel in der Ge<?chic6te, daß ein geborener
Türke Malteserritter wurde. H.
HO. Iwan Pavlovitsch Kiitaizow. 461
denken und noch jetzt müssen die Vorwürfe seines Ge-
wissens fürchterlich sein. Er verbarg sich damals vier-
undzwanzig Stunden lang und würde vielleicht nie ent-
deckt worden sein, wenn er nicht endlich selbst zum
Vorschein gekommen wäre.
Es ist nicht bekannt, wie er es machte, aber er ent-
kam und ging nach Königsberg, wo er einige Zeit lebte.
Wahrscheinlich ging er alsdann auf seine Güter in Ruß-
land. Wo er jetzt ist, wissen wir nicht.
Kutaizow war oder ist noch verheiratet. Aus seiner
Ehe hatte er eine Tochter, die der Fürst Subow, um
den Vater desto zuverlässiger zu täuschen, zur Ge-
malüin zu nehmen vorgab.
Register.
d'Acerenza-Belmoute-Pignatelli,
Job. Katharina 171.
d'Aillon 217, 307.
Alben- Bismarck, Albertine Luise
159.
Alexander I. 368, 440.
Alexe j Petrowitsch, Großfürst
46, 93-
Alsufiow, Adam 126.
— Wassilej 126.
.\nhalt, Graf von 369.
Anna, Zarin 39, 66, 72 ff., 78 ff..
91, 94, loi, 132, 144 f., 147 f.,
153, 168, 175 ff., 183 f., 196 f.
201, 210, 2X2, 226.
Apraxin, Graf Stephan i88 f.
— Gräfin 369.
— Rozumowsky 209.
^\rchenholz, Baron I. M. 233.
Asch, Friedrich 134 f.
Assenberg-Bismarck, Job. Mar-
garethe v. 159.
B
Bakunin, Minister 454.
Balk, Generalmajor 119 f.
— geb. Mons de la Croix 112 ff.,
118 f.
— Lopuchin, Natalie 214.
— Paul 119 f.
Batal-Bey 426.
Bauer, General 456.
Bayern, Maximilian I. Joseph
456.
Bayreuth, Markgräfin von 56.
Beethoven 208.
Berger, Leutnant 212 ff.
Bergmann 388.
Besborodko, Fürst Alexander
89, 273, 366 f., 370 ff., 379,
407, 412, 458 f.
— Geheimrat 378 f.
Bestuschew-Riumin, Graf Alexej
159 f., 161, 188, 251, 306, 310.
— Gräfin 213, 215 ff., 219.
Betzkoy, Iwan 264, 333, 339.
Bibikow 270 f.
Biron, Anna Katharina 172.
— Benigne Gottliebe 167.
— Calixt Gustav 41, 172 f.
— Carl 172 f.
— Ernst Johann 76, 146 ff., 212,
220, 226, 291.
— Hedwig Elisabeth 174, 226.
— Karl Ernst 171 f.
— Louise Karoline 172.
— Peter 167 f., 172.
Bismarck, Ludolf August v. 159.
Bobrinskay, Fürst 264 f., 290,
339-
Borjatinsky, Fürst 281, 297 f.,
356, 414-
— Fürstin 67.
Botta, Marquis de 217.
Branicka, Gräfin 321.
Branicki, Graf 308.
Braunschweig, Anna von 73 f.,
76 f.
— Anton Ulrich v. 74, 76. X95-
— Prinz Ludwig 161.
Register.
463
Bressan 240.
Breteuil, Baron 192.
Broglie 307.
Browne, Graf 277.
Brühl, Graf 309.
Bruce, Graf 70 f.
— Gräfin 390 f.
Budberg, Oberst 172.
Bühreri, s. auch Bixoa.
— Carl 175.
— Ernst Johann s. Birun.
— Gustav 176.
Büsching 53.
Bussy-Rabulin 43.
Butturlin, Kammerherr 14c.
Buturlin, Graf 383.
— Gräfin 363.
Buschröden, General 265 f.
Cederkreutz 71.
Chetardie, Marquis de la 182 ff.,
192.
