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Full text of "Russische Günstlinge"

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Helbig  /  Russische  Günstlinge 

Neubearbeitet  von  Max  Bauer 
Mit  34   Bildbeigaben 


^iiiuiiininiiiiiiiiiuHiinuuinnmiiiHiiiiiiiiiiiMiniiiiiiiiiiiiiiiiiiMiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiiiiMimiiiiiiiMiiiniiiiiiiiniiiiiiiH 

I  Russische  Günstlinge  | 

I  VON  I 

I  G.  Ad.  W.  V.  Helbig  | 

I  UNTER  I 

I  Benutzung  von  | 

I  NEUEN  Quellenwerken  | 

I  bearbeitet  /  eingeleitet  UND  mit  I 

I  zahlreichen  Anmerkungen  | 

I  herausgegeben  I 

I  VON  I 

1  MaxBauer  i 


I  1917  I 

I  MÜNCHEN    UND    BERLIN  | 

I  Verlegt  bei  Georg  Müller  | 

iiuMiiiiiiiiniiuiNitiiiinmiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiMiiHiiiiriiiMif^ 


Die  Welt  gleicht  einer  Opera, 

Wo  jeder,  der  sich  fühlt. 
Nach  seiner  lieben  Leidenschaft, 

Gern  eine  Rolle  spielt. 
Ein  Kühner  steigt  die  Bühn'  hinauf 

Mit  einem  Schäferstab, 
Und  sinkt  dann  mit  dem  Marschallstab 

Oft  ohne  Kopf  herab. 

Götze 


EINLEITUNG 

ZU  den  wertvollsten  Urkunden  aus  dem  Werdegang 
jenes  Landes,  das  sich  nach  dem  leuchtenden  Bei- 
spiel seiner  Bundesgenossen  als  Kulturträger  gegen- 
über den  deutschen  Barbaren  aufspielt,  gehört  Helbigs 
Buch  von  den  russischen  Günstlingen.  Es  enthält  ein- 
himdertzehn  Schilderungen  von  Geschöpfen,  die  za- 
rische Willkür  mit  Glanz  und  Macht  umgab.  Nur  garLZ 
wenigen  dieser  Männer  und  Frauen,  die  sich  in  der 
Sonne  der  Herrschergunst  erfreuen  durften,  ist  das, 
was  sie  für  Glück  hielten,  treu  geblieben.  Meist  war  ein 
echt  moskowitisches  Ende  ihr  Los,  auf  dem  Schafott, 
imter  Knutenhieben,  in  Schlüsselburg  oder  in  Sibirien. 

Mit  Peter  dem  Großen,  dem  Schöpfer  des  jetzigen 
Rußlands,  setzt  die  Arbeit  Helbigs  ein,  und  sie  schließt 
mit  den  ersten  Regierungs jähren  Peters  III.,  des  un- 
bedeutenden Sohnes  der  bedeutendsten  Persönlich- 
keit, die  jem?Js  auf  dem  mit  Blut  gemauerten  und  von 
Knuten  gestützten  Throne  Rußlands  gesessen. 

Über  den  Lebensgang  des  Verfassers  dieses  Buches 
ist  nur  wenig  bekannt. 

Gustav  Adolf  Wilhelm  von  Heibig  war  Sachse.  Er 
kam  im  Jahre  1787,  fünfundzwanzig  Jahre  nach  dem 
Regierungsantritt  Katharinas,  als  Sekretär  der  sächsi- 
schen Gesandtschaft  nach  Petersburg.  Neun  Jahre  spä- 
ter fand  die  Kaiserin  bei  der  geheimen  Durchsicht  von 
Briefschaften  ein  Urteil  Helbigs,  das  man  ihr,  der  Kai- 
serin, zugeschrieben  hatte.  Erbost  darüber  forderte  sie 


VIII  EINLEITUNG 

die  Abberufung  Helbigs.  Das  sächsische  Ministerium, 
sehr  zufrieden  mit  Helbigs  einsichtsvollen  und  wahr- 
heitsgetreuen Berichten,  erfüllte  den  Befehl  der  Mon- 
axchin,  sandte  Heibig  als  Legationssekretär  nach  Ber- 
lin. Fünf  Jahre  darauf  erhielt  er  dort  den  Adel  und  den 
Titel  Legationsrat.  Das  Jahr  1810  verbrachte  er  als 
adeliger  Assessor  beim  Landgericht  und  als  Land- 
syndikus bei  der  Landesobersteuerkasse  in  Dresden, 
das  folgende  als  Geheimer  Legationsrat  und  sächsischer 
Resident  bei  der  freien  Stadt  Danzig.  Bald  darauf 
kehrte  er  nach  Dresden  zurück,  wo  er  am  14.  November 
1813  starb. 

Helbigs  schriftstellerische  Tätigkeit  ist  allein  Ruß- 
lands Geschichte  gewidmet. 

In  der  Minerva  von  Archenholz  erschienen  seine  Auf- 
sätze über  Potemkin,  die  auch  jetzt  noch  Quellenwert 
haben.  Eine  große  Lebensbeschreibung  Peters  HL,  Tü- 
bingen 1808/1809,  ist  diktiert  von  Helbigs  Vorhebe  für 
den  gekrönten  Schwächling,  den  er  ebenso  hochschätzt, 
wie  er  dessen  T\Iutter,  Katharina  IL,  herabzusetzen  sich 
iDcmüht.  Und  dies  ist  nicht  ohne  Einfluß  auf  Helbigs 
Hauptwerk  geblieben,  das  ihm  zum  Nachruhm  ver- 
helfen sollte. 

Die  ,, Russischen  Günstlinge",  deren  Neudruck  hier 
vorliegt,  kamen  im  Jahre  1809  bei  der  J.  G.  Cottaschen 
Buchhandlung  in  Tübingen  heraus.  Das  Buch  war  bald 
vergriffen. 

In  den  folgenden  Kriegsjahren  zählte  Rußland  zu 
den  Verbündeten  der  Deutschen,  deshalb  war  an  eine 
Neuauflage  einer  solchen  Anklageschrift  nicht  zu  den- 
ken. So  geriet  sie  in  Vergessenheit  und  zählte  bald  zu 
den  Seltenheiten,  die,  mit  hohem  Preise  bezahlt,  in  den 
Raritätenkasten  des  Sammlers  wanderten. 

Scheible  in  Stuttgart,  der  große  Antiquar  und  Wie- 


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EINLEITUNG  IX 

dererwecker  bibliographischer  Kuriositäten,  veran- 
staltete im  Jahre  1883  einen  Neudruck,  der  eine  ge- 
naue Wiedergabe  des  Originales  darstellen  sollte.  So- 
gar die  unbeabsichtigten  Druckfehler  sind  in  ihm  über- 
nommen. Aber  auch  dieser  Neudruck  ist  längst  vom 
Büchermarkt  verschwunden,  so  daß  schon  aus  diesem 
Grunde  das  Wiedererscheinen  der  ,, Russischen  Günst- 
linge" gerechtfertigt  ist. 

Der  Zeitpunkt  hierfür,  jetzt  im  Toben  des  Welt- 
krieges, erscheint  mir  als  der  geeignetste. 

Helbigs  „Günstlinge"  stellen  ein  getreues  Bild  jenes 
Reiches  dar,  das  im  Brustton  der  Überzeugung  den 
Satz  von  russischer  Kultur  aufstellt,  und  seinen  Lehr- 
meister, den  Deutschen,  herabsetzt  und  mit  Schmutz 
bewirft.  Gerade  den  Deutschen,  der  das  in  Rußland  ge- 
baut, was  europäisch  ist  und  ohne  den  es  heute  noch 
das  wäre,  was  es  vielleicht  in  absehbarer  Zeit  wieder 
sein  wird,  eine  Horde  von  Asiaten,  nicht  wert,  in  einem 
Atem  mit  jenen  Völkern  genannt  zu  werden,  die  sein 
numerisches  Übergewicht,  seine  Roheit,  seine  Selbst- 
sucht und  Gewissenlosigkeit,  sein  rücksichtsloses  Nie- 
dertreten alier  Menschenrechte  und  Naturgesetze,  dem 
Untergang  ganz  nahe  brachte  oder  völlig  vernichtet 
hatte,  indem  es  sie  zu  Kindern  von  Mütterchen  Ruß- 
land erklärte. 

Deutsches  Blut,  deutscher  Geist,  deutsche  Tat- 
kraft und  deutsches  Können  haben  die  Fesseln  des 
russischen  Mongolentums  an  vielen  Stellen  gesprengt ; 
sie  ganz  zu  vernichten,  waren  sie  niemals  imstande; 
dazu  war  die  russische  Rasseneigenschaft  zu  stark 
und  der  Haß  jener  mit  einem  dünnen  Kulturfirnis  be- 
deckten Halb-  oder  Ganza^iaten  gegen  den  Lehrmeister 
zu  tief  gewurzelt. 

Der  Franzose  brachte  neue  freudig  begrüßte  Laster 


X  EINLEITUNG 

ins  Land,  er  war  willkommen ;  der  Deutsche  ernste  Ar- 
beit, unbequeme  Neuerungen  — hol' ihn  der  Teufel !  Jede 
Zeile  von  Helbigs  Buchist  ein  Beweis  für  diese  Tatsachen , 
eine  wuchtige  Anklage.  Und  daher  der  große  Wert, 
die  kulturgeschichtliche  Bedeutung  dieses  Werkes. 

Professor  Bilbassow,  ein  stockrussischer  Deutsclien- 
fresser  aber  sehr  bedeutender  Geschichtsforscher,  be- 
absichtigte Helbigs  ,,Günsthnge"  ins  Russische  zu 
übertragen,  doch  der  allmächtige  Zensor  vereitelte  das 
Unternehmen,  was  aufrichtig  zu  bedauern  ist,  da  Bil- 
bassow viele  Ergänzungen  und  Berichtigungen  der 
Helbigschen  Angaben  geplant  hatte. 

Diese  sind  leider  unbedingt  nötig. 

Heibig  kam  zu  einer  Zeit  nach  Petersburg,  wo  er 
noch  manchen  Zeitgenossen  der  Nachfolger  Peters  des 
Großen  hören  und  sprechen  konnte.  Den  Hof  Katha- 
rinas kannte  er  aus  eigener  Anschauung.  Ihm  und 
seiner  Herrin,  ihrer  Staatskunst,  ihren  Schlafzimmer- 
geheimnissen ist  der  größte  Teil  des  Buches  gewidmet. 
Da,  wo  Katharina  die  Bühne  betritt,  kommt  ein  dra- 
matischer Zug  des  Unmittelbaren  in  das  Buch.  Einer, 
der  selbst  gesehen  hat  und  leidenschaftlich  Partei 
nimmt,  erzählt  nun  subjektiv,  wie  es  ihm  ums  Herz  ist. 
Das  Düstere  in  den  Lebensbildern  aus  der  Zeit  dieser 
Herrscherin  von  eigenen  Gnaden  ist  ihm  häufig  nicht 
düster  genug.  Er  färbt,  erzählt  mit  Behagen  Klatsch 
nach,  den  er  geflissentlich  nicht  auf  seinen  wahren 
Wert  hin  untersucht,  wie  es  wohl  in  seiner  Macht  ge- 
standen hätte.  In  dem  Haremstreiben  Katharinas  sieht 
Heibig  nichts  Verwerfliches.  Er  lebt  zu  lange  unter  den 
Russen,  um  nicht  ihre  Moral  gelten  zu  lassen  und  das 
immöglich  scheinende  in  dieser  Hinsicht  als  möghches 
anzunehmen.  Aber  er,  der  Durchschnittsmensch,  haßt 
die  Frau  wie  der  Hungernde  den  Prasser,  soweit  sein 


EINLEITUNG  XI 

Alltagsgeist  zu  hassen  vermag.  Er  vermag  den  Voll- 
menschen  Katharina,  seine  Schwächen,  seine  Größe, 
nicht  zu  erfassen.  Ihm  scheint  alles  verzerrt  an  diesem 
Überweibe.  Sein  Auge  ist  nur  auf  das  Gewimmel  rings 
umher  eingestellt.  Dem  mit  dem  Purpur  bekleideten 
Narr,  wie  dem  dritten  Peter,  der  sich  als  Herr  gebärdet 
imd  doch  nur  ein  hohler  Popanz  ist,  gelingt  es  ihn  zu 
täuschen,  weil  der  Kaiser  dieselbe  Alltagspflanze  ist, 
wie  sein  Geschichtschreiber.  Er  ist  für  Heibig  nicht 
der  Sohn  seiner  Mutter,  sondern  deren  Widersacher 
und  deshalb  seiner  Teilnahme  sicher.  Ihm  naht  sich 
Heibig  mit  dem  Katzenbuckel  der  Hofschranze.  In 
ihm  verkörpert  sich  für  den  diensteifrigen  Hofmen- 
schen das  Gottesgnadentum,  während  ihm  Katharina 
nur  die  gekrönte  Dirne,  die  nordische  Messalina  ist. 

Wie  hätte  auch  der  unbedeutende  diplomatische 
Handlanger  zu  einer  höheren  Auffassung  kommen 
sollen.  Schon  seme  Stellung,  mehr  aber  noch  sein  Bür- 
gertum machte  ihn  zum  Zaungast  der  Hofkreise,  in 
denen  buntschillerndes  Abenteurergelichter  und  adels- 
stolzes  Streberpack  durcheinander  wirbelten.  Er  fühlt 
sich  als  Ausgestoßener,  wo  er  so  gerne  eine  Rolle  ge- 
spielt hätte.  Er  erkennt  die  ganze  bodenlose  Verderbt- 
heit dieser  Gesellschaft  mit  von  Haß  geschärften  Augen, 
und  in  Katharina  sieht  er  die  verderbteste  unter  allen 
ihren  Kreaturen. 

Aber  er  haßt  Katharina  nicht  nur,  er  verachtet  sie 
auch. 

Wie  die  erste  Katharina  ist  sie  ihm  ein  Emporkömm- 
ling, ein  Günsthng,  aber  kein  Studienobjekt,  dessen 
Erforschung  sich  gelohnt  hätte.  Sie  blieb  seine  Geg- 
nerin, wahrscheinlich  nur  in  seiner  Einbildung,  bis 
seine  Bosheit  ihm  die  Kaiserin  zur  wirklichen  Feindin 
machte,  deren  Grimm  ihn  aus  Rußland  tri^b. 


XII  EINLEITUNG 

Heibig  nahm  die  Tatsachen  in  Katharinas  Leben 
;Js  unabänderhche  hin,  ohne  sich  über  ihr  Entstehen 
klar  werden  zu  wollen.  Katharina  verstehn,  heißt 
diese  große  Verbrecherin  gegen  landesübliche  Moral 
nicht  hassen,  sondern  bemitleiden. 

Das  schüchterne  deutsche  Prinzeßchen,  das  übel  be- 
handelte Kind  einer  herzlosen,  eigensüchtigen  Mutter, 
kommt  aus  den  drückendsten  Verhältnissen  an  den 
Hof  einer  mit  allen  Lastern  behafteten  Frau.  Dort  wird 
sie  verschachert,  wie  eine  Dirne.  Der  Gatte  dieses  Kin- 
des ist  ein  roher  Narr,  ein  verkommener  Säufer,  geist- 
los bis  zur  Borniertheit,  ohne  jedes  Wissen,  der  es  als 
schwerste  Strafe  empfindet,  wenn  er  baden  muß,  der 
sich  nur  in  der  Gesellschaft  von  gemeinen  Weibern  und 
Lakaien  wohl  fühlt  und  seine  Frau  mißhandelt  und 
verachtet,  weil  sie  sich  seinen  Sauforgien  entzieht.  In 
diesem  Boden  mußte  ein  Geschöpf,  wie  es  Katharina 
war,  verdorren  oder  sich  dem  Nährboden  anpassen  und 
zur  Giftpflanze  werden,  wie  die  anderen,  die  in  jener 
Schwüle  den  Lebensodem  gefunden  hatten.  Mit  Ka- 
tharina geschah  merkwürdigerweise  beides  und  keines 
von  beiden  ganz.  Die  deutsche  Prinzessin  ist  in  ilir  nie 
ganz  erstorben.  Die  Giftpflanze  kam  nicht  zur  vollen 
Entwicklung.  Sie  wurde  eben  Katharina  IL 

Man  hat  sie  als  Semiramis,  als  Mannweib  bezeichnet. 
Sie  war  es  nicht,  wenn  sie  sich  auch  gern  nach  Männer- 
cixt  kleidete  und  im  Männersitz  ritt,  wie  sie  in  ihren  Er- 
innerungen erzählt.  Das  sind  Äußerhchkeiten,  die  bei 
einer  Eigenart  wie  sie  Katharina  darstellt,  nicht  ins 
Geweicht  fallen.  Aber  sie  hat  etwas  von  jenen  Frauen 
der  Merowingerzeit  und  von  den  Viragines  der  italieni- 
schen Renaissance,  die,  dem  Manne  gleich,  jede 
Schranke  niederreißen,  die  sie  nicht  überspringen 
wollen  oder  können.  Ein  Umgehen  kommt  ihr  nicht  in 


EINLEITUNG  XTII 

den  Sinn.  Wie  sie  dem  ersten  Liebhaber  widerstrebend, 
den  aufgepeitschten  Sinnen  nachgebend,  vielleicht  so- 
gar gezwungen  von  dem  tyrannischen  Gebot  ilirer 
Peinigerin,  der  Kaiserin  Elisabeth,  in  die  Arme  sinkt, 
so  bestimmt  sie  fortan  den  Liebhaber,  der  ihr  zu- 
sagt. Sie  läßt  sich  nicht  umwerben.  Sie  befiehlt  und  der 
Sklave  hat  zu  gehorchen.  Selbst  der  willensstarke  Po- 
temkin  ist  nur  ihr  Sklave.  Er  hat  eine  Stimme  im  Rat, 
sie  fordert  diesen  ein,  aber  die  Kaiserin  entscheidet.  Er 
darf  bitten,  aber  sie  heischt.  Sie  ist  und  bleibt  die  Herr- 
scherin, er  der  Günstling,  den  ein  Machtwort  hinweg- 
fegen kann;  nichts  mehr.  Und  er  weicht  zähneknir- 
schend, als  sie  seiner  überdrüssig  geworden.  Er,  der  ihr 
am  meisten  wahlverwandte  unter  allen  ihren  Lieb- 
habern, hat  nur  das  Recht,  ,,sich  selbst  die  Nachfolger 
in  der  Gunst  seiner  Herrin"  zu  wählen.  Er  kennt  ihren 
Geschmack.  Er  kuppelt,  intrigiert,  schleicht,  als  er 
selbst  nicht  mehr  der  Günstling  ist,  denn  die  Kaiserin 
zahlt,  zahlt  gut.  Er  war  und  blieb  stets  der  Knecht  der 
Frau,  die  ihm  erlaubte,  sie  zu  küssen  und  zu  lieben. 
Darum  machte  sich  auch  Katharina  in  einem  Briefe 
an  Grimm  (vom  23.  Juni  1790)  über  Friedrich  Wil- 
helm n.  von  Preußen  lustig,  der  sich  seine  Geliebten 
zur  linken  Hand  antrauen  ließ.  Sie  ist  erhaben  über 
solche  Kleinigkeiten.  Die  Liebe  ist  ihr  Privatvergnü- 
gen, ihre  Liebschaften  die  Scherze  einer  Kaiserin,  die 
nur  im  Schlaf  gemach  Frau  ist,  sonst  aber  der  Gebieter 
über  Millionen,  unter  denen  sich  auch  der  augenblick- 
liche Günstling  befindet,  und  nicht  einmal  als  der  erste 
unter  ihren  Untertanen.  Denn  sie  liebt  nicht  mit  dem 
Herzen.  Nur  ihre  Sinne  verlangen  einen  Mann.  Sie 
nimmt  ihn,  wenn  es  ihre  Laune  eingibt,  verstößt  ihn, 
wenn  sich  ein  anderer  zeigt,  der  ihr  für  den  Augenblick 
besser  zusagt. 


XIV  EINLEITUNG 

Der  Aufgabe,  einer  solchen  Frau  als  Scliilderer  ge 
recht  zu  werden,  ist  Heibig  nicht  gewachsen.  Er  wühlt 
in  Oberflächlichkeiten.  Ihm  ist  das  Geschichtchen  lieber 
als  Geschichte.  Er  trägt  zusammen,  was  er  erfahren 
kann,  ordnet  es  sorgsam  ein,  numeriert  und  registriert 
es  und  arbeitet  es  sauber  aus.  Der  ganze  Hofklatsch 
dringt  unmittelbar  zu  ihm,  und  er  ist  nicht  der  Mann, 
sein  Ohr  vor  einer  schlüpfrigen  Anekdote  zu  ver- 
schließen. Je  pikanter  und  entwürdigender  für  die 
Kaiserin,  desto  besser.  Händereibend  fügte  er  zu  dem 
Leckerbissen  noch  eigene  Zutaten  bei.  Kritik,  das  Be- 
streben, die  Wahrheit  aus  dem  boshaften  Gerede  der 
Zuträger  zu  kristallisieren,  war  seine  Sache  nicht.  Er 
erzählt  alles  weiter,  verschweigt  niemals  absichtlich 
das  Wahre,  wie  auch  das  ihm  selbst  Unwahrscheinliche. 
Und  gerade  darin  liegt  der  große  Wert  und  der  intime 
Reiz  seines  Buches.  Durch  die  subjektive  Wiedergabe 
des  Selbstgesehenen,  Selbstgehörten,  durch  Schlüssel- 
loch-Beobachtungen Erlauschten,  auf  Hintertreppen 
Aufgeschnappten  kommt  ein  Fluß  in  die  Darstellung, 
den  kein  geschichtliches  Werk  erreicht,  das  sich  auf 
unanfechtbaren  Urkunden  aufbaut. 

Mag  deshalb  der  Historiker  achselzuckend  die  ,, Rus- 
sischen Günstlinge"  beiseite  schieben,  der  Sittenge- 
schichtler wird  sie  als  ein  Dokument  von  unschätz- 
barem Werte  ansehen,  in  einem  Atem  zu  nennen,  um 
aufs  Geratewohl  einige  Beispiele  herauszugreifen,  mit 
Casanova,  den  Briefen  Lise  Lottes,  Laukhards  Lebens- 
beschreibung. 

Mein  Hauptbestreben  war  es,  aus  diesen  Erwägungen 
heraus,  das  Werk  Helbigs  in  seiner  vollen  Eigenart  zu 
erhalten.  Ich  habe  nicht  ein  Wort  an  ihm  geändert. 
Nur  Druck  und  Papier  unterscheidet  es  von  seinem 
Original.  Die  Druckfehler  sind  allerdings  verbessert 


EINLEITUNG  XV 

und  die  Rechtschreibung  modernisiert.  Auch  habe  ich 
hier  und  da  langatmige  Anmerkungen  in  den  Text  ein- 
bezogen, da  ich  gezwungen  war,  selbst  viele  Fußnoten 
und  Anmerkungen  zu  geben.  Sehr  viele,  wie  der  Augen- 
schein lehrt.  Doch  leider  noch  lange  nicht  genug.  Der 
Krieg  hat  eine  Verbindung  jäh  zerrissen,  die  ich  mit 
dem  damaligen  St.  Petersburg  angeknüpft  hatte,  um 
weiteres  Berichtigungsmaterial  zu  erhalten.  So  mußte 
ich  mich  darauf  beschränken,  die  deutschen  geschicht- 
hchen  Werke  über  die  behandelten  Epochen  heranzu- 
ziehen. Sie  haben  nicht  ausgereicht,  eine  Neuausgabe 
zu  schaffen,  die  vor  dem  strengen  Blick  des  Fachge- 
lehrten bestehen  kann.  Ich,  und  ich  glaube  mit  mir 
auch  der  Leser,  dürfen  uns  aber  leichten  Herzens  dar- 
über hinwegsetzen,  wenn  nicht  der  Geburts-  und  To- 
destag jedes  der  vielen  Günstlinge  richtiggestellt  ist, 
und  Nebensächlichkeiten  breitgetreten  sind.  Auch  Er- 
gänzungen hätten  gegeben  werden  können.  Heibig  be- 
gnügte sich  häufig  mit  einfacher  Namensnennung  be- 
deutender und  bemerkenswerter  Persönlichkeiten,  die 
eine  ausführhche  Lebensbeschreibung  wohl  verdient 
hätten.  Ich  erwähne  von  ihnen  nur  die  Brüder  Tscher- 
nitscheff,  Sergey  Soltikoff,  Leon  Narischkin,  Repnin 
usw.  Vielleicht  hatte  Heibig  seine  Gründe,  sie  zu  über- 
gehn.  Außerdem  war  von  ihm  weder  Vollständigkeit 
geplant  noch  durchzuführen.  Dazu  ist  die  Reihe  der 
durch  Zarenwillkür  Emporgehobenen  zu  lang.  Ich  habe 
mich  nicht  für  berechtigt  gehalten,  das  Fehlende  hin- 
zuzufügen, denn  mir  stand  nur  das  Werkzeug  des  Ge- 
schichtschreibers zur  Verfügung,  nicht  das  Selbst- 
erleben, die  Selbstbeobachtungen  Helbigs.  Mit  um  so 
größerer  Sorgfalt  habe  ich  das  mir  zugänghche  Ma- 
terial ausgenützt. 

Ich  will  eine  etwaige  tadelnde  Kritik  nicht  diirch 


XVI  EINLEITUNG 

das  offene  Bekenntnis  abschwächen,  das  mir  die  Be- 
schränkungen im  Verkehr  mit  Bibhotheken  während 
des  Krieges,  manche  Quelle  unerreichbar  gemacht  hat. 
Aber  alles  Erreichbare  habe  ich  herangezogen. 

Die  größte  Ausbeute  an  Richtigstellungen  boten 
Cnisenstolpes  ,, Russische  Hofgeschichten".  Eine  Neu- 
auflage dieses  grundlegenden,  geschichtUchen  Unter- 
haltungsbuches, in  vorbildlicher  Weise  von  Joachim 
Delbrück  bearbeitet,  erscheint  gleichfalls  bei  meinem 
Verleger.  Zu  diesem  Buche  bietet  der  Heibig  Ergän- 
zung und  Gegenstück.  Ich  möchte  sogar  behaupten, 
daß  beide  für  die  bedeutsame  Zeit  von  Peter  dem 
Großen  bis  Peter  HI.  ein  unteilbares  Ganzes  bilden. 
Was  das  umfassendere,  die  volle  Geschichte  des  russi- 
schen Hofes  behandelnde  Werk  Crusenstolpes  nur 
flüchtig  berühren  kann,  führt  Heibig  in  breiter  Detail- 
maJerei  aus.  So  füllt  er  die  Lücken  und  illustriert  gerade 
die  reizvollsten,  bedeutendsten  Teile  der  Crusenstolpen- 
Geschichten. 

Neben  dieser  Hauptquelle  haben  Katharinas  Er- 
innerungen, dann  von  neueren  Werken  die  Arbeiten 
Golikows,  Bertholds,  Schnitzlers,  Schiemanns,  Brück- 
ners, Bilbassows  und  manche  andere  untergeordnete 
reichen  Stoff  geliefert,  so  die  geheimen  Geschichten 
Bülaus,  die  für  einige  Abschnitte  wertvolles  Material 
entliielten. 

Die  beigefügten  Bilder  sprechen  für  sich  selbst.  Sic 
sind  so  sorgfältig  gewählt  und  so  vollendet  wiederge- 
geben, wie  man  dies  bei  meinem  Verlage  von  jeher  ge- 
wöhnt ist. 

Friedenau,  Mai  1916. 

Max   Bauer 


Katharina  II.  von  Rußland 
(Gemälde  von  Lewitsky) 


Vorerinnerung 


Ehemals  war  Rußland  derjenige  Staat,  in  welchem 
die  meisten  Günstlinge  zu  finden  gewesen  waren. 
Diese  Bemerkung  hat  sich  mir  oft  dargestellt,  wenn 
ich  während  meines  vieljährigen  Aufenthalts  in  diesem 
Reiche  die  neuere  russische  Geschichte  durchlas.  Ich 
entdeckte  dann  so  eine  Menge  Emporkömmlinge,  daß 
es  mir  bemerkenswert  schien,  ein  Namenverzeichnis 
davon  aufzusetzen.  Ihm  fügte  ich  bald,  aus  eben  der 
Ursache,  einige  Merkwürdigkeiten  ihres  Lebens  hinzu, 
und  so  entstand  nach  und  nach  die  Veranlassung  zu 
dieser  Schrift.  Mündliche,  schriftliche  und  gedruckte 
Nachrichten  wurden  nun  genutzt,  nach  meinen  Be- 
griffen eingeldeidet,  und  in  ein  Buch  geformt.  Indem 
ich  es  der  lesenden  Welt  vorlege,  hoffe  ich,  den  Beifall 
eines  Teiles  derselben  zu  erlangen.  Es  enthält  zwar  (und 
das  soll  es  auch  nicht)  keine  zusammenhängende 
russische  Geschichte  der  neueren  Zeit,  aber  in  einem 
Zeiträume  von  mehr  als  hundert  Jahren,  nämlich  vom 
Anfange  der  Regierung  Peters  I.  an,  bis  zum  Schlüsse 
der  Regierung  Pauls  I.,  gibt  es,  so  viel  ich  mich  er- 
innere, kein  merkwürdiges  Ereignis  in  Rußlands  Jahr- 
büchern aufgezeichnet,  von  welchem  nicht  in  diesem 
Buche  etwas  Vollständiges  gesagt  wäre,  weil,  mehr 
oder  weniger,  immer  ein  GünstUng  daran  Teil  genom- 
men hatte.  Manche  großen  Taten  findet  man  in  dem- 
selben nach  Verdiensten  bemerkt,  aber  —  auch 
manche  Erbärmlichkeiten  und  Grausamkeiten  auf- 
gedeckt. 


4  Vorerinnerung. 

Die  mündlichen  und  schriftliehen  Quellen,  aus  denen 
ich  geschöpft  habe,  darf  ich  natürlicherweise  nicht 
anzeigen.  Aber  die  gedruckten  Bücher,  die  mich  in 
meiner  Arbeit  unterstützt  haben,  will  ich,  wenigstens 
größtenteils,  nennen,  ohne  jedoch  ihre  Titel  genau 
angeben  zu  können.  Sie  sind  ungefähr  folgende :  Webers 
neu  verändertes  Rußland,  Büschings  historisches  Ma- 
gazin, Mannsteins  Memoiren,  Stählins  Anekdoten 
Peters  des  Großen,  Rulhiere  Revolution  de  Russie  en 
1762,  Vie  de  Catharine  II,  Orlows  Leben,  Anekdoten 
von  Potemkin,  Memoires  secrets  sur  la  Russie,  Reimers 
Petersburg  am  Ende  seines  ersten  Jahrhunderts  und 
verschiedene  eigentümHche  und  veraltete  Biographien 
und  Bücher,  deren  Titel  mir  entfallen  sind. 

Es  ist  mir  nun  noch  übrig,  über  die  Auswahl  der- 
jenigen Günstlinge  etwas  zu  sagen,  von  denen  ich  hier 
kleine  biographische  Aufsätze  liefere. 

Daß  nicht  alle  Emporkömmlinge,  die  es  jemals  in 
Rußland  gegeben  hat,  hier  aufgezeichnet  sein  können, 
versteht  sich  von  selbst.  Dies  würde  zu  weit  führen, 
denn  ihre  Anzahl  ist  ungeheuer  groß.  Ich  habe  also  nur 
diejenigen  ausgehoben,  die  leitend  oder  handelnd  an 
wichtigen  Begebenheiten  im  Staate  oder  in  der  bürger- 
lichen Gesellschaft  teilgenommen  haben.  —  Nach 
dieser  Erklärung  wird  man  sich  vielleicht  wundern, 
manche  Personen  zu  finden,  die  auf  den  ersten  Anblick 
unbedeutend  scheinen ;  allein  bei  näherer  Betrachtung 
wird  man  bemerken,  daß  irgendein  Umstand  in  ihrem 
Leben,  in  ihren  Verhältnissen,  in  ihren  Handlungen, 
meine  Wahl,  wenn  auch  nicht  ganz,  doch  wenigstens 
zum  Teil,  rechtfertigt. 

Andere  Glückskinder  übergehe  ich  mit  Stillschweigen. 
Hierzu  rechne  ich  die  Namen  einer  Menge  Bedienten, 
Wundärzte,  Handwerker,  Soldaten,  oder  anderer  ge- 


Vorerinnerung.  2 

ringer  Leute,  die,  wenn  sie  auch  auf  kurze  Zeit  in 
einem  kleinen  Wirkungskreise  einigermaßen  wichtig 
wurden,  doch  entweder  sehr  oft  in  ihr  voriges  Nichts 
zurücksanken,  ohne  im  Staate  irgendeinen  Einfluß  ge- 
habt zu  haben,  oder  in  einer  mittleren  Sphäre  blieben. 
Hingegen  habe  ich  in  die  Zahl  der  Günstlinge  eine 
andere  Klasse  von  Männern  aufgenommen,  die,  un- 
erachtet  ihres  schnellen  Emporsteigens,  doch  nicht 
eigentUch  zu  diesen  Günstlingen  des  Glücks  zu  gehören 
scheinen.  Ich  meine  einige  wenige  von  den  erklärten 
Lieblingen   der   Kaiserinnen   Elisabeth  und  Katha- 
rina IL,  die  keinen  so  außerordenthch  hohen  Rang, 
und  keinen  besonderen  Einfluß  in  die  Staatsgeschäfte 
erlangt  hatten,  und  die  auch  allenfalls  durch  ihre  Ge- 
burt ihrer  Erhebung  etwas  näher  waren,  als  Leute  von 
ganz   geringem   Herkommen,   die   aber  wegen  ihrer 
Jugend,  und  wegen  ihrer  geringen  Verdienste,  nicht 
halb  so  weit  auf  dem  Wege  des  Glücks  würden  ge- 
kommen sein,   als   sie  wirklich  kamen,   wenn   nicht 
Nebenumstände  sie  begünstigt  hätten. 

j- 
Geschrieben  im  Monat  Julius  1808. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seit« 

1.  Franx  Jakob  Le  Fort 13 

2.  Alexander  Menschikovv 23 

3.  Katharina  I.  Aiexjewna 41 

4.  Peter  Schaphirow 61 

5.  Heinrich  Johann  Friedrich  Osterraann  I  .    .    .  68 

6.  Johann  Christoph  Dietrich  Ostermann  II     .    .  90 

7.  Pawl  Jaguschinski  I 92 

8.  Jaguschinski  II 99 

9.  Emanuel  Devi^re 100 

10.  Adam  Weide 104 

11.  Anna  Cramer 109 

12.  Mons  de  la  Croix in 

13.  Kaiserling,  gebor ne  Mons  de  la  Croix    ....  ii6 

14.  Balk,  geborne  Mons  de  la  Croix 118 

15.  Balk 119 

16.  Glück 121 

17.  Villebois,  geborne  Glück 123 

18.  Villebois 123 

19.  Alsufiow  I 126 

20.  Wassilej  Alsufiow  II      126 

21.  Wassilej 126 

22.  Alexej  Makarow 128 

23.  Schulz 129 

24.  Hennin 129 

25.  Drewnik  I 130 

26.  Drewnik  II      131 

37.  Dmitrej  Schepelew     ,    , ,    .    .    .    ,  131 


8  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

28.  Vincent  Kaiser 132 

29.  Ignatj  Jelatschin 133 

30.  Johann  Schlatter 133 

31.  Friedrich  Asch 134 

32.  Abraham  Hannibal 135 

33.  Carl  Skawronski 136 

34.  Skawronska,  Gräfin 140 

35.  Christina  Hendrikow 140 

36.  Simon  Hendrikow 141 

37.  Anna  Jefimowsky 142 

38.  Michael  Jefimowsky 143 

39.  Heinrich  Fick .  144 

40.  Ernst  Johann  Bühren  I 145 

41.  Carl  Bühren  II 175 

42.  GustaA'  Bühren  III    . 176 

43.  Eichler 177 

44.  Sabakin 178 

45.  Johann  Hermann  L'Estocq 179 

46.  Schwarz 198 

47.  Grünstein 199 

48.  Alexej  Rasumowsky  I 200 

49.  Kyrilla  Rasumowsky  II 205 

50.  Schubin 209 

51.  Berger 212 

52.  Carl  Sievers  I 220 

53.  Sievers  II 221 

54.  Loellin 222 

55.  Woschinsky 222 

56.  Jermolaj  Skwarzow 223 

57.  Tschoglogow 223 

58.  Tschulkow 224 

59.  Iwan  Tscherkassow ,    .    .    .    .  225 

60.  Oloff 227 

61.  Poltarazky .  228 

62.  Iwan  Schuwalow 228 

63.  Dimitrej  Wolkow 236 

64.  Brössan 240 


Inhaitsv^reeicJmis.  g 

Sdte 

65.  Gregorej  Orlow  I .  242 

66.  Iwan  Orlow  II 267 

67.  Alexej  Orlow  III ■.  268 

68.  Feodor  Olrow  IV 283 

69.  Wladimir  Orlow  V 285 

70.  Orlow  VI 286 

71.  Passek      287 

72.  Schkurin 290 

.73,  Gregorej  Teplow 291 

.74.  EngeUiardt 296 

75.  Stanislaw  August  Poniatowsky 299 

76.  Iwan  Yelagin      330 

77.  Dietrich  Osterwald 332 

78.  Iwan  Betzkoy 333 

79.  Ribas 339 

80.  Andreas  Tschernitschew 340 

81.  Kischensky 341 

82.  Saliern 347 

83.  Frederiks 353 

84.  Wlodimirow 354 

85.  Alexander  Wasiltschikow 355 

86.  Gregorej  Potemkin , 358 

87.  Turtschaninow 362 

88.  Michelson 364 

89.  Peter  Sawadowsky 365 

90.  Alexander  Besborodko  I 370 

91.  Besborodko  II 378 

92.  Lasarew 379 

93.  Wassiljew 381 

94.  Dubjansky 382 

95.  Sorizsch 382 

96.  Korsakow , 388 

97.  Iwan  Strachow 394 

98.  Alexander  Lanskoy 395 

99.  Alexander  Yermolow 402 

100.  Alexander  Mamonow .  408 

loi.  Eck 417 


10  Inhaltsvereeichnk. 

Seite 

102.  Dahl 418 

103.  Stepan  Tschischkowsky 419 

104.  Radischew 421 

105.  Germann 425 

106.  Piaton  Subow  I 427 

107.  Valerian  Subow  II 441 

108.  Nicola]  Subow  III 450 

109.  Arcadj  Markow 452 

iio.  Iwan  Pavlovitsch  Kutaizow 456 

Register      462 


Russische  Günstlinge 


I.  Franz  Jakob  Le  Fort.^) 

Wenn  eine  Nation,  mit  Recht,  die  glänzenden  Taten 
eines  Fürsten  und  seine  segensvollen  Bemühun- 
gen um  die  Aufklärung  seiner  in  Finsternis  versunkenen 
Untertanen  erhebt ;  wenn  die  gefühlvolle  Nachkommen- 
schaft diesem  Regenten  den  Dank  zollt,  den  er  für  den 
Eifer  verdient,  mit  welchem  er  während  seiner  ganzen 
Regierung  nach  dem  einzigen  Zweck  fort  arbeitete,  ihre 
Vorwelt  der  Barbarei  zu  entreißen,  und  dadurch  die 
Vervollkommnung  der  Gegenwart  zu  erleichtern,  so 
darf  sie  auch  nicht  vergessen,  ihren  Dank  dem  An- 
denken des  Mannes  zu  bringen,  der  zuerst  die  Fackel 
der  Aufklärung  anzündete,  und  in  ihrem  für  das  Große 
und  Nützliche  empfänglichen  Fürsten  den  Trieb  des 
Beglückens  weckte,  der  noch  unerkannt  in  seiner 
jungen  Seele  schlief. 

Franz  Jakob  Le  Fort,  aus  Genf  gebürtig  2),  wurde 
von  seinem  Vater,  einem  Kaufmann,  nach  Amster- 
dam 2)  geschickt,  um  daselbst  die  Handlung  zu  lernen. 

^)  Sein  Biograph  Posselt  schreibt  den  Namen  Lefort.  Der  Admiral 
entstanunte  einem  italienischen  Geschlecht,  das  ursprünglich  Lifforti 
hieß.   Aus  diesem  Namen  wurde  in  Genf  Lifort,  dann  Lefortius. 

*)  Am  2.  Januar  1656. 

^)  Nach  Marseille  (Posselt  I.  S.  53).  Dort  trat  er  als  Kadett  ins 
Heer.  Von  seinem  Vater  nach  Genf  zurückgerufen,  mußte  er  wohl 
wieder  im  Geschäft  des  Vaters  Dienste  tun.  Erst  drei  Jahre  später 
begab  er  sich  nach  Amsterdam,  wo  er  Soldat  im  Gefolge  des  Prinzen 
Karl  von  Kurland  wurde.  Nach  dem  Frieden  mit  Frankreich  er- 
hielt der  neunzehnjährige  Genfer  von  Rußland  das  Anerbieten,  als 
Kapitän  in  das  russische  Heer  einzutreten,  doch  wurde  diese  Ab- 
sicht vorerst  in  Rußland  selbst  vereitelt. 


14  I-  Franz  Jakob  Le  Fort. 

Die  Neigung  des  jungen  Menschen  zum  Soldaten- 
stande machte,  daß  er  den  Absichten  seines  Vaters 
zuwider  in  Kriegsdienste  trat.  Doch  verließ  er  diese 
sehr  bald  und  ging  im  Jahre  1680,  man  weiß  nicht 
durch  welche  Veranlassung  geleitet,  über  Archangel 
nach  Moskau.  Dort  wurden  damals  Ausländer  zu 
Kriegsdiensten  gesucht ;  Le  Fort  wurde  also  sehr  bald 
angestellt.  Indessen  war  seine  Existenz  in  Rußland  in 
den  ersten  Jahren  ziemlich  unbedeutend.  EndUch  aber 
sah  ihn  der  jüngste  Zar  Peter  Alexjewitsch  durch  Zu- 
fall bei  einem  fremden  Gesandten,  und  wurde  von  ihm 
eingenommen.  Von  diesem  Augenblick  an  entstand 
zwischen  ihm  und  Le  Fort  eine  Verbindung,  die  bis  an 
den  Tod  des  letzteren  nie  getrennt,  ja  nicht  einmal 
durch  Zufälle  gestört  wurde.  Die  Gleichheit  der  Cha- 
raktere, die  Übereinstimmung  der  Ideen,  und  die  Ähn- 
lichkeit ihrer  Neigungen,  verband  den  Fürsten  und 
den  Günstling  auf  immer.  Indessen  war  ihr  Bund  nicht 
das  Werk  der  Übereilung.  In  beiden  lag  der  Keim  zu 
großen  Unternehmungen.  Er  entwickelte  sich  nach 
und  nach,  so  wie  sie  sich  näher  kennen  lernten.  Peter 
empfand  es,  daß  er  einen  Lehrer  und  Gehilfen  brauche 
und  Le  Fort  fühlte  sich  durch  seine  Talente  berechtigt, 
seinem  Fürsten  die  erwartete  Hilfe  zu  leisten.  Den 
ersten  und  wesentlichsten  Beweis  seines  Diensteifers 
gab  Le  Fort  dem  jungen  Zar  im  Jahre  1688. 

Die  Empörungen  der  Strelzi^),  die  damals  die  Leib- 
wache der  Zaren  und  zugleich  den  besten  Teil  ihrer 
Truppen  ausmachten,  waren  sehr  häufig.  Sie  wurden 
durch  die  schöne,  geistreiche,  mit  vorzüglichen  Re- 
gierungstalenten begabte,  aber  auch  herrschsüchtige 
Prinzessin  Sophie*),  die  Halbschwester  Peters,  ver- 

*)  Der  Strelitzen. 

^)  Sophia  Alexejewna  s.  Crusenstolpe  I.  S.  15. 


I.  Franz  Jakob  Le  Fort.  15 

anlaßt.  Von  allen  war  der  Aufruhr  im  Jahre  1688  der 
heftigste.  Er  zweckte  auf  die  Ermordung  des  jungen 
Prinzen  ab.  Le  Fort  kam  der  Ausführung  dieses  ver- 
räterischen Entwurfs,  dessen  Folgen,  da  wir  den  Ein- 
fluß des  Daseins  Peters  I.  kennen,  nicht  zu  berechnen 
waren,  zuvor,  indem  er  mit  einem  ansehnlichen  Korps 
in  das  Kloster  eilte,  in  welchem  der  Prinz  schon  ein- 
geschlossen war,  um  ermordet  zu  werden.  Er  besetzte 
die  Zugänge  des  Klosters  und  bewachte  den  Prinzen, 
bis  die  Gefahr  vorbei  war.^)  Sophie  mußte  die  Hin- 
richtung ihrer  Anhänger  aus  einem  Zimmer  von  der 
Ringmauer  beim  Dewitze-Monaster,  oder  Jungfern- 
kloster, ansehen  und  wurde  alsdann  in  eine  Kammer 
eingesperrt,  die  nur  ein  Fenster  hatte,  welches  statt 
der  Glasscheiben  mit  eisernen  Stäben  zugemacht  war. 
Sie  führte  im  Kloster  den  Namen  Susanna  und  lebte 
noch  15  Jahre  in  diesem  traurigen  Zustande.  Sie  starb 
1703  und  ward  in  dem  nämlichen  Kloster  begraben. 

Durch  diese  große  Tat  gewann  Le  Fort  das  Herz  des 
Zars,  der  nun  alleiniger  Beherrscher  von  Rußland 
wurde,  und  seinen  Günstling  mit  der  größten  Zu- 
neigung und  mit  dem  uneingeschränktesten  Vertrauen 
belohnte. 

Von  nun  an  wurden  mit  jedem  Tage  die  Wirkungen 
der  Ratschläge,  die  Le  Fort  gab,  sichtbarer.  Er  führte 
das  ausländische  Kriegswesen  ein,  und  ob  er  gleich  das 
Seewesen,  sozusagen  nur  im  Vorbeigehen,  in  Holland 
oberflächlich  gelernt  hatte,  so  wurde  er  doch  der 
eigentliche  Stifter  der  russischen  Marine,  die  Peter  L 
in  der  Folge  auf  einen  so  hohen  Grad  der  Vollkommen- 
heit brachte. 

')  Von  der  Beteiligung  Le  1-orts  an  der  Befreiung  Peters  weiß 
dessen  Biograph  Posselt  kein  Wort  zu  melden.  Es  dürfte  daher  mehr 
als  fraglich  sein,  ob  diese  stimmt. 


l6  I.  Frans  Jakob  Le  Fort. 

Le  Fort  schaffte  manche  Mißbräuche  ab,  ordnete  viel 
notwendige,  gute  und  weise  Einrichtungen  im  Staate 
an,  zog  Ausländer  in  das  Land,  und  führte  den  Zar  auf 
Reisen,  um  ihn  durch  Beispiele  der  Industrie  und  des 
Wohlstandes  von  der  Notwendigkeit  der  Befolgung 
der  Regeln  zu  überzeugen,  die  er  ihm  gab.  Wer  kennt 
nicht  die  Geschichte  dieser  sonderbaren  Reise  nach 
Livland,  Preußen,  Brandenburg,  Lüneburg,  Holland, 
England,  Sachsen,  Österreich  und  Polen,  ^)  die  Le  Fort 
als  Gesandter  des  Zars  im  Jahre  1697  unternahm,  und 
seinen  Gebieter,  unter  dem  Inkognito  eines  Ober- 
kommandeurs, in  seinem  Gefolge  hatte. 

Indessen  war  diese  Reise  für  Peter  I.  von  großem 
Nutzen.  Man  würde  sie  weiter  fortgesetzt  haben,  wenn 
nicht  ein  neuer  Aufstand  in  Moskau  schleunige  Rück- 
kehr verlangt  hätte. 

Der  Zar  kam  im  Sommer  1698  wieder  in  seine  Resi- 
denz, und  nun  wurden  die  zweckmäßigsten  und  kräf- 
tigsten, aber  freilich  sehr  strenge  Mittel  zur  völligen 
Dämpfung  des  Aufruhrs  angewendet. 

Schon  seit  dem  bestimmten  Anfange  der  Gunst  des 
neuen  Ministers  hatten  die  vornehmen  Russen  das 
wachsende  Ansehen  des  Fremdlings  mit  Neid  be- 
trachtet, und  über  seine  Neuerungen  ziemlich  laut  ihr 
Mißfallen  zu  erkennen  gegeben.  Anfänglich  hatten 
Peter  und  Le  Fort  diese  Äußerungen  mit  Gleichgültig- 
keit angehört,  als  aber  der  Tadel  der  Unzufriedenen 
und  Unkundigen  zugleich  immer  lauter  wurde,  dann 
glaubte  Le  Fort,  daß  es  Zeit  sei,  sie  mit  Gewalt  zum 
Schweigen  zu  bringen.  Auf  seinen  Rat  unterdrückte 
daher  Peter  I.  schon  vom  Jahre  1692  an  die  FamiHen 
der  durch  Geburt  und  Rang  ausgezeichneten  Ruhe- 
störer, und  gab  von  diesem  Jahre  an  den  Ausländern, 

*)  Cruseostolpe  I.  S.  20  ff. 


I.  Franz  Jahoh  Le  Fort.  17 

wenn  sie  es  verdienten,  bedeutende  Stellen  im  Staate, 
so  daß  oft  Russen  und  Fremde  gleiche  Vorrechte 
hatten. 

Auf  diese  Art  untermengt,  dienten  diese  dem  Günst- 
linge zum  Gegengewicht  gegen  jene. 

Doch  der  Unmut  der  Russen  war  nur  auf  eine  kurze 
Zeit  gedämpft,  aber  nicht  erstickt  worden.  Er  schien 
nur  zu  schlafen,  und  sein  Erwachen  war  fürchterhch. 

Die  Reise  des  Zars  und  des  Ministers  veranlaßte  neue 
Unruhen,  und  ihre  lange  Abwesenheit  begünstigte  sie. 
Die  Strelzi  wurden  gewonnen  und  unterstützten  die 
Empörung. 

Wir  wissen,  daß  auf  die  erste  Nachricht  davon  Peter 
und  Le  Fort  im  Jahre  1698  nach  Moskau  eilten. 

Sie  beschlossen  sogleich,  die  aufrührerischen  Strelzi 
hinzurichten. 

In  dieser  Absicht  wurden  auf  den  zum  Richtplatz 
bestimmten  Ort  Balken  gelegt,  auf  welche  die  Ver- 
brecher ihre  Hälse  legen  mußten.  Der  Zar,  Le  Fort  und 
Menschikow,  der  schon  seit  einigen  Jahren  die  Gnade 
seines  Herrn  erlangt  hatte,  nahmen  jeder  ein  Beil. 
Peter  ließ  dergleichen  ebenfalls  an  seine  Minister  und 
Generale  austeilen,  und  bot  sogar  zweien  an  seinem 
Hofe  sich  aufhaltenden  fremden  Gesandten,  von  denen 
der  eine  aus  Holland  war,  zwei  Beile  an,  allein  sie  ver- 
baten diese  Auszeichnung.  Als  nun  alle  bewaffnet 
waren,  ging  jeder  an  seine  Arbeit  und  hieb  Köpfe  ab. 
Menschikow  benahm  sich  dabei  so  linkisch,  daß  der 
Zar  ihm  einige  Ohrfeigen  gab,  und  ihm  zeigte,  wie  er 
es  machen  müßte.  —  Der  Geschichtschreiber  und  der 
Leser  wenden  den  Blick  von  solchen  grausenerregen- 
den Szenen  hinweg  und  werden  durch  den  Schein- 
grund nicht  beruhigt,  daß  die  Notwendigkeit  diese 
blutigen  Maßregeln  herbeigeführt  habe. 

Russische  Güustliogo.  2 


l8  I.   Franz  Jakob  Le  Fort, 

Le  Fort  würde  dem  Zar  in  seinen  Bemühungen  um 
die  Vervollkommnung  seines  Volkes  noch  mehr 
wichtige  Hilfe  geleistet  haben,  wenn  ihn  nicht  der 
Tod  übereilt  hätte.  Er  starb  im  Jahre  1699  im  sechs- 
undvierzigsten Jahre  seines  Alters. 

Dieser  berühmte,  imponierende  und  von  seinem 
Herrn  selbst  gefürchtete  Mann  war  damals  dessen 
vertrautester  Staatsminister,  erster  General  und  erster 
Admiral  und  Ritter  des  Andreasordens,  den  Peter  I. 
im  Jahre  1689  gestiftet  hatte. 

Die  allerdings  genialischen  Talente  dieses  Günst- 
lings  und  seine  Verdienste  uim  Rußland  sind  unver- 
kennbar groß.  Er  hatte  einen  umfassenden  und  sehr 
gebildeten  Verstand,  eine  scharfe  Beurteilungskraft, 
viel  Gegenwart  des  Geistes,  eine  unglaubliche  Ge- 
schicklichkeit, diejenigen  zu  prüfen,  die  er  brauchen 
wollte,  und  nicht  gewöhnliche  Kenntnisse  von  der 
Stärke  und  Schwäche  des  wichtigsten  Teiles  des  russi- 
schen Reichs,  die  ihm  bei  der  Bildung  dieses  ungeheuren 
Blocks  notwendig  waren.  Im  Grunde  seines  Charakters 
lagen  Festigkeit,  unerschütterlicher  Mut  und  Recht- 
schaffenheit. In  seiner  Lebensweise  war  er  aus- 
schweifend und  beschleunigte  dadurch  wahrschein- 
lich seinen  Tod. 

Man  wi^:ft  ihm  vor,  daß  er  den  Zar  zur  großen 
Strenge,  zur  Untreue  gegen  seine  Gemahhn  und  zur 
Unregelmäßigkeit  in  der  Lebensart  verleitet  habe.  Es 
fehlt  jedoch  nicht  an  Gründen,  um  diese  drei  Be- 
schuldigungen zu  schwächen  oder  abzulehnen. 

Man  denke  sich  das  weitläufigste  Reich  der  Erde  in 
moralische  Finsternis  aller  Art  verhüllt.  Es  war  ein 
Pfuhl,  in  welchem  nur  unter  den  Regierungen  der 
Zaren   Joan^)   Wassil  je  witsch   und  Alexej    Michajlo- 

')  Joan  =  Iwau. 


I.  Frans  Jakob  Le  Fort.  IC) 

N\'itsch,  hier  und  da  ein  Schein  von  Aufklärung  ent- 
standen, aber  aus  Mangel  an  Unterhaltung  wie  ein 
Irrlicht  verlöscht  war. 

Diesen  Pfuhl  wollten  Peter  und  Le  Fort  reinigen, 
aber  bei  jedem  Schritte,  den  sie  taten,  wurden  sie 
durch  Bosheit  und  Vorurteile  in  ihrem  Vorhaben  ge- 
hindert. Nur  durch  ausdauernden  Mut,  durch  Klug- 
heit und  durch  Strenge  gelang  es  ihnen,  diese  Hinder- 
nisse zu  überwinden.  Diese  Mittel  würden  zwar  schwer- 
lich die  Probe  der  strengen  Moral  aushalten,  aber  die 
erhabenen  Eigenschaften  der  Herrscher  und  der  ersten 
Männer  im  Kabinett  und  im  Felde,  müssen  von  den 
bürgerhchen  Tugenden^)  unterschieden  werden.  Was 
würde  man  nur  mit  Sanftmut  und  Güte  ausrichten? 
Das  Herz  regiert  nicht,  sondern  der  Verstand;  und 
mancher  Fürst,  mancher  Staatsmann,  mancher  Held 
würden  nicht  als  Meteore  in  den  unermeßHchen 
Sphären  der  Geschichte  glänzen,  wenn  sie  —  —  — 
gerecht  und  menschlich  gewesen  wären. 

Le  Fort  war  es  auch  nicht,  der  die  Einigkeit  in  der 
damaligen  Ehe  des  Zars  störte. 

Die  Verbindung  Peters  mit  Eudoxien,  das  Werk  der 
Konvenienz,  war  wenigstens  schon  verabredet,  ehe 
Le  Fort  die  ausschheßende  Gunst  dieses  Fürsten  er- 
langte. Die  Zarin  war  älter  als  ihr  Gemahl.  Ihre  Reize 
veralteten,  als  Peters  Manneskraft  erst  im  Aufblühen 
und  dann  in  der  vollen  Blüte  war.  Überdies  fehlte 
diesem  Paare  Übereinstimmung  der  Charaktere,  dieses 
einzige  sohde  Band  glückhcher  Ehen.  Abneigung  des 
Prinzen  war  die  natürliche  Folge  dieser  physischen 
und  moralischen  Verschiedenheit.    Hierzukam,   daß 

^)  Si  Vous  faites  cas  de  vertus  futiles,  Votre  röle  ii'est  pas  trfis- 
beau,  sagte  Diderot  zu  Katharina  II.,  als  sie  mit  ihm  über  Rulhieres 
Buch  von  der  Revolution  1762  sprach,  mais  si  Vous  preferez  les 
grandes  actions  heroiques,  Votre  öle  e*t  tres-glorieiix.     Heibig. 


20  J.  Franz  Jakob  Le  Fort. 

Eudoxia  die  rechte  Art,  sich  zu  benehmen,  ganz  ver- 
fehlte. 

Peters  Geist  im  kraftvollen  Gefühle  der  Selbständig- 
keit ließ  sich  nicht  durch  eine  ebenso  ungeschickte  als 
unschickliche  Anmaßung  zu  den  hergebrachten  häus- 
lichen Pfüchten  der  Ehe  zurückführen;  duldete  es 
nicht,  daß  seine  Gemahlin,  die  seine  Bemühungen 
um  die  Beglückung  seiner  Untertanen  mit  ihm  hätte 
teilen  sollen,  voll  Vorurteile,  wie  seine  Gegner,  sich  zu 
ihnen  gesellte,  um  die  Ausführung  seiner  Pläne  zu  ver- 
eiteln. Peters  Unmut,  durch  die  Heftigkeit  seines 
Charakters  und  durch  Jugendfeuer  genährt,  erreichte 
einen  hohen  Grad.  Die  Ausbrüche  desselben  waren 
furchtbar.  Le  Fort  nahm  sich  der  Prinzessin  an.  Die 
Trennung  von  ihrem  Gemahl  konnte  er  zwar  nicht 
hindern,  aber  er  rettete  ihr  Leben.  Sie  \\airde  in  ein 
Kloster  gesperrt,  und  hier  war  es  freilich  notwendig, 
sie  strenge  zu  behandeln,  um  ihren  Anhängern  zu 
zeigen,  daß  ihre  mächtigste  Stütze  für  sie  verloren  sei. 

Indessen  gab  Le  Fort  nicht  zu,  daß  Peter,  von 
jugendhcher  Übereilung  bemeistert,  sie  durfte  töten 
lassen.  Die  weisen  Gründe,  die  er  zur  Befestigung  von 
Peters  Ruhm  dagegen  anführte,  schlugen  in  dem 
Herzen  dieses  Prinzen  so  tiefe  Wurzeln,  daß  in  der 
Folge  alle  Bemühungen  der  mächtigen  Feinde  Eu- 
doxiens  nicht  vennögend  waren,  sie  ganz  auszurotten. 

Endlich  war  es  wohl  auch  Le  Fort  nicht  allein,  der 
dem  Zar  das  Beispiel  einer  unregelmäßigen  Lebens- 
weise gab.  Diese  fand  der  Prinz  häufig  in  seiner  Nation. 
Die  Ausschweifungen  im  Trinken  waren  sehr  groß.  Sie 
waren  das  charakteristische  Zeichen  der  damaligen 
Zeit.  Man  fand  sie  nicht  in  Rußland  allein,  sondern 
auch  in  anderen  Staaten,  die  kultivierte  hießen. 

Le  Fort,  der  sich  anfänglich  herabheß,  die  Sitten  und 


/.  Franz  Jakob  Le  Fort.  31 

Gewohnheiten  der  Russen  anzunehmen,  fand  bald  Ge- 
schmack an  dieser  Unordnung,  und  ergab  sich  ihr  end- 
lich aus  Neigung.  Indessen  war  die  Gewalt  dieser 
Sittenlosigkeit  nie  so  groß,  daß  sie  den  Zar  und  ihn  an 
der  Ausführung  ihres  großen  Plans  hätten  hindern 
können. 

Le  Fort  war  verheiratet  gewesen,  aber  wir  kennen 
den  Famihennamen  seiner  Gemahlin  nicht.  ^) 

Aus  dieser  Ehe  hatte  er  einen  Sohn,*)  den  er  einige 
Jahre  vor  seinem  Tode  nach  Genf  zur  Erziehung 
schickte.  Der  junge  Mensch  kam,  so  viel  wir  wissen, 
erst  nach  dem  Tode  des  Vaters  nach  Moskau  zurück 
und  starb  schon  im  Jahre  1702,^)  noch  ehe  er  seinen 
Charakter  und  seine  Talente  entwickeln  konnte. 

Der  Kaiser  Peter  I.  wurde  dadurch  verhindert,  gegen 
den  Sohn  die  heilige  Pflicht  der  Dankbarkeit  zu  er- 
füllen, die  er  dem  Vater  schuldig  war. 

Die  Familie  Le  Fort  ist  in  der  männlichen  Linie 
wahrscheinlich  ausgestorben,  wenigstens  haben  wir 
von  keinem  dieses  Namens  gehört. 

Ein  Brudersohn  des  berühmten  Günstlings  trat  in 
früher  Jugend  in  sächsische  Dienste,  zeigte  große 
Fähigkeiten,  und  wurde  in  der  Zeit,  da  Rußland  unter 
Peter  L  mit  den  europäischen  Mächten  in  bestimmte 
diplomatische  Verhältnisse  trat,  der  erste  bleibende 
Gesandte^)  Friedrichs  Augusts  L  am  russischen  Hofe. 

Noch  gab  es  zur  Zeit  Peters  L  einen  Generalmajor 
Le  Fort,  wir  haben  aber  nie  den  Grad  seiner  Verwandt- 

1)  Seine  Frau  Elisabeth  war  die  Tochter  des  Obersten  Franz 
Souhay.  Sie  starb  1726. 

*)  Er  hieß  Heinrich. 

')  Am  28.  April  1703. 

*)  Der  allererste  sächsische  Gesandte  in  Rußland  war  ein  General- 
major von  Carlowitz.  Als  Peter  I.  den  König  im  Jahre  1698  besuchte, 
reiste  Carlowitz  zugleich  mit  dem  russischen  Monarchen  nacli  Moskau' 
blieb  aber  nur  kurze  Zeit  daselbst.     Heibig. 


22-  I-  Franz  Jakob  Le  Fori. 

Schaft  mit  dem  großen  Le  Fort  erfahren  können.^) 
Vielleicht  ist  dieser  Generalmajor  Le  Fort  der  nämliche, 
der  im  Jahre  1697  die  große  Gesandtschaft  in  der 
Eigenschaft  eines  Legationssekretärs  begleitete.  Im 
Jahre  1719  hatte  dieser  Le  Fort  ein  Infanterieregiment, 
das  seinen  Namen  hatte;  ein  Vorzug,  der  ganz  einzig 
war,  weil  in  den  damaligen  Zeiten  und  lange  nachher 
alle  Regimenter  in  der  russischen  Armee  ihre  Namen 
nach  den  russischen  Provinzen  führten.  Dieser  näm- 
liche Generalmajor  Le  Fort  war  einer  der  ersten,  die 
bei  der  Leiche  Peters  I.  im  Jahre  1725  die  Ehrenwache 
hatten.-) 

Der  Sohn  des  sächsischen  Gesandten  trat  in  russische 
Dienste  und  war  Zeremonienmeister  am  Hofe  der 
Kaiserin  Elisabeth.  Er  wurde,  wenn  wir  nicht  irren,  in 
eine  unglückliche  Lotterieangelegenheit  verwickelt,  die 
ihm  großen  Kummer  verursachte.  Wir  glauben  gehört 
zu  haben,  daß  er  Rußland  verließ  und  in  Warschau 
starb.  Seine  Witwe,  eine  geborene  von  Schmettau,^) 
lebte  noch  im  Jahre  1807  in  Berlin. 

Es  ehrt  die  Fürsten,  wenn  sie  die  Verdienste  der 
treuen  Diener  ihrer  Vorfahren  auch  noch  in  deren 
späten  Seitenverwandten  belohnen.  Der  Großmut  des 
in  seinen  Absichten  so  edel  und  gutdenkenden  und  in 
der  Ausführung  derselben  so  mißverstandenen  und 
unglücklichen  Kaisers  Paul  I.  war  es  vorbehalten,  dem 

')  Er  war  der  Neffe  Le  Forts  und  hieß  Peter.  Er  ist  derselbe, 
von  dem  Heibig  im  folgenden  spricht. 

^)  Le  Fort  verließ  bald  darauf  Rußland,  trat  in  sächsisch- 
polnische Dienste  und  starb  1739  iii  Dresden  kinderlos.  Mit  wem 
Heibig  den  folgenden  Le  Fort  verwechselt,  ist  nicht  leicht  zu  be- 
stimmen. Ein  weiterer  Neffe  Le  Forts,  auch  Peter  geheißen,  kam 
1694  nach  Rußland,  wurde  Generalleutnant  und  Diplomat.  Er  starb 
1764  auf  seinem  Gute  Mollenhagen  in  Mecklenburg. 

^)  Ihr  jüngerer  Bruder  war  der  königlich  preußische  General- 
leutnant Graf  von  Schmettau,  der  im  Jahre  1806  an  den  Wunden 
starb,  die  er  in  der  Schlacht  bei  Jena  empfangen  hatte. 


2.  Alexander  Menschikow.  23 

Andenken  des  Namens  Le  Fort  einen  Beweis  seiner 
Wohltätigkeit  zu  geben.  Er  erteilte  der  Frau  von  Le  Fort 
in  Berlin  einen  lebenslänglichen  Gnadengehalt,  mit 
dem  Beifügen,  daß  derselbe  nach  dem  Tode  der  Mutter 
auch  der  Tochter  ausgezahlt  werden  sollte. 


2.  Alexander  Menschikow. 

Das  Zeitalter  Peters  I.  ist  zugleich  die  Epoche  aus- 
gezeichnet großer  Männer  im  russischen  Staate,  In 
keiner  der  nachfolgenden  Regierungen  findet  man  so 
viele  von  dem  wichtigen  Gehalt  derer,  die  der  eigent- 
liche Schöpfer  des  russischen  Reichs  in  der  Staats- 
verwaltung, in  der  Militärverfassung,  im  Seewesen,  in 
den  Finanzen,  im  Departement  der  ausländischen  An- 
gelegenheiten, in  der  Justiz  Verfassung  und  im  PoHzei- 
wesen  angestellt  hatte.  Manche  fand  er  in  den  großen 
Famihen  seines  Reiches,  andere  unter  den  vornehmen 
Ausländern,  die  an  seinem  Hofe  erschienen.  Viele 
kamen  aus  dem  Pöbel  im  Auslande,  verschiedene  aus 
dem  Staube  der  niedrigsten  Klassen  des  russischen 
Volkes.  Schon  ehe  Peter  I.  in  das  reifere  Alter  kam, 
in  welchem  sein  geübter  Verstand  die  brauchbarsten 
Subjekte  aussuchen  konnte,  begünstigte  ihn  der  Zufall 
und  führte  ihm  Jünglinge  zu,  die  durch  die  größten 
Geistesfähigkeiten  sich  merkwürdig  machten.  Selten 
irrte  er  sich  in  ihnen,  und  sie  nie  in  ihm.  Die  meisten 
entsprachen  seinen  Erwartungen,  und  er  zog  sie  her- 
vor und  belohnte  sie  großmütig.  Aber  die  wenigsten 
waren  glücklich  bis  an  das  Ende  ihres  Lebens. 

Der  Gipfel  des  irdischen  Glücks  ist  für  die  meisten 
Emporkömmlinge  der  gefährUchste  Punkt.  Selten  weiß 


24  2«  Alexander  Menschikow. 

einer  von  ihnen,  sich  bis  an  das  Ende  seiner  Tage  auf 
dem  erhabenen  Platze  zu  erhalten,  auf  welchen  ihn 
ein  kühner,  genialischer  Flug  und  eine  mit  Festigkeit 
fortgeführte  Tendenz  gebracht  haben.  Er  schwindelt 
auf  der  ungewohnten  Höhe,  und  —  fällt. 

Alexander  Menschikow  war  im  Jahre  1674,  am 
17.  November^)  geboren.  Sein  Vater  war  ein  Bauer  aus 
der  Gegend  von  Moskau  und  hieß  Daniel  Menschikow.*) 

Mehrere  Bauern  in  Rußland  bringen  ihre  Söhne  in 
die  großen  Städte  zu  Handwerkern  in  die  Lehre,  und 
so  wurde  auch  Alexander  zu  einem  Piroggenbäcker') 
gegeben. 

Nach  Art  dieser  Lehrjungen  mußte  er  seine  Piroggen, 
die  er  auf  ein  Brett  gelegt  auf  dem  Kopfe  trug,  m  den 
Straßen  von  Moskau  ausrufen.  Er  tat  dies  auf  eine  so 
lustige  Art,  daß  er  dadurch  die  Aufmerksamkeit  des 
berühmten  Le  Fort  auf  sich  zog.*)  Dieser  Staatsmann 
ließ  ihn  zu  sich  kommen,  sprach  viel  mit  ihm,  und  da 
er  seine  Antworten  genugtuend  und  seine  Gesichts- 
züge^) klug  und  einnehmend  fand,  so  nahm  er  ihn  als 
Bedienten  zu  sich.  Hier  hatte  Alexander  oft  Gelegen- 

^)  am  16. /6.  November  1672. 

*)  Menschikows  Vater  war  Stallknecht  (Brückner,  Peter  der 
Große  S.  560). 

^)  Piroggen  sind  ein  elendes  Backwerk,  das  mit  gehacktem  Fisch 
gefüllt  ist  und  mit  Leinöl  gegessen  wird.  Nur  das  gemeine  Volk 
genießt  diese  ekelhafte  Speise.  Es  versteht  sich,  daß  auf  den  Tafeln 
der  Großen,  gehörig  zugerichtet,  dieses  Gericht  eine  Leckerei  ist 
(Anm.  des  Verfassers). 

*)  Eine  andere  Lesart  bei  Crusenstolpe  I.  S.  91. 

^)  Menschikow  soll  in  seiner  Jugend  sehr  hübsch  gewesen  sein; 
besonders  soll  er  sehr  lebhafte  Augen  gehabt  haben.  Bilder  von  ihm, 
die  man  noch  in  Rußland,  obgleich  sehr  selten,  antrifft,  zeigen,  daß 
er  einen  sehr  geistreichen,  durchdringenden  und  angenehmen  Blick 
hatte.  Dies  bemerkt  man  vorzüglich  an  einem  Porträt,  das  schon 
in  späteren  Jahren  gemacht  ist,  und  das  sonst  im  kaiserlichen 
Schlosse  in  Gatschina,  in  den  ehemaligen  Zimmern  des  Kaisers 
Pauls  L,  hing.     Heibig. 


Prinz  Menzikow 


s.  Ahxandif  Mensehihoxe.  35 

heit,  den  jungen  Zar,  der  nur  zwei  Jahre  älter  war  als 
er,  zu  sehen  und  zu  sprechen  und  dessen  Gunst  zu  ge- 
winnen. Le  Fort,  ein  gründlicher  Beurteiler  geistiger 
Fähigkeiten,  bemerkte  mit  Wohlgefallen  den  durch- 
dringenden Verstand  seines  Bedienten  und  beschloß, 
ihn  zum  Dienste  des  Staats  geschickt  zu  machen. 

Gewiß,  der  Mann  verdient  den  wärmsten  Dank,  der, 
entfernt  von  Eifersucht,  seinem  Herrn  und  dem  Staate 
einen  so  gebildeten  ZögUng  zurückläßt;  und  nicht 
minder  Bewunderung  verdient  dieser  ZögUng,  der  in 
den  Plänen  seines  großen  Vorgängers  und  nach  den 
Absichten  seines  Fürsten  fortarbeitet. 

Le  Fort  brachte  den  jungen  Menschikow  in  die 
Dienste  des  Zars,  nahm  ihn  mit  zu  der  großen  Gesandt- 
schaft im  Jahre  1697,  machte  ihn  auf  alles  aufmerksam, 
lehrte  ihn  Mißbräuche  abschaffen  und  neue  Einrich- 
tungen treffen,  gab  ihm  Unterricht  in  MiUtärgeschäften 
und  suchte  besonders  seine  eigenen  Maximen  in  An- 
sehung der  Staatswirtschaft  und  der  auswärtigen  An- 
gelegenheiten ihm  so  einzuimpfen,  daß  der  kluge  und 
gelehrige  Menschikow  sich  dieselben  ganz  zu  eigen 
machte.  Indessen  ist  doch  zu  glauben,  daß,  wenn 
Le  Fort  leben  geblieben  wäre,  er,  der  gewiß  des  jungen 
Mannes  anmaßungsvollen  Charakter  durchspäht  hatte, 
denselben  nie  würde  haben  so  hoch  steigen  lassen,  als 
er  in  der  Folge  wirkhch  stieg. 

Doch  Le  Fort  starb  und  das  Personale  der  russischen 
Staatseinrichtung  bekam  dadurch  eine  ganz  andere 
Gestalt. 

Peter  L  sah  sich,  obgleich  umringt  von  Höflingen, 
dennoch  allein.  Fast  alle  waren  seinen  weisen  Ent- 
würfen zuwider,  wenigstens  so  lange,  bis  Überzeugung 
sie  besserte.  Nur  Menschikow  allein  stimmte  unbedingt 
mit  den  erhabenen  Grundsätzen  seines  Fürsten  über- 


20  2.  Alexander  Menschikow. 

ein.^)  Er  wurde  sogleich  der  Nachfolger  des  verstor- 
benen Günstlings  in  der  Gnade  seines  Herrn  und  erhielt 
nach  und  nach,  aber  doch  immer  in  sehr  bald  auf- 
einander folgenden  Zeiträumen,  alle  die  wichtigen 
Stellen,  die  Le  Fort  bekleidet  hatte. 

Jetzt  zeigte  Menschikow,  daß  er  unter  die  ausge- 
zeichneten Menschen  gehöre,  die  sich  einen  Namen  in 
der  Geschichte  zu  erwerben  wissen.  Er  war  gewiß  so 
sehr  Genie,  als  man  es  in  einem  despotischen  Staate 
sein  darf,  dessen  Regent  kein  Gesetz  zu  kennen 
braucht.  In  voller  Geistes-  und  Manneskraft  ent- 
wickelte er  seine  großen  Fähigkeiten,  stand  seinem 
Herrn  in  allem  treuhch  bei,  sowohl  im  Entwerfen  wohl- 
tätiger Regentenpläne  als  durch  die  folgsamste  und 
pünktlichste  Befolgung  der  Befehle  des  Kaisers. 

Die  Erzählung  der  einzelnen  wichtigen  Dienste 
dieses  Staatsmannes  und  Feldherrn  gehört  in  die 
Regierungsgeschichte  des  großen  Monarchen,  die  er 
durch  seine  Talente  wenigstens  zum  Teil  verherrlichte. 

Man  entdeckte  gleich  anfangs  in  ihm  die  Anlage  zu 
einem  Staatsdiener,  der  durch  sein  tatenvolles  Leben 
Mitwelt  und  Nachwelt  in  Erstaunen  setzen  kann,  aber 
man  sah  auch  in  den  Folgejahren  mit  Bedauern,  daß 
sein  vielversprechender  Einfluß  nicht  immer  für  den 
Staat  der  günstigste  und  für  die  Untertanen  der  heil- 
samste blieb. 

Peter  ernannte  ihn  unter  andern  zum  Hofmeister 
seines   nachher   so   unglücklich   gewordenen    Sohnes 

^)  über  den  sehr  begründeten  Verdacht,  den  diese  Freundschaft 
erweckte,  siehe  Bülau,  Geheime  Geschichten  (Reclam),  lo.  Bändchen 
S.  27.  Auch  die  Briefe  Peters  des  Großen  an  Menschikow  (III.  780) 
lassen  kaum  einen  Zweifel  über  das  Verhältnis  zu.  Übrigens  war 
Menschikow  nicht  der  einzige  Freund  des  Kaisers.  Auch  Jaguschinski 
soll  seine  Laufbahn  als  Lustknabe  begonnen  haben.  Von  einem 
weiteren  derartigen  Günstling  gibt  Bergholz  nur  den  Namen  an. 
Es  war  der  Denschtschik  Talischoff. 


2.  Alexander  Menschikow.  27 

Alexej.  Menschikow  vernachlässigte  die  Erziehung 
dieses  Prinzen  auf  eine  ganz  unverantwortliche  Weise. 
Es  war  ihm  gleichgültig,  ob  der  Zarewitsch  in  den  Lehr- 
stunden fleißig  war  oder  nicht.  Auch  gab  er  wohl  gar 
seinen  Beifall,  wenn  er  merkte,  daß  die  Popen  dem 
Prinzen  unnützen  kirchlichen  Tand  beibrachten,  ihn 
in  ihren  albernen  Gesellschaften  festhielten  und  ihm 
einen  Abscheu  vor  allen  Neuerungen  seines  Vaters  ein- 
zuflößen suchten. 

Man  wird  verführt  zu  glauben,  daß  Menschikow 
schon  damals  die  Absicht  gehabt  habe,  den  Zarewitsch 
durch  den  eigenen  Willen  des  Kaisers  von  der  Thron- 
folge ausschUeßen  zu  lassen.  Noch  lag  aber  sein  Projekt 
sehr  im  Hintergrunde. 

Menschikow  stand  mit  Katharina,^)  die  er  seinem 
Monarchen  abgetreten  hatte,  in  der  engsten  freund- 
schaftlichen Verbindung.  Daraus  entstanden  gegen- 
seitige Verpflichtungen.  Er  erhielt  sie  in  Ansehen  und 
suchte  sie  immer  höher  zu  bringen,  und  sie  unter- 
stützte ihn,  wenn  er  wankte.  Sie  sollte  dem  Staate 
Thronerben  geben  und  er  wollte  nach  Peters  Tode  das 
Reich  und  den  unmündigen  Souverän  beherrschen. 

Um  nun  aber  das  alles  zur  Ausführung  zu  bringen, 
war  es  nötig,  den  Sohn  dem  Vater  verdächtig  zu 
machen,  und  auf  diese  Art  den  Prinzen  vom  Throne 
zu  entfernen.  Es  geschah,  wie  wir  wissen,  mehrere  Jahre 
nachher,  als  der  Zarewitsch  schon  verheiratet  gewiesen 
war  und  von  seiner  Gemahlin  einen  Sohn  und  eine 
Tochter  bekommen  hatte.  Peter  wurde  ganz  gegen 
Alexis  eingenommen,  der  durch  sein  unkluges,  unzu- 

^)  Die  Geschichte  Katharinas  ist  so  genau  mit  Menschikow» 
Leben  verwebt,  daß  man  keines  ohne  das  andere  lesen  kann.  Um 
Wiederholungen  zu  vermeiden,  kann  keines  vollständig  geschrieben 
werden.  Was  hier  fehlt,  wird  man  in  jenem  finden,  und  so  ist  der 
Fall  auch  umgekehrt.     Heibig. 


28  s.  Alexander  Menschikow. 

verlässiges,  niedriges,  widerspenstiges  und  den  Vater 
und  den  Regenten  empörenden  Benehmen  Veran- 
lassung zu  dem  traurigen  Schicksale  gab,  das  ihn  traf. 

Es  wurde  gegen  den  unglücklichen  Prinzen  ein 
Todesurteil  abgefaßt,  und  der  Fürst  Menschikow  war 
der  erste,  der  es  unterschrieb. 

Die  Art  des  Umgangs  Peters  I.  mit  seinem  Günst- 
ling war  einzig.  Der  Kaiser  tat  nichts,  ohne  Menschi- 
kows  Rat.  In  allen  Ereignissen  seiner  Regierung  und 
seines  Privatlebens  zeigte  er  ihm  ein  Vertrauen,  das 
keinen  höheren  Grad  erreichen  konnte.  Man  würde 
sagen  können,  daß  der  Monarch  und  der  Günstling  die 
herzlichsten  Freunde  gewesen  wären,  wenn  nicht  dieser 
ein  immerwährendes  Spiel  seiner  Leidenschaften,  sich 
dadurch  der  hohen  Bestimmung,  der  Freund  seines 
Fürsten  zu  sein,  unwürdig  gemacht  hätte.  Menschikow 
mußte  fast  beständig  der  Begleiter  des  Kaisers  sein, 
und  wenn  ihn  Peter  zuweilen  zurückließ,  so  regierte 
der  Günstling  mit  Bewilligung  seines  Herrn  den  ganzen 
Staat.  Dieses  Zepter  konnte  alsdann  wirkhch  eisern 
genannt  werden.  Dadurch  wuchs  die  Zahl  von  Menschi- 
kows  Feinden,  die  er  besonders  durch  sein  eigen- 
nütziges Betragen  sich  täglich  schuf.  Sie  beobachteten 
alle  seine  Schritte  und  offenbarten  dem  Kaiser  alles, 
was  ihnen  von  den  gewinnsüchtigen  Handlungen  seines 
ersten  Staatsdieners  bekannt  wurde. 

Dreimal  kam  dieser  deswegen  während  der  Regie- 
rung Peters  I.  in  die  schärfste  Inquisition,  wovon  wir 
nur  ein  Beispiel  vom  Jahre  1719  anführen  wollen. 

Fürst  Menschikow  wurde  beschuldigt,  die  Finanzen 
des  Reiches,  die  ihm  allein  anvertraut  waren,  übel  ver- 
waltet und  große  Summen  davon  zu  seinem  Nutzen 
verwendet  zu  haben.  Er  mußte  seinen  Degen  abgeben, 
durfte  sein  Haus  nicht  verlassen  und  sollte  nun  die 


2.  Alexander  Menschikow.  29 

Strafe,  die  ihm  der  Kaiser  auflegen  würde,  erwarten. 
Man  hatte  Ursache  zu  glauben,  daß  die  Sache  eine  sehr 
schlimme  Wendung  nehmen  würde;  und  man  sprach 
schon  davon,  daß  Menschikow  zu  ewiger  Gefangen- 
schaft würde  verurteilt  werden.  Allein  die  Freude  seiner 
Feinde  war  zu  voreilig.  Der  Monarch  ließ  ihn  rufen. 
In  dem  Augenblick,  als  er  ankam,  warf  er  sich  dem 
Kaiser  zu  Füßen,  bat  um  Gnade  und  versprach  Besse- 
rung. Peter  hatte  das  Verbrechen  schon  fast  wieder 
vergessen  und  dachte  nur  an  die  Verdienste  seines 
Dieners.  Er  schenkte  ihm  seine  Gnade  wieder  und  legte 
ihm  eine  sehr  große  Geldstrafe  auf,  die  Menschikow  auf 
der  Stelle  entrichten  mußte. 

Für  kleinere  Verbrechen  gab  es  auch  kleinere  Strafen. 

So  erzählt  man:  eines  Abends  erfuhr  der  Kaiser  eine 
Menge  gegründeter  Beeinträchtigungen,  die  der  Fürst 
verübt  hatte.  Am  andern  Morgen  begab  sich  Peter  nach 
Wassilej-Ostrow^)  zu  Menschikow,  der  daselbst  in 
seinem  Palais,  dem  jetzigen  Landkadettenkorps, 
wohnte,  ging  in  das  Schlafzimmer  zu  ihm,  der  noch 
schlief,  hielt  ihm  sein  Vergehen  vor  und  züchtigte  ganz 
in  der  Stille  aber  auf  eine  sehr  fühlbare  Art  seinen 
Günstling,  der  niedrig  genug  dachte,  dergleichen 
Strafen  zu  ertragen.  Nachdem  dies  geschehen  war,  fuhr 
Peter  wieder  fort.  Auf  dem  Rückwege  begegnete  er 
einer  Menge  Leute,  die  auf  sein  Befragen  ihm  sagten, 
daß  sie  nach  Wassilej-Ostrow  gingen,  um  dem  Fürsten 
Menschikow  zu  seinem  Namenstage  Glück  zu  wünschen. 
Der  Kaiser  kehrte  sogleich  mit  ihnen  um.  Menschikow 
erschrak  heftig,  weil  er  glaubte,  Peter  komme  nur,  um 
ihn  noch  einmal  zu  züchtigen.  Aber  der  Monarch  sprach 

^)  Peter  I.  wollte  keine  Brücke  über  die  Newa  nach  Wassilej- 
Ostrow  bauen  lassen,  um  die  Russen  an  die  Schiffahrt  zu  gewöhnen. 
Sobald  Peter  II.  zur  Regierung  kam,  ließ  Menschikow  die  noch  be- 
stehende Schiffbrücke  aufrichten.     Heibig. 


30  2.  Alexander  Menschikow. 

ihm  Mut  ein,  indem  er  ihm  gleich  beim  Eintritt  ins 
Zimmer  sagte;  ich  habe  gehört,  es  ist  heute  dein  Fest; 
ich  bin  daher  mit  diesen  guten  Leuten  gekommen,  dir 
Glück  zu  wünschen  und  bei  dir  zu  schmausen. 

So  endigten  sich  fast  immer  die  Klagen,  die  gegen 
den  Fürsten  vorgebracht  wurden,  und  es  beweist  hin- 
länglich für  die  tiefen  Einsichten  und  für  die  große 
Brauchbarkeit  dieses  Mannes,  daß  Peter,  der  viel- 
fachen Beschuldigungen  ungeachtet,  ihn  doch  bei 
sich  behielt  und  nichts  ohne  dessen  Rat  und  Bei- 
stimmung tat. 

Die  dem  Monarchen  bekannt  gewordenen  Züge  des 
Eigennutzes  und  der  Treulosigkeit  Menschikows  waren 
nicht  die  einzigen,  die  den  Fürsten  zum  Verbrecher 
machten.  Es  gab  noch  andere,  die  der  Kaiser  nicht 
erfuhr,  und  welche  die  schärfste  Ahndung  und  seine 
gänzliche  Entfernung  von  Staatsgeschäften  verdient 
hätten. 

Peter  I.,  der  immer  gewünscht  hatte,  deutscher 
Reichsfürst  mit  Sitz  und  Stimme  auf  dem  Reichstage 
zu  werden,  stand  einmal,  wir  wissen  nicht  zu  welcher 
Zeit  und  durch  welchen  Zufall,  auf  dem  Punkte, 
Schwedisch-Pommern  zu  bekommen.  Der  preußische 
Hof,  der  nicht  gern  einen  so  unbequemen  Nachbar 
haben  wollte,  wendete  sich  an  den  Fürsten  Menschi- 
kow und  bestach  ihn  mit  zwanzigtausend  Dukaten. 
Der  erste  Staatsdiener  des  Kaisers,  auf  welchen  dieser 
sein  ganzes  Vertrauen  setzte,  brachte  nun  vermut- 
lich Scheingründe  vor,  die  den  Monarchen  von  dem 
Wunsche  abbrachten,  Pommern  besitzen  zu  wollen. 
Kurz,  die  Unterhandlung  wurde  abgebrochen. 

Hätte  Peter  den  wahren  Zusammenhang  erfahren, 
so  würde  der  GünstHng  schwerlich  mit  einer  gewöhn- 
lichen Strafe  losgekommen  sein. 


2.  Alexander  Metischikotv.  31 

Daß  Menschikow  immer  so  glücklich  sein  konnte, 
den  verdienten  Folgen  seiner  Verirrungen  zu  entgehen, 
und  nicht  selten  über  seine  Ankläger  zu  siegen,  war 
großenteils  Katharinas  Werk.  Dafür  war  er  aber  auch 
auf  den  Nutzen  dieser  Prinzessin  bedacht.  Mit  diesen 
Bemühungen  vereinigte  er  aber  zugleich  die  für  seinen 
Vorteil.  Da  keiner  von  Peters  und  Katharinas  Söhnen 
leben  blieb,  so  fiel  Menschikow  zuerst  auf  den  Ge- 
danken, Katharina  nach  Peters  Tod  auf  den  Thron 
ihres  Gemahls  zu  erheben.  Er  teilte  diese  Idee  dem 
Monarchen  mit,  der  sie  billigte.  Nun  wurde  sie  zur 
Thronfolgerin  erklärt  und  im  Jahre  1724  gekrönt.  Es 
war  vorauszusehen,  daß  der  Fürst  Menschikow,  welcher 
der  Hebel  von  diesem  allen  war,  das  Steuerruder  im 
Staate  führen  würde,  wenn  nach  Peters  Tod  Katharina 
zur  Regierung  käme. 

Einem  so  mächtigen  Günstlinge  als  er  war,  der  dem 
Kaiser  und  der  Kaiserin  zugleich  sich  unentbehrlich 
gemacht  hatte,  konnte  es  nicht  an  Auszeichnungen 
von  Seiten  der  auswärtigen  Mächte  fehlen,  die  sich  alle 
um  seine  Freundschaft  bewarben. 

Der  Wiener  Hof  hatte  ihn  schon  längst  zum  Reichs- 
grafen^)  und  bald  nachher  zum  Reichsfürsten ^)  er- 
nannt, und  die  Höfe  zu  Kopenhagen,  Dresden  und 
Berlin  schickten  ihm  ihre  Orden. 

Peter  I.  selbst,  um  seinem  Günstlinge  öffentüche 
Beweise  seiner  Dankbarkeit  zu  geben,  erteilte  ihm  den 
Titel  eines  Herzogs  von  Ingermanland ;  erster  Staats- 
minister und  erster  Generalfeldmarschall  der  Armeen 
des  Kaisers  war  er  schon.'') 

Doch  alle  diese  großen  Auszeichnungen  der  Gnade 
seines  Monarchen  konnten  den  Fürsten  nicht  auf  der 
Bahn  der  Rechtlichkeit  festhalten.  Seine  Habsucht  und 

*)  1702.  —  -)  170S.  —  ^)  Seit  dem  Jahre  1709. 


32  2.  Alexander  Menschikow. 

seine  Treulosigkeit  brachten  ihn  einige  Monate  vor  dem 
Tode  des  Kaisers  noch  einmal  in  die  Ungnade  dieses 
Monarchen.  Da  eben  in  dem  Augenblicke  Kathrina 
mehr  als  jemals,  in  ihren  eigenen  kritischen  Angelegen- 
heiten einen  Ratgeber  nötig  hatte,  so  mußte  Graf 
Jaguschinski,  ziun  Vorteil  Menschikows,  den  Kaiser 
auf  andere  Gedanken  zu  bringen  suchen.  Es  gelang 
ihm;  der  Fürst  war  so  glücklich,  die  Gnade  seines 
Herrn,  und  zwar  diesmal  ohne  irgendeine  Aufopferung 
wieder  zu  erlangen. 

Katharina  und  er  fanden  nun  notwendig,  für  ihre 
Selbsterhaltung  alles  zu  wagen,  und  waren  wahrschein- 
lich gleich  anfangs  entschlossen,  derselben  das  kost- 
barste Opfer  zu  bringen.  Peter  I.  war  mit  beiden  höchst 
unzufrieden  und  hatte  ihnen  harte  Strafen  gedroht, 
wenn  er  von  seinem  schmerzhaften  Krankenlager  sich 
wieder  erheben  würde,  Katharinas  und  Menschikows 
Betragen  war  schon  seit  langer  Zeit  den  Befehlen  des 
Kaisers  geradezu  entgegengesetzt  gewesen,  und  er  hatte 
beide  schon  oft  gewarnt.  Die  gedrohten  Strafen 
konnten  also  sehr  empfindlich  werden  und  beide 
wieder  in  den  Staub  zurückführen,  aus  welchem  die 
Huld  des  Monarchen  sie  hervorgezogen  hatte.  Es  war 
also  der  Klugheit  der  Kaiserin  und  des  Fürsten  und 
ihren  Gesinnungen  gemäß,  den  Zeitpunkt  der  Wieder- 
herstellung des  Kaisers  gar  nicht  eintreten  zu  lassen. 
Und  so  wird  es  also  wahrscheinhch,  daß  man  der 
Natur  Vorgriff,  und  durch  künstliche  Mittel  die  Krank- 
heit des  größten  Monarchen,  der  damals  in  Europa 
regierte,  eher  endigte,  als  es  nach  dem  Laufe  der  Natur 
hätte  sein  sollen.^) 

Peter   starb  1725,   und  alle  seine  Entwürfe,   die 

*)  Dieser  unkritische  Klatsch  wurde  sogar  von  Gegnern  Menschi- 
kows als  solcher  gekennxeichnet. 


2.  Alexander  Menschikow.  33 

er  mit  Katharina  und  Menschikow  haben  mochte, 
und  die  gewiß  groß  und  heilsam  waren,  wurden  ver- 
nichtet. 

Menschikow,  Jaguschinsky  und  der  Priester  Theo- 
phanes  halfen  nun  Katharina  auf  den  russischen  Thron. 
Für  keinen  war  dieses  Ereignis  vorteilhafter  als  für  den 
Fürsten. 

Das  erste  Jahr  der  Regierung  Katharinas  war 
eigenthch  die  Regierung  Menschikows.  Die  Folge  ent- 
sprach dem  Anfange  nicht.  Die  Wagschale  des  Fürsten 
stieg  in  die  Höhe,  indem  die  der  FamiUe  Holstein  sank 
und  das  Übergewicht  behielt.  Der  bisherige  Günstling 
merkte  den  Verfall  seines  Ansehens  deutlich,  als  er  die 
Zurückberufung  seines  Todfeindes,  des  Baron  Scha- 
phirow,  nicht  verhindern  konnte.  Demungeachtet  ver- 
lor er  vor  den  Augen  der  Welt  nichts  von  seinem  Range 
und  von  seiner  scheinbaren  Mitwirkung.  Allein  dies 
war  ihm  nicht  hinlänglich.  Er  wollte  auch  den  wirk- 
lichen Einfluß  ferner  behaupten,  den  er  bisher  gehabt 
hatte.  Was  man  ihm  nicht  zugestehen  wollte,  suchte 
er  auf  eine  andere  Art  sich  zu  verschaffen. 

Es  ist  hart,  wenn  der  Geschichtschreiber  in  kurz  auf 
einander  folgenden  Zeilen  zweimal  die  nämhche  Ver- 
mutung eines  Verbrechens  wagen  und  dadurch  die 
Gewißheit  des  einen  und  des  anderen  gleichsam  be- 
stätigen muß. 

Fast  ist  es  keinem  Zweifel  unterworfen,  daß  Menschi- 
kow, um  allein  und  unumschränkt  über  das  Land  eines 
unmündigen  Fürsten  zu  herrschen  und  ihn  mit  seiner 
Tochter  zu  vermählen,  die  Lebenstage  der  Vor- 
gängerin dieses  Prinzen  verkürzt  habe.  Sein  Egoismus 
und  seine  Herrschbegierde  unterdrückten  alle  Emp- 
findungen, die  das  Andenken  an  seine  ehemalige  Ver- 
bindung mit  Katharina  und  sein  Dank  für  alles,  was 

Russische  Günstlinge.  o 


34  2-  Alexander  Menschikow. 

sie  für  ihn  getan  hatte,  notwendig  in  seinem  Herzen 
hervorbringen  mußte. 

Katharina  starb  1727. 

Peter  II.  bestieg  den  russischen  Thron  und  Menschi- 
kow ergriff  mit  kühner  und  sicherer  Hand  die  Zügel 
der  Regierung.  In  den  ersten  Monaten  des  Jahres  1727 
stieg  seine  Macht  am  höchsten,  und  als  Privatmann 
konnte  sein  Rang  nicht  erhöht  werden. 

Zur  Zeit  seines  größten  Glücks,  unter  Peter  IL  war 
er  Fürst  des  Deutschen  Reichs,  Herzog  von  Ingerman- 
land,  Generalissimus  der  russischen  Armeen,  erster 
Staatsminister,  Senator  und  Ritter  der  beiden  russi- 
schen und  einiger  fremden  Orden,  namentlich  der 
Orden  vom  weißen  Adler,  vom  schwarzen  Adler,  vom 
Elefanten  und  vom  heihgen  Hubertus. 

Obgleich  damals  verschiedene  deutsche  Prinzen  in 
Rußland  waren  und  viele  russische  Kiieesen  Fürsten 
genannt  werden,  weil  ihnen  hohe  Geburt,  Verwandt- 
schaft mit  dem  kaiserhchen  Hause  und  außerordent- 
hch  große  Glücksgüter  das  Recht  dazu  gaben,  so  wurde 
doch,  und  zwar  schon  seit  langen  Jahren,  Menschikow 
allein  katexochen  der  Fürst  genannt.  Er  war  eben  auf 
dem  Punkt,  seine  Tochter  mit  dem  Kaiser  zu  ver- 
mählen,^) als  er  durch  seinen  unvorsichtigen  Geiz  der 
Famihe  Dolgorucky^)  Gelegenheit  gab,  ihn  zu  stürzen. 

Er  nahm  nämlich  eine  Summe  Geldes,  die  der  Kaiser 
seiner  Schwester  schenkte,  zu  sich,  unter  dem  Vor- 
wand, daß  der  junge  Monarch  den  Wert  des  Geldes 
noch  nicht  zu  schätzen  wisse.  Da  er  nichts  ahnte,  so 

^)  Maria  Alexandrowna  Menschikow,  geb.  1713,  gest.  1728. 
Siehe  Crusenstolpe  I.  S.  99. 

^)  Die  Familie  Dolgorucky  zählte  zu  den  ältesten  und  einfluß- 
reichsten fürstlichen  Familien  Rußlands.  Sie  führten  ihre  Ab- 
stammung auf  Rurik  (f  879),  den  Gründer  des  russischen  Reiches, 
zurück. 


2.  Alexander  Menschikow.  35 

ging  er  nach  Oranienbaum,  einem  Lustschlosse,  das 
ihm  gehörte,  und  wohin  er  auch  den  Kaiser  gebeten 
hatte,  um  der  Einweihung  der  dortigen  Kapelle  bei- 
zuwohnen. Der  Kaiser  kam  zwar  nicht,  aber  Menschi- 
kow Heß  die  Kapelle  einweihen,  die  man  noch  daselbst 
sieht,  benahm  sich  dabei  mit  großer  Ostentation  und 
kehrte  darm  ganz  unbefangen  nach  Petersburg  zurück. 
Er  wunderte  sich  zwar,  den  jungen  Monarchen,  der 
bisher  bei  ihm  gewohnt  hatte,  nicht  mehr  in  seinem 
Palais  in  Wassilej-Ostrow  zu  finden,  ging  aber  zu  ihm 
in  das  Palais  im  Sommergarten,  das  Peter  II.  bezogen 
hatte.  Der  Kaiser,  der  schon  von  den  Kneesen  Dolgo- 
rucky  wider  den  Fürsten  eingenommen  war,  machte 
ihm  persönlich  die  bittersten  Vorwürfe  über  die  Un- 
verschämtheit, ein  Geldgeschenk,  das  er  seiner 
Schwester  bestimmt  hatte,  zu  unterschlagen.  Der  Fürst 
wollte  sich  zwar  entschuldigen,  aber  der  Kaiser  entließ 
ihn  mit  den  sichtbarsten  Merkmalen  seiner  Ungnade. 
Bald  darauf  ließ  er  ihm  durch  den  Generalleutnant 
Saltikow^)  sagen,  daß  er  seiner  Ehre  und  Würden, 
seiner  Ritterorden,  seines  Vermögens  und  seiner  Frei- 
heit verlustig  erkannt  sei.  Bei  dieser  Nachricht  fiel  der 
Fürst  in  Ohnmacht.  Die  Fürstin,  seine  würdige  Ge- 
mahhn,  eilte,  und  warf  sich  dem  Monarchen,  der  eben 
aus  der  Kirche  kam,  zu  Füßen,  aber  dieser  ließ  sie 
liegen,  ohne  ihr  ein  Wort  zu  sagen;  ein  Beweis,  daß 
Peter  II.  nur  ein  Kind  ohne  alle  Beurteilungskraft  war. 
Man  machte  der  Nation  dieses  wichtige  Ereignis  be- 
kannt, indem  man  erklärte,  daß  künftig  keine  anderen 
kaiserhchen  Verordnungen  Kraft  haben  sollten,  als  die 

^)  Saltikow  war  mit  der  kaiserlichen  Familie  nahe  verwandt. 
Sein  Vater  war  der  Bruder  der  Zarin  Prascovia,  der  Gemahlin  des 
Zaren  Joan  Alexjewitsch.  Dieser  Zar  war  ein  Halbbruder  Peters  I. 
und  der  Vater  der  Herzogin  Katharina  von  Mecklenburg  und  der 
Kaiserin  Anna  von  Rußland.    H. 


36  2.  Alexander  Menschikow. 

der  Kaiser  selbst  unterschrieben  hätte.  Bisher  hatte 
nänüich  Menschikow  die  sogenannten  kaiserlichen  Be- 
fehle unterzeichnet. 

Man  schritt  hierauf  zur  Konfiskation  seines  Ver- 
mögens, und  fand  an  Juwelen,  an  barem  Gelde  und  an 
goldenen  und  silbernen  Gefäßen  für  drei  MiUionen 
Rubel  an  Wert,  ohne  seine  weitläufigen  Besitzungen 
zu  rechnen,  die  ungeheuer  gewesen  sein  müssen,  da 
man  versichert,  daß  er  gegen  hunderttausend  Bauern 
gehabt  habe.^) 

Es  erfolgte  alsdann  eine  Inquisition,  die  sich  einige 
Tage  nachher  endigte.  Menschikow  wurde  zu  ewiger 
Verbannung  nach  Sibirien  verurteilt. 

Er  reiste  noch  im  Monat  September  1727,  mit  seiner 
Gemahlin,  seinem  Sohne  und  seinen  beiden  Töchtern^) 
nach  Beresow,  einer  kleinen  Stadt  am  Soswafluß,^)  die 
ungefähr  hundertundfünfzig  schlechte  Häuser  hat, 
welche  größtenteils  von  Kosaken  bewohnt  werden. 

Hier  lebte  der  vor  einigen  Wochen  noch  so  mächtige 
und  allgemein  gefürchtete  Fürst  Menschikow,  der  auf 
dem  Punkte  stand,  Schwiegervater  des  Kaisers  zu 
weiden,  in  den  elendesten  Umständen;  denn  zu  seinem 
Unterhalt  war  ilmi  nicht  mehr  als  täghch  ein  Rubel 
ausgesetzt,  den  ihm  seine  Wache  vielleicht  nicht  ein- 
mal vollzählig  gab.  Demungeachtet  lebte  er  doch  so 
sparsam,  daß  er  von  dem  gesammelten  Gelde  eine 
kleine  unbedeutende  hölzerne  Kirche  bauen  konnte, 
an  der  er  selbst  arbeitete.  —  Wenn  man  über  diesen 
f  ürchterhchen  Wechsel  in  dem  Schicksale  dieses  Empor- 
kömmhngs  nachdenkt,  so  löst  sich  die  Erbitterung 

^)  Nach  anderen  Quellen  sogar  150000.  Aktenmäßig  stehen 
114 000  männliche  Leibeigene  —  nur  diese  wurden  gezählt  —  fest. 

^)  Und  seiner  Schwägeirin  Barb2ira,  die  als  sein  böser  Geist  be- 
zeichnet wird. 

^)  Im  Gouv«meir>ent  Tobolsk. 


2.  Alexander  Menschikow.  yj 

gegen   den  ungerechten  Mann  in  Mitleid  gegen  den 
bedauernswürdigen  Menschen  auf. 

Der  Kummer,  der  noch  in  Sibirien  durch  Todesfälle 
in  seiner  Famihe  vermehrt  wurde, ^)  siegte  über  seinen 
großen  Geist,  und  stürzte  ihn  in  eine  tiefe  Schwermut. 
In  dieser  traurigen  Gemütsverfassung  sprach  er  kein 
Wort  und  nahm  in  den  letzten  Tagen  seines  Lebens 
nichts  zu  sich  als  kaltes  Wasser.  Er  starb  endlich  am 
2.  November  1729,*)  im  fünfundfünfzigsten  Jahre 
seines  Alters. 

Die  fehlerhaften  Hauptzüge  in  Menschikows  Cha- 
rakter waren  Egoismus,  niedriger  Eigennutz,  Eitelkeit, 
unmäßiger  Stolz,  Herrschsucht,  Unversöhnüchkeit  und 
Grausamkeit.  Diese  Fehler  und  Laster,  die  zum  Teil  in 
Leidenschaften  ausarteten,  bestürmten  ihn  unaufhör- 
lich und  setzten  ihn  in  einen  immerwährenden  Zustand 
des  Streites  mit  einer  Menge  Menschen,  besonders  aber 
mit  den  Großen  des  Reiches.  —  Nun  wollen  wir  aber 
auch  die  schönere  Seite  der  Medaille  betrachten.  — 
Menschikow  war  gütig  gegen  alle  Fremde  und  alle  seine 
Landsleute,  wenn  sie  sich  nur  in  seine  Launen  zu 
schicken  wußten;  ein  Eigensinn,  den  er  in  seinem  hohen 
Range  wohl  durchzusetzen  verlangen  konnte.  Er  war 
dankbar  für  erzeigte  Dienste,  tapfer  bis  zur  Verwegen- 
heit und  ein  eifriger  Beschützer  derer,  die  ihm  ergeben 
waren.  Sein  Verstand  und  alle  mit  demselben  in  Ver 
bindung  stehenden  Fähigkeiten  des  Geistes  hatten 
einen  hohen  Grad  von  Genie  erreicht.  Hätte  er  in  der 
frühesten  Jugend  eine  sorgfältige  Erziehung  gehabt, 
so  würde  er  viel  haben  leisten  können.  Er  ersetzte  in 
der  Folge  diesen  Mangel  durch  großen  Fleiß  und  er- 

^)  Die  Fürstin,  von  vielem  Weinen  erblindet,  starb  auf  dem  Wege 
in  die  Verbannung.  Sie  wurde  in  Kasan  begraben.  Seine  älteste 
Tochter  starb  an  den  Blattern. 

*)  Diese  Zeitangabe  steht  nicht  fest. 


38  2.  Alexander  Menschikow. 

warb  sich  nicht  gemeine  Kenntnisse  in  Künsten  und 
Wissenschaften.  Sein  Vaterland  kannte  er  genau,  und 
wurde  ihm  dadurch  sehr  nützlich.  Er  tat  viel  für  die 
Kultur  des  Volkes,  für  den  Anbau  mehrerer  Städte  in 
Gegenden,  wo  sie  vorteilhaft  waren,  für  die  Aufnahme 
des  Handels,  der  Künste  und  Wissenschaften,  für  die 
Verbesserung  des  Bergbaues,  für  die  Vervollkomm- 
nung der  Kriegszucht,  für  den  Glanz  des  Hofes  und  für 
die  Gründung  des  imponierenden  Ansehens  der  russi- 
schen Regenten  im  Auslande.  —  Gibt  es  wohl  viele 
Günstlinge,  deren  Verdienste  man  mit  denen  des 
Fürsten  Menschikow  messen  kann?  Und  wenn  man 
auch  zuweilen  beim  Lesen  seiner  Geschichte  sich  von 
Unwillen  über  manche  seiner  Ungerechtigkeiten  hin- 
gerissen fühlt,  so  kommt  man  doch  darauf  zurück,  den 
Namen  eines  Mannes,  der  die  großen  Taten  Peters  I. 
ausführen  half,  mit  Bewunderung  zu  nennen. 

Die  Fürstin  Menschikow  war  eine  geborene  Arserüen; 
ein  Haus,  das  einen  ausgezeichneten  Rang  unter  den 
adeligen  Familien  in  Rußland  behauptet.  Sie  war  ein 
Muster  weibhcher  Schönheit  und  Tugenden,  die  ihr  die 
Huldigung  der  ungeheuchelten  Ehrfurcht  aller  er- 
warben, die  sie  kannten.  Bei  dem  Unglück  ihres 
Mannes  zeigte  sie  vom  ersten  Augenbhck  an  die  ganze 
Vollkommenheit  ihres  erhabenen  Charakters.  Sie  be- 
gleitete ihn  an  den  Ort  seiner  Verbannung.  Schon  als 
sie  mit  ihm  noch  am  Hofe  im  höchsten  Glänze  lebte, 
hatte  sie  oft  die  Wirkungen  seiner  vielfachen  Launen 
ertragen  müssen.  Sie  setzte  bloß  ihre  liebreichen  Be- 
mühungen fort,  indem  sie  jetzt  das  traurigste  Schick- 
sal durch  Liebe  und  Teilnahme  ihm  zu  erleichtern 
suchte.  Allein  der  Kummer,  der  sie  schon  lange  ge- 
drückt hatte,  tötete  sie  sehr  bald.  Sie  starb  in  BeresQw, 
wahrscheinlich  schon  im  Jahre  1728. 


I 


2.  Alexander  Menschikow.  3g 

Die  Kinder  aus  dieser  Ehe  waren  ein  Prinz  und  zwei 
Prinzessinnen.  Sie  folgten  alle  drei  ihren  Eltern  nach 
Sibirien. 

Der  Prinz  war  am  17.  März  1714  geboren.  Der  Vater 
bewies  an  ihm  besser  als  an  dem  Zarewitsch,  dessen 
Hofmeister  er  gewesen  war,  daß  er  sehr  richtig  ver- 
stand, was  zu  einer  guten  Erziehung  gehört;  diejenige, 
die  er  seinem  Sohne  gab,  war  vortrefflich.  Der  Fürst 
Menschikow  hatte  die  Absicht,  seinen  Sohn  mit  der 
Großfürstin  Natalia  Alexjewna,  Schwester  Peters  IL, 
zu  vermählen,  allein  sein  unglückliches  Schicksal  über- 
eilte ihn,  ehe  er  seinen  Entwurf  ausführen  konnte.  So 
lange  der  Fürst  lebte,  blieb  der  junge  Prinz  in  Sibirien. 
Die  Kaiserin  Anna  Heß  ihn  zurückkommen  und  gab 
ihm  einen  nicht  sehr  beträchtHchen  Teil  der  väter- 
lichen Güter  wieder.  Wir  wissen  nicht,  ob  er  am  Hofe 
oder  in  der  Armee  einige  Ehrenstellen  bekleidet  habe ; 
nur  daß  er  Ritter  des  Hubertusordens  war,  ist  uns  be- 
kannt. Er  pflanzte  sein  Geschlecht  fort.^)  —  Sein  Sohn 
ist  der  jetzige  Fürst  Menschikow,  der  in  der  Armee  sehr 
rühmlich  gedient  hat.  Als  er  aus  ganz  besonderer  Nei- 
gung zu  einem  sehr  stillen,  einförmigen  Leben  vor 
mehreren  Jahren  den  Dienst  seines  Hofes  verließ,  war 
er  Generalleutnant,  Senator  und  Ritter  des  Hubertus- 
und  des  russischen  mihtärischen  Georg-Ordens  von  der 
dritten  Klasse.  Er  lebt  jetzt,  meistens  getrennt  von 
seiner  FamiHe,  im  Auslande.  Seine  Gemahhn,  die  in  den 
Tagen  ihrer  blühenden  Jugend  ihrer  Schönheit  wegen 

^)  Er  starb  am  8.  Dezember  1764.  Sein  Enkel  was  der  Fürst 
Alexei  Sergewitsch  Menschikow,  geboren  11.  September  1787,  der 
als  Diplomat  und  Staatsmann  ebenfalls  eine  bedeutsame  Rolle  in 
der  russischen  Geschichte  gespielt  hat.  Als  außerordentlicher  Ge- 
sandter wiu-de  er  1853  nach  Konstantinopel  geschickt  und  trug 
durch  sein  brüskes  Auftreten,  indem  er  im  Paletot  und  mit  be- 
schmutzten Stiefeln  im  Diwan  erschien,  nicht  wenig  zur  Herbei- 
führung des  Krimkrieges  bei.  Er  starb  am  2.  Mai  1869.  Bülau  S.  78. 


40  2.  Alexander  Menschikow. 

berühmt  war,  ist  eine  Kneschna  oder  Prinzessin  Goli- 
zin.  —  Der  Sohn  aus  dieser  Ehe,  ein  junger  Prinz,  der 
viel  nützliche  Kenntnisse  mit  einer  ausgezeichneten 
Liebenswürdigkeit  des  Charakters  verbindet,  war  in 
den  neuesten  Jahren  bei  den  russischen  Gesandt- 
schaften in  Dresden  und  Berhn  angestellt. 

Die  Prinzessin  Maria  Alexandrowna,  älteste  Tochter 
des  ersten  Fürsten  Menschikow,  war  am  9.  Januar 
1713  geboren  und  wurde  von  ihrer  vortrefflichen 
Mutter  musterhaft  erzogen.  Ein  junger  Graf  Sapieha, 
Verwandter  des  kaiserhchen  Hauses  durch  die  Gräfin 
Sophia  Skawronska,  Nichte  der  Kaiserin  Katharina  I., 
bat  im  Jahre  1720  um  ihre  Hand,  erhielt  sie  aber  nicht, 
weil  der  Vater  wahrscheinhch  damals  schon  höhere 
Absichten  hatte.  Der  Fürst  arbeitete  unablässig  an  dem 
Projekte,  seine  älteste  Tochter  mit  dem  Kaiser  zu  ver- 
mählen, und  auf  diese  Weise  seine  Nachkommen  auf 
den  russischen  Thron  zu  bringen.  Es  gelang  ihm  auch 
schon  gleich  nach  dem  Ableben  der  Kaiserin  Katha- 
rina L,  die  Verlobung  Peters  II.  mit  der  Prinzessin 
Maria  zustande  zu  bringen.  Diese  wurde  am  6.  Juni 
1727  gefeiert.  Die  Vermählung  sollte  im  Herbst  er- 
folgen. Indessen  erhielt  die  kaiserhche  Braut  den  Titel 
kaiserliche  Hoheit  und  wurde  im  Kirchengebete  gleich 
nach  der  Schwester  des  Kaisers  genannt.  Alle  diese 
Aussichten  einer  glänzenden  Zukunft  wurden  durch 
Menschikows  Unglück  getrübt.  Der  Umstand,  daß 
Peter  IL  keinen  Unterschied  in  dieser  Familie  machte, 
und  alle  Mitgheder  derselben,  Schuldige  und  Un- 
schuldige, ja  sogar  seine  verlobte  Braut  mit  einerlei 
Strafe  belegen  konnte,  macht  diesen  Kaiser  hassens- 
wert.  Maria  folgte  ihren  Eltern  nach  Beresow,  wo  sie 
schon  im  folgenden  Jahre  ein  Opfer  des  tötenden  Grams 
wurde. 


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Katharina  I. 
H.  Benner  gem.      J.  Mecon  gest. 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  41 

Ihre  jüngere  Schwester,  die  Prinzessin  Alexandra 
Alexandrowna,  war  in  den  ersten  Tagen  des  Januars 
im  Jahre  1715  geboren  und  war  so  glückhch,  zugleich 
mit  Maria  die  vortrefflichen  Lehren  ihrer  Mutter  teilen 
zu  können.  Sie  kam  mit  ihrem  Bruder  aus  Sibirien 
zurück,  wir  wissen  aber  übrigens  nicht,  ob  und  an  wen 
sie  verheiratet  worden  ist.^) 


3.  Katharina  I.  Alexjewna. 

Die  Muse  der  Geschichte  beugt  sich  vor  dem  Namen 
dieser  außerordenthchen  Frau.  Sie  findet  in  den 
Archiven  der  Zeit  keine,  die,  wie  Katharina  I.,  aus 
der  Hefe  des  Volkes  hervorgegangen,  sich  auf  den 
Thron  des  größten  Reiches  der  Erde  emporgeschwun- 
gen hätte.  Sie  betrachtet  daher  das  Leben  dieser  merk- 
würdigen Prinzessin,  die  als  Bäuerin  in  Litauen  ge- 
boren wurde  und  als  Kaiserin  und  unumschränkte 
Beherrscherin  von  Rußland  starb,  als  den  auffallendsten 
Beweis  der  wunderbaren  Art,  mit  welcher  die  Vor- 
sehung die  Schicksale  der  Menschen  leitet.  Aus  den 
Annalen  der  Welt  ist  sie  mit  Beispielen  von  Weibern 
bekannt,  die  durch  Seelengröße,  Heldenmut,  Begeiste- 
rung, erhabene  Talente  und  mit  einem  Wort,  durch 
alles  umfassende  Eigenschaften  des  Geistes,  sich  in 
dem  Tempel  des  Ruhms  auf  die  höchsten  Stufen 
stellten,  Heere  auf  der  Siegesbahn  anführten,  den 
Thron  mit  ihren  Fürsten  teilten,  durch  ihren  weisen 
Einfluß  das  Schicksal  ganzer  Staaten  entschieden,  den 
Lorbeerzweig  errangen,   den   Künsten  und  Wissen- 

^)  Sie  vermählte  sich  mit  dem  General  Graf  Gustav  Biron.  Sie 
starb  nach  ganz  kurzer  Ehe  am  24.  Oktober  1736. 


42  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

Schäften  nur  der  Vollkommenheit  reichen  und  über- 
haupt den  ausgezeichnetsten  Männern  den  Rang 
streitig  machten.  An  solche  Beispiele  gewöhnt,  glaubt 
sie  in  Katharina,  die  am  Ziele  ihrer  pohtischen  Lauf- 
bahn alle  diese  Frauen  weit  hinter  sich  zurückläßt,  ein 
Wunder  menschlicher  Fähigkeiten  und  Tugenden  zu 
sehen.  Aber  nun  prüft  sie  diese  scheinbare  Größe.  Die 
Bewunderung,  die  der  Name  allein  eingeflößt  hatte, 
verschwindet,  der  Nebel  fällt  vor  ihren  Augen  und  sie 
wundert  sich  bloß,  eine  gewöhnhche  Frau  zu  sehen, 
die  der  physischen  Sinnlichkeit  und  der  Intrige  die 
hohe  Existenz  verdankt,  zu  welcher  sie  sich  hin- 
gedrängt hat,  ohne  die  Eigenschaften  zu  besitzen,  ihre 
Bestimmung  würdig  erfüllen  zu  können. 

Katharinas  Vater,  ein  Bauer  in  Litauen  und  wahr- 
scheinhch  auf  einem  der  Güter  der  Familie  Sapieha, 
hieß  nur  Samuel,  i)  und  hatte  weiter  keinen  Familien- 
namen. Er  lebte  in  einem  uns  unbekannten  Dorfe,^) 
ganz  nahe  an  der  livländischen  Grenze.  Hier  wurden 
ihm  auch  alle  seine  Kinder,  ein  Sohn  Karl  und  drei 
Töchter,  Martha,  Christina  und  Anna,  geboren.  Die 
Familie  war  katholisch  und  alle  vier  Kinder  wurden 
daher  in  dieser  Religion  getauft.  Der  Bauer  Samuel 
scheint  noch  in  Litauen  lange  vor  der  Erhebung  seiner 
Tochter  gestorben  zu  sein. 

Aber  nach  seinem  Tode  hatte  sich  die  Familie,  man 
weiß  nicht  aus  welcher  Ursache,  in  dem  nahen  Liv- 
land,  das  damals  noch  der  Krone  Schwedens  gehörte, 
und  zwar  in  Lennewaiden,  einem  Dorfe  im  rigaischen 
Kreise  am  kleinen  Fluß  Rumbe,  niedergelassen. 

Eine  von  Samuels  Töchtern,  namens  Martha,  war 
nach  ziemlich  zuverlässigen  Nachrichten  am  15.  April 

^)  Er  hieß  SkawTonsky. 
')  Jakobstadt  in  Kurland. 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  43 

1686^)  geboren.  Die  eingeschränkten  Verhältnisse  der 
Mutter  nötigten  sie,  ihre  Tochter  Martha  schon  als 
Kind  bei  einem  lutherischen  Geistlichen  in  Dienste  zu 
geben.  Sie  kam  in  ihrer  frühen  Jugend  zu  dem  Pastor 
Daut  nach  Roop,  einem  Kirchspiele,  das  ebenfalls  im 
rigaischen  Kreise  liegt.  Hier  wurde  die  kleine  Katho- 
likin unmerklich  in  eine  Lutheranerin  umgeformt. 
Martha  scheint  in  diesem  Hause  nicht  sehr  lange  ge- 
blieben zu  sein.  Sie  kam  von  Roop  weg  1683  nach 
Marienburg,  einem  damaligen  kleinen  Städtchen  im 
wendenschen  Kreise,  zu  dem  dortigen  Probst  Glück. 
Das  Mädchen,  das  zur  Schönheit  aufwuchs,  war  in  dem 
Hause  dieses  Geistlichen  zwar  immer  nur  mehr 
Dienerin  als  Pflegetochter,  wurde  aber  doch  mit  wenig 
Zurücksetzung  behandelt  und  sowohl  in  den  Lehr- 
begriffen der  lutherischen  Religion,  als  auch  in  nütz- 
lichen Hausarbeiten  zugleich  mit  der  Tochter  des 
Propstes  Glück  erzogen.  Hier  war  es,  wo  ein  schwedi- 
scher Dragoner,  der  Johann  hieß,  und  wahrscheinlich 
auch  keinen  Famihennamen  hatte,  sich  in  die  auf- 
blühenden Reize  der  Martha  verliebte. 2)  Er  bat  um 
ihre  Hand,  und  da  das  arme  Mädchen  eben  nicht 
wählen  durfte,  so  nahm  sie  seine  Anträge  an.  Martha 
ward  also  Johanns  Frau,^)  aber  nur  auf  einige  Tage. 
Ihr  Mann  mußte  seinem  Rufe  als  Soldat  folgen. 
Dies  geschah  1702,  kurz  vor  der  Einnahme  des  un- 

^)  D.  h.  am  15.  April  1679. 

^)  Villebois  deutet  an,  daß  Glück  X'erdacht  geschöpft  habe,  sein 
Sohn  sehe  sie  mit  zärtlichen  Augen  an  und  sie  sei  nicht  gleichgültig 
dagegen.  Der  famose  Bericht  Bussy-Rabutins  läßt  sie  von  einem 
schwedischen  Rittmeister  v.  Tiesenhausen  geschwängert,  von  Glück 
aus  dem  Hause  gejagt  und  dann  durch  den  Rittmeister  an  eüien 
seiner  Reiter  verheiratet  werden,  mit  dem  sie  drei  Jahre  zu  Narwa 
im  Ehestande  gelebt  hatte!  Das  mit  dem  Rittmeister  erzeugte  Kind 
sei  gleich  nach  der  Geburt  gestorben.    (Bülau). 

*)  Im  August  1702. 


44  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

bedeutenden  Schlosses  Marienburg  oder  dessen  Ruinen 
durch  die  Russen.  Die  Einwohner  der  Stadt  wurden  zu 
Gefangenen  gemacht ;  Martha  befand  sich  unter  ihnen. 
Sie  kam  in  die  Hände  des  kommandierenden  Generals 
Scheremetjew;  aber  sie  blieb  nicht  lange  in  dem  Hause 
dieses  Bojars.  Menschikow  sah  sie;  ihre  großen  Reize 
fielen  ihm  auf.  Scheremetjew  verstand  den  Wink  und 
trat  seine  Sklavin  dem  Günstlinge  seines  Herrn  ab,  der 
sie  sogleich  zu  sich  nahm.  Indessen  war  der  schwedische 
Dragoner  Johann  als  Unteroffizier  wiedergekommen. 
Er  hatte  sich  nach  seiner  Frau  erkundigt  und  ihren 
Aufenthalt  erfahren.  Sie  zu  reklamieren  wäre  ebenso 
unnütz  als  gefährlich  gewesen;  er  besuchte  sie  also  im 
geheimen. 

Sie  lebte  in  Menschikows  Hause  mit  ziemlicher  Frei- 
heit, aber  doch  immer  als  Dienerin.  So  glücklich  hatte 
sie  nie  zu  werden  geglaubt.  Menschikow,  um  ihren 
Besitz  nicht  zu  verlieren,  an  dem  ihm  sehr  viel  gelegen 
war,  hielt  sie  vor  den  Augen  Peters  I.  und  der  vor- 
nehmen Russen  verborgen,  gestattete  ihr  aber  den  Um- 
gang mit  ihresgleichen  und  trug  auf  diese  Art  dazu  bei, 
daß  Johann  und  Martha  sich  ziemhch  oft  sehen 
konnten.  Man  erzählt,  Johann  sei  so  verwegen  ge- 
wesen, Katharina  zu  besuchen,  als  sie  schon  beim 
Kaiser  war.  Nach  einer  Überraschung  auf  dem  Wege 
zu  ihr,  habe  er  sich  unnütz  gemacht  und  sei  nach 
Sibirien  gebracht  worden.  Übrigens  kann  diese  Anek- 
dote nicht  verbürgt  werden. 

Menschikows  ängstliche  Vorsicht  wurde  durch  die 
Unbesonnenheit  eines  Augenblicks  vernichtet.  Im 
Rausche  prahlte  er  mit  dem  Besitze  einer  schönen 
Geliebten.  Man  wollte  sich  überzeugen,  ob  er  die  Wahr- 
heit rede,  er  weigerte  sich  aber,  diesen  Beweis  zu  geben. 
Doch  Peter  I.  verlangte  sie  zu  sehen  xmd  nun  galten 


3.  Katharina  I.  Ahxjewna.  45 

keine  Einwendungen  mehr.  Martha  mußte  kommen. 
Der  Moment  ihrer  Erscheinung  entschied  ihr  künftiges 
hohes  Schicksal.  Die  Gestalt  dieser  sogenannten 
schönen  Frau  besiegte  den  Monarchen;  und  wenn- 
gleich die  Gewalt  ihrer  Reize  in  der  Folge  oft  unter- 
brochen wurde,  so  war  doch  ihr  erster  Eindruck  auf 
Peter  I.  sehr  tief  und  für  Martha  sehr  unterrichtend. 
Von  diesem  Augenbhcke  an  mußte  sie  Menschikow 
seinem  Herrn  überlassen,^)  und  der  Günsthng  hatte 
Gewandtheit  genug,  den  physischen  Verlust,  den  er  im 
Rausche  gemacht  hatte,  durch  reichlichen  poütischen 
Gewinn  in  der  Nüchternheit  zu  ersetzen.  Martha  durfte 
von  nun  an  nicht  denken  und  handeln,  als  durch 
Menschikows  Verstand.  Sie  wurde  die  Vermittlerin 
zwischen  Herrn  und  Diener,  wenn  dieser,  was  sehr  oft 
geschah,  durch  Beeinträchtigungen  mancher  Art 
seinen  Beherrscher  mißmutig  machte.  Dafür  unter- 
richtete sie  Menschikow,  wie  sie  den  Launen  des  Mon- 
archen schmeicheln  müsse,  um  daraus  Vorteil  für  sich 
ru  ziehen.  Sie  tat  es  mit  dem  glücklichsten  Erfolg,  denn 
der  Kaiser  führte  sie  endlich  selbst  an  seiner  Hand  auf 
den  höchsten  Gipfel  des  irdischen  Glücks, 
i  Sobald  Martha  in  die  Dienerschaft  des  Hofes  auf- 
genommen war,  veränderte  sie  noch  einmal  die  Reli- 
gion, trat  in  Moskau  zu  der  griechischen  Kirche  über 

^)  Weber  läßt  den  Zar  in  continenti  dem  Menschikow  befehlen, 
sich  ein  Weilchen  zurückzuziehen  und  sie,  nach  gut  bestandener 
Probe,  sogleich  in  den  Palast  des  Zaren  bringen.  Villebois  läßt  den 
Zaren,  am  Schlüsse  seines  Plaudems  mit  Katharina,  dieser  sagen, 
sie  müsse  ihm  beim  Schlafengehen  leuchten,  was  dann  die  Stelle 
des  sultanischen  Schnupftuchs  vertrat.  Am  Morgen  habe  er  ihr  — 
einen  Dukaten  als  Douceur  gegeben,  was  seine  gewöhnliche  Taxe 
gewesen  sei.  —  Bussy- Rabutin  läßt  den  Menschikow  selbst,  bei 
einem  Mahle,  wo  sie  alle  betrunken  gewesen,  Katharina  dem  Zaren 
empfehlen,  worauf  dieser  die  probat  Befundene  bei  sich  behalten 
und  allen  Generalen  bei  Lebensstrafe  verboten  habe,  sich  ferner  bei 
ihr  treffen  zu  lassen.  (Bülau,  5.  Bändchen  S.  24.) 


46  .?•  Katharina  I.  Alexjewna. 

und  nahm  den  Namen  Katharina  an.  Bei  dem  Mangel 
zuverlässiger  Nachrichten  glaubt  man,  daß  die  zarische 
Prinzessin  Katharina  Alexjewna^),  eine  Halbschwester 
Peters  I.,  mit  der  sich  dieser  Monarch  nach  langen 
Mißhelhgkeiten  damals  ausgesöhnt  hatte,  bei  dieser 
feierhchen  Handlung  die  Stelle  einer  Taufmutter  ver- 
treten habe.  So  viel  ist  gewiß,  daß  der  unglückHche 
Zarewitsch  Alexej  Petrowitsch  (wahrlich  ein  sonder- 
bares Geschäft  für  einen  Sohn)  bei  der  Geliebten  seines 
Vaters  und  der  unrechtmäßigen  Stellvertreterin  seiner 
Mutter  den  Platz  eines  Taufvaters  einnehmen  mußte. 
Martha  ward  nun  für  immer  Katharina  Alexjewna  ge- 
nannt. 

Verschiedene  Jahre  hindurch  befand  sich  Katharina 
im  Hofgesinde  Peters  L,  unter  dem  Namen  der  Frau 
seines  Kochs.  Als  solche  gebar  sie  in  den  Jahren  1708 
und  1709  die  Prinzessin  Anna  und  Elisabeth,  von 
denen  die  erste  in  der  Folge  als  vermählte  Herzogin 
von  Holstein,  die  Mutter  Peters  HL,  die  zweite  aber 
Kaiserin  von  Rußland  wurde.  Beide  gab  man  damals 
für  des  Kochs  Töchter  aus.  Aber  bald  nachher  scheint 
man  die  Maske  abgenommen  zu  haben. 

Ungefähr  vom  Jahre  1710  an  wurde  Katharina  am 
Hofe  gnädige  Frau  genannt,  und  unter  diesem  neuen 
Namen  begleitete  sie,  als  gleichsam  zum  Hofstaate  ge- 
hörig, den  Monarchen  überall.  Als  öffenthch  ange- 
kündigte Geliebte  und  nachher  als  erklärte  Kaiserin, 
gebar  Katharina  noch  fünf  Kinder,  nämhch  drei 
Töchter,  Natalia  und  Margaretha,  die  schon  als  kleine 

^)  Katharina  Alexjewna,  Peters  Halbschwester,  war  eine  kluge 
und  unternehmende  Prinzessin.  Wegen  eines  Verdachts,  Anteil  an 
Empörungen  gegen  ihn  genommen  zu  haben,  der  allerdings  ge- 
gründet war,  setzte  sie  Peter  in  Moskau  in  ein  Kloster.  Nach  sieben 
Jahren  kam  sie  heraus  und  lebte  standesmäßig  in  Moskau.  Nach 
Petersburg  wollte  sie  nie  kommen.    H, 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  ^y 

Kinder  verblichen;  noch  eine  Nataha,  die  ihren  Vater 
nur  um  einige  Wochen  überlebte^)  und  mit  ihm  zu- 
gleich begraben  wurde,  und  endlich  noch  zwei  Söhne, 
Paul^)  und  Peter^),  die  eben  auch  als  Kinder  starben. 

Endlich  wurde  durch  eine  feierliche  Handlung  Ka- 
tharinas hohe  Bestimmung  bekannt  gemacht.  Im  Jahre 
1713  erschien  ein  kaiserlicher  Befehl,  durch  welchen 
Katharina  Alexjewna  dem  russischen  Reiche  als  wirk- 
liche Gemahlin  Peters  I.  vorgestellt  wurde.  Die  Recht- 
mäßigkeit der  Geburt  der  Prinzessinnen  Anna  und 
Elisabeth  wurde  dadurch  zugleich  gesetzmäßig  aber 
stillschweigend  bestimmt. 

Katharinas  Verdienste  stiegen  in  den  Augen  des 
Kaisers  immer  höher  und  die  Belohnungen  und  die 
Beweise  seines  Vertrauens  wurden  immer  größer  und 
stärker.  In  den  großen  Unglücksfällen,  die  diesen  Mon- 
archen in  seiner  Familie  betrafen,  die  ihm,  bei  Ab- 
schaffung der  Mißbräuche  und  bei  Einführung  heil- 
samer Einrichtungen,  immer  in  den  Weg  trat,  hatte 
Katharina,  vielleicht  nicht  aus  eigener  Bewegung,  viel- 
leicht auch  nicht  aus  eigenen  Grundsätzen,  aber  doch 
immer  mit  männlichem  Geiste,  ihm  beigestanden.  Von 
seinen  ehemaligen  Verwandten  war  ihm  niemand  übrig 
gebheben  als  ein  Kind:  der  Sohn  seines  Sohnes.  Dieser 
unbedeutende  Prinz,  dessen  Tugenden  und  Fehler  man 
noch  nicht  kannte,  und  der  in  der  Folge,  aber  immer 
noch  als  zarter  Jüngling,  unter  dem  Namen  Peters  IL, 
eine  kurze  Erscheinung  auf  dem  russischen  Throne 
machte,  war  gewiß  nicht  fähig,  den  Kaiser  zu  erfreuen. 
Er  mußte  ihn  vielmehr  traurig  machen,  weil  sein  Da- 
sein das  Andenken  an  seinen  Vater  dem  Monarchen 
ins  Gedächtnis  brachte.  Der  junge  Prinz  hatte  zwar 

^)  Geb.   1718,  gest.  1725.  —  ^)  Geb.  iind  gest.  1717. 
^)  Geb.  1715,  gest.   1719. 


48  3-  tCatharina  I.  Alexjetüna. 

noch  eine  ältere  Schwester,  die  große  Geistesfähig- 
keiten zeigte,  aber  wegen  ihrer  verzehrenden  Kränk- 
lichkeit ihr  nahes  Lebensende  voraussehen  ließ. 
Übrigens  war  sie  in  dem  Falle  ihres  Bruders:  ihr  Da- 
sein konnte  dem  Großvater  nicht  erfreulich  sein.  — 
Der  Kaiser  also,  verlassen  wie  er  war,  schmiegte  sich 
inniger  an  diejenige  an,  die  er  selbst  gewählt  hatte,  die 
er  selbst  gebildet  zu  haben  glaubte,  die  ihm  liebens- 
würdige Kinder  gab,  und  von  welcher  er  die  unein- 
geschränkteste Treue  und  Dankbarkeit  verlangen 
konnte. 

Im  Jahre  1721  legte  der  Kaiser  den  Ghedern  des  neu 
errichteten  geistlichen  Gerichts  einen  Eid  vor,  durch 
welchen  sie  Katharina  zugleich,  so  wie  ihm,  huldigen 
mußten.  Dies  war  die  Vorbereitung  zu  einer  andern 
noch  feierlicheren  Huldigung,  die  im  nächstkommen- 
den Jahre  erfolgte. 

Peter  I.  bestimmte  im  Jahre  1722  Katharina  förm- 
lich zu  seiner  Nachfolgerin  im  Falle  seines  Todes;  ein 
Schritt,  den  er,  als  er  kurz  vor  seinem  Ableben  sich  in 
mancher  Rücksicht  getäuscht  sah,  gewiß  bereute. 

Solange  er  aber  noch  in  seinem  Wahne  war,  tat  er 
alles,  um  Katharina  die  größten  Auszeichnungen  in 
den  Augen  der  Welt  zu  geben.  Er  krönte  sie  sogar  in 
Moskau  im  Anfange  des  Jahres  1724.^) 

Dies  war  der  größte,  aber  auch  der  letzte  Beweis  der 
Achtung,  den  er  der  Kaiserin  erteilte.  In  den  letzten 
Monaten  dieses  Jahres  gab  sie  ihm  jedoch  Anlaß  zur 
Unzufriedenheit.  Katharina  hebte  den  Umgang  mit 
dem  Kammerherrn  Mons.  Jetzt  überraschte  sie  der 
Kaiser  mit  ihm.  Die  Form  der  Unterhaltung  lag  wahr- 
scheinlich außer  den  Grenzen  der  Ehrfurcht,  die  dieser 
schöne  Mann  seiner  Gebieterin  schuldig  war,  denn 

^)  Am  7.  Mai 


Katharina  Alexeiewna 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  4g 

sonst  würde  es  dem  Monarchen  unmöglich  haben  auf- 
fallen können,  den  dienstleistenden  Kammerherrn  im 
Zimmer  seiner  Gemahlin  zu  finden.  Mons  wurde  ent- 
hauptet und  die  Kaiserin  mußte  die  Hinrichtung  mit 
ansehen.  Sie  fiel  in  Ohnmacht.  Die  Wut  des  Monarchen 
gegen  Katharina  überschritt  die  Achtung,  die  er, 
wenigstens  in  den  Augen  des  Hofes,  seiner  Gemahhn 
schuldig  war ;  alle  ihre  Vertrauten  wurden  entfernt  und 
durch  Aufpasser  ersetzt,  auf  die  er  sich  verlassen 
konnte ;  Menschikow  war  schon  seit  einiger  Zeit  wegen 
entdeckter  Unrichtigkeiten  in  verschiedenen  Teilen  der 
Staatsverwaltung  in  Ungnade  gefaUen;  Peter  hatte 
öftere  Anfälle  von  einer  Harnverstopfung,  die  ihm  die 
heftigsten  Schmerzen  verursachte;  die  Krankheit  ent- 
schied sich  und  behielt  ihren  Charakter;  seine  körper- 
lichen Leiden  wurden  nur  durch  die  fürchterlichsten 
Ausbrüche  von  Unzufriedenheit  unterbrochen. 

Diese  vereinigten  Umstände  machten  Katharinas 
Lage  schreckhch  und  die  Vorstellung  der  Zukunft 
mußte  für  sie  noch  trauriger  sein,  denn  nach  den  hin- 
geworfenen Äußerungen  des  Kaisers  zu  urteilen,  konnte 
man  eine  Veränderung  in  der  angeordneten  Thronfolge 
zum  Nachteil  der  Kaiserin  erwarten.  Einem  solchen 
Unfall  mußte  man  zuvorkommen.  Hierzu  war  Menschi- 
kows  Unterstützung  notwendig.  Aber  um  sie  wirksam 
zu  machen,  mußte  er  erst  von  dem  Kaiser  wieder  zu 
Gnaden  angenommen  werden.  Dieses  schwere  Geschäft 
übernahm  Jaguschinski,  der  gern  wieder  an  der  Spitze 
des  Staates  einen  Mann  sehen  wollte,  der  durch  seinen 
Rang,  als  Erster  im  Reiche,  durch  seine  bekannten 
Verbindungen  mit  der  Kaiserin  und  durch  seine  großen 
Fähigkeiten  dazu  geeignet  war,  die  etwa  sich  zeigenden 
Parteien  zu  vereinigen,  oder  ihnen  die  Stirn  zu  bieten. 
Jaguschinski  machte  seine  Vorstellungen  mit  so  viel 

Russische  Günstlinge.  a 


50  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

Schonung  und  Klugheit,  daß  der  Monarch  sich  sehr 
bald  dazu  verstand,  sein  Vertrauen,  wenigstens  dem 
Anscheine  nach,  dem  Fürsten  wieder  zu  schenken.  So- 
bald alles  wieder  im  vorigen  Gleise  war,  arbeiteten 
Gemahlin  und  Günsthng  mit  verdoppelten  Kräften  an 
der  Befestigung  ihres  Schicksals.  Natürlicherweise 
philosophierten  sie  so:  v/ird  der  Monarch,  der  seiner 
Gemahlin  durch  die  Hinrichtung  des  Günstlings  das 
größte  Leid  zugefügt  hat,  wieder  hergestellt,  so  ist  es 
möghch,  daß  er  die  Thronfolge  verändert;  Katharina 
geht  vielleicht  in  ihr  voriges  Nichts  zurück,  oder  es 
wird  ihr  doch  die  Hoffnung  benommen,  dereinst  Selbst- 
herrscherin zu  werden,  und  einen  freien  Lebe  swandel 
nach  ihrem  Wunsch  zu  führen;  Menschikow  auf  seiner 
Seite  hat  das  nämliche  zu  erwarten,  wird  wahrschein- 
lich großer  Verantwortlichkeit  ausgesetzt  oder  viel- 
leicht gar  vernichtet.  Stirbt  hingegen  Peter,  ehe  er  die 
Thronfolge  anders  bestimmen  kann,  so  regiert  nach 
seinem  Tode  Katharina  oder  vielmehr  Menschikow  mit 
unumschränkter  Gewalt  in  ihrem  Namen.  Überdies 
sind  seine  körperlichen  Leiden  fast  größer,  als  er  sie 
mit  menschhchen  Kräften  ertragen  kann;  und  es  ist 
also  wahrscheinlich,  daß  man  durch  die  Abkürzung 
seines  Lebens  nur  seine  Krankheit  eher  endigt,  die  von 
der  Beschaffenheit  ist,  daß  sie  vielleicht  nie  die  Wieder- 
herstellung seiner  Gesundheit  gestattet.  Doch,  dem  sei 
wie  ihm  wolle,  Peter  L,  ohne  den  seine  Nachfolger  nicht 
das  entscheidende  Gewicht  in  den  Wagschalen  Europas 
haben  würden,  das  sie  haben;  ohne  den  seine  Nation 
nicht  auf  der  hohen  Stufe  der  Industrie  stehen  würde, 
auf  welcher  sie  steht,  ohne  den  aber  auch  mancher  be- 
nachbarte Staat  zu  seiner  Zeit  sowohl,  als  in  der  Folge, 
noch  in  seinem  ganzen  Umfange  sein  würde,  was  er  war, 
dieser  große  Monarch,  der  die  meisten  seiner  gekrönten 


3-  Katharina  I.  Alexjewna.  51 

Mitbrüder  weit  hinter  sich  zurückließ,  weil  er  Schwierig- 
keiten überwand,  die  sie  kaum  nennen  gehört  hatten, 
dieser  außerordenthche  Mann  starb  am  28.  Januar 
1725  in  dem  ersten  kaiserlichen  Winterpalais  in  der 
MiUionsstraße,  wo  er  auch  in  den  letzten  Jahren  gelebt 
hatte.  Dieses  Palais  steht  noch.  Es  war  unter  der  Re- 
gierung der  Kaiserin  Katharina  II.  die  Wohnung  aller 
zu  dem  Institut  der  russischen  Tanz-  oder  Ballettschule 
gehörigen  Personen.  Jetzt  ist  es  Kaserne  der  Garde 
Preobratschensky.  Das  Zimmer,  worin  der  große  Mon- 
arch starb,  und  das  man  in  eine  Kapelle  hätte  um- 
schaffen  sollen,  hat  eine  ungewisse  aber  immer  gemeine 
Bestimmung.  Man  sieht  noch  die  Fenster  seines  Zim- 
mers an  dem  kleinen  Kanal,  der  aus  der  Newa  nach  der 
Moika  führt.  Vom  Theater  der  Eremitage  oder  von  der 
Newa  sind  es  das  dritte  und  vierte  im  Erdgeschoß. 

Katharina,  Menschikow  und  Jaguschinski,  der 
wenigstens  jetzt  ihr  beiderseitiger  Vertrauter  war, 
hielten  für  nötig,  den  Tod  des  Kaisers  so  lange  geheim 
zu  halten,  bis  sie  durch  nötige  Anstalten  die  Thron- 
folge in  der  Person  der  Kaiserin  festgestellt  hatten.^) 
Da  Peters  letzte  Gesinnungen  wegen  Veränderung  in 
der  Thronfolge  wohl  unter  der  Hand  mochten  bekannt 
geworden  sein,  so  brachten  diese  drei  Personen  den  be- 
rühmten Theophanes,  der  Peter  bei  Abschaffung  vieler 
Mißbräuche  treulich  geholfen  hatte,  dadurch  auf  ihre 
Seite,  daß  sie  ihm  sagten,  Katharinas  Thronbesteigung 
sei  nötig,  um  Blutvergießen  und  Wirkungen  des  Partei- 
geistes zu  verhindern.  Dieser  Priester  beschwur  vor 
dem  versammelten  Volke  und  den  Truppen,  daß  ihm 
Peter  I.  auf  seinem  Todbette  gesagt  habe :  Katharina 
allein  sei  würdig,  ihm  in  der  Regierung  zu  folgen.  Hier- 

^)  Peter  starb  im  Beisein  der  Kirchenfürsten  und  des  Hofadels, 
daher  ist  die  hier  geäußerte  Annahme  unrichtig. 

4* 


52  5.  Katharina  I.  Alexjewna. 

auf  rief  man  diese  Prinzessin  zur  Kaiserin  und  Selbst- 
herrscherin aus,  und  der  Eid  der  Treue  wurde  ihr  aufs 
neue  geleistet.  Katharina  bestieg  also  den  Kaiserthron 
von  Rußland,  nicht  aus  Erbrecht,  auch  nicht  eigent- 
lich nach  dem  Willen  ihres  Gemahls,  sondern  durch 
Intrigen  und  Usurpanz. 

Zwei  Monate  nachher  legte  sie,  zum  äußeren  Zeichen 
der  Souveränität,  den  Andreas-Orden  an.  Bis  dahin 
war  sie  die  einzige  Dame  gewesen,  die  den  von  Peter  I. 
ihr  zu  Ehren  gestifteten  Katharina-Orden')  an  einem 
weißen  Bande  getragen  hatte.  Jetzt  erteilte  sie  ihn 
ihrer  Tochter  Anna,  die  sie  mit  dem  Herzog  von  Hol- 
stein, Karl  Friedrich,  unter  großen  Vorteilen  für  das 
neue  Ehepaar,  vermählte. 

Ohne  uns  übrigens  auf  eine  weitläufige  Erzählung 
der  Regierungsgeschichte  Katharinas  einzulassen, 
wollen  wir  nur  bemerken,  daß  sie  diese  Staatsverwal- 
tung, unter  Menschikows  Anleitung,  anfänglich  mit 
ziemhcher  Klugheit  führte.  Man  arbeitete  wenigstens 
einige  Zeit  hindurch  größtenteils  nach  den  Plänen  fort, 
die  unter  Peters  Regierung  entworfen  und  befolgt  wor- 
den waren.  Allein  die  natürliche  Nachlässigkeit  dieser 
Fürstin  war  zu  groß.  Sie  bekümmerte  sich  endlich  um 
nichts  und  überließ  alles  ihren  Günstlingen.  Die  Nation 
bemerkte  den  Unterschied,  und  so  wie  die  Grundsätze 
in  der  Staatsverwaltung  sich  änderten,  so  änderte  sich 
auch  die  Zufriedenheit  des  Volkes,  die  am  Ende  von 
Katharinas  Regierung  oft  in  Murren  ausbrach. 

Das  Privatleben  dieser  Fürstin  war  äußerst  unregel- 

^)  Peter  stiftete  den  Katharina-Orden  im  Jahre  1714,  zum  An- 
denken der  schönen  Handlung  Katharinas  in  der  kritischen  Lage 
am  Pruth.  Deswegen  gab  ihm  auch  der  Kaiser  die  Umschrift:  aus 
Liebe  imd  Treue  fürs  Vaterland.  Jetzt,  wir  wissen  aber  nicht  seit 
wann,  wird  er  an  einem  roten  Bande  mit  silberner  Einfassung  ge- 
tragen; ehemals  hatte  er  ein  weißes  Band.    H. 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  53 

mäßig.  Sie  beging  große  Ausschweifungen,  besonders 
im  Trinken.  Man  erzählt,  ^)  sie  habe  vorzüghch  eine  Art 
gemeines  Backwerk,  das  man  Kringel  oder  Brezel 
nennt,  in  starkem  ungarischen  Wein  getaucht  gegessen. 
Die  nächste  Wirkung  davon  war  Rausch ;  hingegen  die 
entfernteste  Folge  einer  so  ungewöhnlichen  Nahrung 
war  der  Anfang  der  Wassersucht.  Da  indessen  Katha- 
rina sich  immer  noch  in  den  Jahren  des  reifen  mensch- 
lichen Alters  befand,  so  hätte  durch  Vorsicht  in  der 
Lebensweise  und  durch  zweckmäßige  Arzneimittel 
dieses  Übel  gleich  im  Entstehen  sehr  leicht  können  ver- 
tilgt werden.  Dies  geschah  aber  nicht  ganz  so,  wie  es 
hätte  sein  sollen.  Die  Kaiserin  brauchte  zwar  Arzneien, 
aber  nicht  in  der  gehörigen  Ordnung.  Sie  änderte  auch 
auf  kurze  Zeit  ihre  Lebensart,  aber  sie  überschritt  doch 
sehr  bald  und  oft  die  diätetischen  Regeln,  die  ihr  die 
Ärzte  vorschrieben.  Demungeachtet  hätte  der  Zustand 
der  Monarchin,  die  eine  sehr  dauerhafte  Leibes- 
beschaffenheit hatte,  sich  nicht  mit  solcher  Geschwin- 
digkeit verschlimmern  sollen,  als  es  wirkhch  der  Fall 
war.  Die  völlige  Zerrüttung  ihres  ganzen  körperhchen 
Systems  wurde  immer  bemerkbarer. 

Der  Grund  so  schneller  Fortschritte  dieser  Krank- 
heit konnte  nicht  natürlich  sein.  Auch  glaubten  im 
Geheim  die  Besserunterrichteten  am  Hofe,  die  künst- 
liche Ursache  dieser  gänzMchen  Auflösung  entdeckt  lu 
haben.  Wenn  es  wahr  ist,  daß  die  kostbaren  Tags 
Peters  L  dem  Egoismus,  der  Wollust,  der  Habsucht 
und  der  Herrschbegierde  schändlicherweise  aufgeopfert 
wurden,  so  kann  man  auch  glauben,  daß  das  Leben 
Katharinas,  aus  Gründen,  die  wir  gleich  anzeigen  wer- 
den, ebenfalls  abgekürzt  wurde. 

^)  Büsching  sagt  es,  der  es  in  Petersburg  von  Personen  gehört 
hatte,  welche  Zeitgenossen  der  Kaiserin  Katharina  gewesen  waiea. 


54  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

Seit  dem  Jahre  1726  bemerkte  der  Fürst  Menschi- 
kow,  daß  bei  der  noch  lange  fortdauernden  Regierung 
der  Kaiserin  Katharina  er  sein  ganzes  Ansehen  ver- 
lieren würde.  Diese  Fürstin  zeigte  viel  Anhänglichkeit 
an  ihre  Kinder,  besonders  liebte  sie  die  Herzogin  von 
Holstein  und  deren  Gemahl.  Es  ging  schon  so  weit,  daß 
sie  sogar  in  Regierungsangelegenheiten  diese  beiden 
Personen  um  Rat  fragte  und  manche  Anordnungen  mit 
ihnen  machte,  ohne  Menschikow  etwas  davon  zu  sagen. 
Solche  Eingriffe  schienen  diesem  ein  Verbrechen  zu 
sein.  Er  fürchtete  den  wachsenden  Einfluß  der  Familie 
Holstein,  der  endlich  seinen  Fall  nach  sich  ziehen 
könnte  und  wollte  diesem  zuvorkommen.  Eine  Re- 
gentenveränderung konnte  ihm  helfen.  Nach  Katha- 
rinas Tode  sollte  Peter  II.  den  russischen  Thron  be- 
steigen. Diesen  Zeitpunkt  wollte  er  herbeiführen.  Unter 
einem  unmündigen  Prinzen  konnte  Menschikow  allein 
herrschen.  Er  beschloß  also  den  Tod  der  Kaiserin  zu 
beschleunigen. 

Dies  alles  ist  die  Hypothese,  aber  sie  ist  nicht  von 
aller  Wahrscheinlichkeit  entfernt.  Hierzu  kommt  noch 
eine  Äußerung^)  Menschikows,  die  er  in  dem  Augen- 
bhck  machte,  als  er  abreiste,  um  an  den  Ort  seiner  Ver- 
bannung zu  gehen:  ,,Ich  habe",  sagte  er,  ,, große  Ver- 
brechen begangen,  aber  kommt  es  dem  jungen  Kaiser 

^)  Die  bekannte  Ritterin  d'Eon  war  in  den  fünfziger  Jahren 
französischer  I.egationssekretär  in  Petersburg.  Sie  sagt  in  ihren 
Loisirs:  Menschikow  habe  bei  seiner  Abreise  ausgerufen:  ,,j'ai  fait 
de  grands  crimes,  mais  est  ce  au  Czar  ä  m'en  punir".  Man  hat  Iceinen 
Grund,  an  dieser  Nachricht  zu  zweifeln,  die  allerdings  Anlaß  zum 
Nachdenken  gibt.  Eon  kam  nach  Petersburg,  da  Peter  und  Katharina 
noch  nicht  dreißig  Jahre  tot  waren,  lebte  in  der  besten  Gesellschaft, 
welche  die  richtigsten  Aufschlüsse  geben  konnte,  und  glaubte  gewiß 
nicht  ungeprüft  alles,  was  gesagt  wurde.    H. 

(D'Eon  [1728 — 1810]  war  im  Jahre  1757  bei  der  französischen 
Botschaft  in  St.  Petersburg.) 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  55 

zu,  mich  dafür  zu  strafen?"  Könnte  man  diese  Worte 
nicht  so  auslegen,  daß  er  an  dem  Tode  der  Kaiserin 
schuld  gewesen  sei  und  daß  Peter  II.  ihm  deswegen 
einige  Verbindlichkeit  haben  sollte? 

Es  ist  also  glaubhch,  daß  Katharina  die  Strafe  der 
Rache  traf,,  und  zwar  durch  die  verbrecherische  Hand 
desjenigen  selbst,  der  zwei  Jahre  vorher  ihr  Mitschul- 
diger gewesen  war. 

Die  Art,  mit  welcher  Menschikow  sein  neues  Ver- 
brechen ausführte,  soll  folgende  gewesen  sein. 

Die  Kaiserin  hatte  eine  Gewohnheit,  die  eine  Folge 
ihrer  schlechten  Erziehung  war.  Jedem  von  den  Herren 
des  Hofes,  der  des  Nachmittags  zu  ihr  in  die  kleinen 
Gesellschaften  kam,  klopfte  sie  auf  die  Taschen  und 
verlangte  von  ihm  Bonbons.  Dies  tat  sie  auch  vorzüg- 
lich mit  Menschikow,  der  immer,  dem  äußeren  An- 
schein nach,  in  großem  Ansehen  stand  und  der  täglich 
Gesellschafter  der  kaiserlichen  Familie  war.  Eines 
Tages  nun,  sagt  man,  gab  er  der  Monarchin,  die  wieder 
ihren  gewöhnlichen  Tribut  von  Näschereien  verlangte, 
überzuckerte  und  vergiftete  Feigen.  Das  Gift  war 
künstlich.  Es  wirkte  langsam,  aber  zuverlässig.^)  Am 
16.  Mai  neuen  Stils  1727  behauptete  man,  es  habe  sich 
ein  Lungengeschwür  geöffnet  und  am  17.  abends  um 
acht  Uhr  starb  Katharina  I.  im  zweiundvierzigsten  Jahr 
ihres  Lebens  in  dem  nämlichen  Hause,  in  welchem 
Peter  I.  gestorben  war,  aber  nicht  in  dem  nämlichen 
Zimmer.  Die  Kaiserin  hatte  von  jeher  in  dem  Haupt- 
stockwerke, über  dem  Kaiser,  gewohnt. 

Die  Kaiserin  liegt  in  St.  Petersburg  in  der  Festungs- 
kirche neben  ihrem  Gemahl  begraben. 

Es  ist  noch  übrig,  von  den  Vorzügen  und  Eigen- 

^)  Eine  der  vielen,  auf  keinerlei  Beweise  gestützte  Annahmen, 
wie  sie  der  Verfasser  liebt. 


