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LITTERARISCHE ANNALEN
der
gesammten Heilkunde.
In Verbindung
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mit mehreren Gelehrten
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herausgegeben
von
Dr. Justus Friedrich Carl Hecker,
Professor der Heilkunde an der Universität Berlin, Mitglied
der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Berlin und der
medicinischen Gesellschaften zu Berlin und Philadelphia.
Zweiter Ti and '
Berlin und Landsberg a. d. W.
im Verlage
von Theod. Christ. Fried r. Enslin.
1825.
T \ 'S \
.\A H
. ; • . v.'i- ■;
Namen e er Le Ich nlfs der Herren Hitarbeiter,
Herr Dr. v. Ammon in Dresden.
— I)r. Andrea in Magdeburg.
— Dr. Behr in Bernburg.
< — Dr. Bohr in Berlin.
— Dr. Brügge mann in Magdeburg.
— Professor Dr. Carus in Dresden.
— Ilofrath Dr. Clarus in Leipzig.
— Hof- und Medicinalrath Dr. Erdmann in Dresden.
— Geh. Rath Dr. Gräfe in Berlin.
— Dr. Haffner in Stettin.
— Dr. Haindorf in -Münster.
— Kreisphysicus Dr. Hecker in Putbus.
— Professor Dr. Ileinroth in Leipzig.
— Dr. H ey fe 1 de r in Trier.
— Dr. Köhler in Dorpat.
— llof- und Medirinalrath Dr. Krcysig in Dresden.
— Professor Dr. Lichtenstädt in Breslau.
— Dr. Lochcr-Balber in Zürich.
— Medirinalrath Dr. Lori ns er in Cüslin.
— Dr. Marx in Göttingen.
— Dr. Otto in Kopenhagen.
— Professor Dr. Reichenbach in Dresden.
— Dr. Rha\jes in Stettin.
, — Dr. Richter in Berlin.
— Professor Dr. Sachs in Königsberg.
— Geh. Medicinalrath Dr. Sachse in Ludwigslust.
— Dr. Schilling in Dresden.
— Dr. v. Schön berg in Neapel.
— Professor Dr. A. S. Schnitze in Freiburg.
— Ilofrath Dr. Seiler in Dresden.
— Ilofrath Dr. Stark in Jena.
— Medicinalrath Dr. Steffen in Stettin.
— Geh. Medicinalrath I)r. % ogel in Rostock.
— Professor Dr. Wagner in Berlin.
— Geh. Medicinalrath Dr. v. Walther in Bonn.
— Professor I)r. Wendt in Kopenhagen.
TMS I)r* Wutzer m MönstCr*
THE TäOFERTY OF THE
ÜNIVERSITY OE CHICAGO üßRAK* _
Sr. Hochwohlgeboren
dem Herrn
Dr. Joli. Friedr. Blumenbach,
ordenfl. Professor der Heilkunde an der Universität Göttingen,
König!. Hannoverschem Ober-Medicinalrathe, Commandern* des
Guelphen - Ordens , vieler Akademien und gelehrten Gesellschaften
widmet
den zweiten Band dieser Annalen
am Tage Seiner fünfzigjährigen Jubelfeier,
den 19. September 1825,
$
an dem alle Jünger der Naturwissenschaften Seinen
hohen Verdiensten dankbar huldigen,
ü ;
9
\ \ X
rf rehrungsvoll
f
der Herausgeber.
: •
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.
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. • . . ^
♦
Inhalt.
i
I. Originalabhandlungen.
Seite.
1. Betrachtungen über die Irritabilität, von Dr. J. R.
Lichten städt. . . • • • I
2. Ueber die Einsaugung als pathologisches. Prinzip , vom
Herausgeber. . . . . . . * • 1^9
3. Geschichte einer Kranken, der eine grolse Menge Na¬
deln ausgeschnitten worden sind, von Dr. Otto. , . 2.") 7
4. Beobachtungen über den Otterbifs, von Dr. W agn er. 272
5. Ueber die Belohnungen der Aerzte, von. Dr. W. Sachse. 383
II. Kritische Anzeigen.
1. K. Wenzel, Ueber die Krankheiten am Rückgrathe. 14
2. C. P. Olli vier, De la Moelle epiniere et de scs ma-
ladies . , , , , 48
3. K. J. Bisch off, Klinische Denkwürdigkeiten. ... 57
4. J. C. W. W cndt, Beiträge zur Geschichte der Men¬
schenpocken, Kuhpocken und modificirtcn Menschen¬
pocken im dänischen Staate . 67
5. K. W. Stark, Pathologische Fragmente. . , . , 72
6. J. P. Ilorn, Lehrbuch der Geburtshülfe zum Unter¬
richt für Hebammen. 79
7. F. E. Fodere, Le£ons sur les Epidemies et l’Hygikne
publique . 142
8. I. Nachricht über die Pocken -Epidemie in Dänemark
und Schweden, von Dr. Otto. (Orig.) .... 187
II. C. F. T. Krause, Ueber das Alter der Menschen¬
pocken und anderer exanthematischen Krankheiten. 190
I
VI
Inhalt«
0.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
Seit?
I. Behandlung der von tollen oder verdächtigen Hun¬
den Gebissenen im Hospitale tu Zürich, von l)r.
Locher- Halber. (Orig.) .
II. K. F. I , utheritz , Die Hundswuth oder die Was¬
serscheu. . .
C. J. Lorinscr, Versuche und Beobachtungen über
die Wirkung des Mutterkorns .
J. 11. 55 ilbrand, Darstellung des thicrischen Magne-
tismus . .....
J. Gadcrmqnn, Lieber den Bruch durch das Ilüft-
bcinloch. . .
L. Mötaxa, Monografia de’ Scrpcnti di Koma c suoi
contorni. . . .
C, G. Gmclin, Versuche über die Wirkungen des
Baryts, Strontians u. s. vv . .
L, F. Herrmann, System der praktischen Arzneimit¬
tellehre. 1. Bd. . . .
J. C. G. Jörg, Materialien zu einer künftigen Ilcilmit-
tcllchre. .
G, F. Poch ha mm er und J. G. Schmidt, Russi¬
sche Dampfbäder als Heilmittel .
A. F. A. Diel, Ueber den Gebrauch der Thermal¬
bäder in Ems . .
A. Müller, Die Irrenanstalt in dem königl. Julius,
Hospitale tu Wiirtburg. ..........
P. J. Roux, Memoire sur la Staphylornplnc , ou Su-
turc du voile du palais .
G. F. Eichheimcr, Ausführliche Beschreibung eines
vollständigen Amputations - Apparates .
G. W. Stein, Lehre der Geburtshülfe .
J. P h. llorn, Theoretisch - praktisches Lehrbuch der
Geburtshülfe für angehende Geburtshelfer .
A. E. v. Siebold, Ist es schädlich , das Mittclfleisch
bei der Geburt tu unterstützen? ........
C. IL D ton di, Lehrbuch der Chirurgie .
J. Lisfranc, Memoire sur de nouvclles opplieations
du Stethoscope . • • • *
Ch. Pfeufer, Handbuch der allgemeinen Heilkunde.
209
215
219
223
229
275
292
304
f
311
319
326
337
344
350
406
417
423
429
441
443
I
Inhalt.
YII
Seite.
28. Chr. F. Harlefs, Neu es praktisches System der spe-
ciellen Nosologie. Erste Hälfte . 449
' ih • *
29. L. Choulant, Anleitung zur ärztlichen Rcceptir-
kunst, nebst einem systematischen Grundrisse der Arz¬
neimittellehre . . 460
III. Zeitschriften.
1. Revue medicale fran^aise et etrangere etc. 1825. Jan-
vier. Fevrier . 85
2. C. W. H ufeland und E. Osann, Journal der prak¬
tischen Heilkunde, Marz 1825 . 100
3. Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Bd. IV. H. 1. . 106
4. C. F. Gräfe und Pli. v. Walther, Journal der Chi¬
rurgie und Augenheilkunde. Bd. VII. H. 1 . 111
5. J. N. Rust, M agazin für die gesammte Heilkunde.
Bd. XIX. II. 1 . 231
6. Journal complementaire du Dictionaire des Sciences me¬
dical es. 1825. Janvier. Fevrier . \ . 239
7. C. W. II ufeland und E. Osann, Journal der prak¬
tischen Heilkunde. 1825. April . 251
8. A. Omodei, Annali universali di medicina. Vol. XXXII.
1824. Ottobre, N ovembre, Dicembre. .... 352
9. Journal complementaire du Dictionaire des Sciences
m edi cales. 1825. Mars , Avri I. . . 359
10. 1. Nasse, Zeitschrift für die Anthropologie, lstes
und 2 tes Vierteljahrsheft. . 365
11. Heidelberger Klinische Annalen. 1825. Bd. 1. II. 1. . 369
12. The Edinburgh medical and surgical Journal. 1825.
January. . 7 . 37g
13. C. W. Hufeland und E. Osann, Journal der prakti¬
schen Heilkunde. 1825. Mai. . . 465
Beiläufige Erinnerung an J. S. Hahn’s Verdienste
um den Gebrauch des kalten VVasscrs in hitzigen
Krankheiten; von Dr. Loch er -Bai her. . . . 467
14. Revue medicale fran^aisc et etrangere, etc. 1825. Mars. 472
15. Magazin for Naturvidenskaberne. Aargang 1825. lste
Hefte. Ck ristiania.
488
VIII
Inhalt.
IV. Dissertationen.
Seite.
1. Der Universität Berlin . 115. 490
2. Der Universität Göttingen . 117
3. Der Universität Prag . . . 120. 492
4. Der Universität Utrecht . 196
Ueber tlic Begattung- der Bandwürmer . 127
5. Der Universität Paris . 254
6. Der Universität Würzburg . 255
V. Corrcspondenznachrichten.
1. Nachricht über die Pocken in Schweden und Dänemark
im März, April und Mai 1825; von Dr. Otto. 382. 494
2. Oertliche Selbstverbrennung. (Auszug aus dem Jour¬
nale des allgemeinen Krankenhauses in Hamburg.) . 495
Namen - Register. . . 499
Sach -Register . . . . 505
I
4
I
t
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
33.
1825.
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«<S> *• <S$V STT (!*f> 9T$ P
I.
Betrachtungen über die Irritabilität,
von
Dr. J. R. Lichtenstädt,
Professor der Heilkunde an der Universität Breslau.
Das Wort Reizbarkeit, Irritabilität, bat In der ärztlichen
Kunstsprache seit der Zeit des grofsen Haller vier ver¬
schiedene Bedeutungen erhalten, welche nicht selten ver¬
wechselt werden , und dadurch zu mancherlei Irrungen Ver¬
anlassung geben. Hie erste Bedeutung ist die von Haller
seihst und von seiner Schule angenommene; sie bezeichnet
die der Zusammenziehung der Muskeln zu Grunde liegende
Kraft, welche als nicht von der Nervenkraft abhängig, und
mit dieser sogar* in einem gewissen Gegensätze stehend ge¬
dacht wurde. Die zweite Bedeutung ist die in der ur¬
sprünglichen Brown’ sehen Schule angenommene, und nach
ihr heilst Irritabilität so viel als Erregbarkeit oder als das
bestimmte Verhältnifs der Erregung der lebenden Wesen
durch die äufsere Natur. In sofern nun jene Schule be¬
kanntlich Leben und Erregung als identisch betrachtete, so
begriff die Reizbarkeit das ganze Leben in sich, und um-
fafste daher ungleich mehr, als in der ersten Bedeutung.
Im Lateinischen bediente sich jedoch Brown selbst des
Wortes I n ci tab ilitas, wahrscheinlich in der Absicht, um
jede Verwechselung mit der von Haller aufgestellten Kraft
zu vermeiden. Die dritte Bedeutung ist wiederum etwas
eingeschränkter, als die zweite, aber doch immer noch viel
U. Bd. 1. St. 1
2
I. Begriffbestimmung der Irritabilität.
umfassender, als die erste; sie stammt aus der weitern Be¬
arbeitung des Brownschen Systems als Erregungstheorie,
welche die Erregbarkeit in Reizbarkeit und W irkungs ver¬
mögen theiltc; Reizbarkeit bezeichnte hier das Maafs der
Fähigkeit, durch die äufsere Natur erregt zu werden. Die
vierte Bedeutung ist die in der naturphilosophischen Schule
gebräuchliche; die Irritabilität wird hier als eine der drei
Hauptrichtungen des Lebens, als die dem elektrischen Mo¬
mente entsprechende Dimension, und daher als eine glei¬
chen Rang mit der Sensibilität und der Reproduction ein¬
nehmende Grundkraft betrachtet. So w ie nämlich die Re¬
production als das Princip des leiblichen Bestehens und der
eigentlichen Ernährung, die Sensibilität aber als das des
Empfindens und Wahrnehmens betrachtet wird, so erscheint
die Irritabilität als der Grund aller Bewegungsfähigkeit, so¬
wohl der willkührlichcn , als auch der unwillkürlichen.
Dieser Gebrauch des VY ortes Irritabilität w ird übrigens
jetzt in sehr vielen Schriften angetroffen , deren Verfasser
auf keine Weise als Anhänger jener Schule betrachtet wer¬
den können und wollen.
Die eben angegebene vielseitige und widersprechende
Bedeutung der W orte Irritabilität und Reizbarkeit verur¬
sacht keinen geringen Schaden auf dem wissenschaftlichen
Gebiete. Man kann mit Zuverlässigkeit behaupten, dafs
nicht nur der Leser ärztlicher Schriften oft verlegen wird,
in welchem Sinne wohl der Schriftsteller jene VV orte ge¬
braucht haben möge, sondern dafs auch oft der Schriftstel¬
ler seihst über die Verschiedenheit der Bedeutungen unklar
ist, und dadurch zur Aufstellung unrichtiger oder wenig¬
stens falsch ausgedrückter Behauptungen veranlafst wird.
Ohne nun aus Sprachgründen entscheiden zu wollen, wel¬
che der genannten Bedeutungen mit dem ursprünglichen
Wortsinne am meisten ühereiiikommc, haben wir nur den
Zweck, zu untersuchen, oh diejenige Ansicht, welche die
vierte Bedeutung annimmt, in der Sache seihst richtig sei.
Es fragt sich nämlich, oh die Irritabilität als Princip der
I. Begriff beslimmung der Irritabilität. 3
Bewegung in gleichem Maafse als Grundlage und Grundkraft
des Lebens betrachtet werden dürfe, wie die Reproduction
und die Sensibilität. Dafs Ilaller’s Irritabilität, als deren
weitere Entwickelung man die in der naturpbilosopbiscben
Schule aufgestellte Ansicht dieses Gegenstandes betrachten
kann, eine eigentümliche Lehenserscheinung darstelle, und
also durch eine besondere Kraft bedingt sein müsse, leidet
keinen Zweifel; allein welchen Rang diese Kraft in der
Reihe der übrigen einnehme, ist minder gewifs. Rein auf
das, was die Beobachtung gewährt, sich beschränkend, hatte
Haller den Satz aufgestellt, dafs die Muskelfaser an sich
bewegungsfähig sei, und dafs der Nerv zwar als der vor¬
züglichste Reiz zur Bewerkstelligung der Bewegung, aber
nicht als die alleinige Ursache derselben betrachtet werden
müsse. Dadurch wurde er bewogen, der Irritabilität eine
eigene Stelle neben der Sensibilität als einer von derselben
verschiedenen Kraft zu geben; aber keinesweges hatte er
die Irritabilität für so selbstständig gehalten, als die Sensi¬
bilität und als die gesammte Vegetation.
Um sich jedoch über den Gegenstand des Streites mit
Bestimmtheit zu verständigen , bedarf es einer Erörterung,
was unter Grundkraft verstanden werden müsse.
Es giebt nur Einen Grund des Lebens; die unermefs-
liche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen desselben ruht nur
auf dieser Einheit. Jede einzelne Erscheinung ist jedoch
wiederum in ihrer Besonderheit durch einen eigenthümli-
chen von jener ursprünglichen Einheit bedingten Grund,
den man mit dem Worte Kraft bezeichnet, hervorgebracht.
Je nachdem eine gewisse Masse von Erscheinungen im
Gegensätze einer andern Masse durch einen gemeinsamen
eigen thümliehen Grund bedingt ist, der keinen hohem, als
die oberste Einheit über sich anerkennt, um so mehr nen-
men wir denselben Grundkraft; je mehr jener Grund sich
I hingegen auf das Einzelne bezieht und höhere, der Einheit
(untergeordnete Kräfte über sich anerkennt, um so weniger
[können wir ihn als Grundkraft bezeichnen. Nach dieser
1 *
4
I. Begriffbestimmung der Irritabilität.
Ansicht können wir nur wenige Grundkräfte annehmen;
die Zahl der untergeordneten Kräfte mufs hingegen sehr
bedeutend sein, indem jeder bestimmten Lebenserscheinung
auch eine bestimmte Kraft entspricht.
Die Irritabilität ist in den neuern Schulen als wahre
Grundkraft nach der oben angegebenen Bedeutung angese¬
hen worden , in gleicher Art wie die Sensibilität und die
Reproduction ; man hat auf diese Annahme neue Systeme
der Physiologie und Pathologie, ja selbst der lleilmittel-
lehre und Therapie erbaut. Es scheint aber, als ob man
hierzu nicht völlig berechtigt gewesen wäre. Schon mehr
als zehn Jahre bezweifele ich die neuere Lehre von der
Irritabilität; mit dem Fortschreiten meiner Studien und mit
der Vermehrung der Beobachtung am Krankenbette mehr¬
ten sich meine Zweifel, in denen mich zuletzt das Studium
von Kreysig’s Heilkunde noch mehr befestigte. Bei einer
öffentlichen Mittheilung meiner Zweifel im Kreise einer
ärztlichen Gesellschaft wurden mir von ehrenwerthen Stim¬
men verschiedene Einwendungen gemacht, die jedoch meine
Ueberzeugung nicht veränderten. Möge diese Mittheilung
dazu dienen, meine Meinung, wenn sie die richtige ist,
weiter zu verbreiten, oder derselben, wenn sie unrichtig
ist, eine vollkommene AN iderlegung zu verschaffen. Zur
genauem Erörterung zerfalle ich die Zweifel über das Be¬
stehen der Irritabilität als wesentlicher Grundkraft in phy¬
siologische, pathologische und therapeutische. Jede dieser
Richtungen scheint den hier zu liefernden negativen Beweis
auf eigenthümliche Weise zu begründen.
Was nun den physiologischen Standpunkt betrifft, so
erscheint uns hier zuvörderst die Kraft der Bewegung kei-
nesweges als Grundkraft; wenigstens steht sie gewifs auf
einem viel niedrigem Standpunkte, und ist minder unabhän¬
gig, als die beiden unerläfslichen Bedingungen des thieri-
schen Lebens, Reproduction und Sensibilität. Eine voll¬
kommene Unabhängigkeit einer einzelnen Grundkraft des
Lebens von den andern Gruudkräften ist undenkbar und
I
I. Begriffbestimmung der Irritabilität. 5
dem Wesen des Lebens widersprechend; die Unabhängig¬
keit ist immer nur relativ, dem Grade nach jedoch sehr
ausgezeichnet im Vergleich mit den untergeordneten Kräf¬
ten. Die thierische Bewegung scheint aber in jeder Bezie¬
hung sehr abhängig von anderen organischen Systemen.
Dieselbe ist, wie bekannt, eine doppelte, nämlich eine un-
willkührliche , auf die unmittelbaren Zwecke des körperli¬
chen Daseins hingerichtete, und eine willkührliche, die
theils die Bewegung an sich zum unmittelbaren Zwecke
hat, theils auf Veranlassung des Instincts zu irgend einem
in der individuellen Natur eines bestimmten organischen
Wesens liegenden Zwecke geschieht, theils endlich als voll¬
ziehendes Organ der geistigen Thätigkeit betrachtet werden
mufs. ln allen diesen Beziehungen erscheint die Bewegung
als vermittelt, keinesweges als ursprünglich. Man hat frü-
herhin fälschlich die organische Bewegung blofs an das
Leben der Thiere geknüpft; in der That aber ist dieselbe
auch dem Pflanzenleben eigen , nur in einem mindern Grade
der Ausbildung. Die Bewegung beginnt mit den ersten
Augenblicken des Lebens; jedes organische Dasein führt
nothwendig Bewegung mit sich ; denn das AU echselspiel des
Austausches der Stoffe, die von dem Leben untrennbare
und unaufhörliche Umwandlung des organischen Leibes ist
undenkbar ohne Bewegung. Es bedarf zur Annahme der
organischen Bewegung keiner im Augenblicke sinnlich wahr¬
nehmbaren Veränderung des Ortes; jedes "Wachsen und
Abnehmen, kurz jede der mannigfaltigen Richtungen des
organischen Daseins ist ohne allen Zweifel mit Bewegung
verbunden. Diese ist aber hier keinesweges als das Ur¬
sprüngliche und als der Grund des Lebens, sondern nur
als eine nothwendige Folge der Ernährung, als der Grund¬
bedingung des Lebens zu betrachten.
Was eben von der unwillkührlichen , unsichtbaren Be ¬
wegung behauptet worden ist, gilt auch von der unwill¬
kührlichen sichtbaren Bewegung. Je mehr das Leben sich
entwickelt, um desto mehr tritt schon innerhalb des Ge-
6
I. Bcgriffbe Stimmung der Irritabilität,
bietes der Ernährung eine sichtbare Bewegung neben jener
noch immer fortdauernden unsichtbaren ein; schon in den
Pflanzen sind Spuren einer sichtbaren Bewegung des Flüs¬
sigen innerhalb der festen Gestalt; ■vollkommen entwickelt
tritt sie als Blutumlauf in den Filieren , zumal der hohem
Reihe, hervor. Unaufhörlich bewegt sich die Quelle, aus
welcher der neue Thierstoff entsteht, und in welche der
zersetzte grüfstentheils wiederum übergeht. Diese Bewe¬
gung ist aber ebenfalls keine ursprüngliche; sic ist eine
nothwendige Folge eines bestimmten Grades der Entwicke¬
lung des Lebens, und nur als bedeutende Eigenschaft, nicht
als Grundlage desselben zu betrachten. Das Blut ist nicht
da der Bewegung wegen, sondern die Bewegung ist da,
weil das Blut eben die bestimmte Stufe der organischen
Bildung annimmt, welche aufser den anderweitigen viel¬
fachen Beziehungen desselben auch die des sichtbaren Bc-
wegtseins mit sich Führt. Dasselbe gilt auch von allen an¬
deren unwillkürlichen organischen Bewegungen, bei denen
es in dieser Beziehung gleichgültig ist, ob sie, was bekannt¬
lich in einigen Verhältnissen streitig ist, durch muskulösen
Bau vermittelt werden, oder nicht. Als Beispiel mag die
Bewegung in den Gedärmen, der sogenannte Motu« peri-
stalticus, gelten. Sie ist im Dienste der Verdauung und
durchaus unselbstständig ; diejenigen T liiere, welche ver¬
möge der vielfachen Stoffe, die sie als Nahrung geniefsen,
und vermöge ihres verwickelten Baues auch zum Behufe
der Verdauung einer vielfachen Vorbereitung bedürfen, be¬
sitzen zum Behufe derselben einen Darmkanal von bedeu¬
tender Länge, und eine bis zur Sichtbarkeit gelangende
Bewegung desselben, die einzig und allein in dem Zwecke
der Verdauung ihren Grund hat. So ist bei allen sicht¬
baren unwillkührlichen Bewegungen der organische Zweck
immer das Ursprüngliche und die Bewegung selbst gewisser-
maafsen der letzte Enderfolg, durch das Vorhergehende wie
durch die ganze Natur des Vorgangs bedingt, zwar keines-
I. Begriffbe Stimmung der Irritabilität. 7
weges ohne eigenthümliche Bedeutsamkeit, aber doch ohne
die Selbstständigkeit einer Grundkraft.
Was nun die willkührliche Bewegung betrifft, so ist
dieselbe freilich um so mehr als selbstständig zu betrachten,
als sie ein eigenes organisches System, nämlich die Muskeln,
zu ihrem Organe hat; demnach aber besitzt sie keinesweges
den hohen Grad der Selbstständigkeit einer Grundkraft;
vielmehr ist sie einer solchen unbedingt unterworfen , näm¬
lich der Sensibilität und den Organen derselben, den Ner¬
ven. Es bedarf keines Beweises, dafs der Muskel nur ver¬
mittelst der Nerven thätig sei. Wenn auch Haller eben
dadurch zur Annahme der Irritabilität als eigentümlicher
Kraft bewogen wurde, dafs er in den Muskeln eine ihrer
Substanz eigenthümliche Fähigkeit der Zusammenziehung,
im Gegensätze der allen organischen und selbst todten Tliei-
len eigenen Elasticität gewahr wurde , so ist es doch durch
zahllose Thatsachen erwiesen, dafs die vollkommene Muskel¬
bewegung nur durch das Nervensystem zu Stande komme.
Der Muskel vollbringt nur, was in den Nerven begründet
ist; er ist nur das vollziehende Organ, das mechanische
Moment des dynamischen Vorganges. Wie ganz anders
verhält sich dieses bei den beiden Grundkräften der Re-
production und der Sensibilität! Beide haben ihr durchaus
selbstständiges Dasein, und wenn auch vielfach mit einan¬
der verknüpft, indem das Reproductive im thierischen Le¬
ben nicht ohne Einwirkung des Sensibeln ist, und dieses
immer durch ein bestimmtes Stoffverhältnifs vermittelt ist,
so ist doch keines von dem andern so unbedingt abhängig,
wie die Irritabilität von ihnen beiden ist. Nur wenn wir
den mechanischen Vorgang einer Muskelbewegung ergrün¬
den wollen, sehen wir auf die Muskeln selbst; wollen wir
aber auf den innern Grund der Bewegung eingehen, so
müssen wir immer die Nerven vorzugsweise in Betrachtung
ziehen, wodurch uns die Unselbstständigkeit der Bewegunö
und die Unmöglichkeit, die Irritabilität in physiologischer
8
L Bcgriffbestimmang der Irritabilität.
«
Beziehung als wahre Grundkraft anzucrkenncn, auf sehr
bestimmte Weise entgegentreten.
Betrachten wir nun die Beweise, welche gegen die
Selbstständigkeit der Irritabilität aus dem Gebiete der Pa¬
thologie gewonnen werden können, so finden wir sie nicht
minder schlagend. Die unwillkührliche Bewegung ist krank¬
haft auf vielfache Weise verändert; jede Krankheit, so ver¬
schiedenartig ihr Gebiet auch sein mag, führt eine unsicht¬
bare, erst aus ihren Folgen, z. B. der Abmagerung, zu
erkennende Veränderung der Bewegung mit sich, die je¬
doch rein von dem Vorgänge, der in dem besondern eben
erkrankten Systeme rege ist, ausgeht, z. B. von krankhafter
Nerventhätigkeit, von mangelhaftem Absätze der zur, Er¬
nährung nüthigen Stoffe, u. s. w.
"W eniger deutlich, aber nicht minder gewifs ist die
Lösung dieser Aufgabe in Beziehung auf die sichtbare un¬
willkiihrliche Bewegung, besonders auf den Blutumlauf, den
wir auf mannichfache Weise in Krankheiten verändert se¬
hen. Hier ist oft vermehrte Bewegung des Blutes auf Ver¬
anlassung krankhafter Stimmungen einzelner Systeme, be¬
sonders bei Naturbestrebungen zur Fortschaffung irgend
eines störenden Zustandes; aber oft sehen wir dieselbe auch
ohne Veranlassung durch andere Systeme, rein durch das
Blut selbst begründet. Das deutlichste Beispiel giebt das
einfache entzündliche Fieber, auch sthenisches Fieber oder
Synocha genannt. Dieser Zustand und die ihm verwandten
sind daher auch von den Neuern allerdings als Zustände
erhöhter Irritabilität, und als Beweise der Selbstständigkeit
, derselben als Grundkraft angesehen worden. Allein der
Beweis ist nicht hinreichend. Jedes einzelne untergeord¬
nete Element des Lebens kann sich im krankhaften Zu¬
stande von seiner Stellung losreifsen und dem Ganzen feind¬
selig entgegensetzen, indem es eine höhere und selbststän¬
digere Rolle annimmt, als ihm gebührt. Ja es ist ein we¬
sentliches Kennzeichen der Krankheiten, dafs die regei-
mäfsige Ordnung der Systeme gestört, das Höhere unter-
I. Begriffbestimmung der Irritabilität. 9
drückt und das Niedere erhöht wird. So sehen wir ein¬
zelne Secretionen eine solche Vorherrschaft gewinnen, dafs
sie fast alle andern verdrängen, z. B. die Schleimabsonde¬
rung; so sehen wir einzelne Bestandteile, z. B. das Saure
oder das Alkalische, das Flüssige oder das Feste, vorwal¬
ten, ohne dafs wir deswegen dem Vorwaltenden eine für
immer so bedeutende Rolle im Körper anweisen möchten.
So kann auch die sonst den Zwecken des bildenden Lebens
untergeordnete Blutbewegung sich krankhaft zu höherer
Selbstständigkeit auf Kosten der andern Systeme erheben;
indem dieselbe vermehrt wird, werden die Ernährung des
Körpers und die Ausscheidung des im hortgange des Le¬
bens unbrauchbar gewordenen Stoffs, so wie andererseits
die willkührliche Bewegung, die Empfindung und die gei¬
stige Tbätigkeit umgestimmt und zu ihrem Nachtheile ver¬
ändert. Es läfst sich also aus dieser krankhaften Selbst¬
ständigkeit der unwillkührlichen Bewegung, die immer den
Nachtheil, nicht selten den Untergang des Ganzen zur Folge
hat, kein Schlufs auf eine immerwährende, dem gesunden
Leben entsprechende Selbstständigkeit machen. Es ist übri¬
gens keinem Zweifel unterworfen, dafs unter den vielen
Fällen einer beschleunigten Blutbewegung die allermeisten
als secundär zu betrachten sind, nämlich als Folgen bestimm¬
ter Vorgänge des vegetativen oder sensitiven Lebens. Be¬
kanntlich ist auch das obgedachte entzündliche Fieber ohne
alle Verwickelung keine der häufigsten Fieberformen; viel¬
mehr gehen die allermeisten Fieber von besonderen Vor¬
gängen des bildenden Lebens, von dem Zustande bestimm¬
ter Organe und von Mifsverhältnissen des sensiblen Lebens
aus; hier ist die vermehrte Blutbewegung blofs vermittelt;
sie ist ein Zeichen des angeregten Kampfes, der eben da¬
durch am besten entschieden wird.
Die willkührliche Bewegung des Muskelsystems müfste
in pathologischer Rücksicht gerade die besten Beweise für
die Selbstständigkeit der Irritabilität als Grundkraft geben,
wenn sie wirklich eine solche wäre; denn die Muskeln sind
10 I. Begriffbcstimmung der Irritabilität.
ja der ursprüngliche Gegenstand der Irritabilität und die
wahren Hebel der Bewegung; cs müfste also auch Zustande
geben, in welchen die Bewegung der Muskeln an sich er¬
krankt wäre, und zwar ohne von dem bildenden und sen¬
siblen Lehen dazu angeregt zu sein. Solche sind aber
schlechthin nicht vorhanden. Es giebt zwei wesentliche
Grundformen, unter welchen die Krankheiten der willkiihr-
lichen Bewegung erscheinen, nämlich die Lähmung und den
Krampf. Ohne nun in eine genaue Erörterung dieser Zu¬
stände einzugehen, Iiifst sich im Allgemeinen so viel mit
Bestimmtheit behaupten, dafs jede dieser beiden Fermen
nur durch das sensible oder durch das vegetative Lehen,
nie aber durch ein ursprüngliches Erkranken der Irritabili¬
tät hervorgebracht werden kann. Mit Unrecht hat die
Solidarpathologie bis auf die neueste Zeit Krampf und
Lähmung dem Nervensvsteme fast allein zugeschrieben; die¬
ses ist zwar immer dabei ergriffen, aber oft nur mittelbar.
Missverhältnisse der bildenden Kraft, IJebermaafs und Man¬
gel des Bluts, Verbildung einzelner Theile und Organe,
unterdrückte Absonderungen und Aussonderungen, und viel¬
fache andere Verhältnisse, in denen das Nervensystem nur
auf sehr untergeordnete Weise angeregt ist, sind sehr häufig
die Ursache des Krampfs und der Lähmung. Andererseits
aber ist es gegen die Meinung der Humoralpathologen
nicht minder gewifs, dafs oft die veränderte Stimmung des
Nervensystems an und für sich und unabhängig von allen
andern Systemen sowohl Krampf als Lähmung herbeiführen
kann, für welchen Satz cs in unserer Zeit wohl schwerlich
irgend eines Beweises oder auch nur eines Beispieles be¬
darf. Vermehrte, wie verminderte und specifisch veränderte
Muskelbewegung sind nirgends als Krankheit eines selbst¬
ständigen bewegenden Princips, nämlich der Irritabilität als
Grundkraft, anzutreffen, sondern immer nur als Folgen
krankhafter Umstimmung in einzelnen Gebieten der Repro -
duction und der Sensibilität. Die Krankheiten der Irrita¬
bilität können daher keinesweges als eine eigene Klasse auf
I. Begrifft es timmung <ler Irritabilität. ii
gleiche Stufe mit denen der Reproduction und der Sensi¬
bilität gestellt werden; vielmehr können sie nur eine
niedere Stellung als Ordnung oder Gattung erhalten, un¬
tergeordnet einer der Abtheilungen, die yon jenen bei¬
den selbstständigen Hauptrichtungen des Lebens hergenomi-
men sind.
Hieraus wird sich nun von seihst ergeben , in wiefern
man berechtigt gewesen, ist, die Irritabilität als Grundkral t
in die Anordnung der Heilmittellehre und in die Gesetze
der speciellen Therapie einwirken zu lassen. Man hat näm¬
lich eine Hauptreihe von Mitteln als der Irritabilität ent¬
sprechend, dieselbe hemmend oder fördernd, aufgestellt,
und eine diesem gemäfse Anordnung in die Lehre von der
Behandlung der einzelnen Krankheiten eingeführt. Wenn
es nun schon überhaupt sehr schwer ist, eine bestimmte
Reihe von Heilmitteln als einem bestimmten organischen
Systeme entsprechend aufzustellan, weswegen auch die Lin-
theilung der Heilmittel nach ihrer eigenen chemischen Natur
ohne specielle Berücksichtigung des kranken Lebens in
neuerer Zeit die Oberhand gewonnen hat, so ist es doch
fast unmöglich, auf eine unerkünstelte Weise eine der be¬
wegenden Thätigkeit an sich und ohne Beziehung auf an¬
dere Systeme entsprechende Heilmethode aufzufinden. Dies
gilt sowohl in Beziehung auf die Hemmung, als auf die
Förderung der organischen Bewegung. Die unwillkür¬
liche organische Bewegung, und deren Haupt -Repräsentant,
der Blutumlauf, wird gemindert, indem man dem Körper
Stoffe entzieht, also durch Blutausleerungen, künstlich
vermehrte Darrüaussonderungen und Verminderung des Ge¬
nusses von Nahrungsmitteln, und indem man andererseits
Mittel anwendet, welche die organische Thätigkeit über¬
haupt herabsetzen. Alle diese Mittel sind gröfstentheils
unmittelbar auf das bildende Leben gerichtet, die Masse
und Kraft desselben auf alle Wreise schmälernd, wodurch
sie dann mittelbar auch verminderte Bewegung hervorbrin¬
gen; ein kleinerer Iheil dieser Mittel sucht diesen Zweck
12 I. Begriffbestimmung der Irritabilität.
durch unmittelbare Wirkung auf das Nervensystem zu er¬
langen. Es ist aber durchaus unerweislich, dafs eines die¬
ser Mittel unmittelbar der bewegenden Thätigkeit entgegen¬
wirke; vielmehr ist die Wirkung auf die eben angegebeue
W eise immer eine mittelbare.
YV as nun die Vermehrung der unwillkürlichen orga¬
nischen Bewegung betrifft, so geschieht diese gröfstentheils
durch Einwirkung auf das Nervensystem. Zwar führt die
Bekräftigung des bildenden Lebens auch vermehrte unwill¬
kürliche Bewegung herbei; indessen erfolgt sie dann doch
sehr allmählig, und kann in ihrer Begründung nur durch
lange Beobachtung, nicht durch unmittelbare Anschauung
erfalst werden. Soll dieselbe schnell hervortreten, so be¬
darf es durchaus der mit den» Namen reizend bezeichnten
Mittel, deren wesentliche Wirkung offenbar vorzugsweise
auf das Nervensvstem gerichtet ist, und eben deswegen mit
grofser Schnelligkeit erfolgt, wenn sie auch meistens oder
vielleicht immer durch die Aufnahme in das Blut vermittelt
werden mufs. Also auch die Vermehrung der unwillkiihr-
lichen Bewegungen, wobei wir vorzüglich den Blutumlauf
im Sinne haben, geschieht keinesweges durch unmittel¬
bare Anregung der Irritabilität, sondern auf einem ganz
andern W ege und immer durch \ ermittelung anderer
Systeme, denen die Irritabilität in dem angenommenen
Sinne fremd ist.
Die Heilung der Krankheiten der wdllkührlichen Bewe¬
gung, die wfir unter den beiden Hauptformen der Lähmung
und des Krampfes aufgestellt haben, ist nach der oben an¬
gedeuteten zwiefachen Quelle derselben bekanntlich einer
doppelten und in sich sehr verschiedenen Richtung der Heil¬
mittel unterworfen ; denn w o das Nervensystem das ur¬
sprünglich leidende ist, wird auf dieses unmittelbar, bald
reizend, bald hemmend, bald abstumpfend u. s. w. gewirkt;
wo dasselbe aber nur secundär ergriffen ist, wird das bil¬
dende Leben in den verschiedensten Richtungen umge-
stiinmt, bald indem man die Blutmasse umzuändern, bald
!. Begriffbestimmung (1er Irritabilität. 13
indem man einzelnen Organen eine andere Richtung der
Thätigkeit zu geben, bald indem man bestimmte chemische
oder mechanische Mifsverhältnisse zu heben sucht u. s. w.
Alle diese Methoden enthalten aber durchaus nichts in sich,
was unmittelbar auf die Muskelthätigkeit hinwirkte; viel¬
mehr erscheint auch hier die Einwirkung auf dieselbe als
eine mittelbare.
Sind die hier aufgestellten Behauptungen richtig, so
kann die Irritabilität wohl nicht länger als Grundkraft be¬
trachtet werden , sondern mufs ihre Stelle in der Reihe der
■ , /
untergeordneten minder selbstständigen Kräfte einnehmen.
Es giebt wohl nur zwei Grundkräfte des Lebens, die Re-*
production und die Sensibilität. Jene umfafst das ganze
Gebiet des rein leiblichen Bestehens; die Verdauung, die
Blutbereitung, die gesammte Ernährung, so wie die un-
willkührliche Bewegung sind einzelne, dieser Grundkraft
untergeordnete Richtungen oder Kräfte; hingegen umfafst
die Sensibilität einerseits die Empfindung und W ahrneh¬
mung, von der untersten Stufe des dunkeln Gefühls des
eigenen Daseins und der durch die äufsern Sinne erfolgen¬
den Wahrnehmung der äufsern Natur bis zur vollendeten
Klarheit des geistigen Anschauens; andererseits aber wirkt
sie nach aufsen hin, und nimmt nicht blofs auf, sondern
schafft selbstständig; jedes Schaffen aber erfolgt durch Be¬
wegung; so können wir auch die höchste geistige Selbst-
thätigkeit, wenn wir sie unter einem physischen Bilde er¬
fassen wollen, nicht anders, denn als Bewegung erfassen.
Am klarsten tritt aber die Bewegung in dem rein leiblichen
Gebiete auf, -indem die Sensibilität, deren Beginn schon vor
der Erscheinung eines Nervensystems anzunehmen ist, das
Leben in jeder Beziehung steigert und das stille pflanzliche
Dasein in ein bewegliches unrwandelt, bis sie mit der Er¬
scheinung eines Nervensystems zu einer vollkommenen Aus¬
bildung gelangt, und sich nun nicht mehr mit der innern
Bewegung begnügt, sondern nach aufsen hinwirkt. Hier
tritt endlich, nachdem mancherlei Erscheinungen dieser Art
14
II. Krankheiten am Riiekgrathe.
ohne Muskelgewebe vollbracht worden sind, dieses als das
vollendete Organ der nach au feen hinwirkenden Sensibilität
hervor. Die den Muskeln eigene und von den Nerven nicht
unbedingt abhängige Irritabilität beweist nur, dafs hier, wie
überall, auch das Untergeordnete im Leben ein eigenthüm-
liebes und relativ selbstständiges Dasein geniefst; allein sie
beweist nicht, dafs die Irritabilität ein so eigenthiimliches
und in sich abgeschlossenes Dasein besitzt, dafs sie der Uc-
production und Sensibilität nach der von den Neuern be¬
liebten Weise an die Seite gesetzt werden dürfte *).
II.
Karl Wenzel, der Heilkunde Doctor, Geheimer
Rath 11. s. w., über die Krankheiten am
i 7
Rückgrathe. Bamberg, hei YVesche. 1824. gr.Fuh
mit 8 Kupfcrtafeln. XXIV und 460 S.
Indem der Unterzeichnete die Anzeige dieses w ichtigen
Werkes für diese Blätter übernimmt, mag es ihm erlaubt
sein, zuvor den Gesichtspunkt näher zu bezeichnen, den er
bei der Abfassung derselben sich vorgesetzt hat. Eine ge¬
wissenhafte Kritik soll sich die Aufgabe klar machen, der
sie zu genügen gedenkt, und unter den möglichen viel¬
fachen A erhältnissen zur anzuzeigenden Schrift dasjenige
1 ) Ein grofser Thcil der in dieser Abhandlung aufgcstell-
ten Behauptungen scheint durch die ron Wilson Philip ge¬
gen Le Gallois an lebendigen Thiercn gemachten Versuche
widerlegt zu werden, indem dieselben eine Unabhängigkeit der
organischen Bewegungen von den Nerven bezeugen sollen. Al¬
lein so sorgfältig auch der Verfasser experirnentirt hat, so hal
er doch unrichtig gefolgert; die Ansichten von Le Gallois
sind durchaus richtiger, als die von AAr. P B. , welches jedoch
an diesem Orte nicht ausführlich erwiesen werden kann.
15
II. Krankheiten am Riickgrathc.
herausnehmen, welches sie für sich am angemessensten hal¬
ten mufs. Ein Werk von der Bedeutung und dem Um¬
fange wie das vorliegende sollte freilich in allen seinen
Beziehungen gewürdigt werden; indefs bekennt der Unter¬
zeichnete, dafs er nicht vermessen genug ist, die Haupt¬
aufgabe der Kritik zu lösen, nämlich das Verhältnis des
Werkes zum gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nach¬
zuweisen, da er auf den Titel eines i ragers der letztem
schon durch Nennung seines Namens \ erzieht leistet. Eine
erschöpfende Angabe des Inhalts, so erfreulich die Arbeit
wäre, lassen die Gränzen dieser Blätter nicht zu. Daher
begnügt sich der Unterzeichnete, den Eindruck zu schildern’
den das aufmerksame Lesen des Werkes bei ihm zurückge-
lassen hat, und seine rein inviduelle Ansicht von den wich¬
tigsten der vorgetragenen Lehren mit aller der Bescheiden¬
heit wiederzugeben , welche die allgemein anerkannten \ er-
dienste des für die Wissenschaft rastlos thätigen würdigen
Verf. fordern. Es schien deshalb angemessener, die kritisch-
forensische Formel fallen zu lassen, lind daslcli aus seinem
Impersonalitätspanzer hervorzuziehen, damit es auch un
Aeufseren mit derjenigen Anspruchlosigkeit dastehe, mit
welcher es erfüllt ist.
Herr Geh. R. Wenzel, gleich geschätzt als Anatom
und als Arzt, liefert uns unter obigem Titel ein Werk,
dem zwei alte Nationaltugenden der deutschen Litteratur,
fleilsige besonnene Beobachtung und Forschung, und um¬
sichtige Benutzung der früheren Schriftsteller in hohem
Grade eigen sind. Die in neuerer Zeit mit besonderem Fleils
bearbeitete Physiologie des Rückenmarks, obgleich ihre Unter¬
suchungen noch keinesweges als geschlossen anzusehen sind,
schien eine neue Betrachtung dieses Theils in seinen krank¬
haften Zuständen, insbesondere des wechselseitigen Verhält¬
nisses zwischen den schon bekannteren Krankheiten der
knöchernen Wirbelsäule und denen des Rückenmarks noth-
wendig zu machen. Der Verf. wählte dazu den Weg
der pathologischen Anatomie, wozu ihm häufige Kranken-
16
II. Krankheiten am Riiekgrathe.
beobachtung und Zergliederung von Leichen die trefflich¬
sten 1 1 ülfsmittel lieferten; und sein Werk läfst sich viel¬
leicht nicht treffender bezeichnen, als durch den Titel,
welchen Morgagni seinem unsterblichen Buche vorsetzte:
« De sedibus et causis morborum per anatomen indagatis. **
J)er Verf. beklagt, besonders bei den Krankheiten des Ner¬
vensystems, die grofse Versäumnis anatomisch - pathologi¬
scher Untersuchungen. Das vernachlässigte Streben, die
Zergliederungskunde und Physiologie in die Krankheitslehre
lichtverbreitend iiberzutragen , sei jetzt um so fühlbarer,
als an die Stelle des wahrhaft und unumstöfslich Belehren¬
den mehr oder weniger sinnreiche Constructionen über die
Natur jener Krankheiten getreten sind. Umfassende anato¬
mische Untersuchungen können allein die Constructionen
verwackelter Krankheiten rechtfertigen, und unsere Be¬
griffe darüber berichtigen. Daher dringt er besonders auf
die sorgfältigsten anatomischen Untersuchungen des Bücken¬
markes, um die noch dunklen Krankheiten desselben ans
Licht zu ziehen. W ir sollen dagegen vordersamst allen
Constructionen a priori entsagen.
Unbezweifelt ist die pathologische Anatomie einer von
den Wegen, welche zur Erlangung einer festgegründeten
wissenschaftlichen Krankheitslehre fleifsig zu betreten sind.
Ob aber der einzige? Mit Recht bemerkt der 'S erf. selbst
(S. 402.) bei Gelegenheit der Rückenmarkentzündung , dafs
man aus Leichenöffnungen oft nicht zu errathen im Stande
sei, von welcher Natur die Krankheit war. Empfindlicher
ist diese Schwierigkeit, und nicht selten zur wahren Un-
möglirhkeit gesteigert bei den eigentlichen Nervenkrankhei¬
ten: wir dürfen die Zahl derjenigen Krankheiten nicht gering
halten, w elche ohne sinnlich merkbare Veränderungen des gro¬
bem Materiellen vorzugsweise in dem Ereithätigen, in der Dy¬
namik walten, und es ist schwerlich eine unzeitige Verzweif¬
lung, wenn wir auf diejenigen Aufschlüsse Verzicht leisten,
welche uns das anatomische Messer hier gewähren könnte.
( Fortsetzung folgt.)
Litterarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
II.
Karl W e nzc i, u eher die Krankheiten am
B ückgrath e. Bamberg, 1824. gr. F ol.
( Fortsetzung . )
Sollte, um zur Wissenschaft zu gelangen, aufser dem rein
sinnlichen Erkenntnifswege nur noch die Construction a
priori möglich sein? Nur andeutungsweise will ich erwäh¬
nen, dafs jegliche Krankheit nur durch den reinen, bis zur
höchsten Allgemeinheit gesteigerten und zugleich bis in die
entfernteste Besonderheit verfolgten Begriff des gesunden
Lebens diejenige Begründung erhalten kann, welche der
Intelligenz Befriedigung gewährt. Eben daher ist wohl die
gesunde Function und die Abweichung von derselben das
erste Mittel, über vorhandene Krankheit zu urtheilen. Im¬
mer freilich bleiben die fafsbare Materie, die Residuen und
todten Absätze der Krankheit die Symbole des darin thatig
gewesenen Lebensprozesses: sie sind deshalb mit Sorgsam¬
keit zu untersuchen, aber für sich gelten sie nur als nicht
zu entziffernde Hieroglyphen. Hie Klage des Verf., dafs
diese pathologisch-anatomischen Untersuchungen nicht all¬
gemein genug mit derjenigen Genauigkeit angestellt wer¬
den, dafs sie dominirenden Einflufs auf die wissenschaftliche
x —
Begründung der Krankheitslehre gewinnen können, mag
daher in diesem Sinne wohl begründet sein: indefs darf
man auch die gegenseitige Klage nicht überhören, welche
gewifs sehr zeitgemäfs hin und wieder ausgesprochen ist,
dafs nämlich, insbesondere in England und Frankreich, die
Neigung unter den Aerzten vorherrschend werde, jede
II. Bd. 1. St. 2
18
II. Krankheiten am Ilückgrathc.
I
%
Krankheit als eine sinnlich bemerkbare Veränderung der
Materie begreifen zu wollen. Je mehr die Bedeutung
eines Organs in der Massenbildung, im Materiellen sich
ausspricht, desto durchgreifender und hervorstechender sind
die materiellen Umbildungen, welche das Organ durch
Krankheiten erleidet, desto sicherer die Resultate, welche
wir aus den Untersuchungen der Leiche entnehmen. In
dieser Hinsicht sind Untersuchungen des Knochengebäudes,
dessen Bedeutung durch seine Form und sein blofses mate¬
rielles Dasein fast erschöpft wird, von besonderem Interesse
für die Wissenschaft , weil jeder Schritt der krankhaften
Entwickelung eine deutliche Spur der wägbaren Materie
eindrückt. W ir müssen deshalb dem 'S crf. Dank wissen,
dafs er gerade diesen Thcil der Rückgrathskrankheitcn zum
Ilauptgegenstande seiner Untersuchungen machte, und ich
spreche mit Vergnügen meine Ueberzeugung aus, dafs es
vorzüglich hier ihm gelungen ist, manches Dunkel zu er¬
hellen, und manches bisher Unbestimmte fest an seinen
Platz zu stellen.
Der Verf. beginnt sein Werk mit anatomischen und
physiologischen Aphorismen über das Rürkgrath, wobei er
besonders das Verhalten desselben in den verschiedenen
Lebensperioden und Geschlechtern einer nähern Untersu¬
chung unterwirft, und vorläufig aus diesem Gesichtspunkte
einzelne Aufklärungen über die krankhaften Zustände und
Verbildungen der Organe giebt. Ich hebe einige Bemer¬
kungen aus. Fehlerhafter Bau der Rippen, ein im Ver-
hältnifs zum Körper zu enger Thorax, bewirkt als Folge
der beschwerlichen Respiration und der gewaltsamen Be-
wegv.ng der Rippen eine normale Richtung der Rücken¬
wirbel, nämlich eine gröfsere Ausbiegung nach hinten, ohne
anderweite bemerkbare Fehler im Knochen. (Die Erschei¬
nung ist nicht selten, aber der Gesichtspunkt, aus welchem
sie betrachtet werden mufs, kann zuweilen ein anderer sein.
Beide Phänomene sind nämlich wohl häufig Coeffccte der¬
selben Ursache, ich meine der unvollkommenen Ausbildung
II. Krankheiten am Rückgratke. 19
„ * v
der Respiration, wie sie zum rhachitischen Typus zu ge¬
hören scheint, und der damit in Verbindung stehenden feh¬
lerhaften Knochenentwickelung. Es läfst sich überdies er¬
warten, dafs die der Muskelwirksamkeit viel mehr ausge¬
setzten und nachgiebigen Rippen leichter die Formterände-
rung eingeben Averden, welche auf Erweiterung der Brust¬
höhle abzweckt, als die von den Respirationsmuskeln weni¬
ger in Anspruch genommene Wirbelsäule.) Die Lenden¬
wirbel sind am häufigsten der Sitz der Verunstaltungen des
Rückgraths; doch leiden sie selten7allein, fast beständig sind
die beiden untersten Rückenwirbel mit in die Ausbiegung*
begriffen. S. 179 heifst es indefs, dafs von der Rhachitis
am häufigsten und auffallendsten die Rückenwirbel befallen
werden. Sehr selten ist der vorletzte, noch seltener der
unterste Lendenwirbel in die Verschiebung begriffen, und
nur bei gleichzeitigem Leiden des Kreuzbeins. Lnglciche
Höhe der Seitentheile eines oder mehrerer Wirbelbeine,
als Bildungsfehler, bedingt für sich noch keine Verschie¬
bung: wrir finden, dafs die Natur diese EJngleichheit viel¬
fältig selbst auf hebt, indem das zunächst liegende Wirbel¬
bein den Gegensatz zeigt, oder die bandartigen Knorpel¬
scheiben die gerade Richtung hersteilen. In der Elasticität
der bandartigen Zwischenknorpel findet sich der Grund,
warum Kinder, die in ihren ersten Jahren viel liegen,
schneller wachsen, als unruhige, die sich beständig mit
etwas beschäftigen. Vielleicht stimmt hiermit eine andere,
gewifs feststehende Behauptung des Verf. nicht ganz über¬
ein, dafs nämlich die gröfsere und kräftigere Ausbildung
dieser Knorpelschichten von der mehr oder weniger kräf¬
tigen Einwirkung der Muskeln des Rückgraths abhange. —
Ferner sollen wir als Resultat einer reichlichen Mahlzeit
diese Knorpelscheiben dicker, nach langwierigem Fasten
verkleinert finden. Es schien dem Verf. , als wenn diesel¬
ben bei Frauen im Durchschnitt sichtlich höher angetroffen
würden. Eine sehr beständig vorkoinmende leichte Biegung
der Rückenwirbel von der linken nach der rechten Seite
2 *
20
II. Krankheiten am Riiekgrathe.
4
%
zwischen dem dritten und fünften his sechsten Rückenwirbel
zählt er zum normalen Baue, und leitet sie nicht von der
"\\ irkung der Muskeln, sondern von der absteigenden Aorta
ab. (Sollte der Grund davon nicht eben so gut in der
vorwaltendcn Thätigkeit und starkem Ausbildung der Mus¬
keln der rechten Seite und in der beim kräftigem Gebrauch
des rechten Arms regelmäßig erfolgenden Neigung des
obern Riickgraths auf die linke Seite gesucht werden kön¬
nen? Der \ erf. selbst macht uns vielfältig darauf aufmerk¬
sam, dafs man bisher den Einflufs der Muskeln auf die
W irbelsäule zu wenig beachtet habe, und dafs man bei
allen Krümmungen vorerst untersuchen müsse, ob nicht
blofs ein partielles Leiden der Muskeln der einen Seite die
Schuld trage.) Bei Kindern, die mit hervorstechend grofsem
Kopfe zur \\ eit kommen , oder deren Leber krankhaft
vergrößert ist, finden wir zurückbleibende Entwickelung
des Riickgraths. Nach dem Yerf. ist widernatürliche Gon¬
gest ion des Blutes nach dem vergröfserten Thcile in diesem
kallc der Grund der mangelhaften Ernährung des Rück-
graths, indem durch die Blutstockung dem übrigen Körper
der Nahrungsstoff vorenthalten werde. Diese Erklärungs¬
weise wird manchem nicht genügend scheinen, der etwa
fragte, warum denn bei eben dieser voreilenden Kopfent¬
wickelung regclmäfsig auch die Leber Massezunahme zeige?
Der Grund dieser Thatsachen ist unstreitig tiefer, in der
eigenthümlichcn Bedeutung des kindlichen Organismus und
der darin wurzelnden Entwickclungskrankheiten zu suchen.
Der 'S erf. scheint jener Ansicht an einem andern Orte selbst
zu milstrauen, indem er sagt, dafs wir aus Thatsachen nicht
nachweisen können, mit welchen Folgen die frühreife Aus¬
bildung des Hirns für das Rückenmark verbunden sei, ob
mit gleichzeitiger schnellerer Entwickelung oder mit Beein
trächtigung des letztem. Sollte die Bedeutung des Rücken¬
marks in Bezug auf die Organe des 1 nlcrleibcs, insonder¬
heit der Ernährung, auf die Respiration und die Muskular-
kräfte nicht auch hier jene Frage bestimmter beantworten,
/
II. Krankheiten am Rückgrathe. 21
t
xumal es uns keineswegcs an erläuternden pathologischen
Thatsachen gebricht?
Hs folgt nun von S. 34. an die Betrachtung einiger
inneren Krankheitsursachen', vorzüglich in Bezie¬
hung auf die Krankheiten des Rtickgraths. Die krankhaften
\ eranderungen des Rtickgraths sind zum I heil ursprüngliche
Bildungsfehler, oder nach der Geburt Folgen von Fehlern
in der Ernährung ohne innere Krankheitsursachen; oder
Wirkungen bestimmter Krankheitsstoffe, namentlich der
Skrofelkrankheit, der Rhachitis und der Osteomalacie; oder
durch krankhafte Congestioncn des Blutes bedingt; oder end¬
lich die Wirkung von Entzündungen, welche unter andern
durch den syphilitischen und rheumatischen Krankheitsstoff
aus dem Scorbut hervorgerufen werden. Indem ich bei
jeder wissenschaftlichen Untersuchung die Anordnung der
Gegenstände für sehr wesentlich halte, glaube ich mir über
die eben fgedachte eine Bemerkung erlauben zu dürfen.
Abgesehen davon, dafs die später abgehandelten einzelnen
Formen der Krankheiten und ihre Zurückführung auf die
jeder eigenthümlichen ätiologischen Momente zu gehäuften
Wiederholungen Veranlassung wird, indem gerade die theil-
v/eise neuen Ansichten des Verf. erheischten, dafs an bei¬
den Orten Ursache und Form in lebendigem Zusammen¬
hänge nachgewiesen wurden, und beiderlei Untersuchungen
sich demnach nur durch Umdrehung ihrer Anfangspunkte
unterscheiden: so läfst sich auch gegen die Parallelisirung
der genannten Ursachen Zweifel erheben. Um kurz zu
sein, will ich nur andeuten, dafs, wenn Sero fein und Rha¬
chitis als ursächliche Momente der Rückgrathskranklieiten
mit Recht betrachtet werden müssen, die Entzündung nicht
in dieselbe Categorie fallen kann, welche ja nichts anders
ist, als die Krankheit selbst, und durch jene Ursachen, z.
B. die Scrofeln, erst hervorgerufen wird; dasselbe gilt von
der Osteomalacie, welche gleichfalls nicht Ursache ist, son¬
dern die Krankheit selbst bezeichnet. Renn von den nach¬
maligen Verunstaltungen , als formelleu Folgert dieser Ki ank-
i ' .•
I
2‘i II. Krankheiten am Riickgratlie.
heiten, kann hier die Rede nicht ßein. Indefs, wenngleich
diese kleinen Unvollkommenheiten nicht ohne Einfluß» auf
die Untersuchung seihst gehlichen sind, so entschädigt uns
der Verf. gerade in diesem Abschnitt auf das vollständigste
durch eine scharfsinnige, mit der reichhaltigsten Beobach¬
tung belegte Trennung der verschiedenen W irbelkraukhei-
ten aus dem nachgewiesenen Zusammenhänge der Form mit
der ihr eigentümlich zukommenden Krankheitsursache. Mit
Vergnügen folgen wir ihm auf dem ruhigen Gange seiner
Untersuchung.
Nachdem der Verf. einige allgemeine Naclnveisungcri
gegeben hat über die hauptsächlichsten innern Krankheits¬
ursachen, Organisationsfehler und äufsern Schädlichkeiten,
welche eine gestörte Ernährung des Rückgrats im Gefolge
haben, — wobei sich nur erinnern läfst, dafs eben dadurch
die obige Begriffbestimmiing «ohne innere Krank¬
heitsursache“ wieder aufgehoben wird, indem der \ erf.
eine Menge innerer Krankheiten, z. R. Hämorrhoiden, Men-
strualbeschwerden , Leukorrhoe^ Nierenaffectioncn u. s. w.
unter diesen Gesichtspunkt bringt, — wendet er sich zur
Betrachtung der Skrofel krank heit. Diese fafst er rein
als Leiden des Saugadersystems auf, und unterscheidet die
primitive Affection der Saugadern und ihrer Drüsen von
dem nach andern Krankheiten sich secundär darin entwik-
kelndcn Leiden. Nur die erstgenannte Art verdiene den
Namen der Skrofelkrankheit. Was man skrofulöse Anlage
nenne, sei ein nichts bezeichnendes Ideal; die Erscheinun¬
gen, welche man darunter begreife, müsse man schon als
Skrofelkrankheit seihst ansehen. In das Einzelne dieser Ex¬
positionen einzugehen, gestattet der Raum nicht; nur eine
Bemerkung. Gerade hier wird es sichtbar, dafs der Aerf.,
indem er vielleicht aus Scheu den sichern Roden zu ver¬
lieren, nicht über die Gränzen des sinnlich Wahrnehmba¬
ren und durch Zergliederung gegebenen hinausgeht, eben
dadurch seine Ansichten zu sehr beengt. Als Beleg dieser
Behauptung diene folgende Acufserung: « Die Wesenheit
II. Krankheiten am Rückgrathe. 23
t
der Rhachitis ist noch nicht ergründet; wir wissen nur,
dafs wir sie als die Folge eines Fehlers in dem Ernäh-
rungsprozesse der Knochen betrachten müssen. ” — Eie
Skrofelschärfe bewirkt Störungen in der Textur und den
Verrichtungen der Reinhaut, und bei tieferer Einwirkung
auf die Knochen Entzündung. Dadurch unterscheidet sie
sich wesentlich von der Rhachitis, wrelche niemals Ent¬
zündung im Gefolge hat. Die Rhachitis ergreift immer
alle Knochen des Skelets, wenngleich einige mehr, andere
weniger auflockernd und erweichend: niemals linden wir
einzelne Stellen eines Knochens ergriffen, indessen der
übrige Theil gesund und ohne Veränderung wäre. Daher
dehnt sich die Verunstaltung des Rückgraths, als Folge der
Rhachitis , die Halswirbel ausgenommen , gemeinhin auf fast
alle Wirbel aus, und macht gewöhnlich eine doppelte und
mehrfache Krümmung. Geht die Abweichung von einzel¬
nen Wirbelbeinen aus, so dürfen wir auf eine andere
Krankheitsursache schliefsen. Die Beinhaut' ist in der Rha¬
chitis dicker, ihre Gefäfse ungewöhnlich angeschwollen,
die Knochen daher blutreicher. Dennoch leugnet der V erf.
eine dabei statt findende Steigerung des Lebensprozesses. —
Die Osteom alacie ist wesentlich verschieden von der
Rhachitis, mit der sie nur ein einziges Symptom, die
Weichheit der Knochen, gemein hat. Die Beobachtungen
der Krankheit sind noch unvollkommen; indefs lassen sich
deutlich zw ei Formen, die acute und die chronische, unter¬
scheiden. Fixirte, tiefliegende heftige Schmerzen, höchst
schmerzhafte, oft ganz gehinderte Beweglichkeit, bezeich¬
nen den Anfang des acuten Uebels. Im Verlauf mindern
sich die Schmerzen, aber die Bewegungslosigkeit nimmt zu.
Liegt der Theil der Oberfläche nahe genug, so bemerkt
man Anschwellung, Verkürzung des Gliedes. Der Wrf.
erläutert dies durch drei lehrreiche Beispiele aus seiner Er¬
fahrung. Er fand die Knochen steileiweise in ein graulich
lockeres Zellgewebe, mit einzelnen Knochentheilchen durch¬
schossen, oder in einzelne kleine Massen, aufscrhch von
24
II. Krankheiten am Iliickgrathe.
drüsenartigem Ansehn umgeändert. Beim chronischen Vor
laufe sind die Kuochen gleichförmiger im ganzen Umfange
aufgetrieben, und mürbe* Interessant Ist die Bemerkung,
dafs die Knochen wieder in ihre ursprünglichen Bestand-
theile, wie sic das kindliche Skelet darstellt, zerfallen, was
insbesondere an den Backenknochen am auffallendsten ist.
Die Eigenlhümlichkeit dieser Veränderungen verwischt sich
Leim Trocknen der Knochen; daher räth der Ycrf, sic in
verdünntem Weingeiste aufzubewahren. Diese Knochen¬
krankheit ist niemals mit Eiterbildung vergesellschaftet: sie
liebt vorzugsweise das weibliche Geschlecht.
Der V erf. wendet sich nun zur Congcstion des
Blutes und zur Entzündung, mit besonderer Berück¬
sichtigung derjenigen Veränderungen, welche dadurch in
den Knochen und den dazu gehörigen Weichgebilden her¬
vorgebracht werden. Seine Ansichlcn haben manches Ei-
genthümliche, und von der bis jetzt angenommenen Lehre
Abweichende: es wird deshalb nicht unpassend sein, einige
zum Theil erst im Verfolge der Schrift vorkommende Satze
hier zusammenzustellen. Die Entzündung, heilst es S. 73,
ist eine eigentluindiche Krankheit mit deutlich ausgespro¬
chenen Zufällen, in genau bczcichneter Form, bestimmt
verlaufender Zeit und deutlich bezeichnetem Ausgange, die
nur Theile befällt, die von ihrer natürlich gesunden Be¬
schaffenheit nicht abgewichen sind. (Aus letzterer Bestim¬
mung beweist der Yerf. unter andern die Unmöglichkeit,
dafs sich rhachitische Knochen, wenn sie im Verlaufe des
Uebels dicker und härter geworden sind, entzünden können.)
Den Blutcongestionen liegt keine Ursache zum Grunde, die
hinlänglich wäre, eine Entzündung zur Folge zu haben;
ihr Zufälle sind mannigfaltig, ihre Form wechselnd; die
Veränderungen, welche sie an den leidenden Theilcn zu¬
rück lassen, sind, wenn die Congestion lange «lauerte, Ver-
gröfserung des Umfangs durch \ eränderung «les Zellstoffs,
Erweiterung der Gefafse und bleibende Anhäufung des
Bluts, wodurch die Theile allmühlig von ihrer natürlichen
EL 'Krankheiten am Riickgrathe. 25
Beschaffenheit abweichen, und unfähig werden, der Sitz
einer wahren Entzündung zu sein. (Der Yerf. erklärt sich
nicht weiter, wie nun diejenige Krankheit bezeichnet wer¬
den solle, die wir in Theilen mit krankhaft veränderter
Textur sehen, z. B. an den angeschwollenen vergrüfserten
Tonsillen, und die wir in der Yulgärsprache ebenfalls Ent¬
zündung nennen.) 13er Begriff der chronischen Entzün¬
dung wird als ganz unstatthaft verworfen, weil wir uns
unmöglich eine Krankheitsverfassung, die wir als die acu-
teste beschreiben, in einem lange dauernden Verlaufe den¬
ken können. Wahre Entzündung der Knorpel und Kno¬
chen, namentlich der Wirbelbeine, ist beständig mit Eite¬
rung dieser Theile verbunden. Nach S. 243 ist es eine
sichergestellte Erfahrung, dafs, sobald bei Knochenleiden,
die syphilitischen Ursprungs sind, reine Eiterung statt hat,
oder Theile derselben durch Necrose verloren gehen, die
Grundursache vollkommen geheilt ist; indem die reine Eite¬
rung und die Exfoliation der früher leidenden Knochen
Prozesse sind, die nur in gesunden Theilen statt haben
können. Daher zweifelt der Verf. auch, dafs bei derjeni¬
gen Verfassung des Bluts, wie sie im Scorbut statt finde,
sich wahre Entzündung und Eiterung ausbilden könne.
Verhärtung kann, nach S. 401, nicht Folge einer wahren
Entzündung sein. Widersprechend sei es, Verhärtung und
Erweichung, wie man bei der Rückenmarkentziindung ge-
than, als mögliche Ausgänge einer und derselben Krankheit
anzunehmen. — Congestionen in die Muskeln des Rück-
graths, als Ursache von Rückgrathskrümmungen , sind nach
S. 126 oh ne grofse Schmerzlichkeit (und doch wird spä-
\
ter gesagt, dafs die Rhachialgie in solchen Congestionen
bestehe); im Gegentheile werden Congestionen in die Bän¬
der, die membranüsen Ausbreitungen und die Sehnen oft
in hohem Grade schmerzlich sein. Ueber die Entzündun¬
gen im Kindesalter äufsert sich der Verf. S. 77 folgender-
gestalt: «Ist der Reproductionsprozefs, wie in den ersten
Lebensjahren, sehr thätig, so werden die Zufälle einer
26
II. Krankheiten am Ilückgrathc.
wahren Entzündung in dem Grade geringer sein, als die
allgemeine Lebensthätigkeit auf viele Zwecke hin wirkt , und
wohl selten in diesem Alter eine so heftige Localreizung
statt hat, dafs sie die Gesammtthätigkeit aller Lebenskräfte
auf einen Punkt leitet, ohne mit etwas anderin, als mit
dem Aufhören des Lehens verbunden zu sein. n Noch
räthsclhafter erscheint folgender kurz hinterher stehende
Gedanke: «Die Erfahrung lehrt, dafs an den Theilen, die
unvollkommener entwickelt sind, als die angegebenen (Hirn,
Auge, Luftröhre), seltener Entzündungen Vorkommen, weil
der Entw ickelungsprozefs in seiner hervorste¬
chenden Thätigkeit an ihnen statt hat. M
Es beginnt nun S. 82 der Hauptabschnitt des Ruches,
die Betrachtung der Krankheiten selbst, die am Riickgrathe
Vorkommen. Zuerst Bemerkungen über die Krankheiten
der Knorpel überhaupt. Der Uebergang der bleibenden
Knorpel in Knochenmasse ist beständig nur das Resultat
einer krankhaft gesteigerten Gongestion des Blutes: von
derselben Ursache geht die Verwachsung der \\ irbelbeine
untereinander aus. Daher dürfen wir die Verknöcherung
eben so wenig, als die Geschwürigkeit der Knorpel ohne
Eiterbildung, als Folge der Entzündung betrachten; son¬
dern müssen sie in Fehlern der Ernährung suchen, in einer
krankhaften Verfassung also, die ihrer wahren Natur nach
am weitesten von der Entzündung entfernt ist. (Sollten
diese Lehrmeinungen nicht eine nähere Auseinandersetzung
verdient haben, um ihren vielleicht nur äufseren Wider¬
spruch, z. B. in der gedachten Geschwürigkeit ohne Eiter¬
bildung, zu lösen?) Die Knorpel werden schwerer und
später von der Entzündung ergriffen, als die Knochen: da¬
gegen gieht es keine Krankheit der irbelbeine, der nicht
ein Leiden der Beinhaut und der langen sehnigen Rinde
vorausginge. Letztere wird aufgelockert, und verliert ihren
silberartigen Glanz und ihre faserige Structur. — Krank¬
heiten der Muskeln, der Gefäfsc, besonders in der
weiblichen Entwickelungsperiode und bei Hämorrhoiden,
II. Krankheiten am Riickgrathe. 27
als Causalmomente einer Rückgrathskrümmung. Krankheiten
des Rückenmarks, besonders Entzündungen, werden ge-
wifs viel häufiger angenommen, als sie in der That statt
haben. Nur aus den Zufällen schlossen wir bisher auf ir¬
gend einen pathologischen Zustand desselben: erst ganz
kürzlich ist man bemüht, durch Thatsachen zu belehren.
(Der Verf. giebt an dieser Stelle deutlich zu erkennen,
dafs ihm nur das, was die anatomische Untersuchung giebt,
für Thatsache gilt, und dafs er nicht geneigt ist, die alie-
nirte Function, das Krankheitssymptom im Lebenden für
eine solche Thatsache anzuerkennen, welche eine wissen¬
schaftliche Krankheitslehre zu begründen vermöchte.) Zu
unbedingt hat man bisher krankhafte Affectionen des Rücken¬
markes als Folge der Krankheiten der Wirbelsäule ange¬
nommen. Weder die bedeutendsten rhachitischen Verun¬
staltungen, noch beträchtliche Krümmungen durch Ver¬
schwärung der Wirbelbeine herbeigeführt, bewirken sö
leicht ein Leiden des Rückenmarks. Alle davon hergelei¬
teten Erscheinungen verrathen in der Regel nur eine Af-
fection der Nerven , die aus dem Rückenmark entspringen.
Die Natur schütze nach ewigen Gesetzen die wichtigen
Organe vor den nachtheiligen Eindrücken, die wir als Folge
bedeutender Krankheiten in ihrer Nähe erwarten könnten.
So finden wir, dafs der Heilungsprozefs das was dem Ka¬
näle für das Rückenmark durch die Krankheit an Länge
entzogen ist, durch gröfsere Geräumigkeit einigermafsen
ersetzt. (Ich gestehe freimüthig, dafs die Gründe, aus de¬
nen der Verf. die Theilnahme des Rückenmarkes an den
Krankheiten der Wirbelsäule bezweifelt, mir nicht über¬
zeugend gewesen sind. Die Bedeutung des Rückenmarkes
wird offenbar gegen die der Nerven zu sehr in den Schat¬
ten gestellt; denn der Verf. lehrt selbst S. 105, dafs wir
dasselbe vorzüglich nur als Ursprungs st eile vegetativer
Nerven zu betrachten haben. Auch bringe ich mit jener
Behauptung folgende Stelle, welche sich S. 234 findet,
nicht in Einklang: «Die Untersuchungen der Leichen der-
28 II. Krankheiten am Ktickgrathc.
jenigen, die während der Entzündung oder Eiterung der
W irbelbeine starben,- gaben in Hinsicht des Verhaltens des
Rückenmarkes und der aus ihm entspringenden Nerven
gemeinhin nur sehr unvollkommene Belehrungen, weil ge¬
wöhnlich eine sphacelüse Zerstörung der 1 heile dem lode
vorau.sgeht, die jede sorgfältige anatomische Untersuchung
unmöglich macht. Darum können diese Leichenöffnungen
durchaus nicht die Meinung derjenigen unterstützen, die
einen grofsen Theil- der Zufälle dieser Krankheit vom
Rückenmarke herleiten.» — Setzt denn, könnte jemand
fragen, jene sphacelüse Beschaffenheit des Rückenmarkes
nicht Krankheit desselben, insbesondere Entzündung vor¬
aus \ Soll diese Krankheit immer erst in den Momenten
des Sterbens, und nicht vielmehr schon lange vorher da
sein? — Ueberdies setzen Palletta’s, Rrodie’s und
Lobstein ’s Leichenöffnungen , welche der Verf. selbst
später anfuhrt, ein gleichzeitiges Leiden der membranösen
Umkleidung des Rückenmarkes und des- letztem selbst aufser
Zweifel. Endlich lesen wir S. 418 wörtlich folgende Aeufsc-
rung; «Es ist wohl nicht zu leugnen, dafs hei hohen
Graden von Scoliosen, die mit bedeutender Ausbiegung der
Wirbelsäule nach hinten verbunden sind; dafs hei (typhö¬
sen, die ihren Ursprung aus einer Geschwiirigkeit der
Wirbelbeine haben, das Rückenmark wesentliche Be¬
einträchtigung mancherlei Art leidet.») Das Coo-
pelandsche Mittel, durch höhere Grade von Wärme den
Sitz der Krankheit zu erforschen, verrat he nur die gestei¬
gerte Empfindlichkeit der Nerven der leidenden Stelle, kei-
nesweges aber die der Knochen oder des Rückenmarkes;
denn es wirke so schnell örtlich, und doch dabei so wenig
heftig, dafs wir seine W irkung nur auf die leidenden Ner¬
ven, aber nicht auf das Rückenmark annehmen können. —
Von der Anchylose, als Wirkung krankhaft gesteigerter
Blutcongcstioncn und der darin begründeten Uebcrnährung
der Knochen; sodann von derjenigen Verwachsung der
W'irbclbeinc , welche durch das Streben der Natur, ver-
I
f
\
II. Krankheiten am Rückgrathe. 29
schiedene Krankheiten, z. B. Entzündung, zu heilen, gesetzt
wird. Durch die letztere erhält die Wirbelsäule, trotz
der enormesten Abweichung , den gehörigen Grad von
Festigkeit wieder.
Der Verf. geht nun zu den verschiedenen Formen der
abgewichenen Wirbelsäule über, und bemerkt mit Hecht,
dafs wir dieselben als von dem Heiltriebe der Natur her¬
beigeführte Ausgänge einer vorangegangenen Krankheit be¬
trachten müssen, dafs wir gegen die neugebildete Krankheit
nur in seltenen Fällen etwas vermögen, daher alles darauf
ankomme, die ursprüngliche zeitig zu erkennen und zu un¬
terdrücken. Der Verf. hat das CTofse Verdienst, welches
wir als die glänzendste Seite seines Buches anerkennen wer¬
den, einen nothwendigen Zusammenhang zwischen diesen
Formen der Verunstaltung und den ursächlichen Grund¬
krankheiten nachzuweisjen: dennoch geht schon aus den obi¬
gen Bemerkungen hervor, dafs diese Formen nicht füglich
einer systematischen Eintheilung zum Grunde gelegt wer¬
den können, zumal wir zu manchen derselben noch meh¬
rere ursprüngliche Krankheiten als ursächliche Bedingungen
anerkennen müssen. Eben deshalb bindet er sich auch nicht
streng an diese Norm, sondern folgt mehr der isolirten
Betrachtung der eigentlichen Krankheiten der Wirbelsäule,
mit Berücksichtigung der Ausgangsformen, unter welchen
sie erlöschen. Lebhaft wird man hier bedauern, dafs der
/
Verf. nur in zerstreuten, gelegentlichen Bemerkungen die
therapeutische Seite dieser Krankheiten berührt. Seine
überall bekundete Erfahrenheit und das Treffende jener
Bemerkungen sind sichere Bürgen, dafs das Werk durch
einen eigenen therapeutischen Theil von des Verf. Hand viel
wichtiger noch und einllufsreicher geworden wäre. Der
schiefe Hals. Wenngleich der ursprüngliche Sitz in
dem Kopfnickermuskel deutlich zu erkennen war, blieb die
ganze oder theilweise Durchschneidung desselben dennoch
in den Fällen, welche der Verf. beobachtete, ohne Nutzen.
Denn in der Dauer des Leidens pflegen auch die tieferen
30 ’ II. Krankheiten am Riiekgrathe.
Muskeln und die Wirbelbcinc selbst Theil an der Krank¬
heit zu nehmen. Die hohe Schulter und, wenn das
Uebel sieb auf beide Seiten erstreckt, der runde Rücken,
sind ebenfalls ursprünglich Affection der Muskeln. Die
Verkehrtheit des Geschmacks, heifst es sehr zeitgomäfs, den
wir durch Klcidertracht ausdriieken, ist eine wesentliche
Ursache dieser Mifsstallung. Vorzüglich tragt der herr¬
schende Gebrauch, die Kleidungsstücke der krauen so tief
auszuschneiden, dafs die Schulterbeine fast entblüfst liegen,
mit ihrem untern Winkel beständig auf den Kleidungs¬
stücken ruhen, und durch sie in die Höhe geschoben wer¬
den, w esentlich zur Bildung dieses Uebels bei. Die \ cr-
kehrtheit im Geschmacke ging so weit, dafs man sich in
einem vollkommen runden Rücken schön zu sein diinkte.
(Klcidertracht, insbesondere das unglückliche Gorset, wel¬
ches wohl auch beim runden Rücken die meiste Schuld
trägt, geben dem \ erf. öfter Veranlassung zu einem ernsten
Worte. Kr wünscht eine Monographie dieses Gegenstan¬
des und überhaupt der äufsern Schädlichkeiten. W ie wrc-
nig aber namentlich das weibliche Geschlecht geneigt sein
möchte, diesen \\ arnungen Gehör zu gehen, erfährt jeder
Arzt sattsam. Die Revolution, welche die weiblichen Pan¬
zer mit seinen Unformen zertrümmerte, war schwerlich
Wirkung des Nachdenkens und der Ueberzeugung. Und
wenn auch, so gelten doch jetzt ihre Lehren längst wie¬
der fiir weiblichen Sansculottismus. C’est un malheur pour
l’esprit humain, sagt der grofse Leihnitz, qu’on se de-
goute de Ia raison meme.) — Die hohe lliiftc. Ks
folgen nun die Verunstaltungen des Riickgraths als Folge
yon Ern ährungs fehlem der Wdrbelbcine, ohne innere
Krankheitsursachen, w obei vorzüglich auf die verschiedenen
Lebensperioden Rücksicht genommen wird. Der Verf. schil¬
dert unter dieser Rubrik alle diejenigen Formveränderungen
der W irbelbcine, welche ohne erkennbare Structurveran-
derung des Knochengewebes, insbesondere ohne Erweichung
31
II. Krankheiten am llückgrathe.
beobachtet werden, und versammelt unter diesen Gesichts¬
punkt alle Krankheiten, welche nicht zu den übrigen Ca-
legorien, namentlich Skrofeln, Rhachitis, Osteomalacie ,
Verschwärung, gerechnet werden können. Diese Formver¬
änderungen, so umsichtig der Yerf. in der Ausführung ih¬
rer entfernten Ursachen ist, möchten indefs wohl einer tie-
fern Erforschung und specielleren Nachweisung bedürfen,
indem der Begriff eines Ernährungsfehlers viel zu vage
ist. — Die Mifsstaltungen , welche aus diesen Knochenfeh¬
lern hervorgehen, sind Ausbiegungen der Wirbelsäule auf
die Seite oder nach hinten. Als vorzüglichen Charakter ,<
derselben treffen wir, aufser der deutlichen Massenabnahme
der Körper der Wirbelbeine , auch an den Bögen und Fort¬
sätzen eine bemerkbare Verkleinerung an, was wir niemals
Lei denen Krümmungen finden, die wir als Folge der Rha-
chitis oder einer Geschwürigkeit der Wirbelbeine sehen.
Die Krümmungen des Rückgraths auf die*
Seite, als Folge der Rhachitis. Der Yerf. glaubt
annehmen zu dürfen, dafs die Rhachitis auf die Wirbel¬
beine früher einwirkt, als auf die langen Knochen der
Gliedmaafsen, indem die natürliche Bestimmung das Riick-
grath zu einer Thätigkeit zwinge, zu welcher die volle Kraft
noch nicht in ihm liege, was an den Gelenktheilen der
langen Knochen nicht statt habe. Dem Arzte aber müsse
alles darauf ankommen, das Dasein der Krankheit noch frü¬
her zu entdecken, als sie sich durch sinnliche Zeichen am
Rückgrathe äufsert. Sobald wir daher bei hervorstechender ,
Entwickelung des Kopfes und der Geistesfähigkeiten und
bei unvollkommener Thätigkeit der untern Gliedmaafsen, ein
Gesammtleiden mehrerer Organe des Unterleibes finden,
seien wir gründlich hingewiesen, die gemeinschaftliche Ur¬
sache an der Wirbelsäule zu suchen, und in den Verände¬
rungen, welche die Rhachitis dort erzeugt. (So wie hier
der ursächliche Zusammenhang angegeben wird, möchte er
indefs wohl nicht statt linden. Der Begriff der Rhachitis
32
II. Krankheiten am Rlickgrathe.
wird ja durch das Knochenleiden allein nicht erschöpft;
dies letztere ist nicht einmal das ursprüngliche, sondern
nur ein örtlicher, einzelner Ausdruck eines tiefem Ge-
sammtleidens.) An den Halswirbeln finden wir, den unter¬
sten abgerechnet, niemals Krümmungen als Folge der 1\ ha¬
ch itis. Hie Verschiebung der Wirbel ist nie winkelig, son¬
dern immer bogenförmig. Ergreift die Rhachitis die Len¬
denwirbel, so läfst sich aus dem Stande des Beckens das
früheste Zeichen hernehmen. I)ie Scitenkrümmung (Sco-
liosis) ist niemals Folge von Entzündung und Geschwürig-
keit der Wirhelbeine. — Hie Krümmung dos Rück¬
grat lies nach hinten, als Folge der Rhachitis. W o
immer letztere die Verunstaltung bedingt, finden wir in
der Regel beide Krümmungen, nach der Seite und nach
hinten, vereinigt, benennen die Krankheiten aber nach der
hervorstechendsten Ausbiegung. Daher, wo wir eine Aus¬
biegung der Wirbelsäule nach hinten ohne bemerkbare
Abweichung auf die Seite wahrnehmen, sind wir berech¬
tigt, die Ursache in einem andern Fehler zu suchen. —
S. ‘202 kommt der Verf. auf die Osteomalacie, von
welcher oben nur vorläufig und im Allgemeinen die Rede
war, indem er hier die Zerstörungen beschreibt, welche
sie am Rückgrathe selbst an richtet. Diese bestehen gerade
nicht in auffallender Deformität : aufscr einer grofsen
Schmerzlichkeit bemerkte man im Leben meist nur Verkür¬
zung der Säule. Da diese aus andern Ursachen, z. B. ei¬
nem blofsen Leiden der Muskeln entstehen kann, so ist die
Erkenntnifs dieser Krankheit höchst schwierig. Ehen so
dunkel ist uns die wahre Natur des Uebels, seine entfern¬
ten und nächsten Ursachen, seine Geschichte; aber (fas
Trostloseste ist, dafs wir die Krankheit, wenn sie denjeni¬
gen Grad erreicht hat, wo wir sie etwa zu erkennen ver¬
mögen, für unheilbar erklären müssen.
( B cschlu/s folgt.)
liitterarisclie Annalen
der
gesummten Heilkunde.
1825.
N° 35.
II.
Karl Wenzel, Ueber die Krankheiten am
Riickgrathc. Bamberg, 1824. gr. Fol.
%
( ß e s c h l u J s. )
Die K rümmungen des Rückgrat lis nach hinten,
als Folge der Entzündung und Gesch würigkeit
der Wirbelbeine. S. 212. Nachdem der Verf. die vor¬
züglichsten Meinungen alter und neuer Schriftsteller aufge¬
führt, und mit gleicher Gründlichkeit und Anerkennung
der Verdienste seiner Vorgänger beurtheilt hat, geht er
S. 226 zu seiner eigenen Ansicht über, welcher gröfsten-
theils eigene Erfahrungen zum Grunde liegen. Nur Ejne
Bemerkung. Er mifsbilligt die Meinung Larrey ’s, dafs
die Knochen im Anfänge der Entzündung lockerer würden;
denn es sei naturgemäß zu behaupten, dafs in der entzünd¬
lichen Periode die Wirbelbeine nur angeschwollen, nicht
erweicht seien. Dem steht aber die Erfahrung geradezu
entgegen. Ueberall sehen wir, dafs der entzündete Kno¬
chen in dem Maafse, als er anschwillt, lockerer und weicher
wird, und um so auffallender, je schwammiger, poröser
seine Textur im gesunden Zustande war. Es scheint diese
Erscheinung auf einer Steigerung der Vegetation, auf dem
Heraufziehen in eine höhere Lebenssphäre zu beruhen, wel¬
ches sich als Folge des entzündlichen Prozesses in einem
an der Gränze des thierischen Lebens liegenden Gebilde
annehmen läfst. Reil vergleicht diese Erscheinungen sehr
treffend mit denen der entzündeten Hornhaut. Ganz un¬
widerlegbar wird die Erweichung entzündeter Knochen von
ir. Bd- i. st. # 3
34
II. Krankheiten am Iliickgratho.
Scarpa auf der sechsundzwanzigsten Seite seines Commen-
tars <le penitiori ossium structura nachgewiesen. Eben so
möchte der V erf. schwerlich auf allgemeine Zustimmung
rechnen können, wenn er leugnet, dafs die Entzündung
sich langsam von einem W irbelheine auf das andere er¬
strecken könne. AN arum sollen wir denn ein solches Fort¬
kriechen nicht statuiren, da uns die Erfahrung so vielfältig
überzeugt, dafs ein entzündeter Theil gern den angränzen-
den, zumal wenn er ihm verwandt ist, in seine Sphäre
zieht; und da der Verf. selbst beobachtete, dafs Entzündung
und Vereiterung der Unterleibsorgane in der Nähe der
Wirbelsäule diese in ihrem weitern V erlaufe mit ergrif¬
fen? Lähmungszufälle in denjenigen Theilen, welche ihre
Nerven aus der leidenden Stelle des Rückgraths erhalten,
sind beständige Begleiter dieser Krankheit. Doch hängen
die geringeren Grade der gestörten Verrichtungen oder der
unbrauchbare Zustand der Gliedmaafsen nicht von der Ver¬
unstaltung ah; denn wir sehen sie, wenn durchaus noch
keine Veränderung der Form des Rüekgraths statt hat, und
treffen sie bei den Verunstaltungen nicht an, denen eine
andere Ursache als Entzündung und Geschwürigkeit der
Wirbel zum Grande liegt, z. B. in den höheren und höch¬
sten Graden der Krümmung aus Bhachitis. (Aber der \ erf.
lehrte ja selbst, dafs man die ersten Zeichen einer rhachi-
tischen Kiickgrathsaffection in dem unbrauchbaren, lähmungs¬
artigen Zustande der untern Gliedmaafsen und in mancherlei
auf Schwäche deutenden Leiden der Unterleibsorgane zu
suchen habe. Welche hohen Grade diese Lähmungen beim
aitsgcbildeten rhachitischen Uebel erreichen können, ist
überdies bekannt genug.) Ursachen dieser Krankheit, so¬
wohl innere als aufsere. Bei Gelegenheit .der Skrofeln
wird die Bemerkung gemacht, dafs die ungeheure Anzahl
von angeschwollenen Saugadern und Drüsen in der Nähe
der Wirbelsäule mit einen Grund abgeben, dafs die Skro¬
felkrankheit ihren nacht heiligen Einflufs früher auf die Wir¬
belsäule, als auf die übrigen Theile des Körpers ausübe,
II. Krankheiten am Riickgrathe. 35
weil schon das Gewicht jener Drüsengeschwülste absolut
nachtheilig auf die Wirbelsäule wirken müsse. Zu den
wirksamsten Ursachen gehören Rheumatismus und Gicht.
Heftige, oft wiederkehrende Rheumatismen des Rückgraths
verbinden sich leicht mit einem Leiden der Nieren; der
örtliche Schmerz, Schwierigkeiten in der Harnabsonderting
oder unwillkührlicher Abgang , die Beschaffenheit des Harns
selbst, können uns den Verdacht eines liefern Leidens der
W irbelsäule geben, das, wenn es auch noch nicht statt
hat, sich unter diesen Verhältnissen leicht entwickeln kann.
Der Yerf. sah vom Sitzen und Liegen auf nassem Boden
Entzündung der Wirbelsäule. Unter den innern Ursachen
werden ferner aufgeführt: Syphilis, acute Ausschlagskrank¬
heiten, Krätze, unterdrückte habituelle Schweifse u. s. w.
Aufser wirklichen Abscessen kann auch krankhafte Ver-
gröfserung, überhaupt jedes tiefere Leiden der Unterleibs¬
eingeweide Entzündung und Vereiterung der Wirbelsäule
bewirken. Es werden lehrreiche Beispiele vom Carcinom
des Uterus und Mastdarms beigebracht. Sodann beschreibt
der Verf. die Zufälle der Entzündungsperiode. «Da die
Erkenntnils der Uranfänge dieser Krankheit,» heifst es
S. 257, «so wichtig, aber in der Mehrzahl der Fälle, be¬
sonders im kindlichen Alter, schwierig ist, müssen die
Hiilfsquellen , die Entzündung der Wirbelbeine zu erken¬
nen , alle vereinigt werden. ” Dahin gehören die Erwä¬
gung der Ursachen, der anhaltende Schmerz; der Versuch,
durch stärkeren Druck auf beide Schultern abwärts die
Wirbelbeine einander näher zu bringen, verräth zuweilen
früher die Entzündung und ihren Sitz. Die Schmerzen
erstrecken sich häufig über den Brustkörper mit Athmungs-
beschwerden, werden in der Gegend des Zwerchfells ge¬
fühlt, oder in den Psoasmuskeln , in den Schenkeln; zuwei¬
len dehnen sie sich ober- und unterhalb der leidenden
Stelle aus, und werden dort häufig empfunden, während
sie an den wirklich leidenden Wirbelbeinen nur stumpf
sind. Das gekrümmte Liegen erleichtert; nur unter heftiger
3 *
36
II. Krankheiten am Iltickgrathe.
brennenden, stechenden Schmerzen nn den afficirten YVir-
belbeinen ist es den Kranken möglich, den Kücken auf¬
recht zu erhalten, oder horizontal auf der leidenden Seite
zu liegen; sic sind deshalb genöthigt, den Kückgrath nach
vorwärts zu beugen. Tiefes Einathmen, Gähnen, Husten,
Niefsen, vermehren die Schmerzen. Zuweilen deutlich aus¬
gesprochenes Fieber. Nur in diesem entzündlichen Zeit¬
räume giebt das Co o pelandsche Prüfungsmittel Resul¬
tate; denn nach der Entzündung folgt ein mehr schmerz¬
loser Zustand , der den Uebergang in Eiterung bezeichnet.
Statt der Untersuchung mit dem heifsen Schwamm, die oft
unzulänglich oder unausführbar ist, wendet der Ycrf. Ein¬
reibungen von flüchtigen Reizmitteln, caustiscbem Salmiak¬
geist, Lebensbalsam längs dem Rückgrathe an, und sah oft
schnellere Erfolge. Ein gründlicheres Zeichen scheint in-
defs das Drücken auf die einzelnen Wirbelbeine abzugeben.
In der ersten Periode gereizter, im Eiterungsstadium pas¬
siver Zustand der Nerven, und gestörter Einflufs auf die
Organe. Die Krankheit erhält durch Verschiedenheit des
Sitzes einige Modificationen. Für das Leiden der Halswir¬
bel ergeben sich aus drei mitgetheilten Krankengeschichten
folgende Zufälle. Sehr deutlicher Schmerz und Unmög¬
lichkeit den Kopf in der Nackengegend zu bewegen, wäh¬
rend der Entzündungsperiode ; wenn diese vorbei ist, sind
besonders die Seitenbew'egungen des Kopfes empfindlich.
Leiden die oberen Halswirbel, so ist der Kopf zuweilen
mehr rückwärts gerichtet; leiden die untern, so neigt er
sich mehr vorwärts, und die Kranken finden in der Unter¬
stützung desselben Erleichterung. Die Seitenlagc ist im
Ganzen dem Kranken ungünstig. Beschwerden der Respi¬
ration und Deglutition, allmählig sich ausbildcnde Lähmung
der obern Extremitäten. Reim Leiden der Rückenwirbel
zeigen sich hauptsächlich Störungen der Respiration und
der Organe des Unterleibes; daher krampfhafter Husten
mit beschleunigtem Pulse, Znsammenschnüren des Magens,
anhalleude Neigung zum Erbrechen; der Kranke macht oft
II. Krankheiten am Rückgrathc. 37
Versuche zu gähnen, ohne es vollständig thun zu können.
Das Leiden der Lendenwirbel giebt sich am beständigsten
durch Affectionen der dicken Därme und der Harnblase
kund: daher Verstopfung und Urinverhaltung mit dem un¬
freiwilligen Abgänge des Kothes und Urins wechselnd. Zu¬
weilen in geringem Grade blutiger Harn, als Folge des
geschmälerten Einflusses der Nerven auf die Blutgefäfse,
oder des Druckes, den die Kranken, so lange sie es ver¬
mögen, auszuüben genöthigt sind, um den Harn zu ent¬
leeren; endlich anhaltende Beschwernisse im Vermögen zu
gehen. — Keinesweges machen die Wirbel, deren spitze
Fortsätze am meisten hervorragen, immer den Silz der
Krankheit aus; die wirklich leidenden liegen oft weit unter
jener Stelle. Zuweilen bildet sogar der spitze Fortsatz des
am meisten leidenden Wirbels eine Vertiefung nach innen.
Nicht selten ist die ganze Gegend um die leidenden Wir¬
bel äufserlicli ödematös aufgetrieben.
Eitergeschwülste (Congestionsabscesse), als
Folge der Entzündung der Wirbelbeine. Die Bedeutung
derselben wird nur dann richtig aufgefafst, wenn man sie
in ihrer Beziehung zur Caries der Wirbelbeine betrachtet.
Es ist schwer, sie gleich anfangs als Eitersammlungcn zu
erkennen, weil alle Bedingnisse zu fehlen scheinen, welche
die Erzeugung des Eiters glaublich machen. Darum kön¬
nen sie leicht für Balggeschwülste, anfangende Steatome
und Brüche angesehen werden. Es fehlen nämlich die Zei¬
chen der Localentzündung, die Geschwulst erhebt sich lang¬
sam, während des Stehens ist sie fest und gespannt, in ho¬
rizontaler Lage weich; sie erträgt ohne Schmerz einen hef¬
tigen Druck, und läfst selten Fluctuation durchfühlen. Die
Geschichte der vorangegangenen Krankheit vermag allein
Gewifsheit zu geben. Unmittelbar nach der Ausleerung
des Eiters finden sich die Kranken sehr erleichtert; die
Hoffnung der Genesung belebt sie. Aber bald nimmt der
Eiter eine üble Beschaffenheit an, es stellt sich, oft schon
am dritten Tage nach der Ocffnung, heclischcs Fieber ein,
38
II. Krankheiten am Rückgralhe.
und der Kranke erliegt. IndeCs nicht immer hat das TIehel
diesen schlimmen Ausgang: es giebt Beispiele genug von
geheilter Geschwürigkeit der Wirbelbeine, also auch der
beschriebenen Abscessc. Ueber die Behandlung der letztem
sind die Meinungen noch bis jetzt getheilt. Der Verf.
scheint wohl den richtigsten Weg anzugeben, wenn er die
Aufgabe der Kunst darin findet, die Entzündung der Wir¬
bel, wovon sie nur ein späterer Zufall sind, zu mäfsigen,
und, sobald sie entstanden sind, alles zu thun, was ihre
I
fernere Ausbildung beschränkt («begünstigt,» wie es im
Texte heilst, ist wohl ein Druckfehler). Vielleicht alle
Beispiele geheilter Cyphosen, die wir in Sammlungen an¬
treffen, sind aus einem Zeiträume, in welchem man diese
Abscesse als Noli me tangere betrachtete. Der \ erf. er¬
klärt sich auch nach seinen eigenen Erfahrungen nicht gün¬
stig für die künstliche Oeffnung. Den tüdtlichen Ausgang
der Geschwürigkeit der Wirbclbeine kündigt das übelc äufsere
Ansehn und die Trockenheit der künstlichen Geschwüre
an. W ichtig für die Therapie ist die Bemerkung, dafs die
zu nahe Anwendung künstlicher Geschwüre an der leidenden
Stelle auch in denjenigen Theilen eine krankhafte Verfas¬
sung hervorbrachte , weiche von der ursprünglichen Krank¬
heit nicht afficirt waren, namentlich spbacelöse Zerstörung
des Zellstoffs, der Muskeln und Sehnen, Zerstörung der
Gelenk theile der Rippen und der Querfortsätzc der Wir¬
belbeine u. s. w. S. 323 u. f. giebt uns der Verf. eine
sehr treffende, malerische Schilderung der Bucklichen, un¬
ter dem Titel: Zufälle als Eolgen ausgebildcter Verunstal¬
tungen der W irbelsäule.
Die Ausbiegung des Rückgraths nach vorn,
Lordo^is. Diese seltnere Krümmung kann nur die untern
Rücken-, die Lendenwirbel und den obern Theil des Kreuz¬
beins befallen. Unter den mannichfaltigen inneren Ursachen
giebt cs keine, welche diese Art der Verunstaltung aus-
schlicfslicb begünstigte. — Brüche der W i r b cl b c i n c.
Die Möglichkeit den Trepan anzuwenden, bezweifelt der
i
39
• % , i
II. Krankheiten am Rückgrathe.
Yerf. schon aus dem Grunde, weil es uns an Zeichen fehlt,
welche uns von der Gegenwart eines Bruches unbestreitbar
überzeugen könnten. {Aber wenn auch diese Diagnose
durch den La enne eschen Horcher, wie man sich jetzt
Hoffnung macht, aufser Zweifel gesetzt werden könnte, so
möchte die eigenthümliche Localität und die nicht als 1- olge
des Bruches, sondern gleichzeitig mit ihm gesetzte tiefe
Verletzung des Rückenmarks dem Trepan nicht günstig
sein.) Verrenkung der Wirbelbeine. Der Verf.
tritt der Meinung derer bei, welche keine Verrenkung ohne
gleichzeitigen Bruch für möglich halten: selbst bei der Ver¬
renkung des ersten und zweiten Halswirbels, glaubt ei,
werde man den Bruch des Zahnfortsatzes finden. Sehr
verschieden davon ist die langsam und im Gefolge krank¬
hafter Destructionen sich bildende Verrenkung der W irb el¬
beine. Diese sogenannte spontane Luxation ist, wie der
Verf. gegen Rust zu erweisen sucht, nicht Folge der "Ver¬
schwärung der Wirbelbeine, die, wenn sie ja beobachtet
wird, erst im letzten Stadium hinzutritt, sondern desjeni¬
gen Knochenleidens, welches oben als Ernährungsfehler
ohne innere Krankheitsursachen geschildert wurde, und wel¬
ches in diesem Falle gewöhnlich mit Anehylose endigt. Es
folgt nun die Beschreibung dieser Anchylosen an den
verschiedenen Stellen der Wirbelsäule. Vom dritten Hals¬
wirbel bis zum untersten Rückenwirbel sah der Verf. nie
eine spontane Luxation. — Das Oste osar com der
Wirbelsäule. Die Rückgrathspaltef. Der Verf. theilt
mehrere Krankheitsgeschichten und Leichenöffnungen aus
sei/ier Erfahrung mit, und fügt treffende Bemerkungen über
das anatomisch -pathologische Verhältnifs dieses Bildungs¬
fehlers und über die Möglichkeit der Kunsthülle hinzu. Es
war seine Absicht nicht, hier und in den folgenden Ab¬
schnitten vollständige Abhandlungen der vorgezeichneten
Themata zu geben. Seine Bemerkungen, obgleich nur
aphoristisch, verdienen aber schon deswegen unsern Dank,
w eil sie sich unmittelbar auf eigene lehrreiche Beobachlun
40
I!. Krankheiten am Riickgratlie.
gen gründen* Der abgemessene Raum dieser Blätter legt
jedoch dem Unterzeichneten die Pflicht auf, da er sich
bei den frühem Abschnitten länger verweilte, hier kurz
zu sein.
S. 370 folgt die krankhafte Anhäufung seröser Feuch¬
tigkeiten in dem Kanäle der Wirbelsäule, als acute und
chronische W assersucht aufgefafst. Der Verf. scheint in
dem Bestreben, den neuern Glauben an Entzündung ein¬
zuschränken, zu weit zu gehen, wenn er die hitzige Rük-
kenmarkwassersucht niemals als Folge der Rückenmarkent-
zündung betrachtet wissen will. Wir finden, sagt er, nur
Serum, aber keinen Faserstoff ausgeschwitzt. Dagegen läfst
sich anführen, dafs wir auch bei der nach Ilirnentzündung
eintretenden hitzigen Hirnhöhlenwassersucht nicht selten
durchaus keine coagulable Lymphe oder abgesetzten Faser¬
stoff antreffen; wie denn überhaupt nicht schwer ist nach¬
zuweisen, dafs eine seröse Haut, z. B. die Bindehaut, durch
Entzündung unter gewissen Umständen zu nichts anderem,
als zu serösen Ergiefsungen aufgeregt w'ird. Isoch weniger
läfst sich die Bückenmarkentzündung aus dem Grunde ver¬
werfen, w'eil sie eine sehr seltene Krankheit sei, und in
jedem Falle, sie mag idiopathisch oder consecutiv sein,
tödtlich ablaufe. Von dem Standpunkte aus, welchen der
Verf. für seine Untersuchungen wählte, werden wir auch
behaupten müssen, dafs die hitzige Rückenmark' Wassersucht
immer mit dem Tode endige, indem wir nie eher Gewifs-
heit von ihrem Dasein, als durch die Leichenöffnung erhal¬
ten. Dafs aber einer der Ausgange der Entzündung as-
serergiefsung ist, lehrt die Pathologie zur Genüge. — Er-
g i e f s u n g von Blut, und Anhäufung von L u f t.
Der Bückenschmerz, Rhachialgie. Mit Recht findet der
Verf. den gewöhnlichen, neuerlich noch von J. Frank
aufgestellten Begriff, wonach die Krankheit als ein von der
Wirbelsäule ausgehender, nicht selten periodischer Schmerz
ohne Fieber bezeichnet wird, zu unbestimmt und verwir¬
rend. Er betrachtet sic dagegen als eine krankhafte Affection
II. Krankheiten am Riiekgrathe. 41
der Muskeln, Sehnen und sehnigen Ausbreitungen des Rück-
graths. Genau genommen aber möchte diese Krankheit, so
allgemein aufgefafst, keinen Platz im System finden. Es ist
eine symptomatische Benennung, womit man Zustände ab-
Tertigt, die man weder auf ein bestimmtes Organ zu bezie¬
hen, noch ihrem Wesen nach genauer zu charakterisiren
vermag. Es geht hier wie mit der Cephalaea: Schmerz
und die Stelle des Körpers, wo er empfunden wird, ist
alles, was wir mit jenen Ausdrücken bezeichnen; ob dieser
aber vom Nervenmark, von den Häuten, Knochen, Muskeln
ausgehe, wird insbesondere bei der Rhachialgie nie zur
Genüge nachgewiesen. In den meisten Fällen mag diese,
wie überhaupt der Rheumatismus, Affection der Muskeln
sein; dann aber bedarf es jenes Namens nicht, ja er taugt
hier nicht einmal, und Notalgie wäre vorzuziehen. — Ocrt-
lich und unmittelbar auf die schmerzende Stelle angewandte
Reizmittel wirken nachtheilig: grofse Erleichterung dagegen
bringen bei der Rhachialgie des Nackens Senfteige oder
BlasenpHaster auf der Achsel, dem Oberarme, dem untern
Ende des Kappenmuskels; bei Rückenaffection dieselben
Mittel an den vordem Enden der Rippen angewandt. (Die¬
ser Rath ist gewifs sehr bewahrt; aber die Idee, womit
ihn der Verf. motivirt, möchte zweifelhaft scheinen. Die
gute Wirkung soll nämlich in dem äufsern Reize auf die
peripherischen Enden derjenigen Nerven bestehen, die wir
an ihrer Ursprungstelle leidend vermuthen. Wir dürfen
aber den Ort, der in der Rhachialgie der Muskeln leiden¬
den Nerven nicht das centrale Ende, die Ursprungstelle
derselben nennen, und können daher von dem Gesetz des
Nervenlebens, wonach die beiden Enden des Nerven sich
gegenseitig bestimmen, hier keinen Gebrauch machen. Die
angezeigte Wirkung wird wohl in der allgemeinen Ansicht
der ableitendcn Hautreize ihre Erklärung finden, und jene
Vorschrift gründet sich auf dieselbe Nothwendigkeit, welche
den Verf. bestimmte, bei der Verschwärung der Wirbel-
beinc die künstlichen Geschwüre nicht unmittelbar aul der
4‘i II. Krankheiten am LUlckgrathc.
leidenden Stelle anzulegen.) Entzündung des Rücken¬
marks. Von des Verf. eigentümlicher Ansicht der Ent¬
zündung war schon oben die Rede. Auffallend sind hier
besonders folgende "\ orstellungsw eisen. Die Seltenheit der
Rückenmarkentzündung wird unter andern daraus nachge¬
wiesen, dafs die Natur alles gethan haben müsse, um ein
für das Leben so wichtiges Organ vor schädlichen Ein¬
drücken zu sichern, oder die erlittenen in ihren bösen Fol¬
gen möglichst schnell aufzuheben. Ferner aus der crstau-
nenswürdigen Menge von Blutgefäfsen , womit das Rücken¬
mark bedeckt ist, indem überall bei hervorstechend reich-
halligem Gefäfsapparat die Natur die Möglichkeit einer
wahren Entzündung sehr verringert habe. Endlich, weil
jede Rückenmfcrkentzündung tödt lieh ablaufen müsse. Die
Möglichkeit einer partiellen Rückenmarkentzündung wird
geleugnet. Die Veränderungen in Leichen, die man als die
Folge chronischer Rückenmarkentzündungen ansieht, seien
vielmehr nur W irkungen gesteigerter Blutcongestion od^r
gestörter Ernährung. Ob es dein Verf. gelingen möchte,
diese und ähnliche Sätze zu beweisen , könnte bezweifelt
werden: im Buche ist dieser Beweis nicht geliefert, und es
müssen daher die daraus gezogenen Folgerungen .manchem
problematisch erscheinen. Die contrastirenden Ansichten
Brera’s von der Rückenmarkentzündung sind nicht über¬
zeugend widerlegt, und dürften vielleicht des Beifalls, wel¬
chen sie allgemein erhielten, noch fernerhin sich erfreuen.