Chowansky, Fürst 67, 17S.
— Fürstin 281.
Cobenzl, Graf 380.
Cramer, »\nna 109.
Cruys, Cornelius 69.
Czartoryska, Prinzessin 302,
304 f.
Czartoryski, Fürst Adam 305,
384.
— Adam Georg 384.
— Konstantin 384.
Dahl, Oberzolldirektor 418 f.,
422.
Daschkow, Fürstin 247, 270 ff.,
403.
Daut, Pastor 43.
Dedenow-Rasumowsky 204 f.
Demidow, Staatsrat 217.
Devi6re, Anton 103 f.
— Emanuel 100 ff.
Dimiresow 81 f.
Dolgorucky, Fürst 34 f., 68.
144.
— Fürstin 281.
Dombrowski, Joh. Heinr. io7
Drewitz 317.
Drewnik 130 f.
Dubjamsky 382.
Dyck, Konsul 234.
Ebert, Joh. Jak. 295 f.
Eck 417 f.
Eichler 177 f.
Elisabeth, Kaiserin 46, 75 ff.,
79 ff., 88, loi ff., 112, 123,
I2Q, 131, 133 f-, 145. 163,
177 ff., 181, 183 f., 199 ff.,
205, 209 ff., 211, 214 ff., 220,
223 f., 226 f., 229 ff., 290,
292, 308 f., 331, 338, 348. ,
Elmpt, Graf v. 363.
Engelhardt 296 ff.
d'Eon, Ritterin 54.
L'Estocq, Joh. Herm. 179 ff.
Eudoxia, Kaiserin 19, 58.
Euler, Leonhard 205.
Fick, Heinrich 144.
Finch, Gesandter 1S4.
Fleury, Kardinal 151.
Frankreich; Ludwig XV. 3r6.
Fredericks 353 f.
Gagarin, Fürst 66, 97.
— Fürstin 217.
Gerhardt, Etatsrat 427-
Gcrmann 425 ff.
Glück, Probst 43, 121.
Gollowin, Graf 67.
Golowkin, Graf 77, 81 f., 84, 15:
— Gräfin 96.
464
Register.
GoliziQ, Fürst 77. 126, 152. 433-
— Fürst in 66 f., 120.
Grabowski, Brüder 313-
Greigh, Admiral 236.
Grünstein 182, 199.
H
Hackert, Philipp 276.
Haimbxirg, Oberstleutnant 195-
Hamilton, Fräulein 109, ii5-
Hanbury, William 304.
Hannibal, Abraham 135 f-
Hendrik ow, Andreas 60, 141-
— Christina 140.
— Iwan 141 f.
— Marfa 142.
- Maria 223 f.
— Simon 141, i43-
Hennin 129.
Hessen-Homburg, Ludwig Joh.
VVilh. Gruno, Prinz v. 80.
— Prinzessin 338 f.
Hohenholzer, Gesandter 218.
HohenzoUem- Hechingen, Maria
Paulina 170.
Holstein, Aima v. 46 f -, 54-
— Karl Friedrich v. 65, I5"-
— Peter von 78.
Hom, Graf 305.
Hus, Madame 456.
I (J)
|aguschinski,Pawl.26, 33, 49 f^-.
71, 92 ff.
— n. 99-
— Sergej 96.
jefimowsky 60, 142 ff.
Igelström, General 317, 325, 45».
Joachim, Michael 142.
IvanV. 96, 140, 154, 181, 213,
293-
Johann III. 108.
Joharm, Dragoner 43 f.
Ismaliow, Michael 249.
Toan V. s. Ivan.
K
Kaaw-Boerhaave, Dr. Hermaaa
269.
Kaiserling, Frau v. 116.
Kämpf, Dr. 74-
Kantemir, Gospodar 338 f.
Katharina Alexejewna, Groß-
füi-stin 41, 46.
Katharina I. 27, 31, 40, 65, 72.
93» 95» ^o^> ^^°' ^^^ ^^■'
122 ff., 124, 126 ff., 131,
136 ff., 142 ff., 150, 181 f.,
209, 226.