56  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

Schäften  dieser  berühmten  Fürstin  zu  sprechen,  wovon 
übrigens  in  diesem  kurzen  Entwürfe  ihres  Lebens  schon 
manches  gesagt  worden  ist. 

Der  Ruf  ihrer  vorgebhch  großen  Schönheit  rührte 
wahrscheinHch  nur  von  dem  Eindrucke  her,  den  sie 
auf  den  Grafen  Scheremet jew,  auf  den  Fürsten  Menschi- 
kow  und  auf  den  Kaiser  Peter  I.  von  Rußland  gemacht 
hatte.  Es  ist  aber  noch  sehr  die  Frage,  ob  der  größere 
Teil  des  männlichen  Geschlechts  dem  Urteile  dieser  drei 
Männer  würde  Beifall  gegeben  haben.  Wahrscheinlich 
ist  sogar,  daß  der  allgemeine  Ausspruch  nicht  günstig 
für  Katharina  würde  gewesen  sein.  Sie  war  wohl  nicht 
die  Schöne,  die  allen  gefällt.  Denn  nach  den  Bildern 
zu  urteilen,  die  man  noch  von  dieser  Prinzessin  in  den 
kaiserhchen  Schlössern  sieht,  und  auf  denen  sie  viel- 
leicht noch  geschmeichelt  ist,  war  sie  weit  von  einem 
Ideale  weiblicher  Schönheit  entfernt.  Lebhafte  Augen 
und  ein  kolossaler  Busen  sind  nicht  hinreichend,  dieses 
Bild  zu  vollenden.^) 

Was  ihre  geistigen  Eigenschaften  betrifft,  so  rühmt 
man  besonders  ihren  Verstand,  ihre  Gefälligkeit  und 
die  Beharrhchkeit,  mit  der  sie  alles  ausführte.  Ihren 
Verstand  zeigte  sie  vorzüglich  im  Jahre  171 1  am  Pruth. 
In  der  unglückHchen  Lage,  worin  sich  Peter  damals 
mit  seiner  Armee  befand,  war  dieser  Monarch  der  Ver- 

^)  Die  Markgräfin  von  Ba3T:euth  schildert  in  ihren  mit  „mehr 
Geist  als  Gutherzigkeit  und  Wahrheitsliebe"  geschriebenen  Denk- 
würdigkeiten die  junge  Katharina:  „Die  Zarin  war  klein  und  breit, 
braun  (brünett),  ohne  allen  Anstand  und  Ansehen.  Man  brauchte 
sie  nur  zu  sehen,  um  ihre  niedere  Herkunft  zu  erkennen."  Dieses 
Urteil  ist  zweifellos  durch  die  grenzenlose  Verachtung  der  stolzen 
königlichen  Prinzessin  gegen  einen  Emporkömmling  beeinflußt. 
Außerdem  waren  die  Moskowitischen  Herrschatten  für  die  Regenten 
Westeuropas  etwa  das,  was  zwei  Jahrhunderte  später  Schah  Nasr 
Eddin  von  Persien  für  die  Nachkommen  der  Gastfreunde  Peters 
des  Großen  und  seiner  Familie  werden  sollte,  eine  exotische  Merk- 
würdigkeit, über  die  man  im  stillen  lachend  die  Achseln  zuckte. 


3-  Katharina  I.  Alexjewna.  57 

zweiflung  nahe.  Katharina,  Ostermann  und  Scha- 
phirow  überiegten,  was  zu  tun  sei,  und  hielten  dafür, 
daß  man  suchen  müsse,  den  Wesir-Assem  oder,  wie 
wir  ihn  gewöhnhch  nennen,  den  Großwesir  zu  be- 
stechen. Katharina  gab  alle  ihre  Juwelen  her  und 
borgte  alles  bare  Geld  zusammen,  das  sie  im  Lager 
gegen  ihre  Garantie  auftreiben  konnte  und  das  nur 
irgend  entbehrhch  war.  Erst,  nachdem  das  Mittel  ge- 
lungen und  Peter  auf  diese  Art  vom  Untergange  ge- 
rettet worden  war,  entdeckte  sie,  was  sie  getan  hatte, 
dem  Kaiser,  der  ihr  dafür  ewig  dankbar  zu  sein  ver- 
sprach. ^) 

Auch  in  den  anderen  merkwürdigen  Ereignissen  des 
tatenvollen  Lebens  dieses  Monarchen  gab  sie  ihm  Be- 
weise ihres  Verstandes,  wovon  die  weitläufigere  Aus- 
einandersetzung in  die  Geschichte  Peters  L  gehört. 

Schade  war  es,  daß  die  nicht  gemeinen  Fähigkeiten 
der  Kaiserin  so  sehr  vernachlässigt  worden  waren. 
Katharina  konnte  nicht  einmal  schreiben.  Die  Prin- 
zessin Elisabeth  mußte  allemal  den  Namen  ihrer  Mutter 
unterzeichnen.  Sie  sprach  zwar  Lettisch,  Polnisch, 
Russisch,  Deutsch  und  Holländisch,  aber  keine  Sprache 
gut  und  die  wenigsten  kaum  erträghch. 

Sobald  übrigens  Katharina  in  der  Geschichte  wichtig 
zu  werden  anfängt,  scheint  sie  sogleich,  vermöge  ihrer 
Klugheit,  ihre  wahren  Gesinnungen  unter  der  Will- 
fährigkeit, die  Absichten  des  Kaisers  zu  befördern  und 
unter  dem  Beifall  verborgen  zu  haben,  womit  sie  alle 
seine  Handlungen  begleitete.  Auf  diese  Art  hatte  sie 
nicht  nur  ihren  Willen  ganz  unterdrückt  und  Peters 
Gesinnungen  zu  ihrer  Vorschrift  genommen,  sondern 

1)  Eine  Anekdote,  von  der  zuverlässige  Quellen  nichts  wissen. 
Sie  zeigt  aber  von  der  Verehrung,  die  man  in  vielen  russischen 
Kreisen  der  Kaiserin  weihte. 


58  3-  Katharina  I.  Alexjewna. 

sich  auch,  ihres  Verstandes  ungeachtet,  ganz  unmerk- 
lich daran  gewöhnt,  nie  nach  eigenen,  sondern  immer 
nach  erborgten  Maximen  zu  handeln.  Sogar  während 
ihrer  Regierung,  dem  einzigen  Zeitpunkte  ihres  Lebens, 
in  welchem  sie  alles  nach  ihrem  freien  Willen  leiten 
konnte,  ließ  sie  sich  erst  von  Menscliikow  und  dann  von 
ihren  Kindern  und  deren  Anhängern  regieren. 

Man  sieht  aus  diesem  allen,  daß  es  schwer  ist,  den 
eigentlichen  Charakter  dieser  Prinzessin  zu  bestimmen. 
Wenn  man  jedoch  überlegt,  daß  es  ihr  bei  ihrem  ge- 
rühmten Verstände  und  bei  der  Gewalt,  die  sie  über 
den  Monarchen  hatte,  leicht  sein  mußte,  Augenblicke 
zu  finden,  in  welchen  sie  mehreren  seiner  Handlungen 
eine  wohltätigere  Wendung  geben  konnte;  und  wenn 
man  bedenkt,  daß  sie  im  Gegenteil  oft  in  Augenblicken 
der  Übereilung  den  Zorn  des  Kaisers  eher  anfachte, 
als  dämpfte,  so  kann  man  sich  nicht  enthalten,  ihr 
wenigstens  Unempfindlichkeit  zuzutrauen.  Am  deut- 
lichsten zeigte  sich  diese  durch  ihr  weniges  Mitleid  bei 
der  üblen  Behandlung  der  Eudoxia,  deren  trauriges 
Schicksal  Katharina,  nach  Peters  Tode,  sogar  eher  ver- 
schlimmerte, als  leidhcher  machte;  durch  ihre  straf- 
bare Gleichgültigkeit  bei  dem  Verfahren  Peters  I.  mit 
seinem  unglückhchen  Sohne,  ein  Punkt  in  dem  Leben 
dieses  großen  Kaisers,  der  sehr  schwer,  vielleicht  nie 
verteidigt  werden  kann ;  und  endlich  durch  ihre  wenige 
Liebe  gegen  ihre  Familie,  indem  sie,  selbst  nach  ihrer 
Vermählung  mit  dem  Kaiser,  sich  nicht  um  ihre  Ver- 
wandten bekümmerte,  sondern  durch  sie  erst  an  ihre 
Pflichten  erinnert  werden  mußte. 

Durch  eine  natürliche  Verknüpfung  der  Ideen  hätte 
eine  Person,  die  aus  dem  Nichts  hervorgegangen  und 
ihre  Entstehung  gewiß  nicht  vergessen  konnte,  auch 
an  ihre  Blutsfreunde  denken  sollen,  die,  wie  sie,  im 


j.  Katharina  I.  Alexjewna.  59 

Staube  erzeugt  und  noch  niedergedrückt  in  demselben 
lebten.  Sie  tat  es  nicht  und  mußte  erst  von  ihren  Ver- 
wandten dazu  aufgefordert  werden. 

Es  ist  uns  über  diesen  Umstand  folgende  Anekdote 
zugekommen,  die  wir  von  der  Handschrift  eines  sehr 
unterrichteten  Freundes  wörtlich  abgeschrieben  haben. 

,,Als  das  rigaische  kaiserliche  Landgericht  das  Gut 
Lennewarden  an  die  Anrepsche  Familie  überließ  und 
eben  das  Lennewardsche  Wackenbuch^)  durchge- 
gangen worden  war,  hat  der  Herr  von  Scheelen,  der 
lange  Jahre  bei  dem  Landrat  und  Präsidenten  von 
Wolfenschild  sich  aufgehalten,  als  sie  auf  das  Gesinde 
unter  Lennewarden  gekommen,  folgendes  mit  Zuver- 
lässigkeit erzählt: 

Als  der  hochselige  Kaiser  Peter  L  nach  der  Erobe- 
rung Li  vlands  unterschiedenemale  Reisen  nach  Deutsch- 
land in  Gesellschaft  der  Katharina  unternahm,  ge- 
schah es,  daß  sie  einmal  in  Riga  in  der  Zitadelle  dem 
griechischen  Gottesdienste  beiwohnte.  Beim  Weg- 
gehen aus  der  Kirche  näherte  sich  derselben  eine  be- 
jahrte Frauensperson  mit  verschiedenen  Kindern,  2) 
die  aus  dem  Lennewardschen  Gesinde  gewesen,  und 
redete  mit  der  Kaiserin.  Diese  gab  derselben  zu  er- 
kennen, sie  sollte  sich  nur  ganz  ruhig  nach  Hause  be- 
geben, sie  würde  schon  ihrer  gedenken.  Nachdem  die 
Kaiserin  aus  Deutschland  in  Petersburg  retournieret, 
kam  von  daher  eine  verschlossene  Order  an  den  da- 
mahgen  Generalgouverneur  von  Livland  und  General- 
feldmarschall, Scheremetjew,  daß  er  die  in  dem  Lenne- 
wardschen.Gesinde  befindlichen  Leute,  die  aus  Litauen 

^)  Wackenbuch  ist  das  Verzeichnis  alles  dessen,  was  zu  jedem 
Gute  gehört.    H. 

^)  Diese  Kinder  waren  wohl  die  Enkel  der  alten  Frau,  nämlich 
die  Kinder  ihres  Sohnes  und  ihrer  Töchter,  Neffen  und  Nichten  der 
Kaiserin  Katharina  I.    H. 


6o  3.  Katharina  I.  Alexjewna. 

sich  daselbst  gesetzt,  unverzüglich  auf  die  honorabelste 
Weise  von  Riga  nach  Petersburg  transportieren  sollte. 
Der  Herr  von  Wolfenschild  ^)  verfügt  auf  erhaltene 
Order  sich  selbst  nach  Riga  und  will  wegen  der  aus 
seinem  Gesinde  genommenen  Leute  Vorstellungen  tun. 
Er  ist  aber  bald  befriedigt  worden.  Die  nach  St.  Peters- 
burg gebrachte  alte  Frau,  als  die  Mutter  der  Kaiserin, 
hat  sich  vom  Hofe  ein  stilles  Privatleben  ausgebeten. 
Die  Kinder,  die  sie  bei  sich  hatte,  wurden  auf  Schulen 
gebracht,  um  doch  etwas  zu  lernen.  Ihr  Sohn  und  ihre 
Töchter  wurden  in  der  Folge  die  Stifter  der  noch  jetzt 
in  Rußland  bekannten  und  in  den  Grafenstand  er- 
hobenen Famihen  Skawronski,  Henrikow  und  Jefi- 
mowsky.  —  Die  Bauern  in  Lennewarden  wissen  es 
recht  gut,  daß  Katharina  bei  ihnen  gewesen  ist  und 
bilden  sich  viel  darauf  ein,  daß  mancher  von  ihnen  mit 
der  kaiserhchen  Familie  verwandt  ist.^)  —  Diese  Anek- 
dote ist  auf  diese  Art  von  dem  Herrn  von  Scheelen 
selbst  aufgesetzt  worden." 

Wohin  die  Mutter  Katharinas  sich  gewendet  und  wo 
sie  ihre  übrigen  Lebenstage  zugebracht  hat,  wissen  wir 
nicht.  Ebensowenig  ist  uns  ihr  Todesjahr  bekannt.  Da 
wir  nach  dem  Tode  Peters  L  nichts  von  ihr  bemerkt 
finden,  so  ist  es  wahrscheinhch,  daß  sie  bei  Lebzeiten 
dieses  Monarchen  gestorben  sei. 

Solange  Peter  I.  lebte,  durften  Katharinas  Ver- 
wandten nicht  an  den  Hof  kommen. 

^)  Wahrscheinlich  gehörte  also  ehemals  Lennewarden  dem  Herrn 
von  Wolfenschild.    H. 

*)  Eine  andere  Lesart  bei  Crusenstolpe  I.  S.  55  ff. 


4-  Peter  Schaphirow.  6l 

4.  Peter  Schaphirow. 

Hätte  Peter  I.  auch  nicht  so  unendlich  viel  Großes 
bewirkt,  als  er  wirklich  getan  hat,  so  verdiente  er  doch 
schon  deswegen  die  Bewunderung  seiner  Zeit  und  der 
Nachwelt,  daß  er  den  feinen  Takt  hatte,  aus  allen 
Ständen,  und  selbst  aus  den  Niedrigsten  im  Volke,  die 
Klügsten  und  die  Brauchbarsten  auszusuchen  und 
ihnen  diejenige  Bestimmung  zu  geben,  in  welcher  sie 
den  wesentlichsten  Nutzen  stiften  konnten. 

Doch,  um  das  richtige  Gemälde  dieses  außerordent- 
lichen Monarchen  zu  vollenden,  müssen  seine  Bio- 
graphen auch  seine  Schwächen  nicht  vergessen.  Unter 
diese  gehört  besonders  die  Übereilung.  Aus  ihr  ent- 
sprang zuweilen  der  Undank ;  ein  Fehler,  der  nur  zu  oft 
bei  Fürsten  gefunden  wird,  die  sich  den  ersten  Regun- 
gen des  Zornes  überlassen.  In  dieser  heftigen  Stimmung 
bemächtigen  sich  ihrer  die  aufmerksamen  Bösewichter, 
die  sich  in  ihrer  Umgebung  befinden  und  welche  Privat- 
zwist sehr  geschickt  in  Staatsverbrechen  umzuschaffen 
wissen.  So  geschieht  es  denn,  daß  die  besten  Fürsten, 
von  den  Launen  des  Augenblicks  bemeistert,  die  Dank- 
barkeit vergessen,  die  sie  ihren  treuesten  Dienern 
schuldig  sind  und  auf  diese  Art  ihren  Ruhm  in  dem 
Verstände  der  Gegenwart  und  der  Zukunft  kompro- 
mittieren. 

Peter  Schaphirow  war  ursprünglich  ein  Jude.  Sein 
Vaterland  wissen  wir  nicht  eigentlich;  doch  war  er 
wahrscheinlich  aus  Holland,  wo  ihn  auch  Peter  I.  fand 
und  ihn  von  dort  nach  Rußland  brachte.  Hier  wurde  er 
in  der  griechischen  Religion  getauft ;  der  Monarch  ver- 
trat Taufvaterstelle  bei  dieser  feierlichen  Handlung 
und  gab  ihm  seinen  Taufnamen  Peter.  Wahrscheinlich 
erhielt  er  auch  bei  dieser  Gelegenheit,  wir  wissen  nicht, 


02  4-  Pßiß^  Schaphirow. 

durch  welche  Veranlassung,  den  Familiennamen 
Schaphirow. 

Gleich  anfänglich  bekam  der  junge  Proselyt  eine  un- 
bedeutende Stelle  in  der  Reichskanzlei,  wohin  ihn  der 
Monarch  nur  setzte,  um  zu  sehen,  ob  er  sich  nicht  in 
dessen  Fähigkeiten  geirrt  hatte.  Der  Erfolg  entsprach 
Peters  Erwartung.  Schaphirow  blieb  nicht  lange  auf 
diesem  Platze.  Sein  richtiger  und  durchdringender 
Überblick,  seine  genaue  Beurteilungskraft  und  seine 
große  Lebhaftigkeit  in  Ausrichtung  der  ihm  erteilten 
Aufträge  halfen  ihm  bald  zu  großen  Ehrenstellen,  i) 
Im  Jahre  171 1  besorgte  er  im  russischen  Ministerium 
die  deutschen  Angelegenheiten,  für  welche  Peter  I., 
der  selbst  gern  deutscher  Reichsfürst  werden  wollte, 
das  größte  Interesse  zeigte.  In  eben  diesem  Jahre  171 1 
war  er  als  Vizekanzler  mit  dem  Kaiser  am  Pruth. 
Nachdem  Katharina,  Schaphirow  und  Ostermann  über 
die  Rettungsmittel  aus  der  fürchterlichen  Lage  einig 
geworden  waren  und  dieselben  schon  zusammenge- 
bracht hatten,  gingen  diese  beiden  großen  Minister  in 
das  türkische  Lager  zu  dem  Großvezir,  brachten  ihm 
unermeßliche  Geschenke  und  vollendeten  die  Rettung 
durch  ihre  Überredungskunst.  Gegen  Abtretung  der 
Stadt  Asow  durfte  nun  die  russische  Armee  abziehen. 
Schaphirow  mußte  als  Geisel  mit  nach  Konstantinopel 
gehen,  bis  der  Traktat  erfüllt  war.  Da  er  sich  daselbst 
in  einer  Art  von  Gefangenschaft  ohne  Geschäfte  befand, 
so  nutzte  er  diese  Muse,  um  sich  in  der  italienischen 
Sprache  zu  vervollkommnen. 

Er  war  alsdann  noch  russischer  Gesandter  am  tür- 
kischen Hofe,  den  er  in  den  ersten  Monaten  des  Jahres 
1714  verließ,  um  nach  Petersburg  zurückzugehen.  Hier 

^)  Peter  Schaphirow,  auch  Schaffirow,  Schafirow,  wurde  im 
Jahre  1703  Geheimsekretär  der  Gesandtschaftskanzlei. 


4-  Peter  Schaphirow.  63 

wurde  er,  jedoch  nur  vom  Kaiser,  mit  Freuden  emp- 
fangen. Dieser  Monarch  machte  ihn  in  dem  nämhchen 
Jahre  zum  Wirklichen  Geheimen  Rat  und  gab  ihm  den 
Andreasorden. 

Von  dieser  Zeit  an  hatte  er  die  größte  Mühe,  sich  in 
der  Gunst  des  Monarchen  zu  erhalten.  Seine  Feinde, 
die  er  in  Menge  hatte  und  unter  denen  sich  Männer 
von  größtem  Gewicht  befanden,  konnten  ihn  nicht 
stürzen,  solange  der  Kaiser  von  seiner  großen  Brauch- 
barkeit überzeugt  war.  Dieser  Monarch  fuhr  fort,  noch 
lange  ein  unverändertes  Vertrauen  in  ihn  zu  setzen. 
Schaphirow  war  einer  von  denen,  die  im  Jahre  1718 
das  Todesurteil  des  Zarewitsch  unterschrieben.  Peter 
vertraute  ihm  die  wichtigsten,  verwickeltsten  und  weit- 
läufigsten Geschäfte  an.  So  machte  er  ihn  z.  B.  zum 
Generalpostmeister  im  russischen  Reiche;  eine  Stelle, 
die  wegen  der  ursprünglich  zu  machenden  Posteinrich- 
tungen in  den  Hauptprovinzen  Rußlands  mit  großer 
und  schwieriger  Arbeit  verbunden  war. 

Wenig  nissische  Minister  haben  um  das  Reich  und 
um  die  Person  des  Souveräns  so  ausgezeichnete  Ver- 
dienste gehabt,  als  Schaphirow.  Peter  blieb  nur  noch 
kurze  Zeit  davon  überzeugt.  In  dem  Falle,  wo  er  das 
meiste  Vertrauen  auf  den  Baron  Schaphirow  hätte 
zeigen  und  ihn  gegen  die  Anschläge  seiner  Feinde 
schützen  sollen,  vergaß  er  den  Dank,  den  er  diesem 
großen  Staatsmanne  schuldig  war. 

Die  Hauptursache  von  Schaphirows  Unglück  waren 
Privatuneinigkeiten  zwischen  ihm  und  Menschikow. 

Sie  waren  von  jeher  die  erklärtesten  Feinde  gewesen 
und  hatten  sich  oft  im  Beisein  mehrerer  Personen  die 
härtesten  Vorwürfe  gemacht.  Bei  diesen  Zänkereien 
war  Schaphirow  immer  viel  beißender  gewesen  als 
Menschikow.  Einst  sagte  der  Vizekanzler  dem  Fürsten, 


64  4-  Pßiß^  Schaphirow. 

wenn  Menschikows  Neid  ein  Fieber  wäre,  das  er  andern 
mitteilen  könnte,  so  würde  gewiß  kein  reicher  Russe 
mehr  leben.  Solche  Szenen  waren  fast  täglich  vor- 
gefallen und  hatten  Menschikows  Rachgier  auf  den 
höchsten  Grad  getrieben. 

Jetzt  fand  sich  Veranlassung,  diese  Rache  auszu- 
üben. Es  entstanden  nämlich  während  des  Feldzags 
Peters  I.  nach  Persien  im  Jahre  1722  zwischen  Scha- 
phirow und  Menschikow  Streitigkeiten  in  Regierungs- 
geschäften. Man  ist  den  bekannten  besseren  Gesinnun- 
gen des  Baron  Schaphirow  die  Vermutung  schuldig, 
daß  in  diesem  Zwiste  das  Recht  mehr  auf  seiner  als  auf 
Menschikows  Seite  war.  Doch  wußte  dieser  durch  seine 
klugen  und  boshaften  Insinuationen,  welche  die  Kaise- 
rin mit  ihrem  ganzen  Ansehen  unterstützen  mußte,  den 
Monarchen  nach  seiner  Zurückkunft  im  Jahre  1723 
ganz  wider  Schaphirow  einzunehmen. 

Die  Wirkung  davon  war  so  heftig,  daß  Peter  sich 
ganz  vergaß.  Selten  hatte  man  ihn  so  wütend  gesehen 
als  bei  dieser  Gelegenheit.  Katharinas  und  Menschi- 
kows Scheingründe  hatten  ihn  so  irregeleitet,  daß  er 
den  Baron  Schaphirow  durchaus  für  ganz  schuldig 
hielt.  Er  ließ  diesen  großen  Staatsminister  arretieren 
und  ihm  Orden  und  Degen  abnehmen.  Alsdann  wurde 
er  vor  ein  Gericht  geführt  und  nach  einer  kurzen  Unter- 
suchung, die  Menschikow  zu  dirigieren  wußte,  zum 
Tode  verurteilt.  Schaphirow  hatte,  so  ward  er  beschul- 
digt, Gelder  entwendet,  Handschriften  nachahmen 
lassen  und  das  Postwesen  vernachlässigt. 

Auf  einem  schlechten  Schlitten  brachte  man  ihn  auf 
den  Richtplatz,  wo  er  geköpft  werden  sollte. 

Schon  lag  einer  der  ersten  Köpfe  im  Staate  auf  dem 
Balken,  um  durch  eine  Trennung  vom  Körper  aus  der 
Reihe  der  Lebendigen  verdrängt  zu  werden,  als  der 


4-  Peter  Schaphirow.  65 

Kabinettssekretär  Makarow  Pardon  rief  und  dem  Un- 
glücklichen ankündigte,  daß  er  in  das  Exilium  gehen 
sollte. 

Schaphirow,  der  nun  schon  einmal  den  Todesstreich 
erwartet  hatte,  war  über  diesen  Pardon  nicht  erfreut 
und  hätte  den  Tod  dem  kümmerlichen  Leben,^das  nun 
folgen  sollte,  gern  vorgezogen. 

Als  ihn  dieses  Unglück  traf,  war  Baron  Schaphirow 
Wirklicher  Geheimer  Rat,  Reichsvizekanzler,  General- 
postmeister und  Ritter  des  Andreasordens. 

Er  hatte  den  Ruf  eines  Mannes  von  durchdringen- 
dem Verstand  und  von  großen  zur  Staatswirtschaft  ge- 
hörigen Kenntnissen.  Schaphirow  war  ein  vortrefflicher 
Vizekanzler,  und  ob  er  sich  gleich  gegen  seine  Unter- 
gebenen und  selbst  gegen  Personen,  die  seinesgleichen 
waren,  zuweilen  den  ersten  Aufwallungen  des  Zorns 
überließ,  so  fanden  doch  bald  nachher  gründliche  Vor- 
stellungen bei  ihm  Eingang.  Sein  gegebenes  Wort  brach 
er  nie  und  redete  immer  die  Wahrheit,  daher  die  frem- 
den Minister  lieber  mit  ihm  als  mit  jedem  andern  in 
Unterhandlungen  waren. 

Menschikow  konnte  nach  Peters  I.  Tode  nicht  ver- 
hindern, daß  Katharina  I.  auf  dringendes  Bitten  des 
Herzogs  Karl  Friedrich  von  Holstein  Schaphirow  aus 
der  Verbannung  wieder  an  den  Hof  kommen  ließ.  Sie 
gab  ihm  die  Freiherrn  würde  wieder  und  schenkte  ihm 
den  goldenen  Degen  Peters  I.,  als  man  in  den  Konfis- 
kationsmagazinen den  von  Schaphirow  nicht  finden 
konnte.  Die  Kaiserin  bot  ihm  auch  sein  schönes  Haus 
auf  der  Petersburger  Insel  wieder  an,  das  während 
seiner  Abwesenheit  im  Jahre  171 2  zu  bauen  angefangen 
worden  war,  aber  er  schlug  es  aus,  weil,  wie  er  sagte, 
seine  schlechten  Vermögensumstände  es  nicht  ge- 
statteten, ein  so  prächtiges  Palais  zu  bewohnen.  In  der 

Russische  Günstlinge.  e 


66  4-  Pßiß^  Schaphirow. 

Folge  aber  nahm  er  es  doch  wieder  an  und  bewohnte  es 
auch. 

Menschikows  Ansehen  war  doch  noch  so  groß,  daß 
Katharina  nicht  wagte,  den  Baron  Schaphirow  in 
wichtigen  Posten  anzustellen.  Sie  errichtete  eben  da- 
mals ein  Kabinettsconseil,  in  welchem  er  gewiß  auf 
seinem  Platze  gewesen  wäre,  aber  er  wurde  nicht  dazu 
ernannt.  Sie  machte  ihn  zum  Präsidenten  des  Kom- 
merzkollegiums. Bald  nachher  mußte  er  nach  Arch- 
angel in  Handelsangelegenheiten  gehen  und  nament- 
lich, um  dem  Walfischhandel  eine  vorteilhaftere  Ein- 
richtung zu  geben;  ein  Auftrag,  der  weit  unter  den 
Talenten  dieses  großenMannes  war.  Von  seinen  übrigen 
Ehrenstellen  erhielt  er  keine  wieder,  auch  den  Orden 
nicht,  wenigstens  steht  er  nicht  unter  den  Rittern  in 
einem  Verzeichnisse  des  russischen  Hofstaates  unter 
Peter  H. 

Das  Todesjahr  des  Baron  Schaphirow  ist  uns  un- 
bekannt; doch  scheint  er  zur  Zeit  der  Kaiserin  Anna 
gestorben  zu  sein.^) 

Wer  Schaphirows  Gemahlin  gewesen  ist,  wissen  wir 
nicht,  wohl  aber,  daß  er  einen  Sohn  und  fünf  Töchter 
hinterheß. 

Nachdem  der  Vater  wieder  zu  Gnaden  aufgenommen 
worden  war,  erhielt  auch  der  Sohn  Ehrenstellen  bei 
Hofe.  Es  ist  uns  unbekannt,  ob  derselbe  männliche 
Nachkommen  hinterlassen  habe ;  wir  erinnern  uns  aber 
nicht,  jemals  am  Hofe  oder  bei  der  Armee  in  Rußland 
einen  Schaphirow  nennen  gehört  zu  haben. 

Eine  Tochter  heiratete  einen  Knes  Gagarin,  dessen 
Vater  gehenkt  worden  war.  Sie  wurde  die  Mutter  der 
Gräfin  Matjuschkin  und  der  Knejina^)  Golizin 

^)  Er  starb  am  ii.  März  1739. 

^)  Knes  =  Fürst;  Knejina  =  Fürstin. 


4-  Peter  Schaphirow.  67 

Die  Gräfin  Matjuschkin  war  erste  Staatsdame  der 
Kaiserin  Katharina  IL  und  endlich  Oberhof meisterin 
am  Hofe  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna,  Gemahlin 
Pauls  I.  und  Mutter  Alexanders  I.  Sie  war  auch  Dame 
des  Katharinenordens  und  lebte  noch  im  Jahre  1799. 

Ihre  Tochter,  die  vor  ihr  starb,  hatte  einen  polni- 
schen Grafen  Wielhorski  geheiratet. 

Die  Fürstin  Golizin  war  auch  Staatsdame  der  Kaise- 
rin Katharina  II.  und  die  Gemahlin  des  Feldmarschalls 
Knes  Golizin,  1)  der  sich  im  ersten  Türkenkriege  unter 
der  Regierung  dieser  Kaiserin  rühmlichst  bekannt  ge- 
macht hat. 

Sie  war  eine  sehr  ehrgeizige,  aber  äußerst  kluge  und 
lebhafte  Dame.  Sie  sprach  mit  großer  Freimütigkeit 
von  allem,  was  am  Hofe  vorging  und  von  ihrer  Familie. 
So  erzählte  sie,  daß  ihre  Mutter  als  ein  ganz  junges 
Mädchen  von  Peter  I.  eine  derbe  Erinnerung  bekom- 
men habe,  weil  sie  nicht  aus  einem  Pokale  trinken 
wollte,  in  welchem,  außer  dem  Getränke,  noch  ein 
widerstehender  Liquor  war. 

Sie  versicherte  sehr  drollig,  daß  in  ihrer  Familie  alle 
Leibesstrafen  zu  finden  wären,  die  unter  pohzierten 
Völkern  gebräuchlich  sind,  als  aufknüpfen,  köpfen, 
rädern,  spießen,  knuten  und  dergleichen.  2) 

Eine  andere  Tochter  des  Barons  Schaphirow  ver- 
mählte sich  mit  einem  Knes  Chowansky  und  wurde, 
wenn  wir  nicht  irren,  die  Mutter  der  Knejina  Borja- 
tinsky,  Gemahlin  des  Knes  Borjatinsky,  der  bei  der 
Ermordung  Peters  III.  ein  Geschäft  hatte. 

Eine  dritte  Tochter  wurde  die  Gemahlin  eines  Grafen 
Gollowin. 

^)  Alexander  Michailowitsch  Golizyn  (1718 — 1783),  bekanat 
als  Eroberer  voa  Chotin  in  der  Moldau  (1769). 

')  Einige  Ahnen  der  Fürstin  starben  im  Gefängnis  und  als 
Verbannte  in  Sibirien,  so  Wassilij  (1713). 


68         5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

Eine  vierte  heiratete  einen  Knes  Dolgorucky. 

Das  Schicksal  der  fünften  Tochter  des  Baron  Scha- 
phirow  wissen  wir  nicht.  In  den  zwanziger  Jahren  war 
sie  noch  nicht  verheiratet. 

Noch  hatte  Baron  Schaphirow  einen  Bruder,  den  er 
aus  Holland  hatte  nach  Rußland  kommen  lassen.  Er 
wurde  nicht  einmal  in  den  Adelsstand  erhoben,  und  im 
Jahre  1719  war  er  nur  in  der  Reichskanzlei  geheimer 
Sekretär.  Er  scheint  keine  Talente  gehabt  zu  haben, 
weil  ihm  sein  Bruder  keine  wichtigere  Stelle  anver- 
traute. Ihn  können  wir  nicht  in  die  Zahl  der  Empor- 
kömmlinge aufnehmen. 


5.   Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

Der  Nutzen  einer  größeren  Aufklärung  des  Menschen 
ist  entschieden.  Sie  lehrt  eine  sich  selbst  befriedigen- 
dere, für  die  Mitwelt  gemeinnützigere  und,  überhaupt 
genommen,  vollkommenere  Anwendung  der  mensch- 
lichen Geisteskräfte;  sie  gibt  hellere  und  höhere  Be- 
griffe von  der  einfachen,  wahren  Rehgion,  die  sich  nicht 
an  die  Namen  der  Unterabteilungen  des  Christentums, 
oder  des  Moslemismus,  des  Judeismus,  und  wie  die 
Arten,  den  für  alle  Völker  einzigen  Gott  anzubeten, 
heißen  mögen,  bindet;  sie  veredelt  die  Früchte  der  Ge- 
lehrsamkeit; sie  flößt  den  Stolz  ein,  die  hohe  Bestim- 
mung, zu  der  man  berufen  ist,  zu  erfüllen;  sie  reizt  an, 
die  Geschäfte  würdiger  zu  betreiben;  sie  ist  die  voll- 
kommenste Trösterin  in  unverschuldeten  Leiden;  sie 
erleichtert  den  Übergang  vom  Leben  zum  Tode.  —  Der 
Wert  der  größeren  Aufklärung  ist  noch  vielfacher,  aber 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.        69 

nicht  alle  aufgeklärten  Menschen  leisten  allgemein  den 
Nutzen,  den  sie  gewähren  kann. 

Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann^)  war  der 
zweite  Sohn  eines  lutherischen  Geistlichen  in  Bochum, 
einer  Stadt  in  der  westfälischen  Grafschaft  Mark.  Er 
studierte  in  Jena^)  und  kam  auf  Empfehlung  seines 
älteren  Bruders,  der  schon  in  Rußland  war,  im  Jahre 
1704  in  die  Dienste  des  russischen  Vizeadmirals  Cruys, 
der  ihn  aber  wegen  seiner  großen  Geschicklichkeit  und 
wegen  seiner  sehr  bald  erlangten  Fertigkeit  in  der 
russischen  Sprache  bei  einer  vorfallenden  Gelegenheit 
seinem  Monarchen  als  einen  sehr  brauchbaren  Mann 
empfahl. 

Dieser  Cornelius  Cruys,  ein  Holländer  aus  einer  an- 
sehnlichen Familie,  war  schon  in  seinem  Vaterlande 
in  wichtigen  Seediensten  gebraucht  worden,  als  ihn 
Peter  I.  mit  nach  Rußland  nahm.  Er  hat  die  meisten 
Verdienste  um  die  Bildung  der  russischen  Marine. 
Cruys  starb  1727  im  71.  Jahre  seines  Alters. 

Von  diesem  Augenblicke  an  leistete  Ostermann  in 
politischen  und  einheimischen  Geschäften  dem  russi- 
schen Hofe  die  nützlichsten  Dienste.  Sie  sind  zu  wich- 
tig und  zu  vielfach,  um  nur  obenhin  berührt  werden  zu 
können.  Die  Geschichte  der  Erfüllung  der  ihm  auf- 
erlegten Pflichten  ist  in  den  Jahrbüchern  der  russischen 
Regenten  bis  zum  Ende  des  Jahres  1741  so  verwickelt 
enthalten,  daß  es  unmöglich  ist,  eine  von  den  andern 
zu  trennen.  Alle  Regenten  Rußlands,  denen  er  diente, 
setzten  in  ihn  das  vollständige  Vertrauen,  und  ließen 
sich  angelegen  sein,  ihn  zu  belohnen. 

Es  würde  zu  weitläufig  sein,  das  Leben  dieses  großen 
Mannes  ausführhch  zu  beschreiben,  aber  wir  wollen 

^)  Geb.  am  30.  Mai  1686. 

')  Von  wo  er  eines  Duelles  wegen  nach  Holland  fliehen  mußte. 


70         5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

einige  Anekdoten  von  seinem  Dienste  und  von  dem 
letzten  Jahre  seines  Aufenthalts  in  Petersburg,  ehe  er 
nach  Sibirien  ging,  erzählen,  die  wenig  bekannt  sind. 

Daß  Ostermann,  in  Gemeinschaft  mit  Katharina  und 
Schaphirow,  den  Kaiser  am  Pruth  aus  der  gefährlich- 
sten Lage  zog,  ist  bekannt  genug.  Es  verdient  nur  des- 
wegen wiederholt  zu  werden,  weil  seit  der  Zeit  Peters 
Zutrauen  zu  ihm  unbegrenzt  wurde. 

Als  der  Friede  mit  Schweden  geschlossen  werden 
sollte,  schickte  der  Monarch  im  Jahre  1721  den  Grafen 
Bruce  1)  und  den  Baron  Ostermann  nach  Nystadt. 
Ostermann  nahm  starke  Wechsel  mit  vom  Kaufmann 
Meyer, 2)  aber  keine  Dukaten,  weil,  wie  er  sagte,  die 
schweren  Geldkasten  viel  Aufsehen  machen  möchten. 
In  Nystadt  mußten  allemal  die  sämtlichen  Kommissa- 

^)  Ein  Teil  der  schottischen  Familie  Bruce,  die  ehemals  diesem 
Reiche  Könige  gegeben  hatte  und  noch  jetzt  in  ihrem  Wappen 
das  Zeichen  der  Herrscherwürde,  den  Streitkolben,  führt,  war  schon 
zur  Zeit  der  Usurpation  Cromwells  nach  Rußland  gekommen. 
Der,  von  welchem  hier  die  Rede  ist,  war  Generalfeldzeugmeister 
und  hatte  viele  literarische  Kenntnisse.  Der  russische  Zweig  der 
Familie  Bruce  ist  in  der  männlichen  Linie  mit  dem  General  en  Chef 
am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  ausgestorben.  Die  letzte  Erbin 
dieses  Hauses,  das  eines  der  reichsten  war,  heiratete  einen  Grafen 
Musin-Puschkin,  Gesandten  in  Neapel,  der  sich  seit  der  Zeit  Musin- 
Puschkin- Bruce  nannte,  um  wenigstens  das  Andenken  des  großen 
Namens  zu  erhalten.  H.  Bülau  macht  von  Bruce  folgende  lebens- 
geschichtliche Angaben:  Jakob  Daniel  Bruce,  geboren  1670  in 
Moskau,  aus  einer  in  Rußland  eingebürgerten  schottischen  Familie, 
ward  1687  Fähnrich,  nach  der  Eroberung  Asows  Oberst,  1705 
Artilleriechef,  1706  Generalleutnant,  1709  Feldzeugmeister,  Senator 
und  Präsident  des  Berg-  und  Manufakturkollegiums,  nach  dem 
Schwedischen  Kriege  und  dem  Frieden  von  Nystadt  Graf;  6.  Juli 
1726  als  Feldmarschall  in  Ruhestand;  gestorben  19.  April  1735. 
Er  schrieb  ein  Lehrbuch  der  Geometrie  und  einen  hundertjährigen 
Kalender  in  russischer  Sprache,  übersetzte  aus  dem  Deutschen  und 
Englischen  in  das  Russische,  arbeitete  an  einer  Geographie  von 
Rußland  und  vermachte  seine  Sammlungen  der  Akademie. 

*)  Meyer,  ein  reicher  altdeutscher  Kaufmann  in  Moskau,  der 
sich  in  Petersburg  niederließ,  viel  mit  Peter  L  lebte,  wurde  unter 
der  Regierung  der  Kaiserin  Elisabeth,  zugleich  mit  dem  sächsischen 


5.  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.        71 

rien  zusammenkommen,  weil  außerdem  nichts  aus- 
gemacht werden  durfte.  Ostermann  stellte  sich  dann 
immer  betrunken.  Die  Schweden  glaubten  schon,  sie 
hätten  alles  gewonnen.  Aber  Ostermann  ging  immer 
außer  der  Versammlungszeit  zu  Cederkreutz,  dem  vor- 
nehmsten der  schwedischen  Kommissarien,  redete  mit 
ihm  alles  ab,  gab  ihm  100000  Rubel  und  alle  Güter 
seiner  Familie  in  Livland  zurück,  und  erhielt  dadurch 
seinem  Kaiser  die  Herzogtümer  Livland  und  Estland, 
die  in  der  Folge  für  eine  Summe  i)  Geldes  dem  schwe- 
dischen Hofe  zum  Schein  abgekauft  wurden,  um  durch 
diesen  Kauf  die  Krone  Polen  zum  Schweigen  zu 
bringen,  die  Ansprüche  auf  diese  Länder  bildete. 

In  dem  Augenbhcke,  da  alles  schon  unterzeichnet 
war,  kam  Jaguschinski  als  Kurier  aus  Petersburg,  um 
Bruce  und  Ostermann  zu  sagen,  sie  sollten  ohne  Aus- 
nahme alles  zugestehen,  was  Schweden  verlangen 
würde,  um  nur  Frieden  zu  erhalten,  denn  man  habe  die 
sichere  Nachricht,  daß  eine  engländische  Flotte  unter 
dem  Befehl  des  Admirals  Norris  unter  Segel  gegangen 
sei,  um  in  das  Baltische  Meer  zu  kommen. 

Zum  Glück  kam  Jaguschinski  zu  spät. 

Ostermann  hatte  alles  erlangt,  was  er  haben  wollte 
und  brachte  Wechsel  über  große  Summen  wieder  mit, 
die  er  nicht  gebraucht  hatte  und  die  er  dem  Kaiser 
wieder  einhändigte. 

Nach  diesem  allen  war  es  wohl  natürlich,  daß 
Peter  L  ihn  sehr  schätzte.  Dieser  Monarch  hatte  oft 
gesagt,  Ostermann,  der  von  ihm  selbst  unterrichtet 
worden  sei,  habe  nie  einen  Fehltritt  in  der  Erfüllung 

Berghauptmann  Kurt  von  Schönberg,  unglücklich.  Meyers  Sohn, 
Randolph,  war  ein  Taufpate  Peters  I.  und  ein  sehr  unterrichteter, 
rechtschaffener  und  allgemein  geschätzter  Kaufmann.    H. 

^)  Wir  glauben  gehört  zu  haben,  daß  diese  Kaufsum.me  nicht 
mehr  als  eine  Million  Rubel  war.    H. 


72        5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

seiner  Pflichten  getan.  Seine  Entwürfe  in  russischer 
Sprache,  die  er  alsdann  für  fremde  Höfe  in  das 
Deutsche,  Französische  oder  Lateinische  übersetzt 
habe,  wären  immer  unverbesserlich  gewesen.  Noch  auf 
seinem  Totenbette  (1725),  da  Ostermann  ihn  gar  nicht 
verlassen  durfte,  wiederholte  der  Kaiser  dies  alles,  und 
man  weiß,  daß  in  den  letzten  Jahren  Peter  I.  sich  den 
Ratschlägen  Ostermanns  fast  ganz  allein  anvertraute. 

Dieser  Fürst  machte  ihn  zum  Geheimen  Rat  und 
erhob  ihn  in  den  Freiherrnstand. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Katharina  I. 
wurde  Ostermann  Reichsvizekanzler  und  Wirklicher 
Geheimer  Rat.  Auf  ihrem  Totenbette  ernannte  ihn 
diese  Prinzessin  zum  Oberhofmeister  ihres  Nachfolgers, 
Peters  IL,  und  zum  Mitgliede  des  Conseils,  dem  wäh- 
rend der  Minderjährigkeit  dieses  Prinzen  die  Regierung 
aufgetragen  wurde. 

Ostermann  besorgte  die  Erziehung  des  jungen 
Kaisers  so  gut  es  sein  konnte  und  schrieb  für  ihn  die 
bekannte  vortreffhche  Einrichtung^)  der  Studien.  Er 
erhielt  von  seinem  Herrn  und  Zöglinge,  der  noch  fast 
als  Kind  starb,  1730  die  Würde  eines  russischen 
Grafen. 

Die  Kaiserin  Anna,  in  deren  Umgebung  Ostermann 
einer  der  geistvollsten  und  aufgeklärtesten  war, 
machte  ihn  zum  Kabinettsminister. 

Er  führte  in  demjenigen  Teile  der  Regierung,  der 
ihm  ausschließlich  anvertraut  war,  das  Ruder  mit  einer 
immer  sicheren  Hand.  Aber  sein  heller  Verstand  und 
seine  große  Staatsklugheit  und  Menschenkenntnis 
machten,  daß,  wenn  die  Kaiserin  auch  in  andern  Fällen 
sich  gar  nicht  mehr  zu  raten  wußte,  sie  immer  den 

*)  Sie  steht  im  dritten  Teile  des  veränderten  Rußlands,  der 
1740  erschienen  ist.    H. 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.         73 

Grafen  Ostermann  kommen  ließ,  und  nach  seinem 
Vorschlage  ihre  Entschheßungen  erteilte. 

Dieser  weitsehende  Mann  suchte  nach  und  nach  sich 
immer  mehr  vom  Hofe  zu  entfernen  und  sich  in  dem 
Kreise  seiner  Pflichten  einzuschränken,  den  er  immer 
mehr  zu  verengen  bemüht  war.  Er  bemerkte  die  Ver- 
wirrung und  den  Parteigeist  am  Hofe  und  in  der  kaiser- 
lichen Familie  und  sah  daraus  mit  prophetischem  Blick, 
daß  wichtige  Katastrophen  erfolgten  müßten,  deren 
Ausgang  nicht  zu  berechnen  war.  Daher  glaubte  er, 
durch  seine  Klugheit  sich  von  den  Wirkungen  der 
Explosion  zurückhalten  zu  können.  Er  entschuldigte 
sich  durch  Krankheit  und  ging  nicht  mehr  an  den  Hof. 
Zum  Teil  war  dies  nur  ein  Vorwand,  denn  man  sagt, 
um  sich  ein  krankes  Ansehen  zu  geben,  habe  Oster- 
mann sein  Gesicht  mit  Citrone  gefärbt ;  zum  Teil  war 
er  aber  auch  wirklich  krank.  Er  hatte  schon  damals 
einen  ununterbrochenen  Schmerz  an  den  Füßen,  der 
ihn  sehr  bald  ganz  um  den  Gebrauch  derselben  brachte. 
Doch  alles  das  konnte  ihn  nicht  schützen,  sobald  man 
seinen  Rat  brauchte.  Er  mußte  dann  mit  größter  Sorg- 
falt, Schonung  und  Bequemlichkeit  in  die  Zimmer  der 
Monarchin  getragen  werden. 

Nach  dem  Tode  der  Kaiserin  Anna  (1740)  ging  er  gar 
nicht  mehr  aus,  blieb  aber  immer  ein  Hauptorgan  im 
russischen  Staate.  Er  wollte  gleich  nach  dem  Ableben 
dieser  Fürstin  seinen  Abschied  nehmen,  aber  der 
Herzog  von  Kurland,  der  damals  Regent  war,  bat  ihn 
so  dringend,  daß  er  blieb. 

Die  Regentin  Anna,  Mutter  des  Kaisers,  bloß  um  dem 
Grafen  Ostermann  einen  höheren  Rang,  den  eines  Feld- 
marschalls zu  geben,  ernannte  ihn  zum  Großadmiral; 
eine  Stelle,  für  die  er  wohl  eigentlich  nicht  gemacht 
war,  weil  er  das  Detail  derselben  nicht  verstand.  Doch 


74         5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

als  ein  Mann  von  großen  Talenten  hatte  er  gewiß  nach 
einiger  Übung  auch  in  diesem  Fache  den  richtigen 
Überblick  eines  Chefs. 

Unter  der  Regierung  dieser  Prinzessin  fing  die  öster- 
reichische Partei  am  russischen  Hofe  an,  ihm  vorzu- 
werfen, daß  er  zu  preußisch  gesinnt  sei.  Der  Vorwurf 
war  auch  nicht  ungegründet,  und  man  muß  glauben, 
daß  ein  so  weiser  Minister,  als  Ostermann  war,  wenn 
er  seinen  Hof  auf  preußische  Seite  zu  lenken  suchte, 
auch  gewiß  von  der  Güte  des  Systems  und  des  Ver- 
standes des  jungen  und  unternehmenden  preußischen 
Monarchen,  Friedrichs  H.,  überzeugt  sein  mußte. 
Indessen  machte  sich  Ostermann  am  russischen  Hofe 
dadurch  große  Feinde,  zu  welchen  besonders  Generalis- 
simus Prinz  Anton  Ulrich  von  Braunschweig, i)  Ge- 
mahl der  Regentin  und  Vater  des  Kaisers,  gehörte,  der 
immer  für  Österreich  stimmte.  Doch  dies  alles  hatte 
weiter  keine  Folgen,  zumal  da  man,  um  der  Regierung 
mehr  Festigkeit  zu  geben,  den  Grafen  Ostermann  bald 
dahin  brachte,  sich  mit  denen  zu  vereinigen,  welche  die 
Großfürstin  und  Regentin  Anna  selbst  auf  den  russi- 
schen Thron  zu  setzen  und  den  bisherigen  Kaiser,  ein 
Kind  von  einigen  Monaten,  zum  Thronfolger  zu  er- 
klären im  Sinne  hatten;  ein  Projekt,  über  dessen  Aus- 
führung man  durch  die  Revolution  der  Elisabeth  über- 
eilt wurde. 

In  der  Zeit  der  vormundschafthchen  Regierung  der 
Prinzessin  Anna  wurde  Ostermann  sehr  ernstlich 
krank.  Im  Monat  März  des  Jahres  1741  versicherte 
Dr.  Kämpf,  ein  sehr  geschickter  Arzt  aus  Hamburg, 
daß  die  Umstände  dieses  Ministers  durch  Salzfluß, 
Harnverstopfung    und    Blutergießen    so    bedenklich 

^)  Vermählt  mit  Aana  1739.  Er  starb  ii.ich  fünfunddreißig 
Jahren  der  Gefangenschaft  1776. 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.        75 

würden,  daß  man,  obgleich  Hilfe  oder  vielmehr  Auf- 
schub nicht  ganz  unmöglich  sei,  dennoch  einen  un- 
erwarteten Tod  befürchten  müsse. 

Zu  seinem  Unglück  lebte  Ostermann  noch  lange 
genug. 

Am  Ende  des  Jahres  1741  erfolgte  die  Empörung  der 
Elisabeth.  Nur  eine  so  unbedeutende  und  schwache 
Frau  konnte  die  Verdienste  dieses  großen  Mannes,  dem 
ihre  Vorfahren  besser  zu  schätzen  gewußt  hatten,  ver- 
kennen. Sie  ließ  sich  von  ihren  Ministern  und  Höf- 
lingen überreden,  den  Grafen  Ostermann  als  den 
größten  Verbrecher  von  allen  den  Männern,  die  das 
Opfer  der  Intrige  ihres  Hofs  wurden,  zum  Tode  zu  ver- 
urteilen. 

Wir  wollen,  da  sich  eben  die  Gelegenheit  darbietet, 
die  Inquisitionsgeschichte  dieser  Unglücklichen,  die 
mit  Ostermann  zugleich  verurteilt  wurden,  und  das 
Schicksal  einiger  ihrer  Verwandten  so  kurz  als  möglich 
erzählen. 

Das  Leben  der  Elisabeth  ist  und  bleibt  ein  durch- 
gängig schändliches  Buch,  in  welchem  höchstens  nur 
zwei  oder  drei  leidliche  Blätter  zu  finden  sind. 

Noch  in  der  nämlichen  Nacht,  als  die  neue  Kaiserin 
aus  dem  Winterpalais  kam,  wo  sie  die  bisherige  Dyna- 
stie hatte  in  Verhaft  nehmen  lassen,  wurden  Truppen 
ausgeschickt,  um  mehrere  Personen  in  ihren  Häusern 
zu  arretieren.  Diese  waren  der  Graf  Ostermann,  der 
Generalfeldmarschall  Graf  von  Münnich,i)  der  Groß- 

^)  Der  Generalfeldmarschall  Graf  von  Münnich,  ein  Holsteiner 
von  Geburt,  war  ebenso  groß  in  seinen  Talenten  als  in  seinen  Fehlern. 
Er  war  einer  der  geschicktesten  und  glücklichsten  Feldherren 
seiner  Zeit  und  ein  vortrefflicher  Ingenieur.  Überdies  hatte  er  viel 
Verstand  und  ausgebreitete  Kenntnisse,  aber  er  war  auch  so  sehr 
Egoist,  als  man  es  nur  sein  kann.  Daher  mengte  er  sich  in  Staats- 
sachen, die  nie  sein  Fach  hätten  sein  sollen.  Seine  Hauptfehler 
waren  Rachgier  und  Grausamkeit.    Eine  genaue  Schilderung  dieses 


..ik:- 


76        J-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

Mannes,  der  große  Verdienste  um  Rußland  hatte,  würde  zu  weit 
führen.  Peter  III.  ließ  ihn  aus  Sibirien  zurückkommen,  imd  behielt 
ihn  bis  zum  letzten  Tage  seiner  Regierung  bei  sich.  Seines  hohen 
Alters  ungeachtet  leistete  Münnich  noch  wichtige  Dienste.  Er  starb 
in  der  Mitte  der  sechziger  Jahre.  H.  —  Burchard  Christ,  von  Münnich 
wurde  am  9.  November  1683  auf  dem  Gute  Neuenhuntorf  in  Olden- 
burg als  Sohn  eines  dänischen  Oberstleutnants  und  General-Deich- 
grafs geboren.  Nach  wechselvollem  Soldatenleben  trat  er  37jährig 
in  russische  Dienste.  Er  wurde  Genieingenieur  mit  dem  Range 
eines  Generalleutnants.  Er  ist  der  Erbauer  des  Ladogakanals  und 
der  Schöpfer  des  russischen  Ingenieurwesens.  Unter  der  Regierung 
Annas  begannen  die  Umtriebe  gegen  Münnich,  die  nur  geringen 
Erfolg  hatten,  da  er  als  Sieger  aus  dem  ersten  russischen  Feldzuge 
heimkehrte.  Nach  Annas  Tod  machte  Münnich  den  Fehler,  sich 
auf  Seite  des  Braunschweigischen  Hauses  zu  stellen,  der  Eltern 
Iwans  VI.  Antonowitsch,  nämlich  der  Großfürstin  Anna  Leopol- 
downa,  der  Tochter  der  Kaiserin  Anna  (1718 — 1746)  und  des 
Herzogs  Anton  Ulrich  von  Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevem. 
Münnich  war  vielleicht  der  Urheber,  jedenfalls  aber  der  vollstreckende 
Arm  des  Anschlages  gegen  Biron.  Nach  dessen  Gelingen  wurde 
Münnich  Premierminister.  Sein  unzügelbarer  Ehrgeiz  schaffte 
ihm  nur  Feinde  und  sein  Sturz  war  daher  unaufhaltsam.  In  der 
Nacht  des  24.  Novembers  1741  wurden  die  Braunschweiger  und 
mit  ihnen  Münnich  verhaftet.  Einundzwanzig  Jahre  brachte 
Münnich  in  Pelyur  in  Sibirien  zu.  Am  i.  Februar  1762  schlug  die 
Stunde  der  Befreiung.  25  Tage  ohne  Rast  und  Aufenthalt  währte 
die  Reise  des  79jährigen  Mannes  nach  Petersburg.  Peter  III.,  dem 
er  seine  Erlösung  verdankte,  gab  ihm  seinen  Rang  als  Feldmarschall 
zurück.  Noch  einmal  hing  das  Henkerschwert  über  Münnichs 
Haupt,  als  er  sich  bei  Katharinas  Staatsstreich  auf  Peters  Seite 
schlug.  Katharina  war  zu  klug,  dem  alten  Manne  seine  Pflicht- 
erfüllung zum  Vorwurf  zu  machen,  verzieh  ihm  und  ernannte  ihn 
zum  ,,Chef  der  baltischen  Häfen,  des  Ladogakanals  und  der  Strom- 
schnellen", ohne  ihm  jedoch  die  Mittel  zu  geben,  seine  Stellung 
auch  auszufüllen.  Gekränkt  wollte  er  Rußland  verlassen  und  nach 
Oldenburg  zurückkehren,  doch  er  verschied,  ehe  er  den  Entschluß 
ausführen  konnte,  am  16.  Oktober  1767.  Münnich  war  ein  eiserner 
Charakter,  dem  jedes  Mittel  gut  genug  war,  wenn  es  ihn  seinem 
Ziele  näher  brachte.  Sein  Kriegführen  wurde  daher  oft  zum  Morden, 
seine  Politik  scheute  nicht  davor  zurück,  den  Widersacher  durch 
gedungene  Meuchler  töten  zu  lassen,  wie  z.  B.  den  schwedischen 
Major  Sinclair.  Andererseits  urteilt  ein  Vollblutrusse  über  ihn : 
,, Münnich  ist  eine  der  bedeutendsten  Persönlichkeiten  in  der 
russischen  Geschichte.  Niemand  hat  so  wie  er  es  verstanden,  die 
Reformen  Peters  des  Großen  in  dessen  Geist  und  mit  dessen  Energie 
fortzuführen.  Ein  Deutscher  an  Leib  und  Seele,  hat  er  stets  und 
überall   dae  wahre  Interewe   Rußlands  im  Auge  gehabt  imd  ge- 


Katharina  II. 
Nach  dem  Gemälde  von  Schebanoff  der  Jüngere  (1789) 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.         yy 

kanzler,  Graf  Golowkin,^)  der  Oberhof marschall  Graf 
Löwenwolde,^)  der  Präsident  und  Geheime  Rat  Baron 
Mengden,^)  der  Staatsrat  Demiresow  und  der  Sekretär 
Posniakow.  Die  Gefangenen  kamen  alle  in  die  Staats- 
gefängnisse in  der  Festung,  außer  Löwenwolde,  der  an- 
fänglich in  seinem  Hause  verhaftet  war,  endlich  aber 
auch  dahin  kam.  Übrigens  wurden  sie  alle  sehr  leidlich 
gehalten. 

Die  zu  der  Untersuchung  der  vorgeblichen  Ver- 
brechen ernannten  Kommissaren  waren  der  General 
Uschakow,*)  der  Generalprokureur  Knes  Trubetz- 
koy,^)  der  General  Lehwaschew/)  der  Oberstallmeister 
Knes  Kurakin,^)  der  Geheime  Rat  Narischkin^)  und 
im  Januar  1742  kam  noch  ein  Knes  Golizin^)  hinzu, 

fördert."  So  Kostomarow  (Prof.  J.  Engelmann,  Baltische  Monats- 
schrift, 39.  Bd.,  Heft  10,  S.  545  ff.,  1892).  Also  zugestandener- 
maßen wieder  ein  Deutscher  mehr,  dem  das  auf  Befehl  Englands 
und  Frankreichs  so  urplötzlich  zum  Kulturstaate  gewordene  Ruß- 
Icind  unendlich  viel  verdankte. 

^)  Der  Großkanzler,  Graf  Golowkin,  war  ein  stolzer  Mann,  aber 
ein  sehr  geschickter  Staatsminister.  Er  starb  an  dem  Orte  seiner 
Verbannung.    H. 

2)  Der  Oberhofmarschall  Graf  Löwenwolde  war  aus  Livland 
gebürtig  und  einer  der  würdigsten  Staatsmänner  Rußlands.  Er 
starb  in  Jaroslawl.    H. 

')  Der  Präsident  Baron  Mengden  war  ein  Bruder  der  bekannten 
Julie  Mengden,  von  der  in  diesem  Buche  mehr  gesagt  werden  wird. 

*)  General  Uschakow  war  lange  Zeit  der  gefürchtetste  Mann 
in  Rußland.  Von  der  Regierung  Peters  I.  an  bis  in  die  Regierung 
der  Elisabeth'  war  er  Präsident  der  geheimen  Kanzlei.  Von  ihm 
wird  in  mehreren  Stellen  dieses  Buches  gesprochen  werden.    H. 

5)  Kn6es  Nikita  Trubetzkoy  war  ein  höchst  strenger  und  rach- 
gieriger Mann.  Von  ihm  wird  an  mehreren  Orten  in  diesem  Buche 
die  Rede  sein.  Er  hatte  verschiedene  Kinder  hinterlassen,  von 
denen  ich  nur  zwei  erwähne:  den  Fürsten  Peter  Nikititsch  Trubetz- 
koy, einen  sehr  würdigen  Patrioten  und  Staatsdiener,  der  im  Anfange 
der  neunziger  Jahre  starb,  und  die  in  Petersburg  noch  lebende 
Fürstin  Wjasemsky.    H. 

')  Lewaschew,  Kurakin,  Narischkin  und  Golizin.  Von  allen 
diesen  Männern  können  wir  in  diesem  Augenblicke  keine  besonderen 
Nachrichten  angeben.    Wahrscheinlich  war  Kurakin  der  Vater  der 


yS        5.  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

der  zur  Zeit  der  Kaiserin  Anna  Präsident  des  Justiz- 
kollegiums gewesen  war.  Der  Fürst  Trubetzkoy  hatte 
das  Geschäft  zu  fragen,  und  Herr  von  Betzkoy  war 
Protokollist. 

An  Ostermann  wurden  bis  achtzig  Fragen  getan. 
Dieser  große  Mann  machte  eine  vollständige  Geschichte 
seines  Ministeriums  und  verschwieg  nichts.  Er  sagte, 
solange  er  einer  Regierung  mit  Eid  und  Pflicht  zu- 
getan wäre,  hätte  er  auch  geglaubt,  seiner  Obliegen- 
heit nachkommen  zu  müssen.  Unter  der  Menge  un- 
gegründeter und  unsinniger  Verbrechen,  deren  man 
ihn  beschuldigte,  waren  die  hauptsächlichsten:  daß 
nach  dem  Tode  Peters  II.  die  Herzogin  Anna  von  Kur- 
land statt  der  Prinzessin  Elisabeth  auf  den  russischen 
Thron  gesetzt  worden  sei ;  daß  er  die  Flotte  in  Verfall 
gebracht  habe,  damit  Rußland  genötigt  sein  möchte, 
die  Freundschaft  der  Seemächte  zu  suchen;  daß  die 
Verurteilung  der  Knesen  Dolgorucky  im  letzten 
Regierungs jähre  der  Kaiserin  Anna  durch  ihn  beför- 
dert worden  sei ;  daß  er  angeraten  habe,  die  Prinzessin 
Elisabeth  in  das  Kloster  zu  sperren,  und  daß  das 
Projekt,  den  jungen  Herzog  Peter  von  Holstein  aus 
dem  Wege  zu  schaffen,  von  ihm  herrühre.  Unter  allen 
wurde  Ostermann  am  meisten  beschuldigt.  Er  war,  wie 
wir  wissen,  immer  sehr  kränklich  gewesen,  und  jetzt 
wurde  er  im  Gefängnisse  so  krank,  daß  er  beichtete  und 
das  Abendmahl  nahm,  so  nahe  glaubte  er  sich  seinem 
Ende.  Nach  dieser  Krankheit  bemerkte  man  eine  ihm 
ungewöhnliche  Ängstlichkeit  und  Kleinmütigkeit  an 
ihm.   Er  ließ  den  Geheimen  Rat  L'Estocq  zu  sich 

jetzigen  beiden  großen  Staatsmänner  in  Rußland,  Alexander  und 
Alexis;  Narischkin,  der  Großvater  der  beiden,  mit  den  ersten 
Hofchargen  bekleideten  Männer,  Alexander  und  Dimitrej;  und 
Lewaschew,  der  Vater  des  wahrscheinlich  verstorbenen  Generals 
und  ksdserlichen.  Adjutanten. 


5-   Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I .         yq 

bitten,  der  auch  einigemal  zu  ihm  ging,  aber  seinem 
Vorgeben  nach  ihm  nicht  helfen  konnte.  Als  Oster- 
mann im  Januar  unter  den  Kommissaren  den  Fürsten 
Golizin  erblickte,  bat  er  ihn  wegen  der  Verfolgung  der 
Golizinschen  Familie,  woran  er  allerdings  Schuld  war, 
um  Verzeihung. 

Ostermanns  Vermögen,  als  er  arretiert  wurde,  war 
im  Vergleich  dessen,  was  andere  aufgehäuft  hatten, 
sehr  unbeträchtlich.  Er  hatte  einige  unbedeutende 
Güter  und  ein  Haus.^)  Außerdem  fand  man  bei  ihm 
II 000  Pfund  Sterling  und  130000  Gulden,  die  er  in  den 
Banken^)  in  Londgn  und  Amsterdam  niedergelegt 
hatte.  An  barem  Gelde  und  Juwelen  hatte  er  nur 
230  Rubel  und  vier  oder  fünf  Porträts  von  Souveränen 
mit  Diamanten  besetzt. 

Münnich  war  zur  Zeit  der  Revolution  der  Elisabeth 
außer  Diensten.  Er  hatte  nämlich  seinen  Abschied  ge- 
nommen, weil  er  wohl  merkte,  daß  die  Regentin  kein 
Vertrauen  mehr  zu  ihm  hatte. 

Anna  fürchtete  den  unternehmenden  Geist  des  Gra- 
fen Münnich.  Sie  gestand  wohl  selbst  ihren  Vertrauten : 

^)  Ostermanns  Haus  war  in  etwas  verkleinerter  Gestalt  das 
jetzige  Senatsgebäude.  Sonderbar  ist,  daß  alle  Bewohner  dieses 
Hauses  unglücklich  geworden  sind.  Der  erste  war  Graf  Ostermann, 
der  nach  Sibirien  kam.  Nach  ihm  erhielt  es  Graf  Bestuschew,  den 
man  auf  seine  Güter  verwies.  Alsdann  bewohnte  es  Prinz  Georg 
von  Holstein,  der  am  Tage  der  Revolution  im  Jahre  1762  in  diesem 
Hause  von  russischen  Soldaten  gemißhandelt  wurde,  und  es  bald 
nachher  verlassen  mußte.  Endlich  wurde  der  Senat  dahin  verlegt, 
und  man  weiß,  daß  unter  Katharina  II.  dieses  höchste  Reichs- 
kollegium beinahe  ganz  seinen  vorigen  Wirkungskreis  verlor,  un- 
bedeutend wurde.  —  Ein  ähnliches  Unglückshaus  hat  man  auch  in 
Berlin  unter  den  Linden.  Der  Erbauer  desselben  wurde  bankerott. 
Dann  kam  es  an  den  Minister  Görne,  der  wegen  verübter  Beeinträch- 
tigungen von  Friedrich  II.  weggejagt  wurde.  Nach  ihm  erhielt 
es  die  berüchtigte  Gräfin  Lichtenau,  deren  politisches  Ende  man  weiß. 

^)  Damals  gab  es  in  Rußland  selbst  noch  keine  öffentlichen 
Anstalten,   um  Geld  unterzubringen.    H. 


8o        5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

ein  Mann,  der,  wie  er  schon  eine  Revolution  gegen  den 
Herzog  von  Kurland  so  geschwind  und  so  glücklich  be- 
endigt hätte,  könnte  auch  wohl  Lust  bekommen,  noch 
mehr  zu  wagen.  Sie  war  sogar  ruhiger,  als  Münnich  an 
der  entgegengesetzten  Seite  der  Newa  wohnte. 

Seinem  Vorgeben  nach  wollte  er  eben  abreisen,  als 
Elisabeth  den  Thron  bestieg.  Er  würde  aber  wahr- 
scheinlich wieder  in  Russische  Dienste  gegangen  sein. 

Man  beschuldigte  ihn  unter  anderm,  er  sollte  an  dem 
Abende,  an  welchem  er  den  Herzog  von  Kurland  arre- 
tierte, zu  den  Garden,  um  sie  zu  diesem  Schritt  zu  be- 
wegen, gesagt  haben,  die  Prinzessin  Elisabeth  werde 
als  Kaiserin  ausgerufen  werden.  Als  er,  natürlicher- 
weise, diese  Beschuldigung  ableugnete,  wurden  Garde- 
soldaten, die  bestochen  waren,  herein  gerufen,  die  ihm 
ins  Gesicht  sagten,  er  habe  sie  selbst  überredet.  Mün- 
nich blieb  unerschrocken,  und  behandelte  diese  er- 
bärmlichen Menschen,  die  Kommissarien  sowohl  als  die 
Soldaten,  die  alle  eine  gleiche  Behandlung  verdienten, 
mit  gebührender  Verachtung.  Er  sagte  mit  edlem  Stolz 
den  Richtern,  wenn  man  die  Sache  so  betreiben,  und 
ihn  unglücklich  machen  wolle,  so  könne  man  das  viel 
kürzer  haben.  Man  dürfe  nur  selbstbeliebige  Antworten 
zu  den  an  ihn  gerichteten  Fragen  setzen,  und  er  ver- 
spreche als  ein  ehrlicher  Mann,  sie  ungelesen  zu  unter- 
schreiben. 

Indessen  machte  Münnich  doch  noch  einen  Versuch 
zu  seiner  Rettung,  der  aber  für  seinen  Charakter  nicht 
sehr  rühmlich  war. 

Er  schrieb  nämlich  an  den  Prinzen  von  Hessen-Hom- 
burg, i)  dessen  erklärter  Feind  er  von  jeher  gewesen 

^)  Der  Prinz  von  Hessen- Homburg,  Ludwig  Johann  Wilhelm 
Gruno,  geboren  1705,  war  schon  unter  Peter  I.  in  russische  Dienste 
getreten,  und  starb  im  Jahr  1745  als  Generalfeldzeugmeister.  Von 
seiner  Gemahlin  wird  an  einem  andern  Orte  etwas  gesagt  werden. 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.         8l 

war,  und  der  allen  klugen  und  höflichen  Leuten  we- 
nigstens gleichgültig  sein  mußte.  In  diesem  Briefe 
sprach  er  viel  von  seinem  Eifer  für  das  hessische  Haus, 
in  dessen  Armee  er  zu  dienen  angefangen  hatte;  ver- 
sprach ihm,  wenn  er  ihn  befreien  würde,  viel  geheime 
Anekdoten  von  Hessen  zu  sagen;  sprach  von  Präten- 
sionen Hessens  an  Kurland  und  dergleichen  mehr,  aber 
alles  dieses  half  nichts. 

Golowkin  und  Ostermann  hatten  sich,  sagt  man, 
stürzen  wollen.  Jeder  hatte  besonders  daran  gearbeitet, 
die  Regentin  zur  Kaiserin  zu  machen.  Endlich  hatte 
man  sie  vereinigt,  und  um  diese  Vereinigung  zu  be- 
wirken, war  Mengden  gebraucht  worden. 

Übrigens  haben  wir  keine  Kenntnis  der  vorgebhchen 
Verbrechen,  deren  man  Golowkin,  Löwenwolde  und 
Mengden  beschuldigte. 

Dimiresow  wurde  angeklagt,  zuerst  das  Projekt  ge- 
macht zu  haben,  die  Regentin  Anna  und  ihre  Nach- 
kommenschaft auf  den  Russischen  Thron  zu  setzen, 
und  die  Prinzessin  Ehsabeth  ganz  von  demselben  aus- 
zuschließen. 

Posniakow  sollte  mit  Dimiresow  zugleich  an  diesem 
Entwürfe  gearbeitet  haben. 

Alles  war  nichts  als  Hof  Intrige.  Man  wollte  nur  Leute 
entfernen,  die  durch  ihre  große  Überlegenheit  an 
Geisteskräften,  Erfahrung  und  Kenntnissen  den  neuen 
Ministern  und  Höflingen  unbequem  wurden.  Um  sie 
desto  empfindlicher,  grausamer  und  gewisser  strafen  zu 
können,  machte  man  sie  zu  Staatsverbrechern.  Diese 
Benennung  war  aber  hier  nicht  anwendbar.  Teils  waren 
diese  Beschuldigungen  erdichtet,  und  konnten  höch- 
stens nur  durch  ein  hineingeworfenes,  vielleicht  über- 
eiltes Wort  bestätigt  werden;  teils  war  ja  ehemals 
Elisabeth,  so  gut  wie  jeder  Untertan  im  Russischen 

Russische  Giinstlinge.  () 


82        5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Oslermann  I. 

Reiche,  eine  Privatperson,  gegen  die  man  kein  Staats- 
verbrechen begehen  konnte. 

Am  28.  Januar  1742  fuhr  die  Kaiserin  nach  Sarskoe- 
Muisa,  jetzt  Sarskoe-Selo.  Sobald  sie  fort  war,  wurde, 
mit  Trommelschlag  begleitet,  durch  die  ganze  Stadt 
bekanntgemacht,  daß  man  früh  um  10  Uhr  nach 
Wassilej-Ostrow  kommen  sollte,  um  daselbst  die  Exe- 
kution an  den  Feinden  der  Kaiserin  zu  sehen, 
r  Es  war  gerade  vor  dem  Kriegskollegium  ein  ge- 
meines Blutgerüst,  sechs  Stufen  hoch,  erbaut,  auf 
welchem  ein  Block  stand.  Das  ganze  Astrachansche 
Regiment  schloß  einen  Kreis,  in  welchem,  außer  den 
zu  der  Exekution  notwendigen  Personen,  noch  ein 
Wundarzt  sich  befand,  aber  kein  Priester.  Die  Staats- 
gefangenen waren  schon  ganz  früh  aus  der  Festung  ge- 
bracht worden.  Punkt  10  Uhr  kamen  sie  in  den  Kreis; 
Grenadiere  begleiteten  sie  mit  aufgepflanztem  Ba- 
jonett. 

Graf  Ostermann  war  in  seinem  gewöhnlichen  Mor- 
genkleide, nämlich  in  einem  rötlichen  Fuchspelze.  Er 
trug  eine  kleine  Perücke  und  einen  schwarz  sammetnen 
heruntergeschlagenen  Reisehut.  Da  er  zu  schwach  war, 
so  wurde  er  in  einem  schlechten  Iswoschiks-  oder  Fuhr- 
mannsschlitten, mit  einem  Pferde  bespannt,  gefahren. 

Graf  Münnich  und  alle  die  andern  kamen  zu  Fuße. 
Münnich  trug  einen  Pelz  und  eine  Zobelmütze. 

Nach  ihm  kamen  Graf  Golowkin,  Graf  Löwenwolde, 
Baron  Mengden  und  der  Etatsrat  Dimiresow. 

Der  Sekretär  Posniakow  kam  nicht  mit;  er  hatte 
seine  Strafe,  nämlich  die  Peitsche,  schon  im  Palais^) 
bekommen. 

'^)  In  den  ungedruckten  Nachrichten  über  diese  Exekutions- 
geschichte heißt  es:  im  Palais,  ohne  weitere  Bestimmung.  Vielleicht 
war  es  das  ehemalige  Palais  der  Prinzessin  Elisabeth. 


5.  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.        83 

Als  die  Staatsgefangenen  im  Kreise  beisammen  wa- 
ren, wurde  Ostermann,  der  immer  als  der  Hauptver- 
brecher angesehen  worden  war,  von  vier  Soldaten  auf 
das  Schafott  getragen,  und  auf  einen  hölzernen  Sessel 
gesetzt.  Er  entblößte  sein  Haupt,  und  ein  Sekretär  vom 
Senat  las  das  Urteil.  Die  Delinquenten  erfahren  es  nie 
eher,  als  auf  dem  Richtplatze,  Ostermann  war  verur- 
teilt, geköpft  und  gerädert  zu  werden.  Er  hörte  das 
fürchterliche  Urteil  gelassen  an,  schien  sich  zu  wundern 
und  sah  gen  Himmel.  Gleich  nachher  legten  ihn  die 
Soldaten  mit  dem  Gesicht  auf  die  Erde.  Der  Henker 
streckte  ihm  den  Hals  auf  den  Block,  hielt  den  Kopf 
an  den  Haaren  und  nahm  das  Beil.  Ostermann  legte 
beide  Hände  vor  sich  hin;  ein  Soldat  rief  ihm  zu,  er 
solle  sie  zurücknehmen,  und  hierauf  Heß  er  sie  herab- 
fallen, und  hielt  sie  an  den  Leib.  Indem  man  glaubte, 
daß  der  Todesstreich  kommen  sollte,  rief  der  Senats- 
sekretär dem  Grafen  zu :  Gott  und  die  Kaiserin  schen- 
ken dir  das  Leben.  Ostermann  wurde  wieder  aufge- 
richtet; er  zitterte.  Man  setzte  ihn  wieder  auf  den 
Schlitten,  und  nun  mußte  er  warten,  bis  die  andern  ihr 
Urteil  wußten.  1) 

Keiner  mehr  bestieg  das  Gerüste.  Allen  war  das  Le- 
ben abgesprochen.  Ehsabeth  schenkte  es  ihnen,  schickte 
sie  in  die  Verbannung,  und  verlängerte  dadurch  die 
Qualen  der  Unglückhchen. 

Als  sie  den  Kreis  wieder  verließen,  bemerkte  man 
an  den  meisten  den  Eindruck,  den  diese,  die  Mensch- 
heit empörende  Szene,  auf  die  verschiedenen  Charak- 
ter der  Staatsgefangenen  gemacht  hatte. 

Münnich  war  der  erste,  der  aus  dem  Kreise  geführt 
wurde.  Sein  Betragen  war  edel,  sein  Blick  niederschla- 
gend; frech  nannten  ihn  seine  Feinde.  Er  wurde  in 

^)  S.  auch  F.  W.  Barthold,  Historisches  Taschenbuch,  VIII,  S.  iii. 

6* 


84         5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

einem  zugemachten  Schlaf  schütten  vom  Hofe  gesetzt, 
hatte  Hofhvree  bei  sich,  und  wurde  von  vier  Grenadiers 
mit  Bajonetten  begleitet.  Man  brachte  ihn  in  die 
Festung. 

Dahin  kam  auch  Ostermann  auf  seinem  Iswoschiks- 
schlitten;  Soldaten  gingen  neben  her.  Er  war  zu  sehr 
durch  körperliche  Schmerzen  und  durch  die  Begeben- 
heiten der  letzten  Stunde  entkräftet,  um  durch  äußere 
Merkmale  anzuzeigen,  was  in  seiner  großen  Seele  vor- 
ging. Man  kann  sich  jedoch  seine  Empfindungen  leicht 
denken. 

Golowkin  hatte  immer  das  Gesicht  bedeckt.  Sobald 
er  es  entblößte,  bemerkte  man  verbissene  Wut.  Er 
wurde  auch  auf  einem  Schlitten,  und  Wache  ncl  en  her, 
in  die  Festung  gebracht. 

Löwenwolde  gab  sich  ein  Ansehen  von  Freundlich- 
keit, die  wahrscheinlich  Verstellung  war,  zeigte  aber 
übrigens  viel  gelassenen  Mut.  Er  ging  zu  Fuß  nach  dem 
wenig  entfernten  Senat  zurück. 

Mengden  hatte  immer  das  Gesicht  bedeckt,  weinte 
beständig,  und  war  äußerst  kleinmütig.  Er  ging  auch 
zu  Fuß  in  den  Senat. 

Dimiresow  schien  äußerst  ruhig  zu  sein,  und  begab 
sich  eben  auch  dahin. 

An  diesem  Tage  reisten  alle  von  Petersburg  ab,  um 
sich  an  die  Orte  ihrer  Verbannung  zu  begeben.  —  Graf 
Ostermann  nach  Beresow,  wo  der  Fürst  Menschikow 
gestorben  war.  —  Graf  Münnich  nach  Pelim.  Er  kam 
daselbst  in  das  Haus,  das  er  nach  seinem  eigenen  Risse 
für  den  Herzog  von  Kurland  hatte  bauen  lassen.  — 
Carl  Golowkin  an  den  Verbannungsort  des  Generals 
Carl  Biron,  der  eben  damals  zurückkam.  Der  Name 
des  Orts  ist  uns  unbekannt.  —  Graf  Löwenwolde  nach 
Jaroslawl,  wohin  damals  der  Herzog  von  Kurland  von 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermayui  I.         ^i^ 

Pelim  kam.  Da  Jaroslawl  nur  ein  leidlicher  Verwei- 
sungsort ist,  so  durften  wahrscheinlich  beide  Männer 
Umgang  zusammen  haben.  —  Baron  Mengden  dahin, 
wo  bisher  der  General  Gustav  Biron,  der  auch  zurück- 
kam, gesessen  hatte.  — 

Alle  erhielten  die  notwendigsten  Kleider.  Manche 
Bedienten  wollten  ihren  Herren  folgen,  und  es  wurde 
ihnen  erlaubt.  Ostermanns  Bedienten  erwarteten  ihren 
Herrn  in  der  Jemskoy^)  und  gingen  alle  mit.  Er  erhielt 
drei  Fässer  Ungarischen  Wein.  —  Löwenwolde  wurde 
ebenfalls  von  seinen  Leuten  in  der  Jemskoy  erwartet. 
Sie  blieben  alle  bei  ihm.  Er  bekam  überdies  einen 
Wundarzt,  weil  er  oft  kränklich  war,  und  sein  Pferd 
zu  seiner  Bequemlichkeit.  —  Jedem  Staatsgefangenen 
gab  man  täglich  Einen  Rubel,  und  jedem  Bedienten 
zehn  Kopeken.  — 

Eine  schöne  Handlung,  die  Herren  und  Diener  ehrt, 
war  die,  daß  die  meisten  Bedienten  ihr  erworbenes 
Geld  brachten,  worunter  auch  ansehnliche  Summen 
waren,  und  ihren  Herrschaften  gaben. 

Die  rührendste  Szene  war  den  Staatsgefangenen  bei 
ihrer  Abreise  von  Petersburg  aufbehalten :  das  Wieder- 
sehen ihrer  Verwandten,  und  bei  vielen  der  ewige  Ab- 
schied von  ihnen. 

Zu  Münnich  waren  seine  Verwandten  schon  in  der 
Festung  geführt  worden.  Die  Gräfin  Münnich  ent- 
schloß sich  sogleich,  ihren  Gemahl  zu  begleiten.  Sein 
Sohn  2)  war  ebenfalls  verhaftet  gewesen,  wurde  aber 
begnadigt,  nicht  auf  den  Richtplatz  geführt,  und  ganz 
frei  gelassen.  Der  Vater  verbot  ihm  zu  weinen. 

^)  Jemskoy  oder  Fuhrmannsstadtteil  ist  eine  Art  Vorstadt 
von  Petersburg  über  der  Anitschkowschen  Brücke  nahe  beim 
Alexander-Newsky-Kloster.    H. 

^)  Graf  IMünnich,  der  Sohn,  war  Hofmeister  am  kaiserlichen 
Hofe  gewesen  und  bekam  jetzt  Güter  bei  Moskau.    Dieser  äußerst 


86        5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Osiermann  I. 

Die  Gräfin  Golowkin  ging  ebenfalls  mit  ihrem  Gemahl. 

Für  den  Baron  Mengden  mußte  diese  Vereinigungs- 
szene fürchterlich  sein.  Er  liebte  seine  Gemahlin  so  sehr 
als  sie  ihn  liebte,  und  in  welchem  Zustande  fand  er  sie ! 
Eine  völlige  Zerrüttung  des  Verstandes  war  die  Folge 
ihrer  tiefempfundenen  Schmerzen.  Sie  hatte  ein  kleines 
Kind,  und  war  von  dem  Entschlüsse  nicht  abzubringen, 
ihren  Gemahl  zu  begleiten,  und  das  Kind  mitzunehmen. 

Graf  Ostermann  fand  seine  Familie  in  der  Jemskoy. 
Die  Gräfin  sah  ihren  Gemahl,  um  ihn  nie  wieder  zu 
verlassen.  Seine  Tochter  und  seine  Söhne  blieben  zu- 
rück. Über  eine  Stunde  lang  hielt  er  an  diese  die 
rührendsten  Vermahnungen.  Alle,  die  gegenwärtig 
waren,  sogar  die  ganz  fremden  Offiziere  und  Soldaten 
weinten.  Endlich  bat  er  sich  von  seinen  Söhnen  den 
letzten  Liebesdienst  aus:  sie  mußten  ihn  in  seinen 
Reiseschlitten  tragen. 

In  Beresow  lebte  Ostermann  noch  fünf  Jahre, 
schwächlich  und  mühsam,  und  starb  am  25.  Mai  1747 
in  größter  Seelenruhe. 

Man  weiß  schon  die  Ehrenstellen,  die  dieser  be- 
rühmte Mann  bekleidete,  als  er  mit  dem  Anfang  der 
Regierung  der  Kaiserin  Elisabeth  unglücklich  ward. 
Wir  dürfen  nur  noch  hinzusetzen,  daß  er  Generalpost- 
direktor und  Ritter  der  beiden  russischen  und  ver- 
schiedener fremder  Orden  war. 

Endhch  wollen  wir  nun  noch  von  den  Eigenschaften 
des  Grafen  Ostermann,  eines  der  ersten  Staatsmänner 
Europas  sprechen,  und  dabei  das  Urteil  zu  Rate  ziehen, 
das  der  berühmte  gleichzeitige  Schriftsteller  Mannstein 
hier  und  da  über  ihn  gefällt  hat. 

rechtschaffene  Mann  starb  als  Wirklicher  Geheimer  Rat  und 
Andreasordensritter  in  den  neunziger  Jahren.  Er  hinterließ  zwei 
Söhne  und  wenigstens  eine  Tochter.  Diese  war  die  Gemahlin  des 
Wirklichen  Geheimen  Rats  von  Vietinghoff. 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.        87 

Ostermann  hatte  einen  weitumfassenden,  völlig  auf- 
geklärten Verstand,  besaß  eine  nie  trügende  Beurtei- 
lungskraft und  Menschenkunde,  und  zeigte  in  allen 
seinen  nur  irgend  bedeutenden  Reden  und  Handlungen 
die  feinste  Delikatesse.  In  allem,  was  er  unternahm 
(und  er  befaßte  sich  nicht  mit  gewöhnlichen  Dingen), 
hatte  er  eine  Tendenz,  die  sich  durch  keine  Hinder- 
nisse aufhalten  ließ.  Er  war  untadelhaft  in  seinem  Le- 
benswandel, geschäftig,  ausrichtsam,  unbestechlich 
und  treu,  wie  man  es  nur  sein  kann,  in  Verwaltung  der 
ihm  anvertrauten  Geschäfte  und  ansehnlichen  Geld- 
summen. In  verschiedenen  Teilen  der  Wissenschaften 
besaß  er  eine  gründliche  Gelehrsamkeit,  und  hatte  be- 
sonders zu  Erlernung  der  Sprachen  eine  Intelligenz, 
wie  man  sie  selten  findet.  AUen  Männern  von  Ver- 
diensten, und  besonders  allen  Gelehrten,  erteilte  er 
den  vollkommensten  Schutz.  Sein  größtes  Talent  als 
Staatsminister,  war  eine  nicht  zu  übertreffende  Kennt- 
nis der  Europäischen  Höfe,  der  eigentlichen  oder  übel- 
verstandenen Stärke  oder  Schwäche  ihrer  Regierungen 
und  Länder,  und  ihrer  Verhältnisse  untereinander,  und 
eine  genaue  Beurteilung  der  damaligen  gekrönten  oder 
eigentlichen  Machthaber  in  Europa. 

Aber  Graf  Ostermann  war  auch  äußerst  mißtrauisch, 
und  konnte  nicht  gern  einen  über  sich  und  neben  sich 
leiden,  den  er  nicht  offenbar  an  Einsichten  übertraf. 
Zum  Glück  konnte  ihm  aber  seine  Überlegenheit  an 
Talenten  selten  streitig  gemacht  werden.  Seiner  Lei- 
denschaften war  er  so  sehr  Herr,  daß  man  die  Geschick- 
lichkeit, sie  zu  verhüllen,  beinahe  Falschheit  nennen 
konnte.  Um  seinem  Vortrage  mehr  Nachdruck  zu  ge- 
ben, und  dadurch  seinen  Zweck  zu  erreichen,  war  es 
ihm  leicht,  Tränen  zu  vergießen.  Wenn  in  kritischen 
Fällen  die  Meinungen  der  Minister  verlangt  wurden. 


88         5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I. 

stellte  er  sich  krank,  um  die  Verantwortlichkeit  abzu- 
lehnen. Mit  den  Gesandten  der  fremden  Höfe  sprach 
er  so  rätselhaft,  daß  diese  selten  beim  Weggehen  von 
ihm  mehr  woißten,  als  da  sie  zu  ihm  kamen.  Nie  sah  er 
den,  mit  dem  er  sprach,  frei  an,  aus  Furcht,  sich  zu 
verraten.  In  seiner  Lebensweise  war  er  im  höchsten 
Grade  unreinlich. 

Die  Gräfin  Ostermann,  zu  ihrer  Zeit  eine  der  wür- 
digsten Damen  des  russischen  Hofs,  war  eine  geborne 
Stresnew;  eine  Familie,  die  mit  dem  Hause  Romanow 
nahe  verwandt  war.  Nach  dem  Tode  ihres  Gemahls 
kam  sie  aus  Sibirien  zurück. 

Graf  Ostermann  verließ  zwei  Söhne  und  eine  Toch- 
ter, die  in  der  Religion  der  Mutter,  nämlich  in  der 
griechischen,  erzogen  wurden. 

Zur  Zeit  des  Unglücks  ihres  Vaters  waren  die  Söhne 
Kapitäne  von  der  Garde.  Sie  mußten  zurückdienen, 
denn  sie  wurden  als  Hauptleute  bei  Feldregimentern 
angestellt.  Man  schickte  sie  in  die  Gegend  der  Basch- 
koren,  doch  kamen  sie  bald  von  dort  zurück. 

Einer  von  ihnen  woirde  im.  Departement  der  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  angestellt,  und  sogar  noch 
zur  Zeit  der  Kaiserin  EHsabeth  als  Gesandter  nach 
Schweden  geschickt,  wo  er  lange  blieb.  Er  war  ein 
höchst  mittelmäßiger  Diplomatiker.  Die  Revolution 
Gustavs  HI.  im  Jahre  1772  geschah  unter  seinen  Augen 
und  ganz  ohne  sein  Wissen.  Dem  Befehle  des  Königs 
gemäß  durfte  ihm  sein  Bankier  nur  eine  ganz  unbe- 
deutende Summe  verabfolgen  lassen,  damit  er  keine 
Bestechungen  wagen  konnte.  Er  wurde  so  einge- 
schränkt, daß  er  nicht  einmal  einen  Kurier  abfertigen 
durfte.  Demungeachtet  war  man  in  Petersburg  sehr 
zufrieden  mit  seinen  Depeschen. 

Es  war  einmal  eine  Zeit  unter  Katharina  IL,  da 


5-  Heinrich  Johann  Friedrich  Ostermann  I.         89 

Graf  Panin  wenig  galt.  Dieser  merkte  es,  und  wollte 
seine  Entlassung  haben,  aber  die  Kaiserin  gab  sie  ihm 
nicht.  Er  bat  um  einen  Gehilfen,  vmd  man  überließ  es 
ihm,  sich  einen  zu  wählen.  Panin  nahm  den  Grafen 
Ostermann  aus  Schweden,  den.  er  für  einen  klugen 
Mann  hielt,  weil  seine  Depeschen  vortrefflich  waren. 
Aber  diese  hatte  der  Reichsrat  Calling,  Chef  der  russi- 
schen Partei,  geschrieben.  Ostermann  kam;  man  fand, 
daß  er  ein  eingeschränkter  Kopf  war,  und  er  blieb  null. 
Als  das  griechische  Projekt  aufkam,  das  Panin  durch- 
aus nicht  billigte,  verlor  dieser  sein  ganzes  Ansehen, 
und  Ostermann  bekam  ausschließlich  die  Direktion  der 
ausländischen  Angelegenheiten.  Er  behielt  sie  aber  nur 
dem  Namen  nach.  Es  entstanden,  wie  man  zu  sagen 
pflegt,  eine  Menge  Faiseurs,  als:  Besborodko,  Potem- 
kin,  Markow,  Woronzow,  die  Lieblinge,  und  w^er  die 
Herren  alle  waren,  die  in  politischen  Fällen  von  der 
Kaiserin  um  Rat  gefragt  wurden,  und  im  Departement 
zu  befehlen  hatten;  nur  Ostermann  nicht,  der  sich  we- 
der durch  Geschicklichkeit  noch  Artigkeit  zu  seinem 
Posten  qualifizierte.  Bisher  war  dieser  Mann  Vize- 
kanzler, wirklicher  Geheimrat  und  Ritter  aller  russi- 
schen Zivilorden  gewesen.  Paul  I.,  der  seine  Unbrauch- 
barkeit  längst  bemerkt  hatte,  wollte  ihn  gern  ent- 
fernen, machte  ihn  zum  Großkanzler,  und  ließ  ihm  zu 
verstehen  geben,  daß  er  seinen  Abschied  verlangen 
möchte.  Aus  Geiz,  der  seine  Hauptleidenschaft  ist, 
schien  er  nicht  zu  verstehen,  was  der  Kaiser  von  ihm 
verlangte,  bis  dieser  ihm  geradezu  sagen  ließ :  er  würde 
wohl  tun,  sich  zu  entfernen.  Er  tat  es  endlich  und  ging 
nach  Moskau,  wo  er  noch  am  Ende  des  letzten  Jahr- 
hunderts lebte. 

Seine  Gemahlin,  die  er  spät  heiratete,  war  Alexandra 
Iwanowna  Talvsin,  eine  Tochter  des  Admirals  dieses 


go         6.  Johann  Cristoph  Dietrich  Ostermann  II. 

Namens.  Sie  war  eine  vortreffliche  Frau  und  noch  im 
Mittelalter,  als  sie  im  Anfange  der  neunziger  Jahre  des 
letzten  Jahrhunderts  starb. 

Sein  Bruder  war  im  Militärdienste  geblieben,  und 
nach  und  nach  avanciert,  ohne  sich  sehr  ausgezeichnet 
zu  haben.  Er  hatte  ebenfalls  alle  Ritterorden  von  Ruß- 
land und  war  General  en  Chef,  als  Paul  I.  den  Thron 
bestieg.  Dieser  Fürst,  der  die  Zivilgenerals  nicht  leiden 
mochte,  ernannte  ihn  zum  wirklichen  Geheimen  Rat. 
Er  lebte  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Moskau 
und  war  seit  langen  Jahren  verheiratet. 

Beide  Brüder  ersetzten  den  Mangel  an  Talenten 
durch  eine  ganz  außerordentliche  Rechtschaffenheit. 
Keiner  von  ihnen  hat  Kinder.  Sie  haben  daher  die 
Söhne  ihrer  Schwester  adoptiert,  die  seitdem  Tolstoy- 
Ostermann  heißen,  und  in  Hof-,  Zivil-  und  MiHtär- 
diensten  sich  rühmlich  auszeichnen.  Ihre  Onkels  hatten 
von  jeher  den  Ruf,  große  Reichtümer  zu  besitzen. 

Die  Schwester  der  beiden  Grafen  Ostermann  heira- 
tete schon  zur  Zeit  der  Kaiserin  Elisabeth  einen  Oberst- 
leutnant Tolstoy.  Die  Monarchin  hatte  so  wenig  Deli- 
katesse, die  Vermählung  im  Hause  des  Grafen  Oster- 
mann feiern  zu  lassen.  Frau  von  Tolstoy  scheint  schon 
lange  gestorben  zu  sein.  Ihr  Gemahl  starb  als  General 
en  Chef, 


6.  Johann  Christoph  Dietrich  Ostermann  II. 

Johann  Christoph  Dietrich  Ostermann  war  der  ältere 
Bruder  der  Großadmirals  und  Staatsministers  dieses 
Namens.  Er  kam  eher,  als  dieser,  wir  wissen  aber  nicht, 
durch  welche  Veranlassung,  nach  Rußland. 


6.  Johann  Cristoph  Dietrich  Ostermann  II.         91 

Hier  wurde  er  Lehrer  der  Zarischen  Prinzessinnen 
Katharina,  Anna  und  Prascovia,  Töchter  des  Zaren 
Joan^)  Alexjewitsch,  altern  Bruders  Peters  I.  Dieser 
letztere  Monarch  erhob  ihn  zugleich  mit  seinem  Bruder 
in  den  Freiherrnstand. 

Der  Umstand,  daß  Peter  I.  ihn  in  Geschäften  zu 
brauchen  nicht  für  gut  fand,  und  daß  sein  Bruder  durch 
sein  unverändert  großes  Ansehen  unter  den  verschie- 
denen Regierungen  ihn  nie  auf  einen  wichtigen  Posten 
bringen  konnte,  beweist,  daß  es  diesem  Ostermann, 
von  dem  hier  die  Rede  ist,  an  den  dazu  erforderlichen 
Fähigkeiten  fehlte;  man  müßte  denn  annehmen,  daß 
er  vielleicht  selbst  den  bescheidenen  Stand  der  freiem 
Mittelmäßigkeit  einer  glänzendem  Rolle  vorgezogen 
habe. 

Durch  die  Vermittelung  der  Herzogin  Katharina 
von  Mecklenburg,  1)  der  Schwester  der  Kaiserin  Anna, 
und  durch  die  Unterstützung  seines  Bruders,  wurde 
endlich  der  ältere  Ostermann  zum  Mecklenburgischen 
Gesandten  am  russischen  Hofe  ernannt;  eine  Stelle, 
die  ihm  weniger  Geschäfte  als  Ansehen  gab. 

Dem  Herzoge,  Carl  Leopold,  lag  übrigens  so  wenig 
daran,  in  Rußland  einen  Gesandten  zu  haben,  daß  man 
ihm  gar  nicht  den  Vorschlag  machen  durfte,  diesem 
einen  Gehalt  zu  geben.  Die  Kaiserin  Anna  tat  es  und 
setzte  ihrem  ehemaligen  Lehrer  monatlich  dreihundert 
Rubel  aus.  Mit  dieser  für  die  damaligen  Zeiten  nicht 
unbedeutenden  Summe  lebte  er  ruhig  und  anständig, 
bis  die  Thronbesteigung  der  Kaiserin  Elisabeth  ihn  in 
seiner  glücklichen  Lage  störte. 

Am  29.  Dezember  1741  wurde  dem  Baron  von  Oster- 
mann im  Namen  der  Kaiserin  angesagt,  sich  von  Pe- 

^)  Katharina,  die  Tochter  Iwans  (Joans)  V.,  geb.  1692,  gest.  1733, 
heiratete  1716  den  Herzog  Karl  Leopold  von  Mecklenburg-Schwerin. 


02  7-   -P«^"^^   Jaguschitiski  I . 

tersburg  weg  zu  begeben.  Er  machte  sich  sogleich,  so 
gut  er  konnte,  fertig,  abzureisen;  befand  sich  aber  in 
desto  größerer  Verlegenheit,  da  er  außer  dem  Gehalt, 
den  er  vom  russischen  Hofe  bekam,  nicht  das  geringste 
Vermögen  besaß. 

Er  ging  im  Anfang  des  Jahres  1742,  wir  wissen  nicht, 
in  welche  Gegend  von  Deutschland,  und  starb  bald 
nachher.    . 


7.  Pawi  Jaguschinski  I. 

Ein  Charakter,  der  sich  nie  verleugnet,  immer  die 
Wahrheit  redet,  keine  Konvenienzen  achtet,  seinen 
Mitbrüdern,  seinen  Vorgesetzten,  und  selbst  seinem 
Herrn  diejenige  Meinung,  die  ihm  nach  seiner  Über- 
zeugung die  richtigste  scheint,  ohne  Hülle  vorträgt, 
ein  solcher  Charakter  verdient  gewiß  eine  allgemeine 
Verehrung.  Die  kleinen  Flecke,  die  dem  Gemälde  den 
hohen  Grad  der  Vollkommenheit  nehmen,  verschwin- 
den vor  den  größern  Verdiensten,  oder  machen  diese 
nur  noch  hervorstechender. 

Pawl  Jaguschinski  war  im  Jahre  1683  in  Moskau 
geboren.^) 

Sein  Vater,  ein  Küster  der  lutherisch-deutschen  Ge- 
meinde daselbst,  war  von  Litthauischer  Herkunft. 

In  seinem  achtzehnten  Jahre  (1701)  hatte  Pawl  das 
Glück,  Peter  I.  bekannt  zu  werden,  und  durch  einige 
geschickte  Antworten  die  Gunst  dieses  Fürsten  zu  ge- 
winnen.^) Bald  nachher  nahm  er  die  griechische  Reli- 

^)  Er  wurde  in  Polen  geboren,  von  wo  sein  Vater,  Johann  J., 
1687  nach   Moskau   auswanderte. 
2)  Siehe  S.  ii- 


7-  Pawl  J aguschinski  I.  y3 

gion  an.  Die  Ursache,  die  ihn  zu  diesem  Schritt  be- 
wogen haben  mag,  können  wir  nicht  angeben. 

Peter  I.  gab  ihm  anfänghch  einen  Platz  in  der 
Reichskanzlei,  wo  er  einige  Jahre  blieb  und  mit  großem 
Beifall  arbeitete.  Der  Kaiser,  der  ihn  fast  vergessen  zu 
haben  schien,  erinnerte  sich  der  Brauchbarkeit  dieses 
Mannes,  der  ihm  aufs  neue  von  Menschikow  empfohlen 
wurde  und  setzte  Jaguschinski  unter  die  Garde,  wo  er 
Gelegenheit  hatte,  dem  Monarchen  näher  bekannt  zu 
werden. 

Vom  Offizier  bei  der  Garde,  wurde  er  Deuschtschik^) 
bei  Peter  I.  und  einer  von  dessen  vertrautesten  Lieb- 
lingen. 

Jaguschinski  war  einer  von  denen,  die  im  Jahre  1718 
das  Todesurteil  des  unglücklichen  Zarewitsch  Alexej 
Petrowitsch  unterschrieben.  Damals  war  er  General- 
major und  Hauptmann  von  der  Garde.  Vier  Jahre 
nachher  (1722)  ernannte  ihn  Peter  I.  zum  Gener al- 
lieutnant,  und  endlich  zum  Generalprokureur^)  im 
Senat. 

Nach  dem  Tode  dieses  Monarchen  (1725)  half  er  ge- 
meinschaftlich mit  Menschikow  Katharina  L  auf  den 
russischen  Thron.  Diese  Fürstin  erhob  ihn  zwar  in  den 
Grafenstand,  aber  wegen  eines  Streites  mit  dem  Für- 
sten Menschikow,  dem  er,  wider  seine  Überzeugung, 
durchaus  nicht  nachgeben  wollte,  verlor  Jaguschinski 
unter  der  Regierung  dieser  Kaiserin  seine  Stelle  als 

^)  Deuschtschik  war  die  einzige  Art  von  Hoibedienten,  die 
Peter  I.  um  sich  liatte,  und  die  wechselweise  bei  ihm  de  jour  waren. 
Man  könnte  sie  daher  dejourierende  Adjutanten  nennen.  Der 
Name  kommt  von  dem  russischen  Worte:   Deu  =  Tag  her.    H. 

^)  Generalprokureur  ist  dem  Range  nach  der  letzte  im  Senat, 
aber  dem  Gewichte  nach  der  Vornehmste.  Er  sitzt  im  Senat  im 
Namen  des  Kaisers,  kontrolliert  alles,  was  daselbst  geschieht  und 
hat  den  alleinigen  und  entscheidenden  Einfluß  auf  die  Entschließun- 
gen der  Senatoren.    H. 


94  7-  -Pfl"^^  Jaguschinski  1. 

Generalprokureur.  Demungeachtet  blieb  er  immer  im 
russischen  Staate  in  großem  Ansehen.  Der  Hof  fürch- 
tete ihn,  und  die  Armee  zeigte  ihm  eine  allgemeine 
Liebe  und  Verehrung. 

Während  der  Regierung  Peter  II.  setzte  er  nur  seinen 
Mihtärdienst,  aber  mit  einem  unübertreff baren  Eifer, 
fort. 

Nach  dem  Tode  dieses  Monarchen  wurde  er  ein  Mit- 
glied der  hohen  Versammlung,  die  über  die  Thronfolge 
entscheiden  sollte. 

Bei  der  Thronbesteigung  der  Kaiserin  Anna  (1730) 
ließ  ihn  diese  Versammlung  arretieren,  weil  er  der 
neuen  Monarchin  den  Rat  gegeben  hatte,  die  ihr  vor- 
gelegte Kapitulation  zu  zerreißen,  und  gleich,  wie  ihre 
Vorgänger,  nach  ihrem  eigenen  Willen,  ohne  Ein- 
schränkung zu  regieren.  Vielleicht  nahm  er  bei  diesem 
Rate  auf  sich  selbst  Rücksicht,  aber  sein  Vorhaben 
schlug  fehl. 

Jaguschinski  hätte  damals  unglücklich  werden  kön- 
nen, wenn  nicht  die  Kaiserin  aus  Dankbarkeit  ihn  so- 
gleich losgegeben  hätte.  Dies  war  die  erste  Handlung, 
womit  Anna  ihre  Alleinherrschaft  bezeichnete, 

Jaguschinski  wurde  nun  wieder  Generalprokureur, 
entzweite  sich  aber  in  dieser  Würde  mit  dem  Grafen 
Biron,  so  daß  er  sogar  den  Degen  gegen  den  Liebling 
der  Kaiserin  zog.  Dies  war  ein  neuer  Weg  zum  Ver- 
derben, allein  Anna,  immer  dankbar  für  den  guten 
Dienst,  den  ihr  Jaguschinski  geleistet  hatte,  suchte  den 
Folgen  dieses  Streites  vorzubeugen,  indem  sie  den 
Generalprokureur  zum  Gesandten  an  dem  Berliner  Hof 
ernannte.  Einige  Jahre  nachher  wurde  er  zurückge- 
rufen und  zum  Kabinettsminister  gemacht. 

Er  starb  im  Jahre  1736,  und  wurde  mit  allen  mili- 
tärischen Ehrenbezeigungen  im  Kloster  Newsky  be- 


I 


y.  Pawl  Jaguschinski  I.  g5 

graben,  wo  man  in  der  ersten  Kirche  unten,  linker 
Hand,  am  Eingange  ins  Kloster  noch  sein  Epitaphium 
sieht. 

Am  Ende  dieser  kleinen  biographischen  Skizze  fügen 
wir  eine  kurze  Beschreibung  der  solennen  Exequien 
dieses  berühmten  Mannes  bei. 

Damals  war  Graf  Jaguschinski  General  en  Chef,  Ka- 
binettsminister, wirklicher  Geheimer  Rat  und  Ritter 
des  Andreas-  und  Alexander-Newsky-Ordens.^) 

Jaguschinski  war  einer  von  denen,  in  deren  Ver- 
stände sich  Peter  I.  nicht  geirrt  hatte,  denn  er  war 
wirklich  ein  Mann  von  außerordentlichen  Fähigkeiten. 
Sein  Urteil  war  sehr  richtig,  so  daß  diejenigen  von 
seinen  Untergebenen,  die  er  gewählt  hatte,  gewiß  sehr 
brauchbare  Männer  waren.  Er  hatte  ausgebreitete  mili- 
tärische Wissenschaften  und  große  Kenntnisse  von 
seinem  Vaterlande.  Seine  Gegenwart  des  Geistes  half 
ihm  in  den  schwierigsten  Fällen,  und  oft  sogar  dann, 
wenn  seine  Übereilung  ihn  in  Verlegenheit  gebracht 
hatte.  Er  war  sehr  tapfer,  und  scheute  kein  Ansehen 
der  Person,  wenn  es  darauf  ankam,  seine  Meinung  als 
ein  ehrlicher  Mann  zu  erklären.  Jaguschinski  war  es 
sehr  oft,  der  dem  Kaiser,  Peter  I.,  mit  dürren  Worten 
die  Wahrheit  sagte,  wenn  andere  sich  fürchteten,  gegen 
die  zuweilen  heftigen  Befehle  dieses  Monarchen  Ein- 
wendungen zu  machen. 

Bei  diesen  großen  Talenten  war  Jaguschinski  auf- 
fahrend und  hitzig,  und  war  es  noch  mehr,  wenn  er, 
was  in  den  letzten  Jahren  fast  täglich  geschah,  sich 
berauscht  hatte;  ein  Laster,  das,  sozusagen,  ein  not- 
wendiger Bestandteil  der  Sitten  seines  Zeitalters  war, 

^)  Der  Alexander-Newsky-Orden  war  zwar  von  Peter  I.  gestiftet, 
wurde  aber  erst  von  Katharina  I.  im  Jahre  1725  ausgeteilt.  Er  ist 
der  zweite  im  Range  und  wird  an  einem  roten  Bande  getragen.  H. 


g6  7.  Pawl  Jaguschinski  I. 

und  das  leider  diesen  großen  Minister  oft  zu  den  größten 
Ausschweifungen  verleitete. 

Jaguschinski  war  zweimal  verheiratet. 

Mit  seiner  ersten  Gemalüin,  deren  Familiennamen 
wir  nicht  kennen,  zeugte  er  Kinder,  lebte  alsdann  in 
Unfrieden  mit  ihr,  und  verstieß  sie  mit  Peters  I.  Be- 
willigung.^) 

Er  heiratete  hernach  eine  Gräfin  Golowkin,  die  nach 
seinem  Tode  sich  mit  dem  Oberhofmarschall  Grafen 
Michael  Bestuschew  vermählte  und  höchst  unglück- 
lich wurde.  Von  dieser  Gemahlin  hatte  Jaguschinski, 
so  viel  wir  wissen,  einige  Töchter.^) 

Ein  Sohn  aus  der  ersten  Ehe  starb  schon  im  Jahre 
1724. 

Ein  zweiter  Sohn  von  ihm,  Sergej,  wurde  in  verschie- 
denen Regierungen  in  Geschäften  gebraucht.  So  war 
er  z.  B.  im  Jahre  1764  ein  Mitglied  der  Kommission, 
die  nach  der  Ermordung  des  ehemaligen  Kaisers  Joan 
Antonowitsch  die  Untersuchung  gegen  den  unglück- 
lichen Miro  witsch  anstellen  mußte.  In  der  Folge  mußte 
Sergej  seinen  Abschied  nehmen,  und  wurde,  wegen 
übertrieben  schlechter  Verwaltung  seines  Vermögens, 
im  Alter  pro  prodigo  erklärt.  Er  war  Generallieutnant, 
Kammerherr  und  Ritter  des  Annenordens, ä)  und  lebte 

^)  Sie  wurde  in  ein  Kloster  •gesteckt. 

^)  Aus  der  zweiten  Ehe  stammt  nur  eine  Tochter,  von  der  später 
die  Rede  sein  wird. 

^)  Karl  Friedrich  von  Holstein,  der  Schwiegersohn  Peters  des 
Großen  (1700 — 1739),  der  Vater  Peters  III.,  stiftete  den  Annenorden 
im  Jahre  1735  zum  Andenken  seiner  Gemahlin,  Anna  Petrowna. 
Der  Annenorden  war  das  einzige,  was  Paul  I.  als  Großfürst  \'on 
seiner  Souveränität  von  Holstein  übrig  behielt.  Er  teüte  ihn  als 
Großmeister  aus,  und  als  er  Kaiser  wurde,  machte  er  ihn  zum 
Militärorden  und  teilte  ihn  in  verschiedene  Klassen.  Das  Band 
ist  rot  mit  gelber  Einfassung.  Dieser  Orden  hat,  nebst  dem  Danebrog- 
orden,  das  Sonderbare,  daß  der  Stern  auf  der  rechten  Seite  ge- 
tragen wird.    H. 


7.  Pawl  Jaguschinski  I.  97 

noch  im  Jahre  1799.  Ob  er  Kinder  hinterlasse,  oder 
hinterlassen  habe,  wissen  wir  nicht. 

Eine  Tochter  erster  Ehe  heiratete  einen  Knes  Ga- 
garin,  und  wurde  in  das  Unglück  ihrer  Stiefmutter  ver- 
wickelt, aber  sogleich  losgegeben. 

Die  älteste  Tochter  zweiter  Ehe  wurde  ebenfalls  mit 
ihrer  Mutter  arretiert. 


Kurze  Beschreibung  von  den  solennen  Exequien 
S.  E.  des  Herrn  Generals  en  Chef  und  Kabinetts- 
Ministers,  Grafen  von  Jaguschinski,  welche  den 
28ten  April  1736  in  St.  Petersbiurg  gehalten  worden. 

Nachdem  der  Leichnam  etliche  Tage  öffenthch  in 
Parade  gelegen,  und  auf  den  28.  April  durch  einen 
General-Auditorleutnant  und  einen  Kapitän  von  der 
Garde  alle  in-  und  ausländischen  Minister,  nebst  allen 
andern  Personen  von  Distinktion,  invitiert  worden, 
versammelte  sich  der  Kondukt  früh  morgens  gegen 
9  Uhr  in  dem  Hause  des  verstorbenen  Herrn  Grafen, 
aus  welchem  der  Zug  nach  dem  Kloster  des  heiligen 
Alexandri  Newski,  ungefähr  in  folgender  Ordnung 
geschah : 

200  Mann  von  der  Kaiserlichen  Garde  zu  Pferde, 

das  Ingermannlandische  Regiment, 

das  St.  Petersburgische  Garnison-Regiment, 

3  Furiere  zu  Pferde, 

4  Pauker, 

12  Trompeter, 

2  Fähnrichs  mit  dem  gräflichen  Wappen, 

I  Leutnant  mit  der  roten  Fahne, 

I  Stallmeister, 

6  Trauerpferde, 

Russische  Günstlinge.  j 


g8  7.  Pawl  Jaguschinski  I. 

3  Marschälle, 

die  nissische  und  deutsche  Kaufmannschaft, 

2  Marschälle, 

die  Offizianten  aus  verschiedenen  Collegiis, 

2  Majore  als  Marschälle, 

I  in  Freudenharnisch  gewaffneter  Ritter, 

I  Leutnant  mit  der  weißen  Fahne,  in  welcher  der 

verzogene  gräfliche  Name, 
ein  schwarz  geharnischter  Mann  zu  Fuß, 
I  Fähnrich  mit  der  schwarzen  Fahne, 

1  Trauerpferd, 
der  Kirchenchor, 

2  Obristen  als  Marschälle, 

die  sämtliche  russische  Geistlichkeit, 

1  Brigadier  und 

2  Obristen  als  Marschälle, 
diesen  wurden  nachgetragen: 

das  Kaskett, 

die  Handschuhe, 

die  Sporen, 

der  Degen, 

der  Alexanderorden, 

der  Andreasorden, 

der  Kommandostab. 

Sämtliche  Insignia  lagen  auf  rot  sammetnen  mit 
goldenen  Tressen  und  Quasten  besetzten  Kissen,  die 
jedesmal  ein  Brigadier,  Obrister  oder  Major  nebst 
2  Assistenten  trug. 

Auf  den  Seiten  gingen  Soldaten  mit  brennenden 
weißen  Wachskerzen,  an  welchen  ein  kleiner  Schild  mit 
dem  verzogenen  gräflichen  Namen  angeheftet  war, 

3  Brigadiers  als  Marschälle, 

6  Unteroffiziere  vom  Kadettenkorps, 

der  Leichenwagen,  der  von  6  verkleideten  Pferden 


8.  Jaguschinski  II.  gg 

gezogen   wurde,    über   selbigen   wurde   ein   mit 
schwarzem  Sammet  und  silbernen  Tressen  be- 
setzter Baldachin  von  12  Kapitänen  und  Majoren 
gehalten,  neben  welchen  Obristen  gingen, 
8  Offiziere  vom  Kadettenkorps, 

1  Generalmajor  als  Marschall, 

2  Adjutanten, 

die  übrigen  invitierten  Leichenbegleiter, 

3  bezogene  sechsspännige  Trauerwagen,  in  welchen 
die  Leidtragenden  weiblichen  Geschlechts  saßen, 

I  Furier  zu  Pferde, 

I  Eskadron  von  der  Leibgarde  zu  Pferde, 

Während  der  Prozession  wurde  alle  Minuten  von  der 
Festung  eine  Kanone  gelöst. 

Die  Gruft  war  auf  Ihre  Kaiserliche  Majestät  Erlaub- 
nis in  der  Kirche  des  erwähnten  Klosters,  wohin  sonst 
nur  die  Leichen  des  Kaiserlichen  Hauses  begraben 
werden,  zubereitet. 

Bei  der  Einsenkung  wurde,  nach  militärischem  Ge- 
brauch, von  den  obgesetzten  Truppen  aus  dem  kleinen 
Gewehr  eine  dreifache  Salve  gegeben. 


8.  Jaguschinski  II. 

Jaguschinski,  der  jüngere  Bruder  des  berühmten 
Staatsministers,  hatte  weder  einen  vorzüglichen  Ver- 
stand, noch  große  Kenntnisse.  Nur  durch  die  Ver- 
dienste seines  Bruders  schwang  er  sich  im  russischen 
Militärdienste  empor.  So  viel  wir  haben  finden  können, 
ist  er  jedoch  nur  bis  zum  Range  eines  Obersten  ge- 
kommen. 

Er  starb  im  Jahre  1722. 


Sit. 


100  9-  Emanuel  DeviSre. 

9.  Emanuel  Deviere.^) 

Emanuel  Devi6r,  ein  Portugiese  von  gemeiner  Her- 
kunft 2),  war  als  ein  Dienstjunge  auf  einem  Kauffahr- 
teischiff nach  Holland  gekommen,  wo  ihn  Peter  I. 
durch  ein  Ungefähr  zu  sehen  bekam. 

Dieser  Monarch  gab  ihn  zu  Menschikow  in  Dienst, 
der  ihn  als  Läufer  annahm. 

Hier  hatte  der  Kaiser  Gelegenheit,  ihn  zu  sprechen, 
und  da  er  an  ihm  Fähigkeiten  entdeckte,  so  nahm  er 
ihn  zu  sich.  Er  machte  ihn  zum  Offizier  von  der  Garde, 
und  bald  nachher  zu  seinem  Deuschtschik.  In  diesem 
Dienste  setzte  sich  Deviere  in  der  Gunst  des  Monarchen 
noch  fester.  Nach  und  nach  erlangte  er  größere  Ehren- 
stellen in  der  Armee,  und  nun  wurde  er  so  dreist,  die 
Schwester  seines  vorigen  Herrn,  von  deren  Gegenliebe 
er  versichert  war,  zur  Ehe  zu  verlangen.  Menschikow 
wies  zwar  diesen  Antrag  mit  Verachtung  ab,  aber  De- 
viere gab  deswegen  sein  Vorhaben  nicht  auf.  Er  er- 
reichte auch  seinen  Zweck.  Die  Schwester  des  Fürsten 
gab  ihm  so  unwidersprechliche  Beweise  ihrer  Gunst, 
daß  Deviere  es  endlich  für  notwendig  hielt,  ihrem  Bru- 
der vorzustellen,  daß  man  mit  der  zeremoniellen  Be- 
stätigung der  Ehe  eilen  müsse,  wenn  der  Fürst  nicht 
den  Verdruß  haben  wollte,  seine  Schwester  als  eine  un- 
verheiratete Mutter  zu  sehen.  Statt  aller  Antwort  ließ 
Menschikow  seinem  zudringlichen  Schwager  die  Ba- 
togen^)  geben.  Mit  den  blutigen  Wirkungen  der  Wut 

^)  Der  Name  des  Portugiesen  lautete  Anton  Devier,  später 
Anton  Manuelowicz  Devivier. 

2)  Nach  Waliszewski,  Pierre  le  Grand,  S.  46,  ist  Deviere  ein 
orthodoxer  Jude  gewesen,  der  später  zur  griechischen  Kirche 
übertrat. 

^)  Batogen  =  Stockschläge  auf  den  nackten  Rücken  und  dessen 
Fortsetzung. 


g.  Emanuel  Deviere.  lOI 

des  Fürsten  bezeichnet,  ging  Deviere  zum  Kaiser,  warf 
sich  ihm  zu  Füßen,  und  bat  um  Hilfe. 

Man  muß  sich  allerdings  über  eine  solche  Klage  bei 
dem  Souverän,  die  unter  Männern  von  Ehre  nach 
empfangener  Beleidigung  so  ungewöhnlich  ist,  wun- 
dern. Ein  ausdrücklicher  Befehl  Peters  I.  kann  ein 
solches  Benehmen  nur  schwach  entschuldigen.  Fast 
sollte  man  glauben,  Deviere  wäre  an  solche  Behand- 
lungsarten gewöhnt  gewesen,  und  habe  weiter  keine 
Rache,  als  die  Klage,  gekannt.  —  In  diesem  Falle  hätte 
er  keinen  Beistand  verdient. 

Indessen  versagte  ihm  Peter  I.  denselben  nicht,  und 
zwang  sogar  den  Fürsten  Menschikow,  seine  Schwester 
zum  Traualtar  zu  führen. 

Damals  wurde  Deviere  zum  Generalpolizeimeister 
erklärt. 

In  diesem  Posten  erhielt  er  oft  vom  Kaiser  fühlbare 
Merkmale  des  Unwillens.  Bei  dem  allen  liebte  ihn  dieser 
Monarch  sehr  und  zeigte  ihm  oft,  wie  groß  das  Ver- 
trauen sei,  das  er  ihn  setze.  Er  machte  ihn  zu  seinem 
Generaladjutanten. 

Deviere  bekleidete  schon  diese  ausgezeichnete  Wür- 
de, als  er  im  Jahre  1718  das  Todesurteil  des  unglück- 
lichen Zarewitsch  mit  unterschrieb. 

Imjahre  1721  wurde  er  Generalleutnant,  und  bald 
nachher  Hofmeister  der  Prinzessinnen  Anna  und  Eli- 
sabeth. 

So  sehr  sich  auch  Deviere  dem  Fürsten  Menschikow 
im  Range  näherte,  so  konnte  ihm  dieser  doch  die  Art 
nicht  verzeihen,  mit  welcher  sich  Deviere  in  Menschi- 
kows  Verwandtschaft  eingedrängt  hatte. 

Er  rächte  sich  sogar  dafür  grausam  unter  der  Re- 
gierung der  Kaiserin  Katharina  I. 

Anfänglich  erhielt  Deviere  von  dieser  Fürstin  Be- 


102  9-  Emanuel  DeviSre. 

weise  ihrer  Gnade  und  ihres  Zutrauens.  Sie  erhob  ihn 
in  den  Grafenstand,  und  gab  ihm  den  Auftrag,  im 
Jahre  1726  nach  Kurland  zu  gehen,  um  die  Klagen  der 
Herzogin  Anna  gegen  Menschikow  daselbst  zu  unter- 
suchen. 

Er  tat  es  mit  derjenigen  Strenge,  die  einem  Wider- 
sacher des  Beklagten  natürlich  ist,  und  das  Resultat 
dieser  Unternehmung  war  ganz  zum  Vorteil  der 
Herzogin. 

Hierdurch  nun  wurde  Menschikow  noch  mehr  auf- 
gebracht. 

Er  faßte  einige  Kritiken  auf,  die  Deviere  sehr  tref- 
fend über  den  anmaßenden  Despotismus  seines  Schwa- 
gers gemacht  hatte,  bildete  sie  aus,  wie  er  sie  brauchen 
konnte,  und  machte  daraus  den  vergeblichen  Entwurf 
eines  Aufstandes  gegen  die  damalige  Regierung,  an 
welchem  Deviere  den  meisten  Anteil  genommen  haben 
sollte. 

Katharina  I.,  die  zu  indolent  war,  um  selbst  zu  prü- 
fen, willigte  ohne  Schwierigkeiten  in  dessen  Bestrafung. 

Graf  Deviere  wurde  nun  im  Jahre  1727  aller  seiner 
Ehre,  Güter  und  Würden  verlustig  erklärt,  bekam  die 
schändliche  Strafe  der  Knute,  von  der,  wie  wir  gesehen 
haben,  er  durch  öftere  Schläge  schon  oft  den  Vor- 
schmack  bekommen  hatte,  und  mußte  nach  Sibirien 
gehen.  Damals  hatte  er,  außer  den  vielen  Ehrenstellen, 
womit  ihn  Peter  I.  und  Katharina  I.  begnadigt  hatten, 
und  von  denen  wir  schon  gesprochen  haben,  den 
Alexander-Newsky-Orden,  den  ihn  ebenfalls  Katha- 
rina I.  erteilt  hatte. 

Man  wundert  sich  mit  Recht,  daß  die  Kaiserii:  Anna, 
welcher  Deviere  wesentliche  Dienste  geleistet  hatte, 
nicht  daran  denken  konnte,  diesen  Mann  von  dem  Orte 
seiner  Verweisung  zurück  zu  rufen.  Ein  so  unnatür- 


9-  Entanuel  Deviire.  I03 

lieber  Undank  dieser  Monarchin  kann  nur  dadurch 
einigermaßen  wahrscheinhch  erklärt  werden,  daß  De- 
viere  vielleicht  so  unglücklich  gewesen  war,  dem  all- 
gewaltigen Biron  zu  mißfallen. 

Endlich  ließ  ihn  die  Kaiserin  Elisabeth,  die  alle 
Diener  ihres  Vaters  um  sich  her  versammelte,  die  vor 
ihrer  Thronbesteigung  in  das  Exil  hatten  gehen  müssen, 
im  Jahre  1742  zurückkommen,  und  gab  ihm  seine 
meisten  Ehrenstellen  und  Orden  wieder. 

Deviere  starb  vier  Jahre  nachher  in  Petersburg  in 
einem  hohen  Alter,  ohne  jedoch  dasselbe  genau  ange- 
ben zu  können. 

Er  war  kein  Mann  von  ganz  außerordentlichem  Ver- 
stände, aber  er  hatte  eine  ziemlich  treffende  Urteils- 
kraft, und  war,  was  Peter  I.  ihm  allerdings  mit  Recht 
für  ein  großes  Verdienst  anrechnete,  äußerst  pünktlich 
in  der  mechanischen  Beobachtung  der  ihm  auferlegten 
Pflichten.  Übrigens  war  er  gutherzig,  schwach  und  un- 
überlegt in  seinen  Handlungen;  Eigenschaften,  die 
man  nur  zu  oft  in  einem  Wesen  vereinigt  findet.  Seine 
Grundsätze  von  Ehre  waren  ganz  falsch,  sonst  würde  er 
bei  empfangenen  Beschimpfungen  und  entehrenden 
Strafen  sich  anders  benommen  haben. 

Die  Gemahlin  des  Grafen  Deviere  war,  wie  wir  wis- 
sen, eine  Schwester  des  Fürsten  Menschikow. 

Aus  dieser  Ehe  können  vielleicht  mehrere  Kinder  ge- 
kommen sein,  aber  nur  ein  Sohn  hat  sich,  aber  freilich 
auf  keine  verdienstliche  Art,  merkwürdig  gemacht.  Er 
hieß  Anton,  war  erst  Herzoglich-Holsteinischer  und 
dann  Großfürstlicher  Kammerherr.  Peter  HI.  machte 
ihn  1762  nach  seiner  Thronbesteigung  zu  seinem  Ad- 
jutanten. Am  Tage  der  Empörung,  die  Katharina  II. 
wider  ihren  Gemahl  erregte,  schickte  ihn  der  Kaiser 
nach  Kronstadt,  um  sich  des  Hafens  zu  versichern. 


104  ^^"  ^^''^  Weide. 

Deviere  benahm  sich  dabei  so  ungeschickt,  daß  ihn  der 
Kommandant  Kummers  arretierte,  ehe  jener  etwas 
zum  Vorteile  seines  Herrn  unternahm,  i) 


10.  Adam  Weide. 

Man  kann  durch  pünkthche  Erfüllung  seiner  Pflich- 
ten, durch  unwiderlegbare  Proben  einer  strengen 
Rechtschaffenheit,  und  durch  Einsichten  mancher  Art, 
die  Zufriedenheit  seines  Herrn,  seiner  Freunde  und  aller 
seiner  Mitbürger  erringen,  und  dennoch  durch  den 
Schein  einer  einzigen  verdächtigen  Handlung  den  er- 
langten Beifall  größtenteils  vernichten;  durch  einen 
einzigen,  dem  Anschein  nach,  nicht  ganz  geraden 
Schritt,  wenn  er  zur  Kenntnis  der  Welt  kommt,  das 
Zutrauen,  das  man  bis  zu  dem  kritischen  Augenblick  in 
bürgerlichen  und  freundschafthchen  Verhältnissen  un- 
geteilt genoß,  fast  ganz  verlieren. 

Adam  Weide  war  ein  Deutscher,  bürgerlichen  Her- 
kommens, von  dem  man  aber  nicht  weiß,  ob  er  unter 
der  Regierung  Peter  I.,  oder  des  Zars  Alexej  Michajlo- 
witsch,  nach  Rußland  gekommen  ist.^) 

Weide  trat  in  Kriegsdienste,  zeigte  nicht  gewöhn- 
liche militärische  Talente,  und  eine  Anhänglichkeit  an 
seinen  Monarchen,  der  alle  andre  Rücksichten,  ja  viel- 
leicht selbst  Grundsätze,  weichen  mußten.  Dafür  be- 

^)  Es  ist  dies  jener  Kammerherr  Graf  Deviere,  dessen  Katha- 
rina II.  in  ihren  Memoiren  in  wenig  rühmlicher  Weise  gedenkt 
(S.  55).  Er  war  einer  der  geheimen  Aufpasser  der  Kronprinzessin 
Katharina.  Später  scheint  sich  das  Verhältnis  geändert  zu  haben; 
denn  Deviere  wird  auf  Veranlassung  Tschoglogoffs  aus  seiner 
Stellung  gebracht,  weü  er  zur  Großfürstin  Katharina  hält  (S.  64). 

^)  Weide  wurde  in  Rußland  geboren. 


10.  Adam  Weide.  105 

lohnte  ihn  auch  Peter  I.  durch  öffentHche  Beweise 
seiner  Großmut,  indem  er  ihn  durch  außerordenthche 
Auszeichnung  sehr  bald  zum  General  en  Chef,  und  im 
Jahre  1714  zum  Ritter  des  Andreasordens  ernannte. 
Überdies  zeigte  ihm  auch  der  Kaiser,  durch  die  Mit- 
teilung mancher  seiner  Geheimnisse,  ein  ziemlich  un- 
eingeschränktes Vertrauen.  Man  kann  sagen,  daß  viel- 
leicht nicht  noch  drei  Personen  in  der  Welt  waren, 
denen  der  Monarch  in  gewissen  Verhältnissen  so  ver- 
traute Eröffnungen  machte  als  dem  General  Weide. 

Den  größten  Beweis  davon  gab  der  Kaiser  bei  Ge- 
legenheit der  fürchterlichen  Katastrophe,  die  seinen 
Sohn  Alexis  betraf. 

Es  ist  gewiß,  daß  das  ganz  ungefällige,  ungeschickte, 
indolente,  hartnäckige,  und  überhaupt  genommen, 
strafbare  Benehmen  des  Zarewitsch,  eine  völlige  Um- 
wälzung der  großen  und  mühevollen  Schaffung  Pe- 
ters I.  und  den  ganzen  Umsturz  der  russischen  Staats- 
verfassung nach  dem  Tode  des  Kaisers  befürchten 
Heß,  aber  dem  unerachtet  bleibt  die  Geschichte  der 
letzten  Tage  dieses  Kronprinzen  immer  und  ewig  ein 
schändender  Fleck  in  dem  strahlenden  Geschichtsbilde 
Peters  I. 

Um  dieses  große  und  reichhaltige  Gemälde  voll- 
kommen darzustellen,  darf  man  diese  schaudernerre- 
gende Szene  nicht  weglassen.  Man  stelle  sie  aber  noch 
so  sehr  in  den  Hintergrund,  so  werden  doch  die  treffen- 
den, grellen  Farben,  die  man  in  der  Dunkelheit  auf- 
tragen muß,  hervorstechen,  und  den  brennenden  Glanz 
der  Vorstellung  des  Regenten  mindern. 

Hätte  im  Jahre  1718  Le  Fort  noch  gelebt,  den 
Peter  I.  so  sehr  fürchtete,  so  würde  dieses  für  den  sonst 
ungewöhnlichen  Ruhm  des  Monarchen  so  nachteilige 
Ereignis  nicht  erfolgt  sein. 


Io6  lo.  Adam  Weide. 

Wir  wollen  übrigens  aus  der  Inquisitionsgeschichte 
des  Zarewitsch,  die  ohnedies  nicht  in  ihrem  ganzen  Um- 
fange hierher  gehört,  nur  diejenigen  Umstände  aus- 
heben, an  welchen  Weide  teil  nahm. 

Vom  ersten  Augenblick  der  Untersuchung  an,  war 
er  in  dieser  Angelegenheit  gebraucht  worden.  Selbst 
dann,  wenn  es  darauf  ankam,  den  Prinzen  durch 
Zwangsmittel  zum  Geständnis  zu  bringen,  brauchte 
der  Kaiser,  der  das  Geheimnis  keinen  gemeinen  Leuten 
anvertrauen  wollte,  niemanden  zu  diesem  Geschäfte, 
als  den  General  Weide, 

So  weiß  man,  daß  ihn  der  Monarch  an  dem  entschei- 
denden Tage,  an  welchem  Alexis  sich  ganz  schuldig 
bekannte,  den  General  vorher  mit  sich  in  die  Festung 
und  in  das  Gefängnis  des  Zarewitsch  nahm,  und  daß 
erst  durch  diesen  Besuch  das  Geständnis  erpreßt 
wurde,  das  ihm  das  Leben  absprach. 

Das  Todesurteil  wurde  abgefaßt,  unter  andern  auch 
vom  General  Weide  unterschrieben,  und  vom  Kaiser 
(1718)  bestätigt. 

Um  es  nicht  öffentlich  zu  vollziehen,  beschloß  der 
Monarch,  den  Zarewitsch  durch  Gift  umbringen  zu 
lassen.  Er  schickte  Weiden  zum  Hofapotheker,  einem 
Deutschen,  um  daselbst,  nach  einem  mitgegebenen  Re- 
zepte, einen  starken  Gifttrank  zu  bestellen.  Der  Apo- 
theker erschrak  heftig  darüber,  sagte  aber  doch,  daß 
in  einigen  Stunden  der  Trank  fertig  sein  sollte.  Nach 
Verlauf  dieser  Zeit  kam  der  General  Weide,  in  einen 
Mantel  gehüllt,  wieder,  und  verlangte  den  Trank. 
Allein  der  Apotheker  weigerte  sich,  ihn  verabfolgen  zu 
lassen,  und  sagte,  er  würde  denselben  in  keine  andern, 
als  in  die  Hände  des  Kaisers  geben.  Weide  war  dies  zu- 
frieden und  nahm  den  Apotheker  mit  zu  dem  Mon- 
archen, der  das  Gift  annahm.  Der  Kaiser  und  Weide 


lo.  Adam  Weide.  I07 

brachten  am  7.  Juli  den  Trank  dem  Prinzen,  allein 
dieser  war  auf  keine  Weise  zum  Trinken  zu  bewegen. 
Man  schritt  hierauf  in  dem  nämlichen  Augenbhck  zu 
einem  andern  Mittel.  Man  holte  ein  Beil,  hob  eine  Diele 
im  Fußboden  auf,  damit  das  Blut  in  den  Schutt  laufen 
konnte,  und  nun  hieb  man  dem  durch  Ohnmächten 
abgematteten  Prinzen  den  Kopf  ab.^) 

Indem  der  Geschichtschreiber  über  diese  schreck- 
liche Begebenheit  nachdenkt,  um  ein  Urteil  über  den 
Charakter  des  Generals  Weide  abzufassen,  fühlt  er  sich 
von  einem  Gemisch  widerstreitender  Empfindungen 
durchdrungen.  Es  ist  ihm  nicht  möglich,  einen  Mann 
vom  Verdacht  des  Verbrechens  ganz  frei  zu  sprechen, 
der  solche  Geschäfte  übernehmen  konnte,  als  diejenigen 
waren,  von  denen  wir  eben  gesprochen  haben ;  er  kann 
aber  auch  den  nicht  ganz  verdammen,  der  in  diesem 
grausamen  Augenblicke  nur  das  Instrument  eines  sonst 
weisen,  weitsehenden,  und  allgemein  verehrten  Mon- 
archen ist. 

Weide  hatte  den  Ruf  eines  treuen  Dieners,  eines 
rechtschaffenen    Mannes,    und   eines    einsichtsvollen 

1)  Nach  Crusenstolpe  (I,  S.  54)  war  Weide  der  Henker,  unter 
dessen  Beil  das  Haupt  des  Thronfolgers  fiel.  Nach  anderen  Quellen 
enthauptete  Peter  selbst  seinen  Sohn:  ,,Weil  sich  niemand  wollte 
finden  lassen,  der  die  Hand  an  seinen  Kronprinzen,  um  solchen 
zu  torquieren,  hätte  legen  wollen,  so  nahm  der  Czaar  solches  Amt 
Selbsten  über  sich;  da  Er  aber  dieses  Amt  noch  nicht  so  meister- 
lich, als  der  ordinaire  Büttelknecht  verstehen  mochte,  versetzte 
er  seinem  Sohn  mit  der  Knutpeitsche  einen  solchen  unglücklichen 
Streich,  daß  Er  gleich  sprachlos  zur  Erde  sank,  und  die  anwesende 
Ministri  nicht  anders  meinten,  als  daß  der  Prinz  sogleich  ver- 
scheiden würde;  der  Vater  hörete  zwar  auf  zu  schlagen,  ließ  sich 
aber  im  Weggehen  diese  heßliche  Worte  verlauten:  ,Der  Teufel 
wird  ihn  doch  nicht  holen'."  (A.  F.  Büschings  Magazin  für  die 
neue  Historie  und  Geographie  XI,  487.)  Lamberti  (bei  Büsching 
ni,  S.  224)  setzt  dem  noch  hinzu:  ,,Sehr  sonderbar  ist  es,  daß  der 
Czar,  nachdem  er  ihm  selbsten  die  Knutpeitsche  gegeben,  so  eine 
Art   Folter  ist,   ihn  auch  selbst  enthauptet." 


Io8  10.  Adam  Weide. 

Staatsbürgers.  Vermutlich  waren  seine  Begriffe  von 
Untertanenpflicht  und  Gehorsam  so  ausgedehnt,  und 
wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf,  so  materielle,  daß 
er,  wenn  der  Kaiser  etwas  befahl,  sich  nicht  die  ge- 
ringste Einwendung  oder  Prüfung  erlaubte.  Gewiß 
glaubte  er,  daß,  da  der  Monarch  nun  einmal  den  Zare- 
witsch  für  unschuldig  erkenne,  und  sein  Todesurteil 
unterschrieben  sei,  so  könne  weder  Gott  noch  Welt  aus 
der  Teilnahme  der  Vollstreckung  des  Urteils  ein  Ver- 
brechen machen. 

Doch  vielleicht  wird  Weide  in  der  jetzigen  Zeit  nur 
deswegen  noch  mit  einigem  Interesse  verteidigt,  weil 
jenes  Ereignis  in  seinen  Folgen  heilsam  war,  und  weil 
die  Periode,  in  welcher  jene  blutige  Begebenheit  vorfiel, 
entfernter  von  uns  ist,  als  die  Zeitpunkte  der  Ermor- 
dungen der  drei  Kaiser,  Peter  IIL,  Johann  IIL  und 
Paul  I.  Wir  betrachten  diese  Katastrophen,  durch 
welche  wenigstens  zwei  nicht  genug  gekannte,  vortreff- 
liche und  verehrungswürdige  Prinzen  der  Welt  ent- 
rissen wurden,  mit  weit  weniger  Kälte,  als  die  Ge- 
schichte der  Enthauptung  des  Zarewitsch,  durch  des- 
sen Tod  Rußland  wahrscheinlich  gewann. 

Doch,  wenn  auch  Weide  sein  ganzes  Leben  hindurch 
untadelhaft  war,  und  wenn  er  auch  den  scharfsinnig- 
sten Verteidiger  seines  Benehmens  in  der  Geschichte 
des  Prinzen  Alexis  fände,  so  würde  doch  der  widrige 
Schein,  den  dasselbe  auf  sein  ganzes  Leben  wirft,  durch 
den  größten  Scharfsinn  nicht  können  verdrängt  wer- 
den. —  Übrigens  ist  Weide  wieder  ein  Beweis  von  der 
tief  in  den  menschlichen  Herzen  lesenden  Klugheit  Pe- 
ters L  Dieser  Monarch  wußte  wohl,  mit  wem  er  zu  tun 
hatte,  indem  er  den  General  Weide  Geschäfte  von  so 
fürchterlicher  Art  gab.  Tausend  andern  hätte  er  der- 
gleichen empörende  Aufträge  erteilen  können,  und  sie 


II.  Anna  Cramtr.  I09 

würden  sie  mit  gebührender  Verachtung  abgewiesen 
haben. 

General  Weide  scheint  bald  nach  dem  schrecklichen 
Jahre  1718,  und  zwar  ohne  Kinder,  gestorben  zu  sein.^) 


II.  Anna  Cramer. 

Anna  Iwanowna  Cramer  war  die  Tochter  eines 
Ratsherrn  und  Kaufmanns  in  Narwa. 

Nach  der  Einnahme  dieser  Stadt,  im  Jahre  1704, 
wurde  sie  als  Gefangene  nach  Rußland,  und  zwar 
sogar  bis  Kasan,  geführt.  Von  hier  kam  sie  nach 
einigen  Jahren  weg  und  nach  Petersburg,  um  an  den 
General  Balk,  den  Gemahl  der  Schwester  des  schönen 
Mons,  von  denen  einige  Artikel  handeln,  verschenkt 
zu  werden.  Balk  gab  sie  der  Hoffräulein  Hamilton 
als  Kammerjungfer. 

Hier  lernte  sie  Peter  I.  kennen.  Einige  behaupten, 
dieser  Monarch  habe  die  Anna  Cramer  nach  dem  Tode 
ihrer  unglücklichen  Gebieterin  zu  seiner  Geliebten  ge- 
wählt, doch  wird  diese  Nachricht  von  andern  ebenso 
glaubwürdigen  Personen  bestritten.  So  viel  ist  ge- 
wiß, daß  Peter  viel  Vergnügen  in  ihrer  Unterhaltung 
fand,  und  um  sie  desto  öfter  zu  sehen  und  zu  sprechen, 
sie  zur  ersten  Kammer] ungf er  der  Kaiserin  ernannte. 

In  dieser  Stelle  erwarb  sich  Anna  Cramer  das  Ver- 
traueh  des  Monarchen  und  seiner  Gemahlin  in  so 
hohem  Grade,  daß  sie  sogar  eine  von  den  weftigen  Per- 
sonen war,  die  damals  das  Geheimnis  der  Ermordung 
des  unglücklichen  Zarewitsch  wußten.   Nach  der  Ent- 

^)  Er  starb  am  2g.  Mai  1720,  nach  anderen  Berichten  am 
26.  Januar  172 1. 


HO  .  IT.  Anna  Cramer. 

hauptung  des  Prinzen  mußte  Anna  Cramer,  die  der 
Kaiser  und  General  der  Weide  aus  dem  Palais  ab- 
holten und  in  die  Festung  in  das  Gefängnis  führten, 
den  Kopf  wieder  an  den  Rumpf  annähen,  und  den 
Leichnam  alsdann  anziehen,  der  einige  Tage  in  der 
Festungskirche  ausgesetzt  stand,  und  nachher  daselbst 
begraben  wurde.  ^) 

Die  bereitwillige  Vollstreckung  eines  Auftrags  von 
so  besonderer  Art,  den  gewiß  wenig  Frauen  würden 
übernommen  haben,  verdiente  Belohnung. 

Unter  diesem  höfischen  Himmelsstriche,  wo  es  von 
Pflanzen  wimmelte,  die  teils  ausländisch,  teils  künst- 
lich in  die  Höhe  getrieben  waren,  durfte  man  sich  nicht 
wundern,  eine  Kammer]  ungf er  in  eine  Hofdame  um- 
gewandelt zu  sehen.  Anna  Cramer  wurde  Hoffräulein 
der  Kaiserin,  und  bald  hernach  ernannte  sie  Peter  I. 
zur  Hofmeisterin  der  Prinzessin  Natalia  Petrowna,  die, 
wie  wir  wissen,  ihren  Vater,  den  Kaiser,  nur  ungefähr 
sechs  Wochen  überlebte. 

Nach  dem  Tode  dieser  Prinzessin  verließ  Anna 
Cramer  den  Hof  und  ging  nach  Narwa,  wohin  sich  ihre 
Verwandten,  und  namentlich  ihre  Brüder,  aus  der 
Gefangenschaft  auch  wieder  begeben  hatten.  Hier 
lebte  sie  von  einer  Pension  und  von  den  Einkünften 
eines  Ritterguts  im  Rigaischen  Kreise,  das  ihr  die 
Kaiserin  Katharina  I.  geschenkt  hatte,  und  starb  im 
Jahre  1770  im  sechs  und  siebenzigsten  Jahre  ihres 
Alters.    Verheiratet  war  sie  nie. 

Anna  Cramer  soll  schön  gewesen  sein,  Sie  scheint 
Verstand,  und  eine  mehr  als  gewöhnliche  Klugheit  in 

^)  Daß  es  sich  auch  hier  nur  um  Gerüchte  handelt,  denen  keine 
Beweise  gegenüberstehen,  ist  selbstverständhch.  Den  wahrschein- 
lichen Verlauf  der  Hinrichtung  Alexejs  stellt  Brückner  in  seinem 
Buche  ,, Peter  der  Große"  (S.  331  ff.)  zusammen.  Ein  Auszug 
daraus  bei  Crusenstolpe  I,  S.  54. 


12.  Mons  de  la  Cvoix.  III 

ihrer  Aufführung  gehabt  zu  haben,  da  sie  sich  in  der 
Gunst  des  Kaisers  zu  erhalten,  und  die  Gewogenheit 
der  Kaiserin  zu  erwerben  wußte.  Aus  den  beiden  Zü- 
gen, daß  Anna  Gramer  nach  dem  Tode  der  Hamilton 
sich  an  den  Hof  begeben,  und  daselbst  endlich  sogar 
das  Geschäft  mit  der  Leiche  des  Zarewitsch  über- 
nehmen konnte,  von  dem  wir  gesprochen  haben,  läßt 
sich  schließen,  daß  diese  Person  wenigstens  viel  Un- 
empfindlichkeit  hatte.  Überhaupt  scheint  sie  im  Cha- 
rakter einige  Ähnlichkeit  mit  dem  General  Weide  ge- 
habt zu  haben. 


12.  Mons  de  la  Croix. 

Traurig  ist  es,  wenn  ein  Mann,  der  von  Empfin- 
dungen der  Freundschaft,  und  von  sanften  Regungen 
des  Herzens  durchdrungen  ist,  die  ihn  zum  Liebhng 
des  schönen  Geschlechts  machen,  den  unerlaubten 
Wirkungen,  die  seine  Vorzüge  hervorbringen,  nicht  zu 
gebieten  weiß,  und  er  also  durch  die  Eindrücke  seiner 
zärtlichen  Gefühle  ein  blutiges  Opfer  der  rächenden 
Eifersucht  wird. 

Mons  de  la  Croix  war  der  Sohn  eines  Weinschenken,^) 
der  aus  Frankreich  gekommen  war,  und  sich  anfäng- 
lich in  Riga  niedergelassen  hatte.  Nach  der  Zeit  war 
er  nach  Moskau  gegangen,  und  lebte  daselbst  im  deut- 
schen Quartier,  oder  wie  man  dort  sagt,  in  der  Ne- 
metzkaja  Sloboda. 

Peter,  der  von  jeher  gern  mit  Ausländern  lebte,  ohne 
zu  untersuchen,  ob  Geburt  oder  Rang  sie  zu  dieser  Aus- 

*)  Mons  soll  der  Sohn  eines  Moskauer  Goldschmieds  oder  eines 
Weinhändlers  gewesen  sein,  der  aus  Deutschland  oder  Belgien 
stammte.    Mons  selbst  gab  sich  für  einen   Franzosen  aus. 


112  12.  Mons  de  la  Croix. 

Zeichnung  qualifiziere,  sah  mit  Vergnügen  den  jungen, 
wohlerzogenen  und  gutunterrichteten  Mons,  dessen 
Schwestern  der  Monarch  kannte,  sie  schön  und  liebens- 
würdig gefunden  hatte,  und  zum  Teil  noch  ihren  Um- 
gang liebte. 

Lange  nach  dieser  Zeit,  und  zwar  erst  dann,  als  Peter 
schon  Kathrina  geheiratet  hatte,  wurde  der  tiefe  Ein- 
druck bemerkbar,  den  die  außerordentlich  schöne  Ge- 
stalt des  jungen  Mons  auf  das  Herz  dieser  Fürstin  ge- 
macht hatte. 

Um  die  gegenseitige  Neigung  mit  Anstand  unter- 
halten zu  können,  war  es  nötig,  dem  Günstlinge  eine 
Stelle  bei  Hofe  zu  geben,  die  ihn  der  Gemahlin  des 
Kaisers  ohne  Verdacht  nahe  bringen  konnte.  In  dieser 
Absicht  brachte  es  Katharina  so  weit,  daß  er  erst  zum 
Kammer  Junker,  und  dann  zum  Kammerherrn  der 
Kaiserin  ernannt  wurde. 

Peter  war  lange  Zeit  einer  von  den  wenigen,  die  das 
Geheimnis  nicht  wußten. 

Einmal  war  er  auf  der  Spur,  es  zu  entdecken,  als  ihn 
die  ganz  junge  Prinzessin  Elisabeth  auf  die  große  Un- 
ordnung aufmerksam  machte,  die  durch  ihre  uner- 
wartete Dazwischenkunft  in  der  Unterhaltung  der 
Kaiserin  mit  Mons  entstanden  war,  allein  der  Monarch, 
der  eben  damals  andre  Geschäfte  im  Kopfe  hatte, 
achtete  nicht  auf  das  Geschwätz  eines  Kindes,  und  so 
hatte  diese  Entdeckung  weiter  keine  Folgen. 

Verschiedene  Jahre  nachher  wurde  Peter  wahr- 
scheinlich durch  andre  aufmerksam  gemacht.  Er  gab 
daher  der  Generalin  Balk,  einer  Schwester  des  Kammer- 
herrn Mons,  den  kritischen  Auftrag,  ihren  Bruder  und 
die  Kaiserin  zu  beobachten.  Demungeachtet  konnte  er 
nie  etwas  entdecken,  und  wurde  immer  beruhigt. 

Endlich  am  8.  November  1724  gab  er  eine  Reise 


J2.  Mons  de  la  Croix.  II3 

nach  Schlüsselburg  vor,  fuhr  auch  wirklich  fort,  war 
aber  einige  Stunden  nachher  schon  wieder  in  Peters- 
burg und  ging  unbemerkt  in  das  Palais  des  sogenann- 
ten Italienischen  Gartens  an  der  Fontanka,  wo  er  Ka- 
tharina überraschte,  als  eben  Mons  bei  ihr  war.  Mit 
der  ihm  eigenen  Heftigkeit  teilte  der  Monarch  vor- 
läufig einige  Strafen  aus,  von  welchen  man  sehr  richtig 
auf  diejenigen  schließen  konnte,  die  noch  folgen  sollten. 

Von  der  Generalin  Balk,  die  auch  im  Zimmer  war, 
sprechen  wir  in  einem  eigenen  Artikel. 

Ein  Kabinettssekretär  und  ein  Kammerdiener  der 
Kaiserin  wurden  in  Arrest  gebracht.  Aber  die  härteste 
Strafe  traf  den  unglücklichen  Mons. 

Er  wurde  gleich  arretiert. 

Der  Generalmajor  Uschakow,  den  unsre  Leser 
kennen,  war  schon  damals  Präsident  der  geheimen 
Kanzlei,  und  also  ein  sehr  furchtbarer  Mann,  ob  er 
gleich  nicht  die  Gewalt  hatte,  die  er  unter  der  Kaiserin 
Elisabeth  ausüben  durfte.  Dieser  Mann  holte  den 
Kammerherrn  Mons  noch  an  dem  nämlichen  Abende 
ab  und  brachte  ihn  in  sein  Haus,  das  schon  darauf  ein- 
gerichtet war,  Arrestanten  aufzunehmen.  Hier  wurde 
Mons  zwei  Tage  sehr  scharf  bewacht.  Am  10.  No- 
vember brachte  man  ihn  in  das  Winterpalais,  wo  das 
höchste  Gericht  war.  Hier  rührte  ihn  der  Schlag;  eine 
Folge  des  heftigen  Schreckens.  Die  Inquisition  wurde 
mit  großer  SchnelHgkeit  gehalten  und  in  ein,  wenig- 
stens anfänglich,  fast  undurchdringhches,  Geheimnis 
verhüllt.  Als  das  Urteil  bekannt  gemacht  wurde,  gab 
man  vor,  Mons  und  die  Mitschuldigen  hätten  sich  be- 
stechen lassen,  um  den  Kaiser  zu  hintergehen.  Kein 
Mensch  glaubte  es.  Einige  der  Arrestanten  bekamen 
die  Knute  oder  wurden  auf  die  Galeeren  gebracht; 
eine  Strafe,  die  damals  erst  in  Rußland  eingeführt 

Russische  Günstlinge.  ,'^ 


114  ^^-  -^"^^  ^^  ^^  Croix. 

wurde.  Dies  beides  traf  nach  Umständen  vorzüglich 
eine  Menge  weibhcher  und  männücher  Bedienten  vom 
Hofe,  von  der  Generahn  Balk  und  vom  Kammerherrn 
Mons.  Aber  die  grausamste  Strafe  war  diesem  un- 
glücklichen Manne  vorbehalten.  Er  wurde  am  i6.  No- 
vember vor  den  Augen  der  Kaiserin,  die  aus  Schmerz 
sich  schlössen,  enthauptet.^) 

Die  körperliche  Schönheit  des  bedauernswürdigen 
Mons  war  der  Stempel  seines  Charakters.  Er  war  ein 
sehr  edeldenkender  Mann,  schadete  am  Hofe  nie- 
manden, half  aber  durch  seine  Dienstfertigkeit,  Wohl- 
tätigkeit und  Rechtschaffenheit  allen,  die  seine  Hilfe 
brauchten.  2) 

Mit  seinem  Tode  hörten  die  Strafen  der  Kaiserin 
nicht  auf.   Peter  Meß  den  abgehauenen  Kopf  in  Spiri- 

^)  Crusenstolpe  (I,  S.  48  ff.)  weiß  über  den  Tod  von  Mons  eine 
höchst  romantische  Geschichte  zu  erzählen:  ,, Katharina  schien 
verloren  zu  sein!  Die  Richter  waren  dem  Zaren  untertänig  und 
dieser  über  die  ganze  Sache  bis  zur  Raserei  erbittert.  Mit  der 
größten  Spannung  erwarteten  alle  in  die  Angelegenheit  Einge- 
weihten den  Ausgang  der  Sache.  Da  ereignete  sich  ein  Zufall,  auf 
welchen  wohl  niemand  gerechnet  hatte:  Mons  de  la  Croix  suchte, 
von  ritterlichem  Gefühle  geleitet,  den  Zorn  des  Zaren  auf  sich  zu 
leiten  und  opferte  Katharina  mehr  als  sein  Leben,  —  seine  Ehre, 
indem  er  nämlich,  um  der  Sache  eine  Wendung  zu  geben,  welche 
niu:  ihn  stürzte,  sich  selbst  anklagte  und  freiwillig  die  Erklärung 
abgab,  daß  er  durch  zauberische  Mittel  und  Betrügereien  sich  des 
Verbrechens  schuldig  gemacht  habe,  die  Kaiserin  em  sich  zu  ziehen. 
Die  Richter,  welche  ihn  verstanden,  griffen  begierig  nach  diesem 
Verwände  und  verurteilten  Mons  zur  Erduldung  der  Todesstrafe 
wegen  Anwendung  betrügerischer  Liebesmittel."  Dann  heißt  es 
weiter,  in  welch  geschickter  Art  sich  Mons  die  Liebeszeichen  von 
Katharina  durch  den  Geistlichen,  der  ihm  den  letzten  Trost  spen- 
dete, und  durch  den  Henker  vernichten  ließ.  Diese  Anekdote  geht 
auf  de  Villebois  zurück,  dessen  Angaben  immer  mit  der  größten 
Vorsicht  aufzunehmen  sind. 