Wie wichtig aber der Gegenstand ist, und dafs er keines-
weges auf einen blofsen Wortstreit hinausläuft, bemerkt
der Verf. seihst mit vollem Rechte, indem die daraus zu
entnehmenden praktischen Regulative gar nicht dieselben
sind: namentlich würde sich unbedingte Anwendung örtli¬
cher Blutausleerungen nicht rechtfertigen lassen, so lange
man nur Gongestion, Ueberfüllung des venösen Systems
sieht. — Jenen Ansichten entsprechend sind die Bemer¬
kungen über mehrere Krankheitserscheinongen, die man in
einer Entzündung des Rückenmarks bedingt glaubt, nament-
II. Krankheiten am Fuickgrathe. 43
lieh über Tetanus, Trismus, Opisthotonus, Emprosthotonus,
Veitstanz, Wasserscheu u. s. \v. Wie sehr der A erf. auch
liier sich angelegen sein läfst, die Annahme der Entzündung
zu widerlegen, oder wo dies nicht anging, mühsam zu be¬
schränken und zu modificiren, mag aus folgender Stelle er¬
sehen werden, die wir S. 410 lesen: «Walther’s Ver-
muthung, dafs die Erscheinungen beim Starrkrämpfe sich
in der Entzündung der Nerven bedingen, ist beim Wund-
starrkrampfe aus anatomischen Untersuchungen erweislich;
doch nicht in einer entzündlichen Verfassung des Nerven-
markes selbst; wohl aber in einer krankhaften U eher Füllung
der Scheiden derjenigen Nerven, von welchen die Reizung
ausgeht, und wenn wir dem Begriffe der Entzündung keine
willkührliche Ausdehnung geben, so werden wir diese Ver¬
fassung der Nervenscheiden wohl nicht beständig als wahre
Entzündung zu erkennen im Stande sein.» — Unge¬
wöhnliche A'ergröfserung und Atrophie des Rük-
kenmarkes; Marasmus infantilis; Tabes dorsaiis.
Erschütterung des Rückenmarkes.
S. 423 beginnt der Schliefsabscbnitt des Buches, das
Heilverfahren bei den verschiedenen Krankheiten, die
am Rückgrathe statt finden, vorzüglich in Beziehung auf
die Verunstaltungen. Leider erhalten wir hier nur Andeu¬
tungen und aphoristische Lehren; aber diese wenigen Vor¬
schriften sind durch Einfachheit, Wahrheit und acht prak¬
tischen Geist ausgezeichnet; sie geben Zeugnifs, wie weit
ihr Verf. über den Buchstaben und die todte Materie hin¬
aus in das Leben wirksam einzugreifen im Stande ist. Wir
finden namentlich hier, wiewohl bisher nirgend, die ersten
wahrhaft rationellen Grundzüge zu einer Lehre des mecha¬
nischen Heilapparates, und ich meine, dafs schon durch
diese Abhandlung allein das Werk bleibenden Werth er¬
halten mufs. Darum hätte der Verf. seinen Bedenklichkei¬
ten nicht Raum geben sollen, dafs die vielfältigen Wege,
auf denen jeder Einzelne diese Krankheiten zu heilen be¬
müht sei, feststehende Grundsätze über eine naturgemäfsc
44
II. Krankheiten am llUckgrathe.
Behandlung derselben schwierig machten, und dafs schon
der Versuch, dies zu thun, eine unendliche Menge von
Widersprechern erregen könnte. Grundloser Widerspruch
verhallt ja wirkungslos und ungehört; dagegen ein solcher,
der zu tieferer Ergriindung der Wahrheit führt, niemanden
stören w ird. — Der N erf. geht in der Therapie der Bück-
grathsverunstaltungen \on dem obersten Grundsätze aus,
dafs die Heilung ausgehildeter Krümmungen im eigentlichen
Sinne kein Gegenstand unserer Kunsthülfe, oder wenigstens
nur sehr selten werden kann, dafs wir demnach, wro im¬
mer unzweideutige Zeichen einer drohenden Mifsstaltung
statt haben, uns damit beschäftigen müssen, sic iu ihrem
Ursächlichen zu heilen. Ein Hauptbedingnits zur Heilung
besteht darin, dafs wir den Einflufj der Muskeln auf die
kranken W irbelbcine durch ruhiges horizontales Liegen auf
einer festen Unterlage beschränken. Damit aber von der
anderen Seite durch dies Verfahren die Muskeln nicht ge¬
schwächt, und somit eine andere Quelle der Krümmungen
eröffnet werde, ist cs nützlich, fein gepiilverle Kamillen
und andere aromatische Kräuter längs dem Küekgrathe meh-
rercmale des Tages, und jedesmal so lange einreiben zu
lassen, bis das Pulver vollkommen verschwunden ist; und
um die Thätigkcit der Muskeln noch kräftiger aufzuregen,
sie vor und nach der Einreibung, ohne wehe zu thun,
leise mit den Fingern kneipen zu lassen. Gegen die Ent¬
zündung der W irbelbcine verdienen Schröpfköpfe den Vor¬
zug vor Blutegeln, zumal bei Erwachsenen; sodann sollen
wir auf der Oberfläche in der Nähe der muthmafslich lei¬
denden Stelle einen Heiz hervorrufen, der gröfser ist, als
jener, in welchem sich die Entzündung bedingt. So lange
wir die leidende Stelle nicht genau kennen, überhaupt im
früheren Zeiträume der Krankheit, sind gelindere Heizmit¬
tel vorzuziehen, namentlich Blasenpflaster oder die Salbe
von Brechweinstein. AN enn aber die Entzündung vorüber
ist, und schon äufsere Zeichen der Verunstaltung eintreten,
dann mu£s man zu den kräftigem Reizmitteln schreiten.
II. Krankheiten am Rückgrathe. 45
Die Wirksamkeit derselben hängt jndefs nicht von der
Menge des Eiters ab, die sie täglich entleeren, sondern
von dem Grade der Reizung, die wir in ihnen unterhalten.
Der Verf. zieht demzufolge die öfter erneuerte Anwendung
der Moxa nach Larrey dem glühenden Eisen und den
künstlichen Geschwüren durch Aetzstein vor, und hält es
für unzweckmäfsig , die Geschwüre in eigentliche Fonta¬
nelle zu verwandeln. Dabei ist völlige Ruhe unerlässlich,
um Heilung und Verwachsung zu begünstigen. Besonders
schätzbar, wie schon oben erwähnt, sind die Andeutungen
*
über den Gebrauch der Maschinen. Der Verf.' zeigt durch
triftige Beweisgründe, dafs denselben durchaus nicht dieje¬
nige Allgemeinheit zugestanden werden könne, die man ih¬
nen in neuerer Zeit gegeben hat. Sie sind in den meisten
Fällen unzureichend, in nicht wenigen schädlich. Bei den
rhachitischen Krümmungen können sie, während der Pe¬
riode der Knochenerweichung angewandt, nur noch gröfsere
Mifsgestalt hervorrufen; nach Ablauf dieses Zeitraums aber
müssen sie ganz fruchtlos sein. Sie sind ferner unbedingt
zu verwerfen in allen Stadien der Entzündung und Ge-
schwiirigkeit der Wirbelbeine. Am wenigsten billigt der
Verf. diejenigen Maschinen, welche durch Druck auf den
hervorragenden oder zur Seite gewichenen Theil der Wir¬
belsäule wirken sollen. Im Allgemeinen scheint sich der
Nutzen des mechanischen Apparats auf diejenigen Uebel zu
beschränken, welche als reine Folge, des Leidens der Mus¬
keln zu betrachten sind; sobald aber von einem Leiden der
Knochen die Rede ist, werden wir davon vielfältig keinen
oder den entgegengesetzten Erfolg unserer Erwartungen
sehen. Oft glaubte man, den Maschinen zuschreiben zu
müssen, was nur auf Rechnung der Ruhe in horizontaler
Lage kommt.
Es ist noch übrig, über Form und Darstellung des
Werkes zu reden. Auch in Deutschland verhehlt man sich
jetzt nicht, dafs selbst jedes wissenschaftliche Buch eine
Seite hat, wo es rein als Kunstwerk erscheinen soll. Um
4 G
II. Krankheiten am Rilckgrathe.
50 weniger w ird man diese für etwas Unwesentliches oder
gar Gleichgültiges halten dürfen, wenn das Werk durch
Trefflichkeit des materiellen Inhalts, wie das vorliegende,
bleibenden Einflufs auf die Wissenschaft zu gewinnen trach¬
tet. Der Anordnung der Materien und der daraus entsprin¬
genden häufigen W iederholungen wurde schon oben ge¬
dacht: darin aber mag der Grund liegen, warum bei aller
Eleganz der Darstellung und hei aller Reinheit, Ruhe und
Klarheit der Sprache das Lesen des Ruches etwas Ermü¬
dendes, für manchen gewifs abschreckend Weitläuftiges hat.
Wo so viel Rühmliches sich sagen läfst, darf man sich we¬
niger scheuen, die kleinen Schatten parthieen zu berühren:
darum mag es nicht übel gedeutet werden, wenn ich noch
einen Augenblick bei der Schreibart verweile. Diese ist
bei allen oben gerühmten wesentlichen Vorzügen zuweilen
etwas künstlich, und dennoch nicht ganz frei von einzelnen
Nachlässigkeiten. Lebhaft, charaktervoll und in der That
hinreißend ist der Styl in den gedrängten Krankengeschich¬
ten; musterhaft der höchst bescheidene, den wahrhaft wis¬
senschaftlichen Mann bekundende Ausdruck, wenn der Verf.
gegen die Lehren anderer Schriftsteller Zweifel äufsert.
Als Beispiele von Unregelmäßigkeiten im Ausdruck
führe ich nur folgende an: S. 16. « Die natürliche Con-
struction der Wirbelsäule, die Verrichtungen derselben,
den Kopf . zu unterstützen, und alle Bewegungen
des Körpers zu verrichten u. s. w. » Ver Verf. schreibt
immer Selbstuntersuchung von Leichen, oder gar
der Leichen, gegen den Sprachgebrauch für eigene.
Das Irrige des folgenden Satzes liegt wahrscheinlich auch
nur im Ausdruck; es heißt nämlich S. 66: «Die Rhachitis
treffen wir in einem Alter an, in welchem das Leben in
allen seinen Factoren in der höchsten Vollkommenheit
statt hat.” — S. 69: «Die Osteomalacie hat in einem
Alter statt, in welchem der Ernährungsprozefs nicht in
dem Grade wiederkehren kann, daß der Verlust von
so vieler Masse, wodurch die eigen th tunliche Natur der
II. Krankheiten am IUickgrathe. 47
Knochen bestimmt wird, denkbar ist. ” — Gegen die ma¬
thematische Bestimmtheit des Ausdrucks ist es ferner, wenn
der1 Verf. von einer Krümmung der Wirbelsäule in einem
spitzen Winkel spricht; oder wenn er die Beobachtung
machte, dafs die Länge des Körpers dreimal das Maals
der Dicke des Kopfes beträgt. S. 116 wird gesagt, un¬
sere llnkenntnifs der Nervenkrankheiten gründe sich auf
die Bequemlichkeit, die Natur verwickelter Krankhei¬
ten zu erforschen. Provinzielle Abweichung ist es, aus-
gl eiten für auskleiden zu schreiben; völlig fehlerhaft
aber folgende S. 378 vorkommende Construction: «Man
wünschte, als dem Arzte dieser Dame, auch mein IJr-
theil. » — Dies mag hinreichen, meine Bemerkung zu recht-
fertigen , und ich scliliefse mit dem Bedauern , dafs bei übri¬
gens sehr correctem Drucke so wenig Sorgfalt auf die Or¬
thographie der aus dem Lateinischen oder Griechischen
stammenden Wörter verwandt ist. Es scheint eine Laune
des Zufalls gewesen zu sein, dafs von denen, welche ein h
oder vollends das unglückliche griechische y führen , kaum
ein einziges Mal die richtige Schreibart getroffen ist. Die
Syphilis erscheint nie anders, denn in verlarvter Gestalt,
als Svphylis, Syphyllis, Syphillis, Siphylis. Nicht minder \
beleidigend mufs es einem Auge sein, das an die antike
Form gewöhnt ist, wiederholt zu lesen: ideopathisch, vegi-
tativ, chataralisch, eliptisch, Platismamioides , pheripherisch,
histerisch , Klistire, paralitisch, polipös, Empyrie, Decusa-
tion, Opistotones, Rachitis u. s. w. Auch finden sich
Senfteiche. Der Druck ist übrigens, wie schon erwähnt,
correct und splendide; das Papier aber nicht, wie es in der
Buchhändleranzeige heifst, Velinpapier. Sehr schön und
von wahrhaft künstlerischem Werth sind die Kupfertafeln,
welche eine Reihe instructiver Knochenpräparate darstel¬
len. — Um schliefslich noch des Formats und des Prei¬
ses (20 Rthlr.) Erwähnung zu thun, so glaube ich, wenn
beide kleiner wären, dürfte das Buch beträchtlich an Ge¬
meinnützigkeit gewinnen. Der Verf. lehrt selbst an meh-
48
UI. Krankheiten des Rückenmarks.
reren Stellen, eine nicht seltene Veranlassung der Eiick-
grathskrümmungen sei der verkehrte Gebrauch, «las Auge
dem Gegenstände naher zu bringen, statt umgekehrt. Wie
soll aber der Kurzsichtige den Folianten handhaben? IS ich t
wenige Menschen, denen man gerade nicht Ungriindliehkeit
zum Vorwurf machen kann, zumal in ihrer Zeit beengte
Aer/.te, sind schwer dahin zu bringen, einen Folianten zur
Hand zu nehmen. Endlich ist es mit dem, Dat Galenus
opes längst vorbei.
Andrcli .
m.
De 1 a M o c 1 1 c v p i n i e r e et de s e s m a 1 a d i c s ;
par C. P. Olli vier, D. M. P., Correspondant
de la Societe de med. de Marseille. Paris y 1824. 8.
XII et 404 pp.,’ avcc 2 lithographies.
Dr. C. P. Olli vier, corresp. Mitglied der mcdici-
nischcn Gesellschaft zu Marseille, Ueber das
Rückenmark und seine Krankheiten. Eine
von der K. med. Gesellschaft zu Marseille am
23. Octoher 1823 gekrönte Preisschrift. Aus dem
Französischen übersetzt und mit Zusätzen ver¬
mehrt von Dr. Just. Radius, Privaldocenten au
der Universität zu Leipzig.1 Mit zwei Stein- (Stein¬
druck-) Tafeln. Leipzig, bei Leop. Yofs. 1824. 8.
XXII nnd 386 S. t .
Eine dem jetzigen Zustande der Medicin entsprechende
Monographie über das Rückenmark in allen Reziehungcn,
liefert das vorliegende Werk nicht; die Anatomie ist zwar
ziemlich vollständig darin abgehandelt, desto mangelhafter
aber die Physiologie; die Erkenntnis der Krankheiten Ist
nicht auf eine wesentlich höhere Stufe gebracht, als bisher
geschehen; die Therapie nichts weniger als musterhaft.
(lieschlufs folgt.)
Litterarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
1825.
mmw
N° 36.
III.
C. P. Ollivier, de la Moelle epiniere et de
ses mal ad i es. Paris, 1824. 8.
0
• * ( 4
( B e s chlu/s.)
Dennoch hat das Werk ein bedeutendes Interesse, indem
es eine Menge neuer Krankheitsfälle giebt. So wie nun
selbst die Beobachtung häufig vorkommender Uebel für den
Arzt immer belehrend ist, da jeder Fall, vollkommen er-
fafst, eine eigenthümliche Belehrung gewährt, so müssen
besonders neue Beobachtungen solcher Uebel, die im Gan¬
zen selten Vorkommen, immer mit Dank aufgenommen wer¬
den. Ob es aber nicht zweckmäfsiger gewesen wäre , in
der Uebersetzung diese neuen Thatsachen von dem Ganzen
getrennt der vaterländischen Litteratur zu übergeben , las¬
sen wir dahingestellt sein. Die Zusätze des Hrn. Dr. Ra¬
dius beziehen sich vorzüglich auf Ergänzung von Mängeln
und Rügung von Fehlern des Originals.
Der erste Theil, Seite 1 bis 55, behandelt die Ana¬
tomie des Rückenmarks, und zwar mit an einem Franzosen
sehr lobenswerther Berücksichtigung deutscher Forschun¬
gen; Tiedemann, Carus, Keuffel werden häufig an¬
geführt; hingegen sind Reil’s Leistungen mehr übersehen.
Auch sind die neuern Arbeiten von S e r res und Desmou-
lins benutzt. Es wird zuerst die Entwickelung des Gehirns
dargelegt, und daraus der Schlufs gezogen, dafs das Rücken-
mark sich nicht aus dem Gehirne, sondern dieses aus jenem
hervorbilde, dafs ein Canal des Rückenmarks nur in den
II. Bd. i. st. 4
50
UL Krankheiten des Rückenmarks.
frühem Bildungsstufen, nicht aber bei vollkommener Aus¬
bildung des menschlichen Rückenmarks vorhanden sei, wohl
aber bei vielen Thicren ein solcher während des ganzen
Lebens vorkomme, dafs überhaupt ein wesentlicher Unter¬
schied zwischen der Gestalt und Textur des unausgcbildctcn
und des ausgebildeten Rückenmarks anzunehmen sei, z. B.
in Beziehung auf die Lange des Rückenmarks innerhalb der
Wirbelsäule, dafs Gehirn und Rückenmark moIi gegenseitig
nach der von Tiedemann gegebenen Darstellung verhalten,
dafs eine Ausdehnung des Rückenmarks beim Ausathmen und
eine Zusammenziehung beim Einathmen, wovon man häufig
die entgegengesetzte Vorstellung hat, nach den von Ilrn. O.
angestellten Beobachtungen an jungen Thieren und hirnlo¬
sen Fötus anzunehmen sei, und dafs ein ziemlich langsamer
Blutumlauf im Rückenmark statt finde, indem man im ho¬
hen Alter daselbst oft sehr ausgedehnte Venen und in den¬
selben Blutpfröpfe vorfinde. — Bei der Lehre von den
Verrichtungen des Rückenmarks, S. 55 bis 76, die, wie
unsere Leser eben ersehen haben, zum Theil schon bei der
Anatomie verhandelt werden, wird ein Widerspruch II al¬
le r’s nachgewiesen, der einerseits (Eiern, physiol. IV. 347.)
die Nothwendigkeit des Rückenmarks für das Ilerz zugiebt,
und andererseits eine vom Nerveneinflusse unabhängige Ir¬
ritabilität des Herzens behauptet. Ilr. O. sucht eine ge¬
wisse Mitte zwischen Legal lois und Brodie zu halten;
nur kurze Zeit könne das Rückenmark ohne den Einflufs
des Körpers thätig sein; das Aihmen, und eben dadurch
der Blutlauf, seien wesentlich abhängig vom Rückenmark,
vielleicht durch Vermittelung des sympathischen Nerven,
der nach Legal lois aus dem Rückenmark entspringt. Hier¬
nach wird also auch der Einflufs desselben auf die Wärme¬
erzeugung zugegeben. Nach Rach et ti sei das Rücken¬
mark der Vorstand der Ernährung, und stehe zu derselben
in allen Zeiten und Lebensrichtungen in geradem, das Ge¬
hirn hingegen in umgekehrtem Verhältnisse. Mit Magen-
die wird die von Versuchen an Thieren hergenommene
HL Krankheiten des Rückenmarks.
51
und gewifs noch sehr zu bezweifelnde Behauptung aufge¬
stellt, dafs die hintern Wurzeln des Rückenmarks der Em¬
pfindung, die vordem der Bewegung dienen, ohne dafs je¬
doch eine völlige Sonderung vorhanden sei. (Es ist wohl
gewifs ein Schreib- oder Druckfehler, wenn es in Wider¬
spruch mit jener Behauptung S. 311 heilst, dafs Zerstörung
der vorderen Nervenwurzeln Vernichtung des Gefühls, die
der hinteren Aufhebung der Empfindung herbeiführt. Auch
ist nicht einzusehen, wie hier Gefühl und Empfindung ge¬
trennt sein sollten.) Das kleine Gehirn könne nicht mit
Flourens als Vorstand der Bewegung angenommen wer¬
den, da Kröten und Frösche, ohne ein solches zu besitzen,
eine völlig geordnete Bewegung haben. Nach Desmou-
lins ruhe das Princip der Bewegung nur auf der Ober¬
fläche des Rückenmarks. — Die Krankheiten des Rücken¬
marks, mit denen sich der bei weitem gröfsere Theil des
Werkes beschäftigt, seien verhältnifsmäfsig selten; zwei¬
mal haben Freunde des Verf. krebsartige Zerstörung der
olivenförmigen und pyramidalen Körper wahrgenommen. —
Die Bildungsfehler des Rückenmarks werden S. 81 bis 132
nach Beclard’s Vorträgen abgehandelt. Wenn das Rücken¬
mark fehle, so fehle auch immer das Gehirn; wohl aber
könne dieses fehlen, und jenes vorhanden sein. Selbst wenn
es fehle, so sei ein Sack und eine eigenthümliche Flüssig¬
keit an dessen Stelle ; ein völliger Mangel des Rückenmarks
sei daher nur scheinbar, wie auch der Ursprung der Ner¬
ven aus jener Flüssigkeit beweise. Dieselbe sei nur der
elementare Zustand des Organs, welches sich wie alle an¬
dern, aus dem Flüssigen herausbilden müsse; der Fehler
sei daher als eine stehengebliebene Entwickelung zu be¬
trachten. Die Bezeichnung Hemmungsbildung wird nicht
angegeben; jedoch wird der genannte krankhafte Zustand
eben so wie viele andere Mifsbildungen auf eine sehr ver¬
wandte Weise erklärt. Unvollkommenheit des Rücken¬
marks wird unter der neuen schlechten Bezeichnung Ate-
lomyelie abgehandelt. Bei der Aencephalie wird eine
4 *
52
III. Krankheiten des Rückenmarks.
interessante neue Beobachtung bei einem Zwillinge aufgefiihrt.
(Der Ausdruck ist hier, wie an manchen andern Stellen des
Werks, in der Ucbersetzung undeutlich. Es heilst S.JM : « mit
Ausnahme des Gehirnmangels, waren- beide Kinder wohl
gebildet;” hiernach sollte man schliefsen, dafs beide Kinder
hirnlos gewesen; bald aber heilst es: «ich sah das hirnlose
Kind,” woraus, wie aus der ganzen folgenden Darstellung,
man schliefsen mufs, dafs nur das eine der Kinder hirnlos
gewesen sei.) Die Spaltung des Rückenmarks, ebenfalls
unter dem Gesichtspunkte mangelhafter Entwickelung auf-
gefafst, wird durch eine neue Beobachtung an einem acht¬
monatlichen hirnlosen Fötus, so wie die gabelförmige Spal¬
tung des Rückenmarks durch eine neue Beobachtung an ei¬
nem Doppel -Fötus erläutert, wobei darauf aufmerksam ge¬
macht wird, dafs wir noch nicht wissen, wie das Bücken¬
mark bei den Embryonen beschaffen sei, wo ein Kopf über
dein andern sitzt. Zu grofse Länge oder Kürze des Rücken¬
marks wird ebenfalls besonders in Beziehung auf die Bil¬
dungsstufe, Abweichungen in der Breite als verhältnifs-
mäfsig selten vorkommend betrachtet. Die Fälle, wo das
Rückenmark Erwachsener einen Kanal hatte, werden als
zurückgebliebene Entwickelung betrachtet. Bei der Y\ as¬
sersucht des Rückenmarks ist das Bekannte, jedoch mit ei¬
ner neuen Beobachtung von Yrolick angegeben. — Die
"Wunden und Quetschungen des Rückenmarks, S. 132 bis
172, sind mit Berücksichtigung früherer Beobachtungen und
mit Zufügung einiger neuen von Petit, ßoyer,» dem
Verf. und andern abgehandelt, ohne jedoch neue oder von
den bisherigen abweichende Resultate für das Tödtlichkeits-
verhältnifs zu gewähren. Nach Stich- und Hiebwunden
des Rückenmarks tritt die Marksubstanz durch die weiche
Haut hervor und erleidet eine Anschwellung, welche sich
abplattet und von Ilrn. O. mit einem kleinen Champignon
verglichen wird. Die Färbung wird nach einigen Tagen
rosenartig, thcils von der Blutanhäufung in der Marksub¬
stanz selbst, theils von der pia matcr. Bei Verletzungen,
III. Krankheiten des Rückenmarks. 53
die die Continuität nicht ganz trennen und nicht hoch oben
sind, kann nach einiger Zeit die Bewegungsfähigkeit wie¬
derum ganz hergestellt werden. Bei Verwundung und zu¬
gleich anhaltendem Drucke, wird oft anhaltend Erectio pc-
nis beobachtet. Bei Verletzungen oberhalb der Entstehung
des Nervus phrenicus ist immer erschwertes Athmen vor¬
handen. Bei gänzlicher Trennung des Rückenmarks in der
Gegend des zehnten Rückenwirbels erfolgte in einem balle
keine Lähmung der Beine. Diese und noch mehr die S. 338
aufgeführte Beobachtung, dafs selbst ein Theil des Rücken¬
marks in diesem Falle vom neunten Rückenwirbel bis zum
ersten Lendenwirbel durch allmählige Auflösung zerstört
sein kann, ohne dafs die Bewegung der Theile aufhört,
welche Nerven aus dem unterhalb der Trennung liegenden
Theile des Rückenmarks erhalten, sind in Beziehung auf
die Lehre von der Nervensphäre sehr wichtig; Magen-
die’s von II. O. angenommene Behauptung, dafs die pia
mater als Leiter der Sensibilität diene, kann zwar als Er-
klUrungsgrund mit hinzugenommen werden, ist jedoch an
sich noch nicht hinlänglich erwiesen. — Die Zusammen¬
drückung des Rückenmarks, S. 172 bis 209, welche bei¬
läufig schon in dem vorhergehenden Abschnitte betrachtet
ist, wird hier noch durch interessante, zum Theil neue
Fälle erläutert. Je allmähliger sie erfolgt, um desto we¬
niger hemmt sie die Bewegung und die andern Verrichtun¬
gen; daher oft die gewaltigsten Verkrümmungen und Ver¬
bildungen im Laufe des Rückgraths einen kaum merklichen
Einflufs haben, während ein plötzlicher Druck durch Ver¬
renkung und Bruch der Wirbelbeine theils tödtlich, theils
lähmend wirkt. In einem Falle, wo neuerdings die Ope¬
ration von Tyrrel versucht wurde, indem der von dem
Bruche des zehnten Rückenwirbels ausgegangene Druck
durch Entfernung des Knochenstücks beseitigt wurde, er¬
folgte eine kurze Besserung, dann aber Brand und Tod.
1 1 r. Dr. Radius hält aus den von Bell angegebenen
Gründen die Operation in der Regel für tödtlich. Die
i
54
III. Krankheiten des Rückenmarks.
Erschütterung des Rückenmarks, S. 209 bis 233, enthält
interessante Fälle von Herstellung, nachdem zuerst die Be-
wegurigs Fähigkeit ganz verloren gegangen war. In einem
Falle waren durch heftige Erschütterung die Häute des
Rückenmarks zerrissen, weswegen es zweifelhaft blieb, wo¬
durch eigentlich der Tod entstanden war. — Die Rücken-
marksergiefsungen, S. 233 bis 275, werden in Blutergiefsungen,
Wasserergiefsungen und Luftergiefsungen , w elche mit den
unpassenden Namen Ii äraa tor hach is, II yd ro r h ach is und
Pneumatorhachis bezeichnet werden, eingetheilt. Die er¬
stem erfolgen zum Theil aus mechanischen und äufsern,
zum Theil aus dynamischen und Innern Ursachen; in sofern
die letztem obwalten, ist die sogenannte Apoplexia medul-
laris vorhanden. In den angeführten Fällen ist es oft zwei¬
felhaft, ob der zugleich Vorgefundene krankhafte Zustand
des Gehirns nicht die eigentliche Todesursache gewesen sei;
auch vermag die Section in diesen 3 heilen nicht immer
mit Bestimmtheit auszumitteln , ob Entzündung oder nur
Congestion vorhanden gewesen sei, wras besonders in der
sechsunddreifsigsten Beobachtung sichtbar ist Wasserer-
giefsung in kleinen Massen finde man häufig, die entweder
aus dem Gehirn entsprungen oder im Rückenmark selbst
erzeugt sei, und oft ein ziemlich langes Leben gestatte. Die
Luftansammlungen geben sich theils durch aufgetriebene
Bläschen in der Spinnewebenhaut, theils durch schaumige
Flüssigkeit kund. Der Verf. ist geneigt, die Erzeugung
dieser Zustände während des Lebens für häufiger zu hal¬
ten, als man gewöhnlich annimmt, da sie meistens als nach
dem Tode erzeugt angesehen werden. — Bei der Entzün¬
dung der Riickenmarkshäute, S. 275 bis 300, werden die
Rückwärtsbeugung und der Schmerz als die hauptsächlich¬
sten Kennzeichen betrachtet. Die auf S. 2b0 f. f. mitge-
theilte Beobachtung ist ganz besonders belehrend, indem
die durch die Oeffnung erwiesene bedeutende Verbildung
des Gehirns dennoch nicht bezweifeln läfst, dals die genann¬
ten Zeicheu vorzugsweise auf die Entzündung der Haute
III. Krankheiten des Rückenmarks. 55
des Rückenmarks bezogen werden mufsten. Wir wollen,
bei dieser Gelegenheit nur ein Beispiel der so häufig in
diesem Werke angegebenen unzweckmäfsigen Behandlung
anführen. Meth mit Brcchweinstein, acht Blutegel in die
Magengegend, Purganzen und Klystiere, Senfpflaster an die
Beine, dann Strychnin, und zuletzt zwölf Blutegel hinter
die Ohren, dann auch zwölf an den After, sind die ange¬
wandten Heilmittel, während allgemeine Aderlässe , Blutegel
und graue Salbe längs des ganzen Rückgraths, so wie Sal¬
peter, Calomel und wässeriges Getränk angezeigt waren.
Leider schwebt dem Hrn. O., wie vielen andern von ihm
angeführten französischen Beobachtern, immer die Gastro¬
enteritis vor, gegen welche auch in diesem Falle offenbar
zu Felde gezogen wurde. — Entzündung des Rückenmarks
selbst bringt nach Hrn. O. immer Erweichung hervor,
woraus, gewifs mit Unrecht, der Schlufs gezogen wird,
dafs Erweichung des Rückenmarks immer Folge von Ent¬
zündungen sei. Auch ist in vielen der angeführten Beob¬
achtungen von Erweichung wahrscheinlich keine Entzün¬
dung vorangegangen. Die Verhärtung hingegen sei mehr
Fohre eines chronischen Leidens. Der Fall einer Erwei-
O
chung der vordem Hälfte des Rückenmarks mit Verlust der
Bewegung und Gegenwart der Empfindung soll die Behaup¬
tung, dafs die vordem Wurzeln die Bewegung vermitteln,
als wahr beweisen, wogegen jedoch noch manches einzu¬
wenden sein dürfte. Eine Erweichung der rechten Hälfte
des Rückenmarks mit Lähmung der linken Körperhälfte ist
bei der im Rückenmark fehlenden Kreuzung sehr merkwür¬
dig. Nicht minder auffallend ist eine Erweichung des Len-
dentheils des Rückenmarks ohne Lähmung. Die Unter¬
scheidung der Entzündung der Substanz des Rückenmarks
von der der Rückenmarkshäute ist vielen Schwierigkeiten
unterworfen; die bedeutende Hitze im Rücken, der Schmerz
in der Tiefe desselben, Ameisenkriechen und Taubheit in
den Gliedern, Lähmung oder krampfhafte Zusammenzie¬
hungen können allesammt keine Gewißheit geben. Zum
56
III. Krankheiten des Rückenmarks.
Gluck hat dies für die Behandlung keinen Einflufs, so wie
es auch für diese oft ohne Bedeutung ist, dafs wir chro¬
nische Affcctc des Rückenmarks heim Lehen nicht immer
genau zu erkennen vermögen. — Die Atrophie des Rücken¬
marks, S. 332 bis 340, durch ein Dünnerwerden desselben
kenntlich, hat Ilr. ö. in zwei Fällen beobachtet. — Die
organischen Krankheiten des Rückenmarks sind S. 340 bis 305
abgehandelt; obgleich die bisher erwähnten TJcbel ebenfalls
als organische Krankheiten zu betrachten sind, so scheint
Hr. O. doch dieser Meinung nicht zu sein; indem er keine
besondere Erklärung darüber giebt, so glauben wir, dafs
er nur diejenigen Krankheiten organische nennt, denen kein
Entzündungsprozefs vorhergegangen ist. Er unterscheidet
sie in solche, die auch sonst im Körper Vorkommen, und
in solche, die nicht ihres Gleichen im Körper haben. Zu
den ersten rechnet er Verknorpelung und Verknöcherung,
zu den andern Knoten, schwammige AVucherungen und
W ünner. Die in der Spinnewebenhaut vorkommenden
kleinen Plättchen, die man bisher für Verknöcherungen ge¬
halten hat, will Hr. O. nicht als solche, sondern als Ver¬
knorpelungen gelten lassen, welches jedoch nach Analogie
der krankhaften Erzeugnisse in anderen serösen Häuten
nicht annehmbar sein dürfte. Knoten erscheinen sowohl in
den Häuten des Rückenmarks, als in der Substanz dessel¬
ben, meistens als Folge skrofulöser und rhachitischer Lei¬
den, daher bei Verkrümmungen. Sie erscheinen als I r-
sachc der Epilepsie, besonders wenn sie im verlängerten
Rückenmarke Vorkommen. Merkwürdig ist das Zusammen¬
fallen dieser Knoten mit Phthisis tuberculosa. Hydatiden
in den Riickenw irbeln und in den Häuten sind in mehreren
angeführten Fällen beobachtet; ihr nachtheiliger Einflufs
beruht, wie es scheint, vorzüglich auf der mechanischen
Störung, welche durch grofse Massen derselben nothw en¬
dig herbeigeführt wird. — Als Krankheiten, welche zum
Theil, und keinesweges immer durch das Rückenmark be¬
gründet sind, werden, S. 365 bis 380, Epilepsie und Con-
IY. Klinische Denkwürdigkeiten. 57
vulsionen, Veitstanz, Starrkrampf, Kinnbackenkrampf Neu-
geborner, Wasserscheu, fieberhafte Krankheiten, gelbes
Fieber, Rückenschmerzen, Bleikolik , Krampf nach Vergif¬
tung mit Krähenaugen und Lähmungen, in Folge verschie¬
dener Ursachen angeführt, welche Gegenstände eine viel
genauere Erörterung erfordert hätten. — Der \ erf. em¬
pfiehlt zuletzt noch das Strychnin und die Blausäure gegen
Krankheiten des Rückenmarks , ohne Angabe eines anderen
Grundes, weil beide auf die Bewegungsorgane wirken.
Hr. O. scheint beide Mittel in dieselbe Kategorie zu stei¬
len, und als derselben Anzeige entsprechend zu betrachten,
was ein unverzeihlicher Mifsgriff ist, den Hr. Dr. Radius
gewifs nur übersehen hat, indem er ihn nicht hätte wahr¬
nehmen können, ohne lebhaft zu widersprechen, wie er an
andern Orten gethan hat. Gelegentlich erlaubt sich der
Unterzeichnete hier noch zu bemerken, dafs er vor mehre¬
ren Jahren, kurz nach der Ausposaunung des geistigen Ex¬
trakts der Krähenaugen durch Hrn. Fouquier in der
Gazette de sante, dieses Mittel in zwei Fällen, die nach
Hrn. F. ganz geeignet zu sein schienen , auf Anrathen con-
sultirender Aerzte, nicht nur mit ungünstigem Erfolge für
die Kranken angewandt, sondern auch die bei der Anwen¬
dung als constant angegebene starrkrampfartige Verände¬
rung des gesammten Körpers, und besonders der gelähmten
Glieder, nicht heobachtet hat. — Hie beigegebenen Stein¬
drücke stellen Abbildungen pathologischer Präparate des
Rückenmarks dar.
L ich tenst ädt.
IV.
Klinische Denkwürdigkeiten, von Dr. Karl
Ignaz Bi sch off, K. K. österr. ord. Professor
der med. Klinik und prakt. Heilkunde für Wund¬
ärzte an der Universität, Primarärzte im allgemei-
58 IV. Klinische Denkwürdigkeiten.
nen Krankenhausc und Arzte des Gcbärhanscs zu
Prag. (Auch unter dem Titel: Darstellung
der Heilungsmc thode in der me die. Kli¬
nik für Wundärzte zu Prag. Jahr 1823.)
Prag, hei Calvc. 1825. 8. XII und 332 S.
Die vorliegende Schrift ist als erster Band des im
Märzhefte dieser Annalen S. 327 f. f. recensirten klinischen
Jahrbuchs zu betrachten. Der verschiedene Titel liefs uns
verschiedene Werke vermuthen ; dieses sind «ie aber nur in
sofern, als jedes auch für sich allein gelesen werden kann.
Die Art der Bearbeitung ist nur in so weit verschieden, als
hier die merkwürdigen Fälle nach dem nosologischen
Schema des Verf., dort aber nach den einzelnen Monaten,
in denen sie erschienen waren , abgehandelt werden. Ucber
das Werk im Ganzen beziehen wir uns auf unser früheres
Urtheil; nur fügen wir noch das hinzu, dafs, wenn das
Buch den ehemaligen Zuhörern bestimmt sein sollte, einige
gelehrte Abschweifungen diesen unverständlich bleiben dürf¬
ten; sollte es aber vorzüglich gebildeten Aerzten bestimmt
sein, so war für diese die Erwähnung des grüfsten Theils
der Fälle, die zum klinischen Zwecke sehr lerreich waren,
unnütz, indem dem praktischen Arzte dergleichen oft Vor¬
kommen und keine neue Belehrung gewähren.
Die Klinik behandelte 141 Kranke vom Ilten Novem¬
ber 1822 bis zu Ende August 1823. Hierunter befanden
sich 52 Männer, 89 Weiber. 127 genasen, 10 starben,
2 wurden ungeheilt entlassen und 2 in das Krankenhaus
versetzt. — Indem der Ycrf. den grofsen EinfluCs der Luft
auf die Gesundheit erwägt, bemerkt er zugleich, dafs wir
den innern Grund vieler von derselben hervorgebrae.hten
Erscheinungen und besonders die Ursache, warum bei ei¬
nem gewissen allgemeinen Krankheitscharakter doch diese
oder jene Form mehr hervortritt, durchaus nicht kennen.
Der stationäre Charakter der Krankheiten war entzündlich.
IV. Klinische Denkwürdigkeiten. 59
oft mit rheumatischen Leiden verknüpft; hierdurch wurden
die Anzeigen gegeben. Im November endigte eine bedeu¬
tende Scharlachepidemie, die im December 1821 begonnen
hatte, die zuerst rein entzündlich war, im Sommer den
gastrisch - biliösen , sodann den nervösen und zuletzt wieder
einen leicht entzündlichen Charakter angenommen hatte.
Im Januar traten die Masern ein, von denen 3200 Kinder
befallen wurden; sie waren durchgehends entzündlich -katar¬
rhalisch und im Allgemeinen minder gefährlich , als das vor¬
hergegangene Scharlach. Entzündung der Lungen oder des
Gehirns, auch häutige Bräune (letztere wurde auch in der
letzten Masernepidemie zu Breslau beobachtet) , traten nicht
selten hinzu. Im April entwickelte sich durch das Zusam¬
mendrängen von Sträflingen das typhöse Kerkerfieber, wel¬
ches durch Hebung der Ursache und Hemmung der Ver¬
bindungen keine allgemeine Verbreitung erlangte. Der Juni
war so kalt, dafs die katarrhalischen Leiden besonders häufig
wurden, auch die seit zehn Jahren seltenen Wechselfieber
wiederum erschienen. Der gastrisch -biliöse Charakter ent¬
wickelte sich vorzüglich während der Hitze des Augusts.
Indem wir nun die Ansichten des Verf. über einige
Krankheitsgattungen erwähnen und einige der merkwürdig¬
sten Fälle hervorheben, befolgen wir das von ihm selbst
aufgestellte nosologische Schema, welches sich eben dadurch
dem Leser zur Beurtheilung darbietet.
I. Fieber. Pyrexiae. Diese machen den bei weitem
gröfsten Theil der in die Klinik aufgenommenen Krankhei¬
ten aus. A. Anhaltende Fieber. AA. Anhaltende Fieber
ohne örtliches Leiden, a. Entzündliche Fieber. 1. Allge¬
meine Entzündungsfieber. Die Synocha ohne örtliche Ent¬
zündung hat «den blofsen Aufruhr (?) des. Gefäfssystems
zum Hauptcharakter.» Der Verf. will den Unterschied
zwischen Synocha und Synochus entfernt wissen, indem
etymologisch kein bestimmter Unterschied zwischen beiden
bestehe, und die von den Alten wie von den Neuern ge-
60
1\ . Klinische Denkwürdigkeiten.
gebenen Erklärungen darüber sehr schwankend seien. Nur
das Wort Svnocha solle, und zwar in dem Sinne der Fe-
bris inflammatoria, beibehalten werden. Rec. stimmt die¬
sem Wunsche ganz bei und fügt noch hinzu, dafs er nie¬
mals einen klaren Begriff von dem habe erlangen können,
was man eigentlich unter Synoehus verstehe, indem ihm
derselbe immer als ein schwankendes und in sehr unbe¬
stimmten Gränzen begriffenes Bild erschienen ist. — Die
Schilderung der Synocha ist treffend; Neues aber läfst sich
in der Beschreibung einer bereits von den gröfsten Meistern
beschriebenen Form nicht erwarten. Der Salpeter und die
Mittelsalze waren die Hauptmittel ; allgemeine Blutentzie¬
hungen wurden nicht angewendet. Mit Hecht eifert der
Yerf. dagegen, dafs diese Form nicht als eine Entzündung
des gesammten oder auch nur des arteriellen Gefäfssystcmcs
betrachtet werden dürfe, indem schon die Entzündung ei¬
nes einzelnen Gefäfsstammes viel heftigere Leiden hervor¬
bringe, als hier vorhanden sind. — 2. Katarrhaifieber. Der
Yerf. wiederholt die oft gemachte Bemerkung, dafs Ver¬
nachlässigung der Katarrhe viel Unheil bringe. In dieser
geringen Beachtung Hegt auch der Grund des seltenen Yor-
kommens in Krankenhäusern. Ein veralteter Fall erforderte
mehrere örtliche Blutentziehungen, kam aber doch zu völ¬
liger Genesung. — 3. Rheumatische Fieber. Sie waren
sehr ausgebreitet und kommen' überhaupt in Prag, zumal
in den niedern Klassen , häufig vor. Schweifstreibende Mit¬
tel im Anfänge waren schädlich; vielmehr mufste zuerst
mehr oder minder streng antiphlogistisch und erst später¬
hin mild diaphoretisch verfahre« werden. Gew öhnlich w ur¬
den Ilaut- und Harnkrisen beobachtet. In einem Falle
ging das zuerst in den Gliedmaafsen vorhandene Leiden auf
das Lungenfell über, und erforderte eine streng antiphlo¬
gistische Behandlung; erst am zweiundzwanzigsten Tage
trat eine günstige Entscheidung ein. Wir bemerken hier,
dafs die antiphlogistische Methode des Vcrf. eine sehr ge-
mäfsigte ist; seine allgemeinen Aderlässe sind zwischen vier
IY. Klinische Denkwürdigkeiten. 61
his acht Unzen, die örtlichen zwischen zwei bis sechs, in
höchst seltenen Fällen acht bis zehn Blutegeln. Obwohl
Rec. nun keinesweges zu denen gehört, die das antiphlo¬
gistische Verfahren im Grofsen treiben, so ist er dennoch
der Ueberzeugung, dafs da, wo es angezeigt ist, meistens
gröfsere Entziehungen nothwendig, und durch öftere kleine
Entziehungen der Zweck entweder nicht oder unvollstän-
dig erreicht, oder doch die Heilung verzögert werde. —
b. Gastrische Fieber. 1. Saburralfieber. Gelind lösende
Mittel w'aren hier, wie in diesen Zuständen gewöhnlich,
am nützlichsten; bei Durchfällen wurde Salmiak oder Ipe-
cacuanha in kleinen Gaben angewrendet. Bei A ernachlässi-
gung entstand leicht ein fauliger oder nervöser Zustand.
In einem tödtlich abgelaufenen Falle wurden sieben Inein¬
anderschiebungen der Gedärme bei der Leichenöffnung ent¬
deckt; die Schwierigkeit der Erkenntnifs solcher Zustände
wird mit Recht hervorgehoben. — 2. Gallenfieber. Bei
der in unserer Zeit gewöhnlich statt findenden entzündli¬
chen Beimischung müssen Brechmittel unterbleiben, ohne
dafs deswegen allgemeine Aderlässe häufig in Anwendung
kommen dürfen. Eine Verbindung mit wirklicher Lungen¬
fellentzündung endete am einundzwanzigsten Tage kritisch. —
3. Schleimfieber. Sie hatten einen langsamen Verlauf und
vertrugen, zumal im Anfänge, keine reizenden Mittel. —
c. Nervöse Fieber. Sie traten häufiger im Gefolge anderer
Leiden, als selbstständig, auf. Oft war eine schleichende,
örtliche Entzündung, zumal der Gedärme, mit ihnen ver¬
bunden; sie verrieth sich nicht durch Klagen bei ruhigem
Verhalten, sondern durch schmerzliche, oft nur durch Mie¬
nen angedeutete Empfindung beim Druck. Gegen reizende
Behandlung im Anfänge wird gewarnt, aber auch die Mei¬
nung derer verworfen, welche hier nichts [als Entzündung
sehen und diese für das Ursprüngliche der Nervenfieber
halten. So lange eine gewisse Fülle im Pulse obwaltet,
wirken die erregenden Mittel schädlich. Rother und weifser
Friesei traten zuweilen hinzu. Der Verf. hat den Friesei
62
IV. Klinische Denkwürdigkeiten.
zum öftern idiopathisch als eine nervöse Form beobachtet.
(Dasselbe erzählt Härtels in seinem im vorigen Jahre er¬
schienenen Programme: De febre miliari idionoscmatlca. L.)
ln einem tödtlich abgelaufencn Falle wurden viele Zeichen
einer schleichenden Entzündung in Brust und lTntcrlcib ge¬
funden. Ein ähnlicher Fall, der zur gehörigen Zeit in die
Behandlung kam, verlief günstig. — C. Faulfieber. Die
zwei vorgekommenen Fälle waren aus vernachlässigten ga¬
strischen Zuständen entstanden.
BB. Anhaltende Fieber mit vorwaltenden örtlichen
Leiden, a. Oertliche Entzündungen. 1. Kopfentzündungen
und Halsentzündungen , unter ihnen besonders die Angina
faucium , die in Prag sehr häufig ist, so wie sie denn über¬
haupt zu den sehr häufig vorkommenden Formen gehört.
Besonders interessant Ist ein Fall von Entzündung der
Schilddrüse bei einer Amme, die vierundzwanzig Jahr alt
war. Die Berührung derselben war sehr schmerzhaft; bei
tiefem Einathmen entstand ein stechender Schmerz in der
Brust ohne Husten; zugleich war Neigung zum Erbrechen
ohne Schmerzen im Leibe, der Puls häufig, unterdrückt
und klein. Wiederholte Ansetzung von Blutegeln und in¬
nerlich Calomel mit erweichendem Getränk, hoben den
Zustand. Bec. glaubt, dafs ein allgemeines Aderlafs und
die in vereinzelten Malen gesetzten Blutegel, auf einmal an¬
gesetzt, das Ucbel schneller gehoben haben würden. —
3. Brustentzündungen. Der Verf. hat die Entzündung des
Brustfells und der Lungen zwar oft verbunden, aber auch
nicht selten getrennt beobachtet, besonders die erstere ohne
die letztere. Der "N er f. unterscheidet zwischen Pleuritis
spuria und rheumatica, so dafs diese in einem herumwan¬
dernden Schmerze im Rippenfelle, jene in einem Leiden
der Brustmuskeln , oft mit äufserer Geschwulst verbunden,
besteht Eine 'S erbindung von Brustfellentzündung mit
Krämpfen, hätte bei einem minder einsichtigen Arzte leicht
zu Mifsgriffen verleiten können. Zu einem chronischen
Husten trat eine Bronchitis; eine antiphlogistische Behänd-
63
IY. Klinische Denkwürdigkeiten.
lung und dann der Gebrauch der Schwefelleber, hoben beide.
Bei einer Lungenentzündung schien das Zwerchfell mit er¬
griffen; der Ausgang war günstig. Ein elfjähriger Knabe
wurde von Lungenentzündung befallen; die nach einigen
Tagen hervorgebrochenen Masern waren allem Vermuthen
nach die Ursache. Ein Rothlauf am Arme war durch kalte
Umschläge vertrieben worden; es entstand Entzündung des
Brustfells, dann auch des Herzbeutels; nach erfolgtem Tode
fand man grofse Ausschwitzungen. — 4. Entzündungen
des Unterleibes. Entzündung der obern Fläche der Leber
kommt auch in Prag häufiger vor, als die der untern. Die
Milzentzündung wird als eine nicht häufig vorkommende
Form erwähnt; in dem einen Falle, der mitgetheilt wird,
erfolgte der Tod. Die Bauchfellentzündung kommt bei dem
weiblichen Geschlechte nicht nur wegen der geschlecht¬
lichen Verhältnisse, sondern auch vermöge seiner Beschäfti¬
gung, z. B. Waschen, und vermöge der Kleidung häufi¬
ger vor, als bei Männern; die Formen derselben sind man-
nichfach. Das Kindbettfieber hatte meistens einen rein ent¬
zündlichen Charakter, und verlief eben dadurch günstig.
Die Ruhr w^ar im Anfänge häufig mit Entzündung verbun¬
den; der Gebrauch des Opiums konnte erst später eintre-
ten. — 5. Entzündung der Gelenke, bald als rheumatisch,
bald als gichtisch, erforderte örtliche Blutentziehungen und
innerlich zuerst kühlende, dann gelind erregende und die
Ausdünstung fördernde Mittel.
b. Exantheme. 1. Rothlauf, wobei besonders der Un¬
terleib frei erhalten wurde. In einem vernachlässigten Falle
der Kopfrose erfolgte der Tod. — 2. Die Masern. Die
häufige Entwickelung entzündlicher Zustände in den Ath-
mungsorganen erforderte die meiste Berücksichtigung; Durch¬
fälle wurden leicht gefährlich. — 3. Das Scharlach. Es
wurde nur Ein Fall beobachtet, indem die Epidemie geen¬
det hatte, — 4. Der ansteckende Typhus. (Wenn auch
der Typhus hier mit einem Ausschlage erschien, so sind
wir doch noch keinesweges berechtigt, den Vorschlägen
64
IV. Klinische Denkwürdigkeiten.
derer ztl folgen, welche ihn für immer unter die Exantheme
stellen, da er auch ohne Ausscldag ein treten kann. L.) Er
trat zuerst gewöhnlich als gastrisch - biliöses oder katarrho-
ses Fieber auf; der Ausschlag sah den ausbrechenden Ma¬
sern sehr ähnlich und verschwand nicht beim Drucke des
Fingers; an Brust und ^ orderarmen erschien er ain deut¬
lichsten. Ein Zeitraum wahrer Lebensschwäche erschien
selten. Das Eintreten von Schlundentzündung oder Friesel
pllegte tüdtlich zu werden. Aderlässe wurden eben so we¬
nig vertragen, als reizende Mittel. Die Erzeugung der
Krankheit war auf die obengenannte Quelle beschränkt; es
erschienen daher nur neunundfunfzig Fälle, von denen viere
«
in der Klinik behandelt wurden. In einem Falle verband
sich der Typhus mit Lungenentzündung; die Herstellung
erfolgte sehr langsam. Eine ’S erbindung mit Petechien ver¬
lief glücklich. — B. \V echselfieber. Die Formen waren
leicht, und liefsen sich meistens durch Salmiak und gelind-
biltere Mittel heben. In einem l alle traten Kopfschmerzen
mit internuttirendem Typus ein, und wurden durch China
gehoben.
II. Chronische Krankheiten. Apyrexiae. A. Krankhei¬
ten des BlutgefäCssystems. Blutflüsse. ( Es ist auffallend,
dafs dieses die einzige Gattung des Erkrankens des Blut-
gefäfssystems ist, welche der Verf. in seinem Schema auf¬
führt. L. ) Zuerst der Lungcnblutflufs nach seinen bekann¬
ten pathologischen und therapeutischen Eigentümlichkei¬
ten; eben so ist auch von dem Mutterblutflusse nur das
Bekannteste erwähnt. Ein Fall von lebensgefährlicher Blut-
ergiefsung nach der Geburt ist deswegen merkwürdig, weil
kurz nachher so grofsc Gefahr einer nahenden Gebärmutter¬
entzündung entstanden war, dafs Blutegel angewendet wer¬
den mufsten.
( D esch/u/s folgt.)
Litt er arische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825.
N° 37.
IV.
Klinische Denkwürdigkeiten. \ on Dr. Karl
Ignaz Bischoff. Prag, 1825. 8.
(Beschlufs. )
B. Krankheiten des reproductiven Systems, a. Krank¬
heiten der ersten Wege, 1. Durchfall. 2. Stuhlverhaltung,
b. Krankheiten des lymphatischen Systems. 1. Wassersucht.
(Darf diese vorzugsweise als Krankheit des Lymphsystems
betrachtet werden? Ist sie nicht viel richtiger als krank¬
hafte Absonderung zu erfassen? L.) Die Hauptarten der
Wassersucht und die sich daraus ergebenden verschiedenen
Behandlungen werden erwähnt. Eine allgemeine Wasser¬
sucht in Verbindung mit einer Lungenentzündung erfor¬
derte ein Aderlafs, und wurde geheilt. Wassersucht
nach Masern wurde ebenfalls gehoben. In vernachlässigten
gichtischen Leiden trat Wassersucht hinzu; beide wurden
durch zweckmäfsige Behandlung gehoben. 2. Anschoppun¬
gen. 3. Hautausschläge. Nur die Krätze wird erwähnt.
Die alte Krätze darf nicht schnell entfernt werden. —
4. Entfärbungen. (Wohl nicht passend als eigene Gattung
aufgefiihrt, da die einzige Art, Gelbsucht, offenbar zu den
Leberleiden gehört. L.) — c. Krankheiten der Ernährung.
Bei den hier aufgeführten Krankheiten der Ernährung
scheint uns diese gröfstentheils nur secundär zu leiden, und
die Benennung daher unrichtig. L.) Hierher rechnet der
Yerf. die Lungenschwindsucht. Die Fälle von vernarbten
Stellen in den Lungen zeigen, dafs dieses Uebel, wenn
auch selten, doch zuweilen gehoben wird. Der Verf.
rr. Bd. i. St.
5
66 IV. Klinische Denkwürdigkeiten.
nimmt fünf Arten der'Consumptionsleiden an: na. Schwind¬
sucht, Phthisis, durch Vereiterung eines Organs, hh. Aus¬
zehrung, Tabes, aus Mangel des NahrungsstofYes. (Uns
scheint dieser Name sich vorzüglich auf das Schwinden des
dynamischen und des Nervcnlebens zu beziehen. L. ) cc. Darr-
sucht, Atrophia, aus iibeler Beschaffenheit des Nahrungs-
stoffes. dd. Zehrfieber, KebrLs hectica, auf Veranlassung ei¬
nes zwar kranken, aber nicht eiternden Organs, ee. Schlei¬
chendes Fieber, Fcbris lenta, ein den Zeitraum des hitzi¬
gen Fiebers überschreitendes Fieber. — C. Krankheiten
des sensibelen Systems, a. Schmerzen. Hier wird vorzüg¬
lich die Kolik und die verderbliche Neigung, sie immer mit
erhitzenden Mitteln zu behandeln, erwähnt, b. Krämpfe,
unter denen auch der Schwindel (wohl mit Unrecht) auf-
gefiihrt wird. —
Auch hier müssen wir wieder einiges Sprachliche er¬
wähnen, da man den Anspruch an richtigen Ausdruck nicht
aufgeben darf, wenn man auch noch so oft dagegen gefehlt
sieht. Ausdrücke, wie Verkühlung statt Erkältung, Sterbe¬
polyp statt ein im Sterben entstandene^ Polyp, von stillem
Temperament statt von ruhiger Gemüthsart, Subject oder
auch Schüler der Chirurgie statt chirurgischer Schüler,
gastrische Note statt gastrisches Zeichen, ein Höckler statt
ein Kleinhändler, sollten w'ohl vermieden werden. Auch
ist der Vcrf. nicht gleichmäßig in der Stellung der Namen
verfahren. In der Kegel stellt er die Stammnamen voran
und die Taufnamen nach, z. I». Herzogin Anna, zuweilen
aber auch umgekehrt: Johann Ilermack, Anna John, Jo¬
sephe Paul.
Möge der Verf. diese scheinbar kleinlichen Ausstellun¬
gen nicht übel deuten. Der Name eines gelehrten, treu
beobachtenden und umsichtig handelnden Arztes kann ihm
nicht genommen werden, und wird auch von dem Unter¬
zeichneten gern anerkannt.
LicJitcnstädt.
Y. Pocken in Dänemark.
67
y.
Beiträge zur Geschichte der Menschen¬
pocken, Kuhpocken und modificirten
Menschenpocken im dänischen Staate.
Vom Dr. Med. J. C. YY. Wendt, Professor,
Ritter des Dannebrogordens , Dannebrogsmann,
Oberarzt am allgemeinen Hospital in Kopenha¬
gen, u. s. w. Mit Zusätzen des Verfassers aus
dem Dänischen übersetzt. Kopenhagen, hei Fr.
Brummer. 1824. 8. 70 S.
Es beginnt dieses werthvolle Werkchen mit einer
Nachweisung des ursprünglichen Erscheinens der Menschen¬
pocken im dänischen Staate, zufolge welcher dieselben erst
in einem Briefe vom Jahre 1527, und in einem Befehle
Christian’s III. vom Jahre 1553 erwähnt werden, in dem
dieser König die Aerzte ermahnt, der Pockenseuche die
nöthice Aufmerksamkeit zu widmen. Nach den Färöern
O
kamen die Pocken erst gegen die Mitte des siebzehnten
Jahrhunderts, nach Island wurden sie im Anfänge des acht¬
zehnten, und nach Grönland erst gegen die Mitte desselben
Jahrhunderts verpflanzt, in welchen Ländern sie damals
beinahe zwei Drittheile der Einwohner wegrafften. Auch
in Kopenhagen waren die Verheerungen sehr bedeutend,
so dafs in den Jahren 1749 bis 1798 gegen 12,231 Men¬
schen durch diese Pest weggerafft worden sind, ohne die
grofse Anzah1 derer zu berechnen, die an den Nachkrank¬
heiten starben und für ihre ganze Lebenszeit elend blieben.
Erst nachdem Antonius le Duc, der von einer damals
in Konstantinopel sehr grofses Aufsehn erregenden Grie¬
chin mit Erfolg geimpft war, seine Dissertation über die¬
sen Gegenstand in Leyden vertheidigt hatte, der englische,
damals in Konstantinopel verweilende Gesandte W orthley
Montague, von dem glücklichen Erfolge überzeugt, seinen
5 *
63
V. Pocken in Dänemark.
Sohn durch Maitland hatte impfen lassen, und von der
medicinischen Facultät in London hinreichende Versuche
angestellt worden waren, fand die Einimpfung endlich bei
den Engländern Eingang, wozu die königliche Familie da¬
durch, dafs sie die Einimpfung an sich geschehen lief», und
die Beredsamkeit der Geistlichen des Landes nicht wenig
beitrug. In Dänemark gab die Geheimeräthin G. E. Bernst-
dorf, geh. Bachwald, 1754 das erste Beispiel, worauf
bald Leute aus allen Ständen folgten, die Anzahl der in ei¬
nem Jahrzehend Geimpften sich aber doch nicht höher als auf
170 belief. Obgleich in den darauf folgenden 30 Jahren durch
die Errichtung einer Inoculationsanstalt zur Aufnahme ar¬
mer Kinder, und durch die Bemühungen eines von Ber¬
ger, Struensee, Lindes und W ins low, der Impfung
der Menschenpocken bei dem V olke ein grufserer Eingang
verschafft wurde, so dauerte die Pockenepidemie doch in
ziemlich gleichem Grade fort, und die Anzahl derer, wel¬
che jährlich ein Opfer derselben wurden, war immer noch
sehr bedeutend.
Ohne Beschränkung von Jenncr’s glanzendem Ver¬
dienst, wird von Hrn. W. angeführt, dafs der Schullehrer
Plett zu Laboe in der Grafschaft Rantzau im Holsteini¬
schen der erste w\ir , der 1 7.92 die Schutzpocken impfte.
Aber erst nach der im Jahre 1798 erfolgten Bekanntma¬
chung von Jenner's Schrift und nach mehreren vergeb¬
lichen Versuchen durch Abildgaard, Viborg, Scheel
und Winslow gelang es, mittelst von Jenner selbst
erhaltenen Kuhpockenstoffes mit Glück zu impfen, worauf
der Impfstoff durch ganz Dänemark und gröfstentheils auch
durch Schweden vertheilt werden konnte. Auf Vorschlag
des Professor Her h old t wurde nun in Kopenhagen ein
\ erein von Aerzten gebildet, dessen Mitglieder die Vacci-
nation nach Kräften befördern, und die nöthigen Versuche
und Beobachtungen hinsichtlich der W irkung der Kuh¬
pocken anstellen sollten. Vierunddreifsig Aerzte traten so¬
gleich diesem Vereine bei ; Professor Guldbrand w’urde
V. Pocken in Dänemark.
69
Präsident, Jacobsen Vizepräsident, und Herlioldt Se-
cretair; und am 1. October 1801 fand schon die erste Ver¬
sammlung statt. Zufolge eines königl. Befehls sandte die
Commission ihren ersten Bericht an die königl. Dänische
Kanzlei, in welchem dargethan werden konnte, dafs alle
diejenigen Subjekte, bei denen die Impfung schon vierzehn
Tage gehaftet hätte, nie von Menschenpocken angesteckt
worden seien, und dafs nur bei einigen wenigen diese Krank¬
heit ungeachtet der Impfung ausgebrochen wäre, in welchen
Fällen vorausgesetzt werden müsse, dafs die Infection frü
her statt gefunden habe, bevor die Vaccination hätte wirk¬
sam werden können. Ob die Impfung für die ganze Le¬
benszeit schützen werde, hierüber könne bis jetzt noch
nichts Bestimmtes ausgesagt werden, indessen lasse sich die¬
ses den Erfahrungen ausländischer, besonders englischer
Aerzte zufolge hoffen. Zugleich wurde der Regierung der
Vorschlag gemacht, eine Anstalt errichten zu lassen, in
welcher die Impfung unentgeltlich geschehen sollte, um
diesem Schutzmittel bei dem Publikum einen gröfseren Ein¬
gang zu verschaffen. Die nachfolgenden Berichte sprachen
eben so vorteilhaft für den Schutz der Kuhpocken, als
der erste. Im Jahre 1804 wurden von der Commission den
Impflingen Scheine ausgestellt, und im vierten Berichte
23,155 Personen angegeben, die sich in elf Monaten des
Jahres 1805 hatten impfen lassen; von den 100,000 Ein¬
wohnern Kopenhagen^ war niemand von den Kinderpocken,
und nur 5 von den vermeintlichen Wasserpocken hingerafft
worden, von denen der Verf. glaubt, dafs sie modificirte
Pocken gewe m sind. Nach jener Zeit wurde die Sterb¬
lichkeit an den Pocken wieder gröfser, denn zufolge einer
hier folgenden Liste starben in Kopenhagen in dem Zeit¬
räume vom 21. December 1805 bis zum 22. December 1821
gegen 64 Personen an Kinderpocken und 13 an Wasser¬
pocken, von denen 46 allein das Opfer einer im Jahre 1808
in jener Stadt herrschenden Epidemie wurden. In den hier¬
her gehörigen Berichten wird eingestanden, dafs mehrere
70
V. Pocken in Dänemark.
von diesen Gestorbenen früher schon geimpft worden seien,
cs aber nicht erwiesen werden könne, ob die Impfung
gehörig statt gefunden habe und die erschienenen Pocken acht
gewesen seien. Die Commission hielt cs d;dier für uncrläfs-
lich, eine Verordnung an die auswärtigen Aerzte zu bewir¬
ken, in welcher dieselben auf die Beschaffenheit aufmerk¬
sam gemacht werden sollten, welche ächte Kuhpocken zeigen
oiüfsten, wenn sie schützen sollten. Die übrigen Berichte
bestätigen nun fernerhin die AN irksamkeit der Schutzpocken;
und erst 1819 zeigten sich in Skielskior, Odensee und
Aarhus Aaricellen, von denen das königl. Gesundheitscol¬
legium verinuthete, dafs cs A ariolae vaccinae wären. Nach¬
dem nun der Aerfasser einige Bemerkungen über das A or-
komnien der modificirten Blattern in England gemacht und
sich dahin geäufsert hat, dals die in den dänischen Todtcn-
listen als Todesursache aufgeführten AN asserpocken wohl
modificirte Pocken gewesen seien, geht er nun zu der Epi¬
demie «jiher, welche im Anfänge des vergangenen Jahres in
Kopenhagen geherrscht hat, und durch einen Brauknecht
herbeigeführt wurde, der in einem fremden Schiffe (wahr¬
scheinlich von Hamburg, wo die Pocken schon mehrere
Monate gewüthet hatten) im Ilafen ankam, und zehn Indi¬
viduen theils die ächten Menschenpocken, theils Geimpften
die modificirten Blattern mitlbeilte. Diese Erfahrungen, wie
eine andere, dals nämlich die an modificirten Blattern lei¬
denden Menschen anderen, nicht geimpften Personen die
wahren Pocken mittheilen können , hat nun A'eranlas-
sung gegeben, dals, uni die Fortpflanzung wo möglich zu
unterdrücken, neue Gesetze aufgestellt werden mufften, die
eine jede Absonderung, sowohl der an Kinderpo<jkcn als
an modificirten Blattern Leidenden streng anbe fohlen, und
die Eltern und A’ormünder anhielten, den übrigen ihrer
Familie angehörigen Kindern, wenn eins derselben von den
modificirten Pocken befallen wird, die Schutzpocken noch¬
mals sogleich einimpfen zu lassen, um aus dem Erscheinen
oder Nichterscheinen der Kuhpocken schließen zu können,
71
V. Pocken in Dänemark.
ob die erste Yaccination auf den ganzen Organismus
gewirkt habe, oder nur zum Th eil schützend gewesen
sei. Thomassin a Thuessink glaubt nämlich, dafs ein¬
zelne Individuen zur Impfzeit wegen einer nur localen Re-
ceptivität für die Wirksamkeit der Kuhpocken, — was auch
von den Menschenpocken gelten soll — vor einer spä¬
teren Infection nicht geschützt werden. Dieser Arzt
schlägt daher nach Bryce vor, dafs man zur Sicherstellung
bei jeder am fünften oder sechsten Tage als gelungen sich
ausweisenden Yaccination, die Impfung bei demselben Sub¬
jekte an einem anderen passenden Orte des Körpers wie¬
derholen solle, wmrauf dann, wenn die erste \ accination
ihre Schutzkraft nicht über den ganzen Körper ausgebreitet
hätte, auch hier nochmals normale Kuhpocken erscheinen
würden, deren Yerlauf aber dann so rasch vorschreiten
würde, dafs die Pusteln beider Yaccinationen zu ei¬
ner und derselben Zeit zur Reife gelangen wür¬
den (?). Diese Yaccinationsmethode soll in Holland für
die beste gehalten werden, und allgemein gebräuchlich sein.
Die übrigen, die Verbreitung der Pocken wo möglich ver¬
hindernden Verfügungen beziehen sich auf das Reinigen und
Räuchern der Kleidungsstücke, Betten, Utensilien u. s. wr.
mit Schwmfel. Ungeachtet dieser in neuern Zeiten gemach¬
ten Erfahrungen über die zuweilen vorkommende Anstek-
kungsfähigkeit schon geimpfter Individuen, hält der Yerf.
die Kuhpocken doch immer noch, und wohl mit Recht,
für ein eben so grofses Schutzmittel als früher, da die An¬
zahl der angesteckten Yaccinirten nur eben so grofs sei,
als die Anz?1 1 derer , welche früher mit Menschenpocken
inoculirt , bin und wieder auch wohl zum zweitenmale von
den wahren Pocken befallen wmrden wären.
Das vorangeschickte Yerzeichnifs der an den Pocken in
Kopenhagen Gestorbenen, nach den Mortalitätslisten von
1749 bis 1808, gewährt einen interessanten Ueberbhck,
und drückt die unendlichen Wohlthaten der Yaccination
am beredtesten in Zahlen aus. Es starben nämlich an den
72 YI* Pathologische Fragmente.
Pocken in Kopenhagen von 1749 his 1758: ‘2991; von 1739
bis 1768: 2068; von 1769 bis 1778: 2224; von 1779 bis
1788: 2028; von 1789 bis 1798: 2920; von 1799 dage¬
gen bis 1808 nur 724.
Eine Beilage enthält nun noch mehrere Königliche
Verordnungen , die hinreichend darthun, welche Aufinerk-
samkeit der dänische Slaal auf dieses Schutzmittel richtet,
und welche zweckmäfsige Verfügungen in jeder Hinsicht
getroffen werden, um demselben den erwünschten Eingang
zu verschaffen.
R-r.
VI.
Pathologische Fragmente, von Dr. Karl Wil¬
helm Stark. Zweiter Band. Auch unter dem
besonderen Titel: Beitrage zur psycholo¬
gischen Anthropologie und Pathologie,
w eimar, im Landes - Indastriecomptoir. 1825. 8.
XII und 340 S. ( Vergl. die Anzeige des ersten Ban¬
des im Februarstück dieser Annalen.)
Früher, als wir erwarteten, hat uns der erf. mit ei¬
nem zweiten Bande beschenkt, über dessen Werth wir nur
das wiederholen können, was über den ersten a. a. O. ge¬
sagt worden ist. Eine völlige Recension w ürde ein eigenes
Buch oder wenigstens eine so ausführliche Darstellung ver¬
langen, als wir nach der Einrichtung der Annalen nicht
geben dürfen. Eis würde dies um so mehr geschehen müs¬
sen, als Rec. in vielen Beziehungen eine ganz entgegen¬
gesetzte Ansicht hat, über welche hier nur kleine Andeu¬
tungen gegeben werden dürfen. W ir wollen daher zuvör¬
derst die, Ereundc geistreicher ärztlicher Schriften dringend
auf die .vorliegende aufmerksam machen , und dann einen
möglichst gedrängten Abrifs für diejenigen auCstellen, denen
VI. Pathologische Fragmente. 73
das Stadium des Werkes aus irgend einem Grunde unmög¬
lich ist.
Der vorliegende Band enthält nur zwei Abhandlungen,
nämlich über Scelenkrankheit und Beiträge zu einer psy¬
chischen Aetiologie. (Eine umgekehrte Stellung wäre wohl
passender gewesen.) In jener unterscheidet der Yerf. eine
ideale und reale Seele; nur jene sei unsterblich; diese hin¬
gegen sei sterblich , und dem Erkranken unterworfen. Die
Erklärung der Seelengesundheit und Seelenkrankheit ist
ganz entsprechend der im ersten Bande über leibliche Ge¬
sundheit und Krankheit gegebenen. Nach §. 6. ist « Seelen¬
krankheit eine in einem Menschen vom eigenthümlichen
Charakter des menschlichen Seelenlebens, der Vernünftig¬
keit, abweichend sich bildende Form des letzteren, wobei
Selbslbewufstsein und Selbstbeherrschung auf eine unwill-
kiihrliche, innere und einigermaafsen andauernde Weise ge¬
stört erscheinen , und die Erreichung der geistigen Zwecke,
gleichsam die geistige Selbsterhaltung des Individuums, ge¬
fährdet oder gar unmöglich gemacht wird. » Jede Seelen¬
krankheit hat eine individuelle Form, innere Einheit und
Zweckmäfsigkeit. — Ein geistig-krankes Subjekt führt ein
Doppelleben, und bei verwickelten Zuständen ein Mehrfach¬
leben. — Es giebt in Seelenkrankheiten wahre Iieilbestre-
bun gen; anhaltende Ruhe während derselben ist ein Zeichen
des Mangels dieser Bestrebungen. — Es giebt keine allge¬
meine Krankheiten der Seele; wo, wie bei hohen Graden
des Cretinismus, gar keine geistige Regung wahrzunehmen,
ist psychischer Tod anzunehmeu. — Jedes Erkranken der
Seele erfolgt lurch Umwandlung einer bereits vorhandenen
Seelenkraft, oder Erzeugung einer neuen. — Alle Seelen-
krankheiten beruhen auf Disharmonie der einzelnen Verrich¬
tungen; die besondere Art der Disharmonie giebt den spe-
cifischen Charakter. — Beim psychischen Erkranken weicht
der Mensch in eine der niedern Seelenformen aus, wie sie
sich in dem Thierreiche ausgeprägt haben; indessen geht
der menschliche Charakter doch nie ganz verloren. — Das
74
YL Pathologische Fragmente.
bei der Seelcnkrankheit vorhandene psychische Herabsinken
gilt nur von der Seele im Ganzen, nicht von allen einzel¬
nen Scelenkräften , deren eine oder die andere dabei erhöht
sein kann. — Jede psychische Krankheit ist als eine vom
Entw ickelungsgange der Gattung abweichende individuelle
geistige Entwickelung zu betrachten. Die Entwickelungs¬
zustände der menschlichen Seele haben eine Aehnlichkeit
mit bleibenden psychischen Zuständen der Thiere. —
Die Beiträge zur psychischen Anthropologie, S. ‘29 bis
316, beginnen einleitend damit, dafs die psychische Aetio-
logie, wie die Actiologie überhaupt, in die Lehre von der
Anlage und die von den Gelegenheitsursachen zerfalle, hier
aber nr*r von den letztem die Bede sein solle, dafs die
Möglichkeit des Nachlheils auf den verschiedenartigen See-
lenwirkungen und deren Wcchselverhältnifs mit dem Kör¬
per beruhe, dafs jedes irdische Wirken der Seele durch
ein materielles Substrat, und zwar jede Art der Seelen¬
wirkung durch eine besondere Modification desselben be¬
dingt sei. — Allgemeiner, psychologisch -anthropologischer
Theil. Die Seele, an sich zwar untheilbare Einheit, kann
nach ihren verschiedenen Richtungen als aus verschiedenen
Vermögen bestehend betrachtet werden; die Arten der letz¬
tem werden aufgefunden entweder durch Beobachtung der
Seelenäufscrungen an höhern und niedern Wesen, oder
durch Analogie des Seelen- und Körperlehens; der letztere
WTeg wird hier eingeschlagen. Die allen beseelten Wesen
eigenthiimliche niedrigste AeuCsenmg des Seelenlebens ist
das Gemeingefiihl; es verschafft uns die Empfindung der
Zweckmäfsigkeit unserer körperlichen Existenz, und läfst
uns unsern Organismus als einen sich selbst rcproduciren-
den wahrnehmen. (Wir haben durch das Gemeingefiihl
allerdings W ahrnehmungen über einzelne aus unserer Re-
production hervorgehende Zustände, aber w'ohl nicht über
diese seihst als Ganzes.) Das AV ahrnehmen der Aufsen-
welt geschieht als ein Hineinhilden in uns, Einbildung im
eigentlichsten Sinne; in Beziehung auf die vergangene Zreit
VI. Pathologische Fragmente. 75
ist es ein Erinnern, in Beziehung auf die Zukunft ein Yor-
emp finden. In Folge des Gemeingefiilils entsteht das Stre¬
ben nach Veränderung, und damit die Selbstbewegung. —
Wo das Gemeingefühl allein herrschend ist, nämlich bei
den hirnlosen Thieren, ist völlige Bewusstlosigkeit, indem
keine Scheidung von Subject und Object möglich ist. In
einer höhern Stufe beginnt die Unterscheidung von Subject
und Object, aber immer nur noch in körperlicher Hinsicht
und in Beziehung auf physische Selbsterhaltung. Hier be¬
ginnt das verständige Erkennen und Handeln. Diese See¬
lenform findet sich bei den Ilirnthieren. (Rec. ist über-
zeugt, dafs keinem Thiere dergleichen zugeschrieben wer¬
den dürfe, indem auch die höhern Formen geistiger Thä-
tigkeit bei den Thieren immer unter der Potenz des In-
stincts und nie als ein wahres W ollen erscheinen.) In die¬
sem Zustande befindet sich das Kind; ein ansehnlicher Theil
der Menschen tritt nie aus demselben heraus. (Der Mensch
ist immer Mensch; das geistige Leben eines Kindes und un¬
gebildeter Leute ist immer noch himmelweit vom Thier¬
leben geschieden.) Dem Menschen eigenthümlich sind das
Selbstbewusstsein, das Vermögen Ideen zu bilden und nach
den Gesetzen der Causalität zu schließen , das Gefühl für
das Schöne, Wahre und Gute, die Gottähnlichkeit, die
Seeligkeit., die Vernunft, die Persönlichkeit, die Freiheit. —
Der Mensch vereinigt in sich niedere und höhere psychische
Formen, jene jedoch unter der Potenz des Menschlichen.
Seine psychische Thätigkeit zerfällt nach aufsteigender Rich¬
tung in drei Hauptsphären: Fühlen, Wollen und Erken¬
nen. (Hier ergiebt sich eine wesentliche und im ganzen
Fortgange der Untersuchung bedeutende Differenz zwischen
Hin. St. und dem Rec. Letzterer kann nämlich keineswe-
ges in diese besonders von Heinroth aufgestellte Einthei-
lung eingehen. Der Wille ist nie ein Ursprüngliches, son¬
dern immer ein Späteres, nämlich entweder durch das Er¬
kennen oder durch das Fühlen in Anregung gesetzt, kann
also mit diesen ursprünglichen psychischen Richtungen nicht
76
VI. Pathologische Fragmente.
auf gleicher Stufe stehen.) Jenen drei geistigen Thätigkei-
ten entsprechen in gleicher Richtung drei Factoren des
körperlichen Lebens: Bilden, Bewegen und Empfinden.
Hiernach steht das fühlende Leben dem bildenden und eben
dadurch der Bauchhöhle, das wollende dem bewegenden
und dadurch der Brusthöhle, das erkennende dem empfin¬
denden und dadurch dem Kopfe gegenüber. Dieselben sind
unter sich zu einer Einheit verbunden, bilden aber doch in
manchen Beziehungen einen Gegensatz, so zwischen Fühlen
und Erkennen, Erkennen und Wollen u. s. w. Die nähere
\erbindung des psychischen Lebens mit dem körperlichen
wird vorzüglich durch das Nervensystem vermittelt, das
Fühlen durch das Gangliensystem , das W ollen durch das
Rückenmark, und das Erkennen durch das Gehirn. Für
das höchste Seelenleben des Mensehen, die Vernunft, giebt
es kein körperliches Substrat. (Kann nicht zugegeben wer¬
den, und steht mit manchen Aeufserungen des Verf. seihst
im Widersprach.) In jeder hohem psychischen Sphäre
sind auch die niedern, in diesen auch jene augedeutet. Da¬
her ist auch am Kopfe ein vegetatives und fühlendes Ner¬
vensystem; als solches betrachtet der Verf. den Trigeminus,
wofür viele einleuchtende Beweise angeführt werden; als
dem Riickenmarkssysteme entsprechende Kopfnerven be¬
trachtet der V erf. die Nerven der Augenmuskeln, den Ge¬
sichtsnerven und den Zungenfleischnerven. Die übrigen
nicht den Sinnen dienenden Kopfnerven, dienen vorzüglich
zur Verkettung von Kopf und Rumpf. Für die Bewegungs¬
nerven des Kopfs hat das verlängerte Rückenmark dieselbe
Bedeutung, wie das Rückenmark für die willkührliche Be¬
wegung. Bestimmte llirntheilc sind die Organe der ver¬
schiedenen Stufen des Erkenntnisvermögens. Die Vierhü¬
gel sind die Ccntralorgane der körperlichen Sinnesverrich-
tnng, die Sehhügel der Mittelpunkt der geistigen Wahr¬
nehmung der durch dir Vierhiigel zu Stande gekommenen
Sinneseindrücke, die gestreiften Körper Isolatoren zwischen
der FTkcnntnifs und W illenssphäre, die auf und neben den
77
VI. Pathologische Fragmente.
Fibern des verlängerten Markes und der Hirnschenkel lie¬
gende Ganglienkette Organe der niedern Erkenntnifs, das
Balkensystem nebst den grofsen Hirnlappen Organ des ver¬
ständigen Erkennens, das kleine Gehirn der Ordnet der
vom Rückenmarke ausgehenden Bewegung. Die Angabe
und Prüfung der nähern Beweise für diese, hier zum Theil
schon durch die am Ende des Werkes folgenden Zusätze
ergänzten Behauptungen müssen wir dem eigenen Studium
überlassen, und gehen nunmehr zu dem speciellen ätiologi¬
schen Theile über, den wir um so gedrängter betrachten
werden, als hier die Menge des dem Yerf. Eigentümlichen
viel geringer ist. So wie eine jede krankhafte Erscheinung
wiederum als Ursache eines neuen Erkrankens betrachtet
werden kann, so kann auch mangelhaftes oder übermäfsiges
Gefühl als Ursache des Erkrankens betrachtet werden; beide
wirken auf alle Richtungen des Lebens nachtheilig. Ferner
werden als nachtheilig aufgeführt: Einseitige Erregung des
Gemüths, Spannung desselben nach der idealen Richtung,
erregende und herabstimmende Affecte, jene als vom Cen¬
trum nach der Peripherie, diese von der Peripherie nach
dem Centrum treibend , und daher bei Schwängern vielleicht
die Hemmungsbildungen begünstigend, indem durch das
Yersehen eine deprimirende (ob immer?) Gemüthsthätigkeit
veranlafst wird. Auch auf den Säugling und in dessen ma¬
terielles Leben pflanzen sich die Geniüthseindrücke fort, in¬
dem derselbe noch als nicht ganz selbstständig, sondern
durch die Nahrung von der Mutter abhängig zu betrachten
ist. Die einzelnen Affecte sind mit eigenthümlichen kör¬
perlichen Erscheinungen verbunden, indem sie sich auf be¬
stimmte Theile beziehen, der Zorn auf den Unterleib und
besonders auf die Leber, der M.uth und die Furcht auf die
Brust und dadurch auf das Rückenmark (regt nicht auch
der Zorn eine lebhaftere Thätigkeit der Glieder an? Den¬
noch wird der Theorie zu Liebe diesem keine besondere
Beziehung auf das Rückenmark zugeschrieben) , Stolz und
Schaam auf das Gehirn. Ueberall sind hier genaue Beschrei-
78
VI. Pathologische Fragmente.
Lungen beigefiig^, 'Le von eben so vielem psychologischen
Takt, als von feiner ärztlicher Beobachtungsgabe zeugen. —
Am künstlichsten mufs der Verf. da zu Werke gehen, wo
er den nachtheiligen Einflufs des Willens darlegt, was, wie
es uns scheint, aus der oben für unrichtig erklärten Stel¬
lung dieses Vermögens überhaupt zu erklären ist. Bichtig
bemerkt der Verf. , dafs zwischen Neigung und That nur
ein grädativer Unterschied vorhanden ist; wo ein wahrer
Wille ist, da entsteht That; wo keine solche ist, kann
man auf den Mangel des Willens schliefsen. Gier und
Ekel, Verlangen und Abscheu, die Bewegungen als Aus¬
druck des Willens, sowohl in den Gliedern, als auch in
der Stimme, zu heftiger und zu schwacher Wille, fehler¬
hafte Richtung des Willens in einer bestimmte^ Beziehung
nnd die Leidenschaften werden nach ihren vielfachen Nach¬
theilen auf Leib und Seele auseinandergesetzt. In Hinsicht
auf das Erkenntnisvermögen können zu grofse und (ob¬
wohl in viel minderem Grade) zu geringe Thätigkeit, ein¬
seitige und zu mannigfaltige Richtung, falsche Richtung
einzelner Seelenkräfte, z. B. der Einbildungskraft, wobei
eine interessante Erörterung über das Versehen schwangerer
Menschen und Thiere, überladenes Gedacht nifs, Milsbrauch
von Wätz und Scharfsinn, zu grofse Neigung zur Specu-
lation u. s. w. vielfache Nachtheile veranlassen.
In den Zusätzen findet sich vorzüglich eine Kritik von
Flourens Ansichten, denen der Verf. im Wesentlichen
beistimmt. Nur in dem, was uns längst vor Flourens
gewifs schien und durch ihn noch mehr bestätigt wurde,
dafs der Wille vom grofsen Gehirne ausgehe, kam> I Ir. St.
aus den oben angegebenen und von uns nicht anerkannten
Gründen, nicht beistimmen.
Lichtcns t ctdt.
\ II. Lehrbuch der Geburts hülfe.
79
VH.
Lehrbuch der Geburtshülfe zum U nter-
richt für Heb ammen. Y on Johann Philipp
II orn, Doctor der Chirurgie und Geburtshülfe,
ordentl. öffentl. Professor der theoretischen Ge¬
burtshülfe an der K. K. Universität zu YYien.
Zweite, ganz unbearbeitete , verbesserte, für Heb¬
ammen eingerichtete Ausgabe. YVien, Druck und
Y erlag von J. B. YY allishausser. 1825. 8. XYI
und 559
So wie fast in allen Staaten die Abfassung eines Lehr¬
buchs über Geburtshülfe für Hebammen unter die Aufsicht
i
der Medicinalbehörden gestellt ist, so ist nun auch an den
Verf. der vorliegenden Schrift die Aufforderung von Seiten
der Regierung ergangen, die erste Ausgabe seines Lehr¬
buchs, welches früher für Geburtshelfer und Hebammen
zugleich (!) bestimmt war, zum besonderen Gebrauche für
die letzteren umzugestalten. Ohne auf eine Vergleichung
dieser für einen besonderen Zweck ausgearbeiteten Auflage
mit der früheren einzugehen, wird die hier folgende Beur-
tbeilung sich nur auf das gegenwärtige Werk beziehen,
von dem im Allgemeinen bemerkt werden mufs, dafs es
dem Hrn. Verf. in vollem Maafse gelungen ist, alle die Hin¬
dernisse besiegt zu haben, welche sich der Anordnung ei¬
nes Lehrgebäudes für ein so ungebildetes und rohes Publi¬
kum entgegen eilen. Es gereicht dem Hrn. Prof. II. zum
grofsen Lobe, dafs er mit einer grofsen Deutlichkeit und
Klarheit, welche Eigenschaften manchen Schriften seiner
Landsleute abgehen, das Wissenswertheste der Hebammen¬
kunst zusammengestellt und zugleich recht genau die Gräm¬
zen bestimmt hat, wo das Wirken der Hebamme auf hören
und das des Geburtshelfers beginnen mufs, wodurch ein
jedes Ilinüberpfuschen und Eingreifen in die Rechte des
80
VII. Lohrbuch der Geburtshülfe.
Arztes gehindert und somit das viele Unheil, das unver¬
meidlich ist, wenn man jenen Frauen gröfscre Hechte ein-
räumt als ihnen zukommen, vermieden wird. Die wenigen
Mängel, die sich in dem Werke im ’S erlaufe dieser Anzeige
ergeben möchten, können den Werth desselben durchaus
nicht schmälern, indem es dieselben mit mehreren anderen,
zu demselben Zwecke ahgefalsten Lehrbüchern theilt.
Nach Erörterung der physischen und geistigen Erfor¬
dernisse einer Hebamme, schildert der Yerf. in dem ersten
Abschnitte die bei der Geburt interessirten harten und wei¬
chen Gebilde in einer dem Fassungsvermögen der diesem
Geschäfte sich widmenden Frauen angemessenen Schreibart,
und geht dann zu der Untersuchung der Schwängern über,
wobei zwar nichts W esentliches hinsichtlich des anzustel¬
lenden Verfahrens und der zu beobachtenden Decenz ver¬
gessen ist, es den Hebammen aber mehr ans Herz hätte
gelegt werden müssen, bei Krankheiten der zu berührenden
Theile hinsichtlich der Reinigung der Hände keine 'S er-
nachlässigung sich zu Schulden kommen zu lassen; denn die
Sorglosigkeit und Unsittlichkeit dieser Frauen, besonders
wenn sie in ihrem W irkungskreise sehr beschäftigt sind,
übersteigt allen Glauben, und nicht allein Gosche li ne in
Polen mochte ein Beispiel au fzu weisen haben, dafs durch
eine solche Nachlässigkeit eine Reihe von Frauen, ja sogar
ganze Familien angesteckt worden sind, sondern es möch¬
ten sich auch in manchen andern Provinzen , In denen die
niedere N olksklasse nicht in jenem Hufe des Hanges zum
Schinutze steht, bei näherer Nachfrage Thatsachen dieser
Art vorfinden. Desgleichen mufs eine jede Hebamme auf
den Nachtheil aufmerksam gemacht werden, der ihre Per¬
son/ selbst betreffen kann, wenn sie Hisse, Wunden und
Geschwürchen an der untersuchenden Hand hat.
(Beschluft folgt.)
Literarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
”1825:
VII.
Lehrbuch der Geburtshülfe zum Unter¬
richt für Hebammen. Von Johann Philipp
Horn. Wien, 1825. 8.
( JB e s c h l u / s. )
Der zweite Abschnitt enthält die allgemeinen Lehren von
der natürlichen Schwangerschaft. Im dritten Kapitel des¬
selben vermifst Rec. die Angabe derjenigen Krankheiten,
welche in ihren Erscheinungen viel Aehnlichkeit mit denen
der Schwangerschaft haben, wie sie im Hebammenlehrhuch
für die preufsischcn Staaten mitgetheilt ist. Wenn man
zwar von einer Hebamme nicht verlangen kann , dafs sie im
Stande sei, die etwa im concreten Falle bestehende Krank¬
heit zu erkennen, so ist es doch wohl nicht überflüssig,
dafs sie wenigstens darauf aufmerksam gemacht werde, dafs
es dergleichen Zustände geben könne, damit sie in dem
Falle, dafs ein Zweifel entstände, einen Geburtshelfer zur
Entscheidung herbeiholen kann. — Zu der §. 203 angege¬
benen Vorbereitung der Brüste zum Säugungsgeschäft sind
die leichten Warzendeckel von Resina elastica einer jeden
anderen Vorrichtung und jedem anderen Verfahren vorzu¬
ziehen; denn sie sind am leichtesten, drücken nicht, kön¬
nen Wochen lang vor der Entbindung getragen werden,
und durch die hierdurch örtlich zurückgehaltene Transpira¬
tion wird der membranöse Ueberzug der Warzen erweicht,
so dafs er dann mit leichter Mühe abgerieben werden kann.
Die gehörige Leibesöffnung während der Schwangerschaft
kann, beiläufig gesagt, noch dadurch unterhalten werden,
II. Bd. 1. s». 6
38.
62
VII, Lplirbuch der Gcbnrtslmlfc.
dafs man das bei der vornehmeren Klasse jetzt allgemein
Mode gewordene Tragen der Hosen verbietet, die, indem
der vre ib Fiche Organismus von Jugend auf an dieses Klei¬
dungsstück nicht gewohnt ist, die Transpiratio*h der Halft
vermehren, und daher die im Darmkanale erforderliche Se-
cretion ableiten und vermindern.
Im vierten Abschnitte wird mit Recht jeder Geburts¬
stuhl bei regelmäfsigen Geburten verworfen, und die Rage
angesehen, bei welcher die Geburtsarbeit am besten von
statten gehen kann. Die für die Wöchnerin und den Siihg-
ling gegebenen diätetischen Regeln lassen nichts zu wün¬
schen übrig; und mit vieler Umsicht ist auf di»' sehr schmale
Diät, auf welche eine Wöchnerin in der Mehrzahl der
Fälle gesetzt werden mufs, aufmerksam gemacht worden.
Im sechsten Abschnitte vermifst Ref. unter den krank¬
haften Zuständen während der Schwangerschaft und deren
Behandlung das Erbrechen, die oft eintretende Ohnmacht,
die Brüche und die Kramp fader u.
In den drei folgenden Abschnitten sind die Ursachen^
welche eine Geburt erschweren können, recht ordnungs-
gemäfs nebeneinander gestellt worden. Recht zweckmäfsig
sind die Vorschriften , w elche die Hebamme über das künst¬
liche Lösen der Nachgeburt erhält; denn sic beruhen weder
auf der einseitigen Ansicht, die Placenta unter allen l m-
ständen nach der Geburt zu lösen , noch gestatten sie der
Hebamme, die Nachgeburt zu lange Zeit im Uterus zurück¬
zulassen, wodurch ebenfalls Nachtheil herbeigeführt -werden
kann. Statt der so wirksamen Dampfbäder bei Spannung
und Trockenheit der Scheide, so wie bei krampfhaften»
Verschlossensein des Muttermundes, findet Ref. nur die
lauwarmen Bähungen und Einspritzungen angegeben. Wenn¬
gleich nicht zu läugnen ist, dafs, wie einige Geburtshelfer
bemerkt haben, durch die Anwendung jenes grofsen 1 1 iilfs-
mittels zur Beförderung der Geburt grofses I nheil entste¬
hen kann, wenn von Seiten der Hebamme nicht die gröfste
Aufmerksamkeit auf die Kreifsendc wahrend des Insossus
VII. Lehrbuch der G eh urts hülfe.
83
gerichtet wird, indem die Ausschliefsung des Kindes die
Mutter oft übereilt; so kann diesem Uebelstande doch durch
eine zweckmäfsige Vorkehrung, die das Bedecken des heis¬
sen Wassers mit einem Gegenstände, der die Dämpfe durch-
lafst, bezweckt, und dadurch, dafs man es der Hebamme
zur gröfsten Pflicht macht, die Kreifsende nicht aus den
Augen zu lassen, vorgebeugt werden.
Mit vielem Vergnügen erblickt Ref. dagegen in diesem
Lehrbuche die Angabe der verschiedenen Lagen der Mutter
zur Herbeiführung der normalen Geburt, worauf Wi¬
gand, Siebold und Rittgen besonders aufmerksam ge¬
macht haben. Ls ist hier bei allen normwidrigen Lagen
der Gebärmutter, den verschiedenen Stellungen des Kopfes
zur Geburt, bei den Abnormitäten des Beckens ' hinsichtlich
der Stellung und Weite, so wie bei den Zufällen der
Schwangeren «und Kreifsenden der Hebamme genau vofge-
schrieben werden, welche Lage siV dem Körper geben soll,
um die Hindernisse, welche die Geburt erschweren kenn
ten, zu beseitigen und wo möglich eine Selbstw'endung zu
veranlassen.
%
Der zehnte Abschnitt hat die Wendung zum Gegen¬
stände, wo es der Hebamme zw^ar ans Herz gelegt ist, dafs
sie dieses Kunstverfahren lieber einem Geburtshelfer über¬
lassen und nur im höchsten Nothfalle dasselbe selbst aus¬
führen solle, die Nachtheile aber lange nicht genug gewür¬
digt sind, welche entstehen, wenn die Entwickelung des
Kopfes nicht der des übrigen Körpers sehr bald nach folgen
kann. Dieser Vorwurf trifft aber nicht allein dieses Lehr¬
buch für Hebammen, sondern die meisten übrigen zu die¬
sem Zweck verfafsten Schriften.
Es ist eine allgemein bestätigte Erfahrung, dafs sowohl
die Durchschneidung des Kopfes bei einer übrigens ganz
normalen Stellung desselben zur Geburt wegen Mangel an
Wehen, Schwäche u. s. w. durch die Thätigkeit der Natur
nicht immer bewnrkt wrerden kann, als dafs auch die Aus-
schliefsung des Kopfes nach vorgenommener Wendung oft sehr
6 *
84
VII. Lehrbuch der Geburtshiilfe.
verzögert, erschwert und wohl gar unmöglich wird, wo-
durch im ersleren Falle durch ein zweistündiges Verweilen
des Kopfes in der Scheide unvermeidlich Brand derselben
erregt wird, iin letzteren Falle aber wegen des Druckes
auf die Nabelschnur in einigen Minuten das Absterben des
Kindes schon erfolgt. Man müfste daher, um den hieraus
erwachsenden traurigen Folgen in jeder Hinsicht vorzubeu¬
gen, der Hebamme den Gebrauch einer Smellieschen
Zange für diese Fälle erlauben, wodurch so manche
Geburt allein beendigt werden kann ; denn eine jede
Hülfe, die der Geburtshelfer hier bringen soll, kommt ge¬
wöhnlich zu spät, und die Mutter so wie das Kind müssen
nicht selten ihr Leben dabei verlieren.
Im zwölften Abschnitte, w'o von den Krankheiten und
der Behandlung der Wöchnerinnen und Säuglinge die Rede
ist, wäre eine Angabe der Unterscheidungsmerkmale des
Milchfiebers vom Kindbettfieber nicht überflüssig gewesen;
und bei den Krankheiten der Säuglinge hätten die Zuckun¬
gen der Neugeborenen, die Geschwulst der Brüste, die
krankhaften Zustände des Nabels, der Nabelbruch, die An¬
schwellung des Scrotums, die Flatulenz und das Wundsein
der Kinder nicht übergangen werden dürfen.
Der dreizehnte Abschnitt enthält die Pflichten der Heb¬
ammen in Bezug auf Religionsgebräuche bei und nach der
Geburt, das Verhalten bei erfolgtem Tode einer Schwan¬
geren, Gebärenden, Wöchnerin und eines neugeborenen
Kindes, und giebt eine nähere Anleitung ihres Betragens
in gerichtlichen Fällen.
Den Beschlufs macht die Instruction für die Hebammen
in den K. K. Staaten.
Recht zweckmäfsig würde es gewesen sein, wenn ia
einem Anhänge der nöthige Unterricht für das Klystier¬
setzen, die Application der Mutterkränze, der Blutegel, der
Einspritzungen in die Gebärmutter u. s. w. gegeben wor¬
den wäre, indem sich die Hebammen fast täglich diesen
Geschäften unterziehen müssen. Eben so hatte man durch
85
VIII. Zeitschriften.
einige Abbildungen diesen Frauen das Lernen sehr erleich¬
tern und ihrer Phantasie zu Hülfe kommen können, so wie
dies in dem Hebammenbuche für die preufsischen Staaten
geschehen ist.
VIII.
Zeitschriften.
1. Revue medicale fran^aise et £trang&re, et
Journal de Clinique de l’Hötel-Dieu et de la
Charite de Paris. Par une Reunion de Professeur«
de Facultes de Medecine, de Medecins et de Chirurgiens
des Iiöpitaux civils et militaires, de Membres de l’Acade-
mie Royale de Medecine. Tome premier. A Paris, chez
Gabon et Comp. 1825. 8. 502 pp. Janvier, 168 pp. Avec
une lithogr.
Die Pvevue medicale hat sich während der fünf Jahre
ihres Bestehens einen so ausgezeichneten Ruf erworben,
dafs man sie mit Recht den besten periodischen Schriften
beizählen kann. Beschränkten sich die Herausgeber früher
gröfstentheils auf die Kritik neuerschienener Werke, so
glauben sie diese jetzt durch die Verbindung mit der freie¬
ren Bearbeitung wichtiger Gegenstände beziehungsreicher
zu machen, befolgen also denselben Grundsatz, den wir
beim ersten Erscheinen dieser Annalen ausgesprochen ha¬
ben r). Höchstwichtig wird aber diese Zeitschrift durch
den Inhalt ihrer Originalabhandlungen. Die Aerzte fast
aller Krankenhäuser in Paris wie in den Provinzen haben
sich mit rühmenswerthem Gemeinsinn dazu verstanden, ihre
Beobachtungen und Untersuchungen, meistens von ih¬
nen selbst verfafst, in ihr niederzulegen. Diese machen
I) Btl. I. Vorrede, 5. 4.
86
\ III. Zeitschriften.
in jedem Ilefte den ersten Abschnitt aus, dem die Kritiken
neuer Werke, Nachrichten und Auszüge aus fremden Schrif¬
ten, Mittheilungen vermischten Inhalts aus den Vorlesungen
in der Academie de m£decine und den übrigen gelehrten
Gesellschaften in Paris, und endlich bibliographische Neuig¬
keiten folgen. Hie Mitarbeiter sind, für die Anatomie und
Physiologie: Bayle, Bourdon, Flourcns, Geoffroy-
Saint-H ilairc, Gerdy, Bibes, Serres; für die Chi¬
rurgie und Entbindungskunde: Bellanger, Delpech,
Duges, Larrey, Laurent, Lisfranc, Koux; für die
Pathologie: Andral d. S., Audouard, F. Be rar d,
Bouillaud, Coutanceau, Cruveilhier, Am. Hup au,
E s q u i r o 1 , F o n t a n e i 1 1 e s , G i r a u d y , 1 1 a r d , M i q u e 1 ;
für die Klinik: Cayol, Fizeau, Fouquier, Laennec,
Recamier, Bayle, Marliuet, Meriadec - Laennec;
für die Therapie and medicinische Chemie: Ali her t, Au-
drieux, Bousquet, Des portes, Double, Heller,
Julia, Lassaignc; für Hygieine und gerichtliche Mcdicin:
Bally, De Salle, Deslandes, Gase, Pariset, Pel¬
le tan d. S., Prunclle. Die Redaction wird von Am.
Dupau, Bousquet, Bayle und Mart inet besorgt.
Wie bei der Lancet werden wir auch hier nur das
W ichtige mittheilen. Ein 77 jähriger Apoplcctischer starb
im Hotel -Dien am elften Tage; man fand im rechten Sehe¬
hügel ein Blutextravasat von der Grüfse einer Nufs, das
sich wahrscheinlich im Augenblick des ersten Eintretens der
Krankheit gebildet hatte, und doch war in der linken Seite
keine Lähmung eingetreten ; nur die Empfindung war gleich¬
mäßig auf beiden Seiten um etwas abgestumpft. Dieser
Vorfall beweist, da Cs die Folgen eines selbst plötzlichen
Hirndrucks bedeutend von der Regel abweichen können,
und ist für die Diagnostik der Hirnkrankheiten von grofsem,
wenn auch nur negativem Werthe. — Bei einem andern
^ erstorbenen , der an vollkommener Hemiplegie gelitten
hatte, zeigte sich die entgegengesetzte Seite des Gehirns
erweicht. Wir müssen es hierbei rügen, dafs die Erwci-
VIIL Zeitschriften.
87
chung des Hirns *) (Ramollissement du cerveau), die doch
nur immer ein Ergebnifs der pathologischen Anatomie ist,
und mit den verschiedenartigsten Krankheitszuständen ver¬
bunden sein kann, von mehreren französischen Aerzten fast
zu den Rechten einer Krankheitsform erhoben wird, so
wie sie denn auch in einem Krankheitsverzeichnifs in dieser
Zeitschrift zwischen den Apoplexien und den Contusionen
der Brust steht. Die pathologische Anatpmie über die
Nosologie erheben, heifst dem Materialismus den Weg
bahnen!
Mit Glück wurde bei einer Ausschwitzung in Folge
von Pleuritis die Paracentese der Brust angewandt, und
zwar mehrmals wiederholt. Man bedient sich zu dieser
Operation im IIötel-Dieu eines sehr feinen Troakars, der
schon von Heister (II. Sect. IV. c. 108. §. 3.) empfohlen,
nachher aber lange Zeit vergessen war, bis Ch. Bell und
R u 1 1 i e r ihn wieder aufnabmen.
Recamier behauptet, die Ruhr entstehe allein aus
einer krankhaften Veränderung der Galle, des pankreati-
schen Saftes und der Darmsecrete. Die Entzündung der
Schleimhaut des Mastdarms soll nur secundar sein, so wie
die Rothe der Augenlieder von scharfen Thränen, der An¬
fang des Geb eis jederzeit im Colon sein, u. s. w. Eine
höchst einseitige Aetioiogie , in der weder die katarrhalische
Natur dieser Krankheit berücksichtigt, noch die Frage be¬
antwortet ist, warum noch viel schärfere .Secrete, als die
in der Ruhr, nicht dieselbe Reihe von Erscheinungen her¬
beiführen.
Die Ber Pachtung einer Durchlöcherung des Magens bei
einem sechzehnjährigen, bis dahin gesunden Menschen, ist
als Thatsache bemerkenswert!» , giebt aber für die Diagnose
dieses Uebels kein sicheres Resultat. Schwindel, anhalten¬
der Kopfschmerz und späterhin Delirium, gaben ein heftiges
1) Rechcrrlies sur le Ramollissement du cerveau. Par
Leon Rostan, Prof, de med. clinique. Sec. ed. Paris, 1823. 8.
83
VIII. Zeitschriften.
Hirnleiden tu erkennen; nach fünfzehn Tagen hatten diese
Zufälle einen sehr asthenischen Charakter angenommen; der
Kranke hatte sich sogar durchgelegen, aber kein Fieber
war bemerkbar, die Zunge rein und feucht, der Unterleib
selbst beim Druck schmerzlos, und verstopft. Tiefes Coma,
leichte Convulsionen , grofse Erweiterung der Pupillen, kal¬
ter Schweifs u. dergl. gingen dem Tode voraus, der am
siebzehnten Tage erfolgte. Die Erscheinungen im Gehirn
wraren unerheblich, und gaben keinen Aufscblufs über die
Natur der Krankheit; am obern Magenmunde fand sich aber
ein Loch vom Umfange eines Zweifrankenstücks mit einem
schwarzen Rande. Die benachbarten Theilc der Magen¬
häute waren ohne alle krankhafte Veränderung, so wie alle
übrigen Unterleibsorgane. Einige Unzen einer schwarzen,
gleich mäfsigen und fade riechenden Flüssigkeit waren im
Magen enthalten, und ungefähr noch einmal so viel davon
hatte sich in die Brusthöhle ergossen. (Noch hat bis jetzt
niemand einen Grund angeben können, warum hei Magen¬
entzündungen dei Kopf frei bleibt, während hei Rupturen
und Durchlöcherungen des Magens bedeutende Ilirnsymptome
bei geringem örtlichen Leiden entstehen , und das sympa¬
thische Leiden das idiopathische verdunkelt.)