Katharina II. 67, 76, 88 f., 103 f.,
121 f., 124 f., 151. 160, 165,
168 f., 171, 192 f., 195 f..
199, 207, 220, 222, 224, 228,
231, 236, 239, 241 f., 243.
246, 251 ff-, 255«-. 268 ff.,
285 ff., 287 f., 289 ff., 305 f-,
308 ff., 313«-. 317. 319«-;
322 f., 326, 331. 336 f-, 341.
343, 349«-, 353«-, 362 ff .,
372, 374 f-, 382 f., 386 ff.,
398, 402, 405 ff., 408 f., 419,
421, 425, 430 ff-, 432 ff-, 441,
443 ff-, 447, 458.
Kelchen, Dr. 398.
Kettler, Gotthard i53-
Kischensky 341 ff-
Klinger, Alexander v. 282.
— Maximilian v. 382.
Korff, Baron 140.
Korsakow 388 ff.
Kosciusko, Thaddens 324-
Kramer s. Cramer.
Kruse, Frau 221.
Kurakin, Fürst 77, 459-
Kurland, Karl v. 166.
— Jakob III. 146 f.
Kutaizow, Iwan 375- 438, 456-
Lacy, Graf 260.
Lanskoy, Alexander 395, 4i5-
Lapuchüj, Fräulein 459 f-
Register.
46=
Lasarew 379 f.
Law, Major 145.
Le Fort 105, 129.
L'Estocq 78 f., 197 f-, 214 «•
Lewaschew, General 77, 404 ff.
Lilienfeld, Frau v. 217.
Loellin 222.
Lopuchin, Frau v. 213 ff., 219.
Löwenwolde, Graf 77, 81, 84,
184, 200, 212 ff.,
Lynar, Graf 196.
M
Madaünsky 325.
Makarow, Alexej 65, 128.
Malzahn-Biron, Gräfin i73-
Maltiz, Adjutant 173.
Mamonow, Graf Alex. 291, 320 f.,
429, 408.
Manstein, Christ. Herrn. v. 154 ff-
Mardefeld, Baron 218.
Margaretha, Großfürstin 46.
Maria Feodorowna, Kaiserin 67.
Markow, Arkadj 89, 377, 452.
Maschkow, Leutnant 217, 219.
Matjuschkin, Gräfin 66 f.
Mazeppa 294.
Mecklenburg- Schwerin, Helena
von 172.
— Karl Leopold 9r.
— Katharina 91, 118.
Medem, Anna Charlotte Doro-
thea V. 170.
Mengden, Baron v. 77, 81 f., 84.
— Julie 77, 195.
— Maria Aurora 195.
Menschikow, Alex. 17. 23, 39 ff.,
44, 49 ff., 54 ff., 63 ff., 65 ff.,
93, 100 ff., 116 f., 144, 150 ff.
— Alexandra 41.
— Fürstin 37 f.
— Maria 40.
Meyer, Kaufmann 70 f.
Michelson 364 f.
Miller-L'Estocq 194.
Mirowitsch, Wassüij 134, 293 f.
Russische Günstlinge.
Mons de la Croix iii ff.
Münnich, Burkh. Christoph,
Graf V. 79, 82 f., 84, 142,
144, 151, 154, 160 f., 163 ff.,
165.
Musin- Puschkin, Graf 392.
N
Narischkin, Geheimrat 77.
— Alexander 208.
— Dimitrij 208.
— Leon 121, 208, 305.
— Maria 120.
Natalia, Großfürstin 39, 46 f.,
208.
Neapel, Maria Karoline von 208.
Nelidow, Fräulein 458 f.
Noris, Admiral 71.
Oloff, Generalmajor 227.
Orlow, Alexis 234, 239, 268 ff.,
296 f., 339. 341, 354, 358.
— Elisabeth 282.
— Fedor 283.
— Galachtheon 265.
— Gregor 242, 327, 44i-
— Iwan 267.
— Wladimir 285.
— Wospanoy 265.
Osten, Baron v. d. 309.
Ostermaim, Gräfin 88.
— Heinr. Joh. Friedr. 57, 68 ff.,
151, 161, 372.