^)  Für  Brückner  („Peter  der  Große",  S.  564)  unterliegt  es  keinem 
Zweifel,  daß  Mons  sich  Unehrlichkeit  und  Bestechlichkeit  hatte 
zuschulden  kommen  lassen.  Er  führt  Zeugnisse  an,  die  es  für  un- 
wahrscheinlich halten,  daß  Katharina  der  Untreue  schuldig  ge- 
wesen sei. 


12.  Mons  de  la  Croix.  II5 

tus  setzen,  und  Katharina  mußte  ihn  mehrere  Tage 
vor  sich  stehen  sehen.  Der  Kaiser  gab  den  Kopf  als- 
dann in  die  Akademie  der  Wissenschaften  und  befahl, 
daß  er  in  einem  besonderen  Zimmer,  mit  einem  andern 
Kopfe,  der  schon  dort  war,  verwahrt  werden  sollte. 
Dies  geschah  mit  größter  Pünktlichkeit.  Die  Köpfe 
wurden  von  den  Aufsehern  der  Präparate  sehr  gut  er- 
halten, übrigens  aber,  da  sogar  Katharina  auf  eine  un- 
begreifliche Weise  vergessen  konnte  danach  zu  fra- 
gen, ganz  aus  der  Acht  gelassen. 

Endlich  nach  sechzig  Jahren  wurden  sie  wieder 
in  Erinnerung  gebracht.  Es  war  in  den  achtziger 
Jahren,  da  die  Knejina  Daschkow,  als  Präsident  der 
Akademie  der  Wissenschaften,  die  Rechnungen  durch- 
sah, und  fand,  daß  zu  viel  Spiritus  verbraucht  würde. 
Unter  andern  bemerkte  sie  dergleichen  angesetzt  tür 
zwei  Köpfe,  die  im  Keller  verwahrt  würden.  Sie  fragte 
nach  und  erfuhr  von  dem  Manne,  der  die  Aufsicht  dar- 
über hatte,  daß  im  Keller  sich  ein  Kasten  befände,  zu 
welchem  er  allein  den  Schlüssel  habe,  und  daß  in  die- 
sem Kasten  zwei  Köpfe  in  Spiritus  gesetzt  ständen. 
Man  suchte  im  Archive  nach,  und  man  fand,  daß 
Peter  I.  die  Köpfe  der  Fräulein  Hamilton^)  und  des 
Herrn  von  Mons  dahin  geschickt  hatte,  um  sie  in 
Spiritus  setzen  und  daselbst  aufbewahren  zu  lassen. 
Die  Fürstin  sprach  davon  mit  der  Kaiserin  Katha- 
rina IL  Die  Köpfe  wurden  geholt,  und  man  bewun- 
derte noch  an  ihnen  die  nicht  zu  verkennenden  Reste 
ihrer  ehemaligen  Schönheit.  Katharina  IL  befahl  als- 
dann, diese  beiden  Köpfe  im  Keller  zu  begraben, 

^)  Man  weiß  fast  allgemein  aus  No.  88  der  Stählinschen  Anek- 
doten Peters  des  Großen,  daß  Fräulein  Hamilton  ihr  eigenes  Kind 
ermordete,  und  dafür  enthauptet  wurde;  aber  es  ist  vielleicht 
weniger  bekannt,  daß  Peter  I.  Vater  dieses  Kindes  war.    H. 

g» 


Il6       13-  Kaiserling,  geborne  Mons  de  la  Croix. 

13.   Kaiserling,  geborne  Mons  de  la  Croix. 

Frau  von  Kaiserling,  geborne  Mons  de  la  Croix,  war 
eine  ältere  Schwester  des  unglücklichen  Mons.  Wir- 
nehmen  sie  nur  deswegen  in  das  Verzeichnis  der 
russischen  Günstlinge  auf,  weil  es  bloß  von  ihr  abhing, 
Katharina  zu  verdrängen,  und  den  russischen  Thron 
mit  Peter  I.  zu  teilen. 

Alle  Urteile  vereinigen  sich,  die  Frau  von  Kaiserling 
als  ein  Muster  weiblicher  Vollkommenheiten  zu  schil- 
dern. Mit  einer  außerordentlichen  Schönheit,  die 
selbst  in  den  Augen  der  großen  Menge  dafür  galt,  und 
die  der  Famihe  Mons  eigen  zu  sein  schien,  verband  sie 
den  reizendsten  Charakter.  Sie  war  empfindsam  ohne 
schmachtend  zu  sein,  hatte  pikante  Launen,  die  nicht 
in  Eigensinn  ausarteten,  besaß  Verstand,  den  sie  an- 
wendete, ohne  der  Güte  ihres  Herzens  zu  schaden, 
milderte  ernste  Klugheit  durch  tändelnden  Witz,  und 
erwarb  sich  durch  alle  diese  Vorzüge  eine  Herrschaft 
über  die  Herzen  der  Männer,  die  sie  nicht  durch  Kunst- 
griffe zu  behaupten  strebte. 

So  ausgezeichnete  Eigenschaften  konnten  dem 
scharfen  Bhcke  Peter  I.  nicht  entgehen.  Er  trug  dem 
schönen  Mädchen  seine  Liebe  an  und  fand,  was  einen) 
gekrönten  Liebhaber  so  selten  begegnet,  den  festesten 
Widerstand.  Er  gab  deswegen  seine  Entwürfe  nicht 
auf.  Er  arbeitete  vielmehr  mit  größter  Heftigkeit  an 
ihrer  Ausführung.  Obgleich  im  kalten  Norden  ge- 
boren, überließ  sich  dieser  Monarch  doch  immer  der 
Liebe  mit  allem  Feuer  eines  Orientalen.  Er  erneuerte 
seine  Anträge,  begleitete  sie  mit  den  vorteilhaftesten 
Bedingungen,  und  schenkte  ihr  überdies  ein  schönes 
Haus.  Alles  war  vergebens.  Menschikow  und  Katha- 
rina, die  damals  schon  am  Hofe  war,  standen  auf  dem 


zj.  Kaiserling,  geborne  Mons  de  la  Croix.        117 

Punkt,  alles  zu  verlieren,  wenn  die  schöne  Mons  nach- 
gab. Menschikow  bot  seinen  ganzen  Verstand  auf,  um 
Peters  Absichten  zu  hintertreiben.  Dieser  würde  aber 
doch  wahrscheinlich  der  heftigen  Leidenschaft  seines 
Herrn  haben  weichen  müssen,  wenn  nicht  die  Stand- 
haftigkeit  des  Mädchens  selbst  die  Wünsche  Menschi- 
kows  und  Katharinas  befördert  hätte. 

Wenn  Katharina  bei  mittelmäßiger  Liebenswürdig- 
keit es  dahin  bringen  konnte,  zur  Kaiserin  von  Ruß- 
land erhoben  zu  werden,  so  ist  es  mehr  als  wahrschein- 
lich, daß  die  schöne  Mons  mit  ihren  vortrefflichen 
Eigenschaften  diesen  erhabenen  Zweck  noch  viel  eher 
würde  erreicht  haben. 

Allein  sie  zog  ein  Schicksal  und  einen  GeHebten  vor, 
die,  obgleich  schon  sehr  über  die  Geburt  und  die  Er- 
wartungen des  Mädchens  erhaben,  ihr  doch  immer 
näher  waren,  als  ein  Thron  und  ein  Kaiser. 

Sie  hatte  sich  in  Geheim  mit  dem  preußischen  Ge- 
sandten Kaiserling  versprochen. 

Peter  erfuhr  es,  als  er  eben  auf  einen  BaU  gehen 
wollte,  durch  einen  aufgefangenen  Brief,  in  welchem 
sie  sich  über  die  Zudringlichkeiten  des  Monarchen  be- 
klagte. Diese  unglückliche  Entdeckung  verwandelte 
seine  Liebe  in  Zorn.  Er  ging  auf  den  BaU,  wo  er  die 
Schöne  fand,  und  ihr  sogar  einen  fühlenden  Beweis 
seines  Unmuts  gab. 

Es  tut  wehe,  zu  sehen,  daß  dieser  große  Mann,  dem 
man  so  gern  eine  Übereilung  verzeiht,  die  Kleinheit 
haben  konnte,  das  geschenkte  Haus  wieder  zurück  zu 
fordern. 

Um  sie  nicht  wiederholten  Mißhandlungen  auszu- 
setzen, entschloß  sich  Kaiserling,  sie  sogleich  zu  hei- 
raten, allein  zu  der  nämlichen  Zeit  wurde  er  von  einer 
heftigen  Krankheit  befallen,  die  ihn  an  den  Rand  des 


Il8  14.  Balk,  geborne  Mons  de  la  Croix. 

Grabes  führte.  Noch  auf  dem  Totenbette  hielt  er  sein 
Versprechen  als  ein  ehrlicher  Mann,  und  ließ  sich  die 
schöne  Mons  antrauen.  Bald  nachher  gab  Kaiserling 
seinen  Geist  auf. 

Seine  Witwe  blieb  in  Moskau,  wo  ihr  Gemahl  ge- 
storben war,  verlebte  ihre  Tage  entfernt  vom  Hofe  mit 
Würde,  in  häuslicher  Stille  und  versunken  in  dem  An- 
denken an  ihre  letzten  unglücklichen  Begebenheiten 
und  starb  ebenfalls  dabei. 


14.  Balky  geborne  Mons  de  la  Croix. 

Frau  von  Balk,  geborene  Mons  de  la  Croix,  vermut- 
lich die  älteste  Schwester  des  unglücklichen  Mons,  war 
schön  und  liebenswürdig  und  gefiel  Peter  L,  der  sie 
lange  Zeit  außerordentlich  liebte.  Sie  heiratete  den 
Generalmajor  von  Balk,  und  wurde  Oberhof meisterin 
der  Prinzessin  Katharina,  nachherigen  Herzogin  von 
Mecklenburg.  In  der  Folge  kam  sie  an  den  Hof  der 
Kaiserin.  Ob  sie  gleich  die  Geliebte  des  Kaisers  ge- 
wesen war,  so  trug  sie  doch  dazu  bei,  diesen  Fürsten 
in  seinem  Privatleben  zu  hintergehen.  Als  Peter  I. 
einigen  Verdacht  wegen  der  Verbindung  seiner  Ge- 
mahlin mit  Mons  hatte,  trug  er  der  Frau  von  Balk  auf, 
diese  beiden  Personen  zu  beobachten.  Aber  die  ge- 
fällige Schwester  verschwieg,  was  sie  wußte.  Eine 
Folge  davon  war,  daß  sie  an  jenem  fürchterlichen 
8.  November  1724,  an  welchem  Peter  I.  die  unglück- 
liche Entdeckung  machte,  von  dem  Kaiser  sehr  emp- 
findliche Merkmale  seines  Unwillens  bekam.  Sie  legte 
sich  aus  Verdruß  ins  Bette  und  wurde  erst  am  13.  No- 
vember von  dem  General  Uschakow  in  Arrest  gebracht. 


15.  Balk.  119 

Ihr  Sohn,  der  schon  Kammerherr  der  Kaiserin  war, 
wurde  zwar  auch  arretiert,  aber  unschuldig  befunden, 
und  bald  wieder  losgelassen. 

Die  Mutter  war  unglücklicher. 

Sie  bekam  die  Knute,  und  wurde  nach  Sibirien  ver- 
wiesen, wo  sie  sehr  bald  gestorben  zu  sein  scheint; 
denn  wenigstens  sollte  man  glauben,  daß  Katharina, 
die  zwei  Monate  nachher  zur  Regierung  kam,  sogleich 
eine  Freundin  würde  zurückgerufen  haben,  die  durch 
sie  unglücklich  geworden  war.^) 


15.  Balk. 

Balk  war  der  Sohn  eines  Altdeutschen  aus  Moskau, 
von  bürgerlichem  Herkommen. 

Er  nahm  in  seiner  Jugend  Kriegsdienste,  und  stieg 
bis  zur  Würde  eines  Generalleutnants,  die  er  im  Jahre 
1715  erlangte. 

Balk  scheint  unter  der  Regierung  Peter  I.,  und 
zwar  schon  lange  vor  den  Unglücksfällen  gestorben  zu 
sein,  die  seine  Familie  betrafen. 

Seine  Gemahlin  war,  wie  wir  schon  im  vorhergehen- 
den Artikel  gesehen  haben,  eine  geborene  Mons  de  la 
Croix. 

Der  Sohn  aus  dieser  Ehe  hieß  Paul,  und  wurde  in 
der  griechischen  Religion  erzogen.  Er  war  mit  seinem 
Oheim  zugleich  Kammerherr  bei  Katharina,  der  Ge- 
mahlin Peter  I.,  und  ward,  wenigstens  anfänghch,  in 
das  Unglück  seiner  Familie  verwickelt. 2) 

^)  Frau  von  Balk  wurde  tatsächlich  von  Katharina  nach  Peters 
Tod  zurückgerufen  und  in  ihre  Ehrenstellen  wieder  eingesetzt. 

')  Er  wurde  als  Kapitän  nach  Ghilan  versetzt.  Ein  zweiter 
Sohn,  der  Kammerpage  war,  kam  als  Unteroffizier  ins  Heer. 


120  15-  Balk. 

Der  junge  Balk  pflanzte  sein  Geschlecht  fort.  Er 
hinterließ,  wenn  wir  nicht  irren,  einen  Sohn  und  zwei 
Töchter.  Des  Sohnes  Sohn  bekleidet  noch  jetzt  an- 
sehnliche Bedienungen  am  russischen  Hofe.  Die 
Töchter  waren  Maria  Pawlowna  und  Matrona  Paw- 
lowna,  Damen,  von  deren  Reizen  und  Galanterien  die 
alten  Höflinge  in  Petersburg  noch  jetzt  zu  sprechen 
wissen. 

Maria  heiratete  einen  Narischkin,  der  als  Ober  Jäger- 
meister gestorben  ist.  Sie  war  sehr  reich,  machte  als 
Witwe  einen  großen  Aufwand,  und  starb  in  den  neun- 
ziger Jahren. 

Ihre  Schwester  Matrena  starb  lange  vorher.  Sie  war 
mit  einem  Saltikow  vermählt,  der  sich  im  Anfange  der 
fünfziger  Jahre  durch  seine  Schönheit  und  seine  Lie- 
beshändel, besonders  —  am  Hofe  —  bekannt  machte. 
Er  war  nach  der  Zeit  Gesandter  in  Hamburg,  und  als- 
dann an  verschiedenen  Höfen.  ^) 

^)  Sie  war  mit  Sergius  Saltikow  vermählt,  dem  älteren  Sohne 
von  Maria  Alexjewna,  geborenen  Fürstin  Galizin,  die  der  Kaiserin 
Elisabeth  bei  ihrer  Thronbesteigung  große  Dienste  geleistet  hatte. 
Sergius  Saltikow  war  der  erste  Liebhaber  der  jungen  Großfürstin 
Katharina.  Katharina,  nur  dem  Namen  nach  die  Gattin  des  rohen, 
vertrottelten  und  geschlechtlich  unfähigen  Großfürsten,  mußte  an 
einem  Hofe  straucheln  und  fallen,  dessen  Oberhaupt,  die  Kaiserin 
Elisabeth,  seine  Ausschweifungen  mit  den  stets  wechselnden  Günst- 
lingen und  teuer  bezahlten  Liebhabern  kaum  zu  verhehlen  strebte. 
Katharina  hatte  lange  den  Versuchungen  widerstanden,  ehe  sie 
dem  glatten  Hofmann  in  die  Arme  sank.  Sie  selbst  erzählt  darüber 
in  ihren  Erinnerungen: 

,, Saltikow  erschien  plötzlich  häufiger  am  Hofe  als  er  es  gewohnt 
war.  Auch  bei  den  langweiligen  Konzerten  des  Großfürsten  Peter 
war  er  zu  finden.  Bei  einem  jener  Konzerte  ließ  Sergius  Saltikow 
durchblicken,  was  die  Ursache  seiner  Aufmerksamkeit  gegen  mich 
war.  Ich  antwortete  ihm  zuerst  nicht,  als  er  aber  immer  wieder 
über  denselben  Gegenstand  zu  sprechen  begann,  fragte  ich  ihn,  was 
er  sich  denn  eigentlich  davon  verspreche?  Darauf  entwarf  er  ein 
ebenso  glänzendes  wie  leidenschaftliches  Bild  des  höchsten  Glückes. 
Ich  erwiderte:  ,Und  Ihre  Frau,  die  Sie  erst  vor  zwei  Jahren  aus 


i6.  Glück.  121 

i6.  Glück. 

Ein  Mann,  der  sich  nur  unmerklich  über  die  Sphäre 
erhebt,  in  welche  ihn  der  Zufall  der  Geburt  geworfen 

Leidenschaft  geheiratet  und  in  die  Sie,  wie  man  sagt,  bis  zum  Wahn- 
sinn verliebt  sind,  ein  Gefühl,  das  sie  mit  gleicher  Glut  erwidert, 
was  wird  sie  dazu  sagen?'  Hierauf  bemerkte  er  nur:  Nicht  alles 
sei  Gold,  was  glänze,  und  er  büße  schwer  für  einen  Augenblick  der 
Verblendung.  Ich  tat  dennoch,  was  in  meinen  Kräften  stand, 
ihn  auf  andere  Gedanken  zu  bringen;  gutmütig,  wie  ich  war, "glaubte 
ich,  daß  mir  dies  gelinge  —  er  tat  mir  leid.  Schließlich  aber  erhörte 
ich  ihn  doch.  Er  war  schön  wie  der  Tag,  und  niemand  kam  ihm 
an  dem  großen  Hofe  der  Kaiserin,  geschweige  denn  an  unserm 
kleinen  gleich.  Es  fehlte  ihm  weder  an  Geist,  noch  an  jener  Gewandt- 
heit in  Kenntnissen,  Benehmen  und  Rücksichten,  welche  die  große 
Welt,  besonders  aber  das  Hofleben,  verleiht.  Er  war  sechsund- 
zwanzig Jahre  alt;  kurz,  Gebiu^t  und  manche  andere  Eigenschaften 
machten  ihn  zu  einem  glänzenden  Kavalier.  Seine  Fehler  wußte 
er  geschickt  zu  verbergen,  deren  größte  seine  Neigung  zur  Intrige 
und  sein  Mangel  an  Grundsätzen  waren.  Doch  noch  während  des 
ganzen  Frühlings  und  eines  Teils  des  Sommers  widerstand  ich 
seinem  Drängen,  und  obgleich  ich  ihn  fast  täglich  sah,  änderte  ich 
nicht  mein  Benehmen  gegen  ihn.  Ich  verkehrte  mit  ihm,  wie  mit 
einem  jeden,  sah  ihn  nur  in  Gegenwart  des  Hofes  oder  wenigstens 
mehrerer  Personen  meiner  Umgebung.  Eines  Tages  kam  mir  sogar 
der  Gedanke,  mich  seiner  endlich  zu  entledigen,  indem  ich  ihm 
kurzweg  sagte,  er  komme  übel  an,  und  hinzufügte:  ,Was  wissen  Sie 
denn?  Vielleicht  gehört  mein  Herz  schon  einem  andern!'  Aber 
diese  Worte,  statt  ihn  zu  entmutigen,  bewirkten  gerade  das  Gegen- 
teil und  er  wurde  immer  leidenschaftlicher  ..."  Diesem  Schwanken 
mußte  der  Fall  folgen.  Er  trat  lange  vor  dem  Zeitpunkte  ein,  da 
Madame  Tschoglokoff,  die  Obersthofmeisterin  Katharinas,  dieser 
den  Befehl  der  Kaiserin  überbrachte,  ein  Kind  zu  bekommen, 
da  der  Gemahl  unfähig  sei.  Diesen  Wunsch  der  Kaiserin  zu  er- 
füllen, habe  die  Großfürstin  die  Pflicht,  ,,den  Verhältnissen  von 
höherem  Interesse,  die  eine  Ausnahme  von  der  Regel  notwendig 
machten",  Rechnung  zu  tragen.  ,,Ich  lasse  Ihnen  die  Wahl  zwischen 
Sergius  Saltikow  und  Leon  Narischkin."  Die  Wahl  war  bereits  ge- 
troffen und  Saltikow  wurde  der  Vater  Pauls.  Diese  von  Katharina 
in  ihren  Erinnerungen  angedeutete  Tatsache  blieb  dem  Hofe  nicht 
verborgen,  und  Saltikow  suchte  sich  in  Sicherheit  zu  bringen.  Er 
vernachlässigte  Katharina  mehr  und  mehr,  bis  sie  nach  etwa  einem 
Jahre  mit  ihm  brach  und  Leon  Narischkin  seine  Stelle  einnahm, 
den  wieder  Poniatowski  verdrängte.  Das  verschüchterte  Prin- 
zeßchen war  die  Großfürstin  geworden. 


122  x6.  Glück. 

hat,  der  durch  seine  Talente  auf  die  wichtigsten  Ämter 
im  Staate  Anspruch  machen  kann,  die  ihm  aber  nicht 
erteilt  werden,  und  der  in  sehr  mittelmäßigen  Ver- 
mögensumständen stirbt,  kann  gewiß  nicht  unter  die 
Emporkömmlinge  gerechnet  werden,  wenn  es  nicht 
durch  besondere  Veranlassung  geschieht.  Diese  liegt 
in  dem  Umstände,  daß  Glück  mit  Katharina  I.  erzogen 
worden  war  und  als  ein  schwedischer  Gefangener  an- 
gesehen werden  mußte,  den  sein  Schicksal  nach  Ruß- 
land führte. 

Der  Vater  hieß  Ernst  Glück,  ^)  war  in  dem  kleinen 
livländischen  Städtchen  Marienburg  Probst,  welches 
wohl  nicht  mehr  sagen  will  als  Pfarrer,  und  übrigens, 
wie  es  hieß,  ein  gelehrter  Mann;  so  viel  ist  gewiß,  daß 
er  in  der  slawonischen  Sprache,  welche  die  russische 
Kirchensprache  ist,  eine  große  Fertigkeit  erlangt  hatte. 
Dieser  letzte  Umstand  scheint  auch  Ursache  gewesen 
zu  sein,  daß  der  Probst  Glück  mit  seiner  ganzen  Fa- 
milie, in  welcher  besonders  sein  Sohn,  seine  Tochter, 
die  junge  Martha,  und  sein  Hauslehrer  merkwürdig 
sind,  gefangen  nach  Moskau  gebracht  wurde. 

Hier  legte  er  mit  Hilfe  des  Hauslehrers,  der  den  Ruf 
einer  großen  Gelehrsamkeit  hatte,  von  dessen  fernerem 
Schicksale  wir  aber  nichts  weiter  wissen,^)  in- dem  Pa- 
last Narischkin  eine  Anstalt  an,  in  welcher  viele  Bücher 
in  die  russische  Sprache  übersetzt  wurden.  Der  Probst 
Glück  scheint  nur  noch  gelebt  zu  haben,  um  die  Mor- 
genröte des  Glücks  seiner  Pflegetochter  aufgehen  zu 
sehen. 

^)  Geb.  in  Wettin  1655,  gest.  in  Moskau  1705. 

')  Der  Lehrer  Wurmb  kam  1714  nach  Petersbiu^g,  ernährte 
sich  dort  kümmerlich,  bis  er  zu  der  Kaiserin  gelangte.  Sie  erkannte 
ihn  sogleich  wieder  und  sagte:  ,, Lebst  du  auch  noch,  du  guter 
Wurmb;  ich  will  dir  Unterhalt  geben."  Sie  setzte  ihm  monatlich 
16  Rubel  aus  ihrer  Schatulle  aus. 


J7-   Vülehois,  geborne  Glück.  —  i8.   Villehois.     123 

Sein  Sohn  erhielt  eine  sehr  gelehrte  Erziehung.  Er 
wird  als  ein  Mann  gerühmt,  der  Talente  und  einen 
sanften  Charakter  hatte.  Doch  scheint  Furchtsamkeit 
ein  Hauptzug  in  demselben  gewesen  zu  sein;  eine 
Schwachheit,  die  ihn  immer  hinderte,  seine  nützhcher 
Eigenschaften  geltend  zu  machen. 

Er  kam  im  Reichsfinanzfache  in  Petersburg  nur  bis 
zum  Posten  eines  Kammerrats,  den  er  mit  exempla- 
rischer Treue  verwaltete.  In  diesen  Verhältnissen 
starb  er,  ganz  ohne  Vermögen,  und  wahrscheinlich  in 
noch  ziemlich  jungen  Jahren. 


17.  Villebois,  geborne  Glück. 

Frau  von  Villebois  war  die  Tochter  des  Probstes 
Glück  in  Marienburg,  des  Pflegevaters  oder  vormaligen 
Dienstherrn  der  Kaiserin  Katharina  I. 

Sie  wurde  schon  bei  Lebzeiten  Peter  I.  an  Hof  ge- 
nommen, und  als  Hoffräulein  bei  der  Gemahlin  dieses 
Monarchen  angestellt.  Hier  heiratete  sie  der  Admiral 
Villebois  nach  dem  Tode  seiner  ersten  Gattin. 

In  der  Folge  ernannte  sie  die  Kaiserin  Elisabeth  zu 
ihrer  Staatsdame. 

Von  ihrem  Gemahl  handelt  der  künftige  Artikel; 
übrigens  aber  wissen  wir  nichts  von  den  Lebensum- 
ständen der  Frau  von  Villebois, 


18.  Villebois. 

Villebois  war  ein  Franzose  von  geringer  Herkunft. 
Wir  haben  nicht  finden  können,  durch  welchen  Zufall 


124  ^^-    ^''■^^^^ois. 

er  nach  Rußland  gekommen  ist.^)  Wahrscheinlich 
brachte  ihn  Peter  I.  aus  Holland  mit  andern  jungen 
Leuten  dahin. 

Zuerst  finden  wir  den  jungen  Villebois  auf  der  Jagd 
dieses  Fürsten.  Peter  I.  machte  ihn  zum  Pagen  und 
bald  nachher  zum  Seeoffizier.  Mit  den  Jahren  stieg  er 
im  Dienste  bei  der  Flotte  immer  höher  und  starb  in 
sehr  hohem  Alter  im  Jahre  1758  als  Vizeadmiral  und 
Ritter  des  Alexander-Newsky-Ordens. 

Villebois  hatte  das  leichte  Blut  und  die  Annehmlich- 
keiten seiner  Nation,  aber  ausgezeichnete  Kenntnisse 
und  Verdienste  scheint  er  nicht  gehabt  zu  haben. 

Er  war  zweimal  verheiratet. 

Wer  seine  erste  Frau  gewesen  ist,  wissen  wir  nicht. 

Die  zweite  war  die  Tochter  des  Probstes  Glück,  von 
welcher  der  vorige  Artikel  handelt. 

Aus  beiden  Ehen  verließ  er  Söhne. 

Von  ihnen  ist  uns  nur  Alexander  Villebois  merk- 
würdig, der  als  Generalfeldzeugmeister  sich  durch  seine 
tadelnswürdige  Gefälligkeit  am  Thronbesteigungstage 
Katharinas  IL  bekannt  machte. 

Dieser  Mann  hatte  allerdings  bedeutende  Ver- 
dienste, aber  auch  große  Schwachheiten. 

Als  Katharina  IL  den  Thron  bestieg,  war  er  schon 
bei  Jahren.  Demungeachtet  fiel  es  ihm  ein,  daß  er  ihr 
noch  gefallen  könnte,  weil  sie  ihm  gefiel.  2)   Katharina 

^)  Villebois  soll  das  Schiff  geführt  haben,  auf  dem  Peter  der 
Große  von  Saardam  nach  England  fuhr.  Sein  Geschick  und  seine 
Geistesgegenwart  bewahrte  das  Fahrzeug  in  einem  dreitägigen 
Sturm  vor  dem  Untergang.  Peter  nahm  den  tüchtigen  Schiffs- 
führer hierauf  als  Kapitän  und  Flügeladjutant  in  seine  Dienste. 
Dies  erzählte  Villebois  selbst,  nicht  ohne  Zweifel  über  die  Wahrheit 
seiner  Angaben  zu  wecken.  Die  Denkwürdigkeiten  Villebois  sind 
1853  in  Brüssel  erschienen. 

^)  Villebois  schien  damit  in  Gewohnheiten  aus  meiner  Jugend  ver- 
fallen zu  wollen.   Bülau  erzählt  darüber:  „Villebois  war  im  Trünke 


i8.    Villebois.  I25 

kannte  seine  Neigung,  und  zog  Vorteile  von  dieser 
törichten  Stimmung. 

Als  sie  nämlich  am  28.  Juni  aus  dem  Quartier  der 
Garden  nach  der  Kasanschen  Kirche  fahren  wollte, 
begegnete  sie  dem  Feldzeugmeister  Villebois,  der  auf 
das  Gerücht  einer  Revolution  aus  seinem  Hause  nach 
dem  Zeughause  fuhr.  Die  Kaiserin  ließ  sogleich  halten, 
und  ihn  zu  sich  rufen.  Indem  nun  Villebois  auf  ihr 
Verlangen  auf  den  Wagentritt,  um  mit  ihr  sprechen 
zu  können,  trat,  machte  sie  ihm  eine  unbedeutende, 
schmeichelnde  Demonstration,  die  er  vielleicht  gar  für 
eine  Liebkosung  annahm.  Sie  gewann  dadurch  ganz 
zu  ihrem  Vorteil  einen  Mann,  der  durch  treue  Anhäng- 
lichkeit an  seinen  Herrn  die  Revolution  gleich  in  ihrem 
Entstehen  hätte  ersticken  können. 

seiner  nicht  mächtig.  Er  hatte  in  diesem  Zustande  schon  drei  Men- 
schen getötet  und  vermied  ihn  daher  möglichst.  Einst  vom  Kaiser  zu 
dessen  Gemahlin  nach  Kronstadt  geschickt,  hatte  er  sich  gegen  die 
furchtbare  Kälte  nur  durch,  wenn  auch  mäßigen  Genuß  von  Brannt- 
wein schützen  zu  können  geglaubt,  war  dann  plötzlich  in  ein  sehr 
heißes  Kabinett  und  aus  diesem  an  das  Bett  Katharinas  geführt 
worden,  während  die  Damen  ihres  Gefolges  sich  aus  Diskretion 
zurückzogen.  Der  plötzüche  Übergang  aus  der  Kälte  in  die  Wärme, 
der  vorher  genossene  Branntwein,  der  unerwartete  Anblick  des 
schönen  Weibes  auf  dem  Nachtlager  raubten  ihm  die  Besinnung, 
und  er  stürzte  sich  auf  sie,  ohne  ihr  die  Zeit  zu  lassen,  ihre  Damen 
zu  Hufe  zu  rufen.  Doch  war  es  diesmal  nicht  eine  grausame,  sondern 
eine  wollüstige  Wut,  die  ihn  hinriß.  Er  ward  ergriffen,  gebunden 
und  ins  Gefängnis  geworfen.  Der  Zar  aber  zeigte  sich  diesmal  un- 
gemein müd  und  maßvoll,  hielt  sich  überzeugt,  daß  Villebois  außer 
Sinnen  gewesen  sei  und  begnügte  sich,  ihn  zu  zwei  Jahren  Ge- 
fängnis zu  verurteilen,  welche  Strafe  er  schon  nach  sechs  Monaten 
erließ  und  ihn  wieder  in  seine  Ämter  und  sein  Vertrauen  einsetzte. 
Die  Geschichte  soll  übrigens  1722  vorgefallen  sein,  wo  Katharina 
noch  nicht  gekrönt  war." 


126  IQ-  Alsufiow  I.  —  21.   Wassilej. 

19.  Alsufiow  I. 

Alsufiow  war,  wie  einige  sagen,  von  niedrigem  Her- 
kommen. Wir  haben  diesen  Namen  nicht  eher  gefun- 
den, als  da  er  zum  Marschall  der  Kaiserin  Katharina, 
der  Gemahlin  Peters  I.,  ernannt  wurde.  Im  Jahre 
1722  machte  ihn  dieser  Monarch  zum  Oberhofmeister 
dieser  Fürstin. 

Dieser  Alsufiow  starb  1723. 


20.  Wassilej  Alsufiow  II. 

Wassilej  Alsufiow,  der  Bruder  des  vorigen,  war 
Marschall  des  Kaisers  (1722),  und  wurde  auch  Ober- 
hofmeister im  Hofstaate  dieses  Monarchen.  Unter  der 
Regierung  Peter  II.  finden  wir  ihn  als  Oberhofmar- 
schall und  Ritter  des  Alexander-Newsky-Ordens. 

Dieser  Mann  scheint  noch  vor  der  Regierung  der 
Kaiserin  Anna  gestorben  zu  sein. 

Sein  Sohn  war  der  berühmte  und  talentvolle  russi- 
sche Staatsminister  Adam  Wassil  je  witsch  Alsufiow, 
der  in  den  achtziger  Jahren  starb,  und,  wenn  wir  nicht 
irren,  drei  Söhne  in  Mihtärdiensten,  und  zwei  Töchter 
hinterließ.  Eine  von  ihnen  heiratete  einen  Knes 
Nicolaj  Golizin,  die  andere  einen  Staatsrat  Condoidy, 
aus  dem  Departement  der  auswärtigen  Angelegen- 
heiten. 


21.  Wassilej. 

Nicht  immer  war  es  notwendig,  durch  Talente  die 
Gunst  Peters  I.  zu  erlangen.    Gutmütigkeit,  Anhäng- 


3j.   Wassilej.  I27 

lichkeit  an  seine  Person  und  selbst  Einfalt,  von  der 
man  nichts  zu  besorgen  hatte,  galten  bei  ihm  für 
Empfehlungen,  auf  die  er  immer  Rücksicht  nahm. 

Wassilej  Petrowitsch  war  von  so  gemeiner  Herkunft, 
daß  er,  nach  Art  verschiedener  russischer  Bauern,  nicht 
einmal  einen  Familiennamen^)  hatte.  Er  kam  als 
Kirchensänger  in  Zarische  Dienste.  Da  er  eine  sehr 
gefällige  Gesichtsbildung  hatte,  so  machte  ihn  Peter 
anfänglich  zu  seinem  Bedienten  und  dann  zu  seinem 
Denschtschik  oder  dejourierenden  Begleiter,  welches 
er  auch  bis  zum  Tode  dieses  Monarchen  blieb.  2) 

Katharina  I.  machte  ihn  erst  zum  Kammer]  unker 

^)  Einige  dieser  Bauern  haben,  wie  Wassilej,  bloß  einen  Tauf- 
uamen;  andere,  die  auch  keinen  Familiennamen  haben,  nehmen 
die  Namen  ihrer  Herrschaft  an:  so  findet  man  unter  den  Bauern 
Tschernitschews,  Saltikows,  Woronzows;  noch  andere  aber  haben 
eigene  Familiennamen.    H. 

')  Von  Wassilej,  „welcher  nur  von  gar  schlechtem  Herkommen 
und  Ansehen  ist,"  schrieb  Bergholz:  „Der  Zar  hat  ihn  als  einen 
armen  Jungen  in  seine  Kapelle  der  Sänger  genommen,  weil  er  eine 
ziemliche  artige  Stimme  gehabt  haben  soll,  und  da  der  Herr  selbst 
ein  Sänger  ist,  auch  alle  Sonn-  und  Festtage  bey  den  andern  ge- 
meinen Sängern  in  einer  Reihe  stehet,  und  mit  ihnen  in  der  Kirche 
singet,  so  hat  er  diesen  Burschen  zu  sich  genommen,  und  dermaßen 
nachgerade  seine  Affection  auf  ihn  geworfen,  daß  er  keinen  Augen- 
blick fast  ohne  ihn  leben  kann.  Die  beyden  zuletzt  erwehnten 
(nämlich  Tatischoff  und  Wassilej)  sind  die  größten  Favoriten, 
und  ob  man  gleich  den  Tatischoff  für  den  allergrößten  hält,  indem 
selbiger  auch  fast  ordinair,  wenn  der  Zar  allein  oder  in  kleinen 
Gesellschaften  ist,  mit  ihm  an  der  Tafel  speiset,  so  bin  ich  doch 
gewiß  der  Meynung,  daß  der  allerletzte  noch  diesen  weit  übertrifft, 
indem  der  Zar  ihn  zuweilen  wohl  hundertmal  an  einem  Tage  beim 
Kopf  kriegt  und  ihn  küsset,  auch  die  vornehmsten  Ministers  stehen 
läßt  und  zu  ihm  gehet,  um  sich  mit  ihm  zu  entreteniren.  Man  kann 
sich  nicht  genug  wundern,  wie  die  großen  Herren  ihre  Gnade  auf 
allerhand  Arten  von  Leuten  werfen  können.  Dieser  Mensch  ist  von 
schlechten,  gemeinen  Leuten  her,  hat  niemalen  andere  Education 
gehabt,  als  die  gemeinen  Sängerjungen  zu  haben  pflegen,  er  ist  auch 
sonst  nur  von  gar  schlechten  und  gemeinem  Ansehen,  mit  einem 
Wort,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  nur  ein  simpler,  einfältiger 
Mensch;  und  dennoch  machen  ihm  die  vornehmsten  Herren  aus 
dem  ganzen  Reich  die  Cour."    (Büsching  ig.  Bd.,  S.  43.) 


128  22.  Alexej  Makarow. 

und  dann  zum  Kammerherrn.  Sie  fügte  auch  den 
Gütern,  die  er  schon  vom  Kaiser  bekommen  hatte, 
noch  einige  Besitzungen  hinzu,  so  daß  Wassilej  in  sehr 
glückhchen  Vermögensumständen  war. 

Von  seinen  übrigen  Lebensverhältnissen  wissen  wir 
nichts. 

Wassilej  stand  beim  Kaiser  und  bei  der  Kaiserin  in 
großem  Andenken. 


22,  Alexej  Makarow. 

Alexej  Makarow,  der  Sohn  eines  gemeinen  Russen, 
war  nicht  ohne  Verstand,  hatte  aber  so  wenig  Kennt- 
nisse, daß  er  nicht  einmal  lesen  und  schreiben  konnte. 
Es  scheint,  daß  eben  diese  Unwissenheit  Makarows 
Glück  gemacht  habe.  Peter  I.  nahm  ihn  zu  sich,  gab 
ihm  den  Titel  eines  Kabinettssekretärs  und  brauchte 
ihn  zum  Abschreiben  geheimer  Schriften,  eine  Arbeit, 
die  für  Makarow  höchst  beschwerlich  sein  mußte,  weil 
er  das  Vorgelegte  nur  mechanisch  nachmalte.  Maka- 
row war  es,  der  dem  unglücklichen  Baron  Schaphirow 
das  Todesurteil  vorsagen  und  alsdann  Pardon  rufen 
mußte. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Katharina  I. 
wurde  Alexis  Makarow  Geheimrat. 

Peter  IL  ernannte  ihn  im  Jahre  1727  zum  Präsi- 
denten des  Kommerzkollegiums. 

Makarow  scheint  gleich  im  Anfange  der  Regierung 
der  Kaiserin  Anna  gestorben  zu  sein. 

Noch  jetzt  findet  man  Nachkommen  von  diesem 
Makarow,  die  ansehnliche  und  wichtige  Ämter  am 
russischen  Hofe  bekleiden. 


rJlAN(;OIS^XE   FORT. 

'rcneralj^miral  etl-'^Jf^inislre  acPüfrc  J 
___  Jl,  tnp  ereur  cle^Riu<^stes . 

— '■ -mm^m"""^ ■■""'■•'■ ' '""'""' 


Franz  Lefoit 

Nach  der  Zeichnung  von  Petrus  Schenk  gestochen  von  D.  Sornique 


23.  Schulz.  —  24.  Hennin.  129 

23.  Schulz. 

Schulz,  ein  Stückgießergeselle,  war,  wie  wir  gehört 
haben,  im  Braunschweigischen  geboren.  Er  kam,  sein 
Glück  zu  machen,  nach  Rußland,  wo  er  sogleich  bei 
dem  Artilleriewesen  eingestellt  wurde.  Seiner  großen 
Geschicklichkeit  hatte  er  es  zu  danken,  daß  er  sehr 
bald  Offizier  wurde.  Er  stieg  endhch  bis  zu  der  Stelle 
eines  Generalmajors,  und  erhielt  den  Alexander- 
Newskyorden. 

Schulz  starb  unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Eli- 
sabeth in  den  vierziger  Jahren. 


24.  Hennin. 

Hennin  oder  Henning  (denn  ob  man  gleich  beide 
Namen  findet,  so  gehören  sie  doch  wohl  nur  einer  Per- 
son) war  aus  Utrecht  gebürtig.  Er  wurde  Peter  I.  als 
ein  geschickter  Stückgießergeselle  empfohlen,  als 
dieser  Monarch  in  Holland  war.  Der  Zar  und  Le  Fort 
prüften  ihn,  entdeckten  Talente  an  ihm  und  nahmen 
ihn  mit  nach  Rußland.  Hier  wurde  er  im  Gießhause  und 
dann  im  Artilleriekorps  angestellt.  Da  er  große  mecha- 
nische Kenntnisse  besaß,  so  mußte  er  im  Jahre  1719 
als  Generalmajor  auf  Befehl  des  Kaisers  eine  Reise 
nach  Deutschland,  Frankreich  und  Italien  machen. 

Von  den  merkwürdigsten  Maschinen,  die  er  auf 
seiner  Reise  sah,  mußte  er  Abrisse  nehmen  oder  Mo- 
delle verfertigen  lassen.  Der  Hauptzweck  seiner  Reise 
war  aber,  Bergleute  anzuwerben,  die  nach  Rußland 
kommen  sollten,  um  die  dortigen  Bergwerke  auszu- 
bauen.   Auf  dieser  Reise  brachte  er  zwei  Jahre  zu. 

Russische  Günstlinge.  9 


130  25-  Drewnik  I. 

Nachher  beschäftigte  er  sich  immer  mit  dem  Artillerie- 
wesen.    Im   Jahre   1722   wurde   er   Generalleutnant 
von  der  Artillerie,  und  im  Jahre  1731  Ritter  vom 
Alexander-Newsky-Orden. 
Er  lebte  noch  im  Jahre  1749. 


25.  Drewnik  I. 

Die  Natur,  die  sich  in  ihren  Schönheiten,  Eben- 
maßen und  Veränderungen  nie  beschränken  läßt,  ge- 
fällt sich  besonders  in  immerwährenden  Abwechse- 
lungen. Sie  bringt  nie  zwei  Wesen  hervor,  die  sich  in 
allem  ganz  ähnlich  sind.  Ist  auch  ihre  Gestalt  die 
nämliche,  so  finden  sich  doch  die  Abweichungen  in 
dem  innern  Gehalt.  Dieser  ist  gewiß  nie  überein- 
stimmend. 

Drewnik,  sagt  man,  war  aus  Danzig  gebürtig,  und 
der  Sohn  eines  polnischen  Edelmanns,  i) 

Mit  dieser  Nachricht  von  dem  Ursprünge  Drewniks 
muß  man  eine  andere  vereinigen,  nach  welcher  es 
heißt,  daß  er  von  niederem  Stande  gewesen  sei.  So 
viel  ist  gewiß,  daß  Peter  I.  ihn  und  seinen  Zwillings- 
bruder als  kleine  Knaben,  die  keine  Eltern  mehr  hat- 
ten und  gleichsam  in  der  Irre  hemm  liefen,  zu  sich 
nahm  und  sie  erziehen  ließ.  Der  Erfolg  war  verschie- 
den. Dieser  Drewnik  hatte  Kopf  und  Fleiß  und  machte 
daher  bedeutende  Fortschritte  in  Erlernung  der  Wis- 
senschaften. Peter  I.  nahm  ihn  als  Pagen  zu  sich,  und 
machte  ihn  alsdann  zum  Denschtschik.    Als  solcher 

^)  Danzig  kam  mit  Westpreußen  im  Jahre  1466  unter  polnische 
Oberherrschaft,  in  der  es  bis  1793  verblieb.  In  diesem  Jahre  wurde 
die  einst  so  mächtige  Hansastadt  preußisch. 


26.  Drewnik  II.  —  27.  Dmiierj  Schepelew.      131 

mußte  er  immer  bei  dem  Monarchen  bleiben,  der  ihn 
oft  in  Geschäften  brauchte. 

Nach  dem  Tode  des  Kaisers  blieb  er  beständig  bei 
der  Kaiserin  Katharina  I. 

Elisabeth  gab  ihm  den  Titel  eines  Kammerherrn  und 
schenkte  ihm  Güter  in  Livland. 

Er  starb  daselbst  im  Jahre  1753. 

Seine  Gemahlin  war  eine  Tochter  des  Küchen- 
meisters Veiten.  Wir  wissen  aber  nicht,  ob  er  Kinder 
hinterlassen  habe. 


26.  Drewnik  II. 

Drewnik,  der  Zwillingsbruder  des  vorigen,  war  ihm 
im  Äußern  so  ähnhch,  daß  man,  um  beide  Brüder  nicht 
zu  verwechseln,  sie  durch  Unterscheidungszeichen  in 
ihren  Kleidern  kennbar  machen  mußte.  An  Fähig- 
keiten glich  er  ihm  nicht.  Er  war  ein  sehr  einge- 
schränkter Kopf.  Die  Kaiserin  Katharina  hatte  ihn 
gleich  anfänglich  als  Pagen,  und  in  der  Folge  als 
Kammer] unker  angestellt. 

Dieser  Drewnik  scheint  schon  unter  der  Regierung 
dieser  Monarchin  gestorben  zu  sein. 


27.  Dmitrej  Schepelew. 

Dmitrej  Andrej  e witsch  Schepelew  war  der  Sohn 
eines  gemeinen  Russen. 

Er  war  erst  Wagenschmierer  bei  Hofe,  und  kam  als- 
dann unter  die  Garde.  Peter  L,  der  an  ihm  einige  Fähig- 


132    27-  Dmiterj  Schepelew.    —   28.   Vincent  Kaiser. 

keiten  zu  bemerken  glaubte,  machte  ihn  im  Jahre  1716 
zu  seinem  Reisemarschall. 

Im  Jahre  1728  bekam  er  von  Peter  II.  den  Alexan- 
der-Orden. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Anna  wurde  er 
Hofmarschall. 

Elisabeth  endlich  machte  ihn  zum  Hofmarschall  und 
Ritter  des  Andreas-Ordens. 

Er  starb  im  Jahre  1755. 

Schepelew  machte  sich  durch  seine  Grobheiten  all- 
gemein verhaßt. 

Sein  Sohn,  Major  von  der  Garde,  auf  den  die  Em- 
pörer am  Tage  der  Thronbesteigung  Katharinas  II.  ge- 
rechnet hatten,  und  der  durch  ein  Versehen  nicht 
gleich  erschien,  war  der  erste,  der  die  souveräne  Macht 
der  neuen  Kaiserin  fühlte.  Er  wurde  arretiert,  und 
konnte  nicht  sogleich  die  Gnade  der  Monarchin  wieder 
erlangen. 

Der  Sohn  dieses  Mannes  heiratete  eine  Nichte  des 
Fürsten  Potemkin-Tawritscheskoy,  eine  geborene  En- 
gelhardt.  Schon  dieser  Umstand  beweist,  daß  der  junge 
Schepelew  einen  bedeutenden  Rang  und  beträchtliche 
Reichtümer  hatte. 

Die  Schwester  des  Oberhofmarschalls  Schepelew 
wurde  die  Gemahlin  des  nachherigen  Generalfeldmar- 
schalls Grafen  Schuwalow.i) 


28.  Vincent  Kaiser. 

Vincent  Raiser,  aus  schwedisch  Pommern  gebürtig, 

hatte  in  Greifswald  studiert.  Er  diente  anfänglich  in 

^)  Peter     Iwanowitsch,     Generalfeldzeugmeister     und     Kriegs- 
minister; gest.   1762. 


29-  Ignaij  Jelatschin.  —  30.  Johann  Schlauer.    133 

sehr  geringen  Stellen  beim  Bergwesen  in  Schweden. 
Bei  Gelegenheit  des  angebrochenen  Krieges  dieser 
Macht  mit  Rußland  wurde  er  Peter  I.  für  das  neu  er- 
richtete Bergkollegium  empfohlen. 

Er  ward  von  diesem  Monarchen  und  allen  dessen 
Nachfolgern  mit  großem  Nutzen  gebraucht,  und  starb 
im  Jahre  1755  in  einem  sehr  hohen  Alter  als  Vize- 
präsident des  Bergkollegiums. 

Kaiser  verließ  einen  Sohn,  der  Flügeladjutant  des 
Kaisers  Peter  III.  wurde,  und  am  Tage  der  Thron- 
entsetzung dieses  Monarchen  ihm  treu  Wieb. 


29.  Ignatj  Jelatschin. 

Ignatj  Feodorowitsch  Jelatschin  war  ein  Russe  von 
gemeiner  Herkunft. 

Er  gehörte  zu  den  jungen  Leuten,  die  Peter  I.  selbst 
aussuchte,  um  sie  beim  Galeerenbau  anzustellen.  Durch 
seine  große  Geschicklichkeit  stieg  er  bis  zu  dem  Posten 
eines  obersten  Schiffbauers  mit  dem  Range  eines 
Brigadiers. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Elisabeth  hatte  er 
die  Direktion  über  den  ganzen  Galeerenbau. 

Er  starb  im  Jahre  1760  in  sehr  hohem  Alter. 


30.  Johann  Schlatter. 

Johann  Schlatter  war  von  altdeutschen  Eltern, 
bürgerlichen  Standes,  in  der  deutschen  Sloboda  in 
Moskau  geboren. 


134  31-  Friedrich  Asch. 

Er  widmete  sich  den  Bergwerkswissenschaften  mit 
dem  glücklichsten  Erfolg.  Peter  I.  gab  ihm  einen  Platz 
in  dem  neu  errichteten  Bergkollegium,  und  ließ  durch 
ihn  in  Hüttenwerken  und  in  der  Petersburger  Münze 
manche  Verbesserungen  machen,  die  ihm  die  höchste 
Zufriedenheit  seines  Monarchen  erwarben. 

Überall,  wo  ihn  der  Kaiser  und  seine  Nachfolger 
brauchten,  leistete  ihnen  Schlatter  sehr  wichtige 
Dienste.  Viele  guten  Einrichtungen  in  der  Münze 
rühren  noch  von  ihm  her. 

Im  Jahre  1764  finden  wir  ihn  unter  den  Mitgliedern 
der  Versammlung,  die  das  Todesurteil  des  unglück- 
lichen Mirowitsch  unterschrieben. 

Schlatter  starb  bald  nachher  als  Direktor  des  Münz- 
hofs und  wirklicher  Staatsrat. 

Er  war  der  Verfasser  verschiedener  sehr  brauch- 
barer Schriften  vom  Bergbau,  Hüttenwerken  und 
Münzwesen. 


31.  Friedrich  Asch. 

Friedrich  Asch  war  der  Sohn  eines  gemeinen  Man- 
nes aus  Schlesien.  Sein  Glück  zu  suchen  kam  er  nach 
Rußland,  wo  er  durch  seine  Geschicklichkeit  im  Schrei- 
ben sehr  bald  ein  Unterkommen  fand.  Anfänglich 
wurde  er  Sekretär  des  durch  die  Ermordung  des  Zare- 
witsch  bekannt  gewordenen  General  Weide.  Dieser 
brachte  ihn  in  die  Dienste  Peters  I.,  der  ihn  beim  Post- 
wesen anstellte. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  EHsabeth  wurde 
er  deutscher  Reichsfreiherr,  wirklicher  Staatsrat  und 
Postdirektor  in  Petersburg. 


32.  Abraham  Hannibal.  135 

Er  starb  daselbst  im  Jahre  1771,  in  einem  Alter 
von  mehr  als  achtzig  Jahren. 

Er  hinterließ  zwei  Söhne.  In  der  Mitte  der  neun- 
ziger Jahre  war  einer  von  ihnen  russischer  Resident 
in  Warschau,  und  der  andre  Beisitzer  im  Medizinischen 
Kollegium  in  Petersburg.  Dieser  lebte  noch  im  Jahre 
1804. 


32.  Abraham  Hannibal. 

Abraham  Petrowitsch  Hannibal  war  ein  Mohr,  den 
Peter  I.  als  Schiffsjungen  aus  Holland  nach  Rußland 
brachte. 

Er  ließ  ihn  taufen,  vertrat  Patenstelle  bei  ihm  und 
nannte  ihn  (eine  sonderbare  Zusammenstellung  der 
Namen)  Abraham  Hannibal.  Petrowitsch  hieß  er,  weil 
Peter  I.  sein  Taufvater  war.  Der  Kaiser  ließ  ihn  in 
den  Lehren  der  griechischen  Religion  unterrichten 
und  gab  ihm  überhaupt  eine  sehr  gute  Erziehung. 
Der  junge  Mohr  hatte  einen  hellen  Kopf  und  zeigte 
sehr  große  Fähigkeiten  in  Erlernung  der  Fortifika- 
tionswissenschaften.  Sein  Fleiß  war  außerordentlich. 
Er  wurde  zeitig  im  Ingenieurkorps  angestellt  und 
bekleidete  nach  und  nach  unter  allen  folgenden  Re- 
gierungen ansehnliche  Posten.  Endlich  wurde  er 
Generaldirektor  des  Korps,  Generalleutnant  und  Ritter 
des  Alexander-Newsky-  und  des  Annen-Ordens.  Sei- 
nem Wunsche  gemäß  entließ  ihn  Peter  III.  1762  seiner 
Dienste. 

Hannibal  starb  im  Jahre  1781,  im  siebenundacht- 
zigsten Jahre  seines  Alters. 

Er  war  zweimal  verheiratet.  Man  sagt,  die  erste 


I^Ö  33-  Carl  Skawronski. 

Frau    gebar    ihm   lauter  weiße  Kinder,  die  andere 
schwärzliche.^) 

Ein  Sohn  von  der  zweiten  Frau  lebte  noch  am  Ende 
der  neunziger  Jahre  und  war  verabschiedeter  General- 
leutnant und  Ritter  des  Alexander-Newsky-  und 
Annen-Ordens. 


33.  Carl  Skawronski. 

Carl,  ein  Bauer  ohne  Familiennamen,  aus  Litauen 
gebürtig,  war  ein  Bruder  der  Kaiserin  Katharina  I. 

Seit  dem  Tage,  an  welchem  die  Fürstin  durch  ihre 
Mutter  an  ihre  kindhchen  Pflichten  erinnert  worden 
war,  sorgte  sie  mit  Bewilligung  des  Kaisers  für  ihre 
Verwandten.  Die  meisten  von  ihnen  hatten  sich,  wie 
wir  wissen,  in  Lennewarden  niedergelassen;  aber  der 
Bruder  der  Kaiserin  war  entweder  in  Litauen  ge- 
blieben, oder  wieder  dahin  zurückgegangen  und  hatte 
sich  dort  verheiratet.  Ein  Graf  Sapieha  erhielt  Befehl 
von  Katharina,  sich  ihrer  Verwandten  in  Litauen 
anzunehmen.  Sie  bekamen  genug,  um  nach  ihrem 
Stande  als  Landleute  bequemer  als  andre  ihresgleichen 
leben  zu  können,  aber  nicht  so  viel,  um  durch  unge- 
wöhnlichen Aufwand  ein  Aufsehen  zu  erregen. 

Am  Ende  des  Jahres  1726,  als  Katharinas  Ent- 
schließungen nicht  mehr  dem  Willen  eines  Gemahls 
unterworfen  waren,  der  das  Unschickhche  seiner  ehe- 
lichen Verbindung  wohl  mochte  gefühlt  haben,  wurde 
Carl  mit  seiner  Frau,  zwei  Töchtern  und  drei  Söhnen 
nach  Petersburg  gebracht.  Man  nannte  ihn  anfänglich 

^)  Der  berühmte  Nachfahre  Abraham  Hannibals  von  mütter- 
licher Seite  war  einer  der  größten  russischen  Dichter  aller  Zeiten: 
Alexander  Sergejewitsch  Puschkin  (geb.  1799.  im  Duell  gefallen  1839). 


33-  Carl  Skawronski.  137 

Ikaworonski,  wahrscheinlich  eine  Verstümmelung  des 
Namens  Skawronski,  den  man  ihm  eigenthch  gegeben 
hatte,  und  den  er  auch  behielt.  Man  weiß  nicht,  wer 
zuerst  auf  diesen  polnischen  Namen  gefallen  ist,  man 
glaubt  aber,  daß  ihn  Graf  Sapieha  in  Vorschlag  ge- 
bracht hat. 

Graf  Carl  Skawronski  erhielt  in  Petersburg  ein 
schönes  Haus.  Die  Haushaltung  war  prächtig,  so  wie 
sie  zum  Unterhalt  einer  Familie  vom  vornehmsten 
Privatstande  gehört.  Um  den  mit  diesem  Stande  ver- 
bundenen Aufwand  bestreiten  zu  können,  wurden  dem 
Grafen  Skawronski  nicht  nur  ansehnliche  Einkünfte 
an  barem  Gelde  angewiesen,  sondern  er  erhielt  auch  so 
einträgliche  Güter  in  Rußland  geschenkt,  daß  noch 
jetzt  die  Reichtümer  der  Familie  Skawronski  zu  den 
allerbeträchthchsten  im  russischen  Reiche  gerechnet 
werden;  und  das  will  viel  sagen,  weil  es  wenig  Länder 
in  Europa  gibt,  in  welchen  der  hohe  Adel  so  reich  ist, 
als  in  Rußland.  Hierzu  kommer  noch  Juwelen  und  die 
kostbarsten  Kleider. 

So  unmäßig  verschwendete  Geschenke  als  Ska- 
wronski, seine  Schwestern  und  ihre  sämtlichen  Fa- 
milien erhielten,  erregten  den  Neid  der  Nation.  Man 
geriet  auf  Untersuchungen,  und  entdeckte  den  wahren 
Stand  dieser  Emporkömmlinge.  Der  Unmut  der  Höf- 
linge darüber  wurde  so  allgemein,  so  groß  und  so  bitter, 
daß  sogar  (wie  demütigend  war  dieser  Schritt  für  die 
Kaiserin)  bei  Lebensstrafe  verboten  werden  mußte, 
über  den  Ursprung  dieser  Fürstin  nachzugrübeln,  oder 
ungebührhche  Reden  zu  führen.  Dieses  Verbot  war 
aber  eben  ein  Bewegungsgrund,  den  verschiedenen  Ge- 
rüchten ganz  auf  die  eigentliche  Spur  zu  kommen.  In- 
dessen verlor  sich  der  Unwille  der  Großen  des  Hofs  nach 
und  nach,  als  sie  sahen,  daß  diese  Günsthnge  keine  be- 


^v 


138  33-  Car/  Skawronski. 

deutenden  Stellen  im  Staate  erhielten,  denen  sie  aber 
auch  aus  großer  Unwissenheit  nicht  hätten  vorstehen 
können. 

Carl  Skawronski,  zum  Beispiel,  ob  er  gleich  Bruder 
der  Monarchin  war,  wurde,  so  viel  wir  wissen,  nur 
Kammerherr,  erhielt  aber  weiter  keine  Hofchargen, 
und  nicht  einmal  einen  Ritterorden. 

Die  Zeit  des  Todes  dieses  Mannes  können  wir  nicht 
bestimmt  angeben;  doch  glauben  wir  gehört  zu  haben, 
daß  er  schon  unter  der  Regierung  Peters  IL,  und  zwar 
im  Bekenntnis  der  katholischen  Religion  gestorben  sei. 

Von  der  Gemahlin  des  Grafen  Carl  Skawronski 
handelt  ein  eigener  Artikel. 

Er  brachte,  wie  wir  gehört  haben,  drei  Söhne  und 
zwei  Töchter  mit  nach  Rußland.  Dort  ward  ihm  noch 
eine  Tochter  geboren.  Diese  Kinder  wurden  meistens 
in  der  griechischen  Religion  erzogen. 

Die  Söhne  hießen  Iwan,  Martin  und  Anton. 

Nur  einer  von  ihnen,  Martin,  scheint  das  Geschlecht 
fortgepflanzt  zu  haben.  Man  findet  ihn  im  Jahre  1748 
als  Kammerherrn  und  Ritter  des  Alexander-Newsky- 
Ordens,  den  er  von  der  Kaiserin  Ehsabeth  im  Jahre 
1744  erhalten  hatte.  Im  Jahre  1764  unterzeichnete 
er  das  Todesurteil  des  unglücklichen  Mirowitsch. 
Übrigens  wissen  wir  nichts  von  den  Lebensumständen 
dieses  Grafen  Skawronski. 

Seine  Gemahlin  war  Staatsdame  der  Kaiserin  Elisa- 
beth und  Katharina  IL  und  lebte  noch  im  Jahre  1799. 

Sein  Sohn  starb  in  ziemlich  jungen  Jahren  als  Ge- 
sandter in  Neapel,  wo  er  mit  fürstlichem  Autwand 
lebte.  Seine  Feste  waren  gewöhnlich  eben  so  kostbar 
und  angenehmer  als  die  des  königlichen  Hofs. 

Seine  Witwe,  eine  geborene  Engelhardt,  Nichte  und 
Günstlingin  des  Fürsten  Potemkin  und  Staatsdame 


33-  Carl  Skawronski.  139 

der  Kaiserin,  heiratete  (gewiß  das  erste  Beispiel  dieser 
Art),  einen  Kommandeur  des  Maltheserordens,  den 
Grafen  Litta,  zu  der  Zeit,  als  Paul  I.  sich  zum  Groß- 
meister des  Ordens  aufgeworfen  hatte. 

Dieser  Graf  Skawronski  soll  mehrere  Söhne  hinter- 
lassen haben.  ^) 

Die  Töchter  des  alten  Grafen  Carl  Skawronski 
hießen  Sophia,  Anna  und  Katharina. 

Sophia  Carlowna  wurde,  sobald  sie  nach  Peters- 
burg kam,  Hofdame  ihrer  Tante,  der  Kaiserin  Katha- 
rina I.  Sie  heiratete  aber  sehr  bald  den  Grafen  Peter 
Sapieha,  von  dem  wir  schon  gesprochen  haben.  Die 
Kaiserin,  die  ihm  wegen  der  Aufsuchung  ihrer  Ver- 
wandten einigen  Dank  schuldig  war,  gab  ihm  im  Jahre 
1726  den  Alexander-Newsky-Orden.  Sapieha,  einer  der 
ersten  Magnaten  in  Polen,  hielt  es  für  eine  Ehre,  eine 
Bäuerin  zu  heiraten,  die  eine  Nichte  der  Kaiserin  von 
Rußland  war.  Sophia  hat  mehrere  Kinder  gehabt,  und 
ist  als  Katholikin  gestorben. 

Anna  Carlowna  heiratete  den  Grafen  Michael  Wo- 
ronzow,  der  als  Großkanzler  gestorben  ist.  Sie  wurde 
Staatsdame  der  Kaiserin  Elisabeth  und  Katharina  IL, 
und  Dame  des  Katharinen-Ordens. 

Diese  Gräfin  Woronzow  war  eine  ganz  vortreffliche 
Frau,  aber  sie  liebte  den  Trunk. 

Ihre  einzige  Tochter  heiratete  den  noch  lebenden 
alten  Grafen  Strogonow,  mit  dem  sie  sehr  glücklich 
war.  Sie  starb  nicht  ohne  Verdacht,  von  einem  Herrn 
vom  Hofe  Gift  bekommen  zu  haben. 

Katharina  Carlowna  wurde  erst  geboren,  nachdem 
ihre  Eltern  nach  Rußland  und  an  den  Hof  gekommen 
waren.  Sie  heiratete  einen  vortrefflichen  Mann,  den 

^)  Der  eine  von  ihnen,  Martin,  wurde  General  en  chef,  Oberhof- 
meister und  Senator. 


140    34-  Skawronska.  —  55.  Chfisiina  Hendrikow. 

Baron  Korf,  der  nach  Kiel  geschickt  wurde,  den  Groß- 
fürsten Peter  abzuholen,  und  sich  in  der  unglücklichen 
Geschichte  des  abgesetzten  Kaisers  Joan  Antono- 
witsch,  rühmlichst  bekannt  gemacht  hat.  Ob  sie  Kin- 
der gehabt  habe,  wissen  wir  nicht.  Die  Familie  Korf  ist 
noch  in  Livland  und  Kurland,  und  viele  noch  lebende 
Personen  in  derselben  stammen  vielleicht  noch  von 
dieser  Katharina  Carlowna  ab. 


34.  Skawronska. 

Die  Gräfin  Skawronska,  Gemahlin  des  Grafen  Carl 
Skawronski,  Bruders  der  Kaiserin  Katharina  L,  mit 
dem  sie  im  Jahre  1726  nach  Petersburg  kam,  war  eine 
Bäuerin  aus  Litauen. 

Sie  machte  sich  durch  Trunkenheit,  und  durch 
ihren  zügellosen  Hang  zu  Ausschweifungen  mit  Män- 
nern bekannt. 

Ihr  Todesjahr  ist  uns  unbekannt.  Wir  wissen  nur, 
daß  sie  in  der  römisch-katholischen  Rehgion  gestor- 
ben ist. 

Von  ihrem  Gemahl  und  ihren  Kindern  kann  man  in 
dem  vorhergehenden  Artikel  mehr  lesen. 


35.  Christina  Hendrikow. 

Christina,  eine  Schwester  der  Kaiserin  Katharina  I., 
hatte  schon  in  ihrem  Vaterlande  einen  Bauer  aus  Li- 
tauen, Namens  Simon  Heinrich,  geheiratet.  Sie  kam 
mit  ihm  nach  Rußland.  Von  ihm  und  ihren  Kindern 
handelt  der  künftige  Artikel.  Sie  bUeb  den  Lehren  der 
katholischen  Rehgion  zugetan. 


I 


36.  Simon  Hendrikow.  141 

36.  Simon  Hendrikow. 

Simon  Heinrich,  ein  Bauer  aus  Großlitauen,  hei- 
ratete Christina,  eine  Schwester  der  Kaiserin  Katha- 
rina I. 

Er  kam  mit  seiner  Frau  und  seinen  Kindern  schon 
im  Jahre  1725  nach  Petersburg,  und  war  der  erste  von 
den  Verwandten  der  Monarchin,  den  man  dort  sah. 
Da  er  keinen  Famihennamen  hatte,  so  machte  man 
einen  aus  seinem  zweiten  Taufnamen  Heinrich  oder 
Henrich,  den  man  etwas  veränderte,  und  ihm  eine 
russische  Endung  gab;  und  so  entstand  der  Name 
Hendrikow.  Um  der  Sache  mehr  Ansehen  zu  geben, 
erhob  man  ihn  und  seine  Famihe  in  den  Grafen- 
stand. 

Da  er,  wie  man  denken  kann,  nicht  die  geringsten 
Kenntnisse  hatte,  so  konnte  man  ihm  keine  Stelle 
geben,  die  mit  Geschäften  verbunden  war.  Er  wurde 
nur  Kammerherr  und  erhielt  keinen  Ritterorden ;  aber 
er  bekam  Güter,  kleinere  Grundstücke  und  Reich- 
tümer in  größter  Menge. 

Graf  Hendrikow  war  katholisch,  wie  alle  Bauern  in 
Litauen,  und  blieb  es  auch. 

Von  seiner  Gemahhn  hinterließ  er  zwei  Söhne  und 
zwei  Töchter,  die  alle  in  der  griechischen  Religion  er- 
zogen wurden. 

Die  Söhne  hießen  Andreas  und  Iwan. 

Andreas  1)  wurde  Kammerherr  und  erhielt  im  Jahre 
1744  den  Alexander-Newsky-Orden.  Er  starb  im  Jahre 
1748. 

Iwan  wurde  auch  Kammerherr  und  bekam  im  Jahre 
1748  den  Alexander-Newsky-Orden.  Er  unterschrieb  im 
Jahre  1764  mit  andern  zu  einer  außerordentlichen 
^)  Mit  einer  Tochter  des  Ministers  Wilinski  vermählt. 


1^.2  57-  Anna  Jefimowsky. 

Kommission  ernannten  Männern  das  Todesurteil  des 
unglücklich  gemachten  Mirowitsch. 

Iwan  setzte  sein  Geschlecht  fort,  und  lebte  noch 
im  Jahre  1770.^) 

Man  findet  noch  in  Rußland  Grafen  Hendrikow. 
Eine  seiner  Töchter  heiratete  einen  Grafen  Münnich, 
Enkel  des  Generalfeldmarschalls  und  lebte  noch  in  den 
neunziger  Jahren. 

Die  Töchter  des  Grafen  Iwan  waren  Maria  und 
Marfa  oder  Martha. 

Maria  vermählte  sich  mit  dem  nachherigen  Ober- 
hofmeister der  Kaiserin  Elisabeth,  Tschoglogow,  der 
ihr  besonders  gefiel.  Von  ihm  wird  in  einem  eigenen 
Artikel,  was  wir  von  ihm  wissen,  bemerkt  werden. 

Marfa  soll  in  Rußland  geboren  worden  sein.  Sie 
heiratete  einen  Russen,  Seffanow,  von  dem  wir  aber 
gar  nichts  wissen. 


37.  Anna  Jefimowsky. 

Anna,  eine  Bäuerin  aus  Litauen,  war  die  zweite 
Schwester  der  Kaiserin  Katharina  I.  Sie  kam  schon 
als  Ehefrau  eines  polnischen  Bauern  nach  Rußland, 
der  Michael  Joachim  hieß,  von  dem  der  künftige  Ar- 
tikel handelt,  welcher  auch  einige  Nachrichten  von 
ihren  Kindern  enthält. 

Sie  starb,  wie  ihre  Schwester  Hendrikow,  als  Ka- 
tholikin. 

1)  Seine  Frau  war  eine  Tochter  des  Kammerherrn  Butturlin. 
Er  hatte  fünf  Söhne  und  vier  Töchter.  Katharina  II.  charakterisiert 
ihn  in  ihren  Erinnerungen:  „Alle  fühlten  sich  in  seiner  Gesellschaft 
wohl,  ohne  ihm  im  geringsten  zu  mißtrauen,  weil  er  nie  jemand 
bloßstellte,  noch  gegen  jemand  fehlte.  Er  war  ein  rechtschaffener, 
wenn  auch  etwas  beschränkter  Mensch,  schlecht  erzogen,  sehr  un- 
wissend, aber  fest  und  ohne  Böswüligkeit"  (S.  71). 


j8.  Michael  Jefimowsky .  143 

38.  Michael  Jefimowsky. 

Michael  Joachim  war  ein  Bauer  aus  Großpolen  und 
heiratete  schon  in  Litauen  Anna,  eine  Schwester  der 
Kaiserin  Katharina  I. 

Er  wurde  am  Ende  des  Jahres  1725  nebst  seiner 
Frau  und  seinen  Kindern,  nach  vielen  Einwendungen 
von  Seiten  seiner  Gutsherrschaft,  endlich  mit  List  aus 
Polen  weg,  und  nach  Petersburg  gebracht. 

Da  er,  so  wie  sein  Schwager  Hendrikow,  ebenfalls 
keinen  Familiennamen  hatte,  so  übersetzte  man  seinen 
zweiten  Tauf n amen  Joachim  ins  Russische,  und  hing 
eine  russisch-polnische  Endsilbe  daran;  und  so  schuf 
man  aus  Joachim  oder  Jefim,  den  Familiennamen 
Jefimowsky.  Man  gab  diesem  Bauer  den  Grafentitel, 
und  machte  ihn  zum  Kammerherrn.  Übrigens  erhielt 
er  keine  Auszeichnung  und  keine  Geschäfte;  Reich- 
tümer aber  und  Besitzungen  bekam  er  nicht  weniger 
als  Hendrikow.  Es  ist  unglaubhch,  welche  Summen  die 
Kaiserin  ihrem  Bruder  und  ihren  Schwestern  gab. 

Graf  Jefimowsky  änderte  ebenfalls  die  katholische 
Religion  nicht.  Er  starb  in  derselben. 

Mit  seiner  Gemahlin  erzeugte  er  vier  Söhne,  die  in 
der  russischen  Religion  erzogen  wurden.  Sie  hießen 
Joseph,  Iwan,  Jakob  und  Andreas. 

Einer  von  ihnen  war  Generalmajor,  bekam  im 
Jahre  1745  den  Alexander-Newsky-Orden  und  starb 
1748. 1) 

Ein  andrer  war  Großfürstlicher  Hofmarschall  und 
wurde  1748  Ritter  des  Alexander-Newsky-Ordens. 

Man  findet  noch  jetzt  Grafen  Jefimowsky  in  Ruß- 
land. 

Eine   Tochter  eines   der   vier   Söhne   des   Grafen 

^)  Andreas  wnrde  Generalleutnant. 


144  39-  Heinrich  Fick. 

Michael  Jefimowsky  und  also  dessen  Enkelin,  heiratete 
einen  Grafen  Münnich,  Enkel  des  berühmten  General- 
feldmarschalls dieses  Namens  und  Bruder  des  Ge- 
mahls ihrer  Kusine  Hendrikow.  Sie  lebte  noch  am 
Ende  der  neunziger  Jahre. 


39.  Heinrich  Fick. 

Heinrich  Fick  war  ein  Schwede  aus  der  niedrigsten 
Klasse  des  Volks.  Er  erwarb  sich  das  Wohlwollen  der 
russischen  Regierung  dadurch,  daß  er  in  den  damaligen 
Unruhen  Spion  in  Schweden  und  Verräter  seines  Vater- 
landes wurde.  Fick  ging  nachher  in  russische  Dienste 
und  wurde  Sekretär  des  Fürsten  Menschikow.  Hier 
erntete  er  den  Lohn  für  seine  unedeln  Hand  ungen  ein. 
Er  erhielt  beträchtliche  Geldsummen  und  die  ansehn- 
liche Besitzung  Kirchspiel  Oberpahlen  in  Livland. 
Peter  I.  stellte  ihn  im  Kammerkollegium  an  und 
machte  ihn  zum  Kammerrat,  mochte  aber,  was  nicht 
für  Fick  spricht,  ihn  nicht  zu  wichtigen  Geschäften 
brauchen. 

Unter  Katharina  I.  wurde  er  zum  Vizepräsidenten 
des  Kommerskollegiums  ernannt,  weil  man  wollte 
wahrgenommen  haben,  daß  durch  seine  Bemühungen 
(wahrscheinlich  zum  Schaden  der  Untertanen),  die 
jährhchen  Zolleinkünfte  mit  zweimal  hunderttausend 
Rubel  vermehrt  worden  waren. 

Er  behielt  diese  Stelle  und  seinen  Kredit  auch  unter 
der  Regierung  Peters  IL,  da  er  die  Feinheit  gehabt  hatte, 
nach  dem  Falle  des  Fürsten  Menschikow  sich  an  die 
Famihe  Dolgorucky  anzuschließen. 

Aber  unter  der  Kaiserin  Anna  wurde  er  zugleich 


40.  Ernst  Johann  Bükren  I.  145 

mit  dieser  Familie  unglücklich  und  nach  Sibirien  ver- 
wiesen, ohne  über  Artikel  vernommen  zu  werden.  Sein 
Verbrechen  war,  zu  der  vom  Konseil  verfertigten  Ka- 
pitulation der  Anna  beigetragen  und  unüberlegt  von 
Biron  gesprochen  zu  haben. 

Die  Kaiserin  Elisabeth  ieß  ihn  zwar  zurückkom- 
men, allein  er  wurde  nicht  wieder  angestellt ;  und  wirk- 
lich verdiente  er  es  auch  nicht,  nach  dem  allgemeinen 
Urteil  derer,  die  ihn  kannten. 

Fick  starb  auf  seinen  Gütern  in  Livland  im  Jahre 

1751. 

Er  hatte,  sagt  man,  nicht  nur  ein  schlechtes  Herz, 
sondern  auch  nichts  weiter,  als  den  Verstand  und  die 
Ränke  eines  gemeinen  Spions. 

Den  Namen  seiner  Frau  wissen  wir  nicht. 

Er  hinterheß  nur  eine  Tochter,  die  an  einen  Major 
Law  verheiratet  wurde,  die  ebenfalls  nur  zwei  Töchter 
gebar. 

Das  schöne  Gut,  Schloß  Ober-Pahlen,  blieb  nicht 
bei  der  Familie,  die  darüber  in  Prozeß  geriet.  In  den 
neunziger  Jahren  wurde  es,  wenn  wir  nicht  irren,  an 
die  adelige  Familie  Bock  für  zweimal  hunderttausend 
Rubel  verkauft. 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Ungewöhnliche  Schicksale  berechtigen  allerdings  zu 
einer  ausgezeichneten  Bemerkung  in  den  Annalen  der 
Menschheit.  Die  Muse  der  Geschichte  findet  ihre  an- 
genehmste Beschäftigung  in  der  Erzählung  der  Be- 
gebenheiten der  außerordentlichen  Menschen,  die  aus 
den  niedern  Abteilungen  des  Volks,  allein  durch  die 

Russische  Günstiingo.  lO 


146  ^o.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Vorzüge  ihres  Geistes,  bis  nahe  an  den  Thron  hinan 
strebten,  und  ihr  Dasein  durch  ruhmvolle  Taten  und 
durch  weise,  die  Untertanen  beglückende  Bemühungen 
merkwürdig  machten.  Aber  sie  wird  mit  Kummer  er- 
füllt, wenn  sie  gezwungen  ist,  das  Geschick  desjenigen 
aufzuzeichnen,  der  ohne  große  Eigenschaften  und  ohne 
wahre  Verdienste,  aus  dem  Staube  auf  die  erste  Stufe 
im  Staate  erhoben,  seine  Entstehung  vergessen  kann; 
der  diejenigen  mit  Stolz  und  Verachtung  behandelt, 
denen  Geburt  und  Verdienste  die  gütigsten  Ansprüche 
auf  seine  Macht  und  auf  sein  Ansehen  geben;  der  in 
keinem  Verhältnisse  des  Lebens  andre  glückhch  zu 
machen  versteht;  der  das  Gefühl  der  Menschheit  nur 
zu  haben  scheint,  um  darin  die  Quelle  der  blutigsten 
Grausamkeit  und  Ungerechtigkeit  zu  suchen;  und 
dessen  Andenken  mit  einem  Worte  der  Gegenwart  und 
der  Nachwelt  verabscheuend  ist.  Klio  kann  sich  gleich- 
wohl diesem  Geschäfte  nicht  entziehen,  und  muß  ihre 
Beruhigung  nur  in  dem  Bewußtsein  der  strengsten  Er- 
füllung ihrer  Pflichten  finden. 

Eine  weitläufige  Lebensbeschreibung  Bührens  darf 
man  nicht  in  einem  Buche  suchen,  das  nur  dazu  be- 
stimmt ist,  die  Abrisse  der  Hauptbegebenheiten  einiger 
Emporkömmlinge  aufzunehmen.  Die  Erzählung  dessen, 
was  Bühren  tat,  oder  was  er  nicht  hätte  tun  sollen, 
liegt  außer  den  Grenzen  desselben,  und  gehört  in  die 
Geschichte  der  Kaiserin  Anna  Joannowna  und  des 
Kaisers  Joan  Antonowitzsch  und  in  die  Jahrbücher 
des  ehemaligen  Herzogtums  Kurland. 

Die  der  Welt  bekannt  gewordenen  Nachrichten  von 
Bührens  Familie  gehen  bis  auf  dessen  Großvater. 
Dieser  war,  ungefähr  in  der  Mitte  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts, Stallknecht  bei  dem  Herzog  Jakob  HL  von 
Kurland. 


1 


4-0.  Ernst  Johann  Bühren  h  147 

Der  Sohn  dieses  Mannes  hieß  Karl,  und  war  im 
Februar  1653  geboren. 

Schon  dieser  machte,  im  Vergleich  mit  seinem  Ur- 
sprünge, ein  nicht  unbedeutendes  Glück, 
i  Er  lernte  die  Jägerei  und  bekam  in  der  Folge  einen 
sehr  einträglichen  Dienst  in  den  herzoglichen  Forsten. 
Dadurch  wurde  er  in  den  Stand  gesetzt,  nicht  nur  ein 
nach  seiner  Art  bequemes  Leben  zu  führen,  sondern 
auch  seinen  drei  Söhnen  die  Aussicht  nach  einer  Lauf- 
bahn zu  eröffnen,  die  ausgezeichneter  war,  als  die- 
jenige, auf  welcher  er  sich  selber  befand. 

Ein  übel  verstandener  Ehrgeiz  verleitete  Bühren, 
sich  den  Titel  eines  polnischen  Leutnants  geben  zu 
lassen;  eine  fast  unbemerkbare  Erhebung,  zu  welcher 
er  durch  das  Fürwort  seines  Herrn,  eines  der  letzteren 
Herzöge  von  Kurland  aus  dem  Kettlerischen  Hause, 
leicht  gelangen  konnte.  Die  steigende  Gunst  seines 
zweiten  Sohnes  am  Hofe  der  verwitweten  Herzogin 
Anna  von  Kurland,  nachherigen  Kaiserin  von  Ruß- 
land, war  das  Signal  der  Glücksveränderung  der  ganzen 
Familie  Bühren. 

Hj  Der  Vater  und  seine  drei  Söhne  verstümmelten  nun 
auf  eine  sehr  vorteilhafte  Art  ihren  Namen  und  nannten 
sich  Biron.  Zu  gleicher  Zeit  nahmen  sie  das  Wappen 
dieser  in  Frankreich  so  berühmten  Familie  an.  Daß 
der  Vater  mit  dem  mittelsten  Sohne  auch  in  den 
Reichsgrafenstand  erhoben  worden  sei,  haben  wir 
nicht  finden  können.  Aber  ihm  einen  höheren  Rang 
zu  geben,  schien  allerdings  nötig  zu  sein.  Friedrich 
August  L,  um  sich  der  Kaiserin  gefällig  zu  zeigen, 
machte  ihn  zum  Generalleutnant,  ohne  ihn  jedoch  an- 
zustellen. Übrigens  hatte  der  Vater  Biron  die  Beschei- 
denheit, nicht  an  Höfen  erscheinen  zu  wollen.  Er  lebte 
in  Kurland  auf  den  Gütern,  die  er  der  Freigebigkeit 


148  ^o.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

der  Kaiserin  zu  danken  hatte  und  starb  daselbst  im 
Jahre  1734. 

Von  den  Lebensumständen  seiner  Frau  wissen  wir 
nichts  weiter,  als  daß  sie  im  Jahre  1661  geboren  war. 
Auch  ihren  Familiennamen  wissen  wir  nicht. 

Seine  Söhne  waren  Karl,  Ernst  Johann  und  Gustav. 
Von  allen  dreien  wird  besonders  gehandelt  werden, 

Ernst  Johann  Bühren,  der  zweite  Sohn  Karl  Büh- 
rens,  war  am  12.  November^)  1690  geboren. 

Er  und  seine  Brüder  erhielten  im  Hause  ihres  Vaters 
nur  eine  mittelmäßige  Erziehung.  Als  diese  einiger- 
maßen vollendet  sein  sollte,  ging  Ernst  Johann  Bühren, 
so  wenig  vorbereitet  er  auch  sein  mochte,  doch  nach 
Königsberg,  um  daselbst,  wie  es  hieß,  zu  studieren. 

Von  der  Universität  hinweg  begab  er  sich  nach 
Petersburg.  Er  wollte  dort  eine  Anstellung  suchen,  die 
er  aber  nicht  so  fand,  wie  der  Dünkel,  den  er  von 
sich  hatte,  sie  zu  verlangen  wagte.  Man  erzählte  so- 
gar, er  habe  sich  am  Hofe  des  Zarewitsch,  des  Sohnes 
Peters  I.,  um  die  Stelle  eines  Kammer] unkers  be- 
worben, sie  sei  ihm  aber  mit  der  verächtlichen  Be- 
merkung, daß  er  von  zu  niederer  Abkunft  sei,  abge- 
schlagen worden. 

Diese  Erzählung  ist  nicht  wahrscheinlich.  Bühren 
mußte  doch  gewiß  gehört  haben,  daß  man  an  Höfen 
die  Stellen,  die  zunächst  an  der  Person  der  Prinzen 
sind,  gewöhnhch  nicht  mit  Leuten  besetzt,  die,  ohne 
irgend  einen  Namen  oder  gültigen  Anspruch  zu  haben, 
sich  dazu  anbieten,  und  daß,  wenn  es  auch  damals  in 
Rußland  an  Geschäftsmännern  fehlte,  man  doch  bei  Be- 
setzung der  Hofämter  nicht  in  so  großer  Verlegenheit 
war,  um  auf  ihn  Rücksicht  nehmen  zu  müssen.  Hatte 
Bühren  aber  wirklich  die  Stirn,  eine  Kammer junker- 

^)  Am  I.  Dezember  in  Kalpz«em. 


I 


40.  Ernst  Johann  Bükren  I.  149 

stelle  am  Hofe  des  russischen  Kronprinzen  zu  ver- 
langen, so  war  die  erwähnte  Antwort  darauf  sehr  na- 
türlich. 

Da  wir  die  Epoche  der  Namensveränderung  der  Fa- 
milie Bühren  nicht  eigentlich  wissen,  so  könnte  man 
vielleicht  annehmen,  daß  Ernst  Johann,  ehe  er  nach 
Rußland  ging,  sich  den  vornehmen  Namen  von  Biron 
zugeeignet  habe. 

Nach  dem  mißlungenen  Versuche  in  Petersburg 
ging  Ernst  Johann  nach  Mietau  zurück,  wo  seine  Be- 
werbungen einen  günstigeren  Erfolg  hatten. 

Die  verwitwete  Herzogin  Anna  von  Kurland  er- 
nannte ihn  ungefähr  im  Jahre  1720  zu  ihrem  Kammer- 
junker. Da  er  ein  schöner  Mann  war,  so  wählte  sie  ihn 
bald  nachher  zu  ihrem  Liebling,  und  knüpfte  mit  ihm 
eine  Verbindung,  die  nur  durch  den  Tod  dieser  Fürstin 
getrennt  wurde.  Anna  beobachtete,  so  lange  sie  lebte, 
in  ihrem  geheimen  Privatleben  einen  außerordentlichen 
Anstand.  Infolge  dieses  Grundsatzes  wollte  sie  ihr  Ein- 
verständnis verbergen,  erreichte  aber  freihch  nicht 
ihren  Zweck.  Es  geschah  auf  ihre  Veranlassung,  daß 
Biron  heiraten  mußte,  i) 

Schon  die  Ausführung  dieses  Plans  der  Herzogin 
war,  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  mit  großen 
Schwierigkeiten  verbunden;  aber  sie  war  es  weniger, 
als  das  Verlangen,  unter  den  Adel  des  Landes  aufge- 
nommen zu  werden;  ein  Wunsch,  den  Biron  mit  Un- 
gestüm biUigte.  Solange  Anna  und  er  in  Kurland 
waren,  konnte  er  nie  dieses  Vorrecht  erlangen,  und 
das  sonst  große  Ansehen  der  Herzogin  mußte  sich  vor 
dem  Nachdrucke  beugen,  mit  welchem  der  Adel  von 
Kurland  seine  Rechte  verteidigte. 

1)  Nämlich  die  Hofdame  Annas,  Benigna  von  Trotta  genannt 
Treyden. 


150  40-  Ernst  Johann  Bühren  I. 

In  der  Folge,  als  Anna  den  russischen  Thron  be- 
stiegen hatte,  glaubte  er  in  diesem  Umstände  Ur- 
sachen zu  finden,  seine  Hartnäckigkeit  bereuen  zu 
müssen.  Er  veränderte  sein  Benehmen,  und  zeigte 
einen  entgegengesetzten  Charakter.  Der  Adel  war  nur 
standhaft  gewesen,  so  lange  er  geglaubt  hatte,  nichts 
fürchten  zu  dürfen.  Jetzt  bot  er  Biron  selbst  das  In- 
digenat  an,  das  dieser  die  Gefälligkeit  hatte  anzu- 
nehmen. 

In  der  Zeit,  als  Anna  und  Biron  noch  in  Kurland 
lebten,  machten  sie  im  Jahre  1726  eine  Reise  nach 
Rußland,  wo  damals  Katharina  I.  regierte.  Die  Haupt- 
veranlassung dieser  Reise  waren  Privatangelegen- 
heiten der  Herzogin,  die  Menschikow  immer  verwickel- 
ter zu  machen  suchte.  Birons  guter  Rat  trug  allerdings 
dazu  bei,  daß  Anna  in  ihrem  Gesuch  glücklich  war. 

Übrigens  hielt  sich  diese  Prinzessin  nicht  lange  am 
Russischen  Hofe  auf;  die  geringe  Auszeichnung,  die 
Biron  daselbst  erhielt,  verursachte  ihre  baldige  Rück- 
reise nach  Kurland. 

Wer  hätte  damals  gewähnt,  daß  dieser  Mann  an  den 
Orten,  wo  er  jetzt  aus  Achtung  für  seine  Gebieterin, 
nur  mit  Gleichgültigkeit  behandelt  wurde,  bald  den 
rächendsten  Despositismus  ausüben  würde?  Dennoch 
geschah  es. 

Anna  wurde  im  Jahre  1730  zur  Kaiserin  von  Ruß- 
land erwählt,  und  nun  gelangte  Biron  sogleich  zu  den 
größten  Ehrenstellen. 

Er  fing  damit  an,  Kammerherr  zu  werden ;  bald  dar- 
auf erhob  ihn  der  deutsche  Kaiser  in  den  Reichs- 
grafenstand; dann  wurde  er  Oberkammerherr  und 
Ritter  des  Andreas-Ordens.  Die  Ordenszeichen  verschie- 
dener Höfe,  die  mit  dem  russischen  in  Verbindung 
standen,  folgten  bald  nach. 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  151 

Nun  erst  fing  Biron  an,  in  Europa  bekannt  zu  wer- 
den, und  nun  erst  schrieb  der  Chef  des  Hauses,  dessen 
Namen  er  angenommen  hatte,  der  Duc  de  Biron,  an 
diesen  Pseudo-Biron  und  erkundigte  sich,  auf  welche 
Art  er  die  Ehre  hätte,  mit  ihm  verwandt  zu  sein.^) 

Der  russische  Biron  verstand  den  persifHerenden 
Ton  dieser  Erkundigung  und  zog  sich  aus  der  Ver- 
legenheit, indem  er  gar  nicht  antwortete. 

Aber  allgemein  schien  man  sich  einstimmig  das 
Wort  gegeben  zu  haben,  durch  Niedrigkeit  dem  Stolze 
dieses  Mannes  zu  frönen. 

Nach  der  Zeit,  als  Ernst  Johann  den  Kurländern  als 
Herzog  aufgedrungen  wurde,  schickte  der  Duc  de 
Biron  einen  Kavaher  von  seinem  kleinen  Hofstaate 
nach  Rußland,  um  seinem  Herrn  Vetter  Glück  wün- 
schen zu  lassen. 

In  Kurland  hatten  Biron  und  seine  Gattin  immer 
mit  der  Herzogin  in  einem  Hause  gewohnt.  In  Ruß- 
land geschah  es  ebenfalls.  Er  und  seine  Famihe  be- 
zogen mit  der  Monarchin  am  Tage  der  Thronbesteigung 
das  Kaiserliche  Palais  und  bewohnten  es  mit  ihr,  so 
lange  die  Kaiserin  lebte. 

Auf  diese  Art  konnte  der  Günsthng  ohne  Aufsehen 
zu  erregen,  erst  die  Regierungsgeschäfte  mit  seiner 
Gebieterin  teilen,  und  sie  alsdann  unbemerkt  allein 
übernehmen.  Dies  stimmte  ganz  mit  dem  Wunsche 
der  Kaiserin  überein,  die  sehr  bald  die  alleinige  Herr- 
schergewalt ihrem  LiebHnge  überheß.  Wenige  Fürsten 
haben  das  Glück,  wie  Anna,  sich  von  so  anerkannt 
großen  Männern  umgeben  zu  sehen.  Münnich,  Oster- 

1)  Kaiserin  Katharina  II.  erzählt  in  ihren  Erinnerungen,  daß 
die  französische  Familie  Biron  den  Kurländer  als  Verwandten  an- 
erkannt hatte,  auf  Veranlassung  des  Kardinals  Fleury  (1653 — 1743), 
des  Lehrers  und  Ministers  Ludwigs  XV.,  der  sich  den  russischen 
Hof  geneigt  machen  wollte  (Memoiren,  S.  124). 


152  «^o.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

mann,  Golowkin,  Jaguschinski,  Golozin,^)  Tnibetzkoy, 
Löwenwolde,  welche  Kolossalliguren  unter  den  Staats- 
männern jener  Zeit !  und  doch  durften  sie  nicht  so  viel 
bewirken,  als  sie  wollten  und  konnten,  weil  oft  Biron 
ihre  Handlungen  lähmte.  Die  Annalen  der  Regierung 
der  Kaiserin  Anna  sind  zugleich  die  Geschichte  seiner 
Grausamkeiten  und  Ungerechtigkeiten.  Diese  wurde 
nur  selten  durch  gute,  zweckmäßige  und  weise  Ver- 
fügungen unterbrochen. 

Sein  niederdrückender  Despotismus 2)  erregte  endlich 
so  viel  Unzufriedenheit,  daß  in  den  Jahren  1738  und 
1739  eine  Empörung  gegen  die  Kaiserin  und  Biron 
dem  Ausbruche  nahe  war.  Man  hatte  förmliche  Klage- 
punkte gegen  ihn  aufgesetzt,  die  allerdings  begründet 
waren. 

Die  Neigung  der  Kaiserin  zu  Biron  und  ihre  Nach- 
sicht mit  allen  seinen  Handlungen,  ohne  sie  zu  prüfen, 
stritten  freilich  sehr  mit  ihren  Regentenpflichten,  und 
waren  in  mancherlei  Betracht  verschiedenen  Teilen 
der  Regierung  schädhch,  weil  Biron  die  Güte  seiner 
Monarchin  mißbrauchte  und  unter  ihrer  Autorität, 
aber  größtenteils  ohne  ihr  Wissen,  oder  doch  wenig- 
stens unter  Vorspiegelung  einer  scheinbaren  Gerechtig- 
keit, widerrechtlich  und  willkürlich  regierte.  Man  be- 
kam sehr  zeitig  Nachricht  von  dem  Entwürfe  dieses 
Aufstandes  und  vereitelte  den  Ausbruch  desselben, 
Biron  fand  in  der  Bestrafung  der  vorgeblichen  Em- 

^)  Knes  Mihajla  Michajlowitsch  Golizin  war  ein  Zögling  Peters  I., 
der  ihn  außerordentlich  schätzte.  Er  leistete  diesem  Fürsten  und 
seinen  Nachfolgern  im  Seewesen  wichtige  Dienste.  Golizin  starb 
im  Jahre  1760  in  hohem  Alter  als  Generaladmiral  und  Chef  des 
Admiralitätskollegiums. 

*)  ,,Man  versichert,  daß  sich  die  Kaiserin  mehrere  Male  ver- 
geblich zu  Füßen  ihres  Günstlings  niedergeworfen  habe,  um  von 
ihm  eine  Milderung  seiner  Grausamkeiten  zu  erflehen"  (Crusen- 
stolpe  1,  S.  118.) 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  153 

pörung  neue  Nahrung  zur  Befriedigung  seiner  mörde- 
rischen und  habsüchtigen  Begierden. 

Seine  Macht  in  Rußland  war  auf  den  höchsten  Grad 
gestiegen.  Seine  Reichtümer  wuchsen  täglich,  seine 
Einkünfte  waren  groß,  sein  Aufwand  wurde  von  der 
Monarchin  bestritten,  und  er  hatte  überdies  alle  Mittel 
in  Händen,  sich  zu  bereichern.  In  Geldsachen  bediente 
er  sich  des  Hofjuden  Liepmann,  und  teilte  mit  diesem 
den  Wucher,  den  sie  gemeinschaftlich  durch  Monopole 
und  andere  Handelsbedrückungen  erpreßten. 

Seine  Besitzungen  in  Rußland  waren  sehr  wichtig, 
und  wurden  noch  außer  Landes  durch  die  Herrschaft 
Wartenberg^)  in  Schlesien  vermehrt.  Den  größten  Zu- 
wachs aber  erhielten  seine  Besitzungen  durch  das  Her- 
zogtum Kurland.  Indem  er  dadurch  eine  kleine  Sou- 
veränität erhielt,  wurde  sein  Rang  der  größte  unter 
den  russischen  Staatsdienern. 

Durch  Geld  und  Intrigen  brachte  es  der  russische 
Hof  so  weit,  daß  die  Edelleute  in  Kurland  nach  Aus- 
sterben des  Kettlerischen  Stammes  2)  im  Jahre  1737 
sich  sehr  geschmeichelt  fühlten,  denjenigen  zu  ihrem 
Herzog  erwählen  zu  dürfen,  den  sie  zehn  Jahre  vorher 
nicht  als  ihresgleichen  hatten  annehmen  wollen.  Im 
Jahre  1739  erhielt  der  neue  Herzog  die  Belehnung  mit 
seinem  Lande  durch  Deputierte  in  Warschau  am 
Throne  des  Königs.  In  dem  darauf  folgenden  Monat 
Juli  schickte  der  deutsche  Kaiser  aus  eigener  Bewe- 
gung dem  Herzog  ein  Diplom,  in  welchem  er  ihm  den 
Titel  Durchlaucht  erteilte.  Biron  hatte  den  Stolz,  lange 

^)  Die  Standesherrschaft  Wartenberg  in  Schlesien,  noch  heute 
im  Besitze  der  Familie  Biron  von  Kurland. 

*)  Der  Kettlersche  Stamm  starb  mit  Ferdinand,  dem  Gemahl 
der  späteren  Kaiserin  Anna  Iwanowna,  aus.  Er  war  der  Nach- 
komme Gotthard  Kettlers,  des  letzten  Meisters  des  Deutschen 
Ordens  und  des  ersten  Herzogs  von  Kurland  (gest.  1587). 


154  ^*'"  ^*'^5^  Johann  Bühren  I. 

nicht  darauf  zu  antworten,  weil  er  fand,  daß  diese  Ur- 
kunde schon  eher  hätte  ausgefertigt  werden  können. 

Am  Ende  des  Monats  Oktober,  im  Jahre  1740,  starb 
Anna. 

Der  Herzog  hatte  es  durch  seinen  entscheidenden 
Einfluß  aui  die  Handlungen  dieser  Fürstin  dahin  zu 
bringen  gewußt,  daß  sie  ihn  auf  ihrem  Totenbette  zum 
Regenten  von  Rußland  während  der  Minderjährigkeit 
des  jungen  Kaisers,  Joan  Antonowitsch,  ernannte. 

Mit  dem  Tode  der  Kaiserin  trat  Biron  die  Regent- 
schaft an.  Sie  war  das  letzte  Auflodern  eines  ver- 
löschenden Lichtes.  Er  erhielt  den  Titel  Hoheit,  gab 
und  unterschrieb  im  Namen  des  Kaisers  einige  Schen- 
kungen an  die  kaiserliche  Famihe,  Verordnungen,  die 
Gnadenbezeichnungen  enthielten,  und  Urkunden,  wie 
sie  gewöhnlich  beim  Antritt  einer  Regierung  bekannt- 
gemacht werden;  ließ  fast  an  jedem  Tage  Menschen 
arretieren,  die  ihm  verdächtig  waren,  und  vollendete 
dadurch  den  allgemeinen  Haß.  Mehr  zu  tun  wurde  er 
verhindert.  Nach  drei  Wochen  verlor  er  alles. 

Die  Großfürstin  Anna,  Mutter  des  Kaisers,  i)  erregte 
eine  Revolution,  die  der  Generalfeldmarschall  Münnich 
mit  seinem  Generaladjutanten,  dem  berühmten  Schrift- 
steller Mannstein,  2)  ausführte. 

^)  Anna  von  Braiinschweig,  geboren  18.  Dezember  171 8  in 
Rostock,  gest.  i8.  März  1746  in  der  Verbannung.  Sie  war  die 
Nichte  der  Kaiserin  und  die  Tochter  des  Herzogs  Karl  Leopold 
von  Mecklenburg.  Auch  eine  der  vielen  Frauen  aus  deutschen 
Fürstengeschlechtern,  denen  der  russische  Hermelin  zum  Nessus- 
gewande  geworden  war. 

^)  Christoph  Hermann  v.  Manstein  (nicht  Mannstein)  wurde 
am  I.  September  171 1  in  Petersburg  geboren.  Nachdem  er  an- 
fänglich in  preußischen  Diensten  gestanden,  trat  er  zur  russischen 
Armee  über,  wo  er  bis  1744  Adjutant  von  Münnich  war.  Unter 
Elisabeth  Petrownas  Regierung  wiederholt  verleumdet  und  mit 
Verbannung  bedroht,  verließ  er  Rußland  im  Jahre  1745  und  trat 
in  Friedrichs  des  Großen  Dienste.   Im  Siebenjährigen  Kriege  zeich- 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  155 

Die  Anekdote,  ist  ziemlich  bekannt,  daß,  am  Abende 
vor  dem  Ausbruche  der  Empörung,  Münnich  bei  dem 
Herzog-Regenten  war;  daß  dieser,  ganz  unmutig  und 
zerstreut,  wie  er  an  diesem  Abende  war,  eber  nichts  zu 
reden  wußte  und  den  Feldmarschall  fragte,  ob  er  schon 
jemals  in  der  Nacht  einen  gewagten  und  großen  Streich 
ausgeführt  habe;  daß  Münnich,  der  sich  für  verraten 
hielt,  auf  dem  Punkte  stand,  sich  dem  Regenten  zu 
Füßen  zu  werfen  und  ihm  alles  zu  gesteher;  daß 
Münnich  noch  Gegenwart  des  Geistes  genug  besaß,  an 
sich  zu  halten,  um  zu  sehen,  ob  der  Regent  noch  eine 
Äußerung  machen  werde,  aus  welcher  zu  schließen  sei, 
daß  er  das  Schicksal  wisse  oder  ahne,  das  man  ihm 
zum  Anbruche  des  kommenden  Tages  bereitete;  und 
daß  endlich  Münnich,  völlig  hierüber  beruhigt,  und 
mit  dem  festen  Vorsatz  den  Herzog-Regenten  verließ, 
ihm  in  einigen  Stunden  zu  zeigen,  wie  man  sich  be- 
nehmen müsse,  wenn  man  ein  gewagtes  Vorhaben  in 
der  Nachtzeit  ausführen  wolle,  i) 

In  der  Erzählung  dieser  merkwürdigen  Begebenheit 
folgen  wir  dem  in  schlechtem  Stil  geschriebenen  Be- 
richte, den  der  Oberstleutnant  und  Adjutant  Mann- 
stein selbst  davon  in  französischer  Sprache  gegeben 
hat: 

,,Am  letzten  Sonntage,  welches  der  9.  November 
alten    Stils    oder    der    20.    November    neuen    Stils 

nete  er  sich  als  General  bei  Prag  aus  und  wurde  bei  Kolin  verwundet, 
wo  er  durch  seinen  eigenmächtigen  Angriff  auf  den  linken  öster- 
reichischen Flügel  hauptsächlich  den  Verlust  der  Schlacht  herbei- 
führte. Als  er  mit  anderen  Blessierten  auf  der  Reise  nach  Dresden 
die  Gegend  von  Welmina  passierte,  überfielen  Laudons  Kroaten 
den  Wagenzug  und  zerstreuten  die  geringe  Bedeckung.  ,, Wollt 
ihr  euch  gefangen  geben?"  ..Nimmermehr!"  antwortete  Manstein 
imd  sprang  aus  dem  Wagen,  ergriff  ein  Gewehr  und  ward  auf  der 
Stelle  niedergehauen  (27.  Juni  1757).  (Crusenstolpe  I,  S.  141  ff.) 
^  Crusenstolpe  I,  S.  137  f. 


156  40.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

war,  1740,  ließ  S.  E.  der  Generalfeldmarschall  Graf 
von  Münnich  mich  frühe  um  drei  Uhr  zu  sich  rufen, 
um  mit  ihm  auszugehen.  Nachdem  ich  bei  S.  E.  an- 
gekommen war,  gingen  wir  in  das  Winterpalais  zu 
I.  K.  H.  der  Prinzessin.  Als  der  Gerieralteldmarschall 
ihr  gesagt  hatte,  er  sei  gekommen,  ihre  letzten  Be- 
fehle zu  vernehmen,  befahl  er  mir  die  Offiziere  von 
der  Wache  zu  rufen.  Sie  kamen,  und  I.  K.  H.  sagte 
ihnen  mit  Tränen,  sie  möchten  doch  überlegen,  auf 
welche  Art  der  Kaiser,  sie  und  ihr  Gemahl  vom 
Herzog-Regenten  behandelt  würden,  der  in  allem 
so  viel  bösen  Willen  gegen  sie  zeige,  daß  man  glauben 
müsse,  er  habe  die  Absicht,  den  Kaiserlichen  Thron 
zu  usurpiren.  Um  dieses  Unglück  zu  verhüten,  be- 
fehle sie  den  Officiers,  den  Anordnungen  des  General- 
feldmarschalls nachzukommen  und  den  Regenter 
zu  arretiren.  Einstimmig  willigten  alle  sogleich  ein, 
ohne  sich  einen  AugenbHck  zu  besinnen.  Alsdann 
wendete  sich  S,  E.  der  Generalfeldmarschall  an  mich, 
indem  er  mir  sagte,  er  habe  das  große  Zutrauen 
zu  mir,  daß  ich  als  ein  ehrlicher  Mann,  und  als  ein 
treuer  Diener  S.  K.  M.  handeln  würde.  Nachdem  wir 
der  Prinzessin  die  Versicherungen  unsrer  Treue  ge- 
geben hatten,  erlaubte  sie  uns  ihre  Hand  zu  küssen, 
und  umarmte  uns  alle,  so  viel  wir  waren.  Wir  stiegen 
nun  die  Treppe  hinab,  und  nachdem  unser  unver- 
gleichlicher Chef  die  Soldaten,  die  auf  der  Wache 
waren,  unter  die  Waifen  gestellt  hatte,  kündigte  er 
ihnen  den  Befehl  I.  K.  M.  an,  dem  sie  willig  gehorchen 
zu  wollen  erklärten.  Wir  gingen  alsdann  mH  vierzig 
auserwählten  Männern  nach  dem  Sommerpalais,  und 
hatten  unsern  Schutzengel  an  unsrer  Spitze.  Als 
wir  ohngefähr  zweihundert  Schritte  von  der  Wache 
des  Palais  entfernt  waren,  schickte  mich  S.  E.  hinein. 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  157 

die  Oificiere  von  der  Wache  zu  benachrichtigen,  daß 
sie  herauskommen  möchten,  um  Sachen  von  der 
größten  Wichtigkeit  zu  erfahren.  Sie  kamen  sogleich 
ohne  Schwierigkeit  mit  mir,  und  nachdem  ihnen  der 
Generalfeldmarschall  den  Befehl  I.  K.  H.  mitge- 
teilt hatte,  erboten  sich  alle  einmütig,  zu  gehorchen. 
Ich  wurde  alsdann  mit  zwölf  Soldaten  abgeschickt, 
mit  denen  ich,  ohne  den  geringsten  Widerstand  zu 
finden,  bis  an  das  Schlafzimmer  kam.  Ich  gehe  zuerst 
hinein,  ziehe  die  Vorhänge  vom  Bett  auf  und  rufe 
laut:  Wo  ist  der  Regent?  Die  Herzogin,  die  mich  zu- 
erst gesehen  hatte,  fängt  an  zu  schreien.  Er  stürzt 
sich  aus  dem  Bette  heraus  auf  die  Erde  und  schreit : 
Wache!  Ich  werfe  mich  auf  ihn  und  halte  ihn,  bis 
die  Grenadiere,  die  ich  mitgebracht  hatte,  ins  Zimmer 
gekommen  waren  Sie  ergriffen  ihn,  und  da  er  sich 
von  ihnen  losreißen  wollte,  Faustschläge  und  Fuß- 
tritte gab,  und  aus  vollem  Halse  schrie,  stopfte  man 
ihm  ein  Schnup'tuch  in  den  Mund,  und  trug  ihn  in 
das  Vorzimmer,  wo  man  genötigt  war,  ihm  die  Hände 
zu  binden.  Ich  ließ  ihn  in  den  Wagen  des  General- 
feldmarschalls setzen  und  einen  Offizier  von  der 
Wache  neben  ihm.  Soldaten  umgaben  den  Wagen, 
der  Generalfeldmarschall  ging  voran,  und  so  wurde 
der  Gefangene  in  das  Winterpalais  gebracht."  Mann- 
stein sagt  ferner:  ,,Man  ließ  sogleich  die  Wache  ins  Ge- 
wehr treten,  und  das  große  Conseil,  das  heißt,  der 
Senat,  der  Synod  und  die  Generale,  wurde  ver- 
sammelt. Es  ist  nicht  eine  Seele  in  Petersburg,  die 
nicht  die  größte  Freude  über  dieses  Ereigniss  gezeigt 
hätte.  Nachmittags  wurden  der  Herzog,  die  Herzo- 
gin, der  Prinz  Carl  und  die  Prinzessin  nach  Schlüssel- 
burg in  die  Festung  gebracht.  Der  Prinz  Peter  blieb 
hier,  weil  ernoch  krank  war."  Endlich  schließt  Mann- 


1^8  <^o.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

stein:  „Gestern,  als  den  lo.  erschien  der  Ukas,  worin 
befohlen  wurde,  dem  Kaiser  und  der  Großfürstin 
Anna,  seiner  Mutter,  als  Regentin  des  Reichs  während 
seiner  Minderjährigkeit,  den  Eid  der  Treue  zu  leisten; 
welches  dann  auch  die  Regimenter,  und  jeder  ins- 
besondere, mit  großer  Freude  getan  haben,  weil  man 
überzeugt  ist,  daß  eine  Prinzessin  von  so  seltener  Tu- 
gend, und  von  so  ausgezeichneten  Verdiensten,  wäh- 
rend ihrer  Regierung  alle  glücklich  machen  wird. 
Das  Benehmen  des  Herzogs- Regenten  hat  ihm  seinen 
Fall  zuziehen  müssen,  denn  gleich  mit  dem  Anfange 
seiner  Regierung  hat  er  die  Kaiserhche  Familie  nicht 
geschont.  Er  hat  der  Großfürstin  gesagt:  wenn  sie  den 
geringsten  Mißfallen  zeigte,  so  würde  er  sie  nach 
Deutschland  schicken  und  den  Herzog  von  Holstein 
kommen  lassen.  Er  hat  dem  Herzoge  von  Wolfen- 
büttel seine  Chargen  genommen,  und  hat  ihm  ver- 
boten, sich  öffentlich  zu  zeigen." 

Soweit  Mannsteins  Bericht,  der  in  seinem  Urteil 
über  Biron  allerdings  parteiisch  ist. 

Obgleich  Birons  Handlungen  seit  zehn  Jahren  sehr 
strafbar  waren,  so  mußten  doch  seine  Feinde  selbst 
gestehen,  daß  diese  hier  angeführten  Beschuldigungen 
meistens  unbegründet  waren. 

Die  eigentliche  Ursache  dieser  Revolution  war  nur 
darin  zu  suchen,  daß  Anna  gern  regieren  wollte.  Gleich- 
wohl hatte  sie  hierzu  nicht  die  geringsten  Talente.  Sie 
war  unwissend,  wollüstig  und  im  höchsten  Grade  in- 
dolent ;  Fehler,  für  welche  sie,  als  Regentin,  durch  Ju- 
gend und  große  Schönheit  nicht  entschädigen  konnte. 
In  ihrer  Neigung  zum  Regieren  wurde  sie  durch  den 
Stolz,  die  Rachsucht,  und  die  Begierde  nach  größemi 
Einfluß  des  Grafen  Münnich  bestärkt. 

Man  schickte  sogleich  Kuriere  nach  Moskau,  um 


Kanzler  Bestuschef 


40.  Ernst  Johann  Bühren  1 .  15  g 

Birons  altern  Bruder,  und  nach  Riga,  um  den  Gouver- 
neur und  Generalleutnant  Bismark  i),  dessen  Gemahlin 
eine  Schwester  der  Herzogin  war,  in  Arrest  zu  bringen. 
In  Petersburg  wurden  ebenfalls  alle,  die  seine  Krea- 
turen hießen,  als  z.  B.  der  Geheimrat  Bestuschew^) 
arretiert. 

'^)  Außer  den  hier  angeführten  Umständen  wissen  wir  nichts 
von  Bismark.  Er  kam  im  Jahre  1742  mit  Birons  Brüdern  aus  der 
Verbannung  zurück.  Zu  dieser  Bemerkung  Helbigs  diene  folgende 
Ergänzung  und  Richtigstellung:  Ludolf  August  von  Bismarck 
aus  der  Schönhauser  Linie,  geboren  am  21.  März  1683  in  Preußisch- 
Holland,  diente  als  Oberst  in  Magdeburg.  Im  Jähzorn  erstach  er 
seinen  Diener.  Infolge  dieser  Tat  nahm  er  1732  seinen  Abschied 
und  ging  nach  Rußland,  wo  er  sofort  in  Biron  einen  Gönner  fand. 
Er  wurde  gleich  Generalmajor  und  durch  seine  Vermählung  mit 
Trotta  von  Treiden,  der  Schwester  von  Birons  Gattin,  öffnete  er 
sich  die  Aussicht  auf  die  höchsten  Stellen.  Schon  nach  einem  Jahre 
wuxde  Bismarck  Generalleutnant,  dann  Vizepräsident  des  Kriegs- 
rats im  Kriegsministerium  xmd  Gouverneur  von  Riga.  Diploma- 
tische Sendungen  führten  ihn  nach  England.  Bei  der  Herzogswahl 
Birons  in  Kurland  (1737)  besetzte  Bismarck  das  Wahllokal  in  Mitau 
und  erzwang  durch  sein  forsches  Vorgehen  die  Wahl  seines  Schwa- 
gers. Der  Dank  dafür  war  die  Ernennung  zum  General  en  Chef  und 
zum  Generalgouverneur  von  Livland.  Beim  Sturze  Birons  erlosch 
plötzlich,  wenn  auch  nur  für  kurze  Zeit,  Bismarcks  Glücksstern. 
Bismarcks  Vermögen  wurde  beschlagnahmt  und  er,  seiner  Würden 
entkleidet,  nach  Sibirien  verschickt.  Am  i.  (12.)  Januar  1741  trat 
er  von  Iwangorod  über  Moskau  seine  Fahrt  nach  Tobolsk  an.  Von 
dort  kam  er  später  nach  Joroslawl.  Nach  sechs  Jahren  der  Ver- 
bannung, also  1747,  erfolgte  seine  Rückberufung  und  zugleich  seine 
Ernennung  zum  Oberbefehlshaber  der  Ukrainischen  Armee.  Nur 
drei  Jahre  erfreute  sich  Bismarck  der  wiedererlangten  Würde, 
dann  starb  er  1750  in  Poltawa.  Aus  seiner  ersten  Ehe  mit  Johanna 
Margarethe  von  Assenberg  (gest.  1719)  hinterließ  Bismarck  eine 
Tochter,  Albertine  Louise,  die  sich  mit  dem  preußischen  Offizier 
Friedrich  Wühelm  von  der  Alben  vermählte.  Die  zweite  Ehe  war 
kinderlos. 

2)  Alexej  Bestuschew-Riumin  war  aus  einer  mrsprünglich  engli- 
schen Familie  in  Rußland  geboren.  Er  trat  erst  in  englische  Dienste 
und  dann  in  die  Peters  I.  Unter  dieser  und  allen  folgenden  Regie- 
rungen war  er  Gesandter,  Vizekanzler  und  Großkanzler.  Zum 
Glück  der  Menschheit  gibt  es  wenig  so  boshafte  Männer,  als  er  war. 
Er  erregte  eine  Kabale  gegen  den  Großfürsten  Peter,  deren  Opfer 
er  selbst  wurde.  Elisabeth  verbannte  ihn  auf  seine  Güter.  Peter  III. 


i6o 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I. 


Sobald  Biron  in  Sicherheit  gebracht  war,  fing  man 
an,  sein  Mobiharvermögen  und  seine  Besitzungen  zu 
konfiszieren. 

Der  Wert  der  Kostbarkeiten,  die  man  in  seinem 
Palais  fand,  behef  sich  auf  vierzehn  Mi  lionen  Rubel. 
Unter  andern  war  daselbst  eine  ganz  go  dene  Toilette, 
an  welcher  auch  noch  Edelsteine  von  Wert  angebracht 
waren.  Sonderbar  schien  es,  daß  bei  dem  allen  Biron 
dreimalhunderttausend  Rubel  Schulden  haben  konnte. 

In  Mitau,  Libau  und  Windau  wurden  alle  herzog- 
lichen Effekten  unter  Siegel  gelegt.  Um  etwas  mehr  zu 
tun,  mußte  man  erst  die  Einwilligung  Friedrich 
Augusts  II.i)  haben,  der  als  Oberlehensherr  sich  für  den 
Herzog  verwendete. 

Da  aber  Biron  doch  eigentlich  in  russischen  Diensten 
gewesen  war,  und  jetzt  als  Verbrecher  betrachtet 
wurde,  so  konnte  der  König  nichts  bewirken.  Er  be- 
willigte also  aus  Freundschaft  für  den  russischen  Hof 
die  Sequestration  der  herzoglichen  Allodialgüter  in 
Kurland,  und  erteilte  darüber  die  nötigen  Befehle  an 
die  dortigen  Oberräte  oder  Minister.  Zugleich  aber 
unterließ  der  König  nicht,  für  die  Freiheit  seines  Va- 
sallen zu  bitten.  Münnich  und  Ostermann  waren  die 
Männer,  an  die  man  sich  besonders  wenden  mußte, 
wenn  mein  damals  von  Rußland  etwas  verlangen 
wollte. 

Münnich  antwortete:  die  Betrügereien  und  Unge- 
rechtigkeit Birons  wären  zu  groß,  um  ihn  ungestraft 
frei  zu  lassen ;  täglich  würden  deren  mehrere  offenbar. 

rief  ihn  nicht  zurück,  aber  Katharina  II.  machte  eine  Demonstra- 
tion von  Dankbarkeit  für  seine  ihr  günstigen  Gesinnungen.  Sie 
ließ  ihn  kommen,  gab  ihm  keine  Geschäfte,  aber  20000  Rubel 
Pension.  Bestuschew  starb  im  Jahre  1768  in  einem  Alter  von 
78  Jahren.    H. 

^)  von  Sachsen-Polen  (1696 — 1763). 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  l6l 

Der  König  verliere  durch  ihn  nichts ;  die  Freundschaft 
und  Hochachtung  der  Großfürstin-Regentin  gegen 
Friedrich  August  II.  wäre  zu  fest  gegründet;  das  ver- 
einigte System  der  Höfe  zu  Dresden  und  Petersburg 
bliebe  das  nämliche;  zu  dem  Besitze  des  Herzogtums 
Kurland  könne  Biron  nicht  wieder  gelangen,  weil  er 
ein  Verbrecher  sei ;  der  König  würde  also  den  größten 
Beweis  seiner  Zuneigung  für  den  russischen  Hof  geben, 
wenn  er  seine  Beistimmung  zu  der  Wahl  eines  neuen 
Herzogs  in  der  Person  eines  Prinzen  von  Braun- 
schweig^)  erteilen  wollte. 

Ostermann  antwortete,  wie  gewöhnlich,  mit  Phrasen, 
die,  wenn  man  sie  zergliederte,  nichts  bedeuteten. 

Man  glaubte  daß  schon  im  Monat  März  1741  ein 
endliches  Urteil  über  Biron  würde  gesprochen  werden ; 
aber  die  wider  ihn  niedergesetzte  Kommission  wurde 
vielmehr  erst  noch  erneuert,  und  zu  seinem  fernem 
Verhör  nach  Schlüsselburg  geschickt.  Dahin  wurde 
auch  Bestuschew,  der  ebenfalls  in  das  Unglück  des 
Herzogs  verwickelt  war,  gebracht,  um  mit  Biron  zu- 
sammengestellt zu  werden. 

Endlich  wurde  im  Monat  Mai  1741  das  über  den  vor- 
mahgen  Herzog-Regenten  abgefaßte  Urteil  öffentlich 
ausgeteilt  und  drei  Sonntage  nacheinander  in  allen 
Kirchen  bekanntgemacht. 

Man  verdammte  ihn  zum  Tode,  aber  die  Regentin 
schenkte  ihm  das  Leben,  doch  sollte  er  zu  ewiger  Ge- 
fangenschaft nach  Sibirien  gebi^acht  werden.  In  Pelym 
sollte  sein  künftiger  Aufenthalt  sein. 

^)  Wahrscheinlich  zielte  Münnich  auf  den  Prinzen  Ludwig,  der 
damals  in  Rußland  war,  um  Elisabeth  zu  heiraten.  Er  ging  nach 
der  Revolution  dieser  Prinzessin  nach  Holland,  wo  er  sich  verhaßt 
und  verächtlich  machte.  Die  Holländer  nannten  ihn,  weil  er  sehr 
dick  war,  das  Braunschweigische  Monstrum.  Er  mußte  Holland 
verlassen  und  ging  nach  Weimar,  wo  er  starb.  H. 
Russische  Günstlinge.  II 


102  40-  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Diese  kleine  Stadt,  die  damals  ungefähr  sechzig 
schlechte  Häuser  in  sich  faßte,  liegt  sechshundert 
Werste  hinter  Tobolsk,  der  Hauptstadt  von  Sibirien. 
Ein  geschickter  Architekt  war  schon  lange  dahin  ge- 
schickt worden,  um  ein  kleines  hölzernes,  mit  hohen 
Palisaden  umgebenes  Gebäude  aufzuführen,  dessen 
Riß  Münnich  selbst  entworfen  hatte. 

Der  Unglückliche  ahnte  damals  nicht,  daß  seine 
Feinde  die  studierte  Grausamkeit  haben  würden,  ihn 
bald  selbst  dieses  Haus  bewohnen  zu  lassen. 

Durch  die  neuesten  Ereignisse  hatte  die  Gesundheit 
Birons  sehr  gelitten.  Es  wurde  ihm  aber  alle  mögliche 
Hilfe  geleistet,  und  er  und  seine  Familie  wurden  über- 
haupt sehr  gut  gehalten. 

Nachdem  er  wieder  hergestellt  war,  wurden  An- 
stalten zur  Abreise  nach  Sibirien  gemacht.  In  der  Folge 
sollte  zwar  Biron,  wie  die  Großfürstin-Regentin  ver- 
sprach, an  einen  andern  Ort  kommen,  weil  das  Klima 
in  Pelym  zu  rauh  ist,  aber  jetzt  sollte  er  doch  dahin 
gehen  und  auch  daselbst  bleiben.  Zu  seiner  Aufsicht 
wurde  ihm  ein  Offizier  von  der  Leibgarde  gegeben,  der 
alle  Jahre  abgelöst  werden  sollte.  Übrigens  wurde  dem 
unglücklichen  Herzoge  und  seiner  Familie  ein  an- 
ständiger Unterhalt  ausgemacht.  Es  wurde  ihm  auch 
ein  deutscher  evangelischer  Prediger  zugegeben,  des- 
gleichen auch  ein  Wundarzt,  der  einige  Zeit  vorher  das 
Unglück  gehabt  hatte,  einen  russischen  Offizier  zu  er- 
stechen, und  sein  Leben,  das  er  verlieren  sollte,  nur 
unter  der  Bedingung,  den  Herzog  zu  begleiten,  erhalten 
konnte. 

Von  nun  an  verliert  Birons  Leben  zwanzig  Jahre 
lang  alles  Interesse.  In  Pelym  bheb  er  nur  ein  Jahr. 
Münnich,  der  Stifter  und  Beförderer  seines  Unglücks, 
löste  ihn  dort  ab. 


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40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  163 

Als  Biron  von  dort  weg  und  Münnich  hingebracht 
wurde,  begegneten  sich  diese  beiden  merkwürdigen 
Männer  auf  der  Landstraße.  Beide  sahen  einander 
starr  an  und  fuhren  vorüber,  ohne  nur  durch  irgend- 
einen Bhck  ihre  Empfindungen  zu  verraten. 

Der  Herzog  hatte  immer  gesagt:  die  Prinzessin 
Ehsabeth  würde  ihn  noch  aus  der  Gefangenschaft  be- 
freien. Nach  ihrer  Thronbesteigung  erinnerte  sie  sich 
dessen,  und  einer  ihrer  ersten  Befehle  betraf  die  Be- 
freiung der  Familie  Biron.  Allein  es  gab  Leute  an  dem 
Hofe  dieser  Fürstin,  die  den  Herzog  nicht  zurückzu- 
wünschen Ursache  hatten. 

Elisabeth,  die  leicht  zu  lenken  war,  widerrief  ihren 
Befehl,  und  ließ  die  Familie  Biron,  die  schon  von 
Pelym  abgereist  war,  nach  Jaroslawl  gehen.  Dieser  Ort 
ist  eine  Provinzialstadt  im  Gouvernement  dieses  Na- 
mens, die  ihren  damaligen  Flor,  der  bei  weitem  größer 
war,  als  jetzt,  unter  der  Staatsverwaltung  des  Herzogs 
erlangt  hatte.  ^ 

Hier  lebte  die  Familie  Biron,  bis  an  das  Ende  der 
Regierung  der  Kaiserin  Elisabeth,  mit  großer  Freiheit 
und  sogar  im  Wohlstande,  weil  man  ihr  die  Einkünfte 
ihrer  Allodialgüter  in  Kurland  vorbehalten  hatte. 

Peter  HL  ließ  aus  eigener  Bewegung  1762  den  Her- 
zog zurückkommen.^) 

Seit  den  fünfziger  Jahren  hatte  sich  Friedrich 
August  IL  nicht  mehr  für  die  Freiheit  dieses  Ge- 
fangenen verwendet. 

Elisabeth,  um  der  immerwährenden  abschlägigen 
Antworten  überhoben  zu  sein,  hatte  ein  für  allemal 
für  sich  und  ihre  Nachfolger  erklärt,  daß  Biron  nie 
wieder  auf  freien  Fuß  kommen,  noch  weniger  jemals 
wieder  in  den  Besitz  des  Herzogtums  Kurland  einge- 

^)  Crusenstolpe  I,  S.  210  ff. 


164  4(^-  Ernst  Johann  Bühren  I. 

setzt  werden  sollte.  Auf  eigene  Veranlassung  der  Elisa- 
beth war  nun  dieses  Land  dem  Prinzen  Karl  von 
Sachsen  und  Polen  erteilt  worden. 

Es  entstand  jetzt  ein  Gemisch  von  Wohltätigkeit 
und  Ungerechtigkeit,  und  vernichtete  dies  alles. 

Als  Biron  das  erstemal  vor  dem  Kaiser  erschien, 
warf  er  sich  ihm  zu  Füßen,  dankte  für  die  erlangte 
Freiheit  und  bat  um  fernere  Gnade. 

,,Wenn  Sie  auch",  sagte  Peter  III.,  indem  er  ihn 
aufhob,  ,, nicht  eben  wieder  Herzog  von  Kurland  wer- 
den, so  will  ich  Sie  doch  auf  eine  Art  entschädigen, 
daß  Sie  zufrieden  sein  können." 

Diese  Erklärung  klang  freilich  sehr  edel,  der  Sinn 
derselben  war  es  aber  nicht. 

Biron  sollte  zwar  Kurland  nicht  bekommen,  aber 
demungeachtet  sollte  doch  der  jetzige  rechtmäßige 
Besitzer  dieses  Landes  daraus  vertrieben  werden.  Das 
sächsische  Haus,  und  besonders  der  Prinz  Karl,  waren 
dem  Kaiser  aus  tadelnswürdigen  Privatursachen  ge- 
hässig. Jetzt  wollte  er  seinen  Haß  zeigen,  dem  Herzog 
Karl  das  Land  mit  Gewalt  nehmen,  und  es  einem 
seiner  holsteinischen  Vettern  geben. 

Die  Erzählung  der  Absichten  des  Kaisers  mit  Biron 
gehört  nicht  hierher.  Sie  blieben  überdies  nur  ein  Pro- 
jekt. 

Indessen  lebte  Biron  in  Petersburg  während  der 
kurzen  Regierung  Peters  III.  und  wohnte  in  dem  Hause 
seines  Schwiegersohnes,  des  Barons  Tzscherkassow. 
Hier,  an  dem  Hofe  des  Kaisers,  wo  so  viele  Menschen 
sich  wieder  fanden,  von  denen  einer  das  Unglück  des 
andern  gemacht  hatte,  hier  trafen  sich  auch  Biron  und 
Mürmich  wieder  an.  Die  Empfindungen  aller  dieser 
Personen,  besonders  aber  dieser  beiden  Männer,  wür- 
den, wenn  sie  bekannt  wären,  dem  Psychologen  noch 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  165 

manche  unbekannten  Falten  des  menschlichen  Herzens 
entwickeln. 

Als  Biron  und  Münnich  sich  das  erstemal  bei  Hofe 
sahen,  rief  ihnen  Peter  III.  entgegen:  ,,Ah,  das  sind  ja 
zwei  alte  gute  Freunde,  diese  müssen  zusammen 
trinken."  Er  ließ  sogleich  Wein  geben,  goß  ein  und  gab 
selbst  jedem  ein  Glas.  In  dem  Augenblicke  trat  Gudo- 
witzsch  ins  Zimmer,  und  sagte  dem  Kaiser  etwas  ins 
Ohr  (hinterdrein  erfuhr  man,  daß  es  ein  entfernter 
Wink  gewesen  war,  den  Monarchen  auf  die  künftige 
Revolution  aufmerksam  zu  machen,  den  er  aber  nicht 
achtete).  Peter  III.  ging  hinaus  und  blieb  lange  weg. 
Sobald  er  sich  entfernt  hatte,  sahen  sich  Biron  und 
Münnich  mit  dem  ernsten  Blick  der  unterdrückten 
Rache  an,  und  mit  einer  Bewegung  setzten  sie  die 
Gläser  auf  den  Tisch  und  wendeten  sich  den  Rücken 
zu.  Der  Kaiser  kam  ins  Zimmer  zurück,  hatte  aber  zum 
Glück  die  Aussöhnung  vergessen,  denn  schwerlich  wür- 
den Biron  und  Münnich  bei  der  Farce  dieser  Szene  in 
ihrer  Miene  den  Ausdruck  ihres  Charakters  haben  er- 
halten können. 

Bald  darauf  erfolgte  die  bekannte  Revolution  (1762). 
Biron  hatte  während  seiner  Verbannung  und  im  voll- 
ständigen Gefühle  seiner  Ohnmacht  so  wenig  seinem 
Henkersinne  entsagt,  daß  er  bei  dieser  Gelegenheit 
noch  erklärte:  ,, Hätte  Peter  III.  aufknüpfen,  köpfen 
oder  rädern  lassen,  so  würde  er  Kaiser  gebheben  sein," 
Birons  Maxime  konnte  richtig  sein,  aber  ihre  Aus- 
führung wäre  doch  für  die  russische  Nation  fürchter- 
lich gewesen. 

Für  Biron  war  die  Regierungsveränderung  in  Ruß- 
land sehr  glücklich.  Katharina  IL  fühlte  nicht  so  viel 
Zuneigung  für  das  holsteinische  Haus,  wie  Peter  III. 
gehabt  hatte,  aber  sie  teilte  mit  ihrem  Gemahl  den  Haß 


l66  40.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

gegen  das  Haus  Sachsen.  Ohne  Rücksicht  auf  die  ge- 
kränkten Empfindungen  des  Vaters  und  die  verletzten 
Hoheitsrechte  des  Lehensherrn  zu  nehmen,  schrieb  Ka- 
tharina IL  an  Friedrich  August  U.  einen  Brief,  der 
immer  ein  Dokument  einer  hämischen  und  unge- 
schickten Verhöhnung  bleiben  wird.  Sie  sagte  ihm :  sie 
eile,  der  so  oft  geschehenen  großmütigen  Verwendung 
des  Königs  für  den  Herzog  Biron  von  Kurland  "Genüge 
zu  leisten,  und  erwarte  nur  die  Genehmigung  des 
Lehensherrn,  um  ihn  in  sein  Land  zurückkehren  zu 
lassen.  An  den  Prinzen  Karl,  als  rechtmäßigen  Herzog 
von  Kurland,  dachte  sie  mit  keiner  Silbe.  Die  ver- 
einigten Vorstellungen  des  Königs  und  der  kurländi- 
schen  Stände  halfen  nichts.  Karl  wurde  endlich  in 
Mitau  so  eingeengt,  daß  er  fliehen  mußte,  um  nicht 
gefangen  zu  werden.  Friedrich  August  IL,  der  größere 
Weitläufigkeiten  vermeiden  woUte,  hatte  die  Mäßigung, 
die  Entscheidung  der  Sache  der  Kaiserin  zu  über- 
lassen. Bald  nachher  (1763),  wurde  Biron  mit  Gewalt 
in  Kurland  eingesetzt. 

Der  König  starb  noch  in  dem  nämlichen  Jahre,  1763, 
und  sein  Nachfolger  Stanislaus  Poniatowski  bestätigte 
im  Jahre  1764  Birons  Wiedereinsetzung  in  Kurland. 
1  Von  dieser  Zeit  blieb  der  Herzog  immer  in  seinem 
Lande  und  regierte  mit  so  großer  Strenge,  daß  die 
Klagen  der  Untertanen  gegen  ihn  sehr  laut  wurden. 
Nach  einigen  Jahren^)  übergab  er  die  Regierung  seinem 
ältesten  Sohne. 

Biron  starb  in  Mitau  am  Ende  des  Jahres  1772,  in 
einem  A  ter  von  82  Jahren ;  der  russische  Hof  erzeigte 
seinem  Andenken  die  Ehre,  im  Januar  1773  acht  Tage 
lang  die  Trauer  um  ihn  anzulegen. 

Er  hatte  viel  Verstand,    und,  nachdem  er  einige 

*)  Am  24.  November  1769. 


I 


.••"?^»1£ 


Nach  dem  Gemälde  von  Bonvicini  gestochen  von  J.  E.  Nilson 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  167 

Jahre  in  Rußland  gearbeitet  hatte,  große  Kenntnisse 
vom  russischen  Reiche.  Außerdem  besaß  er  allerdings 
Fähigkeiten  zu  Regierungsgeschäften,  und  trug  dazu 
bei,  daß  die  Regierung  der  Kaiserin  Anna  für  eine  der 
ruhmwürdigsten  ihres  Jahrhunderts  gehalten  wird. 
Übrigens  wissen  wir,  daß  er  eine  sehr  mittelmäßige 
Erziehung  gehabt  hatte ;  er  sprach  nicht  einmal  Fran- 
zösisch. Sitten  hatte  er  gar  nicht.  Seinem  Charakter 
nach  war  er  prachtliebend,  herrschsüchtig,  ehrgeizig, 
unhöflich,  gewinnsüchtig,  unversöhnlich  und  grausam. 

Daß  ehemals  Ernst  Johann  Biron  in  Kurland  ge- 
heiratet hatte,  wissen  wir  schon.  Es  geschah  nach  dem 
Willen  der  Herzogin  Anna,  damit  ihr  eigenes  Ver- 
ständnis mit  ihm  weniger  verdächtig  scheinen  sollte. 
Biron  gab  sich  viel  Mühe,  eine  Braut  zu  bekommen, 
aber  die  reichen  Edelleute  in  Kurland  trugen  alle  Be- 
denken, einen  Mann  ohne  Namen  in  ihre  Familien  auf- 
zunehmen. Endlich  verstand  sich  doch  ein  Edelmanr 
dazu.  Es  war  Wilhelm  von  Trotta,  genannt  Treyden, 
ein  Mann  von  sehr  guter  Famihe,  der  aber  in  äußerst 
dürftigen  Umständen  lebte.  Dieser  gab  ihm  seine 
Tochter.  Sie  hieß  Benigne  Gottliebe,  war  am  4.  Ok- 
tober 1703  geboren  und  wurde  mit  Biron  im  Jahre  1722 
vermählt.  Von  den  Eigenschaften  der  Herzogin  wissen 
wir  nichts,  als  daß  sie  einen  unerträghchen  Stolz  hatte, 
übrigens  aber  viel  Anhänghchkeit  an  ihren  Gemahl 
zeigte,  seine  Launen  mit  Ergebung  zu  tragen  wußte, 
und  sie  auch  wohl  zu  mildern  verstand.  Die  Zeit  ihres 
Todes  ist  uns  unbekannt. 

Biron  hinterließ  zwei  Söhne  und  eine  Tochter,  deren 
Lebensumstände  wir  noch  oberflächlich  berühren 
wollen. 

Peter  war  am  4.  Januar  1724^)  geboren. 

^)  Am  15.  Februar  1724. 


l68  40.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Viele  Personen  am  Petersburger  Hofe  behaupten, 
von  ihren  Eltern  und  Großeltern  gehört  zu  haben,  daß 
Peter  zwar  ein  Sohn  von  Ernst  Johann,  aber  nicht  von 
der  vorgeblichen  Mutter,  Benigne  Gotthebe,  sondern 
von  der  verwitweten  Herzogin  Anna  von  Kurland, 
nachherigen  Kaiserin  von  Rußland,  gewesen  sei.  Man 
sagt  sogar,  daß  Peters  Gesichtszüge  mit  denen  der 
Anna  große  Ähnlichkeit  gehabt  hätten. 

Peter  erhielt  in  Rußland  eine  für  die  damaligen 
Zeiten  sehr  gute  Erziehung. 

Bei  dem  Falle  seines  Vaters  blieb  er  in  Petersburg, 
weil  er  am  hitzigen  Fieber  krank  lag.  Als  er  wieder 
hergestellt  war,  mußte  er  das  Schicksal  seines  Vaters 
teilen.  Nach  seiner  Zurückkunft  nach  Petersburg 
(1762)  machte  ihn  Peter  HI.  zum  Generalmajor  von 
der  Kavallerie. 

Am  Ende  der  sechziger  Jahre  übergab  ihm  sein 
Vater  die  Regierung  in  Kurland.  Es  sei  nun,  daß  die 
Stände  anfänglich  noch  erbittert  gegen  den  Vater 
waren,  oder  daß  sie  in  der  Folge  aus  andern  Gründen 
auch  mit  ihm  unzufrieden  zu  sein,  Ursache  hatten,  so 
ist  doch  so  viel  gewiß,  daß  seine  Regierung  höchst 
stürmisch  war.  Der  unmäßigen  Habsucht  des  Herzogs 
gab  mein  die  meiste  Schuld.  Er  sammelte  unermeßliche 
Reichtümer,  und  als  ob  er  sein  Unglück  vorausgesehen 
hätte,  kaufte  er  viel  Güter  in  Böhmen  und  im  preußi- 
schen Staate.  Um  nach  seinem  Willen  handeln  zu 
können,  verwendete  er  Begünstigungen,  Geschenke 
und  Geld  an  die  Höfhnge  und  Minister  in  Rußland,  die 
ihm  aber  nichts  halfen.  Endhch  brach  die  Unzufrieden- 
heit öffentlich  aus.  Eine  Deputation  der  Stände  ging 
nach  Petersburg,  und  Katharina  IL,  die  nicht  den 
entferntesten  Schein  eines  Rechts  hatte,  aber  aufge- 
bracht darüber  war,  daß  der  Herzog  sich  an  Preußen 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  169 

anschloß,  maßte  sich  an,  Schiedsrichterin  zwischen 
dem  Herzoge  und  den  Ständen  zu  sein.  Sie  ghch  dabei 
dem  Richter  in  der  Fabel,  der  die  Auster  verschluckte, 
und  jeder  Partei  eine  Schale  gab.  Sie  nahm  das  Herzog- 
tum Kurland  in  Besitz.  Nie  ist  eine  Usurpation  von 
unanständigem  und  empörendem  Umständen  be- 
gleitet gewesen,  als  diese.  Eine  gewonnene  Deputation, 
die  nicht  von  dem  Lande  dazu  berufen  war,  kam  nach 
Petersburg,  und  trug  das  Land  an,  über  das  zu  dispo- 
nieren sie  kein  Recht  hatte.  Zu  gleicher  Zeit  ließ  man 
den  Herzog  auch  dahin  kommen,  und  nun  erlebte  er 
die  größte  Demütigung,  die  je  ein  Fürst  erlebt  hat. 
Er  mußte  im  Sommer  1795  dem  Besitze  von  Kurland 
entsagen;  die  Kaiserin  geruhte  an  dem  Tage  mit  großer 
Feierlichkeit  in  einer  öffentlichen  Audienz  im  Sommer- 
gartenpalais das  von  der  Deputation  ihr  angebotene 
Land  anzunehmen ;  und  diese  Deputation  hatte  an  dem 
nämlichen  Tage  die  Unverschämtheit,  ihrem  abge- 
setzten Herzoge  die  Visite  zu  machen. 

Man  hätte  glauben  sollen,  so  viel  Unfälle  würden 
diesen  Mann  niedergeschlagen  haben,  aber  man  sagt, 
sein  Charakter  wäre  immer  der  nämliche  geblieben. 
Er  ging  auf  Reisen  und  auf  seine  Güter  und  starb  den 
13.  Januar  1800. 

Peter  war  dreimal  verheiratet  und  in  keiner  Ehe 
glücklich.  Wahrscheinhch  war  dies  seine  Schuld. 

Seine  erste  Gemahlin  war  eine  Prinzessin  von  Wal- 
deck. So  viel  wir  wissen,  trennte  er  sich  von  ihr,  und 
sie  starb  bald  nachher. 

Nach  ihrem  Tode  vermählte  er  sich  mit  einer 
Kneschna  Yusupow^).  Sie  konnte  nicht  mit  ihm  leben 

^)  Der  Bruder  dieser  Dame  lebt  wahrscheinlich  noch  in  Peters- 
burg als  Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Ritter  des  Andreas-Ordens. 
Dieser  sehr  reiche  Mann  ist  Beschützer  imd  Kenner  der  Künste  und 


170  40-  Ernst  Johann  Bühren  I. 

und  verließ  ihn  sehr  bald.  Er  mußte  ihr  achtzigtausend 
Rubel  sogleich  und  jährlich  zwanzigtausend  Rubel 
geben.  Sie  starb  in  Rußland. 

Endlich  vermählte  er  sich  mit  seiner  letzten  Ge- 
mahlin, Anne  Charlotte  Dorothea,  i)  geborene  von 
Medem,2)  aus  Kurland. 

Lange  Zeit  lebte  er  glücklich  mit  ihr,  aber  endlich 
wurde  auch  die  Zufriedenheit  dieser  Ehe  gestört.  Diese 
liebenswürdige  Frau  ist  durch  ihre  Liebe  zu  den  Wissen- 
schaften, durch  ihre  ästhetischen  Kenntnisse  und  durch 
ihre  umfassenden  Empfindungen  des  rjbxaXbv  rühm- 
lichst bekannt.  Sie  hat  sehr  große  Reichtümer.  In  den 
letzten  Jahren  lebte  sie  in  Berlin  und  jetzt  in  Peters- 
burg. 

Nur  sie  allein  hat  dem  Herzog  Kinder  gegeben,  und 
zwar  vier  Töchter. 

Katharina  Friderike,  die  älteste  und  reichste,  die 
man  von  ihrer  Besitzung  Herzogin  von  Sagan  nennt, 
war  sonst  mit  einem  Prince  de  Rohan  vermählt,  trennte 
sich  von  ihm  und  heiratete  einen  Knes  Trubetzkoy, 
der  ebenfalls  wieder  entfernt  von  ihr  in  Rußland  lebt. 

Die  zweite,  Maria  Paulina,  ist  die  Erbprinzessin  von 
Hohenzollern-Hechingen,  ist  aber  selten  bei  ihrem 
Gemahl. 

Die  dritte,  Johanna  Katharina,  war  in  den  letzten 
Lebensjahren  ihres  Vaters  bei  ihm.  In  dieser  Epoche 
hatte  er  freilich  nicht  mehr  die  Eigenschaften,  die  er- 
fordert werden,  um  die  Aufsicht  über  eine  junge, 

Wissenschaften.  Seine  Gemahlin,  geborene  Engelhardt,  ist  eine 
Nichte  des  Fürsten  Potemkin  und  Witwe  des  Generals  Michajla 
Potemkin.    H. 

1)  Sie  (1756 — 1833)  ist  die  jüngere  Schwester  der  talentvollen 
deutschen  Schriftstellerin  Elisa  Charlotte  von  der  Recke  (geb.  3.  Fe- 
bruar 1761,  gest.  30.  August  1821). 

')  Diese  Familie  wurde  nachher  in  den  Grafenstand  erhoben. 


40.  Ernst  Johann  Bühren  I.  171 

reizende  und  lebhafte  Tochter  zu  führen.  Sie  ist  jetzt 
mit  einem  Duca  d'Acerenza-Belmonte-Pignatelli  ver- 
mälilt,  der  gewöhnlich  in  Berlin  lebt. 

Die  vierte,  Dorothea,  ist  noch  unverheiratet,  i) 
Karl  Ernst, 2)  der  zweite  Sohn  des  Herzogs  Ernst 
Johann  Biron,  war  den  30.  September  1728  geboren. 
Er  wurde  mit  seinem  Bruder  zugleich  erzogen  und 
teilte  alsdann  mit  ihm  die  Schicksale  ihres  Vaters. 
Peter  III.  ernannte  ihn  zum  Generalmajor  der  In- 
fanterie. (1762.)  Sein  Vater  äußerte  immer  Unzu- 
friedenheit mit  ihm,  und  mit  seinem  Bruder  war  er 
wegen  Geldforderungen,  die  Karl  Ernst  machte,  und 
die,  wie  man  sagt,  wenigstens  in  ihrem  Entstehen, 
nicht  ganz  unbegründet  waren,  in  ewigem  Streit. 
Überhaupt  war  das  Leben  dieses  Prinzen  ein  Wechsel 
unverschuldeter  Unglücksfälle,  und  ein  Gewebe  von 
Verirrungen,  die  ihn  in  die  unangenehmsten  Verhält- 
nisse setzten.  Wir  wollen  den  Grund  oder  Ungrund 
dieser  Verirrungen  dahingestellt  sein  lassen.  Indessen 
waren  sie  in  der  öffentlichen  Meinung  für  ihn  so  nach- 
teihg,  daß  Katharina  II.  von  ihm  die  demütigende  Ver- 
zichtleistung auf  die  Sukzession  in  Kurland,  zum  Vor- 
teil seines  Sohnes,  verlangen  konnte.  Karl  Ernst  starb 
auf  einem  Landgute  in  Preußen  am  16.  Oktober  1801 
in  nicht  sehr  begünstigten  Glücksumständen. 

Seine  Gemahlin  war  eine  PoHn  aus  dem  alten  und 
berühmten  Geschlecht  Poninski.  Ob  sie  noch  lebt, 
wissen  wir  nicht. 

^)  Sie  wurde  1809  die  Gattin  des  Herzogs  Alexander  Edmond 
von  Talleyrand,  Herzogs  von  Dino  (gest.  1872). 

^)  Anekdoten  von  Karl  Biron,  wahr  oder  unwahr,  sind  gedruckt 
unter  anderem  in  dem  Buche:  ,, Merkwürdige,  in  dem  Archive  der 
Bastille  wirklich  gefundene  Inquisitions-Akten,>  Protocolle  und 
andre  wichtige  Papiere.  Ein  Beitrag  zur  Geschichtskunde  und 
Menschenkenntniss."    Leipzig  1790. 


172  ^o.  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Die  Kinder  aus  dieser  Ehe  waren  zwei  Söhne  und 
zwei  Töchter. 

Der  jüngste  Prinz,  Peter  Alexius,  ist  russischer 
Kammerherr,  hatte  einen  Prozeß  mit  seiner  Tante  und 
ihren  Töchtern,  der  sich  für  ihn  vorteilhaft  entschied, 
und  soll  jetzt  auf  Reisen  sein. 

Das  Schicksal  der  Töchter  Luise  Karoline  und 
Anna  Katharina  ist  uns  unbekannt. 

Dem  ältesten  Sohne  Calixt  Gustav  ging  eine  Morgen- 
röte von  Glück  auf,  die  ihm  einen  glänzenden  Tag 
versprach. 

Katharina  IL,  um  den  Herzog  Peter  recht  zu  krän- 
ken, hatte  die  vorübergehende  Idee,  diesen  jungen 
Biron  an  ihrem  Hofe  zum  künftigen  Herzog  von  Kur- 
land zu  erziehen;  eine  Idee,  die  sie  sehr  bald  bereute. 

Der  Oberst  Budberg^)  wurde  im  Anfange  der  neun- 
ziger Jahre  insgeheim  nach  Preußen  geschickt,  trat 
mit  dem  Prinzen  Karl  Ernst  Biron  in  Unterhand- 
lungen, 'die,  wie  wir  gesehen  haben,  sich  nicht  sehr 
ehrenvoll  für  diesen  endigten,  und  brachte  dessen 
Sohn,  den  Prinzen  Calixt  Gustav,  nach  Petersburg. 

Die  Kaiserin  empfing  ihn  mit  so  ausgezeichneter 
Gnade,  daß  man  gar  glaubte,  es  könne  einst  die  Rede 
davon  sein,  ihm  die  Großfürstin  Helena,  die  in  der 
Folge  den  Erbprinzen  von  Mecklenburg- Schwerin  hei- 
ratete, zur  Gemahhn  zu  geben. 

Er  wohnte  in  der  Stadt,  aber  die  Kaiserin  ließ  ihn 
oft  bei  sich  speisen  und  täglich  zu  sich  und  zu  dem 
jungen  Großfürsten  kommen.  Dieser  mußte  ihn  sogar 
besuchen. 

^)  Der  Oberst  Budberg  war  in  der  Folge  Ambassadeur  in  Schwe» 
den  und  hatte  endlich  auf  kurze  Zeit  das  Portefeuille  der  auswärtigen 
Angelegenheiten  in  Petersburg.  Ehemals  hatte  er  einigen  Anteil 
an  der  Erziehung  des  jetzigen  Kaisers.  Im  Jahre  1808  hat  er  seine 
gänzliche  Entlassung  erhalten.    H. 


40.  Ernst  Johann  Bühren  1.  173 

Einst,  als  er  bei  der  Kaiserin  war,  stellte  ihn  diese 
Monarchin  einem  vornehmen  Herrn  vom  Hofe  vor, 
sprach  alsdann  mit  diesem  Herrn  von  ihrem  groß- 
mütigen Vorhaben,  dem  jungen  Biron  zu  dem  recht- 
mäßigen Besitze  von  Kurland  zu  verhelfen,  und  schloß 
mit  den  merkwürdigen  Worten:  „il  me  paroit,  que 
c'est  de  toute  justice." 

Aber  nicht  lange  hernach  schien  es  ihr  ebenfalls  de 
toute  justice  zu  sein,  die  Erwartungen  des  Prinzen 
Gustav  Biron  zu  täuschen,  und  das  Herzogtum  für 
sich  zu  nehmen.  Die  glänzenden  Hoffnungen  gingen 
nach  und  nach  in  Rauch  auf,  und  der  junge  Erbprinz 
von  Kurland  wurde  —  Gardeoffizier  und  Kammer- 
herr. 

Indessen  hatte  das  von  der  Kaiserin  entworfene  und 
wieder  aufgegebene  Projekt  doch  den  Vorteil,  daß  die 
Söhne  des  Prinzen  Karl  Ernst  Biron  (denn  der  jüngste 
war  mit  seiner  Mutter  auch  nach  Petersburg  gekom- 
men), eine  gute  Erziehung  erhielten. 

Auch  ihre  Glücksumst ände  verbesserten  sich,  denn 
der  Herzog  mußte,  zur  Erziehung  seiner  Neffen,  an 
der  ihm  freilich  wenig  lag,  wenn  wir  nicht  irren,  jähr- 
lich vierzigtausend  Albertstaler  geben,  und  andere  be- 
trächtlichen Forderungen  des  Prinzen  Karl  Ernst  be- 
friedigen. 

Prinz  Gustav  Biron  hat  in  Schlesien  Güter  gekauft, 
wo  er  jetzt  lebt.^) 

Neuerlich  hat  er  sich  mit  einer  Gräfin  Malzahn  ver- 
mählt, deren  Vater  große  Besitzungen  in  dieser  Pro- 
vinz hat. 

Die  Tochter  des  Herzogs  Ernst  Johann  Biron  von 

^)  Er  kämpfte  auf  Preußens  Seite  gegen  Napoleon  I.  und  starb 
als  preußischer  Generalleutnant  und  Gouverneur  der  Festung  Glatz 
am  20.  Juni  1821. 


1 74  4'^-  Ernst  Johann  Bühren  I. 

Kurland,  Hedwig  Elisabeth,  war  den  23.  Juni  1727  ge- 
boren. Sie  wurde  in  Rußland  sehr  gut  erzogen.  Im 
Jahre  1740  machte  man  schon  dem  Vater  Heirats- 
anträge. 

Ein  apanagierter  Prinz  von  Sachsen- Meiningen  hielt 
um  sie  an,  und  schrieb  sogar  an  den  Chef  seines  Hauses, 
den  König  Friedrich  August  H.,  um  ihn  zu  bitten,  daß 
er  seine  Anträge  bei  dem  Herzog  unterstützen  möchte. 

Wer  hätte  geglaubt,  daß  der  König  sich  in  dieser 
Sache  kompromittieren  würde,  und  dennoch  ge- 
schah es, 

Biron  hatte  die  Frechheit,  das  Gesuch  des  Prinzen 
abzuschlagen. 

Bald  hernach  erfolgte  die  Revolution,  und  Hedwig 
Elisabeth  begleitete  ihre  Eltern  und  Brüder  nach 
Schlüsselburg  und  an  die  Orte  ihrer  Verbannung. 

Hier  mochte  sie  lange  Weile  haben,  denn  wohl  nur 
dieser  Empfindung  kann  man  den  Entschluß  zu- 
schreiben, die  griechische  Religion  anzunehmen.  Die 
Kaiserin  Elisabeth  erfuhr  ihn,  und  schwach  und  aber- 
gläubisch, wie  sie  war,  eilte  sie,  diesen  falschen  Religions- 
eifer zu  belohnen.  Die  Prinzessin  Hedwig  Elisabeth 
erhielt  ihre  Freiheit,  nahm  am  26.  August  1749  die 
griechische  Religion  an,  und  wurde  kaiserliche  Staats- 
dame, i) 

Sie  hatte  Zeit  genug,  den  ungeschickten  Stolz  ihres 
Vaters,  der  sie  wahrscheinlich  einem  regierenden 
Fürsten  bestimmte,  zu  bereuen. 

Sie  wurde  alt  und  mußte  endlich  im  Jahre  1759  einen 
Baron,  Alexander  Tscherkasson,  heiraten,  der  damals 
nur  Leutnant  der  russisch-kaiserlichen  Garde  war.  Wir 

^)  über  die  Abenteuer  dieser  Dame  am  kaiserlichen  Hof  erzählt 
Katharina  II.  in  ihren  Erinnerungen.  Sie  haßt  die  Prinzessin  imd 
anscheinend  nicht  mit  Unrecht. 


41.  Carl  B Uhren  II.  175 

glauben  gehört  zu  haben,  daß  diese  Ehe  nicht  glück- 
lich war,  und  keine  Kinder  aus  derselben  kamen. 
Übrigens  wissen  wir  nichts  von  den  Lebensumständen 
der  Hedwig  Elisabeth.  Um  wohlfeiler  leben  zu  können, 
ließ  sie  sich  in  Dorpat,  einer  ansehnlichen  Stadt  in 
Livland,  nieder,  und  lebte  daselbst  noch  am  Ende  der 
neunziger  Jahre. 