Die Untersuchung einer entzündet gewesenen Leber
verdient wiegen der Seltenheit des Falles vollständig mitge-
theilt zu werden. Das Peritonäum auf der obern Flache
w'ar mit dünnen lymphatischen Häuten von gelblicher Farbe
bedeckt, deren beträchtlichste sich gegen das Ligamentum
supensorium hin erstreckte. Die Leber war sehr vergröfsert,
stieg bis über zwei Finger breit unter die falschen Rippen
hinab, und erstreckte sich bis in die Regio epigastrica;
aufserlich w'ar sie von gräulich -brauner Farbe, und in ih¬
rem Parenchym erweicht, so dafs sie sich leichter zerrei¬
ben und einschneiden liefs, als im normalen Zustande. In
ihrem Innern fanden sich eine unzählige Menge kleiner
Abscesse, von der Gröfse einer Erbse bis zu der einer
Haselnufs, die aber mit keiner Art der Lehergefätse Gemein-
VIEL Zeitschriften.
89
schaft hatten, und mit keiner innern Haut bekleidet waren;
die in ihnen enthaltene Flüssigkeit war gleichförmig, von
der Dicke des Eiters, und grünlich -gelb. An mehreren
Stellen zeigte sich die Leber marmorirt, indem röthere
oder blässere Streifen, von denen einige fast aus reinem
Blut bestanden, wie strahlenförmig verliefen ; überhaupt war
ihr Ansehn dem einer gebratenen Leber sehr ähnlich. Der
Lebergang war auf seiner innern Fläche roth, und enthielt
keine Flüssigkeit; die innere Haut der Gallenblase gesund,
die Galle aufgelöst und von grünlicher Farbe.
Vielfältige Versuche mit der Acupunctur ergaben sehr
entgegengesetzte Resultate ; Gefahr entstand von diesem
Mittel niemals, und die Erleichterung war oft sehr bedeu¬
tend. Etwas näheres über die seinem Erfolge günstigen
Umstände llefs sich indessen aus den angestellten Versuchen
um so weniger entnehmen, da man sogleich davon abstand,
wrenn es fruchtlos zu sein schien, oder den Kranken die
\ * •
Nadelstiche sehr schmerzhaft waren.
Eine Abhandlung über Sinnestäuschungen von
Ravle ist sehr anziehend und lehrreich, wenn wir auch
keine neuen Aufschlüsse über diesen vielbearbeiteten Gegen¬
stand erwarten können. Bekannt ist es, dafs Blödsinnige,
so wde überhaupt Irre mit stumpfer Einbildungskraft nie¬
mals in Sinnestäuschungen verfallen, weil eben eine Erhö¬
hung der letztem, mit einer gewissen Regsamkeit des Ge-
müths die Quelle derselben ist, und dafs Sinnestäuschungen,
die bei übrigens Gesunden häufig genug Vorkommen, un¬
mittelbar in wirkliches Irrsein übergehen, sobald sie die
freie Selbstbestimmung beherrschen und den Willen mit
sich fortreifsen. — In diesem ersten Theile des Aufsatzes
ist von den Sinnestäuschungen der Irren die Rede, und es
sind diese nach den einzelnen Sinnen eingetheilt. Wenn
ein sonst gesunder Mann plötzlich mitten im Zimmer eine
Spinne an einem Faden wahrnimmt, die wie Faust’s
Pudel zu einer riesenhaften Gröfse anschwillt, und den
Getäuschten endlich zur Flucht nöthigt, der sich aber doch
90
VIII. Zeitschriften.
dabei seiner Täuschung bewußt ist, so scheint liier, nach
lief. I eberzeugung, ein ähnlicher Zustand wie beim Alp¬
drücken zum Grunde zu liegen, wo man sich zuweilen
ebenfalls, bei vollkommenem Bewußtsein der Täuschung
im Halbwachen, doch der fratzenhaften Erscheinungen nicht
erwehren kann. Merkwürdig war es, dafs die Erscheinung
regelmäßig alle läge zu einer bestimmten Stunde wieder¬
kehrte, und dadurch ihren körperlichen Ursprung um so
mehr beurkundete. Hie Trennung der Einbildungskraft und
des Bewufstseins würde sich in dieser Beobachtung auffal¬
lend zu erkennen geben, wenn sie nicht außerdem schon
vielfältig bewiesen wäre. — Wie sehr nach unserer obi¬
gen Behauptung Regungen des Gemüths hei Sinnestäuschun¬
gen in Betracht kommen, geht aus einigen Beispielen ein¬
leuchtend hervor, wo ein plötzlich erwachtes Gewissen den
Anstofs gab. So hörte ein Sohn im Ausbruche des Zorns
* gegen seinen Vater den Zuruf, er solle schweigen, und als
er dennoch zu schelten fortfuhr, sah er einen Arm über
seinem Kopf einen Degen zücken. Als er schwieg, ver¬
schwand die Erscheinung augenblicklich, der Eindruck war
aber so tief, dafs sie sich auch späterhin befjeder Gelegen¬
heit wiederholte, wenn der Kranke zu sprechen anfing, und
er sich deshalb lange Zeit zum Schweigen verdammt sah.
Vielleicht geht hei keiner Nation eine so regsame und
phantasiereiche Leidenschaftlichkeit so in das Praktische über,
wie bei den branzosen; deshalb sind auch bei ihnen Fälle
von Sinnestäuschungen so häufig und so sehr charakteri¬
stisch. Ein im Dienste gekränkter Officicr sieht die Säule
auf dem \ endöme- Platz nicht, und verfällt von diesem
7 |
Augenblick an in völliges Irrsein. Ein anderer glaubt den
König auf dem Balcon der Tuilerien ihn zum Marschall
von Frankreich ernennen zu hören, und will sich einige
Tage darauf mit den Insignien seiner neuen AN iirde vor¬
stellen. An dergleichen Fällen ist diese Abhandlung sehr
reichhaltig. Täuschungen des Gefühls, wenn nicht mit andern
zusammenhängend, sind seiten, und immer mit Delirium ver -
VIII. Zeitschriften.
91
bunden , weil sie sich leicht yoii selbst widerlegen. lau-
schungen aller Sinne zusammengenommen, gehen leicht und
gewöhnlich in die höheren Formen des Irrseins, besonders
der Dämonomanie u. dergl. über. Fin vom \ erf. mit der
rühmenswerthesten Unverdrossenheit psychisch mit dem
glücklichsten Erfolge geheilter Fall der letztem bei einem
neunundzwanzigjährigen Mädchen, das noch überdies wegen
erblicher Disposition unheilbar schien, beweist wiederum
auf eine erfreuliche Weise, dafs der psychische Arzt im
Gemüthe seines Kranken den Anker seiner Behandlung su¬
chen mufs, und von hieraus. das scheinbar Unmögliche lei¬
sten kann. Der erste Schritt ist das A ertrauen , der zw eite
der Zweifel des Kranken, der dritte die Ueberzeugung!
Pellet ans d. S. Aufsatz über die Acupunctur
übertrifft Churchill’s Werkchen x) an Gediegenheit der
Beobachtungen und der Ansichten bei weitem. Nichts ist
bei dieser Operation wesentlicher, als ein längeres \erwrei-
len der Nadel im schmerzenden Theile. Man hätte hierauf
in Frankreich schon 1811 kommen können, als Berlioz
der Pariser medicinischen Gesellschaft einen I all mittheilte,
in dem nach langer Zeit nur palliativer Hülfe durch die
Acupunctur, endlich die Heilung eines chronischen Nerven-
übels erfolgte, als eine zu kurze Nadel im Zellgewebe des
Epigastriums sitzen geblieben war. Wiewohl man seine
Vorschläge, auch noch 1816, in welchem Jahre er sein
Werk über chronische Krankheiten herausgab, mit Unwil¬
len und Gleichgültigkeit aufnahm, so hatte er doch schon
die sichere Erfahrung gemacht, dafs bei schmerzhaften Kopf¬
leiden, so wie bei Schmerzen in Wechselfieberanfällen, das
Mittel erfolglos sei, dafs ein galvanischer Strom seine
Wirksamkeit befördern könnte, aber zugleich durch den
Rath, bei Scheintodten das Herz mit der Nadel anzustechen,
und vermittelst derselben den Galvanismus auf jenes ein-
wirken zu lassen , Widerwillen bei seinen Kunstgenossen
1) Bd. I. No. 11 S. 210.
92
VIfl. Zeitschriften.
erregt. Nächstdem heilte 11a im e einen hartnäckigen und
gefahrdrohenden Schluchzen mit der Acupunctur, und Ü Zi¬
el ard bewies, dafs man unbedenklich die wichtigsten Or¬
gane, selbst auch Nervenstämme und grofse Arterien ohne
bedeutenden Schmerz und Blutflufs durchstechen könne.
(Dies zeigte freilich schon die Analogie bei den so häufi¬
gen Beobachtungen verschluckter Nadeln , deren wunder¬
bare Wege doch nicht ohne die Verwundung wichtiger
Theile möglich sind, und in der angenommenen Durchgän¬
gigkeit des Zellgewebes doch nicht immer ihre Erklärung
finden.) B£clard machte indessen bei Kranken die Stiche
nicht tief genug, und iiefs die Nadel nur zwei Minuten
darin.
Jules Cloquet stellte im Ilöpital St. Louis neue
Versuche mit der Acupunctur an, die deswegen grofsen-
theils glücklich ausfielcn, weil er die Nadeln sehr lange
stecken liefs, und war sehr verwundert, beim Halten der
Nadeln mit den Fingern in diesen sowohl wie im ganzen
Arm, ein Gefühl von Einschlafen und selbst von Zusam-
menziehungen wahrzunehmen. Die W irkung der Acupunctur
schien sich darauf zu verstärken, als er den vorausgesetzten
galvanischen Einflufs der Nadeln durch galvanische Leiter
in Salzwasser vermehrte. Kurze Zeit darauf wurde nun
durch sehr feine Versuche mit trefflichen Galvanometern,
die von den Commissarien der Academie wiederholt, diesel¬
ben Resultate gaben, der galvanische Prozefs bei der Acu-
t $
punctur auf das unleugbarste von Cloquet und Pc Ge¬
tan bewiesen.
Wir fügen aus dieser trefflichen Abhandlung noch ei¬
nige wichtige Erfahrungssätze über die Acupunctur hinzu,
indem wir unmöglich alles mittheilen können: Die Art der
Einbringung der Nadel ist zwar im Ganzen gleichgültig,
ein sanfter und gerader Druck scheint indessen den Vorzug
zu verdienen. Der Stich ist kaum zu fühlen, wenn die
Nadel möglichst fein, spitz und polirt ist, w'ird aber mehr
oder weniger schmerzhaft, wenn eine dieser Eigenschaften
Yin. Zeitschriften.
93
fehlt. Stählerne Nadeln mufs man nach dem Gebrauch wie¬
der glühen lassen, denn sie krümmen sich leicht durch die
Wirkung der Muskeln, und könnten dann leicht zerbre¬
chen. Im Allgemeinen fühlt nur die Haut den Nadelstich;
in einem zusammengezogenen Muskel konnte man die Nadel
ohne allen Schmerz hin- und herbewegen. Der Stich hin-
terläfst nur einen kleinen rothen Punkt, der bald verschwin¬
det; dafs ein Tropfen Blut Riefst , ist höchst selten. Der
Stich in einen schmerzenden Theil kann sehr empfindlich
werden ; man mufs dies aber für ein Zeichen der W irksam-
keit der Operation ansehen, und die Schmerzen verschwin¬
den nach und nach, wenn man die Nadel stecken läfst. Zu¬
weilen entsteht ein rosenrother Hof um den Stich, der
aber mit den etwanigen Schmerzen, die dieser verursacht,
in keiner Verbindung steht, sondern fehlen kann, wenn
dieselben sehr heftig sind, und hei völliger Schmerzlosig¬
keit zuweilen sehr grofs ist. Vor fünf oder sechs Minuten
ist sehr selten eine Wirkung bemerkbar; gewöhnlich ver¬
schwinden die Schmerzen des leidenden Theils erst völlig
nach fünfzehn bis zwanzig Minuten, zuweilen sind selbst
dazu einige Stunden erforderlich. Mit diesem Schwinden
des Schmerzes steht die Verminderung und das Aufhören
des etwanigen Schmerzes vom Nadelstich in genauem Ver-
hältnifs. Diese Erscheinungen werden immer von einem
Gefühle von Einschlafen, wie von der Zusammendrückung
eines Nervenstammes begleitet. Wrenn ein einziger Nadel¬
stich einen Schmerz gehoben hat, so erneut er sich oft ei¬
nen oder mehrere Tage später, aber immer weniger heftig;
wird dann die Operation wiederholt, so wirkt sie noch viel
rascher und sicherer. Wenigstens Minderung der Schmer¬
zen erfolgt fast jedesmal, zuweilen verändern diese auch
die Stelle. Eine grofse Zahl von Stichen, mehrere Tage
hintereinander wiederholt, kann schmerzhafte Uebel voll¬
kommen heben, wenn auch zu Anfang kein Erfolg zu be¬
merken ist, und jederzeit ist die WTrkung der Acupunctur
augenscheinlicher, wenn die Stiche in der Nähe von Ner-
94
VITT. Zeitschriften.
venstämmen angebracht worden, die nach dem leidenden
Theile hin verlaufen. Der Sehmerz hört zuerst in den En¬
den der Nerven auf, und vermindert sich nach .und nach
gegen die Stämme hin. Grofse Nerven und Gefälse inufs
man, wie fcich von seihst versteht, vermeiden, wenn auch,
wenigstens sehr wahrscheinlich, keine Gefahr aus ihrer
Dürehsleehnng erwächst; sehr feine Nadeln kann inan ah et
ohne allen Schaden in Brust und Unterleib zu einer be¬
trächtlichen Tiefe einsenken. Vorzüglich wirksam hat sich
die Acupunetur bewiesen: 1) in den heftigsten Neuralgien
der Extremitäten, 2) frischhn heftigen Rheumatismen , und
.3) in Contusionen. — Gloqhet’s Beobachtungen im
Höpital St. Louis belaufen sich auf dreihundert, von denen
etwa nur in zwanzigen die Acupunetur ohne sichtbaren Er¬
folg blieb , und nur in einigen der Schmerz sich verstärkte,
in keiner aber sich irgend ein ilbeler Zufall zeigte, den
man den Nadelstichen hätte zuschreiben müssen, wiewohl
mitunter auch dicke Nadeln gebraucht worden sind. Einige¬
mal erfolgte hei späteren Versuchen unbedeutende Ohn¬
macht, an der die Furcht der Kranken den grÖfstcn Art-
t heil hatte, verschwand aber augenblicklich nach dem Aus¬
ziehen der Nadel. Mehrmals hat die Acupunetur selbst in
organischen und in solchen Uebeln , hei denen der Schmerz
nicht das wesentliche Symptom ist, wenigstens bedeutende
pSlliative Hülfe geleistet.
Höchstwich Hg ist die Oxydation der eingebrachten
stählernen Nadeln, und beweist die Richtigkeit von Clo-
quet’s Entdeckung, dafs der Galvanismus die eigentlich
wirksame Kraft bei der Acupunetur sei, auf eine sehr über¬
zeugende W eise. Ein Theil der Nadel, vorzüglich die
Spitze, ist blau angelaufen, wie aufgeglühter Stahl, was
doch nur Wirkung einer hohen Temperatur oder eines
bedeutenden galvanischen Stromes sein kann, und keinem
Kinflufs irgend einer Flüssigkeit auf den Stahl analog ist.
Die bläuliche oder graue oxydirte Oberfläche ist oft von
deutlichen nicht oxydirten Ringen mit hellem metallischen
VITI. Zeitschriften.
95
Glanze durchschnitten, was offenbar andeutet, dafs der gal¬
vanische Strom in der ganzen Lange der Nadel nicht von
gleicher Stärke gewesen ist. Uebrigens zeigen sich in die¬
ser Erscheinung viele Verschiedenheiten, und man hat zwi¬
schen ihr und den therapeutischen W irkungen der Acu-
punctur noch kein bestimmtes \ erhältnifs auffinden können;
die Oxydation schien nur bedeutender bei gröfseren Schmer¬
zen zu sein, und vielleicht, wenn die Nadel nicht mit ei¬
nem galvanischen Leiter armirt war. Auch kann man nicht
behaupten , dafs die Wirkung stählerner Nadeln gröfser als
der von irgend einem nicht oxydirbaren Metalle ist. Das
Anbringen eines galvanischen Leiters ist ganz überflüssig.
Nach diesen Thatsachen, für deren gründliche Erfor¬
schung den Herren Cloquet und Pelle tan der gröfste
Dank gebührt, ist die Anwendung der Acupunctur in Frank¬
reich schon bei weitem allgemeiner geworden, und eJ ist
zu hoffen, dafs die deutschen Aerzte ihren französischen
Kunstgenüssen in einem so rühmlichen Eifer nicht nachste¬
hen werden.
Unter den Mittheilungen vermischten Inhalts lesen wir
eine Lebensbeschreibung Von (Joseph Francois Louis)
D eschamps, der im fünfundachtzigsten Jahre (geh. den
14. März 1740) als Chirurgien en chef der Charite und
Mitglied des Instituts am 8ten December 1824 gestorben
ist. Er hat unter Moreau Chirurgie studirt, und erhielt
die erstgenannte Würde bereits im Jahr 1765. Sein vor¬
züglichstes Werk ist: Traite bistorique et dogmatique de
l’bperation de P tadle. Paris 1796, 97. 4 Voll. 8. Es ent¬
hält keine wesentlichen Verbesserungen der Operationsme¬
thoden, ist aber als Fundgrube für die Geschichte des Stein¬
schnitts von grofsem Werthe.
Sein Leichenredner, der berühmte Percy, ist ihm
am 18ten Februar 1825, einundsiebzig Jahre alt nachge¬
folgt. Seine Lebensbeschreibung werden wir baldigst in
der Revue medicale erhalten.
Ein dritter, besonders für die Pariser l niversität sehr
96
VIII. Zcitscliriftcp.
‘ * % " ,
empfindlicher Verlust ist der von B^clard. Er starb ain
löten März als Professor der Anatomie, im ncununddrcifsig-
sten Jahre. Sein jüngstes W erk über allgemeine Anatomie
sichert ihm für immer einen bedeutenden Nachruhm. (Kle¬
mens d’ Anatomie generale, ou description de tous
les genres d’organes qui composent le corps humain. Par
P. A. Beclard, d’Angers, Prof, d’anat. a la Fac. de Par.
Paris ls Xi. S.)
Da wiederum Roux als Erfinder der Gaumennath ge¬
nannt wird, so ist es hier geeignet daran zu erinnern, dafs
Gräfe diese Operation bereits im Jahr 1816 mit Erfolg
ausgeübt, und 1820 ausführlich beschriehen hat *), die
Ehre der Erfindung also den Deutschen gebührt.
Fevrier. 167 pp.
Eine Abhandlung über die Geisteskrankheiten, von
Bayle, zum Theil gegründet auf eine reiche und wohl-
geordnete Erfahrung, eröffnet dies zweite Stück der Revue
medicale. Sie ist besonders durch Untersuchung der orga¬
nischen Verhältnisse ausgezeichnet, und vor allen legt der
Verf. grofsen V\ erth auf die chronische Meningitis. Das
Wesentliche seiner freilich noch keinesweges gültigen An¬
sichten läfst sich in folgende Lehrsätze zusammenfassen :
1) Die chronische Meningitis ist die nächste Ursache etwa
des fünften Theils aller Geisteskrankheiten bei den Männern,
und nur des dreifsigsten bis fünfunddreifsigsten bei den
Weibern. (Doch wohl nur eine wichtige entfernte Ur¬
sache, sonst müfste man ja auch eine Exostose der Hirn¬
schale für die nächste der Epilepsie erklären.) 2) Sie wird
gewöhnlich durch eine plötzliche oder allmahlige Blutcon-
gestion nach den Gefäfsen der weichen Hirnhaut hervor-
gebracht.
1) Grafe und ▼. Walther, Journal der Chirurgie und
Augenheilkunde. Bd. I. St. 1. 1820.
( B eschlufs folgt.)
Lilterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825.
<$ > «' '**■ n <J>> ir <*$% <r5 n
N° 39.
VIII.
Zeitschriften.
1. Revue m edicale fran^aise et etrangere, et
Journal de Clinique de 1’ Hotel-Di eu et de la
Charite de Pa ris etc. Paris, 1825. 8. Fevrier.
(Besch l u f s. )
3) Sie fangt auf der innern Oberfläche der Ara-
chnoidea an, von wo sie sich über diese ganze Haut ver¬
breiten kann ; sie beschränkt sich aber immer auf die Con-
vexität und die innere Fläche der Hirnhemisphären, so wie
auf die Hirnhöhlen, ohne bis zur Grundfläche des Gehirns
zu gelangen. 4) Sie durchläuft gewöhnlich drei Perioden,
nämlich a) der ßlutcongestion nach der weichen Hirnhaut
mit Reizung der innern Oberfläche der Arachnoidea, b) der
Entzündung der letztem, und c) der serösen Ausschwiz-
zung. Diese Perioden geben zu eben so vielen entspre-*
chenden Perioden des Irrseins Veranlassung, nämlich a) der
Monomania ambitiosa, mit einigen Zügen unvollkommner
Lähmung, b) d ’ Mania, und c) der Dementia mit Sym¬
ptomen der Lähmung. (Diese Eintheilung ist viel zu künst¬
lich, um wahr zu sein; auch kann ja der Beweis der aus¬
gedehnten Wirksamkeit der Meningitis chronica nicht so
überzeugend geführt werden, als Hr. B. zu glauben scheint.)
5) Das Irrsein hängt in dieser Krankheit beständig von
der Reizung ab, die die entzündete weiche Hirnhaut und
Spinnewebenhaut vauf die Rindensubstanz des Hirns ausüben.
6) Die Monomania ambitiosa der ersten Periode und die
7
II. Bd. 1. St.
YIII. Zcftsc brüten.
• w
98
Vorstellungen von GrüOse und Reichthum während des gan¬
zen Verlaufes der Krankheit falleu immer uul einer anhal
tenden Blutcongestion nach den Gefäfsen der welchen Hirn¬
haut, verbunden mit einer Reizung der innern Oberfläche
der Spinnewebenhaut zusammen. (? Es ist auffallend, wie
dies doch so niedrig gestellte Organ nach Martinet’s und
Duchatelet’s uifreifer Arbeit bei vielen fraiizüsisclidVi
Aerzten zu solcher Wichtigkeit hat emporsteigen können.
In der That scheint die Broussa issche Gastroenteritis
den Glauben an die Wichtigkeit der Arachnitis vorbereitet
zu haben.) 7) Die leichten Symptome unvollkommener Läh¬
mung in der ersten Periode deuten auf einen durch die
Blutcongestion veranlafsten Hirndruck. S) Die Aufregung
in dieser ersten Periode ist die Folge von secund'arer Rei¬
zung des Gehirns durch ,das Leiden der innern Fläche der
Arachnoidea. (liier liegt eine grofce Verwechselung von
Wirkung und Ursache zum Grunde!) 9) Das allgemeine
Delirium in der zweiten Periode, und die mehr oder min¬
der heftige Aufregung, die cs begleitet, zeigen an, dafs die
Rteizung des Gehirns (es ist unter dein Ausdruck Reizung
immer die wohlbekannte Irritation zu verstehen) und folg¬
lich (?) auch die Entzündung der Arachnoidea sehr lebhaft
sind. 10) Eine sehr heftige und anhaltende Aufregung
wird oft durch sehr starke entzündliche Thähgkeit liervor-d
gerufen, die auf der Oberfläche der Arachnoidea eine
eiweifsartige Ausschwitzung herbeifuhrt 11) Krampfhafte,
blinde und nicht zu bändigende Wuth, tägliche oder drei¬
tägige Anfälle davon, so wie der Epilepsie ähnliche Paro-
xysmen hängen von einer secundären Entzündung der Ober¬
fläche des Hirns ah, das sich rn seiner äufsersten Lage er¬
weicht , und Verwachsungen mit der Pia matcr und der
Arachnoidea in einer beträchtlichen Ausdehnung eingeht.
12) Ocrtliehes oder allgemeines Zittern, Sehnenhüpfen,
häufige Gonvnlsionen , Zähneknirschen , Steifheit der Glie¬
der, Starrkrampf, Gontrarturen , Zittern mit Contraeturen
verbunden, hängen ebenfalls von einer secundären Entzün-
\ III. Zeitschriften.
99
dang der grauen Ilirnsubstanz ab, die aber in geringer
Ausdehnung statt findet. 13) Apoplectische Anfälle, die
in der dritten Periode so häufig Vorkommen, entspringen
fast immer aus einer plötzlichen Blutcongestion nach den
Gefäfsen der weichen Hirnhaut und des Gehirns, sehr sel¬
ten aus serösen Anhäufungen, und niemals aus einem Blut¬
flusse des Gehirns. 14) Aufhören oder Verminderung des
aufgeregten Zustandes, beträchtliche Schwächung der Ver¬
standeskräfte, und unvollkommene allgemeine Lähmung, Zu¬
fälle, die man in dem ersten Stadium der dritten Periode
beobachtet, sind Zeichen eines Hirndrucks, der an und für
sich von einer serösen Ausschwitzung unter die Arachnoi-
dca, die Pia mater und in die Iiirnhöhlen abhängt. 15) So
zeigt auch eine V ermehrung der Lähmung und der Demen¬
tia eine entsprechende Verstärkung des Hirndrucks an.
16) Stupidität mit Vernichtung der Geisteskräfte und allge¬
meine, fast vollkommene Lähmung, ist die Folge von Hirn¬
druck und also auch von seröser Extravasation in den höch¬
sten Graden. — (Die Kritik findet in den meisten dieser
Aussprüche eine grofse Einseitigkeit zu rügen. Hr. Bayle
versichert zwar, sie auf den Grund von zweihundert Beob¬
achtungen gethan zu haben, und ersucht seine Leser, ihr
Urtheil noch bis zum Erscheinen seines Werkes über die
Hirnkrankheiten zurückzuhalten, kann sich aber doch von
dem Vorwurfe nicht befreien, durch farbige Gläser gesehen
und einigen Vorurtheilen der Zeit angehangen zu haben.
Unsern Lesern überlassen wir gern die Beurtheilung des
Einzelnen.)
Bei einem an Hydrophobie nach dem Bifs eines wahr¬
scheinlich tollen Hundes verstorbenen Lastträger in Nantes
hat Am. La en n ec, Arzt des dortigen Hotel -Dieu, an der
Basis des Zungenbändchens eine Ecchymose vom Umfange
einer grofsen Linse, und mit schwarzem, aufgelösten, cx-
travasirten Blute gefüllt gefunden. Siebenundzwanzig Tage
vergingen vom Bifs- bis zum Ausbruch der Wasserscheu;
von da an erfolgte der Tod in drei Tagen. Die Zufälle
100
VIII. Zeitschriften.
waren äufserst acut, und auffallend ist es, dafs der Kranke
am dritten Tage seines tüdtlichcn Uebels die Wasserscheu
mit einigem Kampfe überwand, und sich den Durst mit
einem Glase Wasser und rothem Wem löschte, was doch
nur zu Knde des ausgebildeten letzten Stadiums der Krank¬
heit Vorkommen soll. Bei der Section zeigte sich eine be¬
deutende venöse Illutanhäufung im Kopfe. Die Beobachtung
genügt übrigens nicht in jeder Rücksicht, und cs ist nicht
wohl verantwortlich, dafs die Chirurgen des genannten
Hospitals bei dringendem Verdachte der Tollheit des Hun¬
des die gewöhnliche Vorbeugungskur nicht angewandt, son¬
dern die zahlreichen Bifswunden des Verletzten zugchcilt
haben.
1 lecker»
2. Journal der praktischen Heilkunde. Herausge-
geben von C. W. Hufeland und E. Osann. LX. Bd.
3. Stück. Marz 1825. Berlin, bei G. Reimer. 8. 144 S.
Der erste, in diesem Hefte befindliche Aufsatz, enthält
praktische Bemerkungen über den beschleunigten Puls von
Dr. Moritz Ernst Adolph Naumann. — ■ Bei allen,
sonst noch so sehr von einander verschiedenen Krankheits¬
zuständen, behauptet der Verf. , findet ursprünglich entwe¬
der vermehrter, oder verminderter Zuflufs des Blutes nach
einem, oder zugleich nach mehreren einzelnen Theilen statt,
oder es ist örtliche Blutstockung und Störung, ja wirkliche
örtliche l nterbrechung des Kreislaufes vorhanden, oder das
^ crhältnifs des Blutumlaufs ist sowohl in Hinsicht auf ein-
zc-lne 1 heile, als aufs Ganze, merklich gar nicht verändert
worden. Ein fünftes 'S erhältnifs, aufser den genannten, ist
nicht möglich, indem alle übrigen Abweichungen in der
Circulation, auf den drei erstgenannten Veränderungen be¬
ruhen und aus denselben abgeleitet werden können. Von
der beschleunigten Circulation und den dadurch im Kreis-
VIII. Zeitschriften.
101
laufe hervorgebrachten Veränderungen ist hier nun insbe¬
sondere die Rede. Der Verf. stellt zuvörderst allgemeine
Betrachtungen hierüber an, und sodann besondere über die¬
jenigen Veränderungen, welche der Kreislauf erleidet, nach¬
dem die Organe verschieden sind, in denen die Circulation
primär beschleunigt wurde.
Ist der Zuflufs des Blutes nach einem Organe vermehrt
worden, so werden zunächst die in dasselbe führenden Blut-
gefäfse häufiger entleert, und machen ein rascheres Ein¬
strömen des Blutes aus den Stämmen in die Zweige, und
aus diesen in die kleineren Ramificationen nothwendig. Es
dehnt sich mithin die örtlich bedingte Beschleunigung der
Circulation sehr bald über die Gränzen der unmittelbaren
Einwirkung aus, indem der innerhalb eines sehr kurzen
Zeitraums seines Blutes sich entledigende arterielle Haupt¬
stamm des gereizten Organs auf den nächst gröfseren Ge-
fäfsstamm zurückwirkt, als dessen Ast er selbst betrachtet
werden mufs. Wie daher letzterer innerhalb einer gege¬
benen Zeit, einen verhältnifmäfsig gröfseren Antheil von
Blut in sich aufnimmt, als die übrigen Aeste, in denen
gleiclnvohl kein Grund für die Verminderung der Circula¬
tion obwaltet, so begründet er auch eine häufigere Entlee¬
rung des zunächst gröfseren Gefäfsstammes, und so ver¬
breitet sich dieselbe rückwärts, endlich bis zum Herzen,
und begründet in diesem Organe häufigeren Wechsel zwi¬
schen Systole und Diastole, häufigeren Herz- und durch
denselben häufigeren Pulsschlag im ganzen Arteriensysteme. —
In dem ursprür glichen Sitze der örtlichen Beschleunigung
entsteht eine allgemeinere Verbreitung des Blutes, eine ge¬
steigerte Thätigkeit der Capillargefäfse und Bildung einer
gröfseren Anzahl von Wegen, auf denen das Blut in und
durch das Organ hindurch getrieben werden kann. Dem¬
nach erhält in demselben der Blutumlauf eine immer grö-
fsere innere Ausdehnung, und gewinnt mit zunehmender
Häufigkeit des Pulses an Extensität. Sind auf diese Weise
die Capillargefäfse bis zu einem gewissen Grade ausgedehnt
%
10U VIII. Zeitschriften.
worden, so erweitern sich ebenfalls die ihnen zunächst ste¬
henden arteriellen Gefaßte, und die Menge des bei jedem
Pulssrhlnge durch diese zahlreicheren Gcfafsapparate hin¬
durchgetriebenen Hlirtes, bedingt die Rückkehr einer ver-
hältnilsmäfsig gröfseren BUitwelle zum Herzen, so dafs die¬
ses bei jeder Diastole eine grüfserc Quantität von Blut in
sich aufhehmen mufs, welche es, seinerseits, bei der Systole
in die Pulmonalarterien , und endlich durch die Aorta in
das übrige arterielle System treibt. Dadurch mufs eine
grüfserc Ausdehnung der Gefäfse begründet werden, wes¬
halb denn auch, unter sonst gleichen Umstanden, der häu¬
figere Puls mehr oder weniger an Gröfse zuzunehmen
pflegt, u. s. w.
Die verschiedenen Organe des Körpers einzeln durch¬
gehend, bemüht sich sodann der \ erf. zu zeigen, was für
Veränderungen in der Uireulalion überhaupt und in den
Verrichtungen der Theile, durch die in jenen eingetretene
Beschleunigung des R4utunilaufs hervorgebrticbl werden müs¬
sen, und lälst hierauf noch eine Angabe der Ursachen der
beschleunigten Circulation folgen. —
Wir wurden diesen Aufsatz lieber fibersehrieben ha¬
ben: Theoretische Betrachtungen über den be¬
schleunigten Puls; denn schwerlich mochte für die Praxis
irgend ein Gewinn daraus hervorgehen. Auch ermangeln
die Annahmen des \ erf. häufig des nur aus der Erfahrung
hcrzvmehmcnden Beweises fiir ihre Richtigkeit, so wie der¬
selbe auch mitunter den innigen Zusammenhang zwischen
dm verschiedenen 1 heilen des Organismus,' und noch mehr
zwischen denen eines, und desselben Systems (hier des Blut-
gefäfssystcins) übersehen zu haben scheint, welcher schwer¬
lich solche örtliche Störungen von der beschriebenen Art
in dein Rlutumlaufe nachweise# lassen möchte r).
1 ) Man vergleiche hierüber des Herausgebers Yersurh
einer neuen Ansicht der semiotischcn Pulslehre in Horub,
Y\ agncr’s etc. Archiv für medicinifche Erfahrung, 1&£1. St. 3.
VIII. Zeitschriften.
103
In dem füllenden Aufsätze: «Die Heilkunde unserer
Zeit und deren Bedürfnis, » ^ei^t der Verf., Herr Dr. l i-
ßclicr zu Dresden, wie man bei der Bearbeitung der Heil¬
kunde stets in die entgegengesetzten Extreme, rohen Em¬
pirismus und speculirenden Dogmatismus, gerathen ist, wie
Empirie und Speculation gleich nothwendig sind zur For¬
derung unserer Wissenschaft, und wie man denn auch jetzt
beide, jedoch mit grosserer Hinneigung zur Empirie, mit
einander zu verbinden sucht. Zugleich ermahnt er die deut¬
schen Aerzte zu grösserer Selbstständigkeit, und Y\.iml voi
der zu weit getriebenen Nachahmungssucht und Anhäng¬
lichkeit an das Fremde, besonders vor der Angtomanie. —
Mochten nur die deutschen Aerzte wirklich selbstthäligei
werden, so dafs sie im Auslände weniger Nachzuahmendes
fanden! - " ‘ • '•
Schätzenswert!» ist der nun folgende « Beitrag zur Kennt¬
nis des' Wiener Kinderkranken Instituts, vom Kreisphysieus
Dr. Th. M; Brosius zu Steinfurth — Derselbe hatte ein
volles Jahr lang (18|4) das Glück, den täglichen Ordina¬
tionen im Kinderkrankeniiistitule des Hrn. Dr. Goelis hn
zuwohnen, und ein halbes Jahr hindurch seihst das Oidi
nationsbuch zu führen. Die dort gesammelten Bemerkungen
llieilt er hier dem ärztlichen Publikum mit, und es möchte
um so gröfseres Vertrauen zu denselben gehegt werden
können, da er sein Tagebuch dem Sanitätsrath Goelis, hei
seinem Abgänge vorgelegt, und von ihm mit völliger Bei-
st immun g wiedcrerhalten hat. Wer aus Erfahrung weiü,
wie schwierig die Kinderpraxis ist, wie es eine ganz andere
Bewandtnifs mit ihr hat, als mit der Praxis bei Erwachse¬
nen, wie man sonst ein tüchtiger praktischer Arzt sein
kann, ohne eben in der Kinderpraxis zu excelhren, der
wird dem Verf. für seine Miltheilungen gewifs vielen Dank
S. PH, und Beiträge zur semiotischcn Pulslehre, m Iluie-
lanü’s und Osann’s Journal der praktischen Heilkunde , 1821
August. S. 10.
104
VIII. Zeitschriften.
wissen. — Der Aufsatz eignet sieb, Ja er fast nur aus
Aphorismen besteht, zu einem Auszuge nicht; doch kann
lief, sich nicht enthalten, Einiges auszuheben und mit eini¬
gen Bemerkungen zu begleiten.
Zwei Drittheilc aller Kinderkrankheiten sind inflamma¬
torischer Art; daher mufs man in der Kinderpraxis sehr
behutsam mit reizenden Mitteln sein, und öfters, besonders
in zweifelhaften Fällen, ein gelindes V erfahren beobachten.
Bei der Pneumonie giebt Goelis hauptsächlich Ni¬
trum. Bef. halt die gleichzeitige Anwendung von Blutegeln
für unentbehrlich. — Bei der Angina membranacea möchte
noch ein grüfseres Gewicht auf Brechmittel zu legen sein,
und zwar auf recht kräftige, aus Brechweinstein und Ipe-
cacuanha. Das häufig gegebene Vinum stibiatum wirkt un¬
sicher, und erregt oft nur Purgiren. Die von Goelis
gleichfalls empfohlenen Blasenpflaster müssen nur zeitig und
grofs genug gelegt werden; sonst erfolgt ihre 'Wirkung zu
spät und zu schwach. — Zu dem was über die Inflain-
matio medullae spinaus, und weiterhin über den Hydrops
spinae dorsl gesagt wird, wären die Diagnose bestätigende
Sectionsberichte w iinschenswerth gewesen. — Was der
Verf. über den eigenthümlichen, trüben, nicht fixirenden
Blick, die ganze Physiognomie und Haltung der hydrocc-
phalischen Kinder anführt, ist aus der Natur gegriffen; je¬
doch kann Bef. nicht mit ihm übereinstimmen, wenn er
behauptet, dafs die häufigste Ursache des Hydrocephalus
acutus, Contusioncn des Kopfes, Erschütterungen des Ge¬
hirns durch Fall, Stofs u. s. w. seien. Aufser einer eigen¬
thümlichen Anlage, war es Bef. häufig nicht möglich, ir-
geud eine 'S eranlassung auszumitteln.
Nach den entzündlichen Krankheiten handelt der Verf.
dann noch von Brust- und Unterleibskrankheiten unter¬
schiedlicher Art, von den Wassersüchten und den Scrofeln,
und deren verschiedenen Krankheitszuständen. Die Fort¬
setzung wird folgen, und wir sehen ihr mit Verlangen
entgegen.
VIII. Zeitschriften*
105
Aus dem Tagebuche eines reisenden Arztes sind ferner
Bemerkungen über den Kurort Pfäfers in der Schweiz mit-
getheilt. Die Lage des Ortes soll höchst romantisch, aber
für die Bequemlichkeit der Badegäste nur schlecht gesorgt
sein. Das warme, verschiedene Salze enthaltende Wasser,
soll rein belebend wirken, und weniger die Stuhlauslee¬
rung, als andere Se- und Excrctionen des Körpers beför¬
dern. Ausführlicher handelt darüber J. A. Kaiser in sei¬
ner Schrift: Die Heilquelle zu Pfäfers; ein historiscli-.topo-
graphischer und heilkundiger Versuch. Chur, 1822.
In den kurzen Nachrichten und Auszügen folgen dann
noch: Einige Bemerkungen über die Ausübung der Medi-
cin in England, vom Unterzeichneten, ein Bruchstück aus
der nächstens erscheinenden ausführlicheren Schrift dessel¬
ben über die Medicinalanstalien und den jetzigen Zustand
der Heilkunde in Grofsbritannien und Irland. — Fer¬
ner: Untersuchungen und Erfahrungen über das Hermanns¬
bad zu Muskau in der königl. preufs. Oberlausitz. II er mb -
städt zählt dasselbe zu den reichhaltigsten Eisenquellen. —
Den Beschlufs machen eine Erinnerung von Hu fei and an
die heilsame (erweckende) Wirkung des Galvanismus bei
der Schlafsucht; — die Vermuthung desselben, dafs die
durch die Vaccination bewirkte Sicherung vor den Men¬
schenpocken in manchen Organismen mit den Jahren ihre
Kraft verlieren könne, — und endlich Miscellen preufsi-
scher Aerzte aus den vierteljährlichen Sanitätsberichten, be¬
treffend: den Nutzen des Kirschlorbeerwassers bei Hypo¬
chondrien von Abdominalverstopfungen, — eine Entzün¬
dung der lymphatischen Gefäfse der Brust, — Bubonen,
ohne vorhergegangene örtliche Infectionssymptome, — und
merkwürdige Zufälle von zurückgetretener Milch.
Wagner ,
3. Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Her¬
ausgegeben von den Professoren der chirurgisch- medici-
106
\ 111. Zeitschriften.
löschen Academie in Dresden, I). 1). Carus, Ghou-
lant, Fi rin us, Franke, Kreysig, Ohle, K aschig,
K eich cnb ach , Seiler. Rand I\. Urft 1. Dresden,
bei Arnold. 1825. 8. 168 S.
U'eber AVas’ser scheu und llündswuth; von Dr.
G. F. Rüchheim, Stadtphysicus zu Rautzcn. Nach Nor
ahschickung zweier Kraul heitsgeschichten , w eiche in sofern
\on \\ ichtigkeit" sinu, als in dem einen Falle die Wasser-
I ° 7 <
sehen durch den Rifs cincS jungen, gesunden, erst vor drei
Tagen "gekauften und an die Kette gelegten Hundes ent¬
stand, in dein andern aber erst nach neun AN orhen die
AN uth ausbrach , geht der \Terf. zu rilfgemeinen Reflexionen
über fliese Krankheit* über, und hebt die vor dem Ausbruch
r *
der Krankheit in beiden Fallen wahrgenömfnenen Symptom^
hervor, welche der Reflex des Leidens derjenigen Gebilde
sein sollen, durch welche das AN oihglft seinen AVcg sich
bahne, bevor es in diejenigen Orgaiic eindririgen könne,
die hei der ausgebrorhehen AVass ersehen io ihrer Function
sich vorzüglich beeinträchtigt zeigen. Zu jenen N orimten
gehörte eiiie ungewöhnliche Fiircht.saüikeit und Kleimnüthig
keil, ein heftiger Durst, Trockenheit* der Haiit, silberweiße
Zunge, blasser Urin mit einem loderen, schleimigen Sedi¬
ment, welches sich gleich einem Nebel über den Roden
des Glases horizontal ausbreitete, und das Krbrcrhcn von
grünlicher Galle, das etwas Periodisches zu haben schien.
Hinsichtlich der ITzeugung dieser Krankheit glaubt Ilr. R.,
dafs schon der Rifs eines bösen und erzürnten Hundes zur
Fr/.cugung der Wasserscheu hinreichc. ( AVcllbckanhl !
Der an die Kette gelegte, junge Hund wurde aber nach
dem Risse nicht näher beobachtet, sondern sogleich erschos¬
sen.) Kein animalisches Gontagiuin soll sich rein durch sich
aus dem organischen Lehen entwickeln können, sondern
entferntere Momente müssen zur Frzeugung desselben als
mitwirkerid angenommen Werden, ln sofern nun die Dumis-
wuth in gewissen Landein häufiger beobachtet wird, und
dieselbe bisweilen epizootisch erscheint, müssen auch tcllu-
VIII. Zeitschriften.
107
rische Momente zur Erzeugung dieser Krankheit das ihrige bei¬
tragen. Ohne sich nun weiter auf die Art dieser Potenzen ein-
zulassen , bemerkt Hr. B. nur, dals die (nicht trauspirirende i )
Haut vorzüglich das Organ sei, auf welches dieselben einwirken
können, und dafs die Wasserscheu und Hundswuth auf eine
Störung der Thätigheit der Haut gegründet und durch die
gleichzeitige Kränkung der obern vegetativen Gebilde be¬
dingt sei. Aus den Störungen dieser Gebilde keimt und
entwickelt sich nun die vollendete Krankheit, welche auf
einem besonderen und eigenth tunlichen Leiden des Gehirns
und der Respirationsorgane beruht. Das Wuthgift äufsert
seine Ansteckungskraft nur auf die Haut, versetzt dieselbe
in eine eigene krankhafte Stimmung , erstirbt dann und wird
durch die Entzündung und Eiterung von dem Körper aus¬
geschlossen. Dieser Ansicht zufolge bezweifelt der A erf.
auch die Meinung derer, die da glauben, dafs die Natur
sich durch die W uthbläschen unter der Zunge, die er bis¬
her noch nicht zu beobachten Gelegenheit hatte, des Gif¬
tes zu entledigen suche, und dafs die Wasserscheu dann
erst ausbreche, wenn das hier eingeschlossene Gift nicht
zerstört, sondern in den Körper wieder aufgenommen
werde. Die Heilung der ausgebrochenen Wasserscheu halt
Ilr. B. für unmöglich, indem dieselbe auf Störungen sol¬
cher Gebilde beruhe, die in sich geschlossen den unmittel¬
baren Einwirkungen der Arzneimittel unzugänglich seien,
und wir weder die normale noch die krankhafte Thätigkeit.
dieser Organe ihrem Wesen nach kennen. Nur, wenn
diese Krankhei: noch im Aufkeimen begriffen ist, und in
Organen wurzelt, welche im Bereiche der Arzneikuns’t lie¬
gen, kann sie ein Gegenstand der Behandlung und hii den
Arzt heilbar sein. Eine jede Behandlung in diesem Zeit¬
räume mufs auf das primär -gekränkte Gebilde, die Haut,
gerichtet sein. (Eine praktische Folgerung, wie sie nicht
sein soll. Wo ist hier die unerläfsliche Richtigkeit der
Prämissen und ihre Begründung auf unzweifelhalte Natui-
beobachtung?)
108
VIII. Zeitschriften.
Aufser der örtlichen Behandlung der gebissenen Stelle
durch Liquor aminonii causticus, Bat) rum antimonii, durch
das Ausbrennen der W unde mit Schiefspulver, mit dein
glühenden Kisen, werden Diaphoretica, als Liquor anunonii
acetici, Badix Vaierianae (?), Angelicac, Serpentariae, i.am-
j)her, Flores Sambuci, Arnicac und warme Bäder zweck-
mäfsig sein. Auch Pulvis Doveri und Belladonna nur m
sofern, als diese eine besondere YY irkung auf die Haut
äufsert, und deren krankhafte Thätigkeit umstimmt. llat
das Wuthgift schon tiefer in das organische Leben einge¬
griffen, und sind die Gefäfse schon alTicirt worden, so die¬
nen Diuretica, als: Melde majalis, Cantharidcn u. s. w.
Leiden die vegetativen Gebilde schon mit, und offenbaren
sie ihre Störung durch die Aussonderungen , so sind die
Brech - und Purgirinittel an ihrem Platze. Auch das Calo-
mel hält der Yerf. für ein wichtiges Mittel, um die Krank¬
heit von der vegetativen Seite aus zu bekämpfen, und
schliefst seinen Aufsatz mit folgenden Worten: « Glück¬
lich wird demnach der Arzt in der Behandlung der Was-
« serscheu und Wuth sein, welcher die krankhaften Stö¬
rungen, aus denen sich dieselben entwickeln, genau
« beachtet und ihnen die zweckmäßigen Mittel den jedes-
«c maligen Erfordernissen gemäfs zeitig anzupassen sucht. ”
(Welcher Contrast zwischen dem Wesen der Aufgabe, die
Natur des furchtbaren Uebels zu ergründen, und diesem
leeren alltäglichen Gemeinplatz! Warum schreibt man doch
immer so viel über die W asserscheu , ohne etwas besseres,
als das Alte zu wissen?)
lieber Hydrorrhoea der schwängern Gebär¬
mutter; von Dr. F. L. Meifsner in Leipzig. In der
Dissertation des Ilrn. Dr. J. B. Geil (De Hydrorrhoea
uteri gravidarum, I Icideib. 1822.), auf welche, da sie die
Erfahrungen Nägel e’s enthält, Hr. Dr. Mayer im llorn-
schen Archive, 1823. 2. II. aufmerksam gemacht hat, wird
der Liquor amnios spurius zum Theil von dem Vorhanden¬
sein des von Fried und Böhmer beobachteten Ovum
VIII. Zeitschriften.
109
subventaneum , in den meliresten Fällen aber von einem
zwischen der inneren Fläche der Gebärmutter und der äus-
sern des Chorions befindlichen Exsudat, von einer AV ass er¬
sucht der Gebärmutter, hergeleitet. Dieses Exsudat soll so
lange durch den angeschlossenen Muttermund zurückgehalten
werden, bis es durch seine Quantität den Widerstand be¬
siegt, oder durch irgend eine äufsere Veranlassung hervor¬
getrieben wird. Die Ursache soll in einer durch Plethora
der Uteringefäfse bedingten reichlichem Secretion, mit
welcher die Thätigkeit der resorbirenden Gefäfse nicht
gleichen Schritt halte, begründet sein. Obgleich nun Hr.
Dr. M. das Vorkommen dieser pathologischen Erscheinung
während der Schwangerschaft nicht läugnen will; so be¬
merkt er nur, dafs zur Ueberzeugung von dem Gegentheile
dieser Behauptung nur eine aufmerksame Untersuchung der
Eihäute nach der Geburt gehöre, wo man denn finden
würde, dafs bei der Hälfte aller Nachgeburten eine voll¬
kommene oder theilweise Trennung der Eihäute statt finde,
zwischen welchen die falschen Wässer befindlich seien.
Auch habe man zuweilen Gelegenheit zu beobachten, dafs
ein doppelter Blasensprung vor sich gehe. Dieser Behaup¬
tung über die Entstehung der falschen Wässer zufolge,
kann auch in diesen Fällen von keiner Behandlung die Rede
sein. —
Ueber Densue, ein chinesisches Arzneimit¬
tel; von Dr. Ficinus. Dieses Arzneimittel, auch Tinsue
genannt, welches gegen Wassersucht empfohlen wird,
kommt in der Gestalt walziger Stängelchen von einem hal¬
ben Zoll Dicke und einigen Zollen Länge, mit weifser
und auch braunrother Farbe vor. Das dem Hrn. Dr. F.
vorliegende Präparat zeigte eine schmutzig - ziegelrothe
Farbe, roch stark nach Moschus, schmeckte beifsend und
scharf; hatte ein specifisches Gewicht bei 16 Grad Reaum.
von 2,675. Mit dem Messer geschabt, zeigte es immer eine
gelbrothe Masse mit eingestreuten dunkeln Punkten. Ge¬
ruch, Geschmack und Schwere deuteten darauf hin, dafs
110
A III. Zeitschriften.
es Dinge aus der Thierwelt sowohl , als «ins der Pflanzen¬
welt uud dem Mineralreiche enthalte. Die eingestreuten
Punkte hält Ilr. F, für Moschus. Die Scharfe ist wahr¬
scheinlich vegetabilischer Natur. Pin Gramm, fein gerie¬
ben,. init Weinjgeist digerirt, gab einen hellen Auszug, der
nach «1er Wrdampfung einen Rückstand von 0,060 Gr. von
durchsichtiger, brauner Farbe Und moschusartigem Geruch
zurir.ckliefs. Aelher nahm einen harzähnlichen Sloff auf,
der nicht krystallisirle und 0,015 Gr. betrug. Pr löste
sich im Wasser mit gelblicher Farbe auf* desgleichen im
kaustischen Salniiakgcisle , im W eitigfiste und Aelher, aber
gar nicht im Mandel- oder Terpentlunüle. Der Geschmack
dieses Stoffes war scharf und brennend, wie von Daphne
Mezereum, dauerte längere Zeit an, und wurde am schnell¬
sten durch Lüjuor anodynus weggen ojuuaen. Eine alkalische
Beactiou wurde auch nicht bemerkt.
Das vom Aelher Zurückgelassene war Extractivstoff
zr: 0,005 Gr., im W asscr auflöslub. Einige Kr^lalle
0,010, die der Ilr. \ crf. fiir schwefelsaures Ammoniak
halt, sonderten sich ab.
Der trockene* im Alkohol unlösliche Rest lieferte mit
kochendem Wasser ein gummiges Exlract von 0,070 17 r. ,
das ebenfalls nach Moschus roch.
Die übrigen mit diesem Arzneimittel vorgenommenen
Prüfungen führten zu keiner nähereij Kenntnifs der consti-
tuirenden Bestandteile desselben. — |
Beobachtung schädlicher \Vi rkun gen auf den
Genufs der Barbeneier; vom Begiincntsarztc Damm
in Bautzen. Zwei Kinder halten Barbeneicr genossen, und
wurden hierauf von heftigem Erbrechen und Golikschmer-
zen befallen, welche Symptome durch einige Tassen Gha-
millcntliee wieder beseitigt wurden. Dasselbe widerfuhr
noch zv ei anderen erwachsenen Personen, ilie von den sei-
*
ben Eiern gegessen batten. Der Meinung der Fischer je^icr
Gegend nach, denen die schädlichen Wirkungen auf den
Genufs der Barbeneicr bekannt waren, sollen die Pier «lieser
VIII. Zeitschriften. ' 111
Fische, so wie der Hechle, nur während der Streich¬
zeit dieser Thicre diese nachteilige Wirkung zeigen.
li — 7\
4. Journal der Chirurgie und Augenheilkunde;
herausgegeben von C. F. Gräfe und Ph. v. W a Ith er.
Band VII. Heft 1. Berlin, bei G. lleimer. 1825. 8. 172 S.
Mit einer Kupfertafel.
Hie Heilung eines vieljährigen Blödsinns durch Aus¬
rottung der Clitoris ist für die praktische Medicin von ho¬
her Wichtigkeit, und gereicht dem ungenannten Arzte Ber¬
lins, der sich der Behandlung der rettungslos scheinenden
Kranken unterzog, zur gröfsten Ehre. Hubois hat, wenn
Bef. sich nicht irrt, zuerst die Idee angegeben, durch die
genannte Operation die Nymphomanie zu heilen, und es
sind glückliche Erfolge seines Verfahrens bekannt gewor¬
den, das indessen, gewisser Bedenklichkeiten wegen, keinen
grofsen Nachahmungseifer erregt hat I). Der gegenwärtige
Fall ist kürzlich folgender: Die Kranke wurde im Jahr 1807
gehören, und entwickelte sich bis zum vierzehnten Monat
als ein gesundes kräftiges Kind. In dieser Zeit wurde sie
einem erschütternden schädlichen Einflüsse ausgesetzt. Ob
dieser nun darin bestanden habe, dafs die Amme sie wäh¬
rend eines Nervenfiehers an die Brust legte, oder ob das
Kind vielleicht n den Geschlechtsteilen gekitzelt worden
ist, w^as Bef. wahrscheinlicher vorkommt, indem durch diese
scheufsliche Gewohnheit der Wärterinnen die Kinder zu
beruhigen, sehr oft der Grund zur Onanie gelegt wird,
kann leider nicht ausgemacht werden. Acht Monate lang
1) R. Thoraas, Modem Practice of Fhysic, exhibiting
tlie Characters, Causes , Symptoms, Prognoslics , morbid Appca-
rances , and improved Method of treating the Diseases of all
Clirnatcs. 7 th. cd. London, 1821. 8.
1 12
VIII. Zeitschriften.
war darauf das Kind fieberhaften Durchfällen, mit Erbre-
eben, dazwischen kommender Verstopfung u. dergl. Zufäl¬
len unterworfen, und erholte sich erst einigermaafsen nach
dem zweiten Jahre, blieb aber in seiner Entwickelung so
weit zurück, dafs es erst mit dem vierten Jahre gehen
konnte, gar nicht sprechen lernte, und die Spuren des
Blödsinns sich nur zu deutlich offenbarten. Die verschie¬
denartigsten und eingreifendsten Behandlungen, auf die es
hier nicht ankommt, wurden von mehreren Aerzten ohne
allen Erfolg eingeschlagen. Der Blödsinn schritt unaufhalt¬
sam fort, so dafs die Kranke bis unter den thicrischen Zu¬
stand hinabsank, Koth verschlang, und halbe J age hindurch
mit herausgestreckter Zunge und geiferndem Munde in den
Ecken hockte. So ist sic auf der beigegebenen Kupfertafel
abgebildet.
Heilung schien den erfahrensten Aerzten unmöglich,
um so mehr, da sie sich auf keine frühere Geistesentwicke¬
lung gründen konnte, und der frühe Ursprung des Uebels
im Dunkel lag. Der ungenannte Arzt übernahm die Be¬
handlung der Kranken in ihrem vierzehnten Jahre, und
bemerkte bei ihr zuerst einen unersättlichen Trieb zur
Selbstbefleckung, die sie bei Tag und bei Nacht, gröfsten-
theils durch Reiben auf den Stühlen und mit den Schen¬
keln ausübte. Dies Ileilungsobjekt wmrde sogleich ergrif¬
fen, indem es augenscheinlich war, dafs der furchtbare kör¬
perliche Geschlechtsreiz die Zerstörung des Geistes wenig¬
stens unterhielt. Demgemäfs wurden die Indicationen rieh-
tig gestellt, und man suchte vor allen Dingen durch ein
auf den After gelegtes stachlichtes Leder die Kranke vom
Sitzen abzuhalten, in welcher Stellung sie die Selbst-
hefleckung am meisten ausiibte. Auch eine Zwangsjacke
wurde des Nachts angelegt, und um einen ableitenden ört¬
lichen Schmerz zu erregen, der Scheitel mit dem glühen¬
den Eisen tief eingebrannt, worauf aber erst in sechs
Wochen die Eiterung eintrat.
(Itcschlu/s folgt.)
I
Litterarische Annalen
' der
gesammten Heilkunde.
^ ^'jp>r -i -Y V ^ ^ -fy r^Yir Jyjr 'jtyv
No 40.
VIII.
Zeitschriften.
4. Journal der Chirurgie und Augenheilkunde;
herausgegeben von C. F. Gräfe und Ph. v. Walther.
Band VII. Heft 1. Berlin, 1825.
(Beschluss.)
Kalte Eebergiefsungen auf die Wunde, bis zu acht Eimern,
Eintröpfelungen einer starken Brechweinsteinauflösung in
dieselbe, wurden zu Hülfe genommen, und es zeigte sich
danach einige Besserung, die aber doch mit diesen kräftigen
Mitteln in gar keinem Verhältnisse stand. Man war viel¬
mehr bald genöihigt, zu Brechmitteln und der Douche seine
Zuflucht zu nehmen. Zehn Gran Brechweinstein waren
anfangs zur Wirkung erforderlich, und man mufste bald
fast bis zu einem Skrupel steigen. Endlich, im fünfzehn¬
ten Jahre der Kranken, fafste der Arzt den Entschlufs,
nach dem Beispiele der Franzosen als Radicalmittel die Ex¬
stirpation der C .ioris anzuwenden, welche Operation denn
auch nach Beseitigung aller Bedenklichkeiten, am 20sten
Juni 1822, in Heutschla nd zum ersten Male von
Gräfe ausgeführt wurde. Die Wrunde verheilte bald, und
die Wirkungen des eingeschlagenen Heilverfahrens übertra¬
fen selbst die kühnsten Erwartungen. Der Trieb zur Selbst¬
befleckung war wie abgeschnitten , und nur noch aus alter
Gewohnheit zeigten sich dann und wann einige Regungen
dazu. Der gänzlich unentw ickelte und in schweren Banden
bis dahin gehaltene Geist war jetzt frei, und die Erziehung
ir. Bd. i. st. 8
114
'S III. Zeitschriften.
konnte beginnen, die denn auch nach drei Jahren so weit
gediehen war, dafs die Genesene, wenn auch nicht voll¬
kommen, sprechen, lesen, zählen, einen Theil des Einmal¬
eins hersagen, mehrere Handarbeiten verrichten, und sogar
leichte Stücke auf dem Fortepiano spielen konnte. Sie ist auf
dem besten Wege, die Spuren ihres vieljährigen Uebcls noch
ganz zu verwinden, und auffallend war es zu sehen, wie
sie hei dem allmähligen Erwachen der menschlichen Matur
den Charakter der Kindheit ganz übersprungen zu haben,
und ihrem äufsern Wesen, so wie ihren Neigungen nach
auf einmal in ihr späteres Alter eingetreten zu sein schien.
Musik macht auf sie einen lebhaften Eindruck, und ist ein
wahrer Hebel ihrer geistigen Erziehung.
Für diejenigen Aerzte, die die Selbstbefleckung ab¬
sprechend für unfähig erklären, ein psychisches Leiden her¬
vorzurufen, enthält dieser Fall eine wichtige und überzeu¬
gende Lehre. Mochte er auch dazu auffordern, die Exstir¬
pation der Clitoris gegen Nymphomanie Erwachsener recht
oft in Gebrauch zu ziehen. Die Bedenklichkeit, dafs da¬
durch die Kranken zeugungsunfähig werden, ist unerwie-
sen , indem ja zum Geschlechtsreiz noch die Nymphen und
der Muttermund übrig bleiben, und wenn sie auch erwie¬
sen wäre, so überwiegt sie unseres Bediinkens doch wohl
die psychische 'S italindication , den zur Thierheit hinabge¬
sunkenen Menschen zur menschlichen Natur wieder empor¬
zuheben.
Der zweite, sehr umfassende Aufsatz: «Prüfung der
französischen Augenheilkunde in Vergleichung mit der deut¬
schen,” vom Dr. v. Ammon, ist nicht wohl eines Aus¬
zuges fähig, sondern verdient im Original gelesen zu wer¬
den. Die Leser mögen sich selbst überzeugen, mit wel¬
chem Scharfblick und mit welcher seltenen Sachkenntnis
der Verf. zu Werke gegangen ist, und ihm für den Be¬
weis Dank wissen, dafs sich die Augenheilkunde allein bei
den Deutschen zu höherer, weder von den Franzosen noch
den Engländern erreichter Vollkommenheit entwickelt hat.
IX. Dissertationen.
115
was die Yerkleinerungssucht des Eigenen und die Nachsicht
gegen das Mangelhafte, sobald es nur einen fremden Namen
trägt, nur zu oft zu verkennen geneigt ist.
Dr. Basedow liefert zu Boy er ’s Abhandlung über
die Strictura ani spastica im Dictionaire des Sciences medi-
cales, deren Uebersetznng er vorausschickt, einige nachträg¬
liche Bemerkungen und Krankengeschichten. Allerdings ist
diese Krankheitsform in Deutschland noch wenig bekannt,
wiewohl sie die Aufmerksamkeit der Aerzte in hohem Grade
verdient. Y\ as aber die durch den Namen angedeutete
krampfhafte Natur des Uebels betrifft, so liegt hier offen¬
bar eine unzulässige Verwechselung von Krampf und Con-
tractur zum Grunde, krankhaften Zuständen, die doch so
weit von einander verschieden sind r).
Hecker .
Dissertationen.
I. Der Universität Berlin.
12. De Chirurgia infusoria. Diss. mang. chir. med.
auctore Henri c. David. Jonas, Regiomontan. Def.
d. 10. Mart. 1825. 8. pp. 40.
Nach Scheel, dem klassischen Geschichtschreiber der
Infusion und Transfusion, ist es zwar eine schwierige Auf¬
gabe, in der historischen Darstellung derselben noch irgend
etwas Bedeutendes zu leisten; der Verf. stellt indessen, ohne
noch zu eigenen Versuchen Gelegenheit gehabt zu haben,
mit sorgfältiger Benutzung des S ch eel’scben Werkes und
mit genauer Angabe der Quellen, das geschichtlich Wissens-
1) \ergl. Bd. I. Nr. 7. S. 99 dieser Annalen.
8*
116
IX. Dissertationen.
würdige so zusammen, dafs seine Abhandlung sehr leseni-
werth ist. I)aCs nach Scheel, Magnus Pegelius (1593
oder 1604) der wahrscheinliche Erfinder der Infusion
und Transfusion ist, hatte wenigstens angegeben werden
müssen.
Worauf es jetzt ankommt, das sind nicht Versuche mit
der Infusion an Thiercn, die hier zu keinem praktischen
Resultate führen können, sondern an gesunden oder an
chronischen Krankheiten leidenden Menschen, indem wir
mit der Wirkung der einfachsten Stoffe noch bei weitem
nicht im Klaren sind.
13. De Inflammatione hepatis. Diss. inaug. med,
auctore Aemil. Groos, Guestphal. Def. d. 19. Mart.
1825. 8. pp. 22.
11. De Telae cellularis induratione. Diss. inaug.
med. auctore Frideric. ßaermann, ßunda- Guestphal.
Def. d. 21. Mart. 1825. 8. pp. 27.
Eine seltene Beobachtung chronischer nach Erkältung
entstandener Zellgewebeverhärtung bei einem sechsjährigen
Knaben, die mit Angabe aller wissenswerthen Umstände
gut erzählt ist, macht diese Dissertation sehr schätzbar.
Die Krankheit verschwand nach dem Gebrauche lauwarmer
Seifen- und Kleienbäder, so wie diaphoretischer Mittel , bis
auf unbedeutende Spuren.
15. Monstri vitulini Descriptio anatomica. Diss.
inaug. med. auctore Joseph. Herzberg, Berolinens.
Def. d. 26. Mart. 1825. 4. pp. 9. Uuin tab. aen.
Ilecher.
117
IX. Dissertationen.
II. Der Universität Göttingen.
1 riderici Pauli Rheno-Bavari Dr. Commentatio pliy—
siologico - chirurgica de \ulneribus sanandis, in cer-
tamine litterario civiiun Academiae Georgiae Augustae
die IN. Junii 1824. praemio ornata. Gottingae, typis
Dieterichianis. 1825. 4. pp. 120.
"V orliegende Abhandlung zeichnet sich durch den an¬
gewandten Fleifs in der Benutzung der Schriftsteller, durch
eine wohlgetroffene Anordnung, so wie durch Sorgfalt und
Emsicht in den angestellten Beobachtungen sind Versuchen
\ortheilhaft aus. ln unserer Anzeige müssen wir uns nur
auf den Hauptinhalt beschränken, und diejenigen, welche
sich über diesen Gegenstand historisch und praktisch ge¬
nauer unterrichten wollen, auf die Schrift selbst verweisen.
Die Heilung aller W unden wird in die Reunion und
in die Regeneration eingetheilt. Diejenige Vereinigung, wo
gar keine Eiterung statt findet, und die in 12 bis 24 Stun¬
den erfolgt, solle man Reunio per adhaesionem, die aber,
wobei Granulation vorhanden ist, Reunio per granulationem
oder per suppurationern nennen. Die Meinung, dafs zer¬
schnittene Gefäfse sich wieder vereinigen, wird für falsch
erklärt; cs wäre dies wegen der Zurück- und Zusammen¬
ziehung der Arterie und des sich bildenden Coagulums nie
möglich. Eben so wird die Annahme von J. Hunter,
g fs das Blut das erste Vereinigungsmittel bei den Wund-
rändern abgebe, verworfen. Die Bildung ganz neuer Ge¬
fäfse sah der Verf. in seinen Versuchen bestätigt. Jedoch
bestehen, nach seinen Beobachtungen, nicht alle diese Ge¬
fäfse beständig fort, sondern es bleiben nur so viele, als
zur Ernährung der jenseits einer Narbe gelegenen Theile
nöthig sind. Bei der Darstellung der einzelnen Systeme
des Körpers, um deren Verhalten bei der Reunion zu zei¬
gen, ist die Anordnung Me ekel ’s in dessen allgemeiner
Anatomie befolgt. Das Schleimsystem sei dasjenige, wel¬
ches sich am leichtesten und beinahe einzig und allein rc~
118
IX. Dissertationen.
producire. Hinsichtlich der Wunden des Gefafssystems
tritt der Yerf. , gestützt auf seine Versuche, den Behaup¬
tungen von J. Y. Petit, Haller, Jones und Bt'clard
bei. Hie Meinung Arneman’s, dafs bei der Reunion
der Nerven keine Zwischensubstanz nöthig sei, wird für
falsch erklärt, und narhgewiesen , dafs die Zwischensubstanz
blofs Zcllgeyvebe sei. Beacbtungswerth ist die Erfahrung des
Yerf., dafs Wunden, in denen ein Hauptnerv durchschnitten
worden, schneller heilen, als dieselben ohne A erletzung des
Nerven. I)afs die Heilung gewisser Knochenbrüche nicht
durch Gallus erfolgen könne, wie behauptet worden, er¬
klärt der Yerf. fiir unrichtig, und schreibt die mifslungene
Heilung dem schlechten V erbande zu. — Mehrere der be¬
kannt gemachten Beobachtungen , dafs nämlich völlige, vom
Körper getrennte Knochenstücke wieder vereinigt werden,
dürfe man nicht geradezu als unrichtig verwerfen, denn der
Yerf. sah ein Stückchen, das er mit der Trepankrone einem
Hunde herausgenomiuen und wieder eingesetzt hatte, wirk¬
lich eingeheilt. Hemungeachtct glaubt er, dafs diese Re¬
union nicht organisch sei, und dafs jenes Stück blofs me¬
chanisch feslgehalten hätte“. Die gleiche Meinung hegt er
von den eingesetzten Zähnen. — Bei einfachen Knorpel-
wunden fand er die neue Zwischensubstanz immer aus einer
blofsen zeitigen Membran bestehend. W undlläclien fibröser
Häute wachsen, nach des Yerf. Beobachtungen, nie wieder
zusammen, sondern stets au die nächstgelegenen Theile an.
Zerschnittene Sehnen würden durch eine compacte zcllige
Zwischensubstanz vereinigt, w elche weder die Structur noch
die Glätte der Sehncnfasern besitze. Die Zwischensubstanz
nach Muskelwunden fand er wie Arneman und Schnell
nicht irritabel, die zerschnittenen Muskeln aber brüchig. Kr
sah Muskelwunden, so gut wie Wunden anderer Theile
durch die Prima intentio heilen, wenn nur der gehörige
Verband angelegt worden war. — ln Betreff der W unden
des serösen Systems stimmt der Yerf. Dupuytren bei,
der immer beobachtete, dals W und flächen dieser Theile mit
IX. Dissertationen. 219
♦
den benachbarten zusammenwachsen. Hautwunden heilen
nicht unmittelbar durch Reunion zusammen, sondern es
bilde sich eine Zwischensuhstanz , woher denn auch die nie
vergehenden Spuren der Narben. Eben so verhalte es sich
mit Drüsenwunden. — Reunionsversuche von zusammenge¬
setzten Gebilden, die ganz vom Körper getrennt waren,
gelangen dem Verf. nie.
Der zweite Hauptabschnitt beschäftigt sich mit der Re¬
generation, oder mit demjenigen Vorgänge, wo gleichfalls
neue Masse erzeugt wird, jedoch in gröfserem Umfange,
als bei der Reunion. Die Granulationsbildung erschien im¬
mer zugleich mit der Eiterung; der eine Prozefs gehe dem
andern nicht vorher. Die aus blofsem Zellgewebe und Ge-
fäfsen bestehende Strnctur der Granulationen beobachtete
er sehr häufig sowohl mit dem Microscop, als durch das
Ritzen mit dein Scalpell. Einzeln wird die Granulation
nach Form, Farbe, Gröfse, Festigkeit, Zusammenhang,
Warme, Sitz, Dauer, Lebensthätigkeit , Contractilität und
Sensibilität durchgegangen. Die Ansicht Thomson’s, dafs
jedes Granuium seine eigene Arteria centralis habe, theilt
der Verf. nicht. In cellulösen Theilen kämen sie am schnell¬
sten und leichtesten hervor, und je kleiner sie seien, desto
besser wäre der Zustand der Wunde, Die Granulation
communicire nicht mit dem andern Zellgewebe; ihre Zell-
chen schienen fest untereinander verwachsen, was der Verf.
häufig beobachtete, wenn er Luft unter die Haut blies.
Die Wärme darin ist stets vermehrt, oft um zwei bis drei
Grade. Sie besäfsen Gefäfse aller Art, selbst resorbirende,
welches theils durch Vergiftungen der Thiere von den
Wunden aus, theils durch das oft schnelle Verschwinden
der Granulation bewiesen wird. Contractilität und Sensi¬
bilität wird ihnen zugeschrieben. Hierauf schildert der Verf.
das Verhalten der einzelnen Systeme bei der Regeneration.
Nie hat er nach der Unterbindung der Carotiden, welche
er mehrere Male vornahm, gefunden, dafs, wie Mauno ir,
Parry und Mayer in Bonn versichern, neue Geläfse sich
120
IX. Dissertationen.
erzeugten. Schon Jones bemerkte gegen Mauno ir, dafs
die für neu gehaltenen Gefäfse Llofse Rami collaterales der
alten wären. Eine vollkommene Reproduction der \enen,
wie solche F. C. Richter annimmt, giebt der Verf. nicht zu.
Der Abschnitt über die Regeneration der Nerven ist sehr
ausführlich abgehandelt, und dabei besonders Nannoni
widerlegt. Der Verf. erklärt sich ganz und gar gegen die
wahre Regeneration der Nerven. Auch die Regeneration
des Gehirns sei unvollkommen. Ueber die Regeneration
der Knochen stimmt er beinahe ganz Weidmann bei.
Knorpel würden nicht regenerirt, sondern es erzeuge sich
nur eine cellulöse Membran. Eben so wenig fand er je¬
mals wahre Sehnen, sehnige Häute oder Muskeln regene¬
rirt. Die serösen Iläute würden gleichfalls blofs durch eine
feinere cellulöse Membran ersetzt. Von der Haut würde
allein das Rete Malpighi wieder erzeugt. Den Schlufs ma¬
chen mehrere Eeobachtungen , welche der Verf. im chirur¬
gischen Hospitale anzustellen Gelegenheit hatte, so wie
eine Reihe von Versuchen an lebenden Thieren, welche
dem früher Gesagten zur Bestätigung dienen. —
Möge der Verf. seine praktische Laufbahn so glücklich
und ehrenvoll beginnen, als er durch diese Schrift seine
academische vollendet!
Marx.
III. Der Universität Prag.
De Gastromalacia et Gastropathia infantum. Au-
ctore Franc. Xav. Ra misch. Pragac, typis Somme-
rianis. 1824. 8. pp. 120.
Ein jeder Beitrag zu der Litteratur der gallertartigen
Erweichung des Magens, wodurch die Aufmerksamkeit des
ärztlichen Publikums auf diese proteusartige Krankheit ge¬
steigert und somit der Forsch ungsge ist angeregt wird, muff
IX. Dissertationen.
121
willkommen sein, wenn er auch nur eine Sammlung der
bisher bekannt gewordenen Erfahrungen enthalten sollte.
Der Yerf. , der Gelegenheit gehabt hat, im Kinderho«pitaIe
zu Prag unter dreiundvierzig Leichenöffnungen von Kin¬
dern bei neun derselben die Perforation des Magens in
Folge der gallertartigen Erweichung zu bemerken, wählte
dieses Thema zum Gegenstände seiner Dissertation, und hat
es sich angelegen sein lassen, alles darüber bisher bekannt
gewordene, in vielen Zeitschriften und Abhandlungen zer¬
streute zu sammeln, zu ordnen, und so eine Monographie
auszuarbeiten , die jedem Arzte, der sich mit der in Rede
stehenden Krankheit näher bekannt machen will, gewifs
sehr erwünscht sein wird.
Mit dem Begriffe « Gastropathia », der Eigenthum des
Yerf. ist, soll der Pvellex, das Krankheitsbild, wodurch das
örtliche Leiden, die Gastromalacia , in die Erscheinung tritt,
an^edeutet werden. YVenn man einzelne Krankheitsformen
näher bezeichnen will, so mufs der neue Begriff wo mög¬
lich auf das YYesen des Leidens hindeuten, und nicht auf
eine Menge anderer Krankheitsformen, die wegen ihres
häufigeren Vorkommens diesen Namen weit eher verdienen
möchten, sich beziehen lassen, weil sonst nur zur Verwir¬
rung Anlafs gegeben wird. Da aber den bisherigen Erfah¬
rungen zufolge die Natur der gallertartigen Erweichung
noch nicht bis zu dem Grade erforscht ist, dafs man der¬
selben einen bestimmten Platz in den nosologischen Syste¬
men anweisen könnte, sondern die bisher hierüber ausge¬
sprochenen Ansichten nur gehaltlose Theorien zu nennen
sind; so kann auch noch von keiner näher bezeichn enden
Benennung die Rede sein, und man wird sich einstweilen
noch mit dem von Henke zuerst gebrauchten Namen
«Gastromalacia» begnügen müssen, weil dieser Begrill
auf den im Magen obwaltenden pathologischen Prozefs nä¬
her hinweist, und auch für diese Krankheit in jedem ande¬
ren Alter des Lebens, wie bekanntlich Camerarms,
Kade, Balme, Ailhaud, Reil, Cruveilhier, Chaus-
122
IX. D isscrtationen.
sier und Lcnhossek nachgewiesen haben, gebraucht wer¬
den kann.
In der ersten AbtheOung, welche die Pathologie der
Gastromalacie zum Gegenstände hat, führt der \erf. die
Symptome der als einfach erscheinenden Krankheit nach
Jager, Armstrong, Gruveilhier und Fleisch mann
auf, und unterscheidet nach ersterem eine acute und chro¬
nische Form, von welcher letzteren er mit Gruveilhier
zwei Perioden annimmt, und giebt dann die Complieatio-
uen, mit welchen die Krankheit den bisherigen Frfahrungen
zufolge aufgetreten ist, an. In einem besonderen Abschnitte
wird die Bemerkung gemacht, dafs man in vielen Fallen
durchaus keine Symptome wahrnehme, welche eine Bezie¬
hung auf das Magcnleiden hätten, und dafs, wie Cru-
veilhier, Jäger, \ est und Lenhossek so häufig zu
bemerken Gelegenheit batten, -das ganze Krankheitsbibi auf
eine Afleetion des Gehirns hindeute '). Dieser Umstand
verdient nach Ref. Meinung in gerichtlicher Hinsicht eine
besondere Aufmerksamkeit; denn bei einem plötzlichen Tode
in Folge dieser Krankheit würden die vorangegangenen ab¬
normen Erscheinungen der Gehirnfunction und das bei der
Obduction in den Höhlen dieses Organs Vorgefundene Was-*-
ser sehr viel zur gehörigen 'W ürdignng der im Magen sich
darbietenden pathologischen Veränderungen beitragen, und
im Verein mit diesen einen jeden Verdacht auf eine etwa
vornngegangene Vergiftung gänzlich verdrängen. Ref. glaubt
daher nicht, dafs der Verf. zu voreilig gehandelt hätte,
wenn die der Gehirnaffertion angehörigen Symptome mit
unter die diagnostischen Merkmale seiner Gastropathie auf¬
genommen worden wären, da in der Mehrzahl der bisher
beobachteten Fälle nicht nur eine Reizung des Gehirns,
sondern selbst ein vollkommen ausgeprägter Jlydroeephalus
acutus bemerkt wurde, dessen Gegenw-art der Sections-
1) Hiermit wdlle inan den merkwürdigen, oben S. 87 er-
täblten Fall vergleichen.
IX. Dissertationen.
123
befand bestätigte. So sehr der Verf. sich auch bemüht,
den Reflex der Gastromalacic recht ans Licht zu stellen,
und die Unterscheidungsmerkmale derselben von andern
Krankheiten der Kinder., als der Diarrhöe, dem Erbrechen,
der Cholera, der Colik, Unterleibs- und Magenentzündung,
dem meseraischen Fieber u. s. w. anzugeben, so möchte
doch mancher Arzt bei gehöriger Würdigung aller dieser
Momente während der Section sich häufig getäuscht sehen
und ganz andere Resultate bekommen, als er erwartete.
Denn eben so häufig als die Krankheit unter der Form der
Encephalitis exsudatoria auftritt, stellt sie sich als Lungen-
affection dar, die sich selbst bis zur Entzündung zu stei¬
gern pflegt, und nicht selten, wde die Beispiele von Jä¬
ger, Chaussier, Laisne, Rhades und anderen bewei¬
sen, für die Todesursache gehalten wurde. Den bisherigen
Erfahrungen zufolge giebt es noch keine diagnostischen und
wesentlichen Merkmale der gallertartigen Erweichung des
Magens, ja es ist sogar noch nicht ausgemacht, ob über¬
haupt diese Krankheit ein primäres Leiden sei, welches den
Grund zu seiner Entstehung im Magen hat, der nun durch
sein inniges Verhältnis zu den übrigen Hauptorganen diese
in Mitleidenschaft zieht, oder ein secundäres, welches durch
krankhafte Zustände anderer entfernt liegender Gebilde , als
des Gehirns, der Lungen, der Milz und Leber, welche
letzteren ebenfalls nicht selten pathologische Erscheinungen
bei der Obduction darboten, herbeigeführt werde.
Wenig Gewicht hat der Verf. auf das heftige Erbre¬
chen gelegt, welches durch Zerreifsung der Magenwände
einen oft plötzlich eintretenden Tod zur Folge hat. Die
kalten Extremitäten, das alimählige Verschwinden des Pul¬
ses, die Auftreibung des Unterleibes, die kalten Schweilse,
das Zusammenfallen des Gesichts nach einer so stürmischen
convulsivischen Bewegung des Magens lassen gewöhnlich
mit grofser Sicherheit auf die Perforation dieses Organs
und auf eine baldige Auflösung schlielsen. — Die patholo¬
gischen Veränderungen, weiche bei der Section vorgefunden
124
IX. Disscrt ationcn.
werden , hat der Vcrf. zwar ziemlich vollständig zusammen-
gestellt und die Beschaffenheit der Magenhäute herausge¬
hoben, aber zu wenig Gewicht auf das Trichterförmige
der Bücher gelegt, welches, wie Lenhossek mit I\echt
bemerkt, ein Ilauptunterscheidungszeichen von den Folgen
einer Vergiftung abgiebt, hei der die Auflösung der Magen¬
wände sich gleichinäfsig auf alle Häute erstreckt, während
die Erweichung in der Schleimhaut des Magens beginnt,
hier am weitesten um sich greift und mit geringerer ln-
und Extensität die Muskelhaut, und vielleicht gar nicht das
Bauchfell in Mitleidenschaft zieht.
Mit vieler Belesenheit handelt der Verf. die Aetiolo-
gie des Uebels ah, fuhrt die verschiedenen Meinungen von
IS ich er z, de Wind, Bai me, Ailhaud, J. Hunter,
Adams, Otto, Baillie, Vetter, Bur ns, Gruikshank,
Jäger, Rhades, Zeller, G oedecke und Ilarlefs auf,
und widerlegt die Ansicht Hu nt er ’s, zufolge welcher der
Magensaft nach dem Tode auf den Magen corrodirend ein¬
wirken soll.
J)er Verf. glaubt, mit Flei schm ann und G oedecke,
dafs die Milz eine Bolle spiele, ohne sich jedoch hierüber
näher auszulassen oder den Theorien dieser beiden Aerztc
vollkommen beizupflichten. Aufserdem nimmt er noch mit
Ilarlefs einen gereizten Zustand an, der im Anfänge der
Krankheit obwalten, in den kleineren Gefäfsen eine Tur-
gescenz des Blute3 bewirken, und die Erscheinung eines
dichten Netzes verursachen soll. Bef. möchte die Anfül¬
lung der Gefäfse und das Hervortreten des Gcfäfsnetzes in
der Umgegend der sich erweiphenden Stelle für eine pas¬
sive Gongestion halten, die die Folge der örtlich geschwäch¬
ten Organisation ist, wie man dasselbe auf der Haut zu
beobachten Gelegenheit hat, wenn dieses Organ durch Ge¬
schwülste und andere Abnormitäten der 'S egetation über-
mäfsig gespannt oder in Mitleidenschaft gezogen wird.
Weit mehr VS ahrscheinliehkeit hat die Meinung für sich,
zufolge welcher die gallertartige Erweichung des Magens
IX. Dissertationen.
J25
so wie die in neueren Zeiten mehr gewürdigte Erweichung
des Gehirns für einen Rückschritt auf eine frühere Bildungs¬
stufe gehalten wird. Eine solche Rückbildung eines Organs
in den früheren Zustand des Lebens ist aber nie die folge
einer Entzündung, sondern wird durch den Zustand der
gröbsten Schwäche, welche den vorangehenden Erscheinun¬
gen nach zu urthcilen örtlich obwalten muls, herbeigeführt.
Sehr oft unterliegt der Organismus schon während der Ein¬
leitung dieses Prozesses, und es kommt beim Magen nicht
erst zur Aufnahme der in den Zustand eines formlosen
Bildungsstoffes übergegangenen organischen Substanz in den
Kreislauf, indem die Continuität der aufgelockerten Magen¬
wände gewöhnlich durch ein convulsivisches Brechen ge¬
waltsam getrennt wird, und dann die oben aufgeführten
Symptome eintreten , welche das baldige Erlöschen des Le¬
bens andeuten.
Die Prognose, so wie die Kur, welche letztere der
Gegenstand des zweiten Abschnittes ist, sind den bisherigen
Erfahrungen gemäfs abgehandelt , ohne dafs durch diese
Schrift eine sichere und mehr rationelle Behandlungsweise,
als man die bisher empfohlenen nennen kann, angegeben ,
würde.
Der dritte Abschnitt enthält die Krankengeschichten
und die Obductionsberichte von neun an der Erweichung
des Magens gestorbenen Kindern, die gröfstentheils erst ins
Hospital gebracht wurden, nachdem die Krankheit schon
längere Zeit gedauert hatte, weshalb so manches Symptom
der Beobachtung der Aerzte entgehen mufste. Die kleinen
Patienten waren gröfstentheils nur wenige Monate alt; die
Krankheit hatte theils einen sehr acuten Verlauf, theils zog
sie sich einige Wochen hin, und trat sehr häufig unter den
Erscheinungen einer Lungenentzündung mit gastrischen Zu¬
fällen auf. Bei der Obduction fand man in der Brusthöhle
nicht selten Exsudate und Verwachsungen; in die l nter-
leibshöhle hatten sich Flüssigkeiten aus dem Magen ergos¬
sen, der perforirt war, oder bei der leisesten Berührung
126
IX. Dissertationen.
rifs. Die Därme zeigten hin und wieder rothe Flecke, ohne
jedoch an der Erweichung Theil zu nehmen; in einem Falle
war ein Volvulus vorhanden, in einem zweiten wurde der¬
selbe sogar an zw*ei verschiedenen Orten bemerkt; die Milz
w'ar ebenfalls sehr weich und leicht zerreifsbar. Von der
Eröffnung der Hirnhöhle ist nirgends die Kode, was sehr
zu bedauern ist, da eine hinreichende Aufmerksamkeit auf
dieses Organ sowohl während des Lebens als nach dem
Tode uns so manches Dunkle über diese Krankheit vielleicht
noch aufhellen würde. —
R— r.
IV. Der Universität Utrecht.
Gerardi de Vos Disquisitio medica de Entozois
h umanis in Belgio repertis, horunrque causis et
symptomatibus , sistens Responsionem ad quaestionem ah
Online medico in Academia Rheno -Traiectina proposi-
tam, praemio ornata d. 20. Mart. 1823. Traiecti ad
Rhen. 1823. 8. pp. 68. . - r
Der Aufgabe zufolge enthält diese Preisschrift eine
nach Rudolph! und Bremser geordnete Aufzählung der
in Holland vorgekomuienen Eingeweidewürmer, und eine
Erörterung der Ursachen ihrer Erzeugung, so wie eine
kurze Erwähnung der aus ihrer Gegenwart entstehenden
Zufälle. Es sind in Holland vorgekommen : 1) Filaria
bronchialis, 2) Trichocephalus dispar, 3) Spiroptera ho¬
minis, 4) Strongylus Gigas, 5) Ascaris lumbricoides,
6) Ascaris vermicularis, 7) Distoma hepaticum, 8) Poly¬
stoma pinguicola, 9) Polystoma venarum, 10) Bothrio-
cephalus latus, II) Taenia Solium, 12) Cysticercus cel¬
lulosae, 13) Echinococcus hominis, sämmtlich nach Ru¬
dolph i.
Ilc eher.
IX. Dissertationen.
>
127
Ueber die Begattung der Bandwürmer; eine Be¬
obachtung von Ferd. Theod. Siegesm. Schultze.
Die Annahme des Hermaphroditismus in der Thierwelt
Ist in neuerer Zeit mit Recht sehr beschränkt, von einigen
ist derselbe sogar gänzlich geleugnet worden. Um so mehr
dürfte daher folgende Beobachtung Aufmerksamkeit verdienen,
die zugleich frühere Annahmen bestätigt. Im Mai 1824 fand
ich im Dünndarm des Falco Pygargus Linn. , einem alten
Männchen (F. cyaneus Auct. ), welches schon mehrere Tage
todt und etwas in Fäulnifs übergegangen war, mehrere un¬
vollständige Stücke und zwei grolse ziemlich vollständige
Exemplare einer Taenia (aufserdem fanden sich auch einige
Exemplare von Ascaris depressa Zed. und Amphistoma ma-
crocephalum Rud. an denselben Stellen). Die Cirren wa¬
ren an den meisten Gliedern herausgestreckt , und so wie
die Oeffnungen der Ovarien gegenüberstehend, für jedes
Glied also doppelte männliche und weibliche Gesclilechts-
theile. An jedem Exemplare sah ich eine Gliederstrecke
mit einer andern desselben Wurms fest verbunden, und
die Cirren theils nur an dem einen Rande, theils an beiden
Rändern der Glieder in die Oeffnungen der Ovarien ein¬
gebracht; einmal lagen auch die Glieder schräg, so dafs die
Geschlechtstheile der entgegengesetzten Ränder in Verbin¬
dung waren. Aufserdem waren an einer dritten Stelle meh¬
rere Glieder beider Individuen an beiden Rändern der
Glieder in unverkennbarer Verbindung. Ich darf nicht un¬
erwähnt lassen, dafs Hr. Geh. Rath Rudolphi, dem ich
diese Würmer sogleich mittheilte, die Verbindung auf völ¬
lig gleiche Weise gesehen und für sexuell erkannt hat.
Hiernach sind also die einzelnen Glieder der Taenien immer
4 Androgynen, die ganzen Thiere aber können sich sowohl,
als Hermaphroditen mit sich selbst, als auch als Androgynen
mit einem andern Individuum begatten. — Dafs die laenien
durch Verbindung der Glieder sich begatten, vermuthete
schon Carlisle (Transact. of the Linn. Soc. Vol. II.
128
IX. Dissertationen.
p. 255.), und I Ir. Geh. R. Rudolphr glaubte, dafs sic
sowohl Androgynen als auch Hermaphroditen wären (Rud.
Ilist. nat. Knto/.oor. I. p. 317.); doch waren diese Ans ich-
ten bisher nur Vermuthungen. Auf gleiche Weise mag die
Begattung hei den verwandten Gattungen Ligula, Triaeno-
phorus und Bothriocephalus geschehen. — Leider konnte
ich die Art der Verbindung in diesem lalle nicht genauer
ausmitteln. Nach einigen anatomischen Untersuchungen
münden sich in den Cirrus der Ausfiihrungsgang des männ¬
lichen Saamens, und zugleich steht er mit einem Canal
vom Ovarium in Verbindung; dann müfste bei der Begat¬
tung ein Cirrus in den andern ges< hoben werden. — Was
endlich die Art betrifft, an der ich diese Beobachtung an¬
stellte, so ist es eine neue Species, von Taenia globifera
und Taenia perlala, welche bisher in Falken gefunden sind,
sehr verschieden. Nur eine kurze Beschreibung derselben
möge liier noch ihren Platz findeu: Kopf rundlich, mit
einem kurzen, stumpfen, wahrscheinlich bewaffneten Rüssel;
Hals sehr lang; die ersten Glieder kurz, runzelartig, die
folgenden länglich -rundlich , quergerunzelt und am Rande
tief crenulirt, die letzten Glieder zeigten dies weniger und
waren sehr lang; ein einfaches Nahrungsgefäfs ging der
Länge nach durch alle Glieder durch; die Ovarien waren
durchscheinend und die Oeffnungcn derselben gegenüber¬
stehend. Der gekerbte Rand der Glieder ist interessant,
und, so viel ich weifs, an andern Arten noch nicht gesehen
worden, ich würde daher vorschlagen, diese Art Taenia
crenulata zu nennen.
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
' t
ww.
I a K • ' I.
lieber die Einsaugung als pathologisches
Prinzip.
\ om Herausgeber.
(Vorgelescn in der medicinisch - chirurgischen Gesellschaft zu
Berlin, den 22. April 1825.)
-
Die Einsaugung schädlicher Stoffe als pathologisches Mo¬
ment ist noch wenig ergründet, und gleichwohl von so
bedeutender und ausgedehnter Wirksamkeit, dafs sie unbe¬
dingt in den meisten Krankheiten in Betracht kommt, viele
durch sie entstehen, mehr noch durch sie unterhalten, und
nicht wenige durch sie beendet werden. Die Lehrsätze der
neuern Physiologie über die Einsaugung müssen in dieser
Untersuchung der Krankheitslehre vorleuchten, indem sich
frühere pathologische Erfahrungen ohne Zwang an sie an-
schliefsen, und in ihnen die wichtigsten krankhaften Vor¬
gänge im Organismus eine so kunstlose und ergiebige Erklä¬
rung finden , dafs sie eine äufserst vielseitige Erkcnntnifs zu
verspiechen scheinen — in einer Zeit, wo die theoretischen
Aerzte dem Bestreben entsagt haben, die Krankheiten aus
einem Prinzip herzuleiten, und als die höchste pathologi¬
sche Aufgabe anerkannt ist, die Krankheitsmomente jedes
für sich und alle in Verbindung zu erforschen.
Die Aufnahme von Stoffen in die Säfte, mögen sie
von aufsen kommen, oder erst irti Körper bereitet sein,
IL Bd. 2. St 9
130
I. Die Einsaugung
geschieht auf dem doppelten Wege, der Einsaugung
durch die lymphatischen Gefäfse und der Einsau¬
gung durch die Blutadern. Zwischen beiden Arten
der Resorption zeigt sich der wesentliche Unterschied, dafs
die Blutadern die dem Körper fremdartigen, die Saug¬
adern dagegen die nährenden Stoffe aufnehmen. Dies
Gesetz steht jedoch nur der Hauptsache nach fest, und ist,
wie die meisten organischen Gesetze, nur ein allgemeines,
indem sich die Gränzlinien zwischen den Verrichtungen
der Blut- und Saugadern nicht haarscharf ziehen lassen,
sondern jene im Uuterleibe einen grofsen Tlieil der Nah¬
rung, und diese, vorzüglich in den äulsern Theilen, auch
fremdartige Stoffe einziehen ').
Es ist ferner ausgemacht, dafs anfgesogene Stoffe hei
ihrem Durchgänge durch die Wände der Blutadern, und
iin Venenblute selbst, zw'ar um ein bedeutendes, bei der
Kürze des zurückzulcgendcn AVeges und der gröfsern
Schnelligkeit der Bewegung aber, bei weitem nicht in dem
Grade vital -chemisch umgeändert werden, wie in den lym¬
phatischen Gefäfsen, und dafs überdies die Vermischung
der lymphatischen Stoffe mit dem Blute viel allmähliger,
und an einem Punkte bewerkstelligt wird, während Sub¬
stanzen, die von den Venen aufgenommen sind, augenblick¬
lich und aller Orten mit dem Blute in Berührung kommen.
End nun ist das Blut die lebendige Wurzel des orga¬
nischen Lebens, an dessen "S eränderungen jedes Gebilde des
Körpers, höher oder niedriger gestellt, mittelbar oder un¬
mittelbar Antheil nimmt! Freilich sind diese Veränderun-
1) Ma n sehe hierüber: F. Tiedrmann und L. Gmelin
Versuche über die Wege, auf welchen Substanzen aus dem Ma*
gen und Dannkanal ins Blut gelangen, über die Verrichtung der
Milz, und die geheimen Harnwege. Heidelberg 1820. 8., und
Seiler und Ficinus, Versuche über das F.insaugungsvcrmügen
der \cnen, und Entcrsuchungen über die Saugadern der Mil*,
ln der Zeitschrift für Natur- und Heilkunde, Bd. II. St. 3. S. 317.
131
als pathologisches Prinzip.
gen kaum oberflächlich nach ihren auffallendsten äufsern
Erscheinungen bekannt; — seihst der organischen Chemie,
die es nur mit dem materiellen Substrate zu thun, und in
der Untersuchung des gesunden Zustandes noch bedeutende
Lücken auszufüllen hat, ist noch in Rücksicht der krank¬
haften Zustände des Blutes fast alles zu leisten übrig. Um
so viel weniger Licht hat sich aber bis jetzt über dU vital-
krankhaften Verhältnisse des Blutes verbreitet, insofern sie
besonders auf der Wirkung aufgenommener schadhafter
Stoffe beruhen, und insofern anderweitige Krankheitserschei-
nungen daraus herzuleiten sind. Ein kleiner Anfang ist
hierin mit der Beachtung der entzündlichen und der fau¬
ligen Beschaffenheit des Blutes gemacht, indem es feststeht,
dafs jene aus einem erhöheten, diese aus einem gesunkenen
Zustande des Lebens in demselben hervorgeht, — diese
Beobachtung, wenn auch an sich noch so wichtig und
fruchtbar, betrifft indessen immer nur das quantitative Le-
bensverhältnifs, und ist deshalb eben so ungenügend, als
sich dieselbe Rücksicht in ihrer Anwendung auf das Ge-
sammtleben des Organismus gezeigt hat. W as zwischen
dem Zuviel und Zuwenig in der Mitte liegt, und wie sich
dabei durchgängig der Modus des Lebens gestalte, darauf
kommt es uns eben an; die allgemeine Pathologie enthält
hierüber in der Lehre von der Farbe und Consistenz des
Blutes im Zusammenhänge mit Krankheitszuständen nur ei¬
nige mangelhafte Andeutungen.
Wrenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf das
Herz, den Mittelpunkt des organischen Lebens, den Sitz
und den Ursprung der gröfsten Krankheitsprozesse, in de¬
nen Erhaltung und Vernichtung des Körpers neben einan¬
der liegen. Das Blut ist sein natürlicher, sein mächtigster,
und so lange das Leben besteht, mit unauslöschlicher Em¬
pfindlichkeit von ihm aufgenommener Reiz. Veränderungen
des Blutes haben mithin einen unmittelbaren Einflufs auf
das Leben des Herzens, der sich von da weiter über den
ganzen Körper verbreitet, und zu ihrem Grade sowohl,
9 *
132
I. Die Einsaugung *
wie zu ihrer Dauer in dasselbe Verhältnis tritt, wie die
V\ irkung jeder andern entfernten Ursache zur Intensität
und zur Zeit des Daseins derselben. Erhält also das Blut
plötzlich bedeutende fremdartige Beimischungen , so wird es
das Ilerz auf der Stelle und auf eine sehr kräftige Art in
Anspruch nehmen; geschehen dagegen diese Beimischungen
nur allmählig, und sind sie an sich gering und wenig hete¬
rogen, so wird sich nur ein geringes Leiden des Herzens
ausbilden, oder es wird sich dies, seiner Verrichtung unbe¬
schadet, an die Wirkung des fremdartigen Stoffes gewöh¬
nen, oder wenn die Zeit ersetzt, was der Ursach an Inten¬
sität abging, so wird sich am Ende, besonders bei sehr
fremdartigen Stoffen, die sich ohne Schaden nicht einschlei¬
chen können, dieselbe oder eine ähnliche VN irkung ergeben,
wie von plötzlichen Eingriffen. Kein Lehrsatz der Patho¬
logie ist fester begründet, als dafs sämmtliehe allgemeine
Krankheiten örtliche Ursprünge haben, d. h. dafs bei ihnen
die Verletzung irgend eines Theiles sich durch Mitleiden¬
schaft von einem Organ auf das andere wirft, bis endlich
der ganze Körper in das Leiden hineingezogen ist. Es
würde nicht schwer fallen zu beweisen, dafs in einer be¬
deutenden Zahl von Krankheiten das Herz der ursprüng¬
lich angegriffene Theil ist , und sein Leiden strahlenförmig
nach allen Richtungen hin verbreitet. Zwei Lebensäufse-
rungen sind es vorzüglich, die mit der Qualität seiner
Function in der innigsten Verbindung stehen, die Contra-
ctilität der Arterien und die Sensibilität der Nerven. In
Rücksicht jener kommt es darauf an, zwischen dem mecha¬
nischen oder hydraulischen , und dem dynamischen Einflüsse
des Herzens auf die Schlagadern zu unterscheiden. Der
mechanische äufsert sich durch die Art wie das Blut um¬
getrieben wird, und wie sich dann die lebenden Kanäle ge¬
gen die mit Kraft oder nur schwach einströmenden Blut¬
säulen verhalten, woraus sich dann weiterhin die Wirkun¬
gen des stärkern oder schwachem Kreislaufes auf die Ver¬
richtungen der einzelnen Theile ergeben. Der dynamische
I
, als pathologisches Prinzip. 133
dagegen durch den Uebergang des Zustandes der Irritabili¬
tät im Herzen auf den Zustand der Contractilität in den
Arterien. Ist die Bewegung des Herzens krampfhaft im
weiteren Sinne des Wortes, d. b. hat die Zusammenzie-
bung in seinen Fasern das Uebergewicht, so pflanzt sich
dieser Zustand unmittelbar bis in die äufsersten Enden der
Arterien fort, der Puls wird kleiner, selbst auch wohl hart,
und wollen wir die Wirkung der vermehrten Contraction
bis zur Secretion verfolgen, so wird es sich ergeben, dals
nur noch die feinsten Stoffe aus dem Blute ihren Durch¬
gang durch die Wandungen der äufsersten Schlagadern
finden. Man betrachte nur den Fieberfrost, das vollendete
Bild des krampfhaften Zustandes im Herzen, in den Ge-
fäfsen und im Zellgewebe, und man wird diese Behauptung
bestätigt finden. Aufserdem sind die Wirkungen gewisser
Arzneimittel, die sich überhaupt mit Krankheitszuständen
gegenseitig erklären, höchst beachtenswerth x).
Geistige Mittel, die sich im Blute sehr lange unzer-
setzt erhalten, wirken auf das Herz als ungemein starke
Beize, machen seine Bewegungen häufiger, rascher und
kräftiger, dadurch wird der Kreislauf belebter, und mithin
das Leben im ganzen Organismus, keinen einzigen Theil
ausgenommen, erhöht. Die vermehrte thierische Wärme,
die Beschleunigung aller Verrichtungen, und schon das er¬
höhte Lebensgefühl beweisen dies hinreichend. Die Wir¬
kung dieser Mittel auf das Nervensystem ist, von dieser
Seite betrachtet, nur eine secundäre, wiewohl man einen
Theil derselben, aber auch nur einen Theil, auch für pri¬
mär halten mufs, wogegen man früherhin geneigt war, bei
ihnen nur immer das Nervensystem im Auge zu behalten.
Es versteht sich von selbst, dafs weder von diesen, noch
von irgend andern Einflüssen das rechte und das linke Ilerz
1) Yergl. die Beiträge des Herausgebers zur semiotischen
Pulslehre, in Ilufeiand’s und Osann’s Journal der prakti¬
schen Heilkunde. 1824. August. S. 10.
134
I. Die Einsaugung
9
in gleichem Grade ergriffen werden; um in das linke zu
gelangen, müssen die Stoffe erst über die wichtigste Assi-
milationsstufe iin Organismus, die Blutumwandlung in den
Lungen, hinweg, und werden hier gewifs eine bedeutende
weitere Zersetzung in ihre Bestandteile erleiden, an AA'irk-
samkeit also in demselben Maafse abnehmen. Es ist mithin
klar, dafs das linke Herz bei weitem weniger von ihnen in
Anspruch genommen wird, als das rechte; darauf kommt es
aber wenigstens bei denjenigen Substanzen nicht an, die
nur eine quantitative Steigerung oder Verringerung der
Function des Herzens hervorbringen. Denn die Bewegun¬
gen sind in seinem ganzen Umfange gleichmäfsig und iso-
chronisch, ein Beiz also, der nur auf einen Theil des Her¬
zens wirkt, wirkt eben so gut auf das ganze Herz, als
wenn er auf das ganze angebracht gewesen wäre. Den
flüchtigen Reizmitteln gerade entgegengesetzt wirkt der
rolhe Fingerhut, durch unbedingte Minderung der Function
des Herzens, seeundär also durch Mäfsigung des Kreislaufes,
und was davon abhängt. In einiger Rücksicht ähnlich sind
diesem Mittel die Mineralsäuren, in anderer jedoch weit
von ihm verschieden. Die Minderung der Pulsschläge, in
der sie mit ihm Übereinkommen, geschieht von ihnen auf
eine ganz andere Weise, nicht durch Schwächung der Ir¬
ritabilität des Herzens, sondern dadurch, dafs sie das Herz
zu einer intensiv stärkeren Zusammenziehung veranlassen,
die denn freilich in einer gegebenen Zeit nicht so oft wie¬
derholt werden kann, als hei einer nur unbedeutenden oder
mittclmäfsigen Kraft. Jede Verstärkung der Fnergie macht
überhaupt die Verrichtung geordneter und abgemessener.
Nun bleibt aber diese intensive Verstärkung der Irritabilität
nicht blofs auf das Herz beschränkt, sondern sie geht auch
auf die Conlractilität der Arterien im ganzen Körper über,
sie ziehen sich nach der Anwendung der Säuren ihrer gan¬
zen Länge nach zusammen, der Puls wird härter, und
Blutflüssc aus ihren Luden stehen nach dieser vermehrten
Zusammenziehung. Ls findet zwischen diesem Uebergange
135
als pathologisches Prinzip.
des Zustandes des Herzens auf die Arterien, der auch unter
andern Verhältnissen, als bei der vermehrten Zusammenzie¬
hung bemerkbar ist, und den Erscheinungen der Mitleiden¬
schaft, die man sonst nur den Nerven zuzuschreiben pflegte,
augenscheinlich eine Analogie statt. Die Gegenwart der
Sauren selbst im Arterienblute noch anzunehmen, und aus
ihr jene Wirkung herzuleiten, würde nicht wohl zulässig
sein, wenn man auch einen durch sie hervorgebrachten,
zur Zusammenziehung reizenderen Zustand im Blute an¬
nimmt, den man immerhin vermehrte Oxydation desselben
nennen könnte. Weit natürlicher erklärt sich diese Er¬
scheinung daraus, dafs gleiche Lebensäufserungen im Orga¬
nismus, in verbundenen sowohl wie in getrennten Theilen,
mit einander in Verbindung stehen und sich ihre Zustände
gegenseitig mittheilen. Ein solcher Consensus findet zwi¬
schen der Irritabilität des Herzens und der Contractilitat
der Arterien unläugbar statt x).