— Joh. Christ. Dietrich 90.
Österreich: Joseph IL 321, 396,
411, 433-
— Maria Theresia 218, 260.
— Leopold IL 433.
Osterwald, Dietrich 332.
Panin, Graf Nikita 89, 242, 251,
255, 286, 289, 355 i; 394-
Passek 248, 287.
30
466
Register.
Paul I. 47, 89 f., 108, 199, 208,
252, 324, 326 f., 327, 332,
361, 368, 375 f-, 404, 414.
418, 427, 429, 435 f., 440 f.,
448 f., 451, 458 ff.
Perfiliew 248.
Peter I. der Große 14 ff., 18 ff.,
44ff., 67, 72, 92ff., 95, 100 ff.,
103 f., 109 ff., 116 ff., 118 ff.,
123 ff., 126 ff ., 131 f., 134 f..
144, 152, 159, 225, 244, 294,
Peter II. 27, 34 ff., 40, 41 ff.,
78, 94, 126, 128,
144, 181, 209 f.,
47 f., 72,
132, 138,
270 ff.
Peter III. 46
133. 1.^9,
67, 76, 103, ro8,
163 f,. 168, 187,
191 f., 193, 199, 203, 227,
229 ff., 238, 241, 243, 246,
247 ff., 264 f., 270, 272, 280 f.
286, 288, 292 f., 331, 353.
359, 415, 441-
Poltarazky 228.
Poniatowsky, Andreas 303.
— Joseph 303.
— Kasimir 303.
— Michael 303.
— Stanislaus August 166, 299 ff.
Poaiaski-Biron, Herzogin 171.
Posniakow 81 f.
Potemkim, Gregorij 89, 207,
243, 260, 270, 282, 308,
338 ff., 367, 372 f., 379. 383,
386 ff., 389 ff-, 395, 403 f-,
405 ff., 408, 411 f., 420, 425,
442 ff.
Potemkin, Paul 445 f.
— TawTitscheskoy, Fürst 132.
Prascovia, Kaiserin 35, 91.
Preußen, Friedrich der Große
74, 205 f., 210, 218, 245, 307,
310, 316 f., 350.
— Friedrich Wilhelm II. 396.
— Prinz Heinrich 317.
Proto-Potocki, Fürst 449.
Pugatschew, Jemeljan 364 f.
Pulowski 315.
Purpur, General 247.
Puschkin, Alexander 136.
Putjatine, Fürst 217 ff., 2
R
Radischew 421.
Radziwill, Fürst Karl 314.
Kaiser, Vincent 132.
Rasumowsky, Alex. 200 ff., 208,
211.
— Andreas 208, 454.
— KyriUa 205 ff., 248, 292, 366,
370, 377-
— Natalie 209.
— Peter 208.
V. d. Recke-Medem, Elisa Charl.
170.
Repnin, Anikita 313 f.
— Nicolaj 454.
Ribas 264, 338.
Ronzow 388.
Rumjanzow 360 f., 366 f., 370 f.,
377-
Rurik 35.
s
Sabakin 178.
Sabin-Cherai, Khan 405.
Sachsen: Friedrich August I. 21,
147, 300.
— Friedrich August II. 160, "166,
174, 187, 194, 305, 310, 326.
— Prinz Karl 308.
Sagan-Medem, Katharina Frie-
derike 170.
Sagraiskoy, Kammerherr 209.
Sakrewsky 204.
Saldem 347, 453.
Saliern s. Saldern.
Saltikow, Sergius 35, 120 f., 428,
431-
— Matrona geb. Balk 120.
Sapieha, Graf 40, 42, 136, 139.
Sass-Osterwald, Frau v. 333.
Sawadowsky, Peter 365, 370,
372, 383-
Register.
467
Schaphirow, Peter 57, 61.
Scheelen, v. 59.
Schepelew, Dimitrj 131.
Scheremet jew, General 44, 56,
59-
Schkurin 264, 271, 290.
Schlatter, Johann 133.
Schönberg, Kurt v. 194 f.
Schönburg- Penig, Graf 222.