41.   Karl  Bühren  II. 

Karl  Bühren,  der  ältere  Bruder  des  Herzogs,  ging 
in  seiner  frühen  Jugend  in  russische  Kriegsdienste.  Er 
wurde  Offizier,  aber  bald  nachher  in  dem  damaligen 
Kriege  von  den  Schweden  gefangen.  Bühren  entkam 
durch  die  Flucht,  ging  nach  Polen,  und  wurde  in  dor- 
tigen Militärdiensten  Oberstleutnant. 

Sobald  die  Herzogin  Anna  von  Kurland  den  russi- 
schen Thron  bestiegen  hatte,  ging  Karl  Bühren  nach 
Rußland,  wo  er  sehr  bald  General  en  Chef  und  endhch 
Kommandant  von  Moskau  wurde.  Er  war  es  noch  bei 
dem  Falle  seines  Bruders. 

Es  wurden  damals  gleich  Befehle  nach  Moskau  und 
Riga  geschickt,  ihn  und  den  General  Bismark,  Kom- 
mandanten in  Riga,  der  ein  Schwager  des  Herzogs 
Biron  war,  zu  arretieren. 

Karl  Biron  wurde  ebenfalls  an  einen  Verbannungs- 
ort gebracht. 

Im  Jahre  1742  kam  er  schon  wieder  in  Freiheit. 
Dies  geschah  zu  eben  der  Zeit,  als  der  Herzog  von 
Pel5mi  nach  Jaroslawl  gebracht  wurde. 

Karl  Biron  ging  nun  auf  seine  Güter  in  Kurland, 
wo  er  auch  gestorben  ist. 

Er  war  höchst  ungesittet  und  ein  Trunkenbold. 


176  4^-  Gustav  B Uhren  III. 

Durch  Schlägereien  im  Rausch  hatte  er  sich  eine 
Menge  Wunden  zugezogen,  die  ihn  zum  Dienst  ganz 
untüchtig  machten. 


42.   Gustav  Bühren  III. 

Gustav  Bühren,  der  jüngste  Bruder  des  Herzogs  von 
Kurland  war  anfänglich  in  polnischen  Kriegsdiensten. 

Nach  der  Thronbesteigung  der  Kaiserin  Anna  ging 
er  nach  Rußland,  wurde  Major  bei  der  Garde,  und  sehr 
bald  General  en  Chef. 

Das  Unglück  des  Herzogs  hatte  auch  einen  widrigen 
Einfluß  auf  Gustav  Biron,  der  sich  eben  damals  in 
Petersburg  aufhielt.  Mannstein  sagt  in  seiner  Relation: 
,,Auf  dem  Rückwege  vom  Palais  des  Sommergartens 
nach  dem  Winterpalais,  wurde  ich  abgeschickt,  um 
den  General  Biron  zu  arretieren.  Ich  fand  ihn  im 
Bette,  und  sagte  ilim,  er  möchte  geschwind  aufstehen, 
weil  ich  ihm  etwas  Wichtiges  zu  sagen  hätte.  Nach- 
dem er  auf  diese  Art  bis  an  die  Tür  gekommen  war, 
ergriff  ich  seine  beiden  Hände  und  sagte  ihm,  daß  ich 
ihn  im  Namen  I.  K,  H.  arretierte,  und  daß  der  Her- 
zog, sein  Bruder,  ebenfalls  schon  arretiert  sei.  Er  fing 
an  die  Wache  zu  rufen,  aber  man  stopfte  ihm  ein 
Schnupftuch  in  den  Mund.  Ein  Soldat  hatte,  ehe  er 
ins  Zimmer  trat,  die  Vorsicht  gebraucht,  den  Riemen 
von  seiner  Flinte  loszumachen.  Mit  diesem  band  man 
ihm  die  Hände,  dann  legte  man  ihn  in  einen  Schhtten, 
hüllte  den  Kopf  in  einen  Soldatenmantel  und  brachte 
ihn  in  das  Winterpalais,  wo  der  Herzog  schon  in  Ver- 
wahrung war."  —  Gustav  Biron  kam  nun  ebenfalls 
nach  Sibirien. 


i 


43-  Eichler.  177 

Jm  Jahre  1742  wurde  er  wieder  zurückgerufen,  und 
ihm  eine  Stelle  bei  der  Armee  versprochen,  aber  er 
starb  zu  Petersburg,  noch  ehe  er  dieselbe  erhielt. 

Gustav  Biron  war  ein  sehr  rechtschaffener  Mann, 
aber  ohne  Erziehung,  wie  seine  Brüder  und  ohne  Ver- 
stand. 


43.  Eichler. 

Eichler,  ein  Deutscher,  von  ganz  geringem  Her- 
kommen, war  ein  Flötenspieler  im  Dienste  eines  der 
Knesen  Dolgorucky,  welche  die  Gunst  Peters  III.  aus- 
schließhch  besaßen.  Durch  die  Unterstützung  seines 
Herrn  erhielt  Eichler  einen  Platz  in  einer  kaiserlichen 
Kanzlei. 

Unter  Regienmg  der  Kaiserin  Anna  wurde  er 
Kabinettssekretär,  und  in  dieser  Stelle  vom  Kabinetts- 
minister Walinsky  in  vielen  Geschäften  gebraucht. 
Dies  gereicht  Eichlers  Fähigkeiten  sehr  zur  Ehre. 
Wahnsky  war  einer  von  Rußlands  großen  Männern, 
und  überdies  nicht  sehr  nachsichtig.  Er  würde  ihn 
also  gewiß  nicht  so  lange  unter  seiner  Direktion  be- 
halten haben,  wenn  dieser  nicht  brauchbare  Talente 
gehabt  hätte. 

Eichler  wurde  in  die  schreckliche  Inquisitions- 
geschichte verwickelt,  durch  welche  Waünsky  seinen 
Kopf  verlor.  Man  erkannte  Eichler  für  mitschuldig. 
Er  bekam  die  Knute  und  wurde  nach  Sibirien  ver- 
wiesen. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Elisabeth  wurde 
er  zwar  wieder  zurückgerufen,  aber  nicht  in  Geschäften 
gebraucht. 

Russische  Günstlinge.  X2 


178  44-  Sabakin. 

Von  seinen  übrigen  Lebensumständen  wissen  wir 
nichts. 

Eichler  hatte  eine  Tochter.  Sie  heiratete  einen 
Knes  Chowansky,  der  eine  Tuchfabrik  hatte,  die  das 
Tuch  für  die  ganze  russische  Armee  heferte.  Dieser 
Chowansky  lebte  noch  in  der  Mitte  der  neunziger 
Jahre,  und  kam  wegen  seinen  Lieferungen  oft  nach 
Petersburg. 

44.  Sabakin. 

Sabakin,  ein  russischer  Bauer,  hieß  eigentlich  Saba 
Jakoblewitsch,  und  nannte  sich  nur  dann  erst  Sabakin, 
als  er  durch  einiges  Vermögen  sich  etwas  über  seinen 
Ursprung  erhob.  Es  war  immer  ein  sonderbarer  Ein- 
fall, einen  Namen  zu  wählen,  der  im  Russischen  hün- 
disch bedeutet. 

Sabakin  fing  unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Anna 
(1730)  damit  an,  Fische  feil  zu  bieten.  Von  dem,  was 
er  erwarb,  lebte  er  kümmerlich,  sparte  viel,  fing  einen 
größeren  Handel  an,  machte  Lieferungen  an  den  Hof, 
wurde  wohlhabend  unternahm  weitläufigere  Ge- 
schäfte, war  vorsichtig  und  glücklich,  machte  größere 
Lieferungskontrakte  mit  der  Krone,  sammelte  ein  an- 
sehnliches Vermögen,  lebte  immer  noch  sparsam, 
wucherte  mit  seinen  großen  Reichtümern  und  hinter- 
ließ bei  seinem  Tode  zur  Zeit  der  Kaiserin  Elisabeth  den 
ungeheuren  Schatz  von  beinahe  zwölf  Millionen  Rubel. 

Sabakins  Grabmal  auf  dem  Kirchhofe  des  Alexander- 
Newsky-Klosters,  von  Marmor  und  Bronze,  kostete 
große  Summen  und  ist  geschmacklos. 

Die  Nachkommen  dieses  Mannes  sind  noch  in  Pe- 
tersburg und  stehen  in  Ansehen. 


Johann  Hermann  L'Estocq 
Kupter  von  Schienen 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  17g 

45.  Johann  Hermann  L'Estocq. 

Unter  allen  Naturgaben,  womit  die  weise  Vorsehung 
die  Menschheit  beglückt,  ist  Frohsinn  gewiß  eine  der 
erwünschtesten.  Er  würzt  die  Vergnügungen  und 
macht  dadurch  ihren  Genuß  vollendeter ;  leiht  dunkeln 
Gegenständen  die  hellsten  Farben;  erhebt  mit  Leich- 
tigkeit über  alle  bedenkhchen  Ereignisse;  stärkt  die 
Lebensgeister  durch  sanften  Schlaf  und  Hoffnung,  die 
beiden  wirksamsten  Erholungsmittel,  die  den  unglück- 
lichen Sterblichen  verliehen  sind;  hilft  die  größten 
Widerwärtigkeiten,  verdiente  und  unverdiente,  mit 
gleichem  Mute  ertragen,  und  führt  zu  einem  späten 
Alter  ohne  Klage  und  Gram,  und  endlich  gewöhnlich 
zu  einem  leichten  Tode.  Frohsinn  war  in  einem  hohen 
Grade  dem  Manne  zuteil  geworden,  von  dessen  Leben 
wir  hier  eine  unvollkommene  Skizze  entwerfen. 

Johann  Hermann  L'Estocq  war  im  Jahre  1692  in 
Hannover  von  französischen  Eltern  geboren. 

Diese,  die  ehrliche  Bürger  waren,  von  der  Unfehl- 
barkeit ihrer  Religion  überzeugt  zu  sein  glaubten  und 
daher  fest  darin  beharrten,  hatten  ruhig  in  Frankreich 
gelebt,  bis  die  Bekehrungswut  Ludwigs  XIV.  sie  ge- 
nötigt hatte,  ihr  Vaterland  zu  verlassen. 

Dieser  Monarch,  durch  die  übel  verstandenen  Re- 
ligionsbegriffe seiner  Gattin  Maintenon  verführt,  hatte 
geglaubt,  seine  Regierungssünden  mancher  Art  durch 
die  gewaltsamste  Bekehrung  und  Verfolgung  seiner 
protestantischen  Untertanen  abzubüßen ;  ein  Umstand, 
der  immer  eine  wenig  vorteilhaftere  Vorstellung  von 
dem  Verstände  dieses  Königs  gibt.  Auf  sein  Geheiß 
hatte  Frankreich  mit  Franzosen  eine  Art  von  Reli- 
gionskrieg, der  zwar  eigentlich  nur  einseitig  geführt 
wurde,  aber  höchst  mörderisch  war,  wie  es  gewöhnhch 

12* 


l8o'  45,  Johann  Hermann  L'Estocq. 

die  Kriege  sind,  die  aus  der  Verschiedenheit  der  Mei- 
nungen entstehen.  Die  Schwächern  mußten  weichen. 

Sie  flohen  nach  Deutschland,  wo  man  sie  mit  to- 
leranten Armen  aufnahm,  und  L'Estocqs  Eltern  ließen 
sich  in  Hannover  nieder.  Der  Vater,  ein  geschickter 
Wundarzt,  kam  in  die  Dienste  des  damals  noch  herzog- 
lichen Hofes  daselbst. 

Seinen  mittelsten  Sohn,  von  dem  hier  die  Rede  ist, 
und  der  Neigung  und  Fähigkeiten  zeigte,  lehrte  er 
ebenfalls  die  Wundarzneikunst  und  zwar  mit  so  glück- 
lichem Erfolg,  daß  er  sehr  bald  eine  nicht  gewöhnliche 
Geschicklichkeit  erlangte. 

Hermann  entwickelte  zeitig  einen  großen  Verstand 
imd  einen  unternehmenden  Geist.  Die  Bühne,  auf  der 
er  stand,  war  ihm  zu  klein. 

Von  Reisenden,  die  aus  Rußland  kamen,  hatte  er  ge- 
hört, daß  Geschicklichkeit  ohne  Unterschied  in  jedem 
Fache  ein  untrügliches  Mittel  sei,  daselbst  Reichtümer 
und  Ansehen  zu  erlangen.  Auf  diesem  Schauplatze  nun 
hoffte  er  eine  bedeutendere  Rolle  übernehmen  zu 
können. 

Der  junge  L'Estocq  ging  im  Jahre  1713  nach  Peters- 
burg, und  da  man  damals  am  russischen  Hofe  dienst- 
fähige Leute  brauchte,  so  hatte  er  das  Glück,  sehr  bald 
in  die  Dienste  Peter  I.  als  Wundarzt  zu  kommen.  Der 
Kaiser  ernannte  ihn  zu  seinem  Leibchimrgen.  Diese 
Stelle  brachte  ihn  der  Person  des  Monarchen  nahe.  Er 
mußte  ihm  und  dessen  Gemahlin  auf  allen  Reisen, 
selbst  wenn  es  nur  Lustfahrten  zu  Wasser  waren, 
folgen.  Bei  diesen  Gelegenheiten  zog  ihm  seine  oft  aus- 
artende muntere  Laune  zuweilen  Züchtigungen  von  der 
Hand  des  Kaisers  zu.  Die  Ausbrüche  seines  Mutwillens, 
oder  besser  gesagt,  seiner  ausgelassenen  Aufführung 
und  Unbesonnenheit,  brachten  ihn  endlich  in  die  Un- 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  i8l 

gnade  des  Kaisers.  Sein  eigentliches  Verbrechen  kennt 
man  nicht.  Kein  Geschichtschreiber  und  keine  münd- 
liche Überlieferung  geben  darüber  Aufschluß.  L'Estocq 
selbst,  so  freimütig  er  immer  und  so  schwatzhaft  er  oft 
war,  soll  nie  von  der  Natur  dieses  Versehens  gesprochen, 
sondern  nur  gesagt  haben,  ein  andrer  Hofbedienter 
hätte  ihn  verklagt.  Sein  Vergehen  kann  jedoch,  nach 
der  Strafe  zu  urteilen,  nicht  klein  gewesen  sein.  Peter  I. 
schickte  ihn  im  Jahre  1718  nach  Asien  in  die  Stadt 
Kasan.  Hier  lebte  er  bis  zum  Tode  des  Monarchen  und 
erwarb  sich  durch  seine  Geschicklichkeit  ein  großes 
Zutrauen,  einen  anständigen  Unterhalt  und  eine  ge- 
wisse Wohlhabenheit,  die  unter  Personen  seiner  Kate- 
gorie in  jenen  Gegenden  nicht  gewöhnlich  ist. 

Katharina  I.  erirmerte  sich  der  guten  Dienste,  die 
ihr  L'Estocq  im  Jahre  1716,  auf  ihrer  Reise  nach  Hol- 
land, in  ihrer  Krankheit  geleistet  hatte.  Sie  rief  ihn  im 
Jahre  1725  zurück  und  gab  ihm  die  Stelle  eines  Wund- 
arztes am  Hofe  ihrer  Tochter  Ehsabeth. 

Von  diesem  AugenbHck  an  gab  L'Estocq  seiner  Ge- 
bieterin Beweise  seiner  unverbrüchlichen  Treue. 

Schon  nach  dem  Tode  Peters  IL  (1730),  wollte  er  ihr 
zum  Besitz  des  russischen  Throns  verhelfen,  aber  die 
Prinzessin  hatte  damals  nicht  den  Mut,  diesen  Schritt 
zu  wagen.  Mit  Unwillen  sah  er  seinen  Plan  verwerfen, 
erneuerte  aber  doch  elf  Jahre  nachher  seine  Vor- 
schläge zu  einer  gewaltsamen  Thronbesteigung,  zur 
Zeit  des  jungen  Kaisers  Joan  Antono  witsch,  unter  der 
Vormundschaft  von  dessen  Mutter,  der  Großfürstin 
und  Regentin  Anna  Carlowna,  Prinzessin  von  Braun- 
schweig, geborene  Prinzessin  von  Mecklenburg. 

Jetzt  machten  diese  Vorschläge  Eindruck  auf  Eli- 
sabeth. 

Sie  genehmigte   alles,   was  L'Estocq  tun  wollte. 


l82  45-  Johann  Hermann  L'Estocq. 

Dieser  traf  nun  die  zweckmäßigsten  Verfügungen,  die 
aber  allerdings  sehr  gewagt  waren.  Seine  unglaublichen 
Bemühungen  gelangen. 

Man  wundert  sich  darüber  desto  mehr,  wenn  man  die 
Teilhaber  dieser  Unternehmung  kennt.  Diese  waren 
Michael  Woronzow,^)  ein  Kammerjunker  der  Prin- 
zessin Elisabeth  und  ein  sehr  junger  Mensch;  L'Estocq, 
ein  Wundarzt,  Schwarz,  ein  gewesener  Musikus,  der 
wahrscheinlich  keine  musikalischen  Talente  hatte  und 
ein  Grünstein,  ein  gemeiner  Gardesoldat.  2) 

Von  Personen  von  Rang  und  Ansehen  waren  nur  der 
französische  Gesandte,  Marquis  de  la  Chetardie^)  und 
dessen  Legationssekretär,  von  dem  Revolutionsplane 
im  ganzen  genommen  unterrichtet,  mit  dessen  ge- 
nauen Umständen  aber  ganz  unbekannt. 

Die  Haupttriebfeder  in  der  Maschine  war  L'Estocq, 
und  es  ist  unleugbar  gewiß,  daß  ohne  ihn  Elisabeth 
nie  Kaiserin  von  Rußland  geworden  wäre. 

Er,  der  Genie  und  Staatskenntnisse  hatte,  wußte,  daß 
dem  Hofe  zu  Versailles  eine  Empörung  in  Rußland  will- 
kommen sein  müßte,  die  vielleicht  dem  französischen 
System  daselbst  einen  günstigen  Einfluß  geben  könnte. 

^)  Michajla  Woronzow  wurde  unter  der  Regierung  der  Elisabeth 
deutscher  Graf,  Vizekanzler  und  endlich  Großkanzler;  eine  Würde, 
die  er  noch  in  den  beiden  folgenden  Regierungen  bekleidete.  Er 
hatte  den  Ruhm  eines  sehr  edeln  Mannes.  Seine  Gemahlin,  eine 
geborene  Skawronska,  war  eine  Kusine  der  Kaiserin  Elisabeth.   H. 

^)  Siehe  über  diese  Palastrevolution  Crusenstolpe  I,  S.  144  ff. 

^)  Joachim  Jacques  Trotti,  Marquis  de  la  Chetardie  (1705 — 1758) 
bekam  für  seine  Person  große  Belohnungen,  aber  für  seinen  Hof 
konnte  er  keine  bleibenden  VorteUe  erlangen.  Sein  Einverständnis 
mit  der  Elisabeth,  das  ohnedies  nicht  von  Bedeutung  gewesen 
war,  hörte  gleich  nach  der  Thronbesteigung  auf.  Er  ging  nach 
Frankreich  zurück,  kam  aber  bald  wieder  als  Gesandter  nach  Ruß- 
land. Hier  machte  er  sich  verdächtig,  und  würde  von  der  Regierung 
gemißhandelt  worden  sein,  wenn  ihn  nicht  sein  Charakter  geschützt 
hätte.  Man  nahm  ihm  den  russischen  Orden  und  das  Bild  der 
Kaiserin  und  schickte  ihn  über  die  Grenze. 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  183 

Nach  seinem  Rate  fing  die  Prinzessin  mit  dem  Mar- 
quis, um  ihn  zu  ihrem  Vorteil  zu  gewinnen,  ein  Liebes- 
verhältnis an,  das  L'Estocq  und  Woronzow  ein- 
leiteten und  das  äußerst  geheim  gehalten  wurde. 

Alsdann  wendete  sich  L'Estocq,  unter  dem  Titel 
eines  Landsmannes  und  unter  dem  Vorwand  einer  be- 
sondern Anhänglichkeit,  an  das  ursprüngliche  Vater- 
land seiner  Familie,  an  den  französischen  Gesandten, 
zeichnete  ihm  die  Grundlinien  des  Plans  und  verlangte 
von  ihm  Geld  zur  Ausführung  desselben. 

Chetardie,  der  in  dieser  Unternehmung  eine  vorteil- 
hafte Alternative  sah,  gab  ihm  in  sehr  kurz  aufein- 
ander folgenden  Tagen  neuntausend  Dukaten,  und 
endlich  nach  und  nach  vierzigtausend  Dukaten. 

L'Estocq  war  so  vorsichtig  gewesen,  nie  in  das  Pa- 
lais des  Gesandten  zu  gehen.  Er,  Chetardie  und  der 
Legationssekretär  hatten  ihre  Unterredungen  bei  Hof 
und  in  Gesellschaften.  Diese  waren  immer  kurz,  weil 
die  Gesandtschaft  nie  die  Geschichte  des  Ganges  der 
Unternehmung,  sondern  nur  zuweilen  die  Resultate 
einzelner  Schritte  erfuhr.  Wenn  sie  sich  etwas  zu 
schreiben  hatten,  so  legten  sie  die  Zettel  in  Dosen, 
aus  denen  sie  sich  Tabak  anboten. 

So  behutsam  aber  L'Estocq  und  seine  Gehilfen 
waren,  so  hatten  sie  doch  eine  gewisse  Publizität  nicht 
verhindern  können. 

Es  gehört  in  die  Geschichte  der  Kaiserin  Elisabeth, 
alle  genauen  Umstände  ihrer  Revolution  zu  erzählen. 
Sie  sind  auch  zum  Teil  allgemein  bekannt. 

Wer  kennt  nicht  die  Szenen,  die  während  der  Krise 
dieser  großen  Begebenheit  vorfielen;  wie  Graf  Oster- 
mann, unterrichtet  von  den  außerordentlichen  Geld- 
summen, die  Chetardie  erhielt,  die  Regentin  Anna 
darauf  sowohl  als  auf  L'Estocq  besonders  aufmerk- 


184  45-  Johann  Hermann  L'Esiocq. 

sam  machte,  von  dem  er  wußte,  daß  er  einen  geheimen 
Umgang  mit  der  französischen  Gesandtschaft  hatte; 
wie  Finch,  ^)  der  enghsche  Gesandte,  diese  Prinzessin 
warnte;  wie  Graf  Löwen wolde,  auf  erhaltene  Nach- 
richt die  Regentin  in  der  Nacht  wecken  Heß,  um  ihr  die 
Gefahr  zu  zeigen,  in  welcher  der  Kaiser,  sie  und  ihr 
Gemahl  schwebten;  wie  ein  vorgeblich  in  Breslau  ge- 
schriebener Brief  die  Großfürstin  von  dem  Vorhaben 
der  Elisabeth  benachrichtigte  und  den  Rat  enthielt, 
L'Estocq  gefangennehmen  zu  lassen;  wie  Anna  infolge 
dieser  vereinigten  Umstände  eine  sehr  lebhafte  Unter- 
redung mit  Elisabeth  hatte;  wie  diese,  aus  Schwäche 
des  Geistes,  Tränen  vergoß;  wie  Anna,  eben  so  schwach 
als  Elisabeth,  sich  durch  diese  Tränen  täuschen  ließ; 
wie  Elisabeth,  von  Angst  und  Schrecken  getrieben, 
nach  Hause  eilte  und  L'Estocq  bat,  das  ganze  Vor- 
haben aufzugeben;  wie  dieser  sie  zu  beruhigen  und 
dann  in  dem  Vorsatze  zu  bestärken  suchte,  mit  der 
Ausführung  des  Plans  zu  eilen;  wie  er,  während  der 
hitzigsten  und  wichtigsten  Unterredung,  mit  leichter 
Hand  auf  einem  Blatte  Papier  eine  Nonne  und  einen 
Galgen  zeichnete,  2)  und  der  Prinzessin  zu  verstehen 
gab,  daß,  bei  längerem  Zögern,  sie  die  Gestalt  von 
jener  bekommen,  und  er  an  diesem  aufgeknüpft  wer- 
den müsse ;  und  wie  er  endlich  alle  Schwierigkeiten  be- 
siegte, in  der  Nacht  vom  24.  zum  25.  November  1741 
mit  der  Prinzessin  und  dem  Kammer j unker  Woronzow 
in  die  Kasernen  der  Garden  fuhr,  die  Revolution  unter- 
nahm und  beendigte,  und  Ehsabeth  auf  den  Thron 
ihres  Vaters  setzte. 

Die  ersten  Tage  der  Souveränität  dieser  Fürstin  ver- 

^)  Finch  war,  wenn  wir  nicht  irren,  in  der  Folge  Gescindter  in 
Dresden  und  Berlin.    H. 

*)  Crusenstolpe  I,  S.  143,  wo  diese  hochdramatische  Szene  näher 
beschrieben  ist. 


45-  Johann  Hermann  UEslocq.  185 

strichen  unter  einer  Menge  Verhaftungen  und  Gnaden- 
bezeigungen, von  denen  die  einen  so  unverdient  waren, 
als  die  andern.  Gegen  L'Estocq  schien  die  neue  Mon- 
archin ganz  von  Regungen  der  Dankbarkeit  beseelt 
zu  sein. 

Er,  als  ein  Mann  von  durchdringendem  Verstand, 
und  vermöge  desselben  und  seiner  Erfahrung,  ein 
scharfer  und  zuverlässiger  Beurteiler  des  menschlichen 
Herzens,  sagte  seiner  Gebieterin  schon  damals  mit 
seiner  gewöhnlichen  Freimütigkeit,  daß  er  im  Geiste 
voraussehe,  wie  sie  seine  Dienste  vergessen,  ihn  mit 
Undank  belohnen  und  wohl  endlich  gar  ihn  seinen 
jetzigen  und  künftigen  Feinden  aufopfern  würde. 
Elisabeth  machte  ihm  zwar  die  größten  Beteuerungen 
ihrer  unveränderUchen  Dankbarkeit  und  sagte  ihm, 
daß,  wenn  sie  jemals  einer  ihr  jetzt  so  fremden  und  un- 
natürlichen Empfindung  fähig  sein  könnte,  er  nur  an 
sie  schreiben,  ihr  seine  Dienste  in  das  Gedächtnis 
rufen  und  sie  an  diese  Unterredung  erinnern  dürfe. 
L'Estocq,  von  seiner  gewöhnlichen  Heiterkeit  belebt, 
lachte  darüber,  blieb  aber  immer  von  der  Richtigkeit 
seiner  Meinung  überzeugt,  und  unterheß  nicht,  bei 
vorfallenden  Gelegenheiten  der  Kaiserin  zu  zeigen,  daß 
sein  Urteil  über  den  Charakter  dieser  Prinzessin  und 
über  das  Schicksal,  das  er  von  ihr  zu  erwarten  habe, 
immer  das  nämliche  bleibe. 

Doch,  wie  schon  gesagt  worden  ist,  in  den  ersten 
Augenbhcken  war  sie  ganz  von  Dank  gegen  L'Estocq 
durchdrungen.  Sie  ernannte  ihn  zum  Wirklichen  Ge- 
heimen Rat  zu  ihrem  ersten  Leibarzt  und  zum  Di- 
rektor sämtlicher  medizinischer  Kanzleien. 

Wie  viel  er  als  Leibarzt  hatte,  wissen  wir  nicht,  aber 
die  letzte  Stelle  war  mit  einem  Gehalt  von  sieben- 
tausend Rubel  (eine  für  jene  frugalen  Zeiten  ungeheure 


l86  45.  Johann  Hermann  L'Estocq. 

Summe)  verbunden.  Sie  war  überdies  in  Rußland  von 
desto  größerer  Wichtigkeit  und  Weitläufigkeit,  weil 
kein  Arzt  und  Wundarzt,  der  nicht  in  diesen  Kanzleien 
eingeschrieben  und  geprüft  worden  war,  die  Heilkunst 
ausüben  durfte,  und  kein  Apotheker  von  jemand  an- 
ders, als  von  der  Krone  gehalten  werden  konnte. 

Als  Leibwundarzt  mußte  er  immer  der  Kaiserin  die 
Ader  öffnen,  und  erhielt  dafür  allemal  zweitausend 
Rubel;  ein  Vorteil,  der  ihm  ebenfalls  eine  bedeutende 
jährliche  Einnahme  zusicherte. 

Am  30.  Dezember  1741,  an  dem  nämlichen  Tage,  an 
welchem  sie  ihm  Ehrenstellen  und  Ämter  erteilte, 
fügte  sie  noch  die  größte  Gnadenbezeugung  hinzu,  in- 
dem sie  ihm  ihr  reich  mit  Diamanten  besetztes  Porträt 
schenkte,  mit  der  Erlaubnis,  es  an  einem  blauen  Bande, 
gleich  einem  Ordenszeichen,  um  den  Hals  tragen  zu 
dürfen. 

So  schmeichelhaft  diese  Auszeichnung  war,  so  schien 
sie  ihm  doch,  weil  sie  keinen  Ritterorden  zur  Seite 
hatte,  eine  Art  von  Hintansetzung  anzudeuten. 
L'Estocq  würde  daher  sich  lieber  mit  einem  gewöhn- 
lichen Ordensbande,  das  ihn  andern  Staatsdienern 
vom  ersten  Range  auch  im  Äußern  gleichgestellt  hätte, 
begnügt  haben.  Mit  der  ihm  eigenen  Offenherzigkeit 
gab  er  diesen  Wunsch  oft  zu  erkennen,  aber  Elisabeth, 
man  weiß  nicht,  von  welchem  Vorurteile  getrieben, 
nahm  nie  Rücksicht  auf  diesen  Wunsch.  Indessen 
konnte  doch  nur  vorgefaßte  Meinung  den  Willen  der 
Kaiserin  lenken ;  denn  Leute  von  weit  geringerem  Her- 
kommen, und  was  Elisabeth  sich  selbst  sagen  mußte, 
von  ungleich  weniger  Verdiensten  als  er,  waren  reich- 
lich mit  Ordensbändern  behangen. 

Auch  aus  dem  Auslande  erhielt  L'Estocq  Würden 
und  Geschenke.  Der  König  von  Polen  und  Kurfürst 


i 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  187 

von  Sachsen,  Friedrich  August  IL,  der  die  Freund- 
schaft seines  Vaters  für  den  russischen  Hof  unter  allen 
dort  oft  vorkommenden  Regierungsveränderungen 
mit  Eifer  fortsetzte,  machte  es  sich  zur  Pflicht,  den 
jedesmaligen  Günstlingen  der  Souveräne  in  Rußland 
Beweise  seines  Wohlwollens  zu  geben.  Er  erhob  den 
Geheimen  Rat  von  L'Estocq  in  den  ersten  Tagen  des 
Jahres  1742  in  den  Grafenstand  und  schenkte  dem- 
selben ebenfalls  sein  reich  mit  Brillanten  besetztes 
Porträt,  um  es  im  Knopfloche  zu  tragen. 

Graf  L'Estocq  besorgte  nun  die  mit  seinen  Ämtern 
verbundenen  Geschäfte  und  arbeitete,  infolge  einer 
eigenen  Aufforderung  der  Kaiserin  sehr  viel  in  Staats- 
sachen. 

Diese  Einmischung  in  Angelegenheiten,  die  ganz 
außer  dem  Wirkungskreise  seiner  eigentlichen  Ämter 
lagen,  erregte  die  Mißgunst  derer,  die  ausschließlich 
diese  Geschäfte  betreiben  zu  müssen  glaubten.  Durch 
sein  sorgloses  Benehmen,  selbst  in  den  ernsthaftesten 
und  wichtigsten  Vorfällen,  gab  er  seinen  Feinden  Ge- 
legenheit und  Vorwand,  ihn  der  Kaiserin  gehässig  vor- 
zustellen. Seine  Unbefangenheit,  die  oft  in  Leichtsinn 
überging,  noch  mehr  aber  seine  natürliche  und  immer- 
währende Unruhe,  seine  unbezähmte  Freimütigkeit 
und  seine  Ausschweifungen  mancher  Art,  die  freilich 
in  der  Person  eines  Leibarztes  bedenklich  scheinen 
mußten,  machten,  daß  er  der  Kaiserin  verdächtig 
wurde. 

Nach  der  Vermählung  des  damaligen  Thronfolgers 
und  nachherigen  Kaisers,  Peters  IIL  (1745),  zeigte  er  die 
größte  Anhänglichkeit  an  diesen  Prinzen  und  dessen 
Gemahlin,  ohne  dabei  etwas  anderes  zu  beabsichtigen, 
als  immer  in  der  muntern  Gesellschaft  des  Großfürsten 
zu  sein,  und  die  geistreiche  Unterhaltung  der  Groß- 


l88  45-  Johann  Heymann  L'Estocq. 

fürstin  zu  hören.  Von  diesen  vereinigten,  geringfügigen 
Umständen  nahmen  L'Estocqs  hitzigste  Gegner,  der 
Großkanzler,  Graf  Bestuschew-Riumin,  und  der  Gene- 
ralfeldmarschall, Graf  Apraxin,^)  Gelegenheit,  ihn  zu 
stürzen. 

Dies  wurde  ihnen  leicht  bei  einer  Monarchin,  die 
keiner  Prüfung  und  keiner  dankbaren  Erinnerung  fähig 
war.  Bestuschew  und  Apraxin  sagten  ihr,  L'Estocq 
halte  es  mit  den  Höfen  zu  Berlin  und  Stockholm,  zum 
Nachteil  des  russischen  Systems ;  er  stehe  in  geheimer 
Verbindung  mit  dem  preußischen  Gesandten  und  sei 
dem  österreichischen  Hofe  ganz  entgegen.  Zugleich 
raunten  sie  der  Kaiserin  ins  Ohr;  L'Estocqs  Einver- 
ständnis mit  dem  großfürstlichen  Hofe  könne  leicht 
auf  eine  Revolution  abzwecken,  durch  welche  er  den 
Thronfolger  vor  der  Zeit  auf  den  russischen  Thron 
setzen  wolle.  Um  diese  Insinuation  noch  etwas  glaub- 
licher zu  machen,  setzten  sie  noch  hinzu:  L'Estocq 
habe  schon  ehemals  den  Großfürsten  Peter  anstatt  der 
Kaiserin  Ehsabeth  auf  den  Thron  bringen  wollen. 
Nichts  konnte  sinnloser  sein,  als  diese  letztern  Be- 
schuldigungen, die,  wie  man  leicht  denken  kann,  durch 
nichts  erwiesen  werden  konnten.  Demungeachtet  ließ 
es  die  schwache  Kaiserin  geschehen,  daß  der  Mann, 
dem  sie  allein  die  Größe  ihrer  Existenz  zu  danken 
hatte,  unglücklich  wurde, 

Sie  ließ  ihn  im  Jahre  1748  arretieren  und  in  die 
Petersburger  Festung  bringen,  wo  ihm  der  Prozeß  ge- 
macht wurde. 

^)  Der  Generalfeldmarschall  Stephan  Feodorowitsch  Apraxin 
(1702 — 1758),  von  Geburt  ein  Russe,  war  Bestuschews  treuer 
Freund.  Er  kommandierte  die  Russen  im  Anfange  des  Sieben- 
jährigen Krieges,  hatte  Teil  an  Bestuschews  Kabalen,  und  starb, 
ehe  er  bestraft  werden  konnte,  im  Jahre  1758  in  Triruky,  einem 
damals  kaiserlichen  Lusthause  bei  Petersburg.    H. 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  189 

Die  Verfahrungsart  desselben  war  so  ungerecht,  daß 
sie  jeden  Unbefangenen  mit  Unwillen  erfüllte,  doch 
für  die  muntre  Laune  des  Grafen  L'Estocq  wurde  sie 
eine  neue  Quelle  der  Belustigung.  Aber  bald  verUeß 
ihn  sein  Mut,  wenigstens  auf  einige  Zeit. 

Um  ihn  strafbar  zu  finden,  mußte  man  sein  Ge- 
ständnis haben.  Hierzu  war  er  auf  keine  Weise  zu 
bringen. 

Man  wollte  es  erzwingen,  und  drohte  ihm  im  Jahre 
1749  mit  der  Tortur.  Doch  dieses  fürchterhche  Zwangs- 
mittel war  nicht  nötig.  Einige  leichte  Peitschenhiebe 
waren  hinreichend,  den  Grafen  L'Estocq  zum  Be- 
kenntnis von  Verbrechen  zu  bringen,  an  die  er  nie  ge- 
dacht hatte,  die  er  sich  aber  aufbürden  ließ,  um  nur 
größern  Martern  zu  entgehen.  Indessen,  wenn  er  auch 
ein  Verbrechen  gestand,  so  fehlte  es  doch  immer  an 
Beweisen.  Überführen  konnten  ihn  seine  Feinde  nicht, 
doch,  da  sie  einmal  eine  Entfernung  von  Geschäften, 
seinen  Fall  und  den  Raub  seiner  Güter  beschlossen 
hatten,  so  zogen  sie  seinen  Prozeß  in  die  Länge. 

Es  wurde  eine  Kommission  niedergesetzt,  die  aus 
dem  Vermögen  des  Grafen  L'Estocq  besoldet  wurde. 
Schon  dadurch  verminderte  man  dasselbe  beträchtlich. 
Wie  verschwenderisch  übrigens  die  Besoldungen  ge- 
geben, und  wie  willkürlich  die  Betrügereien  getrieben 
wurden,  kann  man  schon  daraus  sehen,  daß  man  die 
Frechheit  hatte,  achthundert  Rubel  für  Feder,  Tinte 
und  Papier  in  Rechnung  zu  bringen;  eine  Unver- 
schämtheit, über  die  L'Estocq  zu  lachen  nie  aufhören 
konnte. 

Der  Prozeß  endigte  sich  im  Jahre  1750. 

Das  Urteil,  das  die  verächtliche  Ehsabeth  vielleicht 
nicht  einmal  kannte,  aber  doch  unterschrieb,  zeigte  die 
ganze  Unmenschlichkeit  dieser  Monarchin,  die  sie  selbst 


igo  45.  Johann  Hermann  L'Estocq. 

gar  nicht  zu  haben  glaubte,  und  enthüllte  völlig  die 
Grausamkeit  seiner  Feinde,  die,  ohne  den  Namen  zu 
haben,  seine  eigentlichen  Henker  waren. 

Jetzt,  da  L'Estocq  sein  Urteil  kannte,  glaubte  er, 
daß  der  Augenblick  gekommen  sei,  die  Kaiserin  auf 
eine  schickliche  Art  an  seine  Dienste  und  an  ihre  Dank- 
barkeit zu  erinnern. 

Er  schrieb  an  die  Monarchin,  aber  sein  Brief  blieb 
ohne  Antwort.  Man  kann  indessen  zur  Ehre  der  Elisa- 
beth glauben,  daß  L'Estocqs  Feinde  ihr  dieses  Schrei- 
ben nie  haben  einhändigen  lassen. 

Der  unglückhche  Mann  wurde  aller  seiner  Ämter, 
Würden  und  Gnadenzeichen,  die  er  schon  im  Jahre 
1748  verloren  hatte,  verlustig  erklärt.  Nur  den  Grafen- 
stand, den  ihm  Rußland  nicht  gegeben  hatte,  konnte 
man  ihm  nicht  nehmen. 

L'Estocq  hatte  große  Reichtümer  an  Häusern,  Gü- 
tern und  Kostbarkeiten,  die  er  noch  in  seinen  glück- 
lichen Zeiten  von  der  Kaiserin  Elisabeth  bekommen 
hatte.  Nur  allein  an  barem  Gelde  fand  man  vierzig- 
tausend Rubel.  Dies  alles  wurde  konfisziert  und 
größtenteils  seinen  Feinden  geschenkt.  So  erhielt  zum 
Beispiel  Apraxin  das  Wohnhaus  des  Grafen  in  Peters- 
burg. 

Der  Verlust  aller  dieser  Güter  würde  den  Grafen 
wenig  gerührt  haben,  aber  die  körperlichen  Züchti- 
gungen, die  man  die  Unverschämtheit  hatte,  an  ihm 
auszuüben,  schlugen  seinen  Mut  auf  einige  Zeit  nieder. 
Er  bekam  in  der  Festung  die  entehrende  Strafe  der 
Knute.  Nachdem  er  von  den  Wunden,  die  ihm  dieselbe 
verursacht  hatte,  geheilt  war,  wurde  er  1750  nach 
Uglitsch,  einer  Provinzialstadt  an  der  Wolga  in  der 
Jaroslawschen  Statthalterschaft,  seinem  Verbannungs- 
orte, gebracht.  Hier  blieb  er  bis  zum  Jahre  1753. 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  igi 

Man  kennt  die  Ursachen  nicht,  die  die  Regierung 
bewogen  haben,  den  Grafen  L'Estocq  in  diesem  Jahre 
von  dort  wegzubringen,  und  ihn  nach  Ustiug-Wehki, 
einer  Provinzialstadt  in  der  Archangelschen  Statt- 
halterschaft, zu  verweisen.  Seine  würdige  dritte  Ge- 
mahlin begleitete  ihn  überall 

Von  seinem  Aufenthalte  in  Uglitsch  und  in  Ustiug- 
Weliki  weiß  man  nichts.  Er  konnte  nicht  anders,  als 
so  eingeschränkt  sein,  als  das  geringe  Tagegeld  war, 
das  man  ihm  zum  Unterhalt  reichte.  Er  blieb  in  Ustiug- 
Weliki  bis  zum  Jahre  1762. 

Peter  III.,  dieser  wohltätige  Monarch,  der  die  von 
seiner  Tante  vielfach  ausgeübten  Kränkungen  wieder 
gut  zu  machen  suchte,  rief  den  Grafen  L'Estocq  zu- 
rück, gab  ihm  aber  außer  semen  Ehrensteilen  wenig. 
Er  sollte  zwar  seine  Besitzungen  wieder  bekommen, 
konnte  aber  nur  sein  Haus  erhalten,  weil  sie  während 
seiner  Verbannung  schon  in  mehrere  Hände  gekommen 
waren.  Nach  seinen  Juwelen,  Kostbarkeiten  und 
Möbeln  suchte  er  zwar  ir  den  Kaiserlichen  Konfika- 
tionsmagazinen,  konnte  aber  nichts  von  Bedeutung 
wieder  finden. 

Er  klagte  seine  Not  dem  Kaiser  und  dieser  Monarch 
riet  ihm  im  Scherze,  seine  Sachen,  die  er  vermutlich 
noch  kennen  würde,  und  die  wahrscheinlich  in  Privat- 
häusern zerstreut  wären,  aufzusuchen  und  wegzu- 
nehmen, wo  er  sie  fände.  Diese  Erlaubnis  war  eine  neue 
Nahrung  für  des  Grafen  Neigung,  sich  zu  belustigen, 
die  er  noch  in  einem  ziemlich  hohen  Grade  wieder  mit- 
gebracht hatte.  Er  kannte  von  alters  her  die  Personen, 
die  ihm  nicht  wohl  woUten.  Er  fuhr  zu  ihnen,  und  da 
sie  seinen  Besuch  nicht  erwarteten,  so  hatten  sie  auch 
nicht  die  nötigen  Vorkehrungen  getroffen.  Wenn  er 
etwcLS  fand  von  seinen  Gemälden,  Silberzeug  und  Kost- 


102  45-  Johann  Hermann  L'Estocq. 

barkeiten,  so  nahm  er  es  sogleich  ohne  Umstände  mit, 
versicherte,  daß  es  sein  wäre  und  daß  er  es  auf  Befehl 
des  Kaisers  behalten  würde.  Man  wagte  es  nicht,  über 
ihn  zu  klagen,  und  so  bekam  er  einen  kleinen  Teil 
seiner  Sachen  wieder. 

Wahrscheinhch  würde  Peter  III.  ihn  in  seinen 
vorigen  Wohlstand  versetzt  haben,  wenn  nicht  sein 
eigenes  unglückliches  Schicksal  ihn  daran  gehindert 
hätte, 

Katharina  II.  hatte  die  Großmut,  die  wahrschein- 
lichen Absichten  ihres  Gemahls  in  Ausführung  zu 
bringen.  Sie  gab  dem  Grafen  L'Estocq  seinen  be- 
stimmten vorigen  Gehalt  von  siebentausend  Rubel 
wieder,  ohne  ihm  jedoch  Geschäfte  zu  geben,  die  in 
seinem  hohen  Alter  ihm  würden  beschwerhch  geworden 
sein.  Dies  entsprach  auch  L'Estocqs  Wunsche,  der  sich 
mit  nichts  mehr  befassen  wollte. 

Der  einzige  Mann,  mit  dem  er  von  Geschäften  sprach 
war  der  französische  Gesandte,  Baron  von  Breteuil.^) 
Dieser  hatte  selbst  die  Veranlassung  dazu  gegeben. 
Wir  erinnern  uns  der  vierzigtausend  Dukaten,  die 
L'Estocq  zur  Beförderung  der  Thronbesteigung  der 
EUsabeth,  besonders  zur  Erkauf ung  der  Gardesoldaten, 
von  dem  Marquis  de  la  Chetardie  bekommen  hatte. 
Von  dieser  Summe  nun  war  unter  der  Regierung  der 
Elisabeth  nicht  mehr  als  die  Hälfte  2)  zurückbezahlt 
worden.  Die  Ursache  davon  war  in  der  schon  damals 

^)  In  den  neueren  Zeiten  wurde  Breteuil  durch  die  Staats- 
umwälzung in  Frankreich  veranlaßt,  sein  Vaterland  zu  verlassen. 
Wenn  wir  nicht  irren,  erhielt  er  erst  vom  Kaiser  Napoleon  die  Er- 
laubnis,  dahin   rurückzukommen.    Er  starb  im  Jahre  1807.    H. 

*)  Da  diese  Schuld  von  der  Elisabeth  selbst  nicht  bezahlt  worden 
war,  so  kann  man  wohl  denken,  daß  ihre  nächsten  Nachfolger  noch 
weniger  daran  dachten,  sie  zu  entrichten,  und  so  ist  es  wahrscheinlich, 
daß  der  russische  Hof,  noch  vom  Jahre  1741  her,  der  Krone  Frank- 
reichs iiumer  noch  20000  Dukaten  schuldig  ist.    H. 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  193 

einreißenden,  unordentlichen  Staatsverwaltung  zu 
suchen.  Indessen  nahmen,  nach  L'Estocqs  Fall,  dessen 
Feinde  davon  Veranlassung,  zu  behaupten,  er  habe 
das  Geld  bekommen  und  verschwendet.  Breteuil  wen- 
dete sich  nun  an  L'Estocq,  der  aber  die  Sache  von  sich 
abzulehnen  wußte,  weil,  wie  er  dem  Gesandten  sagte, 
er  voraussehe,  daß  seine  Bemühungen  fruchtlos  sein 
würden. 

Nachdem  L'Estocq  im  Jahre  1762  Peter  IIL  und 
Katharina  IL  seinen  persönlichen  Dank  für  ihre  Gna- 
denbezeigungen gebracht  hatte,  ging  er  nie  wieder  an 
den  Hof.  Er  fürchtete  den  schlüpfrigen  Fußboden,  auf 
welchem  er  zweimal  gefallen  war.  Ein  kleiner  Zirkel 
von  Freunden,  Zurückerinnerung  an  die  sonderbaren 
Ereignisse  seines  Lebens,  und  die  Freuden  der  Tafel 
waren  seine  einzige  Erholung.  Aber  auch  die  letztern 
mußten  bald  wegfallen,  da  er,  nicht  lange  nach  seiner 
Zurückkunft,  anfing,  kränkhch  zu  werden.  Die  mäßige 
Lebensart  in  seiner  Verbannung,  das  Werk  der  Not- 
wendigkeit, hatte  ihn  vielleicht  so  lange  erhalten.  Als 
er  von  dort  kam,  schien  er  eine  noch  ziemlich  unzer- 
störte  Leibesbeschaffenheit  zu  haben;  aber  bald  nach- 
her zeigten  sich  bedenkhche  Zufälle,  die  sich  nach  und 
nach  vervielfältigten,  und  durch  sein  hohes  Alter,  noch 
mehr  aber  durch  seine  unglaubliche  Unreinlichkeit, 
tödlich  wurden.  Es  ist  nicht  Übertreibung,  wenn  man 
sagt,  daß  L'Estocq  von  Ungeziefer  verzehrt  wurde. 

Er  starb  im  Jahre  1767,  ir  der  reformierten  Religion. 

L'Estocq  war  ein  genialer  Kopf.  Er  hatte  einen 
durchdringenden  Verstand,  eine  schwer  zu  übertref- 
fende Gegenwart  des  Geistes,  eine  sehr  richtige  Beur- 
teilungskraft, tiefe  Menschenkenntnis  und  ein  gutes 
Herz,  das  aber  leider  sehr  oft  durch  seinen  Leichtsinn 
irre  geführt  wurde.  Seine  großen  Eigenschaften  hatte 

Russische  Günstlinge.  I^ 


194  45-  Johann  Hermann  L'Estocq. 

er  durch  ausgebreitete  Wissenschaf  ten  und  Kenntnisse, 
besonders  in  der  Staatskunst,  ausgebildet.  Übrigens 
hatte  er  einen  nicht  niederzudrückenden  Frohsinn,  war 
sehr  lebhaft,  mutwillig  bis  auf  den  letzten  Augenblick 
seines  Lebens,  höchst  unbesonnen  und  niedrig  frei  in 
seinen  Reden;  Fehler,  durch  die  er  andern,  aber,  was 
noch  mehr  ist,  sich  selbst  mehr  schadete,  als  er  viel- 
leicht durch  Bosheit  würde  haben  tun  können. 

L'Estocq  war  dreimal  verheiratet. 

Wer  seine  erste  Frau  war,  ist  unbekannt.  Sie  scheint 
lange  vor  L'Estocqs  Glück  gestorben  zu  sein.  Viel- 
leicht war  sie  mit  ihm  in  Kasan. 

Die  zweite  Gattin  war  eine  Deutsche,  von  gemeiner 
Herkunft.  Ihr  Familienname  war  Miller.  Sie  war  häß- 
lich, unreinlich  und  liebte  den  Trunk;  und  dennoch 
(so  schwer  sind  die  Ursachen  und  Wirkungen  der  Liebe 
zu  ergründen  und  zu  berechnen),  dennoch  fanden  diese 
Reize  einen  Anbeter.  Damals  war  in  Petersburg  ein 
Sachse,  Kurt  von  Schönberg,  einer  der  schönsten 
Männer  seiner  Zeit.  Elisabeth  als  Prinzessin  und  als 
Kaiserin  war  von  seiner  Schönheit  gerührt  und  machte 
ihm  unter  der  Hand  Anträge,  die  so  wenig  zweideutig 
und  geheim  waren,  daß  sie  sogar  in  Petersburg  eine 
Art  von  Publizität  erlangt  hatten.  Aber  sollte  man  es 
glauben,  Schönberg  verwarf  die  Anträge  einer  schönen 
Kaiserin,  deren  geheimer  Liebling  zu  werden  nur  von 
ihm  abhing,  und  blieb  in  den  Fesseln  der  Gräfin 
L'Estocq. 

Schönberg  verstand  die  Bergwerkswissenschaften 
vollkommen  und  wurde  von  Friedrich  August  IL  nach 
Rußland  geschickt,  um  den  Bau  der  dortigen  Berg- 
werke zu  organisieren.  Er  erhielt  für  seine  wichtigen 
Dienste  große  Belohnungen.  Dadurch  erregte  er  Neid 
und  wurde  durch  Kabalen  am  Hofe  der  schwachen  Eli- 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  195 

sabeth  unglücklich.  Diese  Kaiserin,  die  nie  wußte,  was 
sie  tat,  unterschrieb  Schönbergs  Haftbefelil,  ohne  es 
zu  ahnen.  Als  sie  aus  dem  Senat  in  das  Vorzimmer  trat, 
sah  sie  Schönberg,  ging  auf  ihn  zu,  und  drückte  ihm 
die  Hand ;  und  der  Unglückhche  küßte  diese  Hand,  die 
eben  sein  Unglück  unterzeichnet  hatte.  Er  war  in  Ruß- 
land General,  Bergdirektor  und  Ritter  des  Alexander- 
Newsky-Ordens.  Er  ging  nachher  nach  Sachsen  zurück, 
wo  er  Berghauptmann  war. 

Die  dritte  Gemahlin  war  Maria  Aurora,  Freiin  von 
Mengden.  Auch  diese  Ehe  ist  sonderbar,  denn  wie 
konnte  Aurora  einen  Mann  lieben,  der  durch  die  von 
ihm  beförderte  Revolution  ihre  Schwester,  die  be- 
kannte Julie  von  Mengden,  i)   und  viele  ihrer  Ver- 

^)  Julie,  Freiin  von  Mengden,  war  erste  Hofdame  und  Günstlingin 
der  Regentin  Anna  Carlowna  und  erste  Erzieherin  des  jungen  Kaisers 
Joan.  Sie  war  eben  mit  dem  polnisch-sächsischen  Gesandten, 
Grafen  Lynar,  versprochen,  als  Elisabeth  den  Thron  bestieg.  Julie 
kam  nach  Sibirien  imd  man  hatte  die  Bosheit,  ihr  mit  einem  ihr 
verhaßten  Manne  einen  Verbannimgsort  und  sogar  eine  Wohnung 
anzuweisen.  Dies  war  der  Oberstleutnant  von  Haimbiu"g,  Adjutant 
des  Prinzen  Anton  Ulrich  von  Braunschweig.  Prinz  und  Prinzessin 
waren  selten  einig  zusammen  und  Adjutant  und  Hofdame  folgten 
dem  Beispiele  ihrer  Gebieter.  Man  denke  sich  nun  die  schöne, 
talentvolle  Julie  in  ihrer  neuen  Lage.  Sie,  die  an  das  Hofleben  ge- 
wöhnt war,  mußte  jetzt  die  geringsten  wirtschaftlichen  Dienste 
verrichten.  Sie  mußte  endlich,  um  sich  zu  kleiden,  Zeug  dazu 
wirken.  Bei  einem  Verwandten  der  Julie  haben  wir  Proben  von 
diesem  wollenen  Zeuge  in  Rot  und  Weiß  gesehen.  Diese  Dame 
kam  im  Jahre  1782  zvurück  und  lebte  in  Livland.  Als  Katharina  Ha 
im  Jahre  1764  in  Riga  war,  sprach  sie  mit  der  Freiin  von  Mengden, 
ließ  sich  ähnliche  Proben  des  Zeugs  zeigen  imd  verlangte  die  genauen 
Umstände  ihrer  Verbannung  zu  erfahren.  Nach  geendigter  Erzäh- 
lung rief  die  Monarchin  aus:  ,,Celä  fait  fremir!"  —  Dies  sagte 
Katharina  im  Jahre  1764,  und  zwar  in  der  nämlichen  Zeit,  in 
welcher  der  vormalige  Kaiser  Joan,  der  kleine  Zögling  der  Julie,  in 
Schlüsselburg,  nicht  ohne  Wissen  des  Hofs,  ermordet  wurde.  Juüe 
Mengden  starb  im  Anfange  der  achtziger  Jahre  in  Livland.  H. 
Wie  jetzt  bekannt  ist,  war  Juliane  Mengden  die  Geliebte  Annas: 
,,Wenn  sich  Juliane  Mengden  bei  der  Regentin  befindet,  wird  dem 
Gemahl  der  Eintritt  ins  Schlafgemach  und  ins  Ehebett  verweigert", 

^3* 


Ig6  45-  Johann  Hermann  L'Estocq. 

wandten  unglücklich  gemacht  hatte.  Übrigens  war 
diese  Gräfin  ein  vortreffhche  Frau  und  eine  treue  Ge- 
fährtin ihres  Gemahls.  An  dem  Tage,  an  welchem  er 
arretiert  wurde,  war  sie  eben  in  der  Kirche  und  zum 
Abendmahl.  Man  stelle  sich  ihr  Erstaunen  vor,  als  sie 
ihn  nicht  mehr  in  ihrem  Hause  fand.  Sie  folgte  ihm  in 
die  Festung,  um  ihn  nie  wieder  zu  verlassen. 

Als  sie  aus  Ustiug-Weliki  zurückkam,  und  Peter  III. 
aufwartete,  um  ihm  zu  danken,  sagte  sie  zu  ihm:  ,,Ew. 
Majestät  sind  immer  noch  der  liebenswürdige,  men- 
schenfreundliche Prinz,  der  Sie  waren.  Ihr  groß- 
mütiges Herz  vergibt  Ihren  Feinden,  aber  glauben 
Sie  mir,  Ihre  Güte  wird  Ihnen  gefährlich^)  werden. 
Es  wäre  wohl  nötig,  eine  Menge  Menschen,  die  als 
Ihre  Feinde  bekannt  sind,  hinrichten  zu  lassen."  — 
Ach,  Gräfin,"  fiel  der  Monarch  lachend  ihr  ins  Wort, 
haben  Sie  Mitleid  mit  diesen  armen  Leuten.  Bin  ich 
nicht  alles,  was  ich  zu  sein  wünschen  kann,  Kaiser  von 
Rußland?  SoU  ich  meine  Regierung  durch  Blutgerichte 
anfangen?  Wir  wollen  immer  diese  Leute  leben  lassen, 
die  ich  durch  Wohlthun  auf  bessere  Gedanken  bringen 
werde." 

Die  Gräfin  lebte,  wie  ihr  Gemahl,  in  der  Stille,  und 
kam  nie  an  den  Hof.  Nach  dem  Tode  des  Grafen  ging 
sie  nach  Livland,  woselbst  ihr  Katharina  II.  die  Ein- 
künfte von  dreißig  HaaJcen^)  auf  Lebenszeit  ange- 
wiesen hatte.  Dort  lebte  sie  noch  im  Jahre  1794. 

berichtet  Le  Chelardie  (Waliszewski,  L'heritage  de  Pierre  le  Grand, 
S.  313).  Graf  Lynar,  mit  dem  Juliane  angeblich  verlobt  war,  galt 
als  der  Geliebte  Annas  von  Bravmschweig  seit  deren  siebzehnten 
Jahr. 

^)  Leider  traif  die  Prophezeihung  der  Gräfin  L'Estocq,  daß  die 
Güte  des  Kaisers  ihm  selbst  gefährlich  werden  würde,  nur  zu  pünkt- 
lich ein.    H. 

^)  Der  Haken  Landes  in  Livland  wird  5000  Rubel  an  Wert 
gerechnet.    In  Estland  sollen  die  Haken  kleiner  sein.    H. 


45-  Johann  Hermann  L'Estocq.  197 

L'Estocq  hinterließ  keine  Kinder,  aber  er  hatte  zwei 
Brüder,  durch  die  er  eine  zahlreiche  Verwandtschaft 
bekam,  die  von  dem  Vermögen  des  Grafen  ungefähr 
zehntausend  Rubel  erhielt.  Das  übrige  fiel  an  seine  Ge- 
mahlin. 

Sein  ältester  Bruder,  Johann  Paul,  von  dem  wir 
nicht  wissen,  welches  Amt  er  bekleidet  hat,  scheint  in 
den  vierziger  Jahren  gestorben  zu  sein.  Er  hinterließ 
drei  Söhne,  Johann  Ludwig,  Königlich  Preußischen 
Kriegs-  und  Stadtrat  in  Königsberg;  August,  König- 
lich Polnischen  und  Kurfürstlich  Sächsischen  Obersten 
beim  Gouvernement  in  Dresden  und  Christian  Werner 
Theodor,  Kaiserlich  Russischen  Obersten. 

Der  jüngste  Bruder  des  Grafen  L'Estocq,  Ludwig, 
war  Oberstleutnant  in  Königlich  Preußischen  Diensten 
und  starb  im  Siebenjährigen  Kriege.  Er  hinterließ  einen 
Sohn,  Wilhelm,  Königlich  Preußischer  Leutnant  im 
Husarenregiment  Ziethen  und  eine  Tochter,  Anna 
Sophie  Hedwig.  Der  Leutnant  Wilhelm  L'Estocq 
vom  Regiment  Ziethen  ist  wahrscheinlich  der  näm- 
liche, der  sich,  als  preußischer  Husarengeneral,  im 
letzten  Kriege  rühmlichst  bekannt  gemacht  hat. 

Der  im  sächsischen  Dienst  verstorbene  Oberst 
L'Estocq  ist  vorzüglich  dadurch  merkwürdig,  daß  der 
in  der  neuesten  Geschichte  Polens  berühmt  gewordene 
General  Dombrowski^)  in  seinem  Hause  und  zum  Teil 
von  ihm  erzogen  worden  ist. 

^)  Dombrowski  fing  seine  militärische  Laufbahn  im  sächsischen 
Dienste  an,  in  welchem  auch  sein  Vater  war.  Zur  Zeit  der  wieder- 
holten Aufstände  in  Polen  ging  der  Sohn  in  polnische  Dienste.    H. 


ig8  46.  Schwarz. 

46.  Schwarz. 

Schwarz,  ein  Deutscher,  von  gemeiner  Abkunft,  war 
anfänghch  Musikus  in  Petersburg.  Seine  Kunst  mochte 
mittelmäßig  sein,  denn  sie  ernährte  ihn  nur  kärghch. 
Es  war  also  natürlich,  daß  er  sein  Glück  auf  andern 
Wegen  zu  machen  suchte.  Er  hatte  Gelegenheit,  eine 
Reise  nach  China  zu  unternehmen,  und  da  er  ein  Mann 
von  Kopf  war,  so  machte  er  diese  Reise  mit  großem 
Nutzen.  Nach  seiner  Zurückkunft  wurde  Schwarz  bei 
der  Akademie  der  Wissenschaften  mit  einem  Gehalt 
angestellt,  der  so  gering  war,  daß  er  nicht  davon  leben 
konnte. 

In  dieser  traurigen  Lage  öffneten  sich  ihm  fröh- 
lichere Aussichten.  Er  wurde  mit  L'Estocq  bekannt, 
der  ihn  als  einen  unternehmenden  Mann  zu  brauchen 
verstand.  L'Estocq  unterrichtete  ihn  im  allgemeinen 
von  dem  Empörungsplan  und  gab  ihm  das  Geschäft, 
Gardesoldaten  zur  Beförderung  der  bevorstehenden 
Thronbesteigung  der  Prinzessin  Ehsabeth  zu  gewinnen. 
Schwarz  benahm  sich  dabei  mit  ebenso  außerordent- 
licher Gewandtheit  als  entschlossenem  Mute  und  trug, 
nächst  L'Estocq  und  Woronzow,  durch  seine  uner- 
müdeten  Bemühungen  zu  dem  glücklichen  Ausgange 
der  Revolution  im  Jahre  1741  sehr  viel  bei.  Ehsabeth 
schenkte  ihm  dafür  ansehnliche  Besitzungen  und 
machte  ihn  zum  Obersten  in  der  Armee.  Dies  war  je- 
doch nur  ein  Titel,  denn  er  tat  nie  Mihtärdienste,  die 
er  auch  nicht  zu  leisten  gelernt  hatte. 

Schwarz  ging  auf  seine  Güter,  wo  er  immer  blieb. 
Hier  fand  er  auch  seinen  Tod,  der  allerdings  nicht 
ehrenvoll  war.  Ein  Landmädchen  erstach  ihn  mit  einer 
Heugabel,  als  er  sie  mit  Gewalt  zum  Beischlaf  zwingen 
wollte. 


4T.  Grünstein.  199 

47.  Grünstein. 

Die  Notwendigkeit  der  Bildung  der  Sitten  wird  dann 
erst  recht  auffallend,  wenn  der,  dem  sie  fehlt,  es  fühlen 
lernt,  daß  er  durch  diesen  Mangel  unglückhch  wird. 

Grünstein,  ein  Sachse  von  geringer  Herkunft,  war 
gemeiner  Gardesoldat  und  arbeitete  bei  seiner  Kom- 
pagnie, gemeinschaftlich  mit  Schwarz,  zum  Vorteil  der 
Prinzessin  Elisabeth.  Nach  der  Thronbesteigung  dieser 
Kaiserin  wurde  Grünstein  bei  der  neu  errichteten  Leib- 
Kompagnie^)  Adjutant  mit  Brigadiersrang.  Er  erhielt 
große  Besitzungen  und  ward  sehr  bald  Generalmajor. 
Grünstein  hatte  nicht  Verstand  und  noch  weniger 
Sitten  genug,  sich  seinem  Range  gemäß  zu  benehmen. 
Täglich  gab  er  Beweise,  daß  er  nur  zum  gemeinen  Sol- 
daten geboren  war,  der  durch  entehrende  militä- 
rische Disziphn  zurechtgeführt  werden  mußte.  Endlich 
sprach  er  sogar  an  öffentlichen  Orten  in  unanständigen 
Ausdrücken  von  der  Kaiserin  und  ihrem  Lieblinge.  Er 
wurde  arretiert,  bekam  die  Knute  und  wurde  nach 
Ustiug-Weliki  verwiesen. 

Im  Jahre  1762  kam  er  zurück  und  ging  auf  die  ihm 
schon  ehemals  gegebenen  Güter. 

Seine  übrigen  Schicksale  sind  uns  unbekannt. 

^)  Diese  Leibkompagnie  war  diejenige  Kompagnie  Garde- 
soldaten vom  Regiment  Preobratschensky,  durch  deren  gewaltsame 
Hilfe  Elisabeth  den  russischen  Thron  bestieg.  Diese  sämtlichen 
Soldaten  wurden  in  den  Adelsstand  erhoben  und  erhielten  Offiziers- 
rang, blieben  aber  bei  der  Leibkompagnie  gemeine  Soldaten.  Die 
Offiziere  waren  Männer  vom  ersten  Rang.  Elisabeth  selbst  erklärte 
sich  zum  Chef.  Diese  Leute  hielten  sich  für  das  große  Werk  der 
Revolution  berechtigt,  die  größten  Ausschweifungen  zu  begehen. 
Sie  lebten  zügellos.  Peter  IIL  schaffte  sie  deswegen  ab.  Katha- 
rina IL  stellte  sie  unter  dem  Namen  der  Chevaliersgarde  wieder 
her.  Paul  I.  gab  ihnen  eine  kostbare  Uniform  von  silbernen  Har- 
nischen und  eine  Verfassung,  die  sie  wohl  noch  haben.  Die  Ge- 
meinen sind  gewöhnlich  Leute  von  sehr  guten  •Familien.    H. 


200  4^.  Alexej  Rasumowsky  I. 

48.  Alexej  Rasumowsky  I. 

Unsere  Leser  werden  am  Schlüsse  dieses  Buches  die 
Bemerkung  machen,  daß  es  unter  keiner  Begierung  in 
Rußland  so  viel  gemeine  und  so  ganz  verworfene 
Günsthnge,  die  schlechterdings  auf  keinen  Vorzug  der 
Seele  Anspruch  machen  konnten,  gegeben  hat,  als 
unter  der  Kaiserin  Elisabeth.  Am  Hofe  dieser  Prin- 
zessin wimmelte  es  von  Bauern,  Stallknechten,  Kut- 
schern, Soldaten  und  Bedienten,  die  zwar,  weil  sie 
Selbstgefühl  hatten,  sich  wegen  ihrer  eingeschränkten 
Fähigkeiten  nicht  in  Staatsämtern  anstellen  ließen,  aber 
doch  ansehnHche  Hofchargen  bekleideten,  Ordens- 
bänder bekamen  und  vorzüglich,  ganz  unverdienter- 
weise, die  ungeheuersten  Reichtümer  erhielten. 

Alexis  Rasumowsky!)  war  der  Sohn  eines  Bauern 
aus  der  Ukraine.  Wegen  seiner  schönen  Stimme  wurde 
er  als  Sänger  in  der  Kirche  einer  kleinen  Stadt  ange- 
nommen. Ein  Oberster  Wischnowsky  nahm  ihn  von 
dort  weg  und  in  seine  Dienste.  Er  empfahl  ihn  hierauf 
dem  Oberhof marschall,  Grafen  von  Löwenwolde,  ^)  der 
ihm  einen  Platz  unter  den  kaiserlichen  Sängern  gab. 

Hier  sah  ihn  die  Prinzessin  Elisabeth  und  wurde  von 
seiner  schönen  Gestalt  eingenommen. 

Obgleich  damals  Schubin  ihr  Günstling,  und  zwar 
der  gefürchtete  Günstling  war,  so  machte  doch  Elisa- 
beth schon  Anschläge  auf  den  aufblühenden  Rasu- 
mowsky. Unter  dem  Vorwand,  daß  dessen  musikali- 
sches Talent  ihr  sehr  gefalle,  bat  sie  den  Grafen  Löwen- 
wolde, ihr  diesen  jungen  Menschen  zu  überlassen. 

^)  Geboren  1709  im  Dorfe  Lemeschi,  Gouvernement  Tschemigow. 

')  Unbegreiflich  ist  es,  daß  Alexej  nichts  tat,  um  den  Grafen 
Löwenwolde,  der  so  viel  für  ihn  getan  hatte,  zu  retten.  Wenn  ihm 
nicht  die  Hände  sehr  gebunden  waren,  so  zeigt  dieses  Benehmen 
wenigstens  die  tadelnswürdigste  Unempfindlichkeit.    H. 


Alexej   Gregorowitsch  Rasumowsky 


48.  Alexej  Rasumowsky  I.  201 

Alexis  wurde  nun  zuerst  Sänger,  und  als  seine  schöne 
Stimme  sich  zu  verlieren  anfing,  Pandorist  bei  der 
Prinzessin  Elisabeth.  Ungefähr  um  diese  Zeit  wurde 
Schubin  auf  Befehl  der  Kaiserin  Anna  nach  Sibirien 
geschickt.  Seine  Stelle  bei  Elisabeth  war  also  erledigt. 

Frau  von  Ismailow,  eine  Freundin  der  Prinzessin, 
wurde  veranlaßt,  dem  jungen  Rasumowsky  Anträge 
zu  machen,  die  angenommen  wurden.  Er  erschien  nun 
unter  den  Hausoffizianten  der  Elisabeth  und  wurde 
bald  als  ihr  erklärter  Liebhng  bekannt.  Sie  avancierte 
ihn  so  gut  sie  konnte  und  machte  ihn  bald  zum  Ober- 
aufseher ihres  ganzen  Hauses.  Nach  dem  Tode  der 
Kaiserin  Anna  ernannte  ihn  Elisabeth,  die  sich  damals 
schon  mehr  Freiheiten  erlaubte,  kurz  vor  ihrer  Thron- 
besteigung zu  ihrem  Kammmerjunker. 

Ehe  er  noch  diese  Stelle  erhielt,  ehrte  ihn  schon  der 
kleine  Hof  dieser  Prinzessin  als  den  geheimen  Gemahl 
seiner  Gebieterin. 

Der  Kaiserin  Anna  blieb  das  alles  nicht  verborgen. 
Da  sie  aber  sah,  daß  Rasumowsky  sein  Glück  mit  Be- 
scheidenheit und  Mäßigung  genoß,  und  da  sie  überdies 
immer  noch  hoffte,  durch  irgendeine  Heirat  die  Prin- 
zessin, die  als  eine  Tochter  Peter  I.,  ihr  sehr  unbequem 
war,  ganz  entfernen  zu  können,  so  glaubte  sie,  der 
Empfindlichkeit  der  Elisabeth  schonen  zu  müssen  und 
störte  daher  die  Liebesverhältnisse  derselben  nicht 
mehr. 

Sobald  diese  Prinzessin  den  Thron  bestiegen  hatte, 
setzte  sie  in  ihrem  Umgange  mit  Rasumowsky  allen 
Zwang  und  sogar  allen  Anstand  aus  den  Augen. 
Sie  lebte  fast  öffentlich  mit  ihm,  als  mit  einem  Ge- 
mahl. Seine  Zimmer  waren  zunächst  an  den  ihrigen, 
und  alle  Kammerleute  waren  Zeugen,  daß  die  Kaiserin 
und  Alexis  alle  Morgen  sich  unangekleidet  besuchten. 


202  4^'  Alexe j  Rasumowsky  I. 

Ein  so  vertrauter  Umgang  hatte  auch  für  Rasu- 
mowsky einen  höhern  Rang  notwendig  gemacht.  An 
ihrem  ersten  Regierungstage  ernannte  ihn  die  Kaiserin 
zum  Kammerherrn.  Am  Krönungstage  dieser  Mon- 
archin wurde  er  Ober  Jägermeister,  russischer  Graf  und 
Ritter  des  Andreas-Ordens.  Endlich  erhielt  er  den  Rang 
eines  Generalfeldmarschalls. 

Die  Reichtümer,  die  er  nach  und  nach  bekam,  waren 
unermeßlich. 

Die  Freunde  des  Grafen  Rasumowsky,  die  immer  für 
ihn  denken  mußten,  fanden  es  für  die  Erhaltung  ihres 
gemeinschaftlichen  Vorteils  notwendig,  daß  Ehsabeth 
und  Alexej  durch  priesterliche  Einsegnung  ehehch  ver- 
bunden würden.  Sie  sahen  voraus,  daß  bei  der  Kaiserin 
Überdruß  an  die  Stelle  der  Liebe  treten  würde,  und 
wollten  wenigstens  die  Verhältnisse  durch  das  Band 
der  Ehe  so  fest  knüpfen,  daß  keine  förmliche  Trennung 
und  der  notwendig  damit  verbundene  Verlust  großer 
Vorteile  daraus  entstehen  könnte. 

Rasumowsky  mußte  nun  die  Geistlichen,  die  immer 
um  die  Person  der  Kaiserin  waren,  zu  gewinnen  suchen. 
Dies  geschah  mit  leichter  Mühe.  Die  Popen  machten 
eine  Gewissenssache  daraus,  stellten  der  Monarchin 
ihren  Umgang  mit  Rasumowsky,  der  ganz  das  Ansehen 
einer  Ehe  hätte,  als  strafbar  vor,  und  gaben  die  ehe- 
liche Verbindung  als  das  einzige  Mittel  an,  den  Himmel 
für  diese  Sünde  zu  versöhnen. 

Man  wußte  wohl,  mit  wem  man  zu  tun  hatte. 

Die  schwache  Elisabeth,  die  nicht  imstande  war, 
ihre  eigenen  Sünden  zu  beurteilen,  wilhgte  ein  und 
ließ  sich  insgeheim  mit  Alexis  trauen. 

Was  die  Freunde  des  geheimen  Kaisers  voraus- 
gesehen hatten,  erfolgte  im  Anfange  der  fünfziger 
Jahre. 


48.  Alexej  Rasumowsky  I.  203 

Rasumowsky  verlor  durch  die  größere  Schönheit  des 
jungen  Schuwalow  seine  ObHegenheiten  als  Liebling, 
konnte  aber  als  Gatte  nicht  entfernt  werden.  Er  wurde 
fortdauernd  und  bis  an  den  Tod  der  Kaiserin  mit  der 
nämlichen  Auszeichnung  und  Ehrfurcht  behandelt. 

Nach  dem  Ableben  der  Monarchin  1762  bezog  er  das 
Anitzschkowsche  Palais,^)  das  für  ihn  erbaut  worden 
war.  Da  er  auf  die  Gewogenheit  des  neuen  Regenten 
Peter  III.  sich  nicht  verlassen  zu  können  glaubte,  ob 
sie  gleich,  allgemein  genommen,  auf  einem  guten  Fuß 
zusammen  gestanden  hatten,  so  schenkte  er  demselben, 
nach  russischem  Gebrauch,  2)  beim  Einziehen  in  das 
neue  KaiserHche  Winterpalais  einen  vorzüghch  schönen 
Stock  und  eine  Million  Rubel.  Wenige  Monate  nachher 
erfolgte  die  Thronentsetzung  dieses  Monarchen. 

Unter  der  folgenden  Regierung  lebte  Rasumowsky 
noch  verschiedene  Jahre,  geehrt  und  geschätzt  von 
allen,  die  ihn  kannten.  Er  sah  den  Hof  selten,  ohne  ihn 
ängstlich  zu  vermeiden,  und  sah  es  im  Gegenteil  gern, 
wenn  die  Höfhnge  und  die  gute  Gesellschaft  von  Pe- 
tersburg sich  mn  ihn  her  versammelten.  Selbst  die 
Kaiserin  besuchte  ihn  zuweilen. 

Wir  glauben  gehört  zu  haben,  daß  Graf  Alexis  Rasu- 
mowsky in  den  siebziger  Jahren  starb.  ^) 

Personen,  die  ihn  kannten,  sagen,  daß  er  ein  sehr 

^)  Das  Anitzschkowsche  Palais  ist  noch  einer  der  prächtigsten 
Paläste  in  Petersburg.  Er  ist  nach  den  Rissen  des  Grafen  Rastrelli 
gebaut,  von  dem  soviele  Paläste  der  damaligen  Zeit  in  dieser  Resi- 
denz sind.  Selbst  das  kaiserliche  Winterpalais  ist  von  ihm.  Den 
Namen  Anitzschkow  hat  das  Palais  von  der  dabei  befindlichen 
Brücke,  die  von  dem  ersten  Polizeiaufseher  in  diesem  Viertel  der 
Stadt  so  genannt  wurde.    H. 

^)  Wenn  man  in  Rußland  ein  neues  Haus  bezieht,  so  kommen 
die  Freunde  der  Familie  und  bringen  ein  Geschenk,  das  Salz  und 
Brot  genannt  wird.    H. 

^)  Er  starb  am  i8.  Juni  1771. 


204  4^-  Alexej  Rasumowsky  I. 

schöner,  sehr  ehrlicher  und  sehr  wohltuender  Mann, 
aber  ein  eingeschränkter  Kopf  war.  In  Geschäften 
wurde  er  nie  gebraucht,  weil  ihn  Ehsabeth  schonen 
wollte  und  sogar  deswegen  einen  Befehl  gegeben  hatte, 
daß  niemand  sich  unterstehen  sollte,  Bitten  oder  Vor- 
träge an  ihn  gelangen  zu  lassen. 

Nach  dem  Tode  der  Kaiserin  Elisabeth  hatte  er  sich 
nicht  wieder  verheiratet. 

Man  behauptet,  1)  Elisabeth  hätte  acht  Kinder  ge- 
habt, worunter  auch  die  sämtlichen  Geschwister  Sak- 
rewsky  zu  rechnen  wären;  allein  Personen,  die  es 
wissen  konnten,  versicherten  wenigstens,  daß  nur  der 
Geheime  Rat  und  Präsident  des  medizinischen  Kolle- 
giums, Sakrewsky,  ein  Sohn  der  Kaiserin  Ehsabeth 
und  des  Grafen  Rasumowsky  war.  2) 

Er  hatte,  so  viel  wir  wissen,  drei  Töchter,  von  denen 
eine  den  General  Paul  Potemkin  heiratete.  Zwei  waren 
in  den  neunziger  Jahren  noch  unverheiratet,  und  beide 
nicht  so  schön  als  ihre  älteste  Schwester.  Sakrewsky 
scheint  am  Ende  der  neunziger  Jahre  gestorben  zu 
sein. 

Wahrscheinlich  waren  mit  der  Erhebung  des  Grafen 
Alexej  Rasumowsky  mehrere  dieses  Namens  nach  Pe- 
tersburg gekommen.  Es  gab  zwei  Fräulein  Rasumows- 
ky, von  denen  eine  den  Brigadier  Dedenow  geheiratet 
hatte,  einen  Mann  von  höchst  bizarren  und  für  die  Ge- 

^)  Duclos  sagt  in  seinen  ,,M6moires  secrets  sur  la  France",  bei 
der  Gelegenheit,  da  er  vom  russischen  Hofe  spricht:  „Elisabeth 
a  eu  huit  enfans  naturelsdont  aucun  n'a  et6  reconnu,  et  qu'une 
de  ses  favorites,  italienne,  nommee  Jouanna  prenoit  sur  son  compte." 
Soviel  wir  wissen,  hatte  sie  nur  zwei  Kinder,  einen  Sohn  von  Rasu- 
mowsky und  eine  Tochter  von  Schuwalow,  von  der  noch  mehr 
gesagt  werden  wird.    H. 

*)  Nach  den  neuesten  Forschungen  scheint  es  zweifelhaft,  daß 
der  Ehe  Elisabeths  mit  Rasumowsky  Kinder  entsprossen  sind. 
(Brückner,  Katharina  II.,  S.  308.) 


Kirill  Gregorowitsch  Rasumowsky 


4g.  Kyrüla  Rasumowsky  II.  205 

Seilschaft  ganz  unbrauchbaren  Charakter.  Wir  wissen 
nicht,  in  welchem  Grade  sie  mit  dem  Grafen  Alexis 
Rasumowsky  verwandt  waren. 


49.  Kyrilla  Rasumowsky  II. 

Cyrillus  oder  Kyrilla  Rasumowsky, i)  war  der  jün- 
gere Bruder  des  Grafen  Alexej  Rasumowsky,  des  Lieb- 
lings und  Gemahls  der  Kaiserin  Ehsabeth  von  Ruß- 
land. 

Nach  der  Thronbesteigung  dieser  Monarchin  wurde 
er  mit  seiner  Mutter  nach  Petersburg  geholt. 

Die  Mutter  bheb  am  Hofe  und  die  Kaiserin  begegnete 
ihr  mit  der  größten  Ehrfurcht.  Da  diese  Frau  nicht  für 
den  Platz  gemacht  war,  auf  welchen  man  sie  stellte, 
so  entstanden  daraus  verschiedene  lächerliche  Szenen, 
die  für  Elisabeth  sehr  beschämend  waren. 

Der  junge  Kyrilla  wurde  mit  seinem  Hofmeister 
nach  Berlin  geschickt,  woselbst  er  einige  Jahre  blieb, 
und  von  dem  berühmten  Euler 2)  so  gut  erzogen  wurde, 
als  es  ohne  Anstrengung  mögUch  war. 

Für  die  Akademie  der  Wissenschaften  war  es  wohl 
kein  feiner  Lobspruch,  daß  man  diesen  jungen  Men- 
schen, als  er  von  Berlin  zurückkam,  zum  Präsidenten 
dieser  Versammlung  gelehrter  Männer  ernannte. 

Bald  nachher  machte  ihn  die  Kaiserin,  im  neun- 
zehnten Jahre  seines  Alters,  zum  Hettmann  der  Ko- 

1)  Kyrill  Grigorjewitsch  wurde  am  29.  März  1728  geboren. 

2)  Der  berühmte  Mathematiker  Leonhard  Euler  (1707 — 1783), 
ein  Baseler,  wirkte  erst  als  Professor  der  Physik  in  Petersburg, 
folgte  1741  einem  Rufe  Friedrichs  des  Großen  an  die  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften.  Er  kehrte  1766  nach  Petersburg 
zurück,  wo  er  als  Direktor  der  mathematischen  Klasse  der  Kaiser- 
lichen Akademie  starb. 


206  49-  Kyrilla  Rasumowsky  II. 

saken;  eine  Stelle,  die  ihm  den  Rang  über  alle  Hof- 
leute gab,  und  mit  sehr  großen  Einkünften  verbunden 
war.  Auch  ernannte  ihn  Elisabeth  zum  Oberstleutnant 
des  Ismailowschen  Garderegiments. 

Mit  dem  Nachfolger  dieser  Fürstin  schien  er  nur  an- 
fänglich gut  zu  stehen,  trat  aber  bald  ganz  auf  die 
Seite  der  Kaiserin.  Hierzu  wurde  er  durch  Personen 
gebracht,  auf  deren  Redlichkeit  er  sich  verlassen  zu 
können  glaubte;  unter  andern  durch  Teplow. 

Sein  Regiment  war  es  hauptsächlich,  das  den  glück- 
lichen Ausgang  der  Revolution  von  1762  entschied. 
So  groß  der  Dienst  war,  den  Rasumowsky  dadurch  der 
Kaiserin  leistete,  so  schien  sie  doch  ihre  Verbindlich- 
keit vergessen  zu  haben.  Sie  zog  die  Hettmannsstelle 
ein,  machte  ihn  zum  Feldmarschall,  das  ein  geringerer 
Grad  im  Range  war,  und  gab  ihm  dafür  eine  jähr- 
liche Pension  von  zweiundsiebzigtausend  Rubel;  eine 
Summe,  die  den  vorigen  Einkünften  bei  weitem  nicht 
beikam. 

Er  war  zwar  Feldmarschall  geworden,  aber  er  war 
nichts  weniger  als  Militär. 

Einst  kam  er  nach  Berlin  und  Friedrich  IL  fragte 
ihn:  ,,ob  er  schon  eine  Armee  kommandiert  habe?" 
,,Nein",  antwortete  er  scherzend,  „ich  bin  nur  ein 
Zivilgeneral."  —  „Ah",  rief  der  König  lachend,  „das 
kennen  wir  hier  nicht!"  —  Wirkhch  hatte  er  auch  nie 
eine  Armee  oder  auch  nur  ein  kleines  Korps  komman- 
diert. Aber  es  stand  demungeachtet  eine  Division  von 
einigen  Regimentern,  eine  der  kleinsten  von  allen, 
unter  seinen  Befehlen. 

Als  sein  Bruder  starb,  erbte  er  größtenteils  dessen 
großes  Vermögen  und  wurde  dadurch  unermeßlich 
reich.  Seine  Einkünfte  beliefen  sich  weit  über  dreimal- 
hunderttausend  Rubel.  Man  kann  aber  auch  sagen. 


4g.  Kyrilla  Rasumowsky  II.  207 

daß  er  einen  schönen  Aufwand  machte.  Er  hatte  an 
der  Moika  in  Petersburg  einen  der  prächtigsten  und 
weitläufigsten  Paläste  der  Stadt.  Hier  wohnte  und 
lebte  er  ganz  mit  dem  Anstände  eines  großen  Herrn. 
Man  rechnete,  daß  er  in  diesem  Hause  in  der  Stadt 
über  zweihundert  Personen  in  seinem  Dienste  hatte. 
Er  gab  große  Feste,  hatte  oft  zahlreiche  Versammlun- 
gen und  täglich  Gesellschaft  bei  sich.  Man  wurde  durch 
das  gute,  treuherzige  und  edle  Benehmen  des  Feld- 
marschalls, durch  seine  verdienstvollen  Söhne  und 
durch  seine  Töchter,  die  Verstand  mit  Liebenswürdig- 
keit verbanden,  dahin  gezogen. 

Der  Fürst  Potemkin  hätte  es  gern  gesehen,  wenn  der 
Graf  Rasumowsky,  der  im  Range  über  ihm  war,  seine 
Entlassung  verlangt  hätte.  Aber  dieser  erzeigte  ihm 
nicht  die  Gefälligkeit.  Erst  nach  des  Fürsten  Tode,  in 
der  Mitte  der  neunziger  Jahre,  bat  er  um  seinen  Ab- 
schied. Katharina  H.  verweigerte  ihm  denselben  und 
gab  ihm  nur  einen  Urlaub  auf  zwei  Jahre.  Er  ging  nach 
Moskau  und  war  noch  da,  als  die  Kaiserin  starb. 

Paul  I.  bestätigte  ihn  ebenfalls  in  allen  seinen  hohen 
Würden. 

Endlich  starb  er  im  Anfange  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts in  ziemlich  hohem  Alter. i) 

Graf  Kyrilla  Rasumowsky  war  damals  Generalfeld- 
marschall, Mitglied  des  hohen  Konseils,  Generaladju- 
tant, Senator,  Präsident  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften zu  St.  Petersburg,  Wirklicher  Kammerherr, 
Oberstleutnant  der  Ismailowschen  Garde  und  Ritter 
des  Andreas-,  des  weißen  Adler-,  des  Alexander- 
Newsky-  und  des  Annen-Ordens. 

Er  hatte  keinen  glänzenden  aber  einen  sehr  richtigen 
Verstand  und  war  nicht  ohne  Kenntnisse.  Deutsch  und 

^)  Am  21.  Januar  1803. 


2o8  4g.  Kyrüla  Rasumowsky  II. 

Französisch  sprach  er  recht  gut.  Den  Mangel  großer 
Talente  ersetzte  er  durch  Patriotismus,  Rechtschaffen- 
heit und  Wohltätigkeit ;  Eigenschaften,  die  er  in  einem 
hohen  Grade  besaß  und  durch  welche  er  sich  allge- 
meine Verehrung  erwarb. 

Die  Gräfin  Rasumowsky  war  aus  einer  vornehmen 
russischen  Famihe,  deren  Namen  wir  nicht  mehr 
wissen.  Wir  glauben,  sie  war  eine  Schwester  der  Ober- 
stallmeisterin, Maria  Osipowna  Narischkin.-^) 

Unter  seinen  Kindern,  deren  er  sehr  viele  hatte, 
haben  uns  besonders  drei  Söhne  und  zwei  Töchter 
merkwürdig ,  geschienen. 

Andreas,  2)  ein  Mann  von  großer  Feinheit  und  durch- 
dringendem Verstand,  war  Gesandter  in  Neapel  und 
Stockholm  und  Ambassadeur  in  Wien.  Er  hat  sich 
durch  seine  Galanterien  mit  der  Königin  Maria  Karo- 
line von  Neapel  und  mit  der  Großfürstin  Nataha  Alex- 
jewna,  ersten  Gemahlin  Pauls  L,  bekaimt  gemacht. 

Alexis,  oder  vielleicht  hieß  er  Gregor,  war  Geheimer 
Rat  und  Senator  und  nahm  seinen  Abschied,  um  sich 
nur  den  Wissenschaften  zu  widmen.  Er  ist  vielleicht 
einer  der  gelehrtesten  Russen,  und  würde  in  jeder  Aka- 
demie der  Wissenschaften  für  einen  der  ersten  Ge- 
lehrten gelten.^) 

Peter  war  General  und  ist  es  vielleicht  noch.  Im 
Kriege  gegen  Schweden  zeichnete  er  sich  sehr  rühm- 
lich aus.*) 

^)  Ihr  Gemahl  war  Lew  Alexandrowitsch  Narischkin.  Die  beiden 
mit  hohen  Hofchargen  bekleideten  Männer,  Alexander  Levowitsch 
und  Dmitrej  Levowitsch,  sind  Söhne  aus  dieser  Ehe.    H. 

^)  Geboren  am  2.  November  1752.  Er  starb  am  23.  September 
1836.  Unsterblich  wurde  er  dadurch,  daß  ihm  Beethoven  mehrere 
seiner  Werke,  so  das  Quartett,  Op.  59,  widmete. 

^)  Alexis,  geboren  1748,  starb  im  Jahre  1822. 

*)  Peter  starb  1837.  Mit  ihm  erlosch  die  russische  Linie  der 
Rasumowsky. 


30.  Schubin.  209 

Die  eine  Tochter  heiratete  einen  Apraxin  und  lebte 
in  Moskau.  _' 

Eine  andere  Tochter,  Nataha,  ist  durch  ihren  Ver- 
stand, ihren  Witz  und  ihre  große  Liebenswürdigkeit 
bekannt.  Sie  ist  die  Gemahhn  des  Oberschenken,  Kam- 
merherrn und  Ritter  des  Alexander-Newsky-  und 
Annen-Ordens,  Sagraiskoy;  ein  Name,  den  man  nicht 
mit  Sakrewsky  verwechseln  muß.  Sagraiskoy  ist  ein 
sehr  verehrungswürdiger  Mann,  durch  seine  Kennt- 
nisse sowohl,  als  durch  seinen  Charakter. 


50.  Schubin. 

Der  Wert  der  körperlichen  Schönheit  kann  nie  mit 
den  Vorzügen  des  Geistes  gemessen  werden.  Diese  sind 
vielfach  und  bleibend;  jene  hingegen  ist  den  Ein- 
drücken der  Zeit,  der  Krankheiten  und  des  Kummers 
unterworfen  und  gewährt  alsdann,  durch  diese  Zufälle 
vernichtet,  nicht  den  geringsten  Vorteil  mehr. 

Schubin,  ein  gemeiner  Russe,  fing  seine  Kriegs- 
dienste unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Katharina  I. 
auf  der  untersten  Stufe  an. 

Er  war  es,  der  Elisabeth  zuerst  die  Liebe  lehrte,  als 
diese  Prinzessin  noch  nicht  das  siebzehnte  Jahr  er- 
reicht hatte. 

Diese  Verbindung,  die  im  Jahre  1726  im  sogenannten 
Sommergcirten  in  Petersburg  entstand,  mußte,  so- 
lange die  Kaiserin  lebte,  sehr  geheim  gehaten  werden. 

Nach  dem  Tode  der  Mutter  (1727)  erhielt  Ehsabeth 
mehr  Freiheit,  aber  ihr  Wirkungskreis  wurde  noch 
enger. 

Ihr  Ansehen  unter  der  Regierung  Peters  IL  war  so 

Russische  Gunstlmgo.  ZA 


310  50-  Schubin. 

schwach,  daß,  ungeachtet  ihrer  Fürsprache,  Schubin 
doch  nicht  höher  als  bis  zur  Stelle  eines  Sergeanten 
kommen  konnte.  Die  Lebensweise  einer  Prinzessin 
kann  selten  lange  ein  Geheimnis  bleiben,  und  so  mußte 
die  der  EHsabeth,  die  wegen  Schubins  unhöflichen! 
Betragen  gegen  die  Prinzessin  nicht  ganz  unbekannt 
bheb,  ebenfalls  zu  den  Ohren  der  Kaiserin  Anna,  der 
Nachfolgerin  Peters  II.,  kommen.^) 

Diese  Fürstin,  zwar  wollüstig,  aber,  wie  Friedrich  II. 
sehr  richtig  bemerkt,  ohne  Ausschweifung,  beschloß 
sogleich,  ihr  Ansehen  zur  Auflösung  eines  Bandes  an- 
zuwenden, das  in  so  ungleichen  Verhältnissen  geknüpft 
worden  war. 

Ein  Zufall  verschob  die  Ausführung  dieses  Ent- 
schlusses, bis  neue  Szenen  der  Übereilung  der  Kaiserin 
bekannt  wurden  und  ihren  Willen  bestimmten. 

Schubin  wurde  ohne  alle  Vorbereitung  nach  Si- 
birien gebracht,  wo  er  in  einem  unterirdischen  Ge- 
fängnis schmachtete,  bis  ihn  EHsabeth,  als  Kaiserin, 
befreite. 

Diese  Fürstin  bestieg  den  Thron  in  der  Nacht  vom 
24.  zum  25.  November  1741  und  schon  früh  um  5  Uhr 
schickte  sie  einen  Kurier  nach  Sibirien  und  versprach 
ihm  große  Belohnungen,  wenn  er  Schubin  entdecken 
könnte.  Dies  zu  bewerkstelligen  war  wirklich  schwer. 

Schubin  hatte,  wie  alle  Verwiesenen,  vor  seiner  Ab- 
reise seinen  Namen  verändern  und  schwören  müssen, 
ihn  nie  zu  entdecken.  Sein  wahrer  Name  war  dann 
vergessen  und  hingegen  der  angenommene  bei  der  ge- 
heimen Kanzlei  eingeschrieben  worden.  Niemand 
konnte  also  darüber  Auskunft  geben  als  Schubin  selbst. 

*  Anna  Iwanowna  (1693 — 1740)  regierte  als  Kaiserin  von  1730. 
Sie  war  die  zweite  Tochter  des  älteren  Halbbruders  Peters  des 
Großen. 


^o.  Schubin.  211 

Der  Kurier,  der  mit  dem  Auftrage,  ihn  zu  ent- 
decken, abgefertigt  wurde,  durchsuchte  in  dem  Unge- 
heuern Sibirien  alle  Gefängnisse,  fragte  alle  Verwie- 
senen, wie  sie  hießen,  und  fand  ihn  nicht,  weil  er  unge- 
schickt genug  gewesen  war,  nicht  zu  sagen,  wer  ihn 
schicke  und  wer  damals  Rußland  beherrschte. 

Endhch,  nachdem  er  beinahe  zwei  Jahre  vergebens 
gesucht  hatte  und  schon  auf  der  Rückreise  begriffen 
war,  kam  er  zum  zweitenmal  in  ein  Gefängnis,  fragte 
wieder  nach,  und  rief  endlich  voUer  Unmut  aus:  ,,was 
wird  unsre  Kaiserin  Elisabeth  Petrowna  sagen,  wenn 
ich  ihr  nicht  Schubin  bringe!"  „Was?"  schrie  einer 
der  Gefangenen,  ,,ist  Elisabeth  Kaiserin,  so  bin  ich 
Schubin."  So  gelangte  dann  dieser  Unglückhche  wie- 
der zum  Genuß  sines  freien  Lebens. 

Schubin  trat  nun  die  Rückreise  aus  Sibirien  an  und 
kam  im  Sommer  des  Jahres  1743  nach  Petersburg.  Er 
wurde  sogleich,  ein  unerhörtes  Avancement,  vom  Ser- 
geanten, Major  von  der  Garde,  Generalmajor  und 
Ritter  des  Alexander-Newsky-Ordens. 

Die  ehemalige  Verbindung  der  Elisabeth  mit  Schu- 
bin schien  dem  neuen  Liebling  gefährlich.  Alexis  Rasu- 
mowsky  wünschte  daher  dessen  Entfernung.  Dieser 
Wunsch  stimmte  mit  Schubins  Neigung  zum  Privat- 
leben überein.  Er  war  nicht  für  den  Hof  gemacht,  und 
der  Hof  nicht  für  ihn.  Ehsabeth  hatte  ihm  beträcht- 
liche Güter  in  Rußland  geschenkt.  Er  nahm  nun  seinen 
Abschied  als  Generalleutnant,  begab  sich  dahin  und 
ging  nie  von  dort  weg.  Hier  lebte  er  noch  im  Jahre 
1749. 

Personen,  die  Schubin  bei  Hofe  sahen,  als  er  aus 
Sibirien  kam,  versicherten,  er  habe  blaß  und  vom 
Kummer  entstellt  ausgesehen,  doch  habe  man  Spuren 
seiner  vorigen  Schönheit  entdecken  können.  Daß  er 

14* 


212  5-f-  Berger. 

ganz  bäurisch  in  seinen  Sitten  sein  mußte,  ließ  sich 
leicht  erwarten  und  man  konnte  es  im  ersten  Augen- 
bhcke  nach  seiner  Zurückkunft  bemerken.  Es  währte 
aber  auch  nicht  lange,  so  sah  man  deuthch,  daß  er 
nicht  die  geringsten  Fähigkeiten  zu  irgendeinem  Ge- 
schäfte von  einiger  Erhebhchkeit  hatte.  Der  Zug,  daß 
er  erst  auf  wiederholtes  Nachfragen  des  Kuriers  in 
Sibirien  sich  entdeckte,  zeigt  deutlich,  daß  er  ein 
höchst  eingeschränkter  Kopf  war. 


51.  Berger. 

Der  Name  des  Mannes,  von  dem  dieser  Artikel  han- 
delt, ist  fast  das  einzige,  was  wir  von  seinem  Leben 
wissen.  Aber  dieser  Mann  veranlaßt  uns,  eine  der 
fürchterlichsten  Greuelszenen  aus  der  Regierung  der 
Kaiserin  Ehsabeth  zu  erzählen.  Wenn  man  nun  weiß, 
daß  er  der  Stifter  dieses  Unglücks  war,  so  entbehrt 
man  gern  alle  übrigen  genauen  Lebensumstände  von 
ihm.  Bosheit  war  wahrscheinhch  die  Grundlage  seines 
Charakters  und  der  Hebel  seiner  Handlungen.  Man 
könnte  vielleicht  an  die  Stelle  dieser  schädlichen  Eigen- 
schaft Unbesonnenheit  und  Schwäche  des  Verstandes 
setzen,  aber  wie  traurig  ist  es,  seine  Handlungen  durch 
solche  Fehler  entschuldigen  zu  müssen. 

Berger  war  ein  Kurländer,  von  der  gemeinsten  Ab- 
kunft. Er  ging  nach  Rußland,  wo  damals  Biron  unter 
dem  Namen  der  Anna  regierte.  Hier  nahm  er  Mihtär- 
dienste,  und  durch  Empfehlung  wurde  er  Offizier  in 
einem  Feldregimente. 

Im  Jahre  1743  bestimmte  man  ihn,  nach  Jaroslawl, 
dem  Verbannungsorte   des   Grafen   Löwenwolde   zu 


51.  Berger.  213 

gehen,  um  die  Wache  bei  diesem  vornehmen  Gefan- 
genen, die  bis  jetzt  ein  andrer  Offizier,  Namens  Soli- 
kamski,  ein  gemeiner  Mensch  ohne  Famihennamen 
aus  der  Stadt  Sohkamsk,  im  Kasanschen  Gouverne- 
ment, gehabt  hatte,  zu  übernehmen. 

Das  Kommando  war  allerdings  langweihg,  großer 
Verantwortung  unterworfen  und  in  jedem  Betracht 
unangenehm.  Berger  wollte  es  gern  ablehnen,  aber  es 
fehJte  ihm  an  Vorwand.  Endlich  führte  der  Zufall  einen 
herbei,  den  er  auf  die  fürchterlichste  Art  benutzte. 

Die  Staatsdame  Lapuchin,^)  Gemahhn  des  General 
leutnants  und  Kammerherrn,  hatte  gehört,  daß  ein 
Leutnant  Berger  die  Wache  bei  dem  Grafen  Löwen- 
wolde  haben  sollte ;  sie  trug  also  ihrem  Sohne,  der  unter 
dem  Kaiser  Joan  Kammerjunker  gewesen,  jetzt  aber 
nichts  war,  auf,  die  Bekanntschaft  des  Leutnants  Ber- 
ger zu  suchen  und  ihm  aufzutragen,  er  möchte  den 
Grafen  Löwenwolde  ihres  beständigen  Andenkens  ver- 
sichern und  ihn  in  ihrem  Namen  bitten,  er  möchte  ja 
nicht  verzagen,  sondern  auf  bessere  Zeiten  hoffen. 

Dieser  unschuldigen  Äußerung  des  Trostes,  den  die 
Freundin  dem  leidenden  Freunde  gab,  und  die  sich 
auf  nichts  gründete,  wurde  eine  Auslegung  gegeben,  die 
nur  Bosheit  erfinden  und  Unklugheit  glauben  kann. 
Sie  wurde  zum  Vorwand  genommen,  um  eine  Plau- 
derei, die  Weiber  und  junge  Leute  ausgebrütet  hatten 
und  durch  welche  der  hirnlose  Kopf  einer  schwachen 
und  eiteln  gekrönten  Kokette  sich  für  beleidigt  hielt, 
wie  ein  Staatsverbrechen  zu  bestrafen. 

Die  Sache  war  diese:  Frau  von  Lapuchin  und  die 
Gräfin  Bestuschew,  Gemahhn  des  Oberhofmarschalls 
und  ehemaUge  Witwe  des  Grafen  Jaguschinski,  sollten 
einmal  gesagt  haben,  sie  wären  noch  jetzt,  als  ziemlich 

*)  Die  Familie  hieß  Lopuchin. 


214  5^-  Berger. 

veraltete  Damen,  schöner  als  die  Kaiserin.  Sie  mochten 
es  nun  gesagt  haben  oder  nicht,  so  entstand  doch  dar- 
aus ein  Gerücht,  das  Weiber  und  junge  Leute  ver- 
breiteten und  so  bis  zu  den  Ohren  der  EHsabeth 
brachten.  Diese,  sobald  ihre  Schönheit  nur  einiger- 
maßen in  Zweifel  gezogen  wurde,  schäumte  aus  Wut. 
Ihre  vertrauten  Freundinnen,  denn  sie  selbst  war  zu 
indolent  und  eingeschränkt,  um  es  zu  tun,  mußten  nun 
auf  Gelegenheit  zur  Rache  denken  und  diese  fand  sich 
bald.i) 

Berger,  der  die  Schlechtigkeit  seiner  Regierung 
kannte,  kam  auf  den  teuflischen  Einfall,  daß  ihn  der 
Auftrag  der  Frau  von  Lapuchin  von  der  Wache  bei 
dem  Grafen  Löwenwolde  frei  machen  könnte.  Seiner 
Überzeugung  zuwider  Heh  er  demselben  eine  auf- 
rührerische Auslegung,  durch  deren  Angabe  er  sich 
ein  Verdienst  maghen  wollte.  Er  machte  sie  beim 
General  Uschakow,  beim  Knes  Nikita  Trubetzkoy  und 
beim  Grafen  L'Estocq. 

General  Uschakow  war  schon  seit  vielen  Jahren  In- 
quisitor von  Rußland  oder  Präsident  der  Geheimen 
Kanzlei.  Als  solcher  hatte  er  besonders  unter  der  Eli- 
sabeth einen  uneingeschränkten  Wirkungskreis.  Der 
Fürst  und  der  Bauer,  der  Autorität  Uschakows  ent- 
gegengestellt, fühlten  beide  den  ganzen  Umfang  ihrer 

^)  Das  Verbrechen  Natalia  Balks,  Gemahlin  des  Grafen  Lopuchin, 
war  noch  viel  schwerer  als  hier  angegeben:  Sie  hatte  die  Eifersucht 
der  Kaiserin  geweckt.  Bei  einem  Hofballe  erschien  Elisabeth  mit 
einer  Rose  in  den  Haren.  Die  Lopuchin  hatte  den  unglückseligen 
Einfall,  dies  nachzumachen.  Wütend  stürzte  die  Kaiserin  auf  die 
Verbrecherin  los,  zwang  sie  auf  die  Knie  nieder,  nahm  eine  Schere 
und  schnitt  ihr  die  Rose  samt  dem  Haarbüschel  herunter.  Dann 
versetzte  sie  der  Knienden  einige  Schläge  ins  Gesicht  und  kehrte 
zum  Tanze  zurück.  Als  man  ihr  berichtete,  daß  die  Gräfin  in  Ohn- 
macht gesunken  sei,  zuckte  Elisabeth  die  Achseln  und  sagte:  „Die 
Törin  hat,  was  sie  verdient!"    (Stern  II,  S.  49  ff.) 


51.  Berger.  215 

Nichtigkeit.  Er  hatte  den  Ruf  einer  außerordentlichen 
Strenge.^und  wenn  man  ihm  auch  gleich  eine  große 
Rechtschaffenheit  nicht  absprechen  konnte,  so  zit- 
terten doch  alle  Bewohner  Rußlands,  sobald  nur  sein 
Name  genannt  wurde. 

Knes  Nikita  Trubetzkoy  hatte  sehr  despotische 
Grundsätze  und  war  nicht  durch  Handlungen  der 
Menschlichkeit  und  Nachsicht  bekannt. 

Der  Charakter  des  Grafen  L'Estocq  ist  aus  diesen 
Blättern  bekannt.  Damals,  im  Jahre  1743,  beobachtete 
er  noch  aus  Vorsicht  eine  größere  Strenge  als  eigent- 
lich in  seinen  Gesinnungen  lag:  denn  er  fürchtete 
immer  noch,  daß  das  neue  Gebäude  der  Regierung  der 
Ehsabeth  eben  so  geschwind  zerstört  werden  könnte, 
als  er  es  aufgerichtet  hatte. 

Zu  diesen  drei  Männern  nun  ging  Berger,  erzählte 
ihnen  den  Auftrag  der  Frau  von  Lapuchin  und  gab  zu 
verstehen,  er  glaube,  daß  diese  vorgespiegelte  Hoff- 
nung sich  doch  auf  etwas  gründen  müsse.  Man  gab  ihm 
den  Rat,  den  jungen  Lapuchin  in  Gegenwart  von  Zeu- 
gen auszuforschen.  Berger  tat  dies.  Er  ging  in  ein 
Weinhaus,  wo  die  jungen  Leute  gewöhnlich  zusammen 
kamen.  Lapuchin  erschien.  Er,  Berger  und  ein  gewisser 
Maltiz,  Adjutant  der  Prinzen  von  Hessen-Homburg, 
der  sich  als  Zeuge  einfand,  tranken  zusammen.  Berger 
stellte  sich  mißvergnügt  mit  der  Regierung,  und  der 
unbefangene  Lapuchin  fiel  in  die  Schlinge  und  sprach 
in  freien  und  allerdings  unklugen  Ausdrücken  von  der 
Kaiserin.  Mehr  brauchten  seine  Verräter  nicht.  Nun 
wurde  Elisabeth  von  der  Sache  unterrichtet. 

Die  Weiber,  die  bei  ihr  waren,  schrien  gleich,  Frau 
von  Lapuchin  und  Gräfin  Bestuschew  hätten  immer 
schlecht  von  der  Monarchin  gesprochen,  dahinter  liege 
der  Entwurf  einer  Empörung  verborgen  und  man 


2l6  51.  Berger. 

müsse  das  Übel  in  der  Quelle  ersticken.  Elisabeth  er- 
innerte sich  nun  im  heftigsten  Grimm  des  vorgeblichen 
Verbrechens  ihrer  beleidigten  Schönheit,  und  im  vollen 
Ausbruche  ihrer  Weiblichkeit  befahl  sie  sogleich,  auch 
die  entferntesten  Teilnehmer  dieses  sogenannten 
Staatsverbrechens,  die  gewiß  noch  alle  mit  den  Ver- 
wiesenen in  Verbindung  ständen,  gefänglich  einzu- 
ziehen, und  besonders  die  beiden  Damen  gerichtlich 
und  öffentlich  zu  bestrafen.  Die  Kaiserin  hatte  eben 
wollen  nach  Peterhof  fahren,  aber  nun  unterblieb  es. 

Die  Untersuchung  nahm  einen  f ürchterhchen  Anfang. 
'■  In  der  Nacht  vom  4.  zum  5.  August  mußten  in  allen 
Straßen  von  Petersburg  Patrouillen  umhergehen.  Noch 
an  dem  nämlichen  Abende  gingen  die  gerichtlichen 
Einziehungen  an.  Generalleutnant  Lapuchin,  seine 
Frau  und  ihr  Sohn  wurden  arretiert.  Die  Hofdame 
Fräulein  Lapuchin,  Tochter  des  Generalleutnants  La- 
puchin, war  bei  dem  jungen  Großfürsten  in  Peterhof, 
der  sie  wegen  ihrer  muntern  Unterhaltung  sehr  liebte. 
Sie  kam  mit  diesem  Prinzen  am  andern  Morgen  vom 
Lande  gefahren,  und  wurde  unter  dem  Vor  wände,  daß 
ihre  Mutter  tödlich  krank  sei,  sogleich  nach  Hause  ge- 
bracht und  dort  arretiert.  Am  6.  August  wurde  die 
Gräfin  Bestuschew,  die  auf  dem  Lande  war,  mit  ihrer 
ältesten  Tochter  arretiert  und  nach  der  Stadt  gebracht. 
Ihrem  Gemahl  ließ  man  sagen,  daß  er  nichts  zu  fürchten 
habe  und  dort  bleiben  könne.  Alle  wurden  anfänghch 
in  das  vormalige  Palais  der  EHsabeth,  das  man  noch 
auf  dem  jetzigen  Marsfelde  sieht,  gebracht. 

Kurz  darauf  kamen  die  Herren  von  Lapuchin,  Frau 
von  Lapuchin  und  die  Gräfin  Bestuschew  in  die  Pe- 
tersburger Festung. 

Die  Töchter  wurden,  als  unschuldig  befunden,  nach 
Hause  geschickt. 


Die  öffentliche  Auspeitschung  der  Frau  Lopuchin 
Nach  einem  russischen  Holzschnitt 


51.  Berger.  217 

Nun  wurde  eine  Kommission  niedergesetzt.  Die  Mit- 
glieder waren:  General  Uschakow,  Knes  Trubetzkoy 
und  Graf  L'Estocq.  Protokollist  war  der  Staatsrat  De- 
midow.  Täglich  wurden  nun  mehrere  arretiert,  denn 
wenn  einer,  seit  länger  als  einem  Jahre,  ein  Wort  ge- 
sagt hatte,  das  einer  Auslegung  fähig  war,  die  Unzu- 
friedenheit mit  der  Gegenwart,  oder  Erinnerung  einer 
glücklichen  Vergangenheit  anzeigte,  und  einer  seiner 
Feinde  gab  es  jetzt  an,  so  wurde  er  für  einen  Mitschul- 
digen der  jetzigen  vorgebhchen  Verschwörung  ge- 
halten und  sogleich  eingezogen.  Dies  widerfuhr  unter 
andern  einer  Kammerherrin  Lilienfeld,  einer  Kammer- 
herrin Knejina  Gagarin,  gebornen  Jaguschinski,  einem 
Leutnant  Maschkow  von  der  Garde,  einem  Kapitän 
Knes  Putjatine  von  der  Garde,  einem  Staatsrat  Sybin 
und  andern.  Der  junge  Lapuchin  wurde  unter  der 
Knute  befragt  und  der  Schftierz  preßte  ihm  Geständ- 
nisse aus,  die  man  ihm  in  den  Mund  legte. 

Nun  wurde  die  Sache  noch  ernsthafter,  und  sogar 
ausländisch-politisch. 

Der  Marquis  de  Botta,  Gesandter  der  Königin  von 
Ungarn  und  Böhmen,  der  schon  vor  einiger  Zeit  aus 
Rußland  weggereist  war,  hatte  mit  den  Häusern  La- 
puchin und  Bestuschew  in  der  innigsten  Verbindung 
gestanden. 

Diesen  Umstand  nutzte  die  französische  Gesandt- 
schaft, um  den  russischen  Hof  dem  ihrigen  geneigt  zu 
machen  und  dem  österreichischen,  der  damals  mit  dem 
französischen  in  ewiger  Fehde  war,  einen  empfindlichen 
Streich  zu  versetzen. 

D'Aillon  teilte,  wer  weiß  von  welchen  Schfiften,  Ex- 
trakte mit,  worin  stand,  Botta  hätte  gesagt,  die  Re- 
gierung der  Elisabeth  könne  nicht  bestehen.  Er  setzte 
hinzu,  dieser  Gesandte  habe  mit  der  Frau  von  Lapu- 


2l8  5-r-  Berger. 

chin  und  der  Gräfin  Bestuschew  bei  seiner  Abreise  Ab- 
rede genommen,  den  König  Friedrich  II.  von  Preußen 
zur  Wiedereinsetzung  der  braunschweigischen  Familie 
zu  bewegen. 

Die  Klagen  über  Botta  gingen  nach  Wien. 

Maria  Theresia,  menschHcher,  klüger  und  gerechter 
als  Elisabeth,  schrieb  an  ihren  Residenten  Hohen- 
holzer,  man  könnte  den  Marquis  de  Botta  nicht  ver- 
dammen; um  dies  zu  tun,  müsse  man  umständliche 
Beweise  haben. 

Nun  ließ  Elisabeth  ganze  Stöße  unsinniger  Proto- 
kolle, die  fast  nichts  als  Weibergeschwätz  enthielten, 
nach  Wien  bringen,  versicherte,  sie  sei  selbst  bei  den 
Interrogatorien  gewesen  und  verlangte  Genugtuung. 
Das  erste  war  nicht  wahr,  aber  demungeachtet  wurde 
ihr  das  zweite  einigermaßen  zugestanden;  Botta  fiel 
wirklich  zum  Schein  auf  eine  kurze  Zeit  in  Ungnade. 

Friedrich  II.,  von  dem  in  diesen  Verhören  auch  die 
Rede  gewesen  war,  Heß,  sobald  er  Nachricht  davon 
bekam,  durch  seinen  Gesandten,  den  Baron  Mardefeld, 
die  größten  Entschuldigungen  in  Petersburg  machen 
und  feierlich  beteuern,  daß  ihm  nie  Vorschläge  wegen 
der  Wiederherstellung  der  braunschweigischen  Famihe 
und  dem  russischen  Throne  gemacht  worden  wären, 
daß  er  aber  auch,  wenn  es  je  geschehen  sollte,  sie  ge- 
wiß sogleich  zurückweisen  würde. 

Indem  dies  alles  im  Auslande  verhandelt  wurde, 
fuhr  man  in  Rußland  fort,  zu  untersuchen,  um  die 
Augen  bald  an  der  henkermäßigen  Vollziehung  der 
Strafen  weiden  zu  können.  Es  wurde  eine  große-Ver- 
sammlung  gehalten.  Senat  und  Synod  mußten  schwören 
zu  schweigen  und  zu  richten.  Der  Synod  wollte  sich 
ausschließen,  aber  er  mußte  der  Versammlung  bei- 
treten, um  nicht  selbst  verdächtig  zu  erscheinen. 


51.  Berger.  219 

Den  Tag  nach  Alexander  -  Newsky,  das  ist  den 
18.  September,  war  die  Exekution  auf  dem  damaligen 
Richtplatze  in  Wassilej-Ostrow. 

Zwei  Tage  vorher  wurde  sie  unter  Trommelschlag  be- 
kanntgemacht. 

Der  Generalleutnant  Lapuchin,  seine  Gemahlin,  die 
kaiserHche  Staatsdame,  die  OberhofmarschalHn,  Gräfin 
Bestuschew,  der  junge  Lapuchin,  der  Leutnant  Masch- 
kow  von  der  Garde,  der  Knes  Putjatine,  Hauptmann 
von  der  Garde,  und  der  Staatsrat  Sybin  bekamen  die 
Knute.  Den  vier  ersteren  wurden  überdies  die  Zungen 
abgeschnitten.  Die  Knutknechte  zeigten  die  abge- 
schnittenen Stücke  der  Versammlung,  und  mit  teuf- 
lischem Scherz  boten  sie  dieselben  zum  Verkauf  aus.^) 
Die  Unglücklichen  wurden  alsdann,  auf  kleinen  Bauer- 
wagen, zehn  Werste  weit  geführt,  wo  sie  in  einem 
Dorfe  von  ihren  Verwandten  Abschied  nehmen  durften. 
Dann  kamen  sie  einzeln  an  die  Orte  ihrer  Verbannung. 
Viele  andere  Personen,  die  eingezogen  worden  waren, 
wurden  gleich  aus  ihren  Gefängnissen  nach  Sibirien 
verwiesen.  Die  wenigsten  kamen  ohne  Strafe  davon. 

So  wurde  also  durch  ein  Geschwätz,  das  wahrschein- 
lich nur  auf  einer  Lüge  beruhte,  die  Trennung  und  das 
Unglück  so  vieler  Familien  bewirkt.  Und  so  geht  es  oft. 
Kleine  Ursachen  bringen  die  schrecklichsten  Begeben- 
heiten hervor. 

Bergers  Empfindungen,  wenn  er  deren  fähig  sein 
konnte,  müssen  bei  allen  diesen  Ereignissen  fürchter- 
lich gewesen  sein. 

Die  weitläufigere  Auseinandersetzung  der  näheren 
Umstände  seines  unwürdigen  Lebens  hat  gewiß  für  die 

^)  Eine  ausführliche  Schilderung  der  mit  barbarischer  Bosheit 
und  Schamlosigkeit  ausgeführten  öffentlichen  Bestrafung  der 
Natalie  Lopuchin  bei  Crusenstolpe  I,  S.   154  ff. 


220  5^-  Carl  Sievers  I. 

Neugierde  unserer  Leser  keinen  Reiz.  Berger  erhielt 
die  Erlaubnis,  nicht  zum  Grafen  Löwenwolde  zu  gehen, 
die  er  durch  das  Unglück  so  vieler  Menschen  erkauft 
hatte.  Er  anvancierte  zwar  mit  ziemlicher  SchneUig- 
keit  in  der  Armee,  machte  aber  ein  schlechtes  Glück, 
und  starb  endhch,  unter  der  Regierung  der  Kaiserin 
Katharina  IL,  als  Generalmajor  in  den  elendesten  Um- 
ständen. 


52.  Carl  Sievers  L 

Karl  Sievers,  der  Sohn  eines  Bedienten  des  Herzogs 
Biron  von  Kurland,  wurde  selbst  Bedienter  bei  einem 
Herrn  von  Nieroth  in  Livland.  Von  da  an  kam  er  nach 
Petersburg,  und  nach  einem  kurzen  Aufenthalt  in  die 
Dienste  der  Prinzessin  Elisabeth. 

An  diesem  Hofe  erhielt  er  die  Stelle  eines  Kaffee- 
schenken. Elisabeth  hatte  sich  so  sehr  an  seine  Zu- 
bereitung dieses  Getränks  gewöhnt,  daß  Sievers  alle- 
mal an  die  Orte  in  der  Stadt  kommen  mußte,  wo  die 
Prinzessin  speiste,  vnn  den  Kaffee  für  sie  zu  kochen. 

Da  er  übrigens  ein  schöner  Mann  war,  so  wurde  er 
auch  bald  einer  von  Elisabeths  Lieblingen. 

Nach  der  Thronbesteigung  dieser  Fürstin  bekam 
Sievers  Hofchargen  und  wurde  nach  und  nach  endhch 
deutscher  Reichsgraf,  Ritter  verschiedener  Ritter- 
orden und  Oberhofmarschall. 

In  dieser  Würde  starb  er  unter  der  Regierung  der 
Kaiserin  Katharina  IL,  und  hinterheß  große  Reich- 
tümer. 

Sievers  war  ein  treuherziger,  gutdenkender  und 
dienstfertiger  Mann,  der  nur  einen  mittelmäßigen  Ver- 


5J.  Sievers  II.  221 

stand  und,  wie  man  leicht  denken  kann,  weder  Er- 
ziehung noch  Kenntnisse  hatte. 

Seine  Gemahlin  war  eine  Schwester  des  Geheimen 
Rats  und  Leibarztes  Kruse. i) 

Er  hinterließ  aus  dieser  Ehe  drei  Söhne,  die  alle  in 
russischen  Militärdiensten  waren,  und  eine  Tochter. 

Diese  vortreffhche  Frau  vermählte  sich  mit  ihrem 
Vetter,  von  dem  in  dem  Artikel  seines  Vetters  die  Rede 
sein  wird,  und  trennte  sich  von  ihm,  nachdem  sie  ihm 
drei  Töchter  geboren  hatte.  Sie  heiratete  hierauf  einen 
sehr  kenntnisreichen  Mann,  den  Geheimen  Rat,  Kam- 
merherrn und  Oberbaudirektor  Knes  Putjatine  und 
lebte  mit  diesem  in  sehr  glücklicher  Ehe  seit  mehreren 
Jahren  in  Sachsen. 


53.  Sievers  II. 

Man  hat  behaupten  wollen,  dieser  Sievers  sei  aus  der 
holsteinischen  adeligen  Familie  dieses  Namens  ent- 
sprossen, allein  diese  Nachricht  ist  vöUig  unbegründet. 
Er  war  ein  naher  Verwandter  des  vorigen  Sievers.  So- 
bald dieser  einiges  Ansehen  erlangte,  verschaffte  er 
seinem  Vetter  unbedeutende  Magistratsstellen  in 
kleinen  livländischen  Städten.  Nach  und  nach  ließ 
man  auch  diesen  Sievers  höher  steigen.  Er  kam  nach 
Petersburg  und  wurde  Wirkhcher  Staatsrat.  In  den 
Grafenstand  ward  er  nicht  erhoben. 

Erst  sein  Sohn  2)  wurde  Graf.  Er  war  es,  der  als  Am- 

'■)  Nach  Katharinas  Ermnerungen  war  eine  Frau  Kruse,  die 
Schwiegermutter  des  Kammerherm  Sievers,  Kammervorsteherin 
Katharinas  (S.  82). 

^)  Jakob  Jefimowitsch  starb  am  10.  Juli  1808.  Ihm  dankt 
Rußland  u.  a.  die  Aufhebung  der  Folter.  Die  Polen  achteten  ihn 
so  hoch,  daß  sie  während  der  Wirren  sein  Eigentum  schonten 
(9.  Karl  Ludw.  Blum,  Ein  russischer  Staatsmann.    1857). 


222  54-  LoelUn.  —  55.  Woschinsky. 

bassadeur  Katharinas  IL  die  politische  Existenz  Po- 
lens vernichtete;  ein  Geschäft,  wodurch  er  sich  mit 
Recht  den  Haß  der  unparteiischen  Welt  zuziehen 
mußte.  Am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  war  er 
Mitglied  des  hohen  Conseils,  WirkHcher  Geheimer  Rat, 
Senator,  hatte  noch  verschiedene,  unbedeutendere 
Würden  und  war  Ritter  von  zehn  Ritterorden. 

Seine  Gemahlin  war  die  jetzige  Fürstin  Putjatine, 
die  ihm  nur  drei  Töchter  gab,  von  denen  die  erste  und 
die  dritte  in  Rußland  vermählt  sind,  die  zweite  aber, 
die  schon  lange  gestorben  ist,  einen  sächsischen  Grafen 
von  Schönburg- Penig,  jetzigen  Königlich  Sächsischen 
Gesandten  in  Kassel,  geheiratet  hatte. 


54.  Loellin. 

Loellin,  ein  junger  schöner  Russe  aus  der  niedrigsten 
Klasse  des  Pöbels,  gefiel  der  Prinzessin  Elisabeth,  die 
ihn  einst  auf  der  Straße  sah,  so  sehr,  daß  sie  ihn  so- 
gleich in  ihre  Dienste  nahm.  Er  blieb  Bedienter  bei  ihr, 
bis  sie  den  Thron  bestieg.  Zwei  Tage  nachher  machte 
sie  ihn  zum  Kammerherrn,  schenkte  ihm  Güter  und 
wies  ihm  noch  ansehnliche  Einkünfte  an.  Er  war  täg- 
lich in  der  Gesellschaft  dieser  Monarchin. 


55.  Woschinsky. 

Woschinski,  ein  kaiserhcher  Stallknecht,  führte 
gemeinighch  am  kaiserlichen  Wagen  die  Lenkseile,  auf 
russisch  Woschnje.  Von  diesem  Worte  erhielt  er  den 


Graf  J.  J.  von  Sievers 


S6.  Jermolaj  Skwarzow.  —  57.  Tschoglogow.     223 

Namen  Woschinski,  denn  vorher  hatte  er,  wie  viele 
russische  Bauern,  nur  einen  Taufnamen.  Unter  der  Re- 
gierung der  Ehsabeth  wurde  er  Kammerherr  und  be- 
kam Besoldungen  und  ansehnliche  Güter. 


56.   Jermolaj  Skwarzow. 

Jermolaj  Skwarzow  war  der  Sohn  eines  Kutschers, 
wurde  Bedienter  bei  der  Prinzessin  Elisabeth  und  nach- 
dem dieselbe  den  Thron  bestiegen  hatte,  Kammerherr 
dieser  Monarchin.  Er  hat  übrigens  nie  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt. 

Sein  Sohn,  Wassilej  Jermolaj  itsch,  wurde  General, 
Kammerherr  und  Ritter  des  Alexander- Newsky- 
Ordens,    Dieser  lebte  noch  im  Jahre  1770. 


57.  Tschoglogow. 

Tschoglogow,  der  Sohn  eines  armen  Russen,  den  ejr 
mit  einer  Deutschen  von  geringem  Herkommien  er- 
zeugt hatte,  war  so  glücklich,  in  das  Kadettenkorps 
zu  kommen,  wo  er  eine  gute  Erziehung  hätte  haben 
können,  wenn  er  selbst  Lust  gehabt  hätte,  von  dieser 
Gelegenheit  Vorteil  zu  ziehen.  Als  er  das  Korps  verließ, 
wurde  er  Tänzer  bei  Hofe.  Er  bheb  es  nicht  lange. 
Tschoglogow  gefiel  der  Gräfin  Maria  Hendrikow,  und 
dieser  Umstand  machte  es  begreifhch,  daß  er  ohne 
Verdienste  von  einer  Ehrenstelle  zur  andern  steigen 
konnte.^) 

^)  Von  einem  sehr  pikanten  Seitensprung  dieses  Tschoglogow 
erzählt  Katharina  mit  unverhohlener  Schadenfreude  (S.  79  ff.). 


224  5^-  Tschulkow. 

Er  starb  als  Oberhofmeister  der  Kaiserin  und  Ritter 
des  Danebrog-Ordens. 

Seine  Gemahlin  war  die  nämliche  Gräfin  Maria  Hen- 
drikow,  leibliche  Kusine  der  Kaiserin  Ehsabeth.i) 

Er  hinterließ  vier  Söhne  und  drei  Töchter. 

Wenigstens  drei  von  den  Söhnen  saßen  auf  Lebens- 
zeit in  Gefängnissen,  teils,  weil  sie  die  öffentliche  Ruhe 
gestört  hatten,  teils,  weil  sie  in  Verschwörungen  wider 
die  Kaiserin  Katharina  II.  verwickelt  gewesen  waren. 

Die  Familie  Tschoglogow  existiert  noch. 

Im  Anfange  der  neunziger  Jahre  war  ein  Enkel  des 
ersten  merkwürdigen  Mannes  dieses  Namens  Stabs- 
offizier in  einem  Feldregiment. 


58.  Tschulkow. 

Tschulkow*)  war  bei  der  Prinzessin  Elisabeth  ein  ge- 
meiner Bedienter  gewesen.  Nach  der  Thronbesteigung 
dieser  Fürstin  wurde  er  Kammerherr  und  bekam  von 
ihr  beträchtliche  Güter  in  Rußland  geschenkt. 

Seine  Erhebung  hatte  er  nicht,  wie  andere,  der 
Schönheit  zu  danken,  denn  er  war  übel  gewachsen  und 
auffallend  häßlich.  Aber  er  hatte  den  leichtesten  Schlaf, 
den  man  finden  konnte  und  dadurch  machte  er  sein 
Glück.  Ehsabeth  war  furchtsam,  wie  alle  Usurpatoren. 
Sie  fürchtete  die  etwaigen  Unternehmungen,  die  man 

^)  Diese  Madame  Tschoglogow  oder  Tschoglokow  wurde  die 
strenge  Oberhofmeisterin  der  Großfürstin-Thronfolgerin  Katharina. 
Die  Erinnerungen  der  bedauernswerten  jungen  Prinzessin  sind  voll 
von  Klagen  über  die  bissige  Art  ihrer  Aufseherin  und  deren  auf- 
geblasenen Gatten.  Selbst  Graf  Hendrikow,  der  Bruder  der  Tscho- 
glogow, „magmierte  sich  über  die  Dummheit  imd  Roheit  seiner 
Schwester  und  seines  Schwagers"  (S.  71). 

^)  Wassilij  Iwanowitsch  Tschulkow  war  ursprünglich  Ofen- 
heizer am  Hofe. 


Sg.  Iwan  Tscherkassow.  225 

bei  Nachtzeit  wagen  könnte,  weil  sie  selbst  ihre  Revo- 
lution während  der  Nacht  unternommen  hatte,  und 
weil  die  gegen  den  Herzog  von  Kurland  ebenfalls  um 
diese  Zeit  geschehen  war.  Der  Erfolg  beider  Empö- 
rungen hatte  dem  Wunsche  der  Empörer  entsprochen. 
Um  also  nicht  aus  Mangel  an  Wachsamkeit  über- 
rascht zu  werden,  mußte  Tschulkow  immer  des  Nachts 
bei  der  Kaiserin  bleiben.  Man  kann  sagen,  daß  sie 
keine  Nacht  ohne  ihn  zubrachte,  denn  er  mußte  alle 
Nächte  in  ihrem  Zimmer  auf  einem  Lehnstuhl  schlum- 
mern. Lange  Jahre  hindurch  kam  Tschulkow  in  kein 
Bett.  Der  Schlaf  war  für  ihn  weit  weniger  Bedürfnis, 
als  für  andere  Menschen.  Ein  leichter  Schlummer  auf 
einem  Stuhle  war  ihm  Erholung  genug,  so  daß  er  nie 
nötig  hatte,  sich  während  der  Tageszeit  in  ein  Bett  zu 
legen.  Da  Tschulkow  das  sonderbare  Amt  hatte,  alle 
Nächte  bei  der  Kaiserin  zu  sein,  so  kann  man  wohl 
denken,  daß  die  Monarchin  auch  das  vollkommenste 
Zutrauen  zu  ihm  haben  mußte.  Er  wußte  ihre  ge- 
heimsten Privathandlungen. 

In  den  siebziger  Jahren  war  ein  Wassilej  Iwano- 
witsch  Tschulkow  General,  Kammerherr  und  seit  dem 
Jahre  1755  Ritter  des  Alexander-Newsky-Ordens ;  und 
am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  gab  es  in  Peters- 
burg einen  Staatsrat  Tschulkow,  der  zugleich  Ritter 
des  Annenordens  war.  Vermuthch  waren  beide  Ver- 
wandte des  obigen  Kammerherrn  Tschulkow. 


59.   Iwan  Tscherkassow. 

Iwan  Tscherkassow  war  von  gemeiner  Herkunft. 
Peter  I.  nahm  ihn  zu  sich  und  ließ  ihm  Unterricht  im 
Schreiben  geben.  Als  er  einige  Fertigkeit  darin  erlangt 

Russische  Günstlinge.  je 


226  59-  -^^"^w  Tscherkassow. 

hatte,  machte  er  ihn  zu  seinem  Schreiber.  Er  mußte 
in  dieser  Bedienung  den  Kaiser  auf  Reisen  begleiten, 
konnte  aber  unter  der  Regierung  dieses  Monarchen  nie 
zu  einer  höheren  Stelle  gelangen. 

Katharina  I.  ließ  ihn  im  KaiserHchen  Kabinett,  wo 
er  unter  dem  Geheimrat  Makarow  immer  als  Schreiber 
mit  dem  Titel  eines  Kabinettsekretärs  arbeiten  mußte. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Anna  wurde 
Tscherkassow  wegen  vieler  schlechter  Streiche  auf 
Birons  Befehl  nach  Astrachan  verbannt. 

Damals  konnte  man  nicht  glauben,  daß  durch  eine 
seltsame  Kombination  der  Umstände  dieser  Tscher- 
kassow der  Schwiegervater  der  Tochter  des  allge- 
waltigen Birons  werden  würde.  —  In  Astrachan  mußte 
er  bis  zum  Jahre  1742  bleiben. 

Ehsabeth,  die  es  für  ein  großes  Verdienst  hielt, 
ihrem  Vater  gedient  zu  haben,  es  mochte  nun  mit 
großer  Zufriedenheit  dieses  Monarchen  geschehen  sein 
oder  nicht,  rief  ihn  zurück  und  überhäufte  ihn  mit 
Ehrenstellen  und  Reichtümern,  die  er  beide  nicht  ver- 
diente. Er  wurde  endlich  Baron  und  Kabinettsminister 
imd  brachte  es  auf  eine  unbegreifliche  Weise  so  weit, 
daß  die  von  ihm  unterschriebenen  Befehle  so  viel 
galten,  als  Kaiserliche  Ukase. 

Tscherkassow  starb  in  Petersburg  im  Jahre  1760. 

Er  war  grob,  unwissend  und  naclilässig  über  alle 
Beschreibung.  Nach  seinem  Tode  fand  man  fünfhun- 
dert und  siebzig  Pakete  Landesangelegenheiten,  die 
ihm  ins  Kabinett  vom  Senate  waren  zugeschickt  wor- 
den und  die  er  nicht  eröffnet  hatte. 

Sein  Sohn  Alexander  heiratete  im  Jahre  1759  die 
Prinzessin  Hedwig  Elisabeth  Biron  von  Kurland. 

Übrigens  steht  die  Familie  Tscherkassow  als  eine  der 
vornehmsten  in  großem  Ansehen  am  russischen  Hofe. 


6o.  Oloff.  227 

60.   Oloff. 

Oloff  war  der  Sohn  eines  sogenannten  Altdeutschen 
in  Moskau.  Er  wurde  durch  Empfehlung  Offizier.  Als 
solcher  kam  er  in  Bekanntschaft  mit  den  Kammer- 
leuten der  Kaiserin  Elisabeth,  die  ihm  den  Rat  gaben, 
zur  griechischen  Kirche  überzutreten.  Er  tat  es  und 
sein  Glück  war  gemacht.  Elisabeth,  die  einen  Teil  ihrer 
Religionspflichten  zu  erfüllen  glaubte,  nahm  es  nun 
auf  sich,  für  das  irdische  Glück  Oloffs  zu  sorgen.  Er 
wurde  sehr  bald  Oberster  und  bekam  ein  Regiment. 

Einst  erhielt  er  den  Befehl,  mit  seinen  Truppen  in 
eine  Provinz  einzurücken,  um  einen  Aufstand  zu 
dämpfen,  den  die  Bauern  daselbst  erregt  hatten.  Allein 
die  Aufrührer,  in  weit  stärkerer  Anzahl  als  die  Soldaten, 
vertrieben  diese,  bekamen  den  Obersten  in  ihre  Ge- 
walt, legten  Hand  an  ihn  und  jagten  ihn  fort.  Dieser 
Unfall  hatte  indessen  keinen  Einfluß  auf  Oloffs  Schick- 
sal, so  lange  Elisabeth  lebte. 

Als  ihn  die  Reihe  traf,  wurde  er  Generalmajor, 

Ganz  anders  ging  es  1762  unmittelbar  nach  dem 
Tode  der  Kaiserin, 

Eines  Abends  während  der  Tafel,  als  eben  die  Rede 
von  den  Avancements  war,  die  bei  dem  bevorstehen- 
den Friedensfeste  bekanntgemacht  werden  sollten, 
befahl  Peter  III.  seinem  Generaladjutanten  Gudo- 
witsch,  die  Liste  der  Obersten  und  Generalmajore  vor- 
zulesen, die  bei  dieser  Gelegenheit  anvancieren  zu 
müssen  glaubten.  Es  geschah,  und  der  Kaiser  machte 
bei  einem  jeden  mit  der  ihm  eigenen  Sachkenntnis 
die  gründlichsten  Anmerkungen.  Als  nun  die  Reihe  an 
den  Generalmajor  Oloff  kam,  schrie  Peter  III. :  , »Aus- 
gestrichen, ich  will  keinen  General  haben,  der  sich 
von  Bauern   hat    prügeln  lassen.    Er  mag  mit  dem 

15* 


228         6i.  Poltarazky.  —  62.  Iwan  Schuwalow. 

Generalmajors-Charakter,  den  ihm  meine  Tante  ge- 
geben hat,  davon  laufen."  Er^bekarn  auch  wirklich 
seinen  Abschied. ."'iVi,! '.'.:.  s^|; 

Er  liielt  sich  nunmehr  an  die  Kaiserin  und  vermehrte 
die  Anzahl  derer,  die  dem  Kaiser  den  Thron  raubten. 
Unter  der  Regierung  Katharinas  II.  wurde  er  wieder 
angestellt,  bekam  zuweilen  nicht  unwichtige  Befehle, 
benahm  sich  gut  und  stieg  im  türkischen  Kriege  bis 
zum  Posten  eines  General  en  Chef. 

Oloff  starb  im  Jahre  1771. 

Seine  Gattin  war  eine  Russin,  und  die  Liebe  zu  ihr 
mochte  wohl  auch  Anteil  an  seiner  Religionsverände- 
rung haben.  Ob  er  Kinder  hinterlassen  habe,  wissen 
wir  nicht. 


61.  Poltarazky. 

Poltarazky  war  der  Sohn  eines  ukrainischen  Bauern. 
Wegen  seiner  schönen  Stimme  kam  er  in  die  kaiserliche 
Kapelle.  Hier  fand  er  geheime  Wege,  sich  in  die  Höhe 
zu  schwingen.  Elisabeth  schenkte  ihm  beträchtliche 
Güter. 

Er  starb  im  Jahre  1795. 

Poltarazky  war  Direktor  der  kaiserlichen  Kapelle 
und  Wirklicher  Staatsrat  mit  dem  Prädikat  Exzellenz. 


62.  Iwan  Schuwalow. 

Iwan  Schuwalow  war  aus  einem  alten  adligen  Ge- 
schlechte,  aber  von  wenig  begüterten  und  noch  we- 
niger in  Ansehen  stehenden  Eltern  geboren.^)  Seine 
Verwandten  am  Hofe,  der  Generalleutnant  und  nach- 

^)  Am  12.  November  1727. 


62.  Iwan  Schuwalow.  229 

herige  Generalfeldmarschall  Peter  Iwanowitsch  Schu- 
walow und  dessen  Gemahlin,  eine  geborene  Schepelew, 
die  Freundin  der  Ehsabeth,  nahmen  sich  seiner  an. 
Durch  ihre  Unterstützung  erhielt  er  eine  Stelle  unter 
den  kaiserlichen  Pagen  und  wurde  bald  Kammerpage. 
Er  blieb  es  nicht  lange.  Seine  Gestalt  gefiel  der  Ehsa- 
beth, die  ihn  zu  ihrem  Liebhng  wählte.  Dies  ge- 
schah im  Anfange  der  fünfziger  Jahre.  Schuwalow 
wurde  sogleich  Kammerjunker  und  bald  nachher 
Kammerherr  und  Ritter  des  Alexander-Newsky-  und 
des  weißen  Adler-Ordens. 

Er  blieb  der  öffentliche  Liebling  der  Kaiserin  bis  an 
den  Tod  dieser  Prinzessin,  ohne  jedoch  außerordent- 
liches Gewicht  zu  haben. 

Einige  Stunden  vor  ihrem  Tode  gab  Elisabeth  an 
Schuwalow  den  Schlüssel  zu  einem  Geldkasten  und 
sagte  ihm:  was  er  darin  finden  würde,  sei  für  ihn. 
Schuwalow,  durch  Gefühle  von  Furcht  und  Ehrlichkeit 
getrieben,  gab  nach  dem  Tode  der  Kaiserin  den  Schlüs- 
sel ihrem  Nachfolger  Peter  III.  Dieser  Prinz  nahm  ihn 
und  fand  in  dem  Kasten  dreimal  hunderttausend  Du- 
katen, i) 

Zurzeit  seiner  größten  Gunst  zeigte  Schuwalow  eine 
Bescheidenheit,  die  man  selten  an  den  Liebhngen  der 
Kaiserinnen  von  Rußland  bemerkt  hat.  Dadurch  er- 
hielt er  sich  auch  bis  auf  den  letzten  Augenbhck  die 
Gnade  der  Monarchin,  die  ihn  sehr  liebte.  Wenn  er 
auch  durch  eine  vorübergehende  jugendliche  Untreue 
(die  einzige  Art  von  Versehen,  deren  er  sich  schuldig 
machte),  die  Empfindlichkeit  der  Elisabeth  reizte,  so 
vergab  sie  ihm  doch  sehr  bald  und  schob  die  Schuld 
seiner  Verirrungen  auf  andere,  die  ihn  verführt  haben 

^)  Die  Uneigennützigkeit  Schuwalows  wirc?  bestritten.  (Crusen- 
stolpe  I,  S.  160.) 


230  62.  Iwan  Schuwalow. 

sollten.  So  entstand  am  Ende  der  fünfziger  Jahre  in 
Petersburg  jene  Verfolgung  der  Weiber,  die  man  ge- 
fänglich einziehen  ließ  und  unter  Martern  befragte, 
um  zu  erfahren,  ob  eine  es  gewagt  habe,  ihre  Augen 
auf  den  Liebling  der  Kaiserin  zu  werfen.  Die  Kaiserin 
las  alle  Aussagen  selbst,  erfuhr  aber  doch  nicht,  was 
sie  zu  wissen  verlangte. 

Von  seiner  Gutmütigkeit  gab  Schuwalow  wieder- 
holte Beweise.  Er  stellte  immer  die  Eintracht  in  der 
kaiserlichen  Familie  her,  die  zur  Zeit  der  Ehsabeth  so 
oft  gestört  wurde. 

Die  Hauptzüge  in  seinem  Charakter  waren  Schwäche 
und  Furcht.  Er  heß  sich  verleiten,  der  Unterhändler  in 
dem  Verständnisse  zu  sein,  daß  die  Großfürstin  Katha- 
rina mit  dem  Grafen  Poniatowski  unterhielt,  wofür  er 
in  der  Folge  übel  belohnt  wurde. 

Seine  große  Furchtsamkeit  war  Ursache,  daß  er  zur 
Zeit  seines  größten  Glücks  nie  sehr  hohe  Stellen  suchte, 
und  sich  nie  in  Staatsgeschäften  brauchen  heß,  denn 
er  fürchtete  immer,  nach  dem  Tode  der  Kaiserin  zur 
Verantwortung  gezogen  zu  werden  und  seine  erlangten 
Vorteile  zu  verlieren. 

1'  Er  hatte  keinen  glänzenden  Verstand  und  wenig 
Kenntnisse  und  war  daher,  zur  Zeit  der  Elisabeth,  ein 
sehr  unvollkommener  Beschützer  der  Künste  und 
Wissenschaften.  Doch  war  er  eitel  genug,  sich  einen 
Namen  machen  zu  wollen;  von  ihm  rührt  daher  die 
Stiftung  der  Akademie  der  Künste^)  her, 
s  Unter  der  kurzen  Regierung  Peter  III.  1762  bheb 
Schuwalow  immer  in  Petersburg,  aber  ohne  irgend 
einen  Einfluß  zu  haben.  Doch  zeichnete  ihn  der  Kaiser 
sehr  aus,  und  gab  ihm  öffentliche  Versicherungen 
seiner  Freundschaft, 

1)  Im  Jahre  1758. 


62.  Iwan  Schuwalow.  231 

-  Als  einst  über  der  Tafel  des  Monarchen,  an  welcher 
auch  Schuwalow  saß,  von  der  verstorbenen  Kaiserin 
gesprochen  wurde,  traten  diesem  die  Tränen  in  die 
Augen.  „Weine  nicht,"  sagte^)  Peter  III.  gütig  zu  ihm. 
„Suche  keinen  Kummer  in  der  Vergangenheit,  die  nicht 
zurückgerufen  werden  kann.  Die  Kaiserin  liebte  Dich, 
und  wegen  ihres  Andenkens  wirst  Du  immer  einen 
Freund  an  mir  haben." 

Schuwalows  Benehmen  entsprach  diesen  gütigen 
Äußerungen  nicht.  Er  nahm,  obgleich  sehr  erfreut, 
1762  doch  einigen  Anteil  an  der  Empörung  gegen  seinen 
Monarchen.  Schwachheit,  die  oft  seine  Handlungen  lei- 
tete, war  es,  die  ihn  zu  diesem  Schritte  brachte.  Man 
gewann  ihn,  um  durch  seine  Teilnahme,  oder  vielmehr 
nur  durch  sein  Dasein,  den  Soldaten,  die  ihnen  so 
werten,  sorglosen  Zeiten  der  Ehsabeth  in  das  Gedächt- 
nis zurück  zu  rufen. 

Am  Abend  der  Thronbesteigung  ritt  er  neben  der 
neuen  Kaiserin  an  der  Spitze  einer  kleinen  Armee  nach 
Krasnaja  Kabak,  einem  Wirtshause  auf  dem  Wege 
nach  Peterhof,  wo  die  Monarchin  übernachtete. 

Schuwalow  glaubte  wahrscheinlich  unter  der  neuen 
Regierung  eine  Rolle  zu  spielen,  aber  er  irrte  sich.  Man 
dachte  nicht  weiter  an  ihn.  Indessen  bheb  er  immer  in 
Petersburg,  wo  er  von  seinem  großen  Vermögen  lebte. 
Einen  ansehnlichen  Teil  davon  verlor  er  im  Spiel. 
Endlich  fiel  er,  wir  wissen  nicht  wodurch,  in  Ungnade. 
Er  ging  auf  Reisen. 

Als  er  am  wenigsten  daran  dachte,  glaubte  Katha- 
rina II.  es  ihm  schuldig  zu  sein,  ihn  im  Jahre  1777  zu- 
rückrufen zu  müssen.  Sie  gab  ihm  einen  bestimmten 

^)  Vermutlich  aus  Nachahmung  dieser  Anekdote  sagte  Paul  I. 
nach  dem  Tode  Katharinas  II.  ungefähr  das  nämliche  zum  Fürsten 
Subow.    H. 


232  62.  Iwan  Schuwalow. 

Gehalt  von  viertausend  Rubel  und  eine  Pension  von 
sechstausend  Rubel  und  erteilte  ihm  nach  und  nach 
wichtige  Hofämter.  Schuwalow,  der  sein  Vermögen 
beinahe  ganz  aufgezehrt  hatte,  mußte  sehr  froh  sein, 
die  Zusicherung  einer  ge%\dssen  Einnahme  zu  bekom- 
men, obgleich  die  Veranlassung  dazu,  wie  wir  weiter 
unten  sehen  werden,  höchst  traurig  für  ihn  war.  Er 
lebte  run  von  diesen  zehntausend  Rubeln  und  von  den 
geretteten  Trümmern  seines  ehemaligen  glänzenden 
Glücks,  ziemlich  eingezogen,  doch  sehr  anständig  in 
seinem  Palast  in  Petersburg.  Schuwalow  besaß  ein 
großes  Viereck  in  der  Newskyscher  Perspektive  und  in 
der  Sommergartenstraße.  Den  vierten  Teil  davon,  in 
der  Perspektive,  nahm  sein  Palast  ein.  Die  andern  drei 
verkaufte  er.  Zwei  Paläste  in  der  Gartenstraße  kaufte 
der  Knes  Wjasemsky.  Zur  Zeit  der  Ehsabeth  wohnte 
der  Prinz  Karl  von  Sachsen  in  einem  derselben.  Den 
vierten  Teil  neben  Schuwalows  Wohnung  kaufte,  wie 
wir  glauben,  die  Familie  Borosdin  und  baute  ein  präch- 
tiges Haus  dahin.  Soviel  wir  wissen,  hatte  er  ferner 
keine  merkwürdigen  Schicksale. 

Sein  Tod  erfolgte  am  Ende  der  neunziger  Jahre.  ^) 

Er  war  Wirklicher  Geheimer  Rat,  Dienstleitender 
Oberkammerherr,  Kurator  der  Universität  Moskau, 
Ritter  des  Andreas-  und  Alexander-Newsky-Ordens, 
Großkreuz  des  Wladimirordens  von  der  ersten  Klasse 
und  Ritter  des  weißen  Adler-  und  des  Annen-Ordens. 

Schuwalow  wird  für  den  Vater  einer  Tochter  ge- 
halten, welche  die  Kaiserin  Elisabeth  ungefähr  im 
Jahre  1753  gebar.  Sie  wurde  Elisabeth  genannt  und 
erhielt,  wenn  wir  nicht  irren,  in  der  Folge  den  Namen 
Prinzessin  Tarakanow.  Dieses  Kind,  für  dessen  Mutter 
man  eine  italienische  Kammerfrau  der  Monarchin  aus- 

^)  Am  25.  November  1798. 


02.  Iwan  Schuwalow.  233 

gab,  wurde  nach  Italien  geschickt  und  daselbst  er- 
zogen. So  lange  die  Kaiserin  lebte,  mochte  es  wohl  an 
nichts  fehlen  aber  nach  dem  Tode  dieser  Fürstin  desto 
mehr  an  allem.  Schuwalow  kam  auf  seinen  Reisen  auch 
nach  Italien,  wo  er  seine  Tochter  sah,^)  ohne  es  jedoch 
zu  wagen,  sich  ihr  zu  erkennen  zu  geben.  Diese  lebte  in 
den  siebziger  Jahren  in  sehr  dürftigen  Umständen. 
Archenholz 2)  erzählt  in  seinem  Buche:  England  und 
Italien  eine  Anekdote  von  ihr,  die  kurz  vor  der  trau- 
rigen Katastrophe  herging,  wodurch  diese  unglück- 
liche Person  ihr  Leben  verlor.  Ihm  nach,  die  nämhche 
Begebenheit  in  veränderten  Ausdrücken  erzählen  za 
wollen,  wäre  Vermessenheit.  Unsre  Leser  werden  es  uns 
danken,  wenn  wir  die  eigenen  Worte  dieses  beliebten 
Schriftstellers  hier  hersetzen.  —  ,,Eine  merkwürdige 
Begebenheit  ereignete  sich  hier  (in  Livorno)  im  März 
1775.  Eine  russische  Dame  von  unehelicher  Geburt, 
aber  aus  dem  durchlauchtigsten  Blute  dieses  Landes, 
hatte  sich  zwei  Jahre  lang  in  Rom  aufgehalten,  wo- 
selbst sie  in  der  größten  Dürftigkeit  lebte.  In  diesem 
Zustande  konnte  es  ihr  wohl  nie  einfallen,  ihre  Blicke 
auf  einen  Thron  zu  richten.  Sie  besaß  Klugheit,  gute 
Bildung  und  einen  sehr  sanftmütigen  Charakter.  Ihr 

^)  Das  ist  ein  Irrtum  Helbigs.  Die  angebliche  Tochter  der 
Kaiserin  Elisabeth  gab  sich  niemals  für  das  Kind  Schuwalows 
aus,  sondern  für  das  Kind  Kyrül  Rasumowskys,  der  übrigens  nie- 
mals zu  den  Liebhabern  Elisabeths  gezählt  hatte.  Sie  verwechselte 
ihn  mit  seinem  Bruder.  Den  ganzen  Schwindel  der  Abenteuerin,  der 
so  recht  das  Gepräge  der  großstüigen  Betrüger  des  18.  Jahrhunderts 
trägt  und  dankbaren  Stoff  für  eine  ganze  Reihe  von  Romanschrift- 
stellern geliefert  hat,  ist  jetzt  völlig  aufgedeckt.  (G.  B[revern],  Die 
vorgebliche  Tochter  der  Kaiserin  Elisabeth.  Berlin  1867.  Dr.  Alex. 
Brückner,   Katharma  II.    Berlin  1883.    S.  208  ff.) 

^)  Johann  Wilhelm  Baron  von  Archenholz  (174.-? — 1812),  der 
Verfasser  der  noch  immer  gern  gelesenen  Geschichte  des  Sieben- 
jährigen Krieges.  Sein  Buch  „England  imd  Italien"  erschien  1787 
in  2.  Auflage. 


234  ^^'  •^^^^'^  Schuwalow. 

eingezogenes  Leben  wurde  aber  auf  einmal  durch  einen 
abgeordneten  russischen  Offizier  unterbrochen,  der 
gegen  sie  mündlich  Äußerungen  von  einer  sehr  außer- 
ordentlichen Art  tat,  denen  er  durch  das  Anerbieten 
einer  sehr  ansehnlichen  Summe  Geldes  ein  großes  Ge- 
wicht gab.  Dieses  letztere  Argument  tat  die  erwartete 
Wirkung  in  ihrer  großen  Not.  Die  Dame  ließ  sich  über- 
reden und  kam  im  Anfang  des  Jahres  1775  nach  Pisa, 
woselbst  sich  damals  der  Graf  Alexis  Orlow  befand. 
Dieser  empfing  sie  wie  eine  Königin.  Er  begleitete  sie 
allenthalben,  und  wenr  er  mit  ihr  im  Schauspielhause 
war,  so  begegnete  er  ihr  vor  den  Augen  des  Publikums 
mit  einer  Ehrerbietung,  die  den  gesamten  Adel  in  Er- 
staunen setzte.  Niemand  konnte  ergründen,  wer  diese 
unbekannte  Dame  sei,  gegen  die  der  stolze  Graf  so  viel 
Herablassung  zeigte.  Endhch  wurde  ein  Vorschlag  ge- 
tan, das  nahe  gelegene  Livorno  zu  besuchen.  Es  ge- 
schah. Man  stieg  beim  englischen  Konsul  Dyck  ab,  und 
alles  war  im  Wohlleben.  Bei  der  Tafel  wurde  von  der 
Flotte  gesprochen,  und  da  die  Dame  nie  ein  Kriegs- 
schiff betreten  hatte,  so  schlägt  sie  es  nicht  aus,  eins  zu 
besehen.  Wie  wenig  argwohnte  die  Unglückliche  ihr 
Schicksal!  Sie  steigt  mit  dem  Grafen  ins  Boot,  fährt 
zu  dem  bestimmten  Schiff  und  wird  hineingehoben. 
Auf  einmal  verändert  sich  die  Szene.  Man  kündigt  ihr 
mit  verächtlichem  Ton  ihre  Gefangenschaft  an  und 
schließt  ihre  Hände  in  Ketten.  Das  Schiff  blieb  noch 
zwei  Tage  auf  der  Reede  liegen,  um  sich  zur  Reise  nach 
Rußland  vorzubereiten.  Kein  fremdes  Boot  durfte  sich 
diesem  Schiffe  nähern ;  die  darauf  bef indhchen  Schild- 
wachen drohten  Feuer  zu  geben.  Dies  hinderte  aber 
nicht,  daß  die  zahlreichen  Boote  der  Livorneser  nicht 
nahe  genug  kamen,  um  bisweilen  den  bedauernswür- 
digen Gegenstand  ihrer  Neugierde  zu  sehen;  sie  war 


Alexcj   Gregorowitsch  Oiiow 


62.  Iwan  Schuwalow.  235 

oft  am  Fenster  der  Kajüte,  wo  sich  ihre  Verzweiflung 
sichtbar  zeigte.  Am  dritten  Tage  segelte  das  Schiff  mit 
seiner  Beute  ab.  Der  Hof  gab  über  diesen  Vorfall  seinen 
Unwillen  sehr  deuthch  zu  erkennen  und  die  ganze  Stadt 
war  darüber  aufgebracht." 