An jedem Zustande des Herzens nehmen dann auch die
Nerven den entschiedensten Antheil. Von keinem Organe
wird das Gemeingefühl mehr und leichter m Anspruch ge¬
nommen, als vom Herzen; das Herz ist der Mittelpunkt,
aus dem die mannichfaltigsten Empfindungen von W ohlsein
und Uebelbefinden , von Frost und Hitze, ohne wahrnehm¬
bare Veränderung der Temperatur, ausströmen, und über¬
dies ist es mit seiner Umgebung der Sitz des Gemuthes,
der Heerd der psychischen Empfindungen , deren Macht sich
bis an die äufserste Gränze des Körperlichen ausdehnt.
Kehren wir nach dieser nothwendigen Erörterung all¬
gemeiner Grundsätze zu unserm Hauptgegenstande zurück.
Wie empfindlich das Herz gegen fremdartige Beimischun¬
gen im Blute sei, beweisen die Wirkungen der Infusion
1) Vergl. die allgem-einen Lehrsätze des Herausgebers über
die inneren Wirkungen der Arzneimittel, in Gräfe'«
v. Wal th er ’s Journal der Chirurgie und Augenheilkun e. •
H. 3. S. 373.
136
L Die Einsaugung
auf das schlagendste. Der augenblickliche Tod von Thie-
ren, den man in früherer Zeit so häufig durch die Ein¬
spritzung heterogener Substanzen herbeiführte, erfolgte ver¬
mittelst der von diesen Substanzen veranlagten Ertödtung
des Herzens, und es war eben die nicht zu berechnende
Grüfse der Erscheinungen, nach dieser mächtigsten und ro¬
hesten aller Anwendungsarten der Arzneimittel, die die
Aerzte noch bis jetzt zaghaft erhalten hat, ihre Gewalt
über den Organismus durch Besitznahme eines so ausgedehn¬
ten und fruchtbaren Gebietes zu erweitern. Zwei Dinge
sind es dieser riesenhaften Wirkungen wegen vorzüglich,
die man zu beachten hat, wenn die Infusion für die The¬
rapie so ergiebig werden soll, wie sie es werden kann: die
Auswahl der mildesten Arzneimittel, und die möglichste
Verringerung der Gaben derselben, denn besonders zur
Heilung chronischer Krankheiten bedürfen wir ja eben der
milderen und der lange fortgesetzten Einflüsse, für deren
genauere Kenntnifs noch so unendlich viel zu leisten ist.
So unvollkommen aber in diesem Gebiete unsere Erfahrung
sein mag, so wissen wir doch bereits, dafs durch Stoffe,
die dem Blute beigemischt sind, entweder das Herz selbst
unmittelbar lind vorwaltcnd ergriffen wird, oder in ihm
geringere Erscheinungen erfolgen, die aber vermöge der
Mitleidenschaft auf andere Theile übergehen, und in diesen
bedeutender werden, als die ursprünglichen. Zu dieser,
mit den bewährtesten Grundsätzen der Pathologie überein¬
stimmenden Behauptung dienen vor allen die Fieberbewe¬
gungen nach der Infusion gewisser Stoffe, und die Wir¬
kung infundirter Brechmittel auf den Magen als Belege, so
wie denn auch alles hierher gezogen werden kann, was
ich über die örtlich -specifiscben irkungen innerlich ge¬
nommener Heilmittel in einer früheren Abhandlung gesagt
habe '). Schon Regnaudot beobachtete nach der Infu¬
sion einer wässerigen Gummiauflösung und eines Senna-
' —
1) A. ». O.
als pathologisches Prinzip. 137
aufgusses mehrstündige Fieberanfälle *), imd ganz kürzlich
sah Gaspard in St. Etienne eine Stunde nach der Infusion
von acht Unzen lauwarmen Wassers einen ausgebildeten
W echselfieberanfall erfolgen, der sich nach acht Stunden
mit denselben Erscheinungen wiederholte, ohne mit der
Hydrophobie, wegen welcher nach Magendie die Infusion
unternommen worden war, in irgend einem unmittelbaren
Zusammenhänge zu stehen * 2).
Hie Einsaugung, und vorzüglich die durch
die Blutadern, ist der Infusion ganz analog, denn
sie bringt die aufgenommenen fremdartigen Stoffe in un¬
mittelbare Berührung mit dem Herzen, wenn sie auch, auf
die angegebene Weise mehr oder minder assimilirt, an die¬
sen ihren wichtigsten Bestimmungsort gelangen. Folgen
wir jetzt dem W^ege dieser Analogie etwras aufmerksamer,
so wird sich eine Reihe fruchtbringender Resultate ergeben,
die vielleicht in Zukunft den pathologischen Untersuchun¬
gen eine neue Richtung, und manche neue allgemein- the¬
rapeutische Lehrsätze an die Hand geben könnten. Zuerst
stöfst uns hier die ganze Gruppe der gastrischen Fie¬
ber auf, deren Ursprung aus einem durch schadhafte Stoffe
im Harmkanal angeregten Leiden auch selbst die strengsten
Dynamisten zugeben müssen. Schon bei einer einfachen
Saburra bieten sich den einsaugenden Venen des Hanrika-
nals schadhafte Stoffe in einer so grofsen Ausdehnung dar,
dafs ohne Zweifel eine reichliche Menge derselben unmit¬
telbar in das Blut übergeht, und immer wieder neu hinzu¬
kommend, weder im Blute, noch in der Leber durch vor¬
gehende Assimilation abgestumpft und unschädlich gemacht
werden kann. Zum Herzen gebracht bewirken sie dann
eine Erschütterung, die auf das Nervensystem fortgepflanzt,
1 ) Dissertatio mauguralis de Chirurgia infusoria renovanda.
Lugdun. Batavor. 1778.
2) Journal de Physiologie experimentale , par F. Magen-
die. 1824. No. 4.
138
I. Die Einsaugung
den Grund zur wirklichen Fieberbewegung legt, gerade so,
wie dies von in die7 Venen gespritzten fremdartigen Stoffen
beobachtet worden ist. Ich will nicht sagen, dafs die Ein¬
saugung schadhafter Stoffe in jeder Saburra Fieberbewe¬
gungen errege; die Einsaugung ist überhaupt, in Bezug auf
die letztem nur die entfernte Ursache, — es mufs also eine
gewisse Intensität der VN irkung erreicht werden, und es
kommt dann auch gar wohl die Disposition des Herzens in
Betracht, Bedingungen, die die allgemeine Pathologie ge¬
nügend und naturgemäfs beleuchtet. Uebrigens aber liegen
zwischen dem normalen Zustande und der Fieberbewegung
eine Keihe von Zuständen des Herzens mitten inne, auf die
wir freilich nur wie auf ein unbekanntes Gebiet hinweisen
können, dessen Dasein gewisse, leider nur M*el zu wenig
ihrem VN esen nach erkannte Empfindungen, selbst zuwei¬
len Veränderungen im Pulsschlage dem weiter spähenden
Beobachter zu erkennen geben. Auch mufs man sich von
der Idee entfernt halten, als wenn jene Stoffe jederzeit für
das Herz erregend wären. Sie können ohne, Zweifel auch
seine Thätigkeit herabdrücken, und es scheint mir dafür
der aussetzende Puls, der ja recht eigentlich ein abdomi¬
neller ist, in vielen Fällen , ich behaupte nicht in allen, als
eine einzeln stehende, vorübergehende Erscheinung betrach¬
tet, ein augenscheinlicher Beweis zu sein. Ferner erregt
auch die öftere Wiederholung des Frostes im Saburralfieber
in den angegebenen Beziehungen unsere Aufmerksamkeit;
sie scheint auf wiederholte Erschütterungen des Herzens zu
deuten, die in der fortwährenden Erneuerung der Ursache
ihren Grund haben, und auch wohl in der Gelindigkeit der
Fieberbewegung ihre Erklärung finden, bei der da$ Herz
nicht so beschäftigt ist, als wenn cs von einem gröfsern
Fieber in Feuer und Flammen stände. Bei einer solchen
Fieberbewegung aber ist das Herz für erneute Eindrücke
allerdings empfänglich, wenn auch die Folgen der voraus¬
gegangenen bei w eitern noch nicht beendigt sind. Das Ge¬
fühl von Mifsmuth und von unverhältnifsmäfsiger ISieder-
als pathologisches Prinzip. 139
gcschlagenheit der Kräfte in diesem Fieber scheint grofsen-
theils aus dem Herzen, das auf die angedeutete Weise in
Anspruch genommen wird, zu entspringen, auch hat es
eine grofse Aehnlichkeit mit derjenigen trübsinnigen Nie¬
dergeschlagenheit, die sich aus niederdrückenden Gemüths-
affecten entwickelt, und wirkt eben so auf den Geist zu¬
rück, wie die letztere auf den Körper. Damit soll indes¬
sen die Bedeutsamkeit der Unterleibsaffection an sich, inso¬
fern sie unmittelbar auf die Nerven und vermittelst dieser
consensuell durch den ganzen Körper wirkt, keinesweges
geleugnet oder auch nur eingeschränkt werden. Fs fällt
hei Erörterungen dieser Art schwer, mit wenigen W orten
alle zugleich statt findenden krankhaften so vielfach inein-
andergreifenden Verhältnisse anzudeuten, der Verf. mufs
daher seine Leser bitten, dafs sie ihm durch Voraussetzung
des allgemein Bekannten und Bewährten zu Hülfe kommen,
und ihn nicht der Einseitigkeit beschuldigen mögen, wo es
darauf ankommt, eine noch dunkele Seite der Krankheit zu
beleuchten. Höchstwahrscheinlich, wo nicht nach aller
Analogie gewif?, ist es aber, dafs einzelne örtliche Sym¬
ptome im Suburraltieber, wie Kopfschmerz und alle ähnli¬
chen consensuellen Schmerzen, ja sogar symptomatische Ent¬
zündungen durch die örtliche Wirkung der schadhaften
Stoffe im Blut, die durch Nervenconsensus überdies begün¬
stigt wird, zu Stande kommen, denn es läfst sich nicht
annehmen, dafs das Blut durch seine Umwandlung in den
Lungen von demselben ganz befreit werde, wenn auch die
Natur durch diesen Prozefs das Mögliche zu leisten bemüht
ist, wie schon der übele Geruch aus dem Munde am gastri¬
schen Fieber Leidender genugsam beweist. Wird dereinst
die chemische Untersuchung des Blutes gröfsere Feinheit
und Sicherheit gewonnen haben, so werden sich auch irn
Blute des ganzen Körpers die entsprechenden Beimischun¬
gen entdecken lassen; der Theii des Venenblutes, auf den
es hier am meisten ankommen würde, nämlich vom Pfort¬
adersystem bis zum Herzen, wird freilich, wenigstens beim
#
140 I. Die Einsaugung
• *
Menschen, der Untersuchung für immer entzogen bleiben
müssen.
Nächstdem zeigen die Erscheinungen des Gallenfiebers
die mächtige Wirkung durch die Venen in das Blut aufge¬
nommener schadhafter Stoffe sehr hervorstechend. Ich
glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, dafs es
sich als eine aus dem Innern des Körpers entwickelte Ver¬
giftungskrankheit beurkundet. Erlangt die Galle, wie so
oft in diesem Uebel, eine so ätzende Schärfe, dafs wirkliche
(Korrosionen des Darmkanals, sehr schmerzhafter Stuhlzwang,
und beim Erbrechen chemische Zersetzung der Zähne ent¬
stehen, so kann die Reaction, die sie in das Blut überge¬
gangen, im Herzen erregt, nur eine äufserst stürmische
sein. In der Thal sind auch die Zufälle des Gallenfiebers
grofsartig lind höchst acut; die Hitze brennend und selbst
noch bedeutender, als im entzündlichen Eieber, der Frost
erschütternd, die örtlichen Schmerzen, die wir grüfsten-
thcils auf dieselbe Art, wie im Saburralfieber zu erklären
haben, so ergreifend, dafs der Uebergang in Entzündung
nahe liegt; mit einem Worte, der natürliche Heilungspro-
zefs, im Blute, im Herzen, in den Gefäfscn und in allen
mitergriffenen Theilen , durch den der Organismus sich des
Schädlichen zu entledigen sucht, zu einer solchen Höhe
gebracht, dafs die Entscheidung binnen kurzer Zeit erfol¬
gen mufs. Es scheint ganz so , als wäre hier durch die
Gegenwart höchst reizender Stoffe im Blut der Lebens-
prozefs in diesem gewaltsam gesteigert, gerade so, wie wir
ein Analogon davon bei der anfänglichen Wirkung gewis¬
ser Arzneistoffe, vorzüglich des Quecksilbers sehen, woher
denn auch die entschiedene Neigung des Gallenfiebers zum
entzündlichen Charakter; ein Grund mehr, warum das Herz
noch gewaltsamer, und zwar durch den verstärkten Lebens-
einflufs von Seiten des Blutes in Anspruch genommen wird.
Kann sich endlich das Blut durch höhere Lebensspannung
der zerstörenden Wirkung seiner fremdartigen Bestandteile
nicht mehr erwehren, so erfolgt der Uebersprung in den
141
als pathologisches Prinzip.
entgegengesetzten, den fauligen Charakter, nach denselben
Gesetzen, nach denen in den festen Theilen unter den be¬
kannten Umständen die höchste Aufregung des Lebens in
Schwäche und Erschlaffung übergeht. Wenn dann endlich
der eigentliche Heilungsprozefs der Natur zur Keife gekom¬
men ist, so scheint sich auch aus diesem eine Bestätigung
unserer Ansicht zu ergeben. Ich fürchte nicht, des un-
ziemlichen Anhängens an humoralpathologische Grundsätze
beschuldigt zu werden, wenn ich den Prozefs der Krise in
diesem wie in jedem andern Fieber von seiner materiellen
Seite betrachtet, für einen Blutreinigungsprozefs ansehe,
wobei nur eine nicht zu übersehende Verschiedenheit darin
beruht, dafs das Schädliche im Blut in den gastrischen Fie¬
bern durch die Blutadern aus dem Darmkanal aufgesogen
wird, in andern Fiebern dagegen secundär entsteht. Es
ist dies derselbe Prozefs, durch den die Natur auch in chro¬
nischen Zuständen heilbringend wirkt. Durch keinen an¬
dern wenigstens heilt sie chronische Vergiftungen, und ih¬
nen ähnliche Krankheiten, z. B. selbst die Lustseuche, die
vermittelst einer zweckmäfsigen Transpiration zu einem
glücklichen Ende kommen kann. Bei einer andern Gele¬
genheit habe ich die Idee geäufsert, dafs wahrscheinlich die
antisyphilitische Wirkung des Quecksilbers darin beruhe,
dafs dieses, in den Körper gebracht, und in das Blut über¬
gegangen, eben jenen Heilungsprozefs hervorrufe, der zu¬
nächst auf seine Ausstofsung berechnet, den Zunder des
syphilitischen Uebels mit hinwegnimmt, habe aber bisher
weder einen gegründeten Widerspruch , noch eine auffal¬
lende Bestätigung erfahren.
Noch ferner alle die krankhaften Zustände anzugeben,
in denen hervorstechende Erscheinungen auf Rechnung der
Resorption durch die Blutadern kommen, würde mich in
das ganze Gebäude der Pathologie einzugreifen und die
Gränzen einer Abhandlung weit zu überschreiten nöthigen.
Es mag daher bei den angeführten Beispielen sein Bewen¬
den haben, indem sich ja das Einzelne von selbst gestaltet,
142
II. Epidemien.
und überdies eine gar zu genaue Durchführung bei derglei
eben Gegenständen leicht hier und da zu \ orurtheilcn ver
leiten könnte, vor denen niemand gesichert ist. Nur nocl
anzudeuten sei es erlaubt, dafs höchstwahrscheinlich der in
Verlaufe nachlassender Fieber eintretende Frost, der he
kanntlich Eiterung, Brand und Metastase bezeichnet, cin<
Wirkung der bei diesen Prozessen in die. Blutadern aufge
nommenen und das Herz berührenden fremdartigen Stoff
ist; dafs derselbe Prozefs den Erscheinungen des Eiterungs
fiebers in den Pocken zum Grunde liegt, dafs der Körpei
bei bösartigen Geschwüren auf demselben A\ ege der l\c
sorption chronisch vergiftet wird, und ciu urspriinglici
örtlicher Krebs vermittelst der Einsaugung durch die \e
nen, wie durch eine innere Ansteckung sich dahin un<
dorthin verbreitet, und dadurch den rettungslosen Zustam
nicht nur der Cachexie, sondern auch der allgemeine!
Scirrhusbildung unabwendbar herbeiführt.
Ich habe nun freilich nur ein Bruchstück liefern, unc
überhaupt nur ein unbearbeitetes, aber fruchtbares Feld be
zeichnen können, auf dem unsere Erfahrungslosigkeit nui
zu sehr am Tage liegt. Da man jedoch in den Naturwis
senschaften niemals das Ganze auf seine Schultern nehmet
kann , so mögen wir uns bei der möglichsten Vervielfälti¬
gung der Bruchstücke, und auch dabei beruhigen, dafs dei
erste Schritt zur Erkenntnifs ein klares Bewußtsein desser
ist, was noch zu erforschen übrig bleibt. Anregung zi
weiteren Untersuchungen eines hochwichtigen Gegenstände!
gegeben zu haben, ist mein innigster Wunsch, dessen Er¬
füllung ich mit Verlangen entgegensehe.
II.
I ' * *
Le$ons snr Ijqs Ep i de mies et 1’ Hygiene pu¬
blique, faites a la Facnlte' de Medccine de Stras¬
bourg par Fr. Emm. Foderrf, Professeur a cette
II. Epidemien. 143
Facultd. A Paris chez F. G. Levranlt, rue des
Fosses M. le Prince No. 31. et rue des Juifs,
No. 33. ä Strasbourg. Tome premier 1822. IV und
523 S. — Tome second 1823. 565 S. — Tome
trofsieme 1824. X und 518 S. — T oine quatrieme
1S24. 8. X und 5J7 S.
• •. ^ V *» I
W enngleich an Schriften über epidemische und conta-
giöse Krankheiten kein Mangel ist, so mufs man es doch
für sehr verdienstlich halten, dafs in neuerer Zeit Oza-
nara, Schnurrer und F ödere es unternahmen , das Ein¬
zelne zusammenzustellen und zu einem Ganzen zu ver-
schmelzep. Es läfst sich bei einer solchen Arbeit erwarten,
dafs nicht alle Kapitel mit gleicher Gründlichkeit abgefafst
sind , denn wenn es wirklich an literarischen Hülfsmitteln
nicht fehlt, so mangelt es an der Erfahrung, da ein Arzt
unmöglich alle epidemischen Krankheiten selbst beobachtet
haben kann. Und doch ist die eigene Anschauung, die
eigene Auffassung ohne vorgefafste Meinung, mit einem
Worte die gediegene Erfahrung eben dasjenige, was dem
Krankheitsgemälde Lebendigkeit, den diagnostischen Bemer¬
kungen Wahrheit, der angewandten therapeutischen Me¬
thode Zuverlässigkeit giebt. Man kann es daher fast jedem
medicinischen Buche ansehen, ob sein Verfasser die besten
Jahre seines Lebens als denkender Arzt am Krankenbette
zugebracht hat, oder, wie es heut zu Tage' nicht selten
geschieht, nur das Gelesene und Gehörte nachspricht. Der
Verf. des vorliegenden Werkes, das man mit Recht ein
klassisches in der neueren medicinischen Litteratur der Fran-
zosen nennen kann, ist in der Ausübung unserer Kunst er¬
graut, hat dabei die alten wie die neuen, selbst ausländi¬
schen medicinischen Schriften, gegen die Gewohnheit der
meisten seiner Landsleute, fleiCsig studirt, und aufscrdein
noch andere Schriften, Reisebeschreibungen , Hammer’s
Fundgruben des Orients u. s. w. bei seiner Arbeit benutzt.
Man findet daher eine gute Litteratur, wenngleich an einige
144
II. Epidemien.
Vollständigkeit nicht zu denken ist. Das Ganze, aus Vor¬
lesungen entsprungen, die F. alljährlich zu Strasburg über
Epidemien zu halten verpachtet ist, zerfällt in acht Ab¬
schnitte, von denen die beiden ersten allgemeinen Unter¬
suchungen gewidmet sind, die übrigen die angenommenen
sechs Ordnungen der Epidemien umfassen. Jeder einzelnen
Krankheit ist eine kurze historische Uebersicht ihrer ver¬
schiedenen Epidemien voraufgeschickt, und zum Schlüsse
sind die zu ergreifenden prophylaktischen und medicinisch-
polizeilichen Maafsrogeln angegeben. Bei der Ausdehnung
des Merkes haben wir uns bemüht, nur das Neue oder
W ich tigere hervorzuheben, um den Ideengang des Verf.,
der polemisch gegen Broussais und Rasori auflritt,
klar darzustellen.
In dem Vorberichte wird gezeigt, wie die öffentliche
Gesundheitspflege, aus der Erfahrung hervorgegangen, den
alten N ölkern nicht unbekannt war, und bei ihnen theils
durch Staatsgesetze, theils durch Vorschriften der Religion
aufrecht erhalten wurde. Die empirische Kenntnifs von den
Epidemien und ihren Ursachen wurde späterhin, nament¬
lich durch Galen, sehr verwirrt, indem man die reine
Beobachtung verliefs, und sich zu Theorien und Systemen
wandte. Als im Mittelalter furchtbare Seuchen die Länder
verheerten, trat die reine empirische Medicin wieder her¬
vor; aber mit dem Nachlassen der Geissei unterlag sie dem
Joche der chemischen, kabbalistischen und anderen Schulen.
V\ enngleich daher die Materialien für die öffentliche
Gesundheitspflege und die Kenntnifs der Epidemien nicht
mangeln , so sind sie doch keioesweges geordnet und kri¬
tisch beleuchtet.
(F o r t s e t zun g folgt)
Litterarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
II.
Le^ons sur les Ep id emies et 1 Hygiene pu¬
blique, faites a la Faculte de Mcdecinc de Stras¬
bourg par Fr. Emm. lodere. Paris, 1822 '
1824. 8. *
( Fortsetzung > J
So hat sich der bedeutende Irrthum eingeschlichen, dafs
eine unbekannte und verborgene Beschaffenheit der Luft
eine oft Jahre lang dauernde epidemische Constitution be¬
gründe, die nur eine Art von Krankbeiten hervorruft, mit¬
hin auch nur ein und dasselbe "V erfahren am Krankenbette
bedingt, die so mächtig ist, dafs ihre Wirkungen oft erst
nach Monaten zum Vorschein kommen, selbst dann, wenn
der ihr ausgesetzt gewesene Mensch längst in einem ganz
anderen Lande wohnt. Um diesen Irrthum zu widerlegen,
jener unbekannten Ursache, dem quid divinum unserer gu¬
ten Vorfahren natürliche und bekannte Ursachen zu substi-
tuiren, hält F. es für nothwendig, zur gänzlichen Ausrot¬
tung mehrerer herrschenden Vorurtheile beizutragen. Erst¬
lich ist die gewöhnliche Einthellung der Volkskrankheiten
(in epidemische Constitution und eigentlich sogenannte
Epidemie, welche letztere sich wiederum unendlich verlän¬
gern oder nur einer Jahreszeit angehören kann) falsch, und
für die Behandlung der Kranken verderblich. Zweitens ist
es unrichtig, dafs eine epidemische Constitution alle ande¬
ren Krankheiten unterdrückt, und diese erst nach dem Ver¬
schwänden jener wiederkehren; drittens, dafs gegenwärtige
Krankheiten nur aus den früher herrschend gewesenen und
10
1825
II. Bd 2. St.
146
II. Epidemien.
der vorhergegangenen Luftconstitution erkannt und richtig
beurtheilt werden können; viertens ist es ungegründet, daf*
die Veränderlichkeit und der jähe Wechsel des Zustandes
der Atmosphäre die Ursache der meisten Krankheiten, so¬
wohl der acuten als chronischen, der epidemischen als in¬
tercurrenten ausmache, weshalb denn auch die meteorolo¬
gischen Beobachtungen auf die Medicin angewandt, eben
keinen Aufschlufs über das Vorkommen der Krankheiten
geben. Veränderungen der Atmosphäre wirken zwar auf
den menschlichen Organismus, aber der Erfahrung gemäfs
in der Regel nicht auf die Masse des Volkes, sondern auf
den kleineren Theil von Kränklichen und Schwächlingen.
In dergleichen irrigen Meinungen befangen übersah man die
natürlichen und wirklichen Ursachen vieler Seuchen, die
offenbar, wie die Vergleichung einer früheren Zeit mit der
Gegenwart lehrt, in dem verschiedenen Grade der Bevöl¬
kerung, der Existenz von Sümpfen, der höheren oder nie¬
deren Civilisation der Völker u. s. w. zu suchen sind.
Wenn allgemeine Ursachen in Wirksamkeit treten,
und die Bewohner des Landes Disposition zur Krankheit
haben, so entsteht eine Epidemie. Es kann daher unter
den gegebenen Umständen fast jede Krankheit epidemisch
werden. Aus dieser Darstellung erhellt, dafs F. dem Be¬
griffe des Epidemischen eine ^gröfsere Ausdehnung giebt, als
man es in den meisten medicinischen Schulen zu thun ge¬
wohnt ist, Epidemie nämlich wird jedwede Krankheit ge¬
nannt, welche sich in Folge einer oder mehrerer allgemei¬
ner Ursachen und der Anlage, die eine grofse Zahl von
Individuen dazu besitzt, sehr verbreitet findet (S. 24.) Eine
jede solcher Krankheiten ist entweder einfach epidemisch
und ohne Contagium, oder sie tritt anfänglich epidemisch
auf und wird im weiteren Verlaufe contagiös, oder endlich
sie ist zuerst contagiös und wird in der Folge cüntagiös-
epidemisch.
Nach diesen Bemerkungen geht F. zur spendieren
Betrachtung der beiden in seiner Definition der Epidemie
147
II. Epidcmi cn.
angenommenen Factoren, der Ursachen und der Anlagen,
über, und handelt in dem ersten Abschnitte von den ver¬
schiedenen Ursachen der Epidemien.
In dem ersten Kapitel über die Gegenden finden wir
das Allbekannte über Boden, Lage, Wasser, Luft, Winde
und örtliche der Gesundheit nachtheilige Dinge (Kirchhöfe,
Schlächtereien, Schindanger, Abtritte, Flachsrösten u. s. w.).
Dabei werden Merkmale angegeben, welche von einer Ge¬
gend, die man sonst nicht genau kennt, lehren ob sie ge¬
sund sei oder nicht. Sodann folgt eine bündige Angabe
der Krankheiten, die den verschiedenen Gegenden (Gebir¬
gen, Ebenen, Wiesenländern u. s. w.) eigenthümlich sind,
woran sich Bemerkungen über die vorzüglichsten Mittel,
die Salubrität eines Landes oder einer Gegend zu verbes
sern, anschliefsen. * Stagnirende Wasser, Torflager und
Sümpfe hält der Yerf. gewifs mit Recht für sehr ungesund,
und schliefst aus den von ihm mitgetheilten Versuchen, dafs
die Ausdünstungen derselben eine grofse Analogie mit den
Ausdünstungen thierischer Körper, besonders im Zustande
der Krankheit, haben, weshalb denn auch beide ganz ana¬
loge Wirkungen auf die Gesundheit äufsern. Regen mit
niedriger Temperatur der Luft, selbst wenn er lange an-*»
hält, hat auch nach unserer Erfahrung oft keinen, aber
gewifs lange nicht so grofsen Nachtheil für die Gesundheit,
als anhaltende Feuchtigkeit der Luft mit hoher Temperatur.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Nahrungs¬
mitteln und Getränken als Krankheitsursachen. Die Nah¬
rungsmittel wirken nachtheilig, wenn sie weder dem Klima
noch der Natur der Eimvohner entsprechen, wenn sie
keine hinreichende Masse nährender Stoffe enthalten, oder
endlich auf irgend eine Weis« verunreinigt oder verdorben
sind. Nach diesen Beziehungen geht der Yerf. die Sub¬
stanzen des Thier- und Pflanzenreichs, deren der Mensch
sich zur Nahrung bedient, so wie die Getränke durch.
Die Behauptung, dafs die Taenia Teiche und Quellen be¬
wohne und mit dem Trinkwasser in den menschlichen
10 *
148
II. Epidemien.
Körper iibcrl ragen werde (S. 129), halten wohl die mei¬
sten Aerzte und Naturforscher mit uns fiir fabelhaft.
I)a man seit den Zeiten des Hippocrates die Con¬
stitution der Luft gläubig fiir die allgemeinste Ursache weit
verbreiteter Krankheiten angenommen hat, so untersucht
der Verf. im dritten Kapitel genauer die A\ ir klingen der
Jahreszeiten, der verschiedenen Temperatur, der Feuchtig¬
keit und Trockenheit der Atmosphäre, der Unregelmäßig¬
keit der Jahreszeiten, besonders in sumpfigen und feuchten
Gegenden, und zählt diejenigen, vorzüglich bei schwäch¬
lichen Subjekten vorkommenden krankhaften Zustände auf,
die man als Produkte der Jahreszeiten und der Verände¬
rungen in der Atmosphäre ansehen mufs.
Nach dieser wichtigen Untersuchung werden im vier¬
ten Kapitel die Beschreibungen verschiedener Seuchen mit
der 1 ackel der Kritik beleuchtet, woraus denn klar hervor¬
geht, dafs wenngleich atmosphärische \ erhältnisse günstig
und fördernd einwirken mochten, doch eigentlich Lebens¬
weise der Menschen, Mangel an guter Nahrung und gesun¬
dem I rinkwasser, stattgehabte Ueberschwemmungen , unge¬
sunde und sumpfige 'Gegend, allgemeine Noth und Angst
z. B. bei wiederholten Erdbeben, Krieg u. s. w. die ergie¬
bige Quelle jener \ olkskrankbeiten (der sogenannten pesti-
lentialischen Epidemien , Bühren, der bösartigen Peripneu¬
monien, der Hämorrhagien u. s. w.) waren, oder wenig¬
stens ihnen einen bösartigen Charakter aufdrückten. Hier¬
aus folgt, dafs man auch bei den katarrhalischen Epidemien,
efer Influenza, dem englischen Schweifs u. s. w. eben so
wie bei den acuten Exanthemen wohl unterscheiden mufs,
was duich die Atmosphäre allem hervorgebracht sein kann,
und was auf Rechnung von Miasmen, Infectionen und Con-
tagien geschrieben werden mufs. Ob die Behauptung, dafs
die lediglich durch die erstgenannte Ursache veranlafsten
Exantheme, naturgemäfs und ohne alle Gefahr verlaufen, in
dtr irklichkeit sich bewährt, wollen wir nicht entscheiden,
können aber doch einige Zweifel daran nicht unterdrücken.
149
II. Epidemien.
Eine andere sehr wichtige Ursache mancher Epidemien
sind die Infection und Contagion. Die erstere findet statt,
wenn die für unsere Sinne wahrnehmbaren oder nicht wahr¬
nehmbaren Ausdünstungen In Zersetzung begriffener, mei-
stentheils thierischer Substanzen den ihrem Einflufs ausge¬
setzten Individuen, sofern sie dazu prädisponirt sind, Ver¬
anlassung geben eine Krankheit eigenthümlicher (fauliger)
Art zu bekommen. Die auf solche Weise entstandenen
einfachen epidemischen Krankheiten können sich freilich in
epidemisch -contagiöse umwandeln, wie z. B. dig, Pest und
das gelbe Fieber; indefs geschieht dies nicht bei jeder Epi¬
demie, entweder weil ein plötzlicher Temperaturwechsel
sie in ihrem \ erlauf frühzeitig unterbricht, oder weil die
Krankheit überhaupt von gutartiger Beschaffenheit ist, oder
endlich wegen günstiger Nebenumstande (ordentlicher Pflege
der Kranken, Reinlichkeit, Gemiithsruhe u. s. w.) — Was
über das Contagium, die seine Entwickelungen begünsti¬
genden Momente, seine Eigenschaften, die verschiedenen
Arten der Ueberlragung durch unmittelbare und mittelbare
Berührung 11. s. w. gesagt worden, ist nur das allgemein
Bekannte. Das Wesen der Contagion lehren weder die
Untersuchungen der Chemiker, noch die Hypothesen man¬
cher Schriftsteller kennen. Man ist darüber im Dunkeln,
und weifs nur aus der Erfahrung, dafs das kranke Indivi¬
duum durch die ganze Oberfläche seines Körpers, seinen
Athem und alle Excreta das Contagium mitzutheilen ver¬
mag, das gesunde Individuum dagegen es durch den Ge¬
ruch, das Athmen, das .Verschlucken und die Einsaugungs¬
fähigkeit der Haut aufnimmt.
Das sechste Kapitel hat F. der Eintheilung der Epide¬
mien gewidmet, von welchen er nach ihren Ursachen fol¬
gende sechs Ordnungen aufstellt: 1) Epidemien durch Nah¬
rungsmittel und Getränke veranlafst, 2) durch Sumpf-
Miasmen, 3) durch die Jahreszeiten und Veränderungen
in der Atmosphäre, 4) durch Wirkung der mit heteroge¬
nen Stoffen geschwängerten und diese (oft in entfernte
1 50
II. Epidemien.
Gegenden) mit sich führenden Luft, 5) Epidemien von
blofser Infection entstanden, und 6) durch ein Contagium
verursacht.
Das letzte Kapitel dieses Abschnittes giebt eine allge¬
meine Uebersichl der Vorschläge, die W eilerverbreitung
epidemischer Krankheiten zu verhüten. Die Erfahrung hat
zwar gelehrt, dafs mit den Fortschritten der Civilisation
die Epidemien seltener geworden sind; indefs um sic noch
mehr zu beschränken ist es nothwendig, die veranlassenden
Erwachen möglichst aus dem Wege zu räumen. Es ist fer¬
ner von grofser Wichtigkeit, dafs nicht nur für gute und
brauchbare Krankenwärter gesorgt werde, dafs die Aerzte
wohl unterrichtet und tüchtig seien, und die Epidemie
gleich ini Anfänge richtig erkennen, sondern auch dafs die
Obrigkeiten zweckmäfsige Maafsregeln ergreifen und sie mit
Kraft durchsetzen. \ on anerkannter AN irksnmkeil sind für
diesen Fall: 1) Quarantaineanstalten und Keinigung der
Personen und Sachen, die aus verdächtigen Gegenden kom¬
men; 2) möglichste Erkaltung der Reinheit der Luft, und
Erneuerung derselben besonders in den Hospitälern; *3) An¬
bringung des Wassers in grofser Menge in den Häusern
wie auf den Gassen. — Zum Schlüsse folgt die Beschrei¬
bung eines Ventilators, der dem von Haies vorgeschlage¬
nen ähnlich ist.
Um die Wirkungen der vorhin erörterten Ursachen
der Epidemien auf den menschlichen Organismus zu zeigen,
und die aus diesem Conilict hervorgehenden Krankheiten,
ihren Sitz und ihre nächste Ursache nachzuweisen, fängt
der ^ erf. recht ab ovo an , und trägt uns in dem zweiten
Abschnitte, der über 200 Seiten füllt, Physiologie, Patho¬
logie und selbst allgemeine Therapie vor. Folgende Haupt¬
sätze glauben wir herausheben zu müssen. Das Leben in
seinem innersten AV esen ist ein Geheimnifs; aber die Er¬
scheinungen des Lehens, abweichend von den bekannten
Gesetzen der Physik und Chemie, lassen sich aus einer im-
¥
mer thätigen Kraft, welche einem Zustande der absoluten
II. Epidemien. 151
Unthätigkeit , in welchem die unorganischen Körper ver¬
harren, also der blofsen Materie gerade entgegengesetzt ist,
erklären. Dies thätige Lebensprinzip schafft allmählig Ge¬
webe, Organe und Formen, stöfst das "N erbrauchte aus,
erneuert, erhält, verwendet zu seinem Gebrauch die Dinge
aufser uns, und bildet in jedem belebten Wesen eine Art
von Welt im Kleinen, den Microcosmus. — Einige Kapi¬
tel der Physiologie (über Sensibilität, Verdauung, thieri-
sehe "Wärme u. s. w.) werden noch besonders abgehandelt,
um das Leben im Zustande der Gesundheit zu betrachten,
welche in dem harmonischen Verhältnisse aller Organe und
Functionen besteht. — Die Krankheit bildet keinesweges
einen Gegensatz gegen die Gesundheit, sondern ist nur als
eine Modification des Lebensprozesses anzusehen, als das
Resultat der unregelmäfsig von statten gehenden Functionen
und der regelwidrigen Metamorphosen der Organe. Um
zur Kenntnifs und richtigen Würdigung der verschiedenen
Krankheitsformen zu gelangen, bieten sich uns drei Wege
dar: die Beobachtung am Krankenbette, Leichenöffnungen
und Vivisectionen. Unbedenklich ist die Beobachtung, wenn
sie tüchtig ist, die lauterste Quelle für jenen Zw^eck; den
Vivisectionen dagegen ist am wenigsten zu trauen, denn ,
durch die Folterbank läfst sich die Wahrheit nicht erpres¬
sen. Da die Krankheiten nur Abweichungen von dein ge¬
sunden Zustande sind, so bewahrt auch in ihnen das Le¬
bensprinzip seine Thätigkeit, und erscheint in dem Sturm
als heilende Kraft der Natur. Die Erörterung dieser Wahr¬
heit giebt Gelegenheit über die Produkte des Krankheits¬
prozesses, neue Bildungen, Afterorganisationen, besonders
über kritische Ausleerungen sich auszulassen , woran sich
denn im vierten Kapitel die Lehren von der Mitleidenschaft
und der pathologischen Wechselwirkung der verschiedenen
Systeme und Organe, von der Periodicität und der Inter¬
mission mancher Krankheitserscheinungen anschliefsen. —
Um die Entwickelung und Ausbildung der Krankheiten er¬
klären zu können, mufs man sich an die Theorie der Erre-
152
II. Epidemien.
gung halten (ezcitatio, santl; surexcitation, com-
menceinent de maladie; irritation, maladie; irritation
avcc septicite, perte plus ou moins prompte de la vie.
S. 388 des ersten Bandes). Die Irritation ist gemeinhin
von (Kongestion und Entzündung begleitet; nur wenn sic
mit einem septischen Elemente gepaart ist, hört das Lehen
früher auf, als Jtülhe und Entzündung sich offenbaren kön¬
nen. Die Entzündung ist eine wahrhafte Veränderung der
Kräfte (veritable alteration des forces), und von dreifacher
Art: (1. Ardeur, inllamniation fugace, qui va et vie nt,
r
2. Erysipele, 3. Phlegmon). — Die erregenden I rsachen
können auf alle Theiie des Körpers einwirken, aber wel¬
chen Theil sie auch zunächst mögen ergrilTen haben, so
übertragen sic ihre Wirkungen bald auf die beiden Haupt-
träger des Lebensprinzips, das Nerven- und das Gefäfs-
system. Eine natürliche Folge der Reaction des Organis¬
mus gegen die krankmachenden Ursachen ist derjenige Zu¬
stand, den man Fieber nennt. Obgleich das Fieber also
nur ein Schatten der Krankheiten ist , und örtlich sein
kann, wenn die Ursache örtlich ist, so lassen sich doch die
essentiellen Fieber, d. h. solche, die weder von einem ein¬
zelnen Organe ausgehen, noch einen Centralpunkt der I\c-
action haben, nicht abläugnen. Dergleichen sind unter an¬
deren die intermittirenden Fieber, das wahre Faulficber,
diejenigen Fieber, welche Folgen von Erschöpfungen sind,
und die, welche die exanthematischcn Krankheiten beglei¬
ten. — Die heilende Kraft der Natur ist zwar zur Besei¬
tigung der Krankheiten sehr thätig, aber sie bringt das
groKe Geschäft nicht immer allein zu Stande, sondern ver¬
langt eine Unterstützung von Seiten der Kunst. Indefs
auch dann ist ein stürmisches Eingreifen, um die Krankhei¬
ten gleich im Anfänge zu unterdrücken, selten an seiner
Stelle; in den meisten Fällen mufs der Arzt ein Diener der
Natur sein, und sorgfältig Acht haben, auf welchem Wege
diese die Heilung zu bewirken strebt, um sie darin zu un¬
terstützen. Die Mittel welche uns hierbei zu Gebote ste-
153
II. Epidemien.
hen, sind das Aderlafs, die Erbrechen erregenden, die ab¬
führenden Mittel, die China, die revulsorischen und ablei¬
tenden Mittel u. s. w., von welchen allen die Anzeigen
und Gegenanzeigen nach den Grundsätzen einer reinen
Empirie aufgestellt werden. — Zuletzt folgt noch im sie¬
benten Kapitel die Lehre von der Anlage, als dem zweiten
Faktor zur Hervorbringung epidemischer Krankheiten. Sie
hängt von denselben Verhältnissen ab, wie die Individua¬
lität des Menschen. Im Allgemeinen sind dem Anscheine
nach sehr kräftige und mit sanguinischem Temperamente
begabte Leute für epidemische Krankheiten ungleich em¬
pfänglicher, als andere. — Im Laufe der Jahrhunderte sind
einige Krankheitsformen verschwunden, andere neu entstan¬
den, wie es scheint durch eine Veränderung der Anlage,
welche theils durch die innigere Vermischung der verschie¬
denen Menschenrassen miteinander, theils durch die reifsen¬
den Fortschritte der europäischen Kultur herbeigeführt
worden.
Erste Ordnung. Von. den Epidemien, die von
Nahrungsmitteln und Getränken entstehen, wer¬
den folgende neun Arten aufgestellt:
1) Einfaches gastrisches Fieber, lediglich durch
einen primitiven Sabnrralzustand der ersten Wege veran-
lafst. Die ganze Beschreibung der Krankheit, ihre Com-
plicationen, Prognosis nnd Behandlung sind von unserem
trefflichen Frank r) entlehnt und gröfstentheils nur wört¬
liche Uebersetzung. Epidemisch wird dies Fieber durch
schlechte Qualität der Nahrungsmittel, weshalb es denn
vorzugsweise in Zeiten der Theurung und Noth unter den
Armen herrscht. Viele andere Umstände, namentlich die
Feuchtigkeit der Luft, tragen zur weiteren Ausbreitung
bei. Daher kommt es, dafs in manchen Gegenden der ga¬
strische Charakter der Krankheiten endemisch genannt wer-
1 ) De curandis hominuiu morbia epitome. Manhemii 1792.
VoL I. p. 143 etc.
154
II. Epidemien.
den kann; so haben in der ganzen Umgegend, wo Bef.
lebt, fast alle acute und sehr viele chronische Krankheiten
von Anfang an einen gastrischen Abstrich, oder sie neigen
im weiteren Verlaufe dahin. Aulner der zu berücksichti¬
genden Verbesserung der schlechten Nahrungsmittel, stehen
bei der Behandlung die Brechmittel, besonders der Tarta¬
rus stibiatus oben an; nur im dem Falle, wo eine entzünd¬
liche Complicalion vorwaltet, müssen Blutentziehungen vor¬
angehen. P. Frank hat dieser Klippe für junge Aerztc
seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt, und die zu beach¬
tenden Uautelen trefflich zusammengestcllt; dennoch bleibt
die richtige Beurthcilung solcher Fälle ungemein schwierig,
und ist ein wahrer Prüfstein für die Tüchtigkeit des Arz¬
tes. Die Anhänger der neuern Schule in Frankreich, welche
überall nur Gastro - enterb is durch ihre gef ärbte Brille se¬
hen , fallen mit einer wahren Blutwuth über die an gastri¬
schen Fiebern leidenden Kranken her. Frost warnend vor
diesem Unwesen, t heilt Fodere zwei unglückliche Beispiele
der Art mit; in dem einen wurden 120 Blutegel auf den
Unterleib und an den After gesetzt, in dem anderen gar
über 200, und aufserdeni noch dreimal an dem Anne zur
Ader gelassen. I lorribile dictu!
2) Das Wu rm fieber. Nachdem man eine geraume
Zeit hindurch die Eingeweidewürmer, und unter ihnen die
Spulwürmer als Ursache einer grofsen Zahl acuter und
chronischer Krankheiten angeklagt, Jucken in der Nase und
Zusammenlaufen des Speichel^ im Munde für gültige Be¬
weise der Existenz jener Thiere angesehen hatte, trat die
entgegengesetzte Meinung hervor, dafs sie unschuldig an
den meisten Ucbeln, und nur Svmptoine einer Krankheit
seien, b. hält es nicht allein mit der durch ihr Alter ehr¬
würdigen Ansicht, sondern stellt auch die Spulwürmer, von
denen hier allein die Bede ist, in die Klasse der narcotisch-
scharfen Gifte; indefs bemerkt er doch, dafs Würmer sich
am häufigsten bei schwächlichen, mit schlaffer Faser verse¬
henen Subjekten finden, die eine schlechte vegetabilische
155
II. Epidemien.
Nahrung geniefsen, in tief liegenden und sumpfigen Gegen¬
den wohnen , und sich wenig in freier Luft bewegen. Da
dieselben Umstände zugleich die Entstehung von Saburral-
zuständen und Schleimfiebern bedingen, so ist es klar,
warum AVurmficberepidemien immer mit diesen Zusammen¬
fällen. Unter den anthelmintischen Mitteln werden beson¬
ders die Semina cinae und RicinusÖl mit Brechweinstein,
arabischem Gummi und Orangenblüthwasser vermischt her¬
vorgehoben.
3) Die Raphanie, Kriebelkrankheit oder Fieber mit
Convulsionen , und
4) der Ergotisme oder Fieber mit Brand sind sel¬
tener geworden, seitdem man mehr auf die Ausrottung des
Enkrauts auf den Aeckern und die Reinigung des Getrei¬
des selbst gesehen hat. Beide Krankheiten sind ungeachtet
ihrer wesentlichen Verschiedenheit von einem grofsen Theile
der Schriftsteller mit einander verwechselt worden. Ref. ,
der beide nie zu sehen Gelegenheit gehabt hat, theilt nach
den ihm bekannten Beschreibungen mit mehreren Aerzten
die Meinung, dafs der Raphanie die kriebelnde Empfindung
in den Gliedmaafsen und der Ileifshunger eigenthümlicb
sind, den Ergotisme dagegen der trockene Brand der Extre¬
mitäten, wobei diese nach heftigen Schmerzen abfallen, cha-
rakterisirt. Die Behauptung unseres Yerf. , dafs Sprengel
beide Krankheiten zusammengeworfen habe, ist falsch; im
Gegentheil hat dieser Gelehrte, dem Beispiele von Saillant
und Marcard folgend, den Unterschied zwischen beiden
bestimmt und deutlich nachgewiesen J). Die Kriebelkrank¬
heit, welche unseres Wissens zuerst im Jahre 1588 in
Schlesien beobachtet und von Caspar Sch wen kfeld be¬
schrieben wurde, hat sich immer vorzugsweise in Deutsch¬
land, und zwar innerhalb zweier Jahrhunderte dreizehnmal
1) Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde.
Bd. V. 1803. S. 450., und Handbuch der Pathologie, 3te Au fl.
1810. 3 r Theil. S. 272. §. 455.
156
II. Epidemien.
epidemisch gezeigt. Bei der Beschreibung dieses Uebels
hält sich F. ausschliefslich an den Bericht der Marburger
Aerzte, weshalb wir auf diesen verweisen 1 ), und nur noch
bemerken, dafs die Krankheit in ihren aufserlichen Erschei¬
nungen eine grofse Aehnlichkeit mit dem St. Veitstänze
darbietet, der gleichfalls mehreremale, und vorzüglich im
vierzehnten Jahrhundert epidemisch aufgetreten ist. Die
Ursache der Raphanie, worüber bekanntlich ein lebhafter
Streit geführt wurde, sucht F. in dem Genüsse der Saamen
von Raphanus Raphanistrum, Bromus multiilorus und Agro-
stemma, wie auch des kranken und verdorbenen, nament¬
lich am Brande und Koste leidenden Getreides. Diese Sub¬
stanzen fgehören nach seiner Ansicht zu den narcotiseh-
scharfen Gificn, und aufsern ihre irkungen sehr schnell
auf das Rückenmark, auf eine, ähnliche Weise wie die
Upas- und Strycbnos -Arten. — Der Krgotisme (nach
Sa u vages Necrosis ustilaginea) hat sich vorzugsweise in
Frankreich, 'und zwar noch häufiger als die Kriebelkrank¬
heit in Deutschland gezeigt. Der Verf. rechnet zu dieser
Krankheit das Feuer des heiligen Antonius (mal des ar-
dens), und schreibt ihre Entstehung dem Genüsse des
Mutterkorns zu. Da mehrere geachtete Aerzte das Mutter¬
korn entweder für unschädlich oder wenigstens nicht für
allgemein nachtheilig halten, so sucht F. sich ihnen durch
die Bemerkung zu nähern, dafs es Umstände gebe, welche
die Schädlichkeit des Mutterkorns vermindern können. Es
verliert nämlich an Wirksamkeit durch das Alter; ja selbst
frischgebackenes Brod, in dem sich Mutterkorn befindet,
soll ungleich nachtheiliger sein, als w'enn es einige Tage
alt ist. Aufserdem ist natürlich die gröfsere oder geringere
Quantität des Mutterkorns unter dem Getreide in Anschlag
1) De eonrulaione cercali epidemica, novo morbl genere,
farultatis rnedicae Matburgeniii respomum. Libellum primum
rarum ct argumento gravem rccudi curavit nolulis<pio auxit
Abr.'Gfr. Grüner. Jcuac, 1793. 8.
157
II. Epidemien.
zu bringen. Den Unterschied, welchen Parmentier zwi¬
schen dem gutartigen und bösartigen Mutterkorn angegeben
hat, und der unseres Bedünkens von Erheblichkeit bei Ent¬
scheidung dieser Angelegenheit ist, hat F. nicht berührt.
Das Mutterkorn scheint nach seiner Meinung mehr narco-
tisch als scharf zu sein, und der Klasse der septischen Gifte
nahe zu stehen. Die durch dasselbe hervorgebrachte Intoxi-
cation wird durch schwächliche Constitution und Erschö¬
pfung des leidenden Subjectes, wie durch feuchte und ein¬
geschlossene Luft bedeutend gesteigert. Die Behandlung
der Krankheit erscheint uns noch immer sehr schwankend
und unsicher; aber die von F. vorgeschlagenen polizeilichen
Maafsregeln zur Verhütung der durch verdorbenes und mit
schädlichen Substanzen vermischtes Getreide entstehenden
Zufälle sind in mehreren deutschen Ländern , namentlich in
den preufsischen Staaten längst in Anwendung gebracht
worden.
5) Die epidemische Diarrhöe,
6) die Ruhr und
7) das Ruhrfieber (fievre dysenterique) bieten
nichts besonderes dar, als dafs uns fast auf jedem Blatte
ein ehrenwerther alter Bekannter begegnet J). Warum
der Verf. ein Ruhrfieber als eigene Art aufgeführt hat, be_
greifen wir nicht, da er nur eine bösartige Dysenterie dar¬
unter versteht, die selten isolirt, meistentheils als Compli-
cation des Lazarethfiebers, des Typhus und des Faulfiebers
erscheint, und ganz und gar Frank’s Dysenteria asthe-
nica entspricht.
8) Den Scorbut und
9) die s corbutischen Affectionen betrachtet F.
als eine Art chronischen Faulfiebers, als einen Anfang der
Zersetzung des thierischen Organismus. Die Krankheit ist
entweder örtlich oder allgemein, tritt zuweilen mit einem
1) Frank de curandis hominum morbis epitome Lib. V.
P. II. p. 447 — 527.
158
II. Epidemien.
intermfttirenden Typus auf, und hat ihren vorzüglichsten
Sitz im Blute. Das Pellagra kann man als eine besondere
Art des Scorbutcs anseben. Wenn es seine Richtigkeit
hat, dafs schlechte Nahrung, Schmutz, unreine eingeschlos¬
sene Luft, Gcnufs von verdorbenem Wasser, ungeheure
Anstrengungen des Körpers, deprlmirende Gcmiilhsaffeete,
sehr kalte Luft, grofse Feuchtigkeit der Atmosphäre in ^ er-
bindung sowohl mit Wärme als Kälte den Scharbock her¬
vorbringen, und durch ihre vereinte Wirkung besonders
in niedrig liegenden, feuchten und Ueberschwemmungen
ausgesetzten Gegenden das Uebel leicht epidemisch machen,
so erscheint die Behauptung (Bd. II. S. 164.) hart, dafs die
Epidemien des Scorbuts fast immer Folgen der Sorglosig¬
keit der öffentlichen Verwaltung gewesen sind. Bei der
Gur macht das diätetische Verhalten die Hauptsache aus.
Aufscrdem ist zu berücksichtigen , dafs einige Kranke erhiz-
zende und reizende, andere kühlende Mittel zu ihrer Hei¬
lung bedürfen. Die Indicationen sind indefs nicht so genau,
als es zu wünschen gewesen wäre angegeben.
Von den Epidemien der zweiten Ordnung, die
durch Miasmen oder sumpfige A u sd ü n s t u n ge n ver-
anlafst werden, giebt es sieben Arten.
1) Die Wech sei fieber entstehen zwar sporadisch
zum öfteren durch Metastasen, und sind zuweilen selbst
rein symptomatisch, aber epidemisch herrschen sie beson¬
ders durch miasmatische Einflüsse. Die Erfahrung lehrt
übrigens, dafs zu den Miasmen noch ein unbekanntes Et¬
was hinzukommen müsse, um eine 'Wechselfieberepidemie
hervorzubringen, denn in Gegenden, wo dergleichen län¬
gere Zeit geherrscht haben, hören sie oft mehrere Jahre
lang auf, ungeachtet, so weit menschliche Einsicht reicht,
alle Verhältnisse der Oertlichkeit wie die Lebensart der Be¬
wohner dieselben gehliehen sind. Die nächste Ursache der
Weehselfiebcr sucht F. in einer Subirritation des Kücken¬
marks, von wo aus denn das ganze Nervensystem sympa¬
thisch ergriffen wird. Zum Schlüsse dieses Kapitels werden
159
II, Epidemien.
noch 2) die larvirten Wechselfieber, 3) die soge¬
nannte Febris depuratoria und 4) die periodi¬
schen Neurosen abgehandelt.
5) Die Febres subintrantes (Fieber, bei denen
der eine Anfall kaum geendigt ist, als auch schon ein an¬
derer beginnt) und i
6 ) die b ö s a r t i g e n Fieber, d. h. solche , die im
Anfänge gar nicht so schlimm aussehen, oft nicht einmal
mit der Heftigkeit der gewöhnlichen intermittirenden Fie¬
ber auftreten, aber unter dieser unschuldigen Gestalt ge¬
wöhnlich schnell verlaufen, und nicht selten mit dem Tode
endigen. Als Subintrantes erscheinen vorzugsweise die ein¬
fach- und doppelt - dreitägigen Fieber. Die Paroxysmen
werden durch Kopfschmerz, heftige Delirien, die nicht sei¬
ten in Lethargie übergehen, wie durch profuse Schweifse
charakterisirt. Diese Arten der intermittirenden Fieber
kommen am häufigsten in der Lombardei vor, wo sie auch
F. beobachtete, und sollen zuweilen sogar contagiös wer¬
den. Ls scheint hei ihnen nicht allein das Rückenmark,*
wie bei den legitimen Wechselfiebern, zu leiden, sondern
die Gesammtheit der Systeme, und das Blut selbst mit ei-
nemmale ergriffen zu sein. (Bd. II. S. 237.)
7) Die remittirenden Fieber haben ihre Hei-
math in den wärmeren Climaten, kommen in den Tropen¬
ländern epidemisch vor, und sind vorzüglich den neuen
Ankömmlingen gefährlich, (konstante Symptome sind: gelb¬
liche Farbe der Haut, gelbe, braune und zuletzt schwarze
Zunge, Schmerz und Spannung in der Magengegend, spar¬
samer Urin, Delirium und Coma. Bei den Leichenöffnun¬
gen finden sich in allen dreien Cavitäten bedeutende Wir¬
kungen der Krankheit. Diese Fieber sind übrigens durch¬
aus nicht identisch mit dem gelben Fieber, wie einige
Schriftsteller meinen; haben dagegen grofse Aehnlichkeit
mit dem Faulfieher. Die Schleimhaut des Speisekanals , die
Gallenorgane und das Cerebralsystem werden am ersten
ergriffen. Die Prognose ist mindestens sehr zweifelhaft,
160
II. Epidemien.
und die Behandlung mehrerer älteren Aerztc, welche im
Anfänge ausleerende Mittel anwenden, zu tadeln. Der
dreiste Gebrauch der China vermag allein die Kranken zu
retten. Die angehängten prophylaktischen Kegeln mögen
alle nach Tropenländern reisenden Europäer beherzigen.
Dritte Ordnung. Epidemien, w e 1 c h e ledig¬
lich W irkungen der Temperatur Veränderungen,
der Trockenheit oder Feuchtigkeit der Euft
sind.
Die fünfzehn Arten dieser Ordnung der Seuchen ent¬
stehen zwar von mannichfaltigen Ursachen, wenn sic spo¬
radisch erscheinen, aber ihre epidemische Ausbreitung wird
durch die genannten Zustände der Atmosphäre, deren W ir¬
kungen auf den menschlichen Körper auseinandergesetzt
werden, bedingt.
1) Entzündliches Fieber (Fehris inflammatoria,
Synocha), ist fast wörtlich aus Frank's Epitome übersetzt.
2) Das hitzige Fieber (Fievre ardente ou chaude)
macht nur einen höheren Grad der Svnocha aus.
3) Entzündung verschiedener Gebilde. Als
epidemische Entzündungen werden aufgeführt: der Sonnen¬
stich, die Entzündung der Gehirnhäute, die Angina, Pneu-
monia, Pleuritis, Pleurodynia, Peritonitis, Hepatitis, Gastri¬
tis und Rheumatismus acutus. — Die nächste Ursache der
Entzündungskrankheiten besteht in einer Entzündung des
Blutes, d. h. in einer beginnenden Mischungsveränderung
desselben (Bd. II. S. 325.); nur ist das Blut hier, im Ge-
gen.satz gegen den Scorbut und das Faulfieber, verdichtet
und hat eine Neigung zur Eiterbildung. Polemisch gegen
die neue Schule im Val de Gräce vertheidigt F. die allge¬
meinen Blutentziehungen, und giebt ihnen in den inilam-
matorischen Krankheiten im Allgemeinen den Vorzug vor
der Anwendung der Blutegel.
(Fortsetzung folgt.)
Litter arische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
N® 43.
1825.
Le^ons sur les Epidemies et l’Hygiene pu¬
blique, faites a la Faculte de Medecine de Stras-
Lo arg par Fr. Emm. Fodere. Paris, 1822 —
1824. 8.
(F ortsetzung . )
4) D as Gallen fi eher, Febris biliosa, mufs nicht
als eine Art weder des gastrischen noch des katarrhalischen
1 iebers angesehen und behandelt werden. Fs ist vielmehr
eine eigentümliche Krankheit, in welcher die gallichten Un¬
reinigkeiten Folge des gereizten Zustandes der Verdauungs¬
organe und der Uebertragung dieser Irritation auf die Le¬
ber sind.
5) Das hitzige Gallenfieber (Fievre ardente bi-
lieuse) ist ein höherer Grad des einfachen biliösen Fiebers,
indem die Irritation der Verdauungswerkzeuge und der Le¬
ber bis zum entzündlichen Zustande gesteigert wurde. Beide
Krankheitsformen sind in heifsen Climaten , wenn die Atmo¬
sphäre lange sehr heifs und trocken ist, gewöhnliche Er¬
scheinungen. Der aufgestellten Ansicht von der Natur die¬
ser Fieber zufolge warnt der Verf. vor Brechmitteln und
tonischen Medicamenten, empfiehlt dagegen eine antiphlo¬
gistische Behandlung, unter Berücksichtigung einiger Cau-
telen. Wo von den prädisponirenden Ursachen die Rede
ist, wird auf die Ausschweifungen in der Liebe und die
Onanie aufmerksam gemacht, welche allerdings auch nach
unserer Erfahrung ungemein ungünstig auf die Functionen
der Leber und des ganzen Digestionsapparats einwirkeu.
IT. Bd. 2. St. 11
162 IL Epidemien.
Wir bedauern wegen Beschränktheit des Baumes nicht tie¬
fer eingehen zu können, um so mehr als die Beschreibung
der Gallenfieber uns wohl gelungen zu sein scheint.
G) Die europäische Cholera,
7) die indische Cholera und
8) verschiedene Arten von Coliken ( Col. bi-
liosa, inilammatoria , verminosa, spasmodica s. llatulenta,
saturnina, von welcher letzteren die Colik von Poitou
mit Grund getrennt wird), nebst der Cardialgic und Gastro-
dynie, machen den Gegenstand des dritten Kapitels aus.
Mit Ausnahme der Blcicolik werden diese Krankheiten durch
den Genufs von Früchten vorbereitet, und herrschen im
Sommer und in den Tropenländern epidemisch wenn auf
bedeutende Hitze am Tage kiihle Nächte folgen. Diese
Temperaturverändernngen wirken auf die Schleimhaut des
Magens und Darmkanals auf dieselbe Meise wie auf die
äufsere Ilaut; es entsteht also eine Irritation der Digestions¬
organe, welche, wie hei dem Gallenfieber , die Secretion
der Galle beschleunigt, die antiperistaltischen lind peristal¬
tischen Bewegungen vermehrt und zuletzt entzündlichen
Zustand hervorbringen kann. Die indische Cholera unter¬
scheidet sich von der europäischen nur durch Heftigkeit
der Symptome und grofsere Gefahr. Die Diagnose der
Cholera und der Coliken von Vergiftungen, der Kinklem-
mung eines Bruches, der Enteritis und Peritonitis ist gut
angegeben, wie auch der Complication der Cholera mit in-
termittirenden fiebern gedacht. Die wirksamsten Mittel
gegen die Gallonruhr sind das Opium, verdünnende und
beruhigende Mittel, \esicatore, lauwarme Bäder und zu¬
weilen Blutentziehungen. Bei den krampfhaften Coliken
wird dem Opium vor allen anderen Mitteln der Vorrang
eingeräumt.
9) einfaches Katarrhal fi eher und
10) katarrhalische Affeetionen. Wenn für die
epidemische Ausbreitung der vorgenannten acht Krankheits¬
formen nur die Temperatur der Atmosphäre als ursächliches
163
II. Epidemien.
Moment berücksichtigt werden dürfte, so mufs man bei
den katarrhalischen und den übrigen Krankheiten der drit¬
ten Ordnung auch noch die hygrometrischen Veränderun¬
gen der Luft in Betracht ziehen. Die katarrhalischen Epi¬
demien, seit mehreren Jahrzehnden bei weitem die häufig¬
sten in Europa, erscheinen in regnichten Wintern, beim
Aufthauen, im Frühlinge und Herbste, und werden ganz
allgemein, wenn auf Wärme der Luft eine feuchte Kälte
folgt, oder die Südwestwinde lange vorwalten. F. nimmt
einen hitzigen und einen kalten Katarrh an, von denen
jener durch feuchtwarme, dieser durch feuchtkalte Luft
hervorgebracht wird. Die Wirkungen der katarrhalischen
Constitution der Atmosphäre äufsern sich übrigens nicht
blofs in den Schleimhäuten der Geruchswerkzeuge und Re¬
spirationsorgane, sondern auch in dem» Circulationssystem
und besonders in den Verdauungs Werkzeugen, weshalb die
Brechmittel und ausleerenden Medicamente in den katar¬
rhalischen Krankheiten von so ausgezeichnetem Nutzen sind.
11 ) Einfaches und 12) complicirtes Schleim¬
fieber (Febris pituitosa Frankii).
Der Morbus mucosus, wie Rüderer und Nagler *)
diese Krankheit nennen, ist keinesweges eine blofse Varie¬
tät des gastrischen Fiebers, sondern gehört vielmehr zu
dem kalten Katarrh, hat einen langsamen Verlauf, geht
häufig genug in die Febris nervosa lenta über, erscheint
selten einfach , meistentheils complicirt mit dem gastrischen
und Wurmfieber oder einem typhösen Elemente, und
nimmt nicht selten in Folge miasmatischer Einflüsse einen
remittirenden oder intermittirenden Charakter an. Feucht-
• • , *
kalte Luft und Nebel im Herbste und W7inter rufen beson¬
ders in tiefliegenden und sumpfigen Gegenden die Krank¬
heit hervor und machen sie leicht epidemisch, zumal wenn
feuchte Wohnungen, Mangel an Feuerung, schlechte Nah¬
rung und Bekleidung hinzukommen. Das Schlcimfieber
1) De morbo raucoso über singularis. Gocltingac, 1762. 4.
11 *
i 64
II. Epidemien.
bestellt in einer allgemeinen Verringerung der Vitalität in
den verschiedenen Gewieben und in den Säften *). Ver¬
nachlässigt oder schlecht behandelt tüdtet es durch colli-
quative Diarrhoen und Schweifse, oder es geht in hecti-
sches Fieber, Wassersucht, Scorhut, Lungen- oder Unter-
leibssrhwindsucht über. Die Gekrüsversiopfung der Kinder
(Carreau ou obstruction du niesentere) ist jederzeit eine
Folge des vernachlässigten Schleimfiebers.
Als die letzten drei Krankheitsformen dieser Ordnung
werden 13) der Sch nu p fen, 11) der Lungenkatarrh
und 15) die Schleimschwindsucht aufgeführt. A\ ie-
wohl die Phthisen eigentlich nicht zu den Epidemien ge¬
hören, so glaubt der Yerf. doch die Scldeimschw indsucht
der Lungen um so mehr hier abhandeln zu müssen, als sie
unglaubliche Verheerungen anrichtet, und die gröfste Zahl
der Fälle von einem einfachen Schnupfen oder Katarrh ih¬
ren Ursprung bat. Die in einer grofsen Menge von Schrif¬
ten angegebenen Unterscheidungsmerkmale der Phthisis pi-
tuitosa von der Phthisis tuberculosa, welche hereditär sein
soll, sind hier aufgeführt, und endlich noch, ziemlich weit-
lauftig, Regeln zur physischen und moralischen Erziehung
der Menschen von frühester Kindheit an, um die Entwicke¬
lung dieser Krankheit zu verhüten, angegeben. Bei dieser
Gelegenheit wird auch der Onanie, als einer Ursache der
Phthisis, wie der Mittel dies Laster zu verhindern, gedacht.
Die vierte Ordnung enthält die aus einer mit
verderblichen Miasmen geschwängerten Luft
1) Der Vcrf. lafst sich folgcndcrmaafsen über die Natur
dieser Krankheit aus: Nous pensons qu’elle consiste en unc di-
minution generale de la vitalitd dans les differens tissus et dans
les humeurs, de laquelle rcsulte une Infiltration universelle des
tissus blancs et des mcmbrancs muqueuses, devenus commc des
£ponges qui pompent tous les fluides : ^tat qui amine successi-
veraent une reaction, de ia part des forces conservatricrs , pio-
portionn^e au degr6 de langucur dans lequcl sc trouve toutc
l’^conpniie. — Tome II. p. 491.
II. Epidemien« 165
entstehenden Krankheiten. (Des maladies par le fall
de l'air transportant des miasmes deleteres.)
Die Krankheiten der vorigen Ordnung entstanden durch
verschiedene Zustände der Temperatur und der Feuchtigkeit
in der Atmosphäre, plötzliche Veränderungen derselben, und
W inde. Um die Entwickelung der Krankheiten dieser
Ordnung zu erklären nimmt F. an, dafs die Atmosphäre
mit fremdartigen Substanzen beladen sei, die sie, über
Sümpfe oder Massen verwesender Stoffe streichend, in sich
aufgenommen habe, und durch die Luftströmungen in ent¬
fernte, sonst ganz gesunde Gegenden mit sich fortfiihrc.
Diese Miasmen in der Luft sind nun eben jenes den Alten
unbekannte Agens, das für die Neueren nichts Wunderba¬
res enthält, da sie die wahre Ursache erkannt haben. Die
dadurch veranlafsten Krankheiten haben einen dreifachen
Charakter, den katarrhalisch -gastrischen, den nervösen und
den entzündlichen; jedoch ist die Entzündung eine eigen-
thümliche, bewegliche, erysipelatöse, und leicht in Brand
übergehende. Alle Krankheiten dieser Ordnung sind eigent¬
lich bösartige katarrhalische, und bilden nach den verschie¬
denen Organen, welche sie befallen, folgende Arten.
Epidemische Augenentzündung. Wenngleich
manche Schriftsteller bei den Augenkrankheiten zu sehr in
den Fehler der Mikrologie verfallen, und trennen, was in
der Natur nicht- scharf getrennt ist, so scheint uns F. zu
wenig auf die Diagnose dieser Uebelseinsformen gegeben
f s
zu haben. Er beschreibt die Ophthalmie im Allgemeinen,
und sagt von den epidemischen Augenentzündungen: On
les observe le plus ordinairement durant ie regne des ma¬
ladies catarrhales, primitives ou consecutives au coryza;
idiopathiques ou sympathiques aux affections de Testomac,
viscere avec lequel les yeux correspondent singulierement. —
Die ägyptische Augenentzündung und eine dieser ähnliche
Epidemie, die man auf Negerschiffen beobachtet hat, wer¬
den besonders hervorgehoben. Man hat gerade nicht nö-
ihig, die europäische epidemische Augenentzündung als eine
166
II. Epidemien.
unmittelbare Fortsetzung der ägyptischen anzusehen, denn
eine feuchte, warme und mit Miasmen beladene Luft ver-
anlafst in Aegypten wie in Europa die Ophthalmie, indefs
ist die letztere weniger heftig und nur in selteneren Fällen
ansteckend. Die meisten dem Yerf. bekannten endemischen
und epidemischen Augenentzündungen, selbst die ägypti¬
sche, sind nicht wahre Entzündungen, und vertragen da¬
her, auch in ihrem ersten Stadium nicht, weder Blutent-
ziehungen noch überhaupt ein streng antiphlogistisches N er¬
fahren. Aus diesen wenigen Angaben werden unsere Leser
sich überzeugen, dafs der Bearbeitung dieses Kapitels mehr
Gründlickeit und Kritik zu wünschen sein möchte.
Der K euch husten hat zwar höchst wahrscheinlich
dieselben Ursachen wie andere bedeutende katarrhalische
Affectionen, indefs veranlassen doch mehrere Umstände sol¬
che M iasmen, die specifisch für seine Hervorbringung sind,
in der Atmosphäre anzunehmen; Miasmen, deren Existenz
durch die Phänomene erwiesen, deren Natur aber eben so
unbekannt ist, als die so vieler anderen Dinge. Die diagno¬
stischen Merkmale, durch die der Keuchhusten von dem
Asthma Millari, dem Group und der Bronchitis unterschie¬
den wird, sind gut zusammengestellt. F. hält die Tussis
convulsiva nicht für ansteckend, und sucht ihren Sitz vor¬
züglich in den Lungcnzellen (V&icules bronchiqucs) und
im Magen, wo die eingeathmeten und verschluckten Mias¬
men eine Subirritation hervorbringen, deren Wirkung ein
krampfhafter Zustand ist. Bei der Behandlung mufs man
berücksichtigen, ob der Keuchhusten sich als eine einfache
Neurose dars teilt, oder oh er mit einem entzündlichen Zu¬
stande, mit Unreinigkeiten der ersten W ege oder einem
intermittirenden Fieber complicirt ist.
Die häutige Bräune. Die Diagnose dieser Krank¬
heit, ihre Ursachen, das Ergebnifs der Leichenöffnungen
( nach Arne Grimaud) und die Prognose sind klar, bün¬
dig und der reinen Erfahrung geniäfs augegeben. Was
aber die Natur des Croups betrifft, läugnet F. das cut-
167
II. Epidemien.
schieden Entzündliche derselben, und will vielmehr der
Krankheit den Namen eines sehr acuten Schleimfiebers bei¬
legen, weil sie mit dem adynamischen Schleimfieber gänz¬
lich übereinkomme. Die Gründe für diese Ansicht, welche
uns keinesweges genügt haben, müssen wir in dem Buche
selbst nachzulesen bitten. Die nächste Ursache des Croups
besteht nach ihm in einer krankhaften Ausdehnung und An¬
schwellung der den Kehlkopf und die Luftröhre inw endig
bekleidenden Haut, welche durch das Einathmen der feuch¬
ten und mit heterogenen Substanzen beladenen Molecules
hervorgebracht sind. Zuweilen kann das Uebel ansteckend
sein. Die Behandlung anlangend, so giebt es Fälle, in de¬
nen Blutentziehungen im ersten Stadium schaden, indem sie
der Natur die Kraft rauben, die Krankheit zu überwinden.
Bei plethorischen Subjecten mufs man freilich zur Ader las¬
sen, oder, wrenn es kleine Kinder sind, Blutegel tlieils an
den Hals, tlieils um den Nabel setzen. Vorzüglich werden
Brechmittel, Sinapismen, Blasenpflaster, Laxantia und laue
Bäder empfohlen, zum Beschlufs der Kur Antispasmodica
und China. Dem Calomel gesteht der Yerf. keine specifi-
sehe Wirkung gegen den Croup zu, sondern hält es nur
durch seine abführende Kraft für heilsam.
Die epidemische brandige Bräune, welche oft
weniger grangänös als vielmelii* aphthös ist, kommt nicht
immer, wie einige Schriftsteller behaupten, als Begleiterin
des Scharlachs, der Kose und der Frieseln vor, sondern
erscheint zum öftern ganz isolirt und unabhängig von exan-
thematischen Krankheiten. Ihre vorzüglichste Ursache ist
eine feuchtkalte, mit septischen Miasmen beladene Luft,
welche die Vitalität der Oberflächen, auf die sie sich abla¬
gern (toute la membrane pneumogastro - intestinale) , verän¬
dern und eine krankhafte Excitation daselbst bewirken , wo¬
durch Verdickungen, Aftermembranen und breiige Abson¬
derungen entstehen, bis sie endlich durch die erweckte
Keaction mit den Kesten der verdorbenen Flächen entfernt
werden. Die Krankheit kann ansteckend sein. Metastasen
108
II. Epidemien.
auf die Lungen oder das Gehirn hat man am meisten bei
ihr zu furchten. Sie entscheidet sich immer durch einen
reichlichen Schweifs oder den Ausbruch eines Exanthems,
und erfordert in einigen Fällen eine antiphlogistische, in
anderen eine tonische Behandlung.
Epidemische falsche Pleuresie und Peripneu¬
monie sind Krankheiten, zu deren Heilung die Aerzte sehr
verschiedene Mittel vorgeschlagen haben. Der eine loht
starke und wiederholte Aderlässe, der andere verwirft sie
ganz; dieser giebt Nitrum und Digitalis, jener Brechmittel
und zwar oft in enormen Dosen, und jeder beruft sich auf
seine Erfahrungen. Wenn diese letzteren richtig sind, so
kann man daraus schliefsen, dafs die verschiedenen Epide¬
mien von verschiedenem Charakter gewesen sein müssen.
F. nimmt deshalb zwei Arten an, eine katarrhalisch gastri¬
sche und eine advnamische, von denen die erstere mit ei-
nem entzündlichen Zustande, die andere mit gastrischen
Unreinigkeiten complicirt sein kann. Der primitive Sitz
der katarrhalisch -gastrischen Pleuresie und Peripneumonie
ist in den ersten Wegen, der der adynamischen Formen
im Blute so gut als in den Geweben, wie man es in dem
Faulfieber beobachtet. Nach dieser Ansicht reguliren sich
die Prognose und die Behandlung, von der in beiden Ar¬
ten Brechmittel im Allgemeinen die Hauptsache ausmachen.
W ie sehr F. den Emeticis hei der falschen Lungenentzün¬
dung das Wort redet, so stark eifert er gegen ihre neuer¬
dings (von Pesch icr) vorgeschlagene Anwendung bei der
wahren Enngencntznndung. Personen, die mit weniger
Lebenskraft begabt sind, und Schwangere, werden am häu¬
figsten und schwersten von den fraglichen Uebeln befallen,
deren Entstehung durch warme und feuchte Ost- und Süd¬
winde, durch sumpfige und faulige von der Luft mit fort¬
geführte Miasmen bedingt zu sein scheint.
Sch weifsfieber (Suette) und epidemische Frie¬
seln. Das Schweifsfieber sieht F. als völlig gleich mit
der Febris Uclodes der Alten und Frank's Ephidro*is
169
II. Epidemien.
an *), nur meint er, man habe bisher auf den Friesel¬
ausschlag zu wenig Rücksicht genommen, obwohl er zuge¬
steht, dafs auch einfache Schweifsfieber ohne Frieseln Vor¬
kommen. Unter den verschiedenen Schweifsfieberepidemien,
welche alle einer feuchten und warmen Atmosphäre, unge¬
sunden Wohnungen in der Nähe stehender Wässer, Un¬
reinlichkeit und schlechter Nahrung, besonders aber den
durch die Luft verbreiteten Miasmen ihren Ursprung ver¬
danken, ist die des englischen Schwcifses am meisten be¬
kannt geworden. Diese Ephemera sudatoria, welche zuerst
im fünfzehnten Jahrhunderte in England herrschte, ist in
der Picardie bald in dem einen, bald in dem andern Di-
stricte häufig beobachtet worden. — Die Frieseln sind zu¬
weilen, wie der sie begleitende Schweifs, kritisch, am häu¬
figsten symptomatisch, in seltenen Fällen selbstständig und
idiopathisch (weifse Frieseln). Das Blasenfieber und den
Pemphigus sieht der Wrf. als Frieseln von besonderer
Gröfse an. Bei dem Schweifsfieber und den Frieseln sind
vorzüglich die Schleimhäute des Digestionsapparats, das
ganze llautgewebe , das Blut und die Nerven, insbesondere
die des Magens afficirt. Ansteckend sind die Frieseln mehr
durch das sie begleitende Fieber als das Exanthem selbst.
Ihre Prognose und Behandlung werden, wie bei allen acu¬
ten Ausschlägen, durch das vorhandene Fieber bestimmt.
Daher sind die Frieseln der Wöchnerinnen, welche in war¬
mer Jahreszeit und bei zu heifsem Verhalten erscheinen,
also nicht Symptome anderer Krankheiten sind, ohne alle
Bedeutung, wie Ref. sich zu überzeugen oft Gelegen¬
heit gehabt hat. Sie verlaufen ohne weitere Störung des
Wochenbettes, und trocknen bei etwas kühlerem Verhalten
und reiner Luft im Krankenzimmer, ohne üble Folgen zu
veranlassen, ab.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den epide¬
mischen Puerperalfiebern. Schwangerschaft und Ent-
1) Epitomc otc. Lib. V. P. I. p. 25.
170
II. Epidemien.
bindung sind Zustände, welche tief in das Organische Leben
des Wrcibes eiugreifen, und ohne seihst Krankheiten zu
sein, zu manchen pathologischen Zuständen disponiren.
Daher erreichen acute Krankheiten der W öchncrinnen ge¬
wöhnlich einen hohen Grad der Heftigkeit, und fast alle
Fieber derselben entwickeln leicht einen nervösen und bös¬
artigen Charakter. Wenn Epidemien herrschen, so entge¬
hen die W öchnerinnen ihnen selten; ja in manchen Jahren
sind sie eigenthii milchen Epidemien unterworfen, von »le¬
nen andere Individuen nicht befallen werden. Dergleichen
sind die Puerperalfieber ^ von denen 1 . vier Arien aufsteUl'
a) Puerperales typliodcs ou nerveuses; b) Puerperales ga-
stro- putrides; c) Puerperales corapliquees de periodiques
pernicieuses; d) Puerperales gastro-catarrhales, w elche letz¬
tere oft mit rosenartigen Entzündungen verbunden sind.
A iele neuere Schriftsteller sehen das kindbetterinfieber als
das einfache Resultat einer wahren Entzündung des Bauch¬
fells, der Gebärmutter u. s. w. an. Obwohl der 'S erl. nun
nicht läugnet, dafs Wöchnerinnen so gut als andere Frauen
wahre Entzündungen bekommen können, so theilt er doch
jene Ansicht nicht, sondern erklärt das einfache Puerperal¬
fieber für einen ungemein nervösen Zustand, für einen
Abdominalkrampf, während dessen die Functionen verkehrt
von statten gehen, und Milch- und Lochiai-Secretion ver¬
ändert sin»^ oder ganz aufhören. Wras man dabei für an¬
gehende Entzündung nehme, sei in vielen Fällen nur W ir-
kung des heiligen Krampfes, der bei rapidem Verlauf sich
mit dem Absterben der Theilc endigt. Die hei Leichen¬
öffnungen allerdings häufig gefundenen Entzündungen im
Lnterleibe und der Ergufs trüber oder milch igter Flüssig¬
keiten und coagulahler Lymphe beweisen nur, dafs eine
theilweisc Entzündung oder etwas derselben ähnliches statt
gefunden habe, wie man dergleichen oft an einem Organe
wahrnehme, während sonst überall die Zeichen einer gro-
fsen Adynamie hervortreten. Solche Entzündungen seien
lediglich W irk ungen der primären Aflectiou des nervösen
II. Epidemien. 171
Systems. — Der Sitz der Krankheit scheint vorzugsweise
in der Sphäre des grofsen sympathischen Nerven zu sein. —
Die gewöhnlich angenommenen Ursachen, als schwere Ent¬
bindung, Zurückbleiben von Blut in der Gebärmutter, Ein¬
schnürung des Enterleibes durch zu starkes Binden, das
Nichtnähren des Kindes, Erkältung, Suburralzustände u. s. w.
sind keinesweges als hinreichende Veranlassungen zum Puer¬
peralfieber anzusehen; vielmehr wird dessen Entstehung
durch den eigenthümlichen Zustand des Wochenbettes selbst
bedingt, nämlich durch eine aulserordentliche Exaltation,
eine Steigerung der Sensibilität und Uebertragung derselben
auf ein Organ, das für den Augenblick die höchste Bedeu¬
tung hat. Aus diesem Grunde disponiren zum Kindbette¬
rinfieber grofse Beweglichkeit und Zartheit, cholerisches
Temperament, bedeutende Metrorrhagien, \ erlust von Säf¬
ten, Mangel an Nahrung, Gemiithsbewegungen. Dieselben
Umstände machen zugleich die W ochenfrauen für die epi¬
demischen Einflüsse noch empfänglicher, als sie es durch
ihre Lage schon sind. Nach dieser Ansicht von dem We¬
sen der Krankheit, die unseres Bediinkens eben so einseitig
ist als jene, das Puerperalfieber jederzeit als eine Perito¬
nitis oder Metritis zu betrachten, empfiehlt der Verf. das
Opium als das wirksamste Heilmittel , wenn man gleich
beim Entstehen des Uebels gerufen wird. Hat der Krampf
bereits andere Störungen, und namentlich jene bald heil¬
same, bald schädliche Reaction der Heilkraft der Natur her¬
beigeführt, so soll man immer noch eine gegen den Krampf
gerichtete Behandlung ergreifen, so lange die Reaction
nicht übermäfsig, und keine Complication vorhanden ist.
Erreicht die Reaction aber bei kräftigen und plethorischcn
Subjecten einen hohen Grad, so sind schleunige Blutent¬
ziehungen angezeigt. Bei gastrischen Verwickelungen, die
übrigens hinsichtlich der Prognose noch die besten sind,
werden je nach dem Bedürfnisse Brechmittel und Laxantia
empfohlen. Die ungünstigste Complication des Puerperal¬
fiebers findet mit dem Faulfieber und dem Typhus statt.
172
II. Epidemien.
Der Verf. bemerkt dabei sehr richtig, dafs man diesen Zu¬
stand genau untersuchen müsse, oh dahinter nicht etwa eine
Entzündung der Gehirnhäute oder der Untcrleibsorgane
verborgen, und die Advnamic nur scheinbar sei. Hat man
sich vom Gcgenthcilc überzeugt, so werden die Ipeoacuanha
nach der Methode von Doulcet gereicht, Moschus, Cani-
pher, aromatische Umschläge auf den Unterleib u. s. w. an¬
gezeigt sein. Zu spät gerufen kann der Arzt nicht mehr
retten, sondern nur die dringendsten Symptome zu lindern
suchen. Das Zurücktreten der Frieseln ist bei den Puer¬
peralfiebern immer ein sehr übler Vorgang; man mufs da¬
her sogleich versuchen, sie wieder hervorzurufen, denn ihr
Erscheinen ist von der höchsten Wichtigkeit, w’ie David
Hamilton uns durch ein sehr merkwürdiges Beispiel
gezeigt hat *). Zum Schlüsse dieses Abschnittes werden
noch sehr beachtenswerte Yerhaltungsrcgeln während der
Schwangerschaft und des Kindbettes aufgestellt, um die Ent¬
stehung des Puerperalfiebers zu verhüten.
Die R osc und das erysipelatöse Fieber sind
die letzten Arten dieser Ordnung. Zur Rose rechnet F.
nicht blofs , wie Frank es gethan, den Zoster, sondern
‘auch das schon beim Ergot erwähnte St. Antonsfener.
Das epidemische erysipelatöse Fieber trägt meistenteils den
Charakter der Adynamie an sich. Gleichsam als wenn der
Mangel an Kraft das Aufblühen auf der äufseren Oberfläche
verhinderte, fixirt sich dabei sehr häufig das Exanthem auf
inneren Organen, und macht die falschen Phrenesien, Pleu-
resien u. s. w\ , in w elchen Fällen denn das Erscheinen des-
selben nach aufsen als kritisch angesehen werden mufs. Die
Rose besteht nach unserem Verf. in der Turgescenz der
Capilbrgefäfse, veranlagst durch eine scharfe und blutige
Flüssigkeit (Serosite äcre et sanguinolente), die sich in ih
P
1 ) S y d e n h a ui
410 -r- 412.
Opera mcdica.
Gcnevae, 1757. Tom. 1.
II. Epidemien. 173
nen abgesetzt bat, die Nerven reizt und ihre Destruction
vorbereitet.
Die Epidemien durch Infection bilden die
fünfte Ordnung. Zu dieser Klasse zählt F. nach dem
oben (Bd. I. Abschn. I. Kap. 5.) aufgestellten Begriff der
Infection alle Krankheiten, die nach seiner Meinung den
Ausdünstungen in Verwesung begriffener thierischer Sub¬
stanzen ihVen Ursprung verdanken. Daher sind Kirchhöfe,
Schlächtereien, Schindanger, Cloaken, Mistpfutzen u. dergl.
die ergiebige Quelle dieser Krankheiten, die vor allen an¬
deren sich durch ganz eigenthümliche Erscheinungen aus-
zeichnen *), weil jene fauligen Ausdünstungen wie Gäh-
rungsmittel wirken und denselben Entmischungs- und Ver-
wesungsprozefs im lebenden Körper hervorzurufen streben.
Man nennt die Fälle, in denen die septischen Wirkungen
ungemein schnell eintreten, gewöhnlich Asphyxien, kann
sie aber füglich als sehr acute Faulfieber betrachten.
Als die beiden ersten Arten werden das wahre und
das falsche Faulfieber aufgeführt. Unter diesem letz¬
ten versteht der Verf. denjenigen fieberhaften Zustand, der
als Folge verkannter und schlechtbehandelter Entzündungen
edler Gebilde, namentlich des Magens und der Gedärme zu
erscheinen pflegt, und mit Trockenheit und dunkler Farbe
der Zunge wie der übrigen Theile des Mundes begleitet
ist. Diese Krankheitsform ist offenbar zur Gastro -Enteritis
der neueren Schule zu zählen, kann sich aber mit dem
wahren Faulfieber compliciren. Die Febris' putrida vera
gehört weder zum Synochus noch zur Febris gastrica-ner-
1) Lcs phenomenes propres consistent specialement dans
ce travail vital d’une nature pour ainsi dire en deraence, qui
reagit contre la septicite, qui produit de notjveaux tissus, de
nouvelles humeurs — Ils consistent encore dans ces secretions
d’cnduits noiratres, depuis la bouclie jusqu’a Pestomac — ; ren¬
table melanose, qu’on aperjoit encore dans le vomisscment noir
des malades attaquees de la fievrc jaune. Tora. III. p. 379.
174
II. Epidemien.
vosa Frank ii, so wenig zur Fievre adynamique des Pincl
als zum Typhus, sondern ist ein Morbus sui generis, dem
Scorbut sehr ähnlich, nur acut, und charakterisirt durch
eine anfangende Fäulnifs und eine Auflösung der Lebens¬
kräfte (decomposition des forces vitales). Zur Annahme
des fauligen Zustandes hält F. sich berechtigt durch die
grofse Niederlage der Kräfte, den Schmerz der Glieder, die
llämorrhagien, die stinkenden Ausleerungen, die Neigung
zum Brande, und die schnell eintretende Verwesung der
Leichname. Ansteckend ist das Faul Heber an sich nicht,
kann es aber sowohl durch Zusammendrängen vieler Kran-
, ken und TJnreinlichkeit, als auch besonders durch Compli-
cation mit dem Typhus werden. F. hält es für gewifs,
dafs die inficirenden Stoffe in das Blut übergehen, und auf
diese Flüssigkeit, welche wahrscheinlich das ganze Geheim-
nifs des thierischen Lebens enthält, zuerst wirken. Das
Semiologische und Therapeutische, wie die medicinisch -po¬
lizeilichen Maafsregeln zur \ erlnitung der weiteren Aus¬
breitung dieser Krankheit, müssen wir dem Leser in dein
Buche selbst nachzu lesen überlassen.
3) Das epidemische F leck fi eher. Petechien er¬
scheinen häufig symptomatisch bei dem Typhus, dem Faul¬
fieber und anderen Krankheiten; bei dem in Hede stehen¬
den Fall aber treten sie als ein wesentliches Lxanthcm auf
(Petechies essentielles), brechen an bestimmten Tagen und
dann auf eine kritische AN eise hervor, wie die Pocken in
dem Pockenfieber. Eine kurze Beschreibung dieser Krank¬
heit, welche F. im Jahre 1799 in dem Miiitairhospitalc zu
Bozzolo gesehen und behandelt hat, halten wir hier an ih¬
rer Stelle. Die Vorboten sind dieselben wie bei manchen
anderen fieberhaften Krankheiten. Als Symptome der er¬
sten Periode erschienen Frösteln am Hückgrath herunter,
Mattigkeit und Schmerz der Glieder, rothes aufgetriebenes
Gesicht, funkelnde und starre, oft thranende Augen, Deli¬
rien, Schmerzen im Kopfe, in der Brust und im Kücken,
trockene gelbe Zunge, heftiger Dürst, Neigung zum Kr-
II. Epidemien» 17;>
' . ‘ „ f ). r /'v # I
brechen, voller häufiger Puls, rother trüber Urin, Ver¬
stopfung, brennende Ilitze des Körpers. Am sechsten oder
siebenten Tage trat die zweite Periode ein ; die Hitze ver¬
minderte sich; es erschienen Petechien zuerst am Ilalse,
dann auf der Brust, an der vorderen Fläche der Arme,
zuletzt an den Beinen. Die Kranken fühlten sich sehr
matt; die Zunge, die Zähne, das Zahnfleisch und die Lip¬
pen wurden mit einer schwarzen und trockenen Cruste be¬
deckt; der Durst legte sich. Am neunten oder zehnten
Tage begannen die Petechien zu verschwinden; dagegen
trat eine gallichte, die Patienten erschöpfende Diarrhöe ein.
So ging es fort während der dritten Periode bis zum zwölf¬
ten, dreizehnten, vierzehnten, selbst bis zum siebzehnten
Tage, wo sich eine Krisis durch Schweifs, Stuhlgang, Aus-
wurf, Geschwulst der Parotiden, oder in selteneren Fällen
durch einen neuen Ausbruch von Petechien einleitete. Die
Besserung schritt langsam vor, und nicht selten fanden sich
Rückfälle. — Während in Italien in der übrigen Jahres¬
zeit remittirende und intermittirende Fieber herrschen, kom¬
men alljährlich zu Ende des Winters, im Frühlinge und
zu Anfang des Sommers Petechialfieber vor, und zwar be¬
sonders in feuchten Gegenden, bei Unreinlichkeit der Woh¬
nungen und der Menschen , die sich gröfstentheils von Reis
und türkischem W'eizen ernähren. Der Verf. sieht dies»e
Fieber als eine durch die expandirende und belebende Wir ¬
kung der Frühlingssonne hervorgebrachte Reinigung des
Körpers von den durch die Winterkälte in ihm zurückge ¬
haltenen und scharf gewordenen Säften an. Ansteckend is, t
das Petechialfieber nicht, wofern es sich nicht mit dem
Typhus complicirt. Unter derselben Bedingung und bei
schlechter Behandlung verschlimmert sich die sonst günstige
Prognose. F. wandte in der erwähnten Epidemie Ader¬
lässe, Brechmittel, Campher und nachher stärkende Sachen
mit so gutem Erfolge an, dafs er von hundert Kranken
kaum fiinfe verlor.
4) Die bösartige Eiterblatter (Pustule maligne),
176
II. Epidemien.
5) der Carbunkel und Anthrax, und
6) der Hospitalbrand werden gf meinsrlraff lieh in
einem Kapitel abgehandelt. I nter bösartiger Eiterblat¬
ter, deren Symptome und Verlauf nach Chaussier um!
Eneaux beschrieben sind, versteht F. eine mit einem klei¬
nen Bläschen anfangende brandige Entzündung der Haut,
die sich mehr oder weniger tief in das darunter liegende
Zellgewebe verbreitet, meisten theils von 'üufseren Ursachen
herrührt, und daher plötzlich und ohne vorangegangene
Störung der Gesundheit erscheint. Als Varietäten der bös¬
artigen Eiterblatter kann man den Carbunkel und Anthrax
betrachten. Bei jenem (Charbon) bildet sich statt des Bläs¬
chens gleich eine umschriebene, hohe und harte Geschwulst,
von dunklerer Farbe in der Mitte; auf der Spitze derselben
entsteht ein schwarzer Schorf, der in wenigen Tagen be¬
deutend um sich frifst, wenn er nicht gehemmt wird, und
die allgemeinen Erscheinungen des Faulfiebers zur Folge
hat. Der Anthrax tritt mit einer phlegmonösen umschrie¬
benen Geschwulst auf, die eine sehr grof>e Neigung zum
Brande hat. — AVenngleich es ausgemacht ist, dafs diese
Krankheitsformen durch den Genufs des Fleisches oder die
Berührung der Theile von Thieren, die an den sogenannten
Anthraxkrankheiten > erstorben sind, hervorgebracht werden,
so giebt es doch auch Fälle, wo lyan ihre Entstehung nicht
anf diese Ursachen zurückführen kann, indem die daran lei¬
denden Menschen erweislich mit keinem kranken Thierc
in Berührung gekommen sind, oder jene Krankheiten in
Gegenden erscheinen, die von allen Epizootien frei sind.
Durch mehrere Gründe bewogen hält F. es in solrhen Fäl¬
len für wahrscheinlich, dafs der Ansteckungsstoff durch In-
secten , die auf einem an Anthrax leidenden [ liiere gesessen
haben, den Menschen mitgetheilt worden; denn meisten-
theils müssen diese Krankheiten als Folgen eines eingeimpf¬
ten Giftes, nicht aber als Producte eines inneren Krank¬
heitsprozesses angesehen werden; was auch schon durch die
Behandlung klar wird, indem nicht innerliche Mittel, wohl
aber das Cauterium actuale und potentiale geeignet sind, den
bereits entstandenen Brand zu hemmen. Was den Hospital¬
brand betrifft, so hat der Verf. das Bekaunte gut zusam-
mengestellt, indem er den Artikel Pourriturc d’höpital im
Dictionaire des Sciences medicafes und ganz besonders die
Schrift von Delpech *) tleifsig benutzt hat. Da die letz¬
tere durch Kiescr's treffliche Bearbeitung in Deutschland
hinlänglich bekannt ist, so enthält sich Ref. aller weiteren
Anführungen aus diesem Kapitel.
1) Memoire auf la complication des plaies et des ulerrcs,
connuc sous le nom de pourrittire d’hApital. Paris, 1815. 8.
(Beschluft folgt.)
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
II.
Le^ons sur les Epidemies et l’Hygiene pu¬
blique, faites a la Faculte de Me'decine de Stras¬
bourg par Fr. Emm. Fodere. Paris, 1822 ■
1824. 8.
(JB esc h luf s. )
Die letzte Species der Epidemien durch Infection ist das
gelbe Fieber, wie es sich in Amerika, seinem Vater¬
lande darstellt. Obgleich dies verheerende Uebel manche
Aehnlichkeiten mit dem hitzigen Gallenfieber, den remitie¬
renden Fiebern und dem Faulfieber darbietet, so ist es
doch jeden Falles ein morbus sui generis, wie sich aus den
folgenden Phänomenen ergiebt, die aus den Beschreibungen
mehrerer Epidemien zusammengestellt sind. Das gelbe
Fieber befällt kräftige und sanguinische Subjecte plötzlich,
entwickelt sich dagegen langsamer bei schwachen und lym¬
phatischen Personen. Anfangs sind die Erscheinungen denen
der Katarrhalfieher nicht unähnlich. In der ersten Periode
bemerkt man finstere Gesichtszüge, glänzende Augen , mehr
oder weniger natürlichen Puls, erschwertes Athmen. Am
zweiten oder dritten Tage tritt eine oft bedeutende Re-
mifsion aller Zufälle ein; aber bald folgen schlimmere
Symptome, namentlich ein schmerzhaftes Gefühl in der
Regio epigastrica, das oft durch die geringste Berührung
vermehrt wird, Uebelkeiten, Hervorwürgen sauerer, bren¬
nender Stoffe von grauer, grüner, brauner Farbe, sodann
Erbrechen schwarzer Materien, wobei der erwähnte Schmerz
sich vergröfsert, und Stuhlausleerungen ähnlicher Art. Die
II. Bd 2. St. 12
178
II. Epidemica.
gelbe Farbe beginnt von der Bindehaut des Auges, und
verbreitet sich, nach und nach dunkler werdend, von da
über das Gesicht und allmählig über den ganzen Körper.
Von diesem Augenblicke an sind die Gesichtszüge gänzlich
verändert; die Urinsccretion geht sparsam von Statten und
wird bald ganz unterdrückt. Die Hüftschnierzcn , an denen
die Kranken in dieser Zeit leiden, erstrecken sich zuweilen
den Rücken hinauf, zuweilen bis in die Extremitäten. Die
Haut ist trocken, brennend heifs, häufig mit Petechien
oder breiten blauen Flecken besetzt; die Zunge weifs, meist
feucht, zuweilen an den Rändern roth. Die Veränderung
der Krasis des Blutes ist ein ganz conslantes Phänomen;
nicht selten erscheinen Ilaemorrhagien von schwarzem Blute
aus den verschiedenen Oeffnungcn des Körpers. Alle am
gelben Fieber danieder liegenden verbreiten einen siifsli-
chen, Ekel erregenden Geruch um sich. Die Muskelkraft
und die Geistesthätigkeit scheinen unverletzt zu sein, den¬
noch bemerkt man zum öfteren ein Subdelirium. Die,
welche diese Krankheit überstehen, erlangen nie ihr blü¬
hendes Ansehn und ihre vorige Heiterkeit wieder. Die
Unterliegenden sterben gewöhnlich innerhalb sieben Tagen;
die Leichen gehen schnell in "N erwesung über. Wie ver¬
schieden die Obductionsbefunde auch ausgefallen sein mögen,
so liefern sie doch fast immer als ziemlich constantes Re¬
sultat krankhafte Veränderungen im Gehirn und Rücken¬
mark. — Die so eben aufgezählten wesentlichen Erschei¬
nungen, welche nach der gewöhnlichen Eintheilung in 3
Stadien verlaufen, sorgfältig erwägend, tadelt F. sowohl die
Ansicht, nach welcher das gelbe Fieber nur den höchsten
Grad der remiitirenden gallichten oder bösartigen, in den
Tropenländern so gewöhnlichen, Fieber ausmacht (Gil¬
bert, Lind u. a.), als auch eine andere Hypothese, welche
diese Krankheit als eine Gastritis zuweilen mit Arachnoiditis
verbunden betrachtet (Gerardin, Rochoux). Er seihst
hält sich überzeugt, dafs das gelbe Fieber dem Faulfieber
wie dem Typhus nahe stehe, und in einer Irritation des
179
11. Epidemien.
Gehirns, des Rückenmarkes und der Ganglien begründet
sei, wobei ein gesteigerter Nervcneinflufs auf die willkür¬
lichen Muskeln statt linde, während die übrigen in einem
krampfhaften Zustande verharren. Der Icterus, welcher
dieser Krankheit eigentümlich ist, hängt nicht von einer
Affection der Leber ab, sondern bildet sich auf eine ähn¬
liche Weise aus, wie es nach dem \ipernbifs oder einer
heftigen Gemütsbewegung zu geschehen pflegt. (Wird
denn in diesen Fällen die Leber in der That gar nicht
afficirt?) Die Entstehung des gelben Fiebers anlangend, so
ist es ein Irrthum, dafs dasselbe von Ostindien eist nach
Amerika hinüber gepflanzt worden, obwohl die ersten be¬
richte von den Entdeckungen Amerika’s dieser Krankheit
nicht als einer einheimischen erwähnen. Unserm "V erf.
scheint es sehr wahrscheinlich, dafs das gelbe Fieber neue¬
ren Ursprunges sei, und in Amerika seine eigentliche Hei¬
mat habe. Wie eine örtliche durch Zersetzung organischer
Körper entstandene Infection bei uns das Faulfieber hervor-
rufen kann, so verursacht sie auf dem fruchtbaren und
feuchten Roden Amerika’s, unterstützt durch die Feuch¬
tigkeit und Hitze des Klima’s das gelbe Fieber, das seine
erste Entstehung bald nach der Entdeckung jenes Welt¬
teils höchst wahrscheinlich dem Verkehr und der innigen
Vermischung der neuen Ankömmlinge mit den Eingebor-
nen verdankt, wie es auch von der Syphilis angenommen
wird. Wenn man diese Ansicht teilt, und glaubt, dafs
die Vermischung der Menschenra^en als prädispomrende Ur¬
sache die Wirkungen der örtlichen Infection bis zur Gene¬
sis der Febris flava hat modificiren und steigern können,
so bleiben die Ursachen des epidemischen Vorkommens der¬
selben doch noch immer im Dunkeln, da bei fortwährend
gleichem Verhältnis der angenommenen pathogenischen Mo¬
mente die Krankheit weder alljährlich, noch auch jedesmal
in heifsen oder besonders feuchten Jahren erscheint. F.
meint daher selbst, man sei genötigt zu glauben, dafs, noch
andere unbekannte Einflüsse jene örtlichen Ursachen in I ha-
12 *
180
1L Epidemien.
tigkeit setzen müssen. Bei dem Streite über die Contagio-
sität des gelben Fiebers ist F. der Parlhei zugethan, welche
dasselbe auf jede Weise für ansteckend halt. 'Uebrigens wer¬
den junge kräftige Personen und Fremde* die des amerika¬
nischen Klima’s noch nicht gewohnt sind, am meisten davon
ergriffen. Die Behandlung dieser mörderischen Krankheit
ist trotz allen Erfahrungen noch immer sehr unsicher und
schwankend, und gröfstenlheils rein symptomatisch. Diesem
Uebelstande abzuhelfen schlägt der Verf. , auf seine Hypo¬
these von der Natur des gelben Fiebers sich stützend, vor,
folgende 3 Hauptindicationen festzuhalten: 1) Ableitung
des Reizes vom Gehirn, und dem Nervensystem. -) Unter¬
haltung der Leibesüfihung, um die Galle auszuführen und
die Irritation des Magens zu mindern. 3) Mäfsigung der zu
starken und Erhebung der zu schwachen Heacjtion der Na¬
tur. — Den Schlufs machen Vorschläge, wie man sich
gegen die Krankheit schützen könne.
Die Krankheiten der sechsten Ordnung, welche
sich vor allen durchwein Contagium auszcichncn , zerfallen
in zwei Abtheilungen, deren eine die typhösen Fieber, die
andere die wesentlichen Exantheme umfafst.
1) Den europäischen Typhus sieht F. gleichsam
für den Typus aller contagiüscn Krankheiten an, indem er
meint, dafs alle fieberhaften Krankheiten nur ansteckend
werden, sofern sie ein typhöses Element enthalten. Der
Typhus erscheint unter mancherlei Formen und Nuancen,
bald einfach, bald complicirt (mit Petechien, Frieseln oder
anderen Exanthemen, mit dem Icterus, dein Faulfieber),
aber seine wesentlichen Symptome, Delirium, Schläfrigkeit,
Lethargie, eine gewisse Empfindlichkeit und krampfhafte
Bewegungen treten von Anfang an hervor, denn er besteht
vorzugsweise in einer primitiven Störung der Functionen
des Nervensystems, wobei die Tätigkeiten der übrigen
Organe nur secundär leiden, und das Fieber lediglich beglei •
tend ist. Die Febris nervosa lenta Huxhaini könne man als
II. Epidemien. 181
den chronischen Zustand des Typhus oder als den acuten
schleichender innerer Entzündungen ansehen (?). Nach der
Beschreibung des einfachen Typhus, der hebris nervosa
lenta, und des Typhus petechialis folgen Untersuchungen
über den Sitz des Uebels, woraus sich ergiebt, dafs die
pathologische Anatomie keinen Aufschlufs darüber gebe,
indem die zum öftern gefundenen Entzündungszustände in
einer der drei Cavitäten nur als W irkungen angesehen
werden müssen, und gänzlich secundär sind. Die Ausdün¬
stungen faulender Substanzen und stagnirender W asser ver¬
mögen für sich allein den Typhus nicht hervorzubringen;
im Gegentheil entwickelt sich dieser aus einem animalischen
Princip, dem Contagium, das von einem lebenden, nicht
aber von einem todten und verwesenden Thiere ausgeht.
Daher bemerkt man an Typhuskranken gewöhnlich einen
eigenthiimlichen widerlichen Geruch ; indels sind diese rie¬
chenden Partikelchen keinesweges das Contagium selbst,
sondern nur die Träger der den Typhus erzeugenden
Atome. — Während der Incubation, wo das Contagium
zwar schon in den Körper übertragen, aber die Krankheit
noch nicht ausgebrochen ist, kann man oft durch Brechen
erregende und schweifstreibende Mittel der Entwickelung
Vorbeugen. Für die Behandlung der ersten Periode stellt
F. die goldene Re'gel auf, genau zu untersuchen, ob der
Kranke jung, kräftig und vollsaftig sei und an einem gesun¬
den Oifte liege, oder umgekehrt erschöpft, matt, durch
Kummer und Sorge gedrückt sei, und sich an einem
ungesunden Orte ohne gehörige Pflege befinde. Für jenen
Fall ist es oft nothwendig, die Reaction der Natur durch
eine antiphlogistische Behandlung zu mäfsigen, für diesen
dagegen passen im Allgemeinen nur Mittel, welche die
Kräfte zu erheben vermögen. In der zweiten und dritten
Periode bedürfen alle Kranke einer Unterstützung der
Kräfte, indels mag man sich hüten, sie durch Ueberreizung
völlig zu unterdrücken, da es, wie Ref. sich überzeugt
182
II. Epidemien.
halt, wenige Krankheiten giebt, in denen das allzu tintige
und stürmische Eingreifen der Kunst durch Störung der
kritischen Bewegungen so sehr schadet, als in dieser.