Schtscherbatow, Prinzessin 412.
Schubin 200, 209.
Schulz 129.
Schuwalow, Iwan 132, 228, 309.
— Peter 229.
Schwcirz 182, 198.
Schweden: Gustav III. 88, 243,
317. 396, 433-
— Karl XII. 294, 300 f.
Schwerin, Graf 245.
Sinclair, Major 76.
Sinowiew-Orlow, Fürstin 263.
Sievers 220, 221 f.
Skawronska, Anna 139 f.
— Gräfin 411.
— Kathsirina 139.
— Martha 42.
Woronzow 182.
Skawronski, Familie 60.
— Anton 138.
— Carl 136 ff.
— Iwan 138.
— Martin r38.
Skwarsow, Jermolaj 223.
— Wisselej 223.
Sobiesky, König Johann 330.
Solikamski 213.
Sophie V. Rußland 14.
Sorizsch 382, 388, 390.
Soltikow, Sergij 305.
Ssokolow, Anastowja 338.
Stackeiberg, Graf 453.
Stanislaus I., Lescynski 301,
411.
Strachow, Iwan 394.
Streckalow, Geheimrat 414.
Strogonow, Graf 139.
Strogonow, Gräfin 392.
Subow, Nicolaj 450, 461.
— Piaton 243, 372, 375 f., 377,
427.
— Valerian 441.
Suwarow-Rymniksky, Fürst
325 f., 451-
Sj'bin, Staatsrat 219.
Talleyrand-Biron, Herzogin 171.
Talysin, Alexandra 89.
Tarakanow, Elisabeth 232 ff.
Teplow, Gregorij 291, 297 f.
Theophanes 33, 51 f.
Tiesenhausen, General v. 43.
Todte, Wundarzt 253.
Tolstoy, General Graf 394.
Ostermann 91.
Trotta-Treyden, Benigna 149 f.
— Wilhelm 167.
Trubetzkoy, Iwan 333.
— Nikita 77 f., 152, 214 ff.
— Nikolaj 392.
Tschekin, Leutnant 293.
Tscherebtzow- Subow 429.
Tscherkassow, Alexander 174 f.,
226.
— Iwan 225.
Tschernitschew, Andreas 340 f.
— Iwan 316.
— Peter 316.
— Zacharias 257, 316, 356.
Tschesmenskoy-Orlow 282.
Tschischkowsky 419, 423 ff.
Tschoglogow 104, 223.
Tschulkow, Wassüej 224 f.
Turtschaninow 362.
Tzeregowsky, Katharina 271 f.
Tzscherkassow 164.
u
• Uschakow, General 77, 113, 118,
214 f.
V
Veiten 131.
Vietinghoff, Geheimrat v. 86.
30*
468 Register.
Vülebois, Alex. 43, 123 f.
— geb. Glück 123.
Voltciire 453.
w
Waldeck, Prinzessin v. 169.
Walinsky, Minister 141, 177,
291 f.
Walker, James 402, 410.
Wasiltschikow, Alexander 254,
355, 393-
Wassilej 126.
Wassiljew 381.
Weickhard, M. A. 397.
Weide, Adam 104.
— General 134.
Wüinski s. Walinski.
Wischnowsky, Oberst 200.
Wjasemsky, Fürst 232, 372, 379,
381.
Wlaesjew, Kapitän 293.
Wlodimirow 354.
Wolfenschild, v. 60.
Wolkow, DLmitrej 236.
— Schauspieler 297 f.
Woronzow, Alexander 247,
379-
— Elisabeth 270.
— Michael 89, 139, 182 f., 251,
372.
— Roman 270.
— Semen 247.
Woschinskij 222.
Wurmb 122.
Yelagin, Iwan 308.
Yermolow, Alex. 402.
Yusapow 169, 170.
Roßberg'sche Buchdriickerei, Leipzig.
o
8864
A 000 676 583 8
1
\
^^
^ /"*'■
(
,-■/,,■ *>l
4
/
' i : ' ^
-*-^ I
*>*
i^
■w>:-
%^/i.
i^
% ■
% -^
%■