Wir  erzählen  nun  selbst  weiter,  was  wir  von  der 
schrecklichen  Geschichte  wissen.  Die  Dame  wurde 
durch  den  so  berühmt  gewordenen  Admiral  Greigh 
nach  Petersburg  gebracht.  Hier  setzte  man  sie  unter 
dem  unmenschlichen  Vorwande,  daß  sie  wahnwitzig  sei, 
anfänglich  in  die  Festung,  brachte  sie  aber  bald  nach- 
her nach  Schlüsselburg,  wo  sie  in  den  ersten  Monaten 
der  Jahres  1776  nach  einer  kurzen  Krankheit,  nicht 
ohne  Verdacht  eines  gewaltsamen  Todes,  ihren  Geist 
aufgab.  1)  —  Ist  dieser  Verdacht  begründet,  so  entsetzt 
man  sich,  die  Zahl  der  Ermordungen  wichtiger  Personen 
noch  mit  einer  vermehrt  zu  sehen,  die  nicht  den  ge- 
ringsten Vorteil  brachte,  und  die  eine  Person  tötete,  die, 
in  jeder  politischen  Hinsicht,  den  russischen  Regenten 
nie  gefährlich  sein  konnte.  Starb  aber  diese  unglück- 

^)  Diese  Schauermär,  zuerst  in  Casteras  „Vie  de  Catherina" 
aufgezeichnet,  wird  von  Heibig  nachgeschrieben  und  mit  Schein- 
gründen belegt.  Elisabeth  litt  an  Schwindsucht,  die  sich  aber  im 
Gefängnis  schneller  entwickelte  als  es  in  der  Freiheit  der  Fall  ge- 
wesen wäre.  Sie  starb  am  4.  Dezember  1745.  Das  Gemälde  Fla- 
vitzkis,  das  den  Tod  der  „Fürstin  Tarakanow"  in  der  überschwemm- 
ten Zelle  der  Schlüsselburg  dairstellt,  „wird  in  neuester  Zeit  in 
weiteren  Kreisen  noch  mehr  dazu  beigetragen  haben,  die  Legende 
dieser  Todesart  der  Abenteurerin  zu  verbreiten"  (Brückner,  S.  216). 
Auch  Bernhard  Stern  gibt  sie  in  seiner  „Geschichte  der  öffentlichen 
Sittlichkeit  in  Rußland"  (II.  Bd.,  S.  528  ff.)  noch  im  Jahre  1908 
weiter,  obgleich  er  das  Brücknersche  Buch  kennt  und  wiederholt 
anführt.  Heute  würde  man  ein  so  pathologisch  verlogenes  Geschöpf, 
wie  es  Elisabeth  war,  nach  Gesetz  und  Recht  in  ein  Irrenhaus 
sperren.  Damals  kam  es,  und  nicht  nur  in  Rußland,  auf  die  Festimg. 
Die  Geschichte  des  Moskowiterreiches  ist  so  reich  an  wirklichen 
Greueln  aller  Art,  daß  jeder  künstliche  Aufbau  von  erdachten  mehr 
als  entbehrlich  ist. 


236  6j.  Dimürej  Wolkow. 

liehe  Elisabeth  eines  natürlichen  Todes,  so  konnte  Ka- 
tharina IL  sich  allerdings  über  die  Härte  des  Zufalls 
beklagen,  der  diese  Dame  eben  zu  einer  Zeit  sterben 
ließ,  wo  ohnedies  schon  aller  Verdacht  wider  den  russi- 
schen Hof  rege  war.  Gesetzt  nun  auch,  dieser  Tod 
wäre  Zufall  gewesen,  welchen  Vorwand  kann  der  Pe- 
tersburger Hof  für  die  boshafte  Abschickung  des  russi- 
schen Offiziers  finden,  der  Elisabeth  zu  ihrem  ersten 
unüberlegten  Schritt  verleitete?  und  womit  kann  er 
die  grausame  Art  entschuldigen,  mit  der  man  eine 
Unglückliche  behandelte,  die  man  keines  Verbrechens, 
sondern  nur  des  unwillkürlichen  Felilers  beschuldigen 
konnte,  die  uneheliche  Tochter  einer  ausschweifenden 
Kaiserin  zu  sein?  Ein  Jahr  nach  diesem  Tode  ließ  Ka- 
tharina II.  den  Herrn  von  Schuwalow,  den  Vater  der 
unglücklichen  Ehsabeth  Tarakanow,  der  sich  im  Aus- 
lande befand,  zurückkommen  und  erteilte  ihm  die 
Gnadenbezeigungen,  von  denen  wir  oben  gesprochen 
haben.  Schien  es  nicht,  als  ob  man  durch  diese  Wohl- 
taten den  Vater  für  den  Verlust  seiner  Tochter  trösten 
wollte?  und  machte  man  nicht  auf  diese  Art  den  Ver- 
dacht ihrer  Ermordung  aufs  neue  wider  sich  rege? 


63.  Dimitrej  Wolkow. 

Dem  Freunde  der  Geschichte  kann  gewiß  nichts  An- 
genehmeres begegnen,  als  wenn  er,  ermüdet  durch  das 
Lesen  der  Begebenheiten  einer  Menge  unbedeutender 
oder  boshafter  Emporkömmhnge,  zuweilen  einen  Mann 
findet,  der  sich  durch  Talente  emporschwingt,  sich  dem 
Regenten  und  seinen  Ministern  notwendig  macht,  der 
Nation  nützlich  ist,  und  dessen  Fehler,  die  meistens 


6j.  Dimitrej  Wolkow.  237 

nur  Beziehung  auf  die  Lebensweise  haben,  gleichsam 
nur  da  zu  sein  scheinen,  um  die  Vollkommenheit  der 
rühmlichen  Eigenschaften  noch  mehr  zu  erheben.  In 
diesem  Falle  gleicht  der  Geschichtsforscher  einem  Wan- 
derer, der  lange  auf  traurigen  und  furchtbaren  Wegen, 
in  rauhen  und  unwirtbaren  Gegenden,  oder  auch  in 
leeren  Sandwüsten  reist,  und  endhch  auf  einen  Pfad 
kommt,  wo  er  seine  Wanderung  mit  Bequemlichkeit 
und  Vergnügen  fortsetzen  kann,  und  sich  in  Umgebun- 
gen befindet,  die  durch  kleine  Abweichungen  von  den 
Schönheiten  der  Natur  nur  noch  hervorstechender 
werden. 

Dimitrej  Wolkow,^)  ein  Russe  von  gemeinem  Her- 
kommen, war  zufälligerweise  so  glücklich,  eine  sehr 
sorgfältige  Erziehung  zu  bekommen. 

Nachdem  er  in  einigen  Kanzleien  gearbeitet,  und 
überall  Beweise  von  großer  Brauchbarkeit  gegeben 
hatte,  kam  er,  unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Ehsa- 
beth,  als  Sekretär  in  die  damahge  sogenannte  Konfe- 
renz.  Hier  wurde  er  mit  großem  Nutzen  gebraucht. 

Es  war  kein  politisches  Geheimnis  ^m  russischen 
Hofe,  von  dem  er  nicht  unterrichtet  gewesen  wäre.  Er 
war  es,  der  alle  Berichte  an  die  Konferenz  und  alle  da- 
hin kommenden  Schriften,  ehe  sie  der  Kaiserin  vorge- 
legt wurden,  auf  so  eine  Art  umarbeiten  mußte,  daß  sie 
imstande  waren,  Elisabeth  in  ihrem  Hasse  gegen 
Preußen  zu  erhalten.  Es  war  im  Siebenjährigen  Kriege, 
als  er,  durch  Ausschweifungen  im  Spiel,  sich  in  eine 
Verlegenheit  stürzte,  aus  welcher  selbst  sein  großer 
Verstand  ihn  nicht  retten  konnte.  Auf  einmal  ward  er 
unsichtbar,  und  verließ,  auf  eine  sehr  tadelnswürdige 

^)  Es  gibt  auch  eine  adlige  Familie  dieses  Namens  und  einen 
Schauspieler,  der  ebenso  hieß  und  von  dem  noch  mehr  gesagt  werden 
wird.  Der  Wolkow,  von  dem  hier  die  Rede  ist,  war  weder  mit 
diesem  noch  mit  jener  verwandt.    H. 


238  6j.  Dimitrej  Wolkow. 

Art,  seine  Frau,  seine  Kinder  und  eine  allerdings  sehr 
glänzende  Laufbahn.  Da  er  die  Ausfertigung  der  Reise- 
pässe gehabt  hatte,  so  glaubte  man,  daß  er  selbst  einen 
geschrieben  hätte,  um  nach  Berhn  zu  gehen  und  die 
Staatsgeheimnisse  des  russischen  Hofes  zu  verraten.^) 
Man  war  sehr  besorgt  und  wendete  sich  an  Gesandte 
freundschaftHcher  Höfe  in  Berhn,  um  ihn  dort  auszu- 
kundschaften. Sobald  Wolkow,  der  sich  m  einem 
Schlupfwinkel  verborgen  hielt,  diese  nachteihgen  Ge- 
rüchte erfuhr,  kam  er  hervor,  -um  seine  Ehre  wenig- 
stens auf  dieser  Seite  zu  retten.  Man  war  am  Hofe  froh, 
ihn  wieder  zu  haben,  und  erkaufte  seine  Rückkehr 
durch  die  Bezahlung  seiner  Schulden.  Nicht  lange  her- 
nach veruneinigte  er  sich  mit  dem  Grafen  Bestuschew, 
und  verriet  dessen  Entwurf,  den  Großfürsten  von  der 
Thronfolge  auszuschließen,  welches  zugleich  die  Ur- 
sache des  Rückzuges  der  Russen  aus  Preußen  war. 
Bestuschew  wurde  durch  diesen  Umstand  gestürzt, 
Wolkow  aber,  ohne  eben  ausgezeichnet  große  Ehren- 
stellen zu  haben,  blieb  die  Hauptperson  im  russischen 
Kabinett. 

Peter  IH.,  dankbar  für  den  Dienst,  den  ihm  Wolkow 
in  früheren  Jahren  geleistet  hatte,  setzte  das  größte 
Vertrauen  in  ihn  und  brauchte  ihn  zu  den  wichtigsten 
Arbeiten.  Der  Kaiser  unternahm  nichts  ohne  Wolkows 
Rat  und  Beistimmung,  und  man  kann  sagen,  daß  dieser 
Mann  an  den  ruhmvollen  und  wohltätigen  Handlungen 
dieses  Monarchen  sehr  wesentlichen  Anteil  hatte.  2)  Er 
war  so  rechtschaffen,  seinen  Herrn  von  der  Empörung 
zu  benachrichtigen,  die  wider  ihn  erregt  werden  sollte. 
Wolkows  durchdringender  Geist  hatte  sie  fast  ganz 

1)  Nach  Katharinas  wegwerfender  Bemerkung  soll  Wolkow, 
„nachdem  er  hilflos  in  den  russischen  Wäldern  herumgeirrt  war", 
sich  fangen  lassen  haben  (S.  265). 

^)  Crusenstolpe  I,  213. 


6j.  Dimitrej  Wolkow.  239 

durchspähet,  aber  der  unglückliche  Prinz  vernach- 
lässigte, aus  zu  großer  Sicherheit,  die  Ratschläge  eines 
Freundes,  dessen  sicherer  Leitung  er  hätte  folgen 
sollen. 

Katharina  II.  kannte  Wolkows  unternehmenden 
Charakter  und  dessen  Anhänglichl^eit  an  ihren  Ge- 
mahl. Sie  ließ  ihn  daher  arretieren  und  nicht  eher  wie- 
der auf  freien  Fuß  stellen,  als  bis  sie  ganz  sicher  war. 
Sie  kannte  seine  große  Brauchbarkeit,  wollte  ihn  aber 
nicht  gern  um  sich  haben.  Man  gibt  vor,  diese  Prin- 
zessin habe  oft  Männer  von  großem  Verstände  von  sich 
entfernt,  um  nicht  das  Ansehen  zu  haben,  als  ob  sie 
durch  sie  regiert  würde.  Dem  sei  wie  ihm  wolle,  so  ist 
so  viel  gewiß,  daß  Wolkow  vom  Hofe  wegkam  und  eine 
Stelle  in  Orenburg  erhielt.  Doch  wurde  er  durch  Ver- 
mittelung  seiner  Freunde  bald  zurückgerufen.  Man 
ernannte  ihn  zum  Polizeimeister,  und  endlich  zum 
Wirklichen  Geheimen  Rat  und  Gouverneur  von  Peters- 
burg, eine  Stelle,  die  er  mit  großer  Klugheit  bis  an 
seinen  Tod  verwaltete.  Als  die  Pest  in  Moskau  wütete, 
wurde  er  dahin  geschickt  und  durch  seine  zweck- 
mäßigen Anstalten  und  uneimüdeten  Bemühungen 
wurde  dieses  schreckliche  Übel  aufgehalten  und  ge- 
dämpft. Überall  brauchte  man  ihn,  weil  er  in  allen 
Angelegenheiten  die  weisesten  Maßregeln  angab.  So 
sollte  er  im  Jahre  1772  mit  Orlow  auf  den  Kongreß 
nach  Fokschanj  gehen,  aber  er  mußte  noch  in  Moskau 
bleiben,  wo  seine  Gegenwart  unentbehrlich  war. 

Sein  Todesjahr  wissen  wir  ebensowenig  als  nähere 
Umstände  von  seiner  Familie. i) 

Wolkow  war  ein  Mann  von  sehr  aufgeklärtem  Ver- 
stände, sprach  verschiedene  Sprachen  in  der  größten 

^)  Dimitrij  Wassiljewitsch  Wolkow,  geboren  1718,  starb  im 
Jahre  1785. 


240  64-  Bressan. 

Vollkommenheit,  ob  er  gleich  nie  aus  Rußland  ge- 
kommen war,  kannte  sein  Vaterland  genau,  hatte  eine 
außerordentliche  Menschenkenntnis  und  war  über- 
haupt einer  der  größten  Köpfe,  die  Rußland  jemals 
hervorgebracht  hat.  Er  hatte  immer  im  politischen 
Fache  gearbeitet,  daher  konnte  er  auch,  soviel  es  einem 
Ausländer  möglich  ist,  die  Vorteile  und  Mängel  der 
übrigen  europäischen  Staaten  kennen,  und  ihre  natür- 
lichen und  politischen  Verhältnisse  untereinander  be- 
urteilen. —  Seine  Grundsätze  als  Gatte,  als  Vater,  als 
Freund,  werden  von  allen,  die  ihn  kannten,  gerühmt. 


64.  Bressan. 

Schon  dadurch  zeichnet  sich  die  Regierung  Peters  III. 
vorteilhaft  aus,  daß  in  einer  Zeit  von  sechs  Monaten 
nur  ein^)  Günstling  aufzuweisen  ist,  der  sein  Glück  ge- 
macht hat.  Und  auch  dieses  Glück  war  nur  mäßig  und 
wurde  einem  Manne  von  Verdiensten  erteilt,  der  nicht 
gewöhnliche  Kenntnisse  in  seinem  Fache  und  eine 
seltene  Rechtschaffenheit  in  sich  vereinigte. 

Bressan,  2)  aus  Monako  in  Italien  gebürtig,  hatte 
einen  Teil  seiner  frühern  Jugend  in  Frankreich  zuge- 
bracht, wo  er  eine  sehr  gute  Erziehung  und  nützlichen 
Unterricht  in  Kameralwissenschaften,  Künsten  und 
Handelskenntnissen  bekommen  hatte.  Arm,  wie  er 
war,  suchte  er  sein  Glück  in  andern  Ländern  und  fand 
es  in  Rußland,  wo  damals  Elisabeth  regierte  und  wohin 

^)  Wolkow,  von  dem  im  vorhergehenden  Artikel  gehandelt 
wurde,  stieg  zwar  unter  Peter  III.  empor,  doch  war  er  schon  unter 
der  Regierung  der  Elisabeth  in  wichtigen  Geschäften  gebraucht 
worden.    H. 

2)  Alexander,  geboren  1719. 


64-  Bressan.  24I 

er  durch  Zufall  kam.  Hier  gab  er  sich  geradezu  für 
einen  Franzosen  aus,  weil  er  wußte,  daß  dies  als  eine 
Empfehlung  von  Gewicht  in  einem  Lande  galt,  wo 
man  nur  auf  dem  Wege  war,  sich  zu  zivilisieren.  Er 
wurde  dem  Großfürsten  Peter  zum  Kammerdiener  vor- 
geschlagen. Dieser  Prinz  nahm  ihn  an  und  war  außer- 
ordentlich mit  ihm  zufrieden.  Es  war  ihm  desto  ange- 
nehmer zu  hören,  daß  Bressan  eigentlich  ein  Italiener 
war,  da  er  nicht  gern  von  seinem  Vorurteil,  alle  Fran- 
zosen für  leichtsinnig  und  unzuverlässig  zu  halten,  ab- 
gehen wollte.  Nach  und  nach  erwarb  sich  dieser  recht- 
schaffene Mann  das  uneingeschränkte  Zutrauen  seines 
Herrn. 

Sobald  Peter  den  Thron  bestiegen  hatte  (1762), 
dachte  er  daran,  Bressan  eine  anständige  Anstellung 
zu  geben,  und  sogleich  dessen  Treue  zu  belohnen.  Er 
machte  ihn  zum  holsteinischen  Kammerherrn  und 
Brigadier,  zum  Direktor  der  Petersburger  GobeHn- 
fabrik,  zum  Präsidenten  vom  Manufaktur- Kollegium, 
zum  Direktor  aller  von  demselben  abhängenden  Fa- 
briken, und  endlich  zum  russisch-kaiserlichen  Staats- 
rat. 

In  dem  fürchterlichen  Augenblicke  der  Thronbestei- 
gung Katharinas  II.  gab  Bressan  einen  auffallenden  Be- 
weis seiner  Geistesgegenwart  und  seiner  Treue  gegen 
den  Kaiser.  An  diesem  schrecklichen  Morgen  fanden 
die  Anhänger  der  Kaiserin,  daß  es  für  ihr  Unternehmen 
gut  sei,  die  Kommunikation  mit  Oranienbaum  zu  hem- 
men, damit  Peter  III.  nicht  vor  der  Zeit  von  dem  Vor- 
haben der  Empörer  unterrichtet  wurde.  Um  dies  zu 
bewirken,  wollten  sie  die  sogenannte  Kalinkische 
Brücke  besetzen,  die  am  nächsten  auf  die  Straße  nach 
Oranienbaum  führt.  Sie  taten  es  auch,  indem  sie  ein 
Korps  Truppen  auf  diese  Brücke  stellten  und  dadurch 

Russische  Günstlinge.  ig 


242  65.  Gregor ej  Orlow  I. 

den  Übergang  gänzlich  sperrten.  Indessen  war  ihnen 
Bressan  schon  zuvorgekommen.  Sobald  er  Nachricht 
von  dem  Ausbruche  der  Empörung  und  von  dem  Vor- 
haben der  Kaiserin  hatte,  deren  Betragen  ihm  schon 
lange  verdächtig  war,  schrieb  er  ein  kleines  Billett  an 
den  Kaiser,  in  welchem  er  ihm  den  Vorgang  der  Sache 
meldete,  soweit  er  ihn  kannte.  Dieses  Billett  gab  er 
seinem  treuesten  Bedienten,  verkleidete  ihn  als  Bauer, 
setzte  ihn  auf  einen  kleinen,  dort  gewöhnlichen  Bauer- 
karren, mit  einem  Pferde  bespannt  und  schickte  ihn 
nach  Oranienbaum,  mit  dem  strengen  Befehl,  das 
Billett  in  keine  andern  Hände,  als  in  die  des  Kaisers  zu 
geben.  Dieser  vermeinte  Bauer  war  eben  über  die 
Brücke  gefahren,  aJs  die  Truppen  dahin  kamen,  um  sie 
zu  besetzen.  Bressan  hatte  seine  Pflicht  getan,  aber 
Peter  III.  tat  nicht  die  seinige.  Er  hatte  dasBillett  seines 
treuen  Dieners  erhalten,  aber  es  fehlte  ihm  der  unter- 
nehmende Geist,  der  ihn  hätte  beseelen  sollen,  um  die 
Ratschläge  seiner  Freunde  zu  befolgen.^) 

Nach  dem  Tode  Peter  III.  verlor  Bressan  alles.  Er 
zog  sich  gänzlich  zurück.  Übrigens  wissen  wir  nichts 
von  dem  Schicksale  dieses  braven  Mannes. 2) 


65.  Gregorej  Orlow  I. 

Geringfügige,  in  ihrem  Entstehen  fast  unbemerkbare 
Umstände  waren  von  jeher  der  Hebel  der  wichtigsten 
Begebenheiten.  —  Die  Nachlässigkeit  des  russischen 
Staatsministers,  Grafen  Panin,  3)  der  eine  Depesche  aus 

^)  Crusenstolpe  I,  S.  258  ff.  —  ^)  Er  starb  1779. 

8)  Nikita  Paiiin  war  rechtschaffen,  klug,  angenehm,  gutherzig 
und  konnte  nicht  bestochen  werden.  Er  war  Hofmeister  des  Groß- 
fürsten   Paul    und    nahm    damals    teil    an    der    Thronentsetzung 


Gregor   Gregor o witsch  Orlow 


63.  Gugorej  Orlow  I.  243 

Konstantinopel,  welche  konziliante  Vorschläge  der 
Pforte  enthielt,  und  die  man  ihm  beim  Spiel  brachte, 
ungelesen  in  die  Tasche  steckte  und  sie  daselbst  ver- 
gaß, '.  brachte  unter  der  Regierung  der  letzten  Kaiserin 
von  Rußland  den  ersten  Türkenkrieg  hervor;  per- 
siflierende Berichte  der  russischen  Diplomatiker  in 
Stockholm,  die  Katharina  IL  belustigten,  und  Gustav 
III.,  der  sie  erfuhr,  in  Harnisch  brachten,  rüsteten  im 
zweiten  Türkenkriege  Schweden  gegen  Rußland;  und 
ein  Blick  dieser  Kaiserin,  den  sie  noch  als  Großfürstin, 
voll  Unmut  und  Zerstreuung,  aus  dem  Fenster  warf, 
und  den  der  gegenüberstehende  schöne  Orlow  auffing, 
erzeugte  durch  seine  Folgen  die  unerwartetsten  Er- 
eignisse. Er  raubte  dem  Kaiser  Peter  III,  den  Thron 
und  das  Leben,  veränderte  die  Gestalt  der  Staatsver- 
waltung in  Rußland,  und  hatte  einen  bestimmten,  oft 
diktatorischen  und  meist  schädlichen  Einfluß  auf  den 
größten  Teil  Europas.^) 

Die  Familie  Orlow  ist  nicht  preußischen  Ursprungs, 
wie  man  hat  behaupten  wollen,  sondern  gehört  zu  den 
altadeligen  Geschlechtern  des  russischen  Reichs.  2)  Ob 
übrigens  ihre  Entstehung  durch  die  Geschichte  der 

Peters  III.,  in  dessea^Tod  er  sogar  willigte.  Dies  verdunkelt  seine 
guten  Eigenschaften  sehr,  die  auch  schon  dadurch  gemindert 
wurden,  daß  er  sehr  schwach  und  unarbeitsam  oder,  besser  gesagt, 
nachlässig  war.  Katharina  II.  machte  ihn  zum  Grafen.  Er  starb 
mit  dem  Range  eines  Feldmarschalls.    H. 

^)  Hierzu  steht  Brückers  Äußerung  in  Widerspruch:  ,,Der 
eigentliche  politische  Einfluß  der  Günstlinge  ist  meist  überschätzt 
worden.  Katharina  ließ  sich  von  keinem  derselben  beherrschen. 
Selbst  die  hervorragendsten  unter  ihnen,  Gregor  Orlow,  Potemkin 
und  Subow  blieben  in  einer  gewissen  Abhängigkeit  von  der  Kaiserin" 
(Brücker,  Katharina  II.,  S.  600.) 

^)  Ihr  Ahnherr  soll  Gregor  Orlow  gewesen  sein,  der  als  Strelitze 
1689  in  Gegenwart  Peters  des  Großen  hingerichtet  werden  sollte 
und  durch  seine  Todesverachtung  die  Aufmerksamkeit  des  Herr- 
schers auf  sich  zog.  Er  wurde  nicht  nm:  begnadigt,  sondern  zum 
Gardeoffizier  ernannt. 

16* 


244  ^5-  Gregorej  Orlow  I. 

kleinen  Stadt  Orlow  am  Fluß  Wjatka  im  Gouverne- 
ment Kasan,  oder  andrer  kleiner  örter,  die  Orlow 
heißen,  erläutert  oder  berühmter  gemacht  werden 
könnte,  ist  uns  unbekannt. 

Nach  einer  Nachricht  des  Grafen  Alexis  Orlow,  die 
vielleicht  in  Ansehung  der  Bestimmung  des  Ranges 
zu  vorteilhaft  angegeben  ist,  bekleidete  der  Vater, 
Gregor  Orlow,  unter  der  Regierung  Peters  I.  ungefähr 
die  Stelle  eines  Oberstleutnants  der  Strelzi,  heiratete 
in  seinem  dreiundfünfzigsten  Jahre  ein  Fräulein  Sino- 
wiew,  ein  Mädchen  von  sechzehn  Jahren,  und  zeugte 
mit  ihr  noch  neun  Söhne.  Vier  von  ihnen  starben  wahr- 
scheinhch  als  Kinder,  aber  fünf  sind  uns  bekannt  ge- 
worden. Sie  hießen:  Iwan,  Gregorej,  Alexej,  Feodor 
und  Wlodimir.  Von  jedem  wird  besonders  gehandelt 
werden. 

Die  drei  ältesten  Brüder,  von  denen  Gregor  der 
zweite  war,  kamen  in  das  Landkadettenkorps,  wo  sie 
eine  recht  gute,  militärische  Erziehung  erhielten  und 
besonders  die  vornehmen  ausländischen  Sprachen, 
Deutsch  und  Französisch,  lernten. 

Gregor  1)  kam  von  hier  in  ein  Garderegiment  zu  Fuß, 
wurde  aber,  wahrscheinlich  auf  sein  Verlangen,  bald 
versetzt  und  kam  zur  Artillerie.  Er  war  der  schönste 
Mann  des  Nordens  und  dieser  Vorteil  trug  dazu  bei, 
ihm  den  Platz  eines  Adjutanten  beim  Generalfeldzeug- 
meister zu  verschaffen.  In  dieser  Stelle  hatte  er  durch 
die  entdeckte  Verbindung  mit  einer  Dame  Verdrieß- 
lichkeiten, die  ihm  beinahe  seine  Freiheit  geraubt 
hätten,  die  aber  noch  glücklich  vorübergingen.  Übri- 
gens lebten  Gregorej  und  seine  drei  Brüder,  denn  Feo- 
dor war  nun  auch  dazu  gekommen,  in  größter  Einig- 
keit. Sie  hatten  eine  nicht  unbeträchtliche  Besitzung 

^)  Gregor  wurde  am  17.  Oktober  1734  geboren. 


65.  Gregoyej  Orlow  I.  245 

ihres  Vaters  verkauft,  zehrten  von  dem  Kapital,  waren 
immer  in  lustiger,  wenig  gewählter  Gesellschaft,  spiel- 
ten und  machten  durch  ihre  Ausschweifungen  bei  Hofe 
und  in  der  Stadt  von  sich  reden.  Auf  diese  Art  wurde 
ihr  Vermögen  aufgezehrt  und  Schulden  traten  an 
dessen  Stelle.  Da  ihnen  bald  der  Kredit  fehlte,  so  fing 
die  Lage  der  vier  Brüder  an,  bedenklich  zu  werden, 
doch  halfen  sie  sich  durch  Klugheit  und  durch  Glück 
im  Spiel. 

Als  im  Siebenjährigen  Kriege,  unter  der  Regierung 
der  Elisabeth,  der  von  den  Russen  zum  Gefangenen 
gemachte  preußische  Graf  Schwerin^)  nach  Petersburg 
gebracht  werden  sollte,  und  man  bei  dieser  Gelegenheit 
um  Leute  verlegen  war,  die  mit  einem  guten  Äußern 
Entschlossenheit  und  Mut  verbänden,  kam  einer  auf 
den  Einfall,  daß  man  wohl  den  Gregor  Orlow,  der  da- 
mals schon  Offizier  war,  auch  dazu  geben  könnte,  da 
er  alle  erforderlichen  Vorzüge  besäße  und  überdies 
nichts  als  Unfug  in  den  öffentlichen  Häusern  in  Pe- 
tersburg machte.  Gregor  erhielt  auch  wirklich  diese 
Bestimmung.  Als  er  mit  dem  Grafen  Schwerin  ankam, 
dem  man  eine  Wohnung  in  dem  Woronzowschen,  jetzt 
Strogonowschen,  Hause  in  der  Perspektive  und  an  der 
Moika  anwies,  bezog  Orlow  ein  kleines  Haus  in  der 
Nähe,  um  sogleich  bei  der  Hand  sein  zu  können. 

In  dieser  Gegend  stand  auch  das  ehemalige  Winter- 
palais, welches  die  kaiserliche  Familie  bewohnte. 

Man  erzählt  mit  großer  Bestimmtheit,  Katharina 
habe  nach  einer  der  unmutsvollen  Szenen,  die  sie  zu- 
weilen mit  der  Kaiserin  oder  mit  ihrem  Gemahl  hatte, 
aus  Zerstreuung  ein  Fenster  geöffnet  und  ihr  erster 
Blick  sei  auf  Orlow  gefallen.  Von  diesem  Augenblick 

^)  Schwerin  war,  wenn  wir  nicht  irren,  der  nämliche,  der  als 
Oberstallmeister   starb   und  ein  Günstling  Friedrichs  11.  war.    H. 


246  65-  Gregorej  Orlow  I. 

an  war  alles  entschieden.  Der  Anblick  des  schönen 
Mannes  war  ein  elektrisches  Feuer,  das  Katharina  be- 
seelte. Der  bloße  Gedanke  an  ihn  füllte  in  ihrem  Her- 
zen eine  Leere  aus,  die  daselbst,  nach  dem  Abgange  des 
Grafen  Poniatowski  von  Petersburg,  entstanden  war. 
Seitdem  hatten  zwajr  manche  Gegenstände  auf  sie  Ein- 
druck gemacht,  aber  keiner  war  bleibend  gewesen. 
Gregor,  sich  seiner  großen  Schönheit  bewußt,  und  des- 
wegen sozusagen  seiner  Sache  bei  der  Großfürstin  ge- 
wiß, bemerkte  als  Kenner  sehr  bald  und  mit  Freuden 
die  Wirkung,  die  er  gemacht  hatte. 

Von  nun  an  entstand  zwischen  Katharina  und  Or- 
low eine  Intrige,  die  den  gewöhnlichen  Gang  solcher 
Händel  hatte. 

Die  Nacht  verbarg  in  Gregors  Zimmern  die  ver- 
botenen Zusammenkünfte,  die  dem  Tage  ein  Geheim- 
nis blieben. 

Die  Folgen  davon  wurden  noch  unter  der  Regierung 
der  Kaiserin  Ehsabeth  sichtbar  und  machten  den  Vor- 
wand eines  kranken  Fußes  notwendig,  der  die  Groß- 
fürstin des  Zwanges  überhob,  sich  vor  der  Monarchin 
anders  als  sitzend,  sehen  zu  lassen.  Erst  im  Monat 
April  1762,  also  unter  der  Regierung  Peters  IH., 
wurde  Katharina  wieder  hergestellt. 

Die  Finanzen  dieser  Prinzessin,  als  Gemahhn  des 
Thronfolgers,  waren  sehr  eingeschränkt.  Sie  konnte  der 
Verschwendung  Orlows  und  seiner  Brüder  nicht  Ge- 
nüge leisten^  und  kam  in  Verlegenheit.  Diese  wurde 
dringender,  als  die  wichtigen  Bedürfnisse  in  den  ersten 
sechs  Monaten  des  Jahres  1762  größere  Zahlungen 
heischten. 

Beispiele  gelungener  Empörungen  aus  der  neuern 
Geschichte  des  russischen  Hofs  erweckten  in  Katha- 
rina den  Gedanken  der  Möglichkeit  einer  ähnlichen 


63-  Gregorej  Orlow  I.  247 

Unternehmung.  Dieser  Gedanke  wurde  besonders 
durch  zwei  Empfindungen  unterstützt :  durch  Herrsch- 
sucht und  durch  ein  Gefühl,  das  man  sehr  uneigentHch 
Liebe  nennt.  ^)  Nun  wurde  die  Idee  einer  Revolution 
dem  Günstlinge  mitgeteilt  und  daraus  entstand  ein 
förmhcher  Entwurf.  Gregors  Brüder  nahmen  daran 
lebhaften,  wesentlichen  Anteil.  Im  Hause  ihres  Bru- 
ders wurden  sie  mit  der  Kaiserin  bekannt,  Orlows 
Wohnung,  sonst  der  Sitz  des  sinnHchen  Vergnügens, 
ward  jetzt  zur  Höhle  der  Empörung.  Die  Brüder  Or- 
low übernahmen  das  Geschäft,  die  Garden  zum  Vorteil 
der  Kaiserin  zu  gewinnen,  indes  diese  Prinzessin  ihrer 
Freundin,  der  Fürstin  Daschkow^),  die  Rolle  gab, 
einige  Großen  des  Hofs  in  Katharinas  Interesse  zu 
ziehen.  Hierzu  gehörte  nur  Feinheit  allein,  aber  zu 
jenem  Gewerbe  wurde  auch  Geld  erfordert.  Um  die 
Disposition  großer  Summen  zu  haben,  geriet  man  auf 
den  Einfall,  die  Zahlmeisterstelle  bei  der  Artillerie,  die 
eben  damals  unbesetzt  war,  dem  Leutnant  Gregor  Or- 
low zu  verschaffen.  Die  Kaiserin  empfahl  ihn  durch 
die  dritte  Hand.  Der  General  Purpur^),  der  damals  sein 

^)  ,,Über  das  Maß  des  Anteils  verschiedener  Personen  an  dem 
Sturze  Peters  und  der  Erhebung  Katharinas  sind  einander  wider- 
sprechende Mitteilungen  in  den  Quellen  enthalten.  Ebenso  ist  es 
nicht  leicht,  die  Zeit  der  Entstehung  des  Verschwörungsentwurfs 
anzugeben.  Es  gibt  eben  im  einzelnen  sehr  abweichende  Angaben." 
(Brücker,  S.  91.) 

*)  Diese  Dame,  eine  geborene  Woronzow,  war  eine  Schwester 
der  Freundin  Peters  III.  und  der  beiden  großen  Staatsmänner 
Semen  und  Alexander  Woronzow.  Sie  lebte  noch  am  Ende  der 
neunziger  Jahre  und  hatte  sich  vom  Hofe  und  von  Geschäften 
entfernt.  Diese  Frau  hatte  großen  Verstand,  sehr  viel  Kenntnisse 
und  unübertreffbare  Annehmlichkeiten  in  der  Unterhaltung,  aber 
auch  einen  Grad  von  Anmaßung,  die  besonders  der  Kaiserin  un- 
erträglich wurde.     H. 

^)  Purpur  war  damals  Generalmajor,  imd  für  diese  große  Gefällig- 
keit brachte  er  es  doch  nur  bis  zimi  Generalleutnant.  Er  war  es 
noch  im  Jahre  1799  und  nur  Ritter  des  Annen-Ordens.    H. 


248 


65.  Gregoref  Orlow  I. 


Chef  war,  wendete  zwar  ein,  daß  man  eine  so  große 
Kasse  nicht  füglich  einem  so  jungen  und  allerdings 
nicht  ganz  ordentlichen  Menschen  anvertrauen  könne. 
Allein  er  schwieg  endlich  als  er  hörte,  daß  die  Emp- 
fehlung von  hoher  Hand  käme.  Der  Besitz  so  großer 
Summen  setzte  ihn  in  den  Stand,  zum  Nutzen  der 
Kaiserin  zu  wirken.  Wenn  Peter  III.  durch  preußische 
Waffenübungen  die  Truppen  ermüdet  und  unmutig 
gemacht  hatte,  dann  fachten  die  Orlows  diesen  Zorn 
noch  mehr  an  und  gaben  zur  Erholung  den  Soldaten, 
im  Namen  der  Kaiserin,  kleine  Summen.  Sie  streuten 
mit  der  einen  Hand  in  allen  Garderegimentern  den  Sa- 
men der  Unzufriedenheit  und  des  Aufruhrs  aus  und 
verteilten  mit  der  andern  Hand  die  Wohltaten  der 
Kaiserin.  So  gewannen  sie  vorzüglich  zwei  Kompa- 
gnien des  Regiments  Ismaüow,  das  unter  den  Befehlen 
des  Grafen  Kyrilla  Rasumowsky  stand,  der  sich  schon 
unter  der  Hand  für  die  Kaiserin  erklärt  hatte. 
;  Man  weiß,  daß  die  Revolution  erst  dann  geschehen 
sollte,  wenn  der  Kaiser  seinen  Feldzug  gegen  Däne- 
mark würde  angetreten  haben,  daß  man  sie  aber  be- 
schleunigte, weil  Passek,  einer  der  Verschworenen, 
sich  im  Trünke  verraten  hatte  und  nun  arretiert  wor- 
den war.  Zum  Glück  für  die  Unternehmung  war  alles 
bereit  und  der  fürchterliche  Vorhang  konnte  ohne  Be- 
denken in  jedem  Augenblick  aufgezogen  werden.  Es 
geschah  auf  Passeks  Veranlassung.  Die  Empörer,  ohne 
die  Kaiserin  zu  fragen,  kamen  überein,  das  Werk  zu 
beginnen.  Noch  in  der  nämlichen  Nacht  begab  sich 
Alexis  Orlow  nach  Peterhof,  um  die  Kaiserin  abzu- 
holen. Gregor  blieb  in  der  Stadt,  spielte  und  berauschte 
die  ganze  Nacht  hindurch  einen  gewissen  Perfiliew,^) 

^)  PerfUiew  soll  damals  Offizier  von  der  Garde  gewesen  sein. 
Daß  er  nie  mehr  wurde,  kann  man  denken.    H. 


ö^-  Grggorej  Orlow  I.  249 

der  von  Peter  III.  den  Auftrag  hatte,  die  Anhänger 
Katharinas,  die  ihm  nicht  ganz  unbekannt  waren,  zu 
beobachten.  Orlow  verlor  einige  tausend  Rubel  an  ihn. 
Gegen  Morgen,  als  Perfiliews  Bemühungen  nicht  mehr 
gefährlich  werden  konnten,  Heß  er  ihn  gehen,  begab 
sich  in  die  Garden,  und  war  schon  mit  allen  seinen  Ge- 
schäften fertig,  ehe  die  Kaiserin  kam.  Gregor  fuhr  ihr 
entgegen;  er  rief  ihr  zu,  daß  alles  bereit  sei.  Man  eilte 
in  die  Garden,  die  Revolution  begann  und  hatte  den 
erwünschsten  Fortgang. 

An  dem  nämUchen  Abende  ritt  die  Kaiserin  an  der 
Spitze  einer  ziemhch  ansehnlichen  Armee  auf  den  Weg 
nach  Peterhof,  um  von  dort  aus  die  Revolution  durch 
die  Unterjochung  Peters  III.  zu  beendigen,  im  Fall  er 
sich  sollte  beikommen  lassen,  sich  zu  widersetzen.  Gre- 
gor war  im  Gefolge  dieser  Prinzessin.  Man  kam  erst  am 
andern  Morgen  nach  Peterhof.  Von  hier  aus  ging  dieser 
Orlow  mit  Ismailow^)  nach  Oranienbaum,  ließ  sich  aber 
nicht  von  dem  Kaiser  sehen.  Durch  die  elende  Ver- 
zichtleistung dieses  Prinzen  wurde  die  Revolution  be- 
endigt. 

An  diesem  Tage  kehrte  man  nach  Petersburg  zurück. 
Abends  war  Cour  im  Sommergartenpalais  und  nun 
enthüllte  sich  den  Höflingen  ein  Umstand,  der  ihnen 
bisher  ein  Geheimnis  gewesen  war.  Orlow  hatte  sich 
tags  zuvor  an  das  Bein  gestoßen.  Da  er  nicht  gut  stehen 
konnte,  so  setzte  er  sich,  und  zwar  sehr  bedeutungsvoll, 
neben  den  Thron.  Als  einige  Generale  kamen,  bat  er 
um  Verzeihung,  daß  er  nicht  aufstehen  könne.  Wenige 
Zeit  nachher  mußten  diese  vor  ihm  aufstehen. 

*)  Michael  IsmaTlow  war  damals  eigentlich  am  Hofe  des  Kaisers, 
als  er  dessen  Verräter  wurde.  Er  lebte  noch  am  Ende  des  letzten 
Jahrhunderts  als  Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Ritter  des  Andreas- 
Ordens.    H. 


250  65-  Gregorej  Orlow  I. 

Die  Sache  wurde  noch  deutlicher  gemacht. 

Er  bezog  sogleich  eine  Menge  Zimmer  im  Kaiser- 
lichen Winterpalais,  ganz  in  der  Nähe  der  neuen 
Monarchin  und  wurde  auf  diese  Art,  nach  dem 
Beispiele  der  großen  Vorgängerinnen  Katharinas,  der 
Kaiserin  Anna  und  Elisabeth,  dem  ganzen  Hofe, 
und  zwar  noch  bei  Lebzeiten  des  gefangenen  Kaisers 
Peter  III.,  als  öffentlich  erklärter  Liebling,  feierlich 
dargestellt. 

Gregor  Orlow  legte  nicht  selbst  Hand  an,  als  Pe- 
ter III.  sterben  mußte,  aber  er  war  der  Urheber  der 
Ermordung  dieses  Fürsten. 

Die  Belohnungen  für  die  wichtigen  Dienste,  die  er 
geleistet  hatte,  fingen  damit  an,  daß  ihm  die  Kaiserinden 
Kammerherrnschlüssel  und  den  Alexander-Newsky- 
Orden  gab.  Die  Grafenwürde  für  ihn  und  seine  Brü- 
der und  höhere  Ehrenstellen  folgten  bald  nach,  als: 
Generaladjutant  der  Kaiserin,  Generaldirektor  aller 
Fortifikationen,  Chef  der  Chevaliergarde,  Oberstleut- 
nant der  Garde  zu  Pferde  und  Präsident  des  Gerichts 
über  die  neuen  Pflanzbürger.  Endlich  wurde  er  Gene- 
ralfeldzeugmeister, Ritter  des  blauen  Bandes  von  Ruß- 
land und  verschiedener  fremder  Orden  und  Reichs- 
fürst. 

Er  war  übrigens  lange  Jahre  hindurch  der  einzige, 
der  das  Glück  hatte,  das  Porträt  seiner  Monarchin  im 
Knopfloche  tragen  zu  dürfen.  Es  war  mit  einem  Unge- 
heuern BriUant,  einem  sogenannten  Tafelsteine,  in 
Form  eines  Herzens,  bedeckt. 

Daß  seine  Reichtümer  nach  Millionen  gerechnet 
werden  konnten,  versteht  sich  von  selbst.  Hierzu 
kommt  noch  der  prächtige  Stegelmannsche  Palast  i) 

^)  In  späteren  Zeiten  bewohnte  ihn  Graf  Anhalt,  zuletzt  Kos- 
cziusko.    H. 


6^.  Gregore j  Orlow  I.  25 1 

in  Petersburg  an  der  Moika,  die  Kaiserlichen  Kammer- 
güter Gatschina^)  und  Ropscha,^)  wo  Peter  IIL  ver- 
blich, und  sehr  erträghche  Güter  in  Livland,  Estland 
und  hauptsächlich  in  Rußland. 

Orlows  Macht  war  die  eines  Souveräns.  Aus  allen 
kaiserhchen  Kassen  konnte  er  auf  seine  Unterschrift 
bis  hunderttausend  Rubel  erheben. 

Aber  sein  Ansehen  sollte  noch  höher  steigen. 

Katharina  und  er  wünschten  sich  zu  heiraten.  Sie 
wußten  geschickt  .genug  dieses  Heiratsprojekt  in  den 
Jahren  1762  und  1763  bekanntzumachen,  um  dar- 
über die  Gesinnungen  der  Nation  und  des  Hofs  zu  er- 
forschen. 

Diesem  unwidersprechlichen  Beweise  der  Verblen- 
dung der  Kaiserin  widersetzten  sich  die  Grafen  Bestu- 
schew,  Woronzow  und  Panin,  drei  Männer,  die  in  der 
russischen  Geschichte .  berüchtigt,  bekannt  und  be- 
rülunt  geworden  sind.  Da  dieses  Projekt  unausgeführt 
bleiben  mußte,  so  wurde  Orlow  dafür  in  den  Fürsten- 
stand erhoben,  die  Kaiserin  behielt  aber  das  Diplom 
noch  bei  sich. 

Dieser  Günsthng,  den  man  in  der  Verwaltung  seiner 
weitläufigen,  mit  unimterbrochenen  Beschäftigungen 
verbundenen  Ämter,  besonders  aber  in  der  Aufsicht 
über  das  Kolonistenwesen,  großer  Nachlässigkeit  be- 
schuldigen mußte,  zeigte  doch  immer,  wie  er  auch  von 
dem  ersten  Augenbhcke  seiner  Bekanntschaft  mit  der 
Kaiserin  getan  hatte,  die  unverändertste  Anhänglich- 
keit an  ihre  Person.  Seiner  Vorsicht,  seiner  Entschlos- 
senheit und  seinem  Mute  hat  es  die  Monarchin  zu  dan- 

^)  Gatschina,  ein  schönes  Schloß  und  Garten  mit  einer  kleinen 
Stadt,  gehört  jetzt  der  Kaiserinmutter.     H. 

*)  Ropscha,  ein  Dorf  mit  Schloß  und  Garten,  wurde  von  Orlow 
an  den  Armenianer  Lasarow  verkauft.  Von  ihm  kaufte  es  Kaiser 
Paul  I.    H. 


252 


65-  Gregorej  Orlow  I. 


ken,  daß  drei  Verschwörer  gegen  sie  entdeckt  und 
fruchtlos  gemacht  wurden. 

Wenn  aber  auch  auf  der  einen  Seite  die  treue  An- 
hänghchkeit  noch  fortdauerte  und  nur  im  Äußern 
augenblickhch  unterbrochen  schien,  so  war  doch  auf 
der  andern  der  entschiedenste  Überdruß  an  die  Stelle 
der  Zuneigung  getreten.  Hierzu  hatte  der  GünstHng  in 
seinem  Privatleben  durch  sein  pöbelhaftes,  immer 
mehr  anmaßendes  Betragen  selbst  Veranlassung  ge- 
geben. 

Orlow  hatte  keinen  Begriff  von  Förmlichkeiten. 
Seine  Verhältnisse  mit  Katharina  hatten  ganz  den 
Charakter  gemeiner  Verbindungen,  die  ohne  Grund- 
sätze und  nur  in  physischer  Hinsicht  geschlossen 
werden. 

Katharina  lernte  nun  einsehen,  wie  gut  es  sei,  daß 
die  Heirat  mit  Orlow  nicht  zustande  gekommen  war. 
Jetzt  dachte  sie  nur  darauf,  ihn,  der  ihr  lästig  wurde, 
zu  entfernen. 

Gelegenheit  dazu  gab  der  Umstand,  daß  im  Jahre 
1771  die  Pest  in  Moskau  so  fürchterlich  wütete,  daß 
dort  allein  hundertundfünfzigtausend  Menschen  star- 
ben und  daher  ein  Mann  von  großem  Rang  erfordert 
wurde,  der  durch  weise  Anstalten  dieses  Übel  aufzu- 
halten suchen  sollte.^) 

Die  Kaiserin  selbst  stellte  ihrem  Günstlinge  vor, 
daß,  da  er  den  ganzen  Krieg  über  ruhig  in  Petersburg 
gewesen  sei,  er  jetzt,  durch  eine  kurze  Reise  nach  Mos- 
kau und  durch  seine  Bemühungen  daselbst,  den  leb- 
haftesten Dank  der  Nation  einernten  könne. 

Graf  Orlow  reiste  mit  einem  zahlreichen  Gefolge  ab 


^)  Brücker  kennzeichnet  das  Gerücht,  als  ob  Katharina  sich 
Orlows  durch  diese  Sendung  habe  entledigen  wollen,  als  Abge- 
schmacktheit. 


ö^.  Gregorej  Orlow  I.  253 

und  ein  sehr  geschickter  Wundarzt,  Todte,^)  begleitete 
ihn. 

Durch  die  vorsichtigen  und  zweckmäßigen  Ver- 
fügungen dieses  Mannes,  besonders  aber  des  Geheimen 
Rats  Wolkow,  wurden  nicht  nur  die  weitern  Fort- 
schritte dieses  Übels  gehemmt,  sondern  auch  die 
Krankheit  an  den  Orten,  wo  sie  wütete,  ausgerottet. 

Orlow  kam  nun  wieder  zurück,  mußte  aber  Qua- 
rantäne halten.  Als  er  nachher  in  Petersburg  eintraf, 
heuchelte  man  die  größte  Freude.  Es  wurde  ihm  zu 
Ehren  eine  Medaille  geschlagen,  auf  welcher  er,  ein 
zweiter  Curtius,  in  den  Pfuhl  sprang.  In  Zarskoje-Selo 
wurde  ihm  ein  marmorner  Triumphbogen,  nach  der 
Sitte  der  Römer,  errichtet. 

Er  war,  wie  auch  ehemals  zuweilen  es  der  Fall  war, 
nicht  ein  Zeichen  des  Sieges,  sondern  dazu  bestimmt, 
das  Andenken  einer  großen  Bürgertat  auf  die  Nach- 
kommenschaft zu  bringen. 

Die  Kaiserin  und  ihre  Freunde,  die  jetzt  Orlows 
Gegner  waren,  dachten  nun  auf  einen  schicklichen 
Vorwand,  ihn  ^uf  inuner  zu  entfernen,  und  dieser  fand 
sich  bald. 

In  Fockschanj,  einer  kleinen  Stadt  in  der  Walachei, 
an  den  Grenzen  der  Moldau,  sollte  ein  Kongreß  er- 
öffnet werden,  um  den  Türkenkrieg  zu  endigen.  Katha- 
rina trug  ihm  an,  das  Friedensgeschäft  zu  übernehmen 
und  auf  diese  Art  zum  zweiten  Male  den  Dank  der  Na- 
tion zu  verdienen. 

^)  Todte  wurde  für  seine  unendlichen  Bemühungen  schlecht 
belohnt.  Er  bekam  nicht  mehr  als  200  Rubel.  Außer  diesem 
Dr.  Todte  wurde  Orlow  noch  von  den  Ärzten  Binder,  Hertens  und 
Meltzer  begleitet,  anscheinend  lauter  Deutschen.  Das  Werkchen: 
,, Anekdoten  zur  Lebensgeschichte  des  Fürsten  Gregorius  Gregorie- 
witsch  Orlow",  das  näheres  über  die  Moskauer  Reise  enthält 
(Frankfurt  und  Leipzig  1791),  war  mir  leider  nicht  zugänglich. 


254  ^S-  ^^S^^i  Orlow  I. 

Sein  Stolz  machte  ihn  blind,  er  sah  den  Fallstrick 
nicht,  den  man  ihm  legte,  er  ging  in  die  Schlinge. 

Die  Anstalten  zur  Reise  des  mächtigsten  Monarchen 
konnten  nicht  mit  größerm  Aufwände  gemacht  wer- 
den. Er  hatte  Marschälle,  Kammerherren,  Kammer- 
junker, Pagen,  kaiserliche  Bediente  und  die  präch- 
tigsten Equipagen.  Nach  diesem  Maßstabe  war  Küche, 
Kellerei  und  alles  übrige  eingerichtet.  Die  Juwelen  in 
seinem  Anzüge  waren  von  ungeheuerm  Wert. 

Übrigens  begreift  ein  jeder,  daß  Graf  Orlow  für  die 
eigentlichen  Geschäfte  nur  den  Namen  hergab,  die  Ar- 
beit aber  andern  Männern  übertragen  war.  Demunge- 
achtet  wurde  der  Zweck  seiner  Sendung  ganz  verfehlt. 
Er  benahm  sich  mit  einer  Arroganz,  die  alle  empörte, 
und  mißhandelte  sogar  die  Türken. 

Er  war  noch  in  Fockschanj  als  er  im  September  1772 
erfuhr,  daß  auf  Empfehlung  seines  Feindes,  des  Grafen 
Panin,  ein  Offizier  namens  Wasiltschikow  von  der 
Kaiserin  als  Günstling  gewählt  worden  sei. 

Bei  dieser  Nachricht  wütete  Orlow. 

Er  setzte  sich  sogleich  in  eine  Kibitka,i)  mit  zwei 
Pferden  bespannt,  und  fuhr  Tag  und  Nacht  nach  Pe- 
tersburg zu.  Er  glaubte  daselbst  unerwartet  ankom- 
men zu  können,  aber  man  hatte  seine  Eilfertigkeit  ver- 
mutet und  Maßregeln  dagegen  genommen. 

Man  schickte  ihm  einen  Kurier  entgegen,  mit  einem 
Briefe  der  Kaiserin.  Sie  schrieb  ihm:  ,,es  sei  nicht  nötig, 
daß  er  Quarantäne  halte,  aber  sie  schlage  ihm  vor,  sein 
Schloß  Gatschina  zu  seinem  einstweiligen  Aufenthalt 
zu  wählen." 

Der  Kurier,  der  ihm  diesen  Brief  überbrachte,  traf 
ihn  unterwegs  an.  Orlow  war  der  Verzweiflung  nahe. 

^)  Kibitka  ist  ein  ganz  gemeines,  aber  sehr  leichtes  Fuhrwerk, 
dessen  sich  gewöhnlich  die  Kuriere  bedienen.    H. 


65.  Gregore j  Orlow  I.  255 

Man  würde  unrecht  tun,  wenn  man  dieses  Gefühl 
gekränkte  Liebe  nennen  wollte ;  es  war  nur  Scham,  sich 
hintergangen  zu  sehen,  und  beleidigter  Ehrgeiz,  nicht 
mehr  der  erste  Gebieter  im  Staate  zu  sein.^) 

Diese  Begebenheit  hatte  sehr  verschiedene  und  son- 
derbare Wirkungen.  In  Gatschina  war  Orlow  in  der 
größten  Wut  und  sein  Zorn  war  durch  die  Gewalt,  die 
man  ihm  entgegenstellte,  unnütz  gemacht.  In  Peters- 
burg zeigte  die  Kaiserin,  bei  allem  Bewußtsein  der 
Macht,  die  sie  umgab,  eine  so  große  Ängstlichkeit,  eine 
so  knechtische  Furcht,  daß  man  glauben  mußte,  ihr 
sonst  so  männlicher  Charakter  sei  ganz  von  ihr  ge- 
wichen. Als  Panin  sie  beruhigen  wollte,  und  diese 
Furcht  unnütz  nannte,  sagte  sie  zu  ihm:  ,,Sie  kennen 
ihn  nicht,  er  ist  fähig,  mich  und  den  Großfürsten  um- 
zubringen." Diese  Äußerung'der  Monarchin  ließ  einiger- 
maßen schließen,  daß  Katharina  Orlows  Wut  aus  Er- 
fahrung kenne. 

Sie  ließ  vor  der  Tür  des  Schlafzimmers  eiserne  Riegel 
machen  und  der  Kammerdiener  Sacharow  mußte  mit 
geladenen  Pistolen  Wache  halten.  In  der  Folge  machte 
ihr  Orlow  über  diese  Vorsicht,  die  er  wieder  erfuhr,  die 
härtesten  Vorwürfe. 

Indes  äußerte  sich  Orlows  Zorn  in  Gatschina  in  hef- 
tigen Ausbrüchen. 

Der  Hof  fand  es  (welcher  Beweis  eigentlicher 
Schwäche !)  seiner  eigenen  Sicherheit  angemessen,  mit 
ihm  in  Unterhandlungen  zu  treten.  Man  verlangte  bloß 
von  ihm,  daß  er  sich  ruhig  verhalten  und  seine  Stelle 
als  Liebling  einem  andern  überlassen  sollte. 

Unter  den  Personen  von  Ansehen  und  Gewicht,  die 

^)  Die  Kaiserin  hatte  die  eigentümliche  Verfügung  getroffen, 
daß  mindestens  ein  Jahr  vergehen  müsse,  ehe  sich  der  ehemalige 
Günstling  wieder  vor  ihr  zeigen  dürfe. 


256  65.  Gregorej  Orlow  I. 

zu  ihm  geschickt  wurden,  die  Unterhandlung  anzu- 
knüpfen, war  auch  Betzkoy,  von  jeher  ein  Freund, 
aber  keiner  war  imstande,  nur  die  geringste  Bewilli- 
gung zu  erlangen.  Die  Kaiserin  schickte  ihm  durch  den 
Geheimen  Rat  Adam  Wassil  je  witsch  Alsufiow  eine 
Million  Rubel  mit  der  Entschuldigung,  daß  sie  nicht 
mehr  habe.  Sie  hatte  ihm  nämlich  an  seinem  Namens- 
tage und  an  seinem  Geburtstage  zusammen  zweimal 
hunderttausend  Rubel  ausgesetzt.  Dies  Geld  hatte  er 
nie  genommen  und  so  waren  in  zehn  Jahren  zwei  Mil- 
lionen erwachsen,  von  denen  ihm  folglich  Katharina 
die  Hälfte  schuldig  blieb.  Orlow,  als  ihm  die  Million 
gebracht  wurde,  sagte,  er  verlange  nichts  mehr,  er 
wisse,  daß  es  dem  Reiche  zu  schwer  würde.j 

Übrigens  brachte  dieser  Schritt  der  Kaiserin  keine 
besondere  Wirkung  hervor. 

Für  Katharina  und  für  Orlow  war  es  ein  fürchter- 
liches Vierteljahr,  die  drei  letzten  Monate  des  Jahres 
1772.  Er  bewies,  daß  selbst  ein  Feind  in  Fesseln  (denn 
beides  war  er  doch  in  diesem  Augenblick)  gefürchtet 
werden  kann.  Die  Kaiserin  war  in  einer  immerwähren- 
den und  übertriebenen  Bangigkeit  und  konnte  auf 
keine  Weise  begreifen,  daß  ein  einzelner  Mann,  den 
man  ihr  nicht  nahe  kommen  ließ,  ihr  unmöglich  ge- 
fährlich werden  konnte;  Orlow  hingegen  hatte  in 
seinem  Betragen  alle  Symptome  eines  Rasenden.  Sein 
Toben  war  unnütz,  da  ihm  gegenüber  die  ganze  sou- 
veräne Macht  des  Hofs  aufgestellt  war. 

Weil  es  sich  denn  nun  gar  nicht  fügen  wollte,  fand 
man  nötig,  ihm  zu  drohen,''aber  welchen  Mut  hatte  die 
Kaiserin  dazu?  Er  solle  alle  seine  Würden  niederlegen 
und  nur  die  Titel  davon  behalten;  er  könne  reisen  im 
Reiche  und  außer  Landes,  wohin  er  wolle,  nur  dürfe  er 
nicht  nach  Petersburg  und  Moskau  kommen ;  er  müsse 


65-  Gregorej  Orlow  I.  257 

das  Porträt  der  Kaiserin  hergeben.  Dafür  wolle  man 
ihm  denn  hundertundfünf zigtausend  Rubel  Pension 
geben,  und  hunderttausend  Rubel  zur  Erbauung  eines 
Hauses  auf  einem  seiner  Güter.  Würde  er  aber  die  ihm 
gemachten  Anträge  nicht  annehmen,  so  wollte  man 
ihn,  welcher  teufhsche  Einfall,  nach  Ropscha  ver- 
weisen, wo  Peter  III.  auf  Orlows  Geheiß  gestorben 
war. 

Die  Antwort  auf  alle  diese  Vorschläge  fiel  nicht  nach 
Wunsch  aus.  Von  dem  Porträt  brach  er  gleich  die 
Brillanten  los  und  gab  sie  zurück ;  das  Bild  selbst  be- 
hielt er  und  sagte,  er  wolle  es  in  die  Hände  der  Kaiserin 
geben.  Man  kann  denken,  daß  sie  nie  den  Mut  hatte,  es 
zu  verlangen  und  nur  froh  war,  daß  er  nicht  selbst 
daran  dachte. 

Seine  Entlassung,  sagte  er,  könne  man  ihm  durch 
einen  Ukas  bekanntmachen.  Dieser  erfolgte  auch  so- 
gleich. Was  übrigens,  setzte  er  hinzu,  seinen  künftigen 
Aufenthalt  anbelange,  so  würde  er  sich  an  nichts  bin- 
den, sondern  nach  beendigter  Quarantäne  nach  Pe- 
tersburg kommen.  Man  wagte  es  nicht,  die  Drohung 
wegen  Ropscha  in  Erfüllung  zu  bringen. 

Endlich  wurde  noch  ein  Versuch  gemacht,  ihn  zu 
einer  bestimmten  Entfernung  zu  überreden. 

Graf  Zachar  Gregor] ewitsch  Tschernitschew^)  ging 
zu  ihm,  machte  ihm  den  Antrag,  auf  Reisen  und  in  die 
Bäder  zu  gehen  und  drang,  im  Namen  der  Kaiserin, 
auf  eine  kategorische  Antwort.  Orlow  schwatzte  ilmi 
von  Dingen  vor,  die  gar  nicht  zur  Sache  gehörten,  das 
Resultat  davon  aber  war,  daß  er  tun  werde,  was  ihm 
beliebe.  Tschernitschew  kam  also  zurück,  ohne  etwas 

^)  Damals    war    Graf    Tschernitschew    Präsident    des    Kriegs- 
kollegiums.   Er  starb  als  Generalfeldmarschall  und  Generalgouver- 
neur von  Moskau.    H. 
Russische  Günstlinge.  xj 


258  6 3-  Gregor ej  Orloiv  I. 

ausgerichtet  zu  haben,  versicherte  aber,  er  habe  an 
Orlow  eine  sichtbare  Verrücktheit  bemerkt.  Nun 
schickte  man  einen  Arzt  zu  ihm.  Sobald  dieser  in  das 
Zimmer  trat,  rief  ihm  jener  entgegen :  ,,Ah,  Du  bringst 
mir  gewiß  Bourgognerwein,  den  Peter  III.  so  gern 
trank." 

Nunmehr  schrieb  die  Kaiserin  an  ihn,  sie  habe  ge- 
hört, er  sei  kränkhch  und  sie  gebe  ihm  daher  die  Er- 
laubnis, die  Luft  zu  verändern,  und  auf  Reisen  zu 
gehen.  Wahrscheinlich  mochte  ihm  wohl  sein  Auf- 
enthalt langweilig  werden.  Er  antwortete  also  in 
sehr  gemäßigten  Ausdrücken :  er  sei  sehr  gesund  und 
wünsche  nur  das  Glück  zu  haben,  der  Kaiserin  münd- 
liche und  überzeugende  Beweise  davon  zu  geben,  und 
die  Erlaubnis  zu  erhalten,  seine  bisherigen  Geschäfte 
nach  wie  vor  betreiben  zu  dürfen.  An  der  mündlichen 
Unterhaltung  war  nun  aber  der  Kaiserin  nichts  ge- 
legen. Sie  schickte  ihm  das  Fürstendiplom,  nannte  ihn 
Durchlaucht,  und  bat  ihn,  eines  ihrer  Lustschlösser  zu 
seinem  Aufenthalt  zu  wählen. 

Orlow  ging  nach  Zarskoje-Selo  und  ging  gern  dahin, 
weil  ihn  dieser  Ort  um  die  Hälfte  des  Weges  der  Re- 
sidenz näherte. 

Hier  lebte  nun  Fürst  Orlow  eine  kurze  Zeit  mit  der 
Pracht  und  dem  Aufwände  eines  Kaisers  und  ver- 
sammelte täglich  eine  Menge  der  vornehmsten  Be- 
wohner Petersburg  um  sich  her. 

Aber  auf  einmal  verschwand  er  im  Monat  Dezember 
1772,  kam  nach  Petersburg  und  trat  in  das  Zimmer  der 
Kaiserin.  Anfänglich  glaubte  sie  vor  Schrecken  umzu- 
sinken, allein  sie  faßte  sich  desto  eher,  da  Orlow  ganz 
die  unbefangene  Miene  und  das  Ansehen  eines  alten 
Freundes  annahm.  Sie  betrugen  sich  beide  sehr  gut  und 
söhnten  sich  förmlich  aus.  Orlow  bheb  nun  den  Winter 


'\ 


Graf  Zacharias  Tschernitschc^ 


63.  Gregore]  Orlow  I.  259 

über  in  Petersburg,  bat  wieder  um  Geschäfte,  und  die 
Kaiserin  gab  ihm  alle  seine  vorigen  Beschäftigungen 
im  Staate  zurück. 

Die  Monarchin  suchte  nun,  ihn  durch  Geschenke, 
wie  man  zu  sagen  pflegt,  beim  Guten  zu  erhalten;  ein 
Grundsatz,  den  sie  gewöhnlich  beim  Abgange  ihrer 
Günsthnge  befolgte. 

So  gab  sie  ihm  z.  B.  unter  andern  sechstausend 
Bauern,  hundertundfünfzigtausend  Rubel  Pension  und 
ein  in  Frankreich  gearbeitetes  silbernes  Service,  das 
zweihundertundfünfzigtausend  Rubel  kostete.  Doch 
das  kostbarste  Geschenk  von  allen  war  der  Marmor- 
palast, i)  Fürst  Orlow  auf  seiner  Seite  machte  der  Kai- 
serin ein  Geschenk,  das,  so  lange  der  russische  Hof 
seinen  jetzigen  Glanz  behält,  immer  an  diesen  Günst- 
ling erinnern  wird.  Er  kaufte  den  berühmten  großen 
Brillant,  2)  der  der  Monarchin  zu  teuer  gewesen  war,  für 
vierhundertundsechzigtauser  d   Rubel    und    schenkte 

^)  Der  Bau  des  Marmorpalastes  wurde  1770  angefangen  und  1783 
auf  kaiserliche  Kosten  beendigt.  Katharina  II.  gab  ihm,  als  sie  ihn 
an  Orlow  schenkte,  die  Inschrift:  ,, Gebäude  aus  Dankbarkeit". 
Der  Unterteil  ist  Granit,  der  Oberteil  grauer  Marmor  mit  roten 
Säulen,  die  Fensterrahmen  Bronze,  stark  vergoldet,  die  Scheiben 
Spiegelglas,  die  Dachsparren  Eisen,  das  Dach  Kupfer.  Katharina  II, 
kaufte  das  Palais  den  Erben  Orlows  ab.  Als  der  Großfürst  Kon- 
stantin sich  vermählte,  bewohnte  er  es.  Nachher  bezog  es  der 
unglückliche  Stanislaw  Poniatowski,   der  hier  starb.    H. 

^)  Die  erste  bekannte  Nachricht  von  dem  großen  Brillant,  der 
jetzt  das  russische  Zepter  ziert,  ist  die,  daß  er  sich  in  dem 
Schatze  des  berüchtigten  Schach  Nadir  befand.  Nach  mancherlei 
Schicksalen  kam  er  durch  armenische  Kaufleute  nach  Peters- 
burg, und  wurde  mit  iioooo  Gulden  versichert.  Von  der  Kauf- 
summe, 460000  Rubel,  bezahlte  Orlow  einen  Teil  sogleich,  den 
andern  auf  seinen  Reisen.  Der  ,, Orlow"  bildete  ursprünglich  das 
Auge  einer  Brahmastatue.  Orlow  kaufte  ihn  1794  für  450000 
Rubel,  einer  Leibrente  von  4000  Rubel  und  einen  Adelsbrief. 
Der  Stein  ziert  jetzt  die  Spitze  des  russischen  Zepters  und 
wiegt  194V4  Karat.  Er  ist  bis  jetzt  der  größte  aller  geschliffenen 
Diamanten. 

17* 


200  65.  Gregorej  Orlow  I. 

ihn  dieser  Prinzessin;^)  noch  mehr  aber  verherriichte 
er  seine  Epoche  durch  den  auf  seine  Kosten  voll- 
führten Bau  des  schönen  Arsenals  in  Petersburg. 

Aber  das  Gefühl,  nicht  mehr  der  allgewaltige  Mann 
zu  sein,  der  er  gewesen  war,  brachte  in  ihm  eine  Un- 
ruhe hervor,  die  auf  keine  Art  gedämpft  werden  konnte. 
Auf  einmal  fiel  es  ihm  ein,  sich  in  Reval  niederzulassen. 
Er  verlangte  hierzu  die  Erlaubnis  der  Kaiserin,  die  sie 
ihm  mit  Freuden  gab  und  ihm  ein  kleines  Schloß  in  der 
Nähe,  Katharinental,2)  zur  Wohnung  anbot.  Kaum 
war  er  daselbst  angekommen,  als  er  den  Einfall  be- 
kam zu  reisen.  Er  ging  nach  Frankreich,  blieb  aber 
nicht  lange  daselbst,  sondern  kehrte  nach  Petersburg 
zurück. 

Dort  hatte  sich  die  Szene  mit  Wasitschikow  auch 
schon  wieder  geändert,  und  Potemkin  war  an  dessen 
Stelle  gekommen,  auf  dessen  Entschlossenheit  die 
Kaiserin  melu:  rechnen  konnte,  und  daher  den  Fürsten 
Orlow  weniger  fürchtete.  Dieser,  der  wohl  sah,  daß  für 
ihn  am  Hofe  gar  nichts  mehr  zu  tun  sei,  verließ  einen 
Ort,  der  ihm  unerträglich  wurde,  und  begab  sich  nach 

^)  über  dieses  Geschenk  entrüstete  sich  die  sittenstrenge  Kaiserin 
Maria  Thersia  von  Österreich  in  einem  Brief  an  den  Grafen  Lacy 
vom  3.  Januar  1774:  „Sie  werden  schon  von  dem  Geschenk,  bestehend 
aus  diesem  großen  holländischen  Diamanten,  gehört  haben,  das  der 
Günstling  Orlow  der  Kaiserin  am  St.  Katharinentag  zu  machen 
gewagt  hat;  sie  hatte  sich  diesen  Stein  schon  lange  gewünscht,  nur 
war  er  ihr  zu  teuer.  Er  hatte  die  Unverschämtheit,  ihn  für  vier- 
hunderttausend Rubel  zu  kaufen  und  ihn  ihr  zum  Geschenk  an- 
zubieten. Man  hat  ihn  angenommen  und  ihn  zum  Gegenstand  der 
Bewunderung  und  des  Beifalls  gemacht;  ich  gestehe,  daß  ich  in 
meiner  ersten  Bewegung  beim  Lesen  den  Brief  unter  den  Tisch 
warf,  so  sehr  schämte  ich  mich  unsrer  menschlichen  Natur  und  der 
Schwachheit  unseres  Geschlechts."  (Briefe  der  Kaiserin  Maria 
Thersia.  Ausgew.  und  herausgeg.  von  W.  Fred.  München  1914. 
Georg  Müller,    i.  Bd.  S.  336;  II,  S.  133.) 

*)  Katharinental,  ein  kaiserlicher  Garten  mit  einem  Haus,  liegt 
einen  Viertelstunde  von  Reval.    H. 


65.  Gregore]  Orlow  I.  261 

Moskau,  dem  gewöhnlichen  Aufenthalt  der  vielen  Un- 
zufriedenen unter  der  Regierung  Katharinas. 

Demungeachtet  reiste  er  doch  immer  ab  und  zu, 
ging  an  den  Hof,  und  heiratete  endlich  in  Petersburg. 
Seit  diesem  Augenblicke  bemerkte  man  die  Rückkehr 
der  Ruhe  in  sein  Herz.  Er  zog  nun,  aus  Geschmack,  das 
Privatleben  seiner  vorigen  rauschenden  und  glänzen- 
den Existenz  vor.  Fürst  Orlow  ging  mit  seiner  Ge- 
mahlin auf  Reisen,  hatte  aber  das  Unglück,  sie  sehr  bald 
zu  verlieren. 

•  Nach  dem  Tode  seiner  Frau,  die  ihn  mit  sanfter 
Hand  geleitet  hatte,  kam  er  im  Jahre  1782  nach  Pe- 
tersburg zurück.  Bei  dem  Anblick  der  Gegenden,  die 
er  ehemals  als  Herrscher  bewohnt  hatte,  trat  seine 
vorige  Unruhe  wieder  hervor. 

Durch  seine  freimütigen  und  eigentlich  unüberlegten 
Äußerungen  vergrößerte  er  die  Zahl  seiner  Wider- 
sacher. Es  ist  wohl  ausgemacht  gewiß,  daß  Orlows 
Feinde  ihm  ein  abzehrendes  Gift  beibrachten,  dem 
zwar  seine  starke  Natur  so  viel  als  möglich  widerstand, 
das  aber  doch  die  Spuren  seiner  Wirkung  durch  eine 
gewisse  Zerrüttung  des  Verstandes  bezeichnete.  Zum 
Glück  wechselte  diese  Stimmung  mit  Ruhe  ab,  die  oft 
gar  nicht,  zuweilen  aber  nur  wenig,  unterbrochen 
wurde.  Ganz  seiner  vorigen  Gewohnheit  zuwider,  fing 
er  an,  sich  zwar  immer  prächtig,  aber  ganz  nach  dem 
russischen  alten  zarischen  Kostüm  zu  kleiden.  Er 
sprach  zwar  oft  sehr  vernünftig,  aber  immer  außer- 
ordentlich frei.  Seine  Feinde,  die  sich  über  dieses  son- 
derhngische  und  für  ihn  selbst  höchst  gefährliche  Be- 
tragen heimlich  freuten,  bedauerten  öffentlich,  daß 
der  Schmerz  über  den  Tod  seiner  Gemahlin  so  traurige 
Folgen  für  ihn  hätte  und  ermangelten  nicht,  der  Kai- 
serin gutgemeinte  Winke,  wegen  der  unbedachtsamen 


262  65-  Gregorej  Orlow  I. 

Reden  ihres  Günstlings,  zu  geben.  Demungeachtet  tat 
Katharina  weiter  nichts,  als  daß  sie  ihm  den  Verfall 
seines  Ansehens  zeigte.  Orlow,  der  noch  Verstand  ge- 
nug hatte,  zu  bemerken,  daß  sein  Einfluß  täghch  ge- 
ringer wurde,  und  der  diesen  Verlust  nicht  ertragen 
konnte,  fing  an,  immer  mehr  von  seiner  Besinnung  zu 
verlieren.  Er  hatte  schon  oft  mit  der  Kaiserin  sehr  frei 
gesprochen,  aber  nun  tat  er  es  ganz  laut  und  im  Bei- 
sein des  ganzen  Hofs.  So  sagte  er  ihr  bei  Gelegenheit 
des  Falls  des  Grafen  Panin,  den  er  sonst  gehaßt  hatte, 
jetzt  aber  davon  zurückgekommen  war,  daß  sie,  da  sie 
doch  von  nichtswürdigen  Leuten  umgeben  sein  wollte, 
wohl  getan  hätte,  diesen  rechtschaffenen  Mann  von 
sich  zu  entfernen.  —  Dem  ganzen  Hofe  sagte  der  Fürst, 
er  wisse  wohl,  daß  er  selbst,  weil  er  doch  noch  einige 
Ehrlichkeit  habe,  sehr  bald  werde  sterben  müssen,  daß 
er  aber  nur  noch  so  lange  zu  leben  wünsche,  bis  der 
Großfürst  von  seinen  Reisen  zurückgekommen  wäre.  — 
Man  kann  leicht  denken,  daß  Orlows  Feinde  ihn  diesen 
Termin,  der  sehr  nahe  war,  nicht  abwarten  ließen.  — 
Einige  Tage  nach  dieser  Szene  wurde  er  heftiger  krank, 
als  jemals.  In  den  Augenblicken  des  Ausbruches  seiner 
Geistesverwirrung  gab  er  dem  ganzen  Hofe  das  grauen- 
vollste Beispiel.  Er  sah  immer  die  blutende  Erschei- 
nung des  sterbenden  Kaisers,  und  der  um  ihn  her 
irrende  Schatten  dieses  Prinzen  klagte  ihn  vor  einem 
höhern  Gericht  an,  und  er  erschreckte  dadurch  sein 
Gewisser.  Noch  eine  kurze  Zeit  sträubte  sich  Or- 
lows starke  Natur,  bald  aber  mußte  sie  unterhegen.  Er 
starb  im  April  des  Jahres  1783  in  der  größten  Ver- 
zweiflung.^) 

Dies  war  das  Ende  eines  Mannes,  der  seine  Rolle  in 
der  großen  Welt  als  Leutnant  anfing,  zehn  Jahre  lang, 

^)  Orlow  starb  im  Wahnsinn. 


6j.  Gregore j  Orlow  I.  263 

ohne  den  Namen  zu  haben,  als  Kaiser  lebte,  und  end- 
lich ohne  Besinnung  starb.  Orlow  war  der  schönste 
Liebling  Katharinas.  Er  hatte  mehr  Verstand  als 
Kenntnisse,  war  mehr  leichtsinnig  als  boshaft,  mehr 
verschwenderisch  als  guttätig,  und  entschlossen  und 
mutig.  In  seinen  letztern  Lebensjahren  zeigte  er  eine 
jiußerordentliche  Rechtschaffenheit.  Entweder  war 
diese  in  seiner  Jugend  von  seinem  größern  Leichtsinn, 
und  von  seinem  Hange  zur  Wollust,  zur  Verschwendung 
und  zum  Stolz  verdrängt  worden,  oder  es  war  eine  Ver- 
änderung, die  man  dem  Umgange  mit  seiner  würdigen 
Gattin,  oder  dem  Umstände  zuschreiben  muß,'  daß 
er  wegen  seines  geringen  Einflusses  weniger  als  sonst 
nötig  hatte,  seinen  Charakter  zu  verleugnen. 

Die  Fürstin  Orlow  war  eine  geborne  Sinowiew,  aus 
dem  nämlichen  adeligen  Geschlechte,  aus  welchem  Or- 
lows  Mutter  entsprossen  war.  Als  sie  der  Fürst  heiratete, 
war  sie  Hoffräulein  der  Kaiserin.  Sie  wurde  gleich  nach 
der  Vermählung  Staatsdame,  und  erhielt  den  Katha- 
rinen-Orden.  Die  Geschenke,  welche  die  Fürstin  von  der 
Kaiserin  empfing,  entsprachen  dem  hohen  Range  und 
der  Großmut  der  Geberin.  Von  allen  nennen  wir  nur 
eine  goldene  Toilette  von  so  großem  Wert  und  von  so 
schöner  Arbeit,  daß  vielleicht  wenig  souveräne  Prin- 
zessinnen ähnliche  Nachttische  aufweisen  können.  All- 
gemein hatte  die  Fürstin  Orlow  den  Ruf  einer  Frau  von 
vortrefflichen  Grundsätzen,  die  durch  ihre  weise  Lei- 
tung den  traurigen,  mißmutigen  und  aufbrausenden 
Launen  ihres  Gemahls  immer  die  Stimmung  zu  geben 
wußte,  die  für  ihn  und  seine  Umgebung  die  heilsamste 
war.  Diese  würdige  Frau  starb  schon  einige  Jahre  nach 
ihrer  Vermählung^)  in  Lausanne,  wohin  sie  zur  Wieder- 
herstellung ihier  Gesundheit  gereist  war. 

1)  Drei  Jahre,  im  Jahre  1780. 


264  ^5-  Gregore]  Orlow  I. 

Von  ihr  hatte  Orlow  keine  Kinder;  wohl  aber  von 
andern  Frauen  und  hierbei  müssen  wir  uns  noch  etwas 
aufhalten. 

Im  April  1762  näherte  sich  die  Krise  der  Krankheit 
der  Gemahhn  Peters  III.  Es  war  darauf  berechnet,  in 
dem  eintretenden  Augenbhcke  derselben  diesen  Prin- 
zen durch  eine  artifizielle  Feuersbrunst  zu  entfernen,- 
die  der  Stubenheizer  Schkurin  in  seinem  Hause  veran- 
staltete, das  an  einem  Ende  der  Stadt  lag  und  eigent- 
lich nur  eine  hölzerne  Hütte  genannt  zu  werden  ver- 
diente. Orlows  erster  Sohn  wurde  den  18.  April  alten 
Stils  oder  den  2g.  neuen  Stils  geboren.  Gleich  nach 
seiner  Geburt  nahm  Schkurin  diesen  Knaben  zu  sich 
und  erzog  ihn,  bis  er  in  das  Lardkadettenkorps  kam. 
Um  diese  Zeit  war  es  schon  unter  der  Hand  bekannt, 
daß  er  ein  Sohn  der  Kaiserin  sei.  Diese  Fürstin  selbst 
gab  Veranlassung  zu  dieser  Pubhzität.  Sie  sah  es  gern, 
daß  ihn  Ribas,  sein  Erzieher,  und  Betzkoy,  der  Direk- 
tor des  Korps,  vor  seinen  Mitschülern  auszeichneten. 
Ja  es  ging  so  weit,  daß  man,  als  er  das  Korps  verheß, 
allen  Großen  des  Hofs  und  selbst  den  fremden  Ge- 
sandten, zu  verstehen  gab,  man  würde  es  gern  sehen, 
wenn  dem  jungen  Bobrinskoy  Feste  gegeben  würden. 
Seinen  Namen  erhielt  er  von  der  Herrschaft  Bober  oder 
Bobrin  in  Rußland,  die  man  für  ihn  kaufte,  überdies 
wurde  noch  eine  Milhon  Rubel  für  ihn  in  der  Leihbank 
in  Petersburg  niedergelegt.  Da  der  junge  Mensch  auf 
seinen  nachherigen  Reisen,  besonders  in  Paris,  wo  er 
öffentlich  gestand,  daß  er  ein  Sohn  der  Kaiserin  von 
Rußland  sei,  Schulden  machte,  so  wurden  diese  von 
seinem  Kapital  bezahlt  und  er  bekam  von  der  Zeit  an 
nur  dreißigtausend  Rubel  jährlich,  die  er  in  Reval, 
wohin  die  Monarchin,  die  unzufrieden  mit  ihm  war,  ihn 
verwiesen  hatte,  verzehren  mußte.  Hier  lebte  er  im 


6s.  Gregorej  Orlow  I.  265 

Anfang  der  neunziger  Jahre,  und  wir  glauben  gehört  zu 
haben,  daß  er  noch  daselbst  war,  als  ihn  Paul  I.  bald 
nach  dem  Antritte  seiner  Regierung  im  Jahre  1797  an 
den  Hof  kommen  ließ.  Dieser  Prinz  zeichnete  ihn  sehr 
aus,  erhob  ihn  in  den  Grafenstand,  machte  ihn  zum 
Generalmajor  und  gab  ihm  den  Annen-Orden.  Durch 
alle  diese  Auszeichnungen  lieh  der  Kaiser  die  PubUzi- 
tät,  die  Bobrinskoy  selbst  von  seiner  Geburt  ausge- 
breitet hatte,  eine  bestimmtere  Gewißheit.  Wo  er  sich 
jetzt  aufhält,  wissen  wir  nicht.  —  Die  Kaiserin,  die 
ihn  in  seiner  Kindheit  sehr  geliebt  hatte,  konnte  ihn 
in  reifen  Jahren  nicht  leiden,  eine  Ungnade,  die  er  sich 
Wcihrscheinlich  durch  sein  Betragen  zugezogen  hatte. 
Bobrinskoy  sieht  seinen  schönen  Eltern  nicht  ähnhch, 
soll  aber  ganz  den  wilden  Charakter  seines  Vaters 
haben. 

Ein  andrer  Sohn  Orlows  hieß  Galachtheon,  ein  ganz 
gemeiner  Taufname.  Man  sah  ihn  als  einen  kleinen  un- 
bekannten Liebhng  in  der  Kaiserin  und  in  Orlows  Zim- 
mern. Er  wurde  Offizier  und  zur  Erziehung  nach  Eng- 
land geschickt,  woselbst  er  Ausschweifungen  beging, 
deren  Folgen  ihn  schon  in  der  Jugend  töteten. 

Ein  dritter  Sohn  hieß  Wospanoy  oder  Pockner,  weil 
von  ihm  die  Pockenmaterie  für  den  Großfürsten  Paul 
genommen  wurde.  Er  starb  schon  als  Page  in  Peters- 
burg. 

Zwei  Töchter,  sagte  man,  wären  in  Petersburg  im 
Fräuleinstifte  auf  Kosten  der  Kaiserin  erzogen  wor- 
den, doch  ist  nur  das  Dasein  der  einen  mit  Zuverlässig- 
keit anzugeben.  Diese  heiratete  in  der  Folge  den 
jetzigen  General,  Grafen  Buxhövden.  Buxhövden  ist 
einer  der  besten  russischen  Generale.  Er  fing  seine 
miUtärische  Laufbahn  im  ersten  Türkenkriege  als  Ka- 
dett an,  und  zeichnete  sich  besonders  bei  der  Einnahme 


206  65.  Gregore]  Orlow  I. 

von  Bender  sehr  aus.  Seitdem  hat  er  immer  Beweise 
von  mihtärischer  Kenntnis  und  persönHcher  Tapferkeit 
gegeben.  Mit  diesen  Talenten  verbindet  er  einen  vor- 
trefflichen Charakter,  Er  ist  jetzt  Graf,  General  en 
Chef,  Generalgouverneur  von  Livland,  Estland  und 
Kurland  und  Ritter  aller  russischen  Orden.  Sie  war 
noch  im  Anfange  der  neunziger  Jahre  eine  sehr  schöne 
Blondine  und  hatte  den  Ruhm  einer  ganz  vortreffHchen 
Frau. 

Im  Jahre  1792  erzälilte  man  in  Petersburg  folgende 
Anekdo'te:  Vor  ungefähr  zwanzig  Jahren,  vielleicht  im 
Jahre  1770  oder  1771  hatte  ein  Itahener  ein  Kind  nach 
Chambery  in  ein  Kloster  gebracht  und  reichliche  Pen- 
sion für  dasselbe  auf  zwanzig  Jahre  bezahlt.  Dieses 
Kind  war  in  Gatschina  geboren  und  hatte  Papiere  mit- 
gebracht, von  denen  man  erst  nach  zwanzig  Jahren 
Gebrauch  machen  sollte.  Dies  geschah,  und  man  fand, 
daß  dem  Kinde  dreißigtausend  Rubel  zugesichert  und 
in  Petersburg  deponiert  waren.  Die  Sardinische  Ge- 
sandtschaft erhielt  im  Jahre  1792  Befehl,  das  Geld  zu 
reklamieren. 

Man  vermutete,  daß  dieses  Kind  von  Orlow  und  von 
einer  Hofdame  wäre,  die  noch  vor  einigen  Jahren  un- 
verheiratet in  Petersburg  lebte.  Es  ist  zuverlässig,  daß 
die  Kaiserin  zu  der  oben  benannten  Zeit  behauptete, 
diese  Dame  sei  schwanger  und  bald  nachher,  sie  habe 
in  Wochen  gelegen. 

Im  Sommer  des  folgenden  Jahres  1793  erfuhr  man 
das  Dasein  noch  einer  Tochter  des  Fürsten  Orlow,  die 
in  einem  Zustande  lebte,  welcher  dem  Glänze  ihres 
Vaters  wenig  entsprach. 

Eines  Tages  ging  die  Kaiserin  im  Garten  zu  Zarskoje- 
Selo  allein  spazieren.  Auf  einmal  springt  eine  junge 
Frau  aus  dem  Gebüsch  hervor,  wirft  sich  nieder  und 


66.  Iwan  Orlow  II.  267 

umfaßt  die  Knie  der  Monarchin.  Sie  erzählt,  daß  sie 
eine  Tochter  des  Fürsten  Orlow  ist,  bestätigt  das,  was 
sie  sagt,  durch  schriftliche  Beweise,  klagt,  daß  sie  sich 
in  der  drückendsten  Armut  befindet  und  bittet  um  ein 
besseres  Schicksal.  Die  Kaiserin  verspricht  es  ihr  und 
versichert  ihr  auch  wirklich  einen  anständigen  Unter- 
halt auf  Lebenszeit.  —  Indessen  war  die  Monarchin 
doch  sehr  über  diesen  Vorfall  erschrocken.  Um  ähn- 
Hche  Auftritte  in  Zukunft  zu  vermeiden,  durfte  sich 
niemand  im  Garten  in  den  Stunden  zeigen,  in  welchen 
die  Kaiserin  in  demselben  sich  aufzuhalten  pflegte. 


66.   Iwan  Orlow  II. 

Iwan  Gregor] e witsch  Orlow,  der  ältere  Bruder  des 
Fürsten,^)  wurde  mit  diesem  und  Alexis  zugleich  er- 
zogen. Er  kam  alsdann  als  Unteroffizier  in  die  Garde 
und  trug  als  solcher  sehr  viel  zu  der  Revolution  bei, 
durch  welche  die  Orlows  ihr  Glück  machten.  Nachdem 
die  Empörung  glücklich  vollendet  war,  zog  er  sich  zu- 
rück. Nie  wollte  er  eine  Stelle  weder  bei  Hofe  noch  in 
der  Armee  bekleiden.  Er  nahm  bloß  die  Grafenwürde, 
beträchtliche  Güter  und  eine  jährliche  Pension  von 
zwanzigtausend^)  Rubel  an,  die  jedem  der  Hauptteil- 
nehmer an  der  Verschwörung  von  Katharina  IL  ver- 
sichert worden  war.  Unter  allen  Brüdern  Orlow  war 
er  derjenige,  der  das  meiste  Gewicht  bei  ihren  Bruder, 
dem  Fürsten,  hatte.  Die  Kaiserin,  die  das  wußte,  ließ 

^)  Geboren  1733. 

2)  Eigentlich  sind  die  Nachrichten  über  diese  Revolutions- 
pensionen sehr  verschieden,  doch  die  Mehrheit  der  Meinungen 
kommt  darin  überein,  daß  sie  20000  Rubel  betrugen.  Die  geringeren 
Gehilfen  bekamen  jährlich  2000  Rubel.    H. 


268  67.  Alexej  Orlow  II.I 

ihn  auch  deswegen  im  Jahre  1772  nach  Petersburg 
kommen  und  schickte  ihn  nach  Gatschina  und  Zarskoje- 
Selo,  um  den  ExgünstHng  auf  nachgebendere  Gedan- 
ken zu  bringen,  aber  diesmal  scheiterte  Iwans  Über- 
redungskraft. Gregor  beharrte  nachdrücklich  auf  seiner 
Meinung,  bis  er  endhch  selbst  davon  zurückkam. 

Graf  Iwan  Orlow  lebte  noch  im  Jahre  1794;  2)  es  ist 
uns  aber  glaublich,  daß  er  noch  vor  dem  Antritt  der 
Regierung  Paul  I.  gestorben  ist,  weil  wahrscheinlich 
dieser  Monarch  ihn  eben  so  gut  als  seinen  Bruder  Alexis 
bei  Gelegenheit  der  feierlichen  Beerdigung  Peters  III. 
würde  mit  Gewalt  an  den  Hof  gezogen  haben. 


67.  Alexej  Orlow  III. 

Die  kostbaren  Monumente  im  Garten  zu  Zarskoje- 
Selo  sind  nur  Erinnerungen  verfallener  Größe.  Die 
meisten  der  hohen  Staatsdiener,  denen  sie  errichtet 
wurden,  überlebten  ihr  Ansehen  und  mit  ihm  zugleich 
die  wankelmütige  Gunst  der  Monarchin,  die  in  An- 
wandlungen von  Schwäche  und  sogar  zuweilen  von 
Furcht,  oder  auch  aus  Hang  zur  Ostentation  und  Ver- 
schwendung, diese  Denkmäler  aufführen  ließ,  die  man 
daher  auch  Monumente  ihrer  eigenen  Leidenschaften 
nennen  könnte.  Der  Anblick  derselben  gibt  reichHchen 
Stoff  zum  Nachdenken.  Er  führt  zu  den  Empfindungen 
ernster  Trauer  über  die  Nichtigkeit  gesunkener  irdi- 
scher Größe,  die  ihre  flüchtige  Existenz  bloß  Menschen 
zu  danken  hat ;  er  erfreut  aber  auch  mit  der  seligen  Be- 
ruhigung, die  das  Bewußtsein  eigener  Erhabenheit  des 
Geistes  und  Herzens  gewährt,  welche  keiner  feilen  Mo- 

^)  Er  starb  bereits  1791. 


67.  Alexe j  Orloiv  III.  269 

numente  von  Erz  und  Stein  bedarf,  sondern  durch  die 
Wohltätigkeit  ihrer  Handlungen  sich  bleibende  Denk- 
male errichtet,  die  von  keiner  Menschenhand,  sei  sie 
auch  die  mächtigste  der  Welt,  zerstört  werden  können 
und  selbst  dem  Raube  der  Zeit  Trotz  bieten. 

Alexis,  der  dritte  der  Brüder  Orlow,^)  hatte  mit  den 
beiden  altern  gleiche  Erziehung  und  wurde  alsdann 
ebenfalls  Unteroffizier  in  der  Garde.  Er  zeigte  eine  voll- 
kommene Übereinstimmung  mit  den  Gesinnungen 
seiner  Brüder,  schien  aber  doch  für  Gregor  eine  größere 
Vorliebe  als  für  die  andern  zu  haben.  Übrigens  teilte 
er  mit  ihnen  alle  jugendlichen  Ausschweifungen,  von 
denen  jedoch  eine  seinem  Gesichte  einen  Stempel  auf- 
drückte, der  immer  blieb. 

In  dem  Hause  des  Weinhändlers  Überkampf  in  der 
Großen  Millionstraße  in  Petersburg,  bekam  Alexe j 
Gregor  je  witsch  Orlow,  als  er  noch  Sergeant  von  der 
Garde  war,  sehr  ernsthaften  Streit  mit  einem  Gemeinen 
der  Leibkompagnie,  der  Swanev/itzsch  hieß.  Orlow 
wollte  sich  entfernen,  wurde  aber  von  jenem  verfolgt, 
auf  der  Straße  angefallen  und  gehauen.  Der  Hieb  traf 
über  der  linken  Seite  des  Mundes.  Verwundet,  wie 
Alexis  war,  wurde  er  sogleich  zu  dem  berühmten  Arzt 
Kaaw-Boerhave^)  gebracht  und  daselbst  verbunden. 
Nachdem  er  geheilt  war,  blieb  immer  noch  eine  große 
Narbe,  von  der  er  den  Beinamen  Orlow  mit  der 
Schmarre  (le  Balafre)  erhielt. 

Bei  der  Revolution  im  Jahre  1762  war  er  vielleicht 
der  tätigste  von  seinen  Brüdern  und  trug  durch  seine 
Bemühungen  dazu  bei,  die  Garden  zum  Vorteil  Katha- 

^)  Geboren  i737- 

^)  Hermann  Kaaw,  Leibarzt  des  Großfürsten  Peter,  war  ein 
Neffe  des  weltberühmten  Boerhaave,  Arzt  und  Anatom  in  Holland 
(1668 — 1738),  dessen  Namen  er  annahm.  Kaaw-Boerhave  wohnte 
im  Hause  des  Grafen  Scheremet jew  in  der  Millionstraße.    H. 


270  67-  Alexe j  Orlow  III. 

rinas  zu  gewinnen.  Als  die  Verschworenen  in  der  Nacht, 
die  vor  dem  entscheidenden  Tage  herging,  die  Rollen 
unter  sich  verteilten,  die  ein  jeder  von  ihnen  bei  der 
Empörur^g  am  folgenden  Morgen  übernehmen  sollte, 
erhielt  Alexis  Orlow  das  Geschäft,  sogleich  mit  Bibi- 
kow,^)  einem  Sergeanten  von  der  Garde,  nach  Peterhof 
zu  reiten  um  die  Kaiserin,  die  sich  nur  mit  einigen 
Personen  daselbst  aufhielt,  abzuholen.  Dies  geschah. 
Die  Fürstin  Daschkow,-)  die  schon  seit  langer  Zeit  eine 
alte  Halbchaise  und  Bauernpferde  in  der  Nähe  von 
Peterhof  für  die  Kaiserin  bereit  stehen  hatte,  gab  an 
Orlow  ein  Billett  für  diese  Prinzessin,  um  sie  zu  über- 
zeugen, daß  die  Absendung  der  beiden  Sergeanten 
das  Werk  der  Überlegung  der  vereinigten  Verschwor- 

^)  Bibikow  ist  vielleicht  derjenige,  der  es  in  den  Folgejahren 
mit  dem  Großfürsten  Paul  hielt.  Er  wurde  deswegen  ein  Opfer  der 
Rache  Potemkins,  den  Bibikow  in  seinen  Briefen  an  Alexander 
Kurakin,  Ambassadeur  in  Wien  und  damaligen  Freund  des  Thron- 
folgers, immer  le  Borgne  genannt,  und  von  dem  er  manche  Schlechtig- 
keiten geschrieben  hatte.  Vielleicht  ist  es  aber  auch  der,  welcher  als 
General  gegen  Pugatschew  gebraucht  ward  und  blieb.    H. 

^)  Die  Fürstin  Katharina  Romanowna  Daschkow  war  die  Tochter 
des  Grafen  Roman  Illarionowitsch  Woronzow  (1707 — 1783).  Eine 
ihrer  Schwestern,  Elisabeth  {1739 — 1792),  war  die  Geliebte  Peters  III., 
die  andere  war  die  Gräfin  Buturlin.  Katharina  wurde  am  28.  März 
1743  in  Petersburg  geboren.  Acht  Jahre  nach  dem  mit  ihrer  Hilfe 
glücklich  beendeten  Anschlage  gegen  Peter  II.  verlor  sie  Freund- 
schaft und  Vertrauen  Katharinas  und  begab  sich  auf  Reisen  nach 
Westeuropa.  Wieder  zu  Gnaden  aufgenommen,  erhielt  sie  1783 
den  Auftrag,  eine  russische  Akademie  nach  dem  Muster  der  franzö- 
sischen zu  gründen.  Sie  wurde  deren  Präsidentin.  Diese  Akademie 
wurde  1841  mit  der  älteren  Akademie  der  Wissenschaften  vereinigt. 
Die  Fürstin  entfaltete  eine  reiche  wissenschaftliche  und  literarische 
Tätigkeit,  die  ungemein  befruchtend  auf  das  geistige  Leben  der 
russischen  Hauptstadt  wirkte.  1793  fiel  sie  aufs  neue  in  Ungnade 
und  mußte  in  die  Verbannung  ziehen.  Sie  starb  am  16.  Januar  1810 
in  Moskau.  Die  kluge  und  zielbewußte  Frau,  ,,eine  e^hte  russische 
Frau  mit  ihren  Vorzügen  und  Schwächen",  hat  die  Denkwürdig- 
keiten ihres  abwechslungsreichen  Lebens  vier  Jahre  vor  ihrem 
Tode  niedergeschrieben,  die  sehr  wertvolles  Material  zur  Geschichte 
Rußlands  und  Katharinas  büden  (Leipzig  1876). 


Katharina  Fürstin  Daschkow 


67.  Alexe j  Orlow  III.  27 1 

nen  sei.  Nun  ritten  Orlow  und  Bibikow  mit  Blitzes- 
schnelle nach  Peterhof,  wo  sie  sehr  bald  ankamen. 
Alexis  war  fremd  im  Palais,  aber  Gregor,  der  die  innere 
Einteilung  desselben  und  die  Zimmer  Katharinas 
besser  kannte,  hatte  ihn  gut  unterrichtet  und  sein 
Bruder  hatte  die  Lehren  gut  gefaßt.  Unaufgehalten 
(denn  Katharina  hatte  schon  in  diesen  und  andern 
Fällen  dafür  gesorgt,  unbewacht  sclilafen  zu  können) 
drang  Orlow  bis  in  das  Schlafzimmer  dieser  Fürstin. 
Er  weckte  sie  und  ohne  des  Briefs  der  Daschkow  zu  er- 
wähnen, sagte  er  ihr  bloß :  ,, Eilen  Sie,  es  ist  kein  Augen- 
blick zu  verlieren.  Alles  ist  in  Petersburg  fertig."  So- 
gleich schoß  er  fort  wie  ein  Pfeil,  holte  den  Wagen  und 
ehe  Katharina,  von  mancherlei  Gefühlen  bemeistert, 
sich  einigermaßen  sammeln  und  ankleiden  konnte, 
war  Alexis  schon  wieder  da  und  rief  ihr  zu:  ,,Hier  ist 
Ihr  Wagen,  steigen  Sie  ein."  Die  Kaiserin  tat  es;  neben 
sie  setzte  sich  ihre  Kammerfrau  Katharina  Iwanowna 
Tzeregowsky;  hinten  auf  stand  der  Kammerbediente 
Schkurin;  Orlow  fuhr  als  Kutscher;  Bibikow  ritt.  So 
wenig  es  auch  der  Lage  der  Sache  und  der  leicht  zu 
begreifenden  Bangigkeit  der  Reisenden  angemessen 
war,  so  wurde  doch,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  diese 
kleine  Reise  mit  großer  Lustigkeit  gemacht.  —  Die 
Kaiserin  und  ihre  Kammerfrau  hatten,  nach  der  Theo- 
rie des  Putzes,  beide  etwas  Wesentliches  in  ihrem  An- 
züge vergessen,  das  Stoff  zum  Lachen  gab.  —  Orlows 
Pferde  waren  schlecht.  Da  nun  die  Gesellschaft  einem 
Bauer  begegnete,  der  vor  seinem  Heuwagen  ein  sehr 
schönes  Pferd  hatte,  so  schlug  ihm  Alexis  vor,  mit 
einem  seiner  Pferde  zu  tauschen.  Der  Bauer  weigerte 
sich.  Orlow  prügelte  sich  mit  ihm  herum,  überwältigte 
ihn,  spannte  das  gute  Pferd  ab  und  ließ  ihm  dafür  sein 
schlechtes.  —  Als  die  Reisenden  näher  an  die  Residenz 


272  67.  Alexej  Orlow  III. 

kamen,  begegneten  sie  einem  Sachsen,  der  Neumann 
hieß  und  in  Petersburg  ein  öffentUches  Haus  hielt,  in 
welchem  viele  junge  Leute  und  auch  die  Orlows  zu- 
sammenkamen. Als  er  seinen  Freund  Alexis  sah,  rief 
er  ihm  in  traulicher  russischer  Mundart  zu:  ,,Je,  Alexis 
Gregor] e witsch,  wen  hast  du  denn  da  alles  aufge- 
laden?" ,,Sei  nur  stille,"  antwortete  Orlow,  ,, morgen 
sollst  du  es  schon  erfahren." 

So  kam  man  dann  in  das  Quartier  der  Ismailowschen 
Garde,  welches  das  nächste  am  Wege  war.  Die  Em- 
pörung begann  sogleich.  Nachdem  man  sich  der  sämt- 
lichen Garden  versichert  hatte,  fuhr  die  Kaiserin  in 
dem  nämlichen  Wagen  nach  der  Kasanschen  Kirche. 
Noch  ehe  der  Zug  aufbrach,  ging  Alexis,  von  einer  vor- 
übereilenden guten  Regung  getrieben,  zu  der  Kaiserin 
und  sprach  heimlich  mit  ihr.  Er  kam  mit  ihr  überein, 
sie  vor  der  Kirche  nicht  zur  Kaiserin-Regentin,  wie  es 
erst  der  Plan  der  Verschwornen,  besonders  des  Ober- 
hofmeisters Panin  war,  sondern  zur  alleinigen  Selbst- 
herrscherin von  Rußland  auszurufen;  doch  müsse  sie 
ihm  versprechen,  den  Großfürsten  Paul,  dem  eigent- 
lich nach  Peters  III.  Entfernung  der  Thron  gehöre,  in 
erwachsenen  Jahren  zum  Reichsgehilfen  anzunehmen. 
Katharina  tat  es.  Orlow  schwang  sich  aufs  Pferd,  ritt 
voran,  und  sobald  die  Kaiserin  bei  der  Kirche  ankam, 
rief  er  sie  daselbst  zur  Monarchin  Rußlands  aus. 

Man  weiß,  daß  die  neue  Regierung  zu  ihrer  Sicher- 
heit den  Tod  Peters  III.  für  notwendig  hielt. i)  Alexis 

^)  Diese  scheinbar  so  harmlose  Bemerkung  Helbigs  hat  Katha- 
rina II.  zur  Mörderin  ihres  Gatten  gestempelt.  Wieder  ist  sein 
Gewährsmann  Castera.  Die  unbefangene  Forschung,  als  deren 
Wortführer  Brücker  gelten  darf,  spricht  die  Kaiserin  von  der  An- 
stiftung und  Ausführung  der  schändlichen  und  überflüssigen 
Mordtat  frei  und  sieht  in  den  Orlows  die  Urheber  dieses  Gewalt- 
aktes.   Es  liegt  kein  Grund  zur  Vermutung  vor,   daß  die  Kaiserin 


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J.  H.  Gaß  und  J.  E.  Nilson 


67.   Alexe j  Orloiv  III.  273 

ritt  mit  einigen  andern  nach  Ropscha,  um  ihn  zu  be- 
schleunigen. —  Der  größte  Bösewicht  hat  zuweilen 
gute  Augenblicke.  —  Orlow  hatte  damals  nicht  Ver- 
worfenheit genug,  der  eigentliche  Mörder  seines  Herrn 
zu  werden.  Er  fiel  ihn  zwar  zuerst  an,  ließ  ihn  aber  los, 
als  ihm  der  Kaiser  darüber  Vorwürfe  machte,  und  lief 
auf  die  Terrasse.  Hier  gab  er  Zeichen  der  schreck- 
lichsten Verzweiflung.^)  Sobald  der  Mord  verübt  war, 
ritt  Alexis  mit  verhängtem  Zügel  nach  Petersburg. 
Personen,  die  ihn  dort  ankommen  sahen,  sagten,  daß 
seine  natürlich  wilden  Gesichtszüge  durch  das  Bewußt- 
sein innerer  Schlechtigkeit,  Unmenschlichkeit  und 
Raubgier  und  durch  das  Urteil  seines  Gewissens  über 

diese  anordnete.  Sie  mochte  beim  Empfang  der  Nachricht  ebenso 
überrascht  sein,  wie  die  Fürstin  Daschkow,  welche  den  Eindruck 
derselben  schilderte.  Katharina  äußerte  gegen  ihre  Freundin,  daß 
die  unheilvolle  Kunde  sie  niedergeschmettert  habe.  Beide  empfan- 
den, wie  schwer  dieses  Ereignis  den  Gesamteindruck  der  ganzen 
Staatsumwälzung  bei  Mit-  und  Nachwelt  schädigen  müsse.  Die 
Daschkow,  welche  aus  bester  Quelle  von  den  näheren  Umständen 
der  Ermordung  Peters  wissen  mußte,  hielt  Alexej  Orlow  für  den 
Täter.  Sie  erklärte  sogleich,  daß  sie  jeden  Verkehr  mit  ihm  abbreche 
und  hielt  ihr  Wort.  Sie  erzählt:  ,,Wer  so  niedrig  denkt,  daß  er  arg- 
wöhnt, die  Kaiserin  habe  die  Ermordung  ihres  Gemahls  anbefohlen 
oder  auch  nur  gutgeheißen,  der  findet  einen  unbedingten  Beweis 
für  die  Ungerechtigkeit  eines  solchen  Verdachtes  in  einem  noch 
vorhandenen  Briefe  Alexej  Orlows,  welcher  wenige  .\ugenblicke 
nach  dem  begangenen  Frevel  geschrieben  wurde.  Der  Stil  und  die 
Zusammenhanglosigkeit  darin  zeugen,  trotz  der  Betrunkenheit  des 
Verfassers,  von  dessen  Entsetzen  und  der  Aufgeregtheit.  Er  bat 
in  demütigen  Worten  um  Vergebung  für  seine  Tat.  Dieses  Schreiben 
wurde  von  Katharina  II.  sorgfältig  mit  anderen  wichtigen  Doku- 
menten in  einer  Schatulle  verwahrt,  deren  Inhalt  nach  ihrem  Tode 
auf  Befehl  ihres  Nachfolgers,  Paul,  von  dem  Fürsten  Beskorodko 
in  Gegenwart  des  Kaisers  geprüft.  Als  Beskorodko  mit  Vorlesen 
des  Schreibens  Alexej  Orlows  zu  Ende  war,  machte  Paul  das  Zeichen 
des  Kreuzes  und  rief  aus:  ,Gott  sei  gelobt!  Die  Zweifel,  die  ich  in 
betreff  der  Haltung  meiner  Mutter  in  dieser  Angelegenheit  hegte, 
sind  nun  geschwunden'."    (Brücker,   S.  106.) 

^)  Jetzt   herrscht    die    .Ansicht    vor,    daß    Orlow   den  Kaiser    er- 
drosselt hat. 
Rassische  Günstlinge,  j§ 


274  ^7-  Alexe]  Orlow  III. 

die  Folgen  aller  dieser  Eigenschaften,  in  diesem  Augen- 
blicke schrecklicher  und  noch  entstellter  geworden 
wären.  Er  brachte  die  traurige  Nachricht  der  Kaiserin, 
welche  sie  mit  einer  Fassung  annahm,  die  nur  Personen 
eigen  ist,  die  wie  Katharina  im  Besitz  vollkommener 
Charakterstärke  sind. 

Alexis  wurde  für  seine  großen  Bemühungen  reich- 
lich belohnt.  Nach  Gregor  war  er  von  allen  Brüdern 
Orlow  derjenige,  der  die  größten  Ehrenstellen  und 
Reichtümer  erlangte.  Er  hatte  Gelegenheit,  von  den 
letztern  Gebrauch  zu  machen. 

Zu  der  Zeit  war  Katharinas  Hof  prächtiger  und  ge- 
räuschvoller als  jemals.  Die  Orlows  verherrlichten  ihn 
durch  ihre  kolossale  Schönheit,  durch  ihre  reizende 
Munterkeit  und  durch  ihren  vortrefflichen  Anstand. 
Sie,  die  es  mit  allen  Klopffechtern  im  Ringen  allemal 
mit  Vorteil  aufnahmen  und  dieselben,  wie  es  die  Russen 
nennen,  im  Kulaken  übertrafen,  trugen  eben  so  leicht 
den  Sieg  in  ritterlichen  Übungen  davon. 

Damals  (1766)  wurde  in  Petersburg  das  berühmte 
Karussell  gehalten. 

Gregor  führte  die  Quadrille  der  Römer,  Alexe j  die 
der  Türken.  Ihr  Aufzug  erreichte  alles,  was  man  sich 
nur  von  Pracht  denken  kann  und  ihre  Gewandtheit  und 
ihre  Stärke  entsprachen  der  Erwartung,  die  ihr  maje- 
stätisches Ansehen  einflößte.  Gregor  und  Alexis  waren 
von  allen  Rittern  die  geschicktesten.  Ihr  Sieg  war  ent- 
schieden. Nur  unter  ihnen  selbst  war  er  zweifelhaft. 
Alexis  hatte  die  nachgebende  Klugheit,  ihn  seinem 
Bruder  zu  überlassen.  Nach  geendigtem  Karussell 
ließen  sich  beide  Brüder  in  ihren  Kostümen  in  Lebens- 
größe zu  Pferde  malen  und  diese  herrlichen  Gemälde 
hängen  noch  jetzt  in  der  Kaiserlichen  Eremitage  neben 
dem  Bilde  Katharinas  IL,  auf  welchem  sie  zu  Pferde 


67.  Alexej  Orlow  III.  275 

und  in  der  Uniform  der  Garde  zu  Fuß  an  ihrem  Thron- 
besteigungstage vorgestellt  ist. 

Doch  im  glänzenden  und  wollüstigen  Zirkel  des  Hofs 
fand  Alexis  nicht  Befriedigung  für  seinen  Ehrgeiz.  Da- 
mals bot  eben  der  erste  Türkenkrieg  Gelegenheit  dar, 
Ruhm  zu  erwerben.  Orlow  war  Generalleutnant,  Gene- 
raladjutant der  Kaiserin,  Leutnant  der  Chevaliers- 
Garde,  Oberstleutnant  der  Garde  Preobratschensky 
und  Ritter  der  damaligen  russischen  Orden.  Mit  einem 
so  ausgezeichneten  Range  wollte  er  keine  subalterne 
Rolle  übernehmen.  Gleichwohl  konnte  man  ihm  keinen 
Oberbefehl  über  Landarmeen  geben,  die  altern  und 
erfahrnem  Feldherren  anvertraut  waren.  Er  machte 
also  oder  gab  vielmehr  nur  der  Kaiserin  den  Opera- 
tionsplan einer  Flotte,  die  in  den  Gewässern  des  Ar- 
chipelagus  kreuzen  und  Eroberungen  in  den  dortigen 
türkischen  Besitzungen  machen  sollte.  Der  Plan 
schmeichelte  der  Ruhmsucht  der  Kaiserin,  daher  ge- 
fiel er  ihr  auch  und  wurde  angenommen.  Alexej  Gre- 
gor je  witsch  ward  zum  Generalissimus  oder  General- 
admiral der  ganzen  russischen  Flotte  im  Archipelagus 
ernannt.  1)  Im  Jahre  1771  machte  Orlow  eine  kurze 
Erscheinung  in  Petersburg  und  brachte  noch  erweiterte 
Projekte  mit.  Er  erhielt  damals  eine  Vollmacht  von  der 
Kaiserin  unterzeichnet,  wodurch  ihm  die  vollkom- 
menste Gewalt  erteilt  wurde,  mit  der  ihm  untergeord- 
neten Flotte  alle  ihm  selbst  gefälligen  Unternehmungen 
zu  wagen,  ohne  jemals  eine  VerantwortHchkeit  fürch- 
ten zu  dürfen.  —  So  legal  und  uneingeschränkt  ist  we- 
der vorher  noch  nachher  eine  Vollmacht  gegeben  wor- 
den. —  Die  ganze  Expedition  gab  den  europäischen 
Küsten  das  Schauspiel  eines  pomphaften  Theaterauf- 
zuges. Auch  in  andrer  Hinsicht  paßt  dieser  Vergleich. 

^)  Im  Jahre  1769. 

18* 


2/6  fy]-  Alexe]  OyIovd  III. 

Sie  war  kostbar  und  zwecklos.  Im  Jahre  1772  kostete 
sie  schon  über  zwanzig  Milüonen  Rubel.  Sie  machte 
übrigens  unbedeutende  Eroberungen,  die  überdies 
noch  beim  Frieden  zurückgegeben  wurden,  und  brachte 
für  die  Besiegten  die  unglücklichsten  Folgen  hervor. 

Eine  \o\\  Orlows  Großtaten  war  die  Verbrennung 
der  türkischen  Flotte  bei  Tschesme,^)  wofür  er  den 
Beinamen  Tschesmenskoy,  der  Tschesmeer,  erhielt. 

Alexis  heß  durch  den  berühmten  Hackert^)  in  Italien 
diesen  fürchterlich  majestätischen  Gegenstand  auf  vier 
Gemälden  aus  verschiedenen  Gesichtspunkten  und  in 
aufeinander  folgenden  Momenten  betrachtet,  vor- 
stellen. Um  dem  Künstler  die  schreckliche  Begeben- 
heit recht  anschaulich  zu  machen,  ließ  der  Generalissi- 
mus (freihch  mit  großer  Unbedachtsamkeit),  in  der 
Nähe  von  Livorno  ein  altes  Kriegsschiff  in  die  Luft 
sprengen.  Das  übrige  aber  mußte  durch  Erzählung  er- 
gänzt, oder  der  bilderreichen  Phantasie  des  Malers 
überlassen  werden.  Diese  schönen  Gemälde  hängen 
noch  jetzt  im  Audienzsaale  in  Peterhof  und  sind  von 
einem  englischen  Künstler  in  Kupfer  gestochen  worden. 

Hier  in  Livorno  war  es  auch,  wo  Alexis  die  hilfsbe- 
dürftige, aber  gewiß  nicht  gefährliche  Tochter  der  EH- 
sabeth  täuschte  und  zu  ihrem  Tode  nach  Rußland 
führen  ließ. 

Aber  ehe  dies  alles  geschah,  war  Orlow  ebenfalls 
noch  bei  der  Flotte,  als  Gregor  die  Stelle  eines  Günst- 
lings  verlor.  Die  Kaiserin,  die  einen  so  sehr  fürchtete 

^)  Am  26.  Juni  1770.  „Seit  dem  Tage  von  Lepanto  (1571)  hatte 
die   Pforte  kein  solches   .Mißgeschick  erfahren." 

^)  Philipp  Hackert,  ein  geborener  Brandenbm-ger,  wurde  der 
größte  Landschaftsmaler  seiner  Zeit  und  starb  in  Rom  im  Jahre 
1807.  H.  Hackert,  geb.  13.  September  1737  zu  Prenzlau  in  der 
Uckermark,  starb  in  Careggi  am  28.  .\pril  1807.  Bekanntlich  hat 
tioethe   Hackerts  Leben  kurz  beschrieben. 


6~.  Alexe j  Orlow  III.  277 

als  den  andern,  schickte  einen  Kurier  aji  Alexis,  mel- 
dete ihm  die  Entfernung  seines  Bruders  vom  Hofe  und 
fügte  die  in  solchen  Fällen  gewöhnlichen  Beteuerungen 
und  Redensarten  hinzu. 

Dieser  Schritt  schien  jedoch  der  Kaiserin  für  ihre 
eigene  Ruhe  noch  nicht  hinlänglich  zu  sein.  Sie 
fürchtete  den  unternehmenden  Geist  des  Grafen  Alexej , 
der  leicht  auf  den  Einfall  kommen  konnte,  den  unbieg- 
samen Charakter  seines  Bruders  unterstützen  zu  wollen. 
Sie  schickte  daher  noch  einen  Kurier  an  den  General- 
admiral, um  ihm  zu  befehlen,  daß  er  schlechterdings 
die  Flotte  nicht  verlassen  möchte.  Doch,  da  dieses 
nicht  hinreichend  schien,  so  wurde  dem  Grafen 
Browne,  1)  Generalgouverneur  von  Livland,  der  drin- 
gendste Befehl  zugefertigt,  alle  Reisenden,  die  nach 
Riga  kommen  würden,  genau  zu  beobachten  und  im 
Fall  Alexis  unter  ihnen  sei,  ihn  nicht  weiter  reisen  zu 
lassen. 

Als  Orlow  endlich  nach  einigen  Jahren  nach  Peters- 
burg zurückkam,  fand  er  zwar  daselbst  große  Verände- 
rungen, aber  sie  hatten  keinen  schädlichen  Einfluß  auf 
sein  Schicksal.  Im  Gegenteil  tat  die  Kaiserin,  wahr- 
scheinHch  aus  Furcht,  alles  mögliche,  um  ihm  zu  zeigen, 
daß  sie  wenigstens  dem  Schein  nach  seine  Freundin 
bleiben  wolle.  Alle  Künste  mußten  wetteifern,  seine 
Siege  zu  verkündigen  und  zu  verewigen.  —  Auf  dem 
Theater  wurden  Vorstellungen  zu  seinem  Lobe  gegeben. 
Die  Gestalten  Peters  I.,  Katharinas  II.  und  Alexis  Or- 
lows  (eine  sonderbare  Zusammenstellung),  wechselten 
bunt  miteinander  ab  und  Chöre  ertönten  von  Lob- 
sprüchen der  Taten  des  Besiegers  der  Türken.  —  Me- 

^)  Graf  Browne,  ein  geborener  Engländer,  trat  schon  unter 
Peter  I.  in  russische  Kriegsdienste  und  starb  in  den  neunziger  Jahren 
in  Riga  ds  Generalgouverneur  von  Livland  und  General  en   Chef. 


278  67.  Alexej  Orlow  III. 

daillen,  auf  denen  sein  Bildnis  im  Kostüm  des  Kriegs- 
gottes erschien,  wurden  ihm  zu  Ehren  geprägt.  —  In 
Zarskoje  Selo  verherriichte  man  sein  Andenken  durch 
eines  der  schönsten  und  kostbarsten  Monumente.  Ein 
ungeheurer  Marmorblock,  in  eine  Ehrensäule  umge- 
formt, erhebt  sich  auf  einem  Würfel  von  Granit.  —  Ein 
kleines  kaiserliches  Lustschloß,  das  bis  zu  dem  Augen- 
blick Kikerikexino  (Froschsitz)  geheißen  hatte,  wurde 
Tschesme  genannt  und  zum  Palast  oder  Kapitelshause 
des  militärischen  Georg-Ordens  bestimmt.  — Im  Haupt- 
saale steht  ein  sehr  großes  und  prächtiges  Schreibzeug 
von  Bronze  und  Email.  In  der  Mitte  ist  eine  Säule  mit 
Armaturen  geziert.  Drei  Schilde  hängen  an  derselben. 
Auf  zweien  sind  herrliche  Gegenden  von  dem  eigent- 
lichen Tschesme  gemalt.  Auf  dem  dritten  sieht  man  die 
Kaiserin  auf  dem  Throne  und  den  Grafen  Alexej  Or- 
low, welcher  kniend  das  große  Band  des  Militärordens 
empfängt,  das  so  selten^)  ist,  daß  es  bis  jetzt  nie  mehr 
als  höchstens  vier  Ritter  auf  einmal  getragen  haben.  — 
Aber  das  wesentlichste  von  allem  waren  wohl  die  uner- 
meßhchen  Reichtümer,  die  Alexis  erhielt. 

Doch  dies  alles  konnte  ihn  rieht  mehr  an  den  Hof 
fesseln,  wo  er  seit  dem  Abgange  seines  Bruders,  zwar 
mit  scheinbarer  Auszeichnung,  aber  nicht  mehr  mit  der 
sonstigen  Herzlichkeit  behandelt  wurde.  Potemkins 
anmaßende  Allgewalt  zu  ertragen,  war  ihm  unmöglich. 

^)  Im  Todesjahre  Katharinas  II.,  die  diesen  Orden  gestiftet 
hatte,  trugen  das  große  Band  der  General  en  Chef  Orlow  Tsches- 
menskoy,  der  Feldmarschall  Suvvarovv-Rym-nikskoy,  der  Admiral 
Tschitschagow  und  der  Feldmarschall  Repnin.  Paul  I.  trug  ihn  nie. 
Als  Großfürst  bekam  er  ihn  nicht,  und  als  Kaiser  wollte  er  ihn  nicht 
tragen.  Er  hat  ihn  auch  nicht  ausgeteilt,  sondern  dafür  den  Annen- 
orden zum  Militärorden  eingerichtet.  Der  Georgorden  hat  ein 
weißes  Kreuz.  Die  Ritter  sind  in  vier  Klassen  geteilt  und  tragen 
den  Orden  an  einem  Bande,  das  drei  orangenfarbene  und  vier 
schwarze  Streifen  hat.    H. 


6'].  Alexej  Orlow  III.  27g 

Da  er  reich  genug  war,  um  mit  großer  Pracht  unab- 
hängig leben  zu  können,  so  bat  er  um  seine  Entlassung. 
Er  erhielt  sie  nach  einiger  Weigerung,  die  mehr  eine 
Demonstration  von  Höflichkeit  als  Ernst  war,  und  ging 
nach  Moskau.  Damals  war  er  General  en  Chef.  Als  sein 
Bruder,  der  Fürst,  starb,  gab  die  Kaiserin  ihr  Porträt, 
das  derselbe  getragen  hatte,  dem  Grafen  Alexej ;  ein 
Ehrenzeichen,  das  damals  niemand  tragen  durfte,  als 
Potemkin. 

Im  Sommer  des  Jahres  1791  kam  Orlow  nach  Peters- 
burg und  wohnte  dem  Thronbesteigungsfeste  in  Peter- 
hof bei.  — Es  war  für  den  Psychologen  eine  ganz  eigene 
und  unterhaltende,  für  den  Menschenfreund  aber  keine 
genugtuende  Bemerkung,  diesen  Mann  an  dem  Ge- 
dächtnistage dieser  merkwürdigen  Begebenheit,  mit  so 
vielen  Teilnehmern  derselben  zusammengestellt,  eben 
an  diesem  Orte  zu  sehen.  Man  sah  ihm  an,  daß  ihn  die 
Vergangenheit  übelgelaunt,  die  Gegenwart  aber  unzu- 
frieden machte.  Er  mochte  vielleicht  sich  selbst  sagen, 
daß,  wenn  er  im  Jahre  1762  pflichtmäßiger  gehandelt 
hätte,  die  Lage  Rußlands  im  Jahre  1791  vorteilhafter 
sein  könnte;  und  daß,  wenn  er  in  jener  Epoche  seinem 
Herrn  treu  gewesen  wäre,  er  in  der  jetzigen  sich  zwar 
nicht  in  so  glänzenden  Vermögensumständen  befinden, 
aber  gewiß  ein  zufriedenes  und  vorwurfsfreies  Herz 
haben  würde. 

Orlow  sprach  damals,  wahrscheinhch  mehr  aus  Ver- 
druß als  aus  Gutmütigkeit,  sehr  frei  mit  der  Kaiserin 
und  erinnerte  sie  an  ihr  Versprechen,  den  Großfürsten 
Paul  bei  erwachsenen  Jahren  zum  Mitregenten  anzu- 
nehmen. Man  weiß  nicht,  was  sie  ihm  antwortete,  nur 
der  Erfolg  zeigte,  daß  sie  keine  Rücksicht  auf  diese  Er- 
innerung nahm. 

Alexis  ging  wieder  zurück  nach  Moskau  und  kam, 


28o  67.  Alexej  Orlow  III. 

SO  lange  Katharina  lebte,  nie  wieder  nach  Petersburg. 
Aber  bald  nachher  mußte  er,  und  zwar  in  ganz  andern 
Verhältnissen  als  sonst,  dahin  gehen. 

Paul  I.  bestieg  den  Thron  und  ließ  (ein  Beweis,  daß 
er  die  Geschichte  Peters  III.,  wenigstens  zum  Teil, 
kannte)  sogleich  den  Grafen  Alexis  Orlow  nach  Peters- 
burg kommen.  Mit  welchem  krampfhaften  Gefühl 
dieser  mag  gereist,  in  der  Residenz  angelangt  und  in 
die  Audienz  gegangen  .sein,  kann  man  leicht  denken. 
Diese  war  bei  verschlossenen  Türen,  man  hörte  aber 
sehr  laut  sprechen.  Es  gibt  Personen,  welche  behaup- 
ten, von  andern  gehört  zu  haben,  der  Graf  sei  hinkend 
aus  dem  Zimmer  des  Kaisers  gekommen.  Dies  ist  aber 
nicht  erwiesen  und  würde  auch  auf  keine  Mißhand- 
lung deuten  können.  Paul  I.  konnte  sich  nie  so  sehr 
vergessen  und  Orlow  eine  solche  Behandlung  nie  er- 
tragen. Vielleicht  hatte  Alexis  die  Gicht  und  ging  eben 
auch  hinkend  ins  Zimmer,  denn  so  viel  ist  gewiß,  daß 
man  ihn  bei  der  Beerdigung  Peters  III.  hinkend  sah. 
Dem  sei  wie  ihm  wolle,  so  war  ihm  die  schrecklichste 
Rache  noch  aufgespart.  Er  mußte  bei  der  feierlichen 
Abholung  der  Leiche  Peters  III.  aus  dem  Alexander- 
Newsky-Kloster,  von  dort  bis  in  das  Kaiserliche  Winter- 
palais und  von  da  bis  in  die  Festung,  gerade  vor  dem 
Sarge  hergehen  und  die  Kaiserkrone  tragen,  die  er  ehe- 
mals ihrem  rechtmäßigem  Eigentümer  hatte  rauben 
helfen,  dessen  Reste  hinter  ihm  getragen  wurden.  — 
Man  braucht  nicht  sehr  gefühlvoll  zu  sein,  um  zu  schau- 
dern, wenn  man  sich  recht  lebhaft  die  Verfassung 
denkt,  in  der  sich  Orlow  damals  befunden  haben  muß. 
Er,  einer  der  ersten  Männer  an  diesem  Kaiserhofe, 
mußte  in  einem  schon  hohen  Alter  und  in  kränkhchen 
Umständen  einen  beschwerhchen  Weg  von  mehr  als 
drei  Viertelstunden  zu  Fuß  machen  und  sich  auf  dem- 


6-].  Alexe)  Orlow  III.  281 

selben  der  Neugier,  dem  Hohngelächter  und  dem  Ge- 
nüsse der  studiertesten  Rache  preisgeben.  —  Es  konnte 
wohl  keine  Beruhigung  für  ihn  sein,  einen  Mitschul- 
digen zum  Begleiter  zu  haben.  Dieser  war  der  Knes 
oder  Fürst  Borjatinsky,^)  der  ehemals  bei  dem  Tode 
Peters  III.  gewesen  war  und  jetzt  ebenfalls  ein  Reichs- 
kleinod trug. 

Nach  der  feierhchen  Beerdigung  des  letztverstorbe- 
nen Kaiserpaares  mußte  Orlow,  was  er  sehr  gern  tat, 
gleich  wieder  abreisen,  durfte  aber  nicht  in  Moskau 
bleiben,  als  der  neue  Monarch  sich  zur  Krönung  dahin 
begab. 

Mit  Mühe  erhielt  er  die  Erlaubnis  zu  reisen  und  ging 
nach  Dresden.  Er  wollte  sich  in  Sachsen  ankaufen, 
aber  die  weise  sächsische  Regierung,  die  sich  mit  dem 
damaligen  russischen  Kaiser,  der  für  die  leichtesten 
Beleidigungen  so  sehr  empfänglich  war,  nicht  über- 
werfen wollte,  suchte  diesen  Ankauf  zu  hintertreiben. 

Nach  der  Ermordung  Pauls  I.  ging  Alexis  Orlow  nach 
Rußland  zurück  und  starb  in  Moskau  im  Januar  1808. 

In  öffentlichen  Blättern  stand:  ein  achtzigjähriger 
Sergeant,  der  dreißig  Jahre  lang  in  des  Grafen  Orlow 
Hause  gewesen  sei  und  diesem  einmal  das  Leben  ge- 
rettet habe,  sei  mit  unter  den  Leichenbegleitern  er- 
schienen, habe  den  Sarg  einsenken  helfen  und  sei  gleich 
in  dem  nämlichen  Augenblick  gestorben. 

Man  kennt  die  hohen  Ehrenstellen,  die  er  bekleidet 
hat,  und  man  wird  bemerkt  haben,  daß  er  im  Charakter 

^)  Knes  Borjatinsky  war  im  letzten  Lebensjahre  Katharinas  11. 
Oberhofmarschall  und  Ritter  des  Alexander-Nevvsky-Ordens. 
Nachdem  er,  gleichwie  Alexis  Orlow,  die  Leiche  Peters  IIL  hatte 
begleiten  müssen,  verbannte  ihn  Paul  L  auf  seine  Güter.  Ob  und 
wo  er  jetzt  lebt,  .vissen  wir  nicht.  Durch  Katharinas  IL  Gnade  war 
er  sehr  reich.  Seine  Gemahlin  war  eine  Prinzessin  Chowansky  und 
seine  Tochter  die  schöne  und  talentvolle  Fürstin  Dolgorucky,  die 
wir  in  Deutschland  gesehen  haben.     H. 


282 


6"].  Alexej  Orlow  III. 


seinem  Bruder  Gregor  sehr  ähnlich  war,  doch  soll  er 
mehr  Verstand  als  dieser  gehabt  haben. 

Ebenfalls  öffentUche  Nachrichten  sagten,  Graf  Alexis 
Orlow  habe  fünf  Milhonen  Rubel  in  Geld,  und  zwei  und 
dreißigtausend  Bauern  hinterlassen.  —  So  reich  er 
auch  war,  so  glauben  wir  doch,  daß  diese  Angabe  über- 
trieben war.  Er  würde  auf  diese  Art  über  viermal  hun- 
derttausend Rubel  Einkünfte  gehabt  haben,  und  so 
viel  hatte  er  gewiß  nicht. 

Graf  Alexej  Gregor jewitsch  Orlow  war  verheiratet, 
wir  wissen  aber  nicht,  wer  seine  Gemahhn  gewesen  ist. 

Von  ihr  hatte  er  eine  Tochter,  die  schon  in  ihrem 
zehnten  Jahre  Hofdame  der  Kaiserin  Katharina  II. 
war.  Sie  befand  sich  noch  unverheiratet  mit  ihrem 
Vater  in  Dresden.^) 

Orlow  hatte  auch  einen  natürlichen  Sohn,  der  aber 
legitimiert  worden  war.  Den  Namen  der  Mutter  wissen 
wir  nicht ;  dem  Sohne  aber  hatte  der  Vater  seinen  Bei- 
namen Tschesmenskoy  gegeben.  Er  war  ein  außer- 
ordentlich schöner  Mann.  Am  Ende  der  achtziger  Jahre 
hieß  es  allgemein,  daß  er  hätte  Liebling  werden  sollen, 
daß  aber  wegen  der  Arroganz  des  Vaters  der  Fürst  Po- 
temkin  Bedenken  getragen  habe,  ihm  diese  wichtige 
und  einträgliche  Stelle  zu  geben.  Damals  war  Tsches- 
menskoy Offizier  von  der  Garde  zu  Pferde.  Nach  dem 
Tode  Katharinas  II.  nahm  er  seinen  Abschied  als  Ober- 
ster. Er  soll  verheiratet  sein. 

^)  Elisabeth  Alexejew  wurde  1790  die  Gattin  von  Friedrich 
Maximilian  von  Klinger,  dem  Stürmer  und  Dränger.  Von  den  drei 
Kindern  aus  dieser  Ehe  starben  zwei  schon  früh.  Der  Sohn  Alexan- 
der erlag  1812  seinen  in  der  Schlacht  von  Borodino  erhaltenen 
Wunden.  (Erich  Schmidt,  Allgem.  deutsche  Biographie,  16.  Bd, 
S.   192.) 


6i.  Fgodor  Orlow  IV.  383 

68.  Feodor  Orlow  IV. 

Ein  Mißbrauch,  der  die  Emporkömmlinge  unter  der 
Regierung  Katharinas  II.  für  das  Reich  besonders 
schädhch  machte,  war,  daß  ein  jeder  von  ihnen  alle- 
mal einen  so  großen  Anhang  mit  sich  brachte.  Es  war 
nicht  genug,  daß  ein  Liebhng,  ohne  das  geringste  Ver- 
dienst für  den  Staat  zu  besitzen,  von  der  Kaiserin  selbst, 
ohne  daß  er  sie  aufzufordern  brauchte,  unermeßhche 
Reichtümer  erhielt;  sie  mußte  auch  oft  den  entfern- 
testen Verwandten,  nicht  etwa  Geschäfte  und  Wohl- 
habenheit, nein,  hohe  Würden,  Ordensbänder,  starke 
Besoldungen,  Güter  und  Geldgeschenke  geben. 

Feodor  war  der  vierte  der  Orlows.^)  Er  wurde  wie 
sie  im  Kadettenkorps  erzogen,  das  seine  Brüder,  bald 
nachdem  er  dahin  gekommen  war,  verließen.  Alsdann 
hatte  er  das  nämliche  Schicksal  und  kam  in  die  Garde. 
Hier  diente  er  mit  ihnen  zugleich.  Ohne  etwas  Vorzüg- 
liches getan  zu  haben,  genoß  er  doch  die  glücklichen 
Folgen  der  Bemühungen  der  drei  altern  Orlows  für  den 
Dienst  der  Kaiserin. 

Durch  sie  stieg  er  bald  im  Kriegsdienste  empor, 
zeichnete  sich  aber  auch  im  ersten  Türkenkriege  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  rühmlichst  aus.  2)  Er 
wurde  dafür  durch  höhere  Ehrenstellen  belohnt.  Auf 
der  Expedition  nach  dem  Archipelagus  begleitete  er 
seinen  Bruder  Alexis  und  bekam  wichtige  Aufträge 
unter  dessen  Oberbefehlen.  So  gewann  er  unter  andern 
eine  sehr  bedeutende  Seeschlacht  bei  Morea.  Dafür  er- 
hielt er  Belohnungen,  die  seinem  Ehrgefühl  schmei- 
cheln mußten  und  ihm  große  Vorteile  brachten.  Im 
Garten  zu  Zarskoje  Selo  sieht  man  noch  eine  graumar- 

*)  Geboren  1741. 

^)  So  durch  die  Einnahme  von  Navarin. 


284 


68.  Feodor  Orlow  /F. 


morne  Säule  mit  weißmarmornen  Schiffsschnäbeln,  die 
das  Andenken  dieser  großen  Tat  auf  die  Nachwelt 
bringen  soll. 

Im  September  1772  kam  er  von  der  Flotte  nach  Pe- 
tersburg. Er  hörte  von  der  Veränderung  der  Verhält- 
nisse der  Kaiserin  mit  seinem  Bruder  Gregor  und  ging 
nicht  nach  Hofe.  Endlich  wurde  er  zu  der  Kaiserin  ge- 
fordert, ging  dahin,  hielt  sich  aber  doch,  so  viel  er 
konnte,  entfernt. 

Nach  dem  Abgange  des  Fürsten  von  seiner  Stelle 
und  nach  dessen  Zurückkunft  an  den  Hof,  bemerkte 
man  an  der  Kaiserin  im  Januar  1773  eine  große  Be- 
trübnis. Man  konnte  sie  nicht  sogleich  erklären,  erfuhr 
aber  endlich,  sie  rühre  daher,  weil  Feodor  Orlow  ihr 
mit  großer  Freimütigkeit  die  Wahrheit  gesagt  habe. 
Man  behauptet  nämlich,  er  habe  ihr  erklärt,  daß,  da  sie 
mit  seinem  Bruder  gebrochen  habe,  so  sei  sie  ganz  ohne 
Anhänger  und  befinde  sich  in  den  Händen  ihrer  eigenen 
Feinde. 

Er  blieb  nachher  nicht  lange  mehr  in  Petersburg. 
Potemkin,  der  alle  Orlows  verscheuchte,  vertrieb  auch 
diesen.  Feodor  ging  nach  Moskau  und  bheb  beständig 
daselbst,  bis  er  am  Ende  der  neunziger  Jahre  starb.^) 

Als  er  abging,  war  er  General  en  Chef,  Wirklicher 
Kammerherr,  Ritter  des  Alexander-Ordens  und  des 
Großkreuzes  des  militärischen  Georg-Ordens. 

Feodor  war  unter  allen  Orlows  der  klügste,  der 
feinste  und  der  unterrichtetste,  aber  auch  vielleicht  der 
boshafteste.  Seine  Tapferkeit  verachtete  jeden  Wider- 
stand. 

')  Im  Jahre   1796. 


6c).    Wladimir  OyIow  V.  285 

69.  Wladimir  Orlow  V. 

Wladimir,  der  jüngste  der  fünf  Brüder  Orlow,  wurde 
drei  Jahre  lang  in  Leipzig  erzogen.  Da  seine  Brüder  da- 
mals schon  in  Gunst  waren,  so  kann  man  denken,  daß 
es  mit  allem  möghchen  Aufwände  geschah,  ohne  darauf 
Rücksicht  zu  nehmen,  ob  der  junge  Mensch  etwas  lerne 
oder  nicht. 

Als  er  im  Jahre  1765  zurückkam,  ernannte  ihn  die 
Monarchin  zum  Direktor  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften, nach  dem  Beispiele  der  Kaiserin  Ehsabeth, 
die  dem  Bruder  ihres  Lieblings  eine  ähnliche  Stelle  gab ; 
gleichsam  als  ob  es  genug  sei,  einige  Jahre  im  Auslande 
gelebt  zu  haben,  um  so  ein  wichtiges  Amt  bekleiden  zu 
können.  —  Damals  wurde  auch  Graf  Wladimir  zum 
Wirkhchen  Kammerherrn  ernannt.  Übrigens  hat  er 
wohl  nie  eine  höhere  Würde  verlangt  oder  bekommen. 

Unerachtet  er  nicht  so  viel  Gelegenheit  gehabt  hat, 
als  seine  Brüder,  Reichtümer  zu  erwerben,  so  beliefen 
sich  doch  seine  jährlichen  Einkünfte  auf  hundertund- 
dreißigtausend  Rubel.  —  Nimmt  man  diese  Summe, 
die  sehr  richtig  ist,  für  wahr  an,  so  scheint  die  Berech- 
nung, nach  welcher  die  fünf  Brüder  Orlow  dem  russi- 
schen Reiche  siebzehn  Millionen  Rubel  gekostet  haben 
sollen,  zu  geringe  gemacht  zu  sein. 

Am  Ende  der  neunziger  Jahre  lebte  er  in  Moskau, 
wohin  er  gleich  nach  der  Entfernung  seines  Bruders 
Gregor  vom  Hofe  sich  begeben  hatte.  Wahrscheinlich 
lebt  er  noch  daselbst.^) 

Seinem  Charakter  nach  soll  Wladimir  große  Festig- 
keit und  viel  Gutmütigkeit  gehabt  haben.  Seine  Ta- 
lente zu  entwickeln  hat  er  nie  Gelegenheit  gehabt. 

Wladimir  Orlow  war  vermählt.  Seine  Gemahlin,  eine 

')   Er  starb  im  Jahre  1832. 


286 


70.  Orlow  VI. 


geborne  Livländerin  von  altadeliger  Familie,  deren 
Namen  wir  nicht  wissen,  gab  ihm  mehrere  Kinder.  Eine 
von  seinen  Töchtern  ist  die  Gemahlin  eines  ausgezeich- 
net gelehrten  und  verdienstvollen  Mannes.  Dieser  ist 
der  Graf  Panin,  ehemaHger  Gesandter  in  Berlin  und 
nachheriger  Vizekanzler. 


70.  Orlow  VI. 

Orlow,  ein  Verwandter  dieser  fünf  Brüder,  ward 
durch  das  Glück  seiner  Vettern  aus  dem  Staube  her- 
vorgezogen, nachdem  er  ebenfalls  bei  der  Revolution 
sehr  untergeordnete  Aufträge  und  bei  der  Ermordung 
Peters  III.  (1762)  eine  Art  von  Rolle  ohne  Bedeutung 
übernommen  hatte. 

In  den  Grafenstand  wurde  er  nicht  erhoben,  aber  er 
erhielt  nach  und  nach  Reichtümer  und  ansehnliche 
Stellen  am  Hofe. 

Er  nahm  im  Jahre  1795  seinen  Abschied,  lebte  aber 
noch  am  Ende  des  vorigen  Jalu-hunderts. 

Als  er  abging  war  er  Oberhofmarschall,  Wirklicher 
Kammerherr  und  Ritter  des  Alexander-Newsky-  und 
des  Annen-Ordens. 

Dieser  Orlow  hatte  nicht  die  geringste  Erziehung  und 
war  so  unwissend,  daß  er  nichts  als  Russisch  sprach. 

Sonderbar  ist  es,  daß  nach  ziemlich  öffentlichen 
Nachrichten  unter  den  Mördern  Pauls  I.  sich  ebenfalls 
ein  Orlow  befand.  Es  hieß  damals,  er  wäre  General, 
Wir  wissen  übrigens  nicht,  wie  nahe  er  mit  allen  diesen 
Orlows  verwandt  war. 


']!.  Passek.  287 

71.  Passek. 

Passek,  ein  Russe,  vom  niedern  Adel,  nahm  Kriegs- 
dienste und  brachte  es  mehr  durch  Empfehlungen  als 
durch  Verdienste  so  weit,  daß  er  noch  unter  der  Re- 
gierung der  Kaiserin  EHsabeth  Offizier  in  der  Garde 
wurde. 

Die  Orlows  kannten  seine  boshafte  Verwegenheit 
und  teilten  ihm  daher  das  Geheimnis  der  Verschwörung 
gegen  den  Kaiser  mit.  Sobald  er  unterrichtet  war,  ver- 
wendete er  sich  für  dieses  Projekt  mit  einem  Enthu- 
siasmus, der  einer  rühmlicheren  Unternehmung  würdig 
gewesen  wäre.  Er  wollte  das  Ansehen  haben,  einer  der 
Haupträdelsführer  bei  der  Revolution  zu  sein;  da  er 
aber  ein  sehr  eingeschränkter  Kopf  war,  so  konnte  er 
zu  dem  Plane  dieser  Begebenheit  wenig  beitragen.  Die 
übrigen  Teilnehmer,  die  Passeks  Tollkühnheit  zu 
schätzen  wußten,  rechneten  desto  mehr  auf  ihn  bei  der 
Ausführung.  Die  Kaiserin  lernte  ihn  bei  Orlow  kennen 
und  konnte  nicht  anders,  als  seinen  Eifer  für  ihre  An- 
gelegenheit loben.  Mit  einer  in  Raserei  übergehenden 
Begeisterung  warf  er  sich  dieser  Prinzessin  zu  Füßen 
und  bat  sie  um  die  einzige  Erlaubnis,  den  Kaiser  an  der 
Spitze  der  Garden  und  im  Angesicht  des  Volks  ermor- 
den zu  dürfen.  Sie  schlug  es  ilim  ab,  wie  man  leicht 
denken  kann;  allein  sein  wütendes  Bestreben,  der 
Kaiserin  nützlich  zu  sein,  beruhigte  sich  dabei  nicht. 
Auf  seine  eigene  Gefahr  lauerte  er  dem  Monarchen  auf 
einsamen  Spaziergängen  auf,  aber  die  Todesstunde 
dieses  Fürsten  war  noch  nicht  gekommen ;  Passek  ver- 
fehlte ihn  immer.  Indessen  wurde  durch  ihn  der  Aus- 
bruch der  Revolution  beschleunigt.  Er  sprach  im 
Rausche  von  dieser  bald  erfolgenden  Begebenheit,  und 
von  dem  Eifer,  den  er  dabei  für  den  Dienst  der  Kaiserin 


288  !-[■  Passeh. 

zeigen,  wollte.  Ein  gemeiner  Soldat  von  der  Garde,  der 
dabei  war,  aber  nicht  zu  den  Verschwornen  gehörte, 
nutzte  diese  Gelegenheit,  sich  an  Passek  zu  rächen, 
der  ihn  einige  Tage  vorher  gemißhandelt  hatte.  Er 
ging  in  die  Regimentskanzlei  und  gab  seinen  Offizier 
als  Teilnehmer  einer  Verschwörung  gegen  den  Kaiser 
an.  Am  8.  Juli  1762  neuen  Stils,  abends  um  9  Uhr, 
wurde  Passek  arretiert,  und  der  Monarch,  der  in  Ora- 
nienbaum  war,  durch  einen  Kurier  von  dem  Vorgange 
benachrichtigt.  Peter  III.  setzte  die  Untersuchung  bis 
nach  den  Festen  aus,  die  in  Peterhof  sollten  gegeben 
werden.  Man  überhob  ihn  dieser  Mühe.  Die  Verschwor- 
nen erfuhren  Passeks  Arrest  und  die  Veranlassung 
dazu.  —  Das  Glück  unterstützte  die  Wachsamkeit  und 
die  Verwegenheit.  —  Man  eilte,  die  Revolution  am  fol- 
genden Morgen  anzufangen.  Als  die  Kaiserin  bei  dem 
Gefängnisse  vorbeifuhr,  in  welchem  Passek  saß,  befahl 
sie,  ihn  zu  befreien.  Er  wollte  der  Nachricht  nicht 
trauen  und  konnte  nur  mit  Mühe  dazu  gebracht  wer- 
den, der  in  Freude  taumelnden,  hintergangenen  Menge 
zu  folgen.  —  Sonderbar  war  es,  daß  dieser  Mann,  der 
eine  so  unbezähmbare  Begierde  gezeigt  hatte,  den 
Kaiser  zu  ermorden,  als  er  noch  frei  und  Herrscher  war, 
sich  jetzt  zu  diesem  Geschäft  nicht  brauchen  ließ,  da  er 
weder  Widerstand  noch  üble  Folgen  zu  fürchten  hatte. 
—  Diesen  Umstand,  der,  wie  uns  dünkt,  ein  Beweis  ist, 
daß  Passek  mehr  ein  Mörder  aus  Tollkühnheit  als  aus 
Blutgier  war,  würde  ein  Psycholog  richtiger  erklären 
können. 

Passek  bheb  seinem  Charakter  treu  und  ein  un- 
veränderter Anhänger  der  Orlows.  —  Wir  wissen, 
daß  einmal  die  Rede  davon  war,  die  Kaiserin  mit 
Gregor  zu  vermählen  und  daß  Panin  sich  diesem 
Projekt  widersetzte.  Passek,   der  es  erfuhr,   machte 


yj.  Passek.  289 

sich  sogleich  gegen  den  Günsthng  anheischig,  Panin  zu 
ermorden.  Orlow,  der  nicht  noch  mehr  Blutschuld 
aufhäufen  wollte,  willigte  nicht  ein  und  Panin  blieb 
lebend. 

Daß  Passeks  Belohnungen  nach  beendigter  Revolu- 
tion beträchtlich  waren,  kann  man  leicht  denken.  Er 
erhielt,  wie  alle,  die  nähern  Anteil  daran  genommen 
liatten,  Ehrenstellen,  Geschenke  und  Pension.  Über- 
dies blieb  er,  so  lange  die  Orlows  in  Gunst  waren,  immer 
in  großem  Ansehen  am  Hofe.  Aber  so  wie  der  Einfluß 
dieser  Brüder  zu  sinken  begann,  so  wurde  Passeks 
Wirkungskreis  immer  unbedeutender.  Potemkin  ver- 
achtete ihn,  und  man  sprach  einmal  öffentlich  da- 
von, daß  beim  Spiel  in  Mohilew  der  dasige  General- 
gouverneur Passek  geprügelt  habe.  Zwar  ist  es  nicht 
erwiesen,  ob  dies  geschehen  sei,  aber  es  ist  doch  immer 
schlimm  genug,  wenn  ein  Mann  von  so  hohem  Range 
in  so  schlechtem  Rufe  steht,  daß  die  niedrigsten  Ver- 
leumdungen auf  seine  Rechnung  erfunden  werden  dür- 
fen. —  Das  duldende  Benehmen  Passeks  bei  dieser  Ge- 
legenheit wäre  wieder  eine  ungewöhnliche  Falte  des 
menschlichen  Herzens,  die  nur  der  erfahrenste  Kenner 
desselben  entwickeln  kann.  Wie  konnte  Passek,  der 
tollkühnste  Mensch,  den  man  sich  denken  kann,  die 
schimpflichste  Behandlung  ertragen,  ohne  auf  der  Stelle 
die  blutigste  Rache  zu  nehmen? 

Nach  dem  Tode  Katharinas  verlor  er  sein  General- 
gouvernement, eines  der  schönsten  im  Reiche. 

Passek  lebte  noch  im  Jahre  1799,  war  General  en 
Chef  und  Ritter  der  vornehmsten  russischen  Orden. 

Nach  allem,  was  wir  wissen,  brauchen  wir  von  seinem 
Charakter  nichts  zu  sagen.  Wahre  militärische  Fähig- 
keiten hatte  er  gewiß  nicht ;  wenigstens  hat  er  ebenso- 
wenig einen  Beweis  davon  gegeben,   als  von  persön- 

Russische  Günstlinge.  ig 


290  12.  Schkuvin. 

lieber  Tapferkeit.  —  Sein  Gesicht  war  der  Stempel  der 
Tücke  und  der  Eingeschränktheit. 

Passek  hatte  eine  Tochter,  die  Hoffräulein  der  Kai- 
serin war. 


72.  Schkurin. 

Schkurin  war  zur  Zeit  der  Kaiserin  Elisabeth  Stuben- 
heizer bei  Hofe.  Eine  vorteilhafte  Gestalt  verschaffte 
ihm  die  Gnade  der  Großfürstin  Katharina.  Schkurin 
ward  ihr  Bedienter  und  als  Peter  HI.  den  Thron  be- 
stiegen hatte,  machte  ihn  diese  Prinzessin  zu  ihrem 
Kammerbedienten. 

Er  war  es,  der  (1762)  in  dem  Augenblick  der  Geburt 
des  Herrn  von  Bobrinskoy  sein  hölzernes  Haus  in 
einem  entfernten  Teile  der  Stadt  anzündete,  um  den 
Kaiser  zu  entfernen,  der,  wie  man  wußte,  bei  jeder 
Feuersbrunst  gegenwärtig  war.  Schkurin  nahm  das 
Kind  noch  in  der  nämlichen  Nacht  zu  sich,  in  eine 
schon  vorher  zu  diesem  Behuf  gemietete  Wohnung  und 
behielt  es  immer  bei  sich. 

Schkurin  zeigte  beständig  die  größte  Anhänglichkeit 
an  seine  Gebieterin  und  verheß  sie  nie.  —  In  der  Nacht 
vor  dem  Tage  der  Revolution  im  Jahre  1762  fuhr  er 
als  Bedienter  mit  Katharina  von  Peterhof  nach  Pe- 
tersburg. 

Wie  alle,  die  nur  etwas  bei  dieser  Begebenheit  getan 
hatten,  erhielt  Schkurin  nach  der  glücklichen  Beendi- 
gung der  Revolution  Ehrenstellen  und  Reichtümer. 
Dem  Günstlinge  Orlow  war  die  zu  große  Freigebigkeit 
der  Kaiserin  gegen  Schkurin  —  verdächtig ;  er  wünschte 
ihn  zu  entfernen,  konnte  es  aber  nicht  dahin  bringen. 

Schkurin  wurde  endlich  Geheimer  Rat,  Wirklicher 


7J.  Gregorej  Teplow.  29I 

Kammerherr  und  Direktor  der  kaiserlichen  Garde- 
robe. 

Er  starb  im  Anfange  der  achtziger  Jahre. 

Zwei  Töchter,  die  er  hinterheß,  wurden  Hoffräuleins. 
—  Eine  von  ihnen  war  es  noch  im  Jahre  1799.  —  Die 
andre  mußte  im  Jahre  1789  bei  der  Veränderung  des 
Grafen  Mamonow,  zu  dessen  Ausschweifungen  sie  sollte 
behilflich  gewesen  sein,  den  Hof  meiden. 


73.   Gregore]  Teplow. 

Gregorej  Nicolajitzsch  Teplow  war  der  Sohn  eines 
Einheizers  im  Alexander- Newsky-Kloster.  Da  er  keinen 
Familiennamen  hatte,  so  gab  ihm  der  Archireji,  oder 
Erzbischof,  um  ihn  immer  an  seinen  Ursprung  zu  er- 
innern, den  Namen  Teplow;  ein  Wort,  das  im  Russi- 
schen warm  bedeutet. 

Im  Kloster  erlernte  der  junge  Teplow  einige  Wissen- 
schaften, und  studierte  dann  auf  Kosten  des  Archireji 
im  Auslande,  wo  er  sich  unter  andern  mit  glücklichem 
Erfolg  auf  die  Botanik  legte,  aber  auch  in  andern  Wis- 
senschaften große  Fortschritte  machte. 