Der orientalische Typhus oder die Pest macht
die dritte Art der contagiüsen Epidemien aus. Nach eini¬
gen Bemerkungen über das Alter dieser Krankheit, die
schon zu den sieben Plagen des Pharao gehörte, folgt ihre
Beschreibung. Die Pest ist ein typhöses Eieber, begleitet
von Bubonen, Carbunkeln und andern Aufschlägen, und in
allen Fällen eine und dieselbe Krankheit, indem sie nur
Varietäten nach der Complication, der Individualität des
Kranken, der Jahrszeit u. s. w. darbietet. Sie ist entschie¬
den eine endemische Krankheit Nieder- Aegyptens, wo sie
alljährlich vom Herbste bis zum Anfänge des Sommers, so
lange die Südwinde wehen, herrscht, und erst dann ver¬
schwindet, wenn der Nil zu steigen beginnt und die nörd¬
lichen W inde sich erheben. Nach Europa übertragen kehrt
sie sich an keine Luftströmungen, an keinen Temperatur¬
grad, noch an die Feuchtigkeit oder Trockenheit der Atmo¬
sphäre. Warum in Aegypten die Ausdünstungen verwesen¬
der Stoffe, unterstützt von der Hitze des Clima’s und der
nach den Nilüberschwemmungen zurückgebliebenen Feuch¬
tigkeit des Bodens, neben den Ophthalmien, Bühren und
\\ echselfiebern auch die Pest hervorbringen, das ist eben
so unerklärbar, als warum jedes Land seine eigentümlichen
Producte aus allen drei Reichen der Natur hat. £s scheint
daher, als wenn noch irgend eine uns unbekannte Potenz
jenen Gelegenheitsursachen sich beigesellen müsse, um in
Aegypten die Pest, in Amerika das gelbe Fieber zu erzeugen.
W enn die Pest in einer anderen Gegend aufserhalh ihrer
Heimath erscheint, so ist sic ganz bestimmt durch Personen
oder Sachen eingeschleppt, und breitet sich durch ein Gon-
tagium weiter aus. Die Zeichen der Krankheit erscheinen
übrigens nicht immer sogleich nach geschehener Ansteckung,
sondern cs bedarf oft einer Periode der Incubation von 8,
183
II. Epidemien.
13, selbst 22 Tagen. Wenngleich alles ansteckend ist,
was von einem Pestkranken kommt, so werden doch nicht
alle der Ansteckung ausgesetzte Menschen von dem Uebel
befallen, ja einige scheinen durchaus gar keine Receptivität
für dies Contagium zu haben. Sonst sind die an chroni¬
schen Krankheiten, an den Menschen- und Kuh -Blattern
Leidenden eben so wenig gegen die Pest geschützt, als die,
welche die Krankheit einmal überstanden haben. Man hat
einige Beispiele, dafs Pestkranke von selbst und ohne Hülfe
der Kunst genesen sind. Mit einer rationellen Heilmethode
der Pest sieht es indefs noch sehr kümmerlich aus, denn
von allen gerühmten Mitteln hat kein einziges sich völlig
bewährt, und kein Verfahren hat sich als heilbringend
bestätigt.
Der amerikanische Typhus oder das gelbe
Fieber, wie es in Europa erscheint, wird hier als vierte
Art der sechsten Ordnung besonders abgehandelt, obwohl
die völlige Identität der Krankheit in beiden Welttheilen
feststeht. Bef. hat wenigstens gar keinen wesentlichen Unter¬
schied auffinden können, wenn man nicht die ursächliche
Verschiedenheit dafür nehmen will, indem das gelbe Fieber
in Amerika sich auf eine spontane Weise entwickelt, dage¬
gen in Europa jedesmal eingeschleppt ist, und also dem
Contagium seine Entstehung verdankt. F. glaubt, dafs diese
uncremein ansteckende Krankheit, wenn sie einmal auf euro-
päischen Boden verpflanzt worden sei, sich nach jedem Punkte
unseres Welttheiles hin verbreiten könne, so lange die
Atmosphäre eine Temperatur von 0° bis -f* 10° R. hat.
Wie dem auch sein mag, auf jeden Fall hat der französi¬
sche Minister des Innern sehr zweckmäfsig gehandelt, als
er die Kiste mit inficirten Stoffen zu verbrennen befahl,
welche der Ober -Arzt Guyon in Martinique, der durch
die ekelhaftesten Experimente die nicht vorhandene Con-
tagiosität des gelben Fiebers zu erhärten suchte, an die
Küuigl. Academie zu Paris sandte, um durch Wiederholung
184
11. Epidemien.
der Versuche sich von der "Wahrheit seiner Behauptungen
zu überzeugen. ’) Die Behandlung der Febris ilava hat sich
bei den Epidemien in Spanien nach allen Zufälligkeiten der
Theorien über ihre Natur und ihren Ursprung gerichtet,
aber keine einzige Methode hat günstige Resultate geliefert.
Interessant ist uns die in diesem Kapitel initgetheilte Krauk-
heits£cschichte des in Barcellona an dem selben Fieber ver-
storbenen l)r. Mazet gewesen.
Die Beschreibung der Menschenpocken und der unech¬
ten Pocken (Varicella), wie die vergleichende Diagnose
beider Exantheme sind ausführlich und genügend abgefafst.
Dasselbe können wir von der Prognose und der Therapie
sagen. Obgleich die meisten Aerzte darin übereinstimmen,
dals in den griechischen Schriften a) sich keine deutliche
und bestimmte Angabe über die Pocken finde, so haben sie
doch über den ersten Ursprung derselben sehr abweichende
Ansichten. F. glaubt, dafs dies Exanthem wie das gelbe
Fieber durch Vermischung verschiedener VüLfcerracen ent¬
standen, zuerst bei Gelegenheit des Kampfes zwischen den
Abyssiniern und Arabern unter Omar (dem sogenannten
Elephantenkriege im J. 572 n. Cbr.) sich gezeigt habe, und
im 7. und 8. Jahrhunderte durch die Saracenen nach Eu-
. ropa verpflanzt worden sei. In Europa einmal einheimisch
geworden, haben die Pocken nicht nur ein Contagiuin ent¬
wickelt, sondern auch in allen Familien, die sie befielen,
eine erbliche Disposition für sich zurückgelassen. Wenn seit
mehreren Generationen in einer Familie keine Pocken
geherrscht haben, so sieht F. jene erbliche Disposition als
erloschen an, und erklärt sich daraus, warum manche Indi¬
viduen und ganze Familien keine Receptivität für das Pockcn-
1 ) Revue midicalc Tom. IX. p. 108.
2) Das dein Synesius zugcschriebenc Werk : de febribus
ist nach den gelehrten Untersuchungen Reiske’s und J. S.
B eroard s nur eine, griechische Uebersetzung eines Abschnit¬
tes des Jad el Moraf.tr, eines Werkes des Abu Giaf«r Achmed.
185
II. Epidemien.
contagium haben. Durch die 5 accination besitzen wir jetzt
ein sicheres Mittel die erwähnte hereditäre Anlage gänzlich
zu vernichten. In einem eigenen Kapitel giebt nun der
5 erf. das \ erfahren bei dieser Operation an , beschreibt
sowohl die ächte Kuhblatter (die 7te Krankheitsform dieser
Ordnung) als die unächte, nicht schützende, und macht
auf die Umstände aufmerksam, welche zu der letzteren Ver¬
anlassung geben können. Die Frage, wie bald nach der
Vaccination die schützende Kraft wirklich eintrete, wird
dahin beantwortet, dafs man zwar keinen bestimmten Tag
dafür angeben könne, aber die Kuhblattern als entschieden
schützend ansehen müsse, sobald das Pockenfieber regcl-
mäfsig verlaufen sei und der Schorf sich gebildet habe.
Die Masern leitet F. aus derselben Quelle her, wie
die Pocken, mit denen sie auch ziemlich zu gleicher Zeit
zum ersten Male in Europa erschienen. Er theilt sie in
gutartige und complicirte ein, und versteht unter den letz¬
teren solche, die entweder einen entzündlichen, oder einen
adynamischen Charakter haben. Der Maserstoff wird im
Blute erzeugt, wirkt reizend und bringt in dem membra*
n Ösen und Vascular- Systeme eine der Entzündung sehr
nahe stehende Ueberreizung hervor, weshalb alle Systeme
in dem Organismus sich vereinigen , diese zerstörenden Ele¬
mente auszustofsen.
Auf ganz analoge 'Weise verhält es sich mit dem
Scharlachfieber, nur wird bei diesem mehr dunstarti¬
ges, wras der 5 erf. mit dem aus gährendem Moste entwei¬
chenden Gas vergleicht, ausgeschieden. Die Störung einer
solchen Reinigung der Blutmasse und des ganzen Körpers,
welche während der Desquamation vor sich geht, und selbst
nachher noch einige Zeit fortdauert, veranlafst die gewöhn¬
liche Nachkrankheit der Scarlatina, die Wassersucht. Die
Beschreibung des Scharlachfiebers, seiner Varietäten, Com-
plicationen und Nachkrankheiten läfst vieles zu wünschen
übrig.
Die 12tc und letzte Art der contagiöscn Epidemien
186
II. Epidemien.
ist die Syphilis, die, wenngleich keine acute Krankheit,
gewifs hier berücksichtigt werden mulste, da sie unter dem
Schein einer unbekannten Krankheit mehrere Male ganze
Kreise und Provinzen verheert hat, noch fortwährend in
Städten und auf dem Lande nachtheilig auf die Bevölke¬
rung wirkt, und ihren vernichtenden Linflufs selbst auf das
werdende Geschlecht im Muttcrschoofse ausdehnt. Da das
Lehel nicht blofs durch unreinen Beischlaf, sondern auch
auf mannichfachc andere W eise sich fortfcupllanzcn vermag,
so kann es sich leicht weit verbreiten und in dem Sinne
des 'S erf. epidemisch werden. "Wir finden hier mehrere
Beispiele von epidemischer Syphilis aufgefiihrt, wozu der
Verf. auch das in Ungarn unter dem Namen Scherlievo
beobachtete Uebel, die Falcadine in der Lombardei, die
Sibbens in Schottland und die Krankheit von Lanada zählt.
Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dafs auch in alten Zei¬
ten Krankheiten der Geschlechtstheile vorkamen, indefs hält
F. sich überzeugt, dafs die Syphilis wenigstens in ihrer
jetzigen Gestalt zuerst im Jahre 1192 unter den Begleitern
des Columbus erschien, und als Product der Vermischung
derselben mit einem neuen AVlke und unter dem Einflüsse
eines ungewohnten Klima’s anzusehen ist. Nach der ersten
Ueise des kühnen Seefahrers trat sie in Europa auf und
verbreitete sich von einem Punkte dieses Wclttheiles <zum
anderen theils durch die Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit
der öffentlichen Behörden, theils durch die irrigen Ansich¬
ten, welche die Acrzte über sie hegten. Daher eifert der
\ erf. besonders gegen die Behauptungen, dafs der Syphilis
kein specifisches Gift zum Grunde liege, die primitiven For¬
men nur Folgen einer Irritation seien, wie jede andere
Krankheit, dafs folglich das Quecksilber kein Specifmin
gegen die Lustseuche sei, sondern durch andere Mittel
ersetzt werden könne und müsse. Zuletzt folgen Vor¬
schläge, die W citerverbreitung dieser scheufslichen Krank¬
heit zu verhüten. Den Schlufs des ganzen W erkes, dessen
III. 1. Pocken in Dänemark u. Schweden. 187
Vorzüge gegen die Mängel überwiegend sind, macht ein
llesume nebst einigen Zusätzen.
Steffen .
III.
1. Na cli rieht über die Pocken - Epidemie
in Dänemark und Schweden. Milgetheiit
von Dr. Otto in Kopenhagen.1)
Die Pocken suchen uns noch immer heim! Nachdem
wir seit der Einführung der Vaccination im Jahre 1801
beinah ganz von ihnen befreit gewesen waren, wurden sie
im December 1823 durch einen Pockenkranken aus Ham¬
burg nach Kopenhagen gebracht, haben also über ein gan¬
zes Jahr lang wieder geherrscht. Die Zahl der Kranken
war, wie im Journal der praktischen Heilkunde und im
Magazin der ausländischen Litteratur bereits milgetheiit
worden ist, bis zum August 1824 auf 249 gestiegen. Wir
wollen jetzt über den Fortgang der Epidemie seit jener
Zeit berichten. Im September wurden 19 Kranke ins
Pockenspital zu Kopenhagen aufgenommen ; von diesen
waren 11 nicht vaccinirt, und hatten die ächten Menschen¬
pocken, 8 waren vaccinirt, und litten an den modificirten.
Im Octobcr wurden 13 Pockenkranke eingebracht; von
diesen waren 5 nicht vaccinirt, und hatten die wahren
* > /
Pocken, die übrigen waren vaccinirt, und nur von den
modificirten befallen. — Im November kamen 13 Kranke,
nämlich 12 Vaccinirte mit den modificirten Pocken, und
einer, der in seiner Jugend die natürlichen Pocken über¬
standen hatte, und jetzt wieder an der modificirten Form
derselben litt. — Im December nur 8 Kranke, '7 mit modi-
heirten, sehr milde verlaufenden, und einer mit wahren
1) Vergl. Nr. 37. S. 67. dieser Annalen.
188 IH. 1. Pocken in I) iinemark u. Schweden.
Pocken. — Zu Kn de dieses Monats waren nur noch einige
Reconvalescentcn übrig, und die Epidemie schien jetzt been¬
det zu sein, als sich zu Anfang Januar die Pocken in einem
Theiie der Stadt zeigten, den sie früher ganz verschont
hatten. Vom 27sten Dcceniber bis zum 29sten Januar wur¬
den nun wieder 23 Kranke aufgenommen , 5 nicht vacci-
nirte, von denen 3 gestorben sind, die übrigen vaccinirt
und mit sehr milden Pocken. — Im Februar kamen (i
Kranke, von denen 5 vaccinirt waren, und am 27sten d. M.
lagen nur noch 3 im Spital. Wjr müssen und können
also hoffen, dafs die so weit verbreitet gewesene Pocken¬
epidemie bei uns bald vorüber sein werde. Hufeland’s
Meinung, dafs die jetzt in Europa herrschenden Pocken
sich durch Ansteckung ausgebreitet haben, mul nur von
einem besondern Zustande iu der Atmosphäre begünstigt
worden, aber nicht von diesem allein hervorgerufen sind,
hat sich auch hier bestätigt. Denn nur in der Hauptstadt,
wohin sie ein Pockenkranker aus Hamburg brachte, und
im Iljörring- Amte in Jütland, wohin sic auch ein Kranker
aus Holstein verpflanzte, haben sich die Pocken gezeigt;
dagegen sind nirgends in den Provinzen Spuren davon
gewesen. W äre die Krankheit nur in der Atmosphäre
begründet, so hätte sie sich ja über das ganze Land aus-
breiten müssen. Dafs die Pocken uns von aufsen ziure-
bracht worden sind, darüber ist kein Zweifel, und dafs sic
dann in Verein mit einer besondern Luftbeschaffenheit sich
durch Ansteckung fortgepflanzt haben, um so wahrschein¬
licher, da die höheren Stände ganz davon verschont geblie¬
ben, und nur gewisse Theiie der Stadt heimgesucht wor¬
den sind. \Y ie unschätzbar die Vaccinalion unter diesen
Umständen gew esen sei, liegt zu offenbar am Tage, als dal«
es nicht überflüssig sein sollte, die Beweise dafür beizu¬
bringen. Während in den Pockenepidemien vor der Yac-
cination so unabsehbar viele erkrankten, und die Todten-
Bilanz das traurige Verhältnis von 1 zu 6, 10 oder 14
ergab, sind in der gegenwärtigen so wenige ergriffen w'or-
HI. 1. Pocken in Dänemark u. Schweden. 189
den, und so wenige gestorben, dafs sie gegen die Levölke-
rung gar nicht in Anschlag kommen. Dafs die Vaccination
entweder einer früheren, gar nicht, oder nur lokal und
unvollkommen angeschlagenen Infection, oder einer grofsen
Empfänglichkeit wegen, hei Einzelnen die Pockenkrank-
heit nicht verhütet hat, beweist gewils nichts gegen sie;
selbst dann war ihr Einfluls in allen Fällen so offenbar,
dafs nur die Pocken, die mit dem gröfsten Rechte die
modificirten oder gemilderten genannt werden, sich zeigten,
und die Krankheit dann immer ohne alle Gefahr verlief.
^ on früher \ accinirten ist auch kein einziger gestorben.
Ob nun die Vaccination vielleicht nur auf eine gewisse
Zahl von Jahren sichere, und die Empfänglichkeit für die
Pocken danach wieder entstehe — dies ist eine Frage, die
für jetzt schwerlich noch zu beantworten sein möchte. In
Holstein will Pfaff beobachtet haben, dafs nur diejenigen,
die vor einer langen Zeit vaccinirt worden waren, von der
herrschenden Epidemie wieder ergriffen worden sind; in
Kopenhagen haben spätere Erfahrungen dies nicht bestätigt:
sowohl länger als kürzlich vorher Vaccinirte sind von den
Pocken angesteckt worden. — In Marienstad in Schweden
hat man im November 1824 ein merkwürdiges Beispiel des
wohlthätigen Einflusses der Vaccination beobachtet: Ein
neun Monate altes Kind, das im Alter von einem Monate
vaccinirt worden war, lag unausgesetzt bei seiner 30 Jahre
alten an den Pocken im höchsten Grade leidenden Mutter,
während ihrer ganzen Krankheit, bis sie endlich starb, ohne
davon den geringsten Schaden zu erleiden!
ln Stockholm x) waren in den für Pockenkranke
eingerichteten Krankenhäusern zu Ende Februar noch 37
übrig; 43 verliefsen in diesem Monate das Spital, 6 sind
gestorben. — In das allgemeine Garnisonsspital wurden G
Pockenkranke aufgenommen, 5 haben es als geheilt wieder
verlassen, und 1 ist gestorben. — Keiner von denen, die
1) Aus schwedischen Blättern.
190 HI. 2. Alter der Menschenpocken.
früher vaccinirt wurden, ist gestorben. — ln den Pro¬
vinzen: Im Stockhol mal eh ne: in \Vesterl»aninge wur¬
den 10 von den Pocken befallen, von welchen 4 starben;
4 Kinder, die früher vaccinirt waren, litten an den modifi-
eirten Pocken; in Tory wurden (5 Kinder davon ergriffen;
2 starben; in Oestcrbaninge bekamen 3 Erwachsene die
Pocken; in Odensnta wurde ein Knabe von einem pocken¬
kranken Mädchen angesteckt; in Munso wurden 10 von
den Pocken ergriffen, von welchen 1 starb; 4 vorher vac-
cinirte Kinder litten an den modificirten; in Dalorü beka¬
men 1 Erwachsener und auf Foglarör 4 vorher vaccinirt e
Kinder die modificirten Pocken; auf Jütholmen wurden t
von den Menschenpocken ergriffen, von w elchen 1 starb. —
Im Upsalalehne haben im Ganzen 20 Personen von der
modificirten Art gelitten. — Im Nvk jüppingslehne 3,
im (Kalmar leb ne 10. — Im Gothenburg lehne ent¬
standen die Pocken im Mychleby und Förshalla, und 5 star¬
ben daran. — Im Car Iss ladt lehne wurden 2 Erwach¬
sene, die früher aber ohne Erfolg vaccinirt waren, davon
ergriffen. — Im Oerebro lehne fährt die Pockenkrank-
beit. noch immer fort sich auszubreiten. — lm Gefle-
lehne haben 11 daran gelitten, von welchen 4 starben,
davon 2, die früher vaccinirt waren, die modificirten hat¬
ten. — Im Wester No rrl and lehne haben 3 Kinder
an den Pocken gelitten. — In Kopenhagen scheint die
Pockenkrankheit jetzt ganz aufgehört zu haben. Seit 4
Wochen ist kein Pockenkranker mehr hier gewesen, und
unser Krankenspital ist leer! (Spätere Nachricht.)
2. Ucbcr das Alter der Niens cbcnpockcn
nnd anderer exan thematischen Krankhei¬
ten, historisch-kritische Untersuchung von Carl
* ^
Friedr. Thcod. Krause ML D. II annover, in
III. 2. Alter der Menschenpocken. 19 [
der Hahnschen Hofbuchhandlung, 1825. 8. 188 S.
(16 Gr.) Mit dem Motto aus Sophokles:
Ov ti vvv yt X^X^^ *Aa’ dzl ttots
Zy TCCVTC6' KOU^t)g 01$ Sv it'OTOV tyccv) J.
Wiewohl es sich nicht eigentlich ziemt, das Resultat
einer sehr gelehrten und scharfsinnigen Untersuchung gleich
vornweg mitzutheilen , so wollen wir doch bei der gegen¬
wärtigen ausnahmsweise der Ungeduld unserer Leser zuvor¬
kommen. Herr Krause sucht gegen die gewöhnliche Werl-
hofsche Annahme, die bekanntlich über die Hahnsche glän¬
zend obgesiegt hat, die viel frühere graualterthümliche Exi¬
stenz der Pocken zu beweisen. Wir führen ihn selbst
redend ein:
«Das endliche Resultat (S. 177.) unserer Untersu¬
chung bietet uns sonach gegen den einzigen negativen
Grund der Partei, welche die uralte Existenz der Pocken
und Masern läugnet — gegen den des Mangels einer Beschrei¬
bung dieser Exantheme in den Schriften der älteren grie¬
chischen und römischen Aerzte — zwei eben so triftige
negative, und einen positiven Grund dar, nämlich:
1) Noch weniger klar und umfassend, als von den
älteren griechischen Aerzten (die wenigstens einige, zwar
unvollständige, jedoch deutliche Schilderungen der genann¬
ten Krankheiten hinterlassen haben), werden dieselben von
den jüngeren Griechen des siebenten bis elften Jahrhun¬
derts beschrieben, selbst nicht von dem angesehensten unter
diesen, von Paul, der später als Aaron in Gegenden
lebte, in welche die Pocken und Masern damals schon ein¬
gedrungen waren, und in welchen Aaron sie als keines-
weges im Rufe des neuen Ursprungs stehende Uebel ken¬
nen gelernt hatte. Erst vom zwölften Jahrhundert an fin¬
den sich vollständigere von neueren griechischen Aerzten
verfafste Abhandlungen von der Pocken- und Masern¬
krankheit.
J ) M a s u d i , und nach ihm E b n D o r e i d , sind die
192 lil. 2. Alter der Mcnschenpockcn.
einzigen, welche die erste Erscheinung der Pocken und
Masern im EIcp ha nten kriege , und auch dann nur in Ara¬
bien zum erstcnmalc angeben; aber durchaus kein Arzt oder
Geschichtschreiber , weder des Altertlmnis noch des Mittel¬
alters, sagt aus, da fs diese Krankheiten neu entstanden und
früher unbekannt gewesen; Aerzte des sechzehnten Jahr¬
hunderts waren die ersten, welche mit einer solchen Be¬
hauptung hervortraten. AN ie ganz anders war cs, als ain
Ende des fünfzehnten und im Anfänge des sechzehnten
Jahrhunderts die Lustseuche verheerend um sich griff! Die
meisten Aerzte dieser und späterer Zeit, und alle Chro¬
nisten fa.^t ohne Ausnahme, versichern ausdrücklich, dieses
Uebcl sei damals neu und früher unerhört gewesen. AN enn
nun, trotz dieser damals allgemein verbreiteten Meinung,
die Lustseuche früher schon existirt hat, und Astruc und
Girtanner von Sanchcz, He ns ler und Sprengel
gründlich und vollständig widerlegt worden sind: so
können wir mit der gröbsten Wahrscheinlichkeit annehmen,
dafs einer oder der andere unserer alten Schriftsteller, dem
einzelne Fälle, oder Epidemien der Pocken und Masern
vorkamen , diese Krankheiten für neue ausgegeben haben
würde, wenn er selbst solchen Glauben gehabt, oder ihm
hei seinen Zeitgenossen Eingang zu verschaffen hätte hof¬
fen dürfen. So etwas kommt aber keinem in den Sinn;
sic sprechen alle schlechthin von der A’ariola, wie von einem
ganz gewöhnlichen und allgemein bekannten Lehel.
3) Der positive Grund ruhet auf den zahlreichen
schriftlichen Zeugnissen , w elche ich auf den vorhergehen¬
den Seiten zusammengestellt habe, und in welchen sieh die
unverkennbarsten Spuren der Pocken- und Masernkrankheit,
vorzüglich als ausdrückliche Angaben ihrer bezeichnendsten
Symptome, vom Amfange der Geschichte an, bis zum zwölf¬
ten Jahrhunderte hin, verfolgen lassen.
( B cs chlufs folgt.)
I
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
III.
2. Ueber das Alter der Mens cb enpo cken
und anderer exantbematis eben Krankhei¬
ten, historisch -kritische Untersuchung von Carl
Friedr. rlheod. Krause. Hannover, 1825. 8.
(Beschluss.)
Was diesen Documenten an Vollständigkeit und Be¬
stimmtheit mehr oder weniger abgeht, habe ich in der kri¬
tischen Würdigung der einzelnen selbst nachgewiesen, und
die Lrsachen und Lntschuldigungsgründe ihrer theilweisen
Mangelhaftigkeit anzugeben mich bemüht. Die ganze Summe
dieser Zeugnisse bleibt immer stark genug, die allgemeine¬
ren Einwürfe der Gegner auszuhalten, u. s. w.”
Dies ist der Kern dieser gehaltreichen Schrift, aus
dem die Leser zugleich den Geist, der den Verf. bei sei¬
ner Untersuchung geleitet hat, zu erkennen vermögen.
Es erweckt jederzeit ein günstiges Vorurtheil für den Muth
eines Schriftstellers, wenn er es wagt, gegen eine allgemein
gewordene Ueberzeugung aufzutreten, in der man keinen
Irrthum auch nur zu ahnen sich getraut, und deshalb ist es
doppelt unsere Pflicht, die Gründe genau zu erwägen, die
Um. K. auf die Seite einer schwachen Opposition gebracht
haben, die noch überdies von ihrem zwar gelehrten, aber
leidenschaftlich befangenen Stifter den Ruf grofser Leichtgläu¬
bigkeit und Verdrehungssucht als Erbtheil überkommen hat.
Zuerst die Beleuchtung der scharfsinnigen , und alle
übrigen repräsentirenden Gegengründe Werlhof’s, die
der Verf. auf die angeführten Ergebnisse seiner Studien
folgen läfst. Werlhof behauptet: die Pocken,
II. Bd. 2. St. 13
so wie
194 III. 2. Alter der Menschenpocken.
sie jetzt sind, haben bei den alten Griechen und Römern
nicht existirt, oder sie haben ein anderes Ansehen, andere
%
Kennzeichen, ein anderes Wesen gehabt; so dafs sie, wenn
dieses sich so verhält, kaum oder gar nicht, für dieselbe
Krankheit, wie die Pocken unserer Zeit sind, gehalten wer¬
den können. Denn es scheint fast unmöglich, dafs HippO-
crates, C e 1 s u s , A r e t ä u s , Galen, C H 1 i u s , A ü t i u s ,
Alexander und die übrigen, nicht eine sorgfältige, be¬
zeichnende und zusammenhängende Geschichte der Krank¬
heit, mit Angabe ihrer vorzüglichsten Symptome, nachgelas¬
sen haben sollten.
Hierauf erwidert K., dafs dieselbe Dunkelheit und Un¬
vollständigkeit der Beschreibung sich auch bei Krankheiten
in den Werken des Alterthums nachweisen lasse, deren
jiingern Ursprung dessenungeachtet niemand zu behaupten
gewagt habe; — dafs überhaupt die Lehre von den Haut¬
krankheiten von den Alten auf eine unziemliche 'Weise
vernachlässigt und für unwichtig gehalten worden sei, und
dafs sich mithin aus der Mangelhaftigkeit ihrer Pathologie
keinesweges unbedingt auf die Nichtexistenz dieser oder
jener Krankheit hei ihnen schliefsen lasse. (Sehr wahr! die
ganze Fieberlehre der Alten ist so unvollkommen, dafs
man manche Fiebergattung bei ihnen nicht beschrieben
findet, deren uralte Existenz mit dem menschlichen Lehen
innig verbunden ist, und wegen der fehlenden schriftlichen
Ueberlieferungen dennoch nicht weggeläugnet werden darf.)
Ueberdies macht W erihof an die mangelhaften Andeutun¬
gen in der alten Litteratiir, die auf die Pocken ohne Zwang
bezogen werden können, und von denen er überdies viele
gar nicht gekannt hat, zu grofse kritische Anforderungen,
denen nicht einmal diejenigen Araber genügen, bei denen
die Erwähnung der Pockenseuche unzweifelhaft ist. Kr
vermifst nämlich 1 ) die Nothwendigkeit, nach welcher fast
alle Menschen, und nur einmal in ihrem Leben, die Krank¬
heit überstehen müssen. — Hr. K. zeigt, dafs dies Gesetz
weit später erst erkannt worden ist, und selbst die mci-
III. 2. Alter der Menschenpocken. <95
sten Arabisten für die mehrmalige Wiederkehr der Pocken
hei den einzelnen Individuen stimmen, dafs aber auch einige
Alte, besonders Thucydides, Euagrius undNicepho-
rus ausdrücklich bemerken, dafs diese oder jene Pestilenz,
die vermutlich eine Pockenepidemie war, die Kranken nur
einmal befallen habe. Dann vermifst Werlhof 2) die
häufige W iederkehr der Epidemien im Alterthum. Aller¬
dings ein verdächtiger Umstand, dessen volle Beweiskraft
gegen die frühere Existenz der Pocken jedoch dadurch er¬
schüttert wird, dafs 1. die Alten überhaupt keine regelma-
l-sigcn chronologischen Berichte über Epidemien geliefert
haben, 2. ungeachtet dieser mangelhaften Berichte sich nach-
v eisen hifst., dafs z. B. die berühmte Justinianische Epide¬
mie (von der weiter unten) sich in Antiochien in fünfzig
Jahren viermal gezeigt hat, dafs 3. der in Deutschland frü¬
her gewöhnliche Umlauf der Pockenepidemien von 5 oder
7 Jahren grofse Ausnahmen erleidet; 4. die Pockenepide¬
mien des Alterthums wahrscheinlich sehr allgemein verbrei¬
tet und bösartig waren, und mithin seltene Einfälle machen
muhten , und dafs endlich 5. die Pocken sich in manchen
Gegenden, in denen sie unzweifelhaft seit vielen Jahrhun¬
derten einheimisch sind, eine oder mehrere Generationen
hindurch gar nicht gezeigt haben, so dafs sie, wenn sie
einstens allgemein sich verbreiteten, für eine neue Krank¬
heit gehalten wurden. Jn Ostindien glaubte man z. B.
eine neue Krankheit vor sich zu haben, als im sechzehnten
und siebzehnten Jahrhundert die Pocken durch die Portu¬
giesen und Holländer dorthin verschleppt worden waren.
iS och andere Beispiele dieser Art w erden angeführt.
Weiterhin legt Werl ho f 3 und 4) auf das Fehlen
der Beschreibung der Pusteln, ihres Verlaufes, und der
Angabe des Unterschiedes zwischen distincken, cohäriren-
den und confluirenden Pusteln viel Gewicht. Mit vollem
Hechte wendet aber Hr. K. dagegen ein, dafs die Alten
die Bedeutung der acuten Ausschlagskrankheiten überhaupt
gai nicht erkannt, dafs sie die Exantheme für aufserwe-
13 *
l
1% III. 2. Alter der Mcnschcnpocken.
.«»entliehe, zufällige Fiebersymptome gehalten haben, lind mit¬
hin genaue Beschreibungen der Formen derselben von
ihnen am wenigsten zu erwarten sind. Den fünften Ein-
wurf Werlhof’s, es finde sich bei den Alten nirgends
eine genaue Unterscheidung der Perioden der Krankheit,
beantwortet der Verf. dahin, dafs allerdings Andeutungen
dieser Art, besonders beim Thucydides Vorkommen, dafs
aber freilich die Periode der Eiterung, bei der allgemeinen
Unkenntnifs der Bedeutung der Exantheme, die Aufmerk¬
samkeit der Niehtärzte am meisten in Anspruch genommen
habe, woher denn auch die meisten Beschreibungen darauf
allein Bezug nehmen. — 6) W. vermifst die Ungeheuern
Verheerungen unter den Kindern iin Alterthum. Kamen
aber wirklich, wie man mit Grund vermuthen kann, die
Pockenepidemien bei den Alten seltener, so mufsten sie
noch ganz unberührte Generationen finden, und mufsten
daher eine gröfsere Zahl Erwachsener befallen, während die
Pocken der neuern Zeit nach und nach alle Menschen an¬
steckten, bei den oftwiedcrholten Epidemien also nur noch
die Kinder übrig blieben. Ueberdies wird in den meisten
Nachrichten über Seuchen, die füglich für Pocken zu hal¬
ten sind, von den Historikern ausdrücklich erzählt, sie hat¬
ten weder Erwachsene, noch Kinder geschont; in anderen
wird ausdrücklich des häufigem Dahinsterbens der letzteren
gedacht, während andere pestartige Krankheiten, wie Bubo¬
nenpest und Petechialtyphus, gerade die Kinder verhältniss-
mäfsig seltener befallen. — 7) Die ausgezeichnete Gestalt
der Narben, die sich weder in den Schriften, noch in den
wohlerhaltenen Bildwerken der Allen angegeben findet.
Wer in den Geist der alten Medicin eingedrungen ist,
wird schwerlich irgend eine Beschreibung dieser Art er¬
warten; dafs aber von Narben nach Exanthemen im Gesicht
und an andern Theilen des Körpers gar häufig die Bede
ist, hat Hahn überzeugend nachgewiesen (Var. antiq. p.
121 — 28.); von den Bildwerken kann begreiflicher N'V eise
nicht die Bede sein. elcher Künstler würde wohl
197
III. 2. Alter der Mensclienpocken.
pockennarbige Rüsten gemacht haben ! Aus der pocken¬
reichsten Zeit würden sich dergleichen Beweise der Existenz
der Pocken nicht aufstellen lassen. — Endlich hält Werl¬
hof 8) die verschiedenen, von den Alten beschriebenen
Krankheiten, die mit den Pocken unserer Zeit Verwandt¬
schaft und mehrere Svptome gemein haben, für nichts
anders als Varicellen. Dagegen streitet aber die Bösartig¬
keit der bei den Aerzten und Geschichtschreibern erwähn¬
ten, so weit verbreiteten Epidemien, die in der That mit
der durchgängig milden Natur dieses Uebels durchaus unver¬
einbar ist. End wie soll, fügt Ref. hinzu, Werlhof’s
Behauptung bestehen, wenn aus neueren Beobachtungen
mit grofser Wahrscheinlichkeit hervorgeht, dafs die Vari¬
cellen nur eine Abart der wahren Pocken sind, die sich
entweder vorher, oder als gleichzeitiges , degenerirtes Pro¬
dukt, oder im Gefolge derselben zeigt? Giebt Werlhof
die alleinige Existenz der Varicellen im Alterthum zu, so
war wenigstens ihre Potenziruiig bis zur Natur der wah¬
ren Pocken durch epidemische Einflüsse sehr leicht, und es
läfst sich nicht begreifen, wie diese Einflüsse' mit ihnen
nicht zu irgend einer Zeit zusammengetroffen sein sollten.
Damit hat also Werlhof seiner Ansicht mehr geschadet,
als genützt, und seinen jetzigen Gegnern, die im Besitz
einer tiefem Kenntnifs der Pocken sind, als sie zu seiner
Zeit möglich war, offenbar die Waffen gegen sich in die
Hände gegeben.
Dies ist vorläufig die Beweisführung des Verf. gegen
W^erlhof, und wir müssen bei unbefangener Beurtheilung
zugeben, dafs sie der bisherigen, für so unbestreitbar gehal¬
tenen Annahme wenigstens die Stange hält. Gehen wir
jetzt zu dem Einzelnen über, so wie es sich in den vor¬
hergehenden Abschnitten der Schrift darbietet.
In der Einleitung sucht der Verf. seiner, auf die mit-
getheilten Resultate gegründete Meinung dadurch das W ort
zu reden, dafs er zeigt, wie man nur durch die Ueberzeu-
gung, die Pocken entständen allein durch einen bestimmten
198
UI. 2. Alter der Mcnschcnpockcn.
Ansteckungsstoff, zu der Annahme gekommen sei, dieser
Ansteckungsstoff habe sich erst in einer gewissen Zeit
(nämlich 569 oder 572 n. (dir. während der Belagerung
von Mekka durch die Habcssinier) entwickelt, und von da an
unverändert fortbestanden; — dals diese Behauptung aber
nicht unbedingt angenommen werden dürfe, indem es we¬
sentlich mehr auf die Anlage zur Poekenkraukheit ankomme,
die dem Menschen und einigen Thierklassen, wahrscheinlich
allen warmblütigen, angeboren sei. — Allerdings mufs die
Anlage bei den Pocken noch mehr, als hei irgend einer
andern Krankheit in Betracht kommen. Nimmt aber 11c. k.
eine unbedingte Nothwendigkeit an, dafs diese Anlage durch
einen eigenthiimlichen Krankheitsprozefs getilgt werde, und
zwar mit äufserst seltenen Ausnahmen bei allen Menschen,
so verwickelt er sich in die höchst zweifelhafte und bün¬
dig zu widerlegende Hypothese von der Nothwendigkeit
gewisser Krankheiten. Der menschliche Organismus bedarf
zu seiner normalen Entwickelung der Krankheiten ein fiir
allemal nicht, cs sind ihm diese vielmehr von innen oder
aufsen durch vermeidliche oder unvermeidliche l rsachen
aufgedrängt, sonst wäre man ja gezwungen das Lehen so
vieler Millionen, die von ihrer Geburt an bis in das hohe
Alter kaum irgend einem krankhaften Zufall unterworfen
werden, für unvollkommen zu halten. Leberdies läfst sich
bei den allermeisten Pockeucpidemien der neuern Zeit die
Entstehung derselben aus einem Pockcnconlagium so sicher
nachweisen, dafs man in den Fällen, wo dies unmöglich
gewesen ist, eher die Schwierigkeit der Nachforschung in
Anschlag bringen, als die gewagte Hypothese aufsteücn
mufs, die Pocken könnten, wie Scharlach und Masern durch
atmosphärische Einflüsse entstehen, die die "\\ irkung des
Contagiums nur begünstigen, nicht es selbst hervorzurufen
in» Stande sind, ln der Verlegenheit, in die dieser Ein¬
wurf ihn setzt, giebt denn auch der \ erf. zu, wie jene,
für nothwendig gehaltene Tilgung vör sich gehe, sei unbe¬
kannt; sic erfolge unter kräftigen oder schwachen Fieber-
III. 2. Alter der Menschenpocken. 199
bewegungen , die man deshalb das Tilgungsfieber genannt
habe. Diese Behauptung liegt ganz aulser den Gränzen
der Erfahrung, in denen wir uns durchaus halten müssen,
wenn wir über den vorliegenden, so höchst schwierigen
Gegenstand zu haltbaren theoretischen Begriffen kom¬
men, und den strengen Gesetzen der medicinischen For¬
schung vollkommen genügen wollen. — In der Re-*
gel äufsern sich, fährt der Verf. fort, während und
nach der Tilgung merkliche Krankheitserscheinungen,
welche in einer bestimmten Ordnung auf einander fol¬
gen; und unter diesen ein pustulöses Exanthem, (Variola
und Vaccine) von einem gewissen regelmäfsigen Verlaufe.
Diese Krankheitserscheinungen geben für die sinnliche Wahr¬
nehmung die allein sichern Zeichen, dafs die Tilgung voll¬
ständig erfolgt sei; sie sind aber nur der Reflex der Til¬
gung, und zu dieser nicht wesentlich nothwendig. Die
Tilgung kann demnach, mit oder ohne Exafttherp , ohne
Einwirkung des eigenen Contagiums zu Stande kommen.
(Auch diese Behauptung ist wieder aus dem Reiche der
Hypothesen, und darf durchaus nicht als Mittelglied einer
Schlufsfolge benutzt werden, die sich dann wiederum in
dem recht eigentlichen Kreise der Erfahrung bewegt. Liefse
sich für alles dies der unzweifelhafte Beweis herbeischaffen,
und liefen nicht die meisten jener Aussprüche auf. erfah¬
rungslose Theorie hinaus, so würden wir auch den Haupt¬
satz der ganzen Argumentation; «die Pocken krank heit
könne durch Generatio originaria entstehen”
unangefochten lassen — so lange dies aber noch nicht
gelungen ist, wollen wir lieber hei der Lehre vom Conta-
eium in bescheidener Anerkennung der Lücken unseres
O
W issens stehen bleiben, als der belehrenden Erfahrung der
Zeiten mit Wagesätzen vorgreifen.) — Den kräftigsten
Angriff auf die Pockenanlage, schliefst der V erf., und die
sicherste Tilgung, bewirkt das Contagium der Variola und
Vaccine, welches, nach seiner Intensität, eine heftigere oder
gelindere Reaction hervorruft: das der Vaccine ist im All-
20U III. 2. Alter der Mcnschenpocken.
gemeinen milder, aber gleich mächtig zur Tilgung der
Anlage.
Hierauf folgt eine sehr ausführliche, lichtvolle, und
sehr genügende historische Darstellung des Streites über
das Alter der Pocken, der überhaupt erst von der VV ieder-
aullebung der "Wissenschaften an begonnen hat, indem die
arabischen Schriftsteller den frühem Ursprung der Krank¬
heit keinesweges bezweifelten. "Wir ersuchen unsere Leser,
diesen Abschnitt im Buche selbst nachzusehen, indem wir
nur bemerken wollen, dafs in der neuesten Zeit VV illan
die vollständigste Sammlung von Materialien geliefert hat für
den historischen Beweis, dafs die Pocken, das Scharlach
und die Masern sowohl den Völkern des Allerthums, als
auch, längere Zeit vor den Kreuzzügen, den nördlichen
Europäern bekannt gewesen sind. 1 )
W ir gehen jetzt zu des V erf. I ntersuchung der alter-
tbümlichen Nachrichten über exanthematische Krankheiten
und Pestilenzen über, die das Wichtigste der Schrift und
die Grundlage der obigen Resultate enthält.
v. /
In den Schriften des alten Testaments werden zwar
Ausschlagskrankheiten in Menge angeführt, deren Benen¬
nungen und Charakter der Verf. vollständig mittheilt; keine
unter ihnen gestattet indessen eine wahrscheinliche Vcr-
muthung auf Pocken, als etwa der ulceröse Schechin
(Exod. IX, 9 — 10.) den man für keine Form des Aus¬
satzes, wohl aber für ein eiterndes Exanthem halten kann.
Dies ist aber auch alles, und auf die ganze Annahme über¬
haupt kein besonderer W erlh zu legen. Viel wichtiger
sind dagegen die Angaben über das Alter der Pocken bei
den Hindus. In der Götterlehre derselben findet sich eine
Göttin der Pocken, die besonders bei den Parias grofse
Verehrung geniefst, und viele Tempel besitzt. Der Athar-
1) An Inquiry into jhe Antiquity of the Sniallpox, Meajlej
and Scarlet Fever, in Miscellaneouj Worki of the late Hol».
"W illan , cd. by A » h b T Smith. London 18-1.
III. 2. Alter der Mensclienpocken. 201
Veda, eins der ältesten Bücher im Sanscrit, enthält die
Beschreibung des Dienstes derselben, und Gebete, deren
sich noch jetzt die Brahminen bei der ebenfalls uralten
Inoculation zu bedienen pflegen. x) Das Alter dieses Bu¬
ches geht nach den berühmtesten Orientalisten über 1200
v. Chr. , der Verf. glaubt daher nicht zu irren, wenn er
die Existenz der Pocken in Ostindien schon zu dieser Zeit
für erwiesen annimmt.
Damit stimmen die Ueberlieferungen der Chinesen
wesentlich überein. Auch bei diesem Volke finden sich
Spuren der uralten Verehrung einer Schutzgöttin der
Pocken, und mit Bestimmtheit kann man das Dasein der
letztem in China im zwölften Jahrhundert v. Chr. anneh¬
men. Wir verweisen hier auf die Beweisgründe im Buche
selbst, die uns ganz richtig zu sein scheinen. Die eben¬
falls uralte Inoculation bei den Chinesen besteht darin,
dafs sie mehrere Pockenkrusten mit einem Stückchen Mo¬
schus in Baumwolle wickeln, und dies in die Nase stecken.
Bei Hippokrates behandelt Hr. K. die hierher gehörigen
Stellen mit vieler Vorsicht, und macht sich der voreiligen
Voraussetzungen nicht so schuldig wie seine Vorgänger.
Die < pxv^ol/ci x (Coac. I. 163. Lind. I. p. 530.) in der oft
berührten Stelle, erwecken allerdings die Vermuthung
eines pockenähnlichen Ausschlages, ohne dafs map jedoch
hierbei zur Gewifsheit kommen kann. Die meisten, oft so
überschätzten Hippokratischen Stellen thut man freilich
besser, auf sich beruhen zu lassen, als durch vieles Com-
mentiren die Erwähnung der Pocken hineinzuarbeiten, und
triftigen Gegengründen Baum zu geben. Die 7rv^iroi
Qtycufrs&s, i^Tv ^s(va) (Epid. VI. 1. Lind. I. p. 798.) Aus¬
schlagsfieber, die füchterlich für den Anblick sind, mögen
immer hier Pockenfieber gewesen sein, denn wo ist ein
anderes, auf das diese W orte so buchstäblich pafsten? Aber
die Evidenz fehlt doch immer, so wie bei den übrigen
1 ) Vergl. M oorc,
Hislory of the Sinallpox. London, 1815.
202 III. 2. Alter der Menschenpocken.
Stellen, die wir hier übergehen. Wir stimmen indessen
ganz mit dem Ycrf. überein , wenn er hier und da Fieber
mit Anthrake* für pustulös exanlhematische hält, indem der
Karbunkel dabei oftmals nicht zu vermut heil ist. NN eitef
also, als bis zur Annahme einer oberilächlicHen Andeutung
jmstulös- exanthematiseher, und wahrscheinlich pockcnartiger
Krankheiten, darf die Auslegung hei Ilippokrates, wie
der Yerf., der besonders Ilahn’s lieber treib ungen von
der Hand weist, selbst zugesteht, nicht gehen. — Die
merkwürdige Stelle ii her Halsentzündungen , Progn. 25.
Lind. I. p. 1()7., die wir nachzulesen bitten, palst, wie der
Yerf. überzeugt zu sein glaubt, ohne Zwang auf Schar-
lachfieher, aber vergebens sucht man nach der Bestätigung
bei den spätem Aerzten.
Jetzt zu Thucvdides. Niel und mancherlei ist über
die berühmte Pest zu Athen geschrieben worden, und cs
fehlt nicht an schiefen und abentheuer'ichen Yermuth ungen.
Der N erf. hält diese Epidemie, die offenbar von einem
eiternden Exanthem begleitet war, für Pocken, und glaubt
die Beweise für diese Behauptung, die bereits Scuderi ‘)
aufgestellt, »aber nicht so scharfsinnig und umsichtig ver-
theidigt hat, in den beschriebenen Symptomen zu finden,
dem eigenth'imbehen üblen Geruch des Athems, der Augen¬
entzündung, dem Schmerz im Epigastrium, dem gallichten
Erbrechen, den Couvuisioncn u. s. w. J)ie Haut soll tlieils
roth , theils bleifarbig gewesen sein. Die* unwiderstehliche
Sucht nach Kühlung, und die Lust der Kranken, in das
NVasser zu springen, die Thucvdides mit so lebendigen
Farben mahlt, wurde auch hei mehrereren N ölkern iNord-
amerika’s, so lange ihpen die Krankheit weniger bekannt,
und jeder einzelnen Generation neu war, beobachtet.
Sehr bezeichnend ist es denn auch, dafs die pustulöse ei¬
ternde Eruption am Kopfe anfing, und sich nach und nach
1) I) c variolarum morhorumque contagiosormn originc, causa
atejue facili oxstinctionc. 2 Voll. Ncapol. 1789.
203
III. 2. Alter der Mcnsclienpocken.
über den ganzen Körper bis zu den Händen und Füfsen
verbreitete. Die Kranken starben meist am siebenten oder
neunten J age, und viele mufsten ihre Wiedergenesung mit
Blindheit erkaufen. Endlich ist es auch nicht zu überse¬
hen, dafs die einmal überstandene Krankheit in der Regel
gegen eine neue Ansteckung Schutz gewährte, und die
zum zweiten Male Befallenen ohne Gefahr davon kamen.
Zusammengehalten mit dem übrigen gewinnt dieser Umstand
viel, für^sich allein darf er jedoch nicht überschätzt wer¬
den. Der V erf. läfst auf diese Angaben, mit deren Deu¬
tung wir vollkommen einverstanden sind, eine bündige
W iderlegung aller bisher über die Pest zu Athen geäufser-
ten Meinungen folgen, auf die es hier weniger ankommt.
Dionysius, Livius, Diodor. AYie mangelhaft
die zahlreichen römischen Epidemien Beschrieben sind, ist
bekannt, und somit können wir also auch bei diesen Ge¬
schichtschreibern keine erhebliche Ausbeute für die Pocken
erwarten. Exanthematische Epidemien hat Hr. K. indessen
mehrere aus ihnen angegeben, aber er gesteht selbst, dafs
dabei von Evidenz nicht die Rede sein könne. Wir müs¬
sen es überhaupt rühmend anerkennen, dafs wir in dieser
ganzen Untersuchung nicht auf eine einzige Thatsache gesto-
fsen sind, deren Mangelhaftigkeit durch übereilte Auslegun¬
gen, den gewöhnlichen Folgen einer leidenschaftlichen Vor¬
liebe für den Gegenstand, verdeckt worden wäre. Am
wichtigsten ist hier ohne Zweifel die Epidemie der Kartha-
ginenser während der Belagerung von Syrakus i. J. 395
v. Chr. bei Diodor r), in der sich über den ganzen Kör¬
per Pusteln verbreiteten, unter mehreren Zufällen, die zur
Annahme einer grofsen Aehnlichkeit dieser Pest mit der
Atheniensischen aufzufordern scheinen.
Philo, Rufus. Bei jenem (40 Jahr n. Chr.) findet
sich zur Erklärung des oben erwähnten Schechin bei Mo¬
ses, die Beschreibung einer akuten Ausschlagskrankheil, die
1 ) Bibhoth. hist. Amstel. 1745. C. XIV. c. 70 — 72.
204 III. 2. Alter der Menschenpocken.
ohne Zwang auf zusammenfliefsende Pocken pafst, so dafs
man, wenn auch nicht «auf eigene Ansicht, doch wenigstens
auf die Bekanntschaft dieses Zeitalters mit dem Pockenübcl
schliefsen kann. 1 2 3 ) Bei Rufus a), der ebenfalls dem ersten
Jahrhunderte angehört, kommen anthraxähnlicbe Ausbrüche
über den ganzen Körper vor, die freilich für sich allein
nichts beweisen, aber doch im Zusammenhang mit den fol¬
genden Angaben wenigstens erwähnt werden müssen.
Ilerodot’s, des Pneumatikers Nachrichten von einer
unleugbar pockenartigen Krankheit sind ohne Zweifel die
wichtigsten aus dem ganzen griechischen Alterthum. *) «In
bösartigen pestilenziellen Fiebern sind die Eruptionen ei¬
ternd (pustulös), und hin und wieder den Karbunkeln oder
Anthrakes ähnlich. Die im Gesichte au»b rech enden si nd
die bösartigsten von allen; eine grofse Anzahl ist schlim¬
mer, als eine geringere derselben, und gröfsere sind schlim¬
mer als kleinere. Die, welche schnell verschwinden, sind
gefährlicher als diejenigen, welche eine längere Zeit hin¬
durch stehen. Schlimmer sind die stärker entzündeten oder
brennenden, als die, welche nur Jucken erregen. Die unter
Verstopfung oder nur mäfsigen Stuhlausleerungen ausbre¬
chenden sind gutartig; böse aber, die unter Diarrhöe und
heftigem Erbrechen erscheinenden; verschwinden aber diese
Zufälle mit dem Ausbruche, so ist der Ausgang günstig.
Diese pustulösen Ausschläge werden von bösartigen Fie¬
bern, und öfters von grofser Schwäche oder Ohnmächten
begleitet.” Bemerkenswerth ist es, dafs Jlerodot zu
Anfang dieser * Krankheit das Aderlafs anzuwenden rieth.
Es mufs auffallen, dafs die Vertheidiger des jüngeren Ur¬
sprunges der Pocken, namentlich Freind und Grüner,
diese wichtige Stelle sehr nachlässig behandelt, und das
1) Opp. omn, Francoft. 1691. p. 622.
2) Act. Tetrabl. L. II. S. I. c. 95. Vcmt. 1534. fol. 91.
3) Ebond. c. 129. fol. 96. Yergl. die Geschichte der Heil¬
kunde des llcrausg. Bd. I. $. -161.
205
_ . * j
III. 2. Alter der Menschenpocken.
Wesentliche in derselben fast ignorirt haben; doch mufs
der letztere^ wenigstens «indicia aliquo modo similia vario-
lis” zugestehen. Dafs aber diese Beschreibung genügender
und umfassender ist, als alle arabischen bis auf Rhases,
deren Beweiskraft für die Pocken ohne Widerrede ange¬
nommen wird, ist bis auf Hrn. K. noch keinem Historiker
aufgefallen. Sehr zweckmäfsig folgt hier eine genaue Erörte¬
rung des Streites zwischen Hahn und W erlho f über diese
Stelle, von denen der erstere seine gewöhnlichen Ueber-
treibungen nicht hat zurückhalten können, die dem letztem
freilich Gelegenheit genug zu gegründeten, aber doch nicht
den Herodot treffenden Einwendungen gegeben haben.
Die Armuth Galen’s an Stellen, die die Pocken evi¬
dent bezeichnen könnten, ist von Werlhof und seiner
Parthei vielfach benutzt worden. Der Yerf. zeigt indessen,
dafs man nicht die rechten ausgewählt, oder sie übersehen
habe, und macht es mehr als wahrscheinlich, dafs die be¬
rühmte Pest, die in den Jahren 164 bis 170 Kleinasien,
Syrien und Italien heimsuchte, und nach Rom vorzüglich
durch die Rückkehr des Lucius Aurel ius Verus aus
dem Feldzuge gegen die Parther gebracht wurde, nichts an¬
deres, als eine Pockenepidemie gewesen sei. Galen versi¬
chert selbst, sie habe mit der Atheniensischen die gröfste
Aehnlichkeit gehabt; sie war von einem pustulösen Aus¬
schlage begleitet, der zu Borken vertrocknete, die bei der
Wiedergenesung abfielen; damit stimmen die angegebenen
übrigen Zufälle sehr überein, so dafs«» die Beschreibung der
ganzen Krankheit ziemlich vollständig wird, lfa uns eine
ausführliche Erörterung dieser Pest zu weit fuhren würde,
so beschränken wir uns darauf, unsere Leser auf die Stel¬
len selbst zu verweisen. Ihre Beistimmung werden sie
nach der Vergleichung derselben dem Verf. nicht versagen
können. — De praesag. ex pulsib. L. 111. c. 4. De
simplic. medic. faeult. L. IX. de terra Samia. — In L. \ I.
Epid. Comm> I. Aph. 29. — Method. med. L. V. c. 12. —
De atra bile c. 4. — In Hipp. Aph. Cornm. IV. Aph. 21. —
206 III. 2. Alter der Menschenpocken.
In L. III. Epid. Comm. III. Aph. 57. — In Ilipp. Prorrhet.
Conmi. I. — Meth. ined. L. XIV. c. 10. — De venar. et
arter. Hiss. e. 7. — Line sehr auffallende Entstellung des
Gesichts wird als Folge der epidemischen Anthrakes in der
letztgenannten Stelle erwähnt, die bei den seltenen Andeu¬
tungen der Pockennarben alle Aufmerksamkeit verdient.
I)io Cassius, Eusebius, Nicephorus u. a. Ob
die verheerende Pest unter Commodus, IS8 und ISO,
an der an einzelnen Tagen in Kom gegen 10,000 Menschen
gestorben sein sollen, eine exan thematische gewesen sei,
läfst sich nicht mehr bestimmen. Hüchstmerkw ürdig ist
aber eine Angabe bei I)io Gassius, ') dafs nämlich nicht
nur in der Stadt, sondern auch fast in allen Gegenden des
römischen Reichs, in dieser sowohl, wie in der unter Do¬
mitian zu Rom beobachteten Epidemie, eine grofse Menge
Menschen durch den Kunstgriff einiger Bösewicht er star¬
ben, die mit kleinen vergifteten Nadeln für Lohn Verletzun¬
gen beibrachten, und so die Krankheit einimpften. Diese
Stelle hat zu den schiefsten Auslegungen Veranlassung gege¬
ben, nicht ohne Grund vergleicht aber Willan Dio’s
Erzählung mit den lächerlichen Beschuldigungen, die in
der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts den Inoculato-
ren der Pocken von ihren Gegnern, vorzüglich von Nicht¬
ärzten gemacht wurden. Man denke daran, dafs die Pocken¬
impfung erweislich lange vor jener Zeit in Indien au.sgc-
iibt worden ist, und man wird wenigstens Hm. Schnur-
rer seine Beistimmung versagen, der jene mit Nadeln Be¬
waffneten flfr Piqueurs hält. — Line pockenartige Epide¬
mie zu Anfang des vierten Jahrhunderts, unter Diocle-
tian und Galerius, an der auch der erste starb, ist
oberllächlich von Eusebius, Cedrenus und Nicepho-
rus beschrieben; ärztliche Zeugnisse darüber fehlen, beson¬
deres Gewicht wird aber auf den anthraxähnliehen, über
den ganzen Körper verbreiteten Ausschlag, und auf die
1) Ilislor. roman- Hamburg. 1752- L. LXXII. c. 41.
III. 2. Alter der Menschenpocken. 207
häufig nachgebliebene Blindheit gelegt. Wir wiederholen
es , dafs man sich an die Benennung Anthrax durchaus
nicht zu stofsen hat, indem nicht nur griechische Schrift¬
steller mehrere Affectionen, und unter diesen besonders
eiternde Exantheme damit bezeichnen, sondern auch selbst
Araber die Pocken und den Anthrax zusammenstellen und
verwechseln, z. B. Aaron, dem man doch die Kenntnifs
des Unterschiedes beider Krankheiten zutraut. Die Kir¬
chenvater bemerken überdies ausdrücklich , dafs in dieser,
wie in der späterhin unter Justinian vorgekommenen
Epidemie, viele Christen, nach einmal überstandener Krank¬
heit, der Krankenpflege sich von neuem ohne Gefahr der
Ansteckung widmen konnten.
Procop, Euagrius, Mas u di, u. a. Dies sind die
Beschreiber der Justinianischen Epidemie, die 542 in Aegyp¬
ten begann, dies sowohl, wie Syrien und Palästina überzog,
und schon im folgenden Jahre in Constantinopei anlangte,
wo sie vier Monate lang so furchtbar wiithete, dafs an ein¬
zelnen Tagen mehr als 10,000 Menschen gestorben sein
sollen. Sie kehrte bereits 558 dahin zurück, und hielt
überhaupt in einzelnen Remissionen bis 594 an. Von pustu-
lösen Exanthemen ist hier ebenfalls die Rede, so wie von
andern Zufällen, die für die Pocken sprechen; ausgemacht
ist es aber, dals diese Epidemie als orientalische Pest begon¬
nen hat, was indessen die Möglichkeit nicht anfhebt, dafs
diese späterhin den Pocken Platz gemacht hat', oder eine
Verbindung mit einer pockenartigen Krankheit eingegangen
ist. Der \ erf. hebt es mit Recht als einen wichtigen Um-
stand hervor, dafs diese Epidemie mit den erweislich im
Elephantenkriege , 569 oder 572 unter den Habessiniern
ausgebrochenen Pocken zu gleicher Zeit geherrscht hat, und
nach Arabien zugleich mit den Masern ebenfalls aus Ae¬
gypten gekommen ist. Hamisy und Masudi sprechen
von beiden, wie von längst bekannten Krankheiten.
So wären wir also da angelangt, von wo die Verthei
diger des jüngeren Ursprunges der Pocken ausgehen. Ref.
208 HI. 2. Alter der Menschenpocken.
gesteht gern, dafs er selbst mit einigen Vorurtheilen , die
von einer festen Ueberzeogung vom Gegentheile herrtihr-
ten, an diese kritische Untersuchung gegangen ist. I)ie un¬
befangenste Prüfung der letztem mufs indessen ergeben,
dafs 11 r. Kr. auf dem historischen Wege geleistet hat, was
Scharfsinn und Fleifs für jetzt zu leisten vermögen, um*
eine so schwierige Aufgabe ihrer endlichen Lösung ent¬
gegenzurühren. VV ir müssen zugestehen, dafs die Po¬
cken im Alterthum existirt haben. Ob aber diese Pocken
ganz die unsrigen gewesen sind (die VN erlhpfsche Varicella
weisen wir ganz von der Hand), ist eine Frage, die man
wohl unbedingt mit nein beantworten darf. Der Verf.
räumt es seihst ein, dafs die Pocken des Alterthums in sel¬
tenem Kpwlemien vorgekommen, und ungleich bösartiger
gewesen sind, als die unsrigen. Wer mag ihre sonstigen
zahllosen Verschiedenheiten von den unsrigen berechnen,
die in der t »Vollkommenheit der Beschreibungen für immer
vergraben liegen, die mit der Identität der wesentlichen
Zufälle allerdings bestehen können, und eine grofse Ver¬
schiedenheit des antiken Pockencontaginms vom neueren uns
anzunehmen nöthigen, das unläugbar wenigstens fixer und
der öfteren Verbreitung der Krankheit bei entsprechender
(Konstitution mithin günstiger gewesen ist, als jenes? Wir
glauben uns daher von der VN ahrscheinlichkeit nicht weit
zu entfernen, wenn wir die Fpidemie im Llephantenkriege,
und mit ihr allein V ermuthen nach die Justinianische für
4
den grofsen VN endepunkt anseben, in dem die Um Wandlung
des früher nach seinen wesentlichen Zufällen schon dage-
wesenen und in der menschlichen Natur tiefer begründeten
Lehels zu Stande kam. Die ganze Frage Vvird sich noch
weit genügender entscheiden lassen, wenn wir durch eine
vielseitigere Bekanntschaft mit dem Lehel in seinen wahr-
sc heinl ichen Mutterländern, Indien und China, eine viel
genauere aber, als wir sie jetzt haben, in das Wesen des¬
selben tiefer cingcdrungen sein werden.
Hecker.
LitterariscJie Annalen
»der
gesammten Heilkunde.
1. Behandlung der von tollen oder verdächtigen
Hunden Gebissenen im Hospitale zu Zürich; von
Dr. Locher- Bai her.
\ <
jBei Durchlesung von Wendt’s Darstellung einer erprob¬
ten Methode zur Verhütung der Wasserscheu nach dem
Bisse eines tollen Hundes , Breslau 1824. fiel es mir auf,
wie ähnlich sich die in Breslau und in Zürich eingeführten
Behandlungsarten in gewisser Beziehung seien, und wie
.sehr ihre Resultate übereinstimmen. Ich glaubte, dafs eine
in der andern ihre Bestätigung finden möchte, so wie hin-
w'ieder die doch zwischen ihnen Statt findende Verschie¬
denheit näheren Aufschlufs über ihre Wirkungsart geben
könnte. Beide sind schon eine lange Reihe von Jahren
immerwährend in Gebrauch , und beide werden erst be¬
kannt gemacht, nachdem sie in hunderten von Fällen sich
bewährt haben.
Könnte ein höheres Alter einen Vorzug geben, so
würde dieser unstreitig der Zürchischen Behandlung gebüh¬
ren. Denn schon im Jahr 1783 finden wir sie daselbst
eingeführt (die andere erst seit 1797). Wer eigentlich ihr
Begründer sei, ist nicht einmal mit Gewifsheit bekannt;
höchstwahrscheinlich war es der Dr. J. C. Hirzel, der
Vater, Archiater und Arzt an dem genannten Hospitale zu
jener Zeit. Die genaue Angabe der Methode, so wie die
Einsicht der betreffenden Tabellen verdanke ich der Güte
der am Hospitale angestellten Aerzte, des Herrn Doctor
D. Rahn und des Herrn Dr. Meyer.
II. Bd. 1- St.
14
210 IV. 1. Vorbautmgskur d. Wasserscheu.
Die Behandlung besteht in folgendem: Tiefer Srarifira-
tion der Wunde, Einreiben des C^antliariden- Pulvers in
dieselbe, Application eines Blascnpilastcrs in der Nahe der¬
selben, Unterhaltung der Eiterung dieser beiden Stellen
wahrend (> Wochen und Einreibung der Mercurinl -Salbe
bis zu anfangender Salivation. Innerlich erhalten die er¬
wachsenen Kranken, drei Wochen lang, alle Morgen, spä¬
ter nur alle zwei Tage, nüchtern ein Pulver aus 5 Gran
Pulv. rad. belladonnae, welchem, wrenn keine Spur von
Salivation sich zeigt, oder die Kranken erst einige Tage
nach erhaltener Verwundung in die Kur kommen, auch
gleich im Anfänge das Calomel beigesetzt wird. Bei die¬
sen ziendich starken Gaben der Belladonna ist die Absicht,
dafs der Kranke von jeder Gabe die Svmptome beginnen¬
der Intoxication empfinde, wenigstens Trockenheit im Halse,
Flimmern oder Verdunkelung der Augen , Schwindel und
nachher Schweifs. Daneben wird dem Kranken eine dia¬
phoretische Mischung aus Liquor anunonii acetici und sur-
cinici nebst reichlichem Trinken von Thce verordnet, und
überhaupt ein diaphoretisches Regimen anbefohlen. Er
mufs sich die ersten 4 Wochen im Bette aufhalten, und
bekommt keine Fleischspeisen. «Ich zähle, so drückt sich
«Herr Dr. Rahn in einem seiner Berichte aus, ohne anders
«sehr viel oder wohl am meisten auf die äufserliche, ört-
« liehe Behandlung. Ich glaube aber eben so sicher, man
«könne sich auf die äufserc allein nicht verlassen, sondern
«es müssen innerliche Mittel zugleich und anhaltend ge-
« braucht werden, weil wir nicht w'issen, wie schnell ein
« I heil des in die W unde gebrachten Giftes eingesogen
«wird, dessen M irkung nur durch innerliche Mittel zer-
« stört werden kann.” Wenn Kleider durch den Bifs be¬
schädigt wurden, so werden dieselben verbrannt.
Nach dieser Methode wurden nun in den 12 Jahren,
die sic wenigstens in Gebrauch ist, im Ganzen behandelt
1783 bis 1824 (incl.) 233 Gebissene, nämlich 182 von
Hunden, 50 von Katzen und Füchsen, und 1 von einem
IV. 1. Vorbauungskur d. Wasserscheu. 211
Marder. In den 10 Jahren 1783 bis 1792, wurden behan¬
delt von blofs verdächtigen Hunden Gebissene 13, von be¬
stimmt tollen 28 (es wird freilich nicht gesagt, wodurch
die Wuth erwiesen gewesen sei), von verdächtigen Katzen
1, von tollen Katzen 5, Summa 47, von 1793 bis 1802
von verdächtigen Hunden Gebissene 14, von tollen 20
(alle diese in den Jahren 1793, 94, 96 und 97), von einer
verdächtigen Katze 1, von tollen Katzen 6 (im Jahr 96
6) zusammen 31. Vom Jahr 1803 an, wo noch 1 als von
einem verdächtigen Hunde gebissen aufgezählt wird, wer¬
den die durch verdächtige und die durch tolle Thiere Ge¬
bissenen nicht mehr besonders angeführt: 1803 bis 1812
wurden behandelt 1 von einem verdächtigen und 59 von
tollen Hunden, 6 von tollen Katzen, und 1 von einem
Fuchse Gebissener , zusammen 67, 1813 bis 1824 (also in
12 Jahren) 47 von Hunden, 30 von Katzen und Füchsen,
und 1 von einem Marder Gebissener (in den Jahren 1819
und 20 allein 23 von Katzen und Füchsen Gebissene, von
Hunden in diesen 2 Jahren blofs 36) zusammen 78. r)
Von diesen 233 Gebissenen waren manche erst den zwei¬
ten, dritten, fünften, sechsten, siebenten, zehnten, vier¬
zehnten Tag, ja zwei erst 5 und 8 Wochen nach der Ver¬
wundung aufgenommen worden. Gestorben sind im Gan¬
zen 4 Personen: zwei in den Jahren 1784 und 1791 den
zweiten Tag nach der Aufnahme, folglich so gut als nicht
behandelt. Von den zwrei andern war die eine, eine Frau,
in die innere und äufsere Seite des Mundes, der andere,
ein Knabe, in das Auge oder Augenlied gebissen wrorden,
so dafs, wie sich der Arzt ausdrückt, «die zuverlässigsten
Mittel, die äufsern” nicht mit der erforderlichen und ge¬
wohnten Strenge angewandt werden konnten.
So viel von der Behandlung selbst und ihren Resulta¬
ten. Wir sehen in derselben drei der vorzüglichsten zur
1) Die gröfsten Zahlen fallen auf die Jahre 1805 21, 1/96
18, 1806 17, und 1820 16.
14*
212 IV. 1. Vorbauungskur d. Wasserscheu«
Verhütung der Wasserscheu empfohlenen Mittel vereinigt,
und man kann fragen: Ist diese Vereinigung nothwendig?
oder kann eines der 3 Mittel (Belladonna, Quecksilber
und Canthariden) des Erfolges unbeschadet weggelassen
werden? Ehe ich eine Beantwortung dieser Frage versu¬
che, sei es mir erlaubt, kürzlich einige andere ähnliche
Verfahrungsarten anzugeben, und auf die Vergleichung aller
die Antwort zu gründen.
Die in der oben angeführten Schrift von Dr. Wendt
dargestelltc Behandlungsart besteht wesentlich in folgen¬
dem: Ausfüllung der Wunde mit Canthariden -Pulver und
Unterhaltung einer reichlichen Eliterung 6 Wochen lang;
daneben Einreibung von grauer Quecksilbersalbe und Dar¬
reichung von Calomel bis zu starker Salivation ebenfalls
6 Wochen lang. Von 106 seit. 1810 bis 1823 auf diese
Art Behandelten (bei 78 andern Gebissenen war das Nicht¬
tollsein der Thiere erwiesen und dem zufolge die Be¬
handlung modificirt worden) sind nur zwei gestorben: eine
Frau, welche so viele Verletzungen hatte, dafs der Wund¬
arzt selbst gestand, er könne leicht eine übersehen und
nicht gehörig behandelt haben, und ein Kind, dessen Wunde
zuerst von einem andern Arzte war ausgebrannt werden.
In den Beobachtungen und Abhandl. aus der Ileilk.,
von Oestr. Aerzt. Bd. I. macht der Primarwundarzt des
allgem. Krankenhauses zu Wien, J. M. Axter, die von ihm
daselbst seit ‘27 Jahren befolgte Behandlung Gebissener be¬
kannt: diese ganze Reihe von ‘27 Jahren ist keiner der
Entlassenen wieder in das Spital zurück gebracht worden. *)
1) Einer war allerdings zurückgekehrt zwei Tage nach sei¬
ner Entlassung mit schmerzhaftem Reiften an dem gebissenen
Arme, trüben Augen, eingefallenen Gesichtszügen und Zusam¬
menschnüren im Halse, nachdem er, ein Mensch toq 17 Jah¬
ren, in der ersten Nacht dreimal den Beischlaf gepflogen, den
folgenden 7 ag sich berauscht und bis spat in die Nacht getanzt
hatte. Kaum lassen sich unter solchen Umständen in jenen
Symptomen die Vorboten der Wutb erkennen.
IV. 1. Vorbauungskur d. Wasserscheu. 213
Durch drei bis sechs Tage wird innerlich 1 Gran Cantha-
riden- Pulver mit 6 Gran Krebssteinen und Zucker gege¬
ben; äufserlich auf die Bifsstelle ein Vesicator aufgelegt, und
sie durch 5 oder 6 Wochen, theils mit eingestreutem Can-
thariden-Pulver, theils mit der Auflösung des Lapis caustic.
behandelt. — Ich mufs bedauern, dafs ich diesen Aufsatz
vom Hrn. Axter nur aus der Anzeige in der Medic. chir.
Zeit. 1820. Bd. 1. p. 23. kenne, wo natürlich die nähern
Data mangeln.
Dr. Hausbrand, Krcisphysikus zu Braunsberg, giebt im
H u feland’schen Journale 1821. H. II. p. 21. folgende Be¬
handlung an: Zuerst starkes Aderlafs (jedoch nur, wenn
die Gebissenen bald nach dem Bisse sich melden), tiefe
Scarification der Wunde, Beförderung der Blutung, Aus¬
waschen mit Salzwasser, und Auflegen einer Salbe aus ei¬
ner Unze Königssalbe und einer Drachme Canthariden- Pul¬
ver oder Auflegen eines grofsen Yesicator’s und Unterhal¬
tung der Eiterung volle 3 Monate. Innerlich nehmen die
Patienten die 3 ersten -Tage Abends ein Pulver aus Kam-
pher und Opium, trinken Fiiederthee und schwitzen reich¬
lich. Es sind nur 11, doch von unzweifelhaft tollen Hun¬
den gebissene Personen, wrelche durch diese Methode von
Hrn, Hausbrand selbst gerettet wurden, mehrere in
der umliegenden Gegend.
Betrachtet man diese angeführten vier Vorbauungs-
Kuren, so ergiebt sich, dafs in allen das Wesentliche der
äufsern Behandlung vollkommen übereinstimmt, dafs hinge¬
gen die innerliche Behandlung bei allen verschieden ist,
und doch haben alle sich des gleichen glücklichen Erfolges
zu erfreuen.
In Breslau läfst man die Kranken 6 Wochen lang
stark saliviren. Von mehr als 100 Kranken starben nur
diejenigen zwei, deren Wunden local nicht vollständig nach
der Regel behandelt worden waren. In Zürich läfst man
die Salivation nicht zum Ausbruche kommen, giebt dagegen
6 Wochen lang die Belladonna und läfst die Kranken
214 IV. 1. Vorbaunngskur d. Wasserscheu.
schwitzen, und doch starben wieder von mehr als 100
Kranken (ich will von der oben angegebenen Zahl ‘233
mehr als die Hälfte als von nichttollen Thieren Gebissene
abrechnen) nur die zwei, deren Wanden topisch nicht ge¬
hörig hatten behandelt werden können. l)r. Hausbrand
giebt weder Quecksilber noch Belladonna, sondern latst, und
zwar blofs in den ersten Tagen, seine Kranken durch
Opium und Campher schwitzen, und rettete bis dahin alle.
IJr. Axter endlich gibt von alledem Bisherigen nichts, son¬
dern die ersten 3 bis 6 Tage 1 Gran Canthariden, und
auch ihm schlug dies Verfahren noch nicht fehl.
Aus diesen Tbatsachcn ergeben sich folgende Sätze,
erstens : Weder Quecksilber und Salivation für sich, noch
auch die Belladonna, noch reichliche Schweifsc sind im
Stande vor der Wasserscheu zu schützen.
Zweitens: Wrenn sich aus dem Angeführten das Gleiche
auch nicht von den Canthariden behaupten läfst, so darf
man doch schliefsen, da£s ihr 'innerlicher Gebrauch nicht
nothwendig sei, sondern dafs
Drittens: die angegebene topische Behandlung das ei¬
gentlich Schützende und zur Sicherung der Kranken hin¬
reichend sei. Die gleiche Meinung über das Ausschneiden
und Aetzen der Wunde hat Rust an mehreren Stellen
/
(p. 128. 132.) seiner Reflexionen über die Behandlung der
Wasserscheu ausgesprochen. (Vergl. dessen Magaz. B. I.)
Aufser den bisherigen auf Schlüssen beruhenden Be¬
weisen giebt es auch noch einige dirccte Erfahrungen von
der schützenden Kraft der localen Behandlung. Rust führt
1. c. p. 133. aus fremder Erfahrung mehrere und aus eige¬
ner ein höchst sprechendes Beispiel an, wo 31 Tage nach
dem Bisse bei ausgebrochener Wasserscheu das Ausschnei¬
den der Wunde den Kranken rettete. In den Abhandlun¬
gen der Acrzte zu Petersburg Bd. 1. p. 170. erzählt i)r.
Harder einen Fall, wo 5 Monate nach dem Bisse und 8
Wochen nach geschehener Ausschneidung der Wunde be¬
ginnende W asserscheu sich zeigte. Einzig durch uochrna-
IV. 2. Hunds wnth.
215
liges Aussch neiden und Gauterisiren mit dem Glüheisen
wurde der Knabe gerettet. Allein nach 2 Wochen zeigte
sich in der Tiefe der Wunde eine blafsröthliche, äufserst
schmerzhafte Excrescenz, und alle Symptome verschlimmer¬
ten sich. Anf das Ausschneiden jener Excrescenz und
Aetzen mit Argent. nitric. folgte schnelle und bleibende
Besserung. Saint-Martin in s. Monographie der Hunds-
wuth, übers, von Fitzier. Ilmenau 1824. p. 229 ff. behan¬
delte 5 Personen blofs örtlich mit Aetzmittcln, und sie
blieben ohne innere Mittel gesund. Ein Pferd und eine
Kuh, von demselben Hunde gebissen, der jene verwundet
hatte, starben an der Wuth. Was für einen Erfolg das
Anerbieten eines Dr. G. Urban in Kreuzburg im Allg.
Anzeig. d. Deutsch. 1820. No. 68. p. 738. gehabt habe, ist
mir unbekannt. Zur Probe und Erhärtung der Sicherheit
eines äufsern Mittels, welches er gegen das Wüthgift be¬
sitzen will, erbot er sich nämlich, Speichel eines tollen
Thieres in eine Wunde an seinem Körper bringen zu las¬
sen, und das Mittel gegen angemessene Belohnung bekannt
zu machen.
Wenn wir nach allgemeiner Bekanntwerdung von vier
so erprobten Vorbauungskuren gegen die Wasserscheu, wie
die oben angeführten sind, immer noch von einer Menge
an der Wuth Gestorbener hören sollten, so niiifste man
sich billig darüber wundern, und die Schuld könnte einzig
daran liegen, dafs entweder die Gebissenen nicht zu rech¬
ter Zeit Hülfe suchen wollten oder konnten, oder dafs der
Arzt jene Methoden nicht kannte, oder dafs er dennoch
mit andern weniger erprobten Verfahren Versuche anstel¬
len wollte. —
% Die H undswuth oder die Wasserscheu,
als Folge des tollen Hundsbisses, und
das sicherste Yorb auun gsmittel dage¬
gen, zum Besten der Menschheit bei so dringen-
216
IV. 2. Ilundswuth.
der Gefahr dar gestellt von Dr. Karl Friedrich
Lulheritz. Meissen, bei F. W. Güdsche, 1825.
8. 58 S. (5 Gr.)
Hr. L. redet in dieser Abhandlung der Maiwurmlat¬
werge das Wort, in der Ueberzeugung , dafs das Gift, das
übrigens schon in den ersten Augenblicken nach der Ver¬
letzung in das Blut übergehen könne, durch die verstärkte
Harnabsonderung am sichersten entfernt werde. Es ist nun
wohl zweckmäfsig, und sogar Pflicht, Yorbauungsmittel
anzuwenden, deren Wirksamkeit gegen animalische Vergif¬
tung auf Analogie beruht, erfahrungsgemäfs läfst sich indes¬
sen über die letztere durchaus nicht entscheiden, so lange
die örtliche Kur der Wunde in Anwendung kommt, die
der wesentliche Thcil der Behandlung ist, und alles übrige
mehr oder weniger überflüssig macht. Der Yerf. erklärt
sich für das Auswaschen der Wunde, zuerst mit kaltem
Wasser oder auch Urin, und dann mit warmem Wasser,
für das Anlegen einer zusammenziehenden Binde (deren
Nutzlosigkeit jedoch aus AVagner’s Erfahrungen über den
Otterbifs 1 ) hervorgeht), für das Einreiben von starkem
Salzwasser, Schnupftaback, Strafsenstaub, u. s. w. Das Ab¬
brennen von Schiefspulver auf der Wundfläche, was er
indessen bei gröfsern Verletzungen und bei reizbaren Sub-
jecten für verwerflich hält, — starkes Scarificiren, Anwen-
düng der Schröpfköpfe, Ausschneiden der gequetschten
Theile, und endlich vier bis achtwöchentliche Auseiterung
der YV unde vermittelst des Cantharidenpflasters und des
Unguentum basilicum mit Cantharidenpulver. Bei Thieren
soll das vorsichtige lange Auswaschen und vierreh n tägiges
Auseitern der Wunde vermittelst einer ähnlichen Salbe
hinreichen. Alles dies ist bereits hinlänglich erörtert, be¬
darf also hier keine weitern Bemerkungen. W ir wollen
auch hier nur besonders auf folgende Aeufserung des Verf.
t
1) Vergl. Bd. I. N. 4. S. 64. dieser Annalen.
1Y. 2. Hundswuth.
217
in Betreff der Diagnose der Wuth bei den Hunden auf¬
merksam machen:
«Es ist ein Irrthum, wenn man behauptet,
dafs tolle H unde wasserscheu werden. Bei allen
vierfufsigen Ilausthieren, so wie beim Hausgeflügel , existirt
keine Wasserscheu, wie sie gewöhnlich beim Menschen,
als Erscheinung der Hundswuth statt findet. Alle diese
Thiere saufen wahrend dieser Krankheit. Selbst im hef¬
tigsten Grade der Wuth leckt der tolle Hund noch Was¬
ser auf, läfst aber, weil ihm der Schlund krampfhaft zusam¬
mengezogen ist, alles wieder aus dem Munde laufen. Da¬
gegen hört die Frefslust beim tollen Hunde gänzlich auf,
so wie bei ihm im höchsten Grade der Krankheit alle
Furcht vor Prügeln verschwindet, indem sein Trieb zum Bei-
fsen unwiderstehlich heftig wird, obgleich er gewöhnlich nur
das anfällt, was ihm in den \Veg kommt, oder ihm droht.
Der tolle Hund schreit nicht, wenn man ihn schlägt, und
heult nur, statt zu bellen; der schlotternde, wackelnde
Gang, mit dem er vor sich schlendert,' der stumpfe, stiere
Blick der Augen, geben die Krankheit beim Hunde zu er¬
kennen. Bei einem, von einem tollen gebissenen Hunde
bricht die Krankheit zwischen dem neunten und achtund¬
vierzigsten Tage aus, so wie auch beim gebissenen Rind¬
vieh; bei einem gebissenen Pferde bricht sie später, zwi¬
schen dem achtzehnten und neunzigsten Tage aus. Der
tolle Hund beifst gern in jeden Gegenstand, auf den er
trifft, und verschlingt alles. Bei Secirung krepirter Hunde
fand man im Magen Kieselsteine, Stückchen Holz, Stroh,
Lappen, Federn.”
Wir sind in der That auf dem Wege zu einer bes¬
sern Diagnose der AVuth bei den Hunden. Seit Rouge-
mont und Waldinger vervielfältigen sich die Stimmen,
dafs die Wasserscheu in derselben keinesweges pathogno-
monisch sei, und wahrscheinlich wird man bald erkennen,
dafs sie entweder nur zu Anfang der Krankheit, oder gar
nicht vorkomme, und das ganze, viel zu hoch angeschla-
218
IY. 2. Hundswuth.
gene Symptom mehr auf Dyscapatosis als eigentlicher Hydro¬
phobie beruhe. Eine eigene Beobachtung kann Kef. aufw'eisen,
wo ein Hund im letzten, sehr torporösen Stadium des Uebels,
mit halbgelähmten Kaumuskeln, und unempfindlich gegen
Prügel, das auf ihn gespritzte W asser aufleckte, aus einem
Vorgesetzten Napfe begierig soff, und das Wasser nicht wieder
ausiliefsen liefs. Allem Anscheine nach hat man von jeher
die W asserscheu beim Menschen auf die Wuth der Hunde
übertragen, und in der Voraussetzung, die Sache könne
sich nicht anders verhalten, denselben nicht in allen Stadien
der Krankheit W asser vorgesetzt, so dafs sie dann freilich
wider ihren W illen die hergebrachte Diagnose bestäti¬
gen mufsten. Möchten doch bald die Herren Thierärzte
den für die medicinische Polizei so höchstwichtigen Gegen¬
stand ernsthafter und umsichtiger angreifen , als es leider
bisher geschehen ist. W ir hoffen noch immer, unsern Le¬
sern eine gründlichere Erörterung hierüber mittheilen zu
können , sobald die Sache zu gröfserer Keife gediehen
sein wi rd.
Der Yerf. hält mit Hecht jeden Hund für unbedingt
der Tollheit verdächtig, der sonst freundlich und schmei¬
chelnd plötzlich beifsig wird, und wenn er auch den Herrn
noch etwas länger schont, doch Bekannte heilst, mit Merk¬
malen von Unruhe unstät uni b erläuft, oder ohne zu schla¬
fen sich ins Dunkle legt. Dafs die Wuth anfallsweise,
nach ruhigem Zwischenräumen kommt, ist vielleicht eins
der sichersten Zeichen derselben. «Der tolle Hund hört
nach Hrn. L. auch in den hohem Graden des l ebels sei-
•
teil ganz auf, die Stimme seines Herrn zu beachten, ja er
gehorcht ihr selbst meistens. Aber eine gewisse Heimtücke
stellt sich ein; er schnappt beim ersten Entstehen der
Krankheit schnell nach der Hand, die ihn gestreichelt,
während er wohl noch mit dem Schwänze wedelt. Es
entsteht ein reizbares, bösliches Wesen; der Iiund neckt
Menscheu und Thiere, an die er sich am meisten gewöhnt
hatte; immer mehr fängt er an zu widerstreben, sich auf-
IY. 2. Hundswuth.
219
zulehnen. Nun zeigt sich Immer mehr Unruhe und Angst;
der Hund heult, bellt, belfst, trägt zuweilen Stroh herum,
und scharrt es unter dem Bauche zusammen, nagt an Bret¬
tern, Ketten. Nun entsteht der Trieb zur Flucht, und
nach allem zu schnappen, was in seinen Bereich kommt;
das Herumjagen scheint solche Hunde immer wilder zu ma¬
chen, so dafs sie, wenn zu grofse Unruhe ihren Trieb zum
Beifsen verstärkt, wohl auch aus dem Wege weichen, und
den Weg in jeder Richtung durchkreuzend, doch auch oft
den Weg wieder nach Hause finden. Falsch ist die Be¬
hauptung, dafs die Augen des tollen Hundes wild funkelten
(sie sehen vielmehr matt und schläfrig aus), dafs
der Kopf bei ihm niederhänge, der Schwanz zwischep die
Hinterbeine gezogen sei; der Hund trägt beide wie
im natürlichen Zustande. Auch ist es nicht gegrün¬
det, dafs andere gesunde Hunde sich vor einem tollen gera¬
dezu fürchten. Sie fürchten ihn nur, wenn er ihnen an
Kraft überlegen scheint; einen schwachen fassen sie so gut
wie jeden andern gesunden, dem sie sich überlegen glauben.”
Unbefriedigter Begattungstrieb soll nach Hrn. L. die
Hauptursache der Ilundswuth sein, er empfiehlt daher die
grofse Ueberzahl der männlichen Hunde mehr zu beschrän¬
ken, oder sie mehr zu castriren. Im Uebrjgen finden wir
es zu rügen, dafs der Yerf. die Wuth nach dem Bisse ei¬
nes blofs erzürnten Hundes für nicht identisch mit der
wahren Hydrophobie hält (S. 34.), ein Unterschied, der
sich wohl schwerlich möchte in der Erfahrung nachweisen
lassen, dies kann uns jedoch nicht hindern, diese kleihe,
manches Gute enthaltende Schrift unsern Lesern anzuem-
Heckcr.
v.
Versuche undBeobachtungen über die W ir-
kung des Mutterkorns auf den mensch-
220
V. Wirkungen des Mutterkorns.
liehen und thicri sehen Körper, grofsen-
theils aus actcnmäfsigcn Quellen und mit beson¬
derer Rücksicht auf die medicinische Polizei ge¬
sammelt und herausgegeben von 1) r. C. J. Lo-
rinser. Berlin in der Schiippel sehen Buchhand¬
lung, 1824t 8. X u, 129 S. (16 Gr.) Mit dem
Hippokratischen Motto;
O D K.xt£0f z Z $1
So allgemein bisher die Annahme war, dafs die Krie¬
belkrankheit allein von dem Genüsse des Mutterkorns ent¬
steht, so stand sie doch noch keinesweges so fest, dafs sie
nicht häufig Zweifeln unterworfen worden wäre. Nur die
Erfahrung konnte über die streitige Schädlichkeit oder
Unschädlichkeit des Mutterkorns entscheiden, und wir müs¬
sen daher den höchsten Mcdicinalbehürden allen Dank
wissen, dafs sie durch Versuche, die in der Berliner Thier-
arzneischule angestellt worden sind, die schädlichen Wir¬
kungen desselben aufser allen Zweifel gesetzt haben, so
wie wir dem Verf. fiir die Bekanntmachung dieser Ver¬
suche, und den dadurch auch fiir ein gröfseres Publikum
gestifteten Nutzen danken; um so mehr, da er aufserdem
eine gedrängte, aber vollständige Uebersicht des Bekannten
über diesen Gegenstand, und einige medicinisch- polizeiliche
Vorschläge zur Verhütung ferneren Uebels durch dieses
Gift hinzugefiigt hat.
Der erste Abschnitt beginnt mit einer umfassenden
naturhistorischen Beschreibung des Mutterkorns mit beson¬
derer Berüchsichtigung der unterscheidenden Zeichen des¬
selben vom Brand und Bost des Getreides. Hinsichtlich
der Bildung desselben stimmt der Verf. denen bei, die das
Mutterkorn fiir ein, durch allgemeine Ursachen krankhaft
erzeugtes Boggenkorn halten; (Degeneration) ohne doch
aber Eontana’s Meinung von der Erzeugung durch ein
kleines Gall-Insect widerlegen zu wollen, wozu auch das
\
V. Wirkungen des Mutterkorns. 221
Resultat der deshalb von Hertwig angestellten Versuche
ungenügend ist:
Nach einer kurzen Angabe der vorzüglichsten chemi¬
schen Untersuchungen des Mutterkorns von Vauquelin,
Pettenkofer und Keyl, die aber noch zu keinem be¬
stimmten Resultate geführt haben, liefert der Verf. eine
historische Uebersicht der älteren Beobachtungen und Mei¬
nungen über die Wirksamkeit des Mutterkorns, wobei
Taube’s treffliche Arbeit zum Grunde gelegt zu sein
scheint.
Der zweite Abschnitt enthält einige neuere Beobach¬
tungen über die Wirkung des Mutterkorns, aus den Regie¬
rungs -Sanitäts- Berichten der Provinzen des Preufsischen
Staats entlehnt, und deutet die Anwendung desselben als
Arzneimittel, als nicht zum Zweck dieser Schrift gehörig,
nur leicht an.
Weiterhin liefert der Verf. im dritten Abschnitte die
Beschreibung der in der Berliner Thierarzneischule an Tau¬
ben, Hühnern, einer Katze, einem Pferde, Hunden, und
an Menschen gemachten Versuche, deren, Resultate kürzlich
folgende sein möchten:
1) Die erste und hauptsächlichste Wirkung des Mut¬
terkorns scheint auf den Darmkanal sich zu beziehen. Es
entsteht nach dem Genufs ein Gefühl von Wärme im
Magen, bald aber Ekel, Uebelkeit, vermehrte Speichelabson¬
derung, W iderwille gegen Nahrung, besonders aber gegen
das Mutterkorn, Erbrechen, häufiger und flüfsiger Stuhl¬
gang, Colikschmerzen , ja bei längerem Gebrauche theil
weise Entzündung des Darmkanals. Die Thätigkeit des
letztem scheint herabzusinken , wenigstens sprechen lange
unverdaut gebliebene Ueberbleibsel von Speisen dafür, die
nach dem Tode gefunden wurden.
2) Später äufsert das Mutterkorn auch seinen Einflufs
auf das irritahele System, (he Respiration wird geschwinder,
die Stimme schwach und heiser, der Puls schwächer und
bald geschwinder, bald langsamer, es entstehen Conges-
222 V. Wirkungen des Mutterkorns.
tionen nach dem Kopfe, die Bewegungen sind schwer¬
fällig. ' 1
3) Gleichzeitig hiermit bilden sich krankhafte Verän¬
derungen im Nervensystem aus, die aber durchaus nicht die
primären und hervorstechendsten Symptome sind. Es ent¬
steht Schwindel, Taumel, Eingenommenheit des Kopfes,
Niedergeschlagenheit, Schmerzen des Unterleibes, Kriebeln,
Lähmung, die sich zuerst durch Erweiterung der Pupille
ausspricht.
4) Bei längerem Gebrauche des Mutterkorns vermin¬
dert. sich die Empfänglichkeit des Körpers für die AN ir-
kun£- desselben , wenn «licht die Gaben erhöht werden.
5) Es wirkt überhaupt nur in ziemlich bedeutenden
Gaben; nach Verschiedenheit der Empfänglichkeit, der
Organisation der Thiere u. s. w. von einer Drachme bis
zu einem Pfunde. Durch längeres Alter verliert es an
Wirksamkeit.
(i ) Ein Aufgufs des Mutterkorns w irkt eben so, w ie
das Mehl desselben und das daraus bereitete Brot. Durch
Dörren hingegen verliert «las Mutterkorn seine
schädlichen Eigenschaften gänzlich.
7) Die Bindensubstanz scheint unschädlich zu sein,
wenigstens nicht sö wirksam, als die Kernsubstanz.
S) Das Mutterkorn enthält noch einen scharfen Stoff,
der aber nur schwach und langsam wirkt; daher möchte
es im allgemeinen deu narkotischen Mitteln mit einem
scharfen Stoffe zuzureclinen sein.
Im letzten Abschnitte werden, atifser »len angegebenen
Resultaten der Versuche mit dem Mutterkorn, noch einige
gegen dessen Schädlichkeit gemachte Einwiirfe widerlegt,
zweck mäfsige Vorschläge - zur Hemmung des Verkehrs mit
verunreinigtem Getreide gemacht, und »lie Beachtung des
Mutterkorns als Gift in der Medicinalgesetzgebung empfohlen.
Indem wir unser obiges Urtheil über den W erth dc£
Ganzen durch diese kurze Darstellung des Wesentlichen
belegt zu haben glauben, und dem Werke zahlreiche und
223
VI. Thierischer Magnetismus.
aufmerksame Leser wünschen, können wir doch den Wunsch
nicht ganz unterdrücken, dafs es dem Herrn Verf. hätte
gefallen mögen, oder ihm durch seine Verhältnisse mög¬
lich gewesen wäre, auch die Ergebnisse eigener Forschun¬
gen, besonders im botanischen und chemischen Theile die¬
ser Abhandlung, niederzulegen. Die Mühe einer solchen
Arbeit wäre gewifs reichlich durch den Werth und Nutzen
derselben ersetzt worden.
S — I.
VI.
Darstellung des tliie rischen Magnetismus
als einer in den Gesetzen der Natur vollkommen
begründeten Erscheinung von Dr. J. B. Wil¬
li ran d, Prof, zu Giefsen. Frankfurt a. M. hei
Sauerländer. 1824. 8. 196 S. (20 Gr.)
Bereits ist es dem gelehrten Publikum aus der Isis be¬
kannt, dafs Hr. Wilbr and unter denen gewesen war, die
um den Preis, der auf die Lösung einer allen wissenschaft¬
lichen Forderungen genügenden Darstellung des thierischen
Magnetismus hohem Ortes gesetzt worden, vergeblich ge¬
kämpft hatte. Der Rec. glaubte, dafs ein so geistreicher
Mann wie Ilr. W. sich wohl nur dann um den Preis be¬
werben werde, wenn er Neues und Eigentümliches bei
vollständiger Kenntnifs des Alten darzulegen vermöchte;
allein leider hat die Schrift einen völligen Mangel an eigen-
thiimlichen Ansichten und an eigener umfassender Erfahrung
über diesen Gegenstand dargelegt. Dasselbe Urtheil hat be¬
reits Kies er im ersten Hefte seines neuen Archivs awsge-
sprochen; in der Beurteilung des Einzelnen hat er jedoch zu
«
sehr seine eigene bis jetzt noch keinesweges allgemein aner¬
kannte Ansicht vorn tellurischen Leben als Grundlage der
Prüfung angenommen, als dafs wir ihm Beifall schenken
künuten.
224
VI. TliicriscLer Magnetismus.
ITr. W. hatte hei seiner Darstellung vorzüglich die
Absicht, die mystischen und frömmelnden Deutungen de*
thierischcn Magnetismus zu zerstören und denselben, als
einen an andere Naturerscheinungen sich genau anschlie-
fsenden Gegenstand nicht nur für Naturforscher, sondern
für jeden Gebildeten darzustellen; die praktische Seite ist
nach der eigenen Anerkennung des Verf. fast ganz unbe¬
achtet, da ja der kundige Arzt nach Erkenntnis der wis¬
senschaftlichen Grundlage die Kegeln für die speciellc
Anwendung leicht (?) auffinden werde. Zuvörderst will
er alle Untersuchungen über Magie, Amulete u. s. f. aus
der Lehre des thierischen Magnetismus verbannt wissen,
weil bei diesen Gegenständen kein ^Vissen, sondern ein
Glauben, auch die Wirkung eine andere sei, als bei dem
thierischen Magnetismus. (Wir stimmen hier zuvörderst
darin Kies er bei, dafs die wissenschaftliche Untersuchung
des Glaubens nicht selbst ein Glauben sei; allein dafs die
Untersuchung der physischen Wirkungen des Glaubens
mit dem thierischen Magnetismus nur einen sehr indirecten
Zusammenhang habe, und dafs die Lehre von den Geister¬
erscheinungen u. s. f. schon wegen des immer unklaren Zu¬
sammenhangs des wirklichen Vorgangs einer wissenschaftli¬
chen Darstellung durchaus unfähig sei, ist allerdings unsere
schon an andern Orten ausgesprochene Ueberzeugung. L. )
Bei der Erklärung hält Hr. W. sich ganz an das Wort
Magnetismus und sagt S. 27: «Thierischer Magnetismus sei
der Zustand, worin sich zwischen zwei Individuen thieri¬
scher Natur ein ähnliches Verhältnifs darthuc, wie es sich
am Mineral -Magnetismus darthut.1’ (Das sollte neu sein?
Hat nicht Mesmer wegen dieser Anal°g*e den Namen
thierischer Magnetismus aufgestellt?)
( ß es chlufs folgt.)
Litterarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
VI.
Darstellung des tbierischen Magnetismus
als einer in den Gesetzen der Natur vollkommen
begründeten Erscheinung von Dr. J. B. Wil-
brand. Frankfurt a. M. 1824. 8.
(Beschluss.)
9 . ' / m • ■ . *[ ' * Ai
Das Ilervortreten polarer Richtungen, die sich fliehen
und anziehen, so wie das Abstofsen der gleichnamigen und
das Anziehen der ungleichnamigen Pole sei das Eigentüm¬
liche des Magneten; das Aehnliche finde sich bei dem tie¬
rischen Magnetismus, «wo zwei Individuen tierischer Na¬
tur in ein Verhältnifs der Art treten, dafs die Lebenser¬
seheinungen in dem einen Individuum, in ihrem ganzen
Umfange die entgegengesetzten werden von denen, wie sie
sich in dem andern Individuum äufsern, und wo dieses ent¬
gegengesetzte Verhalten sich gegenseitig bedingt, und so
lange es dauert, gleichsam einen beide Individuen umfas¬
senden Zustand — ein Ganzes — darlegt.” (Hr. W. hat
sich hier offenbar von einseitigen Darstellungen mancher
exaltirten magnetischen Zustände verführen lassen. Die Er¬
scheinungen, die in dem Magnetisirenden eintreten, verhal¬
ten sich zu denen, die in dem Magnetisirten beobachtet
werden, in der Regel wie 1 zu 100, ja oft noch viel ge¬
ringer. Selbst in den seltenen Fällen, wo eine stärkere Re-
action auf den Magnetisirenden entsteht, ist sie doch immer
eine viel geringere als bei dem Magnetisirten, und keinesweges
wie bei den Polen des Magnets eine quantitativ gleiche.
II. Bd. 2. St. \ 15
226 VI. Thierischer Magnetismus.
Das Bild des Magneten ist Lei diesem Gegenstände nicht
unbrauchbar, sondern giebt allerdings eine Analogie, wes¬
wegen wir auch an dem Namen thierischer Magnetismus
nichts ändern mögen; allein die eben aufgezeigte Darstel¬
lung des Hrn. W. und alle daraus gezogenen Folgerungen
sind falsch. Auch irrt Hr. W., wenn er den Unterschied
zwischen Lebens - Magnetismus und thierischem Magnetismus
zuerst klar angegeben zu haben glaubt, da auch diesen schon
Mesmer bestimmt ausgesprochen hat. L.) Hr. W. gesteht
die Wirkungen des Baquets zu, ohne dafs man einsieht
wie er diese zugestehen kann, da er einerseits mit Kies er
für erwiesen hält, dafs das Magnetisiren der Substanzen un¬
nütz sei, und andererseits die von Kieser angegebenen
s. g. tellurischen Wirkungen leugnet; das Baquet kann aber
nur auf die eine oder die andere der genannten W eisen
wirksam sein. — Hr. W. benutzt nächstdem die elektri¬
sche, und besonders die elektrisch chemische Polarität zur
Aufstellung einer Analogie mit dem thierischen Magnetismus.
(Auch dieses ist längst geschehen. Kieser aber that Hrn.
Wilbrand Unrecht, wenn er ihn unter diejenigen reihte,
welche den thierischen Magnetismus für Elektricität halten;
Hr. W. will, wie S. 52. bestimmt ausgesprochen ist, nur
eine Analogie und keine Gleichheit aufstellen. L.) Nach¬
dem der Verf. sich bei jenem Vergleiche sehr lange aufge¬
halten hat, stellt er noch folgende Analogien auf, die sich
alle auf die Polarität beziehen. Die organische Natur sei
wesentlich der anorganischen entgegengesetzt; dennoch müfs-
ten beide als ein grofses Ganze betrachtet werden. Leib und
Seele, wesentlich entgegengesetzt, erschienen in dem leben¬
den Menschen als ein nothwendig verbundenes Ganze.
Schlafen und W achen, ebenfalls entgegengesetzte Zustände,
bilden ein Ganzes. Die einzelnen Verzweigungen des Ner¬
vensystems, so wie auch die einzelnen Sinnes- Organe bil¬
den unter einander Gegensätze und machen dennoch ein.
Ganzes aus. Der Gegensatz des Geschlechts führt zur Bil¬
dung eines neuen Ganzen. (Der Verf. hat sich bei diesen
VI. Thierischcr Magnetismus. 227
Vergleichungen, deren Nutzen wir nicht in Abrede stellen,
obgleich keine irgend auf Neuheit Anspruch zu machen
hat , allzulang aufgehalten und hätte lieber Zeit und Raum
fiir die Sache selbst bewahren sollen. L.) An einer zusam¬
menhängenden Darstellung der wesentlichsten Erscheinungen
fehlt es durchaus; die letztem, zusammenhangslos und zu¬
fällig angeführt, sind thcils angenommen, theils bezweifelt,
und immer nach theoretischen Gründen, nicht aber nach
der Wahrheit geprüft. Die Fragen: ist eine bestimmte Er¬
scheinung wirklich beobachtet worden? Hat der Beobachter
zu beobachten verstanden? Ist der Zusammenhang des Ein¬
zelnen in der Erscheinung richtig aufgefafst? müssen uns bei
dem thierischen Magnetismus wie überall vorschweben; aber
ob die Dinge sich mit unseren Meinungen vertragen, ist
ganz gleichgültig. Die Kritik der Erscheinungen , die Hr.
Wr. liefert, bezieht sich aber ganz auf seine Ansichten und
ist überdies nicht folgerichtig, z. B. in Beziehung auf das
Fernsehen. Auch mufs nach der festgehaltenen Analogie
des Magneten die Darstellung des Einzelnen um so man¬
gelhafter sein, weil jene Analogie nur eine einseitige ist.
«Hervortretende Belebung der körperlichen Functionen”
als charakteristisch für den Magnetisirten darzustellen, hal¬
ten wir für ganz falsch, da eine solche Belebung nur in
gewissen Beziehungen und als spätere Folge, zunächst aber
oft ein solcher Zustand eintritt, der gerade auf eine mehr
nach innen gezogene Richtung, die sich keinesweges als
erhöhtes Leben zu erkennen giebt, bezogen werden mufs.
Wie das Hellsehen von einer «verkörperten Seele” ausgehen
solle, ist auch nicht recht einzusehen; es ist allerdings kein
wahres Erkennen, und steht, wie wir anderweitig (S. Isis
1819.) gezeigt haben, unter demselben; allein dem Objecte
nach bezieht es sich doch auf dasselbe und kann daher dem
Wesen nach eben so wenig körperlich genannt werden,
wie das Erkennen, weil dieses des Gehirns als Organ be¬
darf. Dafs hier übrigens von keinem wahren Sehen, Hö¬
ren u. s. f. die Rede sein könne, sondern dafs dieselben
15 *
228
VI. Thicnscher Magnetismus.
vielmehr auf das zu beziehen sind, was man den T rsfnn
genannt hat, ist ebenfalls langst erörtert. Ferner ist es
thöricht, von einer völligen Gebundenheit des AV illens im
schlafwachenden Zustande zu sprechen; es ist nicht selten
die dir ec teste Opposition vorhanden, und die Beherrschung
immer nur so weit gehend, als das magnetisirte Individuum
darin eingehen mag, w:e Bec. in einem Aufsätze gegen
Hrn. Prof. Sachs im Hufcland’schen Jaurn. 1823 dar-
gclegt hat. Auch ist es falsch, dafs jede Spur von Be-
wufstsein während des schlafwachenden Zustandes einen Betrug
verrathe; vielmehr wird eine solche Spur niemals fehlen
können; denn «las wachende Leben mufs den Anknüpfungs¬
punkt für das Schlafwachen gewähren, wie fiir den Traum,
dessen Erscheinungen sich ja immer mehr oder minder an
ein dunkles aus dem Wachen/ herübergekommenes Bewufst-
sein anknüpfen. Warum I f r. W. die Ahnungen als dem
Zustande des Hellsehens ganz fremdartig betrachten will,
ist auch nicht einzusehen, da sie offenbar auf einem ähnli¬
chen Grunde beruhen. — Gern stimmen wir Iirn. W.
bei, dafs das Wort side risch nicht angew’cndct werden
sollte, weil man nicht weifs, ob man dabei aa rtMfos oder
an sidus denken darf und eben dadurch eine völlige Un¬
klarheit des Begriffes entsteht. Auch stimmen wir in den
offenbar gegen das Kieser’sche Archiv gerichteten
Wunsch einer strengen Kritik hei der Aufnahme der Bei¬
träge; Fälle, bei denen gegründeter Verdacht gegen die
AV ahrhaftigkeit und Beobachtungsgabe des behandelnden
Magnetiseurs oder des behandelten Individuums obwaltet,
verdienen schlechthin keine Aufnahme, z. B. die überdies
äufserst breite der Wittwe Petcrsen. Ob es überdies
passend sei, hei diesem Gegenstände jetzt schon die dun¬
kelsten Gebiete der "\ orzeit, wo uns alle Bedingungen
wahrhafter Geschichte fehlen, erforschen zu wollen, und
ob es nicht gerathener sei, das Gegenwärtige, was treue
Natur -Beobachtung am Krankenbette und aufserhalb dessei-
VII. Bruch durch das Hüftbeinloch. 229
Len gewährt, zu erforschen, wollen wir dem Urtheile un¬
serer Leser überlassen.
Lichiejistädt.
VII.
Uebcr den Bruch durch das H ftb einloch
nebst einem seltenen Falle hierüber, von Dr.
Joseph Gadeimann, Proseetor, Privatdocen-
ten, und practischem Arzte zu Landshut. Lands¬
hut gedruckt bei J. Thomann. 1823. 8. 36 S. 4 Gr.
Ilr. G. erzählt einen sehr interessanten Fall eines
Bruchs durch das Hüftbeinloch, der bei Lebzeiten der Kran¬
ken nicht erkannt worden war. Es ist folgender: Eine
75jährige Wittwe kehrte nach langem Verweilen in der
Kirche mit allen Erscheinungen einer heftigen Enteritis in
ihre Behausung zurück. Trotz der Anwendung eines stark
antiphlogistischen Verfahrens wichen die heftigen Schmer¬
zen im Unterleibe und die Stuhlverhaltungen nicht. Am
fünften Tage ihrer Krankheit brach die Kranke Koth, die
Leisten- und Schenkelgegend waren frei von jeder Ge¬
schwulst und jedem Schmerze. Erst in den letzten Tagen
ihres Lebens kam der Schmerz zum Vorscheine an dem
innern und oberen Theile des Schenkels von der Leisten¬
gegend angefangen, einwärts und abwärts; aber auch, hier
war weder Geschwulst noch irgend ein fühlbares Zeichen
von einem Bruche vorhanden. Endlich wurde nach vieler
Bemühung der Stuhlgang zwar wdeder hergestellt, und das
kothige Erbrechen verschwand; am neunten Tage schwie¬
gen alle Symptome der Krankheit, sogar der Appetit
kehrte wieder — - doch bald darauf folgte allgemeine Schwä¬
che, und die Kranke verschied am 14 Tage der Krankheit.
Section. Aeufserlich konnte man am Leichnam nichts
230 VII. Brach durch das ITüfthcinloch.
wahmehnien. Sobald aber die Bauchdecken und das
Bauchfell durchschnitten waren, erblickte man anfangs nur
die dicken Gedärme; die dünnen lagen alle tief in dem
kleinen Becken. Ein Stück des Dünndarms war im Um¬
fange des Forameij ovale angewachsen, die Spalte, wel¬
che zum Durchgang der Gcfäfse und des Nervus obtu-
ratorius bestimmt sind, in einem Durchmesser von einem
Zoll in die Bunde erweitert, und zwar nach innen zu.
Der Bruchsack senkte sich durch diese Oeffnung, und trat
erweitert hinter den Schambein- Muskel , und unter den
langen und kurzen Kopf dbs Mysculus triceps, wovon der
kurze sehr dünn war, zu einer Länge von sechs Zoll her¬
unter. Der ganze Bruchsack war brandig, hier und da
durchlöchert, voll Jauche, die sich auch durch die Oeffnun •
gen bis zur Hälfte des Schenkels zwischen den Adductoren
senkte. In dem Bruchsacke lag die untere Wand des an¬
gewachsenen Darmstückes, zu einem Divertikel von 4 Zoll
in der Länge und lj in der Breite ausgedehnt, welche
dann so dünn war, dafs sie dem dünnsten Papiere glich,
während die obere noch in der Bauchhöhle liegende Wand
desselben zu einem Viertelzolle verdickt war, und das An¬
fangs- und Endstück des angewachsenen Dünndarms, zwi¬
schen denen das Divertikel sich herunter senkte, den Durch¬
messer einer grofsen Sonde hatte. Uebrigens fand sich auf
der nämlichen Seite eine Anlage zu einem äufsern und in-
nern Eeistenbruche, auf der andern zu einem Bruche durch
das Hüftbeinloch. Die Arteria obturatoria entsprang aus
der epigastrica, und verlief anfangs auf der innern, nach
unten auf der vordem Seite des Bruchsackes, der mit den
Muskeln gänzlich verwachsen wrar.
An diese schlichte und treue Erzählung dieses merk¬
würdigen Falles reiht der Verfasser eine anatomisch-chi¬
rurgisch -historische Untersuchung über den Bruch durch
das Hüftbeinloch an, erzählt die ihm bekannten ähnlichen
Fälle, geht der Aetiologie dieses merkwürdigen und glück¬
licher Weise höchst seltenen Bruches auf anatomischem
VIII. Zeitschriften.
231
Wege nach, und schliefst mit dem Vorschläge zu einem
neuen Bruchbande, welches aber gewifs auch keinen reel¬
len Nutzen schaffen dürfte!
Wir bedauern es sehr, dafs der geschätzte Herr Ver¬
fasser diese sehr nützliche Abhandlung, (deren Stil jedoch
der Provincialismen nicht wenige enthält) nicht einem un¬
serer viel gelesenen chirurgischen Journale einverleibt hat.
Dort würde sie, wie sie es verdient, ein gröfseres Publi¬
kum gefunden haben. So wird sie wie alle nur wenige
Bogen starke Abhandlungen sich zu leicht verlieren! Möchte
diese kurze Anzeige etwas dazu beitragen, zum Lesen der
Schrift selbst einzuladen! <
v. Ammon.
Zeitschriften.
1. Magazin für die gesammte Heilkunde von J. N. Rust.
XIX. Bd. I Heft. 1825. Berlin bei G. Reimer. 8. 200 S.
Den neuen Jahrgang dieser vielgelesenen Zeitschrift
eröffnet eine aus dem Engl, des Dr. Henry Earle vom
Dr. C. Krause (der auch zu den fleifsig übersetzenden
Aerzten gehört) ins Deutsche übertragene Abhandlung
«Ueber die Erzeugung krebsähnlicher Krank¬
heiten durch örtliche Reizung, und über den
Schornsteinfegerkrebs” aus den London medico-chi-
rurgical Transactions Vol. XII. P. II. Dieser Aufsatz be
reichert die Kunst nicht erheblich, er füllt auch nicht eben
grofse Lücken aus, und enthält überhaupt nichts, was die
deutsche Chirurgie nicht auch schon längst gelehrt hätte
Es dreht sich nämlich hier um den wichtigen Punkt, ob
bei lokalen krebsähnlichen Krankheiten eine Diagnose zwi-
VIII. Zeitschriften.
‘232
sehen einem lokalen Uebel oder einer tiefer in der Organi¬
sation wurzelnden Krankheit aufgestellt werden könne,
wodurch die Indication oder Contraindication eines opera¬
tiven Eingriffes sich bestimmen lasse! J)r. Karle r'ath
dann, wenn sich die lokalen krebsähnlichen Krankheiten an
den Ausfuhrungsgängcn des Körpers befinden, als an der
Nasenhöhle, dem Munde, dem After, an der (ilans penis,
immer zur Operation, weil hier die Krankheit meist nur
örtlich sei, und nur durch den Reiz der Ausscheidungen,
als des Speichels, der Excremente, des Urins u. s. w. im
fortschreitenden Wachsthume unterhalten werde. Diesen
Satz zu beweisen werden mehrere Fälle erzählt, in denen
Dr. Earle mit Glück die Entfernung krebsähnlicher Krank¬
heiten am Munde, an der Nase und dcpi After machte.
Allein immer gelangen Operationen dieser Art auch nicht,
nur zu oft fand es sich, dals diese Krankheiten ihre tiefe
Wurzel im Innersten des Körpers hatten.
, Interessanter und des Uebersetzens werther schien Ref.
das, was Dr. Earle über den Schornsteinfegerkrebs sagt.
Nach ihm entsteht die Krankheit jedesmal von dem Reize
des in den Falten der Haut des Scrotuin’s angesammelten
Rufses. Sie beginnt mit einer warzenähnlichen Excrescenz,
welche zuweilen einige Monate und sogar Jahre lang fast
unverändert bleibt. Nach einiger Zeit giebt sic eine diinne
scharfe Jauche von sich, welche auf der nahe gelegenen
Haut Excoriationen hervorbringt; in der Mitte der Excres¬
cenz entspinnt sich eine Ulceration, die Ränder des Ge¬
schwüres werfen sich nach aufsen um, und ein luxurii-
rendes Gewächs von scirrhöser Härte erhebt sich, aus wel¬
chem eine sehr stinkende charfc Jauche fliefst. Der Sitz
des Uebels ist in der Regel der untere Theil des Ilodeiv-
sacks, jedoch nicht ohne Ausnahme. Earle der Vater be¬
obachtete dasselbe an dem Handgelenke eines Gärtners, der
in jedem Frühlinge zur Vertilgung der Schnecken Rufs
ansstreuete. Auch soll das Uebel bisweilen das Gesicht be
fallen. Im Fortschreiten ergreift dasselbe die zunächst ge-
VIII. Zeitschriften.
233
legenen Theile, steigt bis zum Perinaeum hinab, und er¬
greift, wenn ihm nicht Einhalt geschieht, das ganze Scro-
tum, und nicht selten zugleich auch die Hoden u. s. w.
Dr. Earle findet den einzigen Schlüssel zur Erklä¬
rung der Ursache des Uebels in einer eigenen consti¬
tutione 1 len Praedisposition, welche das Indivi¬
duum für die Einwirkung des Rufses empfäng¬
lich macht. Verhielte sich dieses nicht so, und hätte der
Rufs eine eigenthiimliche ätzende , genannte Affection be¬
wirkende Eigenschaft, so würde das Uebel häufiger die
Kinder befallen, welche der Verunreinigung durch Rufs
weit mehr ausgesetzt sind, und deren Haut zarter und reiz¬
barer ist. Viele Unglückliche dieser Art betreiben ihr Ge¬
schäft oft viele Jahre, bevor sie ergriffen werden, und es
ist eine Veränderung ihrer Constitution, welche sie zur
•%
Annahme des Reizes empfänglicher machte, mit gröfserer
"Wahrscheinlichkeit anzunehmen, als eine besondere Eigen¬
schaft des Rufses. Das einzige Mittel, das reelle Hülfe
schafft, ist: das Scalpell. Man darf mit dem sichersten
Vertrauen auf den besten Erfolg der Operation hoffen,
sobald nur die ganze krankhafte Masse sich entfernen läfst.
Selbst wenn bereits die Inguinaldrüsen geschwollen sind,
kann noch die Exstirpation unternommen werden. Ist der
Samenstrang nur gesund, und auch der Testikel angegrif¬
fen, so mufs man zur Castration schreiten. Mehrere sehr
merkwürdige erzählte Fälle vom Schornsteinfegerkrebs
scheinen Earle’s Ausspruch zu bestätigen.
2. Einige wichtige geburtshü lfliche Fälle
beobachtet v. Dr. Sammhammer, pr. Arzte und
Geburtshelfer in Breslau, a) Retroversio uteri
gravidi. Ref. vermifst hier ungern eine genauere Be¬
schreibung dessen, was sich bei der Exploratio vaginalis
ergab, nur dadurch können ja einzelne Fälle einen wissen¬
schaftlichen Werth bekommen! Uebrigens ist diese Retro¬
versio uteri gravidi dadurch merkwürdig, dafs sie durch
eine äufsere Gewaitthätigkeit verursacht ward. Die Frau
234
VIII. Zeitschriften.
war im vierten Monate schwanger; cs erfolgte nach der
glücklichen Reposition Abgang des EPs. b) Auftrei¬
bung des Bauches mit Geburtschmerzen ohne
«Schwangerschaft (konnte füglich, da der ganze Fall
kein Resultat giebt, ungedruckt bleiben!) c) Ein Fall
von sonderbarer Verwickelung zweier Nabel¬
schnüren und seltener Bildung der Placenta. Eine
durch eine Placenta praevia entstandene Verblutung, gegen
die nichts unternommen worden war, tödtete eine Hoch¬
schwangere. Als der Dr. Sammhammer ankam, war die¬
selbe bereits verschieden. In Ermangelung von schneiden¬
den AVerkzeugen, um den Kaiserschnitt zu machen, ent-
schlofs sich Dr. S. zur Wendung, die auch mit keiner
Schwierigkeit verbunden war, da die Häute noch nicht
zerrissen waren, sich der Muttermund bereits ganz geöff¬
net, und durch die Placenta sich beinahe gänzlich ge¬
trennt hatte. Es wurden Zwillinge (Knaben) zur Welt
gebracht Hie NebeLschnuren waren untereinander verwi¬
ckelt, und hatten ein eigenes Ansehn. (Dr. S. vergleicht
sie mit einem Damenzopfe oder mit einer ausgebreiteten
Strickleiter) sie entsprangen aus einer Placenta , welche et¬
was grÖfser und stärker als gewöhnlich war, ungefähr in
der Mitte derselben zwei Zoll auseinander. Zwischen bei¬
den Nebelschnuren lief auf der Placenta ein leichter Streif,
gleichsam eine Fettlinie, wodurch w'ohl die Natur, eines
Theils wenigstens eine Scheidewand angedeutet hatte, da
keine doppelten Häute vorhanden waren.
3) He lim und ’s Methode das Cosmi sc he, Mit¬
tel anzuwenden, aus den Acten zusammenge¬
stellt vom Stabsarzte Dr. Bet sc hier. Der Zollren-
dant aus Oldendorff, (Regierungsbezirk Minden) Hell¬
mund, der früher Lazareth-Chirurgus in preußischem Dien¬
ste gewesen war, hatte das Unglück, dafs seine jetzt 16jäh-
rige Tochter in ihrem achten Jahre vom Gesichtskrebs be¬
fallen ward. Alle angewandten Mittel halfen nichts. Der
Vater, welcher mit Entsetzen die schreckliche Zukunft über-
VIII. Zeitschriften.
235
sah, die seinem einzigen Kinde bevorstand, fing nun an auf
Mittel zu sinnen, und die ihm von früherer Zeit her be¬
kannten auf neue Art zu componiren. Dieses führte ihn
auf die Zusammensetzung eines Mittels, durch welches er
zu seinem eigenen nicht geringen Erstaunen binnen Mo¬
natsfrist seine Tochter herstellte; d. h. mit zurückgebliebe¬
ner Deformität des Gesichts, jedoch vollkommen und für
die Dauer, da jetzt bereits das Uebel seit fünf Jahren
schweigt. Der Ruf dieser glücklichen Cur verbreitete sich
bald in der Umgegend; die Königl. Regierung zu Minden
sah sich veranlafst die Wahrheit dieses Gerüchts durch den
Kreisphysikus Dr. Becker zu Bahren untersuchen zu las¬
sen. Das Resultat hiervon war, dafs durch Hellmund
von 11 Individuen, welche an fressender Flechte und Haut¬
krebs im Gesichte litten, 10 vollkommen hergestellt wur¬
den. Hellmund ward nun nach Berlin berufen, und
setzte unter der Aufsicht der mit dieser Untersuchung be¬
auftragten Commissarien Rust und Kluge in der Charite
vom 30 April an seine Versuche fort. Das Resultat der
Anwendung seiner Mittel an 18 Individuen war folgendes:
1) Das Hellmund’sche Verfahren leistet beim
schwammigen Krebse gar nichts; 2) beim Brust¬
krebs kann es in einzelnen Fällen sehr heilsam
wirken; 3) beim Hautkrebs, so wie bei der fres¬
senden und schorfigen Flechte bewährt es sich
sehr heilsam. Ursache genug, dafs dieses Mittel hier al-
%
len Aerzten und Wundärzten zur genaueren Prüfung em¬
pfohlen wird. Das Mittel selbst aber ist eigentlich das be¬
kannte Cosmische, nur dafs Hellmund es mit dem
Unguentum narcot. balsam. mischt, und zwar zu Pulvis
Cosmic. 3*)' Unguent. narcot. balsam. J/. — Hier weiter in
die Sache einzugehen, und das ganze Verfahren Hell¬
mund’ s hier überzutragen, hiefse einen Verrath an dem
gelesenen Magazine begehen. Wer versuchen will} mufs
am genannten Orte sich Raths erhohlen! Möge der Himmel
nur das bestätigen, was hier von der Heilsamkeit dieser
236
VIII. Zeitschriften.
neuen Anwendungsart eines alten Mittels gesagt ist! Bef.
nimmt hier Gelegenheit den Wunsch auszusprechen, dafs
es doch einem jungen talentvollen Artzte gefallen möge,
sich einer genauen Zusammenstellung aller Mittel und Coin-
posiiionen zu unterziehen, die man je gegen den Krebs
empfohlen hat. Würde derselbe sich dartn noch die Mühe
gehen, die glücklichen und unglücklichen Resultate des ein¬
zelnen Mittels hinzuzufügen , so liefse sich hiervon viel¬
leicht etwas nützliches für die Therapie dieser Hydra er¬
warten. Welch ein schönes Thema für eine Inauguraldis-
putation! Der Verfasser würde sich den Dank des chirur¬
gischen Publikums und gewifs eine recht tiefe Kennt-
nifs in diesem noch unbekannten Felde der Chirurgie
erwerben !
4) Unglücklich abgelaufcnc Operation ei¬
nes Cancer mammae v. Dr. G. L. Ilertzberg zu
Halle. Deshalb ein dankenswerther Aufsatz, weil er die
Wahrheitsliebe des Verfassers darthut! Ist Hr. Dr. Hertz¬
berg noch dazu ein junger Arzt, so ist sein Benehmen
um so lobenswerther ! Möchten doch die berühmtesten
deutschen Wundärzte seinem Beispiele folgen, und ohne
Rückhalt alle die unglücklichen Ausgänge von Exstirpation
der Brust erzählen, welche sie erlebt haben. Dann wird
gewifs Boyer’s Ausspruch, der von 100 Unglücklichen,
welchen er die Brüste abnahm, nur 8 radikal durch diese
Operation heilte, die leider jetzt mit übertriebener Eil¬
fertigkeit dieses Uebel operirenden Aerzte doch endlich
einmal von ihrem unglückseligen Pruritus secandi ab-
schrecken !
5 ) Die Entwickelung der Scarlatina, vom
Dr. F. F. H. Eggert, Physikus des Mansfelder
Seekreises und Bergarzte zu Eisleben. Wie al¬
les was von dem hochgeschätzten Verfasser kommt, trägt
auch dieser Aufsatz, «gründliches Studium der Natur in
ihrem gesunden und kranken Verhalten, Originalität, Bele¬
senheit und Accuratesae an seiner Stirn.” Die Entwickc-
VIII. Zeitschriften.
237
läng der Scarlatina ist nichts anders als die Tendenz des
Organismus, ein Mifsverhältnifs , das in einer absolut oder
relativ zu hoch getriebenen Production der vitalen Bestand¬
teile besteht, durch die Hautfunction auszugleichen.
Das ist der Hauptsatz, der hier mit Gründen belegt wird.
Hier näher in diese Gründe einzugehen, würde nichts an¬
deres heifsen, als eine neue Abhandlung über diesen Ge¬
genstand schreiben. Ist Ref. eine Bemerkung erlaubt, so
ist dieselbe der Wunsch, dafs der gründliche Herr Dr.
Eggert doch künftig eine gewisse Weitschweifigkeit ver¬
meiden möge , die gewifs viele weniger gebildete Aerzte
von der Lectüre seiner Schriften abschrecken wird — und
doch wdinschte Ref. so sehr, dafs gerade diese Aufsätze die
Beherzigung finden möchten, welche sie verdienen 1 Du
aber, lieber Leser, gehe hin und lies zu wiederholten Ma¬
len des Dr. Eggert ’s Ansichten über die Scarlatina, wel¬
che dir gewifs auch schon manches Nachdenken gekostet
haben wird! Du wirst denselben deinen Beifall nicht ver¬
sagen können!
6) Amtliches Originalschreiben über die
Verbreitung des gelben Fiebers in Spanien.
Mitgetheilt vom Herausgeber. Aus sicherer Quelle
erfahren wir hier, dafs die Gewinnsucht der spanischen
Kaufleute von Cadix, und der Umgegend, und die Bestech¬
lichkeit der Sanitätsbehörde dieser Stadt, allein alljährlich
die gräfsliche Epidemie in dem schönen Andalusien ver¬
breitet haben. Der Gang des Handels nämlich hat es bis¬
her mit sich gebracht, dafs ein grofser Theil der Waaren
und Geldsendungen aus Vera Cruz und Havanna zur Zeit,
wenn die Epidemie dort herrschte, nach Cadix abging.
Die Empfänger der Ladungen, um nicht eine gute Con-
junctur zu deren Verbrauch zu verlieren, wenn solche
mit der Epidemie behaftete Schiffe nach Mahon in die
Quarantaine gesandt worden wären, bestachen die Sanitäts¬
behörden, welche beauftragt sind, die ankommenden Schiffe
und deren Mannschaft am Bord zu untersuchen. Es ist
238
\ W. Zeitschriften.
ferner eine bekannte Thatsache, dafs die Aerzte von Cadix
von den KauHeuten gewonnen, die öffentlichen Berichte
über den Krankheitszustaod jenes Hafens oft erst sechs
Wochen nach dem ersten Krankheits- oder Todesfälle ge¬
macht, und auf diese Weise das Sperren des Hafens und
der Schiffe auf lange Zeit verhindert haben!
Auri sacra fames, et habendi dira cupido! !!
7) Beobachtung von zwei vor der Gehurt
entstandenen Brüchen beider Oberschenkelkno¬
chen. Mitgetheilt von H. Maas zu Schwelm. An
dem Kinde einer schnell und glücklich entbundenen Frau
bemerkte man, als man dasselbe einwickeln wollte, dafs
die Continuität in den Oberschenkelknochen aufgehoben
■war. Eine gewaltthätige aufsere Ursache liefs sich nicht
ausmitteln. Die Mutter des Kindes erzählte, dafs sie wegen
einer grofsen Schwäche in der zweiten Hälfte der Schwan¬
gerschaft, beim Aufstehen vom Stuhle genüthigt gewesen
sei, mit beiden Händen sich auf die Oberschenkel in der
Gegend, wo bei dem Kinde die Knochen getrennt waren,
zu stützen. Ein zweckmäßiger Verband bewirkte trotz
einer schlechten Prognose die vollkommenste Heilung in
sechs Wrochen! (Eine eben so interessante als lehrreiche
Beobachtung.)
8) Miscellen. 1. Korrespondenz und andere kurze
Nachrichten.
Gonceptio sine immissione. Merkwürdig, weil die
Sache in einer 7 Jahre lang kinderlosen Ehe vorfiel! Die
Vaccine pflanzt sich nicht fort. (Ein merkwürdiger Fall,
zu dem Befer, noch mehrere andere aus seiner Erfahrung
setzen konnte.) Nach dem Hofrath Dr. Müller in Win¬
zig soll kein Mittel erfrorene Theile schneller heilen, als
das Eintauchen derselben in ganz warmes mit Hafer ge¬
kochtes Schneewasser. Fall eines Vagitns uterinus, ein
Beitrag zu des zu früh für die Wissenschaft verstorbenen
nie genug zu schätzenden Os i ander'« schöner Commen-
tation in den Schriften der Göttinger Academie über die-
VIII. Zeitschriften.
239
sen Gegenständ. Noch ein paar W orte über den
Tripper y. Dr. Freiherrn von Wedekind. Be¬
kanntlich hatte Wedekind in einem der früheren Hefte
dieses Magazins den praktischen Aerzten eine merkwürdige
Beobachtung zur Prüfung vorgelegt; derselbe hatte näm¬
lich seit einiger Zeit bei den meisten Tripperkranken in
der Fossa navicularis zwei kleine geschwollene Drüsen be¬
merkt, die selbst dann schon sichtbar waren, wenn noch
kein Ausflufs vorhanden, der Tripper aber im Kommen
war. Es ward im XVIII. B. 2 Stücke die interessante Be¬
obachtung eines Trippers bei einem Manne, der die Glans
penis verloren hatte, mitgetheilt, und daran die Bemerkung
geknüpft, dafs W edekind’s Behauptung, der Tripper
möchte in zwei Drüschen in der Fossa navicularis zu suchen
sein, nicht ganz gegründet sein dürfte. Wedekind sucht
• • T -
nun durch die angezeigten Zeilen sich gegen jenen ihm
aufgebürdeten apodiktischen Ausspruch zu vertheidigen, und
empfiehlt allen Practikern die beiden Drüschen in der Fossa
navicularis zur Prüfung, utn die Sache aufs Reine zu bringen!
Den Beschlufs dieses Heftes machen kurze Beiträge
zur Geschichte des Sanitätswesens im Königl. preufsischen
Staate, Dienstverordnungen des Militär -Sanitäts -Wesens,
und Personalnotizen, das Militär und das Civile betreffend.
v. Ammon .
2. Journal complementaire du Dictionaire des
Sciences medical es. Tome XX. A Paris, chez C.
L. F. Panckoucke. Janvier, 1825. 8. 95 S.
Ueber die Behandlung der mit W unden com-
plicirten Beinbrüche; von Larrey. Gestützt auf die
in Feldzügen gemachte Erfahrung, dafs Wunden und ein¬
fache Knochenbrüche ohne alle Erneuerung des Verbandes
oft auf dem Transporte der Verwundeten vollkommen heil¬
ten, entschlofs sich Larrey, nicht nur bei einfachen, son-
240
VIII. Zeitschriften.
dem auch hei complicirten Beinbrüchen den ' ersten Ver¬
band ohne alle Erneuerung bis zur Heilung liegen zu las¬
sen. Durch Befolgung dieses Grundsatzes will er allen
übelen Zufällen, als einer heftigen Entzündung des Kno¬
chens und der Weichgebilde 9 dem Brande und der Llcera-
tion glücklich vorgebeugt haben. (!) Die Ursachen, wel¬
che, wenn jene Behandlungsweise nicht eingeleitet wird,
einen verderblichen Ausgang herbeiführen sollen, sind:
1) Der Zutritt der Luft, welche, je nachdem die At¬
mosphäre trocken oder feucht ist, die Gebilde reizen,
Schmerz und Anschwellung erregen soll.
2) Wird das aus den Gefäfsen getretene Blut hier¬
durch carbonisirt, zersetzt, und dann die in Folge der Er¬
schütterung und Quetschung schon verminderte Sensibili¬
tät gänzlich erlöscht, wo dann der Brand eine unausbleib¬
liche Folge sein soll. ■
3) Wenn Nervenäste zerrissen oder durch den Zutritt
der Luft gereizt sind, soll der Hospitalbrand (?) erfolgen,
die Knochen entblüfst werden, Necrose entstehen, und die
Heilung nur unter sehr vielen Beschwerden und Schmer¬
zen herbeigeführt werden können.
Das ganze Verfahren bei complicirten Beinbrüchen be
steht daher in Entfernung des ergossenen Blutes und aller
fremden Körper, namentlich der Knochensplitter, in Unter¬
bindung der verletzten Gefäfse und Reinigung dejr Wunde.
II ierauf sollen die gebrochenen Knochen eingerichtet, und
die Wundlefzen in Berührung gebracht werden. Zum
Verbände werden gefensterte Binden mit Sty raxsalbe be¬
strichen empfohlen, über welche man weiche Charpie und
dann Gompressen legt, die mit einer Mischung aus cam-'
phorirtem Essig oder Wein mit Eiweits vermischt, ange-
feuchtct sind.
(Ursch In fs foigt.)
I
Literarische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
48.
1825.
VIII.
Zeitschriften.
v
2. Journal complementaire du Dictionaire des
Sciences medical es. Tome XX. A Paris, 1825. 8.
Janvier.
( Beschluss.)
Diese Compressen müssen das ganze Glied einliüllen, ge¬
nau anliegen und überall einen gleichmäfsigen Druck aus¬
üben, wodurch dann alle Schienen entbehrlich gemacht
werden. Den Beschlufs macht eine achtzehnköpfige Binde,
deren Köpfe im Verlauf der Heilung ein oder zweimal an¬
gezogen werden. Durch diese Art des Verbandes sollen
nun alle möglichen Vortheile hinsichtlich der Heilung be¬
zweckt werden. Von zehn Kranken, die Larrey auf diese
Art glücklich behandelte, wird zum Beweis die Krankheits¬
geschichte zweier angegeben.
Obgleich nicht zu zweifeln ist, dafs die Heilung com-
plicirter Beinbrüche auf diesem Wege zuweilen möglich
ist, so möchten diese Grundsätze bei den deutschen Wund¬
ärzten doch nicht so allgemeinen Beifall und Anwendung
finden. Es ist immer sehr gewagt, das gebrochene Glied
durch klebende Compressen, gleischsam wie mit einem Kitt,
zu umgeben und hierdurch jeder ferneren Beobachtung zu
entziehen, rindern durch diese örtliche Behandlung die ört¬
liche Reactiön und Anschwellung, so wie die hieraus ent¬
stehenden Folgen nicht nur nicht verhütet, sondern selbst
vermehrt werden. Welchen Nachtheil eine so frühzeitige,
16
II. Ed. 2. St.
242
\ III. Zeitschriften.
unmittelbar nach der Verletzung statt findende Einschnü¬
rung des gebrochenen Gliedes mit Jcb führt, ist wohl hin¬
reichend bekannt ; und deshalb von allen bessern W undärz-
ten gerade das Gcgentheil empfohlen, und angerathen wor¬
den, nicht nur bei complicirten , sondern auch bei einfa¬
chen Knochenbrüchen das Glied mehrere Tage ohne allen
Verband liegen zu lassen, und nur für eine zweck mä Cs ige,
sichere Tage und örtliche Behandlung zu sorgen. Erst
wenn die Entzündung gemäßigt ist und die Geschwulst
sich vermindert hat, wird zum ^Verbände geschritten, der
aber, um namentlich bei Complicationen die kranke Stelle
fernerhin im Auge behalten zu können, nicht in der ge¬
wöhnlichen Verhüllung mit einer Menge von Binden u. s. w.,
sondern in der Befestigung des Gliedes auf einer zweck-
mafsigen Schwebe besteht, wobei man nötigenfalls, wie
es bei grofser Verletzung des Knochens und der W eich-
gebilde fast immer der Fall ist, die etwa noch nöthig wer¬
denden therapeutischen Mittel fernerhin anwenden kann.
Da der Ausgang der Entzündung an der Bruchstelle allein
durch die Gewalt der einwirkenden Ursachen und durch
die Vulnerabilität des Kranken bedingt wird, und nie a
priori zu bestimmen ist, ob die Verletzung durch schneite
Reunion oder durch Eiterung heilen, oder ob nicht viel¬
leicht gar Ulceration und Brand eintreten werden, so
möchte die Behandlung Larrey’s immer nur für sehr we¬
nige Fälle die passende sein, und die Erhaltung des Gliedes
demnach sehr auf’s Spiel gesetzt werden.
Beobachtung einer fibrös-knorpeligen Ge¬
schwulst des Gekröses, die den Zwölffingerdarm
umfafste und zusammendrückte, von J. Briche-
teau. Ein Ilolzdrechsler, 55 Jahr alt, von starker Consti¬
tution, der aufser einigen kleinen Unpäßlichkeiten, die mit
seinen jetzigen Leiden in keinen Zusammenhang gebracht
werden konnten, sich stets wohl befand, erlitt vor sechs
Wochen einen Fall auf den Unterleib, in dessen Folge be¬
deutende Schmerzen sich einstellten. Bald fing der Patient
VIII. Zeitschriften.
243
an auch an \ erdauungsbesebwerden verschiedener Art, be¬
sonders an \erstopfung und Brechen zu leiden, und es
entwickelte sich ungeachtet des Gebrauchs verschiedener
Mittel ein lentescirender, fieberhafter Zustand, an dem er
12 Wochen nach dem erlittenen Falle starb.
Bei der Obduction des sehr abgemagerten Leichnams
fand man im Unterleibe eine ziemlich bedeutende, abge¬
flachte Geschwulst, die vom Bauchfell bedeckt war, sich
von dem obern Theile des rechten Hypochondriums beinahe
bis zum Pylorus erstreckte, und ungefähr •§• des Duodenum,
dessen Höhle weit über die Hälfte verengt war, umschlofs.
An der rechten Seite hing die Geschwulst mit dem Pancreas
zusammen; hinsichtlich der Textur bot sie viel Aehnlichkeit
mit den Intervertebralknorpeln dar. Die Schieimmembran
des Magens war verdickt und grau von Farbe; hin und
wieder enthielt sie Tuberkeln, welche mit der Muskelhaut
in keinem Zusammenhänge standen.
Fevrier, 1825. 93 S.
Untersuchungen über das Nervensystem;
vom Dr. F o d e r ä. Dritter Artikel. Da diese Untersu¬
chungen manche interessante Bemerkung enthalten, wo¬
durch die Meinung Flourens über die Verrichtung der
Nerven zum Theil widergelegt wird, so sieht sich Ref.
des Zusammenhanges wegen genöthigt, aus den beiden er¬
sten Artikeln, die im October- und Decemberbeft 1823
enthalten sind, das Wissenswertheste herbeizuziehen. Wir
geben hier nur die Resultate.
Durch eine Reihe von Versuchen, vorzüglich mit den
Nerven des Gesichts und der Respirationsorgane sucht F.,
sich stützend auf die Erfahrungen Arneman’s, Rolan-
do’s, Magendie’s und zum Theil auch Ch. Bell’s, zu
beweisen:
1 ) dafs einer und derselbe Nervenast nicht zugleich
der Bewegung und Empfindung vorstehen, sondern dafs
verschiedene Aeste zu diesen Functionen bestimmt sind;
16 *
244
\ II1V Zeitschriften.
2) dafs die Nerven diese verschiedene Richtung ihrer
Thätigkeit nicht durch das Organ erhalten, zu welchem sie
gehen, sondern dafs dieselbe durch die ihnen cigenthiim-
liche Organisation bedingt werde, wie es hei den Sinnes*
nerven am meisten in die Augen falle; und
3) dafs die Nerven, aber nicht dieselben Aeste, welche
zu den Muskeln gehen, sowohl Empfindung als Bewegung
veranlassen können; und dafs die eine oder die andere die
ser Functionen auf hören könne, während die andere fort*
besteht.
Die Verschiedenheit der Thätigkcitsäufserung der ein¬
zelnen Aeste soll auch durch den Ursprung der YY urzeln,
die Verflechtung u. s. w. bestimmt werden, wie man na¬
mentlich hei dem 5ten Gehirnnerven zu beobachten Gele¬
genheit hat, der sehr verschiedenartigen Verrichtungen vor¬
steht, und bei dem das Identische in der Organisation der
einzelnen Aeste nur scheinbar ist. Durch sorgsame Unter¬
suchungen ist der Vcrf. zu dem Resultat gekommen, dafs
die Empfindungsnerven , die aus dem Gehirn und Rücken¬
mark entspringen, und zur Haut oder den Schleimmembra-
nen gehen, bei ihrem Ausgangspunkte aus der knöchernen
Höhle Ganglien haben, welche den Wurzeln der Bewe¬
gungsnerven, die zugleich auch schwächer sind, gänzlich
abgehen. Dieselbe Ausnahme machen der Acusticus und
Opticus, welche zu besonderen Organen für die Empfin¬
dung gehen, so wie alle die Nerven, welche sich nicht in
Häute verbreiten. Aufserdcm glaubt aber F. , dafs die Be¬
schaffenheit der Organe, in welche sich ein Ast zu einer
bestimmten Verrichtung senkt, hierbei mit in Betracht
komme, keinesweges aber allein die Empfänglichkeit der
Nerven für den einen oder andern Eindruck bedinge.
Um nun die aufgestelltc Behauptung zu beweisen und
die angegebenen Erscheinungen zu erklären, legt sich der
Vcrf. im 2ten Artikel folgende Frage vor:
Befolgen die aus einem Nervenstamme entspringenden
Aeste ein bestimmtes Gesetz bei ihrer Vertheilung?
245
VIII. Zeitschriften.
Zur Beantwortung derselben hat er mehrere Versuche
angestellt, aus denen hervorgegangen ist, dafs gewisse Ner¬
venzweige nur zur Bewegung der Ilexorcn und andeic
für die Extensoren bestimmt sind. So durchscbnitt F. bei
einem Kaninchen den Nervus poplitcus externus, und lähmte
hierdurch alle Beugemuskeln des Fufses und die Extenso¬
ren der Finger; die kleine Zehe wurde unempfindlich, die
dritte zum Theil, desgleichen die ganze Kückenfläche der
Pfote, und die äufsere nebst der vorderen Fläche des Bei¬
nes. Wurde der Nervus popliteus internus auch noch
durchgeschnitten , so verlor die ganze Pfote ihre Empfind
lichkeit, ausgenommen derjenige Theil, wo sich der Ner¬
vus saphenus internus verzweigte. Bei einem anderen
Thiere dieser Art verloren nach der Durchschneidung der
Cruralnerven die Extensoren des Fufses ihre Bewegungs¬
fähigkeit. Aehnliche Resultate gaben die Durschneidung
des Nervus ischiadicus, cubitalis, medianus, radialis u. s. w.,
aus welchen F. folgende Schlüsse zu ziehen sich erlaubt:
1) diejenigen Zweige, welche sich in den Beugemus¬
keln vertheilen, gehen keine Verbindung mit denen der
Extensoren ein ; und
2) findet eine Gleichheit hinsichtlich der Vertheilung
und Verrichtung zwischen den Beckenneryen , und denen,
welche zu den obern Extremitäten gehen, statt.
Nach der Angabe mehrerer Stellen aus den Arbeiten
von Nannoni, Fontana, Arneman, Mayer und Be¬
el ard führt er auch mehrere Resultate der Flourens-
schen Versuche an, die er, obgleich dieser Gelehrte sie
nicht zu diesem Zwecke benutzte, zur Bestätigung seiner
Behauptung anwendet; und geht dann zur Beantwortung
einer 2ten Frage über: ob die Empfmdungs- und Bewe¬
gungsnerven einen gegenseitigen Einflufs auf ihre Functio¬
nen ausüben.
Den hierüber gemachten Versuchen zufolge mufs man
einen solchen gegenseitigen Einflufs 'eingestehen; denn die
Durchschneidung der Wurzeln der Empfindungsnerven ver-
246
VIII. Zeitschriften.
minderte stets die Beweglichkeit und umgekehrt. Bei der
Würdigung dieser Resultate mufs man aber nicht verges¬
sen, dafs hier mehrere l'mstände in den Weg treten, die
kein reines Resultat hervorgehen lassen, z. B. die Hämorrha-
gie und die Quetschung der Stelle des Rückenmarks, wo
die Wurzeln, die man durchschneiden will, ihren Ursprung
nehmen. Auch hat man häufig Gelegenheit Fälle von par¬
tiellen Lähmungen zu beobachten, wo die Bewegung zwar
aufgehoben ist, die Empfindung aber noch ungetrübt fort-
hesteht, woraus man einigermaafsen schließen kann, dafs die
Nerven der Bewegung keinen Einilufs auf die der Empfin¬
dung haben. Die Fälle, welche das Gegentheil beweisen
könnten, sind dagegen äuCserst selten, und fast immer ist
mit dem Mangel an Empfindung auch Aufgehobeusein der
Bewegung verbunden. M. Ch. Roche (im Journ. univ.
T. XX\ III. p. 198) und Brisseau (Mein, de l Acad. des
Sciences, annee 1743, p 92.) erzählen zwar Fälle, aus de¬
nen die Unabhängigkeit der Bewegungsnerven von denen
der Empfindung bewiesen werden könnte; indefs sind die
Krankheitsgescbichlen zu unvollkommen, und es ist nicht
näher angegeben, ob die empfindungslosen Glieder auch
noch ganz und gar den Grad von Bewegungsfähigkeit und
Muskelstärke besafsen, welchen sie vor der Krankheit zeig¬
ten. Foderä glaubt daher, dafs die Bewegungsnerven
zwar keinen Einilufs auf die Empfindungsnerven haben,
wohl aber diese bei Beeinträchtigung ihrer \ italitätsäufsc-
rung auf jene wirken, zu welcher Vermuthung er sich um
so mehr berechtigt glaubt, da anatomische Untersuchungen
nachgewiesen haben, dafs die Wurzeln der Empfindungs¬
nerven dicker als die der Bewegung vorstehenden sind, und
somit jene auch ein Uebergewicht hinsichts ihrer Thütig-
keit über diese haben müssen.
Der dritte Artikel hat die Verrichtung der beiden
Arten von Nervenwurzeln zum Gegenstände. Trennte der
Verf. die Anheftepunkte der W urzeln von ihrem Ccntral-
punkte, kniff, drückte er sie und schnitt er sic ein, so be-
VIII. Zeitschriften.
247
merkte er, dafs wenn die Reizung an den hinter n Wur¬
zeln geschah, keine Contraction einzelner Muskeln erfolgte,
wohl aber, wenn man die vordem Wurzeln reizte. Wenn
heim Experimentiren die nöthige \orsicht beobachtet wurde,
so könnte man sowohl bei kaltblütigen als auch bei warm¬
blütigen Thieren immer dieselben Resultate erhalten , und
selbst Versuche mit dem Galvanismus bestätigten diese Thä-
tigkeitsäufserungen der vorderen Wurzeln. GTm nun aus-
zumittel'n , welcher Function die verschiedenen Wuizeln
wohl vorstehen möchten, hielt F. es für zweckmäfsig, die
andere Schicht, an welcher er nicht experimentiren wollte,
zu zerschneiden, um jeden Einflufs auf die anderen, welche
Gegenstand des Versuches werden sollten, zu verhindern,
und wo möglich zu einem reinen Resultate zu gelangen.
Schnitt er daher die hinteren Wurzeln der Nerven
ab, welche sich z. B. in den Extremitäten verbreiteten, so
verursachte eine Reizung dieser Theile keine Empfindung,
das Thier blieb ruhig; kniff er aber einen Theil, in wel¬
chem die nicht getrennten vorderen Nervenwurzeln ver¬
breitet waren, so bewegte sich das Thier, und diese Bewe¬
gung setzte sich selbst noch auf die Theile fort, deren Ner¬
ven durchschnitten waren. Aus diesen Erfahrungen zieht
F. nun den Schlafs, dafs die hinteren Wurzeln allein die
Eindrücke von der Peripherie nach dem Centrum, die vor¬
deren Wurzeln dagegen von dem Centrum nach der Peri¬
pherie fortpflanzen. Diese Vermuthung wird noch dadurch
bestätigt, dafs, wenn man dagegen die vorderen Wurzeln
durchschneidet, und die hinteren mit dem Rückenmarke in
Verbindung läfst, das Thier bei Anbringung eines Reizes
zwar empfindet, in den Muskeln aber, welche von den
durchschnittenen Nerven versehen werden, keine Contrac-
tionen eintreten, selbst dann, wenn man diese Theile un¬
mittelbar reizt, worauf immer nur Empfindung verursacht
wurde. Die vorderen Wurzeln dienen daher zur Fortpflan¬
zung des Reizes von dem Centralpunkte nach der Periphe¬
rie 'und stehen der Bewegung vor; die hinteren Wurzeln
248
VIII. Zeitschriften.
vermitteln dagegen die Propagation der von der Peripherie
empfangenen Eindrücke nach dem Centrum hin. Reizt
man daher die vorderen Wurzeln der Nerven, so nimmt
das Thier den Eindruck nicht wahr, die Muskeln ziehen
sich aber zusammen; reizt man die hinteren VA urzeln, so
empfindet dies das Thier, und da die Empfindung schmerz¬
haft ist, so reagirt das Centrum, und mufs eine Aeufscrung
der Thätigkeit von sich nach der Peripherie ausgehen, und
folglich zugleich Bewegung erfolgen lassen.
Nun führt Fodera noch eine Krankheitsgeschichte an,
die früher im Journal de physiologie experimentale T. III.
p. 173. und in den Archiven generales de Med. T. II. p. 625
unvollkommen beschrieben worden ist, die hinsichtlich meh¬
rerer pathologischen Erscheinungen zu vielfacher Erklä¬
rung Veranlassung gegeben hat, und jetzt zur Unterstützung
der oben aufgestellten Erfahrungen dienen kann. Da sic
interessant ist und manches Lehrreiche über die Verrich¬
tung des Rückenmarks enthält, so erlaubt sich Ref. sie in
aller Kürze mitzulheilen.
Das kranke Individuum litt von Jugend auf an einer
Krümmung des Riickgralhs. Im 34ten Jahre nahm die Be¬
wegungsfähigkeit der Arme ab, und es stellten sich in den
gekrümmten Rückenwirbeln von Zeit zu Zeit schmerzhafte
Empfindungen und eine Anschwellung ein. Ein Fall auf
diese schmerzhaften Stellen führte die gänzliche Unbrauch¬
barkeit der Arme herbei; die Muskeln der Ijäiule contrahirten
sich, die Krümmung der Wirbelsäule nahm täglich zu, all-
mählig stellten sich Respirationsbeschwerden ein, und eine
plötzliche Beklemmung der Brust nüthigte oft den Pa¬
tienten, des Nachts aufzuspringen, um Luft zu schöpfen.
Die intellectuellen Fähigkeiten blieben dabei unverletzt, und
während die Bewegungsfähigkeit in den oberen Gliedmaa-
fsen gänzlich wich, steigerte sich das Empfindungsvermögen
so, dafs jede Berührung dieser Theile schmerzhaft wurde;
in den unteren Extremitäten dauerten die Empfindung und
Bewegung stets ununterbrochen fort. Der Tod erfolgte
VIII. Zeitschriften.
249
durch allgemeine Abzehrung; in der rechten Lumbargcgend
fanden sich noch kurz vorher heftige Schmerzen ein. Bei
der Section fand man die Muskeln dieser Seite, besonders
den Psoas ganz erweicht; das Gehirn und verlängerte Mark
waren normal; in der Höhle des Rückenmarks und des Ge¬
hirns etwas Wasser.
Das Rückenmark zeigte vom verlängerten Mark an bis
zum Ursprünge des 4ten Halsnerven inclusive keine Ver¬
änderung ; von hier ab bis zum obern Drittheil der Regio
dorsalis , welcher Theil ungefähr 8 bis 9 Nerven aus sich
entspringen läfst, war die Substanz erweicht; der übrige
Theil unter dieser Stelle liefs keine Abnormität bemerken.
Nach gemachtem Einschnitt flofs eine flockige, aus Medul-
larsubstanz bestehende Flüssigkeit aus , und bei näherer
Untersuchung fand man in dem hinteren Theile des Marks
eine Höhle, die mit einem grauröthlichen Fluidum angefüllt
war, in welchem sich eine grofe Anzahl von zarten Blut-
gefäfsen darbot. Foderä fand nun bei näherer Untersu¬
chung dieses Präparats, welches Magendie auf bewahrt
hatte, dafs an der krankhaften Stelle die hinteren Stränge
des Rückenmarks ganz zerstört waren , so dafs an diesem
Orte die hinteren Wurzeln der Nerven mit dem Rücken-
marke nicht mehr in Verbindung standen. Ein gleicher
Defect zeigte sich an dem rechten vorderen Strange, der
in eine körnige Masse verwandelt war und an dieser Stelle
die Communication zwischen dem oberen Theile nicht mehr
unterhielt; auch der vordere linke Strang hatte durch die
Zerstörung schon gelitten und einen Theil seiner Substanz
eingebüfst; die vorderen Wurzeln der Nerven waren mit
diesem Theile aber noch in Verbindung. Auf diese Art
wurde die Continuität des Rückenmakes nur noch durch
den vordem linken Strang unterhalten. Von den Nerven
des Plexus brachialis wurde nach einer genauen Untersu¬
chung bemerkt, dafs die vordem Wurzeln atrophisch, die
hintern aber in ihrer Integrität waren.
Sehr leicht läfst sich nun nach Foderä in diesem
250
VIII. Zeitschriften.
Falle der Mange! an Bewegungsfähigkeit der oberen Extre¬
mitäten aus dem atrophischen Zustande der vorderen Wur¬
zeln erklären; unbegreiflich aber bleibt es dem Verb, wie es
möglich war, dafs hei einer so bedeutenden Zerstörung des
Rückenmarks in den oberen Extremitäten die Empfindung
Fortdauern, ja sogar gesteigert, und in den unteren Extrc-
täten sogar Empfindung und Bewegung vorhanden, sein
konnte. Magen die und Littre haben es an Erklärungen
über diese Erscheinung nicht fehlen lassen, die F. aber un¬
zureichend scheinen. Anderen Versuchen zufolge, deren
Mittheilung F. sich noch vorbehält, kann das Rückenmark
zur Hälfte und fast ganz durchschnitten werden, ohne dafs
die freiwillige Bewegung und Empfindung schwindet, wenn
nur eine kleine Stelle zur Verbindung noch übrig bleibt.
Geschieht eine solche Zerstörung und Unterbrechung all-
mählig, so ist es ihm wahrscheinlich, dafs, ohne eine Lei¬
tungsfähigkeit der Nervenhäute an der zerstörten Stelle des
Rückenmarkes nach Littre anzunehmen, seihst ein sehr
dünner Verbindungsast noch fähig ist, die empfangenen
Eindrücke fortzupflanzen und sowohl Empfindung als Be¬
wegung zu unterhalten, wie bei jenem Patienten an den
unteren Extremitäten bemerkt wurde. — Die Erklärung
des Umstandes, wie es möglich sein konnte, dafs die obem
Extremitäten die Empfindung noch wnhrnehmen liefsen, da
doch die hinteren Wurzeln der Nerven, welche sich in
jene Theile verbreiteten, mit dem Rückenmarke nicht
mehr in 'S erbindung standen, verspricht Foderä in der
Folge zu geben. Aus einigen vorläufigen Hindeutungen
über die Erklärung dieser Erscheinung scheint bervorzuge-
hen , dafs es der Verf. für möglich und wahrscheinlich hält,
es könnten die Nerven ohne Vermittelung von Seiten des
Gehirns und Rückenmarks die verschiedenen Thätigkcits-
äufscrungen in einander übergehen lassen.
Den ßcsehltifs dieses 3tcn Artikels macht eine weit-
%
läufige Untersuchung über die Priorität der Entdeckung
obiger Thatsachen aus, worin durch eine Reihe von Uita-
VIII» Zeitschriften.
251
ten bewiesen wird, dafs nicht Ch. Bell das Recht auf
diese Bereicherung der Physiologie des Gehirns und Rü¬
ckenmarkes sich zueignen könne, sondern dafs Magen die
es sei, der dies zuerst nachgewiesen habe.
R — r.
Journal der praktischen Heilkunde. Herausgege-
ben von C. W. Ilufeland und E. Osann. LX. Bd.
4. St. April 1825. Berlin, bei G. Reimer. 8. 128 S.
Geschichtliche und chemische Beiträge zur Kunde vorn
einzelnen Arzneimitteln aus dem Geschlecht Euphorbia, von
Dr. YYendt, Prof, zu Kopenhagen. Den zahlreichen Le¬
sern dieses Journals ist W endt’s dankenswerthes Bestre¬
ben, die Kenntnifs einzelner Heilmittel durch gründliche
und vielseitige Bearbeitung derselben zu befördern, aus des ¬
sen kürzlich erschienener Abhandlung über die Salepwur-
zel (1824 Februar) noch in frischem Andenken. Diie
Idee, die der gegenwärtigen zum Grunde liegt, ist die schon
zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts, lange vor Linn e
aufgekommene, dafs Pflanzen, die einander in der äufsern
Form gleichen, auch dieselben medicinischen Eigenschaften
haben. Sie zu bestätigen, ist wohl keine Gattung geeigne¬
ter als Euphorbia und die ihr verwandten Croton und Ri¬
cinus. Folgende Arzneistoffe werden nun vom Yerf. be¬
leuchtet, und ihre analogen Wirkungen anschaulich ge¬
macht: Gummi Euphorbium (E. officinarum L.); Eu¬
phorbia helioscopia L. , früher in Dänemark gegen
Wassersucht in Extractform sehr gebräuchlich; Eu¬
phorbia Lathyris L. , officinell gewesen unter dem
Namen Semina Cataputiae minoris; Croton Tiglium.
Die Kokkelskörner wurden schon im siebzehnten Jahr¬
hundert gebraucht, und auch die drastischen Eigenschaf¬
ten des, Crotonöls werden schon 1651 von Borelli er¬
wähnt. Das Neuere hierüber, das der Verf. , wie man
von ihm gewohnt ist, sehr vollständig mittheilt, setzen wir
252
\ III. Zeitschriften.
als bekannt voraus. Jatropba Curcas; «he drastischen
Samen dieser Pflanze, die bekanntlich von den Kokkelskör¬
nern sorgfältig zu unterscheiden sind, enthalten schon nach
Simon Pauli ’s Entdeckung ihren wirksamen Bestandteil
im Embryo. (S. dessen Quadripartitum de simplic. medica-
mentor. facult. Bostoch. , 40. 4.) Diese Entdeckung
war ganz in Vergessenheit geraten, so dafs sie von I)c-
ycux und Jussieu erst wieder von neuem gemacht wer¬
den mufste. — Ricinus communis, in den alten Phar-
macopüen Cataputia maior. Das Ricinus«"»!, bei den Alten
ein sehr gewöhnliches Mittel, kam erst wieder seit der Mitte
des vorigen Jahrhunderts in Gebrauch. Ueber seine ver-
« lächtjge Schärfe hat es nicht an mancherlei Erörterungen
gefehlt. Deyeux’s Entdeckung, dafs diese auch im Rici-
nussamen ihren Sitz im Embryo und der Pellicula habe, hat
cler Verf. vollkommen bestätigt gefunden. Schon der Ge¬
schmack beweist die Verschiedenheit der Bestandteile in
den Gotyledonen und dem Embryo nebst der Pellicula auf¬
fallend genug, noch mehr aber einige vom Verf. angesteilte
chemische Versuche, die ein vielseitiges Interesse darbicten.
Beitrag zur Kenntnifs des W iener Kinderkranken - In¬
stituts, u. s. w. von Dr. Brosius, Fortsetzung des im März
hefte d. J. mitgetheilten Aufsatzes. *) Sehr schätzbare
Aphorismen aus der reichen Erfahrung des Ilrn. Dr. Goe-
lis. Den Thrombus neonatorum am Kopfe ( Cephalaema-
il
die K
in -
toma) widerrät derselbe dringend zu öffnen, weil
der meistens danach sterben sollen. Er betupft ihn nur mit
Höllenstein, und die Heilung soll bald gelingen. Dein wi¬
dersprechen jedoch andere Kinderärzte, z. B. v. Siebold,
der mit gutem Erfolg den Kreuzschnitt und die (Kompres¬
sion anwendet. — Vieles Schwitzen, besonders am Kopfe,
ist eins der ersten Zeichen der R li a c h i t i s i n c i p i e n s.
Rhachitische Kinder haben eine eigentümliche Haltung der
Beine, wenn sie frei auf dem Rücken liegen: sie legen sie
nämlich kreuzweis übereinander, ziehen sie herauf, und neh¬
men so den Bauch zw ischen die Schenkel. Sie dursten sel¬
ten, auch dann nicht, wenn sie von einem inflammatorischen
Fieber, mit oder ohne topische Affection, befallen werilen.
Sie werden nie, o«ler äufserst selten wasserköpfig. Rubia
tinctorum hatte auch bei anhaltendem Gebrauche niemals
gute W irkung. (Sollic auch wohl ein anderer Grund zuui
Gebrauche dieser Wurzel aufgefordert haben, als dafs sie
die Knochen rot färbt? Man sollte dergleichen in der The- ^
rapie nicht gelten las'sen.) — Eine bedeutende lieber -
1) S. Bd. II. Nr. 39. S. 103 dieser Annalen.
VIII. Zeitschriften.
253
einander Schiebung der Kopfknochen bei Neitgebor-
nen ( Intcrcalatio ossium capitis) reponirt sich nicht, und
wird tö dt lieh. — Die chronische Spannung der
Haut (Cutis tensa chronica) ist meistens syphilitischer Na¬
tur. r) Sie giebt sich durch ein eigenes, glatt -rotli -glän¬
zendes Gespanntsein der Haut im Gesicht, vorzüglich um
den Mund herum, auch in den Handflächen, Fufssohlen und
zwischen den Schenkeln, und durch ein successives Härter¬
werden mit Zusammenschrumpfung zu erkennen. Es ent¬
stehen an diesen Stellen leicht Excoriationen und Verschwä¬
rungen. Calomel ist das einzige und specifische Mittel ge¬
gen diese Krankheit; oft bleiben noch lange folgen dersel¬
ben zurück, besonders Caries, und die Spuren des dage¬
wesenen Uebels sind gewöhnlich noch spät danach um den
Mund leicht zu erkennen. — Das blaue Fieber (Febris
coerulea) hat G. als eine selbstständige, nicht mit Morbus
coeruleus zu verwechselnde, acute Krankheitsform bei schlecht
gehaltenen Kindern .der ärmern Klasse, von 4 bis zu 12
Monaten, nie später, beobachtet. Die Krankheit kommt an¬
fallsweise, die Kinder werden plötzlich blau, die Respira¬
tion wird ängstlich, und der Puls klein, hart, krampfhaft,
wie denn auch das ganze Uebel, abgesehen von dem damit
verbundenen febrilischcn Zustande, hauptsächlich krampfhaf¬
ter Art ist. Der Anfall dauert einige Zeit, verschwindet,
und kommt wieder; nach und nach werden die Anfälle
häufiger, und fliefsen in einander; die Haut ist oft mit ei¬
nem klebrigen Schweifse bedeckt. Der dod erfolgt plötz¬
lich, und die Leichenöffnungen zeigen vorzüglich die Blut-
gefäfse von Blut strotzend. Krampfstillende Arzneien, be¬
sonders Liquor C. C. succ. haben sich wirksam bewiesen.. —
Wenn Kinder aus scrofulöser Dyskrasie hektisches Fie¬
ber bekommen, so kann man annehmen, dafs unter sieben
Fällen bei sechsen Hydroceplialus die Scene beschliefst. — *
Wenn die Masern während der Vaccine auftreten, so ver¬
laufen beide ungestört neben einander. — Wenn scrofu-
löse Kinder die Masern bekommen, so entsteht gewöhnlich
nachher ein lentescirendes Fieber. —
Aus den nun folgenden Notizen über das Hermanns¬
bad bei Muskau vom Geh. R. Dr. Ilermbstädt ergiebt
sich eine auffallende Aehnlichkeit des dort befindlichen Ba¬
deschlammes mit dem Marienbader Mineralmoor, die auch
analoge Wirkungen erwarten läfst. Die weitere Erörte¬
rung hierüber ersparen wir bis zum hoffentlich baldigen
1) Vergl. Bd. I. Nr. 31. S. 491 dieser Aimalcn.
254 IX. Dissertationen.
Erscheinen einer ausführlichen Schrift <les Verf. über diese
Heilquelle.
I)r. llofbauer bringt die Electric itat unter den
Gesichtspunkt eines Reizmittels, und entwirft demge¬
mäß ihre Indicationen nach den über die Reizung beste¬
henden Grundsätzen. Ihre Anwendung ist im Allgemeinen
in allen Krankheiten von asthenischem Cbaracter zulässig,
in denen sie neues Leben hervorbringt; schädlich dagegen
in allen sthenischen Krankheiten, bei grofser Empfindlich¬
keit, bei obwaltender Plethora und entzündlichen Leiden.
Zwei angehängte lesenswcrthe Beobachtungen beweisen die
grolse Wirksamkeit dieses Mittels gegen Lähmungen.
Hecker .
ix.
Dissertationen.
I. Der Uni versi tat Paris.
Memoire sur l’Acupuncture, suivi (Tune scrie d’oh-
servations recucillics sou les yeux de M. Jules Clo-
quet, par M. Morand, Docteur en Medecipe. A Pa¬
ris, chez Crevot, 1825. 4. pp. 56.
II r. M. hat die vdd seinem Lehrer, dem Hrn. J. Clo-
quet im llopital Saint-Louis gemachten Versuche und Er¬
fahrungen zum Gegenstände seiner Inaugural- Dissertation
gewählt. Sie unterscheidet sich von Pellctan’s in der
Revue xnedicale mitgetheilten Abhandlung ') durch eine
ausführlichere Beschreibung jener Versuche, und enthält
aufserdem noch 26 Fälle von Heilung schmerzhafter Uebel
durch die Acupunctur. Pelle tan ’s Aufsatz ist zu glei¬
cher Zeit besonders abgedruckt erschienen:
Notice sur l’Acupuncture, son Ilistoriquc, ses Ef¬
fets et sa Theorie, d’apres les experiences faites ä Phd-
pital Saint-Louis; par M. Pelletan fils, Medecin du
Roi, Prof, de la Faculte de Medecine de Paris, Cheva¬
lier etc. etc. (Lxtrait de la Revue medicale et Journal
de Clinique. Janvier, 1825.) A Paris et Montpellier
chez Gabon et Comp. 1825. 8. pp. 32.
H — r.
1 ) Vergl. Bd. II. Nr. 38. S. 91. dieser Annalen.
255
IX. Dissertationen.
II. Der Un iversität Würzburg.
Geschichte des ges ammten Medizinalwesens im
ehemaligen Fürstent hum W ü r z b u r g. Erste Ab¬
theilung, das Mittelalter und sechzehnte Jahrhundert dar¬
stellend. Non J o h. Bapt. Schar old, der ges. Heilk.
Doktor. Würzburg, in Comm. der Stahelscncn Buch-
handl., 1825. 8. 141 S.
Für die Geschichte der Medicin sind örtliche Schrif¬
ten dieser Art jederzeit ein grofser Gewinn. Sie machen
gewöhnlich noch unbenutzte Quellen zugänglich, und ver¬
vollständigen im Einzelnen das Ganze. Es wäre daher
Avünschenswerth, von jedem, für Medicin nur irgend wich¬
tigen Orte das medicinisch- Historische von wissenschaftli¬
chen Aerzten bearbeitet zu besitzen, indem dergleichen
Bruchstücke des Ganzen nicht genug vervielfältigt werden
können, und besonders sollten es sich alle medicinischen
Topographen zur Pflicht machen, der Geschichte in ihren
Werken einen eigenen Abschnitt zu widmen.
Hr. Dr. S. hat seine Aufgabe mit sorgfältiger Be¬
nutzung der schon von seinem Hrn. Vater grofscntheils zu¬
sammengetragenen Materialien auf eine sehr verdienstliche
Weise gelöst, und dadurch die Erwartung der zweiten Ab¬
theilung seines Werkchens angeregt, die die Geschichte
des Medicinalwesens in Würzhurg bis auf die neuesten
Zeiten fortgeführt, und in einem Anhänge die Lebensbe¬
schreibungen der berühmtesten Würzburgischen Aerzte ent¬
halten soll. Der historische Hintergrund, auf dem eine
solche Darstellung sich bewegen mufs, d. h. die Charaktere
der verschiedenen Zeitalter, verbunden mit zweckmäfsiger
Andeutung des Einflusses grofser Weitbegebenheiten, ist
von dem Verf. mit wahren Zügen entworfen, und das
Ganze gewährt von der Oertlichkeit WTürzburgs aus einen
treffenden Ueberhlick über die Eigenthümlichkeit des dun¬
keln Mittelalters und des sechzehnten Jahrhunderts., Der
Anfang alles medicinischen Unterrichts in Würzburg ver¬
liert sich nächst der frühem Mönchskultur, dem finstern
Gefäfs, in dem die Vorsehung den Geist des Alterthums
wie im VV interschlafe zu erhalten wufste, in den Zeiten
Kar Fs des Grofsen, der sich seihst in dieser Stadt oft
auf hielt, und denselben in seinen Domschulen, von denen
auch Würzburg eine besafs, ausdrücklich anordnete. Klö¬
sterliche Krankenverpflegung , Verbreitung des Aussatzes in
ganz Europa durch die Kreuzzüge, scholastische Philoso¬
phie, Astrologie, dies alles sind aus der allgemeinen Ge¬
schichte genugsam bekannte Gegenstände, die hier in Be- •
zug auf Würzburg mit einigen sehr zweckmäfsig einge-
256
IX. Dissertationen.
streuten Einzelheiten abgehandelt werden. Die Umstaltung
der Schule zu Würzburg in eine Universität mit vier Fa-
cultäten, durch den Bischoff Bert hold von Sternberg,
im Jahr 128-1, hatte unter ungünstigen Zeitumständen keine
erheblichen Folgen; die Schule blieb unbedeutend, wie vor¬
her. Eben so fruchtlos war ein zweiter Versuch des Pap¬
stes Bonifaz IX., dieser Schule den Bang und die Ein¬
richtung der Universität Bologna zu verleihen; neun Jahre
darauf zogen Lehrer und Schüler nach Erfurt. '1179 wurde
in Würzburg die erste Buchdruckerei angelegt, und zu Ende
dieses Jahrhunderts finden wir das Schrecken des veneri¬
schen Uebels auch über Franken verbreitet, worüber der
Verf. einige nicht unwichtige historische Notizen gesamjnelt hat.
Bemerkenswerth ist in dem zweiten Abschnitte, der
das sechzehnte Jahrhundert enthält, die vom Bischoff Lo¬
renz von Bibra 1505 gegebene, ziemlich vollständige
Medicinalordnung, aus der sich die Eigentümlichkeit des
Zeitalters deutlich genug zu erkennen giebt. Sic ist ein
Werk des mit Recht berühmten Polyhistoren und Arztes
Burkard von Ilorneck, der iu diesem Jahre als Leib¬
arzt des Bischoffs und Pbysicus nach Würzburg berufen
wurde. Gleichzeitig mit diesem Gelehrten besafs diese
Stadt den vielgenannten Theosophen Johann Trithcm,
den lir. S. durch einige aus seinen Schriften entlehnte
Aeufserungen von dem Verdachte «1er Alchvmisterei befreit.
Nicht weniger wichtig zur Beurteilung dieses Mannes ist
es seine XV orte zu lesen: «Astra nec sapientiam menti
nostrae confcrunt, nec aliquid in nos dominium habent.” —
XV ir übergehen jetzt die für das allgemeine medicinische
Treiben minder bedeutenden Angaben1 bis zu Ende des
sechzehnten Jahrhunderts, verherrlicht durch den Bischoff
Julius Echter von Mespelbrunn. Dieser unvergefs-
liche Mann gründete im J. 1576 — 79 das treffliche Hos¬
pital, das noch jetzt seinen Namen trägt, nachdem er 1573,
m seinem dreifsigsten Jahre zu seiner W ürde gelangt war.
1587 folgte hierauf die neue Begründung der Universität,
nicht ohne Widerstand eines kurzsichtigen Domkapitels.
X on dieser Zeit an erhob sich Würzburg mehr und mehr,
und hat in zwei Jahrhunderten so manches Erspriefsliche
für die XV issenschaft geleistet. Mögen die späten Nach¬
kommen nie vergessen, dafs sie so grofsc Milderung mensch¬
lichen Elends und intellectuelle Bildung dem segensreichen
XX irken eines Mannes zu verdanken haben, den die Ge¬
schichte mit Ehre nennt.
Mehrere historische Beilagen sind sehr werthvoll, und
wir bitten den V erf. der zweiten Abtheilung seines XX erk-
chcns dergleichen ebenfalls beizufügen.
Hecker.
Litt er arische Annalen
der
gesummten Heilkunde.
1825.
m 49.
I.
Geschichte einer Kranken,
der eine grofse Menge Nadeln ausgeschnitten
worden sind. Mitgetheilt von Dr. C. Otto
in Kopenhagen.
Es giebt zwar viele Beispiele, dafs Nadeln verschluckt,
und in verschiedenen Theilen des Körpers wieder er¬
schienen sind, theils rühren diese aber aus den Zeiten des
Aberglaubens und der Wundersucht her, theils fehlen uns
nähere Beschreibungen der Fälle. Diese Erzählungen
sind demnach entweder nicht zuverlässig, oder sie geben
nur eine höchst unvollkommene Auskunft. Dies gilt aber
durchaus nicht von der Krankengeschichte einer jungen
Jüdinn, die in Kopenhagen schon lange dadurch grofses
Aufsehen erregt hat, dafs ihr aus dem Körper eine unge¬
heure Menge Nadeln hervorgekommen sind. Da dieser Fall
gewifs einer der merkwürdigsten der neuern Zeit ist, und
die Wahrheit desselben keinem Zweifel unterliegen kann,
so freuen wir uns, einen genauen und vollständigen Bericht
darüber abstatten zu können. — Die unter dem Titel:
Observatio de Affectibus morbosis virginis Havnien-
sis, cui plurimae acus e variis corporis partibus
excisae et extractae sunt. Auctore J. D. Her¬
hol dt, Medicinae Doctore et Professore, proto-
medico Nosocomii regii Fridericiani, etc. Havniae
MDCCCXXII. 8. 44 pp.
erschienene Schrift, von dem Arzte, der die Kranke behan¬
delte, selbst abgefafst, wurde schon im Jahre 1821 der Kü-
II. Bd. 3. St. 17
258 I. Die Kopenhagener Nadelkranke.
niglichcn medicinisrhen Gesellschaft vorgclescn , und darauf
abgedruckt. Der Herr Verf. glaubte damals, dals die
Kranke schon geheilt wäre, leider sah er sich aber in sei¬
ner Hoffnung getauscht; der Zustand der Kranken ist seit
der Zeit eine Reihe neuer Leiden gewesen, und viele Na¬
deln sind noch seit der Bekanntmachung der Schrift aus¬
geschnitten worden; einige der neueren krankhaften Ver¬
änderungen wurden von dem Verfasser selbst in der Vor¬
rede, die im Jahr 1822 niedergeschrieben ist, mitgetheilt.
Indem wir hier einen Auszug der ganzen Krankengeschichte
liefern, wollen wir noch, da die Kranke unter unsern Au¬
gen lebt, und wir sie mehrmals selbst gesehen haben, den
Lesern der Annalen den späteren und gegenwärtigen Zu¬
stand der unglücklichen Kranken schildern.
Die Kranke, Rachel Hertz, hatte sich bis in ihr
] 4tes Jahr einer ziemlich guten Gesundheit orfreut; sie
war von zartem Körperbau, lebhaft und aufgeweckt; ihre
Menstruation hatte bereits begonnen. Erst den löten Au¬
gust 1807 kam sie unter die Behandlung des Hm. Profes¬
sor Herhol dt wiegen heftiger Kolikschmerzen , die indes¬
sen bald nach der Anwendung antiphlogistischer Mittel ver¬
schwanden. Sie war dann bis zuin 2-4ten November des¬
selben Jahres gesund, an welchem Tage sie von einer Ge¬
sichtsrose mit einem bedeutenden Fieber verbunden ergrif¬
fen wurde, die zwar in der gewöhnlichen Zeit verschwand,
aber in den nachfolgenden drei Monaten sehr häufig zu¬
rückkehrte. — Im März 1808 fing die Kranke an sehr
schwach und mager zu werden. Ihr Gesicht war hlafs,
blutlos und sehr hager, und viele Symptome zeigten sich,
die hysterischer Natur zu sein schienen, aber nicht den
gewöhnlichen antihysterischen Mitteln weichen wollten.
Vom Marz 1808 bis zu Ende Mai 1809 — in einem
Zeitraurfi von 14 Monaten — litt sie auf diese Weise
an den furchtbarsten und heftigsten Paroxysmen der Hyste¬
rie, bald mit Lipothymien, die oft so bedeutend waren, dafs
man sie todt glaubte, bald mit Convulsionen nnd epilepti-
I. Die Kopenhagens Nadclkranke. 259
sehen Anfällen, die von der äufsersten Heftigkeit waren,
bald mit heiterem Delirium, Sopor, Schluchzen u. s. w. Diese
letzten Symptome zeigten sich besonders vom März bis
zum Mai 1808. Bisweilen declamirte sie in den Anfällen
ihrer Raserei mit lauter Stimme und dem richtigsten Aus¬
druck, wie eine Gesunde, lange ausgezeichnete Stellen aus
Göthe’s, Schiller’s, Shakspeare’s und Oehlen-
schläger’s Schriften, und obgleich ihre Augen dabei ver
schlossen waren, begleitete sie doch die Declamation mit
einer passenden Geberdensprache. Am meisten aber raste
sie in einem wahrhaft fürchterlichen Grade; sie knirschte
mit den Zähnen, bifs, schlug mit den Füfsen und Händen,
liefs sich von niemandem halten oder zwingen, und störte
nicht allein ihre Hausgenossen , sondern auch die ganze
Nachbarschaft mit ihrem wilden Geschrei. Selten lag sie
in einem soporösen Zustande, aller Sinnen und Bewegungs-
fähigkeit beraubt, und kaum Athem schöpfend; plötzlich
kehrten dann die schrecklichen Krämpfe zurück. —
Den 20sten Mai gesellte sich noch ein heftiges, und ein
3 bis 4 Tage und Nächte anhaltendes Blutbrechen dazu,
das sich mit einem krampfigen Husten und Schluchzen, und
Ausleerung einer sehr stinkenden schwarzen Materie nach
unten verband. Dies hörte zwar am 24ten Mai auf; aber
alle die übrigen Symptome dauerten mit abwechselnder
Heftigkeit sieben Monate lang fort, und vergebens wurde
bald dieses, bald jenes Arzneimittel verordnet; nichts konnte
die Leiden der Kranken lindern, geschweige denn heilen. —
Vom 5ten Januar 1809 an schienen die Krämpfe besonders
den Unterleib zu ergreifen; sie klagte jetzt, besonders über
Uebelkeit, Bauchgrimmen, einen fixen Schmerz in der Ge¬
gend der Flexura coli sinistra, und eine unaussprechliche
Aengstlichkeit. Dazu kam endlich noch eine vollkommene
und hartnäckige Ischurie, die von den furchtbarsten Leiden
begleitet wurde. Die nächste Ursache dieser Symptome
wurde bald entdeckt. Die Untersuchung der angegriffenen
Theile liefs keinen Zweifel zurück, dafs eine krampfige
17*
260 I. Die Kopenhagens Nadelkranke*
Contraction des Mastdarms und der Harnröhre den Durch¬
gang verhinderte. Der Mastdarm war so ztisammenge-
schnürt, dafs er nicht einmal Blähungen durchliefs, und
kaum die Einführung der Röhre der Klystierspritze mög¬
lich war. Die Harnröhre war in ihrer ganzen Ausdehnung,
von ihrer Mündung bis an die Harnblase so eng, dafs nicht
nur kein Tropfen Urin ausflielsen, sondern auch die Bou^
gies und der (Katheter nur mit der grössten Schwierigkeit
eingeführt werden konnten. Mehrere Mittel, z. B. Kly-
stiere mit Laudanum , Halbbäder mit aromatischen Kräu¬
tern, warme Umschläge, Kräutersäcke u. s. w. leisteten gar
nichts; durch wiederholtes Aufgiefsen von kaltem Wasser
mit Essig auf den Unterleib wurde endlich der Krampf in
den Gedärmen, und damit der Ulavus und Globus hysteri-
cus in wenigen Tagen gehoben; aber die Ischurie dauerte
fort, und machte in einem Zeitraum von zwei Jahren
die tägliche sehr beschwerliche und schmerzhafte Anwen¬
dung des Katheters nothwendig.
Zu Anfang März 1809 begannen die hysterischen Sym¬
ptome unvermuthei schwächer und weniger häufig zu wer¬
den, so dafs die Kranke in einiger Zeit ruhiger wurde und
sogar zu schlafen im Stande war. Dies dauerte aber nicht
lange! Bald ging der Schlaf in Sopor über, der nach eini¬
gen Tagen so tief wurde, dafs ihn kein einziges Beizmittel
heben konnte. Die Unglückliche lag dann meistens bis
Mittag wie todt ohne Gefühl und Bewegung, mit einer sehr
schwachen und langsamen, bisweilen fast gänzlich aufgeho-
nen Respiration. Der Puls wrar zu gleicher Zeit so klein
und matt, dafs man ihn kaum fühlen konnte. Einige Stun¬
den nach Mittag ging der Sopor täglich in heftige Raserei
und furchtbare (Konvulsionen über, die wieder bis in die
Nacht fortdauerten. Man kann sich keine Lage schreckli¬
cher als die der Leidenden denken! Sie war weder des
Nachts noch des Tages ihrer bewufst, genofs ganze Wo¬
chen hindurch weder Speise noch Trank, und immer war
hr Leib verstopft, so dafs sie kaum alle acht Tage, und
I. Die Kopenhagcner Nadelkranke. 261
zwar ohne ihr Wissen f Oeffnung hatte. Die Anwendung
der vorzüglichsten Mittel blieb ohne allen Erfolg, und die
Aerzte mufsten alle als unthätige Zuschauer mit Schauder
Zeugen ihrer schrecklichen Lage sein. Endlich versuchte
sie der berühmte Callisen (den 13ten Mai 1809) durch
Schnupftaback, den er in ihre Nase brachte, aus ihrem so¬
porösen Zustande zu erwecken, und siehe! der Erfolg war
so günstig, dafs die Kranke unverzüglich ohne Niesen zu
sich selbst kam, und Gefühl und Bewegungsfähigkeit plötz¬
lich zurückkehrten! Sie klagte dann den übrigen Tag über
nichts, und war, obgleich matt, heiterer als je zuvor. Wäh¬
rend der acht folgenden Tage leistete der Taback dieselben
Dienste; aber es dauerte nicht lange, so wurde die Kranke
gegen dieses Reizmittel ganz unempfindlich, und der Sopor
wechselte wieder mit Convulsionen, Raserei u. s. w., und
in demselben Grade wie vorher, ab. — Indessen hatte
Hr. Prof. Herholdt bemerkt, dafs die Kranke schneller
zu sich gekommen war, wenn er während jener Versuche
mit dem Taback ihren Mund fest verschlossen hatte, als
wenn derselbe offen blieb. Diese Beobachtung führte ihn
weiter, und bald bemerkte er, dafs wenn er nur, auch
ohne den Gebrauch des Tabacks, INI und und Nase
der Kranken so fest mit der Hand verschlofs,
dafs der Zutritt der Luft für einige Augenblicke
verhindert würde, er im Stande war, jenen So¬
por, und bisweilen die darauf folgende convul-
sivische Raserei zu heben. • Ref. hat zu seinem Er¬
staunen selbst gesehen, wie Hr. Prof. Herholdt auf diese
Weise, durch Hemmung der Respiration, den furchtbarsten
Convulsionen ein Ziel setzte. Das Erwecken aus. dem so¬
porösen Zustande geschah leicht, und immer in folgender
Ordnung. Nachdem die Respiration gänzlich aufgehoben
worden war, blieb die Kranke erst ganz ruhig liegen; dann
w urden Anstrengungen im Zwerchfell und in den übrigen
Respirationsmuskeln bemerkbar ; die Kranke streckte die
Beine kräftig aus; führte die Hände gegen das Gesicht;
262 I. Die Kopcnhagener NaJelkranke*
und wenn dann die Hand vom Munde und von der Nase
weggenonunen wurde, erwachte sie, gähnte, hatte ihr Be¬
wußtsein wieder, und war ganz einer Gesunden ähnlich,
bis sie ein neuer Anfall ergriff. — Das Erwecken aus der
Raserei war aber anders, und weit beschwerlicher. Sobald
nämlich die Hand durch Zuschtiefsen des Mundes und der
ISase die Respiration hinderte, erreichte die Raserei den
allerfurchtbarsten Grad; wie verzweifelnd und sich vor dem
Ersticken fürchtend warf sich die Kranke gewaltsam hin und
her, und war kaum zu halten; gelang es aber Hrn. Prof.
Herholdt das Athemholen gänzlich zu unterdrücken, so
nahmen die wilden und ungestümen Bewegungen immer
ab; die früher contrahirten, steifen Glieder erschlafften
und streckten sich allmählich aus, und die Kranke erwachte
wie aus einem Schlafe; sie hatte dann während des Paro-
xysmus nichts gefühlt oder gehört, und klagte über nichts
mehr. — Hr. Prof. Herholdt konnte aber durch diesen
Kunstgriff den Amfall nur auf einzelne Stunden heben,
und die Rückkehr desselben nicht verhüten. Die obener¬
wähnten Symptome dauerten in Verbindung mit der hart¬
näckigen Ischurie mit verdoppelter Heftigkeit 19 Monate
lang, nämlich vom 18ten Mai 1809 bis zum 8ten Decem-
be# 1810, fort. In diesem Zeiträume wurde Hr. Prof.
Herholdt bald bei Nacht, bald bei Tage gerufen, um ein¬
zelnen Anfällen durch jenen Kunstgriff ein Ende zu ma¬
chen, und da er im Juli 1809 selbst krank lag, so fuhr die
Kranke während 6 ganzer Tage und Nächte fort zu rasen
und auf die schrecklichste Weise zu toben. Wenn sie
aber während dieser ganzen Zeit auf die beschriebene Art
des Morgens erweckt, und des Abends katheterisirt wurde;
so war sie ruhig und zufrieden, und konnte sich mit ihren
weiblichen Arbeiten beschäftigen. Sie afs dabei sehr we¬
nig, und trank meistens nur kaltes Wasser. Alle verord-
ncten Arzneien fruchteten aber nichts, und es äufserte sich
gegen dieselben eine große Unempfindlichkeit; die Kranke
nahm z. B. 18 Gran Opium in einem Zeiträume von 6
I. Die Kopenhagener Nadelkranke. 263
Stunden ohne den geringsten Erfolg, 16 Gran Brechwein-
stein in 2 Stunden ohne die geringste Ausleerung; spani¬
sche Fliegenpilaster erregten ihr keinen Schmerz; und eis¬
kalte Umschläge auf die Geschlechtstheile vertrug sie ohne
eine Miene zu verziehen.
Zu Ende November 1810 wurde sie plötzlich von ei¬
ner solchen Schwäche befallen, dafs sie in 8 Tagen wie
sterbend, mit leichenblassem Gesichte, starkem Schweifse
über den ganzen Leib und kalten Extremitäten, darnieder
lag. Der Versuch mit der Hemmung der Respiration blieb
ohne Erfolg, das Hinunterschluc^en sehr schwierig; der
Puls kaum zu fühlen; die Respiration langsam, bisweilen
seufzend; der Leih blieb hartnäckig verstopft; die Urinab¬
sonderung so unterdrückt, dafs nicht ein Tropfen während
6 ganzer Tage gelassen wurde; und die Kranke genofs in
der ganzen Zeit nicht das Geringste. — Aber sie erholte
sich dennoch wieder; einige Fieberbewegungen lösten die¬
sen Zustand; eine vermehrte Transpiration und Harnabson¬
derung erfolgte am 9ten Tage, und nach dieser Krise bes¬
serte sie sich täglich zusehends, so dafs sie fast nur über
Unvermögen auf der linken Seite zu liegen klagte.
In den zwei folgenden Jahren erfreute sie sich
einer ungestörten Gesundheit. Im April 1813 hatte sie
die Masern, aber überstand sie leicht; im Juli desselben
Jahres wurde sie wieder von einem nachlassenden Fieber
mit krampfigem Husten, und vom August an mit Bluter¬
brechen verbunden, ergriffen. Die Schmerzen waren dabei
doch nicht so bedeutend, und sie erbrach nur wenig Blut.
Kühlende vegetabilische Mittel linderten das Erbrechen und
hemmten es zu Anfang November ganz. Von dieser Zeit
an bis zum 13ten Januar 1814 befand sie sich wieder wohl.
An diesem Tage zeigte sich mitten auf dem linken
Schenkel ein sehr grofser Carbunkel, der indessen, obgleich
heftige Schmerzen erregend, nach einem starken Eitercr-
gusse den 20ten Mai 1814 durch die gewöhnlichen Mittel
glücklich geheilt wurde.
204 I. Die Kopenhagener Nadclkranke.
Vom Mai 1814 befand sie sich zwei ganze Jahre
hindurch ziemlich wohl; aber zu Ende Mai 1816 bekam
sic aufs neue Fieberbewegungen und heftige anhaltende
Schmerzen im Unterleib«, besonders im linken Ilypochon-
drium ; hierzu kam ein Bluterbrechen, wodurch eine nicht
unbedeutende Menge Blut ausgelcert wurde. Dieser Zu¬
stand dauerte vier Monate, nämlich vom Mai bis zum
September 1816. Dann erholte sie sich wieder und schien
sich jetzt drei Jahre hindurch ziemlich wohl zu befinden.
Den 8ten Januar 1819 entstanden wieder sehr heftige
Kolikschmerzen mit Schluchzen, Fieber, Blutbrechen und
Ausleerung einer stinkenden schwarzen Materie nach unten.
Dieser Zustand trotzte allen Arzneien, und die Kranke
wurde daher zuletzt so entkräftet und matt, dafs keine
Rettung länger zu hoffen schien. Den 2ten Februar (1819)
lag sie so erschöpft und regungslos, dafs eine genauere
Untersuchung des Unterleibes angestellt werden konnte.
F.s wurde dabei eine harte, und in drei Lappen getheilte
Geschwulst unter dem Nabel entdeckt. Dagegen ange¬
wandte erweichende Umschläge waren ohne Erfolg, und
da der Zustand der Unglücklichen derselbe bis zum 12ten
Februar blieb, sie dann von einem kalten Schweifse bedeckt
und mit kalten Extremitäten darnieder lag und der Tod
unvermeidlich zu sein schien, so entschlofs sich Hr. Prof.
Herholdt das letzte, obgleich sehr ungewisse Mittel zu
versuchen, nämlich jene Geschwulst durch eine kühne Inci-
sion zu öffnen. Er schnitt einen Zoll tief; kein Eiter und
nur ein wenig Blut flofs aus der Wunde. Indem er aber
danach die Tiefe derselben mit einer Sonde untersuchte,
Stiels er auf einen harten, wie metallischen Körper, und
zog mit einer Pincettc zu seinem grofsen Er¬
staunen eine Nähnadel aus! — Alle Symptome wur¬
den dadurch gemildert; aber bald vermehrten sich die
Schmerzen wieder, und abermals mit Schluchzen, Blutbre¬
chen u. s. w. Die Geschwulst wurde aufs neue untersucht,
und eine kleine Stelle in der Unken Lumbargegend ent-
I. Die Kopenhagener Nadelkranke. 265
deckt, deren Berührung der Kranken die heftigsten Schmer¬
zen verursachte. Es wurde daher auch hier den 15ten Fe¬
bruar ein Einschnitt gemacht, und wieder dadurch — eine
schwarze und oxydirte Nadel ausgezogen. — Auf diese
Weise fuhren in 18 Monaten (vom 12ten Februar 1819
bis lOten August 1820) Schmerzen in verschiedenen Th ei¬
len des Körpers fort, die Gegenwart von tiefsitzenden Na-
dein zu verrathen, so dafs in dieser ganzen
Zeit
295 Na-
dein ausgeschnitten wurden! Nämlich:
Aus der linken Brust .....
22
Zwischen den Brüsten
14
Aus der Regio epigastrica . . .
41
— — - — - hypochondriaca sinistra
19
— — — — dextra
20
— der Nabelgegend
31
— der linken Lumbargegend . ,
39
— der rechten Lumbargegend .
17
Aus der Regio hypogastrica
14
— — — iliaca dextra
23
— — — — sinistra
27
Aus dem linken Schenkel . . .
3
— — rechten Schenkel .
23
Zwischen den Schultern
*
1
Unter der linken Schulter . .
•
1
Zusammen 295.
• ’ ' - ‘ ‘ , t i
Mehrere dieser Nadeln waren in Stücke zerbrochen, einige
ohne Spitzen, andere ohne Oehre; sie waren von verschie¬
dener Dicke, doch die meisten sehr fein; drei messingene
hatten ihren Glanz behalten , aber alle übrigen waren
schwarz und oxydirt; nur eine Haarnadel befand sich darun¬
ter. Sie wurden nicht alle auf einmal, sondern in Zwi¬
schenräumen von mehreren Tagen, Wochen, und bisweilen
Monaten ausgeschnitten. In diesen Zwischenräumen war
die Kranke ziemlich wohl und klagte nur über geringe
Schmerzen im Unterleibe; ihrer Mattigkeit wegen war sie
‘266 I. Die Kopenhagener Nadelkranke.
aber immer genüthigt das Bett zu hüten. Sobald aber
die Nadeln sich der Ilautoberfläcbe näherten, entstand stets
der heftigste Schmerz, von Fieber, Schluchzen und Blut-
brechen begleitet; nicht selten dauerten diese Leiden meh¬
rere Tage, ehe sie die Stelle, wo die Nadel steckte, an/.u-
deuten im Stande war, und Hr. Prof. Herboldt war da¬
durch oft genöthigt, tief in die Haut einzuschneiden, um
di« Nadel zu finden und der Kranken Linderung zu ver¬
schaffen; oft war dieser Versuch ohne Erfolg, und, nach¬
dem er vergebens nach der Nadel gesucht hatte, mufstc er
mehrere Tage warten, bis diese entweder von selbst sich
in der Wunde zeigte, oder sich beim Betasten verrieth.
Die Einschnitte mnfsten nach der verschiedenen Lage der
Nadeln auf verschiedene Weise geschehen. Nur einmal ver¬
suchte Hr. Prof. Her hol dt ohne Einschnitt mit den Fin-
• • • • 0 i ll " . * 1 r '
gern eine Nadel durch die Haut der erschlafften Brust aus¬
zuziehen, aber die Nadel zerbrach, und mulste nach vor¬
gängigen zwei Einschnitten in Stücken ausgezogen werden.
Nur viermal erfolgte eine bedeutende Blutung; aber nicht
ein einziges Mal entstand Eiterung.
Die Kranke ertrug diese Leiden mit bewundernswür¬
diger Geduld bis zum Januar 1820, wo ihre Mutter einen
apoplectischcn Anfall erlitt, der sie in Schrecken und tie-
firn Gram versetzte, wonach sie erst im rechten, dann im
linken Arm, und zuletzt über den ganzen Körper, den
Kopf ausgenommen, paralytisch wurde, und weder durch
Worte noch durch Geber den im Stande war die Stellen
zu zeigen, wo die Nadeln ihr Schmerzen verursachten.
Nach 5 Tagen kehrte indessen die Stimme zurück, und
nach dem lOten August (1820), seit welchem Tage keine
Nadel sich mehr gezeigt hatte, nahmen die Leibscbmer-
zen und alle damit verbundenen Symptome ab. Nach
der Anwendung von krampfstillenden und stärkenden Mit¬
teln, kalten Bädern, spanischen Fliegen, verschiedenen Li¬
nimenten u. s. w. schien sich jetzt alles zu bessern; die
Lähmung verschwand, und hü zum 8ten Marz 1621 sdueu
L Die Kopenhagener Nadelkranke. 267
sich die Kranke vollkommen erholt zu haben. Keine Na¬
del hatte sich in einem halben Jahre gezeigt; alle Wunden
waren vernarbt; die Kranke ging wieder aus, und Hr. Prof.
Herholdt glaubte sich berechtigt sie für vollkommen ge¬
sund anzusehen. —
So standen die Sachen, als (den 8ten März 1821) die¬
ser Arzt jene Krankengeschichte der Königlichen medicini-
nischen Gesellschaft in Kopenhagen vorlas! Ehe sie aber
die Presse verlassen hatte, änderte sich wiederum die
Scene. — Die Vorrede obengenannter Schrift (I — XI)
theilt diese Veränderungen und die neuen Leiden der Kran¬
ken bis zum lOten Juli 1822 mit.
Im Mai (1821) zeigte sich eine sehr schmerzhafte Ge¬
schwulst in der rechten Achselhöhle, die allmählig zunahm
und der Kranken so heftige Leiden verursachte, dafs ihr
Leben wieder in Gefahr gerieth; denn diese Geschwulst
enthielt (wie der Arzt nachher erfuhr) eine so grofse
Menge Nadeln, dafs vom 26ten Mai bis zum lOten Juli
1822 aus dem ganzen Umfange der Schulter mehr als
100 derselben ausgeschnitten wurden, die also mit
den 295, die schon früher aus ihrer Haut hervorgekommen
sind, eine Zahl von mehr als 395 ausmachen!
Zu diesem beklagenswerthen Zustande gesellte sich seit
Mitte Mai eine vollkommene Ischurie, die bis zum
4ten Juli immer fortdauerte, und den Arzt nöthigte, alle
Tage einmal, oder sogar öfters durch Hülfe der Kunst die
Unglückliche von dem Urin zu befreien. Den 5ten Juli
fing der Urin endlich an zu fliessen, aber die Urinabson-
derung wurde danach so bedeutend, dafs sie zuletzt in
einen wahren Diabetes insipidus überging. Ob¬
gleich dieses Symptom als ein sehr übeles prognostisches
Zeichen anzusehen war, so beunruhigte es doch nicht so
sehr, so lange die Kranke im Stande war selbst zu urini-
rcn. Aber ihr Elend hatte noch nicht sein Ziel erreicht!
Denn den 4ten October gesellte sich zu der, damals schon
sehr bedeutenden, Harnruhr aufs neue die Ischurie, die
268 I, Die Kopenhagens Nadelkrankc-
bald darauf so hartnäckig wurde, dafs die Kranke nicht
einen Tropfen zu uriniren vermochte. I)a nun aber die
Anwendung des Katheters auf diese Weise immer fortge¬
setzt. werden mufste, so wurde die Leidende der Bequem¬
lichkeit wegen ins Königliche Friedrichshospital gebracht.
Kndlich entstand im Januar 1822 noch ein neues, und
eben so gefährliches Uebel. Die Mündung der Mutter¬
scheide wurde so krampfhaft zusammenge-
schnürt, dafs die inneren Geschlechtstheile kaum mit ei¬
ner Sonde untersucht werden konnten; und da jetzt auch
hinter dieser Constriction Tag und Nacht sich eine urin-
ähnliche Flüssigkeit in der Mütterscheide secernirte, die,
wenn sie nicht mehrere Male des Tages durch den Kathe¬
ter weggenommen wurde, die furchtbarsten Leiden verur¬
sachte, so kann man sich daraus von dem schrecklichen Zu¬
stand der Kranken eine Vorstellung machen.
Ilr. Prof. Ilerholdt theilt das Verhältnifs des genos¬
senen Getränks zu der Menge des Urins in diesem Zeit¬
räume mit. Von Anfang Februar bis zu Ende Juni 1822
(also in einem Zeitraum von 151 Tagen) verbrauchte
nämlich die Kranke ungefähr 2020 Unzen, oder 126 Pfund
(besonders Wasser); und in derselben Zeit wurden durch
den Katheter weggenommen
Aus der Urinblase 326 Pfund
Aus der Mutterscheide 52!) — 1 *♦
(j 855 Pfund. .
Ein doppelter Diabetes (vaginalis nämlich und vesi-
calis) war also mit einer doppelten Ischurie verbun¬
den! — Hr. Prof. Herholdt gesteht, dafs er sich diese
grofse Menge von ausgeleerter Flüssigkeit nicht zu erklä¬
ren w'isse. Die Kranke war zu Anfang Februar so hager,
dafs sie nur 120 Pfund wog; von dieser Zeit bis Ende
Juni gab sie 855 Pfund von sich; hatte nur 126 Pfund
genossen, und hatte doch zu Ende dieses Zeitraums kaum
16 Pfund von ihrem Gewichte verloren! Woher sind also
I. Die Kopenhagener Nadelkranke. 269
die übrigen 713 Pfund gekommen? Am nächsten liegt es
offenbar, mit Hrn. Prof. Herholdt eine krankhafte Auf¬
nahme wässeriger Theile aus der Atmosphäre durch die
Lungen anzunehmen. '
Eine andere Frage ist noch, ob diese diabetische Flüs¬
sigkeit, die aus der Mutterscheide und aus der Blase ausge¬
leert wurde, aus einer Quelle, von den Nieren nämlich,
kam? Eine Transsudation durch die Wände der Urinblase
findet Ilr. Prof. Herholdt nicht wahrscheinlich; denn die
Betentio urinae in der Blase wurde nicht gehoben, wenn
die in der Mutterscheide enthaltene Flüssigkeit ausgeleert
wurde, eben so wenig wie dieser Liquor vaginalis durch Be¬
freiung der Blase von dem Harn verschwand; diese beiden
Flüssigkeiten waren ohnedies sehr verschieden; der Liquor
vaginalis war nämlich trübe, schleimig, grünlich und stin¬
kend; der Liquor vesicalis dagegen klar, hell, durchsichtig,
nicht so übelriechend; und endlich zeigte eine sorgfältige
Analyse beider Flüssigkeiten, dafs der Liquor vaginalis zwar
Harnstoff, aber keine Harnsäure, der Liquor vesicalis dage¬
gen beides enthielt. Ilr. Prof. Herholdt schliefst daher,
dafs die Flüssigkeit in der Mutterscheide nicht aus den
Nieren kam, sondern in den innern Geschlechtstheilen ab¬
gesondert wurde; aus welchem Organ jedoch, wagt er
nicht zu bestimmen. (Ein anderer dänischer Arzt, Herr
Professor Klingberg, hat nachher die Meinung geäufsert,
dafs vielleicht eine Verbindung zwischen den Ureteren und
der Gebärmutter oder der Mutterscheide statt gefunden
habe, dafs dadurch ein Theil des in den Nieren abgeson¬
derten Harns in die Mutterscheide gedrungen sei, durch
seine Schärfe den Kanal gereizt, und dadurch die heftige
krampfhafte Contraction der Mündung hervorgebracht habe;
eine Meinung, für die die Gegenwart so vieler Nadeln im
Körper, die eine solche Verletzung leicht verursacht haben
konnten, besonders spricht.)
So weit geht der Bericht des Hrn. Prof. Herholdt,
und so war der Zustand unserer Kranken im Juli 1822.
270 I. Die Kopcnhagener Natlclkrankev
Die Kranke ließt nöch in Hem Fr!fdrirh**pi£tle »mH ihre
Leiden haben noch nicht aufgebört, sondern sich vielmehr
vervielfältigt. Ich habe sie selbst öfters beobachtet, ich
habe gesehen, wie sie aus der Retention des Wassers in
der Mutterscheide und in der Urinblase pünktlich Morgens
10 £ und Abends Uhr in die heftigsten Convulsionen
mit einem solchen Toben und Heulen verfiel, dafs sie int
ganzen Spttale gehört werden konnte, und wie der Prof.
H erholdt dann gleich, auf die obenerwähnte Art, durch
das Verschliefsen ihres Mundes und ihrer Nasenlöcher mit
seiner Iland, diesem Anfälle ein Zriel setzte, und sie danach
durch den Katheter von dem Wasser befreite, das in unge¬
heurer Menge hei Nacht und bei Tage sich a »gesammelt
hatte. Ks ist ein merkwürdiger Umstand, dafs die Kranke
in den ruhigeren Zwischenräumen ihrer Leiden von selbst
die lateinische Sprache erlernt, und es darin endlich so
weit gebracht hat, dafs sie im Stande ist einen fehlerfreien
Aufsatz zu schreiben, und daher auch in der letzten Zeit
ihr Kranken journal selbst lateinisch abgefafst und mehreres
für ihren Arzt richtig und schön abgeschrieben hat —
Durch die Güte des Ilrn. Prof. H erholdt bin ich
im Stande, hier den gegenwärtigen Zustand unserer merk¬
würdigen Kranken hinzuzufiigen. — Der Diabetes vesica-
lis und vaginalis dauert noch fort, und immer mit hart¬
näckiger Verstopfung beider Mündungen; der Katheter ist
auf diese Art alle Tage zweimal nothweodig; zwei Quart
(Potter) Wasser werden dadurch jedesmal ausgeleert, und
die Quantität dieser Ausleerung übertrifft Zwanzigmal die
des genossenen Getränkes. (Vom lsten Juli 18*22 znm
löten December 18*23 betrug dieser Ueberschufs der abge¬
gangenen Flüssigkeit gegen das Getränk 4878 Pfund, mul
doch hatte der Körper der Kranken nicht mehr als unge¬
fähr 12 Pfund am Gewicht verloren.) ‘) Ls sind jetzt
1) Zu dem Diabetes bat sich kürzlich das merkwürdige
Phänomen zugesellt, dafs wenn der Harn durch den Katheter
I. Die Kopenhagener Nadelkranke. 271
ungefähr 400 Nadeln im Ganzen aus den verschiedenen
Theilen des Körpers ausgeschnitten worden, und eine
furchtbare Menge Narben entstellen daher die Kranke; in
der späteren Zeit haben sich aber lange keine Nadeln ge¬
zeigt, und man darf wohl die Hoffnung hegen, dafs jetzt
alle hervorgekommen sind. Der Mastdarm ist immer
krampfhaft zusammengezogen; die Kranke hat über
ein Vierteljahr keine Oeffnung gehabt; sie bricht
alles aus, was sie geniefst und am Ende des Erbrechens
mit wahren Excrementen vermischt; sie will daher nichts
essen oder trinken, und ihr Magen verträgt nur kaltes
Wasser, das sie in der letzten Zeit allein erhalten zu haben
scheint. Dabei sind beide Schenkel und der rechte Arm
gelähmt; eine w'ahre Glossoplegie hat sich eingefunden, so
dafs die Kranke ganz stumm und beinahe nicht im Stande
ist das Erbrochene auszuwerfen. Ihre Reizbarkeit ist aber
nichtsdestoweniger so gesteigert, dafs der Prof. Herhoidt
versichert, dafs sie in anderthalb Jahren kaum
ejnmal eigentlich geschlafen habe. Dafs sie dabei
mehr einem Todtenbilde ähnlich geworden ist, ist ganz na¬
türlich, aber ihr Gesicht bleibt doch noch immer lebhaft;
sie beschäftigt sich besonders des Nachts, indem sie nicht
schlafen kann, mit Lesen und Schreiben, und vor nicht
länger als einem halben Jahre hat sie ihrem Arzte zu sei¬
nem Geburtstage in einem lateinischen Briefe Glück ge
wünscht. Schon längst hat man ihren Tod erwartet; sie
selbst glaubt aber noch stets geheilt werden zu können.
Dies ist die Geschichte einer der merkwürdigsten Kran¬
ken, die wohl je existirt haben: sowohl das Phänomen mit
den 400 Nadeln, als die so langen, mannigfaltigen und
complicirten Leiden der Unglücklichen und ihre alles er-
aus der Blase entleert wird, zuletzt wahre Luftblasen
kommen; wovon sich Hr. Prof. Herhoidt oft überzeugt hat,
wenn er den Katheter unter die Oberfläche der Flüssigkeit hielt.
Er ist willens diese Luft einer Analyse zu unterwerfen.
272 II. Beobachtungen Uber den OttCrbifs.
tragende Geduld sind hierbei erstaunenswert!). Wie die
Nadeln in ihren Leib gekommen sind, wci£s weder die
Kranke selbst, noch ihr Arzt; wahrschein licherweise hat sie
aber ganze Quantitäten von Nadeln, unter Anfällen von
Convulsionen früher hinuntergeschluckt, und das Erscheinen
derselben in den verschiedenen Theilen des Körpers erklärt
sich, wie in den analogen Fällen. Für die Wahrheit des
Falles bürgt aber der Name des berühmten achtungswer-
then Arztes; dafür bürgen die 36 Aerzte, deren Namen
derselbe in der Vorrede seiner Schrift angeführt hat, und
die bei den verschiedenen Extractionen der Nadeln zugegen
gewesen sind; jedermann in Kopenhagen kann, wenn er
noch zweifelt, die Kranke besuchen, und sich von der
Sache selbst überzeugen.
Beobachtungen über den Otterbifs,
von
Dr. Fr. Aug. AVagener,
Physicns des Schweinitzcr Kreises im Hcrzogthura Sachsen und
pract. Arzte in Schlichen. *)
Im Monat August 1822 ging die gesunde und gegen
vierzig Jahre alte Ehefrau des Häuslers Knuppc in Ilo,
einem )orfc bei Dahme im Jiiterbogker , zum Potsdammer
Regierungsbezirk gehörigen Kreise, in den unweit des ge¬
dachten Dorfes gelegenen sumpfigen Busch, voll alter
Stämme und Mooshügel, um sich einiges Viehfutter zu ver¬
schaffen. Dabei stach sie, ihrer Angabe nach, etwas in
den einen Zeh, worauf der ganze Fufs bald bis zum Leibe
hinauf sehr stark anschwoll, so wie gelähmt und mit gel¬
ben Blasen besetzt wurde.
1 ) Vcrgl. Bd. 1. Nr. 4. S. 64.
% Wh
(Ht'Schlufs folgt.)
Litten arische Annalen
> 5 - ; ’ der ■ .'■! i' n v \
gesammten Heilkunde.
flo 50. ,
Beobachtungen über den Otterbifs,
von
Dr. Fr. Aug. Wagner.
(ß es eh l u f s. )
Der ganz unbedeutenden Verletzung wegen wurde dieser
Zufall von ihren Angehörigen nicht sehr berücksichtigt und
ihren Klagen wenig Glauben beigemessen, da besonders
der Otterbifs in der ganzen Gegend nur äufserst selten
\orkommt, also auch daran nicht gedacht wurde. Als in¬
dessen die Zufälle den andern Tag immer mehr Zunahmen,
der Leib selbst vom , der Geschwulst ergriffen wurde und
sich grofse Angst, Unruhe und Nasenbluten hinzugesellten,
so erfüllte man den Wunsch der Kranken, schickte nach
Dahme, und liefs den Dr. Wust and daselbst bitten sie
zu besuchen, worauf man wieder seinen Geschäften nach¬
ging, die Kranke unbesorgt allein liefs, und nur von
Zeit zu Zeit nach ihr sah. Einige Stunden darauf fand
man sie indessen, noch ehe der gedachte Arzt eingetroffen
war, todt im Bette, und bemerkte, dafs der Leichnam sehr
schnell in Fäulnifs überging. r)
1) Weil man in diesem Falle zuvörderst auf den Gedan¬
ken kam, dafs sich ein feiner Dorn eingestoehen haben könnte,
so wurde die Bifsstelle bald nachher genau besichtigt und mit
einer Nadel untersucht, allein man fand nicht die geringste Ver¬
letzung, wohl aber einen rothen Kreis um die Stelle,.
18
1825.
QjtP1
II. Ed. 3. St.
'274 II. Beobachtungen Uber den Otterbifs.
Der noch lebende Auszügler Scho Ibach zu Ma-
litzschkcndorf im Schweinitzer Kreise des Herzogthums
Sachsen, hatte vor mehreren Jahren das Unglück, als er
in einem Bruche unweit gedachten Dorfes barfufs von ei¬
ner Kaupe zur andern sprang, von einer Otter auf den
Rücken des linken Fufses gebissen zu werden, worauf er
das Thier sich schnell entfernen sah. Das mir von ihm
geschilderte, dabei wahrgenommene Gefühl war, als würde
er durch feines Gedörn kneifend geritzt, worauf sofort
brennender Schmerz eintrat. Sogleich sprang er in einen
nahe dabei befindlichen moorigen W assergraben bis an das
Knie, rieb darin seine Wunde mit Moor und W asser
aus, und legte nachher eine Binde über dem Knöchel um.