Nach  seiner  Zurückkunft  nach  Rußland  wurde  er  als 
ein  geschickter  Mann,  besonders  vom  Minister  Wa- 
linsky,^)  gebraucht;  ein  Umstand,  der  sehr  für  Tep- 

1)  Walinsky  war  einer  der  würdigsten  Staatsmänner  Rußlands, 
hatte  aber  das  Unglück,  Biron  zum  Feinde  zu  haben.  Dieser  nahm 
von  der  vorerwähnten  Tabelle  Veranlassung,  ihn  zu  beschuldigen, 
daß  er  Absichten  auf  den  russischen  Thron  habe.  Das  Vorgeben 
war  abgeschmackt.  Nur  ein  Mann,  wie  Biron,  konnte  es  wagen, 
der  öffentlichen  Meinung  so  grausam  zu  spotten,  und  ein  Vorgeben, 
das  nur  das  Hirngespinst  eines  Kopfes  war,  ebenso  hart,  als  das 
größte  Majestätsverbrechen  zu  strafen.  —  Vvalinsky  verlor  seinen 
Kopf  auf  dem  Blutgerüste.     H. 

19* 


292 


7J.  Gregovej  Teploiu. 


lows  Talente  spricht,  weil  dieser  berühmte  Staatsmann 
nie  die  Unwissenheit  in  Schutz  nahm.  Zur  Erholung 
von  größern  Geschäften  arbeitete  Teplow  mit  diesem 
Minister  nach  archivarischen  Nachrichten  an  einer 
Geschlechtstabelle,  wodurch  die  bekannte  Meinimg, 
daß  das  Haus  Walinsky  mit  der  Familie  Rurik,  dem 
alten  Herrschergeschlechte  in  Rußland,  verwandt  sei, 
bestätigt  wurde.  Diese  Tabelle  machte  ahnsky  Un- 
glück, in  welches  auch  Teplow  auf  kurze  Zeit  ver- 
wickelt wurde. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Ehsabeth  machte 
man  ihn  zum  Hofmeister  des  Grafen  Kyrilla  Rasu- 
mowsky,  bei  dem  er  von  dieser  Zeit  an  alles  galt. 

Nach  dem  Tode  dieser  Fürstin,  die  kurz  vorher  Tep- 
low zimi  Kammerherrn  ernannte,  schloß  sich  dieser  an 
die  Anhänger  der  Kaiserin  Katharina  an  und  zeigte 
sich  in  seinem  Wirkungskreise  immer  als  ein  erklärter 
Feind  Peters  HI. 

Der  Kaiser,  der  Teplows  Ränke  erfuhr,  ließ  ihn  kom- 
men, gab  ihm  im  Scherz  einen  Schlag  mit  dem  Stocke 
und  sagte:  ,,Gehe,  ich  verzeihe  dir,  aber  bessre  dich." 

Er  tat  es  aber  nicht.  Auf  seinen  Rat  schlug  sich  Ky- 
rilla Rasumowsky  auf  die  Seite  der  Kaiserin  und  wen- 
dete sein  Ansehen  als  Kommandeur  eines  Regiments 
der  Garde  wider  Peter  HI.  an.  Bei  dem  Ausbruche  der 
Revolution,  durch  welche  Katharina  H.  den  Thron 
ihres  Gemahls  bestieg,  verfertigte  Teplow  die  bei  dieser 
Gelegenheit  ausgestreuten,  verleumderischen  Mani- 
feste. —  Übrigens  war  er  Zeuge  der  Ermordung  Pe- 
ters III. 

Der  Mord  des  ehemahgen  Kaisers  Joan  Antono- 
witzsch  (1764),  der  seit  Peters  III.  Tode  in  einem  genau 
verwahrten  und  grausenerregenden  Kerker  in  Schlüs- 
selburg saß,  war  Teplows  Werk. 


7J.  Gvegorej  Teplow.  293 

Dieser  unglückliche  Prinz,  dessen  Existenz  selbst  die 
schwachsinnige  und  furchtsame  Elisabeth  nicht  genug 
gefürchtet  hatte,  um  ihn  töten  zu  lassen,  schien  dem 
Hofe  Katharinas  gefährlich  zu  sein.  Nur  war  die 
Schwierigkeit,  sich  seiner  auf  eine  geschickte  Art  zu 
entledigen.  Man  wendete  sich  an  Teplow,  dessen  Bos- 
heit man  kannte  und  er  erfand  wirklich  den  scheuß- 
lichen Entwurf,  dessen  Ausführung  gelang.^)  Vermöge 
desselben  gewann  man  einen  Offizier  von  einem  Feld- 

^)  Die  ganze  Erzählung  Helbigs  ist  vom  Anfang  bis  zum  Schluß 
ein  Phantasiegebilde,  das  Dichtung  und  Wahrheit  höchst  un- 
geschickt durcheinandermischt. 

Iwan  saß  in  Schlüsselburg  gefangen,  während  der  Regierung 
Katharinas  nicht  strenger  behandelt  als  zur  Zeit  Elisabeths  und 
Peters.  Er  wurde  scharf  bewacht.  Eine  Instruktion  aus  der  Zeit 
Peters  III.  an  den  wachthabenden  Offizier  in  Schlüsselburg  befahl: 
Falls  wider  Erwarten  irgend  jemand  den  Versuch  machen  sollte, 
den  Gefangenen  zu  befreien,  so  soll  man  sich  mit  allen  Mitteln 
widersetzen,  und  den  Gefangenen  nicht  lebend  aus  den  Händen 
geben. 

Der  Sekondeleutnant  Wassili j  Mirowitsch,  ein  Kleinrusse,  der 
aber  mit  Mazeppa  keinerlei  Verbindung  hatte,  faßte  den  Plan,  Iwan 
zu  befreien,  um  mit  dessen  Hilfe  seine  ehrgeizigen  Pläne  zu  ver- 
wirklichen. Seine  Mitverschworenen  waren  Unteroffiziere,  Solda- 
ten imd  ein  Hofbediensteter  namens  Kassatkin,  der  vielleicht 
Grund  hatte,  Katharina  zu  hassen,  auf  deren  Thron  es  abgesehen 
war.  Mirowitsch  diente  im  Smolenskischen  Regiment  und  hatte 
von  Zeit  zu  Zeit,  wenn  die  Reihe  an  ihn  kam,  mit  seiner  Abteilung 
die  Wache  der  Schlüsselburger  Festung  zu  verstärken.  —  So  war  es 
auch  Anfang  Juli.  Mirovvitsch  hatte  einen  der  Offiziere  für  sich  an- 
werben wollen  und  dadurch  seinen  Plan  einem  Anhänger  Katha- 
rinas verraten.  Nun  galt  es,  rasch  zu  handeln.  Schon  in  der  nächsten 
Nacht  überfiel  er  mit  seinen  Soldaten  die  Wache  und  bemächtigte 
sich  einer  Kanone.  Als  die  Iwan  bewachenden  Offiziere,  Kapitän 
Wlaesjew  und  Leutnant  Tschekin,  sahen,  daß  jeder  Widerstand 
unmöglich  sei,  befolgten  sie  den  Befehl  und  töteten  Iwan.  , .Während 
im  Innern  der  Kaserne  das  Entsetzliche  geschah,  stürzte  Mirowitsch 
mit  seinen  Soldaten  auf  das  Gefängnis  los,  eilte  die  Treppe  hinauf, 
traf  auf  dem  Flur  den  Leutnant  Tschekin  und  fragte  ihn:  ,Wo  ist 
der  Kaiser?'  Tschekin  antwortete:  ,Wir  haben  eine  Kaiserin  und 
nicht  einen  Kaiser!'  Es  war  dunkel;  man  holte  Licht.  Mirowitsch 
trat  in  das  Gemach  des  Prinzen.  Dieser  lag  auf  dem  Boden  —  eine 
Leiche."    (Brückner,  S.  153  ff.) 


294  73-  Gregor ej  Teplow. 

regimente,  dem  man  große  Belohnungen  versprach, 
wenn  er  eine  Revolution  zugunsten  des  Prinzen  Joan 
erregen  wollte.  Dieser  Offizier  liieß  Mirowitzsch  und 
war  der  Enkel  eines  Mannes,  der  ein  eifriger  Anhänger 
des  bekannten  Hetmans  der  Kosaken,  Mazeppa,i) 
und  Karls  XII.  gegen  Peter  I.  gewesen  war.  Damals 
hatte  seine  Familie  ihre  Güter  verloren.  Jetzt  ver- 
sprach man  dem  jungen  Wassilej  Mirowitzsch  größere 
Vorteile,  wenn  er  die  Empörung  wagen  wollte.  Miro- 
witzsch war  ein  kurzsichtiger  Mensch,  der  gern  etwas 
gewinnen  wollte.  Alles  war  verabredet,  und  zu  dem 
Ausgange,  den  die  Sache  nehmen  sollte,  vorbereitet. 
Den  Offizieren,  die  bei  dem  Prinzen  im  Kerker  selbst 
die  Wache  hatten,  war  von  jeher  befohlen  worden,  bei 
dem  geringsten  Tumult  von  außen  denselben  sogleich 
zu  ermorden.  Mirowitzsch  hatte  die  Wache  in  der 
Festung.  Er  erregte  eine  Revolution,  der  Lärm  näherte 
sich  dem  Kerker,  die  Offiziere  kamen  dem  Befehle 
nach  und  Joan  —  endigte  sein  trauriges  Leben.  —  Nun 
wurde  Mirowitzsch,  der  sich  gutwillig  greifen  ließ,  ein- 
gezogen und  kam  in  gerichtliche  Untersuchung.  Er 
lachte  über  die  Verfahrungsart,  weil  er  überzeugt  war, 
daß  er,  weit  entfernt,  bestraft  zu  werden,  vielmehr 
große  Belohnungen  erwarten  könnte.  Um  nicht  durch 
ihn  verraten  zu  werden,  hatten  seine  Henker  die  teuf- 
lische Grausamkeit,  ihm  seinen  Wahn  nicht  zu  be- 
nehmen. Mirowitzsch  lachte  immer  fort,  als  er  zum 
Richtplatz  geführt  wurde  und  dort  sein  Urteil  erfuhr; 

^)  Mazeppa,  von  Geburt  ein  Pole,  kam  durch  Zufall  in  die 
Ukraine  und  erwarb  sich  durch  Verstand,  Kenntnisse  und  Tapfer- 
keit einen  so  großen  Anhang  unter  den  Kosaken,  daß  ihn  Peter  I. 
zum  Hetman  dieses  unter  russischem  Schutze  stehenden  Landes 
ernennen  mußte.  Mazeppa  war  nicht  dankbar  dafür.  Er  hielt  es 
in  den  damaligen  Unruhen  mit  Karl  XII.  und  den  polnischen 
Rebellen  gegen  Peter  I.  und  Friedrich  August  I.     H. 


7J.  Gregore]  Teplow.  295 

und  lachte  noch,  als  er  statt  des  gehofften  Pardons 
den  Todesstreich  empfing.  Erst  nach  seinem  Tode 
wurde  er  von  seinem  Irrtum  und  von  der  Falschheit 
seiner  Henker  überführt. 

Teplow  bekam  einige  Jalire  nachher  Geschäfte  einer 
ganz  andern  Gattung.  Die  Kaiserin  wollte,  wie  es  hieß, 
den  Thronfolger  in  Regierungsgeschäften  unterrichten 
lassen.  Aber,  welchen  Unterricht  gab  man  diesem  Prin- 
zen !  Teplow  bekam  Auftrag,  ilim  denselben  zu  erteilen. 
Mit  studierter  Bosheit  übernahm  er  diese  Arbeit.  Er 
hätte  dem  Großfürsten  gründliche  Kenntnisse  von 
Staatswirtschaft  und  Politik  beibringen  sollen  und  er 
brachte  ihm  große  Stöße  Prozeßakten,  die  im  Senat 
anhängig  w^aren.  Dies  machte  dem  Prinzen  Langeweile. 
Er  wollte  nichts  mehr  davon  hören;  und  so  erreichte 
man  seinen  Zweck.  Paul  lernte  durch  diesen  Unter- 
richt nichts  und  bekam  einen  Abscheu  vor  dieser  Art 
von  Geschäften.^) 

Für  alle  diese  wesentlichen  Dienste  wurde  Teplow 
reichlich  belohnt,  denn  er  starb  als  Geheimer  Rat, 
Senator  und  Ritter  verschiedener  Orden. 

Von  den  Fälligkeiten  und  dem  Charakter  dieses 
Mannes  darf  nichts  hinzugefügt  werden.  Es  ist  genug 
gesagt  worden,  um  die  Brauchbarkeit  des  erstem  und 
die  Schändlichkeit  des  zweiten  beurteilen  zu  können. 

Sein  Sohn,  ein  allgemein  geschätzter  Mann,  ist  wirk- 
licher Staatsrat  und  Ritter  des  Annen-Ordens.  Erlebt, 
entfernt  von  Geschäften,  in  Moskau  von  den  Ein- 
künften des  von  seinem  Vater  ererbten  großen  Ver- 
mögens. Der  berühmte  Mathematiker  und  Philolog, 
Johann  Jakob  Ebert,  der  vor  einigen  Jahren  als  Pro- 
fessor in  Wittenberg  gestorben  ist,  ein  Mann  von  vor- 

^)  Brückner  nennt  diese  Mitteilung  Helbigs  „eine  abgeschmackte 
Anekdote"  (a.  a,  O.  S.  613). 


296  14-  Engelhardt. 

trefflichen  Grundsätzen,  war  sein  Erzieher  in  Rußland, 
sein  Hofmeister  auf  deutschen  Universitäten  und  sein 
Begleiter  auf  Reisen. 


74.  Engelhardt. 

Der  vollendetste  Bösewicht  kann  selten  den  innern, 
unbestechbaren  Richter  seiner  Handlungen  auf  immer 
zum  Schweigen  bringen.  Die  Befriedigung  des  Geizes, 
des  Stolzes,  der  Wollust,  oder  andrer  sinnlicher  Be- 
gierden, die  ihn  verleiteten,  Verbrecher  zu  werden, 
verliert  endlich  für  ihn  ihre  Reize.  Seine  Lieblings- 
empfindungen werden  abgestumpft.  Er  fühlt  nur  die 
Vorwürfe  seines  Gewissens. 

Engelhardt,  der  Sohn  eines  deutschen  Arztes,  war  in 
Petersburg  geboren.  Er  folgte  seiner  Neigung  und  ward 
Soldat.  Der  Vater  hatte  ihn  zeitig  in  einem  der  drei 
Garderegimenter  zu  Fuß  einschreiben  lassen  und  so 
wurde  der  junge  Mensch  im  Jahre  1761  Sergeant  der 
Garde.  Dieser  Umstand  brachte  ihn  in  die  Bekannt- 
schaft der  Brüder  Orlow.  Aus  diesem  ersten  Grade  der 
Verbindung  kam  Engelhardt  bald  durch  seinen  Hang 
zu  einem  unregelmäßigen  und  sittenlosen  Leben  in  den 
zweiten  Grad  derselben  und  wurde  der  tägliche  Gesell- 
schafter der  Orlows.  Diese  arbeiteten  mit  andern  im 
Anfange  des  Jahres  1762  an  dem  Entwürfe  der  Em- 
pörung, der  bald  nachher  ausgeführt  wiu-de.  So  sehr  es 
ihnen  aber  auch  darum  zu  tun  war,  ihre  Bande  durch 
unternehmende  Mitglieder  zu  verstärken,  so  scheinen 
sie  doch  Bedenken  getragen  zu  haben,  Engelhardt  zum 
Vertrauten  ihres  Vorhabens  zu  machen.  Wahrschein- 
lich zweifelten  sie  an  der  Festigkeit  seines  Charakters 
und  glaubten,  daß,  um  sein  eigenes  Glück  zu  machen, 


'J4-  Engelhardt.  297 

er  ohne  Bedenken  sie  verraten  und  aufopfern  würde. 
Überdies  mochten  sie  auch  wohl  einsehen,  daß  sein 
Verstand  zu  mittelmäßig  war,  um  bei  der  Anlage  des 
Plans  einen  wesentlichen  Nutzen  leisten  zu  können. 
Die  Fäden  dieses  schändlichen  Gewebes  mußten  in 
einer  Feinheit  gesponnen  werden,  deren  Engelhardt  in 
keinem  Betracht  fähig  war.  Indessen  konnten  die  Or- 
lows  seine  brauchbare  Verwegenheit  nicht  ableugnen. 
Sobald  alles  bereit  war  und  der  Aufstand  seinen  An- 
fang nehmen  sollte,  dann  wurde  Engelhardt  mit  leich- 
ter Mühe  in  das  Interesse  der  Kaiserin  gezogen  und 
leistete  wesentliche  Dienste.  Er  wurde  durch  sein 
kühnes  Benehmen  (1762)  der  neuen  Monarchin  be- 
merkbar. Sie  versicherte  ihn  selbst  ihrer  besonderen 
Zufriedenheit. 

Seine  Freunde,  die  Brüder  Orlow,  nunmehr  von 
seiner  Brauchbarkeit,  die  sich  an  keine  Grundsätze 
band,  überzeugt,  bestimmten  ihm  ein  Geschäft,  durch 
dessen  Ausführung  er  seine  ganze  Verworfenheit  zeigen 
und  alsdann  auf  wichtige  Belohnungen  Anspruch 
machen  konnte.  Im  Grunde  hatte  Engelhardt  bis  jetzt 
zu  dem  glücklichen  Ausgange  der  Revolution  nicht 
mehr  beigetragen,  als  jeder  Anhänger  der  Kaiserin  und 
jeder  Freund  der  Orlows;  aber  nun  sollte  er  diesem 
schändlichen  "Werke  durch  das  strafbare  Verbrechen 
die  Krone  aufsetzen.  Entschlossenheit  und  Gefühl- 
losigkeit waren  die  Eigenschaften,  die  man  verlangte, 
um  das  unglückliche  Dasein  Peters  III.  gewaltsam  zu 
endigen. 

Alexis  Orlow,  sein  Vetter  Orlow,  ein  Knes  Borja- 
tinsky,  der  Schauspieler  Wolkow,  Teplow,  Engelhardt 
und  einige  andere  von  geringerem  Gehalt,  gingen  nach 
Ropscha,  wo  der  bisherige  Kaiser  gefangen  saß,  in  der 
Absicht,  ihn  eigenhändig  zu  ermorden,  im  Fall  das 


298  74-  Engelhardt. 

Gift,  das  man  ihm  reichen  würde,  ihn  nicht  geschwind 
genug  töten  sollte.  Da  das  Gift  nicht  wirken  konnte, 
weil  Peter  warme  Milch  trank,  so  entschlossen  sich  die 
Mörder,  den  Kaiser  zu  erwürgen.  Sie  glaubten  nämlich, 
daß  dies  die  einzige  Todesart  sei,  die  unter  allen  die 
wenigsten  Spuren  von  Gewalttätigkeit  zeige.  Man 
knüpfte  ein  Tuch  um  den  Hals  des  Prinzen,  erstickte 
ihn,  da  er  zu  schreien  anfing,  mit  Betten  und  zog  nun 
das  Tuch  fest  zusammen.  Engelhardt  war  derjenige, 
der  den  Druck  gab,  durch  welchen  der  unglückliche 
Monarch  sein  Leben  aushauchte.  Bis  jetzt  ist  die  Teil- 
nahme Engelhardts  an  der  Ermordung  Peters  III. 
ziemlich  unbekannt  gewesen.  Gleichwohl  ist  diese 
Nachricht  so  zuverlässig,  daß  sie  nicht  bestritten  wer- 
den kann.  Seine  übrigen  Gehilfen  sind  alle  genannt. 
Nur  er  wurde  verschwiegen,  da  doch  sein  Verbrechen 
allerdings  berechtigte,  seinen  Namen  der  Vergessenheit 
zu  entreißen. 

Von  diesem  Augenblick  an  war  Engelhardts  Glück 
gemacht.  Die  Orlows  sorgten  dafür,  und  Katharina  IL, 
ihre  Empfindung  dabei  sei  nun  gewesen,  welche  sie 
wollte,  belohnte  ihn.  Er  erhielt  bei  jeder  Gelegenheit 
Geschenke  und  stieg  von  einer  Ehrenstelle  zur  andern. 
Indessen  kam  er  selten  nach  Hofe,  wo  er  weder  ver- 
langt noch  vermißt  wurde. 

Er  starb  als  Generalleutnant  und  Gouverneur  von 
Wiburg,  wenn  wir  nicht  irren,  schon  in  den  siebziger 
Jahren,  oder  im  Anfang  der  achtziger  Jahre. 

Wie  der  Charakter  dieses  Mannes  gewesen  sein  müsse, 
kann  man  sich  leicht  denken.  Er  hatte  weder  recht- 
liche Grundsätze,  noch  einen  aufgeklärten  Verstand. 
In  seinen  Sitten  war  er  rauh  und  pöbelhaft.  So  verab- 
scheuenswürdig  übrigens  Engelhardt  war,  so  konnte  er 
doch  bei  dem  Andenken  an  die  grausame  Tat,  an  wel- 


Stanislaus  August  Poniatowski 
Gemälde  von  Angelika  Kauffmcinn 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  299 

eher  er  den  wesentlichsten  Anteil  genommen  hatte, 
nicht  gleichgültig  bleiben.  Oft  bemerkte  man  an  ihm 
die  deutlichsten  Spuren  der  Verzweiflung. 

Wir  wissen  nicht,  ob  Engelhardt  jemals  verheiratet 
gewesen  ist  und  Kinder  hinterlassen  hat.  Aber  er  hatte 
andre  Verwandte,  die  im  Staate  und  in  der  bürger- 
lichen Gesellschaft  sehr  schätzbare  Verdienste  gezeigt 
haben. 

Es  fehlen  zwar,  wie  man  aus  diesem  unvollkomme- 
nen Abrisse  sieht,  genaue  Nachrichten  von  dem  Leben 
dieses  Mannes,  aber  nach  dem,  was  man  von  ihm  weiß, 
entbehrt  man  sie  gern.  Eine  weitläufigere  Auseinander- 
setzung seiner  Geschichte  würde  den  Unmut  des 
Schriftstellers  und  der  Leser  vergrößern. 


75.  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

Zu  den  empfindlichsten  Kränkungen,  denen  die  un- 
vollkommene Menschheit  unterworfen  ist,  gehören  un- 
streitig diejenigen,  die  wir  von  Personen  erfahren, 
deren  unveränderte  Zuneigung  wir  durch  die  strengste 
Anhänglichkeit  und  durch  Aufopferungen,  die  uns 
selbst  vor  den  Augen  der  Welt  kompromittieren,  zu 
verdienen  glauben.  Man  stelle  sich  zwei  Liebende  vor, 
die  insgeheim  in  der  reizendsten  physischen  Verbin- 
dung leben.  Ihr  Einverständnis  wird  bekannt,  die  Mo- 
ralität  tadelt  es  und  durch  Gewalt  wird  ein  Band  ge- 
trennt, das  in  ungleichen  und  unerlaubten  Verhält- 
rissen geknüpft  war.  Bald  nachher  kommt  die  Ge- 
liebte auf  den  erhabensten  Platz  irdischer  Größe.  Auf 
demselben  erhält  sie  die  Macht,  die  Schicksale  mehrerer 
Millionen  Menschen  teils  willkürlich  zu  bestimmen. 


300  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

teils  durch  ihren  Einfluß  zu  lenken.  Sie  erinnert  sich 
ihres  Geliebten,  und  obgleich  neue  Verbindungen  sie 
fesseln,  so  erhebt  sie  ihn  doch  mit  starker  Hand  aus 
dem  Privatstand  in  ihre  eigene  Kategorie  und  stellt 
ihn  an  die  Spitze  eines  benachbarten,  imterdrückten 
Volks.  Sie  vergißt  in  der  Folge  die  Vereinigung,  durch 
die  sie  sonst  so  glücklich  ward.  Das  Ansehen  ihres  vor- 
maligen Gehebten  wendet  sie  bloß  zur  Ausführung 
ihrer  Entwürfe  an  und  weil  er  ein  Schwächling  ist  und 
immer  nachgibt,  so  macht  sie  ihn  verächtlich.  Den 
Glanz,  der  ihn  umgab,  verwandelt  sie  in  einen  düstern 
Schein.  Endlich  beraubt  sie  ihn  ganz,  läßt  ihm  nur  un- 
zulängliche Mittel  der  Subsistenz  und  macht  ihn  völhg 
unglücklich. 

In  dem  Falle  war  Stanislaw  August  Poniatowski, 
der  in  diesem  Buche  notwendig  einen  Platz  finden 
muß.  Ein  Mann,  der,  wie  er,  in  Rußland  anfing,  in  der 
politischen  Welt  merkwürdig  zu  werden ;  der  durch  die 
Gewalt  einer  russischen  Monarchin  auf  den  schwanken- 
den sogenannten  Wahlthron  seiner  Nation  erhoben 
ward;  den  diese  nämliche  Fürstin  stufenweise  wieder 
von  demselben  herabführte  und  ihn  (welches  schreck- 
liche Gefühl  für  den  Unglücklichen)  dem  Mitleid,  der 
Verachtung  oder  dem  Hohngelächter  Preis  gab;  ein 
solcher  Mann  paßt  doch  gewiß  in  die  Reihe  russischer 
Emporkömmlinge . 

Die  Familie  Poniatowski  gehört  nicht  zu  den  vor- 
nehmsten Geschlechtern  der  polnischen  Nation;  sie 
wurde  erst  durch  den  Vater  des  Mannes,  von  dem  wir 
hier  sprechen,  berühmt. 

Dieser  hieß  Stanislaw  und  war  1678  geboren.^) 

In  den  Kriegen  Friedrich  Augusts  I.  mit  Karl  XII. 
hielt  es  Poniatowski,  der  Vater,  mit  der  Partei  des 

^)  Richtig  1677. 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  30I 

Königs  von  Schweden,  in  dessen  Dienste  er  förmlich 
trat.  Nach  der  Schlacht  bei  Pultawa,  die  das  Unglück 
des  zwölften  Karls  entschied,  und  ihn  nötigte,  nach 
Bender  zu  fliehen,^)  war  es  wahrscheinlich,  in  Polen 
ein  Interregnam  entstehen  zu  sehen. 

Friedrich  August  I.  konnte  den  Thron  dieses  Landes 
noch  nicht  besteigen,  von  welchem  der  ohnmächtige 
Stanislaw  Lesczynski^)  herunter  zu  wanken  schien. 
Unter  diesen  Umständen  bekam  Poniatowski,  der 
seinen  Herrn  verlassen  hatte  und  noch  ein  junger 
Mann  war,  den  vorübergehenden  Einfall  (den  allen- 
falls jeder  polnische  Edelmann  ohne  Bedeutung  haben 
konnte),  selbst  König  zu  werden.  In  dieser  Absicht  be- 
gab er  sich  nach  Polen. 

Auf  der  Reise  kam  er  abends  in  ein  Gasthaus.  Neben 
seinem  Zimmer  war  lustige  Gesellschaft.  Da  er  nicht 
schlafen  konnte,  stand  er  auf  und  ging  auch  dahin.  Er 
fand  die  Anwesenden  beschäftigt,  eine  Wahrsagerin 
anzuhören,  die,  sobald  sie  ihn  erblickte,  ihn  Exzellenz 
nannte.  Er  zeigte  ihr  seine  Hand.  Sie  streben,  sagte  die 
Zigeunerin,  nach  der  höchsten  Würde,  aber  Sie  werden 
sie  nicht  erlangen,  wohl  aber  einer  Ihrer  Söhne.  Ponia- 
towski schrieb  diese  Begebenheit  auf  und  Stanislaw 
August  fand  sie  unter  den  Papieren  seines  Vaters. 

Auf  den  ersten  Anblick  könnte  diese  Anekdote  wohl 
den  Aberglauben  befördern,  a.ber  sie  ist  sehr  natür- 
licher Erklärungen  fähig.  Poniatowskis  Leute  konnten 
wohl  den  Plan  ihres  Herrn  wissen  und  vielleicht  gar 
damit  prahlen.  Auf  diese  Art  konnte  ihn  auch  die  Zi- 
geunerin erfahren  haben,  und  durch  vernünftige  Kom- 
binationen der  damaligen  LTmstände,  die  ihr  vielleicht 

^)  Karl  XII.  von  Schweden,  1697—1718.  Die  Schlacht  bei 
Poltawa  fand  am  8.  Juli  1709  statt. 

2)  Stanislaus  I.  Lesczynski,  König  von  Polen  (1677 — 1766), 
wurde  1735  gezwungen,  der  polnischen  Krone  zu  entsagen. 


302  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky . 

natürlicher  waren,  als  dem  Kronkandidaten  selbst, 
konnte  sie  den  Schluß  gezogen  haben,  daß  seine  Be- 
mühungen um  die  Krone  vergeblich  sein  würden.  Zu- 
gleich aber  wollte  sie  ihn  doch  mit  der  Hoffnung 
trösten,  daß  einer  seiner  Söhne,  von  denen  damals  noch 
keiner  lebte,  unter  andern  Umständen,  dereinst  König 
werden  könnte.  Dem  sei,  wie  ihm  wolle,  so  machte  doch 
diese  Prophezeihung  auf  Poniatowski  so  viel  Eindruck, 
daß  er  seinen  Plan,  König  zu  werden,  den  er  ohnedies 
hätte  müssen  fahren  lassen,  gutwillig  aufgab. 

Er  wählte  nun  ein  andres  Mittel,  sich  merkwürdig 
zu  machen,  das  wohl  schwerlich  die  Prüfung  einer 
strengen  Moral  aushalten  würde. 

Er  begab  sich  nämlich  zum  König  Stanislaw  Lesc- 
zynski,  brachte  die  diesem  Könige  ausgestellte  Ab- 
dankungsakte des  Königs  Friedrich  August  I.  an  sich, 
und  eilte  dann,  sie  demjenigen  wieder  zu  geben,  der  sie 
gezwungenerweise  hatte  ausstellen  müssen.  Für  diesen 
allerdings  wichtigen,  aber  gewiß  nicht  ehrenvollen 
Dienst  wurde  Poniatowski  von  Friedrich  August  I., 
oder  wie  er  in  der  polnischen  Königsreihe  heißt, 
August  IL,  königlich  belohnt. 

Einige  Zeit  nachher  brachte  ihn  der  König  in  Ver- 
bindung mit  einer  der  ersten  Familien  des  Reichs,  in- 
dem er  ihm  im  Jahre  1720  eine  Prinzessin  Czartoryska 
zur  Gemahlin^)  verschaffte.  Poniatowski  nannte  sich 
nunmehr  Graf,  wie  gemeiniglich  die  Polen  zu  tun 
pflegen,  wenn  sie  sich  zu  den  großen  Geschlechtern  des 
Landes  rechnen. 

Die  Gräfin  Poniatowski,  die  sehr  reich  war,  und  den 
Ruf  einer  höchst  geistreichen  und  liebenswürdigen 
Frau  hatte,  machte  ihren  Gemahl  sehr  glücklich. 

^)  Die  Fürstin  Konstantia  Czartoryiska  (so)  war  die  zweite 
Frau  Staniilaus  Poniatowskis. 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  303 

Der  König,  immer  dankbar  und  großmütig  wie  er 
war,  gab  ihm,  den  zuweilen  widrige  Grundsätze  seiner 
Gemahlin  lenkten,  verschiedene  große  und  einträgliche 
Reichschargen,  erteilte  ihm  im  Jahre  1726  den  weißen 
Adlerorden  und  ernannte  ihm  im  Jahre  1731  zum  Woy- 
woden  von  Masuren.  Dieser  Stanislaw  starb  im  Jahre 
1762  als  Kastellan  von  Krakau. 

Seine  Gemahlin,  die  drei  Jahre  vor  ihm  starb,  gebar 
ihm  fünf  Söhne.  —  Der  erste,  Kasimir,^)  wurde  Kron- 
Groß-Kammerherr  und  erhielt  andere  wichtige  Char- 
gen. Er  war  der  Vater  des  Fürsten  Stanislaw  Ponia- 
towski,  der  jetzt  Kriegsminister  in  Diensten  des  Kö- 
nigs von  Sachsen  und  Herzogs  von  Warschau  ist  und 
den  Ruhm  eines  sehr  edlen  Mannes  hat.  2)  —  Der  zweite 
starb  in  französischen  Diensten.  —  Der  dritte  war 
Stanislaw  August,  von  dem  hier  mehr  gesagt  werden 
soll.  —  Der  vierte,  Michael,  wählte  den  geistlichen 
Stand.  Er  wurde  Primas  von  Polen,  ob  es  gleich  wider 
die  Reichsgrundgesetze  war,  daß  ein  so  naher  Ver- 
wandter des  Königs  diese  Würde  bekleiden  durfte. 
Dieser  Poniatowski  war  ein  Anhänger  von  Rußland  und 
starb  im  Jahre  1794  in  Warschau.  —  Der  fünfte,  An- 
dreas, starb  in  österreichischen  Diensten.  3)  Sein  Sohn 
Joseph,  von  einer  Gräfin  Kinsky,  hat  sich  in  der  un- 
glücklichen Revolution  Polens  ausgezeichnet,  in  wel- 
cher er  durch  die  Russen  alles  verlor.*) 

Stanislaw  August,  der  dritte  von  diesen  Brüdern, 
war  den  17.  Januar  1732  geboren.  Seine  Erziehung  war 

^)  Kasimir,  geboren    1721,   starb   1800. 

^)  Stanislaus,  geboren  i757,  war  General  der  polnischen  Kron- 
armee.   Er  starb  in  Florenz  am  13.  Februar  1833. 

')  Als  Ö5terreichischer  Generalfeldzeugmeister  im  Jahre  1773 
in  Wien. 

*)  Joseph  (geb.  1762)  war  der  bekannte  Führer  der  Polen  im 
Heere  Napoleons  I.,  der  nach  der  Schlacht  bei  Leipzig  in  der  Elster 
ertrank. 


304  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

so  vortrefflich,  als  man  sie  von  der  Sorgfalt  seiner  er- 
habenen Mutter  erwarten  konnte.  Nachdem  sie  voll- 
endet war,  ging  er  auf  Reisen  nach  Sachsen,  in  das 
übrige  Deutschland  und  nach  Frankreich.  Seine  große 
Schönheit  und  seine  Liebenswürdigkeit  brachten  ihn 
an  allen  Höfen  in  Verbindung  mit  den  angesehensten 
Frauen.  Übrigens  lebte  er  überall  sehr  viel  mit  den 
ausländischen  Diplomaten  und  zeigte  Talent  für  die 
kleinliche  Intrige  dieser  unechten  Schwester  der 
wahren  Politik,  von  der  sie  oft  die  Maske  entlehnt  und 
dadurch  die  Unkundigen  täuscht. 

Aus  Frankreich  begab  sich  Poniatowski  nach  Eng- 
land, wo  es  ihm  ungleich  besser,  als  irgendwo  gefiel. 
Von  dieser  Zeit  an  bis  an  seinen  Tod  behielt  er  eine 
entschiedene  Vorliebe  für  dieses  Land  und  dessen 
Staatsverfassung  bei. 

In  London  sah  er  den  Ritter  Williams  Hanbury^) 
wieder,  den  er  schon  kannte  und  der  eine  ungewöhn- 
liche Freundschaft  für  ihn  zeigte.  Dieser  Mann  ging  in 
der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  als  Ambassadeur  nach 
Petersburg,  und  schlug  den  Grafen  Poniatowski  vor, 
ihn  zu  begleiten.  Anfänglich  konnte  er  die  Einwilligung 
seiner  Mutter  zu  dieser  Reise  nicht  erlangen. 

Sie,  eine  geborne  Czartor/ska,  und  folglich  eine 
Feindin  des  in  Polen  regierenden  Hauses  Sachsen, 
wollte  nicht  ihren  Sohn  an  einen  Hof  gehen  lassen,  der 
mit  dem  sächsischen  in  der  genauesten  Vereinigung 
stand.  Endhch  aber  gab  sie  doch  den  Gründen  nach, 
die  man  ihr  entgegenstellte  und  durch  Überredung 
unterstützte.  Man  sagte  ihr,  daß  in  Verbindung  mit 
Hanbury  ihr  Sohn  für  das  Interesse  Englands  und 
Preußens  und  besonders  für  das  der  Familie  Czarto- 

^)  Hanbury  war  vorher  ein  Gesandter  am  Dresdener  Hofe.  Er 
starb  in  England  bald  nach  seiner  Zurückkunft  aus  Rußland. 


J.  A.  Fürst  Poniatowski 
Stich  von  J.  G.  Mansfeld 


75-  Stanislaw  August  Poniaiowsky.  305 

ryska,  die  damals  ihre  Absichten  auf  den  polnischen 
Thron  nicht  undeutlich  zu  erkennen  gab,  eingenom- 
men wäre.  Hanbury  und  Poniatowski  reisten  nach 
Petersburg;  jener  als  Botschafter,  dieser  als  Legations- 
sekretär, ohne  jedoch  diesen  Namen  zu  haben. 

Hier  trat  der  junge  Mann  auf  Empfehlung  des  Am- 
bassadeurs in  Bekanntschaft  mit  der  Großfürstin,  die 
in  seiner  Jugend  sein  Glück  und  in  seinem  Alter  sein 
Unglück  machte.^)  Er  wendete  sein  Ansehen  bei  dieser 
Prinzessin  dazu  an,  sie  auf  den  Fall  der  Erledigung  des 
Throns  nach  dem  etwaigen  Tode  Friedrich  Augusts  IL 
vorzubereiten  und  ihre  Mitwirkung  zur  Erhebung  eines 
Czartoryski  zu  verlangen;  ein  Vorzug,  an  welchen  da- 
mals das  mindermächtige  Haus  Poniatowski  für  sich 
nicht  denken  durfte,  obgleich  der  Vater  in  unruhigem 
Zeiten  schon  diese  Idee  gehabt  hatte.  Den  Großfürsten, 
der,  wie  immer  der  Fall  ist,  der  letzte  war,  der  das  Ein- 
verständnis seiner  Gemahhn  mit  dem  schönen  Polen 
erfuhr,  gewann  Poniatowski  ebenfalls  durch  die  An- 
nehmlichkeiten seiner  Unterhaltung,  durch  seine  fa- 
natischen Lobeserhebungen  des  Königs  von  Preußen, 
und  durch  seine  Abneigung  gegen  den  König,  seinen 
Herrn.  Diese  gab  sogar  der  Graf  dem  Publikum  auf 
eine  höchstbeleidigende  Art  zu  erkennen.  —  Einst  war 
er  mit  vielen  GHedern  des  Corps  diplomatique  nach 

^)  Kurz  herausgesagt:  Stanislaus  wurde  der  Liebhaber  Katha- 
rinas, der  Nachfolger  von  Sergij  Soltikow  und  Leon  Narischkin. 
Reizend  ist  in  Katharinas  Erinnerungen  die  Szene,  in  der  sie  be- 
schreibt, wie  Stanislaus  Poniatowski  und  der  schwedische  Gesandte, 
Graf  Hom,  sie  in  ihren  Gemächern  besuchten  und  das  Bologneser- 
hündchen der  Großfürstin  den  Schweden  wütend  anbläfft,  den 
wohlbekannten  Polen  aber  umsprang.  Graf  Hörn  nahm  darauf 
Poniatowski  beim  Rocke  und  raimte  ihm  zu:  „Das  schrecklichste, 
was  es  gibt,  ist  ein  Bologneserhündchen,  lieber  Freund.  Das  erste, 
was  ich  stets  getan  habe,  wenn  ich  Frauen  liebte,  war,  ihnen  einen 
solchen  Hund  zu  schenken.  Durch  diese  Tiere  habe  ich  dann  immer 
erkannt,  ob  jemand  mehr  in  Gunst  stand  als  ich"  (S.  212). 
Russische  Günstlinge.  20 


306  75.  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

Kronstadt  gefahren,  um  den  Hafen  und  die  dortigen 
Anstalten  zu  sehen.  Die  Gesellschaft  speiste  bei  einem 
Admiral.  Bei  Tische  brachte  nach  damaliger  Sitte  ein 
jeder  seines  Herrn  Gesundheit  aus.  Als  die  Reihe  an 
Poniatowski  kam,  trank  er  auf  das  Wohl  der  Republik, 
und  da  man  ihn  fragte,  warum  er  den  König  vergesse, 
sprach  er  in  den  unanständigsten  Ausdrücken  von 
diesem  Monarchen  und  von  dem  Grafen  Brühl.  — 
Dies  alles  und  der  Umgang  des  jimgen  Mannes  mit  der 
Großfürstin  ward  in  Warschau  so  gut  bekannt  als  in 
Petersburg,  und  bewirkte  von  Polen  aus  den  Befehl 
an  Poniatowski,  in  sein  Vaterland  zurückzukehren.  Er 
tat  es,  aber  mit  dem  festen  Vorsatz,  bald  wieder  an  den 
russischen  Hof  zu  kommen. 

Als  er  in  Warschau  angelangt  war,  legte  er  es  darauf 
an,  Bewegungsgründe  zu  ersinnen,  um  wieder  nach  Pe- 
tersburg geschickt  werden  zu  können.  Es  sprach  mit 
großer  Lebhaftigkeit  auf  dem  eben  versammelten 
Reichstage  von  der  Notwendigkeit,  in  der  damahgen 
Lage  der  Sachsen  einen  eigenen  polnischen  Gesandten 
in  Rußland  zu  halten,  dessen  Obliegenheit  mit  denen 
der  sächsischen  Gesandtschaft  nicht  vermengt  werden 
dürften.  Dabei  gab  er  nicht  undeutlich  zu  verstehen, 
daß  er  wegen  seiner  großen  Verbindungen  in  Rußland 
eigentlich  der  Mann  sei,  der  daselbst  dem  Vaterlande 
die  besten  Dienste  leisten  könnte.  Andere  Umstände 
unterstützten  noch  den  Plan  des  Grafen  Poniatowski. 
Die  Großfürstin  wünschte  ihn  zurück  und  hatte  sich 
in  dieser  Absicht  an  ihren  Gemahl  selbst  und  an  den 
Großkanzler  Grafen  Bestuschew  gewendet.  Der  gut- 
mütige Großfürst,  der  damals  von  der  Verbindung 
seiner  Gemahlin  mit  Poniatowski  nichts  ahnte,  wurde 
auf  eine  sehr  feine  und  ganz  unmerkliche  Art  gewon- 
nen  und   sprach   selbst   mit   dem    Großkanzler   von 


75-  Stanislaw  August  Ponicitowsky.  307 

seinem  Verlangen,  den  polnischen  Grafen  wieder  in 
Rußland  zu  sehen.  Bestuschew  verstand  sich  sehr 
leicht  dazu,  die  deswegen  notwendigen  Einleitungen  zu 
machen,  teils  weil  er  die  Großfürstin  nicht  beleidigen 
wollte,  deren  Mitwirkung  er  noch  länger  brauchen 
konnte,  teils  weil  er  glaubte,  daß  man  in  Warschau  nie 
einen  Mann  zum  Gesandten  in  Rußland  ernennen 
würde,  von  dem  man  wußte,  daß  er  ein  Anhänger  Eng- 
lands und  Preußens  und  folglich  ein  Feind  der  Koa- 
lition gegen  Friedrich  IL  war.  Hierin  irrte  er  sich  je- 
doch. Die  französische  Gesandtschaft^)  in  Warschau, 
die  den  Grafen  Poniatowski  für  einen  sehr  verdächtigen 
und  sogar  gefährlichen  Mann  hielt,  wendete  alles  an, 
um  dessen  Ernennung  zu  hintertreiben.  Dies  nahm 
Brühl  sehr  übel  auf.  Ihm  in  dieser  Angelegenheit  Vor- 
schriften geben  zu  wollen,  hielt  er  für  einen  Eingriff 
in  seine  Rechte.  Ohne  darauf  zu  achten,  was  Vernunft 
und  Staatsklugheit  ihm  rieten,  beförderte  er  die  Er- 
nennung des  Grafen  Poniatowski  zum  polnischen  Ge- 
sandten am  russischen  Hofe,  weil,  wie  er  behauptete, 
man  sich  im  voraus  der  Gunst  des  großfürstlichen  Hofes 
für  nötige  und  unvorhergesehene  Fälle  versichern 
müßte.  Ehe  der  neue  Gesandte  nach  Petersburg  ging, 
wurde  er  zum  Stohick  oder  Großtruchseß  in  Litauen  er- 
nannt und  erhielt  den  weißen  Adlerorden;  eine  uner- 
hörte Auszeichnung,  denn  bis  dahin  hatte  gewiß  noch 
kein  Privatmann  in  seinem  sechsundzwanzigsten  Jahre 
diesen  Orden  erhalten.  —  Es  fiel  bei  dieser  Gelegenheit 
ein  Umstand  vor,  der  erzählt  zu  werden  verdient.  — 
Als  Poniatowski  vom  König  den  Orden  bekam,  wurde 
dem  Kammerdiener  des  Monarchen  befohlen,  einen 
Stern  zu  geben.  Dieser  vergriff  sich  und  gab  einen  wie 
ihn  der  Großmeister  trägt,  nämhch  mit  der  Inschrift: 

^)  Broglie  und  d'Ailkm. 


308  75-  Stanislaw  August  Poniaiowsky. 

pro  fide,  grege  et  lege,  dahingegen  die  Sterne  der  Ritter 
die  Inschrift  haben :  pro  fide,  rege  et  lege.  Viele  sahen 
damals  dieses  Versehen  als  eine  üble  Vorbedeutung  an. 

Nachdem  Poniatowski  in  Petersburg^)  angekommen 
war,  dachte  er  nicht  mehr  an  seine  gesandtschaftlichen 
Pflichten,  deren  Erfüllung  er  in  Warschau  schon  vorher 
so  gerühmt  hatte.  Er  lebte  nur  für  die  sinnlichen  Ver- 
gnügungen. —  Mit  der  Großfürstin  setzte  er  seinen 
Umgang  fort.  AnfängHch  sahen  sie  sich  gewöhnhch  in 
Yelagins  Hause.  Diese  Zusammenkünfte  hatten  Fol- 
gen, die  am  Schlüsse  des  Jahres  1757  der  Welt  bekannt 
wurden.  —  Doch  duldete  man  ihn  noch.  Man  war  aber 
am  russischen  Hofe  in  einer  höchst  unangenehmen 
Stimmung,  als  der  Prinz  Karl  von  Sachsen  und  Polen 
nach  Petersburg  kam.  Die  Kaiserin  und  der  großfürst- 
liche Hof  wendeten  sich  an  diesen  Prinzen  in  betreff 
des  Gesandten  seines  Vaters.  Elisabeth  wollte  den- 
selben gern  vom  Hofe  entfernt  haben ;  der  Thronfolger 
und  seine  GemahMn  wünschten  ihn  da  zu  behalten. 
Endhch  beförderte  er  selbst  seine  gewaltsame  Entfer- 
nung durch  eine  Unbesonnenheit. 

Damals  besuchte  Poniatowski  die  Großfürstin  sogar 
schon  in  den  kaiserlichen  Schlössern.  Einst  schlich  er, 
als  Friseur  verkleidet,  um  das  Palais  dieser  Prinzessin 
in  Oranienbaum  herum.  Peter  wurde  davon  benach- 
richtigt, lauerte  ihm  auf  und  empfing  ihn  ziemlich  un- 
freundlich. Er  wurde  alsdann  arretiert  vor  den  Groß- 
fürsten gebracht  und  von  dem  Grafen  Branicki,^)  der 

^)  Als  Gesandter  wohnte  Poniatowski  in  der  Newskischen 
Perspektive  an  der  Ecke  nach  dem  Katharinakanal  hin.  Das  Haus 
gehörte  in  den  achtziger  Jahren  der  Generalfeldmarschallin  Fürstin 
Golizin,  die  daselbst  starb.  Von  ihren  Erben  kaufte  es  der  Traiteur 
Lion,  der  es  sehr  vergrößerte  und  Maskeraden  darin  gab.     H. 

^)  Branicki,  der  nicht  eigentlich  aus  der  berühmten  Familie 
dieses  Namens  herstammt,  war  durch  russische  Unterstützung 
Kron-Groß-Feldherr  von  Polen  i^eworden.   Er  heiratete  eine  Nichte 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  309 

eben  bei  diesem  Prinzen  war,  durch  einen  Stoß  zur 
Türe  hinaus  in  Freiheit  gesetzt.  Der  Großfürst  lachte 
herzlich  über  diese  ungesittete  Art,  jemand  zu  ent- 
fernen. Indessen  war  sie  sehr  zweckmäßig.  Die  Be- 
gebenheit kam  vor  die  Kaiserin,  und  Poniatowski 
mußte,  ohne  seinen  Rappel  erhalten  zu  haben,  im  Som- 
mer 1758  Petersburg  verlassen. 

Er  begab  sich  nach  Warschau,  wo  er  zumal  von  dem 
Grafen  Brühl,  der  Ursache  genug  hatte,  seinen  Starr- 
sinn zu  bereuen,  nicht  günstig  empfangen  wurde. 

Poniatowski  hatte  nun  in  seinem  Vaterlande  eine 
sehr  unbedeutende  Existenz.  Indessen  suchte  er  seine 
Verbindung  mit  Katharina,  aber  freilich  nur  durch 
Briefe,  zu  unterhalten.  Die  Unterhändler  der  Prin- 
zessin in  dieser  Angelegenheit  waren  Iwan  Schuwalow, 
Günstling  der  Kaiserin  Elisabeth,  und  Baron  von  der 
Osten, ^)  dänischer  Gesandter  in  Rußland,  die  man 
beide  schon  lange  in  das  Geheimnis  eingeweiht  hatte. 
Doch  die  Hitze  des  Briefwechsels  erkaltete  von  Seiten 
der  Großfürstin,  besonders  seitdem  sie  mit  Gregor  Or- 
low  in  Verbindung  getreten  war.  Ganz  wurde  sie  aber 
nicht  aufgehoben ;  Katharina  fand  nötig,  sie  nie  fallen 
zu  lassen. 

Nach  dem  Tode  der  Elisabeth  rächte  sich  Ponia- 
towski für  die  Gleichgültigkeit,  mit  welcher  ihn  der  Ho{ 
seines  Vaterlandes  behandelt  hatte.  Auf  eine  für  seinen 
Charakter  nicht  sehr  ehrenvolle  Art  zeigte  er  sich  auf 
dem  polnischen  Reichstage  als  einen  erklärten  Feind 

Potemkins  und  wurde  seitdem  immer  gebraucht,  um  Unzufrieden- 
heit in  seinem  Vaterlande  zu  erregen  oder  die  königliche  Würde 
zu  mißhandeln,  je  nachdem  man  es  brauchen  konnte.  Alle  seine 
Schändlichkeiten  zu  erzählen  würde  zu  weit  führen.  Er  wollte  selbst 
König  werden,  diente  aber  zurück  und  wurde  nur  russischer  General. 
^)  Adolph  Siegfried  von  der  Osten  ging  von  Petersburg  als  Ge- 
sandter nach  Neapel. 


310  75-   Stanislaw  August  Poniatowsky. 

des  Hauses  Sachsen,  das  nun  nicht  mehr  von  Rußland 
unterstützt  werde.  Sein  Ansehen  bei  der  Gemahlin 
Peters  III.  gewann  durch  dieses  Benehmen  sehr.  Sie 
gab  ihr  Wohlwollen  darüber  öffentlich  zu  erkennen. 

Bald  nachher  erfolgte  die  Revolution. 

In  einer  der  ersten  Depeschen,  die  Friedrich  II.  an 
seinen  Gesandten  Gols  in  Rußland  schrieb,  trug  er  dem- 
selben auf,  sich  unter  der  Hand  zu  erkundigen,  ob  der 
Graf  Poniatowski  wieder  nach  Petersburg  kommen 
würde.  Doch  an  eine  solche  Wiedervereinigung  war 
nicht  wieder  zu  denken.  Indessen  fuhr  Katharina  II. 
immer  fort,  mit  ihrem  ehemaligen  Freunde  in  Verbin- 
dung zu  bleiben,  und  machte  sich  anheischig,  ihm  in 
vorkommenden  Fällen  tätige  Beweise  ihres  Wohl- 
wollens zu  geben. 

Der  Zeitpunkt  hierzu  erschien  sehr  bald. 

Friedrich  August  II.  erlag  unter  dem  Kummer,  den 
ihm  seine  und  seines  Landes  Unglücksfälle  und  wahr- 
scheinlich der  Gedanke  verursachten,  daß  er  aller  mo- 
ralischen und  pltysischen  Mittel  beraubt  sei,  seinen 
Erbstaaten  wieder  aufzuhelfen. i)  Der  edeldenkendc 
und  bedauernswürdige  Monarch  starb  im  Oktober  1763. 

Katharina  II.  bestimmte  sogleich  den  erledigten 
Tliron  für  ihren  ehemaligen  Günsthng,  der  ihr,  wie 
man  leicht  denken  kann,  selbst  die  Anleitung  dazu  gab. 
Zum  Schein  versammelte  sie  ihr  Konseil,  um  dessen 
Meinung  über  die  polnischen  Angelegenheiten  zu  ver- 
nehmen. Bestuschew,  ein  alter  Anhänger  des  säch- 
sischen Hauses,  dessen  Absichten  auf  die  polnische 
Krone  er  schon  wußte,  riet,  daß  man  die  Wahlfreiheit 
in  Polen  nicht  stören  solle.  Alle  traten  dieser  Meinung 
bei,  die  Katharina  allein  bestritt,  und  endhch  durch 

1)  In  Wahrheit  überließ  der  König- Kurfürst  dem  eben<;o  edel- 
denkendeu  Grafen  Brühl   die  Sorgen  um  seine  Erblande. 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  311 

ihren  Entschluß  zeigte,  daß  sie  keine  Ratschläge  an- 
nehmen wolle.  Sie  erklärte  ihrem  versammelten  Kon- 
seil, daß  sie  den  Grafen  Stanislaw  August  Poniatowski 
auf  dem  polnischen  Throne  zu  sehen  wünsche :  Kaum 
hatte  sie  diese  Erklärung  geendigt,  so  sprang  Gregor 
Orlow,  der  als  Generaladjutant  hinter  ihrem  Stuhle 
stand,  hervor.  Nach  seiner  gewöhnlichen  energischen 
]\Iundart  legte  er  dem  Kronkandidaten  ein  sehr  kraft- 
volles Epitheton  bei  und  sagte:  ,,nun  das  wäre  schön 
wenn  der  sollte  König  werden."  Doch  da  er  auf  diese 
Art  den  beschwerhchen  Mann,  dessen  Dazwischen- 
kunft  er  immer  noch  fürchtete,  los  werden  konnte,  so 
machte  er  weiter  keine  Einwendungen.  Katharina  II. 
sprach  nun  viel  von  vorgeblicher  Wahlfreiheit  der 
Polen,  vereinigte  sich  aber  mit  dem  König  von  Preu- 
ßen, um  dieselbe  auf  die  zweckwidrigste  Art  durch 
Truppen  an  der  Grenze  zu  unterstützen.  Zu  gleicher 
Zeit  erklärte  sie,  daß  alle  fremden  Prinzen  von  der 
Wahl  ausgeschlossen  wären,  und  sie  nur  einen  Piasten 
als  König  von  Polen  erkennen  würde.  Endlich  (man 
könnte  über  den  Widerspruch  und  über  die  Art  des 
sämtHchen  Europa  zu  spotten,  lachen,  wenn  der  Be- 
wegungsgrund nicht  so  traurig  wäre),  schickte  sie  selbst 
Truppen  nach  Polen,  um  —  die  Wahlfreiheit  daselbst 
aufrechtzuerhalten. 

Die  Muse  der  Geschichte  bebt  zurück  vor  allen  den 
Greueln,  die  sie  in  den  polnischen  Annalen  von  diesem 
Augenblick  an  bis  zum  Jahre  1795  fast  ununterbrochen 
findet. 

Stanislaw  August  Poniatowski  wurde  unter  dem  Ge- 
kHrre  der  russischen  Waffen  am  7.  September  1764  zum 
König  von  Polen  nicht  erwählt,  sondern  ausgerufen 
und  mit  Drohungen,  mit  Gewalt  und  mit  Blutvergießen 
eingesetzte        .: 


312  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

Dieser  Prinz  mußte  selbst  über  die  Art  erschrecken, 
mit  welcher  er  in  die  Königswürde  eingeführt  wurde. 
Vielleicht  schmeichelte  er  sich,  dereinst  die  verschie- 
denen Meinungen  auf  eine  glückliche  Art  zu  vereinigen, 
aber  seine  und  seines  Reichs  Feinde  wußten  dies  sehr 
geschickt  zu  verhindern.  Die  Ruhe  Polens,  durch  Ge- 
walttätigkeiten teuer  erkauft,  hätte  nun  nahe  sein 
sollen,  und  nie  war  sie  entfernter  als  jetzt.  Dieser  Wahl- 
tag bestimmte  das  Unglück  des  Landes  auf  lange  Zeit. 
An  ihn  reihte  sich  eine  Kette  von  Begebenheiten, 
welche  die  Nachwelt  für  Übertreibung  halten  würde, 
wenn  sie  nicht  durch  pfhchtmäßige  und  authentische 
Urkunden  und  durch  andere  unverdächtige  Zeugnisse, 
eine  unwidersprechbare  Glaubwürdigkeit  erhalten 
hätten. 

Die  weitläufige  Erzählung  dieser  schrecklichen  Er- 
eignisse findet  ihren  eigentlichen  Platz  besonders  in 
der  Geschichte  Polens  und  Rußlands,  und  dann  auch 
zum  Teil  in  der  der  Monarchien  Österreichs  und 
Preußens.  Aber  sie  gehört  nicht  in  den  kurzen  Abriß 
der  Biographie  eines  Mannes,  der  zwar  an  der  Spitze 
des  Volkes  stand,  dessen  Schicksale  die  benachbarten 
Souveräne  auf  eine  gewaltsame  Art  zu  bestimmen  für 
gut  fander,  der  aber  eben  deswegen  nur  eine  leidende 
oder  unbedeutende  Rolle  spielte.  Wir  wollen  jedoch 
wenigstens  etwas  von  den  Hauptbegebenheiten  der 
nervlosen  Regierung  Stanislaws  Augusts  oberflächlich 
berühren. 

Am  8.  Mai  1765  stiftete  er  den  Stanislausorden,  der 
endlich  durch  die  Schwäche  des  Königs  und  durch 
seine  zwecklose  und  unüberlegte  Begierde,  sich  ephe- 
mere Freunde  und  Anhänger  zu  machen,  so  herabge- 
würdigt wurde,  daß  ihn  im  Auslande,  zumal  in  Ruß- 
land, keiner,  wenigstens  nicht  ohne  den  weißen  Adler- 


Fürst  Repnin 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  313 

orden,  annahm,  und  in  Polen  ihn  nur  ganz  junge  Leute 
trugen. 

In  den  Jahren  1765  und  1766  enthüllten  sich  die 
wahren  Bewegungsgründe,  die  diesen  König  auf  den 
Thron  erhoben  hatten :  Katharina  II.  wollte  durch  ihn 
Polen  vöUig  unterjochen.  —  Bisher  hatte  in  diesem 
Lande  die  nicht  unierten  Griechen  und  die  Dissidenten 
oder  Nichtkatholiken,  als  nänüich  Lutheraner,  Kal- 
vinisten,  von  denen  jedoch  alle  Sekten  ausgenommen 
waren,  zusammen  ein  Korps  gebildet.  Sie  hatten,  ob- 
gleich nicht  die  ersten,  doch  immer  ansehnliche  Stellen 
im  Staate  und  ohne  Unterschied  in  der  Armee  alle  be- 
kleidet, zu  denen  sie  hatten  gelangen  können,  waren 
übrigens  zufrieden  gewesen  und  hatten  ruhig  gelebt. 
Jetzt  gewann  man  einige  von  ihnen  und  namentlich 
zwei  Brüder  Grabowski,  die  von  dem  neuen  König  eine 
der  Toleranz  der  Zeit  angemessene,  und  folglich  aus- 
gebreitetere  Rehgionsfreiheit  als  bisher  verlangen 
mußten,  Stanislaw  August  war  nicht  abgeneigt,  ihren 
Wunsch  zu  erfüllen.  Aber  die  orthodox-kathohschen 
und  despotischen  Edelleute,  die  den  Reichstag  bildeten, 
widersetzten  sich  dem  Willen  des  Königs.  Nun  wen- 
deten sich  die  Dissidenten  an  die  russische  Kaiserin 
und  diese  Fürstin  versprach  sie  zu  unterstützen,  ver- 
langten die  Erfüllung  des  Traktats  von  Olive,  worin 
den  Dissidenten  größere  Rechte  versprochen  sind,  an 
welchem  aber  Rußland  nicht  den  geringsten  Anteil  ge- 
nommen hatte,  und  ließ  Truppen  in  Polen  einrücken. 
Repnin^)  ging  als  Ambassadeur  nach  Polen,  gebot  un- 
umschränkt im  Namen  seiner  Monarchin,  und  der 
Schattenkönig  mußte  der  erste  sein,  ihm  zu  gehorchen. 

^)  Von  diesem  im  Felde  mid  im  Kabinett  berühmt  gewordenen 
Manne  ist  nicht  nötig,  etwas  mehr  zu  sagen,  als  daß  er  als  Feld- 
marschall im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  starb.     H. 


314  75-  Stanislaw  August  Poniatowshy. 

Man  stellte  der  Kaiserin  vor,  daß  die  Weisheit  einer 
Regierung  und  der  allgemeine  Vorteil  es  doch  not- 
wendig machte,  gehörige  Schranken  zwischen  der  dul- 
denden Religion  und  der  geduldeten  zu  errichten,  allein 
Katharina  IL  war  nicht  mit  der  Toleranz  zufrieden, 
sie  verlangte  für  die  Dissidenten  eine  völlige  Gleichheit 
mit  den  Kathohken. 

Der  Plan  der  Unterwerfung  Polens  war  entworfen 
und  mußte  ausgeführt  werden.  —  Man  gab  die,  welche 
sich,  wie  billig,  den  Eingriffen  einer  fremden  Macht  zu 
widersetzen  schienen,  für  Rebellen  aus.  Viele  von  ihnen, 
worunter  auch  ein  Radziwill^)  war,  wurden  gefangen 
genommen,  und  manche  sogar  nach  Sibirien  geschleppt, 
wo  sie  ihren  Patriotismus,  eine  der  erhabendsten  Tu- 
genden, mit  sechsjähriger  Gefangenschaft  büßen  muß- 
ten. Es  formierte  sich  zu  Bar  in  Podolien  eine  Kon- 
föderation, die  den  König  absetzte.  Es  wurde  ihr  an- 
fänglich unter  dem  Schutze  Repnins  ebenfalls  eine 
Konföderation  von  Dissidenten  entgegengestellt,  dann 
wurde  die  zu  Bar,  von  der  man  auf  die  ungerechteste 
Weise  behauptete,  daß  sie  von  dem  sächsischen  Hofe 
gestiftet  sei,  zerstreut. 

Polnisches  Blut  floß  an  allen  Enden.  —  Endlich 
wurde  (denn  so  sollte  man  eigentlich  sagen)  Friede  mit 
Polen  gemacht.  Im  Februar  1768  wurden  in  einer  förm- 
lichen Urkunde  den  nicht  unierten  Griechen  und  den 
Dissidenten  freie  Religionsübung  und  andere  Frei- 
heiten, jedoch  immer  mit  mehr  Einschränkung  als  die 

^)  Fürst  Karl  Radziwill  (geb.  1734)  mußte  vor  den  Russen,  die 
sein  Schloß  Mieswiesz  stürmten,  ins  Ausland  fliehen.  Nach  seiner 
Rückkehr  wurde  er  1767  zum  Generalmarschall  der  gegen  den  König 
Stanislaus  und  die  Familie  Czartoriski  gebildeten  Radomer  Kon- 
föderation gewählt,  worauf  er  sich  v.-ieder  ins  .Ausland  begeben 
mußte.  Erst  durch  Vermittlung  der  Kaisern;  Katharina  II.  erhielt 
er  seine  beschlagnahmten  Güter  zurück.  .Radziwill  starb  1790..  •. 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  315 

Kaiserin  verfangt  hatte,  zugestanden.  Hierauf  ward 
(kürzer  kann  man  wohl  keine  Ewigkeit  finden)  ein  so- 
genannter ewiger  Friede  zwischen  Rußland  und  Polen 
geschlossen. 

Der  König  war  bei  dem  allen  in  einer  unglücklichen 
Lage. 

Auf  der  einen  Seite  schrieb  Rußland  ihm  Befehle  vor, 
die  er  in  Erfüllung  sollte  bringen  lassen,  und  ihm  fehlte 
die  Kraft,  es  zu  bewirken;  auf  der  andern  Seite  ver- 
langten die  Polen  seinen  energischen  Beistand,  der 
ihnen  doch  so  wenig  helfen  als  seine  Widersetzhchkeit 
ihnen  schaden  konnte.  Auf  diese  Art  verlor  er  die 
Freundschaft  seiner  Landsleute,  ohne  die  Gunst  der 
Russen  wieder  erhalten  zu  können.  — 

Im  Jahre  1771  hatte  dieser  Prinz  eine  der  seltsam- 
sten Begebenheiten,  von  der  man,  wenn  wir  nicht  irren, 
außer  dem  bekannten  sächsischen  Prinzenraube,  kein 
ähnhches  Beispiel  in  der  Geschichte  hat. 

Er  wurde  im  November  abends  in  der  Straße  zu 
Warschau  durch  die  Konföderierten  angefallen,  und 
förmlich  dem  Staate  geraubt  oder  entführt.  Pulawski^) 
entwarf  den  Plan  zu  dieser  Unternehmung.  Andre 
führten  ihn  aus.  Stanislaw  August  wurde  bei  Gelegen- 
heit dieses  Unfalls  am  Fuße  verwundet.  Nach  und  nach 
verließen  ihn  die  Räuber  und  der  letzte  Anführer  Heß 
ihn  gehen.  Man  brachte  ihn  am  andern  Morgen  zurück 
in  die  Residenz.  — 

Ebenfalls  noch  im  Anfange  der  siebziger  Jahre  war 
Baron  von  der  Osten,  der  mit  Stanislaw  August  zu 
gleicher  Zeit  im  Corps  diplomatique  in  Petersburg  ge- 
wesen war,  dänischer  Gesandter  bei  ihm.  Der  König 
glaubte,  sich  auf  die  Freundschaft  dieses  Mannes  ver- 

^)  Nach  dieser  Begebenheit  mußte  Pulawski  aus  seinem  Vater-, 
land  entfliehen  und  starb  in  der  Verbannung.     H.    . 


3l6  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

lassen  zu  können  und  bat  deswegen  den  dänischen  Hof, 
daß  er  Osten  als  Gesandten  nach  Rußland  schicken 
möchte,  woselbst  dann  derselbe  aus  alter  Bekannt- 
schaft mit  der  Kaiserin  das  Interesse  des  Königs  be- 
sorgen sollte.  Poniatowski  wurde  eben  damals  auf  eine 
schreckliche  Art  vom  russischen  Hofe  gedrückt;  be- 
sonders durch  die  Brüder  Tschernitschew.^) 

Endlich  fiel  der  Kredit  dieser  Männer,  und  der  König 
nutzte  den  Umstand  und  gab  Osten  einen  Brief  an 
Katharina,  worin  er  über  die  Tschernitschews  klagte. 
Als  der  dänische  Gesandte  nach  Petersburg  kam,  hatte 
sich  das  Blatt  gewendet.  Die  Tschernitschews  erhielten 
Kenntnis  von  dem  Briefe  des  Königs,  und  um  sich  zu 
rächen,  beförderten  sie  die  erste  Teilung  von  Polen,  die 
eben  damals  in  Vorschlag  gebracht  WTirde. 

Der  bekannte  Saliern  war,  wie  man  weiß,  der  Schöp- 
fer dieses  Projekts.  Man  machte  dem  preußischen  Ge- 
sandten in  Rußland  Eröffnungen  darüber,  allein  Fried- 
rich IL  antwortete :  non,  mon  principe  est,  de  prot^ger 
les  faibles^)  et  de  me  defendre  contre  mes  ennemis.  Je 
n'ajoute  rien  ä  mes  Etats,  c'est  l'heritage,  que  je  laisse 
ä  mon  Neveu.  Österreich  und  Rußland  waren  jedoch 

1)  Es  waren  drei  Brüder  Tschernitschew.  Peter  Gregorjewitzsch 
war  ehemals  Ambassadeur  in  Frankreich  und  England,  Kammer- 
herr, Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Senateur.  Graf  Peter  Tschernit- 
schew war  bevollmächtigter  Minister  am  Hofe  Friedrichs  des  Großen 
und  bei  Ludwig  XV.  Von  Zachar  ist  schon  in  diesen  Blättern 
gesprochen.  Iwan  war  Vizepräsident  des  Admiralitätskollegiums 
(Präsident  war  der  Großfürst  Paul),  Kammerherr,  wirklicher  Ge- 
heimer Rat,  Senator  und  Mitglied  des  hohen  Conseils.  Alle  drei 
waren  Ritter  der  vornehmsten  russischen  Orden.  Iwan  Tschernit- 
schew starb  1797. 

2)  Dies  sollte  der  Grundsatz  aller  echt-großen  Souveräne  sein. 
So  dachte  Friedrich  II.,  der  aber  bei  geringerer  Macht  seinen  Willen 
immer  den  Umständen  unterwerfen  mußte;  und  so  befolgt  diesen 
Grundsatz  mit  unumschränkter  Gewalt  der  Held  unseres  Jahr- 
hunderts, Napoleon,  der  nicht  allein  dem  Namen  nach,  sondern  in 
jeder  Rücksicht  der  Erste  zu  heißen  verdient.    (Anm.  d.  Verf.) 


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Graf  Iwan  Tschernitschew 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  317 

nicht  davon  abzubringen.  Friedrich  IL  wußte  das, 
schickte  seinen  Bruder  Heinrich^)  nach  Rußland,  um 
daselbst  die  Gesinnungen  zu  prüfen,  und  willigte  end- 
hch  ein,  um  nicht  von  der  Teilung  ausgeschlossen  zu 
werden,  die  sonst  ohne  ihn  würde  geschehen  sein. 

Stanislaw  August  war  der  letzte,  mit  dem  man  über 
das  Vorhaben  der  Teilung  sprach.  Er  wütete,  und  ver- 
schwendete Bitten  und  Drohungen.  Man  achtete  nicht 
auf  die  erstem  und  lachte  über  die  letztern.  Es  wurde 
ein  Reichstag  zusammen  berufen.  Eine  Deputation 
ging  zum  König:  er  mußte  die  härtesten  Vorwürfe 
hören ;  doch  konnte  er  nichts  ändern.  Nun  war  schon 
alles  verdorben,  er  war  von  jeher  zu  schwach  an  Geist 
gewesen. 

Die  russischen  Offiziere  Igelström^)  und  Drewitz^) 
zeichneten  sich  durch  Grausamkeiten  aus. 

Der  polnische  Boden  wurde  wieder  mit  polnischem 
Blute  getränkt,  und  Männer  vom  höchsten  Range 
mußten  in  die  Verbannung  nach  Sibirien  gehen. 

Die  Teilung  von  Polen  im  Jahre  1772  kostete  diesem 
Reiche  fünf  Millionen  Einwohner,  und  zum  Teil  die 
schönsten  Provinzen.  Der  König  und  der  Reichstag 
mußten  sie  ratifizieren.  Stanislaw  August  jammerte 
und  klagte  immer  über  sein  Unglück  und  die  Lage 
seines  Vaterlandes,  aber  es  ist  noch  eine  Frage,  ob  er 
nicht  mehr  würde  ausgerichtet  haben,  wenn  er  mit 

^)  Prinz  Heinrich  (Friedrich  Ludwig)  von  Preußen  (1726 — 1802). 
Über  seine  Reise  nach  Rußland  (1770 — 1771)  und  seinen  Einfluß 
auf  die  Teilung  Polens  siehe  Brückner  S.  29. 

^)  Igelström  schloß  mit  Armfeldt  den  Frieden  zu  Werela  (Werelä 
in  Finnland;  der  Frieden  zwischen  Gustav  III.  von  Schweden  und 
Katharina  II.  wurde  hier  am  14.  August  1790  geschlossen),  und 
machte  sich  dadurch  einen  besseren  Namen  als  durch  seine  Grau- 
samkeiten in  Polen.  Er  ist,  soviel  wir  wissen,  im  Anfange  dieses 
Jahrhunderts  gestorben.  Damals  war  er  General  en  Chef  und  Ritter 
der  vornehmsten  russischen  und  schwedischen  Orden.     H. 

^)  Drewitz  war  ein  treuer  Gehilfe  Igelströms  in  Polen. 


3l8  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

Aufopferung  seiner  politischen  Existenz  sich  diesen 
Gewalttätigkeiten  widersetzt  hätte. 

Es  wurden  nun,  wie  man  nach  jeder  gewalttätigen 
Begebenheit  und  nach  jedem  Raube  getan  hat,  Ga- 
rantien der  übriggebliebenen  Ländereien,  Konstitu- 
tionsentwürfe, Urkunden  und  dergleichen  ausgefertigt. 
Eine  solche  Schrift  des  russischen  Gesandten  enthielt 
eine  Umbildung  der  Staatsverfassung,  ward  aber  ver- 
worfen. 

Die  strafbare  Gefälligkeit  des  Königs  schützte  ihn 
nicht  vor  empfindUchen  Ahndungen,  die  er  wohl,  we- 
nigstens von  Rußland,  nicht  verdient  hatte.  Er  kam 
am  15.  März  des  Jahres  1775,  auf  Vorschlag  der  drei 
Mächte,  unter  völlige  Vormundschaft  eines  Konseil 
permanent,  der,  wie  ganz  Polen,  von  Rußland  abhing. 
Sonderbar  war  es,  daß  der  russische  Gesandte  allein 
diese  Urkunde  unterschrieb.  Als  ein  Beweis  von  Ruß- 
lands zuversichtlichem  Despotismus  kann  wohl  ange- 
führt werden,  daß  der  russische  Hof  auf  die  fehlende 
Ratifikation  Preußens  und  Österreichs  gar  nicht 
achtete. 

Stanislaw  August,  der  sich  nun  so  ganz  unglücklich 
fühlte,  wollte  einen  Versuch  machen,  sich  mit  Ruß- 
land, oder  vielmehr  mit  der  Kaiserin  und  mit  Potem- 
kin,  durch  erneuerte  Beteuerungen  von  Dienstgefällig- 
keit auszusöhnen,  um  auf  diese  Art  einige  Vorteile 
für  sich  zu  verlangen.  Er  bat  um  die  Erlaubnis,  oder 
leitete  es  so  ein,  daß  er  gebeten  wurde,  die  Kaiserin  zu 
sehen,  wenn  sie  auf  dem  Dnjepr  bei  Kaniew  vorbei- 
fahren würde .  Dahin  konnte  er  gehen,  denn  dieser  Ort 
gehörte  damals  noch  zu  Polen,  aber  außer  Landes  sich 
zu  begeben,  verboten  ihm  die  Reichsgesetze.  Der  Könioi 
bekam  zu  dieser  Reise  von  der  Kaiserin  hunderttau- 
send Rubel. 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  319 

Katharina  und  Stanislaw  August  hatten  sich  seit 
dem  Sommer  1758  nach  den  Szenen  in  Oranienbaum 
nicht  wieder  gesehen.  Wie  sehr  hatte  sich  seitdem 
alles  geändert!  Wir  werden  bald  sehen,  daß  Ponia- 
towski  nun  auch  in  der  Nähe  bemerken  konnte,  daß 
Katharinas  Gesinnungen  für  ihn  nicht  mehr  die  näm- 
lichen waren.  Indessen  wurde  er  auf  der  kleinen  russi- 
schen Flotte  in  Dnjepr,  auf  welcher  die  Kaiserin  war, 
mit  der  ausgezeichneten  Ehrfurcht  empfangen,  die 
man  dem  Titularbruder  der  russischen  Monarchin 
schuldig  war.  Indem  er  ihr  die  Hand  küßte,  umarmte 
und  küßte  sie  ihn.  Er  schien  anfänghch  verlegen,  sie 
aber  war  immer  ganz  unbefangen,  doch  amalgamierte 
sich  bald  ihre  beiderseitige  Stimmung  und  ward  gleich- 
mütig und  heiter.  Nachdem  die  ersten  geistreichen 
Floskeln,  auf  die  man  sich  von  beiden  Seiten  gehörig 
vorbereitet  hatte,  hergesagt  waren,  stellte  man  sicli 
gegenseitig  sein  Gefolge  vor.  Die  Unterhaltung  ward 
nun  allgemein  im  Beisein  der  beiden  Höfe,  ungezwun- 
gen und,  wie  gewöhnlich,  unbedeutend,  aber  nicht  un- 
angenehm. Man  ging  auf  ein  andres  Schilf  zur  Tafel 
und  die  Unterredung  wurde  munter,  anziehend  und 
witzig.  Als  man  aufstand,  überreichte  der  König  der 
Kaiserin  ihre  Handschuhe;  sie  ihm  seinen  Hut. 

,,Ah,  Madame,"  sagte  er  ihr,  indem  er  auf  die  pol- 
nische Krone  deuten  wollte,  ,,ah,  Madame,  vous  m'en 
avez  donne  un  plus  beau." 

Sie  antwortete  ihm  nicht  darauf,  vermutlich  des- 
wegen, weil  sie  noch  Absichten  mit  dem  Hute  hatte, 
den  der  König  meinte.  Nach  dem  Kaffee  entfernten 
sich  beide;  sie  in  ihr  Kabinett,  er  um  den  Damen  vom 
russischen  Hofe  Besuche  zu  machen. 

Um  fünf  Uhr  kam  er  zu  der  Kaiserin  zurück.  Er 
wurde  wieder  vom  ganzen  Hofe  empfangen,  aber  von 


320  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

Mamonow  allein  in  den  Gesellschaftssaal  geführt,  wo 
ihn  die  Monarchin  erwartete.  Sie  gingen  beide  im 
Saale  auf  und  ab,  und  nun  fing  man  an,  von  Politik  zu 
sprechen.  Der  König  klagte  über  seine  unglückliche 
Lage  und  gab  nicht  undeutlich  zu  verstehen,  daß  sie 
von  der  Teilung  seines  Landes  herrühre.  Dies  war  desto 
unweiser,  da  ihm  diese  Klagen  über  die  Vergangenheit 
nichts  helfen  und  seiner  Zukunft  schaden  konnten. 
Katharina  entschuldigte  sich,  indem  sie  alle  Schuld 
auf  Österreich  und  Preußen  schob. 

Nun  kam  Stanislaw  August  mit  seinen  verschie- 
denen Gesuchen  der  eigentlichen  Absicht  seiner  Reise 
näher. 

Er  bat  um  die  Bezahlung  seiner  Schulden,  um  die 
Abschaffung  des  immerwährenden  Rats  und  um  die 
Feststellung  der  Erblichkeit  der  polnischen  Krone  in 
seiner  Familie.  Die  Kaiserin,  empfindlich  über  seine 
vorhergegangenen  Klagen,  versprach  ihm  zwar  die  Er- 
füllung des  ersten  Punktes,  tat  es  aber  in  ganz  unbe- 
stimmten Ausdrücken.  Sie  sagte  ihm,  daß  er  erst  einen 
Etat  seiner  Schulden  einreichen  müsse,  alsdann  wolle 
sie  mit  ihrem  Finanzminister  sprechen  und  wenn  dies 
geschehen  sei,  könne  man  über  die  Bezahlung  der 
Schulden  fernere  Verabredungen  treffen.  Eine  be- 
stimmtere und  vorteilhaftere  Erklärung  von  der  Kai- 
serin zu  erlangen,  war  dem  König  nicht  möglich.  In 
betreff  der  andern  beiden  Punkte  verbarg  sich  Katha- 
rina wieder  hinter  die  Höfe  zu  Wien  und  Berlin,  und 
versicherte,  es  stehe  nicht  in  ihrer  Macht,  ohne  deren 
Einwilligung  etwas  in  der  bisherigen  polnischen  Kon- 
stitution zu  verändern,  oder  ihr  etwas  Neues  hinzuzu- 
fügen. Stanislaw  August  ward  mißmutig;  die  Unter- 
haltung wurde  einsilbig.  Endlich  gab  die  Kaiserin 
einen  Wink  an  Mamonow  und  der  ganze  Hof  trat  aus 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  32I 

dem  Vorzimmer  herein.  Einige  mußten  sich  zum  Spiel 
setzen. 

Die  Kaiserin,  der  König  und  die  Gräfin  Branicka^) 
setzten  sich  auch,  spielten  aber  nicht.  Potemkin,  Ma- 
monow,  die  aus  Petersburg  und  Warschau  mitgekom- 
menen fremden  Gesandten  und  einige  der  vornehmsten 
Herren  der  beiden  Höfe  standen.  Man  sprach,  aber  die 
Verstimmung,  die  von  den  beiden  Hauptpersonen  aus- 
ging, wurde  bald  sichtbar  und  teilte  sich  den  andern 
mit.  Die  Unterhaltung  ward  schläfrig.  Man  wurde 
durch  ein  Feuerwerk  und  durch  eine  Erleuchtung  ge- 
weckt. Der  ganze  Berg,  auf  welchem  Kaniew  stand, 
bis  herunter  an  den  Dnjepr,  schien  in  Feuer  zu  stehen. 
Der  Anblick  dieser  Dekoration  vom  Schiffe  der  Kai- 
serin aus  war  über  allen  Ausdruck  prachtvoll.  Gerührt 
über  die  Aufmerksamkeit  des  Königs,  sagte  ihm  diese 
Prinzessin  die  verbindlichsten  Phrasen.  Bald  nachher 
trennten  sie  sich,  um  sich  nie  wieder  zu  sehen.  Wahr- 
scheinlich dachten  beide  bei  sich  selbst,  da  sie  so  lange 
und  in  angenehmem  Verhältnissen,  sich  nicht  gesehen 
hatten,  so  hätte  es  jetzt  auch  unterbleiben  können. 
Doch  machten  sie  vor  den  Augen  des  Hofs  den  Ab- 
schied so  rührend,  als  es  ihnen  möglich  war.  Die  Mon- 
archin begleitete  den  König  bis  auf  das  Ufer  und  also 
bis  auf  das  polnische  Gebiet.  Dann  ging  sie  zurück  und 
begab  sich  zur  Ruhe;  Stanislaw  August  aber  gab  in 
Kaniew  den  beiden  Höfen  und  den  vielen  Fremden,  die 
aus  Neugier  dahin  gekommen  waren,  ein  prächtiges 
Fest.  Am  andern  Morgen  setzten  beide  Souveräne  ihre 
Reise  fort. 

Stanislaw  August  ließ  Joseph  II.,  der  eben  damals 

^)  Die  Gräfin  Branicka  war  die  älteste  und  schönste  von  Potem- 
kins   Nichten.    Sie  war  Staatsdame  der   Kaiserin   und  Dame  des 
Katharinen-Ordens.    Ihr  Charakter  wird  ebensowenig  gerühmt  als 
der  ihres  Gemahls.     H. 
Russische  Günstlinge.  21 


322  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky . 

zu  Katharina  II.  reiste,  vorschlagen,  sich  irgendwo 
unterwegs  zu  sprechen,  aber  der  österreichische  Mon- 
arch wich  der  für  ihn  lästigen  Unterredung  aus. 
Dieser  Umstand  vermehrte  des  Königs  Unmut. 

Er  kam  in  Verzweiflung  nach  Warschau  zurück,  wo 
er  von  seinen  und  Rußlands  Gegnern  die  beißendsten 
Vorwürfe  über  seine  Reise  öffentlich  anhören  mußte. 

Die  Polen  und  ihr  König  waren  in  dumpfen  Schmerz 
versunken.  Ihre  Gefühle  schienen  abgestumpft  zu  sein. 
Es  war  nur  schlafende  Rache,  die  im  Jahre  1788  mit 
krampfhaften  Verzückungen  erwachte. 

Damals  war  Rußland  in  einen  doppelten  Krieg  ver- 
wickelt und  konnte  also  wenig  Aufmerksamkeit  auf 
Polen  wenden.  Dort  schaffte  man  unter  der  täuschen- 
den Ägide  von  Preußen,  die  im  Jahre  1775  aufgedrun- 
gene Konstitution  ab,  entsagte  der  russischen  Garan- 
tie und  verband  sich  mit  dem  preußischen  Hofe.  Ganz 
Polen,  oder  wenigstens  der  bessere  Teil  der  Einwohner, 
arbeiteten  an  einer  neuen  Konstitution :  die  Mächtigern 
mit  weisei  Überlegung,  ohne  Anmaßung ;  die  Geringern 
mit  Hingebung  und  eifrigem  Gehorsam.  Der  König 
selbst,  hingerissen  von  der  edlen  Begeisterung  des 
Reichstags  und  der  Nation,  war  äußerst  tätig,  opferte 
alle  Privatvorteile  auf  und  zeigte  durch  seine  Rat- 
schläge, daß  er  von  einem  Patriotismus  beseelt  sei,  dem 
man  nur  —  Ausdauer  wünschen  mußte. 

Endlich  erschien  am  3.  Mai  1791  die  neue  Konsti- 
tution. Polen  wurde  ein  Erbreich,  in  welchem  man  die 
Thronfolge  dem  jetzigen  König  von  Sachsen  und  Her- 
zog von  Warschau  und  seiner  Tochter  anbot;  allein 
zum  Wohl  seines  Landes,  das  leicht  in  einen  Krieg 
hätte  verwickelt  werden  können,  entschloß  sich  dieser 
weise  Fabius  cunctator  nicht  dazu,  dieses  Anerbieten 
anzunehmen.  Die  neue  Konstitution  enthielt,  wie  man 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  323 

denken  kann,  noch  eine  Menge  Punkte,  unter  denen 
die  Errichtung  einer  großen  Armee  einer  der  wich- 
tigsten war.  Um  den  Mut  seiner  Krieger  anzufeuern, 
stiftete  Stanislaw  August  einen  Militär-Orden,  den  er 
auf  eine  schimpfliche  Weise  im  Jahre  1793,  auf  Befehl 
der  Kaiserin,  selbst  wieder  vertilgen  mußte. 

Der  russische  Hof  zerstörte  die  neue  Konstitution 
sehr  bald,  indem  er  sich  mit  dem  preußischen  darüber 
einverstand.  Man  gewann  selbstgemachte  Patrioten, 
erklärte  alles,  was  geschehen  war,  für  gesetzwidrig  und 
errichtete  eine  Konföderation  zu  Targowicz.^)  Die 
Kaiserin  schrieb  an  den  König,  er  möchte  selbst  der- 
selben beitreten,  wenn  er  wünschte,  daß  sie  sich  länger 
seine  Schwester  nennen  sollte.  Der  schwache  Stanis- 
law August  verstand  die  Drohung,  erklärte  infolge  der- 
selben, daß  man  der  Gewalt  der  russischen  Waffen 
nicht  widerstehen  könne  und  trat  der  Konföderation 
bei.  Alle  bisherigen  Grausamkeiten  in  Polen  waren  nur 
Vorspiele  von  dem  gewesen,  was  jetzt  folgte. 

Endlich  mußte  der  König,  auf  Befehl  der  Kaiserin 
mit  achttausend  Dukaten  Reisegeld  nach  Grodno 
gehen,  wohin  ein  Reichstag  ausgeschrieben  war.  Da 
dieser  sehr  stürmisch  wurde,  so  wagte  es  der  russische 
Ambassadeur  Sievers,  den  König  und  die  Reichsver- 
sammlung arretieren  zu  lassen.  Das  Resultat  dieser 
Gewalttätigkeit  war  die  erzwungene  Einwilligung  des 
Königs  und  der  Stände  in  die  zweite  Teilung  Polens. 
Sie  geschah  am  9.  April  1793.  Diesmal  teilten  nur  Ruß- 
land und  Preußen,  das  in  den  Jahren  1788  und  1790 
seine  Rolle  nur  deswegen  angenommen  zu  haben  schien, 
um  jetzt  der  Teilnahme  an  dem  Raube  desto  gewisser 
zu  sein.  Vom  ganzen  Polen  blieb  jetzt  nur  der  dritte 
und  vielleicht  der  schlechteste  Teil  übrig.  Der  König 

^)  Am  14.  Mai  1791. 


324  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

und  der  Reichstag  sanktionierten  feierlich  diese  Tei- 
lung. 

Es  kam  nun,  wie  gewöhnlich,  wieder  ein  Traktat 
zum  Vorschein,  der  dem  unglückhchen  Reste  Land, 
das  den  Namen  behielt,  jetzt,  da  es  keine  Kräfte  mehr 
hatte,  sich  zu  helfen,  mehr  Freiheiten  erteilte,  als  vor- 
her. Der  Entwurf  davon  war  am  13.  Juli  bekanntge- 
macht worden.  Man  sah  daraus  deutlich,  daß  das  russi- 
sche Ministerium  über  die  Leichtgläubigkeit  und 
Schwäche  einer  unterdrückten  Nation  spottete,  indem 
es  von  ihr  die  Bestätigung  des  Besitzes  der  Provinzen 
verlangte,  die  es  ihr  mit  Gewalt  genommen  hatte  und 
ihr  die  überflüssige  Garantie  der  übriggebliebenen 
Ruinen  ihres  großen  Staates  anbot,  von  welcher  man 
voraussah,  daß  sie  ebensowenig  würde  gehalten  wer- 
den, als  diejenige,  die  auf  die  erste  Teilung  folgte. 

Bei  allen  diesen  Unternehmungen  bleibt  man  unent- 
schieden, ob  man  seinen  Unwillen  mehr  gegen  Stanis- 
law August,  oder  mehr  gegen  die  Höfe  zu  Petersburg 
und  Berlin  wenden  soll. 

Im  Jahre  1794  wollte  Thadeus  Koscziusko^)   die 

1)  Wie  Paul  I.  oft  mit  Undank  belohnt  wurde,  so  geschah  es  auch 
von  Koscziusko.  Der  Kaiser  gab  ihm  die  Freiheit  und  machte  ihm 
ansehnliche  Geschenke.  Er  schien  gerührt  zu  sein  und  bat  um  die 
Erlaubnis,  nach  Amerika  gehen  zu  dürfen.  Paul  gab  sie  ihm,  aber 
Koscziusko  hielt  nicht  Wort.  Doch  da  er  sonst  ein  sehr  braver 
Mann  war,  so  kann  man  ihn  entschuldigen.  Heißer  Patriotismus 
verleitete  ihn,  undankbar  zu  werden.  Krank  und  krüppelhaft,  wie 
er  war,  ging  er  nach  Sachsen  und  Frankreich,  wo  er  die  unzufriedenen 
Polen  um  sich  versammelte  und  noch  eine  Revolution  wagen 
wollte,  die  nicht  zustande  kommen  konnte.  H.  Tadeusz  K.,  geb. 
12.  Februar  1746.  Paul  I.  gab  nach  dem  Tode  Katharinas  im  Jahre 
1796  Kosziuszko  die  Freiheit  wieder,  unter  der  Bedingung,  daß  er 
nach  Amerika  auswandere.  Dies  tat  Kosziuszko  im  Jahre  i797- 
Ein  Jahr  später  kehrte  er  als  Gesandter  des  Kongresses  nach  Frank- 
reich zurück,  hielt  aber  sein  dem  Kaiser  Paul  gegebenes  Wort,  nicht 
gegen  Rußland  zu  kämpfen,  weder  damals  und  noch  später  {1806). 
Er  starb  am  15.  Oktober  1817  in  Vevey  und  wurde  auf  Kosten 
Alexanders  I.  im  Dom  zu  Krakau  beigesetzt. 


75-   Stanislaw  August  Poniatowsky.  325 

Trümmer  der  Freiheit  retten.  Aber  er  hatte  nur  per- 
sönlichen Mut  und  Willen;  ihm  fehlte  Unterstützung. 
Er  und  Madalynski^)  sammelten  einige  Truppen  und 
schlugen  siebentausend  Russen. 

General  Igelström  ließ  in  Warschau  einige  dem 
Interesse  Rußlands  verdächtige  Personen  arretieren. 
Dieser  Umstand  und  das  Benehmen  des  Grafen  Va- 
lerian  Subow  bewirkten  einen  Aufstand,  der  in  War- 
schau ausbrach.  Viele  der  von  Rußland  erkauften  Lan- 
desverräter, wohl  auch  Unschuldige  mitunter,  wurden 
aufgeknüpft. 

Koscziusko  verstärkte  seine  Armee,  so  gut  er  konnte. 

Stanislaw  August,  dessen  Schulden  bezahlt  werden 
sollten,  vermehrte  den  Unmut  seiner  Landsleute,  in- 
dem er  immer  zum  Vorteil  des  russischen  Hofs  unter- 
handelte. Rußland  und  Preußen  schickten  nun  ihre 
besten  Truppen  gegen  die  Insurgenten,  wie  man  die 
patriotischen  Polen  nannte. 

Koscziusko  fiel  und  wurde  gefangen  nach  Peters- 
burg gebracht. 

Suwarow  tat  sich  nun  durch  die  Einnah meVonPraga, 
eines  abgesonderten  Teils  der  Stadt  Warschau,  her- 
vor. Die  Blutbäder,  die  er  dort  veranstaltete,  über- 
steigen alle  Vorstellung. 

Aberglaube  und  Unglaube  grenzen  in  ihren  rasenden 
Ausbrüchen  so  oft  aufeinander.  —  Suwarow,  2)  dieser 
abergläubige  Unchrist,  konnte  keine  Mücke  töten  sehen 
und  ließ  ohne  Bedenken  Tausende  von  Menschen  über 

^)  Madalynski  entfloh  bei  dem  Falle  seines  Vaterlandes  wenn 
wir  nicht  irren  nach  Frankreich.     H. 

^)  Wer  kennt  den  unmenschlichen  Suwarow  nicht,  der  im  Anfange 
dieses  Jahrhunderts  oder  am  Ende  des  vorigen  als  Feldmarschall 
starb.  Ihm  zu  Ehren  ist  von  Paul  I.  auf  dem  Marsfelse  ein  Stand- 
bild errichtet.  H.  Fürst  Italijskij  Alexander  Suwörow-Rym- 
nikskij  (geb.  1729)  erstürmte  1768  Krakau.  Er  starb  am  18.  Mai  1800. 
Sein  Standbild  wurde  von  Kaiser  Alexander  I.  errichtet. 


326  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

die  Klinge  springen.  Die  Zahl  der  wehrlosen  Einwohner 
in  Praga,  die  er  ruhig  ermorden  ließ,  gibt  man  in  einiger 
Unbestimmtheit  auf  achtzehntausend  an. 

Das  Ende  von  dem  allen  war  die  völhge  Vernichtung 
der  bisherigen  politischen  Existenz  Polens. 

Die  Höfe  zu  Petersburg  Wien  und  Berlin  teilten  den 
Rest  des  unglücklichen  Landes. 

Stanislaw  August  hörte  nun  auf  zu  regieren,  was  er 
auch  eigentlich  nur  immer  bloß  dem  Namen  nach  getan 
hatte.  Am  25.  November  1795  entsagte  er  dem  pol- 
nischen Throne^), 

Er  mußte  in  Grodno  bleiben,  wo  er  so  gut  als  unter 
den  Befehlen  des  russischen  Generalgouverneurs 
Fürsten  Repnin  stand,  und  also  bloß  ein  Titulatur- 
König  in  partibus  infidelium  heißen  konnte.  —  Seine 
Schulden  beliefen  sich  auf  drei  Millionen  Dukaten  und 
man  machte  Anstalt,  sie  zu  bezahlen.  Zu  seinem  Unter- 
halte gab  man  ihm  eine  Pension  von  zweimal  hundert- 
tausend Dukaten,  deren  Auszahlung  in  fünf  Teile  ab- 
gesondert war,  von  denen  Rußland  drei,  Österreich  und 
Preußen  je  einen  bezahlten.  In  dieser  Lage  blieb  der 
Exkönig  bis  zum  Tode  Katharinas  IL 

Dann  rief  ihn  Paul  I.  nach  Petersburg^)  und  aus 
Prahlsucht,  die  allerdings  ein  erheblicher  Fehler  dieses 
Monarchen  war,  ließ  er  den  unglücklichen  Stanislaw 
August  oft  den  Glanz  des  russischen  Hofs  vermehren 

'^)  Die  Insignien  der  königlichen  Würde  von  Polen  wiurden,  soviel 
uns  bekannt  ist,  ehemals  in  Krakau  verwahrt.  Wo  sind  sie  aber  bei 
Vernichtung  des  Königtums  hingekommen?  Nach  Berlin  und 
Petersburg  wohl  nicht,  wenigstens  ist  nie  davon  etwas  bekannt 
geworden.  Sollten  sie  in  Wien  sein?  In  eine  Polterkammer  kann 
man  sie  doch  nicht  geworfen  haben.  Wäre  es  nicht  jetzt  der  Zeit- 
punkt, sie  herbeibringen  zu  lassen?  In  Dresden  verwahrt  man  das 
Zepter  und  die  Kronen,  die  Friedrich  August  II.  und  Maria  Josepha 
trugen.    Sie  gehören  aber  dem  Hause  Sachsen.     H. 

^)  Als  König  wohnte  Poniatowski  im  Marmorpalast.  Hier  starb 
er  auch.     H. 


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75-  Stanislaw  August  Poniatowsky .  327 

helfen,  zeigte  ihm  aber  doch,  wie  er  eigentlich  immer 
tat,  viel  Gutmütigkeit  und  Freundschaft.  Mehr  zu  tun, 
oder  ihm  seinen  großen  Verlust  ganz  oder  zum  Teil 
wieder  zu  ersetzen,  dazu  hatte  der  Kaiser  nicht  Macht 
genug,  und  ihm  das  wieder  zu  geben,  was  Rußland  von 
Polen  abgerissen  hatte,  erlaubte  ihm  die  Staatsklug- 
heit nicht. 

Stanislaw  August  führte  hier  in  gewisser  Art  ein 
ziemlich  glückliches  Leben.  Paul  ließ  ihm  alle  seinem 
hohen  Range  gebührende  Ehrfurcht  bezeugen.  Der 
König  ging  oft  nach  Hofe  und  der  Kaiser,  die  Kaiserin 
und  die  kaiserliche  Famihe  gingen  oft  zu  ihm.  Außer- 
dem zog  Stanislaw  August  die  Großen  des  Reichs  und 
seine  Lieblingsgesellschaft,  die  Gelehrten,  an  seine 
Tafel.  Er  führte  dieses  Leben  nicht  lange.  Spasmatische 
Zufälle,  die  er  von  jeher  gehabt  hatte,  erschlafften  seine 
Nerven  und  erschöpften  seine  Lebenskräfte  ganz.  Er 
starb  schon  am  12.  Februar  1798  imd  wurde  in  der  ka- 
tholischen Kirche  begraben,  wo  Paul  I.  seinem  Freunde 
eine  merkwürdige  Grabschrift  setzen  ließ. 

Verheiratet  war  Stanislaw  August  nie.  So  viel  wir 
wissen,  hatte  man  nur  zweimal  das  Projekt,  ihn  zu  ver- 
mählen. Erstlich :  mit  der  Kaiserin  Katharina  IL  von 
Rußland;  und  \virldich  war  schon  einmal  im  Konseil 
dieser  Monarchin,  wir  glauben  im  Jahre  1766,  die  Rede 
so  sehr  davon,  daß  Gregor  Orlow  sich  schon  die  fürch- 
terlichsten Drohungen  gegen  den  König  erlaubte. 
Zweitens:  mit  der  Prinzessin  Kunigunde  von  Sachsen 
und  Polen.  Dieser  Vorschlag  soll  jedoch  nie  zur  Aus- 
führung gekommen  sein. 

Stanislaw  August  Poniatowski  war  nach  dem 
Geständnis  aller,  die  ihm  in  den  blühenden  Tagen  seiner 
reifern  Jugend  nahe  gewesen  waren,  einer  der  schön- 
sten Männer  seiner  Zeit.  Er  war  sehr  gut  gewachsen 


328  75-  Stanislaw  August  Poniatowsky. 

und  groß,  hatte  aber  nicht  die  kolossale  Gestalt  Po- 
temkins  und  der  Orlows.  Sein  Ansehen  war  imponie- 
rend, sein  Blick  der  Ausdruck  der  höchsten  Annehm- 
lichkeit. Er  besaß  die  liebenswürdigsten  und  interessan- 
testen Eigenschaften  eines  Privatmannes,  aber  keine, 
die  ihn  des  Thrones  würdig  machte.  Polnisch,  Latei- 
nisch, Deutsch,  Französisch,  Englisch,  Italienisch  und 
Russisch  sprach  und  schrieb  er  mit  einer  Leichtig- 
keit, Vollkommenheit  und  Eleganz  ohnegleichen.  Für 
wahre  Geschäfte  hatte  er  nicht  den  eigentlichen  Geist. 
Seine  Beredsamkeit,  das  große  Talent  seiner  meisten 
Landsleute,  war  bloß  eine  Phraseologie,  durch  welche 
kein  Mann,  der  ihren  Wert  zu  bestimmen  wußte,  ge- 
täuscht wurde.  In  seinem  Charakter  scheint  er  sich 
selbst  mißverstanden  zu  haben  Schwäche  hielt  er  für 
Sanftmütigkeit;  Verschwendung  für  Großmut;  Stolz 
für  Ehrgeiz;  die  Gabe,  den  großen  Haufen  durch  seine 
glänzenden  Eigenschaften  zu  blenden,  für  Geschick- 
lichkeit, Geschäftsmänner  zu  überzeugen. 

Alle  diese  vereinigten  Mißverständnisse  machten, 
daß  er  sehr  für  sich  eingenommen  war;  ein  Umstand, 
wodurch  seine  Fehler  noch  vergrößert  wurden. 

Aber  unter  diesen  allen  war  seine  Schwäche  der 
größte.  Sie,  die  unstreitig  der  tadelnswürdigste  Fehler 
eines  Regenten  ist,  wurde  durch  seine  natürliche,  wirk- 
lich ausgezeichnete  Herzensgüte  nicht  gemildert,  und 
machte  oft  unschuldigerweise  seinen  Charakter  ver- 
dächtig, wenn  er  es  auch  eigentlich  nicht  war. 

Stanislaw  August  zeigte  sehr  oft  gute  Gesinnungen 
für  sein  Vaterland,  aber  eben  seine  Schwäche  machten 
seine  besten  Anschläge  immer  wanken  und  fallen,  und 
gab  seinen  Handlungen  zuweilen  den  schwärzesten 
Anstrich. 

Viele  seiner  Feinde  haben  versichern  wollen,  er  habe 


75-  Stanislaw  August  Poniatowsky.  329 

in  manchen  kritischen  Vorfällen  seines  Lebens  wenig 
persönlichen  Mut  gezeigt,  allein,  um  diesen  schänd- 
lichen Vorwurf  zu  behaupten,  fehlt  es  wohl  ganz  an 
Beweisen. 

Niemals  sprach  man  wohl  mit  einem  Monarchen  in 
so  freimütigen,  oder  vielmehr  ungebührlichen  Aus- 
drücken, als  mit  Stanislaw  August. 

Es  ist  bekannt  und  mehrmals  gesagt,  daß  einst  eine 
Dame,  als  die  Rede  von  des  Königs  angenehmen,  ge- 
sellschaftlichen Talenten  war,  zu  ihm  sagte:  ,,I1  faut 
avouer,  Sire,  que  Vous  etes  le  particulier  le  plus  aima- 
ble,  mais  aussi"  und  hierbei  zuckte  sie  mitleidig  die 
Achseln,  „le  Roi  le  plus  insupportable,  qu'on  puisse 
trouver." 

Während  der  Streitigkeiten  über  die  Dissidenten  im 
Jahre  1766  sagte  der  Bischof  von  Kiew  bei  öffentHcher 
Versammlung  des  Hofs  zu  ihm:  ,,Autrefois,  je  priais 
Dieu  pour  Votre  prosp6rite;  aujourdhui  je  le  prie, 
pour  que  le  diable  Vous  empörte." 

Was  würde  der  Mann  gesagt  oder  getan  haben,  wenn 
er  im  Jahre  1795  gelebt  hätte. 

Bei  Gelegenheit  des  Beitritts  des  Königs  zur  Targo- 
wiczer  Konföderation  schrieb  ihm  Fehx  Potocki  unter 
andern :  ,,L'accession  de  Votre  Majeste  n'est  que  forcee, 
et  ce  n'est  que  la  bonne  volonte  de  Tlmperatrice,  qui 
vous  a  empeche,  Sire,  de  ne  pas  faire,  ce  que  Votre 
mauvaise  volonte  Vous  dicte." 

Höchst  schimpflich  war  es,  daß  Stanislaw  August 
diesen  Brief  der  Kaiserin  schickte  und  seinen  eigenen 
Untertan  bei  ihr  verklagte. 

Nicht  lange  nachher,  nach  der  zweiten  Teilung  pol- 
nischer Provinzen,  erschien  eine  Schmähschrift,  worin 
alle  diejenigen  Polen  aufgeführt  wurden,  die  zum  Un- 
glück ihres  Vaterlandes  beigetragen  hatten.  Es  war 


330  7Ö-  Iwan  Yelagtn. 

ein  vorgeblicher  Bücher-Catalogus,  der  an  allen  Ecken 
der  Straßen,  am  Schlosse  und  sogar  an  den  könighchen 
Zimmern  angeschlagen  war.  Er  enthielt  achtund- 
zwanzig Bücher,  und  der  eigenthche  Titel  des  Verzeich- 
nisses war:  ,,Catalogue  des  livres,  qu'on  trouve  chez 
Groll,  libraire  de  Sa  Majeste  Polonoise."  Diejenigen 
zwei  Bücher,  die  vom  König  handelten,  waren:  ,,Deux 
traites  sur  les  devoirs  des  Rois,  compares  avec  les 
actions  des  trois  Boleslas,  des  Jagelions,  d'Etienne 
Bathory  et  de  Jean  Sobieski;  ouvrage  immortel  de 
Stanislas  Auguste  Poniatowski,  Roi  des  Pologne."  Daß 
man  die  Zahl  Zwei  gewählt  hatte,  war  eine  Anspielung 
auf  die  Traktaten  der  zwei  Teilungen  Polens,  die  Sta- 
nislaw August  geschlossen  und  unterzeichnet  hatte. 
Das  zweite  Buch  hieß :  ,,Moyen  aise  de  payer  ses  dettes 
par  le  meme";  eine  Satire,  die  plumper  war  als  die 
erste. 

Es  ist  höchst  traurig,  wenn  ein  Fürst  das  Unglück 
hat,  so  bittre  Vorwürfe  anhören  zu  müssen,  denen  er 
keine  andre  Rechtfertigung,  als  Schwäche  seines  Cha- 
rakters, die  so  oft  die  Quelle  der  ungeheuersten  Un- 
glücksfälle gewesen  ist,  entgegenstellen  kann.  Der 
wahre  Menschenfreund  wird  indes  immer  am  Grab 
eines  solchen  Regenten  dessen  Andenken  innigst  be- 
trauern. 


76.  Iwan  Yelagin. 

Iwan  Yelagin,  ein  Russe  von  ganz  gemeiner  Ab- 
kunft, war  Schreiber  in  der  Expedition  der  von  der 
Kaiserin  Elisabeth  errichteten  Leibkompagnie ;  eine 
Stelle,  die  ihm  keinen  Rang  gab. 

Da  er  in  seinem  Amte  wenig  Geschäfte  hatte,  so 


76.  Iwan  Yelagtn.  33 1 

wendete  er  seine  Zeit  dazu  an,  seine  allerdings  großen 
Fähigkeiten  durch  Wissenschaften  auszubilden.  Er 
lernte  vorzüglich  Französisch  und  Deutsch  und  erwarb 
sich  viel  nützliche  und  angenehme  Kenntnisse  in  der 
neuesten  Literatur,  mit  derem  Geiste  er  in  allen  Folge- 
jahren immer  fortging. 

Durch  Zufall  bekam  er  Gelegenheit,  mit  Hofleuten 
in  den  niedern  Klassen  bekannt  zu  werden  und  schon 
dadurch  einige  für  ihn  nicht  unbedeutende  Vorteile  zu 
erlangen. 

Endlich  heiratete  er  eine  Kammer] ungf er  der  Kai- 
serin Elisabeth  und  machte  dadurch  sein  Glück.  Yela- 
gin  kam  nun  zu  Ehrenstellen  und  durch  Recht  und, 
wie  man  sagt,  auch  durch  Unrecht,  erwarb  er  sich 
Reichtümer  und  sogar  ansehnliche  Besitzungen. 

In  den  letzten  Jahren  der  Elisabeth  wurde  Yelagin 
auf  seine  Güter  bei  Kasan  verwiesen,  weil  er  bei  der 
geheimen  Verbindung  der  Großfürstin  Katharina  mit 
dem  Grafen  Poniatowski  Vermittler  gewesen  war,  und 
als  solcher  die  geheimen  Zusammenkünfte  beider  Per- 
sonen in  seinem  Hause  gestattet  hatte. 

Peter  HI.  kannte  die  Ursache  von  Yelagins  Bestra- 
fung und  ließ  ihn  deswegen  nicht  wieder  zurückkom- 
men. 

Aber  Katharina  IL  erinnerte  sich  der  Dienste,  die  er 
ihr  geleistet  hatte,  und  rief  ihn  aus  der  Verbannung  zu- 
rück an  den  Hof.  Er  wurde  sogleich  Geheimer  Sekretär 
der  Kaiserin,  ihr  täglicher  Gesellschafter,  wenn  sie  eine 
wissenschaftliche  Unterhaltung  haben  wollte,  und  ihr 
Gehilfe  in  literarischen  Arbeiten. 

Unter  der  Regierung  dieser  Monarchin  erhielt  er 
Reichtümer  und  ansehnliche  Ehrenstellen.  Unter  an- 
dern ward  er  Kaiserlicher  Oberhofmeister. 

Im  Jahre  1786  war  man  am  Hofe,  wir  wissen  nicht 


332  77-  Dietrich  Osterwald. 

aus  welcher  Ursache,  unzufrieden  mit  Yelagin  und 
legte  es  ihm  so  nahe,  daß  er  seinen  Abschied  verlangen 
mußte.  Man  gab  die  Oberhofmeisterstelle  an  Bes- 
borodko,  der  dadurch,  ohne  andern  vorzuschreiten,  den 
Rang  eines  Wirklichen  Geheimen  Rats  erhalten  konnte. 

Yelagin  starb  im  Anfange  der  neunziger  Jahre. 

Er  wurde  Oberhofmeister  des  Kaiserhchen  Hof- 
staates, Senator  und  Ritter  des  weißen  Adler-  und 
Alexander-Newsky-Ordens. 


77.  Dietrich  Osterwald. 

Die  Wahl  der  Erzieher  der  Thronfolger  soUte  eine 
Hauptsorge  der  Regenten  sein.  In  den  Händen  eines 
solchen  Mannes  liegt  zum  Teil  das  Wohl  der  Nachwelt 
—  oft  aber  wird  diese  Pflicht  der  Fürsten  aus  klein- 
licher Politik  vernachlässigt,  Sie  glauben  durch  eine 
weniger  sorgfältige  Erziehung  ihrer  Thronfolger  zu  be- 
wirken, daß  ihre  Regierung,  verghchen  mit  der  künf- 
tigen, auffallender  hervorsteche. 

Dietrich  Osterwald,  von  bürgerhchen  Eltern  ohne 
Ansehen  in  Petersburg  geboren,  erhielt  im  Kadetten- 
korps eine  gute  aber  ganz  gewöhnliche  Erziehung. 
Nachdem  diese  vollendet  war,  wurde  er  erst  Assessor 
im  Kommerzkollegium  und  dann  Offizier  im  Kadetten- 
korps. In  der  Folge  wurde  er  zum  Lehrer  des  Groß- 
fürsten Paul  erwählt.  Er  unterrichtete  diesen  Prinzen 
in  der  Geschichte,  in  der  Erdbeschreibung,  in  der  russi- 
schen und  in  der  deutschen  Sprache.  Nach  vollendeter 
Erziehung  des  Thronfolgers  kam  Osterwald  in  den 
Senat. 

Er  starb  im  Jahre  1794. 


7^-  -^tt'««  Betzkoy.  333 

Damals  war  Osterwald  Wirklicher  Geheimer  Rat, 
Senator  und  Ritter  des  Alexander-Newsky-  und  Annen- 
Ordens. 

Osterwald  war  ein  sehr  guter  und  rechtschaffener 
Mann,  hatte  aber  wenigstens  nur  einen  ganz  gewöhn- 
lichen Verstand  und  bei  weitem  nicht  die  Kenntnisse 
und  den  Charakter,  den  der  Erzieher  eines  Throneiben 
von  Rußland  haben  muß. 

Osterwaids  Gemahlin  war  eine  geborne  von  Saß, 
Hoffräulein  der  Kaiserin.  Sie  war  sehr  schön  gewesen 
und  hatte  viel  häusliche  Verdienste.  Aus  dieser  Ehe 
sind  keine  Kinder  gekommen. 


78.  Iwan  Betzkoy. 

Iwan  Betzkoy,  ein  Bastard  des  Generalfeldmar- 
schalls Knes  Iwan  Jurgewitzsch  Trubetzkoy,^)  wurde 
von  einer  Schwedin  im  Jahre  1702  in  Stockholm,  wo 
sich  sein  Vater  als  Gefangener  aufhielt,  geboren.  Der 
FeldmarschaU,  der  diesem  unehelichen  Sohne  seinen 
Familiennamen  mit  Hinweglassung^)  der  ersten  Silbe 

••)  Knes  Iwan  Jurgewitzsch  Trubetzkoy,  ein  verdienstvoller 
General,  dem  Peter  I.  von  jeher  das  größte  Vertrauen  gezeigt  hatte. 
Als  Kapitän  der  Garde  hatte  er  sogar  die  Wache  bei  der  in  Arrest 
gesetzten  Halbschwester  des  Monarchen,  der  Prinzessin  Sophia 
Alexjewna  (s.  Crusenstolpe  I,  S.  15).  Er  erhielt  sich  in  allen  folgen- 
den Regierungen  in  mittelmäßigem  Kredit  und  starb  im  Jahre  1751 
als  Feldmarschall,  aber  entfernt  vom  Hofe,  in  seinem  82.  Lebens- 
jahre.    H. 

^)  Es  gibt  in  Rußland  viele  Personen,  deren  Familiennamen 
Verkürzungen,  Verdrehungen  oder  Umwendungen  wirklicher 
Familiennamen  sind:  als  Lizin  von  Golizin,  Vieting  von  Vietinghof, 
Ronzow  von  Woronzow,  Lot  von  Toll,  Nekas  von  Sacken.  Andere 
geben  ihren  Bastarden  Namen  von  ihren  eigenen  Beinamen  oder 
von  ihren  Gütern,  als:  Tschesmenskoy  von  Orlow  Tschesmenskoy, 
Muromskoy  von  Murom,  einem  Gute  der  Grafen  Tschernitschew. 


334  7^-  ■?^«'«w  Betzkoy. 

Tru  gab,  ließ  denselben  sehr  gut  erziehen,  in  Künsten 
und  Wissenschaften,  besonders  aber  in  Sprachen  unter- 
richten und  auf  Reisen  gehen. 

Er  wurde  anfänglich  Soldat,  aber  auch  sehr  bald  in 
Zivilgeschäften  angestellt. 

Bei  der  Inquisition  der  Staatsgefangenen  im  Jahre 
1742  führte  Betzkoy  das  Protokoll.  Nach  und  nach 
erhielt  er  Ehrenstellen  bei  Hofe,  und  in  Militär- 
diensten stieg  er  bis  zum  Posten  eines  Generalleut- 
nants. 

Er  verließ  diese  Laufbahn,  um  sich  bloß  den  Zivil- 
geschäften des  Staats  zu  widmen. 

Rußland  verdankt  ihm  viel  gute  und  prächtige 
öffentliche  Anstalten;  doch  behaupten  Männer  von 
Einsichten,  daß  er  in  der  ursprünglichen  Verfassung 
derselben  große  Fehler  begangen  habe.  Von  ihm  rühren 
hauptsächlich  die  Einrichtungen  des  Fräuleinstiftes  in 
Petersburg,  des  dasigen  Findelhauses,  der  dortigen 
Leihbank,  des  Findelhauses  in  Moskau  und  des  Heb- 
ammeninstituts daselbst  her.  Indessen  ist  nicht  zu 
leugnen,  daß  vor  ihm,  mit  ihm  und  nach  ihm  die  Ideen 
andrer  viel  zu  diesen  vortrefflichen  Anstalten  beige- 
tragen haben.  Alle  diese  Institute,  die  durch  ihren 
Innern  Wert  so  nützlich  sind,  tragen  durch  ihre  pracht- 
vollen Gebäude  zur  Verschönerung  der  beiden  Haupt- 
städte des  Reichs  viel  bei. 

Diese  war  ihm  überhaupt,  wenigstens  in  Petersburg, 
größtenteils  übertragen.  Unter  seiner  Leitung  entstan- 
den unter  andern  die  kostbaren  Einfassungen  der  Newa 
und  die  der  Fontanka  und  des  Katharinenkanals  mit 
ihren  Brücken  von  Granit ;  desgleichen  auch  die  Errich- 
tung des  berühmten  Denkmals  Peters  I. 

Der  Umfang  der  Geschäfte,  die  Betzkoy  hatte,  war 
von  einer  außerordentlichen  Weitläufigkeit  und  man 


'j8.  Iwan  Betzkoy.  335 

kann  wirklich  sagen,  daß  die  Fähigkeiten  und  Kräfte 
eines  Mannes,  wenn  er  nicht  talentvolle  Gehilfen^)  hat, 
zur  genauen  Besorgung  derselben  nicht  hinreichend 
sind. 

Ehemals  war  Betzkoy  Direktor  des  Landkadetten- 
korps, und  was  sehr  sonderbar  dazu  paßt,  des  Fräulein- 
stifts in  Petersburg  gewesen;  desgleichen  auch  Direk- 
tor des  dortigen  Findelhauses  und  der  allgemeinen 
Leihbank  daselbst. 

Man  nahm  ihm  diese  Geschäfte  ab,  weil  er  zu  alt  und 
schwach  wurde,  um  sie  länger  besorgen  zu  können. 
Aber  auch  die  Beschäftigungen,  die  er  noch  behielt, 
waren  zu  beschwerlich  für  seine  physischen  Kräfte,  die 
sich  durch  die  äußerste  Hinfälligkeit  ganz  ihrer  Auf- 
lösung näherten. 

Er  blieb  noch  erster  Chef  des  Baukontors  und  erster 
der  kaiserlichen  Gärten,  2)  Präsident  der  Akademie  der 
Künste  und  erster  Kurator  des  Findelhauses  in  Mos- 
kau. Dem  Range  nach  war  er  Wirklicher  Geheimer  Rat, 
Wirklicher  Kammerherr,  Ritter  des  Andreas-  und 
Alexander-Newsky-Ordens,  Kommandeur  der  ersten 
Klasse  des  Wladimir- Ordens  und  Ritter  des  Annen- 
Ordens. 

Betzkoy  starb  endlich  in  Petersburg  im  Jahre  1795. 

Personen,  die  ihn  in  den  schönen  Tagen  seines  Herb- 
stes gekannt  hatten  und  ihn  beurteilen  konnten,  ver- 

^)  Er  hatte  unter  anderm  beim  Bauwesen  einen  sehr  tätigen 
Gehilfen  an  dem  Knes  Putjatine,  von  welchem  schon  in  diesem 
Buche  die  Rede  gewesen  ist.     H. 

^)  Betzkoy  realisierte  die  hängenden  Gärten  von  Babylon,  die 
vielleicht  nur  ein  Märchen  oder  doch  nichts  weiter  als  Gärten  auf 
Hügeln  angelegt  waren.  Allein  die  schwebenden  Gärten  in  Peters- 
burg stehen  im  zweiten  Stockwerk  und  sind  durch  ihre  hohen  und 
dickbelaubten  Bäume  sehr  schattenreich.  Betzkoy  legte  auch  den 
Wintergarten  in  der  Eremitage  an,  der  aber  eigentlich  nur  ein 
Gewächshaus  genannt  werden  sollte.     H. 


336  iS.  Iwan  Betzhoy. 

sicherten,  daß  er  ein  Kopf  von  mittelmäßigem  Ver- 
stand und  nicht  ganz  richtiger  Beurteilungskraft  war, 
dem  man  aber  große  und  ausgebreitete  Kenntnisse 
mancher  Art  nicht  absprechen  konnte. 

Er  hatte  erhabene  und  für  die  Menschheit  segens- 
volle Ideen,  die  er  besonders  durch  die  alles  über- 
treffende Großmut  der  Kaiserin  Katharina  II.  leicht 
ausführen  konnte,  wie  wir  aus  der  Gründung  und  Ver- 
besserung so  mancher  vortrefflicher  Anstalten  gesehen 
haben.  Allein  es  ist  auch  wahr,  daß  zuweilen  dabei 
Fehler  vorfielen,  die  so  ungeschickt  sind,  daß  sie  un- 
glaublich scheinen,  und  die,  wenn  sie  auch  nicht  von 
ihm  herrührten,  doch  durch  den  scharfen  Überbhck 
eines  Chefs  gerügt  und  abgeändert  werden  mußten. 
So  wurden  zum  Beispiel  in  dem  Hebammeninstitut  zu 
Moskau  unverheiratete  Frauen  aufgenommen,  die  sich 
zu  Hebammen  bilden  sollten. 

Übrigens  hatte  er  tiefe  ästhetische  Kenntnisse,  und 
eine  große  Vollkommenheit,  sich  in  den  vornehmsten 
lebenden  Sprachen  mündlich  und  schriftlich  auszu- 
drücken. Außer  seiner  Muttersprache  redete  er  Fran- 
zösisch, Deutsch,  Itahenisch  undEngHsch.  Am  hebsten 
und  geläufigsten  sprach  er  Deutsch,  und  dabei  auch 
mit  solcher  Genauigkeit,  als  es  in  Deutschland  selbst 
nur  in  Gesellschaften  vom  besten  Ton  gesprochen 
wird. 

Mit  solchen  Hilfsmitteln  ward  es  ihm  leicht,  in  allen 
Fächern,  die  in  seine  Beschäftigungen  einschlugen,  die 
besten  und  zweckmäßigsten  Schriften  zu  lesen.  Von 
allem,  was  er  gelesen  hatte,  sprach  er  noch  am  Abende 
seines  Lebens  sehr  gut  und  man  konnte  daraus  schlie- 
ßen, daß  er  diese  Annehmlichkeit  in  der  Unterredung 
von  jeher  gehabt  hatte.  Er  sprach  aber  immer  mit  einer 
Art  von  Wohlgefallen,  die  diejenigen,  der  dieses  lie- 


75.  Iwan  Betzkoy.  337 

benswürdige  Talent  der  einseitigen  Unterhaltung  miß- 
braucht, leicht  in  den  Ruf  eines  Schwätzers  bringen 
kann. 

In  Anekdoten  über  die  Beherrscher  und  Höflinge 
Rußlands,  besonders  aber  aus  dem  Zeitalter  Peters  I., 
den  er  sehr  genau  gekannt  hatte,  war  er  unerschöpfhch, 
und  teilte  sie  mit  edler  Freimütigkeit,  aber  immer  mit 
großer  Vorsicht  und  Bescheidenheit  mit. 

Die  Hauptzüge  seines  Charakters  waren  Treue, 
Rechtschaffenheit  und  Menschenliebe.^) 

Die  verschwenderische  Freigebigkeit  Katharinas  IL, 
von  der  man  in  den  unermeßlichen  Gefilden  der  Ge- 
schichte kein  ähnliches  Beispiel  findet,  und  die  Freund- 
schaft der  Orlows,  hatten  Betzkoy  in  den  Stand  ge- 

^)  Zu  Betzkois  Tugenden  scheint  Uneigennützigkeit  nicht  gezählt 
zu  haben,  wie  aus  den  Denkwürdigkeiten  der  Fürstin  Daschkow 
zu  ersehen  ist.  Sie  schreibt:  ,,Am  vierten  Tag  nach  der  Revolution 
verlangte  Herr  Betzkoi  eine  Audienz,  die  ihm  auch  gewährt  wurde. 
Zufällig  war  ich  mit  Ihrer  Majestät  ganz  allein  im  Zimmer,  als  er 
eintrat.  Er  warf  sich  zu  unserem  großen  Erstaunen  auf  die  Knie 
und  beschwor  die  Kaiserin,  doch  zu  gestehen,  wessen  Einfluß  sie 
ihre  Thronbesteigung  verdanke.  —  ,Dem  allmächtigen  Gott,'  er- 
widerte sie,  ,und  der  Wahl  meiner  Untertanen!'  —  ,Dann',  rief  er 
verzweifelt  aus,  ,darf  ich  auch  nicht  länger  dieses  Ehrenzeichen 
tragen,'  und  dabei  wollte  er  sich  das  Band  des  hl.  Alexander-Ordens 
abreißen.  Aber  die  Kaiserin  hielt  ihn  davon  ab  und  fragte,  was  er 
denn  eigentlich  meine.  ,Ich  bin  der  unglücklichste  Mensch  auf  der 
Welt,'  sagte  er,  ,wenn  eure  Majestät  nicht  in  mir  die  einzige  Person 
anerkennt,  der  Sie  Ihre  Krone  verdanken.  Habe  ich  nicht  die 
Garden  dazu  aufgereizt?  Habe  ich  nicht  Geld  unters  Volk  ver- 
teilt?' Wir  glaubten  beide,  er  sei  verrückt  geworden  und  fingen 
schon  an,  uns  über  seinen  Zustand  zu  beunruhigen,  als  die  Kaiserin 
mit  ihrer  gewöhnlichen  Gewandtheit  ein  Mittel  ersann,  um  uns  seiner 
auf  kluge  Weise  zu  entledigen,  zugleich  aber  auch  seine  Eitelkeit 
aufs  höchste  zu  befriedigen."  —  Katharina  übertrug  ihm  die  An- 
fertigung ihrer  Krone  und  stellte  die  Juweliere  des  Reiches  unter 
seine  Oberaufsicht,  worauf  er  sich  beglückt  zurückzog.  Es  ist  wohl 
unnötig,  hinzuzufügen,  wie  herzlich  wir  über  diesen  Vorfall  lachten, 
der  ebenso  charakteristisch  für  die  Gewandtheit  imd  Klugheit  der 
Kaiserin  war  als  für  Betzkois  Einfältigkeit."  (Erinnerungen  der 
Kaiserin  Katharina  II.    Stuttgart  1907,  S.  328.) 

Russische  Günstlinge.  22 


338  t8.  Iwan  Betzkoy. 

setzt,  sehr  große  Reichtümer^)  zu  sammeln.  Er  hinter- 
ließ sie  Personen,  die  sich  um  ihn  verdient  gemacht 
hatten.  Den  größten  Teil  derselben  erhielten  die  he- 
benswürdigen und  durch  ihre  Mutter  vortrefflich  er- 
zogenen Töchter  des  Admirals  Ribas. 

Verheiratet  war  Betzkoy  nie  gewesen;  aber  unter 
andern  Verbindungen  mit  merkwürdigen  Frauen  hatte 
er  auch  eine  mit  der  Fürstin  von  Anhalt-Zerbst,  der 
Mutter  Katharinas  IL,  mit  welcher  er  nach  dem  Tode 
ihres  Gemahls  in  Paris  lebte.  2) 

In  Ansehung  der  Bastarde  ist  man  wohl  in  keinem 
Lande  so  vernünftig  tolerant  als  in  Rußland.  Die  Prin- 
zessin von  Hessen-Homburg  2),  eine  ehehche  Tochter 

^)  Unter  andern  hatte  er  drei  sehr  schöne  Häuser  in  Petersburg, 
am  Ufer  der  Newa.  Zwei  stehen  nebeneinander  und  sind  in  ihrem 
Innern  zusammen  verbunden.  Hier  wohnte  und  starb  Betzkoy. 
Man  sieht  daselbst  den  schönsten  hängenden  Garten,  den  man  sich 
denken  kann.  Das  dritte,  nahe  am  kaiserlichen  Sommergarten, 
zeichnet  sich  durch  seine  originelle  Bauart  aus.  Es  hat  Eigenheiten, 
die  man  nirgends  findet.  Zum  Beispiel  eine  Treppe,  ganz  von  ge- 
gossenem Eisen,  eine  Sache,  die  in  Feuersgefahr  wohl  sehr  gefährlich 
sein  kann.  Ferner  einen  weitläufigen  schwebenden  Garten  von 
sonderbarer  Einteilung.  Da  man  denselben  auf  lauter  Offizen, 
Schuppen  und  Ställen  angelegt  hat,  so  ist,  weil  der  Garten  viele  und 
kleine  symmetrische  Gänge  hat,  der  Hof  ganz  verbaut  und  vielleicht 
unbequem  gemacht  worden.  Im  ganzen  genommen  ist  es  ein  sehr 
schönes  und  für  den  herrschaftlichen  Bewohner  gut  eingeteilte?  Haus. 

2)  Die  Erbin  Betzkois  war  seine  Tochter.  Belbassoff  spricht  von 
dieser  unehelichen  Tochter  Betzkois,  Anastowja  Iwanowa  Ssokolow, 
die  KammerjuDgfer  der  Kaiserin  Katharina  IL,  später  die  Gattin 
O.  M.  Ribas  war. 

^)  Als  diese  Dame  den  Prinzen  von  Hessen- Hombtirg  heiratete, 
war  sie  die  Witwe  des  Molduanischen  Fürsten  Cantemir,  von  dem 
sie  eine  Tochter  hatte,  die  sich  mit  dem  Fürsten  Golizin,  Ambassa- 
deur in  Wien,  vermählte.  —  Die  Prinzessin  von  Hessen- Homburg 
war  eine  vertraute  Freundin  der  Kaiserin  Elisabeth,  die  ihr  am  Tage- 
nach der  Revolution  den  Katharinenorden  umhing,  den  sie  in  jener 
schrecklichen,  bedeutungsvollen  Nacht  getragen  hatte.  Man  sieht 
dieses  Ordensband  noch  in  der  Akademie  der  Künste,  wo  es  in  einer 
Urne  verwahrt  wird,  in  welche  die  Prinzessin  von  Homburg  es  selbst 
gelegt  hat.    Diese  Dame  starb  im  Jahre  1755  und  liegt  in  der  alten 


79-  ^ibas.  339 

des  Feldmarschalls  Iwan  Jurgewitzsch  Trubetzkoy, 
und  folglich  eine  Halbschwester  des  Herrn  von  Betz- 
koy,  lebte  mit  ihm  ganz  öffentlich  in  inniger  schwester- 
licher Vertraulichkeit.  Sie  ließ  ihr  Bild  mit  dem  sei- 
nigen in  Kupfer  stechen  und  die  Porträts  dieses  Ge- 
schwisterpaares werden  in  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften, in  dem  dortigen  Buchladen,  noch  als  Kom- 
pagnons verkauft. 


79.   Ribas. 

Ribas  war  in  Neapel  geboren.  Sein  Vater,  ein 
Schmied,  von  Geburt  ein  Spanier,  lebte  in  Barcelona. 
Da  er  nicht  sehr  glücklich,  dabei  aber  ein  unterneh- 
mender Kopf  war,  so  ging  er  im  Gefolge  des  Königs 
Don  Carlos  nach  Neapel,  wo  er  einen  Platz  in  der 
Kriegskanzlei  erhielt. 

Sein  Sohn,  derjenige,  von  dem  wir  hier  reden,  wurde 
Offizier,  war  aber  bald  genötigt,  Neapel  zu  verlassen. 
Er  ging  nach  Livorno,  wo  damals  Alexis  Orlow  war. 
Dieser  machte  ihn  zum  Schiffsleutnant  und  brauchte 
ihn  so  gut  er  konnte.  Ribas  half  die  unglückliche  Toch- 
ter der  Elisabeth  hintergehen,  und  wurde  mit  der 
Nachricht,  daß  sie  in  Orlows  Händen  sei,  als  Kurier 
nach  Petersburg  geschickt.  Hier  blieb  er,  wurde  Hof- 
meister des  jungen  Bobrinskoy  und  führte  diesen  auf 
Reisen.  Für  diese  Dienste  wurde  er  nach  und  nach 
Oberstleutnant,  Oberster  und  Brigadier.  Als  Oberster 
kommandierte  er  ein  Karabinierregiment. 

Während  der  Belagerung  von  Oczakow  machte  ihn 

Alexander-Newsky-Kirche  begraben.  Man  hat  ihr  daselbst  ein 
prächtiges,  aber  nicht  geschmackvolles  Grabmal  errichtet.  Die 
Tochter  dieser  Prinzessin  von  Hessen- Homburg  aus  ihrer  ersten 
Ehe  mit  dem  Gospodar  Prina  Kantemir  war  eine  Fürstin  Galizin. 

22* 


340  8o.  Andreas  Tschernifschew. 

Potemkin  zum  Konteradmiral.  Bald  hernach  wurde  er 
Vizeadmiral  und  kommandierte  die  Ruderflotte  auf 
der  Donau. 

Ribas  starb  im  Anfang  des  jetzigen  Jahrhunderts. 

Damals  war  er  General-Kriegskommissarius,  Vize- 
admiral, Ritter  des  Alexander-Newsky-  und  Georg- 
Ordens  von  der  zweiten  Klasse  und  des  Matheser- 
ordens, den  er  mit  Soritzsch  zugleich  erhalten  hatte. 

Man  sagt  wenig  von  seinem  Verstand  und  wenig  von 
seinem  Herzen.  Ob  er  alle  Fähigkeiten  hatte,  die  in  den 
so  sehr  verschiedenen  Posten  erforderlich  waren,  die  er 
bekleidete,  ist  noch  sehr  problematisch;  aber  persön- 
liche Tapferkeit  konnte  man  ihm  wohl  nicht  ab- 
sprechen. 

Er  heiratete  eine  sehr  würdige  Frau.  Sie  wurde  Ma- 
demoiselle  Beby  genannt  und  war  Kammerdienerin 
der  Kaiserin.  Man  behauptete,  sie  wäre  eine  Tochtei 
des  Herrn  von  Betzkoy.^)  So  viel  ist  gewiß,  daß  man 
ihren  Ursprung  nicht  kannte.  Sie  war  eine  der  klüg- 
sten, unterrichteten  und  vortrefflichsten  Frauen  an- 
ganzen  Hofe. 

Aus  dieser  Ehe  kamen  zwei  liebenswürdige  Töchter 
die  durch  ihre  Grundsätze  und  Erziehung  das  Glück 
ihrer  Männer  machen  können. 


80.  Andreas  Tschernitschew. 

Andreas  Tschernitschew,  der  Sohn  eines  Bauern  von 
einem  Dorfe  des  Grafen  Tschernitschew,  nahm,  weil 
er  keinen  Familiennamen  hatte,  den  Namen  seines 
Herrn  an. 

^)  Siehe  Seite  338  Anmerkung  2. 


Graf  Alexis  Orloff 
Kupfer  von  M.  Haar 


8i.  Kischensky.  341 

Er  wurde  als  Rekrut  nach  Petersburg  geliefert, 
aber  der  Vorteil  einer  sehr  schönen  Gestalt  machte, 
daß  er,  anstatt  Soldat  zu  werden,  eine  Bedientenstelle 
bei  Hofe  erhielt.  Er  gefiel  der  Kaiserin  Katharina  IL, 
die  ihn  zum  Kammerbedienten  machte.  Der  damalige 
Günstling  Orlow  fand  nötig,  ihn  zu  entfernen. 

Tschernitschew  erhielt  eine  Hauptmannsstelle  bei 
der  Armee.  In  der  Folge  ließ  ihn  die  Kaiserin  wieder 
nach  Petersburg  kommen  und  immer  höher  steigen. 
Unsre  Nachrichten  über  Tschernitschew  gehen  nur 
bis  zum  Jahre  1796.  Damals  war  er  Generalmajor  und 
Kommandant  der  Festung  in  Petersburg,  i) 


81.  Kischensky. 

Zu  den  sonderbarsten  Begebenheiten  der  Regierung 
Katharinas  II.  gehört  unstreitig  die  Auswanderung  der 
Kalmücken  im  Jahre  1770. 

Dieses  auffallende  Ereignis  war  für  die  Ruhmlust 
dieser  Monarchin  desto  kränkender,  da  es  durch  die 
niedrigste,  boshafteste  und  unbegrenzteste  Raubsucht 
eines  Menschen  bewirkt  wurde,  der  aus  der  Hefe  des 
Pöbels  gekrochen,  es  nach  dem  Maßstabe  seiner  Ge- 
burt, seiner  Fähigkeiten  und  seines  Charakters  für  den 
Gipfel  des  irdischen  Glücks  halten  mußte,  daß  er  als 
Subalternoffizier  eines  Feldregiments  geduldet  wurde. 

^)  Mit  den  Brüdern  Tschernitschew  hat  dieser  ganz  bedeutuug;.- 
lose  Günstling  nur  den  Namen  gemein.  Graf  Zacharias  T.  und  seine 
Brüder  gehörten  zu  ganz  wenigen  Freunden  der  jungen  Großfürstm 
Katharina  am  Petersburger  Hofe.  Sie  hat  der  Freundschaft  dieser 
liebenswürdigen  Herren  in  ihren  Memoiren  ein  Denkmal  gesetzt. 
Vielleicht  hatte  die  Erinnerung  an  die  Jugend  einigen  Anteil  an 
das  kurzp  Abenteuer  mit  Andreas  T.,  obgleich  sonst  Sentimentalität 
Katharinas  Sache  nicht  war. 


242  "^J.  Kischensky. 

Kischensky  hieß  dieser  Verworfene.  Er  war  Sous- 
leutnant  im  Astrachanschen  Regiment,  als  er  vom 
Generalgouverneur  der  kaukasischen  Statthalterschaft 
oder  vom  Kommandanten  der  Provinz  Astrachan  den 
allerdings  unüberlegten  Befehl  erhielt,  die  Aufsicht 
über  die  Kalmücken  zu  übernehmen.  Um  den  ganzen 
Umfang  der  Albernheit  des  Auftrags  besser  zu  be- 
merken, wird  es  hier  nicht  am  unrechten  Orte  sein, 
über  diese  Völkerschaft  etwas  zu  sagen. 

Die  Kalmücken  oder  Chalmiken  sind  eine  sehr  merk- 
würdige Abteilung  der  großen  Nation  der  Mongolen. 
Sie  nennen  sich  in  ihre  Sprache  Oelöt.  Ihre  Vorfahren 
waren  schon  vor  einigen  hundert  Jahren  in  die  russi- 
schen Wohnplätze  gekommen.  Die  Nachkommen  der- 
selben bewohnten  vor  ihrer  Auswanderung  im  Jahre 
1770  die  unermeßlichen  und  fruchtbaren  Ebenen 
zwischen  der  Wolga  und  dem  Ural.  Damals  konnte  ihre 
Bevölkerung  auf  fünfundneunzigtausend  Kibitken  oder 
Zelte,  jedes  zu  fünf  bis  sechs  Personen,  gerechnet  wer- 
den. Die  Gesichtszüge  dieses  Volkes,  so  wie  die  der 
Mongolen  und  Borjaten,^)  weichen  auf  eine  auffallende 
Weise  von  denen  der  übrigen  menschlichen  Ge- 
schlechtsarten ab.  Alle  Kalmücken  sind  Nomaden 
und  wohnen  in  Zelten  von  einer  Materie,  die  dem  Filz 
gleicht,  ungefähr  wie  derjenige  ist^  den  man  in  Rußland 
Woilok  nennt.  Solche  Filzzelte  sind  bei  allen  noma- 
dischen Völkern  in  Asien  gebräuchlich.  Die  Kalmücken 
haben  sehr  zahlreiche  Herden  von  Hornvieh,  Pferden, 
Kameelen  und  Schafen.  Die  letztern  sind  von  einer 
Art,  die  sich  von  allen  andern  durch  große  Köpfe, 

^)  Die  Familie  Borjatinsky,  noch  jetzt  eine  der  vornehmsten 
in  Rußland,  von  der  in  diesen  Blättern  schon  einiges  ist  gesagt 
worden,  beherrschte  ehemals  dieses  Volk,  ehe  sie  (wahrscheinlich 
unter  Joan  Wassiljewitzsch)  sich  taufen  ließ.  Von  dem  Namen  des 
Volks  Burjaten   behielt  sie  ihren  Familiennamen  Borjatinsky  bei. 


8i.  Kischensky.  343 

langhängende  Ohren  und  sehr  fette  und  schwere 
Schwänze  unterscheidet.  Diese  nämliche  Gattung 
Schafe  ist  die  einzige  im  ganzen  asiatischen  Orient. 
Die  Kalmücken  sind  alle  von  der  Rehgion  des  Dalai 
Lama,  die  man  in  verschiedenen  Ländern  des  orienta- 
lischen Teils  von  Asien  findet.  Die  gewöhnlichen 
Schriftzüge  der  Kalmücken  und  überhaupt  der  Mon- 
golen gleichen  denen  der  syrischen  Sprache.  Es  haben 
nämlich  einige  syrische  Mönche  als  Missionare  in 
mehreren  Ländern  von  Asien  die  Kenntnis  und  den 
Gebrauch  der  Buchstaben  verbreitet. 

Diese  reiche,  oder  doch  wenigstens  wohlhabende  und 
zahlreiche  Völkerschaft,  lebte  unter  dem  mächtigen 
Schutze  der  Regenten  von  Rußland  und  genoß  seit 
Jahrhunderten  ungestört  das  Recht  der  Gastfreund- 
schaft. Für  diese  Wohltaten  waren  den  Kalmücken  sehr 
unbedeutende  Verbindlichkeiten  auferlegt.  Sie  hatten 
übrigens  ihre  alte  Verfassung  beibehalten  und  befan- 
den sich  besonders  im  Jahre  1770  sehr  glücklich  unter 
der  Verwaltung  eines  Khan,  der  ein  alter,  verehrungs- 
würdiger Mann  war,  dem  wegen  seiner  Tugenden 
Katharina  IL  mehrere  Beweise  von  Wohlwollen  ge- 
geben hatte,  und  der  sogar  das  Porträt  der  Monarchin 
in  Brillanten  gefaßt,  ein  Geschenk  ihrer  Großmut,  am 
Halse  trug. 

Dies  alles  war  nötig  zu  sagen,  um  das  ungeschickte 
Benehmen  derer  in  das  wahre  Licht  zu  stellen,  die  es 
wagen  konnten,  ein  gutmütiges,  ruhiges  und  eigentlich 
furchtsames  Volk,  das  einen  braven  Fürsten  an  seiner 
Spitze  hatte,  der  Aufsicht  eines  Leutnants  Kischensky 
zu  übergeben.^) 

^)  Eine  von  Helbigs  Erklärung  abweichende  von  den  Ur=;achen 
der  Kalmückenauswanderung  im  Jahre  1771  gibt  J.  H.  Meyer  in 
seinem  Buche:  „Briefe  über  Rußland"  (Göttingen  1778/79)  im 
I.  Bd,  S,  248. 


344  ^^-  Kischensky. 

Dieser  Elende  war  gleichsam  der  Hofmeister  des 
Khan  und  der  Gouverneur  der  ganzen  Völkerschaft. 
Er  kam  nur  von  Zeit  zu  Zeit  in  die  Wohnungen  der 
Kalmücken,  aber  seine  jedesmalige  Erscheinung  ver- 
breitete allgemein  Furcht  und  Schrecken.  Sie  war  das 
Signal  neuer  und  immer  schwerer  aufzubringender  Er- 
pressungen. Da  er  den  von  ihm  willkürlich  auferlegten 
Tribut  allemal  mit  geübter  Geschicklichkeit  stahl  oder 
eintrieb  und  die  Kalmücken  aus  Furchtsamkeit  dabei 
stets  ruhig  blieben,  so  erwarb  er  sich  sogar  durch  seine 
Geschäftsführung  die  Zufriedenheit  seiner  nächsten 
Vorgesetzten  in  so  hohem  Grade,  daß  er  sehr  bald 
durch  alle  Stellen  hindurch  bis  zum  Oberstleutnant 
avancierte.  —  Kischensky  ließ  ohne  Umstände  von 
den  zahlreichen  Herden  aller  Art  diejenigen  wegtrei- 
ben, die  ihm  die  vorzüglichsten  schienen  und  schrieb 
dem  Khan  die  Gattung  und  den  Wert  der  Geschenke 
vor,  die  er  ihm  machen  mußte.  Das  alles  verwandelte 
er  in  Geld  and  verschaffte  sich  dadurch  unglaubliche 
Reichtümer.  Aber  den  meisten  Gewinn  machte  er 
durch  die  vorgebliche  Rekrutenaushebung.  Die  Kal- 
mücken waren  derselben  nie  unterworfen  gewesen.  Ihre 
Obhegenheit  in  mihtärischer  Hinsicht  ging  nur  dahin, 
zum  Dienst  der  Kaiserin,  wenn  es  verlangt  wurde, 
gegen  China  ein  Korps  Streiter  zu  stellen,  das  nur  aus 
Männern  ihrer  Nation  bestand,  aber  freilich  immer  dem 
Oberbefehl  eines  russischen  Generals  unterworfen  war. 
Aber  an  Rekrutenlieferungen  war  von  selten  der  russi- 
schen Regierung  nie  gedacht  worden.  Die  Kalmücken, 
wie  viele  russische  Völkerschaften,  taugten  nicht  dazu, 
untermengt  unter  disziplinierten  Truppen  zu  dienen. 
Ihre  Religion,  ihre  Sitten  und  Gebräuche  und  beson- 
ders ihr  überall  fremder,  scheuer  und  furchtsamer  Cha- 
rakter, welcher  dem  der  Juden  noch  vor  ungefähr  fünf- 


8i.  Kischensky.  345 

zehn  Jahren  glich,  paßte  nicht  für  zivihsierte  mihtä- 
rische  Einrichtungen.  Dem  ungeachtet  gab  Kischensky 
vor,  daß  er  von  der  Kaiserin  Befehl  habe,  unter  den 
Kalmücken  Rekruten  auszuheben.  Der  Khan  sträubte 
sich,  berief  sich  auf  die  sanktionierten  Rechte  seines 
Volks  und  bat  dringend  und  demütig,  aber  vergebens. 
Alles,  was  er  erlangen  konnte,  war,  daß  er  die  Rekru- 
tenaushebung durch  ungeheure  Geschenke  abkaufen 
durfte,  die  Kischensky  für  sich  behielt.  Dieser  begnügte 
sich  aber  damit  nicht,  kam  bald  wieder  and  verlangte 
unter  allerlei  Vorwand  noch  mehr.  Der  Khan,  empört 
durch  die  Ungerechtigkeit  und  Raubsacht  des  Russen, 
machte  diesem  bittere  aber  gemäßigte  Vorwürfe,  Der 
Niederträchtige  vergaß  sich  und  hatte  die  Frechheit, 
den  Khan  zu  schlagen  und  seinen  ersten  Minister 
öffentlich  prügeln  zu  lassen.  Kischensky  erzwang  da- 
durch die  geforderten  Erpressungen,  die  aber  auch  die 
letzten  waren. 

Der  furchtsamste  Charakter  nimmt  oft,  wenn  er 
durch  Ungerechtigkeiten  auf  den  höchsten  Grad  des 
Unwillens  gebracht  wird,  einen  Schwung  von  Energie, 
die  schnell  wirkt  und  ausdauernd  ist. 

Der  Khan  versammelte  ein  Konseil  von  seinen  Mi- 
nistern, den  Ältesten  des  Volks  und  den  Priestern ;  und 
nun  eilte  man,  zweckmäßige  Maßregeln  zu  treffen  and 
auch  sogleich  auszuführen,  ehe  man  von  Kischensky 
übereilt  und  durch  die  russischen  Truppen  zurückge- 
halten oder  wenigstens  gestört  werden  konnte.  End- 
lich erschien  der  entscheidende  Augenblick  und  nun 
erlebte  man  das  seltene  Beispiel,  daß  auf  einmal  eire 
ganze  Population  verloren  ging.  Fünfundsiebzigtau- 
send  Kibitken,  Zelte,  oder  wie  es  eigentlich  heißen 
sollte,  Familien,  verließen  im  Monat  Oktober  1770 
ihre  nomadischen  Wohnsitze  und  suchten  neue  Wohn- 


346  8i.  Kischensky. 

örter  auf  chinesischem  Boden,  wo  sie  im  Monat  Mai 
1771  ankamen.  Sie  unterwarfen  sich  durch  eine  Depu- 
tation dem  Kaiser  von  China,  der  sie  mit  Freuden  auf- 
nahm, und  unter  dessen  wohltätigem  und  schützendem 
Zepter  sie  noch  jetzt  ruhig  und  zufrieden  leben. 

Der  russische  Hof  reklamierte  zwar  bald  hernach 
seine  Exantertanen,  allein  der  Kaiser  antwortete,  die 
Kalmücken  wären  in  die  Wohnplätze  zurückgekehrt, 
die  ihre  Voreltern  vor  vielen  hundert  Jahren  bewohnt 
hätten;  er  könne  nicht  so  ungerecht  sein,  Leute,  die 
ihm  Zutrauen  zeigten,  undankbar  zu  behandeln  oder 
sie  gar  zu  vertreiben;  die  Kaiserin  möchte  sich  nur  an 
Kischensky  halten,  der  durch  sein  schändliches  Be- 
tragen diese  Wanderung  verursacht  hätte. 

Aber  nun  stelle  man  sich  das  Erstaunen  des  Ur- 
hebers dieser  Begebenheit  vor,  als  er  sie  zwei  Tage 
nachher  erst  erfuhr.  Man  machte  zwar  sogleich  An- 
stalten, die  Flüchtigen  einzuholen,  sie  konnten  aber 
nicht  sehr  zweckmäßig  sein.  Damals  war  der  erste 
Türkenkrieg  in  vollem  Gange.  In  der  ganzen  weitläu- 
figen Statthalterschaft  hatte  man  also  kaum  vier  Re- 
gimenter Infanterie.  Drei  von  ihnen,  welche  die  näch- 
sten waren,  wurden  eilend  nachgeschickt.  Sie  erreich- 
ten die  Kalmücken  nicht,  und  da  sie  bald  nachher  in  un- 
übersehbare Steppen  kamen,  der  Gegenden  und  Wege 
unkundig  waren  und  an  Proviant  Mangel  htten,  so 
wurden  auch  von  ihnen  viele  aufgeopfert.  Sie  irrten  in 
den  Wüsteneien  umher  und  die  Hälfte  von  ihnen  kam 
um.i) 

Von  der  ganzen  Völkerschaft  blieben  nur  zwanzig- 
tausend Zelte  übrig,  die  von  den  andern  etwas  entfernt 
und  näher  an  Astrachan  gewohnt  hatten.  Sie  gingen 

^)  Von  169000  Kalmücken  erreichten  etwa  nur  70000  ihr  Ziel: 
Osttnrkestan  aa  chinesischen  Boden. 


82.  Saliern.  2>A7 

auch  von  dort  weg,  blieben  aber  unter  russischer  Ober- 
herrschaft und  bezogen  Wohnplätze  zwischen  der 
Wolga  und  dem  Don,  wo  sie  noch  jetzt  nomadisieren. 

Kischensky,  dessen  strafbares  Benehmen  der  russi- 
sche Hof  eigentlich,  erst  durch  die  Antwort  des  Kaisers 
von  China  kennen  gelernt  hatte,  fiel  nun  in  Unter- 
suchung und  wurde  einem  Kriegsgerichte  unterworfen. 

Der  Räuber  wendete  einen  Teil  seiner  Beute  dazu 
an,  sich  Freunde  am  Hofe  zu  verschaffen.  Dadurch 
erhielt  die  Sache  eine  ganz  andere  Wendung.  Hierzu 
kam,  daß  die  Kaiserin  zum  Grundsatz  genommen 
hatte,  alle,  die  in  ihrem  Dienste  waren,  gegen  auslän- 
dische Beschuldigungen  zu  schützen,  und  sie  sogar, 
wenn  sie  auch  nach  dem  Urteile  der  Welt  offenbar  Un- 
recht hatten,  noch  zu  belohnen.  Dieser  Grundsatz  war 
vielleicht  sehr  edel  in  seiner  Entstehung,  aber  seine 
Befolgung  ließ  zuweilen  in  dem  Verstände  der  unpar- 
teiischen Beurteiler  einen  nachhaltigen  Eindruck  zu- 
rück. Dies  mußte  auch  hier  geschehen,  als  Kischensky, 
anstatt  bestraft  zu  werden,  noch  mit  dem  Range  eines 
Obersten  belohnt  wurde. 

Zum  Glück  wissen  wir  von  diesem  Menschen  nichts 
weiter,  als  daß  er  endlich  Generalmajor  warde  und  von 
seinem  Raube  mit  Gemächhchkeit  und  Aufwand  lebte. 


82.  Saliern. 

Saliern,  ein  Holsteiner  von  Geburt,  war  der  Sohn 
eines  dasigen  Handwerkers. 

Sein  Verstand  war  größer  als  seine  Beurteilungskraft. 
Da  er  zufälligerweise  eine  gute  literarische  Erziehung 
gehabt  hatte,  so  war  sein  Kopf  durch  Kenntnisse  man- 


348  '52.  Saliern. 

eher  Art  ausgebildet  worden.  Sein  Dünkel  verleitete 
ihn,  zu  glauben,  daß  er  intrigant  sein  könne.  Er  war 
es  aber  nicht  mehr,  als  es  die  russischen  Emmissarien 
damals  gewöhnlich  waren.  Wenn  man  zu  seiner  Dis- 
position volle  Geldkasten  und  zweimalhunderttausend 
Arme  hat,  so  braucht  der  Kopf,  der  ihre  Anwendung 
bestimmen  kann,  nicht  sehr  nachdenkend  zu  sein. 
Kurz,  Saliern  war  nur  ein  Meister  in  der  plumpen  des- 
potischen Intrige.  Übrigens,  sagt  man,  war  seine  Mo- 
ralität  befleckt  und  seine  Sitten  waren  und  blieben 
bäurisch. 

In  Holstein  fand  Saliern  sein  Glück  nicht.  Er  bekam 
einen  unbedeutenden  Dienst,  der  ihn  nur  kärglich  er- 
nährte. Wahrscheinlich  ist  es  Verleumdung,  daß  er  ihn 
durch  bekannt  gewordene  Beeinträchtigungen  ver- 
loren habe.  So  viel  ist  gewiß,  daß  er  seinen  Dienst  und 
sein  Vaterland  verließ  und  sich  nach  Rußland  wen- 
dete; ein  Reich,  das  die  meisten  Holsteiner  wegen  der 
ehemals  schon  bestandenen  und  künftig  wieder  zu  er- 
wartenden, Vereinigung  unter  einem  Zepter,  als  ihr 
zweites  Vaterland  und  als  einen  Zufluchtsort  betrach- 
teten. 

Saliern  wurde  schon  unter  der  Regierung  der  Kai- 
serin Elisabeth  im  Reichskollegium  der  auswärtigen 
Angelegenheiten  angestellt.  Hier  zeigte  er  nicht  ge- 
meine Fähigkeiten,  und  kam  bald  auf  Plätze,  die  ihm 
eine  sehr  vorteilhafte  Aussicht  eröffneten.  Bisher  war 
er  nicht  mehr  als  jeder  Schreiber  bemerkt  worden,  so- 
bald er  aber  Titel  und  ansehnliche  Geschäftsstellen  be- 
kam, machte  er  sich  selbst  bekannt.  Sein  Name  klang 
ihm  nun  zu  gemein.  Er  nannte  sich  von  nun  an  Sal- 
dern und  gab  vor,  von  der  bekannten  altadehgen  Fa- 
milie von  Saldern  im  Preußischen  abzustammen. 
Diesei»  Geschlecht,  zu  welchem  der  ehemalige  Gouver- 


82.  Saliern.  349 

neur  von  Magdeburg,  General  Saldern,  gehörte,  machte 
zwar  gegen  diese  Anmaßung  die  gehörigen  Einwen- 
dungen, allein  der  neue  Saldern  achtete  darauf  nicht, 
und  die  Familie  ließ  die  Sache  ruhen,  zumal  das  ich 
dieser  Emporkömmling  in  einem  Range  zeigte,  der  ge- 
wiß sehr  ehrenvoll  war. 