Dennoch schwoll der Fufs schnell an und die Geschwulst
überstieg bald die Binde. Darauf folgte bald Gefühllosigkeit
und Erstarren des ganzen Gliedes. Den andern J ag hatte
die Geschwmlst schon den Oberschenkel ergriffen und der
ganze Fufs ein blaurothes Ansehn. Zeichen allgemeiner
Mittheilung blieben indefs ganz aus; denn der Kranke be¬
fand sich, aufser dem Gefühl, einen völlig abgestorbenen
und zum Gehen ganz unbrauchbaren Fufs zu schleppen,
vollkommen wohl. Das Einlegen des ganzen Fufses in
warme Milch und das nachherige Umschlagen derselben,
so wie schweifstreibende Hausmittel, mitunter etwas Mi-
thridat, worauf starke Hautausdünsturtg erfolgte, stellten
den Kranken in 15 Tagen, ohne alle ärztliche Hülfe, einige
Schröpfköpfe, die ein Barbier dabei ansetzte, abgerechnet,
völlig her.
Hierbei erlaube ich mir zu bemerken, dafs einer mei¬
ner Kranken, Georg Kutzsch im Dorfe Jesnig, Schwei-
nitzschen Kreises, den ich vor einigen Jahren an Otterbifs
mit glücklichem Erfolge behandelt habe, bei sonst vollkom¬
mener Gesundheit von da an bis auf diese Stunde, ein ei¬
genes Falschgefühl behalten hat, welches darin besteht, dafs
er seit dieser Zeit Kälte und W arme nicht zu unterschei¬
den weifs, sondern im strengen W inter wie im wärmsten
$
III. Monographie der Schlangen am Rom. 275
Sommer immer Frost empfindet, und sich daher von an-
dern unterrichten lassen mufs, wenn er wissen will, ob es
warm oder kalt ist; nur wenn er durch anhaltende schwere
Arbeit in Schweifs geräth, weicht dies Falschgefühl, so
lange dieser andauert.
III.
Monografia de' Serpenti di Roma e snoi
contorni, del Professore Luigi Metaxä.
Roma, presso de Romanis, 1823. 4. IV. 48 pp.
c. 1. tav.
Rec. hofft, dafs es den Lesern dieser Annalen nicht
unangenehm sein werde , eine umständlichere Uebersicht
der vorliegenden interessanten Schrift zu erhalten. Bei
Anführung derselben aufser der chronologischen Folge hat
Rec. noch die Nebenabsicht, in der Darstellung der südita¬
lienischen Litteratur so viel als möglich Abwechselung zu
' verschaffen.
Es ist offenbar die Absicht des Verfassers, mit dieser
Schrift nicht blofs eine Beschreibung der römischen Schlan¬
gen, sondern auch mit derselben einen gesammten Ueber-
blick über die Schlangen im Allgemeinen, über ihre Ana¬
tomie, Lebensweise, ja über die Blitze von einer sensible¬
ren Natur, die bei ihnen vorgefunden werden dürfte, zu
liefern. Aus diesem Gesichtspunkte mufs also diese Schrift
beurtheilt werden.
Einleitung. So viel der beschränkte Raum es er¬
laubt, werden wir dem Verfasser in seiner Untersuchung
folgen. Unendlich viel sind die Schlangen als Symbole,
Embleme u. s. w. gebraucht worden. Ref. bemerkt hierbei,
dafs man allerlei Gaukeleien mit ihnen getrieben hat, die
jedoch in der letzten Zeit erst gründlicher aufgeklärt wor¬
den sind.
18 *
276 III. Monographie der Schlangen um Rom.
Bei der Untersuchung dieser Thiere war die Schwie¬
rigkeit, sie lebendig in hinreichender Menge zu erhalten,
und dann auch sie ohne Rücksicht und Furcht zu behan¬
deln, beständig ein grofses Hindcrnifs. Aber ein unermü-
deter Freund des Verfassers, Hr. Riccioli, der von gro-
fsem Eifer für die Naturwissenschaften beseelt ist, durch¬
streifte nicht allein die römische Gegend und sammelte eine
bedeutende Menge Exemplare von Schlangen aller Art,
sondern überwand sogar den natürlichen W iderwillen, den
man gegen diese Thiere hegt, und kam so weit, dafs er
sie ohne Furcht mit den Händen anfafste. Da nun 1 Ir.
Prof. Metaxä auf diese Weise nicht allein viele Schlan¬
gen zum Untersuchen bekam, sondern diese auch in kräf¬
tigem Zustande waren, so erfreute er sich einer schönen
Gelegenheit sie genau zu untersuchen; und aus diesen
Gründen ist es auch begreiflich, dafs seine Untersuchungen
von denen mehrerer andern, die nur entkräftete oder in
Weingeist auf bewahrte Schlangen benutzen konnten, sehr
verschieden ausgefallen sind.
Erster Th eil. Ueber die Schlangen im All¬
gemeinen. Im ersten Artikel untersucht der \ er¬
fassen Wo und wann die Schlangen sich gewöhn¬
lich vorfinden. Hierbei bemerkter: dafs da die Schlan¬
gen, wie alle kriechenden Thiere, kaltes Blut haben, und
ihr Kreislauf und Athemholen unvollständig und langsam
sind, sie ihrer Natur nach weniger häufig in trocknen und
kalten , als in feuchten und warmen Gegenden Vorkommen.
Dies ist auch die Ursache, warum man in den Tropenlän¬
dern und unter dem Aequator nicht allein die gröfsten
Arten Schlangen, sondern auch die dreistesten und giftig¬
sten findet, während die der nördlichen Himmelstriche we¬
niger häufig Vorkommen, klein, träge und selten giftig sind,
ausgenommen die Otter, die auch in Schweden, Sibirien,
ja selbst in Lappland angetroffen wird. Diese Ansicht des
Verf. ist gewifs im Allgemeinen richtig, und giebt zugleich
eine schöne, in der Natur durchaus begründete Uebersicht
I
III. Monographie der Schlangen um Rom. 277
der Sache; aber sie leidet doch mehrere einzelne Ausnah¬
men, die wohl berücksichtigt zu werden verdienen. So
hat z. B. Ref. Gelegenheit gehabt, in Dänemark an einzel¬
nen Orten Schlangen in einer gewissen Menge vorzufm-
den, welche auch nicht klein, und dabei durchaus nicht
träge, sondern im Gegentheile sehr lebendig waren. Die
Schlangen werden übrigens abnehmen im Verhältnifs als
die unbewohnten Erdstriche durch menschlichen Fleifs mehr
und mehr angebaut werden.
Die an Schlangen reichste Gegend um Rom, und wie
Ref. glaubt in ganz Italien, sind die Gebirge Laziale, Tus-
culo und Artemisio ; sie sind vulkanischer Natur. Hier sind
Höhlen, Spalten, Risse und Löcher, worin sie einen be¬
quemen Zufluchtsort finden, besonders am Fufse dieser Ge¬
birge und in den Wäldern, die sie umgeben. Nicht selten
verbergen sie sich in den grünen Zäunen, unter den Stei¬
nen, in den Büschen, die nicht sehr hoch, nahe an fliefsenden
W ässern und noch öfters, wenn sie an stillstehenden liegen.
Einige von ihnen, vorzüglich C. Na t rix und viperin us
schwimmen in diesen Wässern; aber wagen sich nicht ins
offene Feld. Ganz besonders lieben sie jedoch sandige,
kalkige Gegenden, welche weniger Wärme entwickeln, und
wo sie ohnehin die von den Eidexen gemachten Löcher
vorfinden, die sie vergröfsern. Deswegen siedelten sie sich
vielleicht in der bekannten Sch langengrotte bei S.
Severa, die Kirker erwähnt, an, und so ist auch die
Beschaffenheit der Gegend bei Via Salaria an der Villa
Spada, am Orte Serpentaria genannt, vielleicht weil
die Schlangen sich hier häufiger und in gröfserer Anzahl
vorfanden.
Unbestimmt ist die Zeit, wenn sie sich im Jahre zu¬
erst erblicken lassen; je früher es warm wird, desto eher
kommen sie zum Vorschein, gewöhnlich im Monat März;
aber wenn es kälter ist, erst im April. Die erste die sich
zeigt, ist gewöhnlich Coluber atrovirens, die letzte
Co 1 über Elaphis. Den Herbst begeben sie sich wie-
278 111. Monographie der Schlangen um Rom.
der unter die Erde, jedoch früher oder später, je nachdem
es früher oder später kalt wird.
Im zweiten Artikel handelt der Yerf. von der
Häutung der Schlangen. Alle Schuppenthierc, wie die Ei-
dexen und Schlangen, wechseln im Frühjahr und Herbst
ihre Balge. Es geschieht im Frühjahr, weil die Oberhaut
durch die Kälte dick und nachgiebig geworden ist, und
weil sie somit nicht gehörig dem Thiere dienen könnte,
im Herbste, weil die Oberhaut im Sommer durch die grofse
Hitze gleichsam halb geröstet worden ist, und somit nicht
biegsam und weich genug für den Körper sein würde, der
den ganzen Winter hindurch verschlungen und unbeweg¬
lich liegen soll.
Wenn diese Zeit heranrückt, so werden die Schlan¬
gen träge, unruhig, stillliegend, faul und ungewöhnlich
reizbar, zischen und beilsen, die Haut wird schmutzig, und
ihre Farben werden dunkeier. Darauf fängt die Häutung
an und zwar an den Kiefern, wo die Oberhaut zäher ist
und fester anhängt; die Hornhaut wird undurchsichtig, es
ist deswegen auch sehr wahrscheinlich, obschon Aristo¬
teles (Hist. an. Iib. 8. c. 117) es nicht glaubt, dafs zu
dieser Zeit das Gesicht der Schlangen sich verschlechtert.
Im Verhältnifs, wie die Oberhaut vom Kopf, und den Kör¬
per entlang bis an das Ende des Schwanzes sich lostrennt,
schlägt sie sich wie ein Handschuh um, so dafs die innere
Oberfläche die äufsere wird. Um diese Lostrennung zu
befördern, kriechen die Schlangen in enge Höhlen, Ueberrestc
von alten Gebäuden, dicke Hecken und Bäume, Dornbü¬
sche u. s. w. Auf diese Weise verjüngt, glänzen sie mit
lebendigeren Farben.
Im dritten Artikel handelt der Verfasser von der
Bewegung der Schlangen. Man hat sich diese nicht erklä¬
ren können ; der Verf. thut dies kurz, aber deutlich : das Be¬
wegungsorgan der Schlangen ist mit ihren zahllosen Muskeln
die Columna vertebralis, deren Knochen vom Kopfe bis zum
Schwänze alle gleich sind. Der Bau derselben macht die ver-
III. Monographie der Schlangen um Rom. 279
. . f t
tikale Bewegung fast unmöglich , die horizontale beschränkt,
aber die gewundene, spiralförmige um desto leichter. —
Der vierte Artikel ist über den Darmkanal und das
Giftorgan. Die Kiefer sind bei den giftigen und nicht gif¬
tigen Schlangen verschieden; die ersten können eine Be¬
wegung mit beiden Zahnreihen machen, die letzteren nicht.
Das Giftorgan besteht in zwei Drüsen, ihren Behältern,
den ausführenden Gängen und den verwundenden giftigen
Zähnen.
Die Zunge der Schlangen ist wie in ein häutiges,
schwärzliches Futteral eingeschlossen. Der Oesophagus ist
im Durchschnitt grofs und läfst sich mehr als der Magen
erweitern. Dieser ist länglichrund, häutig, mit durchsich¬
tigen Wänden , ohne Blinddarm. Der Pylorus ist eine
Verengerung ohne Klappe. Der Dünndarm verbindet sich
mit einem andern, der dicker, breiter und kürzer ist; die
Scheidung geschieht durch eine zirkelförmige Klappe. Die
Leber ist grofs, lang, cylindrisch, einlappig und gelblich;
jedoch ist die von Coiuber viperinus von einer braun-
rothen Farbe. Die Gallenblase ist eiförmig, von der Le¬
ber getheilt, neben der Lunge an den Seiten des Magens
gelegen; das Pancreas von unregelmäfsiger Form und liegt
rechts am Darmkanal. Die Milz ist klein, länglich, ge-
franzt, rolh und liegt rechts am Anus.
Die Schlangen sind sehr mäfsig, und können lange
den Hunger vertragen, selbst in den Sommermonaten. Eine
einzige Mahlzeit ist ihnen für Monate hinreichend. Sie
fressen nur, wenn sie allein sind. Eingeschlossen fressen
sie wenig und sterben lieber vor Hunger. Sie nähren sich
gewöhnlich von lebenden Thieren, auf die sie mit grofser
Geduld und List Jagd machen, indem sie mehrere Tage
auf ihre Beute lauern. Zu diesem Zweck kriechen sie auf
Bäume, verbergen sich in Gesträuchen, schwimmen, und
fangen auf diese Weise Maulwürfe, Mäuse, ^Ögel, I lö¬
sche, Kröten, Fische und Insecten. Auch verschlucken sie
die Eier von andern kriechenden Thieren und ^ ögeln.
280 111. Monographie der Schlangen nm Rom.
Im fünftenArtikel wird von dem Bifs der Schlan¬
gen, von der Natur, v den Wirklingen des Giftes und von
den -Mitteln dagegen gehandelt. Die Viper ist das einzige
kriechende Thier, sagt der Verf., das in der XJingegend von
Rom giftig ist. Aber da sie klein, schwach, träge, verzagt
und wenig beweglich in Vergleich mit andern Schlangen,
unempfänglich für Tone und für das Licht ist, und sich
docli von lebenden Thieren nähren soll, so wäre wenig
für ihre Existenz gesorgt, wenn sie nicht mit einer güti¬
gen Flüssigkeit versehen wäre. Der Verf. behauptet, dafs
die Vipern sich nicht untereinander beilsen, und wenn sie
es auch in der Wuth thuen, doch die W unden nicht gif¬
tig sind; dies glaubt der Verf. wäre sogar der Fall mit
allen kaltblütigen Thieren. Die gew ähnlichen V ipern be¬
sitzen nur zwei Gran Gift; bei einem jeden Bifs sondern
sie nur einen halben Gran ab. Aber um einen Menschen
damit zu tödten, sind drei Gran nöthig; einen Ochsen
zwölf, und einen Sperling ein hundertstel Gran. Daraus
schliefst der berühmte Fontana, dafs ein Mensch von
mehreren Vipern ohne zu sterben gebissen werden könne. ')
Hierbei müssen jedoch, nach Ref. Meinung, mehrere Ein¬
schränkungen und Ausnahmen gemacht werden. Die Kraft
und folglich die Tüdtlichkeit des Giftes hängt von ver¬
schiedenen Ursachen ah: um desto bedeutender ist sie, je
gröfser die Viper und je nüchterner, je wärmer die Jah¬
reszeit und das Clima, je naher die Wrunde am Herzen
ist u. s. w. Noch eine merkw ürdige Wahrnehmung glaubt
Ref. hinzufügen zu müssen: er hat nämlich die Bemerkung
gemacht, dafs die Tödtlichkeit des Giftes in den Monaten
September und Octoher am stärksten ist. Diese Thatsa-
che, worauf Ref. die Aerzte und Naturforscher aufmerksam
inacht, damit es durch wiederholte Untersuchungen ausge-
mittelt werde, oh es sich überall so verhalte, ist nicht al-
- t
1 ) Man vergleiche hierüber die oben angeführte Anzeig«
von Wagner’« Schläft. ,
HI. Monographie der Schlangen um Rom. 281
lein für die Prognose, sondern auch für die Kur dieser
Krankheit von der grüfsten Bedeutung. Die Erscheinun¬
gen diese* Krankheit sind verschieden erklärt worden:
Hoffmann hielt sie für krampfhaft, Mead liefs sie auf ei¬
ner Zersetzung in den rothen Blutkügelchen beruhen;
Buffo n glaubte, sie würden durch organische in dem Gifte
herumschwimmende Piinktcheri hervorgebracht. Mehrere
neuere Erklärungen sind bekannt. Die Contrastimulisten
nehmen die Sache leicht, indem sie sagen, dafs das Gift
contrastimulirend sei. Eine bemerkenswerthe Beobachtung
ist die von Fontana, dafs ein durch Vipernbifs umgekom¬
mener Frosch seine Muskelirritabilität verliert, während
andere diese behalten, wenn sie auf andere Weise getödtet
worden sind. Hieraus scheint sich zu ergeben, dafs das
Viperngift die Irritabilität direct vernichtet und die Mus¬
keln zur Fäulnifs geneigt macht.
Hier wäre der Ort gewesen von einer Thatsache, die
uns noch neuerdings von Amerika her bestätigt worden
ist, zu reden; der Verf. hat sie aber nicht gekannt; es ist
nämlich die: dafs die von Schlangen Gebissenen, wenn sie
auch hergestellt werden, doch nach langen Zwischenräu¬
men, nach zwei, drei und mehreren Jahren, um dieselbe
Zeit, wo sie gebissen worden sind, krank werden und
die ursprünglichen Zufälle, obschon in einem weit gerin¬
geren und nicht todtlictien Grade bekommen. Ref. findet
diese Thatsache von der höchsten Bedeutung; denn ihr zu¬
folge müssen wir nicht nur eine Periodicität in dieser
Krankheit annehmen, sondern es erhalten auch die noch
bezweifelten längeren Perioden anderer Krankheiten da¬
durch eine auffallende Bestätigung. —
Die Knr der von diesem Gifte hervorgebrachten Krank¬
heit ist noch sehr unvollkommen. In seinem kleinen Auf¬
satz: ein Paar Worte über das Viperngift (s. Med.
chir. Ztg. J. 1824. B. 2. S. 396) glaubt Ref. den Stand¬
punkt, worauf unser W issen in dieser Hinsicht sich befin¬
det, angegeben zu haben, so wie er auch dort auf ein
282 III. Monographie der Schlangen um Rom.
wirksames Mittel, was der Vcrf. vorliegender Schrift nicht
kennen konnte, aufmerksam machte.
Im sechsten Artikel handelt der VerL von der
Fortpflanzung der Schlangen. Die Geschlcchtsthcile sind
hei ihnen streng geschieden. Die Weibchen sind gewöhnlich
gröfser als die Männchen. Bei diesen findet man Testi-
keln , Epididymis, die abführenden Gänge, zwei männliche
Glieder; die Saamenbläschen fehlen. Die Testikeln sind
weifs und länglich. Die Epididymis ist klein, kurz und
gewunden. Die männlichen Glieder sind zwei cylindrische,
mit Stacheln unregelmäfsig besetzte Körper. Bei den Vi¬
pern theilt sich ein jedes Glied wieder in zwei. W enn
sie im ruhigen Zustand sind, sind sie in ein Futteral
eingeschlossen. Die Eichel ist schwammig und violett.
Der Same ist bei ihnen von verschiedener Dicke, und
riecht wie verfaulte Kräuter. Die weiblichen Geschlechts¬
teile sind die Eierstöcke, der Uterus, die Vulva; die
Clitoris fehlt. Die Eierleiter sind zwei Canäle an den
Seiten der Spina durch das Peritonaeum befestigt. Eine
weifse, starke, häutige Scheidewand findet sich zwischen
der Kloake und dem Intestinum rectum; sie dient bei der
Begattung wie eine Art Klappe für den Samen. Anus und
Vulva ist nur eine Oeffnung. Die Schlangen begatten sich
im Frühling, die Viper erst vom dritten Jahr an. Bei der
Begattung hängen sie fest zusammen und nur der Kopf
von beiden ist abgesondert; bald lecken sie sich, bald bei-
fsen sie einander. Bei dem gröfsten Theil der Schlangen
oeffnen sich erst die Eier, wenn sie aus der Kloake heraus
sind; bei der Viper geschieht dies in den Eierstöcken.
Haben sie Eier gelegt, oder lebendige Junge zur Welt ge¬
bracht, so sorgen sie nicht weiter dafür. Coluber Aes-
culapii legte sieben Eier, Natrix zwölf, Elaphis drei¬
zehn; alle brachten damit drei bis fünf Tage zu. Die Eier
haben eine elliptische, fast cylindrische Gestalt; die Schaale
ist eher elastisch als zerbrechlich, durchsichtig; einige sind
gelblich. Die Viper gebiert acht bis fünfzehn Junge, zum
III. Monographie der Schlangen um Rom. 283
Thell lebendig, zum Theil todt; aber eingewickelt in ver¬
schiedene Häute, die man mit Unrecht fiir die Placenta
gehalten hat.
Der siebente Artikel ist über die Gewohnheiten,
den Instinct und die Irritabilität der Schlangen. Hie
Schlangen fliehen den Menschen; auch beifsen sie nicht,
wenn sie nicht gereizt werden. In Italien sind sie im
Sommer aufgeweckt und dreist, im Winter langsam und
träge. Sie können zahm werden, ja vielleicht seiht An-*
hänglichkeit empfinden. Ref. erinnert hierbei an Coluber
Na t rix, der nicht allein unschädlich ist, sondern auch so
zahm wird, dafs die Mädchen in Sardinien ihn so zu sagen
erziehen; sie scherzen mit den Kindern, und verlangen
Frafs, indem sie sich sanft um den Arm schmiegen. Wo
mehrere zusammen sind, ahmen sie einander nach. Die
grofsen Arten leben geschieden, die Vipern in Gesellschaft.
Ihre Temperatur ist immer gering. Obschon die Schlan¬
gen kaltblütige Thiere sind, so können sie doch nicht die
brennende Sommerhitze oder das helle Licht vertragen.
Ihr Leben scheint von Krankheiten befreit zu sein. — Der
Nutzen der Schlangen besteht darin, dafs sie schädliche
Thiere ausrotten; von dem Nutzen der Viper hat Ref. an¬
derswo Erwähnung gethan.
Im achten Artikel spricht der Verf. von der Em¬
pfindlichkeit der Schlangen für die Musik, die Electricität
und das Licht. Die Schlangen haben keine äufseren Ohren,
aber hören deswegen doch sehr gut. Von den nicht gif¬
tigen Schlangen ist Coluber Elaphis bei weitem die
gröfste, und sieben oder mehr Fufs lang. Ref. fragt hier¬
bei, ob dies Thier nicht dasselbe sei, das Plinius Boa
nennt, und wovon unter Claudius Regierung im kaiser¬
lichen Pallast eins gefunden und getödtet wurde, in dessen
Bauch sich ein Kind vorfand. Die unruhigste und beifsig-
ste Schlange ist Coluber atrovirens.
Die Alten waren der Meinung, dals man die Schlan¬
gen mit Worten zum Gehorsam bringen konnte; dafs
284 III. Monographie der Schlangen nm Rom.
Verse und Gesänge die Kraft besäfsen sie bald an zu ziehen
und zu besänftigen, bald das Gift zu schwächen; und end¬
lich dafs die Zauberer durch den Ton von Instrumenten
die Schlangen von weither an sich lockten und sie dahin
brachten, dafs sie ihnen folgten, wohin sie wollten. Inte¬
ressant sind die Versuche, die der Prof. Metaxä anstellte,
um ihre Empfänglichkeit für die Musik auszumitteln.
In den heifsen Mittagsstunden that er mehrere Exemplare
von den neun Arten Coluber, die sich um Rom vorfin¬
den, in einen Kasten; in einen andern Kasten legte er die
\ipern; alle voll Leben. Der klare, harmonische Ton von
einer Orgel brachte eine allgemeine Bewegung unter den
nicht giftigen Coluberarten hervor, weiche sich hin und
her in dem Kasten bewegten, und an den Wänden hinauf¬
krochen. Coluber Elaphis hielt zuweilen still und be¬
wegte sich langsam gegen das Instrument; unbeweglich
dabei war Coluber Aesculapii und hob sich zur Hälfte
ganz gerade in die Höhe; der einzige Coluber atro-
virens blieb stets unruhig, sich hin und her drehend.
Die anderen Arten, so wie auch die 'S ipern blieben dage¬
gen unempfindlich. Da der Verf. diese Versuche wieder¬
holt und beständig dasselbe Resultat erhalten hat, so glaubt
er daraus schliefsen zu dürfen, dafs Coluber Elaphis
und Coluber Aesculapii durch die Musik gezähmt wer¬
den können, dafs andere, als Coluber atrovirens da¬
durch gereizt werden; dafs endlich die Vipern keine Em¬
pfänglichkeit dafür haben, welches letztere jedoch nach
Ref. Meinung dahin berichtigt werden dürfte, dafs ihre
Empfänglichkeit für die Musik nur äufserst gering sei.
In d em zweiten bei weitem kleineren Th eile der
Abhandlung handelt nun der Verf. von den römi¬
schen Schlangen insbesondere.
Erster Artikel, von den römischen, nicht
giftigen Schlangen. Diese sind in den zwei Linnei-
schen Geschlechtern Anguis und Coluber enthalten.
Die Angues sind über den ganzen Körper mit ziegelför-
III. Monographie der Schlangen um Rom. 285
migen Schuppen von gleicher Gröfse bedeckt; der Kopf
ist knochenartig; die Zunge ist kaum ausdehnbar und an
der Spitze ausgeschnitten; die Kiefer gezackt; das Auge hat
drei Augenlieder; der Schwanz lang und stumpf.
1) Anguis fragilis L. Corpore subaequali,
supra trilüieato, cinnamomeo, rubescente, niti-
dissimo, subtus griseo plumbeo.
\ ar. A. gula ad medium abdomen colore ar-
desiae, sub-nigro.
Kommen häufig vor; werden 12 — 13 Zoll lang.
L i n n e fafst in dem Genus Coluber alle giftigen und
nicht giftigen Schlangen, deren kleine Schuppen von dem
Anus bis an die Spitze des Schwanzes doppelt sind, zu¬
sammen. Zuerst von den nicht giftigen.
1) Coluber Natrix L. Ex cinereo coerules-
cente nigricans, collari occipitali ex macul is bi-
nis antice latescentibus, postice nigris. Wird
zwei bis drei Fufs lang. Hat hundert und siebzig bis hun¬
dert sieben und siebzig Unterleibs-Schuppen; von den klei-
♦ ‘
nen Schuppen drei und fünfzig bis fünf und achtzig. WÜrd
zahm und unschädlich. Eegt achtzehn bis zwanzig Eier.
Sein Fleisch ist efsbar und wird in der Medizin gebraucht.
2) Coluber Gabinus (nobis). Abdomine flavo,
taenia media nigra ad unum usque decurrente:
lineis binis o ccipitalibus antrorsum confluen-
tibus. Wurde im Monat Mai in Gabi zwischen dem
labilanischen und prenestinischen Wege gefunden. Seine
Iris ist goldfarben. Wird zwei Fufs fünf und einen halben
Zoll lang. Hat hundert zwei und sechzig Unterleibs -Schup¬
pen und sechzig kleine Schuppenhaare. Diese bis jetzt
noch nicht beschriebene Art bat übrigens viele . Charaktere
mit Coluber Natrix gemein.
3) Coluber viperinus Latr. Capite postice
divaricato, sub-aurito: maculis dorsi alternis
flexuosis, abdomine tessellato. — Gewöhnlich wird
er Rattenfresser genannt. Viele Aehnlichkeit hat er mit
286 III. Monographie der Schlangen um Rom.
Col. Natriv, ist aber doch von dieser Schlange durch
mehrere Merkmale verschieden, ist z. B. länger und dicker
als diese. In seinem Magen findet man zuweilen lebende
Thiere. Sehr merkwürdig scheint Kef. auch die Wahr¬
nehmung des Verf., der, indem er einmal das Thier leben¬
dig öffnete, in dem Magen desselben eine Kröte fand, die
gleich heraus und davon sprang, obschon ein Schenkel
derselben bereits verzehrt war; denn hierdurch wird der
von vielen Physiologen aufgestellte Satz, dafs die erste
Bedingung zur Verdauung Leblosigkeit sei, beschränkt. —
Dieser Coluber wird leicht zahm.
4) Coluber atro-virens Lacep. Corpore su-
pra atro flavoque maculato; subtus flavo-vi-
rescente. — Wird Mylord oder der Schöne genannt;
wird drei bis vier Fufs lang, hat hundert und sieben und
neunzig bis zwei hundert Unterleibsschuppen, hingegen ein
und neunzig bis hundert und sechs Paar kleine Schuppen.
Einer von diesen mit andern cingeschlossen verschlang zwei
von seinen Mitgefangenen, wovon sogar der eine von der
nämlichen Art war. Obschon Col. atro-virens von
Lacepbde als sanft beschrieben wird, so ist er doch der
unruhigste und beifslustigte von allen römischen Schlangen,
und wird vorzüglich wegen der Schläge seines Schwanzes
gefürchtet. Die menschliche Hand beruhiget ihn jedoch.
5) Coluber A esculapii Shaw. Dorso atro-
virescente; lateribus et abdomine griseo-fla-
vescentibus. — Häufig in den Gegenden um Rom.
Wird drei bis vier Fufs lang. Hat zwei hundert sieben
und zwanzig Schuppen und achtzig Paar kleine Schuppen.
Verfolgt beifst er, jedoch wird er auch bald gelehrig und
umgänglich. Alcohol verändert seine Farben , und auf
diese Weise hat er verschiedene Namen erhalten. Man
darf ihn nicht mit dem Coluber Aesculapii von Lin ne
verwechseln, denn diese Art kommt aus America.
6) Coluber Elaphis Shaw. Dorso quadrili-
neato, abdomine flavo. Hiervon giebt es folgende
III. Monographie der Schlangen um Rom. 287
Varietäten: 1) Abdomine griseo - flavescente ma-
culato. 2) Abdomine sub-rufo, lateribus conco-
lore. 3) Scutellis nigro - maculatis. — Häufig um
Rom. Ist die gröfste von allen europäischen Schlangen,
zugleich die zahmste, gesellschaftlichste und gelehrigste. Ist
sieben Fufs lang, vom Schwänze an einen Fufs; ihr Körper
ist fünf und vierzig Linien dick; ihr Kopf sechzehn Li¬
nien lang, zehn dick. Hat zwei hundert zehn bis zwölf
Schuppen, und drei und siebzig bis fünf und achtzig kleine
Schuppen.
7) Coluber austriacus Gm. Supra ex cinereo
co eruleo - rufus, maculis dorsi alternis distin-
ctis. — Kommt nicht häufig um Rom vor. Ist einen Fufs
und acht Zoll lang; vom Schwänze an einen Zoll und vier
Linien; Dicke des Kopfes zwei und eine halbe Linie, Breite
fünf, Länge sieben. Hat hundert acht und siebzig Schup¬
pen und sechs und vierzig Schuppenpaare. Wird leicht
zahm. —
8) Coluber Riccioli (nobis). Abdomine flavo
bilineato, lateribus rubro - punctatis. — Der Ver¬
fasser hat diesen Coluber so nach seinem um da§ Studium
der Schlangen so verdienstvollen Freunde benannt. Ist
zwei Fufs zwei einen halben Zoll lang; vom Schwänze an
einen halben Fufs; die Dicke des Körpers ist zwanzig bis
zwei und zwanzig Linien, die des Kopfes fünf Linien. Hai
hundert sechs und achtzig Unterleibsschuppen und fünf und
sechzig kleine Schuppen. Einige Merkmale hat er mit dem
Coluber austriacus gemein.
Zweiter Artikel. Von den giftigen römi¬
schen Schlangen. Alle giftigen Coluberarten von
Linne sind von Dandin in dem Geschlecht Vipera
vereinigt, dem Oppel nachher mehrere Unterabtheilungen
gab. Unter diesen befinden sich die römischen Vipern, die
einzigen giftigen Schlangen der Gegend. Die verschiedenen
Species werden in Rom als Varietäten der Vipera officinalis
betrachtet, und in den Apotheken ohne Unterschied gebraucht.
1288 III. Monographie der Schlangen um Rom.
Der Vcrf. tbeilt sie in zwei Ordnungen, erstens: sol¬
che, die den Kopf mit sehr kleinen, ziegelformigen Schup¬
pen bedeckt haben; zweitens: solche, die den obersten Th eil
des Kopfes mit drei geraden, und ein wenig gröfsern Schup¬
pen bedeckt haben. — Zu der ersten Ordnung gehören:
1) Vipera Berus. Supra obscure cinerea:
vitta dorsali dentato - repanda, fulminea: macu-
iis lateral ibus nigris sub-remotis.
2) Vipera Redi. Supra obscure cinerea: dorso
maculis nigris transversis, brevibus, altern is,
quadruplici serie.
3) Vipera Aspis. Supra rufescens: maculis
lateralibus cum angulis vittac dorsalis fulmineae
continuis. * • : .
Zu der zweiten Ordnung werden gerechnet:
4) Vipera Ghersea. Vertiee maculato, squa-
mis majoribus interocularibus tribus. Vorzüglich,
in dem nördlichen Europa zu Hause, und nicht häufig um
Kom. Diese Art wurde unter dem Namen: Marasso im
Jahre 1817 von Bernardino Angelini beschrieben. Ist
nach den Versuchen von Laurenti wenig oder gar nicht
giftig, wenigstens nicht in Oesterreich.
5) Vipera Prester L. Aterrima, vertiee im-
maculato, squamis majoribus interocularibus
tribus. Selten in den Umgegenden von Rom, häufig au
den Ufern der Okka, der W oiga u. s. w. C u v ier sieht sie
für eine Varietät der Chersea an. Laurenti hat gefunden,
dafs das Gift dieser ^ iper weniger wirksam und nicht im
Stande ist seihst das kleinste Thier zu tödten. Diese Vi¬
per wird etw^a zwei Fufs lang, und hat hundert sieben
und vierzig Schuppen und acht und zwanzig Paar kleine
Schuppen. — *
(Beschlu/f folgt,)
Literarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825.
IV> 51.
III.
Monografia de' Serpenti di Roma e suoi
contorni, del Professore Luigi M etaxa.
Roma, 1823. 4.
v - I ' -. . , . 1
( ßeschlu/s. )
Dies sind die Schlangen, die der Verf. und sein Freund
Ricci oli in und um Rom gefunden haben. Yipera
amrnodytes L., die man ebenfalls um Rom gefunden ha¬
ben will, sahen sie nie, eben so wenig Anguis la-
trans, der bei dem Amphitheater des Flavius sich auf¬
halten sollte, und von dem Yerf. für sehr zweifelhaft ge¬
halten wird.
Merkwürdig ist es, und wohl der Untersuchung eines
reisenden Naturforschers werth, was die Bewohner in der
Nähe des See’s Boise na behaupten, dafs auf einer dortigen
Insel, Bisentina genannt, wo ein grofser und prächtiger,
aber verlassener Pallast sich vorfindet, eine so grofse Menge
Schlangen hausen soll, dafs es unmöglich sei, sich dieser rei¬
zenden Insel zu nähern, ja man glaubt sogar, es sei unmög¬
lich die Schlangen dort auszurotten.
In einer Beilage handelt der Yerf. noch von den
Schmarotzerthieren, die sich in den Schlangen vor¬
finden, wobei er Gelegenheit hat die gründliche Forschung
des Hrn. Geh. Rath Rudolphi in Berlin zu bewundern.
Sowohl dessen Entozoorum historia als auch dessen Syno¬
psis sind ihm bekannt. Jedoch hat Prof. M etaxa aufser
den von Rudolphi angegebenen, in dem Peritonaeum des
Coluber viper in us einen YVurm gefunden, den er aber
II. Bd. 3. St. 19
290 Hl. Monographie der Schlangen um Rom.
nicht genauer bestimmt, aber wohl abbihlet. Mit Verwun¬
derung fand er auch die neue Art, die Treutier 17S8 in
der Leber von Phoea barbata entdeckte, und die Rudol-
phi später Distoma tenuicolle benannte. Der Verb
hat auch an den Schuppen der Schlangen zwei verschiedene
Arten Milben entdeckt. Besonders interessant ist es, dals
diese niemals an dem Coluber Llaphis und an den \ i-
per n Vorkommen. Auch sah der Verf. die Eier dieser
Milben, welche so glänzend wie Perlen sind. Ricci oli
und der Verf. machten an sich selbst belehrende Versuche
mit diesen Milben, die an der Haut zuerst ein heftiges und
lästiges Jucken, dann einige leichte Bläschen verursachten;
diese trockneten jedoch nach einfachen Seifenwaschungen
ah, und die Milben starben ohne sich fortzupflanzen.
Die beigefügte Kupfertafel stellt die neu beschriebenen
Schlangen, Würmer, Milben und Milbeneier recht deutlich
dar. Auch ist der Druck des Werkchens lobenswerth.
Betrachten wir nun im Ganzen diese gediegene Arbeit
des Prof. Metaxä, so wird es klar, dafs er sich ein ent¬
fernteres Ziel vorgesteckt, was auch Ref. in der Einleitung
dieser Anzeige angegeben hat. Ist nun auch dieses Ziel im
Allgemeinen erreicht, so glaubt Rec. doch zum Schlüsse,
aufser mehreren in der Anzeige selbst eingestreuten, noch
folgende Bemerkungen beifügen zu dürfen.
.Der Verf. handelt sehr weitläufig -von dem Begat-
tungs- und Verdauungs-Sjstem , dahingegen läfst er das
hiermit so genau verwandte Respirations- und Circulations-
System beinahe ganz unberührt. Dies stöfst zum wenigsten
gegen die zu fordernde Vollständigkeit der Abhandlung um
so mehr an, als das Respirationsorgan, besonders bei den
eigentlichen Schlangen, eine so merkwürdige Abweichung
von allen übrigen Formen bildet; da sie anstatt eine ge¬
spaltene Lunge, nur eine einzige langgestreckte habeq, die
sich in eine blasenformig ausgefaltete Membran endigt
Auch spricht der Verf. nicht von der so ganz eigenen
III. Monographie der Schlangen um Rom, 291
Reptilien form in der Bildung des Herzens, wo zwei Herz¬
ohren mit einer einzigen Herzkammer vereinigt sind. —
Auch spricht sich der Verf. über die Gestaltung der
Gesichtsknochen bei diesen Thieren nicht deutlich genug
aus. Wir sehen z. B. oft einen Coluber Natrix einen
Frosch, der wenigstens viermal so dick als er selbst ist,
verschlingen. Der Verf. sagt, dafs dies von dem Vermögen
des Oesophagus sich zu erweitern herrühre; aber der fer¬
nere Hauptgrund ist doch, dafs alle Gesichtsknochen, der
Uebermaxillarknochen, der Intermaxillarknochen, die Gau¬
menknochen , das Os mastoideum u. s. w. untereinander
durch Ligamente, die sich verlängern lassen, und diesen
I heilen eine aufserordentliche Ausdehnung erlauben, befes¬
tiget sind. —
Indem der Verf. von dem Gift der Schlangen redet;
sagt er, dafs es nicht andern Individuen von der nämlichen
Art schade. Dies wäre eine merkwürdige Entdeckung,
wenn sie sich bestätigen sollte. Aber die allgemeine Be¬
merkung, die der Verf. hinzufügt, dafs es vielleicht kein
Thier gäbe, dessen Gift für seine eigene Art schädlich sei,
könnte er widerlegt finden, wenn er z. B. blofs die Kämpfe
der Bienen unter einander betrachtete, wo er dann finden
würde, dafs das Gift des einen Thiers beinahe augenblick¬
lich das andere tödtet.
Da der Verf. in seinen allgemeinen Bemerkungen nicht
blofs von den römischen, sondern auch von den Schlangen
überhaupt redet, so hätte man wohl wünschen können,
dafs er, indem er die Giftdrüsen abhandelt, auf den Unter¬
schied der weniger giftigen europäischen und der giftige¬
ren fremden Arten aufmerksam gemacht hätte, z. B. aul den
Urotalus horridus und Coluber Raja, da bei diesen
letzteren wirkliche Säcke zur Aufsammlung des Giftes vor¬
handen sind; wohingegen bei unserm Coluber Berus
u. s. w. zerstreute Drüsen das Gift unmittelbar in dem Au¬
genblick, wo das Thier sich desselben bedienen will, aus-
19 *
292 IV. Wirkungen mehrerer Alkalien
senden. Wahr ist es, dafs diese Bemerkung des Ree. nicht
neu ist, aber der Verf. liefert nicht blofs Neues, sondern
im Allgemeinen recht weitläufig den gröfsten Theil von
Wahrnehmungen, ja selbst von Fabeln, die von den Schlan¬
gen erzählt worden sind, und zeigt hierdurch die Tendenz
seiner Abhandlung eine in jeder Rücksicht vollständige Be¬
schreibung des Gegenstandes zu enthalten.
Die Betrachtungen des Verf. über die Kmpfänglichkeit
der Schlangen Für die Musik sind unläugbar sehr interes¬
sant. Mehrere dergleichen Versuche würden uns einen weit
tieferen Blick in das Innere der Thierwelt geben, als die
blofse oberflächliche Beschreibung, wie nothwendig diese
übrigens auch sein mag, es jemals in» Stande sein wird. —
Die specielle Beschreibung endlich, die der Verf. lie¬
fert, ist als auf unmittelbare Beobachtung lebendiger Exem¬
plare begründet, gewifs genauer als alle, die nach todten
und gewöhnlich in Sammlungen bereits lange aufbewahrten
Exemplaren gemacht worden sind.
A. v. Schönberg .
IV.
*
Versuche über die Wirkungen des Baryts,
Strontians, Chroms, Molybdäns, Wolf¬
rams, T ellurs, O sm iums, Platins, Iridi¬
ums, Rhodiums, Palladiums, Nickels, Ko¬
balts, Urans, Ceriums, Eisens und Man-
gans auf den t hierischen Organismus; von
C. G. Grnelin, Prof, der Chemie an der Uni¬
versität zu Tübingen. Tübingen, in der Laupp-
schen Buchhandlung. 1824. 8. 96 S. (12 Gr.)
In der F.inleitung zu dieser interessanten Schrift be¬
merkt der Verf. mit Becht, dals wenn wir zu unseren
1
und Metalle.
293
Versuchen auch solche Thiere wählen, deren Organisation
der des Menschen nahe kommt, und von welchen aus mit¬
hin auf eine analoge Wirkung bei den Menschen mit
Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dennoch auf
der anderen Seite der Uebelstand eintritt, dais langsame
Vergiftungen, von welchen eigentlich die belehrendsten
Resultate zu erwarten wären, kaum ausführbar sind, und
dafs eine Menge von Wirkungen gar nicht beobachtet wer¬
den können, die sich an dem Menschen würden beobachten
lassen. So z. B. würde man durch solche Versuche nie et¬
was von der antisyphilitischen Wirkung des Quecksilbers,
von der fiebervertreibenden des Arseniks u. s. w. erfahren
haben; im Gegentheil würde man diese beiden Metalle we¬
gen der Aehnlichkeit, die eine Sublimat- und Arsenik- Ver¬
giftung zeigen, als einander sehr ähnlich wirkend betrach¬
tet haben. Eben so wenig würde man wohl je durch
solche Versuche über die Wirkung des Eisens in Krank¬
heiten, wo eine veränderte Beschaffenheit des Blutes statt
findet, über die Wirkungen des Jods gegen Drüsenge¬
schwülste Belehrung erhalten haben. Wir erfahren daher
durch solche Versuche selten viel mehr, als die eigentlich
toxikologische Wirkung dieser Körper; die Umstände, un¬
ter welchen der Tod erfolgt, den Grad der Tödtlichkeit
und die sichtbaren Veränderungen, welche das thierische
Gewebe durch die Einwirkung des Giftes erlitten hat. Für
die Therapie kann also aus solchen Versuchen vor der
Hand kein anderer Nutzen hervorgehen, als der, dafs man
ungefähr erfährt, welche Vorsicht zu gebrauchen wäre,
wenn man mit diesen Stoffen je Versuche an Menschen
anstellen wollte, und auf welche Systeme und Organe ein
solcher Stoff vorzugsweise einwirke.
Die Thiere, welche der Verf. zu seinen Versuchen ge¬
braucht hat, waren Hunde und Kaninchen. Um den Ein¬
druck zu beobachten, welcher sich zeigt, wenn das Gilt
unmittelbar in die Blutmasse gebracht wird, wurden aus-
schlicfscnd Hunde genommen; auch beobachtete man die
294 IV. Wirkungen mehrerer Alkalien
Wirkungen, welche bei diesen Thieren vom Magen aus
statt finden, wobei jedoch, wegen des so leicht cintreten-
den Erbrechens, ßelten der Tod erfolgte. Um die patholo-
gischen Erscheinungen kennen zu lernen, welche sich zei¬
gen, wenn auf eine Injection des Giftes in den Magen der
Tod erfolgt, gebrauchte man Kaninchen, da diese sich nicht
erbrechen können. Ueberdies wurde die Wirkung einiger
Substanzen untersucht, welche sich zeigt, wenn man die¬
selbe in das Zellgewebe unter die Haut brachte. Kef.
glaubt nun dem Leser am besten zu genügen, wenn er die
Resultate der mit den verschiedenen Substanzen angestell-
ten Versuche hier kurz zusammenstellt; ein grüfseres De¬
tail würde der beschränkte Raum ohnehin nicht gestatten.
A. Versuche mit alkalischen Substanzen.
1. Versuche mit Baryt, und zwar mit kohlensaurem,
salzsaurem und Schwefelsäuren». — Aus diesen ergiebt sich,
dafs die auflöslichen Salze des Baryts, so wie diejenigen,
welche in Säuren sich auflösen, heftig wirkende Gifte sind;
dafs sie vorzugsweise auf das Hirn- und Rückenmark wir¬
ken, dafs sie die Irritabilität der willkührlichen Muskeln,
nicht aber die der unwillkührlichen zerstören, dafs sie eine,
wiewohl nicht sehr bedeutende Magenentzündung bewirken,
wenn man sie in dieses Organ injicirt, dafs sie auch auf
das Herz wirken, vielleicht durch die harten Nerven, welche
zum Herzen treten. Es ergiebt sich ferner, dafs der völlig
unauflösliche schwefelsaure Baryt durchaus ohne Wirkung
ist, und dafs Schwefelsäure Salze ein Gegengift gegen Ba-
rvtsalze sind, und mithin eine Verbindung von salzsaurem
Baryt mit schwefelsauren Salzen die dem Baryt cigenthiim-
lichen Wirkungen auf den thierischen Organismus nicht
hervorbringen kann.
2. Versuche mit Strontian, mit salzsaurem, kohlensau¬
rem und salpetersaurem. — - Aus diesen ergiebt sich , dafs
der salpetersaure Strontian stärker auf den Organismus ein-
wdrkt, als der salzsaure; namentlich erheJlet dies aus der
bedeutenden Einwirkung auf Her* und Darmkanal. Viel'
und Metalle.
29f»
leicht verhindert die laxirende Wirkung tödtliche Folgen. —
Auch scheint sich aus den Versuchen, die bei Menschen
angestellt wurden, zu ergeben, dafs die Salpetersäure in
ihrem höchst verdünnten Zustande stärker einwirkt, als
namentlich die Salzsäure.
Vergleicht man die Resultate der mit Baryt und Stron-
tian angestellten Versuche, so mufs man sich mit Recht
über die grofse Verschiedenheit in der Wirkung wundern,
welche zwei Körper zeigen, die in Absicht auf chemische
Verhältnisse so sehr mit einander übereinstimmen, dafs man
sie anfangs sogar mit einander verwechselt hat. Während
5 Grane salzsaurer Baryt mit vielem Wasser verdünnt, den
Tod unter den heftigsten Symptomen, ähnlich denen, wel¬
che das Strychnin hervorbringt, zur Folge haben, bringen
zwei Drachmen salzsaurer Strontian bei derselben Thier-
species keine merkbare Wirkung hervor. Erst eine halbe
Unze tödtete, wahrscheinlich wegen der allzugrofsen Con-
centration der Salzauflösung. Fünf Grane salzsaurer Baryt
ferner, in einer Drachme Wasser gelöst und in das Gefäfs-
svstem injicirt, tödteten bei einem Versuche von Orfila
schon nach 6 Minuten, und es zeigte sich dabei die sehr
merkwürdige Erscheinung, dafs die beiden Ventrikel des
Herzens, auch im geringeren Maafse die beiden Atrien,
durch eine sehr grofse Menge dicker gelatinöser Klumpen
von etwas dunkelgefärbtem rothem Blute aufgetrieben wa¬
ren, während auf der anderen Seite 10 Grane salzs. Stron¬
tian, in das Gefäfssystem injicirt, durchaus ohne Wirkung
blieben. Der Unterschied in der Wirkung dieser beiden
Alkalien ist daher so grofs, dafs sich dieselben schon da¬
durch als chemisch wesentlich verschiedene Körper auf eine
unzweideutige Weise zu erkennen gegeben haben wür¬
den. — Es ergiebt sich zugleich, dafs der Grad des Giftig¬
seins der Körper, lind die Art, wie sie den Tod hervor¬
bringen, mit der chemischen Natur derselben nicht parallel
laufen.
B. Versuche mit schweren Metalloxyden.
296 IV. Wirkungen mehrerer Alkalien
1 ) Electronegative Metalle
Versuche mit Chrom; mit neutralem chromsauren Kali
und mit neutralem salzsaurem Chromoxydul. — Diese Ver¬
suche ergeben, dafs, bei gleicher Menge von Chrom-Metall,
das chromsaure Kali weit stärker auf den Organismus cin-
wirkt, als das salzsauce Chromoxydul. W ährend 49 Cirane
salzsaures Cbrompxydul (m 60 Granen chromsauren Kali’s)
keine Wirkung hatten, brachten schon 30 Grane chrom¬
saures Kali den Tod hervor; 60 >Grane salzsaures Chrom-
oxydul (^r 73,3 Granen chromsauren Kalis) führten erst
nach 21 Stunden den Tod herbei, während auf eine Drachme
chromsaures Kali der Tod nach £ Stunde, und auf £
Drachme nach ly und nach 2 Stunden erfolgte. Diese
Verschiedenheit in der Wirkung kann nicht von einer Ver¬
schiedenheit in der Auflöslichkeit beider Substanzen abhän-
gen, da das salzsaure Chromoxydul sehr schnell an der Luft
zerfliefst, und noch auflöslicher ist, als das chromsaure Kali.
Es scheint also, dafs sie von der Verschiedenheit der Oxy¬
dation des Chroms abhängig sei, wie dieses auch Georg
Jäger bei dem Arsenik gefunden hat, welcher ebenfalls in
der Form von Arseniksäure stärker wirkt, als in der Form
von arseniger Säure. — Was die Wirkungsweise des
chromsauren Kalis betrifft, so ergiebt sich aus den angestell-
ten Versuchen, dafs dieses Salz bei Hunden vom Magen
aus schnell Erbrechen macht; dafs es, wenn es längere Zeit
im Magen verweilt, Entzündung bewirkt, die übrigens in
der Kegel nicht sehr bedeutend ist; dafs es in sehr kleiner
Menge in das Gefäfssystem injicirt werden kann, ohne eine
Wirkung hervorzubringen; dafs es, in gröfserer Menge in¬
jicirt, Erbrechen, selbst Magenentzündung uud den Tod,
in noch gröfserer Menge augenblicklich den Tod herbei¬
führt; dafs es, wenn man es in das Zellgewebe unter die
Haut bringt, Abmagerung, Entzündung der Conjunctiva und
Absonderung eines eiterartigen Schleims, Bildung von faser¬
stoffartig coagulirtem, durch Cruor gefärbten Mucus in
dem Bronchialsystem im Gefolge hat, und überhaupt eine
und Metalle.
297
Art yon Cachexie bewirkt, welche sich unter anderen auch
durch Bildung von Exanthemen ausspricht. Es erglebt sich
ferner, dafs es auf das Nervensystem Wirkungen äufsert,
welche sich durch halbparalytische Zufälle, Convulsionen
u. s. f. aussprechen, und es scheint daher hauptsächlich durch
seine lähmende Wirkung auf das Nervensystem den Tod
herbeizuführen. — Das salzsaure Chromoxydul scheint im
Ganzen dem chromsauren Kali ähnlich, aber weit schwä¬
cher zu wirken ; es macht Brechen und Laxiren , bringt
auch, in grüfserer Menge beigebracht, den Tod unter Er¬
scheinung von halbparalytischen Zufällen hervor. Einem
Versuche zufolge scheint es, wenn es in die Blutmasse inji-
cirt wird, eine Peripneumonie hervorzubringen.
Versuche mit Molybdän. Aus diesen erhellet, dafs
das molybdänsaure Ammoniac bei Hunden sowohl vom Ma¬
gen als vom Gefäfssystem aus Erbrechen und Durchfall be¬
wirkt; dafs es ferner vom Gefäfssystem aus, aus welchem
das Gift nicht schnell entfernt werden kann, lähmungsartige
Zufälle hervorbringt, welche lange fortdauern; dafs es in
grüfserer Dosis bei Kaninchen vom Magen aus heftige Ma¬
genentzündung bewirkt, den Herzschlag herabstimmt und
den Tod unter Convulsionen herbeiführt , wobei zugleich
eine Desoxydation der Molybdänsäure statt zu finden scheint.
Versuche mit Wolfram, namentlich mit wolframsau¬
rem Ammoniac und wolframsaurem Natron. — Das Wolf¬
ram gehört zu den unschädlichsten Metallen, und schliefst
sich in Hinsicht seiner wenig giftigen Wirkung am meisten
an das Eisen an. Bei Hunden äufsert es vom Magen aus
keine oder nur eine höchst unbedeutende Wirkung, und
kann sogar, wie das Eisen, in grüfserer Dosis ohne Nach¬
tbeil in das Gefäfssystem injicirt werden. Bei Kaninchen
bewirkt es in gröfserer Dosis zuweilen eine unbedeutende
Magenentzündung und scheint durch lähmenden Eindruck
den Tod herbeizuführen.
Versuche mit Tellur. Drei. Die geringe Menge von
Tellur, welche dem Verf. zu Gebote stand, hinderte ihn,
298 IV. W irkungcn mehrerer Alkalien
weitere Versuche damit anzustellen. Audi werden solche
Versuche durch den Umstand erschwert, dafs man das Tel¬
lur nicht wohl in einer schicklichen auHöslichen Form ge¬
hen kann. So viel erhellet übrigens ans den angcstellten
Versuchen, dafs das Tellur auch in der Form von Oxyd
» r
hei Hunden herabstimmend auf das Nervensystem wirkt und
heftiges Erbrechen veranlafst. Bei Kaninchen wirkt es zwar
viel langsamer ein, was wohl theils von der unauflöslichen
Form, theils davon herriihren mag, weil diese Thiere dert
Magen immer argefiillt haben. Das Telluroxyd bewirkt
eine Zerstörung der Schleimhaut des Magens und scheint
dabei rcducirt zn werden; wenigstens deutet darauf der ret-
tigartige Geruch und der im Darmkanal verbreitete tinten¬
artige Schleim. Zugleich scheint dasselbe vorzugsweise auf
die Leber zu wirken.
Die Titansäure, wovon einem Himdc mittlerer
Grüße eine Drachme mit etwas Fleisch gegeben wurde,
brachte keine Wirkung hervor.
Versuche mit Osmium. Nach diesen zu schiiefsen,
wirkt die Osmiumoxvdauflösung im höchsten Grade nauseos,
so dafs bei Thieren, welche sich brechen können, von dem
Magen aus keine bedeutenden Folgen sich äufsern können.
Dafs jedoch das Osmium vom Magen aus nicht in sehr ho¬
hem Grade giftig sei, scheint sich theils daraus zu ergeben,
dafs bei einem Versuche mit den flüssigen Fxcrementen am
3tcn und 4ten Tage schwarze Flocken ahgrngen, welche re-
ducirtes Osmium zu sein schienen, und welche mithin zu
erkennen gaben, dafs wirklich ein Theil der Flüssigkeit
nicht wieder ausgebrochen war, theils daraus, dafs auch
hei Kaninchen, welche nicht brechen können, der Tod sehr
langsam und erst auf wiederholte Gaben erfolgte. — Die
Art, wie hei Kaninchen durch Osmimnox\dauflösung der
Tod herbeige führt wird, möchte vielleicht einem Verbren¬
nungs-Prozesse zu vergleichen sein, indem es bekannt ist;
dafs das Osmiumoxyd durch thierische Substanzen rcducirt
wird, was liier unfaugbar der FaH war. Einen Antheii an
und Metalle.
299
dem Erfolge, namentlich an der grofsen Abmagerung, wel¬
che bei Kaninchen sich einstellte, dürfte auch der Umstand
haben, dafs durch das reducirte Osmium die ganze innere
b lache des Oesophagus, Magens und Dünndarms mit einer
rauhen, harten, schwarzen Kruste überzogen wurde, wo¬
durch nothwendig der Ernährungs-Prozefs leiden mufste.
(Eben so fanden sich bei einem Versuche mit salzsaurem
Chromoxydul der Magen und die Dünndärme mit einer
grünen rauhen Substanz überzogen.) — Wird eine gerin¬
gere Menge einer Lösung des Osmiumoxyds in das Gefäfs-
system injicirt, so erfolgt (zwei Versuchen zufolge) keine
Wirkung; bei einer gröfseren erfolgt der Tod, wie es
scheint dadurch, dafs die Lungen mit einer serösen Flüssig¬
keit überfüllt werden, wodurch eine Lähmung derselben
und eine Störung in dem kleinen Kreisläufe herbeigeführt
wird. Dafs dieses letztere der Fall sei, ergiebt sich aus der
Ueberfüllung der rechten Hälfte des Herzens und der Or¬
gane des Abdomens mit Blut.
II. Electropositive Metalle.
Versuche mit Platin. Aus diesen ergibt sich, dafs die
f
Platinsaize, sowohl vom Magen aus, als auch wenn sie in
das Gefäfssystem injicirt werden, sehr starke Entzündungen
des Magens und übrigen Darmkanals bewirken, in deren
Gefolge das heftigste Erbrechen und ruhrartiger blutiger
Durchfall sich einstellt. W ird das Gift der Blutmasse bei¬
gemischt, so scheint die Entzündung verbreiteter zu sein,
indem selbst der Mastdarm und die Harnblase an derselben
/ 1
Theil nahmen, während, wenn das Gift in den Magen ge¬
bracht wurde, die Entzündung sich auf Magen und Dünn¬
darm beschränkte. — Es ergiebt sich ferner, dafs wenn man
die Platinsalze in das Zellgewebe unter die Haut bringt,
keine oder nur eine sehr unbedeutende Einwirkung erfolgt,
indem bei der starken Dosis von zwei Drachmen Platin-
Salmiak nur Erbrechen sich einstellte, welches nicht lange
anhic-lt, und sogar mit keinem bedeutenden Uebclbefinden
verbunden war. Dieses Erbrechen scheint blofs Folge des
300 IY. Wirkungen n>ehrercr Alkalien
starken Reizes, den die grofse Wunde verursachen mufste,
unabhängig von der eigenthiimlichen W irkung des Platins*
als solchen, gewesen zu sein.
Versuche mit Iridium. Aus diesen erhellet, dafs die
Sehwcrauflöslichen Salze, welche das Iridiumoxyd bildet,
ohne Wirkung sind; dafs die leich tau böslichen bei Hunden
vom Magen aus Erbrechen und Durchfall, ohne weitere
nachtheilige Folgen, bewirken, und bei Kaninchen, welche
nicht brechen können, den Tod berbeifuhren , wahrschein¬
lich als Folge der Entzündung des Magens und Dünndarms.
Bringt man diese letzteren Salze in die Blutmasse, so zeigt
sich die auffallende Erscheinung, dafs anfangs kein merkba¬
rer Eindruck wahrgenommen wird, später aber der Tod
plötzlich erfolgt, wie es scheint durch Zerstörung der Irri¬
tabilität des Herzens und durch Vermehrung der Coagula-
bilitat des Blutes.
Versuche mit Rhodium. Aus diesen ergieht sich, dafs
wenigstens das Doppelsalz, welches das salzsaure Rhodium¬
oxyd mit salzsaurem Natrum bildet, vom Magen aus keine
merkbare Wirkung ausübt, und dafs selbst die Wirkung
vom Blut aus höchst unbedeutend ist, indem das Thier, bei
einer ziemlich beträchtlichen Dosis, erst vom 4ten auf den
öten Tag unterlag, und aufser einer nicht heftigen Entzün¬
dung des Magens, der dünnen Darme und der Lungen,
nichts von Bedeutung sich zeigte.
Versuche mit Palladium. — Aus diesen erhellet,
dafs das salzsaure Palladiumoxyd, wenn es in das Gcfäfssy-
stem , selbst in äufserst geringer Dosis, injicirt wird, fast
augenblicklich tödtet; wie es scheint durch Zerstörung der
Irritabilität des Herzens und. Coagulation der Blutmasse.
\ om Magen aus bewirkt dieses Salz bei Hunden Erbrechen
und D ur chfall. Bei Kaninchen, welche, weil sie nicht bre¬
chen können, ,diesem Gift, wiewohl nicht ha'ld, unterliegen,
bewirkt dasselbe Entzündung des Magens, welche in Brand
übergeht, und eine Art Wassersucht der Magenhäute, so
und Metalle.
301
i / i t
wie auch Entzündung der Harnblase und Seeretion von
blutigem Harn. >
Versuche mit Nickel. Aus diesen ergiebt sich, dafs
das schwefelsaure Nickeloxyd bei Hunden vom Magen aus
Erbrechen bewirkt ; dafs dasselbe , wenn es in gröfserer
Menge in das Gefäfssystem injicirt wird, plötzlich tödtet,
indem es die Irritabilität des Herzens zerstört; dafs es,
wenn es in geringer Menge injicirt wird, das Gefäfs- und*
Nervensystem herabstimmt, Erbrechen und Durchfall be¬
wirkt, den Ernährungsprozefs untergräbt und eine allge¬
meine Cachexie verursacht, welche sich durch Abmagerung,
durch eiterartige Secretion der Conjunctiva (wie wenn
chromsaures Kali in das Zellgewebe unter die Haut gebracht
wird) ausspricht. — Es ergiebt sich ferner, dafs es bei Ka¬
ninchen Magenentzündung bewirkt, wobei der Tod unter
Convuisionen erfolgt; dafs es ferner, wenn es in das Zell¬
gewebe unter die Haut gebracht wird, keine Wirkung her-
yorbringt, nicht einmal Erbrechen erregt.
Versuche mit Kobalt. Diesen zufolge wirkt das Ko¬
balt dem Nickel ziemlich ähnlich, nur zeigt sich der Un¬
terschied, dafs es auch, wenn man es in das Zellgewebe un¬
ter die Haut bringt, Erbrechen bewirkt, welches bei dem
Nickel nicht der Fall Ist. u
Versuche mit Uran. Vom Magen aus zeigen Uran¬
oxydsalze keine sehr bedeutende Einwirkung; nur in gro-
fsen Gaben erregen sie Brechen, oder wenn dieses, wie
bei Kaninchen, nicht möglich ist, so führen sie eine Ma¬
genentzündung herbei, an welcher das Thier stirbt. — In
das Gefäfssystem injicirt bewirken sie schnell den Tod,
durch Zerstörung der Irritabilität des Herzens und Coagu-
lation der Blutmasse.
Versuche mit Cerium. Aus diesen ergiebt sich, dafs
das salzsaure Ceriumoxydul vom Magen aus eine höchst
unbedeutende Einwirkung zeigt, und in der Regel bei Hun¬
den, welche so leicht brechen, nicht einmal Brechen ver-
302 IV. Wirkungen mehrerer Alkalien
ursacht; dafs es in einer gewissen Dosis in das Gefäßsy¬
stem injicirt keinen merkbaren Eindruck macht, bei stärke¬
rer Dosis aber plötzlich tödtet, und zwar nicht durch Zer¬
störung der Irritabilität des Herzens oder durch (Koagula¬
tion des Blutes, sondern, wie es scheint, durch schlagartige
Einwirkung auf das Hirn.
Versuche mit Eisen. Smith und Orfila haben
Versuche über die Wirkungen des Eisenvitriols hei Hun¬
den angestellt. Sie folgern daraus, dafs das Eisenvitriol
für Hunde ein Gift ist, wenn man dasselbe in den Ma¬
gen, in die Nerven oder in das Zellgewebe bringt; daß es
eine lokale Irritation der Theile, mit welchen es in Berüh¬
rung ist, hervorbringt, die eine Entzündung im Gefolge hat.
Dafs jedoch das Eisen, welches das einzige schwere Metall
ist, das in die Zusammensetzung des thierisrhen Körpers in
etw-as beträchtlicher Menge eingeht, auch dasjenige ist, wel¬
ches am wenigsten giftig wirkt, erhellet zum Theil aus
den von Smith angestellten \ ersuchen, wo 8 — 10 Grane
EKisenvitriol in Wasser gelöst in die Venen eingespritzt
werden konnten, ohne den Tod herbeizuführen, theils aus
den vom Yerf. vorgenommenen Versuchen. Einem jungen
Hunde wurden z. B. 20 Grane Eisenvitriol in zwrei Drach¬
men W asser aufgelöst in die äufsere Drosselvene gespritzt,
wonach durchaus keine Zufälle erfolgten.
Versuche mit Mang an. Aus diesen erhellet, dafs das
schwefelsaure Mangan in grofser Dosis in den Magen ge¬
bracht, hei Hunden Erbrechen bewirkt, dafs dieses Salz von
Kaninchen in ziemlicher Dosis ertragen w ird , hei zu gro¬
fser Dosis aber lähmend einwirkt, wobei der Tod ohne
(Konvulsionen erfolgt und eine leichte Magenentzündung sich
zeigt, dafs dasselbe, wenn es in das Gefäfssystem injicirt
w'ird, bei geringer Dosis Brechen erregt, ohne weitere
Symptome zu veranlassen, hei gröfserer Dosis entweder
plötzlich tödtet durch Zerstörung der Irritabilität des Her¬
zens oder aber einen stark lähmendeu, gleichsam schiagarti-
nnd Metalle.
303
gen Eindruck macht, von welchem sich das Thier wieder
auf einige Zeit erhohlt und dann eines langsamen Todes
stirbt. Die Symptome, die sich in diesem letzteren Falle
zeigen, sind Erbrechen, Mangel an Appetit und eine völlige
Niedergeschlagenheit. Merkwürdig ist die Entzündung, die
sich in so vielen Organen nach dem Tode zeigt, nament¬
lich im Magen, Dünndarm, Leber, Milz, und selbst im Her¬
zen; merkwürdig ist ferner die aufserordentlich vermehrte
Gallepsecretion, welche sich durch eine gelbe Färbung fast
aller Eingeweide und die so auffallende vvachsgelbe Färbung
selbst der gröfseren Gefäfse zu erkennen gibt. — Es er¬
gibt sich ferner, dafs das schwefelsaure Mangan, wenn es
in das Zellgewebe unter die Haut gebracht wird, ganz ohne
Wirkung ist..
Zu den wichtigeren Resultaten, welche sich aus den
Versuchen des Verf. ergeben haben, scheinen nun folgende
zu gehören:
1) Dafs Körper, welche ihren chemischen Verhältnis¬
sen nach einander höchst verwandt sind, dennoch hinsicht¬
lich ihrer Wirkungen auf den thierischen Körper äufserst
verschieden sein können, wie Baryt und Strontian. .
2) Dafs unter den vielen Metallen, welche in das Ge-
fäfssysstem injicirt worden siud, nur drei Coagulation des
Blutes bewirken, nämlich salzsaures Baryt (nach Orfila),
salzsaures Uranoxyd und salzsaures Palladiumoxyd, welche
drei Metalle ihren chemischen Verhältnissen nach sehr ver¬
schieden sind.
3) Dafs das chromsaure Kali, wenn es in das Zellge¬
webe unter die Haut gebracht wird, auf das Bronchialsy¬
stem wirkt, vermehrte Secretion von Schleim veranlafst,
der sich faserstoffartig verdickt, auch eine Entzündung der
Conjunctiva und eine Schleimsecretion derselben hervor
bringt.
4) Dafs das Osmiumoxyd vom Magen aus schneller
Brechen erregt, als irgend ein anderes Metall, und vom
304 V. System der Arzneimittellehre.
Gefäfssystem ans eine sehr copiöse Ausschwitzung einer
serösen Flüssigkeit aus den Lungen, und dadurch eine Sto¬
ckung in dem kleinen Kreisläufe bewirkt.
5) I)afs das schwefelsaure Mangan, in das Gefäfssystem
injicirt, eine auffallende Wirkung auf die Leber änfsert,
eine Entzündung dieses Organs bewirkt und die Gallense-
cretion im hohen Grade vermehrt, wobei selbst die grölse¬
ren Gefäfse gelb gefärbt werden.
Wagner .
. . V.
System der practischcn Arzneimittellehre
von .Leopold .Franz Herr mann, der Heilk.
Dr., ö. o. Professor der theoretischen Heilkundp
für W undarzte an der Hochschule zu Wien.
Erster Band. Allgemeine Arzneimittellehre.
Wien, gedruckt bei den v. Ghelenschen Erben.
1824. 8. XV und 542 S„
i /
Das vorliegende Werk «soll ein Handbuch sein, das
die in den Vorlesungen über Arzneimittellehre für Chirur¬
gen mündlich angeregten und zum Leben geweckten An¬
sichten in vielseitigerer Ausbildung bleibend giebt, das die
Beschränktheit des Unterrichts durch gröfsere Fruchtbarkeit
ausgleicht, das nach der so schnellen Trennung von der
Schule eine wohlthätige Verbindung unterhält, und den
dort eingeleiteten Zeugungsproccfs fortsetzt.”
(Beschlufs folgt.)
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825.
m 52,
v.
System der practischen Arzneimittellehre
von Leopold Franz Ilerrmann. Erster Band.
Allg emeine Arzneimittellehre. Wien, 1824.
8. XY und 542 S.
(Beschluss.)
Innere und äufsere Gründe bewegen uns1 zu glauben, dafs
dieser Zweck grofsentheils verfehlt werden dürfte; jene,
indem ein Theil des Werkes in einer so streng wissen¬
schaftlichen Sprache ahgefafst ist, dafs, wie wir in ähnli¬
chen Anstalten erfahren haben, die elementare Bildung der
Zöglinge auf keine Weise hinreicht, um ein vollkommenes
Verständnifs zu bewirken; diese, indem der zu erwartende
grofse Umfang des W erks einen Preis herbeiführen dürfte,
der diesen meistens dürftigen Leuten den Ankauf nur sel¬
ten gestatten wird. Andererseits werden angehende Medi-
ciner, welche den wissenschaftlichen Theil vollkommen auf¬
fassen können, an andern Theilen des Werks Anstofs neh¬
men , die in einer gewaltigen Breite einhergehen und ganz
einfache, durch sich selbst verständliche Dinge in weitläufi¬
ger Auseinandersetzung darlegen. Jedoch die sehr reiche
Litteratur und vielleicht eigentümliche oder besonders
vollständige Darstellung der noch nicht erschienenen spe-
ciellen Arzneimittel werden dem Werke wohl ein beson¬
deres Publikum gestalten, worüber die Zukunft entschei¬
den wird.
Erste Abtheilung. Einleitung und allgemeine
Arzneikräftenlehre. Nur dadurch dafs die äufsere Na-
20
II. Bd. 3> St.
306
Y. System dor Arzneimittellehre.
tur uns schädlich zu werden vermag, kann sie in anderer
Richtung uns wieder nützlich und Heilmittel werden. Al¬
les, was ist, kann Heilmittel werden; eine Heilmittcllehre
wird dadurch praktisch, dafs sie die durch Erfahrung er¬
kannten Heilmittel abhandelt. Alles Einwirken ist dvna-
m
misch; jedoch lafst sich ein rein dynamisches, ein chemisch¬
dynamisches, und ein mechanisch -dynamisches unterscheiden.
Andererseits sind die Heilmittel körperlich oder geistig;
jene zerfallen wieder in organische, physische, diätetische,
pharmaceiitisehe und mechanische. (D iese letztere von Kie-
s e r entlehnte Eintheilung ist vollkommen unlogisch, was
Rer. bereits vor einigen Jahren in Ilorn’s Archiv darge-
than hat und sich hei der genauen Betrachtung leicht erwei¬
sen I ä f> t. ) — Arznei und Gift sind nur relativ geschieden;
die Natur der Arzneistoffe wird zuerst durch die naturge-
sehicht liehe Untersuchung derselben bestimmt, sodann durch
die chemische Prüfung sowohl an unorganischen Körpern,
als an verstorbenen organischen und deren nächsten Be¬
standteilen, ferner durch die Wirkung auf Thiere von dem
Menschen verwandter Organisation, durch die auf gesunde
Menschen und vorzüglich durch die auf kranke Menschen;
die letzte Prüfungsweise ist die vorzüglichste; keine der
andern ist für sich hinreichend; vereint sind sie jedoch be¬
deutende lliilfsmittel. Es bedarf einer Kritik der Bcobacb
tungen der Arzneiwirkungen ; sowohl die Subjectivität des
Beobachters, als Irrungen in Beziehung des Objects und
Fehlerhaftigkeit der in Beziehung auf die Wirkungen der
Arzneien gemachten Schlüsse sind immer zu fürchten. —
Dieselben Theile unseres Körpers, welche zur Aufnahme
der gewöhnlichen Einflüsse bestimmt sind, eignen sieb auch
zur Aufnahme der Arzneien; die Wahl der Organe hängt
von den besonder!) Umständen und Zwecken ab. Allge
mein verbreitete Aufnahmsorgnnc sind: die Saugadern , die
Venen (bei denen mehr die seltene Transfusion, als die
nicht zu bezweifelnde unmittelbare Aufsaugung vieler Stoffe
in Betracht gezogen ist ) und die Nerven; die besonderen
307
V. System der Arzneimittellehre.
Aufnahmsorgane sind: der Magen und die dünnen Gedärme,
aus vielen Gründen hier 'mit Recht immer den ersten Rang
behauptend, der Mastdarm und die dicken Gedärme, die
Zeugungstheile, das Hautsystem, die Lungen, die äufsern
Sinne, 1 heile, die erst durch den kranken Zustand sich zu
Organen der Aufnahme gebildet haben. — Alle Arzneikraft
ist bedingt durch die Lebensverhältnisse ; das Leben und
der fremde Stoff stehen an sich im Gegensatz, bis sich ein
Gemeinsames bildet. Die verschiedenen Vorstellungen über
das "Wesen der Arzneiwirkung, die mechanische, die che¬
mische, die chemisch -vitale, die vitale, müssen verbunden
werden. Es grebt «einen arzneilichen Ernährungsprocefs”,
in welchem eine Analyse und Synthese, eine Secretion und
Excretion erfolgt. Die Endwirkung jeder Arznei ist daher
vital -qualitativ. Diese läfst sich wieder scheiden in allge¬
mein-qualitativ, besonders in specifisch- qualitativ. Anderer¬
seits werden auch die quantitativen Wirkungen der Arz¬
neien erwogen. Die Arzneien wirken ferner mittelbar oder
unmittelbar, nothwendig oder zufällig; absolut einfache
Arzneiwirkungen giebt es nicht; den relativ, einfachen ste¬
hen die zusammengesetzten , den consensuellen die antago¬
nistischen, den primären die secundären, den allgemeinen
die örtlichen entgegen. In Hinsicht auf die letzteren wird
mit Recht bemerkt, dafs jeder allgemeinen Wirkung eine
örtliche vorangehe. Modificirte Einwirkungen entstehen
durch viele Nebenverhältnisse, durch die Beschaffenheit der
Waare, durch die Gestalt der Arznei, durch Zusammen¬
setzungen, durch die Gaben und deren Vertheilung, und
durch mannichfaltige innere Lebensverhältnisse, besonders
durch das Alter, durch das Geschlecht, durch das Tempe¬
rament (welches unrichtig der Inbegriff von den Eigen-
thümlichkeiten der Organisation und der Lebensthätigkeit
genannt, und wie uns däucht auch in seinen einzelnen
Verzweigungen nicht richtig gedeutet wird; denn das san¬
guinische Temperament heifst hier sensibel, das cholerische
und melancholische irritabel, das phlegmatische reproductiv)
2Q *
308
V. System der Arzneimittellehre.
durch die Eigentümlichkeit der Krankheit und die mitwir-
kenden Au Isen Verhältnisse. Die verschiedenen Eintheilungs-
principe der Arzneien werden kritisch gewürdigt; als haupt¬
sächlich einander entgegengesetzt werden betrachtet dasje¬
nige, wo die Arzneien an und für sich und das, wo das
therapeutische Verhältnis zu Grunde liegen. In Beziehung
auf ersteres werden das künstliche und das natürliche na¬
turgeschichtliche System, so wie die verschiedenen chemi¬
schen Systeme tadelnd in Betracht gezogen; dem therapeu¬
tischen Principe giebt der Verf. unbedingt den \ orzug,
verwirft jedoch alle frühem Versuche dieser Art und bringt
das Schema einer eigenen, dem Wesentlichen nach aus der
frühem entlehnten Einteilung vor, welche er nicht für
vollendet, jedoch für besser als die vorhergehenden hält.
Rec. gesteht, dafs seiner Meinung nach diese Eintheilung
zu den unvollkommensten gehört; sein specielles Urtheil
will er zuriicküalten , bis er die Ausführung in der speciel-
len Arzneimittellehre gesehen haben wird. Das Schema ist
folgendes. Die Arzneien zerfallen in zwei Hauptklassen:
reproductiv- dynamische und dynamisch -reproductive, beide
Klassen theilen sich in zwei besondere Ordnungen, nämlich
in qualitative und quantitative; als Unterabteilung ist die
allgemeine oder besondere 'Wirkung angenommen. — In
der Geschichte der Heilmittellehre werden fünf Perioden
aufgestellt; die erste geht bis Ilippocrates, die zweite
bis Galen, die dritte bis Paracelsus, die vierte bis
Boerhaave, die fünfte bis auf die neueste Zeit. In der
Darstellung des Einzelnen haben wir keine wesentliche Ei¬
gentümlichkeit angetroffen. Auch hier müssen wir bemer¬
ken, dafs wenn Chirurgen die eigentlichen Leser des ^Ver-
kes sein sollten, der Verf. das Geschichtliche viel kürzer
und ganz anders hätte behandeln müssen; wer mit dem
Gange der Geschichte und der Wissenschaften überhaupt
nicht vertraut ist, für den ist eine geschichtliche Darstel¬
lung der Arzneimittellehre, wie sie Hr. H. giebt, eben so
unverständlich als unbrauchbar.
309
V. System der Arzneimittellehre.
Zweite Abtheilung. Allgemeine Receptirkunst.
Der Verf. behauptet in dieser 2*20 Seiten umfassenden Dar¬
stellung des Formulars, dafs diese Lehre jetzt sehr vernach¬
lässigt sei. Wir haben keine Gelegenheit zur Begründung
dieser Klage gehabt, und glauben überdies, dafs ein breiter
\ ortrag hier nicht weiter bringe, sondern dafs die Haupt¬
sache durch Veranstaltung von besonderen Uebungen im
V erfassen von Formeln und dann besonders durch den kli¬
nischen Unterricht geschehen müsse. — Auf richtige Weise
wird der Einflufs der Chemie auf die Formel angegeben;
das chemische Gesetz soll im Allgemeinen herrschen, mufs
/
aber gegen bestimmte ärztliche Erfahrungen zurücktreten.
Die verschiedenen Arten der Arzneiformeln, die Sammlun¬
gen derselben, theils zum Privatgebrauch, theils als gesetz¬
lich Für die Apotheken bestimmmter Staaten, die Bcstand-
theile jeder Formel, die Bezeichnung der einzelnen Theile
des Inhalts, die Maafse und Gewichte, die Berücksichtigung
des nächsten sinnlichen Eindrucks, welchen die Arznei und
die bestimmte Form hervorbringt, die Bezeichnung der
Stoffe, wobei der alten Nomenklatur der Vorrang zuer¬
kannt wird, die Subscription und die Signatur sind nach
bekannter Weise abgehandelt. Als therapeutische Regeln
giebt der Verf. die, nicht 'unentschlossen in der Verord¬
nung zu sein, auch wo keine Arznei erforderlich ist, doch
eine indifferente als psychisches Heilmittel zu verordnen,
(eine zu weit ausgedehnte Regel) nicht nach vielen Arznei¬
mitteln zu streben, nie mehrere gleichartige zu vereinen,
(auch zu allgemein) nicht nach grofsen Zusammensetzun¬
gen zu streben, aber auch nicht anerkannte Zusammense¬
tzungen gewaltsam zu trennen, die Individuen zu berück¬
sichtigen, nicht in den Formeln zu rasch zu wechseln, nicht
heroische Mittel, oder neue vorzugsweise zu ergreifen, die
Dosen passend zu vertheilen. In pharmaceutischer Hinsicht
räth er Deutlichkeit in Schrift und Ausdruck, Ordnung,
Vermeidung des Geheimnifsvolleri , so wie des Obsoleten,
häusliche Verfertigung dessen, was ohne Schaden zu Hause
310 V. System (1er Arzneimittellehre.
t i %
bereitet werden kann, Vermeidung der Sucht nach Exoti-
tischem oder nach Inländischem, Anordnung einfacher Jie-
reitungen bei drohender Gefahr, Vermeidung jedes Irr¬
thums. — Die Arzneiformen werden eingctheilt in feste
und Hiissige, die letztem wiederum in tropfbar iiiissige und
gasförmige. Jede der bekannten Arzneiformen wird hier¬
auf ihrer Beschaffenheit nach genau beschrieben und zuletzt
mit einigen bewährten Reccpten als Beispielen begleitet.
Die Ordnung ist folgende: 1) Trockne feste Arzneiformen.
Pulver, Oelzucker, Pulver zum äufsern Gebrauche, als Au-
genp., Niesep., Riechp., Räucherp., Zahnp., Einstreup.,
ferner trockner Umschlag, Morscllen, Zeltchen, Kügel¬
chen. — 2) Festweiche Arzneiformen: Teig, Pillen, His¬
sen, Latwerge, Conserve, Gallerte, Pflaster, Stuhlzäpfchen,
Wachskerzen, Wachssalbe, Salbe, Schmiere, (ein in Nord-
Deutschland zu gemein klingender Ausdruck für Linimen-
tum) Breiumschlag, der in Cataplasma crudum et cocluin
eingetheilt, und eine äufsere Latwerge genannt wird. —
3) Flüssige Arznei formen: Schleim, Lecksaft, Pinselsaft, aus-
geprefster Pflanzensaft, Aufgufs, Absud, Verbindung beider,
Ptisane, Molken, Pflanzenmilch, Mixtur, Julepmixtur, Mit¬
telmixtur, (eine unnöthige Absonderung) Tropfenmixtur,
Tränkchen, Auflösung, (geholt nach unserer Meinung zu
den allgemeinen Formen der Arzneibereitung, aber nicht zu
den besondern Arzneiformen , ist vielmehr in der Mixtur
inbegriffen ) künstliche Mineralwässer, Bäder, Bähungen,
(der Verf. nimmt auch kalte Bähungen an, was aber ein
Widerspruch zu sein scheint, da im Teutschen Bähen im¬
mer das W drme bezeichnet; besser wäre das Ganze unter
der I Jeberschrift Umschläge abgehandelt worden. Gele¬
gentlich kann Bec. nicht umhin zu wünschen , dals der be¬
sonders in chirurgischen Schriften oft vorkommende Aus¬
druck «kalte Fomentationen'’ als eine Contradictio in ad-
jecto bald nicht mehr gehört werden möge.) Waschwas¬
ser, Augen wasscr, Mund- und Gurgel wrasscr, Linsprützung,
VI. Materialien zur Heilmittellehre. 311
\t
Klystier, — 4) Gasförmige Arzneiformeln Dunst und
Gas. —
Lichtenstädt .
vi. „ •
• • < » » , „
Materialien zu einer künftigen H ei Imit tei¬
le li re, durch Versuche der Arzneien an gesun¬
den Menschen gewonnen und gesammelt vom Dr.
Johann Christian Gottfried Jorg, ordent¬
lichem Professor der Geburtshülfe an der Univer¬
sität zu Leipzig, Director der daselbst befindli¬
chen Entbindungsschule, aufserordenllichem Bei¬
sitzer der medicinischen Facultät u. s. w. Erster
Band. Leipzig, bei C. Cnobloch 1825. 8» XII
und 500 S. (2 Thlr. 12 Gr.)
Es ist gewifs nicht zu leugnen, dafs die pathogenetische
Wirkung der Arzneien noch am wenigsten bearbeitet, und
dafs es verdienstlich ist, auf diesem Felde des Wissens neue
Forschungen zu unternehmen. Aber etwas ist doch bereits
gethan, und es mufs daher befremden, wenn der Yerf, von
sich rühmt, dafs er einen neuen Weg betreten, der zur
sicheren E nt räth selung der den Arzneimitteln inne¬
wohnenden Heiltugenden führe. Worin besteht denn das
Neue? Der Yerf. gesteht selbst ein: dafs mehrere einzelne
Männer ältere und neuere Heilmittel an sich selbst ver¬
sucht und die Resultate ihrer Experimente — von denen
auch einige in dem Ruche selbst citirt werden — bekannt
gemacht haben; aber er macht ihren Forschungen den Yor-
wurf, dafs sie «das Gepräge der Individualität” an sich tra¬
gen, und daher nur der Wissenschaft unbedeutenden Ge¬
winn bringen. Soll das heilsen: ihre Forschungen bezogen
312 VI. Materialien zur Heilmittcllehre.
sich nur auf Ein Individuum? *o folgt freilich daraus,
dafs der Gewinn quantitativ für die W issenschafl ge¬
ring sein mufste , aber ein Vorwurf für die Forschung
und Bekanntmachung selbst kann dies keinesweges sein.
Vielmehr wird jede einzelne Beobachtung um so besser
und also für die Wissenschaft um so fruchtbringender sein,
je mehr sie die Individualität, d. h. die Eigentümlichkeit
des gegebenen Falles berücksichtigt und hervorhebt. Wie
sehr es überhaupt bei Tlen Experimenten über die pathoge¬
netische Wirkung der Arzneien auf ein genaues Erfassen
der Individualität ankommt, sieht der Verf. selbst ein, und
er tadelt Ilahnemann nicht mit Unrecht, dafs er die Er¬
folge bei den einzelnen Experimentircnden zu einem allge¬
meinen Resultate zusemmengeschmolzen und also aus den
Symptomen, welche jedes Mittel den einzelnen Individuen
zuzog, eine allgemeine in der Natur nie existirende (Arz¬
nei-) Krankheit zusammengetragen bat. Diesen W eg II ah¬
nemann ’s also will der Verf. vermeiden und darin besteht
eigentlich das Neue, dafs er eine Menge Beobachtungen
über die pathogenetische Wirkung der Arzneien bekannt
machen will, ohne die Wirkungen, die in verschiedenen
Körpern von einem und demselben Mittel, uund durch ver¬
schiedene Dosen hervorgebracht sind, mit einander zu ver¬
schmelzen. Er will jedesmal schildern, wie und was
ein Mittel und eine Gabe in einem Individuum wirkte,
und meint, dafs man nur durch solche ganz ins Einzelne
gehende Berichte, denen auch die erfolglos gebliebenen Ga¬
mben beigefügt sein müssen, dem Arzte zu dem W'issen über
die Heilkräfte der Arzneimittel verhelfen kann, welches der¬
gleichen Experimente möglich machen und welches zu ei¬
ner glücklichen Ausübung der Medicin erfordert wird.
Dies ist der Plan des Werks, gegen den sich im All¬
gemeinen wohl nichts erinnern lassen möchte, als dafs diese
ganz detaillirten Berichte noch nicht detaillirt genug
sind. Denn was nützt es zu wissen, dies oder jenes Mittel
VI. Materialien zur Heilmittellehre. 313
habe in der oder jener Dosis dies oder jenes Symptom
hervorgebracht, wenn dabei der innere nothwendige Zu¬
sammenhang zwischen der Kraft des Mittels und den Wir¬
kungen nicht klar erkannt wird, und wie kann dieser Cau-
salnexus anders erkannt werden, als wenn die Individualität
des an sich selbst Experimentirenden auf das genaueste be¬
schrieben und hervorgehoben wird? Der Verf. gesteht dies
selbst zu in der Einleitung S. 4., indem er sagt: so mufs
der Arzt auch den Menschen körperlich und geistig, und
sowohl in seinem rein physiologischen, als auch im patho¬
logischen Zustande und in allen den besonderen Eigen-
thüinlichkeiten, welche das physiologische und pathologische
Leben zuläfst, auf das genaueste kennen. Wie wenig ent¬
spricht aber die kurze Beschreibung der Experimentatoren
in der Einleitung dieser genauen Kenntnils, und wie ist es
möglich, dafs man sich aus ihnen die verschiedene Wir¬
kung der gleichen Mittel und Gaben erkläre? So z. B.
lautet die Beschreibung von Enders: 28 Jahr alt, langer
starker Statur, robuster Constitution, sanguinischen Tem¬
peraments; von Günz: 24 Jahr alt, kleiner untersetzter
Statur, robuster Constitution, sanguinischen Temperaments.
Beide wären demnach also nur hinsichtlich der Körperlänge
unterschieden und dennoch finden sich ziemlich bedeutende
Unterschiede in der Wirkung gleicher Mittel und Dosen.
Beide haben mit der Valeriana, der Serpentaria und dem
Camphor experimentirt. Die Erfolge waren:
\alerianapulver: Günz nach 1~ Drachme Auf-
stofsen, Uebelkeit, Vollheit des Magens, dann Kopfweh, un¬
ruhigen Schlaf und Bodensatz im Harn.
Enders nach 1~ Drachme Kopfschmerz und röthli-
chen Bodensatz im Urin. Die gastrichen Zeichen, die bei
Günz die ersten und vorherrschenden waren, fehlten also
bei Enders ganz, und dennoch traten der Kopfschmerz,
von dem gezeigt werden mufste, auf welche Weise er zu
Stande kam, da z. B. durch den letzteren Versuch die ga-
314 VI. Materialien zur Heilmittcllehrc
strische Ursache desselben ausgeschlossen wird, und die
Wirkung auf die Nieren ein, die aber hei beiden auch
durch die Farbe des Urins u. s. w. modificirt ist.
Serpentaria (lnfusum) Günz nach 1 Drachme in -1
Unzen Flüssigkeit empfand nichts.
Enders nach 2 Scrupel in 4 Unzen Wasser, bekam
Uebelkeit, Erbrechen und fortdauernden Ekel.
Bei der Valeriana wurde Günz’s Darmkanal vorzugs¬
weise afficirt, hier gar nicht, dagegen findet sich das umge¬
kehrte Verhältnis bei Enders.
Camphor. Enders experimentirte mit einer Auflö¬
sung, die in 8 Tropfen Weingeist 1 Gr. Camphor ent¬
hielt und erhielt die erste W irkurig nach 1 Tropfen. (£ Gr.)
Brennen im Munde, dumpfer Kopfschmerz, Verstimmung,
in der Nacht fester Schlaf. Beide letzteren Symptome bei
jeder Dosis. 8 Tropfen (1 Gr.) Kopfschmerz mit Stichen,
vermehrte llautthätigkeit, Durst. 12 Tropfen. Rauschähn¬
licher Zustand, dann erst die übrigen Symptome und ge¬
reizter Puls. Nach 16 Tropfen (2 Gr.) wahrer Schwin¬
del und die übrigen Symptome, ausgenommen das letzte.
Es beweist also dieser letztere Versuch, dals die Heizung
des Pulses von anderen Ursachen abhängig war, die doch
hätten aufgesucht werden müssen, um kein falsches Bild der
pathogenetischen Wirkung zu entwerfen.
Günz experimentirte mit dem unaufgelösten reinen
Kampher und erhielt nach 1~ Gr. Aufstofsen, Vollheil im
Magen, Beklommenheit beim Athrnen und Mangel an Appe¬
tit, nach 2 Gr. noch frequenten Puls, nach 3 Gr. noch
Drücken in der Stirn, liier entwickelten sich also die
W irkungen des Kamphers auf den Darmkanal vorzugsweise
und später erst die auf das Gefäfssy stein, dagegen hei En¬
ders mehr Wirkung auf »las Gefäß- und Nervensystem
und die Haut hervorlrat, was hier wohl seinen Grün»! in
' «
der verschiedenen Form des Mittels haben konnte.
Offenbar hat also der Verf. auf die Individualität der
Experimentatoren nicht die genügende Rücksicht genotu
VI. Materialien zur Heilmittellehre. 315
men, wozu er vielleicht durch die Meinung verführt wor¬
den ist, dafs die unmittelbare Wirkung eines Mittels immer
dieselbe bleibe, im Gesunden wie im Kranken, und selbst
das was er darüber beigebracht hat, ist mitunter von der
Art, dafs man es gar nicht benutzen kann, z. B. Heister-
bergk ist robuster Constitution und sanguinisch -phlegma¬
tischen T emperaments. Kneschke lymphatischer Consti¬
tution und sanguinischen Temperaments. Seyffert zarter
Statur und robuster Constitution. En gl er arteriell -flori-
der Constitution und phlegmatischen Temperaments. Sind
das nicht Widersprüche?
Man sieht schon aus diesen wenigen Ausstellungen, dafs
die hier vorgetragenen Experimente nicht den Grad von
Vollkommenheit besitzen, dessen sie fähig sind, zugleich
aber verdient hier die Frage erwogen zu werden, ob der¬
gleichen Experimente in Masse, gleichsam fabrikmäßig ange¬
stellt überhaupt jene Vollkommenheit erreichen können?
Wir glauben, nein! wenigstens nicht auf diese W eise. Es
gehört zur gründlichen Erforschung der Individualität eines
Menschen ein ausgebildeter, vorurteilsfreier umsichtiger
Arzt. Alle drei Anforderungen aber gehen dem Studiren-
den noch ab, er ist also nicht geeignet den eigenen Kör¬
perzustand richtig zu erkennen. Wollte sich eine Gesell¬
schaft solcher oben bezeichneten Aerzte zu den pathogene¬
tischen Versuchen vereinen, so würden freilich die Resul¬
tate für die Wissenschaft höchst fruchtbar sein. So zeich¬
nen sich in dieser Sammlung die Experimente, die der Verf.
au sich selbst angestellt hat, vorteilhaft vor den übrigen
aus. Schon die Beschreibung seines physiologischen Zu¬
standes in der Einleitung ist vollständiger und deutlicher
als alle übrigen, und was noch fehlt hat der Verf. bei den
einzelnen Experimenten nachgetragen. Hätte man nun aber
auch alle Schwierigkeiten, die sich der Erforschung der pa¬
thogenetischen Kräfte der Arzneien entgegenstellen, glück¬
lich besiegt und ein vollständiges Bild dieser Kräfte erhal¬
ten, so müssen wir doch immer noch vor übereilten Schlüs-
316 VI. Materialien zur Hcilinittellehrc.
sen auf die therapeutische Wirkung der Arzneien warnen,
und hier stofscn wir auf die schwächste Seite des vorlie¬
genden Werks.
Der Verf. hat nämlich, nachdem er die Versuche der
einzelnen Experimentatoren historisch ohne alle Kritik auf¬
gezählt hat, eine summarische Uebersicht der pathogeneti¬
schen Kräfte entworfen, die wir schon nicht immer für
streng aus den Praemissen fliefscnd halten können, aus die¬
ser Uebersicht aber zieht er dann Schlüsse auf die thera¬
peutische Wirkung und verfährt dabei nach folgenden
Grundätzen.
ln der Einleitung S. 10 heifst es: die Eigenschaften
der Droguen, den gesunden Menschen in seinem Befinden
umzustimmen oder wirklich krank zu machen, gewähren
auch die Heilkräfte derselben. — Dieser Satz ist keineswe-
ges so allgemein wahr als der Verf. glaubt. Denn erstens
giebt es Arzneien, die gar keine krankmachenden Eigen¬
schaften besitzen, und auf diese wäre mithin das obige Ur-
theil nicht anzuwenden, oder sollte jenes Urtheil den Kreis
der Arzneien bestimmen, so würden wir viele aus der Ma-
teria medica streichen müssen. Zu diesen Mitteln gehören
meines Erachtens die mehr indifferenten als z. B. die ganze
Klasse der Mucilaginosa, viele Mellaginea, unter ihnen der
Zuck erf viele Obstarten, besonders die Beeren. Aller dieser
Mittel kann sich der Gesunde als Nahrungsmittel bedienen
und dennoch haben sie bedeutende therapeutische Kräfte.
Zweitens aber besitzen viele Arzneien ganz andere patho¬
genetische, als therapeutische Kräfte, oder vielmehr können
ihre th erapeutischen Kräfte im Gesunden nicht hervortre¬
ten, weil eben die Krankheit, die sie bekämpfen sollen, nicht
da ist. Hierher gehören vor allen die alkalischen kohlen¬
sauren Erden, deren wir uns so häufig als Absorbentia bei
Säure in den ersten W egen bedienen. Fehlt es aber an
dieser Säure, so mufs ja die Wirkung des Mittels eine ganz
andere sein, als wo jene vorhanden ist, wo das Mittel selbst
durch sic innerhalb des Kranken zersetzt und so ein neues
VI. Materialien zur Heilmittellehre. 317
geschaffen wird, das aufserhalb des Kranken noch gar nicht
vorhanden war. Was hier bei diesen Mitteln klar zu Tage
liegt, ist gewifs mehr oder minder bei jedem Arznei¬
stoff und bei jedem kranken Zustande der Fall, und
dies spricht gegen einen zweiten Satz des Verf. S. 13.
«Weder das Medikament, noch die unmittelbare Wirkung
desselben können abgeändert werden; beide bleiben im Ge¬
sunden und im Kranken dieselben.” Der Zusatz des Verf.
aber: «der veränderte Lebenszustand des Kranken bedingt
die veränderte Umstimmung in dem letzteren”, bezieht sich
nur auf die Quantität, nicht auf die Qualität der veränder¬
ten Wirkung, und doch mufs diese eben so wohl als jene
berücksichtiget werden.
Ferner folgt aus dem obigen Beispiele, dafs die chemi¬
sche Untersuchung der Arzneien keinesweges über die pa¬
thogenetische vernachlässigt werden darf und der Verf.
äufsert sich mit Unrecht herabsetzend über dieselbe in der
Vorrede, indem er sagt: Ja ich sehe mit Bestimmtheit vor¬
aus, dafs eine Zeit kommen wird, wo man nicht wird be¬
greifen können (wie dergleichen Erforschungen der Arz¬
neien durch Gesunde erst so spät in die Medicin eingeführt
werden konnten!) wie man, da der lebende Organismus
weit sichere Aufschlüsse gewähren mufste, zur chemischen
Zersetzung und zu mehrern andern Hülfsmitteln seine Zu¬
flucht zu nehmen im Stande war! — ! Kein Hiilfsmittel
darf man verschmähen um die Erkenntnifs der Arzneien
immer mehr und mehr zu erweitern. Je vielseitiger die
Arzneien geprüft werden, desto mehr wird dadurch einsei¬
tigen Schlüssen auf die therapeutische Wirkung vorgebeugt.
Der letzte Grundsatz, auf den der Verf. seine Schlüsse
auf die therapeutischen Wirkungen der Arzneien gründet,
ist der Einleit. S. 13. angeführte: Es springt aber von
selbst in die Augen, dafs die krankmachenden Eigenschaf¬
ten der Droguen nur unter zwei Bedingungen zu direkten
Heilkräften werden können, erstlich nämlich, wenn die ei-
genthümlichen Wirkungen der Arznei dem pathologischen
318 VI. Materialien zur Hcilmittellehrc.
Befinden als reine Contraria entgegengestellt, und zweitens
wenn sie nicht in zu hohem Grade erzeugt werden.
Ohne uns dem Verdachte auszusetzen, als nähmen wir
in einem noch nicht beigelegten Streite Parthei, der übri¬
gens gewifs ganz unnütz geführt wird, und nie entstanden
sein würde, wenn man mit gehöriger Umsicht zu W erke
gegangen wäre, können wir diesen Satz unbedingt billigen,
in so fern er sich auf das Wesen der Arzneikräfte und
Krankheit, und nicht auf die Symptome beziehen soll, da
wir ja wissen, dafs dieselben Symptome, freilich dann in
anderer Verbindung, durch die verschiedenartigsten inneren
Ursachen hervorgebracht werden können.
Für die therapeutische Maxime der Aerzte erlaubt der
Verf. zwar noch andere Wege, stellt jedoch das Gontra-
rium contrario curare immer als den ersten Grundsatz auf.
Nicht selten aber, wo er die Indicationen für ein Mittel
aus den pathogenetischen Wirkungen abstrahirt, folgt er
allein diesem Grundsatz und verwirft jeden anderen, was
um so mehr zu rügen ist, als der Verf. dadurch mit sich
selbst in Widerspruch geräth.
Unser Urtheil über das vorliegende Wrerk fällt hiernach
also dahin aus, dafs die Mittheilung der pathogenetischen
Experimente, ungeachtet der oben angeführten Ausstellun¬
gen, die der Verf. hei seinen künftigen Arbeiten, die er
versprochen hat, nicht unbcrücksichtiget lassen möge, ein
wahrer Gewinn für die Erkenntnifs der Arzneimittel ist;
dafs aber die Schlüsse auf die therapeutische AN irkung der
abgehandelten Arzneien nur mit grofser Umsicht benutzt
werden dürfen, und dafs es besser wäre der Verf. hätte sie
in einem WTerke wie das vorliegende, das ja doch eigent¬
lich nur der pathogenetischen W irkung gewidmet ist, g^anz
weggelassen. Das W erk würde um so mehr seinem Titel
entsprochen haben, und es wäre dann Kaum genug gewon¬
nen, die Versuche jedes einzelnen Experimentators gleich
kritisch zu beleuchten und aus ihnen das Wesen der W ir¬
kung der Arznei in dem respectiven Individuum auszuzie-
I
t •. ' *
\ II. Russische Dampfbäder. 319
licn. W ären dann diese einzelnen Wirkungen mit einan¬
der verglichen, so hätte sich viel leichter und deutlicher
die Gesammtwirkung der Arznei ergeben.
Die in diesem Werke abgehandelten Mittel sind: Ge¬
reinigter Salpeter, Kirschlorbeerwasser , das Wasser von
biftern Mandeln, die Blausäure, nach Vauquelin und 1 1 1 -
ner, Baldrian, virginische Schlangenwurz, Wohlverleih¬
blumen, Kampher, Biebergeil, der Moschus, die Ignatius¬
bohne, der Stinkasand, das Opium, Herba digitalis purpu-
reae, und die Jodinetinktur.
Burtz.
VII.
Russische Dampfbäder als Heilmittel durch
Erfolge bewährt. Nebst einer Anleitung zur Er¬
bauung und innern Einrichtung derselben durch
drei Kupfertafeln erläutert von G. F. Pochham-
mer, K. Pr. Geheimen Ober- Steuer- Rathe, Stif¬
ter und Eigenthümer des Mariannen -Bades zu
Berlin. Mit einer kurzen Anweisung zum Ge¬
brauche der russ. Dampfbäder von Dr. J. G.
Schmidt, ausüb. Arzte zu Berlin. Berlin, bei
Nauck, 1824. 152 S. 8. (1 Tblr. 8 6r.)
Der Verf. dieser Anzeige glaubt sich durch mehrjähri¬
gen Aufenthalt in Rufsland, durch häufige Benutzung des
russ. Dampfbades für sich selbst und durch zahlreiche Be¬
obachtungen über die Erfolge an andern Menschen zu ei¬
nem Urtheile über das vorliegende Werk vollkommen be¬
rechtigt. Allerdings ist es wahr, dafs die Dampfbäder in
Rufsland mehr zum diätetischen Zwecke dienen, und seifen
von Aerzten angerathen werden; letzteres rührt daher,
weil die Eingebornen von selbst zu diesem Mittel greifen,
4
V
320 VII. Russische Dampfbäder.
ohne den Rath des Arztes zu verlangen. Nicht selten ent¬
steht sogar hei den Aerztcn in Rufsland eine Art von Po¬
lemik gegen dieses Mittel , weil der Russe es für ein Uni-
versalmittel gegen alle Uebel halt und häufige Fälle von
Verschlimmerung mancher Krankheiten durch den Gebrauch
des Dampfbades Vorkommen. Der in Rufsland lebende Arzt
hat daher mehr Veranlassung von den Gegenanzcigen als
von den Anzeigen zu diesem grofsen Heilmittel Gebrauch
zu machen. Selbst in rein diätetischer Beziehung gebraucht
kann es (gegen die Meinung des Hrn. Dr. Schmidt)
Nachtheil bringen ; Rec. hat selbst den Fall erlebt, dafs ein
vollblütiger aber gesunder Mann auf der höchsten Abthei¬
lung der Bank liegend von einem tödtlichen Schlagflusse
befallen wurde. Sed abusus non tollit usum. Im Gegen-
theile hält der Unterzeichnete das russfehe Dampfbad für
ein treffliches und in vielen Beziehungen durch Wasserba-
, der nicht zu ersetzendes Mittel. Es wirkt viel durchdrin¬
gender auf das Hautorgan, erstreckt seinen Einflufs viel
kräftiger auf die Lungen und dringt überhaupt mehr in die
Tiefe als diese, denen wiederum eine mildere Einwirkung
auf das Nervensystem zugeschrieben werden mufs.
Den ersten und gröfsten Theil der vorliegenden Schrift
füllen 50 an Männern und 16 an Frauen vollbrachte Ku¬
ren, wo die Dampfbäder fast immer mit Auschlufs anderer
Mittel angewendet wurden. Der Erfolg war fast immer
sehr günstig. Hr. Geh. R. Pochhammer sagt, dafs mifs-
lungcne Kuren nicht durch seine Anordnung unaufgezeich-
net geblieben seien, und dafs viele Meuschcn Anstand ge¬
nommen haben, das Nöthige zu verzeichnen. Auch über den
M angel an Berichten von Seiten der Aerzte klagt Ilr. P.,
daher hier auch die meisten Angaben von den Kranken
selbst gemacht sind, und eben deswegen dem Arzte nicht
immer eine bestimmte Erkenntnifs der wesentlichen Natur
des krankhaften Zustandes vergönnen.
(ßeschlu/s folgt.)
I
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825.
N° 53.
VII.
f V * . * . '>•'#••.*?• ' / i ! • • ‘ . t
Russische Dampfhader als Heilmittel durch
Erfolge bewährt. Nebst einer Anleitung zur Er¬
bauung und innern Einrichtung derselben von
G. F. Pochhammer. Mit einer kurzen Anwei¬
sung zum Gebrauche der russ. Dampfbäder von
Dr. J. Gr. Schmidt. Berlin, 1824. 8.
i" i F ; f li » : Ml ; ■ ■ ■ ' •
( Beschluss.)
* f • . . , * ’ . ‘ ,
Zui den merkwürdigsten Fällen, die wir nicht nach dem
vorliegenden Journale, sondern nach den verschiedenen
Krankheitsgattungen, aber mit der Nummer des Journals
zusammenstellen, gehören zuerst die Brustleiden: 1, Dr. J.
G. Schmidt, an grolser Neigung zu Lungenentzündungen
und häufigem Schnupfen, so wie auch an allgemein erhöh¬
ter Reizbarkeit leidend; 5, eine anhaltende, für Luftröhren-
Schwindsucht gehaltene Heiserkeit; 27 und 60, dem vori¬
gen ähnliche Zustände; desgleichen 15 und 16 unter den
Frauen; die häufigsten Fälle sind die von Rheumatismus
und von Gicht, die zuin Theil schon viele Jahre gedauert,
und fast allgemeine oder doch bedeutende örtliche Läh¬
mung herbeigeführt hatten; dahin gehören: 3, 5, 7, 8,
11, 14, 18, 19, 29, 31, 34, 39, 40, 41 und 43, so auch
unter den Frauen: 8 und 12. In mehreren der angegebe¬
nen Fälle waren auch Geschwüre vorhanden gewesen, die
während der Kur oder bald nachher zuheilten; merkwürdig
kl.id auch die dabei erfolgten Heilungen von Harthörigkeit,
die aus rheumatischen oder scrofulösen Ursachen entstan-
21
II. Cd. 3. Sr
322
VII. Russische Dampfbäder.
den war. In einem Falle, 2, wurde der Gichtanfall durch
das Bad zuerst hervorgetrieben und dann bald gehoben.