Saldern  tat  sich  besonders  unter  der  Regierung  der 
Kaiserin  Katharina  IL  durch  große  Brauchbarkeit 
hervor,  aber  er  hatte  auch  das  Talent,  das,  was  er 
wußte,  geltend  zu  machen.  Die  Kaiserin,  die  schon  seit 
langer  Zeit  dem  dänischen  Hofe  nicht  günstig  war,  und 
ihn  immer  zu  demütigen  suchte,  ernannte  am  Ende  der 
sechziger  Jahre  den  Herrn  von  Saldern  zam  Gesandten 
nach  Kopenhagen.  Der  König  von  Dänemark  hat  oft 
vom  russischen  Hofe  unter  Katharina  iL  Kränkungen 
empfinden  müssen,  aber  keine  waren  so  heftig,  als  die- 
jenigen, die  er  durch  Salderr  erfahren  mußte.  Das  Be- 
nehmen dieses  Mannes  entsprach  ganz  seinem  Ur- 
sprünge. Er  betrug  sich  mit  einer  Arroganz,  die  em- 
pörend war,  ließ  sich  von  den  geheimsten  Staatssachen 
unterrichten  und  mischte  sich  sogar  in  die  häuslichen 
Angelegenheiten  des  Hofs.  Die  Klagen  über  ihn  wur- 
den laut  und  machten  seinen  Rappel  notwendig,  wenn 
nicht  eine  Störung  in  den  Verhältnissen  zwischen 
Dänemark  und  Rußland  erfolgen  sollte. 

Saldern  hätte  nach  seiner  Rückkehr  nach  Peters- 
burg bestraft  werden  sollen,  und  wurde  —  belohnt.  Es 
währte  nicht  lange,  so  bekam  er  neue  Aufträge  im 
Auslande. 

Polen  wurde  schon  damals  als  eine  russische  Provinz 
behandelt.  Um  diejenigen  dieser  Nation,  die  noch  eini- 
ges Ehrgefühl  hatten  und  sich  daher  nicht  gutwiüig 
nach  dem  Willen  der  Monarchin  Rußlands  fügen  woll- 
ten, im  Zarm  zu  halten,  mußte  ein  Botschafter  nach 


350  82.  Saliern. 

Warschau  geschickt  werden,  der  Energie  mit  Klugheit 
verband.  Man  wählte  Saldern. 

Seine  Instruktion,  als  er  im  Jahre  1771  abreiste, 
ging  dahin,  daß  er  außer  jenem  Geschäfte  sich  be- 
streben sollte,  den  König  nie  aus  der  immerwährenden 
Vormundschaft  zu  lassen,  die  schwankenden  Personen 
zu  leiten  und  überhaupt  die  Gemüter  unter  dem 
alleinigen  Einflüsse  des  russischen  Hofs  zu  vereinigen. 

Saldern,  dem  dies  alles  wohl  zu  weitläufig  und  zu 
fein  sein  mochte,  erdachte  einen  Plan,  dessen  Aus- 
führung ihm  für  das  Interesse  seines  Hofs  vorteilhafter 
schien.  So  wurde  er  der  Schöpfer  eines  der  schänd- 
lichsten Werke,  die  jemals  die  Staatskunst  ausgebrütet 
hat:  der  ersten  Teilung  Polens,  die  dann  den  zweiten 
Raub  der  Provinzen  dieses  Landes  nach  sich  zog,  und 
endlich  dessen  gänzliche  politische  Auflösung  zur 
Folge  hatte.  Der  Kaiserin  gefiel  die  Sache  vortrefflich. 
Um  vor  aller  Einmischung  gesichert  und,  im  Fall  der 
Notwendigkeit,  eines  reellen  Beistandes  gewiß  zu  sein, 
machte  Katharina  II.  den  Höfen  zu  Wien  und  Berlin 
den  ersten  Vorschlag  der  Teilung  von  Polen.  Der  öster- 
reichische Hof  nahm  den  Antrag  ohne  Bedenken  an; 
aber  der  weise  Friedrich  IL  zauderte  und  willigt.'  erst 
nach  einiger  Überlegung  ein.  Da  er  doch  einmal  diesen 
Raub,  den  ihm  Rußland  und  Österreich  so  nahe 
brachte,  nicht  hindern  konnte,  so  glaubte  er  mit  Recht, 
daß  es,  politischerweise  betrachtet,  vernünftiger  sei, 
Teil  daran  zu  nehmen,  als  zu  gestatten,  daß  zwei 
mächtige  Nachbarn  sich  bereicherten,  ohne  daß  er 
dabei  einen  Vorteil  haben  sollte. 

Saldern  leitete  nun  die  ganze  Sache  ein,  verlangte 
Geld  zu  Bestechungen  und  Truppen,  und  erhielt  alles, 
was  er  haben  wollte.  Indessen  konnte  er  doch  nicht 
sein  Werk  vollenden.  Er  machte  sich  überall  Feinde. 


82.  Saliern.  35 1 

In  Warschau  wurde  er  nicht  nur  durch  sein  Geschäft, 
sondern  auch  durch  sein  persönhches,  äußerst  grobes 
Benehmen  verhaßt;  dem  König  von  Preußen  schrieb 
er  einen  insolenten  Brief,  und  in  Petersburg,  wo  er 
durch  seine  Berichte  allerdings  Blößen  gab,  kabalierte 
Repnin  gegen  ihn.  Diese  vereinigten  Umstände  mach- 
ten seine  Existenz  in  Warschau  unangenehm  und  für 
ihn  selbst  gefährlich.  Er  brachte,  so  viel  er  konnte,  das 
Werk  der  Teilung  zustande,  bat  aber  noch  im  Sommer 
1772  um  seinen  Rappel.  Katharina  II.  antwortete  ihm 
eigenhändig  und  versprach  ihm,  daß  er  noch  im  Monat 
September  zurückkommen  sollte.  Wirklich  reiste  er 
auch,  sozusagen,  in  den  ersten  Stunden  des  nämlichen 
Monats  von  Warschau  ab  und  kam  im  Oktober  in  Pe- 
tersburg an.  Die  Teilung  geschah  in  den  ersten  Tagen 
des  Septembers. 

Saldern  erhielt  von  der  Kaiserin  große  Geschenke 
und  zugleich  das  Versprechen,  in  angenehmem  Ver- 
hältrissen angestellt  zu  werden.  Dies  war  jedoch  mit 
Schwierigkeiten  verbunden.  Seine  Feinde  waren  zahl- 
reich und  mächtig.  Maskow,  sein  ehemaliger  Lega- 
tionssekretär in  Warschau,  mit  dem  er  in  Unfrieden 
gelebt  hatte,  und  der  eher  nach  Petersburg  gekommen 
war  als  er,  hatte  mit  großer  Feinheit  die  Mächtigen  am 
Hofe  gegen  Saldern  eingenommen.  Selbst  die  Kaiserin 
fing  an,  ihm  nicht  so  ausdauernde  Zufriedenheit  zu 
zeigen,  als  er  erwartet  hatte.  Endlich  schien  sogar  ihre 
Ungnade  bestimmt  zu  sein,  als  er,  um  sich  der  Gunst 
des  Großfürsten  für  die  Zukunft  zu  versichern,  der 
Monarchin  unter  der  Hand  den  Plan  überreichen  ließ, 
diesen  Prinzen  zum  Mitregenten  zu  nehmen.  Saldern 
hätte  sich  fast  durch  diesen  unüberlegten  Schritt  ge- 
stürzt, und  erhielt  sich  nur  noch  mit  Mühe. 

Nun  merkte  er  wohl,  daß  er  auf  ein  baldiges  Zurück- 


352  S2.  Saliern. 

ziehen  aus  den  Geschäften  denken  müsse  und  wollte 
daher  für  die  Zukunft  sich  einen  Aufenthalt  sichern, 
wo  er  den  Ertrag  seines  großen  Vermögens  in  Ruhe 
verzehren  könnte.  Er  fing  in  dieser  Absicht  Privat- 
unterhandlungen mit  dem  dänischen  Hofe  an,  nahm 
Geschenke  von  ihm,  und  ließ  sich  mehrere  versprechen, 
im  Fall  er  seinen  Zweck  erreichte.  Dieser  war  die  förm- 
liche Abtretung  von  Holstein.  Saldern  stellte  der  Kai- 
serin vor,  daß  es  weder  ihr,  noch  ihrem  Sohne  zur  Ehre 
gereiche,  durch  dieses  kleine  Land  gewissermaßen  ab- 
hängig vom  Deutschen  Reiche  zu  sein,  und  gab  ihr  da- 
bei ziemlich  deutlich  zu  verstehen,  da  der  Großfürst 
immer  älter  werde,  so  müsse  man  ihm  diese  Besitzung 
nehmen,  weil  zu  befürchten  sei,  daß  der  Thronfolger 
als  Deutscher  Reichsfürst  sich  in  einer  Art  von  Unab- 
hängigkeit von  der  Kaiserin  halten,  und  als  solcher, 
wenn  er  bösen  Willen  habe,  sich  wohl  gar  in  Verbin- 
dungen zum  Nachteil  der  Monarchin  einlassen  könne. 
Katharina  IL,  auf  welche  diese  Furcht  am  meisten 
wirkte,  fand  zu  ihrem  Schaden  diese  Gründe  ein- 
leuchtend. Holstein  wurde  gegen  Oldenburg  und  Del- 
menhorst abgetreten,  und  diese  beiden  Grafschaften 
wurden  ebenfalls  dem  Fürsten-Bischof  von  Lübeck 
überlassen.  Die  Urkunde  dieser  Zession  wurde  im  No- 
vember 1773  unterzeichnet. 

Bald  hernach  erfuhr  die  Kaiserin  den  ganzen  Zu- 
sammenhang der  Sache,  und  ihre  Ungnade  traf  Saldern, 
wie  er  es  verdiente.  Er  bemerkte  es,  bat  um  seine  Ent 
lassung  und  erhielt  sie. 

Damals  war  er  Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Rittei 
verschiedener  Orden. 

Saldern  ging  nach  Holstein,  wo  er  noch  mehrere 
Jahre,  ganz  von  Geschäften  entfernt,  bloß  für  die  Wis 
senschaften  lebte.  Hier  ließ  er  seiner  Zunge  und  seinei 


83.  Frederiks.  353 

Feder  freien  Lauf.^)  Wahrscheinlich  erfuhr  es  der 
russische  Hof,  und  wollte  ihn  auf  bessere  Wege  lenken. 
Saldern  erhielt  einen  Ruf  nach  Petersburg,  aber  er 
lehnte  ihn  ab. 

Nach  Katharinas  Tode  erschien  eine  vom  Herrn  von 
Saldern  hinterlassene  Biographie  Peters  III.  In  diesem 
Buche  hat  der  Verfasser  die  Wahrheit  oft  verfehlt  und 
sich  nur  von  seinem  Hasse  gegen  die  Kaiserin  be- 
meistern  lassen,  der  eine  Folge  seiner  unbefriedigten 
Leidenschaften,  des  Stolzes  und  des  Geizes  war. 


83.  Frederiks. 

Frederiks,  ein  gemeiner  Kaufmannsbursche  aus 
Archangel,  lebte  viel  mit  den  Orlows,  da  diese  noch 
nichts  waren.  Als  sie  emporstiegen,  machten  sie  auch 
das  Glück  ihres  Freundes.  Durch  sie  wurde  er  Baron 
und  Hofbankier  und  erhielt  dadurch  Gelegenheit,  un- 
glaubliche Reichtümer  zu  sammeln.  Da  er  mit  weniger 
als  nichts,  das  heißt,  mit  Schulden  anfing,  so  sind  seine 
Reichtümer  ein  Beweis,  daß  er  große  Talente  zum 
Handel  hatte.  Der  erste  Türkenkrieg  unter  Katha- 
rina IL  brachte  ihm  am  meisten  ein.  Er  gab  einst 
während  desselben  ein  Fest  an  den  Günstling  Orlow, 
an  die  vornehmsten  Höfhnge  und  an  das  Corps  diplo- 
matique. Bei  dieser  Gelegenheit  hatte  er  in  seinem 
Speisesaal  über  die  Tür  geschrieben:  Krieg  ernährt, 
Friede  verzehrt. 

^)  Saldem  ist  Verfasser  vou  politischen  Schriften,  ,,in  denen  er 
sich  meist  in  seiner  Eigenart  gegeben,  sie  —  ganz  aus  Lüge  und 
Fälschung  zusammenzusetzen",  die  eine  Folge  seiner  unbefriedigten 
Leidenschaften,  des  Stolzes  und  des  Geizes  war.  (Bübassow 
II,  S.  108.) 

Russische  GünstliBge.  23 


354  ^4-   Wlodimirow. 

Frederiks  starb  in  den  achtziger  Jahren  und  hinter- 
ließ mehrere  Söhne  und  Töchter.  Die  Söhne  haben  sich 
in  Kriegsdiensten  rühmlich  ausgezeichnet. 


84.  Wlodimirow. 

Wlodimirow  war  der  Sohn  eines  russischen  Kauf- 
manns, der  ihm  ungefähr  fünfzigtausend  Rubel  hinter- 
ließ. Der  junge  Mensch  fing  seine  merkantilische  Lauf- 
bahn bei  einem  der  bekannt  reichen  Demidows  an.  Er 
handelte  alsdann  für  sich  und  heiratete  die  Tochter 
seines  Herrn,  mit  der  er  ebenfalls  viel  Vermögen  erhielt. 
Sein  Handel  wurde  ausgebreiteter  und  vorteilhafter. 

Wlodimirow  war  lange  Zeit  und  noch  im  Anfange  der 
Regierung  der  Kaiserin  Katharina  IL,  der  einzige 
Zuckerfabrikant  in  Ruß  and.  Klugheit  und  Glück 
unterstützten  ihn  in  seinen  Geschäften  so  sehr,  daß  er 
bei  seinem  Tode  im  Jahre  1792  ein  Vermögen  von  mehr 
als  dreizehn  Millionen  Rubel  hinterlassen  konnte.  Er 
setzte  die  Monarchin  zur  Erbin  seiner  großen  Reich- 
tümer ein. 

Der  Fürst  Orlow,  der  einem  Menschen  vom  Hofe, 
welcher  sich  dem  alten  Wlodimirow  als  Schwiegersohn 
aufdrang,  durch  Drohungen  und  sogenannte  gute 
Worte  sehr  unterstützte,  machte  diesem  ehrlichen 
Mann  dadurch  großen  Kummer.  Diese  Tochter  Wlodi- 
mirows,  das  einzige  Kind,  das  er  hatte,  starb  bald 
nachher,  ohne  Kinder  zu  hinterlassen,  so  daß  also  die 
Absicht  des  Schwiegersohns  ganz  verfehlt  wurde. 


55-  Alexander  Wasütschikow.  355 

85.  Alexander  Wasütschikow. 

Die  Höflinge  unter  der  Regierung  Katharinas  II.  be- 
merkten bald,  daß  sie  an  der  Seite  ihrer  Monarchin  im- 
mer einen  Günsthng  erblicken  würden,  in  dessen  Unter- 
haltung dieselbe  sich  von  ihren  wichtigen  und  ausge- 
breiteten Regierungsgeschäften  erholen  könnte.  Sie 
sahen  voraus,  daß  man  bei  der  Wahl  dieses  Mannes 
nie  auf  Geschäftsfähigkeiten,  aber  immer  auf  ange- 
nehme Talente  sehen  würde.  Sie  glaubten  aber  auch 
in  dem  Beispiele  Orlows  die  Notwendigkeit  gefunden 
zu  haben,  diese  Wahl  oft  zu  verändern,  um  dadurch 
Anmaßungen  aller  Art  zu  verhindern,  die  so  oft  die 
Folge  eines  zu  langen  und  eben  deswegen  zu  vertrauten 
Umganges  sind.  Die  klügsten  und  angesehensten  dieser 
Höflinge  hielten  sich  für  berechtigt,  in  dieser  Absicht 
die  nötigen  Vorschläge  zu  machen,  die  Sache  alsdann 
einzuleiten  und  endlich  die  Wahl  der  Kaiserin  zu 
lenken.  — 

Jetzt,  da  Orlows'Gewalt  sie  zu  sehr  drückte  und  es 
sogar  bemerkbar  war,  daß  sein  durchdringendes,  hef- 
tiges Benehmen  der  Monarchin  selbst  lästig  wurde, 
jetzt  kamen  Panin  und  die  Brüder  Tschernitschew 
überein,  dem  despotischen  Günstlinge  einen  Nach- 
folger zu  geben.  Mit  Recht  überließ  man  es  dem  klugem 
Panin,  den  Mann  auszusuchen,  den  er  für  den  wür- 
digsten halten  würde,  diesen  Platz  auszufüllen.  Er  über- 
nahm dieses  Geschäft  und  fand  denjenigen,  von  dem 
wir  hier  einige  Lebensumstände  berühren  wollen. 

Alexander  Wasütschikow,  ein  russischer  Edelmann 
von  sehr  guter  Familie,  war  Offizier  von  der  Garde  zu 
Pferde,  als  ihn  Panin  der  Kaiserin  zum  Gesellschafter 
vorschlug.  Da  er  ein  schöner  Mann  war  und  geistreiche 
und  vielversprechende  Gesichtszüge  hatte,  so  nahm 

23* 


356  8S-  Alexander  Wasiltschikow. 

die  Monarchin  den  Vorschlag  an.  Er  bezog,  während 
Orlows  Abwesenheit,  im  September  1772  die  Zimmer, 
die  dieser  bei  Hofe  bewohnt  hatte  und  Grenadiere  stan- 
den als  Ehrenwache  Tag  und  Nacht  vor  seiner  Tür. 
Um  ihm  einen  höhern  und  angemessenem  Rang  zu 
geben,  erhielt  er  den  Titel  eines  dienstleistenden  Kam- 
merherrn und  bald  nachher  den  Alexander-Newsky- 
Orden.  Panin,  die  Tschernitschews  und  Borjatinsky 
unterrichteten  ihn  in  der  Kunst,  sich  beliebt  zu  machen 
und  sich  in  Gunst  zu  erhalten,  und  da  er  gelehrig  war 
und  die  Kaiserin  nur  froh  sein  konnte,  ihre  bisherige 
Verbindung  zerrissen  und  eine  andre  geschwind  wieder 
angeknüpft  zu  haben,  so  gefiel  er  ihr  ganz  außer- 
ordentlich. 

Doch  Erziehung  und  guter  Wille  ersetzen  nur 
schwach  und  auf  kurze  Zeit  den  Mangel  natürlicher 
Talente. 

Wasiltschikow  erhielt  sich  mit  Mühe  noch  nicht  zwei 
Jahre  in  der  Gunst  seiner  Monarchin.  Der  klügere  Po- 
temkin  drängte  sich  in  seine  Stelle.  Die  Kaiserin  zeigte 
bei  der  Entlassung  ihres  Günstlings  ein  Benehmen, 
dem  wir  keinen  Namen  zu  geben  wagen,  das  aber  jeder 
unsr^r  Leser  leicht  nennen  wird.  Als  Wasiltschikow  das 
letztemal  bei  Katharina  war,  konnte  er  das  Schicksal, 
das  ihn  in  der  nächsten  Stunde  erwartete,  nicht  ahnen. 
Sie  gab  ihm,  ohne  sich  nur  irgend  von  ihrem  Vorhaben 
etwas  merken  zu  lassen,  die  schmeichelhaftesten  Be- 
weise ihrer  Gnade.  Kaum  war  der  Unbefangene  aus 
ihrem  Zimmer  in  das  seinige  zurückgekehrt,  als  er  den 
unerwarteten  Befehl  erhielt,  sich  nach  Moskau  zu  be- 
geben. Er  gehorchte  sogleich  ohne  Widerrede,  und  be- 
wies dadurch,  daß  er  die  ihm  zugeteilte  glänzende  Rolle 
nicht,  wie  ein  wahrer  Künstler,  con  amore  gespielt 
hatte. 


85-  Alexander  Wasütschikow.  357 

Hätte  Wasütschikow  mit  seinem  schönen  Ansehen 
mehr  Verstand  und  Kühnheit  verbunden,  so  würde 
Potemkin  seinen  Platz  nicht  so  bald  eingenommen 
haben.  Indessen  hat  er  sich  einen  Ruhm  erworben,  den 
nach  ihm  kein  Günstling  Katharinas  ihm  streitig  ge- 
macht hat:  er  war  unter  allen  der  uneigennützigste, 
gefälligste  und  bescheidenste.  Diese  großen  und  in 
einem  Lieblinge  so  seltenen  Tugenden  machten,  daß 
man  seine  Entlassung  sehr  ungern  sah. 

Wasiltschikow  hatte  keine  Neider,  weil  er  seinen 
Kredit  bei  der  Kaiserin  nur  mit  Mäßigkeit  brauchte. 
Er  half  vielen  und  schadete  keinem.  Zu  seinem  eigenen 
Vorteil  tat  er  wenig,  denn  an  dem  Tage,  an  welchem 
er  abreiste,  hatte  er  keinen  höhern  Rang,  als  den, 
welchen  ihm  die  Prinzessin  am  ersten  Tage  seiner 
Gunst  erteilt  hatte.  Sie  lobte  selbst  seine  große  Mäßi- 
gung und  suchte  durch  ihre  gewöhnliche  Großmut  ein- 
zubringen, was  seine  Bescheidenheit  vernachlässigte. 
Damals  hatte  die  Günstlinge  noch  keinen  etatmäßigen 
Gehalt,  aber  Wasiltschikow  erhielt  nach  einer  ge- 
druckten Nachricht  in  einer  Zeit  von  noch  nicht  zwei 
Jahren  an  Geld  und  Geschenken:  hunderttausend  Ru- 
bel bares  Geld,  siebentausend  Bauern,  die  nach  einer 
mäßigen  Taxe  fünfunddreißigtausend  Rubel  jährlich 
einbringen,  für  sechzigtausend  Rubel  Brillanten,  ein 
Silberservice  für  fünfzigtausend  Rubel,  die  Versiche- 
rung einer  jährlichen  Pension  von  zwanzigtausend  Ru- 
bel und  ein  prächtiges  und  schön  möbliertes  Palais^)  in 

^)  Nachdem  die  Kaiserin  das  Palais  von  Wasiltschikow  wieder 
gekauft  hatte,,  schenkte  sie  es  an  Korsakov/,  der,  wenn  wir  nicht 
irren,  es  an  den  französischen  Gesandten  Marquis  de  Verac  für 
3000  Rubel  vermietete.  Jetzt  bekommt  man  es  gewiß  nicht  unter 
10  000  Rubel,  so  sehr  hat  die  zugrunde  richtende  Teuerung  zu- 
genommen. Die  Lage  und  das  Äußere  dieses  Palastes  sind  vor- 
trefflich. Er  steht  auf  dem  großen  Schloßplatze  nicht  weit  vom 
kaiserlichen  Winterpalais,  seitwärts  nach  den  Zimmern  Kathari- 


358 


86.  Gregorej  Potemkin. 


Petersburg.  Dieses  hatte  die  Kaiserin  nach  ihrem 
eigenen  Plan  erbauen  lassen  und  dadurch  bewiesen, 
daß  man  nicht  in  allem  gleich  groß  sein  kann.  Da  es  erst 
fertig  wurde,  als  Wasiltschikow  schon  in  Moskau  war, 
so  kaufte  es  ihm  diese  Fürstin  für  hunderttausend 
Rubel  ab. 

Bald  nach  seinem  Abgange  vom  Hofe  heiratete  er 
und  führte  eine  sehr  glückhche  Ehe. 

Er  lebte  noch  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
und  war  mit  seinem  Schicksale  höchst  zufrieden. 

,,Ich  würde",  sagte  er  oft,  „bei  den  wichtigsten  Ver- 
diensten um  das  Reich  doch  nie  so  große  Reichtümer 
haben  erwerben  können,  als  ich  durch  Zufall  erlangt 
habe." 


86.  Gregorej  Potemkin. 

Es  ist  bloß  eine  Redensart,  die  eben  so  oft  widerlegt 
als  bestätigt  werden  kann,  wenn  behauptet  wird,  daß 
man  durch  Erfahrung  gebessert  werde.  Die  Geschichte 
Katharinas  gibt  uns  einen  auffallenden  Beweis,  daß 
jener  Spruch  auch  nur  eine  leere  Phrase  sein  kann. 
Diese  Prinzessin  vergaß  den  anmaßungsvollen  Despo- 
tismus, den  Orlow  zehn  Jahre  lang  ausgeübt  hatte,  ent- 
ließ den  anspruchslosen,  sanften  und  gefälligen  Wasilt- 
schikow und  wählte  den  arroganten,  alles  um  sich  her 
niederdrückenden  Potemkin,  den  sie  schon  zu  Orlows 
Zeiten  mit  Wohlgefallen  bemerkt  hatte;  eine  Wahl, 
welche  die  Monarchin  bei  mancherlei  Vorteilen,  die  sie 
ihr  gewährte,  dennoch  oft  zu  bereuen  Ursache  hatte. 

nas  II.  hin.  Diese  Fürstin,  die  einst  ungehalten  auf  Verac  war, 
gab  ihm  sogar  Schuld,  er  gucke  in  ihre  Fenster.  Der  Palast  hat  einen 
schönen  Balkon,  der  auf  Marmorbäulen  ruht.     H. 


pot>:mkjn, 


86.  Gregor ej  Poiemkin.  359 

Potemkins  Leben  und  Handlungen  hier  aufzuzeich- 
nen, würde  ein  unnötiges  Geschäft  sein,  da  der  größere 
Teil  des  lesenden  Publikums  die  Minerva  des  Haupt- 
manns von  Archenholz  kennt.  Dahin  verweisen  wir 
unsre  Leser.  Sie  werden,  wenn  wir  nicht  irren,  in  den 
Jahrgängen  1797,  1798  und  1799  dieser  schätzbaren 
Zeitschrift  die  Anekdoten  Potemkins,  des  Tauriers, 
finden,  in  welchen  alles,  was  sich  von  diesem  merk- 
würdigen Manne  sagen  läßt,  weitläufig  und  wenigstens 
wahr  erzählt  ist.^)  Hier  wollen  wir  nur  ganz  oberfläch- 
lich einige  Hauptumstände  seines  Lebens  berühren. 

Gregore]  Potemkin,  der  Sohn  eines  verabschiedeten 
Garnisonmajors,  stammte  aus  einer  adeligen  FamiHe 
in  Rußland,  die  eigentlich  polnischen  Ursprungs  ist. 
Sie  hatte  sich  in  Rußland  niedergelassen,  war  aber, 
wie  der  sämtliche  Adel  daselbst,  nie  zu  einigem  An- 
sehen gelangt.  2)  Erst  diesem  Potemkin,  von  dem  hier 
die  Rede  ist,  blieb  es  vorbehalten,  den  Namen  seiner 
Familie  merkwürdig  zu  machen. 

Er  war  im  September  1736  in  der  Nähe  von  Smo- 
lensk^)  geboren,  und  erhielt  eine  höchst  einfache  Er- 
ziehung. Anfänglich  sollte  er  in  den  geistlichen  Stand 
treten,  da  man  aber  militärische  Talente  an  ihm  zu  be- 
merken glaubte,  so  wurde  er  nach  Petersburg  geschickt 
und  dort  in  der  Garde  zu  Pferde  angestellt. 

Bei  der  Thronentsetzung  Peters  HI.  war  er  Wacht- 
meister und  einer  von  denen,  die  man  bei  dieser  Ge- 
legenheit für  die  Vorteile  der  Kaiserin  gewonnen  hatte. 
Nach  der  Revolution  wurde  er  Offizier  und  Kammer- 

^)  Heibig  kennt  diese  Arbeit  sehr  genau,  da  er  der  Verfasser 
dieser  40,  in  113  Paragraphen  abgeteilten  Abhandlungen  ist. 

^)  Schon  ein  Ahne  Gregor  Potemkins,  Peter  Iwanowitsch,  hatte 
sich  im  17.  Jahrhundert  als  Gesandter  des  Zaren  Alexej  Michailo- 
witsch  ausgezeichnet. 

')  Auf  dem  väterlichen  Gute  Tschichowo. 


200  86.  Gregorej  Potemkin. 

Junker  und  nach  Schweden  geschickt,  um  die  Thron- 
besteigung der  neuen  Beherrscherin  Rußlands  zu 
melden.  Als  er  zurückkam,  hielt  er  sich  eine  Zeitlang 
am  Hofe  auf  und  entwarf  den  Plan,  Günsthng  zu  wer- 
den. Die  Orlows  verhinderten  die  Ausführung  dieses 
Entwurfs  und  schickten  ihn  zur  Armee.  Hier  war  er  so 
vöUig  unnütz,  daß  der  Graf  Rumjanzcw^)  die  Gelegen- 
heit ergriff,  ihn  mit  einer  wichtigen  Nachricht  nach 
Petersburg  zu  senden. 

Nach  der  Entfernung  Orlows  und  Wasiltschikows 
erreichte  endlich  Potemkin  seinen  Zweck  und  wurde 
erklärter  Günstling  der  Kaiserin,  blieb  aber  nach 
seinem  eigenen  Willen  nur  kurze  Zeit  auf  dieser  Stelle. 

Dem  ungeachtet  war  er  von  diesem  Augenblick  an 
bis  zum  Jahre  1791  die  Hauptfeder  in  der  russischen 
Staatsmaschine.  Sein  Leben  in  diesem  Zeitpunkt  He- 
fert  reichhaltigen  Stoff  zu  einer  eigenen  Geschichte. 
Er  war  im  ganzen  russischen  Reiche,  im  Kabinett,  im 
Felde,  am  Hofe  und  selbst  in  dem  Privatleben  der  Mon- 
archin, ohne  Vergleich  der  wichtigste  Mann. 

So  weitläufig  und  wundervoll  die  Zonen  der  Ge- 
schichte sind,  so  findet  man  dennoch  wenig  Empor- 
kömmlinge, die  mit  so  geringen  Mitteln  als  Potemkin 
hatte,  auf  die  hohe  Stufe  des  Glücks  kamen,  auf  wel- 
cher er  stand. 

Ganz  Rußland  und  die  benachbarten  Staaten 
mußten  bei  dem  fürchterlichen  Gedanken  zittern,  daß 

^)  Wer  kennt  nicht  den  Namen  des  Besiegers  der  Türken. 
Potemkin  opferte  ihn  seinem  Stolze,  nicht  seinem  Ehrgeize  auf. 
Paul  1.  errichtete  ihm  auf  dem  Marsfelde  ein  prächtiges  Denkmal 
in  Form  eines  Obelisken.  Er  hinterließ  drei  Söhne.  Nikolaj  und 
Sergej  waren  als  Gesandte  in  Deutschland  nicht  so  merkwürdig 
als  sie  es  jetzt  sind.  Beide  sind  Männer  von  großen  Kenntnissen 
und  haben  jetzt  den  Ruhm  wichtiger  Staatsmänner.  Der  dritte, 
der  Peter  heißt,  war  schon  bei  des  Vaters  Tode  Generalleutnant 
und  hat  mit  Ehren  gedient. 


Graf  N.  P.  Rumjanzow 
Gemälde  von  G.  Dawe 


86.  Gregor ej  Potemkin.  36 1 

das  Schicksal  ganzer  Generationen  von  den  Launen 
dieses  Menschen  abhing. 

Den  glänzenden  Namen  des  Tauriers  erhielt  er  von 
der  Besitznehmung  der  Krim  im  Jahre  1783,  der 
man  die  alte  Benennung  Taurien  wiedergab.  Er  half 
den  gewaltsamen  Plan  zu  dieser  Unternehmung  ent- 
werfen, aber  die  Ausführung  desselben  —  überließ  er 
andern. 

Der  Fürst  Potemkin,  der  Taurier,  starb  im  Oktober 
1791,  nicht,  wie  einige  behaupten,  durch  Gift,  sondern 
an  einer  abzehrenden  Krankheit,  der  Folge  seiner  un- 
ordentlichen Lebensweise,  unterwegs  auf  dem  Grase, 
als  er  eben  aus  der  Moldau  sich  in  die  Gegend  von 
Oczakow  begeben  wollte. 

Noch  nach  seinem  Tode  wurde  Potemkins  Andenken 
verherrlicht.  Bei  der  Feier  des  türkischer  Friedens  ver- 
fertigte man  im  Senat  auf  Befehl  der  Kaiserin  eine 
Lobschrift  auf  ihn,  die  in  der  Hauptkirche  in  Cherson 
in  einem  silbernen  Behältnisse  aufbewahrt  wird.  In 
dieser  Kirche  wurde  ihm  auch  ein  Denkmal  errichtet 
und  im  Zeughause  daselbst  sein  Bildnis  aufgestellt, 
auch  eine  Denkmünze  wurde  auf  ihn  geprägt.^) 

Man  weiß  nicht,  aus  welcher  Grille  Potemkin  sich 
erst  spät  entschloß,  sich  malen  zu  lassen.  Im  Jahre 
1789  saß  er  endlich  einem  russischen  Künstler,  der  ein 
viel  zu  jugendhches  und  schmeichelhaftes  Bild  von 
ihm  verfertigte.  Dieses  hing  in  der  Eremitage  und 
wurde  in  der  Folge  in  Kupfer  gestochen.  Man  hat  aber 

^)  Kaiser  Paul  soll  im  Jahre  1798  befohlen  haben,  das  Denk- 
mal Potemkins  in  Charson  zu  zerstören  und  die  Asche  Potemkins 
ins  Wasser  zu  streuen.  (Golorkine,  La  Cour  et  la  Regne  de  Paul  I. 
Paris  1905.  p.  168.)  Der  russische  Geschichtsforscher  Schilder  sagt 
in  seiner  Lebensbeschreibung  Pauls,  daß  der  Kaiser  im  genannten 
Jahre  Potemkins  Sarg  entfernen  und  in  aller  Stille  an  einem  un- 
bekannt gebliebenen  Ort  einscharren  ließ,  weil  die  Chersoner  Kirche 
ein  Wallfahrtsort  für  Neugierige  geworden  sei. 


362  ^7-  Turtschaninow. 

in  Privatsammlungen  gezeichnete  Bilder  von  diesem 
Fürsten,  auf  welchen  er  sehr  gut  getroffen  ist. 

Sehr  unzuverlässig  schätzt  man  die  Summen,  wo- 
durch der  Staat  das  unnötige  Dasein  Potemkins  er- 
kaufen mußte,  auf  fünfzig  Millionen  Rubel.  Wäre  es 
wirklich  möglich,  seine  Reichtümer  und  die  Kosten, 
welche  die  Erhaltung  seines  Hofstaats  verursachte, 
genau  zu  bestimmen,  so  würde  man  gewiß  finden,  daß 
obige  Summe,  so  ungeheuer  groß  sie  auch  scheint,  den- 
noch zu  gering  angesetzt  ist.^) 


87.   Turtschaninow. 

Turtschaninow,  2)  ein  getaufter  Jude,  hatte  Gelegen- 
heit, sich  sehr  nützliche  Kenntnisse  zu  erwerben  und 
Sprachen  zu  lernen.  Er  wurde  ein  brauchbarer  Mann 
und  als  solcher  dem  Fürsten  Potemkin  empfohlen,  der 
ihn  als  Sekretär  zu  sich  nahm.  Von  ihm  kam  er  in  die 
Dienste  der  Kaiserin,  die  ihm  nach  und  nach  höhere 
Stellen  gab.  Erst  machte  sie  ihn  zum  Kabinettssekre- 
tär, 2)    dann  im  Jahre  1793  zum  Direktor  des  Bau- 

^)  ,, Heibig,  der  selbst  stets  in  Geldnöten  gewesen,  hält  in  allen 
seinen  Werken  genaue  Abrechnung  über  jede  Kopeke;  so  sammelt 
er  denn  auch  in  dieser  seiner  Schrift  (Minerva)  sorgfältig  alle  Nach- 
richten über  die  von  Potemkin  bezogenen  Summen."  (Bilbassow 
II,  S.  124.) 

*)  Es  gibt  in  Rußland  auch  eine  adlige  Familie  Turtschaninow. 
Von  ihr  nahm  dieser  Emporkömmling  den  Namen  an. 

')  Der  Geschäftskreis  der  Kabinettssekretäre  Katharinas  II., 
deren  immer  mehrere  waren,  hatte  einen  sehr  großen  Umfang.  Sie 
standen  unmittelbar  unter  dieser  Monarchin,  verfertigten  alle 
kaiserlichen  Befehle  an  den  Senat,  an  die  Generalgouverneure  der 
Pro\anzen,  an  das  Kriegskollegium,  an  die  Admiralität;  alle  sogenann- 
ten namentlichen  Ukase,  die  au  einzelne  Personen  gerichtet  waren; 
waren  im  hohen  Konscil  gegenwärtig,  führten  das  Protokoll  und 


Sj.  Turtschaninow.  363 

kontors  und  der  Kaiserlichen  Palais  und  Gärten  unter 
Betzkoy,  und  endlich  zum  Kabinettsminister. i)  Noch 
vor  dem  Tode  der  Kaiserin  Katharina  IL  nahm  er 
seinen  Abschied  und  lebte  von  den  Einkünften  seiner 
sehr  beträchtlichen  Güter. 

Wahrscheinlich  lebt  er  noch. 

Er  war  im  Jahre  1799  Generalleutnant  und  Ritter  des 
Annen-Ordens. 

Turtschaninows  Gemahlin  war  eine  Tochter  des  Ge- 
neralfeldmarschalls,  Grafen  von  Elmpt.  Sie  war  Hof- 
dame der  Kaiserin  Katharina  IL,  und  wegen  ihrer 
witzigen  und  Hebenswürdigen  Unterhaltung  bekannt. 
Sie  und  Frau  von  Diwow^)  waren  in  der  Mitte  der 
achtziger  Jahre  im  Verdacht,  zu  den  Karikaturen  und 
Schmähschriften  beigetragen  zu  haben,  die  damals  auf 
viele  Personen  am  Hofe,  besonders  aber  auf  den 
Fürsten  Potemkin,  gemacht  wurden.  — 

richteten  die  Befehle  der  Kaiserin  nach  den  Beschlüssen  des  Konseils 
ein;  endlich  entwarfen  sie  auch  alle  Briefe  der  Monarchin,  die  teils 
an  auswärtige  Souveräne,  teils  an  andere  Personen  in  Geschäften 
geschrieben  wurden.  Dies  waren  die  Staats-  und  politischen  An- 
gelegenheiten, die  sie  zu  besorgen  hatten;  sie  mußten  aber  auch, 
wenn  sie  die  erforderlichen  Talente  hatten,  literarische  Geschäfte 
mit  andern  dazu  bestimmten  Personen  übernehmen.  Unter  andern 
gehörte  zu  ihren  Obliegenheiten,  die  schriftstellerischen  Arbeiten 
dieser  Prinzessin  zu  —  verbessern.     H. 

^)  Die  Kabinettsminister  hatten  die  Direktion  der  Einnahmen 
und  Ausgaben  der  kaiserlichen  Privatkasse  und  aller  dahin  ein- 
schlagenden Geschäfte.     H. 

')  Frau  von  Diwow,  geborene  Gräfin  Buturlin,  ist  die  nämliche, 
die  in  der  neuesten  Zeit  verschiedene  Jahre  lang  mit  ihrem  Gemahl 
und  Sohne  in  Deutschland  und  Frankreich  zugebracht  hat.  Ihre 
Mutter  war  im  Anfange  des  Jahres  1754 —  eine  große  Freundin  der 
Großfürstin  Katharina.    H. 


364  SS-  Michelson. 


88.  Michelson. 

Michelson  war,  wie  man  sagt,  der  Sohn  eines  Tisch- 
lers auf  der  Insel  Oesel. 

Er  nahm  Kriegsdienste,  wurde  durch  seine  Lands- 
leute unterstützt  und  durch  diese  sehr  bald  Offi- 
zier. Von  jeher  zeichnete  er  sich  durch  militärische 
Klugheit  und  persönhche  Tapferkeit  aus.  Hierzu 
kam  seine  schöne  Gestalt,  die  ihm  die  höchsten 
Gunstbezeugungen  verschaffte,  und  so  wurde  es  ihm 
leicht,  sehr  bald  ansehnliche  Stellen  in  der  Armee  zu 
bekleiden. 

Schon  im  ersten  Türkenkriege  gab  er  Beweise  seiner 
kriegerischen  Talente  und  wurde  dafür  Oberster. 

Aber  ungleich  mehr  Ruhm  erwarb  er  sich  während 
der  Rebellion  des  berüchtigten  Pugatschew.^)  In  dem 
Augenblick,  als  dieser  Rebelle  Kasan  belagerte,  eilte 
Michelson  der  bedrängten  Stadt  zu  Hilfe.  Aber  Pugat- 
schew  fand  nicht  ratsam,  ihn  zu  erwarten.  Er  hob  die 
Belagerung  auf  und  wollte  entfliehen.  Michelson  ver- 
folgte ihn,  erreichte  ihn  nach  einigen  Tagen  und  schlug 
das  Korps  der  Aufrührer  vollkommen.  Pugatschew 
entkam  mit  Mühe  an  der  Spitze  einiger  hundert  seiner 
bravsten  Anhänger.  Kurze  Zeit  nachher  schnitt  Mi- 
chelson der  Armee  der  Rebellen  eine  große  Zufuhr 
Proviant  ab  und  griff  sie  alsdann  an.  Sie  waren  von 
Müdigkeit,  Hunger  und  Kleinmütigkeit  entkräftet,  es 
mußte  also  eine  große  Menge  von  ihnen  auf  dem  Platze 
bleiben.      Pugatschew    selbst    entkam    wieder    und 

^)  Der  Rebell  Pugatschew  erhielt  seine  Strafe  in  Moskau  am 
24.  Januar  1774.  Der  Kosak  Jemeljan  Pugatschew,  der  sich  für 
den  Zaren  Peter  III.  ausgab,  war  ebensoviel  Räuber  wie  Rebell, 
der  es  vornehmlich  auf  Abschaffung  der  Leibeigenschaft  abgesehen 
hatte.     H. 


8g.  Peter  Sawadowsky.  365 

schwamm,  wie  das  erste  Mal,  durch  die  Wolga.  Bald 
nachher  wurde  er  gefangen.^) 

In  dem  Kriege,  den  Rußland  am  Schlüsse  der  acht- 
ziger und  am  Anfange  der  neunziger  Jahre  gegen 
Schweden  führte,  hatte  Michelson,  der  ein  Korps  in 
Finnland  kommandierte,  wenig  Gelegenheit,  sich  zu 
zeigen.  So  oft  er  sie  aber  hatte,  benutzte  er  sie  sehr 
sorgfältig  und  glücklich. 

Er  wurde  von  der  großmütigen  Kaiserin  jetzt 
ebenso,  wie  nach  dem  Türkenkriege  und  nach  der 
Bezwingung  des  RebeUen  Pugatschew,  sehr  reichhch 
belohnt. 

Selbst  in  seinem  hohen  Alter  verheß  ihn  sein  Mut 
nicht.  Er  führte  noch  im  Jahre  1807  die  russische  Ar- 
mee an,  die  gegen  die  Osmanen  bestimmt  war.  Aber 
Michelson  starb  auf  diesem  Feldzuge  im  neunund- 
siebzigsten Jahre  seines  Alters.  Sein  Leichnam  wurde 
in  Bukarest  beigesetzt. 

Michelson  war  General  en  Chef  und  Ritter  der  vor- 
nehmsten russischen  Orden.  ^) 


89.  Peter  Sawadowsky. 

Peter  Sawadowsky  war  der  Sohn  eines  russischen 
Geisthchen  aus  der  Ukraine. 

Durch  die  Sorgfalt  seines  Vaters  erhielt  er  in  seiner 
frühesten  Jugend  einigen  Unterricht,  besonders  in  der 
lateinischen  Sprache,  in  der  Geschichte  und  Philoso- 
phie. 

^)  über  den  Anteil  Michclsons  an  der  Niederlage  Pugatschews 
siehe  ,, Zuverlässige  Nachrichten  von  dem  Aufrührer  Jemeljan 
Pugatschew  und  der  von  demselben  angestifteten  Empörimg." 
Halle  a.  S.  1784  bei  Bilbassow  I,  S.  384  Nr.  446. 


366  8g.  Peter  Sawadowsky . 

Sein  Vater  brachte  ihn  nach  Petersburg  in  das  Haus 
seines  Landsmannes,  des  Generalfeldmarschalls  Grafen 
Rasumowsky.  Hier  war  auch  der  junge  Besborodko, 
mit  dem  Peter  Sawadowsky  eine  Freundschaft  knüpfte, 
die  beide  ihr  ganzes  Leben  hindurch  unterhalten  haben. 
In  dem  Hause  dieses  Bojars  waren  diese  beiden  jungen 
Ukrainer  nichts  weiter,  als  Bediente.  Er  ließ  sie  im 
Schreiben  unterrichten  und  empfahl  sie  dem  General- 
feldmarschall Grafen  Rumjanzow,  der  sie  anzustellen 
versprach. 

Sawadowsky  kam  anfängUch  in  Militärdienste  und 
zeichnete  sich  im  Türkenkriege  so  gut  aus,  daß  er  so- 
gar den  Georg-Orden  erhielt ;  dann  ging  er  aber  in  die 
Kanzlei  des  Generalfeldmarschalls  Grafen 'Rumjan- 
zow und  rückte  daselbst,  was  in  Rußland  damals  sehr 
leicht  war,  im  Militäretat  bald  in  den  Rang  eines 
Oberstleutnants. 

■  '  Als  die  Kaiserin  im  Jahre  1775  nach  Moskau  kam, 
war  Sawadowsky  noch  in  der  Kanzlei  des  Grafen  Rum- 
janzow. Die  Monarchin  bat  den  Feldmarschall,  ihr  doch 
einige  Männer  vorzuschlagen,  die  sie  als  Kabinetts- 
sekretäre brauchen  könnte.  Rumjanzow  empfahl  ihr 
hierauf  die  Herren  von  Sawadowsky  und  von  Bes- 
borodko. Mit  beiden  war  er  außerordenthch  zufrieden. 
Auch  sie  zeigten  beide  viel  Anhänglichkeit  an  ihn  und 
nur  der  Befehl  der  Kaiserin,  und  der  Umstand,  daß  sie 
ihrem  Glück  entgegengingen,  konnte  sie  bewegen,  ihn 
zu  verlassen. 

Sawadowsky  stand,  gleich  vom  ersten  Augenblick 
an,  in  größerem  Ansehen  als  Besborodko  und  man  be- 
merkte, daß  die  Monarchin  ihn  mit  besonderer  Gunst 
beehrte.  Doch  benahm  sie  sich  dabei  mit  großer  Vor- 
sichtigkeit. Sawadowsky  und  Besborodko  erhielten 
immer  ihre  Belohnungen,  ihre  Ehrenstellen  und  ihre 


8g.  Peter  Sawadowsky.  367 

Geschenke  zusammen,  keiner  eher  und  keiner  mehr, 
als  der  andere.  Diese  Behutsamkeit  war  notwendig, 
um  nicht  den  gewaltigen  und  um  sich  greifenden  Po- 
temkin  zu  beleidigen.  Erst  als  dieser  selbst  den  Ent- 
schluß faßte,  seine  Rolle  abgeben  zu  wollen,  erschien 
Sawadowsky  als  erklärter  Günstling  der  Monarchin. 

Diese  Veränderung,  die  im  Monat  November  1764 
geschah,  wurde  dem  Hofe  durch  den  Umstand  bekannt, 
daß  Sawadowsky  im  Palais  die  bisher  von  Potemkin 
bewohnten  Zimmer  bezog.  Damals  war  der  neue  Lieb- 
hng  zwar  immer  noch  Kabinettssekretär,  hatte  aber 
den  Rang  eines  Generalmajors.  Er  hatte  nicht  Talente 
genug,  sich  lange  zu  erhalten  und  gab  selbst  Gelegen- 
heit zu  seinem  Fall,  der  vielleicht  durch  die  Gnade  der 
Kaiserin  und  seine  eigene  Gutmütigkeit  noch  hätte 
können  aufgeschoben  werden.  Er  wollte  nämlich,  als 
ein  Anhänger  der  Orlows  und  des  Grafen  Rumjanzow, 
den  Fürsten  Potemkin  stürzen,  der  ihm  aber  an  Macht 
und  an  Verstand  überlegen  war,  und  ihn  durch  seinen 
schon  damals  alles  zermalmenden  Despotismus  im  Juli 
1777  schnell  vom  Hofe  auf  Urlaub  deswegen  entfernte, 
weil  er  ihn  als  Instrument  anderer  fürchtete. 

Sawadowsky  kam  jedoch  bald  wieder  an  den  Hof, 
und  da  er  für  einen  gelehrten  Mann  galt,  so  wurde  er 
bald  in  Geschäften  angestellt.  Potemkin,  der  über- 
haupt nicht  rachsüchtig  war,  hinderte  dies  nicht.  Ka- 
tharina II.  war  darüber  desto  mehr  erfreut,  da  sie 
wirklich  ein  sehr  großes  Vertrauen  in  Sawadowsky 
setzte.  Es  war  einmal  eine  Zeit  in  den  achtziger  Jahren, 
da  dieser  Mann,  auf  Eingeben  seiner  besser  unterrich- 
teten Freunde,  im  Konseil  es  allein  wagen  durfte,  der 
Kaiserin  wegen  ihrer  Anordnungen  Vorstellungen  zu 
machen.  Sie  nahm  von  ihm  alles  an  und  zeigte  ihm  oft 
dafür  ihre  Dankbarkeit.  Auch  kann  man  denken,  wie 


368  8g.  Peter  Sawadowsky. 

hoch  sie  ihn  nach  und  nach  im  Range  steigen  Heß,  da, 
wie  wir  eben  gesehen  haben,  er  in  den  achtziger  Jahren 
Mitghed  des  hohen  Konseils  der  Monarchin  war.  In- 
dessen Wieb  sein  Einfluß  nicht  immer  der  nämliche, 
und  wenn  das  Ansehen  seiner  Freunde  Woronzow  und 
Besborodko  fiel,  so  sank  das  seinige  gemeiniglich  auch. 
Doch  war  er  nach  Potemkin  der  einzige  von  allen 
Günstlingen  dieser  Fürstin,  der,  auch  nach  seiner  Ent- 
fernung aus  dem  Palais  der  Monarchin,  in  der  Residenz 
blieb,  den  Hof  immer  besuchte  und  selbst  in  wichtigen 
Geschäften  angestellt  wurde.  In  dieser  Kategorie  blieb 
er  bis  an  den  Tod  der  Monarchin  und  wurde  mit  Gna- 
denbezeigungen, Ehrenstellen  und  Geschenken  über- 
häuft. 

Paul  I.  setzte  die  freundschaftlichen  Gesinnungen 
seiner  Mutter  gegen  Sawadowsky  fort,  bestätigte  ihn 
in  allen  seinen  Würden  und  erteilte  ihm  ebenfalls 
Gnadenbezeigungen. 

Alexander  I.  folgte  dem  Beispiele  seiner  Durch- 
lauchtigsten Vorfahren  und  wahrscheinlich  lebt  Sawa- 
dowsky noch  an  dem  Hofe  dieses  Prinzen,  mit  dessen 
Vertrauen  und  Gnade  beehrt. 

Im  Jahre  1799  war  er  Graf,  Wirklicher  Geheimer 
Rat,  Senator,  Direktor  und  Chef  der  Bank,  Ritter  des 
Andreas-,  Alexander-Newsky-,  Weißen  Adler-  und 
Stanislaus-Ordens,  Kommandeur  der  ersten  Klasse  des 
Wladimir-Ordens  und  Ritter  der  vierten  Klasse  des 
militärischen  Georg-Ordens. 

Sawadowsky  war  ein  Mann,  der  eben  keinen  glän- 
zenden, aber  doch  einen  sehr  gesunden  Menschenver- 
stand und  dabei  die  gute  Eigenschaft  hatte,  daß  er 
nicht  klüger  zu  sein  glaubte,  als  er  wirklich  war.  Er 
besaß  eine  große  Stärke  im  russischen  Stil  und  mußte 
daher  die  captieusen  Manifeste  und  Ukase  verferti- 


Kaiser  Alexander  I. 
Gemälde  von  C.  Vemet 


8g.  Peter  Sawadowsky.  369 

gen.  Einige  Kenntnisse,  die  er  hatte,  und  die  lateinische 
Sprache  gaben  ihm  den  Ruf  eines  Gelehrten.  Daher  er- 
hielt er  auch,  in  Gemeinschaft  mit  dem  großen  und 
verehrungswürdigen  Äpinus,  die  Generaldirektion  bei 
der  Einrichtung  der  Normalschulen.  Er  war  übrigens 
ein  anspruchsloser,  gleichmütiger  und  ruhiger  Mann. 
—  In  den  neunziger  Jahren  warf  man  ihm  vor,  daß  er 
die  Freuden  der  Tafel  zu  sehr  liebe  und  daher  für  die 
Geschäfte  weniger  tauglich  sei. 

In  seiner  Jugend  war  er  ein  schöner  Mann  gewesen, 
und  seine  Augen  zeigten  noch  bei  herannahendem 
Alter  viel  Lebhaftigkeit  und  Freundlichkeit. 

Als  Günsthng  hatte  er  nicht  Zeit  gehabt,  große 
Reichtümer  zu  sammeln,  auch  hatte  es  ihm  wohl  an 
der  Art,  sie  zu  fordern,  gefehlt,  aber  in  der  Folge  hatte 
man  ihm  die  Gelegenheit  und  den  Unterricht  dazu  ge- 
geben. 

Nach  dem,  was  man  nur  weiß,  bekam  er,  bei  seiner 
Entfernung  aus  dem  Pa'ais,  achtzigtausend  Rubel 
bares  Geld,  zweitausend  Bauern  in  Polen  und  fünf- 
tausend Rubel  Pension.  Nachher  erhielt  er,  so  viel  be- 
kannt ist,  sechstausend  Bauern  in  der  Ukraine  und 
achtzehnhundert  Bauern  in  Rußland.  Ferner  gab  man 
ihm  ein  silbernes  Tafelservice  für  achtzigtausend  Ru- 
bel, weil  ein  anderes  für  fünfzigtausend  Rubel  ihm  nicht 
gut  genug  war.^)  Wir  können  ihm  nicht  alles  genau 
nachrechnen,  aber  am  Ende  des  letzten  Jahrhunderts 
behauptete  man,  daß  er  über  hunderttausend  Rubel 
Einkünfte  habe. 

Von  seiner  Gemahlin,  einer  Gräfin  Apraxin,  die  eine 
sehr  schöne  Frau  war,  hatte  er  Kinder. 

^)  Dieses  erhielt  der  kaiserliche  Generaladjutant  Graf  von  Anhalt. 


Russische  Günstlinge.  24 


370  po-  Alexander  Besborodko  I. 

90.  Alexander  Besborodko  I. 

Wenn  man  die  großen  Talente  des  Mannes  kennt, 
von  dessen  Leben  wir  hier  einen  kurzen  Entwurf  lie- 
fern, so  söhnt  man  sich  mit  einer  Fürstin  aus,  die 
während  ihrer  langen  Regierung  eine  Menge  Empor- 
kömmlinge in  die  ansehnlichsten  Stellen  der  Staats- 
verwaltung, an  die  Spitze  ihrer  Heere,  an  ihrem  Hof- 
lager und  kurz,  in  der  Nähe  und  in  der  Ferne  ihrer  ge- 
heiligten Person,  auf  alle  Stufen  des  Throns  von  unten 
bis  oben  herauf  erhoben  hat  und  so  unglücklich  ge- 
wesen ist,  fast  immer  Mißgriffe  zu  tun.  Aber  wir  wür- 
den den  Tribut  der  Bewunderung,  die  wir  diesem  Mann 
zollen,  noch  vergrößern,  wenn  er  mehr  Fleiß  auf  die 
Unterhaltung  seiner  Geistesfähigkeiten  gewendet  hätte. 

Ob  Alexander  Besborodko  der  Sohn  eines  geringen 
Edelmannes  in  der  Ukraine,  oder,  wie  andre  wollen, 
eines  Landmanns  aus  dieser  Provinz,  der  einen  Handel 
mit  dortigen  Hornviehherden  trieb,  gewesen  sei, 
müssen  wir  unentschieden  lassen. 

Er  erhielt  anfänglich  eine  ganz  gewöhnHche  Schul- 
erziehung, wurde  aber  in  noch  sehr  jungen  Jahren 
nach  Petersburg  in  das  Haus  des  Generalfeldmar- 
schalls Grafen  Rasumowsky  gebracht.  Hier  fand  er 
den  jungen  Sawadowsky,  mit  dem  er  von  diesem 
Augenbhck  an  immer  vereinigt  blieb.  Sie  waren  in 
ihren  freundschaftlichen  Gefühlen  ebenso  überein- 
stimmend, als  in  ihren  Fähigkeiten  verschieden.  Bes- 
borodko lernte  durch  die  Güte  des  Feldmarschalls 
Wissenschaften  und  Sprachen  und  brachte  es  in  man- 
chen Tei  en  zu  einiger  Vollkommenheit. 

Der  Graf  Kyrilla  Rasumowsky  empfahl  ihn  und  Sa- 
wadowsky dem  Generalfeldmarschall  Grafen  Rumjan- 
zow,  der  sie  beide  in  seiner  Kanzlei  anstellte  und  be- 


go.  Alexander  Beshorodko  I.  371 

sonders  Besborodko  bei  wichtigen  Geschäften  und 
Ausarbeitungen  mit  großem  Nutzen  brauchte.  Hier, 
wo  Besborodko  schon  ansehnliche  Einkünfte  hatte, 
wendete  er  einen  Teil  derselben  und  die  Zeit,  welche 
ihm  seine  Geschäfte  übrigließen,'  dazu  an,  seine  Kennt- 
nisse in  einheimischen  und  ausländischen  Angelegen- 
heiten außerordentlich  zu  vermehren.  Auch  in  den 
schönen  Wissenschaften,  besonders  in  der  französi- 
schen und  deutschen  Literatur,  machte  er  damals  noch 
wichtige  Fortschritte.  Er  lernte  beide  Sprachen  voll- 
kommen richtig  sprechen. 

Auf  diese  Art  hatte  Rumjanzow  Recht,  ihn  der  Kai- 
serin, die  eben  im  Jahre  1775  zwei  Kabinettssekretäre 
brauchte,  zu  empfehlen.  Besborodko  machte  sich  in 
dieser  Stelle  durch  seine  große  Geschicklichkeit  der 
Monarchin  unentbehrlich.  Sie  konnte  sich  gar  nicht 
von  seiner  Arbeit  trennen;  noch  im  Jahre  1781  war  er 
Kabinettssekretär.  Keiner  der  Staatsminister  konnte 
ihr,  selbst  in  den  schwierigsten  Fällen  und  in  welchem 
Teile  der  Staatsverwaltung  es  auch  sein  mochte,  einen 
so  faßlichen  Bericht  machen,  als  Besborodko.  Eines 
seiner  vorzüglichsten  Talente  war  seine  Fertigkeit  im 
russischen  Stil.  Wenn  die  Kaiserin  ihm  den  Befehl  gab, 
einen  Ukas,  einen  Brief  oder  dergleichen  aufzusetzen: 
so  ging  er  ins  Vorzimmer  und  nach  physisch  möglicher 
Kürze  der  Zeit  berechnet,  kam  er  wieder  und  brachte 
ihr  den  Aufsatz,  mit  einer  Präzision,  mit  einer  Eleganz 
geschrieben,  die  schlechterdings  nichts  zu  wünschen 
übrigließen. 

Er  wurde  im  Jahre  1781  Generalmajor,  das  hieß  da- 
mals in  Rußland :  er  bekam  im  Zivildienste  den  Rang 
eines  Generalmajors  und  wurde  im  Konseil  aufgenom- 
men. Aber  von  dieser  Zeit  an  hörte  sein  Fleiß  auf.  Zwar 
wurde  er,   mehr  als  bisher,   in  den  allerwichtigsten 

24* 


^y2  90.  Alexander  Besborodko  1. 

Staatsgeschäften  gebraucht  und  nichts  ohne  ihn  getan, 
aber  man  brachte  ihn  nicht  leicht  dazu,  so  wie  sonst, 
jetzt  aber  in  noch  wichtigern  Angelegenheiten  ausführ- 
liche Ministerialarbeiten  zu  übernehmen.  Alles,  was 
von  der  Art  war,  ließ  er  liegen  und  aus  Bequemlichkeit 
antwortete  er  oft  nicht  einmal  auf  Briefe,  die  Prinzen 
aus  souveränen  Häusern  an  ihn  schrieben.  Seine  Rat- 
schläge, die  er  mit  Liberalität  erteilte,  waren  das  ein- 
zige, was  man  von  ihm  erlangen  konnte.  Besser  hätte 
die  Kaiserin  getan,  wenn  sie  in  allen  ihren  Handlungen 
sich  immer  hätte  von  Besborodko,  der  gewiß  im  ganzen 
Konseil,  nächst  dem  Grafen  Alexander  Woronzow,  der 
Klügste  und  Unterrichteste  war,  leiten  lassen. 

Aber  an  keinem  Hofe  wechselte  die  Oberhand  der 
Parteien  so  oft  ab  als  unter  der  damaligen  Regierung 
in  Rußland.  Ein  Günstling,  ein  Exliebling  und  der- 
gleichen machten  oft  am  politischen  Himmel  Regen 
und  Sonnenschein  und  bestimmten,  wer  in  der  Gunst 
der  Kaiserin  steigen  oder  faUen  sollte. 

Besborodko  erfuhr  das  nämliche  Schicksal. 

Woronzow,  Sawadowsky  und  er  hielten  immer  zu- 
sammen. Wenn  sie  sich  aber  im  Ansehn  bei  der  Kai- 
serin zu  schwach  fühlten,  dann  hielten  sie  es,  wenn  es 
mit  Anstand  geschehen  konnte,  mit  den  weiblichen 
Individuen  des  Hofs,  mit  Wjasemsky,  mit  Potemkin, 
mit  den  jedesmahgen  Günstlingen,  mit  dem  Thron- 
folger, je  nachdem  es  nötig  war. 

Durch  Subows  Organ  siegte  endlich  Markows  hä- 
mische Eitelkeit  und  Habsucht  über  diese  drei  Männer. 
Woronzow  wurde  entfernt,  Sawadowsky  geduldet,  und 
Besborodko  verdrängt.  Da  die  Kaiserin  mit  dem  be- 
schränkten Grafen  Ostermann  schlechterdings  nicht  zu- 
stande kommen  konnte,  so  hatte  Besborodko,  als 
zweites  Mitglied  des  ausländischen  Departements,  das 


po.  Alexander  Beshorodko  I.  373 

Portefeuille  dieser  Angelegenheiten  übernommen.  Su- 
bow  und  Markow  sahen  es  ungern  in  dessen  Händen, 
hatten  aber  doch  keinen  schicklichen  Vorwand,  es  ihm 
zu  nehmen.  Besborodko  selbst  gab  ihnen  denselben. 

Nach  dem  Tode  des  Fürsten  Potemkin,  der  immer 
den  Türkenkrieg  zu  verlängern  suchte,  sollte,  nach  dem 
Willen  der  Kaiserin,  schlechterdings  Friede  gemacht 
werden.  Die  Schwierigkeit  war  nun,  einen  Mann  zu 
finden,  der  das  Friedensgeschäft  übernehmen  konnte. 
Besborodko  bemerkte  dies,  und  teils  aus  Gutmütigkeit 
und  anhänglichem  Eifer  für  den  Ruhm  der  Kaiserin, 
teils  auch  aus  Eitelkeit,  dem  Reiche  den  Frieden  geben 
zu  wollen,  bot  er  der  Monarchin  seine  Bereitwilligkeit 
an,  die  Leitung  der  Unterhandlungen  nach  ihren  Be- 
fehlen zu  übernehmen.  Um  aber  dabei  des  glücklichen 
Erfolgs  seines  Antrags  gewiß  zu  sein,  schlug  er  vor,  daß 
während  seiner  Abwesenheit  Subow  das  Portefeuille 
der  auswärtigen  Angelegenheiten  übernehmen  möchte. 
Dies  hatte  man  nur  gewünscht  und  der  Vorschlag 
wurde,  nachdem  ihn  die  Kaiserin  mit  Subow  und  durch 
diesen  mit  Markow  überlegt  hatte,  angenommen. 

Besborodko  erhielt  nun  Befehl,  den  Frieden  um  je- 
den Preis  zu  schließen,  weil  die  Kassen  zu  sehr  er- 
schöpft wären,  imi  den  Krieg  fortsetzen  zu  können. 
Dabei  sollte  er  aber  doch  den  ängstlichen  Wunsch  des 
Friedens  künstlich  verbergen,  die  Osmanen  mit  ge- 
bührender Arroganz  behandeln  und  beiher  Züge,  von 
Großmut  ausgehen  lassen.  Dieser  Unterhändler  reiste 
nun  ab,  verbreitete,  wo  er  hinkam,  den  Luxus  eines 
regierenden,  orientalischen  Sybariten  und  schloß  den 
Frieden,  so  wie  wir  ihn  alle  kennen.  Ehe  es  aber  noch 
dazu  kam,  sagte  er  den  türkischen  Kommissaren,  ganz 
am  Ende  der  Unterhandlung:  er  habe  noch  eine  Be- 
dingung, ohne  die  er  schlechterdings  den  Frieden  nicht 


374  PO-  Alexander  Beshorodko  I. 

unterzeichnen  könne.  Man  erschrak,  verlangte  sie  zu 
wissen,  und  wollte  sich  der  Verzweiflung  übergeben, 
als  man  erfuhr,  daß  Besborodko,  im  Namen  seiner 
Monarchin,  eine  ganz  ungeheure  Summe  Geldes,  zwölf 
Millionen  Piaster,  verlangte  und  zugleich  erklärte,  daß 
ohne  die  Erfüllung  dieser  Bedingung  die  Feindsehg- 
keiten  sogleich  wieder  anfangen  sollten.  Die  Türken 
waren  in  einer  fürchterlichen  Lage.  Frieden  sollten  und 
mußten  sie  machen,  aber  das  Geld  aufzutreiben,  war 
eine  Unmöglichkeit.  Anfänglich  widersetzten  sie  sich 
und  behaupteten,  daß  auf  diese  Art  der  Krieg  fortge- 
setzt werden  müsse.  Besborodko  wäre  in  einer  schreck- 
hchen  Verlegenheit  gewesen,  wenn  man  ihn  beim  Wort 
gefaßt  hätte.  Doch  zum  Glück  geschah  dies  nicht.  Im 
Gegenteil  fingen  die  Kommissare  an,  zu  handeln,  nicht 
an  der  Summe,  denn  von  dieser  wurde  nichts  ab- 
gelassen, sondern  an  der  Zeit,  und  Besborodko  ließ 
sich  ihre  Versicherung  gefallen,  die  Schuld  in  kurz 
aufeinander  folgenden  Terminen  zu  zahlen.  Die  Os- 
manen  setzten  nun  die  Schuldverschreibung  auf  und 
brachten  sie  dem  Russen.  Sobald  er  sie  in  seinen  Hän- 
den und  gelesen  hatte,  zerriß  er  sie,  warf  sie  auf  die 
Erde  und  sagte  mit  Stolz  und  Verachtung:  ,, Meine 
Monarchin  braucht  Euer  Geld  nicht." 

Dieser  Zug  gefiel  Katharina  außerordentlich  und 
vermehrte  wahrscheinhch  die  Belohnungen,  die  Bes- 
borodko erhielt  und  die  außerordenthch  waren ;  er  be- 
kam nämhch  ein  sehr  beträchtliches  Landgut,  eine 
im  ganzen  Reiche  bekanntgemachte  Belobungsschrift 
und  einen  großen  und  kostbaren  Ölzweig  von  Bril- 
lanten. 

Übrigens  aber  hatte  er  bei  seiner  Zurückkunft  eine 
sehr  empfindliche  Kränkung,  als  die  Kaiserin  ihm 
sagte,  daß  Subow  das  Portefeuille  des  ausländischen 


go.  Alexander  Besborodko  I.  375 

Departements  behalten  würde.  Besborodko  sah  nun 
mit  Schmerzen,  daß  sein  ganzes  Ansehen  gefallen  war, 
und  zog  sich  mit  Würde  zurück.  Er  lebte  in  Petersburg 
in  den  Armen  der  Wollust  aller  Art,  besorgte  seine 
übrigen  Geschäfte  mit  Leichtigkeit  im  ausgedehnten 
Sinne  des  Wortes  und  reiste  zuweilen  nach  Moskau, 
um  seine  alten  Freunde,  die  Mißvergnügten  mit  der 
Regierung,  zu  besuchen.  Übrigens  schloß  er  sich  fest 
an  den  Thronfolger  an  und  die  Folge  bewies,  daß  er 
sehr  weise  gehandelt  hatte.  Besborodko  war  auch  der 
erste,  der  diesen  Prinzen  von  dem  tödlichen  Zustand 
seiner  Mutter  unterrichtete. 

Als  Katharina  starb,  war  er  deutscher  Reichsgraf, 
Wirklicher  Geheimer  Rat,  Mitghed  des  hohen  Konseils, 
Oberhofmeister  des  Kaiserhchen  Hofstaats,  General- 
postdirektor und  Ritter  der  russischen  Orden.  Die 
Einrichtung  seines  Hauswesens  war  fürstlich  und  seine 
Einkünfte  beliefen  sich  weit  über  hunderttausend 
Rubel. 

Paul  I.  belohnte  die  treue  Anhänglichkeit,  die  Bes- 
borodko ihm  gezeigt  hatte,  mit  dem  uneingeschränkten 
Vertrauen.  Graf  Besborodko  hingegen  wankte  nie  in 
seiner  Treue  gegen  seinen  Herrn  und  gab  ihm  immer 
die  weisesten  Ratschläge.  Die  Befolgung  derselben  war 
in  dem  Leben  des  Kaisers  sehr  merklich.  Die  größten 
Bizarrerien  in  Pauls  Regierung  fallen  erst  in  die  Zeit 
nach  Besborodkos  Tode.  Dieser  Minister,  um  sich  im- 
mer im  Ansehen  bei  dem  Monarchen  zu  erhalten,  hatte 
sich  mit  Kutaizow,  dem  Kammerdiener  des  Kaisers, 
der  alles  über  seinen  Herrn  vermochte,  verbunden. 
Dieser  Mensch  überzeugt,  daß  er  von  einem  klügern 
Manne,  als  er  war,  geführt  würde,  sprach  und^tat 
nichts,  als  was  dieser  ihm  gebot. 

Übrigens  zeigte  Besborodko  unter  dieser  Regierung, 


376 


go.  Alexander  Beshorodko  I. 


daß  er  ein  wahrer  Hofmann  war.  Seine  Gefälligkeit, 
den  Launen  seines  Monarchen  zu  schmeicheln,  ging 
bis  zur  Übertreibung. 

Als  Paul  I.  zur  Krönung  in  Moskau  war,  wohnte  er 
in  dem  Palast  Besborodkos,  dem  weitläufigsten  und 
prächtigsten  in  ganz  Moskau.  Eines  Tages  stand  er  mit 
dem  Kaiser  am  Fenster  eines  Zimmers,  aus  welchem 
man  den  kostbaren  Garten  übersehen  konnte.  Der  Mon- 
arch, der  alles  in  militärischer  Hinsicht  betrachtete, 
meinte,  daß  das  ein  schöner  Exerzierplatz  sein  könnte. 
Dies  war  nur  so  ohne  Beziehung  und  ohne  Wunsch  ge- 
sprochen; als  aber  der  Kaiser  früh  erwachte  und  ans 
Fenster  ging,  fand  er  den  Garten  in  einen  Exerzierplatz 
verwandelt.  Besborodko  hatte  in  der  Nacht  durch  Sol- 
daten Bäume  und  Sträucher  glatt  von  der  Erde  weg- 
hauen lassen. 

Solche  Gefälligkeiten  verdienten  auch  große  Be- 
lohnungen, und  wir  werden  sehen,  daß  sie  ihm  Paul  I. 
in  Menge  erteilte. 

Aber  Besborodko  genoß  sein  großes  Glück  nicht 
lange;  eine  Wassersucht,  die  Folge  seiner  Ausschwei- 
fungen, endigte  sein  Leben  im  April  1799,  in  einem 
Alter  von  fünfzig  und  einigen  Jahren. 

Er  war  damals  russischer  Reichsfürst,  mit  dem  Prä- 
dikat: Durchlauchtigst,  trug  das  Porträt  des  Kaisers 
Paul  L,  hatte  Generalfeldmarschalls-Rang,  war  Groß- 
kanzler des  Reichs,  Wirklicher  Geheimer  Rat,  Senator, 
Generalpostdirektor  im  ganzen  russischen  Reiche, 
Ritter  des  Andreas-,  Alexander-Newsky-  und  Annen- 
Ordens,  Großkreuz  (eine  sonderbare  Zusammenstel- 
lung), Großkreuz  des  Maltheser  St.  Johannis-Ordens 
von  Jerusalem,  russischer  Kreation  und  Großkreuz  des 
Wladimir-Ordens  erster  Klasse. 

Ein  sehr  aufgeklärter  Verstand,  eine  nie  trügende 


-^ 


Fürst  Alexander  Besborodko 


go.  Alexander  Besborodko  I.  377 

Beurteilungskraft  und  eine  seltene  Gegenwart  des 
Geistes  erhoben  den  Fürsten  Besborodko  zum  Genie. 
Seine  Sprachkenntnisse,  seine  Fertigkeit  im  Arbeiten, 
und  seine  Einsichten  in  der  Politik,  waren  wenigstens 
auf  dem  Schauplatze,  auf  welchem  er  stand,  unüber- 
treffbar.  Die  schönen  Züge  in  seinem  Charakter  waren 
Gutmütigkeit,  die  keine  Unversöhnlichkeit  kannte,  und 
Dankbarkeit,  für  manche  in  früher  Jugend  genossene 
Wohltat.  Nie  empfanden  Subow  und  Markow  seine 
Rache  und  nie  vergaß  er,  was  Rasumowsky  und  Rum- 
janzow  für  ihn  getan  hatten. 

Diese  Tugenden  würden  aber  in  der  weitläufigen  und 
erhabenen  Sphäre,  in  der  sich  Besborodko  befand,  noch 
viel  mehr  Gutes  haben  stiften  können,  wenn  sie  nicht 
so  oft  durch  seine  Fehler  wären  unwirksam  gemacht 
worden.  Er  war  in  jeder  Art  der  Wollust  versunken  und 
wenn  von  Arbeiten  die  Rede  war,  von  einer  Indolenz, 
von  der  man  wenig  Beispiele  hat.  Aus  diesen  beiden 
Fehlern  entsprang  ein  dritter,  der  ungleich  schädlicher 
war,  nämlich,  daß  er  sein  gegebenes  Wort  fast  nie  — 
hielt.  Er  gab  immer  die  besten  Versprechungen  und 
dachte  wohl  kaum  daran,  sie  zu  erfüllen,  weil  er  freilich 
auch  nicht  immer  imstande  war,  alles  zu  tun,  was  man 
von  ihm  verlangte.  Sein  Haus  wurde  nicht  leer  von 
Bittenden.  Oft  wollte  er  sie  nicht  ungetröstet  von  sich 
lassen,  zuweilen  aber  zog  er  sich  sehr  gut  aus  der  Ver- 
legenheit. Wenn  die  ganze  Straße  voll  Wagen  stand, 
die  Personen  gebracht  hatten,  welche  in  seinem  Vor- 
zimmer warteten,  dann  schlich  er  zu  Fuße,  in  einen 
Mantel  gehüllt,  zur  Hintertür  heraus  und  ließ  alle 
Bittenden  warten,  die  dann  endhch  selbst  fortgingen, 
wenn  sie  merkten,  daß  an  diesem  Tage  die  Sonne  nicht 
scheinen  würde.  In  seinen  früheren  Jahren  war  Besbo- 
rodko ein  sehr  schöner  Mann  gewesen  und  man  sagte. 


378 


gi.  Besborodko  II. 


daß  er  vielen  Frauen,  selbst  vom  höchsten  Range,  ge- 
fallen habe. 

Sein  Umgang  war  munter,  witzig  und  unterrichtend. 

Von  der  bekannten  Großmut  der  beiden  Regenten, 
denen  Besborodko  diente,  läßt  sich  erwarten,  daß  seine 
Reichtümer  unermeßlich  waren.  Bei  seinem  Tode  be- 
liefen sich  seine  Einkünfte  auf  weit  mehr,  als  zweimal 
hunderttausend  Rubel.  Er  hatte  neunundvierzigtau- 
send  Bauern.  Sein  Mobiliarvermögen,  ohne  die  Bilder- 
galerie, vielleicht  eine  der  stärksten  und  kostbarsten, 
die  jemals  ein  Privatmann  gehabt  hat  und  die  nicht 
leicht  zu  schätzen  war,  rechnete  man  auf  vier  Millionen 
Rubel.  Seine  meisten  Güter  hatte  er  in  der  Ukraine  und 
in  Polen,  aber  bei  weitem  seine  reizendsten  Besitzun- 
gen in  Petersburg  und  Moskau.  Das  Palais  in  Peters- 
biug  und  ein  andres  in  einem  auf  der  Wiburger  Seite 
liegenden  Garten  waren  in  ihrem  Innern  so  schön,  als 
man  nur  irgend  etwas  in  der  Art  sehen  konnte,  aber  sie 
waren  nur  eine  Kleinigkeit  gegen  den  Palast  in  Moskau, 
der  ein  wahres  Feenschloß  zu  sein  schien. 

Daß  Besborodko,  bei  seinen  großen  Reichtümern, 
eine  Million  Schulden  hinterlassen  konnte,  wird  jeder 
unglaublich  finden  und  doch  ist  es  buchstäblich  wahr.^) 


91.  Besborodko  II. 

Dieser  Besborodko  war  der  jüngere  Bruder  des 
Staatsministers.  Von  ihm  wissen  wir  nichts  zu  melden, 
als  daß  er  seine  Laufbahn  in  Kriegsdiensten  anfing, 
dieselben  aber  bald  verließ  und  Zivilstellen  bekam.  Er 

^)  Es  wird  dies  dadurch  erklärlich,  daß  Besborodko  ein  leiden- 
schaftlicher Spieler  gewesen  sein  soll. 


g2.  Lasarew.  379 

wurde  zugleich  mit  seinem  Bruder  von  dem  deutschen 
Kaiser  in  den  Grafenstand  erhoben. 

Im  Jahre  1799  war  er  Wirkhcher  Geheimer  Rat,  Se- 
nator im  dritten  Departement  und  Ritter  des  Alexan- 
der-Newsky-Ordens. 

Er  war  der  einzige  Erbe  der  Reichtümer  seines 
Bruders. 

So  viel  wir  wissen,  hat  er  sich  vermählt  und  sein  Ge- 
schlecht fortgepflanzt. 


92.  Lasarew. 

Lasarew,  ein  ganz  gemeiner  Armenischer  Kauf- 
mann, besaß  schon  einiges  Vermögen,  als  er  in  Peters- 
burg zu  handeln  anfing. 

Er  hatte  das  Glück,  daselbst  mit  Männern  im  Staate 
bekannt  zu  werden,  die  ihn  durch  die  Autorität  der 
Krone  in  seinem  Handel  unterstützen  konnten.  Diese 
waren  anfänglich  die  Orlows,  und  in  den  folgenden 
Zeiten  Potemkin,  Wjasemsky,^)  Alexander  Woronzow 
und  Besborodko.  Man  machte  mit  Lasarew  gemein- 
schaftliche Unternehmungen,  bei  denen  nur  zu  ge- 
winnen, nicht  aber  zu  verlieren  war.  So  übernahm  man 
die  Lieferung  des  Kupfergeldes  aus  Katharinenburg^) 
in  die  Hauptstädte  und  Provinzen  des  Reichs,  die  man 

^)  Knes  oder  Fürst  Wjasemsky  war  für  die  Fmanzen  gewiß 
einer  der  brauchbarsten  Männer,  die  Rußland  jemals  gehabt.  Panin 
sprach  immer  übel  von  ihm,  aber  er  hatte  Unrecht.  Wjasemsky 
war  für  die  Kaiserin  vielleicht  nützlicher  als  er.  Er  kannte  die 
Stärke  und  Schwäche  seines  Vaterlands  und  half  aus  allen  Verlegen- 
heiten.  Er  starb  in  den  neunziger  Jahren  in  großer  Geistesschwäche 
imd  war  nicht  so  reich,  als  man  glaubte.    H. 

^)  Katharinenburg,  von  Peter  I.  angelegt,  hat  die  beträchtlichste 
Kupfermünze.  Das  Pud  Kupfer,  das  der  Krone  nicht  fürf  Rubel 
kostet,  wird  zu  mehr  als  16  ausgeprägt.     H. 


380  92-  Lasarew. 

verzögerte,  das  Kupfer  anderwärts  mit  größerm  Vor- 
teil nutzte  und  dadurch  überall  Mangel  an  dieser  Münz- 
sorte verursachte;  ein  Umstand,  den  die  Kaiserin  nie 
erfuhr. 

Lasarew  war  es  auch,  der  den  großen  Diamant  nach 
Petersburg  kommen  ließ.  Er  stand  an  der  Spitze  dieser 
Unternehmung,  zog  aber  den  größten  Vorteil  davon, 
denn  er  machte  sich  die  Bedingung,  jährlich,  so  lange 
er  lebte,  viertausend  Rubel  Gnadengehalt  zu  bekom- 
men. Es  war  klug  von  ihm,  daß  er  diese  Bedingung 
aufstellte,  aber  es  war  auf  der  andern  Seite  sehr 
schwach,  daß  man  sie  zugestand. 

Durch  die  Unterstützung  seiner  Beschützer  in  Ruß- 
land wurde  er  Staatsrat  und  durch  die  des  Grafen 
Cobenzl,!)  Ambassadeur  des  Deutschen  Kaisers,  wurde 
er  deutscher  Reichsgraf. 

Er  starb  im  Jahre  1801  und  hinterließ  zwölf  Millio- 
nen Rubel. 

Man  rühmt  einige  guten  Eigenschaften  an  ihm.  Ein 
Denkmal  seiner  Wohltätigkeit,  oder  seiner  Pracht- 
liebe, war  die  Erbauung  der  Armenischen  Kirche 
in  der  Newskyschen  Perspektive  in  Petersburg,  die 
noch  jetzt  eine  Zierde  dieser  Residenz  ist. 

Er  hatte  einen  Sohn,  den  er  mit  großen  Geldauf- 
opferungen zu  der  Stelle  eines  Adjutanten  des  Fürsten 
Potemkin  brachte;  ein  Schritt,  durch  welchen  derselbe 
leicht  zu  großen  Ehrenstellen  gelangen  konnte.  Dieser 
Sohn  starb  in  den  neunziger  Jahren  an  den  Pocken. 
—  Wir  wissen  nicht,  wer  Lasarews  großes  Vermögen 
geerbt  hat. 

^)  Graf  Cobenzl  war  zuletzt  österreichischer  Staatsminister, 
verlor  aber  diese  Stelle  nach  der  Schlacht  bei  Austerlitz.  —  Ludwig 
Graf  Cobenzl  (1753 — 1809)  war  1779 — 1797  kaiserlicher  Gesandter 
in   Petersburg. 


9J.   Wassiljew.  38 1 


93.  Wassiljew. 

Das  Bewußtsein,  nie  gestrauchelt  zu  haben,  ist  die 
herrlichste,  sehgste  und  unvergänglichste  Beruhigung 
eines  hohen  Staatsbeamten. 

Wassiljew  war  von  dunkler  Herkunft,  aber  er  er- 
setzte diesen  unwillkürlichen  Mangel  durch  Geistes- 
gaben und  durch  Kenntnisse,  die  der  höchsten  Ge- 
burt würden  zur  Ehre  gereicht  haben.  Dieser  wirk- 
lich große  Mann  war  zwanzig  Jahre  lang,  nächst 
Wjasemsky,  die  Seele  der  russischen  Finanzen  und 
so  verwickelt  sie  auch  in  der  Regierung  Katha- 
rinas IL  waren,  so  verstand  er  es  doch,  die  Mittel 
zu  finden,  um  den  Willen  der  Souveräne  zu  befrie- 
digen, und  den  Bedürfnissen  des  Staats  Genüge  zu 
leisten,  ohne  die  Untertanen  übermäßig  zu  drücken. 
Was  außer  dem  eigenthchen  Finanzfache  zum  Nach- 
teil der  Finanzen  im  allgemeinen  am  Hofe,  in  der 
Armee  und  bei  der  Flotte  geschah,  konnte,  vermöge 
seines  engern  Wirkungskreises,  von  ihm  nicht  ver- 
hindert werden. 

Wassiljew  fing  seine  Laufbahn  in  der  Kanzlei  des 
Knes  Wjasemsky  an.  In  der  Schule  dieses  guten  Lehr- 
meisters, den  er  jedoch  endlich  übertraf,  erwarb  er  sich 
eine  Kenntnis  der  Stärke  und  Schwäche  des  russischen 
Reichs,  wie  sie  vor  ihm  noch  kein  Finanzminister  ge- 
habt hat. 

Was  den  Wert  der  vorzüglichen  Geistesgaben  noch 
erhöht,  war  sein  vortreffUcher,  wohltätiger  und  fester 
Charakter. 

Er  starb  im  Jahre  1807. 

Damals  war  Wassiljew  russischer  Graf,  WirkHcher 
Geheimer   Rat,    Senator,   Schatzmeister  des   Reichs, 


382  94-  Dubjansky.  —  g^.  Sorizsch. 

Generaldirektor  des  medizinischen  Kollegiums  und 
Ritter  des  Alexander-Newsky-,  des  Annen-  und  Wla- 
dimir-Ordens von  der  zweiten  Klasse. 


94.  Dubjansky. 

Dubjansky  war  ein  gemeiner  Mönch.  Seine  große 
Rechtschaffenheit  machte,  daß  er  von  jedermann  ge- 
schätzt wurde,  und  seine  unter  Leuten  seines  Schlages 
ungewöhnliche  Gelehrsamkeit  half  ihm  zu  der  wich- 
tigsten geisthchen  Stelle  im  Staate:  er  wurde  Beicht- 
vater der  Kaiserin  Katharina  IL  Hier  hatte  er  Ge- 
legenheit, große  Reichtümer  zu  sammeln. 

Er  hinterließ  einen  Sohn  und  eine  Tochter,  die  er 
nach  seinem  Beispiele  sehr  gut  erzog.  Der  Sohn  war 
in  den  neunziger  Jahren  Hauptmann  der  Garde  mit 
Oberstenrang,  die  Tochter  aber  Hoffräulein  der  Kai- 
serin Katharina  IL 


95.  Sorizsch. 

Sorizsch,  von  Geburt  ein  Edelmann,  aber  aus  einem 
Geschlechte,  das  bisher  ganz  ohne  Ansehen  gewesen 
war,  hatte  von  seiner  frühesten  Jugend  an  in  Mihtär- 
diensten  sich  ausgezeichnet  und  kam  nun  als  Husaren- 
major nach  Petersburg,  um  eine  vorteilhaftere  An- 
stellung zu  suchen.  Er  hatte  viel  Dreistigkeit,  ließ  sich 
durch  keinen  Schein  von  Möglichkeit,  eine  Fehlbitte 
tun  zu  können,  abschrecken  und  wendete  sich  daher 
sogleich  an  den  alles  vermögenden  Potemkin,  um  durch 
ihn  die  Beförderung  seines  Glücks  zu  erhalten.  Dieser 
tat  es  auch,  aber  gewiß  nicht  auf  dem  glänzenden  Wege, 


95-  Sorizsch.  383 

auf  welchem  Sorizsch  die  Verbesserung  seines  Schick- 
sals gesucht  hatte. 

Potemkin  war  eben  damals  mit  dem  Versuche  Sa- 
wadowskys,  anmaßend  werden  zu  wollen,  sehr  unzu- 
frieden und  suchte  einen  Mann,  den  er  in  dessen  Stelle 
bei  Hofe  anbringen  könnte.  Er  fand  ihn  zufälligerweise 
in  Sorizsch,  der  alle  für  den  bestimmten  Platz  erforder- 
lichen Eigenschaften  in  sich  vereinigte  und  ihm  weder 
durch  Verstand  und  Charakter,  noch  durch  Familien- 
verbindungen gefährlich  werden  konnte. 

Potemkin  erhob  ihn  zu  seinem  Adjutanten  und 
Oberstleutnant  und  stellte  ihn  in  einer  Husaren-Uni- 
form der  Kaiserin  vor. 

Er  gefiel. 

Noch  an  dem  nämlichen  Tage  bezog  er  die  Zimmer, 
die  Sawadowsky  eben  verlassen  hatte  und  wurde  zum 
Obersten  und  Flügeladjutanten  der  Monarchin  ernannt. 

Nun  ging  die  Sache  ihren  gewöhnlichen  Gang.  Ehren- 
stellen, Gnadenzeichen  und  Reichtümer  häuften  sich 
täglich.  Keiner  von  Katharinas  Günstlingen  hat  in 
einer  Zeit  von  elf  Monaten  (denn  so  lange  währte  nur 
seine  Gunst)  so  ungehemre  Gnadenbezeigungen  er- 
halten als  Sorizsch.  Er  erhielt  während  der  Zeit  als  er 
am  Hofe  war,  weit  über  fünfmalhunderttausend  Rubel 
bares  Geld,  worunter  zwanzigtausend  Rubel  zu  seiner 
ersten  Einrichtung,  achtzigtausend  zur  Einrichtung 
auf  seinen  Gütern,  zweihundertundvierzigtausend  zur 
Bezahlung  seiner  Schulden  und  alle  seine  Besoldungen 
waren.  Ferner  bekam  er  an  Besitzungen  und  andern 
Vorteilen:  fünfzehnhundert  Bauern;  desgleichen  für 
hundertundzwanzigtausend  Rubel  einige  Güter,  die 
man  vom  Grafen  ButurMn^)  in  Livland  kaufte,  und  da 

^)  Graf  Buturlin  ist  einer  der  .vitzigsten  und  unterrichtetsten 
Köpfe  in  Rußland.    Sein  großes  Vermögen  setzt  ihn  in  den  Stand, 


384  95-  Sorizsch. 

das  Geschenk  zu  unwichtig  schien,  so  fügte  die  Kaiserin 
aus  ihrer  Kasse  die  Einkünfte  dieser  Güter  von  zehn  | 

vergangenen  Jahren  hinzu ;  alsdann  eine  Konunanderie 
des  Maltheser-Ordens  in  Polen,  die  ungefähr  zehn- 
tausend Rubel  einbrachte,  und  endhch  die  ansehn- 
liche Stadt  und  Herrschaft  Schklow  in  Polen,  die  man 
vom  Fürsten  Adam  Czartorynski^)  für  vierhundertund- 
fünfzigtausend  Rubel  gekauft  hatte. 

Sein  Schatz  an  Diamanten  behef  sich  weit  über  zwei- 
hunderttausend Rubel.  Nur  allein  am  Krönungstage 
1777  bekam  er  Stern  und  Ordenszeichen  vom  Schwert- 
Orden,  Achselband,  Säbel  (denn  er  ging  immer  als  Hu- 
sar gekleidet).  Federstutz,  Ring,  Halsknopf  (die  man 
damals  trug,  wie  jetzt  die  Busennadeln),  und  Schuh- 
schnallen von  Brillanten.  —  Auch  seinem  Stolze  wurde 
geschmeichelt.  Er  übersprang  den  Grad  eines  Briga- 
diers und  wurde  Generalmajor  und  Generaladjutant 
der  Kaiserin. 

ganz  unabhängig  vom  Hofe  zu  sein,  von  dem  er  auch  imter  Katha- 
rina II.  nicht  gesucht  wurde.  Seine  Talente  für  die  Gesellschaft 
sind  unübertreffbar.    Frau  von  Diwow  ist  seine  Schwester. 

^)  Fürst  Adam  Czartorynski,  einer  der  vornehmsten  und  reichsten 
Polen,  der  selbst  Absichten  auf  die  Krone  seines  Vaterlandes  hatte, 
war  ein  leiblicher  Cousin  Stanislaws  Augusts.  Die  Umstände 
änderten  sich  so,  daß  er  nach  Dresden  gehen  mußte,  um  die  Krone 
dem  damaligen  Kurfürsten,  jetzigen  König  von  Sachsen,  anzubieten, 
der  sie  nicht  armahm.  Cz.  lebt  wahrscheinlich  in  Wien.  H.  Seine 
Söhne  waren:  der  russische  Staatsminister  Adam  Czartorynski 
und  Konstantin,  der  Kammerherr  ist.  Fürst  Adam  Kasimir  Czjir- 
torynski,  geboren  1734,  starb  am  19.  März  1823  auf  seinem  Gute 
Sieniawa  in  Galizien.  Seine  Söhne  waren  Adam  Georg,  geboren 
1770  —  der  berühmte  polnische  Patriot,  —  starb  als  Verbannter 
1861  in  Montfermeil  bei  Paris.  Sein  Bruder,  Fürst  Konstantin, 
geboren  1773,  kämpfte  auf  der  Seite  Napoleons  gegen  Rußland, 
trat  dann  später  ins  russische  Heer  ein.  Er  zog  sich  1828  nach  Wien 
zurück.  Fürst  Konstantin  ist  der  Gründer  der  bekannten  Fürstlich 
Czartorynskischen  Kunstsammlungen  (s.  Theod.  v.  Frimmel,  Lexikon 
der  Wiener  Gemäldesammlimgen.  München,  Georg  Müller,  1913, 
I.   Bd.,  S.  275  ff.).    Er  starb  am  23.  April  1860. 


gß.  Sorüsch.  385 

Von  russischen  Orden  hatte  er  nur  die  vierte  Klasse 
des  Georg-Ordens,  den  er  sich  durch  seine  Bravheit 
verdient  hatte,  aber  er  hatte  einige  ausländische  Orden. 
Im  August  1777  schickte  der  Großmeister  von  Malta 
der  Kaiserin  zwei  Kreuze  zu  ihrer  Disposition.  Sie  gab 
eines  an  Ribas  und  das  andere  an  Sorizsch.  Der  König 
von  Schweden,  der  eben  damais  in  Petersburg  war, 
machte  ihn,  als  einen  Militär,  zum  Ritter  des  Schwert- 
Ordens  und  schickte  ihm  von  Helsingfors  aus  das 
große  gelbe  Band.  Endlich  ließ  man  am  Ende  des 
Jahres  1777  auch  noch  aus  Warschau  den  Weißen 
Adler-Orden  für  ihn  kommen. 

Sorizsch  blieb,  wie  gesagt,  nur  elf  Monate  im  Ge- 
nüsse dieses  Glücks.  Unbedachtsam,  wie  er  war,  glaubte 
er  mit  eigenen  Flügeln  fliegen  zu  können.  Aber  Potem- 
kin  bemerkte  dessen  eigenmächtigen,  kühnen  Flug  und 
drückte  ihn  zu  Boden.  Eine  unbedeutende  Zänkerei, 
die  Sorizsch  mit  dem  Fürsten  hatte,  veranlaßte  die 
Entfernung  des  erstem.  Potemkin  hatte  keinen  Groll 
gegen  ihn,  war  nicht  neidisch  auf  dessen  ungeheure 
Reichtümer  und  fürchtete  nicht  dessen  schnell  empor- 
geschossenes Ansehen,  weil  er  wußte,  daß  Sorizsch 
durchaus  so  unbedeutend  war,  daß  er  ihm  schlechter- 
dings nicht  gefährlich  werden  konnte;  aber  er  wollte 
zeigen,  daß  man  nicht  ungestraft  sich  auch  nur  den 
Schein  erlauben  dürfe,  sich  ihm  widersetzen  zu  wollen 
und  wollte  durch  Beispiele  vor  der  Gefahr  warnen,  je- 
mals einen  solchen  Gedanken  zu  fassen. 

Der  Fürst  stellte  der  Kaiserin  vor,  daß  es  für  ihre 
aufgeklärten  Einsichten  unangenehm  und  demütigend 
zugleich  sei,  einen  Mann  von  so  ganz  eingeschränkten 
Kenntnissen,  wie  Sorizsch,  um  sich  zu  haben  und 
machte  ihr  Vorschläge  zur  Wahl  eines  andern  Adju- 
tanten, mit  dem  sie  in  diesem  Stücke  zufriedener  sein 

Russische  Günstlinge.  25 


386  95-  Sorizsch. 

könne.  Da  sie  eben  in  dem  Augenblicke  auch  wenig  Zu- 
neigung zu  ihm  fühlte,  so  nahm  sie  den  Vorschlag  des 
Fürsten  an. 

Sorizsch  war  eben  im  Sommer  1778  mit  der  Kaiserin 
und  Potemkin  in  Zarskoje  Selo.  Er  befand  sich  im  Juni 
eines  Abends  allein  in  seinem  Zimmer,  als  er  den  Be- 
fehl erhielt,  sich  in  dem  nämlichen  Augenblick  vom 
Hofe  zu  entfernen,  und  sich  auf  seine  Güter  zu  begeben. 
Er  war  wie  vom  Schlage  getroffen.  Wie  ein  Pfeil  schoß 
er  bis  an  die  Zimmer  der  Monarchin,  aber  man  ver- 
wehrte ihm  den  Eingang.  Er  bat  um  die  Erlaubnis,  Ab- 
schied nehmen  zu  dürfen,  aber  sie  wurde  ihm  rund  ab- 
geschlagen. Nun  eilte  er  zu  dem  Fürsten  Potemkin, 
aber  dieser  bestand  darauf,  daß  er  noch  an  dem  näm- 
lichen Abende  auf  seine  Güter  nach  Livland  und  von 
da  nach  Weiß-Rußland  gehen  müsse,  um  dort  diejenigen 
Güter  zu  übernehmen,  die  man  für  ihn  von  Czarto- 
rynski  gekauft  hatte.  Einwendungen  halfen  nicht.  Er 
mußte  abreisen  und  vertraute  Bediente  zurücklassen, 
die  ihm  seine  Sachen  nachbringen  mußten. 

Er  nahm  den  Weg,  den  man  ihm  vorgeschrieben 
hatte.  In  Schklow  heß  er  sich  nieder  und  richtete  sich 
fürstlich  ein.  Alles,  was  die  Annehmhchkeiten  des  Le- 
bens durch  Aufwand  befördert,  das  hatte  er;  sogar  eine 
Theatergesellschaft.  Aber  bald  waren  seine  großen  Ein- 
künfte nicht  hinreichend,  seine  sybaritische  Lebens- 
weise zu  unterhalten.  Da  er  nicht  Herr  genug  über  sich 
war,  seinem  Aufwände  Schranken  zu  setzen,  so  geriet  er 
bald  in  die  größte  Verlegenheit.  Am  Ende  des  letzten 
Jahrhunderts  waren  seine  Besitzungen  mit  Schulden 
beladen  und  fast  alle  seine  Juwelen  verkauft.^) 

^)  Sorizsch  soll  sich  dadurch  aus  der  Verlegenheit  geholfen 
haben,  daß  er  mit  Eifer  und  Geschick  Falschmünzerei  betrieb. 
(Beruh.  Stern  I,  S.  273.) 


gS-  Sorizsch.  387 

Sorizsch  war  klug  genug  gewesen,  sich  bald  nach 
seiner  Entfernung  vom  Hofe  durch  demütige  Unter- 
werfung mit  dem  Fürsten  Potemkin  auszusöhnen. 
Dieser  erlaubte  ihm  sogar  im  Jahre  1787  unterwegs  zu 
ihm  zu  kommen,  als  der  Fürst  auf  dem  Wege  nach 
Cherson  beschäftigt  war,  die  theatralischen  Einrich- 
tungen anzuordnen,  welche  die  Kaiserin  auf  ihrer  Reise 
täuschen  sollten.^) 

Potemkin  nahm  ihn  mit  Güte  auf  und  hätte  es  gern 
gesehen,  wenn  er  durch  ihn  den  stolzen  und  gefähr- 
lichen Mamonow  hätte  verdrängen  können. 

Sorizsch  war  noch  ein  schöner  Mann  und  nicht  an- 
spruchslos. 

Die  Kaiserin  willigte  ein,  ihn  zu  sehen,  behandelte 
ihn  mit  Gnade  und  machte  ihn  zum  Generalleutnant. 
Doch  dabei  blieb  es.  Potemkin,  der  seit  einiger  Zeit  nur 
in  Intervallen  am  Hofe  gelebt  hatte,  verlor  nach  und 
nach  von  seinem  Ansehen.  Er  bemerkte  es  jetzt  deut- 
lich, wollte  aber  keine  auffallende  Szene  wegen  einer 
Sache  erregen,  die  ihn  im  Grunde  nicht  so  außerordent- 
lich interessierte. 

Sorizsch  ging  zurück,  wie  er  gekommen  war. 

Dieser  außerordentlich  schön  gebildete  Günstling  ge- 
hörte, wie  wir  jetzt  gleich  zeigen  werden,  zu  der  ge- 
ringen Anzahl  von  Männern,  die  kein  Laster,  wenig 
Fehler,  einige  Tugenden  und  viel  angenehme  Eigen- 
schaften besitzen. 

Sorizsch  hatte  keinen  durchdringenden  Verstand, 
aber  er  war  weit  entfernt,  ein  eingeschränkter  Kopf  zu 
sein.  Erziehung  hatte  er  nicht  und  folglich  auch,  außer 

^)  Gemeint  sind  die  ,,Potemkinschen  Dörfer",  die  der  allmächtige 
Günstling  als  Statthalter  der  Krim  1787  errichtete,  um  der  Kaiserin 
den  blühenden  Zustand  der  Provinz  vorzutäuschen. 

25* 


388  9^-  Korsakow. 

der  französischen  Sprache,  nicht  die  geringsten  Kennt- 
nisse erlangt.  Aber  er  war  äußerst  witzig,  belustigend 
im  höchsten  Grade  und  von  einer  unerschöpflichen  und 
ununterbrochenen  guten  Laune.  Diese  für  die  Gesell- 
schaft so  angenehmen  Eigenschaften  machten  ihn  ohne 
Widerspruch  zum  liebenswürdigsten  von  allen  Günst- 
lingen Katharinas.  Er  war  überdies  brav,  ehrhch,  gut- 
mütig, dienstfertig  und  keiner  Verstellung  fähig.  Schade 
war  es,  daß  so  gute  Eigenschaften  oft  durch  eine  un- 
glaubliche Eitelkeit,  durch  einen  schwer  zu  übertref- 
fenden Leichtsinn  und  durch  einen  unmäßigen  Hang 
zur  Verschwendung  verdunkelt  wurden. 


96.  Korsakow. 

Korsakow  war  ein  Edelmann  von  einer  sehr  guten 
russischen  Familie,  die  eigentlich  Korsakow-Rimskoy 
heißt. 

Er  fing  seine  Militärdienste  als  Sergeant  in  der  Garde 
zu  Pferde  an,  ließ  sich  aber  durch  Empfehlung  zu  einem 
Kürassierregimente  setzen  und  diente  mit  Auszeich- 
nung in  den  polnischen  Unruhen. 

Er  war  Hauptmann,  als  der  Fürst  Potemkin  ihn 
kennen  lernte. 

Korsakow  gefiel  ihm  und  wurde  daher  zweien  Kom- 
petenten zugesellt,  von  denen  die  Kaiserin  an  die 
Stelle  des  eben  entlassenen  Adjutanten  Sorizsch  einen 
wählen  sollte.  Diese  waren:  Bergmann,  ein  Livländer, 
und  Ronzow,  der  Bastard  eines  Grafen  Woronzow, 
den  wir  aber  nicht  genauer  anzugeben  wissen.  Beide 


J 


g6.  Kofsakow.  389 

hatten  wenig  Empfehlendes,  auch  wenn  sie  nicht  mit 
Korsakow  verghchen  wurden.  Neben  ihm  gestellt, 
verloren  sie  ganz,  weil  er  ein  äußerst  elegantes  An- 
sehen hatte. 

Es  war  aber  auch  noch  eine  andre  Ursache,  die  Kor- 
sakow den  Vorzug  versicherte. 

Dieser  junge  Mann  hatte  den  Ruf,  ein  Neuling  in 
allem,  unerfahren  in  den  Intrigen  jeder  Art  und  folg- 
lich ganz  imschuldig  zu  sein.  Einen  solchen  Mann  um 
sich  zu  haben,  hatte  man  längst  gewünscht. 

Man  war  übereingekommen,  der  Kaiserin  die  drei 
Kandidaten  in  ihren  innern  Vorzimmern  zu  zeigen.  Sie 
kamen  dahin,  der  Fürst  Potemkin  war  noch  nicht  da. 

Die  Kaiserin  erschien,  sprach  mit  allen  Anwesenden, 
und  ging  endlich  zu  Korsakow  hin.  Sie  gab  ihm  ein 
Bukett,  das  man  ihr  eben  brachte  und  trug  ihm 
auf,  es  in  ihrem  Namen  dem  Fürsten  Potemkin  zu 
bringen  und  ihm  zu  sagen,  daß  sie  ihn  zu  sprechen 
wünsche.  Korsakow  richtete  den  Befehl  aus.  Potemkin 
verstand  den  Wink  und  lun,  wie  er  sagte,  den  Über- 
bringer eines  kaiserlichen  Geschenks  zu  belohnen, 
machte  er  ihn  zu  seinem  Adjutanten. 

So  erzählte  man  wenigstens  lange  hernach  die  Ge- 
schichte der  Ernennung  dieses  Günsthngs. 

Dem  sei,  wie  ihm  wolle,  so  ist  gewiß,  daß  er  den  Tag 
nach  seiner  Vorstellung,  im  Monat  Juni  1778,  Flügel- 
adjutant wurde,  und  im  Kaiserlichen  Palais  in  Zarskoje 
Selo  wohnen  blieb. 

Er  bheb  nach  und  nach,  aber  immer  in  kurz  aufein- 
ander folgenden  Monaten,  Fähnrich  von  der  Cheva- 
liersgarde, die  ihm,  so  viel  wir  uns  erinnern,  den  Rang 
vom  Generalmajor  gab,  dann  Wirklicher  Kammerherr, 
dienstleistender    Generalmajor,    Ritter    des   Weißen 


oQo  <)6.  Korsakow. 

Adler-Ordens  und  endlich  Generaladjutant  der  Mon- 
archin. 

Seit  einigen  Jahren  konnten  die  Günsthnge  sich  nicht 
lange  in  der  Gunst  ihrer  Gebieterin  erhalten. 

Korsakow  war  in  dem  Fall  seiner  nächsten  Vor- 
gänger. 

Er  verlor  seine  Stelle  im  Oktober  1779,  also  fünf- 
zehn Monate  nachdem  er  sie  erhalten  hatte.  Potemkin 
selbst  war  es,  der  ihn  entfernte,  nicht  weil  er  ihn  fürch- 
tete (denn  Korsakow  war  von  selten  der  Verstandes 
ebensowenig  gefährhch  als  Sorizsch),  sondern  weil  er 
durch  ihn  die  Hebens  würdige  Gräfin  Bruce,  i)  die 
Schwester  seines  Todfeindes,  des  Generalfeldmarschalls 
Grafen  Rumjanzow,  stürzen  wollte. 

Korsakow  hatte  angenehme  Formen  und  gefiel  der 
Gräfin,  die  einen  besonderen  Wert  auf  Männerschön- 
heit zu  setzen  wußte.  Sie,  eine  vertraute  Freundin  der 
Kaiserin,  hatte  täghch  Gelegenheit,  den  Günstling  zu 
sehen. 

Potemkin  merkte  das  Verständnis  der  Liebenden, 
und  weit  entfernt,  es  zu  stören,  ermunterte  er  vielmehr 
beide  es  fortzusetzen,  um  den  Fall  desto  zuversicht- 
licher bereiten  zu  können. 

Als  er  seiner  Sache  gewiß  war,  entdeckte  er  den  Ro- 
man der  Monarchin,  die  mit  Recht  über  die  Treulosig- 
keit ihrer  Freundin  und  den  schwarzen  Undank  ihres 
Günstlings  aufgebracht  sein  mußte.  Sie  ließ  beide  ihre 
Empfindlichkeit  fühlen.  2) 

^)  Die  Gräfin  Bruce,  eine  sehr  schöne  und  geistreiche  Frau,  starb 
in  der  Mitte  der  achtziger  Jahre.  Von  ihrem  Gemahl  ist  in  diesem 
Buche  schon  die  Rede  gewesen.     H. 

2)  Die  „Empfindlichkeit"  war  echt  russisch:  Katharina  ruft 
wütend  die  ganze  Dienerschaft  zusammen  und  läßt  das  Paar  noch 
im  Bette  durchprügeln.    (Stern  II,  S.  53i-) 


g6.  Korsakow.  3g I 

Korsakow  erhielt  Befehl,  in  fremde  Länder  zu  reisen, 
und  die  Gräfin  Bruce  mußte  nach  Moskau  gehen. 

Doch,  wenn  auch  dieser  Fall  nicht  eingetreten  wäre, 
so  würde  sich  Korsakow  doch  nicht  haben  auf  seinem 
Posten  erhalten  können.  Dieser  vorgebliche  Neuhng  in 
allem  hatte,  wie  man  erfuhr,  schon  ehemals  in  War- 
schau ein  unregelmäßiges  Leben  angefangen,  das  er 
noch  im  Kaiserlichen  Palais  fortsetzte.  Er  hatte  öftere 
Unpäßlichkeiten  und  man  fing  eben  an,  Folgen  davon 
zu  fürchten,  als  sein  unbesonnener  Umgang  mit  der 
Gräfin  Bruce  ihn  vom  Hofe  entfernte. 

Er  Wieb  nach  seinem  Abgange  noch  in  Petersburg, 
weil  eine  ernsthafte  Krankheit  ihn  hinderte,  diese  Re- 
sidenz zu  verlassen.  Es  mußte  ihm  mehrmals  die  Ader* 
geöffnet  werden  und  es  vergingen  einige  Wochen,  ehe 
er  sich  wieder  erholen  konnte. 

Sobald  er  wieder  hergestellt  war,  ging  er  einigemal, 
so  wie  die  andern  Höflinge,  an  den  Hof. 

Man  hat  dieses  Benehmen  tadeln  wollen,  doch  dünkt 
uns,  geschieht  dies  mit  Unrecht.  Warum  sollte  er,  da 
er  noch  nicht  reisen  durfte,  nicht  ebensogut  wie 
andere  seine  Ehrfurcht  öffentlich  einer  Monarchin  be- 
zeigen können,  die  so  viel  Gnade  für  ihn  gehabt  hatte? 

Indessen  machte  diese  Erscheinung  bei  Hofe  und 
andre  Bemühungen  keinen  Eindruck,  so  sehr  er  auch 
gewünscht  hatte,  wieder  in  seinem  Posten  angestellt 
zu  werden.  Er  hoffte  es  sogar,  weil  seine  Zimmer  im 
kaiserlichen  Palais  aus  andern  Ursachen  noch  unbe- 
wohnt blieben ;  allein  er  irrte  sich. 

Da  er  endlich  hiervon  überzeugt  war,  ging  er  so  viel 
uns  bekannt  ist  nicht  auf  Reisen,  sondern  nach  Mos- 
kau, wo  er  nach  dem  Tode  der  Gräfin  Bruce  ein  neues 
Verständnis  mit  der  geschiedenen  Gemahlin  des  alten 


3Q2  9^-  Korsakow. 

Grafen  Strogonow,^)  einer  gebornen  Prinzessin  Tru- 
betzkoy^)  anknüpfte. 

Er  blieb  immer  in  Moskau  wohnen  und  lebt  wahr- 
scheinlich noch  daselbst  von  den  Einkünften  seines 
großen  Vermögens. 

In  der  Zeit  seiner  Gunst  hat  er  ungefähr  folgende 
Geschenke  erhalten:  das  Palais  von  Wasiltschikow,  das 
man  für  hunderttausend  Rubel  gekauft  hatte.  Er  ver- 
mietete es  jährlich  für  dreitausend  Rubel,  damals  eine 
große  Summe,  jetzt  eine  Kleinigkeit.  In  der  Folge  ver- 
kaufte er  es  an  den  alten  Grafen  Musin- Puschkin, 3) 
wir  glauben  für  hunderttausend  Rubel. 

Mit  Inbegriff  seiner  Besoldungen  bekam  er  an  barem 
Gelde  zweimal  hunderttausend  Rubel;  zur  Bezahlung 
seiner  Schulden  hunderttausend  Rubel  und  zu  seiner 
Reise  hundertundsiebzigtausend  Rubel.  Ferner  erhielt 
er  in  den  besten  Provinzen  Rußlands  viertausend 
Bauern  und  für  hundertfünfzigtausend  Rubel  Bril- 
lanten. 

Korsakow  war  im  Grunde  wohl  mehr  liebenswürdig 

^)  Graf  Strogonow  ist  ohne  Widerrede  einer  der  gelehrtesten 
Ästhetiker  in  Rußland.  Seine  großen  Reichtümer  haben  ihm  die 
Mittel  verschafft,  die  schönsten  Sammlungen  von  Gemälden,  Antiken 
und  Naturalien  anzulegen.  Dieser  würdige  Mann  hat  schon  ein  sehr 
hohes  Alter  erreicht.  Er  ist  Oberkammerherr  und  Ritter  der  russi- 
schen und  polnischen  Orden.  Sein  Sohn  ist  ebenfalls  ein  Mann  von 
Verdiensten  und  schon  Staatsminister.  Alexander  Strogonow,  ge- 
boren 1734,  starb  als  Präsident  der  Akademie  der  Künste  1811  in 
Petersburg.  Sein  Sohn  Paul  war  General  in  den  russischen  Feld- 
zügen gegen  Napoleon  I.    Er  starb  1817. 

*)  Sie  i=t  eine  Tochter  des  Fürsten  Peter  und  eine  Enkelin  des 
Fürsten  Nikita  Trubetzkoy.  Von  beiden  Männern  ist  schon  in 
diesem  Buche  etwas  gesagi  worden.     H. 

^)  Graf  Mu«in-Puschkin  lebte  noch  im  Jahre  1709  und  war 
Generalfeldmarschall.  Er  kommandierte  einmal  die  Armee  in  Finn- 
land im  Jahre  1790^  wobei  nichts  Merkwürdiges  vorfiel.  Sein  Sohn 
hat  die  Gräfin  Bruce  geheiratet  und  heißt  seitdem  Musin-Puschkin- 
Bruce.     H. 


g6.  Korsakow.  393 

als  schön,  aber  seine  Formen  waren  die  elegantesten 
und  reizendsten,  die  man  sehen  konnte.  Diese  Politur 
verlor  sich  jedoch  bald,  sein  Ansehen  wurde  das  eines 
angenehmen  Wüstlings  und  predigte  die  Geschichte 
seiner  unregelmäßigen  Lebensweise. 

Die  Hauptzüge  in  seinem  Charakter  waren  Leicht- 
sinn und  Gutmütigkeit. 

Er  hatte  die  Gabe  einer  sehr  angenehmen  Unter- 
haltung und  einen  richtigen,  obgleich  nicht  durch- 
dringenden Verstand,  aber  nicht  die  geringsten  Kennt- 
nisse. Über  diesen  letztern  Punkt  hat  man  eine  Anek- 
dote, die  sogar  gedruckt  ist,  deren  Wahrheit  wir  jedoch 
nicht  verbürgen. 

Man  sagt  nämhch,  Korsakow  habe  gehört,  daß  ehe- 
mals die  alten  Staatsminister  und  vornehmen  Hof- 
männer zahlreiche  Bibliotheken  hatten,  die  zum  Staate 
in  einem  großen  Palais  notwendig  waren.  Als  er  nun 
den  Palast  des  Herrn  von  Wasiltschikow  von  der  Kai- 
serin geschenkt  bekam,  habe  er  emen  Buchhändler 
kommen  lassen  und  bei  ihm  eine  Bibliothek  für  einen 
bestimmten  Saal  bestellt.  Auf  die  Frage  des  Mannes, 
ob  Herr  von  Korsakow  den  Aufsatz  der  Bücher  ge- 
macht habe,  die  er  haben  wollte  und  welche  Wissen- 
schaften besonders  darin  aufgenommen  werden  sollten, 
habe  der  Günstling  geantwortet:  ,, Darum  bekümmere 
ich  mich  nicht,  das  ist  Ihre  Sache,  unten  müssen  große 
Bücher  stehen  und  immer  höher  hinauf  kleinere,  just, 
wie  es  bei  der  Kaiserin  ist." 


394  97-  ■^W'^w  Strachow. 

97.  Iwan  Strachow. 

Iwan  Strachow,  ein  Russe  bürgerlichen  Herkom- 
mens, war  der  Vetter  einer  Kammerfrau  der  Kaiserin 
Katharina  II. 

Sein  Wuchs  war  klein,  sein  Gesicht  häßhch  und 
sein  Anstand  unangenehm.  Dennoch  glaubte  er,  auf 
die  Monarchin  —  die  eben  damals  den  Günstling 
Korsakow  vom  Hofe  entfernt  hatte  —  Eindruck 
gemacht  zu  haben,  weil  diese  Fürstin,  als  sie  ihm 
von  ungefähr  in  Zarskoje  Selo  in  ihrer  Garderobe  sah, 
ihn  mit  ihrer  gewöhnlichen  Anmut  und  Herablassung 
anredete. 

Strachow  war  so  gewiß  von  seinem  Wert  überzeugt, 
daß  er  sogar  von  der  Möglichkeit,  Günstling  zu  werden, 
mit  dem  Grafen  Panin  sprach,  in  dessen  Kanzlei  er 
als  Sekretär  arbeitete.  Er  machte  diese  Entdeckung 
dem  Grafen,  als  er  mit  ihm  von  Zarskoje  Selo  herein- 
fuhr, woselbst  der  Minister  Vortrag  bei  der  Kaiserin 
gehabt  hatte.  Panin  hielt  ihn  geradezu  für  toll  und 
wollte  ihn  von  diesem  törichten  Wahn  abbringen. 
Doch  Strachow  war  wirklich  nicht  so  sinnlos  als 
Panin  glaubte ;  wenigstens  ward  er  durch  seinen  Wahn 
glücklich. 

Er  ging  öfter  zu  seiner  Verwandten  und  sah  immer 
die  Kaiserin,  die,  auf  eine  ganz  unbegreifliche  Weise, 
wahrscheinlich  um  sich  zu  belustigen,  sich  zuweilen 
gern  mit  ihm  unterhielt. 

Als  sie  einst  zu  ihm  sagte,  er  sollte  sich  eine  Gnade 
ausbitten,  fiel  Strachow  auf  seine  Knie,  und  bat  um 
ihre  Huld.  Diese  Probe  seines  Verstandes  mochte  wahr- 
scheinlich zu  stark  sein.  Die  Kaiserin  sah  ihn  nie  wie- 
der als  öffentlich  am  Hofe. 

Indessen  hatte  er  bei  dieser  Gelegenheit  sein  Glück 


g8.  Alexander  Lanskoy.  395 

gemacht.  Er  bekam  große  Geschenke  an  Geld  und 
Bauern  und  wurde  Wirkhcher  Staatsrat,  Vizegouver- 
neur von  Kostroma  und  Ritter  des  Wladimir-Ordens. 


98.  Alexander  Lanskoy. 

Alexander  Lanskoy  war  der  Sohn  eines  russischen 
Edelmanns  von  sehr  guter  Familie. 

Er  war  Chevaliergardist,  als  ihn  der  General  Tolstoy^) 
schon  in  der  Zeit,  als  noch  Korsakow  bei  Hofe  wohnte, 
der  Monarchin  zum  Generaladjutanten  empfahl.  Sein 
äußerer  Anstand  und  seine  Unterhaltung  gefielen  zwar 
dieser  Prinzessin,  allein  —  besondere  Umstände  ver- 
anlaßten  sie  damals,  ihre  bestimmte  Entschließung 
noch  zurückzuhalten.  Indessen  erhielt  er  zehntausend 
Rubel,  um  sich  einigermaßen  einrichten  zu  können. 
Zugleich  gab  man  ihm  von  verschiedenen  Seiten  teils 
den  Befehl,  teils  den  freundschaftlichen  Rat,  sich  an 
den  Fürsten  Potemkin  zu  wenden.  Der  Fürst  nahm 
dieses  Zeichen  des  Zutrauens  sehr  günstig  auf  und 
machte  ihn  sogleich  zu  seinem  Adjutanten.  In  dieser 
Stelle  blieb  Lanskoy  sechs  Monate. 

Erst  in  der  heihgen  Woche  1780  fand  die  Kaiserin, 
die  bisher  wichtige  Geschäfte  gehabt  hatte  und  kränk- 
lich gewesen  war,  einen  Augenblick  Zeit,  sich  den  jun- 
gen Lanskoy  vorstellen  zu  lassen.  Sie  ernannte  ihn  zu 
ihrem  Flügeladjutanten  und  zum  Obersten. 

An  dem  nämlichen  Tage  bekam  er  den  Befehl,  die 

^)  General  Tolstoy  hatte  sich  im  ersten  Türkenkriege  einen  sehr 
rühmlichen  Namen  erworben.  Die  beiden  Grafen  Tolstoy,  die  jetzt 
wichtige  Staatsämter  am  russischen  Hofe  bekleiden,  sind  seine 
Söhne.    Er  starb  in  den  achtziger  Jahren.     H. 


396  9^-  Alexander  Lanskoy. 

Zimmer,  die  Korsakow  im  Palais  bewohnt  hatte,  ein- 
zunehmen. 

Lanskoy  machte  seine  Existenz  am  Hofe  nur  durch 
seine  lobenswürdige  Anhänghchkeit  an  die  Kaiserin 
und  durch  die  Belohnungen  merkwürdig,  die  er  dafür 
erhielt. 

Er  befaßte  sich  nie  mit  Staatsgeschäften,  die  so 
wenig  für  ihn  gemacht  waren  als  er  für  sie.  Demunge- 
achtet  hätte  er  doch  oft  Gelegenheit  gehabt,  sich  wich- 
tig zu  machen. 

Zu  seiner  Zeit  kamen  Joseph  IL,  dann  Friedrich 
Wilhelm,  der  Thronfolger  Friedrichs  IL,  und  endlich 
Gustav  III.  nach  Rußland.  Jeder  von  ihnen  hätte  ihn 
gern  in  sein  Interesse  gezogen,  aber  sein  Betragen  war 
immer  so  zurückhaltend,  daß  man  ihm  nie  beikommen 
konnte. 

Hofintrigen  vermied  er  sorgfältig,  und  man  kann 
sagen,  daß,  so  lange  er  am  Hofe  war,  Weiber  und 
Schwätzer  wenig  oder  gar  keine  Geschäfte  dieser  Art 
daselbst  treiben  konnten. 

Selbst  seine  Verwandten  hatten  keinen  Zutritt  bei 
ihm,  obgleich  die  Monarchin,  aus  eignem  Antrieb, 
einigen  von  ihnen  Stellen  am  Hofe  gegeben  hatte. 

Kurz,  Lanskoy  verband  sich  mit  keinem,  lebte  bloß 
für  seinen  Dienst  und  opferte  sich  seinen  Pfhchten  auf. 

Diese  Ruhe  des  Günstlings  schien  für  keinen  gefähr- 
lich und  war  es  für  alle.  Sein  Ansehen  bei  der  Mon- 
archin, die  er  nie  verließ,  war  unbegrenzt.  Jeder  ge- 
stand sich,  daß  es  Lanskoy  nur  ein  Wort  koste,  um 
ihn  zu  stürzen,  und  Potemkin  selbst  fühlte,  daß  sein 
politisches  Dasein  fast  nur  allein  von  dem  Willen  dieses 
Günstlings  abhänge. 

Zum  Glück  für  die  Höflinge  lebte  dieser  furchtbare 
Mann  nicht  lange.  Seit  seiner  Erscheinung  am  Hofe 


g8.  Alexander  Lanskoy.  397 

war  er  immer  kränklich.  Gleich  anfänglich  hatte  er  ein 
hitziges  Fieber.  Durch  die  Bemühungen  der  Ärzte  und 
durch  die  sorgfältigste  Pflege  erholte  er  sich  wieder  von 
seiner  Krankheit.  Doch  war  seine  Gesundheit  nicht  un- 
unterbrochen; er  hatte  zuweilen  kleine  Anfälle  von 
Kränklichkeit.  Hieran  war  er  wohl  größtenteils  selbst 
Schuld.  Seit  einiger  Zeit  hatte  er  die  Gewohnheit,  viel 
erhitzende  Arzneien  zu  sich  zu  nehmen,  um  dadurch, 
wie  er  fälschlich  wähnte,  seinen  Kräften  aufzuhelfen. 
Man  kann  denken,  daß  er  dadurch  seinen  Zustand  eher 
verschlimmerte.  Doch  würden  seine  Jugend  und  seine 
starke  Natur  ihn  gerettet  haben. 

Aber  eines  Tages  im  Sommer  1784,  als  er  sich  eben 
außerordentlich  erliitzt  hatte,  aß  er  eine  große  Menge 
süßer  Zitronen.^) 

Von  diesem  Abend  an  verfiel  er  in  eine  tödliche 
Krankheit.  Alle  Künste  der  Hof-  und  Stadtärzte  wur- 
den aufgeboten,  aber  vergebens. 

Endlich,  vierzehn  Tage  nachher,  am  25.  Juni,  ließ 
die  gütige  und  besorgte  Kaiserin,  die  sogar  die  Pflege 
in  der  Krankheit  nach  ihrem  Befehl  geleitet  hatte,  den 
berühmten  Weickhard^)  rufen,  den  sie  schon  so  lange 
vorher  wegen  seines  großen  Rufs  aus  Fulda  nach  Pe- 

^)  Gemeint  sind  Apfelsinen,  damals  und  viel  später  noch  eine 
kostbare  Frucht. 

^)  Weickhard  ward  das  Opfer  einer  Kabale.  Als  er  nach  Peters- 
burg kam,,  wurde  er  gar  nicht  so  geschätzt,  als  ti  verdiente.  Es  war 
ihm  schmerzhaft,  sich  aus  seinen  glücklichen  \>rhältnissen  gerissen 
zu  sehen.  Sein  Bruder  ist  ein  geschickter  Arzt  in  Petersburg.  Jegar 
Adamowitsch  Weickhard  (1742 — 1803)  war  vom  Jahre  1784  an  der 
Luibarzt  der  Kaiserin.  Sein  Leben  und  sein?  Erfahrungen  am  russi- 
schen Hofe  hat  Weickhard  in  der  Schrift  „Denkwürdigkeiten  aus  der 
Lebensgeschichte  des  Kaiserl.  Russischen  Staatsrats  M.  A.  Weick- 
hard" (Leipzig  1802)  niedergelegt.  Umständlich  wird  darin  (S.  276) 
über  das  Leiden  und  den  Tod  Lanskoys  berichtet.  Die  von  Heibig 
hervorgehobene  Mißstimmung  Weickhards  hat  seinen  Grund  in  dem 
Größenwahn  des  Arztes,  der  sich  von  allen  verfolgt  und  imterschätzt 
wähnt. 


398  9^-  Alexander  Lanskoy, 

tersburg  hatte  kommen  lassen.  Er  gehorchte  ungern, 
weil  ihn  Lanskoy  schon  zuvor  einmal  durch  Unhöüich- 
keiten  von  sich  gejagt  hatte.  Aber  auf  den  Befehl  der 
Monarchin  ging  er  doch  mit  dem  Assessor  Kelchen^) 
zu  dem  Kranken. 

Sobald  er  diesen  sah,  sagte  er  gleich  zu  der  Kaiserin : 
„Noch  heute  abend  stirbt  er."  Er  fand  nämhch,  daß 
Lanskoy  schon  den  Brand  im  Halse  hatte.  "Die  Mon- 
archin wollte  es  nicht  glauben  und  zog  die  Wissen- 
schaft des  Arztes  in  Zweifel.  Sie  behauptete,  dieser 
nahe  Tod  sei  unmöglich,  weil  der  Kranke  schon  wieder 
sprechen  könne.  'Indessen  hatte  Weickhard  doch  recht. 
Der  Brand  im  Halse  hatte  schon  gewirkt. 

Lanskoy  starb  noch  am  Abende  des  25.  Juni  1784,  im 
siebenundzwanzigsten  Jahre  seines  Alters. 

Da  er  mit  niemand  in  Verbindung  gestanden  hatte, 
so  wurde  er  auch  von  niemand  betrauert  als  von  der 
menschenfreundhchen  Monarchin,  deren  sanftes  Herz, 
immer  von  den  Gefühlen  der  Freundschaft  durch- 
drungen, einen  sehr  gerechten  Schmerz  bei  dem  Ver- 
lust eines  Mannes  äußerte,  den  sie  täglich  in  ihrer  Ge- 
sellschaft zu  sehen  gewohnt  war,  und  dessen  Dienste 
sie  zu  schätzen  wußte.  Aus  Vorsicht  öffnete  man  ihr 
eine  Ader.  Sie  verhüllte  dabei  ihr  Gesicht  mit  einem 
dichten  Schleier,  um  ihren  Zustand  zu  verbergen,  der 
zu  irgendeiner  Auslegung  hätte  Anlaß  geben  können. 
Die  Kaiserin  konnte  sich  jedoch  lange  nicht  von  dem 
Schrecken  erholen,  den  ihr  natürlicherweise  dieser 
ganz  in  ihrer  Nähe  erfolgter  Tod  verursacht  hatte. 
Ihr  erhabener  Geist  schien  auf  einige  Zeit  zu  schlafen, 
aber  die  Regungen  ihres  gefühlvollen  Herzens  sprachen 
laut. 

Katharina  IL  gab  jetzt  aufs  neue  Beweise  von  der 

^)  Kelchen  war  Hofmedikus  und  ein  geschickter  Arzt. 


g8.  Alexander  Lanskoy.  399 

großen  Menschenliebe,  die  man  immer  zu  bemerken 
Gelegenheit  gehabt  hatte. 

Noch  lange  knüpften  sich,  wenn  man  so  sagen  kann, 
ihre  traurigfrohen  Empfindungen  an  die  Gestalt  des 
Verstorbenen. 

Die  Kaiserin  fuhr  nach  dem  Tode  Lanskoys  mit 
dessen  Schwester,  einer  Frau  von  Kurselew, ^)  nach  Pe- 
tersburg und  von  da  nach  Pela,  einem  kleinen  unaus- 
gebauten  Lustschloß  in  der  Nähe  der  Residenz;  aber 
nach  Zarskoje  Selo  kam  sie  in  diesem  Sommer  nicht 
wieder  zurück. 

Ein  schwärmerischer,  jugendlicher  Wunsch,  den 
Lanskoy  einmal  gehabt  hatte,  in  einer  romantischen 
Gegend  des  Gartens  in  Zarskoje  Selo  begraben  zu  wer- 
den, wurde  ausgeführt.  Man  brachte  seine  Leiche  da- 
hin und  bezeichnete  den  Ort  durch  eine  einfache  aber 
kostbare  Urne  von  Marmor,  die  man  noch  in  den  neun- 
ziger Jahren  daselbst  sah.  Die  Leiche  selbst  blieb  bis 
zum  Winter  in  dieser  Grabstätte. 

Ungesittete  Bösewichter  nahmen  den  Leichnam  aus 
dem  Sarge,  verstümmelten  ihn  und  suchten  durch 
schändliche  Schmähschriften,  die  aber  doch  einen  Ver- 
fasser von  Verstand  verrieten,  das  Andenken  des  Ver- 
storbenen zu  entweihen. 

Die  Kaiserin,  die  darüber  mit  Recht  aufgebracht 
war,  ließ  den  Sarg  in  der  Kirche  der  nahe  gelegenen 
Stadt  Sophia  beisetzen,  bis  eine  andre  kleine  aber  ge- 
schmackvolle Kapelle  daselbst  erbaut  war,  in  welcher 
man  ihn  begrub,  und  die  man  daher  das  Mausoleum  des 
Günstlings  Lanskoy  nennen  könnte. 

Die  großen  Gnadenbezeigungen  der  Monarchin  bei 

*)  Der  Gemahl  dieser  Dame  wurde  nach  Lanskoys  Tode  Flü^el- 
adjutant  und  Oberst,  nahm  aber  bald  seinen  Abschied  und  lebt 
von  seinem  großen  Vermögen. 


400  gS.  Alexander  Lanskoy. 

Lanskoys  Leben  und  nach  seinem  Tode  wurden  aller- 
dings durch  seine  scheinbar  unverfälschte  Güte  des 
Herzens,  durch  seinen  gleichmütigen,  von  keinem 
äußern  Eindruck  beunruhigten  Lebenswandel  und 
durch  seine  unverbrüchlich  treue  Anhänglichkeit  an 
die  geheiligte  Person  der  Kaiserin  gerechtfertigt.  Es 
ist  gewiß,  und  diese  Prinzessin  gestand  es  selbst,  daß 
sie  in  ihrem  Leben  nie  ein  Beispiel  solcher  Treue  ge- 
funden habe. 

Aber  übrigens  war  seine  Existenz  für  viele  Menschen 
im  russischen  Reiche  schädlich,  für  keinen  nützlich  und 
für  die  meisten  gleichgültig.  Er  hatte  weder  Kennt- 
nisse noch  Geistesfähigkeiten,  die  ihn  bedauern  mach- 
ten, und  es  wäre  noch  sehr  zu  untersuchen,  ob  seine 
Treue  gegen  die  Monarchin  eine  überlegte  Tugend,  eine 
natürliche  Stimmung  oder  ein  studierter  Betrug  war. 
Verborgener  Geiz  war  der  Grund  seines  Charakters  und 
der  Hebel  seiner  Handlungen,  die  nur  darauf  ab- 
zweckten, unermeßliche  Reichtümer,  Ehrenstellen  und 
Gnadenzeichen  zu  häufen. 

Wenn  Lanskoy  länger  gelebt  hätte,  so  würde  er  alle 
Emporkömmlinge  übertroffen  haben.  Er,  der  in  seinem 
siebenundzwanzigsten  Jahre  starb,  war  damals  schon 
Generalleutnant,  Generaladjutant,  Wirklicher  Kam- 
merherr, Leutnant  des  Korps  der  Chevaliersgarde,  Chef 
des  Kürassierregiments  Troizk  und  Ritter  des  Alexan- 
der-Newsky-,  des  Weißen  Adler-,  des  Stanislaus-,  des 
Nordstern-  und  des  Annen-Ordens. 

Lanskoy  kostete  dem  Staate  in  einer  Zeit  von  drei 
Jahren  und  einigen  Monaten  sieben  Milhonen  Rubel; 
so  hoch  belief  sich  seine  Verlassenschaft  an  Gütern. 
Häusern,  Kostbarkeiten,  barem  Gelde  und  Brillanten. 

Er  machte  die  Kaiserin  zur  Erbin  seiner  Reichtümer, 
allein  diese  Fürstin  hatte  die  Großmut,  sie  seinen 


g8.  Alexander  Lanskoy.  401 

nächsten  Verwandten  zu  überlassen.  Sie  behielt  nur 
die  kostbare  Gemäldesammlung,  das  für  den  Kenner 
unschätzbare  Medaillenkabinett,  die  Bibliothek,  die 
freilich  manchen  Ladenhüter  enthielt,  alles  Silberge- 
schirr und  für  viermal  hunderttausend  Rubel  Güter. 
Dies  alles  kaufte  sie  aus  der  Erbschaftsmasse  mit  ba- 
rem Gelde.  Seine  Besitzungen  waren  vortreffHch  und 
in  den  besten  Provinzen  des  Reichs  gelegen.  Sein 
Haus^)  ist  noch  das  schönste  in  Petersburg. 

So  wurde  Lanskoy  durch  die  Gnade  der  Kaiserin 
wider  seinen  Willen  erst  nach  seinem  Tode  wohltätig 
für  seine  Verwandten,  für  die  er  bei  seinen  Lebzeiten 
gar  nichts  getan  hatte.  Daß  er  den  Männern  in  seiner 
Familie  nicht  wichtige  Staatsämter  erteilen  ließ,  wozu 
sie  vielleicht  nicht  Fähigkeiten  hatten,  oder  sie  auf 
Kosten  des  Reichs  nicht  bereicherte,  wäre  löblich  ge- 
nug, wenn  er  diese  Enthaltsamkeit  aus  Patriotismus 
gehabt  hätte,  aber  daß  er  von  seinen  eigenen  Reich- 
tümern ihnen  kein  besseres  Schicksal  bereitete,  war 
schändlich  und  bewies,  daß  er  keines  Mitleids  fähig  war. 

Seine  Schwestern  hatte  die  Kaiserin  zu  Hoffräuleins 
ernannt,  aber  der  Bruder  war  nicht  weiter  als  bis  zum 
Oberstleutnant  avanciert.  Das  war  er  noch  in  den  neun- 
ziger Jahren. 

Diese  Geschwister  hatten  keinen  Vorteil  von  ihm, 
als  daß  sie  an  der  Tafel  von  dreißig  Personen  speisen 
konnten,  welche  die  Hofküche  für  ihn  unterhielt  und 
an  welcher  er  selbst  niemals  aß.  Sieben  Vettern  von 
Lanskoy,  worunter  sehr  verdienstvolle  Leute  waren, 
konnten  doch  nichts  weiter  als  ganz  unbedeutende 
Plätze  in  der  Armee  erhalten. 

^)  Dieses  Haus  steht  dem  Winterpalais  gegenüber.  Das  große 
Portal  und  die  Balkons  sind  ganz  von  dem  schönsten  grauen,  weißen 
und  roten  Marmor.  In  diesem  Palast  ist  ein  sehr  geräumiges  Theater, 
worin  gewöhnlich  die  deutschen  Schauspiele  gegeben  werden. 

Russische  Günstlinge.  20 


402  99-  Alexander  Yermolow. 

War  Lanskoy  der  geschätzteste  von  allen  Günst- 
lingen der  Kaiserin,  so  war  er  auch  gewiß  einer  der 
schönsten. 

Die  Natur  hatte  ihm  eine  vollkommen  reizende  Ge- 
stalt gegeben,  die  mit  einem  richtigen  Ebenmaß  des 
Wuchses  und  des  Ghederbaues  vorteilhaft  verbunden 
war.  Seine  Schönheit  soll  auf  einem  vortrefflichen 
Bilde^)  in  der  Eremitage  nicht  erreicht  sein.  Er  ist  auf 
demselben  in  der  rot  und  schwarz  mit  Silber  gestickten 
Uniform  der  Artillerie  vorgestellt. 

Die  Adjutanten  der  Kaiserin  hatten  das  Recht,  alle 
Uniformen  in  der  Armee  ohne  Unterschied  nach  ihrer 
Wahl  zu  tragen ;  nur  die  Uniform  der  Flotte  war  davon 
ausgenommen.  Wahrscheinlich  fand  Lanskoy,  daß  die 
von  der  Artillerie  ihn  am  besten  kleide. 

Das  Bild  ist  in  Kniestück.  Der  Günsthng  ist  darauf 
vorgestellt,  wie  er  den  Generaladjutanten-Stock^)  in 
der  Hand  hat  und  vor  einem  Tische  steht,  auf  welchem 
sich  die  Büste  der  Kaiserin  befindet  und  Zeichnungen 
liegen. 


99.  Alexander  Yermolow. 

Nach  dem  Tode  des  Adjutanten  Lanskoy  machten 
sich  die  Freunde  der  Kaiserin  zur  Pfhcht,  ihre  Gebie- 
terin zu  bitten,  daß  sie  einen  Gesellschafter  wählen 
möchte.  Es  währte  lange,  ehe  sie  von  der  Monarchin 
die  Erlaubnis  erhalten  konnten,  ihre  Vorschläge  tun 
zu  dürfen ;  endlich  aber  gab  sie  ihre  Genehmigung  dazu, 

1)  Das  Bild  ist  von  dem  Engländer  James  Walker  in  Kupfer  ge- 
gestochen worden. 

^)  Dieser  Stock  war  von  Ebenholz  mit  einem  goldenen  Knopf, 
worauf  der  kaiserliche  Adler  schwarz  emailliert  war. 


Fürstin  Katharina  Romanowna  Daschkovv 


gg.  Alexander  Yermolow.  403 

und  nun  bemühte  man  sich,  schickhche  Individuen  zu 
finden. 

Dies  tat  unter  andern  die  Fürstin  Daschkow,^)  und 
man  konnte  von  der  Klugheit  und  den  Kenntnissen 
dieser  Frau  erwarten,  daß  sie  gewiß  einen  sehr  geist- 
reichen Mann  vorschlagen  würde.  Dies  geschah  auch. 
Der  Kompetent  war  ihr  Sohn,  ein  junger  Mensch  von 
den  größten  Hoffnungen,  der  unter  der  Aufsicht  seiner 
Mutter  in  England  studiert  hatte.  Der  Oberst,  Knes 
Daschkow,2)  hatte  wirkhch  für  die  GeseUschaft  viel 
liebenswürdige  Eigenschaften  und  sein  Äußeres  war 
äußerst  empfehlend.  Er  gefiel  auch  sogar  der  Kaiserin. 
Aber  das  alles  war  nicht  hinreichend.  Der  Fürst  Po- 
temkin,  der  den  unruhigen  Geist  der  Mutter  kannte 
und  ihren  Einfluß  fürchtete,  gab  ihm  die  Exklusion.^) 

Er  nahm  es  nun  allein  auf  sich,  einen  Mann  auszu- 
suchen, der  den  Posten  des  verstorbenen  Lanskoy  be- 
kleiden könnte,  und  kam  endlich  im  Februar  1785  mit 
diesem  Geschäfte  zustande. 

Alexander  Yermolow,  ein  russischer  Edelmann  von 
guter  aber  nicht  in  großem  Ansehen  stehender  Familie, 
war  Unteroffizier  im  Semenowskyschen  Garderegi- 
ment als  ihn  der  Fürst  Potemkin  zu  seinem  Adju- 
tanten ernannte  und  ihn  der  Kaiserin  bei  einem  des- 
wegen veranstalteten  Feste  zeigte.  Yermolow  war  da- 
mals erst  zweiundzwanzig  Jahre  alt  und  hatte  den  Bei- 
fall der  Monarchin. 

Adjutant  Potemkins  zu  sein,  war,  wie  wir  gesehen 

^)  Gemeint  ist  die  alte  Freundin  Katharinas. 

')  Knes  Daschkow  nahm  seinen  Abschied  als  General,  vermählte 
sich  und  lebt  bloß  für  die  Wissenschaften  in  Moskau. 

^)  Nach  ihren  Memoiren  hat  die  Fürstin  Daschkow,  ganz  im 
Gegensatze  zu  den  Angaben  Helbigs,  alles  aufgeboten,  ihren  Sohn 
vor  der  verächtlichen  Rolle  eines  Günstlings  zu  bewahren.  (Engl. 
Ausgabe,  London  1840,  I.  Bd.,  S.  218,  228,  341.) 

26* 


AOA  99-  Alexander  Yermolow. 

haben,  gewöhnlich  der  erste  Schritt.  Es  währte  nicht 
lange,  so  wurde  er  Flügeladjutant  der  Kaiserin  und 
bezog  die  gewöhnhchen  Zimmer  der  Günstlinge. 

Yermolow,  der  viel  gemeinnützigere  und  liberalere 
Grundsätze  hegte  als  Lanskoy,  befolgte  auch  ein  ganz 
anderes  System  als  dieser.  —  Er  half  allen,  so  viel  er 
konnte,  teils  durch  seine  eigenen  Mittel,  teils  durch 
seinen  Einfluß  und  ließ  keinen,  er  mochte  sein,  von 
welchem  Stande  er  wollte,  sobald  er  nur  überzeugt 
war,  daß  er  es  verdiene,  unzufrieden  von  sich  gehen. 

Dabei  machte  er  aber  keinen  Mißbrauch  von  seiner 
Gunst,  denn  seine  Reichtümer  waren  nichts  im  Ver- 
gleich mit  dem,  was  andere  gesammelt  hatten.  Auf 
seine  Empfehlungen  konnte  sich  die  Kaiserin  ver- 
lassen, weil  er  Kenntnisse  und  Prüfungskraft  hatte, 
und  keinen  hervorzog,  der  es  nicht  verdiente. 

Für  seine  Verwandten  war  er  ein  vernünftiger  Wohl- 
täter. Einem^)  von  ihnen,  einem  brauchbaren  Mann, 
verschaffte  er  von  der  Kaiserin  ein  Geschenk  von  fünf- 
zigtausend Rubel;  einem  andern-)  schenkte  er  selbst 
dreihundert  Bauern  und  wies  ihm  eine  jährhche  Pen- 
sion von  fünfzehnhundert  Rubel  an.  An  Staatsge- 
schäften nahm  er  Anteil,  sobald  er  glauben  konnte, 
daß  durch  seine  Dazwischenkunft  das  Gute  befördert 
und  das  Böse  verhindert  werden  könnte. 

Eine  seiner  edelsten  Tugenden  war  die  Freimütig- 
keit. Sie,  die  immer  ihre  Bekenner  und  Verehrer  un- 
glücklich macht,  tat  es  auch  hier.  Yermolow  glaubte 
sich  durch  seine  Verhältnisse  mit  der  Monarchin  be- 
rechtigt, ihr  über  die  vernachlässigten  und  gemiß- 

^)  Er  hieß  Lewaschew,  war  Flügeladjutant,  Major  von  der  Gaide 
und  Generalleutnant.  Paul  I.  machte  ihn  zum  General  der  Infanterie. 
Ritter  des  Alexander-Ordens  war  er  schon  vorher. 

2)  Es  war  auch  ein  Lewasche »v,  und  zwar  der  nämliche,  der  mit 
Yermolow  auf  Reisen  ging. 


gg.  Alexander  Yermolow.  405 

brauchten  Pflichten  des  Fürsten  Potemkin  in  der 
Staatsverwaltung  Vorwürfe  zu  machen.  Er  tat  es  mit 
der  ihm  eigenen  Rechtschaffenheit  und  hatte  dafür  das 
Vergnügen,  zu  bemerken,  daß  seine  Vorstellungen  auf 
den  Verstand  und  das  Herz  der  Monarchin  einen  emp- 
findlichen Eindruck  machten.  Um  jedoch  in  den  Augen 
dieser  Prinzessin  nicht  das  Ansehen  eines  Verleumders 
zu  haben,  so  bestätigte  er  seine  Anklagen  durch  ein 
Beispiel,  das  allerdings  für  den  Ruhm  des  Fürsten  sehr 
nachteilig  war. 

Dem  ehemaligen  Khan^)  der  Krim  war  bei  der  Be- 
sitznahme des  Landes  eine  ansehnliche  Pension  ver- 
sichert worden.  Fürst  Potemkin,  als  Generalgouver- 
neur von  Taurien,  mußte  die  Auszahlung  der  stipu- 
lierten  Summe  besorgen.  Er  bekümmerte  sich  aber  so 
wenig  darum,  daß  der  Ex-Khan  seit  einem  Jahre  nichts 
erhielt.  Dieser  brachte  seine  Klagen  an,  konnte  aber 
nichts  erlangen.  Hierauf  wendete  er  sich  an  Yermolow, 
dessen  Teilnahme  an  den  Schicksalen  der  Unglück- 
lichen man  ihm  gerühmt  hatte.  Yermolow  nahm  die 
Klage  an,  und  machte  die  Kaiserin  mit  dem  unrecht- 
mäßigen Verfahren  Potemkins  bekannt.  Die  Monarchin 
machte  dem  Fürsten  über  das  alles  die  gerechtesten 
Vorwürfe,  ohne  ihm  jedoch,  wie  man  leicht  glauben 
kann,  die  Quelle  ihrer  Nachrichten  anzugeben. 

Potemkin  erriet  aber  den  Verräter  sehr  bald,  und 
wartete  nur  auf  Gelegenheit,  sich  rächen  zu  können. 

Sie  fand  sich  bald. 

Einst  beim  Spiel  sagte  er  zu  dem  Onkel  Yermolows, 
General  Lewaschew,  sehr  harte  Sachen.  Dieser  klagte 
es  seinem  Neffen,  der  Neffe  der  Kaiserin  und  die  Kai- 

^)  Der  Khan  Sabin-Cherai  wurde  durch  Potemkin?  Ungerechtig- 
keiten genötigt,  nach  Konstantinopel  zu  entfliehen,  woselbst  er 
stranguliert  ward. 


406  99-  Alexander  Yermolow. 

serin  brachte  die  Sache  in  Vorwürfen  wieder  an  den 
Fürsten. 

„Ich  sehe  wohl,"  antwortete  Potemkin,  „woher  die 
Klagen  alle  kommen.  Ihr  weißer  Mohr,"  so  nannte  er 
immer  Yermolow,  der  sehr  blond  war,  und  nach  Art 
der  Afrikaner  eine  etwas  platte  Nase  hatte,  ,,Ihr  weißer 
Mohr  sagt  ihnen  das  alles,  um  mir  zu  schaden.  Sie 
können  aber  wählen  zwischen  ihm  und  mir ;  einer  von 
uns  muß  sich  entfernen." 

Die  Kaiserin  hätte  sehr  wohl  getan,  wenn  sie  die 
Alternative  zu  Yermolows  Vorteil  entschieden  hätte. 
Sie  tat  es  nicht  und  fing  schon  an,  so  sehr  auf  Potem- 
kins  Seite  zu  wanken,  daß  es  Yermolow  bemerkte  und 
seinen  nahen  Fall  für  gewiß  hielt.  Er  gab  diese  Meinung 
sogar  der  Kaiserin  sehr  deutlich  zu  verstehen.  Als  sie 
ihm  den  eben  für  ihn  aus  Polen  angekommenen  Weißen 
Adlerorden  imihing,  sah  er  es  für  eine  Art  von  Ab- 
schiedszeichen an  und  sagte :  malum  signum.  Die  Kai- 
serin wollte  diese  Äußerung  nicht  bemerken,  aber  die 
Folge  zeigte,  daß  Yermolows  Bemerkung  richtig  ge- 
wesen war.  Man  mußte  glauben,  daß  Yermolow  selbst 
eine  Veränderung  wünschte. 

Am  Thronbesteigiingstage  des  Jahres  1786  —  dem 
großen  Feste  in  Petershof  —  heß  er  eine  ganz  unge- 
wöhnliche Lustigkeit  blicken  und  nahm  gegen  den 
Fürsten  Potemkin  eine  beleidigende  Arroganz  an. 
Beide  lagen  nicht  in  seinem  Charakter  und  waren  na- 
her äußerst  auffallend. 

Dieses  Benehmen  war  das  letzte  Emporstreben  seiner 
Kraft;  Potemkin  drückte  ihn  zu  Boden.  Er  forderte 
von  der  Kaiserin  eine  bestimmte  Entschließung  und 
sie  erfolgte  sogleich.  Yermolow  hatte  schon  oft  der 
Kaiserin  gesagt,  daß  er  die  kurze  Dauer  seiner  Gunst, 
nach  dem  Beispiele  seiner  Vorgänger,  voraussehe  und 


gg.  Alexander  Yermolow.  407 

in  diesem  Falle  wünsche  er  nur,  die  Erlaubnis  zu  er- 
halten, auf  Reisen  gehen  zu  dürfen.  Jetzt  erinnerte 
sich  die  Monarchin  dieses  Wunsches. 

Am  letzten  Abende  des  Juni,  als  eben  Potemkin  den 
kategorischen  Entschluß  der  Kaiserin  verlangt  hatte, 
schickte  sie  einen  Generaladjutanten  zu  Yermolow  und 
gab  ihm  die  Erlaubnis,  drei  Jahre  in  das  Ausland  zu 
gehen.  Er  nahm  das  Anerbieten  mit  Freuden  an,  ver- 
ließ den  Hof  einige  Stunden  nachher  und  ging  nach 
Petersburg,  von  wo  aus  er  sehr  bald  eine  Reise  mit 
seinem  Verwandten,  dem  Obersten  Lewaschew,  an- 
trat. 

Der  Graf  Besborodko  erhielt  Befehl,  ihm  Empfeh- 
lungsschreiben an  alle  russischen  Gesandtschaften  in 
Deutschland  und  Italien  zu  geben.  Yermolow  ging  über 
Warschau  und  Wien  nach  Italien ;  benahm  sich  überall 
mit  der  lobenswürdigsten  Bescheidenheit,  die  man 
während  der  Größe  seiner  Gunst  immer  an  ihm  be- 
wundern mußte  und  erwarb  sich  ausgebreitete  Kennt- 
nisse. Nach  seiner  Rückkunft  ging  er  nach  Moskau, 
dem  Sitze  aller  unzufriedenen  und  halb  oder  ganz  in 
Ungnade  gefallenen  Höfhnge.  Aber  überall  wo  er  hin- 
kam, war  er  so  geschätzt,  wie  an  den  Ufern  der  Newa, 
und  er  verdiente  diesen  Tribut. 

Als  Yermolow  den  Hof  verließ,  war  er  nicht  mehr 
als  Generalmajor  und  Ritter  der  beiden  polnischen 
Orden. 

Das  Vermögen,  das  er  in  sechszehn  Monaten  ge- 
sammelt hatte,  konnte  ungefähr  so  berechnet  werden : 
zweimalhunderttausend  Rubel  als  Besoldungen,  vier- 
tausend Bauern  in  der  Mohilewschen  Statthalterschaft, 
ein  Gut  von  hunderttausend  Rubel,  Gratifikation  beim 
Abschiede  hunderttausend  Rubel,  und  zu  der  Reise 
sechzigtausend  Rubel.  Er  hatte  überdies  viele  und 


A08  100.  Alexander  Mamonow. 

schöne  Brillanten,  sie  waren  aber  nicht  beträchtlich  Im 
Vergleich  mit  denen,  die  seinen  Vorgängern  und  Nach- 
folgern gegeben  wurden. 

Yermolow  hatte  viel  Verstand,  und  obgleich  seine 
Beurteilungskraft  nicht  die  geschwindeste  war,  so 
konnte  man  ihr  doch  eine  große  Genauigkeit  nicht  ab- 
sprechen. Außer  der  Kenntnis  der  französischen 
Sprache  war  er  als  er  an  den  Hof  kam,  ziemUch  un- 
wissend. Die  Zeit,  die  ihm  seine  Geschäfte  übrigließen, 
wendete  er  jedoch  dazu  an,  sich  wissenschaftliche  und 
politische  Kenntnisse  zu  erwerben.  Im  Auslande  bil- 
dete er  seinen  Verstand  vollkommen  aus.  Der  höchste 
Grad  von  Rechtschaffenheit  und  eine  Freimütigkeit, 
die  allen  Widerstand  verachtet,  waren  die  Hauptzüge 
seines  Charakters.  Man  kann  denken,  daß  diese  beiden 
Eigenschaften,  vereinigt  mit  einer  immer  düstern 
Laune,  die  oft  an  Hypochondrie  grenzte,  ihn  ebenso- 
wenig zu  einem  Höfling,  als  zu  einem  Nachfolger  des 
Günsthngs  Lanskoy  geschickt  machten. 

Yermolows  Wuchs  und  Ghederbau  waren  nach  dem 
Urteile  aller,  die  ihn  kannten,  vortreffHch  und  sehr  ver- 
hältnismäßig, und  sein  Gesicht,  die  große  Blondheit 
und  die  Negernase  ausgenommen,  sehr  schön. 


100.  Alexander  Mamonow. 

Alexander  Mamonow,  aus  einer  altadeligen  russischen 
Familie  entsprossen,  die  eigentlich  Dmitriew-Mamo- 
now  heißt,  war  bei  dem  Falle  seines  Vorgängers  Yermo- 
low Kapitänleutnant  der  Garde. 

So  wie  alle  bisherigen  Adjutanten  der  Kaiserin  von 
dem  Fürsten  Potemkin  gewählt   worden  waren,  so 


100.  Alexander  Mamonow.  409 

wurde  auch  Mamonow  am  Tage  nach  dem  Abgange 
Yermolows  der  Monarchin  vorgestellt.  Man  weiß,  daß 
er  ihn  als  seinen  Adjutanten  mit  einer  gezeichneten 
Figur  zu  der  Kaiserin  schickte,  und  daß  der  Fürst  mit 
dieser  Prinzessin  daliin  überein  gekommen  war,  daß 
die  Rezension  der  Zeichnung  eigentlich  das  Urteil  über 
den  Überbringer  sein  sollte.  Katharina,  indem  sie  das 
Blatt  Papier  zurück  gab,  trug  Mamonow  auf,  dem 
Fürsten  wieder  zu  sagen:  ,,Die  Zeichnung  sei  gut, 
aber  das  Kolorit  schlecht."  Ob  nun  gleich  dieses 
Urteil  nicht  günstig  war,  so  ernannte  die  Monarchin 
diesen  Offizier  doch  zum  Obersten  und  zu  ihrem 
Flügelad  j  ut  anten . 

Er  war  damals  nur  vierundzwanzig  Jahre  alt,  aber 
er  nahm  gleich  einen  Schwung,  der  auf  sein  künftiges 
anmaßendes  Benehmen  schließen  ließ.  Ehe  er  aber  ir- 
gend etwas  unternahm,  befestigte  er  sich  mit  großer 
Klugheit  so  sehr  in  seinem  Ansehen  bei  der  Kaiserin, 
daß  er  in  der  Gesellschaft  dieser  Prinzessin  ganz  unent- 
behrlich war.  Die  Gnadenbezeigungen  fingen  nun  sehr 
bald  an.  Im  September  wurde  er  schon  Fähnrich  von 
der  Chevaliergarde  und  Generalmajor.  Im  Oktober 
scliickte  ihm  der  König  von  Polen  seine  beiden  Orden 
auf  einmal  (denn  den  Stanislaus-Orden  allein  nahm 
schon  damals  kein  vornehmer  Russe  mehr  an).  Mamo- 
now lehnte  noch  ab  sie  zu  tragen  und  bat  den  König, 
ihm  zu  erlauben,  daß  er  sie  verwahren  dürfe,  bis  er 
einen  russischen  Orden  erhalten  habe.  Hierauf  ging  er 
zum  Thronfolger  und  bat  ihn  um  den  Annen-Orden, 
den  er  auch  am  Katharinentage,  reich  mit  Brillanten 
besetzt,  trug.  Nachher  erst  legte  er  auch  die  polnischen 
Orden  an. 

Mit  dem  Anfang  der  Jahres  1787  begann  die  merk- 
würdige Reise  der  Kaiserin.  Mamonow  begleitete  sie. 


410  100.  Alexander  Wamonow. 

Sein  Ansehen  war  damals  schon  so  groß,  daß  sie  sich 
und  ihn  in  Reisekleidern  malen  ließ. 

Beide  Bilder,  die  in  der  Eremitage  zu  sehen  sind,  hat 
James  Walker  in  Kupfer  gestochen  und  sie  werden, 
was  freilich  nicht  sehr  anständig  ist,  überall  als  Kom- 
pagnons verkauft.  Die  Unterschrift  unter  dem  Bilde 
der  Kaiserin  ist  in  mancher  Hinsicht  merkwürdig.  Hier 
ist  sie: 

Reconnois,  vers  le  Nord,  l'aimant,  qui  nous  attire, 
Cet  heureux  conquerant,  profond,  legislateur. 

Femme  aimable,  grand  homme,  et  que  l'envie  admire, 
Qui  parcourt  Ses  Etats,  y  verse  le  bonheur. 

Grande  en  l'art  de  regner,  savante  en  l'art  d'6crire, 
Repandant  la  lumiere,  ecartant  les  erreurs. 

Si  le  sort  n'avoit  pü  Lui  donner  un  Empire, 

Elle  auroit  eü  toujours  un  Throne  dans  nos  cceurs. 

L'original  se  trouve  dans  la  collection 

de  S.  E.  Mr.  le  Comte  de  Mamonow. 

Die  Verse  sind  von  dem  damaligen  französischen  Ge- 
sandten, Grafen  Segur. 

Während  der  Reise  saß  er  immer  in  dem  Wagen  der 
Monarchin  zu  sechs  Personen,  indessen  die  andre  Ge- 
sellschaft in  demselben  abgewechselt  wurde. 

Als  die  Reisenden  in  Smolensk  anlangten,  bekam  er 
die  gewöhnliche  Krankheit  —  Halsweh. 

Die  Kaiserin  hatte  die  Güte,  mit  der  ganzen  Gesell- 
schaft sechs  Tage  da  zu  bleiben;  ein  Umstand,  der  in 
den  Reisekosten,  wegen  der  überall  bestellten  Pferde, 
täglich  viertausend  Dukaten  kostete,  die  übrigen  ver- 
lornen großen  Ausgaben  ungerechnet.  Außerdem  war 
diese  Reise  insofern  glücklich  für  ihn,  daß  er  während 
derselben  unter  andern  Vorteilen  zwei  Regimenter  und 
den  Kammerherrnschlüssel  erhielt. 

Mamonow  fing  in  dieser  Zeit  auch  an,  Teil  an  den 


100.  Alexander  Mamonow.  41 1 

politischen  Verhandlungen  zu  nehmen.  Wie  konnte  es 
aber  auch  anders  sein?  Er  sah  täglich  und  stündhch 
die  Gesandten  von  Österreich,  Frankreich  und  Eng- 
land, die  ihn,  jeder  einzeln,  gewinnen  und  mit  den 
wahren  Verhältnissen  der  beiden  andern  bekannt 
machen  wollten.  Die  Kaiserin  und  der  Fürst  sprachen 
in  seiner  Gegenwart  auch  immer  von  Politik.  Endhch 
kamen  auf  dieser  Reise  der  Deutsche  Kaiser  und  der 
König  von  Polen,  bloß  politischer  Gegenstände  wegen, 
mit  der  russischen  Monarchin  zusammen.  Mamonow 
war  immer  gegenwärtig,  wenn  Katharina  II.  mit  Jo- 
seph II.  sprach,  und  bei  der  Unterredung  semer  Ge- 
bieterin mit  Stanislaw  August  war  er  der  einzige  Zeuge. 
Überdies  erzeigte  ihm  auch  wohl  die  Kaiserin  die  Ehre, 
ihm  manche  vertraulichen  Eröffnungen  zu  machen, 
um,  wie  sie  sagte,  ihm  den  gehörigen  Unterricht  zu 
geben,  von  dem  er  vielleicht  künftig  einmal  Gebrauch 
machen  könnte.  Da  Mamonow  Verstand  hatte,  so 
zeigte  er  bei  der  Unterweisung  viel  Gelehrigkeit  und 
erlangte  sehr  bald  ausgebreitete  politische  Kenntnisse. 
Er  fing  nun  selbst  an,  in  einheimischen  und  auslän- 
dischen Angelegenheiten  das  Wort  zu  führen  und  Rat- 
schläge zu  erteilen,  die  nicht  selten  befolgt  wurden.  Auf 
diese  Art  wurde  er  wichtig  und  selbst  dem  Fürsten  Po- 
temkin  gefährlich.  Schon  versuchte  dieser  einigemal, 
den  Günstling  zu  stürzen,  aber  alle  diese  Versuche  glei- 
teten an  demselben  ohne  Wirkung  herab.  Indessen 
würde  der  Fürst  gewiß  sehr  bald  seinen  Zweck  erreicht 
haben,  wenn  er  immer  in  Petersburg  gewesen  wäre; 
Mamonow  gab  genug  Blößen,  um  getroffen  werden  zu 
können. 

So  hatte  er  zum  Beispiel  im  Jahre  1788  ein  Verständ- 
nis mit  der  Gräfin  Skawronska,^)  einer  Nichte  Potem- 

*)  Jetzige  Gräfin  Litta. 


412 


loo.  Alexander  Mamonow. 


kins,  das  bekannt  zu  werden  anfing.  Nachdem  man 
ihm  aber  Zeichen  von  Unzufriedenheit  gegeben  hatte, 
brach  er  diesen  Umgang  ab  und  benahm  sich  mit  so 
viel  Klugheit,  daß  sein  Ansehen  größer  als  jemals  wurde. 

In  den  ersten  sechs  Monaten  des  Jahres  1789,  die 
auch  die  letzten  seiner  Gunst  waren,  stieg  sein  Kredit 
am  höchsten  und  er  stand  sogar  schon  auf  dem  Punkt, 
Vizekanzler  zu  werden.  Er  würde  es  auch,  des  Wider- 
strebens des  abwesenden  Fürsten  Potemkins  unge- 
achtet, gewiß  geworden  sein,  wenn  man  nur  dem  Gra- 
fen Besborodko,  der  eben  damals  nicht  in  Gunst  stand, 
hätte  einen  schicklichen  Platz  geben  können,  denn  den 
Grafen  Ostermann  wollte  und  konnte  man  sehr  leicht 
auf  Pension  setzen.  Wer  weiß  auch,  wie  alles  würde  ge- 
kommen sein,  wenn  nicht  Mamonow  durch  eine  neue 
Unvorsichtigkeit  sich  selbst  gestürzt  hätte. 

In  den  letzten  Tagen  des  Juni  erfuhr  man  seine  ge- 
heime Verbindung  mit  der  Prinzessin  Schtscherbatow, 
Hoffräulein  der  Kaiserin.  Die  Monarchin  war  mit  Recht 
über  ein  Bündnis  aufgebracht,  das  ohne  ihr  Wissen  und 
sogar  wider  ihr  Verbot  geschlossen  worden  war.  Sie 
überhäufte  beide  Personen  mit  den  gerechtesten  Vor- 
würfen und  (was  sie  wohl  nicht  vermutet  hatten)  ver- 
lobte sie  noch  an  dem  nämlichen  Abende.  Am  12.  Juli 
wurde  schon  die  Vermählung  in  Zarskoje  Selo  in  Ma- 
monows  Zimmern,  die  er  auch  nach  der  Verlobung 
immerfort  bewohnt  hatte,  gefeiert.  Gleich  am  folgen- 
den Tage  mußte  er  mit  seiner  Gemahlin  nach  Moskau 
reisen  und  kam,  so  lange  die  Kaiserin  lebte,  nie  wieder 
nach  Petersburg. 

Indessen  hatte  er  auch  dort  einigemal  Unannehm- 
lichkeiten, weil  man  seine  Grundsätze  der  Regierung 
verdächtig  geschildert  hatte.  Doch  war  bald  nicht  mehr 
die  Rede  davon,  weil  die  Beschuldigungen  nicht  er- 


Stanislaus  Lescinski,  König  von  Polen 


100.  Alexander  Mamonow.  413 

wiesen  werden  konnten.  So  viel  wir  wissen,  lebt  Ma- 
monow noch  jetzt  in  Moskau  ruhig  und  zufrieden  mit 
seiner  Gemahlin,  welches  im  Anfange  der  Ehe  gar  nicht 
der  Fall  war. 

Als  Mamonow  sich  auf  dem  Gipfel  seiner  Gunst  be- 
fand, war  er  deutscher  Reichsgraf,  Generalleutnant, 
Generaladjutant,  Wirklicher  Kammerherr,  Leutnant 
der  Chevaliergarde,  Premiermajor  der  Garde  Preo- 
bratschensky,  Chef  des  Kürassierregiments  Casan  und 
noch  eines  Kavallerieregiments  und  Ritter  des  Alexan- 
der-Newsky-,  des  Weißen  Adler-,  des  Stanislaus-  und 
des  Annen-Ordens. 

Seine  Reichtümer  waren  nicht  zu  berechnen.  Nur 
allein  von  seinen  Besitzungen  beliefen  sich  die  Ein- 
künfte auf  dreiundsechzigtausend  Rubel,  wozu  zwei- 
tausendsiebenhundert Bauern  in  der  schönen  Statt- 
halterschaft Nishnij -Nowgorod  gerechnet  werden 
müssen. 

Über  die  Summen,  die  er  an  barem  Gelde  erhalten 
hat,  können  wir  nur  einige  Nachrichten  angeben. 

Gleich  am  ersten  Tage  seiner  Gunst  erhielt  er  sechzig 
tausend  Rubel.  Dies  war  jedoch  nur  der  Anfang  von 
ungleich  größeren  Geschenken. 

Als  vorzüglichster  Generaladjutant  bekam  er  monat- 
lich fünfzehntausend  Rubel  etatmäßigen  Gehalt,  ohne 
die  Besoldungen  von  seinen  übrigen  Chargen;  jedes- 
mal an  seinem  Geburtstage  hunderttausend  Rubel,  an 
seinem  Namenstage  ebensoviel;  an  seinem  Verlobungs- 
tage endlich  auch  noch  hunderttausend  Rubel.  Im  No- 
vember 1788  berechneten  Personen,  die  es  einiger- 
maßen wissen  konnten,  er  habe  in  den  nächst  vorher- 
gehenden drei  Monaten  allein  über  eine  halbe  Million 
Rubel  erhalten. 

Aber  wahrscheinlich  die  meisten  Summen,  deren  Ge- 


414  100.  Alexander  Mamonow. 

wißheit  nur  durch  die  Rechnungen  des  kaiserlichen 
Kabinetts  bestätigt  werden  könnte,  erhielt  Mamonow 
aus  dieser  Privatkasse  der  Monarchin,  aus  welcher  er 
auf  seine  Unterschrift  erheben  konnte,  so  viel  er  wollte. 
Es  waren  wohl,  wie  gesagt,  die  meisten  Summen  und 
mußten  gewiß  sehr  beträchtlich  sein,  weil  die  Kaiserin, 
die  so  etwas  nicht  leicht  bemerkte,  im  Anfange  des 
Jahres  1789  dem  Kabinettsminister  Streckalow^)  ihr 
Befremden  zeigte,  als  dieser  die  Richtigkeit  seiner  Be- 
rechnungen durch  eine  Menge  kleiner  Zettel  von  Ma- 
monows  Hand  belegte. 

Den  größten  Teil  aller  dieser  bestimmten  und  zu- 
fälligen Einnahmen  konnte  er  zu  Kapital  machen,  weil 
er  bei  Hofe  alles,  sogar  die  Bedienung,  frei  hatte  und 
man  ihm,  so  wie  seinen  Vorgängern  und  Nachfolgern, 
eine  Tafel  hielt,  die  etatmäßig  in  der  Hofwirtschafts- 
kasse jährlich  mit  sechsunddreißigtausend  Rubel  in 
Rechnung  gebracht  wurde. 

Wenn  man  nur  allein  die  Summen  zusammennimmt, 
die  bekannt  worden  sind,  so  wird  die  Meinung  derer, 
welche  behaupten,  daß  er  weit  über  eine  Million  Taler 
an  barem  Gelde  erhalten  habe,  nicht  übertrieben  ge- 
funden werden. 

Als  er  den  Hof  verließ,  verlor  er  natürlicherweise  aUe 
Besoldungen  und  erhielt  einen  etatmäßigen  jährlichen 
Gnadengehalt  von  zehntausend  Rubel. 

^)  Streckalow  lebte  noch  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  und 
war  damals  Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Ritter  der  vornehmsten 
Orden.  Er  war  einer  der  unterrichtetsten,  klügsten  und  witzigsten 
Russen.  —  Einst  begegnete  ihm  der  Fürst  Borjatinsky,  der  Peter  III. 
hatte  erwürgen  helfen,  auf  der  Straße.  Der  Knes  faßte  Streckalow 
am  Halse  und  aus  Scherz  schüttelte  er  ihn.  ,,Nein,"  sagte  ihm  dieser, 
,,das  verbitte  ich  mir,  denn  ich  weiß,  daß  Sie  diesen  Handgriff  sehr 
ernsthaft  machen."  So  empfindlich  war  bis  zu  Pauls  I.  Regierungs- 
antritt Borjatinsky  gewiß  noch  nie  an  sein  Verbrechen  erinnert 
worden. 


100.  Alexander  Mamonow.  41 5 

Der  Schatz  seiner  Brillanten  stand  mit  seinen  übri- 
gen Reichtümern  in  sehr  richtigem  Verhältnis. 

Alle  Ordenszeichen  und  Sterne  von  allen  seinen  Or- 
den hatte  er  in  Brillanten  sowohl  als  in  Perlen,  und  alle 
von  der  Monarchin  bekommen.  Zum  Beispiel  an  seinem 
Geburtstage  1788  bekam  er,  außer  dem  bestimmten 
baren  Gelde,  den  Alexander-Orden  und  Stern  von 
Brillanten,  den  die  Kaiserin  von  Lanskoys  Erben  für 
dreißigtausend  Rubel  gekauft  hatte.  Wir  reebnen  nicht 
her,  was  er  alles  von  Putz  der  Männer  in  Brillanten 
hatte.  Man  wird  es  leicht  beurteilen  können,  wenn  wir 
sagen,  daß  er  unter  andern  mehrere  Achselbänder  hatte, 
von  denen  das  teuerste  fünfzigtausend  Rubel  kostete. 
Die  Verlobungsringe  erhielten  er  und  seine  Frau  von 
der  Kaiserin.  Jeder  kostete  fünftausend  Rubel. 

So  bestrafte  die  großmütige  Monarchin  Vernach- 
lässigung und  Undank.  Zugleich  befestigte  sie  aber 
auch  durch  ihre  Güte  die  Grundsätze  des  Eigen- 
nutzes. 

Es  kann  den  Lesern  dieses  Aufsatzes  wohl  nicht  ent- 
gangen sein,  daß  eben  Eigennutz  der  hervorstechend- 
ste Fehler  in  Mamonows  Charakter  war.  Zu  ihm  ge- 
sellten sich  vorzüglich  Stolz,  Eitelkeit  und  Undank. 
Ihnen  hielten  Ausdauer  in  den  angefangenen  Unter- 
nehmungen und  Anhänglichkeit  an  seine  Familie  nur 
schwach  das  Gegengewicht ;  und  auch  diese  Tugenden 
waren  vielleicht  nur  Wirkungen  seines  Eigennutzes. 

Desto  schätzbarer  waren  seine  Talente. 

Mamonow  war  gewiß  unter  allen,  die  wir  in  seiner 
Kategorie  kennen,  der  Unterrichtetste.  Er  hatte  sehr 
viel  Verstand,  eine  durchdringende  Feinheit  und  so 
viel  Kenntnisse,  daß  man  in  einigen  wissenschafthchen 
Teilen,  besonders  in  der  französischen  und  italienischen 
Literatiu:,  ihn  sogar  gelehrt  nennen  könnte.  Er  ver- 


4l6  100.  Alexander  Mamonow. 

stand  einige  lebende  Sprachen,  aber  Französisch  redete 
und  schrieb  er  in  der  größten  Vollkommenheit. 

Einss  seiner  geringsten  Verdienste  war,  daß  er  Lust- 
spiele,^) im  Geschmack  des  Aristophanes,  mit  hämisch 
persiflierendem,  leicht  zu  deutendem  Witz  verfertigte. 
Dieser,  dem  er  immer  nachjagte,  war  selten  natürlich, 
und  daher  nicht  oft  glücklich.  Gewöhnlich  beruhte  er 
auf  täuschendem  Nachäffen  des  sittlichen  Benehmens 
einiger  Personen,  die  man  lächerlich  machen  wollte. 
Dem  Drange,  durch  dieses  schädliche  Talent  zu  ge- 
fallen, opferte  er  alles,  selbst  Personen  auf,  denen  er 
Achtung  schuldig  war. 

So  angenehm  Mamonow  in  Gesellschaften  seinkonnte, 
wenn  er  es  wollte,  so  wenig  war  er  es,  wenn  er  Launen 
hatte,  die  er,  selbst  an  öffentlichen  Hoftagen,  eher  zu 
zeigen,  als  zu  verbergen  sich  Mühe  gab. 

Sein  Umgang  mit  jedermann  war,  je  nachdem  es  ihm 
nötig  schien,  höflich,  ungezwungen  und  gütig.  Gegen 
den  Thronfolger  und  dessen  Gemahlin  zeigte  er  die 
größte  Ehrerbietung  und  eine  Aufmerksamkeit,  die 
ihm  immer  die  Gnade  dieses  hohen  Paares  erhielt. 

Sein  Wuchs  war  vortrefflich,  aber  sein  Gesicht,  mit 
Ausnahme  der  Augen,  nichts  weniger  als  schön.  Das 
Urteil  der  Kaiserin  über  ihn,  daß  das  Kolorit  schlecht 
wäre,  war  eben  so  richtig,  als  die  Meinung  des  Fürsten 
Potemkin,  welcher  behauptete,  Mamonow  habe  eine 
Art  von  Kalmücken-Physiognomie. 

Mit  einem  Wort,  alle  seine  Vorgänger  waren  hüb- 
scher als  er. 

^)  Sie  stehen  im  Th6ätre  de  l'Hermitage,  das  in  Paris  in  zwei 
Oktavbänden  herausgekommen  ist.  Die  Verfasser  der  darin  ent- 
haltenen Stücke  waren,  wenn  wir  nicht  irren,  die  Kaiserin,  die 
Grafen  Segur,  Cobenzl,  Mamonow,  Strogonow  und  ein  gewisser 
Estades,  der  nachher  in  Paris  guillotiniert  wurde.  Die  besten  Stücke 
sind  von  Segur. 


loi.  Eck.  417 

Für  seine  Verwandten  sorgte  er  durch  die  Gnade  der 
Kaiserin  sehr  freigebig. 

Der  Vater,  der  bisher  eine  Charge  in  der  Provinz  ge- 
habt hatte,  wurde  Senator,  Geheimer  Rat  und  Ritter 
des  Alexander-Newsky-Ordens.  Zugleich  gab  ihm  die 
Kaiserin  achtzigtausend  Rubel  zur  Bezahlung  seiner 
Schulden, 

Jeder  der  vier  Schwestern  des  jungen  Mamonowo 
gab  diese  Prinzessin  fünfzigtausend  Rubel  bares  Geld 
und  für  zwanzigtausend  Rubel  Schmuck. 


loi.   Eck. 


Eck  war  von  altdeutschen  oder  schwedischen  Eltern 
geboren.  Er  hatte  einen  sehr  fähigen  Kopf;  ein  Um- 
stand, der  ihm  bei  einer  ziemlich  sorgfältigen,  wissen- 
schaithchen  Erziehung,  die  er  erhielt,  sehr  vorteilhaft 
war.  Eck  erwarb  sich  sehr  nützliche  und  angenehme 
Kenntnisse.  Damit  verband  er  treffenden  Witz  und 
muntere  Laune,  so  daß  seine  Unterhaltung  unterrich- 
tend und  belustigend  zugleich  war.  Diese  verlor  er  je- 
doch in  den  achtziger  Jahren,  den  letzten  seines  ge- 
schäftigen Lebens. 

Eck  war  von  Jugend  an  im  Postwesen  angestellt  ge- 
wesen, und  wurde  endlich  Oberpostdirektor  in  Peters- 
burg und  Mitglied  der  sogenannten  Dechiffrierexpe- 
dition, ^)  die  unglaubliche  Summen  kostete,  große  Mühe 
und  Genauigkeit  erforderte,  und  doch  nur  durch  Kom- 
binationen und  den  goldenen  Schlüssel  dechiffrierte. 

^)  Die  Dechiffrierexpeditionen  kosteten  der  Kaiserin  große  Sum- 
men (z.  B.  die  in  Riga  jährlich  20000  Rubel)  und  waren  zwecklos. 
Man  brachte  nichts  als  unzuverlässige  Kombinationen  heraus.  Der 
einzige  oder  wenigstens  der  sicherste  Schlüssel  war  wohl  der  goldene. 

Russische  Günstlinge.  27 


4l8  102.  Dah!. 

Eigenes  Vermögen  hatte  er  wohl  nicht  erworben, 
wenigstens  wird  es  nicht  beträchthch  gewesen  sein; 
aber  seine  bedeutenden  Einkünfte  und  die  Gnade  der 
Kaiserin  setzten  ihn  in  den  Stand,  den  großen  Aufwand 
zu  bestreiten,  den  ihm  sein  Hauswesen  verursachte. 

Er  und  sein  Freund  Dahl  folgten  sich  im  Tode  bcJd 
nach.  Eck  starb  auch  am  Ende  der  achtziger  Jahre. 

Eck  war  Oberpostdirektor,  Wirklicher  Staatsrat  und 
Ritter  des  Wladimir-Ordens  von  der  dritten  Klasse  und 
des  Nordstern-Ordens.  1)  Den  letztern  hatte  er  während 
der  Anwesenheit  des  Königs  von  Schweden  in  Rußland 
erhalten. 


102.  Dahl. 

Dahl,  der  Sohn  eines  Handwerkers  auf  der  Insel 
Oesel  oder  in  Riga,  erlangte  eine  große  Fertigkeit  im 
Rechnen  und  Schreiben. 

Dieser  Vorzug  brachte  ihn  in  die  Zollexpedition  in 
Riga.  Hier  zeichnete  er  sich  für  den  Vorteil  der  Krone 
so  nützlich  aus,  daß  er  Oberzolidirektor  wurde.  Allein 
er  blieb  es  nicht  lange. 

Seine  Verdienste  brachten  ihn  im  Anfange  der  acht- 
ziger Jahre  in  die  nämliche  Stelle  nach  Petersburg.  Er 
bekleidete  seinen  Posten  in  der  Residenz  ebenfalls  zur 
größten  Zufriedenheit  der  Monarchin,  aber  freilich 
nicht  zur  großen  Freude  der  Kaufleute,  die  ihn  wegen 
seiner  großen  Strenge  haßten. 

Dahl  hatte  in  seinen  Ämtern  Gelegenheit,  Reich- 
tümer zu  sammeln  und  von  der  Großmut  der  Kaiserin 

^)  Als  der  Großfürst  Paul  unter  dem  Namen  eines  Grafen  von 
Norden  auf  Reisen  ging,  ließ  man  von  Eck  den  Nordstern-Orden  holen 
und  nach  demselben  eine  Petschaft  stechen,  dessen  sich  der  Prinz 
während  seiner  Reise  bediente. 


loj.  Stepan  Tschischkowsky.  419 

ansehnliche  Geschenke  zu  bekommen.  Von  dem  Er- 
trage dieses  Privatvermögens  und  von  den  sehr  be- 
trächthchen  Einkünften  seiner  Stelle  konnte  er  einen 
glänzenden  Aufwand  bestreiten  und  täglich  Leute  an 
seiner  wohlbesetzten  Tafel  sehen.  In  keinem  Lande  ist 
man  so  großmütig  gastfrei  als  in  Rußland;  gewiß  für 
einen  Fremden  die  willkommenste  und  vorteilhafteste 
Tugend.  Dahl  übte  sie  ausgedehnten  Sinne  des  Wortes 
aus  und  dies  war  desto  mehr  zu  bewundern,  da  er  alt 
und  immer  kränklich  war.  Bei  ihm  fand  man,  wie  an 
den  meisten  Tafeln  der  Russen,  Leute  aus  allen  Klas- 
sen; eine  Verschiedenheit,  die  den  Wert  der  Gast- 
freundschaft noch  erhöhte. 

Dahl  starb  am  Ende  der  achtziger  Jahre  und  wurde 
von  der  Kaiserin  und  von  denen,  die  ihn  kannten  und 
schätzten,  sehr  bedauert. 

Er  war  Oberzolldirektor,  Wirklicher  Staatsrat  und 
Ritter  des  Wladimir-Ordens  von  der  zweiten  Klasse. 


103.  Stepan  Tschischkowsky. 

Stepan  Tschischkowsky,  ein  gemeiner  Mensch  von 
Herkunft,  Erziehung  und  Grundsätzen,  war  unter  der 
Regierung  Katharinas  IL  der  Schrecken  des  Hofs  und 
der  Stadt. 

Diese  Fürstin  hatte  ihn  zum  Direktor  der  geheimen 
Kanzlei,  oder  eigentlicher  zu  reden,  zum  Großinqui- 
sitor von  Rußland  ernannt;  ein  Posten,  den  er  mit 
fürchterlicher  Pünkthchkeit  und  Strenge  bekleidete. 

Er  handelte  mit  einem  empörenden  Despotismus 
und  hatte  keinen  Begriff  von  Nachsicht  und  Schonung. 
Tschischkowsky  rühmte  sich  selbst,  daß  er  das  Mittel 


A20  103-  Stepan  Tschischkowsky. 

besitze,  Geständnisse  zu  erzwingen;  er  stoße  nämlich 
mit  dem  Stocke  unter  das  Kinn,  daß  die  Zähne  klap- 
perten, oder  auch  wohl  herausfallen  müßten,    ..^  ,-. 

Kein  Dehnquent  durfte  bei  Lebensstrafe  sich  ver- 
teidigen. 

Gleichwohl  muß  man  bemerken,  daß  diese  Behand- 
lung nur  bei  Personen  von  hohem  Rang  stattfand, 
denn  gemeine  Verbrecher  wurden  durch  seine  unter- 
geordneten Helfer  behandelt.  Auf  diese  Art  brachte 
Tschischkowsky  Geständnisse  heraus. 

Die  Bestrafimg  vornehmer  Personen  vollstreckte  er 
auch  selbst.  Rutenstreiche  und  Peitschenhiebe  teilte 
er  sehr  oft  aus.  Die  Knute  gab  er  mit  einer  Geschick- 
lichkeit, die  eine  Folge  der  Übung  ist. 

Als  Potemkin  nach  langer  Abwesenheit  nach  Peters- 
burg kam  und  Tschischkowsky  unter  denen  sah,  die 
ihm  die  Aufwartung  machten,  fragte  er  ihn  öffentlich : 
,,Wie  viel  Personen  haben  in  meiner  Abwesenheit  von 
dir  selbst  die  Knute  bekommen?"  jener  hatte  doch  die 
Scham,  bloß  durch  eine  Verneigung  für  diesen  gnädigen 
Scherz  zu  danken. 

Bei  Gelegenheit  der  Karikaturen  und  Schmäh- 
schriften in  den  achtziger  Jahren,  gerieten  einige  Per- 
sonen vom  Hofe  in  seine  Hände. 

In  Petersburg  ha'tte  er  täglich  Geschäfte,  aber  auch 
auswärts  wurde  er  gebraucht. 

Wenn  z.  B.,  was  sehr  oft  geschah,  von  der  Menge 
Unfriedener  in  Moskau  ungebührhche  Reden  geführt 
wurden,  und  die  Kaiserin  erfuhr  es,  so  glaubte  sie,  wie 
in  den  neunziger  Jahren,  den  Samen  von  Aufruhr  zu 
entdecken  und  suchte  ihn  zu  ersticken.  Sie  schickte 
Tschischkowsky  dahin.  Ganz  Moskau  zitterte  und  die 
Sache  wurde,  nachdem  einige  bestraft  worden  waren, 
wieder  beigelegt. 


104-  Radischew.  42I 

Wir  tragen  Bedenken,  einige  von  den  Herren  und 
Damen  zu  nennen,  die  in  den  vornehmsten  Städten  des 
Reichs  von  ihm  gezüchtigt  wurden. 

Wenn  Tschischkowsky  noch  lebt,  so  ist  er  wenigstens 
unter  dem  philantropischen  Alexander  I.  ganz  ohne 
Beschäftigung, 

Am  Ende  der  Regierung  Katharinas  II.  war  er  Ge- 
heimer Rat,  mit  dem  Prädikat :  Exzellenz  und  Ritter 
des  Wladimir-Ordens  von  der  zweiten  Klasse.  Seine 
Reichtümer  waren  sehr  groß,  denn  bei  jeder  Gelegen- 
heit erhielt  er  Geschenke  an  Geld  und  Bauern. 

Im  Jahre  1793,  als  der  türkische  Friede  geschlossen- 
wurde, wozu  er  doch  nichts  beigetragen  hatte,  bekam 
er  die  Versicherung  einer  jährlichen  Pension  von  zwei- 
tausend Rubel. 

Tschischkowsky  hatte  einen  Sohn,  der  sieh  durch 
Kenntnisse,  gute  Gesinnungen  und  gefälliges  Beneh- 
men auszeichnete. 


104.  Radischew. 

Offene  oder  verdeckte  Wahrheit  den  gewöhnlichen 
Großen  der  Erde  vorgetragen,  war  von  jeher  der  ge- 
wisse Weg,  unglücklich  zu  werden. 

Radischew  machte  durch  seine  Kenntnisse,  durch 
seine  Tugenden  und  durch  seine  Brauchbarkeit  seine 
geringe  Abkunft  vergessen.  Er  hatte  Gelegenheit  ge- 
habt, in  Leipzig  zu  studieren  und  war  daselbst  so 
fleißig  gewesen,  daß  man  wirklich  sagen  konnte,  er 
hatte  in  der  deutschen,  französischen  und  lateinischen 
Literatur  einen  wahren  Schatz  von  Kenntnissen  ge- 
sammelt. Diese  Gelehrsamkeit  war  desto  verdienst- 


422  104-  Radisckew. 

lieber,  weil  Radischew  mit  ihr  eine  Bescheidenheit  ver- 
band, wie  man  sie  selten  findet. 

Nach  seiner  Zurückkunft  aus  Sachsen  wurde  er  beim 
Zollwesen  angestellt  und  blieb  daselbst  bis  auf  den 
Augenbhck  seiner  Verbannung. 

Er  hätte  verdient,  wichtigere  Stellen  im  Staate  zu 
bekleiden,  aber  ein  Mann  von  Verstand  paßt  auch  in 
geringere  Fächer.  Da  er  sehr  brauchbar  war,  so  rückte 
er  bald  in  höhere  Plätze  in  der  Zollexpedition  und 
wurde  der  nächste  nach  dem  Oberzolldirektor  Dahl. 

Das  Haus  dieses  Mannes  war  fast  der  einzige  Ort, 
wo  man  Radischew  sah. 

Er  sprach  sehr  wenig  und  selten  eher,  als  bis  er  ge- 
fragt wurde.  Aber  wenn  er  eine  Veranlassung  hatte, 
dann  drückte  er  sich  gut  aus  und  war  sehr  unterrich- 
tend. Übrigens  war  er  immer  in  sich  gekehrt  und  hatte 
das  Ansehen  eines  Mannes,  der  auf  nichts  achtet,  was 
außer  ihm  vorgeht  und  mit  einem  Gegenstand  be- 
schäftigt ist,  der  ihm  Nachdenken  verursacht.  Außer- 
dem besuchte  er  noch  in  kleiner  hterarischer  Gesell- 
schaft den  Grafen  Alexander  Woronzow  und  dessen 
Schwester,  die  Fürstin  Daschkow;  zwei  Personen,  die, 
wie  wir  wissen,  durch  Verstand  und  Kenntnisse  unter 
den  Großen  des  Hofs  sich  vorteilhaft  auszeichneten. 

Überdies  hatte  Radischew  noch  eine  sehr  gültige  An- 
weisung, zu  dem  Grafen  Woronzow  zu  gehen,  da  dieser 
Minister  damals  der  eigentlich  erste  und  vornehmste 
Chef  des  Zollwesens  war. 

Nach  Dahls  Tode  wurde  er  Oberzolldirektor  und 
Staatsrat.  Ritter  des  Wladimir-Ordens  von  der  vierten 
Klasse  war  er  schon  gewesen,  als  er  noch  Kollegienrat 
war.  Auf  seinem  neuen  Platze  blieb  er  nicht  lange. 

In  einer  der  kleinen  Bücherbuden,  dem  großen  Kauf- 
hofe in  der  Wladimirskaja-Uhtza  {Wladimirstraße), 


104-  Radischew.  423 

Nr.  21,  22  oder  24,  wurde  ein  kleines  russisches  Buch 
verkauft,  das  den  Titel  führte:  Reise  von  Petersburg 
nach  Moskau.  Auf  dieser  Reise  hatte  der  Verfasser 
einen  Traum,  den  er  erzählte.  Er  sprach  bei  dieser  Ge- 
legenheit mit  großer  Freimütigkeit  von  Begebenheiten 
der  damaligen  Staatsverwaltung,  die  wohl  nicht  dazu 
geeignet  waren,  in  ihrem  wahren  Zusammenhange  be- 
kannt zu  werden.  Indessen  waren  alle  Personen  unter 
andern  Namen  verborgen,  nur  in  dem  einzigen  Um- 
stände (und  dieser  machte  wohl  Radischews  Unglück) 
war  die  Kaiserin  genannt,  als  die  Wahrheit  verschleiert 
vor  ihr  erscheint,  sich  darauf  enthüllt  und  ihre  blu- 
tende Gestalt  dieser  Prinzessin  zeigt. 

Das  Buch  fand  Abgang,  weil  es  in  einem  hinreißen- 
den, pikanten  Stil  geschrieben  war.  Jeder,  der  nur 
einige  Kenntnis  von  der  damaligen  Behandlung  der 
Geschäfte  hatte,  konnte  ohne  Schlüssel  sich  die  An- 
spielungen erklären.  In  einigen  Tagen  war  schon  eine 
Menge  Exemplare  verkauft. 

Auf  einmal  erfuhr  Tschischkowsky  diese  Sache.  Er 
bekam  das  Buch  in  seine  Hände,  erklärte  wie  jeder 
andere  die  verborgenen  Namen  und  machte  eine  An- 
zeige an  die  Kaiserin.  Alle  noch  vorrätigen  Exemplare 
wurden  konfisziert,  der  Buchladen  geschlossen  und  der 
Eigentümer  unglücklich  gemacht. 

Dies  geschah  nur  unter  der  Hand,  aber  nie  hörte  man 
wieder  von  ihm  reden. 

Durch  ihn  erfuhr  man,  daß  Radischew  der  Verfasser 
dieses  Buches  sei.  Seine  Wohnung  wurde  untersucht, 
und  man  entdeckte,  daß  er  das  Buch  auch  selbst  ge- 
druckt hatte.  Die  Verwunderung  aller,  die  diesen  Mann 
kannten,  war  ebenso  groß  als  das  Bedauern  über  das 
Schicksal,  das  ihn  erwartete.  Man  fand  diese  Unter- 
nehmung mit  seiner  sonst  bekannten  Vorsicht  gar  nicht 


424 


104-  Radischew. 


übereinstimmend.  Hätte  er  in  diesem  Buche  nur  nicht 
die  Kaiserin  genannt,  so  würde  man  ihn  nicht  haben 
überführen  können,  daß  er  eine  boshafte  Absicht  ge- 
habt habe.  Wahrscheinhch  aber  hatte  er  geglaubt,  da 
er  in  einem  entfernten  Teile  der  Stadt,  in  der  Jemskoy, 
wohnte  und  also  das,  was  in  seinem  Hause  vorging, 
nicht  so  genau  beobachtet  werden  könnte ;  da  er  alles 
selbst  machte  und  keinen  vertrauten  Gehilfen  hatte; 
und  da  er  das  Buch  in  kleine  Buchladen  gab,  wo  der 
Handel  nicht  auffallend  ist,  so  würde  er  nicht  verraten 
werden  können.  Indessen  wurde  doch  die  ganze  Sache 
mit  ihren  kleinsten  Umständen  der  geheimen  Polizei 
bekannt. 

Einem  so  geübten  Spürer  wie  Tschischkowsky  blie- 
ben kaum  die  Gedanken  unentdeckt;  seinen  Händen 
zu  entrinnen,  war  Unmöglichkeit. 

Der  unglückliche  Radischew  befand  sich  in  seiner 
Gewalt.  Bald  hörte  man,  daß  er  nach  Sibirien  gebracht 
worden  sei.  Dies  geschah  im  Anfange  der  neunziger 
Jahre.  Er  war  schon  von  dem  größten  Teile  der  Ein- 
wohner Petersburgs  vergessen,  als  man  zwei  Jahre 
nachher  wieder  von  ihm  reden  hörte. 

Der  Unglückliche,  obgleich  in  Sibirien,  hatte  doch 
einen  sehr  leidlichen  Arrest  gehabt.  Der  Kommandant 
des  Orts,  wo  er  war,  ein  menschenfreundlicher  Mann, 
erfreut  über  Radischews  Unterhaltung,  hatte  ihm  alle 
mögliche  Freiheiten  gestattet.  Unter  diese  gehörte  der 
Gebrauch  aller  Schreibmaterialien.  Radischew,  be- 
meistert von  dem  Drange,  immer,  auch  unaufgefordert, 
die  Wahrheit  zu  sagen  oder  vielmehr  zu  schreiben, 
hatte  wieder  ein  Werk,  dem  erstem  ähnlich,  geschrie- 
ben und  die  Handschrift  bereits,  wir  wissen  aber  nicht 
wohin,  abgehen  lassen.  Der  Unglückliche  ward  wieder 
entdeckt.   Man  brachte  ihn   einige   hundert   Werste 


105.  Germann.  425 

weiter  in  ein  härteres  Gefängnis  und  beraubte  ihn  seiner 
Liebhngsbeschäftigungen  und  aller  Bequenüichkeiten. 
Er  starb  bald  hernach. 

Katharina  II.,  menschlicher  als  Potemkin,  der  den 
größten  Teil  des  Buchs  aus  seiner  eigenen  Geschichte 
erklären  konnte,  nahm  sich  der  vaterlosen  Kinder  des 
unglücklichen  Radischews  an  und  ließ  sie  erziehen. 

Auf  die  Beschützer  Radischews,  den  Grafen  Woron- 
zow  und  die  Knejina  Daschkow,  hatte  diese  Geschichte 
ebenfalls  Einfluß.  Man  wußte  ihre  Verbindung  mit 
diesem  Manne.  Sie  wurden  beschuldigt,  Anteil  an  dem 
Buche  zu  haben  und  mußten  sich  vor  der  geheimen 
Inquisition  rechtfertigen.  Bestraft  wurden  sie  nicht, 
aber  sie  verloren  ihr  Ansehen  bei  der  Kaiserin  und 
mußten  endlich  nach  und  nach  sich  vom  Hofe  und  von 
den  Geschäften  entfernen.  — 

Durch  die  Konfiskation  des  Buchs  verhinderte  man 
doch  nicht,  daß  es  bekannt  wurde.  In  Rußland  kamen 
Abschriften  davon  in  Umlauf,  und  es  kamen  sogar 
Exemplare  über  die  Grenze.  Das  Orakel  zu  Endor  ent- 
hält viele  Stellen,  die  Auszüge  aus  diesem  Buche  sind. 


105.  Germann. 

Ein  Mann,  der  aus  dem  niedrigsten  Pöbel  entspros- 
sen, nach  und  nach  nur  durch  Talente  und  Tapferkeit 
sich  emporschwingt,  verdient  gewiß  die  Verehrung  der 
Nation,  welcher  er  die  Früchte  seines  Geistes  und  seines 
Charakters  darbringt. 

Germann  war  der  Sohn  eines  Dorfschmieds  aus  der 
Gegend  von  Pretzsch  in  Sachsen.  Er  studierte  in  seinem 
Vaterlande  die  Gottesgelahrtheit  und  ging  dann,  durch 


426  105-  Germann. 

Empfehlung  unterstützt,  nach  Livland,  wo  er  eine 
Hofmeisterstelle  erhielt. 

Sein  Prinzipal,  dem  er  seine  Lust  zum  Militärdienste 
blicken  ließ,  beförderte  dieses  Vorhaben,  Soldat  zu 
werden  und  verschaffte  ihm  bald  einen  militärischen 
Grad.  Germann  wiu^de  dem  General  Bauer  bekannt, 
der  an  ihm  einen  fähigen  und  unternehmenden  Kopf 
entdeckte,  ihm  großen  Unterricht  gab,  und  ihm  vor- 
teilhafte Anstellungen  verschaffte.  Er  zeichnete  sich 
einigemal  vorteilhaft  aus  und  wurde  reichlich  dafür 
belohnt. 

Im  zweiten  Türkenkriege  hatte  er  das  Glück,  den  be- 
kannten Batal-Beyi)  von  Natolien  gefangen  zu  neh- 
men. 

Für  diesen  Sieg,  der  einem  Manne  wie  Germann 
wenig  Mühe  kostete,  erhielt  er  fünfhundert  Bauern  in 
Finnland.  In  jeder  andern  Provinz  wäre  dieses  Ge- 
schenk beträchtlich,  aber  in  diesem  steinreichen  Lande 
ist  es  ganz  unbedeutend.  Rühmlicher  war  es,  daß  er 
das  Ehrenzeichen  des  militärischen  Georg-Ordens  von 

^)  Batal-Bey  war  schon  ein  alter  Mann,  als  er  das  Unglück  hatte, 
gefangen  zu  werden.  Er  wurde  nach  Petersburg  gebracht,  wo  er 
von  der  Großmut  der  Kaiserin  eine  Pension  von  12000  Rubel  erhielt. 
Demohnerachtet  war  er  sehr  unzufrieden  mit  seinem  Schicksal,  und 
die  Ursache  war  seinem  Charakter  nach  sehr  natürlich.  Bei  der  An- 
näherung der  Kriegsgefahr  hatte  er  seine  kostbarsten  Schätze  ver- 
graben. Zu  diesem  Geschäfte  hatte  er  nur  zwei  Menschen,  seine 
treuesten  Bedienten,  gebraucht.  Da  aber  dem  alten  Bösewicht  das 
Geheimnis  nicht  sicher  genug  verwahrt  zu  sein  schien,  so  ermordete 
er  diese  beiden  Diener,  die  wohl  mit  Recht  seine  Freunde  genannt 
werden  konnten.  Batal-Bey  hatte  bald  Ursache,  diesen  schändlichen 
Mord  zu  bereuen.  Die  Russen  kamen  unter  Germanns  Anführung 
und  nahmen  ihn  gefangen.  Er  wurde  weggeführt  und  mußte  seine 
Schätze  verlieren,  die  sonst  eine  Beute  der  Feinde  würden  geworden 
sein.  Nachkommen  konnte  er  sie  nicht  lassen,  weil  sie  die  Türken 
nicht  würden  haben  verabfolgen  lassen  imd  abholen  konnte  er  sie 
auch  nicht,  denn  er  wurde  beim  Frieden  nicht  ausgewechselt  und 
würde  also  seinen  Kopf  verloren  haben. 


xo6.  Piaton  Subow  I.  427 

der  zweiten  Klasse  erhielt.  General  Bauer i)  und  er 
waren  die  einzigen,  die  mit  dieser  Klasse  des  Militär- 
Ordens  angefangen  hatten,  Ordenszeichen  zu  be- 
kommen. 

Paul  I.  bestimmte  ihn  zum  Gouverneur  in  Malta; 
dies  konnte  er  aber  freilich  nicht  werden.  2) 

Germann  gab  noch  verschiedene  Beweise  seiner  mili- 
tärischen Talente. 

Reichtümer  sammelte  er  nicht,  aber  Ehrenzeichen. 

Am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  war  er  General- 
leutnant, Generalquartiermeister  und  Ritter  des  Alex- 
ander-Newsky-  und  des  Annen-Ordens  und  des  Groß- 
kreuzes der  zweiten  Klasse  des  Georg-Ordens. 

Ob  er  jetzt  noch  lebt,  wissen  wir  nicht. 

Seine  Gemahlin  war  eine  Tochter  des  Etatsrats  und 
berühmten  Wasserbaumeisters  Gerhardt. 


106.  Piaton  Subow  I. 

Wenn  der  Dichter  und  der  bildende  Künstler  kein 
Bedenken  tragen,  den  Gegenständen,  die  sie  bearbeiten, 
gefällige  Formen  zu  geben  und  über  die  Fehler  mit 
Leichtigkeit  hinwegzugleiten,  oder  dieselben  nur  oben- 
hin zu  berühren,  um  durch  die  Art  ihrer  Darstellung 
einen  angenehmem  Eindruck  zu  bewirken,  so  darf  der 
historische  Schriftsteller  sich  nicht  dergleichen  Frei- 
heiten erlauben. 

^)  Bauer  war  ein  sehr  großer  Ingenieur  und  erwarb  sich  um  die 
Verschönerung  von  Petersburg  große  Verdienste.  Er  starb  im 
Anfange  der  achtziger  Jahre. 

*)  Paul  I.  verlangte  als  Großmeister  der  vertriebenen  Malteser- 
ritter von  England  1799  die  Auslieferung  der  von  ihnen  eroberten 
Insel  Malta  —  ohne  Erfolg. 


428 


io6.  Piaion  Stibow  I. 


Wahrheit  ist  das  erste,  das  unverbrüchlichste  Gesetz 
des  Geschichtschreibers. 

Die  Familie  Subow  gehört  allerdings  zu  den  alt- 
adeligen Geschlechtern  des  russischen  Reichs,  aber 
erst  am  Ende  der  Regierung  der  Kaiserin  Katharina  II. 
ist  sie  zu  einigem  Ansehen  gelangt. 

Der  Vater  Subows  bekleidete  das  Amt  eines  Vize- 
gouverneurs in  der  Provinz  und  verwaltete  dabei  die 
in  seiner  Nachbarschaft  liegenden  Güter  des  damaligen 
General  en  Chef,  Nicola]  Iwanowitzsch  Saltikow.^)  Er 
hatte  selbst  so  ansehnliche  Besitzungen,  daß  man  seine 
Einkünfte  auf  zwanzigtausend  Rubel  schätzte.  Durch 
das  Glück  seiner  Söhne  stieg  er  ebenfplls  empor.  Er 
wurde  sogar  Generalprokureur  im  Senat  und  Geheimer 
Rat.  Allein  er  konnte  sich  nicht  erhalten.     , 

Klug  mochte  er  wohl  sein,  aber  er  war  auch  boshaft. 
Man  beschuldigte  ihn,  daß  er  unter  der  Autorität  der 
Kaiserin  Ungerechtigkeiten  und  Betrügereien  verübe. 
Das  Unrecht,  das  er  beging,  mußte  groß  sein,  weil  man 
es  wagen  konnte,  das  Geschrei  darüber  bis  zu  den  Ohren 
der  Monarchin  zu  bringen,  die  sich  dadurch  bewogen 
fand,  den  Vater  des  Günstlings  zu  verabschieden  und 
ihn  sogar  vom  Hofe  zu  entfernen.  Wir  glauben  gehört 
zu  haben,  daß  er  noch  vor  der  Kaiserin  starb. 

Seine  Gemahlin  war  Staatsdame  der  Monarchin. 

Aus  dieser  Ehe  kamen  vier  Söhne,  Nikolaj,  Piaton, 
Valerian  und  Dmitrej  und  eine  Tochter. 

Der  Vater  gab  den  Söhnen  eine  nur  gewöhnliche, 
aber  doch  nicht  ganz  vernachlässigte  Erziehung.  Ihre 
Hauptwissenschaft  war  wohl  eine  ziemhch  oberfläch- 
liche Kenntnis  der  französischen  Sprache.  Er  brachte 

^)  Nikolaj  Iwanowitzsch  Saltikow  war  Chef  der  Erziehung  der 
beiden  Großfürsten  Alexander  und  Konstantin,  Präsident  des 
Kriegskollegiums,  Ritter  aller  Orden  von  Rußland,  und  jetzt  Feld- 
marschall.   Übrigem  zifth«!  Viele  »eine  Verdienst©  sehr  in  Zweifel. 


io6.  Piaton  Subow  I.  429 

alle  vier  Söhne  nach  Petersburg,  wo  sie  durch  die  Un- 
terstützung des  Generals  Saltikow  in  den  verschie- 
denen Regimentern  der  Garde  sogleich  als  Offiziere 
angestellt  wurden.  Von  den  drei  ältesten  Söhnen  han- 
deln eigene  Artikel. 

Dmitrej  ist  in  jedem  Betracht  der  unbedeutendste 
von  allen  und  wahrscheinlich  eben  deswegen  der  beste. 
Man  machte  ihn  zum  Kammerherrn  und  gab  ihm  eine 
Prinzessin  Wjasemsky,  eine  Tochter  des  ehemaligen 
Generalprokureurs,  zur  Gemahlin.  Er  hat  das  Unglück, 
etwas  taub  zu  sein. 

Die  Schwester  der  Subows  machte  sich  von  jeher 
durch  ihre  ausschweifende  Lebensweise  bekannt.  Ihr 
Gemahl  hieß  Tscherebtzow  und  wurde  Kammerherr. 
Sie  hatte  auch  einen  Sohn,  der  schon  Kammer  Junker 
war.  Dieser  wurde  mit  der  Nachricht  von  dem  Tode 
Pauls  I.,  wovon  er  Zeuge  gewesen  war,  nach  Berlin  ge- 
schickt. Man  hatte  ihn  sehr  schlecht  abgerichtet,  denn 
durch  ihn  erfuhr  man  alle  genauen  Umstände  dieser 
schaudernden  Begebenheit.  Er  sprach  davon  mit  einem 
Eifer,  als  ob  er  die  rühmhchste  Handlung  verbreiten 
wollte.  Seine  Mutter  war  damals  auch  in  Deutschland. 
Sie  hatte  die  Vorsicht  gebraucht,  schon  vor  der  Er- 
mordung des  Kaisers  aus  Petersburg  zu  entfliehen.  — 

Piaton  Subow,  der  zweite  von  allen  diesen  Brüdern, 
war  Offizier  in  der  Garde  zu  Pferde  und  hatte  am  Tage 
des  Falls  des  Grafen  Mamonow  die  Wache  in  Zarskoje 
Selo.  Er  war  damals  zweiundzwanzig  Jahre  alt.  Seine 
Erhebung  war  das  Werk  des  Zufalls,  und  wenn  man 
will,  der  Notwendigkeit. 

Durch  ein  bloßes  Ungefähr  war  es  bisher  geschehen, 
daß  schon  verschiedene  Abwechselungen  der  Günst- 
linge in  Zarskoje  Selo  stattgehabt  hatten.  Im  Grunde  sah 
man  es  am  Hofe  gern,  daß  sich  das  immer  so  traf,  weil 


430  io6.  Piaton  Subow  I. 

man  auf  diese  Art  glaubte,  daß  in  einiger  Entfernung 
von  der  Hauptstadt  manche  besondern  Umstände  der 
jedesmaligen  Veränderung  dem  Nachspüren  des  Corps 
diplomatique  entgehen  könnten;  ein  Zweck,  der  übri- 
gens wohl  ziemlich  verfehlt  wurde.  Außerdem  konnte 
die  Entfernung  von  Petersburg  keine  Schwierigkeit 
wegen  Besetzung  der  Stelle  machen,  weil  der  Fürst 
Potemkin  es  über  sich  genommen  hatte,  der  Monarchin 
die  Adjutanten  vorzuschlagen.  Aber  jetzt  war  er  ab- 
wesend und  man  befand  sich  daher  wirkHch  in  einiger 
Verlegenheit.  Sie  sprach  darüber  mit  Saltikow  und 
dieser  hatte  nichts  Angelegentlicheres  zu  tun,  als  ihr 
den  Offizier  von  der  Wache  vorzuschlagen.  Der  Ge- 
neral stand  mit  dem  Vater  des  Novizen  in  Verbindung. 
Wenn  er  das  Glück  des  jungen  Menschen  machte,  so 
konnte  er  auf  dessen  Dankbarkeit  und  auf  einen  durch- 
dringenden Einfluß  in  den  Geschäften  rechnen. 

Piaton  Subow  erschien.  Sein  Ansehen  war  so  wenig 
empfehlend  als  seine  Fähigkeiten.  Hätte  man  eine 
Alternative  gehabt,  so  wäre  er  nie  gewählt  worden; 
doch  da  man  Mamonow  zeigen  wollte,  daß  man  um 
Adjutanten  nicht  verlegen  sei,  so  wurde  er  angenom- 
men. Bisher  hatten  viele  von  ihnen  Alexander  geheißen. 
Jetzt  kam  ein  kleiner,  schwächlich  scheinender  Mann, 
der  den  für  einen  Günstling  nicht  sehr  bedeutenden 
Namen  des  großen  Plato  hatte.  Die  witzig  sein  wollen- 
den Höflinge  sagten  daher:  ,,Die  Monarchin  wolle 
keinen  Adjutanten  mehr  annehmen;  sie  habe  sich  in 
die  Arme  der  Philosophie  geworfen." 

Schon  am  ersten  Abend  der  Ungnade  Mamonows 
wurde  Subow  zum  Flügeladjutanten  der  Kaiserin  und 
zum  Obersten  ernannt  und  erhielt  durch  Saltikow  den 
Befehl,  die  Monarchin  und  einige  Personen  des  Hofs 
auf  einer  Lustfahrt  zu  Wasser  zu  begleiten. 


io6.  Piaton  Subow  I.  43 1 

Da  MamoROws  Gemächer  nicht  erledigt  waren,  in- 
dem die  Kaiserin  ihn  vor  seiner  Vermählung  nicht  vom 
Hofe  entfernen  wollte,  so  bezog  Subow  andre  sehr 
prächtig  möblierte  Zimmer  im  Kaiserlichen  Palais. 
Um  sich  seiner  Bestimmung  gemäß  einzurichten, 
erhielt  er  gleich  in  den  ersten  Tagen  dreißigtausend 
Rubel. 

Übrigens  hatte  man  anfänglich  nicht  Ursache,  sich 
dieser  Wahl  zu  freuen. 

Subows  Unterhaltung  war  weder  lebhaft  noch  witzig, 
und  seine  große  Jugend  machte,  da.ß  er  zuweilen  Fehler 
beging,  die  nur  denen  eigen  sind,  welche  in  diesem  Alter 
ihre  Erziehung  noch  nicht  vollendet  haben.  Er  fühlte 
das  Unschickliche  seines  Benehmens,  legte  es  ganz  ab 
und  wurde  endlich  in  Gesellschaften  (den  Nimbus  ab- 
gerechnet, der  ihn  in  seiner  hohen  Würde  immer  um- 
geben mußte)  ziemlich  liebenswürdig. 

Subow  gab  sich  auch  viel  Mühe,  sich  wissenschaft- 
liche Kenntnisse  zu  erwerben  und  tat  es  mit  glück- 
lichem Erfolg. 

Seine  LiebHngsneigung  war  die  Tonkunst.  Das  Stu- 
dium derselben  trieb  er  mit  Feuer  und  erlangte  eine 
große  Fertigkeit  auf  der  Violine.  Er  konnte  den  Stu- 
dien desto  besser  obliegen,  da  er  am  Hofe  eine  Lebens- 
weise gewählt  hatte,  die  so  still  war  als  es  nur  das  Ge- 
räusch des  Hofs  erlaubte. 

Diese  Wahl  traf  er  auf  Anraten  Saltikows,  seines  vor- 
maligen Beschützers,  denn  schon  jetzt  brauchte  er 
keinen  mehr.  Sein  Mentor  hatte  ihn  vor  allen  Verbin- 
dungen, die  so  leicht  das  Ansehen  von  Intrigen  haben 
können,  gewarnt  und  ihm  diejenigen  Regeln  gegeben, 
deren  Befolgung  zur  Befestigung  seines  Ansehens  wohl 
nötig  sein  mochte,  die  aber  für  das  Wohl  der  Mensch- 
heit gewiß  nicht  die  besten  waren. 


432  io6.  Piaton  Subow  I. 

Infolge  dieser  Lehren  machte  es  sich  Subow  zam 
Grundsatz,  der  bei  ihm  Gesetz  wurde :  nie  einen  Willen 
für  sich  zu  haben,  wenn  er  nicht  mit  den  Gesinnungen 
der  Kaiserin  übereinstimmte ;  immer  ihren  Launen  und 
Hauptleidenschaften,  mit  welchen  ihn  Saltikow  bei- 
läufig bekannt  machte,  zu  schmeicheln;  und  endlich 
dem  Fürsten  Potemkin  Demut  zu  zeigen  und  sich  ihm 
nicht  eher  zu  widersetzen,  als  bis  er  so  fest  stehe,  daß 
jener  ihn  nicht  mehr  stürzen  könne.  Subow  befolgte 
diese  Regeln  genau,  und  befand  sich,  wenigstens  in  An- 
sehung des  äußern  Glanzes,  sehr  glücklich  dabei. 

Katharina  erkannte  die  Aufopferungen,  die  er,  seiner 
großen  Jugend  ungeachtet,  in  ihrem  Dienste  machte, 
und  belohnte  ihn  dafür  mit  Gnadenbezeigungen  und, 
was  noch  mehr  war,  mit  ihrem  Vertrauen. 

Piaton  wurde  nun  von  allen  auswärtigen,  inländi- 
schen und  militärischen  Angelegenheiten  des  russischen 
Hofs  unterrichtet ;  bald  aber  erlangte  er  ein  solches  An- 
sehen, daß  er  eine  der  Hauptfedern  in  der  russischen 
Staatsmaschine  ward.  Endlich  entschied  seine  Stimme 
fast  allein  im  Konseil  der  Kaiserin.  Die  merkwürdig- 
sten Ereignisse  seines  öffentlichen  Lebens  bis  zum  Tode 
Katharinas  zu  erzählen,  liegt  außer  den  Grenzen  dieser 
Blätter.  Seine  Geschichte  ist  so  genau  mit  den  Jahr- 
büchern der  sieben  letzten  Jahre  der  Regierung  Katha- 
rinas verflochten,  daß  man  sie  beide  liest,  wenn  man 
nur  eins  zu  lesen  glaubt. 

Die  merkwürdigsten  pohtischen  Begebenheiten  aus 
der  Zeit,  in  welcher  Subow  den  größten  Einfluß  am 
Hofe  hatte,  waren  ungefähr  folgende:  der  Krieg  mit 
Schweden,  dem  er  entgegen  war,  weil  Saltikow  es  ihm 
anriet;  der  Friede  mit  dieser  Macht  zu  Werela,  den  er 
aus  eben  dieser  Ursache  beförderte ;  der  Krieg  mit  den 
Türken,  den  er  ebenfalls  auf  Saltikows  Eingeben  mit 


io6.  Piaton  Subow  1.  433 

Recht  tadelte  und  sich  dadurch  mit  Potemkin  verun- 
einigte; der  Tod  Josephs  IL;  der  zerschlagene  Kon- 
greß zu  Szistove;  der  Tod  Potemkins,  der  ein  erklärter 
Fein.i  des  Subows  gewesen  war  und  dessen  große  Macht 
an  dem  größern  Ansehen  dieses  Günstlings,  als  an 
einem  glatten  Stein,  ohne  Wirkung  herabgütt;  der 
Friede  mit  der  Pforte  zu  Jassy,  auf  dessen  Beendigung 
er  drang ;  die  Revolution  und  die  daraus  entstehenden 
Aufstände  in  Polen;  die  zweite  Teilung  dieses  Reichs, 
die  er  und  Marko  w  auf  die  schändlichste  Art  veranlaßten 
una  zustande  brachten;  die  Ermordung  Gustavs  IIL; 
der  Tod  Leopolds  IL;  die  Aufnahme  des  Grafen 
von  Artois  und  der  französischen  Emigrierten;  die 
Handelsmaßregeln  gegen  Frankreich;  die  widerrecht- 
liche Besitznehmung  von  Kurland,  das  Werk  seiner 
und  Markows  usurpierenden  und  habsüchtigen  Grund- 
sätze; die  gänzliche  Vernichtung  der  bisherigen  poli- 
tischen Geographie  Polens,  die  auch  Subow  und  Mar- 
kow  ersannen  und  dadurch  den  Ruhm  der  Kaiserin  auf 
eine  unersetzliche  Art  befleckten ;  und  endlich  der  ver- 
eitelte Plan,  Gustav  Adolph  IL  mit  der  Großfürstin 
Alexandra  Pawlowna  zu  vermählen,  woran  er  ebenfalls 
großen  Anteil  hatte. 

Mit  dem  Versuche  der  Ausführung  dieser  Idee  ging 
Katharina  unter;  sie,  der  die  Geschichte  dereinst  wohl 
keinen  passendem  Namen  geben  kann  als  Katharina 
die  Glückliche,  Dieser  Entwurf  war  vielleicht  der  ein- 
zige ihres  Lebens,  der  ihr  nicht  gelang.  Es  ist  wohl  aus- 
gemacht gewiß,  daß  der  Schmerz  über  den  Unfall,  sich 
auf  eine  so  kränkende  Ait  vor  den  Augen  der  Welt 
kompromittiert  zu  sehen  und  ihre  Lieblingsidee  fahren 
lassen  zu  müssen,  sie  ins  Grab  führte. 

Subow  eilte,  dem  Großfürsten  von  der  tödlichen 
Krankheit  seiner  Mutter  Nachricht  geben  zu  lassen, 

Russische  GUnstlioge.  28 


434 


io6.  Piaton  Subow  t. 


aber  seine  Dienstfertigkeit  war  verspätet ;  Besborodko 
war  ihm  schon  zuvorgekommen. 

Bei  dem  Tode  der  Kaiserin  war  Subow  deutscher 
Reichsfürst,  trug  das  Porträt  der  Monarchin,  war  Ge- 
neralfeldzeugmeister, Generaladjutant,  Generalgou- 
verneur von  Katharinoslaw  und  Taurien,  Senator,  Chef 
des  Korps  der  Chevaliergarde  und  Ritter  des  Andreas-, 
Alexander-Newsky-,  Weißen  Adler-,  Schwarzen  Adler- 
und  Annen-Ordens. 

Alle  die  Schätze  zu  berechnen,  die  Subow  an  Be- 
sitzungen, Geld  und  Juwelen  erhielt,  wäre  eine  zu 
schwere  Aufgabe,  die  er  vielleicht  selbst  nicht  würde 
lösen  können.  Wahrscheinlich  geben  sie  den  Reich- 
tümern wenig  nach,  die  Lanskoy  hinterließ  und  wenn 
man  erwägt,  was  Subows  Brüder  und  Eltern  erhielten, 
so  kostet  dieser  letzte  Günsthng  Katharinas  dem  Staate 
weit  mehr  als  Lanskoy. 

Die  Einkünfte  von  seinen  Gütern  betrugen  jährlich 
gewiß  mehr  als  zweimalhunderttausend  Rubel.  Er 
hatte  deren  in  Rußland,  Kurland  und  Litauen.  Die 
letztern  waren  die  beträchtlichsten. 

Subow  hatte  einen  Hauptanteil  an  den  beiden  letzten 
Teilungen  Polens  und  an  der  Besitznahme  Kurlands. 

Um  alles  das  zu  bewirken,  wurde  er  der  Mitstifter 
der  Mordszenen  in  Polen.  Der  Fluch  der  Nation,  der 
ihn  jetzt  verfolgt,  wird  ihn  noch  jenseits  des  Grabes 
treffen.  Aber  diese  Schändlichkeit  wurde  doch  belohnt. 
Man  gab  ihm  die  sämtlichen  könighchen  Tafelgüter  in 
Litauen,  deren  jährlichen  Ertrag  man  über  vierund- 
dreißigtausend  Dukaten  rechnete. 

Die  Summen,  die  er  an  barem  Gelde  erhielt,  kann 
man  nicht  angeben.  —  Ebensowenig  seinen  Schatz  an 
Juwelen.  Sein  Anzug  glänzte  täglich  von  den  ausge- 
suchtesten Brillanten. 


To6.  Piaton  Sübow  I.  435 

Subow  blieb  nicht  immer  im  ungestörten  Genuß 
dieser  Schätze.  Pauls  Sonderbarkeiten  führten  Um- 
stände herbei,  die  Piatons  Rache  fürchterlich  reizten. 

Jetzt  beginnt  nicht  der  beste  Teil  seiner  Geschichte. 

Nach  dem  Tode  der  Kaiserin,  die  ihr  Leben  mit  einem 
gräßlichen  Schrei  aushauchte,  stellte  sich  Subow  dem 
neuem  Monarchen  dar,  der  ihn  in  allen  seinen  Würden 
bestätigte  und,  indem  er  ihn  umarmte,  huldreich  zu 
ihm  sagte:  ,,rami  de  ma  mere,  sera  toujours  le  mien." 
—  Wirklich  schien  es  auch  anfänglich,  als  ob  diese 
Worte  keine  leere  Redensart  sein  sollten.  Subow  war 
der  tägliche  Gesellschafter  seines  Herrn. 

In  diese  Zeit  fällt  eine  Anekdote,  die  vielleicht  we- 
nigen unsrer  Leser  bekannt  ist. 

Paul  I.^)  brachte  den  ersten  Sommer  seiner  Regie- 
rung mit  seiner  Gemahlin,  seinen  Kindern  und  einer 
kleinen  Anzahl  von  Freunden,  zu  denen  auch  Piaton 
Subow  gehörte,  auf  seinem  Lustschlosse  Pawlowsk  zu. 
Der  Kaiser  hatte  eine  große  Abteilung  von  mehreren 
tausend  Mann  Garden  bei  sich,  die  er  des  Tages  über 
fleißig  übte  und  um  ihre  Wachsamkeit  und  militärische 
Geschwindigkeit  zu  prüfen,  sie  des  Nachts  durch  Alarm- 
blasen aufwecken  und  sich  marschfertig  machen  ließ. 
Er  stand  dann  allemal  selbst  auf,  ließ  sich  ankleiden 
und  ging  in  den  Schloßhof  und  in  die  Kasernen,  um 
Alarm  blasen  zu  lassen  und  die  Fertigkeit  der  Truppen 
zu  beurteilen.  Übrigens  lebte  der  Monarch  daselbst  im 
Schöße  seiner  Familie  sehr  häuslich.  Abends  entließ  er 
den  Hof  gewöhnlich  sehr  zeitig.  Er  zog  sich  alsdann 
mit  seiner  Gemahlin  und  einigen  Personen  von  Ver- 
trauen in  das  kaiserliche  Schlafzimmer  zurück,  ließ 
sich  auskleiden  und  brachte  noch  eine  Stunde  in 
freundschaftlichem  Gespräch  zu.  Eines  Abends,  es  war 

^)  Paul  Petrowitscb  I.,  geboren  1734,  regierte  1796 — 1801. 

28* 


436  io6.  Piaton  Subow  I. 

schon  nach  11  Uhr,  glauben  die  Garden  einen  Ton  zu 
hören,  der  dem  Alarmblasen  gleicht,  wovon  man  aber 
im  kaiserlichen  Palais  nichts  vernimmt.  Im  Augen- 
bhck  machen  sie  sich  fertig  und  erscheinen  im  Schloß- 
hofe, um  die  Befehle  des  Kaisers  zu  vernehmen,  Sie 
wundern  sich,  den  Monarchen  nicht  zu  sehen,  harren 
aber  seiner  in  Geduld.  Indessen  hatte  ihre  Ankunft 
doch  Geräusch  verursacht  und  dadurch  im  Schlosse 
Verwunderung    verbreitet,    die    in    den    kaiserlichen 
Zimmern  sogar  in  Schrecken  ausartete.  Der  Kaiser  ge- 
rät außer  sich  und  glaubt  das  Toben  einer  Revolution 
zu  hören,  die  (man  denke  sich  die  Ungereimtheiten,  die 
der  Schrecken  hervorbringen  kann)  sein  Sohn  Alexan- 
der wider  ihn  erregt  hat.  Die  Anwesenden  wollen  hin- 
ausgehen, um  Erkundigungen  einzuziehen,  er  läßt  sie 
nicht  von  sich,  um  nicht  durch  sie  die  Zahl  seiner  vor- 
gebhchen  Feinde  zu  vergrößern.  Er  will  sich  ankleiden, 
kann  aber  nichts  finden.  Subow  hilft  ihm  aus  der  Ver- 
legenheit, zieht  sich  seine  Stiefeln  aus,  und  gibt  sie  ihm. 
Paul  zieht  sie  an,  scheint  beruhigt,  will  Anstalten  tref- 
fen, verliert  aber  gänzlich  den  Kopf.  Kein  Zureden 
hilft;  er  ist  einer  Ohnmacht  nahe.  Die  Kaiserin  schreit: 
„Rettet  den  Kaiser !"  Die  Furcht  scheint  ansteckend  zu 
werden.  Das  Beispiel  des  Monarchen  wirkt  auf  die  an- 
dern, wenigsten  für  einen  Augenblick.  Zum  Glück  war 
dies  alles  nur  die  Geschichte  von  ungefähr  zehn  Mi- 
nuten. Ein  Kammerdiener  tritt  ein,  um  mit  kaltem 
Blute  den  Hergang  zu  erzählen,  der  sich  damit  ge- 
endigt hatte,  daß  die  Garden,  von  ihrem  Irrtum  über- 
zeugt, ihren  Wohnungen  zugeeilt  waren.  Doch  dieses 
Detail  vorzubringen,  ließ  man  ihm  nicht  Zeit.  Der  Kai- 
ser, sobald  er  ihn  sah,  schrie  ihm  entgegen:  daß  man 
den  Augenblick  den  Großfürsten  Alexander  herbei- 
führen sollte.  Am  Arm  seines  Bruders  erschien  der 


io6.  Piaton  Suhow  I.  437 

junge  Prinz  mit  der  ganzen  Unbefangenheit,  die  der  be- 
schämte Vater  ihm  wohl  hätte  zutrauen  sollen.  In  wel- 
chem Lichte  hatte  der  unglückliche  Monarch  sich  ge- 
zeigt! Paul  beruhigte  sich  bald. 

Man  fiel  nun  auf  den  Gedanken,  sich  zu  erkundigen, 
wodurch  diese  sonderbare  Begebenheit  veranlaßt  wor- 
den war.  Die  Ursache  davon  war  folgende :  Einige  Tage 
vorher  hatte  der  Kaiser,  der  gern  alles  germanisieren 
wollte,  befohlen,  daß  die  Postillions  deutsche  Posthör- 
ner bekommen  sollten,  um  das  Zeichen  ihrer  Ankunft 
nach  deutscher  Art  darauf  anzugeben.  Der  Befehl  war 
noch  nicht  einmal  allgemein  bekannt.  Indessen  hatte 
einer  der  Postknechte,  mit  einem  Posthorn  versehen, 
einen  Reisenden  mit  Extrapost  von  Petersburg  nach 
Pawlowsk  gebracht  und  sich  im  ganzen  Orte  bei  allen 
Wohnungen  der  Garden  hören  lassen.  Diese  hatten 
den  Ton  des  Posthorns  für  Alarmblasen  gehalten, 
und  —  nun  war  erfolgt,  was  wir  wissen. 

Jedermann  begab  sich  nun  zur  Ruhe.  Aber  Subow 
zog  aus  diesem  Vorfalle  die  Lehre,  die  er  einige  Jahre 
nachher  anzuwenden  wußte :  daß  nämlich  Paul  I.  sehr 
leicht  intimidiert  werden  konnte. 

Man  weiß  nicht,  wie  es  kam,  aber  die  Gnade  des 
Kaisers  gegen  Subow  hörte  bald  auf.  An  die  Stelle 
derselben  trat  der  entschiedenste  Unwille  des  Mon- 
archen. 

Den  Vorwand  zu  seinem  Benehmen  entlehnte  Paul  L 
von  einem  Defekt  von  achtzehntausend  Rubel,  der  sich 
in  der  ArtiUeriekasse  befand,  die  Subow  als  Feldzeug- 
meister vertreten  mußte. 

Der  Kaiser  ließ  sogleich  Beschlag  auf  dessen  Güter 
legen,  aber  ehe  noch  der  Befehl  zur  Ausführung  kam, 
hatte  Subow  das  fehlende  Geld  schon  bezahlt.  Indessen 
verlor  Subow  damals  alle  seine  Ämter  und  wurde  von 


438  io6.  Piaion  Subow  I. 

nun  an  nur  als  ein  verabschiedeter  General  en  Chef  be- 
handelt. 

Dieser  Vorfall  machte  ihn  jedoch  vorsichtig.  Er  hielt 
es  für  ratsam,  sich  außer  den  Wirkungen  eines  BHtzes 
zu  halten,  der  so  leicht  traf. 

In  dieser  Absicht  bat  er  um  die  Erlaubnis,  reisen  zu 
dürfen,  und  erhielt  sie  mit  so  großer  Leichtigkeit  und 
mit  solchen  Äußerungen,  daß  man  diese  Reise  fast  für 
eine  Verbannung  halten  konnte.  Er  kam  nach  Deutsch- 
land, und  alle,  die  ihn  in  Rußland  gekannt  hatten, 
glaubten  einen  ganz  andern  Mann  zu  sehen.  Ehemals 
war  er  stolz  und  zurückstoßend;  jetzt,  da  die  Götzen- 
diener fehlten,  die  ihn  sonst  verehrt  hatten,  jetzt  war 
er  angenehm  und  munter.  — 

In  Rußland  hatte  er,  wie  man  denken  kann,  seine 
Verbindungen  immer  beibehalten. 

Dort  hatte  man  jene  scheußliche  Verschwörung 
ausgebrütet,  durch  welche  Paul  I.  wahrscheinlich 
nur  seinen  Thron  verlieren  sollte,  durch  eine  Ver- 
kettung der  Umstände  aber  auch  sein  Leben  traurig 
endigte. 

Piaton  wollte  aus  Rache  daran  teilnehmen.  Die 
Schwierigkeit  war  nur,  wieder  an  den  Hof  zu  kommen. 

Sie  wurde  gehoben. 

Man  fand  Mittel,  an  Kutaizow  zu  kommen,  indem 
man  seine  Geliebte  zu  gewinnen  suchte. 

Durch  diesen  damals  gewaltigen  Mann  erhielten 
alle  Subows  die  Erlaubnis,  nach  Petersburg  zurück- 
kehren zu  dürfen. 

Piaton,  als  er  dahin  kam,  heuchelte  Empfindungen, 
die  ihm  fremd  waren.  Kutaizows  Bemühungen  schienen 
ihn  zu  rühren.  Um  ihm  Dankbarkeit  zu  zeigen,  stellte 
er  sich,  als  ob  er  dessen  Tochter  heiraten  wollte.  Durch 
diesen  Kunstgriff  gewann  er  die  Gunst  des  Monarchen 


io6.  Piaton  Subow  I.  439 

wieder,  der  ihm  und  seinen  Brüdern  die  vollständigsten 
Beweise  seiner  Gnade  gab. 

Dieses  großmütige  Verfahren  hätte  Pauls  Feinde  ver- 
söhnen sollen,  allein  solcher  Empfindungen  waren  sie 
nicht  fähig.  Sie  fürchteten  einen  Rückfall  des  Kaisers, 
der  immer  nach  dem  augenbhcklichen  Eindruck  han- 
delte, und  dadurch  allerdings  seinem  Charakter  das 
Gepräge  eines  tadelnswürdigen'  Wankelmuts  auf- 
drückte. 

Der  Plan  der  Verschwörung  wurde  nun  vöUig  ent- 
worfen, verbessert  und  ausgeführt.  Um  die  Ehre  der 
Verschwörer  einigermaßen  zu  retten,  kann  man  glau- 
ben, daß,  wie  schon  gesagt  ist,  wahrscheinlich  die  Aus- 
führung durch  Zufälle  grausenvoller  gemacht  wurde, 
als  der  erste  Entwurf  sie  eingeleitet  hatte.  Um  die  Re- 
bellion desto  zuverlässiger  unternehmen  zu  können, 
wurde  der  Kaiser  auf  die  boshafteste  Weise  dazu  ge- 
bracht, durch  die  unglaublichsten  Sonderbarkeiten  den 
Haß  der  Nation  auf  sich  zu  laden,  und  auf  diese  Art 
den  kritischen  Augenblick  der  Entwickelung  selbst  her- 
beizuführen. Er  erschien. 

Der  spätere  Geschichtschreiber  wird  nie  mit  zu  auf- 
fallender Stärke  die  blutige  Ausführung  dieser  schreck- 
lichen Unternehmung  schildern  können,  die  ein  ewiger 
Schandfleck  in  der  Historie  unsers  Jahrhunderts  bleibt, 
und  durch  welche  die  würdigste  Gemahlin  und  die  vor- 
trefflichsten Kinder  auf  lange  Zeit  in  Schmerz  und  zu- 
gleich in  Ungewißheit  über  ihr  eigenes  Schicksal  ge- 
stürzt wurden. 

Die  Hand  des  jetzigen  Geschichtschreibers  muß  noch 
den  Vorhang  über  die  jammervollen  Szenen  dieses 
Trauerspiels  ziehen.  Noch  darf  er  von  der  Verteilung 
der  Rollen  in  demselben  nicht  sprechen,  nur  unter 
mehrern,   die  an  der  Begebenheit  nahe  und  entfernt 


440 


io6.  Piaton  Subow  I. 


Anteil  nahmen,  kann  er  die  Namen  Pahlen,^)  Ben- 
nigsen,^)  Nicola]  Subow,  Piaton  Subow,  Valerian  Su- 
bow, Orlow.i)  Tschitscherin,^)  Tartarinow^)  und  Tol- 
stoj'^)  nennen,  ohne  dabei  zu  bemerken,  welche  Ge- 
schäfte sie  bei  der  Empörung  im  Schlosse  sowohl, 
als  außerhalb  desselben  übernommen  hatten. 

Doch  der  jetzige  liberale  Geist  der  Zeit  wird  viel- 
leicht bald  bewirken,  daß  man  diese  ganze  schreck- 
liche Begebenheit  unentliüUt  der  Welt  vor  Augen  legen 
und  auf  diese  Art  die  vielen  falschen  Gerüchte  berich- 
tigen darf,  die  darüber  verbreitet  worden  sind. 

Der  unglückliche,  so  sehr  verkannte  Paul  I.  starb, 
und  Alexander  der  Gütige  bestieg  den  Thron.  2) 

Bald  nachher  verheß  Piaton  Subow  emen  Hof,  wo 
für  ihn  nichts  mehr  zu  tun  war,  und  ging  auf  seine 
Güter  nach  Kurland. 

Aus  dieser  kurzen  und  unzulänglichen  biographi- 
schen Skizze  werden  unsre  Leser  doch  haben  einiger- 
maßen beurteilen  können,  daß  Subow  seinen  ziemlich 
gewöhnlichen  Verstand  dennoch  durch  Fleiß  sehr  aus- 
gebildet hatte  und  daß  Stolz,  Rachsucht  und  Grausam- 
keit fast  alle  seine  Handlungen  leiteten. 

Ehemals  sah  man  in  der  Galerie  der  kaiserhchen 
Eremitage  in  Petersburg  Subows  Bild  zweimal:  als 
Staatsmann  und  als  Generalfeldzeugmeister.  Das 
erstere  war  ein  Kniestück.  Piaton  saß  vor  einem  Tisch, 
auf  welchem  Landkarten,  Zeichnungen  und  Bücher 
lagen.  Dieses  Bild  ist  in  Kupfer  gestochen  worden.  Auf 
dem  andern  war  er  in  Lebensgröße  vorgestellt.  Er  steht 
geharnischt,  mit  einer  purpurfarbenen  Toga  zum  Teil 

^)  Diese  Herren  sind  zurzeit  ganz  unbekannt  und  werden  es  wohl 
auch  gern  bleiben  wollen.     H. 

2)  Alexander  1.,  Pawlowitsch,  geboren  23.  Dezember  i777, 
bestieg  am  24.  März  1801  den  Thron.  Er  ist  der  Kämpfer  Rußlands 
gegen  Napoleon  I.    Er  starb  am  i.  Dezember  1825. 


10'].   Valerian  Subow  II.  ^.41 

bekleidet,  und  mit  einer  Menge  Geschütze,  den  Sinn 
bildern  seiner  hohen  mihtärischen  Würde,  umgeben. 
Dieses  Bild  hat  der  berühmte  Lampi  gemalt. 

Am  Ende  dieses  Aufsatzes  werden  gewiß  unsere 
meisten  Leser  auf  den  Gedanken  kommen,  eine  Paral- 
lele zwischen  Gregorej  Orlow  und  Piaton  Subow  zu 
ziehen,  die  zum  Teil  auch  auf  ihre  Brüder  ausgedehnt 
werden  kann. 

Hier  sind  ungefähr  die  auffallendsten  Punkte  in  ihrer 
Ähnlichkeit  und  in  ihrer  Verschiedenheit:  die  Orlows 
raubten  Peter  III.,  dem  Gemahl  Katharinas,  den 
Thron  und  beförderten  seinen  Tod ;  die  Subows  raubten 
Paul  I.,  dem  Sohne  Katharinas,  den  Thron  und  beför- 
derten seinen  Tod;  die  sämtlichen  Brüder  Subow  wur- 
den, wie  ehemals  die  Brüder  Orlow,  in  den  Grafenstand 
erhoben;  Gregorej  Orlow  war  der  erste  etatmäßige 
Günstling  während  der  Regierung  Katharinas  II. ;  Pia- 
ton Subow  der  letzte;  beide  bekleideten  am  längsten 
diese  Würde;  Gregorej  Orlow  war  der  größte,  stärkste 
und  schönste  von  allen  diesen  Günstlingen,  Piaton  Su- 
bow hingegen  der  kleinste,  schwächste  und  häßlichste 
von  ihnen;  beide  waren  die  zweiten  unter  ihren  Brü- 
dern; endlich  waren  beide  Generalfeldzeugmeister,  tru- 
gen das  Porträt  der  Monarchin  und  wurden  im  letzten 
Jahre  ihrer  Gunst  deutsche  Reichsfürsten. 


107.   Valerian  Subow  II. 

Nichts  war  unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Katha- 
rina II.  auffallender,  als  die  schnelle  Veränderung  in 
dem  Betragen  der  jungen  Leute,  die  ein  unerwarteter 
Glück.swechsel  dem  Throne  nahe  führte.  Den  Tag  vor- 


442  10"].   Valerian  Subow  II. 

her  befanden  sie  sich  noch  in  der  Kategorie,  in  welche 
Geburt  und  Fähigkeiten  sie  gestellt  hatten,  und  sie 
waren  bescheiden  und  oft  hebenswürdig.  Am  großen 
entscheidenden  Tage  ihres  Schicksals  wurden  sie  vom 
Glück  überrascht.  Sie  erhoben  sich  in  höhere  Sphären, 
und  näherten  sich  der  irdischen  Gottheit.  Der  Hoheits- 
schwindel ergriff  sie.  Sie  benahmen  sich  linkisch  und 
mußten  geführt  werden.  Den  Tag  nachher  zeigten  sie 
gewöhnlich  die  ganze  Unverschämtheit  eines  Empor- 
kömmlings, der  es  vergessen  konnte,  daß  er  achtund- 
vierzig Stunden  zurück  nichts  war,  alle,  die  damals  um 
ihn  gewesen  waren,  zu  verachten  sich  bestrebte  und 
seine  unverdiente  Erhöhung  zu  mißbrauchen  drohte. 
Der  junge  Mann,  von  dem  wir  hier  sprechen,  war 
ganz  in  dem  Falle  eines  solchen  Benehmens. 

Valerian  Subow,  der  dritte  dieser  Brüder,  war  bei  der 
Erhebung  Piatons  neunzehn  Jahre  alt,  und  Fähnrich 
in  der  Garde  zu  Pferde.  Er  wurde  sogleich  auf  Wache 
nach  Zarskoje  Selo  kommandiert,  und  da  er  gefiel,  so 
heß  man  ihn  täglich  an  den  Gesellschaften  der  Kaiserin 
teilnehmen.  Die  Monarchin  zeigte  ihm  ebenso  viel 
Gnade  als  seinem  Bruder.  Um  ihn  doch  wenigstens 
einigermaßen  mit  Anstand  emporbringen  zu  können, 
wurde  er  als  Hauptmann  von  der  Garde  zu  der  Armee 
des  Fürsten  Potemkin  geschickt. 

Dieser,  unzufrieden  mit  der  Erhebung  der  Subows, 
zeichnete  ihn  durch  die  Verachtung  aus,  die  er  ihn 
öffentlich  vor  allen  andern  fühlen  ließ. 

Da  indessen  Potemkin  von  Petersburg  aus  Winke 
erhielt,  den  jungen  Subow  bei  der  nächsten  glücklichen 
Begebenheit  dahin  zurückzuschicken,  so  gab  er  der 
Politik  nach  und  sendete  ihn  mit  der  Nachricht  von 
der  Einnahme  irgendeiner  türkischen  Festung,  uns 
dünkt,  es  war  Ismail,  an  den  Hof. 


J07.  Valerian  Subow  II.  443 

Als  Valerian  vor  seiner  Abreise  noch  einmal  zum 
Fürsten  kam,  um  seine  letzten  Befehle  zu  vernehmen, 
fiel  die  interessante  Anekdote  vor,  die  schon  einigemal 
wiederholt  worden  ist,  aber  immer  auffallend  bleibt. 
Um  das  Epigramm  zu  verstehen,  muß  man  wissen,  daß 
im  Russischen  Sub,  der  Zahn,  und  Subj,  die  Zähne, 
heißen.  —  ,,Wenn  dich  die  Kaiserin  fragt,"  sagte  der 
Fürst  in  traulicher  russischer  Mundart  zu  Valerian, 
,,wie  ich  mich  befinde,  so  sage  ihr,  die  Zähne  verur- 
sachten mir  Schmerzen,  aber  wenn  ich  nach  Petersburg 
käme,  so  wollte  ich  sie  schon  ausreißen." 

Was  der  Fürst  sagte,  traf  nicht  ein.  Die  Zähne  fuhren 
fort,  ihm  wehe  zu  tun.  Potemkin  kam  und  wollte  sie 
ausreißen,  aber  seine  Kunst  als  Zahnarzt  scheiterte. 

Sobald  Valerian  am  Hofe  angelangt  war,  rückte  er 
in  einen  erhöhten  militärischen  Grad,  wurde  Flügel- 
adjutant der  Kaiserin,  und  erhielt,  außer  andern  großen 
Geschenken,  den  Georg-Orden  von  der  vierten  Klasse. 
Er  blieb  nun  in  Petersburg,  war  täglich  bei  der  Kai- 
serin und  wurde  mit  Gnadenbezeugungen  überhäuft. 
Schon  im  Jahre  1791  rechnete  man  seine  Einkünfte  auf 
zweiundzwanzigtausend  Rubel. 

So  angenehm  allerdings  dieses  Leben  für  seine  sehr 
unbedeutenden  Verdienste  sein  mußte,  so  wünschte 
Valerian  doch,  auf  dem  Wege  des  mihtärischen  Ruhms, 
aber  freilich  immer  nach  seiner  Art,  weiter  zu  gehen. 

Die  Unruhen  in  Polen  gaben  ihm  Gelegenheit,  zwar 
nicht  berühmt,  aber  doch  bekannt  zu  werden. 

Er  bekam  als  Generalmajor  und  Ritter  des  Alexan- 
der-Newsky-Ordens  ein  ansehnliches  Kommando  und 
machte  sein  Dasein  überall  durch  Spuren  der  Unbe- 
sonnenheit und  Grausamkeit  bemerkbar. 

Die  äußerst  niedrige,  schamlose  und  empörende  Art, 
mit  der  er  einige  polnische  Herren  und  ihre  Frauen  be- 


444  ^^1-  y^^^vian  Subow  II. 

handelte,  beförderte  den  Ausbruch  des  Aufstandes  in 
Warschau  im  Jahre  1794  und  das  daraus  entstehende 
Unglück  der  Russen  daselbst. 

Man  kennt  die  Mittel,  die  gebraucht  wurden,  um  die 
Polen  zur  Ruhe  zu  bringen. 

Subow  beschäftigte  sich  auch  mit  der  gewaltsamen 
Anwendung  derselben.  Er  fand  aber  an  den  Orten,  wo 
er  das  meiste  Unrecht  verübt  hatte,  auch  seine  Strafe. 
Einst  ritt  er  im  Spät]  ahre  1794  rekognoszieren  und  zwar 
da,  wo  es  am  gefährlichsten  war.  Teils  tat  er  es  zur  Un- 
zeit, teils  war  er  nicht  dazu  berufen.  Es  war  also  nicht 
Mut,  sondern  Mutwille.  Die  Polen  bemerkten  ihn,  zielten 
und  eine  mäßige  Kanonenkugel  nahm  ihm  ein  Bein  weg. 

Gleich  wurde  ein  Kurier  nach  Petersburg  geschickt, 
der  gewiß  keine  Belohnung  bekam.  Die  Nachricht  ver- 
breitete Schrecken  am  Hofe.  Die  Kaiserin  schrieb  selbst 
an  ihn  und  bat  ihn,  nach  Petersburg  zu  kommen.  Sie 
schickte  ihm  einen  äußerst  bequemen  englischen  Reise- 
wagen und  zehntausend  Dukaten  zur  Reise.  Ferner  gab 
sie  ihm  den  Andreas-Orden,  wodurch  er  Generalleut- 
nant wurde,  und  dreimalhunderttausend  Rubel  zur  Be- 
zahlung seiner  Schulden. 

Mit  dem  Anfange  des  Jahres  1795  kam  Subow  in 
Petersburg  an.  Man  hatte  auf  jeder  Station  hundert- 
undzehn Pferde  für  ihn  bestellt,  die  er  auch  alle 
brauchte,  indessen  m^an  für  den  Herzog  Biron  von  Kur- 
land, der  eben  damals  auch  nach  Petersburg  kommen 
mußte,  nur  sechzig  Pferde  auf  jeder  Station  befohlen 
hatte,  von  denen  er  nur  vierzig  brauchte. 

Valerian  ließ  sich  der  Kaiserin  im  Rollwagen  vor- 
stellen. 

Diese  in  allem,  so  auch  in  ihren  Empfindungen, 
große  Monarchin  konnte  bei  seinem  Anblick  ihre  Trä- 
nen nicht  zurückhalten,  Sie  suchte  noch  durch  Ge- 


joy.   Valerian  Subow  II.  445 

schenke  ihre  Teilnahme  zu  zeigen  und  sein  Schicksal 
zu  erleichtern.  Man  erfuhr  sie  wahrscheinlich  nicht  alle. 
Die  bekannt  gewordenen  waren :  das  schöne  und  nied- 
liche Palais  in  der  Großen  Millionstraße,  das  in  altern 
Zeiten  dem  General  Gustav  Biron  gehört  hatte  und  das 
jetzt  vom  Kammerherrn  Diwow  gekauft  worden  war; 
ferner  ein  Geschenk  von  fünfundzwanzigtausend  Rubel 
in  Gold  und  endlich  eine  jährliche  Pension  von  drei- 
zehntausend Rubel  in  Silber. 

Seine  Kur  war  schmerzhaft  und  ging  langsam,  weil 
er  immer  in  allen  Arten  der  Wollust  ausschweifte. 
Er  blieb  ein  Krüppel.  Es  hatte  viel  von  seinem  Beine 
abgesägt  werden  müssen.  Einige  behaupteten:  man 
habe  zu  viel  davon  abgenommen;  die  andern  sagten: 
zu  wenig.  Man  ließ  künstliche  Beine  aus  England  kom- 
men, aber  keines  konnte  angebracht  werden.  Als  er 
sich  wieder  öffentlich  am  Hofe  zeigte,  ging  er  auf  einem 
Stelzfuße.  Dem  allen  ungeachtet  ging  sein  Avance- 
ment immer  fort. 

Valerian  wurde  im  Jahre  1795  General  en  Chef  der 
Infanterie  und  Direktor  der  Kadettenkorps  der  Ar- 
tillerie und  der  Ingenieure. 

Aber  Subows  Ruhmsucht  war  noch  nicht  gesättigt. 
Er  bat  um  die  Erlaubnis,  die  Armee  in  Persien  kom- 
mandieren zu  dürfen,  und  erhielt  sie. 

Ehe  wir  von  diesem  Feldzuge  sprechen,  müssen  wir 
von  der  Ursache  des  Zwistes  reden. 

Vor  mehreren  Jahren,  zur  Zeit  des  Fürsten  Potemkin, 
kommandierte  einer  seiner  Neffen,  der  General  Paul 
Potemkin,^)  die  russische  Armee  am  Kaukasus.  Da- 

^)  Paul  Potemkin  hatte  den  Übeln  Ruf,  ein  böses  Herz  zu  haben, 
und  da=,  was  hier  von  ihm  gesagt  ist,  bestätigt  dieses  Gerücht.  Er 
war  sehr  brav  und  erhielt  wegen  seiner  Tapferkeit  den  Georgorden 
von  der  zweiten  Klasse.  Dieser  Potemkin  starb  während  des  Pro- 
zesses.   Seine  Gemahlin  wax  eine  Sakrewsky. 


446  J07-   Valerian  Subow  IT. 

mals  gab  es  in  dem  benachbarten,  oder  wenigstens 
nicht  sehr  entfernten  Persien  mehrere  Brüder,  die  sich 
die  einzelnen  Teile  der  Regierung  des  Landes  streitig 
machten  und  einander  verjagten. 

Einer  von  ihnen,  den  ein  anderer  vertrieben  hatte, 
rettete  sich  einst  mit  allen  seinen  Schätzen  zu  Paul  Po- 
temkin.  Dieser  nahm  ihn  auf,  und  sagte  ihm,  er  wolle 
ihn  nach  Rußland  bringen.  Alle  Schätze  wurden  auf 
ein  Schiff  geladen  und  dem  persischen  Prinzen  sagte 
man,  daß  er  auf  einem  andern  Schiffe  nachkommen 
könnte.  Dieser  ließ  es  sich  gefallen,  aber  zu  seiner 
größten  Verwunderung  wollte  man  ihn  auf  keinem 
Schiffe  aufnehmen.  Indessen  war  das  andere  schon 
fort.  Der  Perser  setzte  sich  auf  ein  kleines  Fahrzeug 
und  fuhr  nach.  Als  er  an  dem  Schiffe,  das  seine  Schätze 
enthielt,  nahe  genug  war,  um  es  erreichen  zu  können, 
sprang  er  in  die  Höhe  und  faßte  den  Rand  mit  beiden 
Händen.  Man  hieb  ihm  die  Finger  ab  und  der  Unglück- 
liche fiel  in  sein  Fahrzeug  zurück.  Verstümmelt,  wie  er 
war,  floh  er  in  sein  Vaterland  und  wurde  von  seinem 
Bruder  umgebracht. 

Dieser  war  ein  Eunuche  von  fünfundsiebzig  Jahren. 
Ein  anderer  Bruder  hatte  ihn  ehemals  in  seiner  Jugend 
der  Mannheit  beraubt.  Jetzt  war  dieser  Eunuche  der 
Usurpator  des  größten  Teils  von  Persien.  Er  hatte 
einen  andern  Bruder,  Murtasa  Kuli  Chan,  Schach  von 
Erivan,  ebenfalls  verjagt,  und  russische  Kaufleute,  die 
in  Persien  handelten,  nach  Baku  vertrieben,  übrigens 
aber  weiter  keine  Feindseligkeiten  gegen  Rußland  ver- 
übt. Murtasa  war  schon  mit  den  Russen  bekannt.  Im 
Jahre  1793  hatte  er  sich,  als  er  schon  einmal  seiner 
Herrschaft  von  dem  Eunuchen  entsetzt  worden  war, 
ebenfalls  auf  russischen  Boden  und  namenthch  nach 
Astrachan,  geflüchtet.  Dies  tat  er  jetzt  wieder  und 


io'^.   Valerian  Subow  II.  447 

kam,  da  er  ein  Mann  war,  der  sich  zu  helfen  wußte,  so- 
gar bis  Petersburg.  Hier  Heß  er  sich  der  Kaiserin  vor- 
stellen, reklamierte  die  seinem  verstorbenen  Bruder  von 
Paul  Potemkin  entwendeten  Schätze  und  bat  um  den 
Schutz  der  russischen  Monarchin  gegen  den  Eunuchen. 
Er  wurde  ihm  erteilt,  und  Valerian  Subow  erhielt  das 
Kommando  über  die  nach  Persien  bestimmte  Armee. 

Dieser  General  ging,  wie  man  denken  kann,  mit  aller 
ersinnlichen  Bequemlichkeit  dahin,  verwüstete  einige 
Provinzen,  ließ  eine  ungeheure  Menge  Menschen  um- 
bringen und  machte  Anstalt,  die  Stadt  Derbent^)  zu 
belagern.  Die  Blutbäder,  die  vorhergegangen  waren, 
hatten  den  Kommandanten  furchtsam  gemacht.  Die 
Stadt  ergab  sich  sogleich. 

Man  erzählt,  ein  Greis  von  hundertundzwanzig  Jah- 
ren habe  dem  General  Subow  die  Schlüssel  der  Stadt 
gebracht,  die  er  selbst  schon  ehemals  dem  Kaiser  Pe- 
ter I.  überreicht  hatte. 

Wenn  die  Anekdote,  die  man  vielleicht  nur  der  Son- 
derbarkeit wegen  erdachte,  wahr  ist,  so  konnte  sich 
der  Greis  allerdings  über  die  Härte  des  Schicksals  be- 
klagen, das  ihm,  nach  so  langen  Jahren,  eine  ungleich 
beschämendere  Demütigung,  als  die  erstere  war,  auf- 
gespart hatte.  Ehemals  hatte  er  die  Schlüssel  einem 
großen,  allgemein  verehrten  und  gekrönten  Sieger  ge- 
bracht ;  jetzt  mußte  er  sie  einem  jungen,  unwissenden 
und  mörderischen  Emporkömmling  bringen. 

Mit  der  Einnahme  von  Derbent  beschloß  Valerian 
seine  militärische  Laufbahn.  Die  Epoche  seines  Glanzes 
war  vorüber. 

Katharina  II.  starb. 

1)  Von  Derbent  gibt  es  ein  Modell  im  Arsenal  in  Petersburg. 
Peter  I.  hat  es  machen  lassen.  Man  sieht  daraus,  daß  eigentlich  die 
Stadt  selbst  nie  belagert  worden,  weil  eine  imglaublich  große  Armee 
dazu  gehören  würde. 


448  JO?-   Valerian  Subow  II. 

Paul  I.  fand  in  der  Bekriegung  der  Perser  kein  In- 
teresse für  seinen  Staat.  Er  rief  seine  Truppen  zurück, 
tat  es  aber  allerdings  auf  eine  Art,  die  für  Valerian  Su- 
bow höchst  empfindlich  war. 

Ohne  ihn,  als  kommandierenden  Chef,  durch  ein 
Wort  zu  benachrichtigen,  ließ  er  an  alle  unter  ihm 
stehenden  Generale  den  Befehl  geben,  mit  ihren  sämt- 
lichen Korps  zurück  nach  Rußland  und  in  ihre  Garni- 
sonen zu  gehen.  Valerian  wäre  endlich  allein  geblieben, 
wenn  er  nicht  ungerufen  den  Entschluß  gefaßt  hätte, 
den  andern  zu  folgen. 

In  diesem  für  Subows  Ehre  so  nachteiligen  Befehl 
Pauls  I.  kann  man  einen  Bewegungsgrund  zu  der  Em- 
pörung gegen  diesen  Monarchen  finden. 

Valerian  kam  nach  Petersburg  zurück  und  ward  von 
dem  neuen  Monarchen  nicht  gut  empfangen.  Da  die 
andern  Brüder  schon  den  Hof  verlassen  hatten,  so  be- 
gab sich  dieser  Subow  ebenfalls  von  dort  hinweg,  und 
ging  auf  seine  prächtigen  Güter  in  Kurland,  die  ehe- 
maligen Domänen  des  Herzogs,  unter  welchen  Wür- 
zan^)  die  schönste  Besitzung  ist.  Auf  diese  Art  teilte 
Valerian  das  Schicksal  seiner  beiden  altern  Brüder.  In 
der  Folge  kam  er  ebenfalls  mit  ihnen  nach  Petersburg 
zurück  und  machte  die  Grundsätze  der  Empörer  zu  den 
seinigen.  An  der  gewaltsamen  Ausführung  der  fürchter- 
lichen Katastrophe  nahm  er  wirklich  einen  größern 
Anteil,  als  man  seinem  traurigen  physischen  Zustande 
hätte  zutrauen  sollen. 

Die  Klugheit  riet  allen  Verschworenen,  bald  nach 
der  Thronbesteigung  Alexanders,  wenigstens  auf  einige 
Zeit,  sich  zu  entfernen,  da  sie  wohl  zu  bemerken  Ge- 

1)  Würzan  hat  ein  prächtiges  Schloß;  nur  schade,  daß  die  Zimmer 
zu  niedrig  sind.  Die  erste  Anlage  des  Gartens  soll  die  Kaiserin 
Anna  als  Herzogin  von  Kurland  gemacht  haben.     H. 


X07'    Valerian  Subow  II.  449 

legenheit  hatten,  daß  sie  unter  der  neuen,  zwar  scho- 
nenden, aber  doch  gerechten  und  menschenf  reundHchen 
Regierung  schwerlich  ihr  Glück  machen  würden.  Va- 
lerian  folgte  auch  diesem  Rufe  der  Klugheit,  und  ging 
nach  Kurland.  Hier  starb  er  im  Sommer  des  Jahres  1804. 

Wir  kennen  schon  alle  die  ansehnlichen  Würden,  die 
Valerian  Subow  bekleidete.  Doch  müssen  wir  noch  hin- 
zusetzen, daß  er  deutscher  Reichsgraf  und  Ritter  des 
Weißen,  Schwarzen  und  Roten  Adler-Ordens  war. 

Valerian  Subow  war  nicht  groß,  aber  demungeachtet 
ein  äußerst  schöner  Mann.  Besonders  waren  seine 
Augen  sehr  lebhaft  und  sein  Blick  höchst  angenehm. 
Nachdem  er  den  Gebrauch  eines  Fußes  verloren  hatte, 
und  daher  immer  sitzen  mußte,  ward  er  sehr  dick.  Sein 
innerer  Gehalt  war  in  keinem  Verhältnisse  mit  seinen 
äußern  Vorzügen.  Er  war  ein  eingeschränkter  Kopf, 
hatte  nichts  gelernt,  war  leichtsinnig,  ausschweifend, 
verschwenderisch,  unversöhnlich  und  grausam. 

Gewiß  sehr  unzulänglich  gibt  man  das,  was  Valerian 
von  der  Kaiserin  an  barem  Gelde  und  an  Gütern  er- 
hielt, nur  auf  eine  Million  Rubel  an ;  richtiger  wäre  es 
wohl,  wenn  man  zwei  Millionen  sagte. 

Sein  Schatz  an  Juwelen  war  ebenfalls  sehr  beträcht - 
üch. 

Valerian  Subow  war  verheiratet.  Seine  Gemahlin 
war  die  getrennte  Gattin  des  Grafen  Proto-Potocki, 
eines  ehemals  reichen  Polen,  der  Wechselgeschäfte  in 
Warschau  gemacht  hatte  und  durch  das  Unglück  seines 
Vaterlandes  selbst  unglücklich  geworden  war.  Subow 
lebte  öffentlich  mit  ihr,  und  nachdem  sie  sich  förmlich 
von  ihrem  Gemahl  getrennt  hatte,  heiratete  sie  Va- 
lerian, Wir  glauben  gehört  zu  haben,  daß  aus  dieser 
Ehe  Kinder  gekommen  sind. 


Russische  Günstlinge.  29 


450  loS.  Nicolaj  Subow  III. 

io8.  Nicolaj  Subow  III. 

Nicolaj  Subow  war  der  älteste  von  allen.  Er  ist  (denn 
wahrscheinlich  lebt  er  noch)  sehr  groß,  aber  häßlich, 
hat  wenig  Verstand,  ist  äußerst  unwissend,  scheint 
nicht  sehr  tapfer  zu  sein,  hat  Beweise  der  empörendsten 
Grausamkeit  gegeben  und  war,  wenigstens  ehemals, 
in  einem  hohen  Grade  unregelmäßig  in  seiner  Lebens- 
weise. 

Nach  allem  diesen  muß  es  einem  jeden  befremdend 
vorkommen,  diesen  Mann  mit  ansehnlichen  Würden 
in  der  Armee  bekleidet  zu  sehen.  Piaton  und  Valerian 
brachten  ihren  altern  Bruder  empor,  der  eben  so  ver- 
dienstlos war  wie  sie. 

Nicolaj  wurde  erst  zu  der  Armee  gegen  die  Türken 
geschickt.  Ohne  etwas  verrichtet  zu  haben,  kam  er  von 
dort  an  den  Hof  zurück  und  erhielt  den  Zivilverdienst- 
orden. 

Er  ging  alsdann  unter  Igelström  nach  Polen. 

Eben  war  er  in  Warschau  im  Jahre  1794,  als  der 
schreckliche  Aufstand  daselbst  erfolgte. 

Subow  entfloh  und  kam  aus  eigenem  Antrieb  als  Ku- 
rier mit  dieser  Nachricht  nach  Petersburg,  richtete  es 
aber  so  ungeschickt  ein,  daß  er  eben  am  Geburtstage 
der  Kaiserin  am  Hofe  eintraf. 

Jetzt  konnte  er  wohl  auf  keine  Belohnung  rechnen, 
doch  erhielt  er  sie  in  der  Folge. 

Bei  der  Unterjochung  Polens  wurde  er  wieder  ge- 
braucht, und  bekam  bei  Gelegenheit  eines  unbedeuten- 
den Gefechts,  in  welchem  seine  Leute  den  Polen  vier 
oder  fünf  Kanonen  abnahmen,  einen  goldenen  Degen 
mit  Diamanten  reich  besetzt. 

Nach  Beendigung  dieses  sogenannten  Feldzugs  er- 
hielt er  den  preußischen  und  einen  russischen  Orden. 


io8.  Nicolai  Sübow  III.  451 

Nicola]  Subow  verließ  hierauf  die  Kriegsdienste  und 
wurde  kaiserlicher  Stallmeister. 

Nach  dem  Tode  der  Monarchin  wurde  er  in  die 
Ungnade  seiner  Brüder  verwickelt.  So  lange  diese 
dauerte,  lebte  er  auf  seinen  imd  seiner  Gemahlin 
Gütern  und  in  Moskau.  Nachher  kam  er  nach  Peters- 
burg zurück  und  nahm  Teil  an  der  Verschwörung 
wider  Paul  I. 

Die  noch  geschlossene  Zukunft  wird  erst  ganz  frei 
von  der  schaudernden  Explosion  der  Mine  sprechen, 
die  man  gegen  diesen  unglücklichen  Monarchen  sprin- 
gen ließ,  um  seine  Regierung,  und,  da  es  die  Umstände 
so  mit  sich  brachten,  auch  sein  Leben  zu  endigen.  Sie 
wird  die  Verkettung  der  sonderbarsten  und  unerwar- 
tetsten Ereignisse  aufgeschlossen  sehen  und  mit  em- 
pörtem Unwillen  die  Geschichte  eines  Mannes  lesen, 
der  mit  unnatürhcher  Wildheit  und  mit  stürmender 
Hajid  an  der  Beendigung  dieser  schändenden  Begeben- 
heit arbeitete. 

Nach  diesen  Taten  ging  er  wieder  auf  seine  Güter, 
die  er,  so  viel  wir  wissen,  nie  wieder  verlassen  hat. 

Als  Katharina  II.  starb,  war  er  Generalmajor,  Stall- 
meister, Ritter  des  Schwarzen  Adler-,  des  Alexander- 
Newsky-  und  des  Wladimir-Ordens  von  der  dritten 
Klasse. 

Paul  I.  ließ  ihm  alle  seine  Würden  und  Gnaden- 
zeichen ;  nur  den  GeneraJmajorstitel  mußte  er  ablegen, 
weil  dieser  Monarch  keine  verabschiedeten  Militärper- 
sonen leiden  mochte,  sondern  ihnen  immer  einen  in 
gleichem  Rang  stehenden  Ziviltitel  gab. 

Nicolaj  Subow  heiratete  zur  Zeit  der  Gunst  seiner 
Brüder  die  einzige  Tochter  des  Generalfeldmarschalls 
Grafen  Suworow-Rimnikskoy. 

Teils  durch  die  Heirat,  teils  auch  durch  die  Gnade 

29* 


452  lOQ.  Arcudj  Markow. 

der  Kaiserin  erhielt  Nicolaj  Subow  so  beträchtliche 
Güter,  daß  man  ihn  den  reichsten  Privatpersonen  iw 
Rußland  an  die  Seite  stellen  kann. 


109.  Arcadj  Markow. 

Große  Talente  geben  dem,  der  sie  besitzt,  ein  ge- 
gründetes Recht,  Ansprüche  auf  hohe  Staatsämter  zu 
bilden,  nur  müssen  sie  nicht  von  Fadheit,  Dünkel  und 
Bosheit  begleitet  werden. 

Die  erste,  die  schon  die  Schönheit  übel  kleidet,  ver- 
unstaltet die  Häßliclikeit  noch  mehr  und  macht  sie  auf- 
fallender ;  der  zweite  vermindert  den  Wert  der  Geistes- 
fähigkeiten; und  die  dritte,  wenn  sie  durch  Einfluß 
wirkt,  hat  oft  den  Fluch  ganzer  Nationen  zur  Folge.  — 
Dies  ist  die  Charakteristik  eines  Mannes,  von  dessen 
Leben  wir  einige  Merkwürdigkeiten  nur  oberflächlich 
berühren  wollen. 

Ob  Arcadius  Markow,^)  wie  einige  sagen,  der  Sohn 
eines  russischen  Bauern,  oder  nur,  wie  andre  mit  größe- 
rer Gewißheit  behaupten,  dessen  Enkel  ist,  können  wir 
nicht  bestimmen.  So  viel  ist  gewiß,  daß  seine  Erziehung 
weit  über  seinen  Ursprung  erhaben  war.  Er  lernte 
Sprachen  und  andre  elegante  und  nützliche  Wissen- 
schaften und  machte  in  allen  desto  größere  und  ge- 
schwindere Fortschritte,  da  er  ungewöhnliche  (reistes- 
fähigkeiten  besaß. 

Männer  von  Einsicht,  die  ihn  schon  damals  kannten, 
sagten,  in  ihm  lagen  vielversprechende  Keime,  die  sich 
aber  nicht  durch  günstigen  Einfluß  entwickelten. 

Markow  fing  seine  politische  Laufbahn  damit  an, 

*)  Markow  bedeutet  ätif  russisch  Mohrrübe.    H. 


jog.  Arcadj  Mavkow.  453 

daß  er  Privatsekretär  eines  Fürsten  Golizin  wurde,  ^) 
welcher  Gesandter  in  Holland  war.  In  dem  Hause  dieses 
Ministers  blieb  er  nicht  lange.  Seine  Talente  verlangten 
eine  größere  Sphäre. 

Er  wurde  dem  Grafen  Stackeiberg '^)  bekannt,  der  als 
Gesandter  nach  Spanien  ging  und  ihn  erst  als  Privat- 
sekretär mit  sich  nahm,  ihm  aber  sogleich  Geschäfte 
des  Hofs  anvertraute  und  ihm  sehr  bald  die  Stelle  eines 
kaiserlichen  Legationssekretärs  in  Madrid  verschaffte. 

Stackeiberg  war  also  der  eigentliche  Schöpfer  von 
Markows  Glück,  man  wirft  aber  diesem  vor,  daß  er  in 
der  Folge  diesen  wohltätigen  Umstand  ganz  vergessen 
habe. 

Als  Markow  nach  Rußland  zurück  kam,  wurde  er 
nach  Warschau  geschickt,  wo  damals  Saldern  russischer 
Ambassadeur  war. 

Hier  hatte  er  ein  weites  Feld,  sein  schon  entschie- 
denes Talent  für  Intrigen  zu  zeigen,  die  damals  das 
Hauptgeschäft  der  russischen  Diplomatiker  in  Polen 
waren.  Er  spann  sie  gewiß  feiner  als  Saldern,  der  übri- 
gens in  bösem  Willen  mit  ihm  wetteiferte.  Über  die 
Sache  selbst  waren  sie  einig,  nur  in  der  Methode  der  An- 
wendung der  Mittel,  zu  ihrem  Zweck  zu  gelangen, 
wichen  sie  voneinander  ab. 

Diese  Verschiedenheit  wurde  die  Hauptursache  eines 
Zwistes,  der  endhch  der  Entscheidung  der  Kaiserin 
mußte  überlassen  werden. 

Beide  vergaßen  sich,  und  der  Gesandte  heß  den  Le- 
gationssekretär arretieren.  Markow  wurd«:  sehr  ge- 
schwind des  Arrestes  entlassen,  weil  Saldern  einsah, 

*)  Dmitrij  Alexejewitsch  Golizin  (1738— 1803),  der  Frcumi 
Voltaires   und   der   Enzyklopädisten. 

*)  Stackeiberg,  einer  der  brauchbarsten  Minister,  starb  vor  sechs 
oder  acht  Jahren  in  Dresden.  Einer  seiner  Söhne,  ebenfalls  ein  ge 
schickter   Mann,   ist   auch   Gesandter.    H. 


454  •^*^-  ^^(^df  Markow. 

daß  er  kein  Recht  gehabt  habe,  diesen  eigenmächtigen 
Schritt  zu  tun. 

Bald  darauf  kam  der  Befelil,  daß  Markow  nach  Pe- 
tersburg kommen  sollte.  Er  reiste  im  Monat  Februar 
1772  nach  Rußland  und  nun  geschah,  was  man  erwar- 
tet hatte:  der  klügere  Legationssekretär  stürzte  den 
sich  klüger  dünkenden  Gesandten. 

Von  nun  an  blieb  er  in  Petersburg  in  der  Kanzlei  des 
Departements  der  auswärtigen  Angelegenheiten  bis 

1779- 

In  diesem  Jahre  ging  er  als  Legationsrat  mit  dem 

Fürsten  Repnin  zum  Kongreß  nach  Teschen.^) 

Von  da  wurde  er  als  Geschäftsträger  nach  Paris  ge- 
schickt. 

Hierauf  ging  er  als  Grcsandter  nach  Schweden  und 
leitete  ein  und  fing  an,  was  Razumowsky  fortsetzte  und 
vollendete. 

Im  Jahre  1787  war  die  dritte  Stelle  im  Ministerium 
der  auswärtigen  Angelegenheiten  durch  Bakunius^) 
Entfernung  erledigt.  Besborodko,  der  Marko  ws 
Brauchbarkeit  kannte,  brachte  es  dahin,  daß  ihn  die 
Kaiserin  zum  dritten  Mitgliede  dieses  Reichskollegi- 
ums ernannte. 

Besborodko  und  Markow,  beide  Männer  von  Ver- 
stand, waren  in  der  Führung  der  Geschäfte  vollkom- 
men einig.  Den  ungeschickten  Grafen  Ostermann,  wel- 
cher der  erste  unter  ihnen  dreien  war,  behandelten  sie 

*)  Nikolaj  Wassiljewitscb  Repnin,  der  Enkel  von  Anikita  Iwano- 
witsch  Reputa  (i658 — 1726),  dem  Feldherm  und  Günstling  Peters 
des  Großen,  wurde  1734  geboren.  Er  eroberte  im  Türkenkriege 
Ismail  und  Kilia  und  schloß  1774  den  Frieden  von  Kücük-Kainardza. 
Auf  dem  Teschner  Kongreß  bewog  er  Österreich  zum  Frieden  mit 
Friedrich  dem  Großen.  Im  zweiten  Türkenkriege  war  ihm  1792 
der  Friede  von  Jassy  zu  danken.  Er  starb  als  Marschall  und  Gou- 
verneur der  Ostseeprovinzen   1801  in   Riga. 

^)  Bakunins  Charakter  wird  nicht  gerühmt,  wohl  aber  sein  Kopt. 


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Graf  Repnin 


•     log.  Arcadj  Markow.  455 

nicht  anders  als  einen  Automat,  der  nichts  tun  durfte, 
als  was  sie  haben  wollten.  Diese  Übereinstimmung  war 
ihnen  desto  natürlicher,  da  sie  beide  treue  Gefährten 
auf  dem  Pfade  des  unregelmäßigsten  Lebens  waren, 
das  sich  nur  denken  läßt. 

Aber  auch  gegen  Besborodko  vergaß  Maikow  sehr 
bald  den  Dank,  den  er  ihm  schuldig  war.  Er  stürzte  ihn, 
indem  er  sich  an  den  unwissenden,  aber  allgewaltigen 
Subow  anschloß. 

Man  sieht  daraus,  daß  ein  kluger  Mann  oft  erreichen 
kann,  was  er  will,  wenn  er  auch  Hindernisse  findet. 

Die  Kaiserin  hatte  eine  vorgefaßte  Meinung  gegen 
Markow,  die  man  sich  nicht  erklären  kann.  Demunge- 
achtet  brachte  es  Markow  dahin,  daß  Subow  im  Grunde 
bloß  sein  Organ  wurde,  und  er  durch  diesen  Empor- 
kömmling schlechterdings  alles  machte,  was  er  nur 
wollte. 

Saldern  war  der  Schöpfer  der  ersten  Zerstückelung 
von  Polen  gewesen;  Markow  brachte  es  noch  weiter. 

Er  war  es,  der  als  Hauptperson  mit  Subow  und  Sie- 
vers den  zweiten  Raub  der  polnischen  Provinzen  und 
endlich  die  völlige  Vernichtung  der  politischen  Exi- 
stenz dieses  Reiches  veranlaßte.  Der  Fluch  der  Be- 
wohner dieses  Landes  wurde  laut  gegen  ihn  ausge- 
sprochen. — 

Nach  Katharinas  Tode  blieb  er  nicht  lange  in  seinen 
Posten.  Paul  I.,  der  ihn  verachtete  und  wenigstens  auf 
eine  Zeitlang  empfindlich  strafen  wollte,  gab  ihm  nur 
einige  Stunden  Frist,  imi  sich  aus  Petersburg  zu  ent- 
fernen, und  auf  seine  Güter  zu  begeben.  Der  Monarch 
ließ  ihm  in  der  Folge  antragen,  wieder  in  Dienste  zu 
gehen,  aber  Markow  hatte  die  Klugheit,  den  Antrag 
abzulehnen. 

Er  blieb  auf  seinen  Gütern  nicht  allein  unter  Pauls, 


456  Tio.  Iwan  Pavlovüsch  Kutaizow. 

sondern  auch  unter  der  jetzigen  Regierung  und  lebt 
wahrscheinlich  noch  daselbst  von  den  Einkünften 
seines  unermeßlichen  Vermögens. 

Als  er  abging,  war  er  deutscher  Graf,  Geheimer  Rat 
und  Ritter  des  Alexander-  und  Wladimir-Ordens  der 
zweiten  Klasse. 

Marko w  war  nie  verheiratet,  aber  er  lebt  seit  langen 
Jahren  mit  einer  alten  französischen  Schauspielerin, 
Madame  Hus,  die  er  aus  Stockholm  nach  Petersburg 
kommen  ließ  und  die  verschiedene  Kinder  von  ihm  hat. 
In  ihren  schönen  Tagen  war  sie  von  dem  jetzigen  König 
von  Bayern,^)  damahgen  Prinz  Maximilian  von  Zwei- 
brücken, in  Straßburg  unterhalten  worden. 


HO.   Iwan  Pavlovitsch  Kutaizow. 

Klio  errötet  wenn  sie  einen  Monarchen  strauchein 
sieht,  den  sie  wegen  seiner  vielen  guten  Eigenschaften 
mit  so  großer  Teilnahme  gegen  die,  welche  ihn  bem;- 
teilen  und  richten,  ohne  ihn  gekannt  zu  haben,  gegen 
seine  Feinde  und  gegen  seine  Mörder  in  Schutz  nimmt, 
wenn  sie  bemerken  muß,  daß,  obgleich  dieser  Fürst 
während  seiner  ganzen  Regierung  nur  einen  Günstling 
aufkommen  läßt,  er  doch  auch  bei  dieser  einzigen  Wahl 
in  den  Fehler  der  meisten  seiner  Vorgänger  verfällt, 
und  einen  Emporkömmling  ohne  Verdienste  erhebt. 

Kutaizow,  der  wahrscheinhch  noch  lebt,  ist  von  Gt;- 
burt  ein  Mohammedaner. 

Er  wurde  im  ersten  Türkenkriege,  im  Jahre  1770, 
bei  der  Einnahme  von  Bender  als  ein  ziemhch  großer 

')  Maximilian  I.  Joseph,  der  erste  König  von  Baj'crn  (i709 
bis  1825),  v-ordem  Prinz  von  Zweibrücken-Birkenfeld. 


HO.  Iwan  Pavlovüsch  Kutaizow.  457 

Knabe  zum  Gefangenen  gemacht  und  als  eine  Art  von 
Seltenheit  dem  Großfürsten  Paul,  der  auch  noch  sehi- 
jung  war,  geschenkt.  Dieser  Prinz  ließ  ihn  in  der  grie- 
chischen Religion  taufen  und  wir  glauben,  daß  der 
junge  Proselyt  bei  dieser  Gelegenheit  den  Namen  Jwan 
erhielt.  Die  Entstehung  des  ihm  ebenfalls  erteilten  Fa- 
miliennamens Kutaizow  kennen  wir  nicht. 

Der  großmütige  Prinz  ließ  es  bei  den  Religionslehren 
nicht  bewenden.  Auf  seinen  Befehl  wurde  sein  Günst- 
üng  (denn  das  war  er  schon  damals)  in  der  französi- 
schen Sprache  und  in  den  nötigsten  Wissenschaften, 
wenigstens  oberflächlich,  unterrichtet. 

Obgleich  Kutaizow  nur  gewöhnliche  Fortschritte 
machte,  so  lernte  er  doch  mehr,  als  gemeiniglich  die 
Leute  seines  Schlages  zu  wissen  pflegen. 

Der  Großfürst  nahm  ihn  unter  seine  Hofoffizianten 
auf,  erhob  ihn  aber  nicht  einmal  zum  Kammerdiener. 

Alle,  die  den  russischen  Hof  im  Anfange  der  neun- 
ziger Jahre  sahen,  werden  sich  erinnern,  in  den  Zim- 
mern des  Thronfolgers  im  Winterpalais  und  bei  den 
Winterfesten  in  dem  kleinen  Lustschlosse  Kamenoy- 
Ostrow  bei  Petersburg,  Kutaizow  in  der  Offizianten- 
livree  gesehen  zu  haben.  Weil  er  ein  Türke  war,  so  zeigte 
man  sich  ihn  damals  immer  noch  als  eine  Art  von  sen- 
derbarem Wesen. 

Gegen  die  Mitte  des  letzten  Jahrzehntes  zog  er  end- 
lich die  Livree  aus  und  wurde  Wirklicher  Kammer- 
diener. 

Schon  damals  sagte  man  sich  ins  Ohr,  daß  Kutaizow, 
wenn  der  Großfürst  zur  Regierung  käme,  eine  Rolle 
spielen  würde. 

Zugleich  erzählte  man  sich  insgeheim  die  Ursache 
seines  wachsenden  Kredits. 

Wie  oft  ist  das  schändliche  Gewerbe  der  Gelegen- 


458  HO.  Iwan  Pavlovitsch  Kutaizow. 

heitsmacherei  die  erste  Stufe  zu  Ehrenstellen  und 
Reichtümern  gewesen ! 

So  auch  hier.  Kutaizow  war  der  Unterhändler  bei 
der  Verbindung  des  Thronfolgers  mit  seiner  ersten  Ge- 
liebten, Fräulein  Nelidow,^)  Hofdame  der  Großfürstin 
Mutter. 

Der  Günstling  Kutaizow  benahm  sich  dabei  mit 
großer  Geschicklichkeit  und  zur  Zufriedenheit  seines 
Herrn,  doch  erhob  er  sich,  so  lange  Katharina  II.  lebte, 
nicht  über  seine  bisherige  Sphäre. 

Mit  dem  Tode  dieser  Fürstin  ging  sein  Glücksstern 
auf. 

Der  neue  Kaiser  erklärte  ihn  durch  die  Tat  zu  seinem 
Günstling,  indem  er  ihn  mit  Ehrenstellen  und  Geschen- 
ken überhäufte. 

Der  Monarch  mochte  aber  diesen  Mann  erheben  so 
hoch  er  wollte,  innern  Gehalt  konnte  er  ihm  doch  nicht 
geben,  und  dessen  natürhch  gutem  Herzen  nicht  den 
Schwung  eines  geistvollen  Charakters  erteilen. 

Paul  I.,  der  wahrscheinlich  Kutaizows  Schwäche 
kannte,  hatte  ihm  als  ein  unverbrüchliches  Gesetz  vor- 
geschrieben :  nie  mit  den  Fremden  zu  sprechen,  damit 
diese  von  des  Kaisers  Privatleben  nicht  durch  ihn 
etwas  erfahren  möchten. 

Der  feine  Besborodko,  der  den  GünstUng  bald  zu 
durchspähen  wußte,  stieg  von  seiner  Größe  herab  und 
schloß  sich  an  Kutaizow  an,  um  durch  ihn  noch  höher 
zu  steigen.  Die  Vereinigung  dieser  beiden  Männer 
brachte  eine  unumschränkte  Gewalt  hervor,  die  sie  aus- 
übten. Besborodko  leitete  Kutaizow  und  dieser  lenkte 
den  Monarchen  nach  dem  Willen  seines  Freundes.  — 

^)  Fräulein  Nelidow  verband  Klugheit  und  Kenntnisse  mit  einem 
vortrefflichen  Charakter.  Übrigens  war  es  zu  verwundem,  wie 
Paul  ihre  kleine,  häßliche  Gestalt  der  anerkannten  Schönheit  seiner 
Gemahlin  vorziehen  konnte.    H, 


Kaiser  Paul  I. 
Nach  dem  Gemälde  von  Voile  gestochen  von  J.  S.  Klauber 


HO.  Iwan  Palvovitsch  Kutaizow.  459 

Fräulein  Nelidow  sollte  entfernt  werden.  Ihre  wah- 
ren Verdienste  hatten  sie  zur  Freundin  der  Kaiserin 
gemacht.  Einigkeit  in  der  kaiserlichen  Familie  war 
nicht,  was  jene  beiden  Männer  wünschten,  denn 
diese  konnte  ihrem  Übergewicht  gefährhch  werden. 
Sie  mußten  also  eine  Verbindung  stören,  die  ihnen 
Gefahr  drohte. 

Das  Ansehen  der  Brüder  Kurakin^)  war  zwar  durch 
Besborodko  und  Kutaizow  geschwächt  worden,  oder 
\'ielniehr  ganz  gefallen.  Aber  die  Kurakins  waren 
Freunde  der  Kaiserin  und  der  Nelidow.  Wie  leicht 
konnten  sie  empor  kommen,  und  sich  an  ihren  Geg- 
nern rächen.  Diesem  Unfall  mußte  man  zuvorkommen. 

Ehemals  hatte  Fräulein  Lapuchin^)  bei  der  Krönung 
in  Moskau  Eindruck  auf  das  Herz  des  Monarchen  ge- 
macht. 

Man  weckte  diese  Neigung  aufs  neue,  indem  man 
dem  Kaiser  im  Jahre  1798  eine  abermalige  Reise  nach 
Moskau  mit  einem  kleinen  Gefolge  vorschlug.  Die  Reise 
wurde  unternommen.  Kutaizow  ging  mit,  vielleicht 
auch  Besborodko,  und  beide  erreichten  wenigstens 
ihren  Zweck. 

Um  die  Lapuchin  zu  stürzen,  wurde  eine  Art  von 
Verschwörung  gegen  sie  gemacht,  die  Kutaizow  nach 
der  Rückkunft  nach  Petersburg  zu  entdecken  die  Ge- 
schicklichkeit hatte.  So  wie  die  Teilnehmer  jener  Ka- 
bale in  der  Gnade  des  Monarchen  sanken,  so  erhoben 
sich  auf  den  Trümmern  derselben  ihre  Antagonisten. 

f^  *)  Die  beiden  Fürsten  Kurakin,  Alexander  und  Alexis,  sind 
ebenso  liebenswürdige  Männer  als  schätzbare  Patrioten.  Sie  waren 
von  jeher  echte  Freunde  Pauls.  Der  älteste  ist  jetzt  Ambassadeur 
iu  Wien,  der  zweite  Staatsminister  in  Petersburg.    H. 

^)  Fräulein  Lapuchin,  hübscher  als  Fräulein  Nelidow,  aber  des- 
wegen noch  nicht  schön,  ist  jetzt  mit  einem  Knes  Gagarin  vermählt, 
der  einmal  Gesandter  in  Neapel  war.    H. 


^6o  HO.  Iwan  Palvovitsch  Kutaizow. 

Die  Familie  Lapuchin  wurde  in  den  Fürstenstand 
erhoben. 

Besborodko  stand  damals  schon  so  hoch,  daß  er  qicht 
höher  steigen  konnte.  Aber  Kutaizow,  der  nur  noch 
Jägermeister  mit  Generalleutnants  -  Rang,  Ritter  des 
Annen -Ordens  von  der  ersten  Klasse  und  Malteser- 
ritter^)  war,  wurde  bei  Gelegenheit  der  Vermählung 
der  Großfürstin  Helena  mit  dem  Erbprinzen  von 
Mecklenburg-Schwerin  im  Jahre  1799  Reichsgraf,  und 
wenn  wir  nicht  irren,  auch  schon  damals  Ober  Jäger- 
meister mit  Generalsrang  und  Ritter  des  Andreas- 
Ordens. 

Kutaizow  wendete  sein  Ansehen  nicht  an,  wie  er 
sollte.  Er  hätte  manches  Gute  befördern  und  manches 
Übel  verhindern  können,  und  er  tat  keins  von  beiden. 
Er  hatte  vielmehr  oft  Anteil  an  Begebenheiten,  welche 
die  fürchterhche  Katastrophe  herbeiführten  und  be- 
schleunigten, durch  welche  Paul  I.  sein  Leben  endigte. 

Am  Tage  der  Ermordung  erhielt  er  einen  Brief, 
worin  man  ihm  die  Verschwörung  entdeckte,  welche 
ausbrechen  sollte. 

Einige  versichern,  er  habe  zwar  das  Billett  geöffnet, 
aber  auf  den  Inhalt  nicht  geachtet,  weil  er  schon  der- 
gleichen oft  bekommen  hatte,  die  nicht  in  Erfüllung  ge- 
gangen waren ;  andere  sagen,  er  habe  das  Schreiben  gar 
nicht  aufgemacht,  weil  er  geglaubt  habe,  es  sei  ein  Me- 
morial, wie  er  sie  oft  erhielt.  Dem  sei,  wie  ihm  wolle, 
so  kann  man  ihm  wohl  Schuld  geben,  daß  er  diese  Mord- 
szene nicht  verhinderte.  In  der  nämhchen  Nacht  be- 
kam er  ein  zweites  Billett,  worin  man  ihm  den  Tod 
seines  Herrn  meldete. 

Man  kann  sich  seine  Lage  bei  dieser  Nachricht  leicht 

*)  Gewiß  das  erste  Beispiel  in  der  Ge<?chic6te,  daß  ein  geborener 
Türke  Malteserritter  wurde.    H. 


HO.  Iwan  Pavlovitsch  Kiitaizow.  461 

denken  und  noch  jetzt  müssen  die  Vorwürfe  seines  Ge- 
wissens fürchterlich  sein.  Er  verbarg  sich  damals  vier- 
undzwanzig Stunden  lang  und  würde  vielleicht  nie  ent- 
deckt worden  sein,  wenn  er  nicht  endlich  selbst  zum 
Vorschein  gekommen  wäre. 

Es  ist  nicht  bekannt,  wie  er  es  machte,  aber  er  ent- 
kam und  ging  nach  Königsberg,  wo  er  einige  Zeit  lebte. 
Wahrscheinlich  ging  er  alsdann  auf  seine  Güter  in  Ruß- 
land. Wo  er  jetzt  ist,  wissen  wir  nicht. 

Kutaizow  war  oder  ist  noch  verheiratet.  Aus  seiner 
Ehe  hatte  er  eine  Tochter,  die  der  Fürst  Subow,  um 
den  Vater  desto  zuverlässiger  zu  täuschen,  zur  Ge- 
malüin  zu  nehmen  vorgab. 


Register. 


d'Acerenza-Belmoute-Pignatelli, 

Job.  Katharina  171. 
d'Aillon  217,  307. 
Alben- Bismarck,  Albertine  Luise 

159. 
Alexander  I.  368,  440. 
Alexe j    Petrowitsch,    Großfürst 

46,  93- 
Alsufiow,  Adam  126. 

—  Wassilej  126. 
.\nhalt,  Graf  von  369. 

Anna,  Zarin  39,  66,  72  ff.,  78  ff.. 
91,  94,  loi,  132, 144  f.,  147  f., 
153,  168, 175  ff.,  183  f.,  196  f. 

201,    210,    2X2,    226. 

Apraxin,  Graf  Stephan  i88  f. 

—  Gräfin  369. 

—  Rozumowsky  209. 
^\rchenholz,  Baron  I.  M.  233. 
Asch,  Friedrich  134  f. 
Assenberg-Bismarck,  Job.  Mar- 

garethe  v.  159. 

B 

Bakunin,  Minister  454. 
Balk,  Generalmajor  119  f. 

—  geb.  Mons  de  la  Croix  112  ff., 

118  f. 

—  Lopuchin,  Natalie  214. 

—  Paul  119  f. 
Batal-Bey  426. 
Bauer,  General  456. 

Bayern,  Maximilian  I.  Joseph 
456. 


Bayreuth,  Markgräfin  von  56. 

Beethoven  208. 

Berger,  Leutnant  212  ff. 

Bergmann  388. 

Besborodko,     Fürst    Alexander 

89,  273,  366  f.,  370  ff.,  379, 

407,  412,  458  f. 

—  Geheimrat  378  f. 
Bestuschew-Riumin,  Graf  Alexej 

159  f.,  161, 188,  251,  306, 310. 

—  Gräfin  213,  215  ff.,  219. 
Betzkoy,  Iwan  264,  333,  339. 
Bibikow  270  f. 

Biron,  Anna  Katharina  172. 

—  Benigne  Gottliebe  167. 

—  Calixt  Gustav  41,  172  f. 

—  Carl  172  f. 

—  Ernst  Johann  76,  146  ff.,  212, 

220,  226,  291. 

—  Hedwig  Elisabeth  174,  226. 

—  Karl  Ernst  171  f. 

—  Louise  Karoline  172. 

—  Peter  167  f.,  172. 
Bismarck,  Ludolf  August  v.  159. 
Bobrinskay,    Fürst   264  f.,   290, 

339- 
Borjatinsky,   Fürst  281,   297  f., 

356,  414- 

—  Fürstin  67. 

Botta,  Marquis  de  217. 
Branicka,  Gräfin  321. 
Branicki,  Graf  308. 
Braunschweig,  Anna  von  73  f., 
76  f. 

—  Anton  Ulrich  v.  74,  76.  X95- 

—  Prinz  Ludwig  161. 


Register. 


463 


Bressan  240. 
Breteuil,  Baron  192. 
Broglie  307. 
Browne,  Graf  277. 
Brühl,  Graf  309. 
Bruce,  Graf  70  f. 

—  Gräfin  390  f. 
Budberg,  Oberst  172. 
Bühreri,  s.  auch  Bixoa. 

—  Carl  175. 

—  Ernst  Johann  s.  Birun. 

—  Gustav  176. 
Büsching  53. 
Bussy-Rabulin  43. 
Butturlin,  Kammerherr  14c. 
Buturlin,  Graf  383. 

—  Gräfin  363. 
Buschröden,  General  265  f. 


Cederkreutz  71. 

Chetardie,  Marquis  de  la  182  ff., 

192. 
Chowansky,  Fürst  67,  17S. 

—  Fürstin  281. 
Cobenzl,  Graf  380. 
Cramer,  »\nna  109. 
Cruys,  Cornelius  69. 
Czartoryska,      Prinzessin      302, 

304  f. 
Czartoryski,    Fürst   Adam   305, 
384. 

—  Adam  Georg  384. 

—  Konstantin  384. 


Dahl,    Oberzolldirektor    418  f., 

422. 
Daschkow,  Fürstin  247,  270  ff., 

403. 
Daut,  Pastor  43. 
Dedenow-Rasumowsky  204  f. 
Demidow,  Staatsrat  217. 
Devi6re,  Anton  103  f. 
—  Emanuel  100  ff. 


Dimiresow  81  f. 

Dolgorucky,     Fürst     34  f.,     68. 

144. 
—  Fürstin  281. 
Dombrowski,  Joh.  Heinr.   io7 
Drewitz  317. 
Drewnik  130  f. 
Dubjamsky  382. 
Dyck,  Konsul  234. 


Ebert,  Joh.  Jak.  295  f. 

Eck  417  f. 

Eichler  177  f. 

Elisabeth,  Kaiserin  46,  75  ff., 
79  ff.,  88,  loi  ff.,  112,  123, 
I2Q,  131,  133  f-,  145.  163, 
177  ff.,  181,  183  f.,  199  ff., 
205,  209  ff.,  211,  214  ff.,  220, 
223  f.,  226  f.,  229  ff.,  290, 
292,  308  f.,  331,  338,  348.     , 

Elmpt,  Graf  v.  363. 

Engelhardt  296  ff. 

d'Eon,  Ritterin  54. 

L'Estocq,  Joh.  Herm.  179  ff. 

Eudoxia,  Kaiserin  19,  58. 

Euler,  Leonhard  205. 


Fick,  Heinrich  144. 
Finch,  Gesandter  1S4. 
Fleury,  Kardinal  151. 
Frankreich;  Ludwig  XV.  3r6. 
Fredericks  353  f. 


Gagarin,  Fürst  66,  97. 

—  Fürstin  217. 
Gerhardt,  Etatsrat  427- 
Gcrmann  425  ff. 
Glück,  Probst  43,  121. 
Gollowin,  Graf  67. 
Golowkin,  Graf  77,  81  f.,  84, 15: 

—  Gräfin  96. 


464 


Register. 


GoliziQ,  Fürst  77.  126,  152.  433- 
—  Fürst    in  66  f.,  120. 
Grabowski,  Brüder  313- 
Greigh,  Admiral  236. 
Grünstein  182,  199. 

H 

Hackert,  Philipp  276. 
Haimbxirg,  Oberstleutnant  195- 
Hamilton,  Fräulein  109,  ii5- 
Hanbury,  William  304. 
Hannibal,  Abraham  135  f- 
Hendrik ow,  Andreas  60,  141- 

—  Christina  140. 

—  Iwan  141  f. 

—  Marfa  142. 

-  Maria  223  f. 

—  Simon  141,  i43- 
Hennin  129. 
Hessen-Homburg,  Ludwig  Joh. 

VVilh.  Gruno,  Prinz  v.  80. 

—  Prinzessin  338  f. 
Hohenholzer,  Gesandter  218. 
HohenzoUem- Hechingen,  Maria 

Paulina  170. 
Holstein,  Aima  v.  46  f -,  54- 

—  Karl  Friedrich  v.  65,  I5"- 

—  Peter  von  78. 
Hom,  Graf  305. 
Hus,  Madame  456. 

I   (J) 

|aguschinski,Pawl.26,  33,  49  f^-. 
71,  92  ff. 

—  n.  99- 

—  Sergej  96. 
jefimowsky  60,  142  ff. 
Igelström,  General  317,  325,  45». 
Joachim,  Michael  142. 
IvanV.  96,  140,  154,  181,  213, 

293- 
Johann  III.  108. 
Joharm,  Dragoner  43  f. 
Ismaliow,  Michael  249. 
Toan  V.  s.  Ivan. 


K 


Kaaw-Boerhaave,  Dr.  Hermaaa 

269. 
Kaiserling,  Frau  v.  116. 
Kämpf,  Dr.  74- 
Kantemir,  Gospodar  338  f. 
Katharina    Alexejewna,    Groß- 

füi-stin  41,  46. 
Katharina  I.  27,  31,  40,  65,  72. 

93»  95»  ^o^>  ^^°'  ^^^  ^^■' 
122  ff.,  124,  126  ff.,  131, 
136  ff.,  142  ff.,  150,  181  f., 
209,  226. 
Katharina  II.  67,  76,  88  f.,  103  f., 
121  f.,  124  f.,  151.  160,  165, 
168  f.,  171,  192  f.,  195  f.. 
199,  207,  220,  222,  224,  228, 
231,  236,  239,  241  f.,  243. 
246,  251  ff-,  255«-.  268  ff., 
285  ff.,  287  f.,  289  ff.,  305  f-, 
308  ff.,  313«-.  317.  319«-; 
322  f.,  326,  331.  336  f-,  341. 
343,  349«-,  353«-,  362  ff ., 
372,  374  f-,  382  f.,  386  ff., 
398,  402,  405  ff.,  408  f.,  419, 
421,  425,  430  ff-,  432  ff-,  441, 
443  ff-,  447,  458. 

Kelchen,  Dr.  398. 

Kettler,  Gotthard  i53- 

Kischensky  341  ff- 

Klinger,  Alexander  v.  282. 

—  Maximilian  v.  382. 
Korff,  Baron  140. 
Korsakow  388  ff. 
Kosciusko,  Thaddens  324- 
Kramer  s.  Cramer. 
Kruse,  Frau  221. 
Kurakin,  Fürst  77,  459- 
Kurland,  Karl  v.  166. 

—  Jakob  III.  146  f. 
Kutaizow,  Iwan  375-  438,  456- 


Lacy,  Graf  260. 

Lanskoy,  Alexander  395,  4i5- 

Lapuchüj,  Fräulein  459  f- 


Register. 


46= 


Lasarew  379  f. 

Law,  Major  145. 

Le  Fort  105,  129. 

L'Estocq  78  f.,  197  f-,  214  «• 

Lewaschew,  General  77,  404  ff. 

Lilienfeld,  Frau  v.  217. 

Loellin  222. 

Lopuchin,  Frau  v.  213  ff.,  219. 

Löwenwolde,    Graf  77,   81,   84, 

184,  200,  212  ff., 
Lynar,  Graf  196. 

M 

Madaünsky  325. 
Makarow,  Alexej  65,  128. 
Malzahn-Biron,  Gräfin  i73- 
Maltiz,  Adjutant  173. 
Mamonow,  Graf  Alex.  291, 320  f., 

429,  408. 
Manstein,  Christ.  Herrn. v.  154 ff- 
Mardefeld,  Baron  218. 
Margaretha,  Großfürstin  46. 
Maria  Feodorowna,  Kaiserin  67. 
Markow,  Arkadj  89,  377,  452. 
Maschkow,  Leutnant  217,  219. 
Matjuschkin,  Gräfin  66  f. 
Mazeppa  294. 
Mecklenburg- Schwerin,    Helena 

von  172. 

—  Karl  Leopold  9r. 

—  Katharina  91,  118. 
Medem,    Anna  Charlotte  Doro- 
thea V.  170. 

Mengden,  Baron  v.  77,  81  f.,  84. 

—  Julie  77,  195. 

—  Maria  Aurora  195. 
Menschikow,  Alex.  17.  23,  39  ff., 

44,  49  ff.,  54  ff.,  63  ff.,  65  ff., 
93, 100  ff.,  116  f.,  144,  150  ff. 

—  Alexandra  41. 

—  Fürstin  37  f. 

—  Maria  40. 

Meyer,  Kaufmann  70  f. 
Michelson  364  f. 
Miller-L'Estocq  194. 
Mirowitsch,  Wassüij  134,  293  f. 

Russische  Günstlinge. 


Mons  de  la  Croix  iii  ff. 

Münnich,  Burkh.  Christoph, 
Graf  V.  79,  82  f.,  84,  142, 
144,  151,  154,  160  f.,  163  ff., 
165. 

Musin- Puschkin,  Graf  392. 

N 

Narischkin,  Geheimrat  77. 

—  Alexander  208. 

—  Dimitrij  208. 

—  Leon  121,  208,  305. 

—  Maria  120. 

Natalia,    Großfürstin   39,   46  f., 

208. 
Neapel,  Maria  Karoline  von  208. 
Nelidow,  Fräulein  458  f. 
Noris,  Admiral  71. 


Oloff,  Generalmajor  227. 
Orlow,  Alexis  234,  239,  268  ff., 
296  f.,  339.  341,  354,  358. 

—  Elisabeth  282. 

—  Fedor  283. 

—  Galachtheon  265. 

—  Gregor  242,  327,  44i- 

—  Iwan  267. 

—  Wladimir  285. 

—  Wospanoy  265. 
Osten,  Baron  v.  d.  309. 
Ostermaim,  Gräfin  88. 

—  Heinr.  Joh.  Friedr.  57,  68  ff., 

151,  161,  372. 

—  Joh.  Christ.  Dietrich  90. 
Österreich:  Joseph  IL  321,  396, 

411,  433- 

—  Maria  Theresia  218,  260. 

—  Leopold  IL  433. 
Osterwald,  Dietrich  332. 


Panin,  Graf  Nikita  89,  242,  251, 

255,  286,  289,  355  i;  394- 
Passek  248,  287. 

30 


466 


Register. 


Paul  I.  47,  89  f.,  108,  199,  208, 
252,  324,  326  f.,  327,  332, 
361,  368,  375  f-,  404,  414. 
418,  427,  429,  435  f.,  440  f., 
448  f.,  451,  458  ff. 

Perfiliew  248. 

Peter  I.  der  Große  14  ff.,  18  ff., 
44ff.,  67,  72,  92ff.,  95, 100  ff., 
103  f.,  109  ff.,  116  ff.,  118  ff., 
123  ff.,  126  ff .,  131  f.,  134  f.. 
144,  152,  159,  225,  244,  294, 

Peter  II.  27,  34  ff.,  40,  41  ff., 
78,  94,  126,  128, 
144,    181,    209  f., 


47  f.,  72, 

132,  138, 
270  ff. 

Peter  III.  46 

133.  1.^9, 


67,  76,  103,  ro8, 
163  f,.  168,  187, 
191  f.,  193,  199,  203,  227, 
229  ff.,  238,  241,  243,  246, 
247  ff.,  264  f.,  270,  272,  280  f. 
286,  288,  292  f.,  331,  353. 
359,  415,  441- 
Poltarazky  228. 

Poniatowsky,  Andreas  303. 

—  Joseph  303. 

—  Kasimir  303. 

—  Michael  303. 

—  Stanislaus  August  166,  299  ff. 
Poaiaski-Biron,  Herzogin  171. 
Posniakow  81  f. 
Potemkim,    Gregorij    89,    207, 

243,  260,  270,  282,  308, 
338  ff.,  367,  372  f.,  379.  383, 
386  ff.,  389  ff-,  395,  403  f-, 
405  ff.,  408,  411  f.,  420,  425, 
442  ff. 
Potemkin,  Paul  445  f. 

—  TawTitscheskoy,  Fürst  132. 
Prascovia,  Kaiserin  35,  91. 
Preußen,    Friedrich   der    Große 

74,  205  f.,  210,  218,  245,  307, 
310,  316  f.,  350. 

—  Friedrich   Wilhelm  II.    396. 
—  Prinz  Heinrich  317. 
Proto-Potocki,  Fürst  449. 
Pugatschew,  Jemeljan  364  f. 


Pulowski  315. 
Purpur,  General  247. 
Puschkin,  Alexander  136. 
Putjatine,  Fürst  217  ff.,  2 


R 

Radischew  421. 
Radziwill,  Fürst  Karl  314. 
Kaiser,  Vincent  132. 
Rasumowsky,  Alex.  200  ff.,  208, 
211. 

—  Andreas  208,  454. 

—  KyriUa  205  ff.,  248,  292,  366, 
370,  377- 

—  Natalie  209. 

—  Peter  208. 

V.  d.  Recke-Medem,  Elisa  Charl. 

170. 
Repnin,  Anikita  313  f. 

—  Nicolaj  454. 
Ribas  264,  338. 
Ronzow  388. 

Rumjanzow  360  f.,  366  f.,  370  f., 

377- 
Rurik  35. 

s 

Sabakin  178. 
Sabin-Cherai,  Khan  405. 
Sachsen:  Friedrich  August  I.  21, 
147,  300. 

—  Friedrich  August  II.  160, "166, 

174,  187,  194,  305,  310,  326. 

—  Prinz  Karl  308. 
Sagan-Medem,  Katharina  Frie- 
derike 170. 

Sagraiskoy,  Kammerherr  209. 

Sakrewsky  204. 

Saldem  347,  453. 

Saliern  s.  Saldern. 

Saltikow,  Sergius  35,  120  f.,  428, 

431- 

—  Matrona  geb.  Balk  120. 
Sapieha,  Graf  40,  42,  136,  139. 
Sass-Osterwald,  Frau  v.  333. 
Sawadowsky,    Peter    365,    370, 

372,  383- 


Register. 


467 


Schaphirow,  Peter  57,  61. 
Scheelen,  v.  59. 
Schepelew,  Dimitrj  131. 
Scheremet jew,  General  44,    56, 

59- 
Schkurin  264,  271,  290. 
Schlatter,  Johann  133. 
Schönberg,   Kurt  v.   194  f. 
Schönburg- Penig,  Graf  222. 
Schtscherbatow,  Prinzessin  412. 
Schubin  200,  209. 
Schulz  129. 
Schuwalow,  Iwan  132,  228,  309. 

—  Peter  229. 
Schwcirz  182,  198. 
Schweden:  Gustav  III.  88,  243, 

317.  396,  433- 

—  Karl  XII.  294,  300  f. 
Schwerin,  Graf  245. 
Sinclair,  Major  76. 
Sinowiew-Orlow,  Fürstin  263. 
Sievers  220,  221  f. 
Skawronska,  Anna  139  f. 

—  Gräfin  411. 

—  Kathsirina  139. 

—  Martha  42. 

Woronzow  182. 

Skawronski,  Familie  60. 

—  Anton  138. 

—  Carl  136  ff. 

—  Iwan  138. 

—  Martin  r38. 
Skwarsow,  Jermolaj  223. 

—  Wisselej  223. 

Sobiesky,  König  Johann  330. 
Solikamski  213. 
Sophie  V.  Rußland  14. 
Sorizsch  382,  388,  390. 
Soltikow,  Sergij  305. 
Ssokolow,  Anastowja  338. 
Stackeiberg,  Graf  453. 
Stanislaus  I.,  Lescynski  301, 

411. 
Strachow,  Iwan  394. 
Streckalow,  Geheimrat  414. 
Strogonow,  Graf  139. 


Strogonow,  Gräfin  392. 
Subow,  Nicolaj  450,  461. 

—  Piaton  243,  372,  375  f.,  377, 
427. 

—  Valerian  441. 
Suwarow-Rymniksky,     Fürst 

325  f.,  451- 
Sj'bin,  Staatsrat  219. 


Talleyrand-Biron,  Herzogin  171. 
Talysin,  Alexandra  89. 
Tarakanow,  Elisabeth  232  ff. 
Teplow,  Gregorij  291,  297  f. 
Theophanes  33,  51  f. 
Tiesenhausen,  General  v.  43. 
Todte,  Wundarzt  253. 
Tolstoy,  General  Graf  394. 

Ostermann  91. 

Trotta-Treyden,  Benigna  149  f. 

—  Wilhelm  167. 
Trubetzkoy,  Iwan  333. 

—  Nikita  77  f.,  152,  214  ff. 

—  Nikolaj  392. 
Tschekin,  Leutnant  293. 
Tscherebtzow- Subow  429. 
Tscherkassow,  Alexander  174  f., 

226. 

—  Iwan  225. 
Tschernitschew,  Andreas  340  f. 

—  Iwan  316. 

—  Peter  316. 

—  Zacharias  257,  316,  356. 
Tschesmenskoy-Orlow  282. 
Tschischkowsky  419,  423  ff. 
Tschoglogow  104,  223. 
Tschulkow,  Wassüej  224  f. 
Turtschaninow  362. 
Tzeregowsky,  Katharina  271  f. 
Tzscherkassow  164. 

u 

•  Uschakow,  General  77,  113,  118, 
214  f. 

V 
Veiten  131. 

Vietinghoff,  Geheimrat  v.  86. 
30* 


468  Register. 


Vülebois,  Alex.  43,  123  f. 

—  geb.  Glück  123. 
Voltciire  453. 

w 

Waldeck,  Prinzessin  v.  169. 
Walinsky,  Minister  141,    177, 

291  f. 
Walker,  James  402,  410. 
Wasiltschikow,   Alexander  254, 

355,  393- 
Wassilej  126. 
Wassiljew  381. 
Weickhard,  M.  A.  397. 
Weide,  Adam  104. 

—  General  134. 
Wüinski  s.  Walinski. 
Wischnowsky,  Oberst  200. 
Wjasemsky,  Fürst  232,  372,  379, 

381. 


Wlaesjew,  Kapitän  293. 
Wlodimirow  354. 
Wolfenschild,  v.  60. 
Wolkow,  DLmitrej  236. 

—  Schauspieler  297  f. 
Woronzow,       Alexander      247, 

379- 

—  Elisabeth  270. 

—  Michael  89,  139,  182  f.,  251, 
372. 

—  Roman  270. 

—  Semen  247. 
Woschinskij  222. 
Wurmb  122. 


Yelagin,  Iwan  308. 
Yermolow,  Alex.  402. 
Yusapow  169,  170. 


Roßberg'sche  Buchdriickerei,  Leipzig. 


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