In einem andern Falle wurde ein Rheumatismus mercurialis
gehoben. Auch Flechten und davon entstandene Augen-
entziindungen, eine Cru&tä Iactea, ein Fall von Wassersucht
aus rheumatischer Ursache, und eine allgemeine Kachexie mit
grofser Schwäche wurden geheilt. Viele Kranke waren
schon mit 8 — 15 Bädern hergestellt, andere bedurften deren
bis 100, noch andere brauchten noch immer zu einzelnen
Malen das Bad, sobald eine Spur des frühem Unwohlseins
wieder eintrat; für manche schien es ein Schutzmittel ge¬
gen alles Erkranken. Manche fühlten sich im Anfänge der
Kur geschwächt, andere fühlten gleich beim Beginnen Stär¬
kung. Die meisten fühlten sich besonders durch die kalten
Uebergiefsungen gestärkt. Viele haben auch im Winter
die Kur mit Vortheil angewendet.
ln der darauf folgenden Abtheilung giebt Hr. P. die
technischen Kegeln zum Anbau der zu den russ. Dampf¬
bädern nothwendigen Gebäude und Vorrichtungen. W ir
müssen das Nachlesen dieses Abschnitts den Unternehmern
solcher Anstalten überlassen, und erinnern nur, dafs auch
hier die Dämpfe durch das Aufgiefsen yoii Wrasser auf
heifse Steine entwickelt werden, und dafs die Wände des
Zimmers mit Holz stark belegt sind, indem der gemauerte
Beleg leicht abfällt. Auch wäre es gewifs zweckmäßiger,
w'enn alle Badestuben entweder ganz aus Holz erbaut, oder
doch stark mit Holz von innen belegt würden, indem ver¬
möge der schlechten Wärmeleitung des Holzes die für Bä¬
der so wesentliche Wärme länger erhalten wird. In dem
zum Ausruhen bestimmten Zimmer hat der Verf. Lager¬
stätten mit wollenen Decken angebracht. Dies finden wir
nicht ganz zweckmäßig; denn wenn auch die Decken nach
jedesmaligem Gebrauche gewaschen würden, so kann doch
dadurch leicht Ansteckung fortgeptlanzt werden. Soll eine
solche Anstalt ihrem Zwecke ganz entsprechen, so müssen,
wie in allen grofsen russischen Badeanstalten, dreierlei Ar-
VII. Russische Dampfbäder. 323
ten von Badestuben eingerichtet werden: zuerst Stuben,
wo nur ein Badender etwa noch mit einem Bedienten sich
auf halten kann; diese werden theils von Wohlhabenden,
theils von solchen benutzt, die nach der Natur ihrer Krank¬
heit abgesondert sein müssen; sodann Stuben, wie die bei
Hrn. P. , wo mehrere Personen zugleich baden können und
dadurch gröfsere Wohlfeilheit des Preises entsteht: endlich
Stuben, die von vielen Menschen zugleich benutzt werden
können und bei denen der Preis so mäfsig ist, dafs auch
der ärmste sich ein solches Bad vergönnen kann. Der Ue-
belstand aller künstlichen warmen Bäder, dafs sie einen
Kostenaufwand herbeiführen, der sie für den gröfsten 1 heil
der Menschen unbrauchbar macht, fällt bei den Dampfen
hinweg, wenn nur der Baum der Dampfstuben hinlänglich
grofs ist. In Rußland, wo die Einheimischen wenigstens
alle 4 Woeben, sehr viele aber in jeder Woche ein Dampf¬
bad nehmen, bezahlt der gemeine Mann 4 — 10 Kopeken
(d. i. etwa — i h* Thaler) für ein Dampfbad; er zer¬
stört nur oft dadurch die Wirkung wieder, dafs er das
Hemde selten wechselt. Dürfte bei uns eine solche Anstalt
für die arme Volksklasse, wenn auch mit etwas höherem
Preise, z. B. 1 — 2 Sgr. für das Bad, zu Stande kommen,
was jedoch ohne directe Einwirkung der Behörden nicht
zu hoffen sein dürfte, da in der ersten Zeit schwerlich ein
grofser Andrang und daher kein Gewinn entstehen würde,
so wäre dem Arzte der Armen und des Mittelstandes oft
ein Mittel gegeben, wo er jetzt wenig oder nichts zu
thun vermag.
Wir wenden uns nun zu dem von Hrn. Dr. Schmidt
verfafsten therapeutischen Theile. Der Gebrauch des rus¬
sischen Dampfbades besteht zuerst in diesem selbst, dann ini
Reiben und in Begiefsungen. Das Bad hat eine .Tempera¬
tur von 35 — 45 Grad; diese wird von den meisten Men¬
schen gut vertragen, da das Feuchte des Dampfes Gel we¬
niger stark wirkt, als trockene Hitze. In den höher« Bäu¬
men des Zimmers, Wohin man sich begeben kann, ist es,
21 *
324
VII. Russische Dampfbäder.
wie sich von selbst versteht, bedeutend warmer. Bald nach
dem Eintritte in das Zimmer scheint man zu schwitzen,
indem die warmen Dampfe an der kaltem Oberfläche des
Körpers zu Tropfen werden; jedoch wird nach einiger
Zeit die Ausdünstung auch wirklich vermehrt. Es entsteht
ein allgemeines Wohlbehagen, wobei man sich auf den
Bänken ausruht oder umhergeht. Man reiht sodann den
Körper mit Seife ein oder lä Ist ihn auch nur mit einem
Schwamme oder den in den russischen Dampfbädern ge¬
wöhnlichen frischen Birkenzweigen einreiben, wobei man
geschwächte Theile besonders berücksichtigt. Sodann läfst
man sich mit Wasser übergiefsen, wobei man gewöhnlich
zuerst laues, dann kühles, endlich kaltes Wasser anwendet,
was in Form von Spritzbädern, Douche oder einfachem
Strom geschehen kann. Das Eintreten in eine Wanne mit
kaltem Wasser ist, wenn auch nur auf kurze Zeit, nach
des Rec. Meinung ganz unstatthaft; hingegen sind jene
Uebergiefsungen zuerst zwar mit einem Schauer, dann aber
mit einer überaus wohithätigen Empfindung verknüpft. In
demselben Augenblicke ist man auch schon wieder von
warmem Dampfe umströmt; aber das Gefühl der Belebung
bleibt. Es ist zweckmäßig, diese Uebergiefsungen mehrere
Male nach gewissen Zwischenräumen wiederholen zu lassen.
Ohne dieselben wirkt das Dampfbad zu erschlaffend. Es
wird je nach den Umständen und der Gewohnheit £ — 1£
Stunden lang angewendet, worauf man sich in ein recht
warmes Nebenzimmer begiebt, und erst nach einiger Zeit
w'ohl verhüllt das Haus verläfst.
Hr. Dr. Schmidt glaubt, dafs die wesentliche Wir¬
kung der russischen Dampfbäder in der Vermehrung der
Gefäßtbätigkeit beruhe, wohin auch die Häufigkeit des Pul¬
ses deutet; indessen ist doch wohl diese Ansicht «nicht ganz
erschöpfend, indem auch darauf Rücksicht genommen wer¬
den mufs, dafs durch die vergröfserte Aufnahme des Flüs¬
sigen eine keinesweges blofs secundäre Erschlaffung, zumal
in der ^Haut, hervorgebracht wird. Als Gegenanzeigen des
VII. Russische Dampfbäder. 325
Bades werden aufgestellt: erhöhte Gefäfsthätigkeit, daher
hitzige Krankheiten, und chronische Zustände, die auf einer
Desorganisation im Innern beruhen, welche durch das
Dampfbad leicht in Entzündung übergehen. Wir möchten
noch hinzusetzen: Zustände grofser Gef äfsreizbarkeit und
Neigung zu Blutflüssen, Ohnmächten, Congestionen und
Entzündungen. Angezeigt sind sie zuerst als diätetisches
Mittel, wodurch Reinigung und Hautbelebung zugleich her¬
vorgebracht werden, vorzüglich aber bei dem Gefühl einer
eingetretenen Störung der Hautthätigkeit, daher im Beginn
von Katarrhen und Rheumatismen, wenn diese noch keinen
entzündlichen Charakter angenommen haben. Sie können
in dieser Beziehung, wie auch Rec. aus eigener Erfahrung
bezeugen kann, selbst im Winter bei gehöriger \orsicht
mit Nutzen gebraucht werden. Hauptmittel sind sie bei
chronischem Rheumatismus oder Gicht, wo selbst krankhafte
Absätze aufgelöst werden, bei manchen chronischen Haut¬
übeln, als Flechten und Geschwüren, bei scrofulösen Zu¬
ständen, bei vielen Folgen des Rheumatismus, besonders der
Harthörigkeit. Die Anzeige gegen Heiserkeit und begin¬
nende Halsschwindsucht, die hier aufgestellt und durch Bei-
. # «
spiele bekräftigt ist, bedarf gewifs grofser Modificationen.
Zuerst nämlich müfste man Gewifsheit haben, dafs die Lun¬
gen nicht mitleidend und ohne entzündlichen Zustand sind,
und dann dürfte auch kein, wenn auch nur secundärer, fie¬
berhafter Zustand vorhanden sein; auch wird von vielen
Individuen dieser Art der Dampf schlechthin gar nicht ver¬
tragen. Die Anzeige gegen Ausdehnungen der Blutadern,
die zwar auch durch Beispiele vertheidigt ist, scheint nicht
recht gegründet; wenigstens wreifs sich Rec. nicht zu den¬
ken, wie hier der Heilvorgang eintreten sollte. Weitere
Erfahrungen werden über den Nutzen entscheiden; sollte
sich derselbe ergeben, so wird die Erklärung nicht aus-
bleiben. Auch zur Hebung von grofser Nervenreizbarkeit
und Schwäche scheinen die Dampfbäder nicht recht, zu
passen; die dabei statt findenden kalten Uebergiefsungen
326
VIII. Thermalbäder in Ems.
möjren hier wohl das Heilsamste sein. Auch die Anwen-
düng bei Augenentzündungen chronischer Art, wovon eben¬
falls einige glückliche Beispiele gegeben sind, scheint nur
bedingt rathsam. Die Anwendung bei Epilepsie von (Kon¬
gestion, die einmal mit Glück versucht wurde, scheint in
hohem Grade unrathsam: da bei Epilepsie alles vermieden
werden mufs, was Blutandrang macht, so können Dampf¬
bäder wohl nicht, passen.
Doch so sehr man sich auch über die Indicationen zu
dem russischen Dampf bade, in sofern es bei bestimmten
liebeln angewendet werden soll, streiten mag, so ist gewifs
in demselben ein treuliches Heilmittel gegeben, dessen ver¬
breitetere Anwendung man angelegentlichst wünschen muls.
Lichtenstädt.
VIII.
Ueber den Gebrauch der Thermalbäder in
Ems. Von Dr. Aug. Friedr. Adr. Diel, Her-
zogl. Nassauischem Gebeimenrath , Brunnenarzt in
Ems, Mitglied mehrerer Gesellschaften. Frankfurt
a. M. in der Andreäischen Buchhandlung, 1825. 8.
XIV und 266 S. (20 Gr.)
Mit grofser Bescheidenheit bemerkt der Verf. , der seit
25 Jahren Brunnenarzt in Ems ist, dafs seine Schrift nur
für angehende Aerzte bestimmt, und er wreit entfernt sei,
seinen älteren Collegen etwas neues über den richtigen
Gebrauch und den wahren Zweck der Bäder sagen zu wol¬
len. Die Ilaiiptveranlassung zu dem Erscheinen dieser
Schrift ist der Umstand, dafs man beim Gebrauch der Bä¬
der nicht auf den gehörigen Grad der Temperatur Rück¬
sicht nimmt, sondern alle Patienten ohne Unterschied einem
und demselben Wärmegrade aussetzt, weshalb jene grofsen
Heilmittel nicht immer den Erfolg haben können, welchen
VIII. Thermalbäder In Em$. 327
man erwartet. Der Verf. liefe es sieh daher gleich im An¬
fänge der Uehernahme seiner Function als Brunnenarzt
angelegen sein, im oranischen Hause zu Ems die nüthigen
Kühlbehälter anzubringen und hei jedem Patienten die Bä¬
der wo möglich selbst zu reguliren, wodurch er nach ei¬
ner Reihe von Jahren zu den Resultaten kommen konnte,
die er in dieser Schrift niedergelegt hat, und von denen
im voraus bemerkt werden inufs, dafs sie auch für man¬
chen erfahrenen Praktiker und Brunnenarzt recht belehrend
sein möchten.
Nach Darstellung einiger geschichtlichen Bemerkungen
über die Bäder in einer sehr angenehmen Schreibart, wobei
der Verf. seine vielseitige Bildung an den Tag legt, wird
eine Eintheilung der Bäder hinsichtlich der Temperatur
gegeben, wonach lauwarme, warme und heifse Bäder
zu unterscheiden sind, indem die Temperatur von 28° R. als
der Biutwärme als Scheidewand angenommen wird. Dem zu¬
folge nennt der Verf. lauwarme Bäder diejenigen, welche
eine Temperatur unter 28° R. besitzen; sie beruhigen,
stimmen die Thätigkeit des irritablen und sensiblen Sy¬
stems herab, und beschränken die zu erhöhte Reizbarkeit.
Warme Bäder sind die von 28° R. und etwas darüber;
sie beleben, und regen den Turgor vitalis so wie alle
Functionen auf. Die heifsen Bäder, wie er alle diejeni¬
gen nennt, welche eine Temperatur über 28, 29 und 30 0 R.
besitzen, regen den ganzen Organismus auf, beschleunigen
die Circulation und die Function der Ausscheidungsorgane,
namentlich die des Hautsystems, und rufen selbst Entzün¬
dung in ihnen hervor. Von der Individualität des Sub¬
jekts, seiner Reizbarkeit u. s. w. hängt es nun ab, welche
Temperatur dem Bade gegeben werden mufe, um die eine
oder die andere Wirkung hervorzubringen, wie sie dein con-
creten Krankheitsfalle gerade angemessen ist. Diesen Punkt
stets im Auge behaltend geht nun der \ erf. das grmse
Heer von chronischen Krankheiten in pathogenetische! Hin¬
sicht durch, weist, mit einer dem jetzigen Standpunkte an-
328
\ III. Thermalbäder in Ems.
gemessenen, von jeder gehaltlosen und einseitigen Theorie
frei bleibenden Physiologie ausgerüstet, die Entwickelung der
verschiedenen Krankheitsformen nach, und bestimmt genau
die Falle, in welchen Ems gegen diese Anomalien sich wirk¬
sam bewiesen hat. Ref. will es versuchen, dem Ideen¬
gange des Verf., der gegen die gewöhnliche Weise es
unterlassen hat, die verschiedenen Krankheitsformen isolirt
aufzuführen, sondern sie, so weit cs unsere Wissenschaft
bis jetzt erlaubt, aus einer gemeinschaftlichen Quelle hcr-
zuleiten sucht, zu folgen, um seine Ansichten und Erfahrun¬
gen in der Kürze mittheilen zu können.
Heilbringend fand der Verf. die Räder zu Ems in ei¬
ner Reihe der verschiedenartigsten Formen des Uebelbcfin-
dens, denen bald eine zu erhöhte Sensibilität , bald eine zu
thätige Irritabilität zum Grunde lag,' und die theils als Ban¬
gigkeit, Ohnmächten, Krämpfe, Erbrechen, Kopfweh, Ver-
' dauungsbeschwerden , theils als vorübergehende Wallungen
des Blutes, Congestioncn nach einzelnen Organen, herum-
zichende Schmerzen u. s. w. auftraten, und sich wohl zu
dem ausgeprägten Bilde einer nervösen Hysterie und Hy¬
pochondrie steigern, ohne dafs ein örtliches Leiden bemerk¬
bar wäre und die Krankheit sich auch in materieller Hin¬
sicht ausspräche. In der Mehrzahl der Fälle liegt hier eine
mangelhafte, herabgesetzte Reproduction zum Grunde,
und Blutanhäufungen nach einzelnen Organen spielen
eine offenbare oder geheime Rolle. Kräftig und hiilfreich
sollen gegen diese Anomalien die Thermen zu Ems durch
ihren Gehalt an Matrum, von dem ein mittelmäfsiges Bad
mehr als 2 Pfund enthält, wirken. Die mehrsten der hier¬
hergehörigen Krankheitsformen erfordern Bäder von einer
Temperatur unter 28° R., die das sensible und irritable
Leben des Organismus herabstimmen; und nur selten, am
allerwenigsten im Anfänge, werden die belebenden Bäder
vertragen. Welcher Grad der Wärme hier erforderlich
sei, ergiebt sich aus dem Pulse, und in den mehrsten Fäl¬
len werden nur 26 — 27 0 R. heilbringend wirken. Auf-
VIII. Thermalbäder in Ems.
329
fallend bessert sich in solchen Fällen schon nach 8 — 10
Bädern das äufsere Ansehn des Kranken, der Turgor vita-
lis erwacht und die Thätigkeit der peripherischen Gefäfse
wird gehoben.
Sind jene im Aufkeimen begriffenen Uebel unberück-
j •
sichtigt geblieben, und entweder nur palliativ oder gar falsch
behandelt worden, haben die Krankheiten tiefere Wurzel
in das vegetative Leben geschlagen, und der ganzen Con¬
stitution das Gepräge einer ausgebildeten Cachexie aufge-
driickt, walten Verschleimung, unregelmäfsige Leibesöff¬
nung, Durchfall, Blähung, Unverdaulichkeit, Säure, übler
Geschmack, Bleichsucht bei Mädchen, Krankheiten des Ute¬
rinsystems und erhöhte Venosität im Unterleibe, tubercu-
lÖser Zustand der Lungen, und wie sonst noch der Re¬
flex einer anomalen Assimilation in den verschiedenen Or-,
ganen sich darstellen mag, ob, so sind die Thermalbäder
statt aller reizenden und stärkenden Mittel gleichfalls an
ihrer Stelle, so lange nur die ergriffenen Organe noch
in keine grofse Verkettung verwickelt und keine Degenera¬
tionen eingetreten sind. Durch den zweckmäfsigen äufse-
ren und inneren Gebrauch der Heilquellen zu Ems wurde
das bildende Leben seiner Fesseln entledigt, die Circulation
freier, das Hautorgan und mit ihm alle übrigen kräftig ge¬
reizt, die Ausscheidung der zurückgehaltenen, dem Orga¬
nismus fremd gewordenen und auf denselben feindselig ein¬
wirkenden Stoffe befördert, und somit secundär das ge-
sammte Nervensystem zu einer normalen Thätigkeitäufse-
rung zurückgeführt. In diesen Fällen mufs man nach der
Verschiedenheit der Individualität mit den herabstim¬
menden Bädern den Anfang machen und dann erst zu den
belebenden übergehen. Durch sanfte Frictionen kann
bei einer vorwaltenden Venosität die Kur sehr beschleu¬
nigt und der Beschlufs mit einem eisenhaltigen Säu¬
erlinge gemacht werden.
Wird auch dieses ausgeprägte Leiden der Assimilation
nicht gehörig beachtet, verkannt, oder können die physi-
VIII. Thermalbäder in Eins.
sehen und psychischen Gclcgcnheitsursachen nic ht bo.se itigt
werden, so keimt aus diesem Boden eine Reihe der ver-
wickeltsten und oft kaum zu entrathsekiden Krankheiten
hervor, wie sie bisher in den nosologischen Systemen ohne
allen Zusammenhang isolirt aufgefiihrt wurden. Einzelne
Organe werden durch die Productioncn der mit Riesen¬
schritten in ihrer krankhaften Entwickelung fortschreiten¬
den Assimilation dem Organismus entfremdet, und die ein¬
fache Verstimmung des Gemeingefiihls steigert sich durch
die verschiedenen Grade der Hypochondrie hindurch his
zum Wahnsinn, hei dem gewöhnlich jedes ärztliche Bestre¬
ben zu spät kommt und fruchtlos bleibt, indem der Arzt
wegen des dichten Schleiers , mit dem das Lehen im Gan¬
zen und in seinen einzelnen Richtungen uiuhangen ist,
kaum vermag zu ahnen, durch welche Hülfsmittel er wohl
im Stande sein möchte, das aus seinen Angeln herausgeho¬
bene bildende Lehen wieder auf seine rechte Bahn zu lei¬
ten. I\ur der Arzt, der mit dem gesunden Lehen hinrei¬
chend vertraut ist, der es vermag den Zusammenhang der
proteusartigen, in einem Subjecte zugleich bestehenden
Krankheitsformen aus einer gemeinschaftlichen Quelle zu
i
entwickeln, der Beharrlichkeit genug besitzt, den einmal für
recht befundenen und eingeschlageaeii W eg zu verfolgen,
kann zuweilen so glücklich sein, die Grundpfeiler, auf weh
che die Gesundheit sich stützen kann, wieder aufzurichten.
Die Thermen in Ems heilen solche Krankheiten nur dann,
wenn sie im Aufkeimen begriffen sind, schaden aber, wenn
sich schon Desorganisationen ausgebildet haben.
Seine besondere Aufmerksamkeit richtet der Verf. noch
auf die durch keine auffallenden Krankheitserscheinungen
sich bemerkbar machenden Blutanhäufungen in den Venen
des Enterleibe«, die bald dynamisch durch Störung in
den Wechselwirkungen der Organe, bald durch wirkliche
Gongestionen zu den vielfältigsten pathologischen Erschei¬
nungen in der Folge Veranlassung gebeu, oft aber
kaum gcahnct und gehörig gewürdigt werden können, wenn
VIII. Thermalbäder in Ems.
331
die Milz, die Bauchspeicheldrüse u. s. w. der Sitz dersel¬
ben sind. Nach des Verf. Meinung liegt diesen Congestio-
nen nicht immer eine wirkliche Zuströmung des Blutes,
sondern blofs eine örtliche Aufregung des Lebens, ein ver¬
mehrter Turgor vitalis, von denen die Erscheinungen einer
Congestion das Werk sind, gleichsam wie die vorüberge¬
hende Röthe der Wangen bei Einwirkung psychischer Ein¬
flüsse, zum Grunde. Hierauf beruhen die oft so wunder¬
baren Krisen der Natur, ja selbst die Erscheinungen der
Menstruation, so wie die mancherlei Zufälle in und vor
den Jahren der Pubertät. Oft kann diese in einem bestimm¬
ten Organe obwaltende Turgescenz des Lebens viele Jahre
vorhanden sein und die quälendsten Zufälle erregen, ohne
dafs bleibende Stockungen begründet werden. Es deuten
diese Erscheinungen vielmehr die Reaction des Organismus
an, wodurch dieser die kritischen Ausleerungen einzuleiten
sucht, durch deren Unterdrückung der Heilkraft der Natur
der eingeschlagene Weg versperrt und dem plastischen Le¬
ben die Veranlassung zur Vergröfserung der Organe, An¬
häufung von Fett u. s. w. gegeben wird. Der Arzt soll
daher nie zu frühzeitig eine Verstopfung vermuthen und
eine Behandlungsweise dagegen einleiten, wenn das Leiden
noch ein rein dynamisches ist. Für alle diese Fälle passen
aber die Bäder zu Ems, bei deren Anwendung /im Allge¬
meinen ein zweifacher Zustand des Organismus zu berück¬
sichtigen ist. Macht sich ein Erethismus der Organe, des
Nerven- und Gefäfssystems bemerkbar, findet eine wahre
Vollblütigkeit in dem Pfortadersysteme statt, sind Conges-
tionen nach Kopf und Brust vorhanden, so ist die gröfste
Vorsicht mit dem Gebrauch der warmen Bäder in Ems
erforderlich, wenn man nicht Entzündungszufälle, Blut¬
speien u. s. w. befürchten wäll. Sehr zweckmäfsig bewies
sich das reichliche Trinken des natrumhaltigen Wassers,
so wie ganz einfache Klystiere aus demselben, und nach
Umständen die gleichzeitige Anwendung pharmaceutischer
Mittel. Hat man es dagegen mit einer torpiden Lonstitu-
332
\ III. Thermalbäder in Eins.
\
tion, Trägheit, Verschleimung, Polycholie, trägem Stuhl¬
gänge, cachectischem Zustande u. s. w. zu thun, so sind die
die Lebensthätigkeit aufregenden Bäder an ihrer Stelle, de¬
ren Wirkung durch Douche und Frictionen sehr unter¬
stützt wird. Nicht selten sieht man während dieser Be-
handlungsw’cise die Beaction des Organismus fast augen¬
blicklich durch W iedereintreten von Blutflüssen, durch den
Ausbruch von Podagraanfällen , durch das Krscheinen eines
Durchfalls, durch Schweifs, Urin u. s. w. sich kund thun,
deren gehörige Leitung von Seiten des Arztes einen Haupt-
theil der ganzen Kur ausmacht. Ilat aber die abnorme
Production sich schon erschöpft, sind Desorganisationen,
Scirrhositäten, Ergiefsungen, ja sogar Bückbildungen u. dergl.
schon erfolgt, und ist die Unmöglichkeit des Hervorrufens
einer Reaction des Gesammtlebens, wodurch die Harmonie
der Functionen wieder hergestellt werden könnte, voraus¬
zusehen, so ist durch die Thermalbäder das vollkommene
Erlöschen des nur noch glimmenden Lebens zu befürchten,
und dieselben würden nur den Weg zum Grabe beschleu¬
nigen. Um indessen über die Möglichkeit der zu er¬
wartenden Hülfe in dergleichen Fällen zu urtheilen, müs¬
sen ganz natürlich die Constitution , das Alter, die Dauer
und der Grad der Krankheit, so wie das Maafs der Kräfte
berücksichtigt werden; und sind die Umstande nur noch
einigermaafsen günstig, so kann man, wenn die Wärme der
Bäder genau regulirt wrird , von Fms oft noch wider alles
Vermuthen Hülfe erwarten, wo alle übrigen pharmaceuti-
schen Mittel fruchtlos blieben. Als Unterstützungsmittel
bewiesen sich in solchen Fällen die Kämpf’scben Klystiere,
die Frictionen und zuletzt die Douche sehr heilsam.
Liegen Dyscrasien, als: Syphilis, Mercurial- und Blei¬
vergiftung, zurückgehaltene Krätze, Flechten, Gicht, Rheu¬
matismus u. s. w. zum Grunde, so leistet Fms nichts, und
Wiesbaden, Aachen u. s. w. sind vorzuziehen, indem Fms
in der Mehrzahl dieser Fälle nicht tief genug einzugreifen
\ III. Thermalbäder in Ems.
333
vermag, um dem bildenden Leben eine andere Richtung
geben zu können.
Eben so häufig wird Ems von Kranken mit Brustlei¬
den besucht, und nicht selten finden diese hier grofse Hülfe.
Obgleich bei den idiopathischen Krankheiten dieser Organe,
so lange noch ein activer Zustand zum Grunde liegt, die
Bäder von Ems nur nachtheilig werden würden, so fand
der Verf. doch iu dem gebundenes Kohlenstoffgas enthal
tenden Wasser des Kesselbrunnens, wenn es mit Milch
vermischt getrunken wurde, ein grofses Heilmittel, wodurch
der subinflammatorische Zustand stets gebrochen, die Respi¬
ration freier , die Circulation durch die Lungen leichter,
und der in diesen Organen befindliche pathische Stoff
nicht selten durch den Urin weggeführt wurde. Blutspeien
und ähnliche Zufälle, die man nach dem Gebrauch des Sel¬
ter- und Fachinger- W^assers bemerkt, treten nie ein. In
der tuberculösen Lungensucht läfst sich nur bei gesteiger¬
ter Reizbarkeit und im Anfänge, bei der sogenannten Cru-
dität der Tuberkeln, wo man die vollkommene Ausbildung
derselben noch unterdrücken und verhindern kann, etwas
erwarten, zu welcher Hoffnung man um so mehr berech¬
tigt ist, wenn keine erbliche Anlage zu dieser Krankheit
mit in das Spiel kommt. Zu diesem Zwecke zeigt sich
der innere Gebrauch in Verbindung mit den Bädern, deren
Wrärmegrad durch die Constitution bestimmt werden mufs
fast jährlich von der gröfsten Wirksamkeit. Eine beson¬
dere Aufmerksamkeit verdiente in dergleichen Fällen der
Unterleib, wenn dieser, wie es nicht selten geschieht, die
Quelle des Leidens abgiebt; oder wenn die Leber als vica-
riirendes Organ statt der Lungen auftritt, wo dann ein Zu¬
stand von Polycholie als kritisch erscheint. Haben aber
die Tuberkeln in den Lungen schon ihre Ausbildung er¬
reicht, hat sich Blutspeien eingefunden, liegt eine verbor¬
gene Entzündung zum Grunde, ist vielleicht gar schon Ei¬
terung eingetreten, so ist das Baden in Ems stets sehr ge-
334
VIII. Thermalbäder m Ems.
wagt, besonders wenn erbliche Anlage oder syphilitische
und niercuriclle Dyscrasien sich noch im Hinterhalte be¬
finden.
In keiner Art von Lungensurht leisteten die Thermal¬
bäder in Ems eine heilsamere 'Wirkung, als in der Sehleim¬
schwindsucht. Gegen die hier obwaltende Heizung der
Lunten sind die Thermen zu Ems innerlich und äußerlich
gebraucht, so lange noch keine Desorganisation und I)e-
struction begonnen hat, von dem gröfsten Nutzen. Sie
stimmen die Plasticität der Säfte um, desgleichen die Thä-
ligkeit der Haut, und vermögen so antagonistisch die Ano¬
malien in der Schleimhaut der Lungen zu beseitigen. So
lange aber noch eine Entzündung vorhanden ist, mufs die¬
selbe erst durch den zweckmäßigen Gebrauch des Emser
Wassers und anderer Mittel beseitigt werden. Sehr häufig
besitzen Kranke dieser Art ein sehr bewegliches Blutsystem,
wo dann die Bäder beruhigende sein müssen, um den Puh
herabzustimmen. Ist der Kranke irn Alter vorgerückt, zeigt
sich Trägheit in den Verrichtungen, oder liegen Metastasen
zum Grunde, so sind dagegen belebende Bader, wodurch
seihst eine gelinde Ausdünstung bewirkt wird, an ihrer
Stelle, und man kann zugleich einen leichten, eisenhaltiger!
Säuerling brauchen lassen. Dasselbe gilt auch von der
Halsschwindsucht.
Auch zur Beseitigung der Tabes nervosa, besonders der
Tabes dorsualis, sind die Thermen zu Ems in Verbindung
mit der Douche, Erictionen und Inunctionen balsamischer
Mittel in die Wirbelsäule von grofsem Nutzen. Die Zeit
und der Wärmegrad der Bäder soll nach dem Verfalle der
Reproduction , welche aus dein Zustande der Kräfte abzu¬
messen ist, eingerichtet werden. Hat die Krankheit schon
bedeutende Fortschritte gemacht, so bekommen die Bäder
in der Abendzeit am besten; dem Gebrauch der Morgen¬
bäder mufs der Genoß einer Tasse Fleischbrühe oder einer
leichten Heischokolade mit Zimmt oder Vanille vorangehen;
ein nach dem Hade sich erfindender Schlaf ist stets sehr
VIII. Thermalbäder in Ems.
335
erwünscht. Die ersten Bäder sollen bis zu dem beleben¬
den Grade erwärmt und dann, wenn der Organismus zur
Reaction gebracht worden ist, so vermindert werden, dafs
der Badende ein leichtes Frösteln im Bade und eine mäfsüre
O
• Wärme im Bette empfindet.
Bei Schwächlingen durch Ausschweifung wird das Trin¬
ken der Emser Thermalwässer nur als ein Vorbereituncs-
v O
mittel anempfohlen, und gerathen dieselben bald mit einem
eisenhaltigen Säuerlinge mit oder ohne Milch zu vertau¬
schen, wenn nicht Brustleiden oder hvpochondrische Uebel
vorher zu beseitigen sind. Wird dergleichen Kranken gleich
anfangs ein kräftiges und gasreiches Stahlwasser gereicht,
so gerathen die Verdauungsorgane leicht in Unordnung,
und es erfolgen dann Brustbeklemmung und selbst Blut¬
speien. Nur im Anfänge der Nerverischwindsucht leisten
kalte Bäder bei dergleichen geschwächten Wollüstlingen,
wenn die Verdauung noch nicht ganz daniederliegt, vor¬
treffliche Dienste; bedarf es aber einer Erhöhung dieser
Functionen, so erweisen sich die richtig erwärmten Ther¬
malbäder allein hülfreich. Eine sehr heilsame Wirkung
äufsern die Emser Thermen auch bei der Heilung äufserer
Geschwüre; und ausgezeichnet ist ihr Werth in der Eng¬
brüstigkeit, wenn die Quelle derselben im Unterleibe liegt,
und nicht organische Fehler der Lungen oder Pseudopro-
ductionen dieselbe bedingen.
Lauwarme Bäder wirken nach Ilrn. D. auf die Sensi¬
bilität und auf die organische Thätigkeit der Haut herab¬
stimmend, besänftigend, und in Folge der Einheit der Le¬
bensverrichtungen verbreitet sich eine gleiche Wirkung auf
den ganzen Organismus bis in das Capillarsystem und wei¬
ter. Hierdurch lassen sich die herrlichen Wirkungen die¬
ser Art von Bädern in dem Heere von Krankheiten, die
man von Nervenschwäche herleitet, erklären. Werden diese
Bäder bei stets gleichem Wärmegrade in einer gewissen
Anzahl fortgebraucht, so wird der Reproductionsprocefs
gehoben, der Wechselverkehr zwischen den einzelnen Thei-
336
VW. Thermalbäder in Ems.
sei¬
len des Organismus wieder hergestellt und das Lehen ___
ner Fesseln allrnälig wieder entledigt. Einen eben so gro-
fsen Umfang hinsichtlich des Gebrauchs haben die beleben¬
den, welche in die Piasticität kräftig oingreifen, Stockungen,
falsche Strömungen des 'Blutes, Trägheit der Aus- und
Absonderungen und Krämpfe beseitigen. Sehr schwer Lst
es hier oft, den gehörigen Grad der Badwärme sogleich zu
bestimmen, besonders wenn man noch ungewdfs ist, aus
welchem Boden die jetzt bestehende Krankeit nach einer
Reihe von Verkettungen entsprungen ist, wenn eine ner¬
vöse Constitution obwaltet, und das Gefäfssystem sehr ge¬
reizt ist. Häufig mufs hier der Anfang mit den besänfti¬
genden Bädern gemacht und nur allrnälig zu den beleben¬
den Ubergegangen werden. Die Wirkung des heifsen Ba¬
des vergleicht der Yerf. mit der eines mehr oder weniger
starken Sinapismus. Es erzeugt in dem Harns vsteme eine
allgemeine Röthe, erhöht die Thätigkeit des plastischen Le¬
bens in der Haut, und äufsert sehr bald auch seine Wir¬
kung auf das Herz und die Lungen, in denen selbst Ent¬
zündung hervorgerufen werden kann. Sie stellen daher
gleichsam eine Curatio morhorum per morbos dar, erregen
ein Fieber, und reguliren hierdurch wohl schon begonnene
Destructionsproccsse. tim daher von dieser Art von Heil¬
mitteln einen zweckmäßigen Gebrauch machen zu können,
mufs der Arzt erst den ganzen Organismus in allen seinen
Theilen durchschauen, damit nicht durch die hierdurch zu¬
gleich herbeigeführte Aufregung des Blutes gefährlich wer¬
dende Strömungen nach einzelnen Organen , die durch ihre
Schwäche die Disposition hierzu geben, herheigcfiihrt wer¬
den. Nur ein torpides Leben, das zu Ablagerungen in die
Schleimhäute und Stockungen im lymphatischen Systeme
neigt, eignet sich hierzu.
Viele inhaltreiche Bemerkungen über die Nachkur, und
über das übermäfsige Baden besehliefsen diese Schrift; und
dem Ref. bleibt nur zu wünschen übrig, dnfs der Yerf. in
Betreff der Darstellung seiner Ansichten und Erfahrungen
sich mehr an die Quellen zu Ems seihst gehalten, und den
Gebrauch derselben ausführlicher dargestellt hätte, wo¬
durch der W erth dieser schätzbaren Abhandlung ohne Zwei¬
fel bedeutend erhöht worden wäre. Aber auch ohne diese
örtliche Rücksicht bleibt doch das W erk, das sich von den
meisten in diesem Zweige der Litteratur durch vielfache
Beweise gründlicher Gelehrsamkeit und umsichtiger, acht
praktischer W iinligung des Gegenstandes auf eine vorteil¬
hafte W eise unterscheidet, eine sehr angenehme Erscheinung.
Ii — r.
i
Litterarische Annalen
der
gesammten Heilkunde.
1825. wmmmmmmam 'W 54.
■■ \
ix.
Die Irren-Anstalt in dem körn gl. Julius-
Hospitale zu Würz bürg und die secbsund-
zwanzigjährigen ärztlichen Dienstverrichtungen an
derselben. Mit einem Anbange von Krankenge¬
schichten und Sections- Berichten. Ein Wort zu
seiner Zeit von Dr. Anton Müller, Hofmedicus
und erstem Arzte des königl. Julius -Hospitals.
Würzbnrg, gedr. bei J. Dorbatb, 1824. 8. XIV
und 280 S. (1 Rtl. 3 Gr.)
Jeder Beitrag zu einer zweckmälsigern und erfolgreichem
Behandlung der Seelenstörungen , als einer Klasse von
Krankheiten, die zu den schrecklichsten Uebeln gehören, von
denen das menschliche Leben heimgesucht wird, mufs dem
Menschenfreunde überhaupt und dem praktischen Arzte be¬
sonders wichtig und willkommen sein; ganz vorzüglich aber
ist wohl ein so erfahrner Arzt, wie der Yerf. der genann¬
ten Schrift, berechtigt, auf die Beachtung und Rücksicht¬
nahme der Staatsbehörden und des ärztlichen Publikums
Anspruch zu machen, wenn er von den Verbesserungen,
die er als Vorsteher einer Irrenanstalt eine Reihe von Jah¬
ren hindurch getroffen hat, Rechenschaft ablegt und zur
Abhülfe der noch statt findenden Mifsbräuche und Beschwer¬
den Vorschläge thut, die um so mehr zur rechten Zeit
kommen, da man jetzt in mehreren Staaten ernstlich darauf
bedacht ist, durch öffentliche Anstalten für die Heilung der
Geisteskranken Sorge zu tragen und denen, bei welchen
alle Versuche der Kunst vergebens angestellt wurden, we¬
nigstens ein erträgliches Loos zu bereiten.
11. Bd. 3. St. 22
ß38 IX. D ie Irrenanstalt za iirzburg.
Die Ilauptgebrechen, welche der Verf. beim Antritt
«eines Amtes als Irrenarzt am Julius -Hospitale zu AN iirz-
burg vorfand und deren Abstellung ihm wahrend seiner
26 jährigen Amtsführung nur zum Theil nach vielen Bemü¬
hungen gelang, waren folgende: 1) Mangel an Raum.
In 3 Säle, wovon der eine 11, der andere 8 Betten für
das männliche Geschlecht, der dritte 20 Schlafstellen für
das weibliche Geschlecht enthielt, waren diejenigen Irren
vertheilt, welche unentgeltlich zur Heilung oder als unheil¬
bar zur Verwahrung aufgenommen wurden. 30 Zimmcr-
chen (II für das männliche, 16 für das weibliche Ge¬
schlecht) wurden von den Geisteskranken bewohnt, welche
die Kosten der Unterhaltung seihst trugen. Aon diesen 72
Krankenstellen gingen noch 4 für die Wärterinnen und 2
für die AAärter ah, so dafs nur 66 für die Irren blieben,
unter welchen der Aürf. 52 Unheilbare beiderlei Geschlechts
bei seinem Antritte vorfand. Dadurch entstanden einige
andere sehr bedeutende Nachtheile: die Heilbaren konnten
nicht von den Unheilbaren, die Reconvalescenten nicht von
den Kranken getrennt werden, die Tobenden mussten mit
den Alelancholischen zusammenwohnen. Erst nach langen
Kämpfen gelang es, diesem Uebelstande abzuhelfen und den
Heilbaren besondere Zimmer auszuwirken, wie S. 121 ge¬
sagt wird, doch steht dies im AA iderspruch mit S. 125, wo
der Mangel an Kaum als ein noch fort bestehendes Hiader-
nifs dieser Trennung erwähnt wird. Wahrscheinlich meint
der \ erf. damit die gänzliche Absonderung der letztem
nicht blofs in verschiedene Zimmer, sondern zu einer eig¬
nen Abtheilung, was freilich das Zweck mäßigste wäre.
Ueberhaupt ist zu wünschen, dafs man fiir diejenigen Irren,
welche fiir unheilbar gehalten werden, besondere Anstalten
errichte, wie deren eine zu Waldheim in Sachsen besteht,
und niemals unterlasse, Heilversuche an ihnen anzustellen,
und die Blödsinnigen, im ersten Stadium wenigstens, sorg¬
fältig zu erziehen und zur Beobachtung der Reinlichkeit
und zu manchen einfachen Geschäften abzurichten , wozu
339
IX. Die Irrenanstalt zu Wiirzbuxg.
es dem Arzte in einer gewöhnlichen Irrenheilanstalt an Zeit
gebricht. Die Irrenkolonie zu Glieel bei Antwerpen kann
hierin zum Muster dienen. Man sollte nie aufhören zu
wirken, so lange Leben da ist; der Verf. erwähnt selbst
eine geisteskranke Frau , die erst nach 15 Jahren genas. —
2) Langsamer Geschäftsgang bei der Aufnahme,
ein höchst nachtheiliger Umstand, der die Heilung er¬
schwerte, ja sie bisweilen unmöglich machte. Jetzt wird
die Aufnahme möglichst beschleunigt. — 3) Unterge¬
ordnetes Verhältnifs des Arztes zur Administra¬
tion. Dieselbe konnte sogar über die Aufnahme der Irren
ohne Gutachten des Arztes verfügen und seiner freien Thä-
tigkeit Hindernisse in den Weg legen, wo sie wollte. Der
Arzt sollte in jedem Krankenhause der Anordner und die
Seele des Ganzen sein ; viele Ausgaben würden dadurch er¬
spart, unnöthige Schreibereien und Verdriefslichkeiten ver¬
mieden, und für den Vortheil der Kranken würde besser
gesorgt werden. Jetzt darf die Aufnahme nicht ohne Gut¬
achten des Arztes geschehen, doch ist seine Wirksamkeit
noch sehr beschränkt. — 4) Beschränkter Einflufs
des Arztes auf das Dienstpersonale. Die Admini¬
stration berücksichtigte bei der Wahl der Wärter und
Wärterinnen mehr den Muth und die Muskelkraft, als die
zu dem schwierigen Berufe, dem sie sich widmen sollten,
nöthigen Eigenschaften. Die Kranken wurden daher ver¬
nachlässigt und unbarmherzig behandelt. Für sämmtliche
Irre waren nur 2 Wärter und 3 Wärterinnen angestellt,
die noch dazu mit einer Menge anderer Arbeiten überhäuft
und schlechter, alj gewöhnliche Dienstboten, besoldet wur¬
den, so dafs sie sich auf unerlaubte Weise dafür schadlos
zu halten suchten. Jetzt ist ihre Zahl um 2 vermehrt, der
Lohn erhöht und jede Mifshandlung streng verboten. Die
S. 97 abgedruckte Dienstinstruction läfst nichts zu wün¬
schen übrig, als pünktliche Vollziehung. — 5) Schlechte
Beköstigung und Bekleidung der Irren. Die be¬
zahlenden Kranken wurden nach den Vorschriften des Arz-
21 *
340 IX. D ie Irrenanstalt zu W iirzburg.
tos beköstigt, wenn ihnen die "Wärter das Verordnetc, das
sie ohne Zeugen vorsetzten, zukoinmen lassen wollten, und
trugen die gewöhnlich schlecht beschaffenen Kleider, die sie
mitgebracht hatten; nur selten wurden diese von den Ange¬
hörigen erneuert. Die nicht bezahlenden erhielten gewöhn¬
lich die Abfälle von den Knochen, Brocken und Fettklum¬
pen und die Ueberbleibsel vori den Speisen der bezahlen¬
den. Keiner bekam ein Messer oder eine Gabel, sie mufs-
ten alles mit hölzernen Löffeln essen, Brot und Fleisch
wurde ihnen vorgeschnitten. Ihre Kleidung war oft zerris¬
sen und unrein; das Beltstroh, die Leib- und Bettwäsche
wurden nach einer festgesetzten Ordnung gewechselt ohne
Rücksicht auf die Unsauberkeit der Kranken, die keine Re¬
gel gelten läfst. Jetzt ist für diese Bedürfnisse mehr ge¬
sorgt. Beim Abspeisen sind Aufseher und Aufseherinnen
angestellt. — 6) Mangel der K r a n k e n g e sch i c h t e
beim Eintritt des Irren in die Anstalt. Oft fehlte
sie ganz, oft war sie unzulänglich. Jetzt müssen die Auf¬
nahmegesuche von einer von authorisirten Aerzten abgefafs-
ten Krankengeschichte begleitet sein; eine höchst nothwen-
dige Verfügung.
E.s ist in der That fast unbegreiflich , wie man solche
Gebrechen, deren Wichtigkeit und höchst nachtheiliger Ein-
flufs bei der Kur sogleich in die Augen fällt, trotz der
dringenden Vorstellungen von Seiten des Arztes so lange
fortbestehen lassen konnte, da doch die Abstellung dersel¬
ben wenigstens zum Theil ohne grofse Schwierigkeit mög¬
lich war. So wie die Anstalt anfangs dastand, könnte man
sie nicht unpassend als Muster eines Irrenhauses aufstellen,
wie es nichf sein soll. Und noch jetzt fehlen in ihr so
viele zu einer zweckmäßigen Behandlung »1er Irren äufserst
nöthige Erfordernisse, dafs man sie für untauglich zur Er¬
füllung ‘ihres Zweckes erklären nmfs. Die Reconvalescen-
ten mufs man vor der Zeit entlassen, weil man sie aus
Mangel an Raum nicht von den übrigen Kranken trennen
kann. Aus demselben Grunde fehlt es den Kranken an der
IX. Die Irrenanstalt zu Würzburg. 341
uöthigen Bewegung und an dem Genufs der freien Luft,
beides um so dringendere Bedingnisse zu ihrer Heilung, da
es an Gelegenheit mangelt, sie nach der Art ihrer Krank¬
heit zweckmäfsig zu beschäftigen. Die erst spät eingeführte,
von mehreren Seiten sehr empfohlene Drehmaschine ent¬
sprach der Erwartung nicht; ihre Wirkung ist offenbar
anfangs üherpriesen worden. Von den Fällen, wo sie an¬
gewendet wurde, und der Art des Erfolgs wird nichts Nä¬
heres gesagt. Dagegen wird der Douche das ihr gewifs
mit Recht zukommende Lob ertheilt. Befremdend ist es,
dafs das in einigen Irrenhäusern gebräuchliche Tretrad, das
diejenigen Kranken, welche sich nicht von der Stelle bewe¬
gen, zum Gehen zwingt und mit geringen Kosten ange¬
schafft werden kann, bis jetzt noch so wenig Nachahmer
gefunden hat, da die Vortheile, die es gewährt, doch von
selbst in die Augen fallen. Eben so verdiente wohl der im
Lunatic- Asylum zu Glasgow eingeführte Springstuhl
häufiger in den Irrenanstalten gefunden zu werden. Er hat
die Gestalt eines Lehnstuhls und kann vermöge einer unter
dem Sitze angebrachten blasebalgähnlichen \ orrichtung auf
und niederbewegt werden, wodurch eine dem Reiten ähn¬
liche, doch mehr stofsende Bewegung entsteht.
Beifall verdient die Anordnung des V erf. jeden einge-
brachten Irren, w^enn nichts dagegen spricht, in ein lau¬
warmes Bad zu setzen, theils um das Ilautcrgan, dessen
Thätigkeit bei solchen Kranken ohnehin in der Regel ge¬
stört und unterdrückt iüt, zu reinigen, theils um verbor¬
gene Gebrechen zu entdecken. So wurden häufig Spuren
vorher erlittener Mifshandlungen , die sonst den Wärtern
des Spitals zur Last gelegt worden wären, und einen Schlufs
auf die frühere Behandlung machen liefsen, aufgefunden,
bei zw'ei Weibspersonen sogar scirrhöse Brüste.
S. 130 giebt der Verf. einen ganz kurzen Abrifs der
Haupterfordernisse einer guten Anstalt für unheilbare Iire
mit Uebergehung des Architektonischen. Die lenster in
den Zellen der Rasenden sollen hoch und unmittelbar un-
342 IX. D ie Irrenanstalt zu Wilrtburg.
tcr der Decke angebracht werden, wenig Höhe, aber eine
ansehnliche Breite haben, damit die Zugluft von den oft
enthlüfst auf dem Boden liegenden Kranken abgehalten
wird. Allein ebgesehen davon, dafs sich Wahnsinnige nicht
leicht erkalten, läfst sich auch die Zugluft auf andere Weise
eben so gut abwehren. ln Zimmern, wo sich Basende auf-
haltcn, läfst sich Unreinlichkeit nicht vermeiden; sie müs¬
sen daher, so oft es sich thun lälst, gelüftet und dein Zu¬
tritt der Sonne geöffnet werden. Feste dichtschliefsende
Fensterladen leisten bessere Dienste; durch sie kann man
den aufregenden Beiz des Lichtes nach Gutdünken abhal¬
ten. Eine kleine Badeanstalt empfiehlt dabei der \erf. als
sehr vorteilhaft; bei dem jetzigen Standpunkt der Seelen¬
heilkunde sollte man meinen, sie sei unerläßlich. Darauf
A %
spricht der Verf. von dem schwierigen Amte, den erfor¬
derlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Irrenarztes und
von dem Undank, mit dem man häufig seine Bemühungen
belohnt. Er selbst bezieht vom Staate jährlich den sehr
geringen Gehalt von 560 Gulden, und an Accidenzien ei¬
nen Schreib- und Taschenkalender, ohne jedoch mehr zu
verlangen. .
Während der 26 jährigen Dienstfiihrnng des Verf.,
nämlich vom J. 1798 — 1S23 wurden in das Julius ‘Hospital
im Ganzen 531 Geisteskranke aufgenommen (258 m. , 273
w.), davon wurden 292 vollkommen geheilt (131 m. , 161
w.), die meisten in 6 — 8 Wochen, 2 nach drei Jahren,
62 gebessert (30 m. , 3*2 w.) meist solche, die durch Ver¬
nachlässigung blödsinnig geworden waren, 17 während der
Kur zurückgenomrnen, 79 blieben ungeheilt (41 m., 38 w. ),
78 starben (47 m. , 31 w. ) , 15 am Schlagflufs, viele an
Alterschwäche, 5 entleibten sich, wenigstens 10 starben an
äufsern W unden, besonders an Decubitus, der von Unrein¬
lichkeit enstanden war. (Das hätte man verhindern sollen.)
Wenn man die Mängel der Anstalt berücksichtigt und be¬
denkt, dafs unter diesen Kranken viele waren, an denen
man gar keine Heilversuche anstellte, indem man sie als
343
IX. D ie Irrenanstalt zu Würz bürg.
unheilbar nur zur Verpflegung und Verwahrung aufnahm,
so kann man allerdings mit diesem Resultate zufrieden sein.
Die Zahl derer, die man gleich bei der Aufnahme für un¬
heilbar erklärte, hätte freilich angegeben werden sollen.
Unter 10 bei dem ersten Ausbruche der Krankheit Aufge¬
nommenen wurden wenigstens 8 geheilt, von denen die
meisten an Tobsucht mit Zerstörungstrieb litten. Juden
länd man schwerer, als andere, zu heilen, von 7 wurde nur
* •*
einer vollkommen wieder hergestellt.
Die meisten Irren standen in dem Alter von 20 — 40
Jahren, in diesem Alter wurden auch die meisten geheilt.
Jeder Stand lieferte seinen Beitrag. Die psychischen Ursa¬
chen bestanden vorzüglich in schlechter Erziehung, abnor¬
mem Geschlechtstriebe, unglücklicher Liebe, Eifersucht,
häuslichem Zwist, mifslichen Vermögensumständen, bösem
Gewissen, Schwärmerei, Trunksucht, Spiel und Anstren¬
gung des Geistes durch Studiren. Prozefssucht und Recht¬
haberei, welche der Verf. mit als Ursachen anführt, hat
man mehr als vorlaufende Symptome zu betrachten. Im
Betreff der nächsten Ursache fand man zwar oft bei den
Sectionen organische Fehler, allein sie führten zu keinem
bestimmten Resultate.
Es wäre zu wünschen gewesen, dafs der Verf. die ver¬
schiedenen Gegenstände, welche er abhandelt, unter be¬
stimmte Abschnitte geordnet und so dem Leser die Ueber-
sicht des Gegebenen erleichtert hätte. Das Zusammenge¬
hörige ist nicht selten an 3 — 4 verschiedenen Orten plan¬
los zerstreut und daher sind manche Wiederholungen ent¬
standen, die vermieden werden konnten. Unsere Vorfah¬
ren waren in dieser Umsicht weit pünktlicher als wir , sie
versäumten nie eine sorgfältige Eintheilung der abgehan¬
delten Gegenstände und versahen jedes Buch mit einem
Register, wohl gar mit einem doppelten und dreifachen.
Angehängt sind nun noch 6 Krankengeschichten nut
glücklichem und 7 mit tödlliebem Ausgange nebst «len dazu
gehörigen Sectionsberichten. In der ersten Kiankenge
344
X. Gaumcnnath.
schichte möchte der würdige Verf. doch nicht so ganz den
Vorwurf eiqes zu empirischen Verfahrens von sich abwrei-
sen können, so sehr er sich auch dagegen zu verwahren
sucht, doch findet er darin Entschuldigung, dafs die Unruhe
des Kranken die Anwendung der dienlichsten Mittel unmög¬
lich machte, und dafs die Douchebäder damals noch nicht
eingerichtet waren. Gegen zu häufige und reichliche Ader¬
lässe erklärt sich der Verf. mit liecht; sie beruhigen natür¬
lich den Tobenden, heilen ihn aber nicht. Sein Lieblings¬
mittel ist bekanntlich die Einreibung der Krätzsalbe. Hö¬
heren Werth würden diese Krankengeschichten haben, wenn
die Einrichtung der Anstalt ihrem Zwecke besser entspräche
und dem Verf. alle Heilmittel, deren Gebrauch die Seeleu-
heiikunde zu unserer Zeit vorschreibt, zu Gebote gestan¬
den hätten. Uebrigens mufs es befremden , dafs der Verf.
unterlassen hat, einiges im Allgemeinen über sein Heilver¬
fahren und dessen Erfolg in den verschiedenen Arten der
Seelenstörungen zu sagen, wie man wohl in dieser Schrift
zu erwarten berechtigt ist , da sie eben Rechenschaft grebt
von dem, was er während seiner Dienstzeit leistete.
D — ch.
f x.
M emoirc sur la Staphyloraphie, ou Suture
du voile du palais; par Phil. Jos. Roux,
Prof, de Pathologie chirurgicale a la Faculte de
Paris, Chirurgien en second de lHöpital de la
Charite, Chevalier, INIeinhre etc. etc. A Paris,
chez J. S. Chaude, Libraire, Rue Haute -Feuille,
No. 30. 1825. 8. pp. 93. Avecplanches. (2 fr. 50cent)
Den Inhalt dieser Abhandlung machen zum Theil Re¬
flexionen über die Spaltung des Gaumens, zum Theil die
Beschreibung von dreizehn Fällen aus, in denen Roux bis
X. Gaumennath.
345
jetzt Gelegenheit fand, die Gaumennath anzuwenden. — Da
mit dieser Anzeige keine wörtliche Uebersetzung dieser
Krankengeschichten verbunden sein kann, so kann Ref. sich
nur darauf beschränken, das Operationsverfahren von Roux
und die Resultate seiner Bemühungen in aller Kürze mit-
zutheilen.
Den Anfang der Gaumennath machte Roux gewöhn¬
lich mit Einführung der Ligaturfäden. Die Instrumente,
deren er sich hierzu bediente, bestanden in zwei kleinen,
in einem Kreise von 8 — 10 Linien Durchmesser, ge¬
krümmten und flachen Nadeln, in einem Nadelhalter und in
Pincetten oder Kornzan^en zum Durchziehen der Nadeln
und Fäden. Die Nadeln wurden hinter das getrennte Gau¬
mensegel geführt, und dieses von hinten nach vorn durch¬
stochen, die hervortretende Spitze mit der Kornzange an-
gefafst, der Nadelhalter geöffnet, und die Nadel mit dem
Faden in den Mund gezogen. Der Durchstichspunkt war
3^ — 4 Linien vom Rande der getrennten Theile entfernt.
Gewöhnlich wrurden nur drei Ligaturen angelegt, und sel¬
ten eine vierte hinzugefügt. Nachdem nun die angelegten
Fäden aus dem Wege geschafft worden waren, um das
Durchschneiden derselben zu verhüten, schritt er zu dem
zweiten Acte der Operation, der Wundmachung der Rän¬
der, welche vereinigt werden sollten. Zu diesem Zwecke
fäfste er mit einer Kornzange das eine untere Ende des
getrennten Gaumensegels , spannte dasselbe an , und trug
nun vermittelst eines geraden geknöpften Bistouri’s, dessen Rü¬
cken nach der Zunge gekehrt wurde, an der äufsern Seite der
Kornzange bleibend, den Rand in der Dicke einer halben Linie
ab. Der Schnitt mufste aber, wie bei der Operation der Ha¬
senscharte über den Verbindungswinkel sich hinaus erstre¬
cken. Der dritte Act bestand in der Vereinigung der
Wundränder. Diese geschah durch die Bildung zweier ein¬
fachen Knoten, worauf die Fäden abgeschnitten wurden.
Um das Aufgehen des ersten Knotens während der Bildung
des zweiten zu verhindern, welchem Uebelstande Graefe
346
X. Gaumennath.
jetzt dadurch zuvorzukommen sucht, dafs er erst einen chi-
rurgischen und dann einen einfachen Knoten bildet, lieh
er den ersten mit einer Kornzange fcsthalten. Die Liga-
turen blieben 4 — 5 läge liegen, und wahrend dieser Zeit
muhte sich der Operirte alles Essens , Sprechens, Hustens
u. s. w. enthalten. Die Anzahl seiner Versuche beläuft sich
auf dreizehn, die an zwölf Kranken angestellt wurden.
Ziemlich glücklich war Roux mit dieser Operation, wenn
die Spaltung nur die Uvula und das Gaumensegel betraf,
ln sieben Fällen dieser Art gelangte er viermal zum Ziele;
bei zwei andern Kranken indessen gar nicht, und bei «lern
siebenten wurde nur eine theilweise Adhaesion bewirkt; die
beiden Hälften der Uvula blieben un vereinigt. Die Ursache
dieses Mifslingena soll das zu frühe Sprechen und Essen
der Kranken gewesen sein; indessen können auch Fehler
beim Anlegen der Hefte zum Grunde gelegen haben.
Sehr ungünstig waren dagegen die Resultate, wenu
sich die Spaltung auch in das Gaumengewölbe und wohl
gar bis zum Alveolarfortsatz erstreckte, die getrennten Theile
weit von einander abstanden oder wohl gar ein Substanz-
Verlust vorhanden war, so dafs die Spalte, statt kegelför¬
mig zu sein, die Gestalt eines Parallelogramms hatte, hin¬
ter diesen Verhältnissen gelang die Operation viermal gar
nicht, und zweimal nur unvollkommen. In diesen beiden
letzten Fällen vereinigten sich nur die Ränder des Gau¬
mensegels, die des Gaumengewölbes trennten sich aber ge¬
wöhnlich 24 Stunden nach Lösung der Hefte, und ein Ob¬
turator mufste dann die Oeffnung Vergeh liefsen. Rei einem
Kranken (8te Beobachtung) wurde die Gaumcnuath zwei¬
mal versucht, ein heftiger Catarrh, Husten und eine Ent¬
zündung der Vereinigten Theile, welche Eiterung an den
Wundrändern und Ausreifscn der Hefte zur Folge hatte,
verhindertem das Gelingen jedesmal. Da indessen auch un¬
ter günstigem \ erhältnissen keine bleibende Verwachsung
erzielt wurde, so trennte Roux in einem Falle die Rän¬
der, um eine bessere Annäherung der ^VeichgebUdc zu bc
X. Ganmennath,
347
wirken, von ihrem Anhängepunkte 3 — 4 Linien lang ab.
Zu diesem Zwecke dienten zwei etwas lange und schmale
Messer, die gegen die Spitze zu nach der Fläche gekrümmt
waren, und vcn denen das eine rechts, das andere links
schnitt. Dessenungeachtet trennten sich die vereinigten
Ränder 24 Stunden nach der Entfernung der Hefte wie¬
der. Glücklicher war Roux dagegen bei einem Mädchen,
wo er durch folgendes Verfahren die zu grofse Spannung
hob und die Ränder in einer Ausdehnung von zwei Drit-
theilen ihrer Länge vereinigen konnte. Nachdem nämlich
drei Ligaturen angelegt waren, machte Roux die Ränder
pur bis zum Anhängepunkte des Gaumensegels an dem knö¬
chernen Gaumen wund, und trennte dann hier jenes von
diesem durch einen, nach jeder Seite hin vollführten, trans-
Versellen Schnitt, der hinsichtlich seiner Länge etwas über
die Durchstichspunkte sich hinaus erstreckte. Zwei Hefte
mufsten aber, da sie nicht hinreichend fest zusammengezo¬
gen worden waren, durch andere ersetzt werden. Nach
Lösung der beiden oberen Hefte trennte sich zwar ein Theil
der vereinigten Spalte, Roux liefs aber die dritte, untere
Ligatur noch 24 Stunden länger liegen, und hatte das Ver¬
gnügen zu bemerken, dafs die Trennung nun weiter keine
Fortschritte machte, lind somit der Zweck doch zum Theil
erreicht wurde. — Um in der Folge bei so bedeutenden
Graden von Spaltung, wo möglich zu einem günstigeren
(Resultate zu kommen, will Roux nunmehr nach Levret’s
und Autenrieth’s Beispiel bei einem achtjährigen Mäd¬
chen den Versuch machen, die beiden Oberkieferknochen
mittelst einer Vorrichtung durch Druck allmählig einander
Ku nähern, und den Abstand in eine schmale Spalte zu ver¬
wandeln, die eine bleibende Vereinigung eher zulassen wird.
Der Erfolg dieses Versuchs soll in der Folge bekannt ge¬
macht werden.
Am Ende dieser Abhandlung spricht der Verf. mit vie¬
ler Anmafsung von dem Aufsehen, das sein Unternehmen
gemacht habe, Jousselin in Lüttich und Alcock in
X. (laumcnnath.
348
V
London haben die Operation wiederholt; vermifst wird
Suchet zu Ghalous und Fferrier zu Arles. Ganz mit
Stillschweigen wird übergangen, was in Deutschland für
die Gaumennath gelhau ist, und dagegen von Graele
(nach Roux Groefe) nur auf eine höchst herabwürdi¬
gende und ungeziemende Weise gesprochen, so wie gegen
die frühere Ausführung der Gaumennath von Seiten des¬
selben immer noch Zweifel erhoben. Dieses fernere hart¬
näckige Bestehen auf die Priorität dieser Erfindung und
diese unschicklichen Aeufserungen von Roux können die
Leistungen desselben bei jedem gebildeten Leser nur
in Schatten stellen, und werden nicht vermögen, Grä¬
fes so allgemein anerkannte Verdienste zu schmälern.
Durch die in Hufeland’s Journal, Jahrgang 1817, Ja¬
nuarheft, S. 116* geschehene Mittheilung ist aller Zweifel
gehoben und dargethan, dafs Gräfe diese Operation bei¬
nahe drei Jahre früher ausgeübt hat. Man würde
Roux auf die S. 89 seiner Abhandlung gegebene .\ ersiche-
rung, dals er weder absichtlich diese Erfindung habe an
sich reifsen wollen, noch irgend einen ink von dersel¬
ben bekommen habe, trauen und glauben können, dafs es
mit der Erfindung der Gaumennath eben so gegangen sei,
wie es mit der Amputation en deux temps von Chesel-
den und Petit geschehen ist, wenn er sich nicht zugleich
der gröfsten Unwahrheiten schuldig machte, um seine Lei¬
stungen in ein helleres Licht zu stellen. Gräfe hat nicht
lauter unglückliche Resultate enthalten, wie Roux hier
aussagt, sondern dem ärztlichen Publikum schon gezeigt,
dafs sein Unternehmen zu einem vollkommenen Ziele führte,
bevor Roux nur die entfernteste Idee von dieser Opera¬
tion gehabt hat. Wenn dieser daher jetzt noch , nachdem
acht Jahre nach der vorläufigen Anzeige in Hufeland’s
Journal und fünf Jahre nach der Bekanntmachung von
Gräfe verflossen sind, etwas abläugnct, was schon der
ganzen Welt bekannt ist, so kann einer solchen Unwahr¬
heit nur eine unziemliche Eigenliebe zum Grunde liegen.
X. Gaumennath. 349
die zu diesen unerlaubten Mitteln greift, um das ärztliche
Publikum wo möglich noch in einer falschen Meinung zu
erhalten. Dafs das Verfahren Graefe’s unvollkommen
und bizarr sei, kann ebenfalls nur eine Verlaumdung ge¬
nannt werden. Wenngleich die Resultate, welche Graefe
erhielt, nicht so günstig als die von Roux sind, so möchte
hieran wohl nicht die Art und Weise, durch welche die
Operation ausgeführt worden ist, schuld, sondern der
glückliche oder unglückliche xVusgang vielmehr durch das
Subjekt und die Beschaffenheit des Uebels bedingt worden
sein. Roux war nur in seinem Unternehmen bei jungen
Subjekten zwischen 22 — 25 Jahren und bei einfacher
Spaltung der Uvula und des Gaumensegels glücklich, ge¬
langte aber zum Theil gar nicht oder nur sehr unvollkom¬
men zum Ziel, wenn die Spaltung auch den harten Gau¬
men betraf, und anderweitige ungünstige, das Individuum
betreffende Verhältnisse obwalteteten, wie sie auch im ho¬
ben Grade bei denjenigen Kranken vorhanden waren, bei
(denen Graefe die Gaumennath fruchtlos versuchte. Ue-
brigens überzeugte sich Graefe auch sehr bald, dafs auf
einem weit einfacheren Wege zu demselben Ziele zu ge¬
langen sei, und er unterliefs es nicht, das Publikum bald
davon zu benachrichtigen (Graefe’s und v. Walther ’s
Journal Bd. I. Heft 3. S. 556). Schon seit fünf Jahren
bedient sich Graefe nicht mehr der Ligaturschrauben, des
Schrauben- und Nadelhalters, sondern er führt die Nadel,
die jetzt nicht mehr eine gekrümmte, sondern eine gerade,
^iner kurzen Nähnadel ganz ähnliche ist, mit einer am vor¬
dem Ende in einen rechten Winkel gebogenen Kornzange
i(Bd. I. Fig. 6) ein, durchsticht die Ränder des getrennten
Gaumensegels von hinten nach vorn, zieht dann nach ge¬
schehener Durchstechung die Nadel mit demselben Werk¬
zeuge hervor, und bildet dann blofs mittelst der Finger
(erst einen chirurgischen und dann einen einfachen Knoten,
;an welchem die Fäden dicht abgeschnitten werden. Von
allem diesen und von den übrigen V erfahrungsarten und
i v '
I
350
XI. Amputations- Apparat.
Vorschlägen, die Ebel, v. W er necke u. a. in Deutsch-
End gemacht haben, scheint Koux aber, obgleich mehrere
Jahre seit ihrer Bekanntmachung schon verflossen sind,
nichts zu wissen. Man kann daher dem \ crf. rathen, in
der Folge mit Schmähungen zurückhaltender zu sein, und
sich erst mit den Leistungen näher bekannt zu machen,
über die er sich ein anmalsendes Urtheil erlaubt. —
Ji — r.
XI.
Ausführliche Bes ehr ci bong eines vollstän¬
digen Amputations-Apparates welchen man
sehr hequent in der Tasche hei sich führen kann,,
von G. F. Eichheim er, der Arznei- und W und-
arzneik. Doctor, künigl. Bairischem General - La-
zaretli - Inspections - Rath und Oherfeldstahsarzt
der Armee. Mit 21 lithograpbirten Abbildungen
auf drei Blättern. Augsburg in der AVolffschen
Buchhandlung. 1824. 8. 8 S. (12 Gr.)
Dieser Amputationsapparat enthält 1 Säge (Jab. L
F. 3.), 2 Amputationsniesser (ebend. F. 1. 2.), 1 zwei¬
schneidiges Messer (Tab. 1. F. 7.), 1 Schnallen -Schraube-
Tourniquet nach des \ erf. Angabe (Tab. 5. A.a.), 1 Arterien¬
zange nebst Haken (Fig. 12.), 2 Scalpeljs (Fig. 8. 9.)1 1
Knochenzange (F. 10.), 1 Knorpelmesser (F. 8.), 6 Stück
XV undnadeln, 1 Bicornis nach Brünninghausen, die Ln-
terbindungsschlinge über die Arterie zu schieben: ein fair
die Säge und die Amputationsmesser gemeinschaftliches Heft.
Die .genannten Instrumente nun in ein zweck mäfsig
eingerichtetes Ltui zu hriugen, um es in der Tasche mit
sich herum tragen zu können, war die Aufgabe, die sich
Hr. Dr. Eich beim er gemacht hat. In der Ausführung
35 i
XI. Amputations - Apparat.
einer ähnlichen Idee waren der leider jetzt verstorbene
hochverdiente Percy, und Assalini, nicht Asselini,
wie durchgängig falsch geschrieben oder gedruckt ist, Vor¬
gänger gewesen, allein die von den genannten Machaonen
angegebenen Apparate genügten theils wegen ihrer unbe¬
quemen Construction , theils wegen ihrer auf wenigere und
seltnere Fälle beschränkte Benutzung nicht, und da eigene
Frfahrung den im Kriege viel gedienten Verf. mehr und
mehr zur Verbesserung der Aufgabe reizte und nöthigte,
so gelangte er auf folgendem Wege zum Zweck.
Zuerst mufste die Länge des Amputationsmessers und
der Säge verkürzt werden, ohne dafs dadurch jedoch der
allgemeinen Zweckmälsigkeit ihres Gebrauchs geschadet
ward. Diese Verkürzung ward nur dadurch erreichbar,
dafs den Klingen der Amputationsmesser und dem Säge¬
blatte ein gemeinschaftliches Heft gegeben ward. Durch
die Reaiisirung dieser Idee war die Möglichkeit der Ver¬
kleinerung des ganzen Apparates gegeben. Es war jedoch
wiederum mit nicht geringer Schwierigkeit verbunden, den
Mechanismus, durch welchen das Heft an die Messerklin¬
gen und das Sägeblatt wechselseitig angebracht werden
konnte, zu construiren; allein auch diese hat der erfah¬
rene Eich heim er glücklich überwunden, und die Sache
ist mittelst einer Feder recht glücklich bewerkstelligt wor¬
den. Auf diese Weise ist es nun möglich, den ganzen Ap¬
parat, welcher aus den oben angegebenen Instrumenten be¬
steht, in ein tragbares, aus Lindenholz gefertigtes Etui zu
bringen.
Was die Instrumente betrifft, so sind dieselben die
jetzt gewöhnlichen Amputationsmesser, die bekannten Knor¬
pelmesser u. s. w. Nur folgendes ist neu in diesem Ap
parate:
1) Das Scbnallen-Schrauben-Tourniquet nach Eich-
heimer’s Angabe. Eine gewifs eben so zweckmäfsige als
einfache Erfindung.
2) Ein von Brünninghausen schon lange anem-
352
XII. Zeitschriften.
pfoldcnes gabelförmiges Instrument zum Gebrauch bei Am¬
putationen. (Kiii, wie cs lief, scheint, entbehrliches In¬
strument.)
Es ist übrigens wohl sehr zu empfehlen, das Gewicht
von dergleichen tragbaren Apparaten so leicht als möglich
zu machen! Daher scheint es nicht ganz zweckmäßig, dafs
Eichheimer statt einer Säge mit einer Stange und einem
schmalen Sägeblatte, ein breites Sägeblatt gewählt hat,
das erstlich zu schwer, und zweitens nicht leicht zu hand¬
haben ist. Es sägt sich unstreitig besser mit den gewöhn¬
lichen Sägen, die mit Stangen versehen sind, als mit diesen
schweren unnatürlichen Sägeblättern, vorzüglich wenn zwei
Knochen wie am Vorderarm lind den Schienbeinen zu tren¬
nen sind.
s
Der erste, der freilich nicht zum besten gerathenen
Steindriicke , enthält die Abbildungen der einzelnen Instru¬
mente, und die beiden andern Tafeln geben verschiedene An¬
sichten des ganzen Apparates, wenn er zusammengelegt ist,
' und des Etuis.
Amrnön .
XII.
Zeitschriften.
1. Annali universal] di medicina, compilati da An¬
nibale Omodei, Dottore in fdosofia, medicina e chi-
rurgia etc. \ olumc XXXII. Ottobre, Novembre, Decem-
bre. Milano, dai tipi di G. G. Destefanis , 1824. 8.
484 S. *
Das October- und November -Heft dieser Zeitschrift,
der bedeutendsten Italiens, enthält auf 304 Seiten nur einen
einzigen kleinen Originalaufsatz, die Beobachtung einer An-
chylosis uni versal is, von Giovam- Haitis ta Grabner-
Ma raschin. Wir theilen die Geschichte dieser, wenn
auch schon öfter beobachteten, doch interessanten Krank¬
heit mit —
(Iirschlu/s folgt.)
Litterarische Annalen
. •
der
gesummten Heilkunde.
1825.
mm.
XII.
Zeitschriften.
1. Annali universal i di medicina, compilati da An**
nibale Omodei etc. Milano, 1824. 8.
* r
( B e s c h l ü f s. )
Ein Landmann, 46 Jahre alt, starker Constitution, von be¬
deutenden Krankheiten bisher frei, wurde im Jahre 1815,
nachdem er kurz vorher an einem Tripper und dann an
einer Pleuritis gelitten hatte, von Gliederschmerzen rheu¬
matisch -arthritischer Art (un1 affezione artritica d’indoie
reumatical) befallen, die in den 1 ufsgelenken begannen,
dann sich auf die Knie erstreckten , und endlich beide Hüft¬
gelenke ergriffen. Gegen dieses Leiden brauchte er mit
geringer Erleichterung die XVässer- und Schlammbäder
von Abano, und lebte dann bis zum April 1817 in erträg¬
lichem Zustande, als das Uebel zu den obern Extremitäten,
dann zu den Wirbelbeinen, und zuletzt zur untern Kinn¬
lade fortschritt. Nach und nach verlor sich nun, ohne
Schmerzen, die Beweglichkeit der Gelenke so weit, daf.
im Februar 1818 bei beständigem Liegen die allgemeine
Anchylose als trauriger Ausgang dieser Gelenkleidcn begann,
und durch kein Mittel aufgehalten werden konnte*
Jetzt, nach sechs Jahren ununterbrochenen Liegens,
ist die Anchylose ganz allgemein, nur die Pvippen haben
eine geringe Beweglichkeit behalten. Die Gelenke smu
übrigens nicht aufgetrieben, und unschmerzhaft, die meisten
II. Bd. 3. st 23
354
XII. Zeitschriften.
Functionen des Körpers sind normal, nur die Sensibilität
der Haut der Extremitäten scheint verringert zu sein, und
Stuhlgang erfolgt nur alle vierzehn Tage. Ernährt wird
dieser Unglückliche nur durch Einflöfsen flüssiger Nahrungs¬
mittel zwischen den fehlenden Zähnen.
Die nächste Ursache dieser Krankheit wird in eine
besondere Disposition der Gelenke zu exsudativen Entzün¬
dungen gesetzt, und als Gelegenheitsursache eine modificirte
syphilitische Dyscrasie, oder vielmehr das Trippergift ange¬
nommen. Wenn wir auch im Allgemeinen dieser Ansicht
unsern Beifall nicht versagen können, so hätten wir doch
eine genauere Würdigung des Krankheitsprozesses ge¬
wünscht, und können die Mangelhaftigkeit und Unvollstän-
digkeit der Diagnose, bei der die Fragen, ob Rheumatis¬
mus oder Arthritis, und von welcher Art, den Grundcha¬
rakter der Krankheit ausmachten, gar nicht berücksichtigt
sind, nicht entschuldigen.
Der W ichtigkeit des Gegenstandes wegen erlauben wir
uns, gegen unsern Grundsatz, nur Originalabhandlungen zu
berücksichtigen, einen kurzen Auszug in dieser Zeitschrift
aus « Dr. Lorenzo Cantü Specimen chimico-medicum de
mercurii praesentia in urinis syphiliticorum mercurialem cu-
rationem patientium f), hier aufzunehmen.
Folgendes sind die wichtigsten Resultate der Untersu¬
chungen Ca n tu ’s: 1) Man findet Quecksilber im
Urin derjenigen, welche sich desselben zu Einreibungen
bedient haben, und zwar in saliniseher (soll wohl hei-
fsen oxydirter) Form. (Wir bedauern, dafs nicht be¬
stimmt ist, ob das Unguentum hydrargyri rinereum, oder
das Unguentum Cyrilli gebraucht ist. Rec.) 2) Diese Queck¬
silbersalze werden im Urin durch die freie Säure desselben
aufgelöst erhalten. 3) Sie trennen sich dagegen vom Harne,
1) In den Memorie della Societa reale delle seienze di
Torino. Torino, 1824, Vol. .XXIX. enthalten, und vom Dr. C.
Fenoglio in Oraodei’i Annalen mitget heilt.
XII. Zeitschriften.
355
wenn seine Säure durch Ammonium gesättigt wird; daher
schon bei der Fäulnifs des Urins. 4) Das Quecksilber wird
von den Capillar - LymphgefäCsen aufgenommen, in die
gröfsern Stämme geführt, und gelangt so in den Kreislauf
des Blutes. (Fenoglio nimmt mit Recht hierbei an, dals
auch die Venen Theil an dieser Resorption haben möch¬
ten; ja nach Magendie, Tiedemann und Gmelin
scheint es uns sogar , dafs sie allein das Geschäft der Ein¬
saugung der dem Körper heterogenen Stoffe übernehmen.
Man sehe übrigens hierüber die Aufsätze des Herausgebers
dieser Annalen in Gräfe’s und v. Walther’s Journal,
und in diesen Annalen Bd. II. No. 41.) 5) Auf diese Weise
soll das Quecksilber wegen seiner grofsen Theilbarkeit sich
in alle Theile des Körpers begeben, und so eine allgemeine
Wirkung hervorbringen. 6) Das in die thierische Oeko-
nomie gelangte Quecksilber wird durch einen eigenen che¬
misch-vitalen Prozefs oxydirt, und wird auch so, im Zu¬
stande eines Oxyds, durch den Harn ausgeleert. 7) Nach
der verschiedenen Beschaffenheit der Vitalität, der Mischung
der Säfte, und dem Grade der venerischen Krankheit, we¬
gen welcher es angewendet wird, geht diese Verwandlung
des Quecksilbers bald rascher, bald langsamer von statten1,1
woraus die verschiedene Wirkung desselben bei verschiede¬
nen Individuen zu erklären sein möchte. 8) Das Queck¬
silber wirkt endlich als Antisyphiliticum , einmal durch seine
eigene , ihm als Metall eigentümliche Kraft , das venerische
Gift zu zerstören, indem es ihm einen Bestandteil,* viel¬
leicht den Sauerstoff, entzieht, und andererseits auch durch
seine Form als Salz, d. h. durch seine Verbindung mit
dem Sauerstoff.
Vorteilhafter zeichnet sich das Decerrtberheft durch
reicheren Inhalt an Originalaufsätzen aus. ES beginnt mit
einer Abhandlung über die Geschichte der Vaccination, vort
Dr. Tommasö Prela, ehemaligem ersten Arzte des Pab-
stes Pius VII. Sie ist ursprünglich in der Acaderhia dei
Lincei zu Rom vörgelesen worden, und empfiehlt sich
23*
356
XII. Zeitschriften.
durch ausgezeichnete Schönheit des Yortrages, so wie
vielfache Beweise eindringenden Scharfsinns und seltener
Gelehrsamkeit des Verf., wenn freilich in einem so dunkeln
Gegenstände, wie der Ursprung und die Fortpflanzung der
Contagien überhaupt, und des der Schutzblattern insbeson¬
dere ist, den Zweifeln und der Kritik ein weiter Kaum
überlassen bleibt. — Zu bedauern ist es, dafs diese Unter¬
suchung nicht in so schöner historischer Ordnung einher¬
schreitet, wie dies etwa den verwandten Arbeiten eines
Luders und Krause nachzurühmen ist; dafs ferner der
Verf. mitunter wohl zu sehr in die unfruchtbaren philolo¬
gischen Streitigkeiten über die Auslegung einzelner Wörter
eingeht, und endlich die Citate nur wörtlich, ohne Angabe
der Quellen, angeführt hat, wodurch der Werth seiner
Arbeit für fernere historische Untersuchungen offenbar ver¬
ringert wird.
Ls schliefst sich übrigens diese Abhandlung an die den
Lesern dieser Annalen näher bekannte Schrift Krause’s
an, indem beide Schriftsteller ein höheres Alter der Pocken,
als das gewöhnlich angenommene, vertheidigen ; nur er¬
streckt sich die vorliegende Untersuchung vorzugsweise auf
die Pocken der Thiere.
Der \ erf. sucht, vielleicht durch äufsere aufgedrungene
Motive veranlafst, zu beweisen, dafs die Vaccination nicht
das Resultat eines unüberlegten Wagestücks Neuerungs-
Süchtiger, oder einer überdachten Speculation, oder eines
kühnen menschlichen Gedankens sei, sondern dafs ihre Ge¬
schichte sich bis auf die entferntesten Zeitperioden erstrecke,
und sie selbst tief und fest begründet sei in der Macht der
wechselseitigen \ erknüpfung und des Zusammenhanges in
der Natur, und eben darin ihre Vertheidigung finde.
In dem ursprünglichen Naturzustände nämlich sollen die
Thiere, in grüfserer Gemeinschaft mit den Menschen lebend,
wenn sie an contagiösen Krankheiten litten, diese den Men¬
schen mitgetheilt haben, so jedoch, dafs diese durch die
menschliche Natur eigenthümlich modiücirt wurden. Iläu-
XII. Zeitschriften.
357
fi ge Beispiele aus der ältesten Geschichte der menschlichen
Gesellschaft sollen dies beweisen, wozu Citate aus Homer,
Livius, Columella angeführt werden; so Livius:
«Ouae priore anno in boves ingruerat, eo verteret in ho-
minem morbus.» — Cardanus: «Oves, quia humidiores,
citius peste inficiuntur, inde boves et sues, minus bis ca-
prae , equi, et multo minus canes: verum si in talibus per-
severat, facile transit ad hominem.» — Auf diese Weise
sollen nun auch die Pocken, ursprünglich den Thieren an¬
gehörend, von diesen auf den Menschen übertragen sein;
ja die Fortpflanzung der Kuhpocken auf den Menschen
durch Ansteckung wird noch durch die tägliche Erfahrung
der neuesten Zeiten bestätigt. Aus diesen Gründen und
mit Hülfe bewährter Zeugnisse der Alten sucht nun der
Yerf. darzuthun, dafs schon in den ältesten Zeiten die Po¬
cken der Thiere, besonders der Kühe, bekannt gewesen,
und durch Contact auf den Menschen fortgepflanzt wor¬
den seien. Er erklärt nämlich das sehr vieldeutige Wort
Boa bei Plinius (Boa, sic appellatur morbus papularum,
cum rubent corpora. Lib. XXIV. C. YIII. de sambuco etc. —
p)0a — (serpentes) in Italia appellatae boae. ... Aluntur
primo bubuli lactis succo, unde nomen traxere. PI in. Lib.
YIII. C. XI Y. — Boa — Cruruin quoque tumor, viae la-
bore colleetus, Boa appellatur. Festus) für den Namen der
Pockenkrankheit, und bemüht sich nun durch philologische
und historische Untersuchungen, in die wir, ohne die Grän¬
zen einer litterarischen Anzeige zu überschreiten, nicht ein-
gehen können, zu beweisen, dafs der Boa -morbus vor¬
zugsweise eine Krankheit der Kühe gewesen sei, die sich
durch Berührung dem Menschen mitgetheilt habe. Für
diese Verbreitung soll unter andern die Stelle beim Virgil
sprechen:
«Nam neque erat coriis usus: nec viscera quisquam
Aut undis abolere potest, aut vincere flamma,
Nec tondere quidem morbo illuvieque peresa
Vellera, nec telas possunt attingere putres.
358
XII. Zeitschriften.
Verum etiam invisos si quis tentaret amictus,
Ardentes papulae, atque immun du 8 olentia sudor
Membra sequebatur; nec longo deindc moranti
Tempore, contactos artus sacer ignis edebat.»
Georg. LU). III. v.559 — 566.
Die so übertragenen Pocken sollen sich nun durch die
eigenthiimliche Constitution des Menschen und im Verlaufe
der Zeiten eigends modificirt haben, so dafs sie nun als
wahre Menschenpocken ihm angehören. Hierauf soll nun
eigentlich die schützende Kraft der ’S accination sich grün¬
den, indem die ursprüngliche Krankheit (Kuhpocken) ihr
ausgeartetes Erzeugnifs (Menschenpocken) zu verhüten ver¬
möge. So sei also die Vaccination tief in der Natur und
einer bewundernswerthen Verkettung derselben begründet,
und gegen jeden Angriff geschützt.
Weiterer Bericht über den Geb rauch der ganzen
Pfefferkörner im Wrechselfiebcr, von Dr. Luigi
Frank in Parma. — Schon früher hat der \erf. im Jour¬
nal complementaire Vol. 8. p. 371. seine sehr günstigen Er¬
fahrungen über dieses Arzneimittel bekannt gemacht. Um
nun die W irkungen des Pfeffers genauer kennen zu lernen,
und um ihn auch dann noch ohne Nachtheil gebrauchen zu
können, wenn ein entzündlicher Zustand im W'echselfieber
vorhanden ist, bereitete der Verf. und der Dr. Rondo-
lini in Triest durch Abdampfen eines kalt oder warm be¬
reiteten Aufgusses der ganzen Pfefferkörner ein wässeriges
Extract, von dem, da etwa zwei bis drei Scrupel Pfeffer
zur Heilung eines Wechselfiebers erforderlich sind, fünf
Gran zu demselben Zwecke genügen. Fernere Erfahrungen
müssen erst über den Werth dieses Extracts entscheiden,
welches vielleicht dem von Gerste dt entdeckten Piperin
(Schwei gger s Journal Bd. ‘2.9. S. 80.) seiner wohlfeile¬
ren Bereitungsart wegen vorgezogen zu werden verdient.
Der kurze Bericht über die Kur des Bandwurms, von
demfelben Verfasser, enthält nichts neues, sondern em¬
pfiehlt nur die bekannten wirksameren Mittel gegen Band-
XII. Zeitschriften.
359
würmer, so Oleum Chaberti, Oleuin terebinthinae, Cortex
radicis Punicae Granati, ja in verzweifelten Fällen selbst
eine Solutio arsenicalis.
S — rV
2. Journal comp lementaire du Dictionaire des
Sciences medicales. Tome XXI. A Paris, chez C.
L. F. Panckoucke. Mars, 1825. 8. 96 S.
Aufser einer für deutsche Leser sehr gleichgültigen
Würdigung von Broussais Ansichten über die Verrich¬
tung der Nerven, von Fodera, und einer Abhandlung
über die schwammigen Auswüchse (Fungus) der serösen
Häute, von Zink, enthält dieses Heft nichts, das einer be¬
sonderen Mittheilung werth wäre. Hie in derselben er¬
zählten Krankengeschichten sind ein willkommener Beitrag
zur Kenntnifs jener Auswüchse, so wde zur Pathologie der
Hoden, und können zum Theil den von Rust in Horn s
Archiv, Jahrgang 1815, Bd. II. S. 731 erzählten Fällen
zur Seite gestellt werden; auch bestätigen sie die von
Gier 1 in Textor’s neuem Chiron Bd. I. St. 2. S. 273
niedergelegten Erfahrungen. I)afs die von Zink beobach¬
teten Parasiten von den serösen Häuten ausgegangen waien,
kann nicht bewiesen werden, auch läfst die Organisation
dieser Gebilde eine solche Annahme durchaus nicht zu.
Nur ein Organ, das Gefäfse besitzt, erlaubt so bedeutende
Wucherungen und kann den Mutterboden für Schwämme
abgeben, nicht aber die sogenannten serösen Häute.
Die mitgetheilten Krankheitsfälle sind nun in aller
Kürze folgende;
1. Ein Mensch von etwa 15 Jahren hatte auf der
rechten Seite des Hodensacks eine ovale Geschwulst von
18 bis 20 Zoll Länge, und verhältnifsmäfsiger Breite. Sie
sollte in Folge eines vor mehreren Monaten erlittenen Sto-
fses entstanden sein, und seit jener Zeit erst diesen dm-
360
XIL Zeitschriften.
fang erreicht haben; Entzündung schien nie dagewesen jsu
sein, denn der Kranke hatte nie Schmerzen empfunden;
das Allgemeinbefinden war iibel, die Abmagerung sehr be¬
deutend: Eine nähere Untersuchung liefs weder auf eine
TIvdrocele, noch auf eine Sarcocele oder auf einen Bruch
sehliefsen , weshalb Zink einen Einschnitt vor*chlug, um
eine nähere Einsicht in die Art des Uebcls sich zu ver¬
schaffen, und dann das erforderliche Heilverfahren einleiten
zu können. Nach der Trennung der llaut wurde ein übrr-
mäfsig grofses Schwammgewächs gefunden, von dem nach
und nach ein beträchtlicher Theil weggenommen wurde;
eine heftige Blutung verhinderte aber jedes weitere Ein¬
greifen, und man beschlofs daher, den übrigen Theil durch
Aetzmittel zu zerstören. Hr. Z. mufste aber jetzt den Kran¬
ken verlassen, und trug die fernere Behandlung einem Arzte
des Ortes auf. \on den Aeltern des Kranken erfuhr Hr. Z.
bald darauf, dafs am sechsten Tage nach der Operation der
Töd unter heftigen Schmerzen im Leibe erfolgt sei.
Hie Section ist leider nicht vorgenommen worden. - —
2. Ein Mensch von vierundzwanzig Jahren, schwäch¬
licher Constitution, häufig von asthmatischen Zufällen heim¬
gesucht, und mit einem bösartigen Herpes universales be¬
haftet, litt an einer kleinen Geschw ulst auf der linken Seite
des Hodensacks. Sie war von der Gröfse einer Nufs, lag
vor und über dem Hoden, und batte, ohne Schmerzen zu
erregen, von dem Grunde des Hodensacks aus zugenommen.
Ihre Härte lind Unschmerzhaftigkeit bewogen den Verf.,
das Unguentum Kali hydriodinicl einreiben zu lassen, wo¬
bei aber ihr Umfang zunahm. Abermals wiederkehrende
asthmatische Zufälle und Unterleibsbeschwerden machten
mehrere Mittel nothwendig. Die Geschwulst hatte unter¬
dessen bedeutend an Umfang zugenommen ; sie war jetzt 6
bis 7 Zoll lang, 4 bis 5 Zoll breit, oval, hart, stellen¬
weise elastisch, nirgends durchsichtig und schmerzhaft; in
der Gegend des Bauchringes, bis wohin sie sich erstreckte,
zeigte sich deutliche Fluctuation.
XII. Zeitschriften.
361
Hr. Z. punktirte nun die Geschwulst (!) und entleerte
hierdurch etwa eine Unze einer Flüssigkeit, die wie dünne
Hefe von rothem Weine aussah. Die Einreibungen wur¬
den wieder angewandt, heftige jetzt sich einstellende Schmer¬
zen liefsen aber bald davon abstehen und zur Anwendung
von Umschlägen aus narkotischen Kräutern schreiten. Hr. Z.
wiederholte die Punction (!), entleerte auch jetzt eine ge¬
ringe Menge Flüssigkeit, die aber consistenter war, und
liefs eine elastische Röhre liegen, durch die er Einspritzun¬
gen aus 2 Gran Kali hydriodinicum in 4 Unzen destillir-
ten Wassers aufgelöst machte (!!!). Hierdurch wurde die
Absonderung einer übelriechenden Jauche unterhalten, und
durch die fernere Reizung mit Zoll langen - und breiten
Wiecken die Vergröfserung der Geschwulst und die Her¬
vorwucherung einer schwammigen Masse , so wie ein len-
tescirender Zustand herbeigeführt, dem weder durch China
noch andere Mittel Einhalt gethan werden konnte. Der
Fungus bahnte sich nun auch an anderen Stellen einen
Ausweg; es stellten sich heftige Schmerzen im Unterleibe
ein, und in der Nabelgegend bildete sich eine bedeutende
Geschwulst, deren tägliches Fortschreiten durch die Bauch¬
decken beobachtet werden konnte. Es schien theilweise
schon Brand im Fungus eingetreten zu sein, indem sich
aufserdem, dafs der Verf. täglich mit dem Messer so viel
als möglich wegnahm, noch bei jedem Verbände etwas los¬
trennte. Bei der Zunahme aller dieser örtlichen Uebel
wurde auch das Allgemeinbefinden täglich schlechter, die
Hinfälligkeit wurde gröfser, es trat Erbrechen ein, das Hr.
Z. noch durch Ipecacuanha vermehrte (!), und der Kranke
starb unter colliquativen Zufällen,
Bei der Section fand man im Unterleibe eine sehr
grofse Geschwulst, die in der linken Lumbargegend fest-
safs, die Nieren bedeckte, und die übrigen Eingeweide aus
ihrer Lage verdrängt hatte. In ihrem Innern enthielt sie
eine weifse und weiche Masse, die der in Fäulnifs qbprge-
gangenen Gehirnsubstanz nicht unähnlich war.
362
XU, Zeitschriften,
• Wie ganz unbekannt der Verf. mit den Erfahrungen
anderer Aerzte über diese Krankheit und mit der ÜSatur
derselben war, geht wohl hinreichend ans der Behandlung
dieses Falles und noch mehr aus der Bemerkung, mit wel¬
cher er seine Mittheilung schliefst, hervor, indem er näm¬
lich glaubt, dafs er diesen Patienten geheilt haben würde,
wenn nicht die Geschwulst des Unterleibes den Tod her¬
beigeführt hätte! So unvollkommen diese Krankheitsge¬
schichten wiedergegeben werden konnten, und so ober¬
flächlich die Obduction war, so geht doch hieraus hervor;
1) dafs man sich durch die Fluctuation verleiten lassen kann,
einen Einstich zu machen; 2) dafs der Fungus medullaris
testiculi, wofür wohl ein jeder Leser diese Parasiten halten
wird, Symptom eines constitutioneilen, eigentümlich dys-
crasischen Leidens sein kann; und 3) dafs ein jeder Eingriff
in diese Art von Geschwülsten, so gering er auch sein
mag, nicht nur örtlich Verschlimmerung herbeifuhrt, son¬
dern auch zur Entstehung anderer Schwämme oder Ge¬
schwülste im Innern des Körpers Veranlassung giebt, und
dann tödtlich wird. • —
Avril, 1825. 94 S.
Den grofsten Theil dieses Heftes füllen wieder, wie
gewöhnlich, Mittheilungen aus deutschen und französischen
Zeitschriften, so wie kritische Anzeigen aus. Bemerkens¬
wert möchten unter den wenigen Originalaufsätzcn einige
Beobachtungen über die in dem niederländischen Heere
beobachtete Augenentzündung von v. Kirckhoff sein, der
hinreichende Gelegenheit gehabt hat, als erster Arzt des
Militairhospitals zu Anvers diese verderbliche Krankheit zu
beobachten und zu behandeln. Der Verf. kann weder
Aegypten als das '\ aterland dieser Krankheit anerkennen,
noch sich überzeugen, dafs die Zusammenschnürung des
Halses durch enge Kragen dazu Veranlassung gebe, indem
Cavalleristen sehr selten daran leiden, und Soldaten sie so¬
wohl im Gefängnifs als im Lazareth bekommen können, so
XII. Zeitschriften.
363
wie auch andere Personen, die keine engen Kragen haben,
nicht davon verschont bleiben. Weit wahrscheinlicher ist
es ihm dagegen, dafs unterdrückte Transpiration die Ursach
des Uebels sei. So beobachtete er, dafs zu Ende Juli 1812,
auf dem Marsche nach Smolensk, eine grofse Menge Sol¬
daten der französischen Armee von der Augenentzündung
befallen wurde, weil nach angestrengten Märschen bei
heifser Witterung, wobei die Augen durch den Staub und
Sonnenschein gereizt wurden, während der kalten Nächte,
bivouacquirt werden mufste. In Aegypten sind diese Schäd¬
lichkeiten und der Wechsel der Temperatur in einem noch
weit höheren Grade vorhanden; und deshalb ist es wohl
möglich, dafs die unter europäischen Truppen wiithende
Augenentzündung der, welche man in jenem Lande beob¬
achtet hat, ähnlich sein mag. Wir verweisen hier ohne
weitere Erörterung auf Gräfe’s bekanntes Werk über die
ägyptische Augenblennorrhöe.
Die Contagiosität des Uebels giebt v. Kirckhoff zu,
allein die Ansteckung soll nur durch unmittelbare Ueber-t
tragung des krankhaften Secrets geschehen.
Der Yerf. hat öfters Augenkranke mit Verwundeten,
Venerischen und anderen in einem Bette zusammenliegen
lassen, aber nie Ansteckung erfolgen sehen. Die Inocula-
tion mit dem Eiter hat er bei mehreren Individuen ver¬
sucht, und der Ausbruch erfolgte gewöhnlich schon nach
vierundzwanzig Stunden, selten nach zwei oder drei Tagen.
Die Erscheinungen, unter denen die Augenentzündung auf¬
trat, verlief und endete, waren dieselben, wie die in an¬
deren Armeen beobachteten.
VYas die Behandlung betrifft, so war Hr. v. K. in den
früheren Stadien stets sehr glücklich. In den geringeren
Graden des Uebels reichten wiederholte Waschungen der
Augen mit Regenwasser oder mit einer Abkochung von
Malven, Blasenpflaster im Nacken oder hinter den Ohren,
Fufsbäder, Entziehung des Lichtes und strenge Diät zur
Beseitigung aus. Beim Ausbruch der Krankheit zeigten sich
i
364
XII. Zeitschriften.
häufig warme Bäder und Brechmittel sehr wirksam; in der
Folge wurden beide aber schädlich. ln höheren Graden
der Entzündung wurden grofse Aderlässe aus der Vena ju-
gularis, auch die Arteriotomie, kühlende Abführungen, Senf-
fufsbäder, Blasenpflaster an Arme und Füfse, kalte Um¬
schläge von Malvendecoct auf die Augen, und von Käs auf
den Kopf angewandt. Durch Eintröpfeln und Einspritxen
des Malvendecocts wurde die Schärfe der Secrets gemin¬
dert und das Verkleben der Augenlieder gehindert. Augen¬
wasser, Salben und warme Umschläge zeigten sich immer
schädlich. Bei minder bedeutenden Graden des Uebcls wur¬
den Blutegel an die Schläfe gesetzt; Scarificationen der Con-
junctiva leisteten selten etwas. Besondere Aufmerksamkeit
wurde dann auf den Zustand der Iris gerichtet. Zeigte sie
sich sehr zusamrnengezogen , so wurden Compressen mit
einem starken Aufgufs aus Belladonna oder Stramonium
angefeuchtet, auf das Auge gelegt, und das Extract dieser
narkotischen Mittel auch wohl innerlich gereicht. War
nun das zweite Stadium der Entzündung eingetreten, so
liefs der Verf. die Augen mit Aufgüssen aus Flieder, Men¬
tha crispa, einer Abkochung von China oder Arnica mit
etwas Extractum opii aquosum versetzt, waschen. War
örtlich die Beizbarkeit sehr erhöht, so leisteten Aufgüsse
von Schierling, Bilsenkraut oder Digitalis viel. "Wurde der
Zustand chronisch, so zeigte Kirschlorbeerwasser , mit zwei
Theilen Begenwasser verdünnt, ausgezeichnete "Wirkung.
"Wurde die Entzündung chronisch, so wurde ein Ilaarseil
in den Nacken gelegt, und Brechweinstein, Sublimat, wei-
fser Vitriol oder Alaun, mit Laudanum oder Guinmiextract
verbunden, in Form eines Augen wassers angewandt. Bei
Aufwulstung der Conjunctiva, Leucomen, Geschwüren der
Cornea, Ulcerationen im Tarsus, der Caruncula lacrymalis
oder der Meibom ’sehen Drüsen liefs der Verf. Queck¬
silbersalbe in die Schläfe einreiben, gab innerlich Calomel,
und liefs auf die Augenlieder selbst eine Salbe aus weifsem
Präcipitat oder salpetcrsaurem Quecksilber mit wässerigem
XII. Zeitschriften.
365
Gummiextract streichen, ja wohl gar, wenn das Auge es
vertrug, etwas Sublimat hinzufügen. Die allgemeine Be¬
handlung bezweckte die Stärkung des Körpers durch bittere
und tonische Mittel. —
R
r.
3. Zeitschrift für die Anthropologie. Herausgege¬
ben von Friedr. Nasse. Erstes Vierteljahrsbeft für 1825.
Leipzig, bei C. Cnobloch. 8. 192 S.
Die Geister im Menschen, von Nasse. Die für
die Psychologie wichtige Frage, ob entgegengesetzte Hand¬
lungen, die keine Einheit des Bewufstseins umfafst, als aus
einem geistigen Doppelsein hervorgehend erweisbar seien,
wird mit Recht verneint; aber die Gründe, welche dafür
und dagegen angeführt werden, sind nicht entscheidend
genug. Es hätte mehr Rücksicht auf die krankhaften
Gefühle und ihre Ursachen genommen werden sollen. —
Ueber das gegenseitige Verhältnis der durch
Erinnerungen verknüpften Zustände, von Nasse.
Aus der Zusammenstellung einiger Erfahrungssätze wird das
Resultat gezogen, dafs aus psychisch ähnlichen Zuständen
die Erinnerung leicht, aus wenig ähnlichen schwer oder
gar nicht geschieht, was wohl unläugbar ist. — Ueber
die Annahme eines eigenen Gefühlsvermögens,
nebst einem Versuch, die Gefühle in verschie¬
dene Grundarten nach einem wissenschaftlichen
i
Prinzip zu ordnen, vom Hofr. Stark. Der Verf. die¬
ses trefflichen Aufsatzes nimmt ein eigenes Gefühlsvermögen
an , und giebt den einzelnen Gefühlen nach den drei Haupt-
äufserungen des Seelen- und Körperlebens eine genügende
wissenschaftliche Eintheilung. — Von dem psychischen
Ursprünge der Gifte, von Nasse. Die Entstehung der
Gifte wird aus der Abweichung des Menschen von seinem
ursprünglichen Verhältnisse zur Natur hergeleitet, und diese
XII. Zeitschriften.
306
Meinung mit Gründen unterstützt, die aus einem höheren
idealen Kreise entlehnt sind. Zuerst hätte der Yerf. be¬
stimmen sollen, was er unter Gift versteht; der tödtlichste
Stoff kann ja unter Umständen ein Heilmittel, der heilsamste
ein- iödtlieher werden. Das Ganze ist ein Gewebe von Be¬
hauptungen , die der Grundlage sicherer Erfahrungen er¬
mangeln. — Ueber die rabdo man tischen Pendel¬
schwingungen, von Dr. Schindler. Nach Mittheilung
vieler über diesen Gegenstand angestellten Versuche wird
als Grundsatz aufgestellt, dafs cs eine Naturkraft gebe, die
auf einen in der Hand gehaltenen beweglichen Körper unter
bestimmten Bedingungen bewegend einwirke, dafs der feste
menschliche Wille dieselbe Wirkung hervorbringe, dafs die
Kraft auch bei Verschiedenheit der Erscheinungen dieselbe
bleibe (Wechselwirkung der organischen und unorganischen
Natur), und dafs die Erscheinungen dem sidcrischen und
animalischen Magnetismus analog seien. — Ueber das
Verhältnifs zwischen Schmerz und Irresein, von
Nasse. Der Verf. nimmt oft für Folge des Schmerzes,
was reine Wirkung körperlicher Krankheit ist, darum ist
der eigentliche Gegenstand nur kärglich abgehandelt. An
schwer zu erweisenden Behauptungen fehlt es auch hier
nicht, neben einzelnen sehr treffenden Bemerkungen, wozu
sich fast auf jeder Seite Belege finden» — Anatomisch¬
pathologische Untersuchungen über Hirn Was¬
sersucht, Drehkrankheit der Schafe und dieser
ähnliche Erscheinungen hei Menschen, von Dr.
Bergmann. Die Drehkrankheit hängt meist mit Fehlern
der Gef'dfshaut des Gehirns zusammen; das Drehen ge¬
schieht gewöhnlich, wenn nicht immer, nach der kranken
Hemisphäre des Hirns hin, das grofse Gehirn ist meist er¬
weicht, wahrscheinlich ist eine Affection der Nasenhäute
einleitende Ursache. Auf letzteres sich stützend, lief* der
Verf. zwei jungen Drchschafen Quecksilbersalbe in die in-
nern Nasenwände einige l äge lang einreihen , und der Er-'
folg war günstig. Grofse Aehnlichkeit findet der Verf. in
XII. Zeitschriften,
307
diesem Uebel mit dem Innern Wasserköpfe beim Mensehen,
mit dem Schwindel, den er von einer ungleichen Erregung
der Hirntheile herleitet, der Epilepsie und dem Blödsinn,
Krankheiten, in denen man oft eine eigentümliche Haltung
und Bewegung des Kopfes beobachtet, welche nach derje¬
nigen Seite hingehen soll, wo eine Blutergiefsung oder
wenigstens eine bydrocephalische Turgegcenz statt findet. —
Einige Beobachtungen über das Delirium tre¬
mens, vom Medicinalrath Dr. Günther. Die Natur die¬
ser Krankheit beruht nach dern Verf. auf einer Gehirnaf-
fection, die entweder consensuell durch gastrische Beize,
oder idiopathisch durch metastatische Ablagerung entsteht.
Daher verwirft er den von der Schule empfohlenen Ge¬
brauch des Opiums und bedient sich der Abführmittel, um
auszuleeren und abzuleiten, und da, wo Uebergang in
wirkliche Phrenitis zu' fürchten ist, der Blutentziehungen.
Die beigefügten Krankengeschichten sprechen allerdings sehr
für die Richtigkeit dieses Verfahrens.
Zweites Viertel jahrsheft. 192 S.
Philosophische Reflexionen über die natur-
gesetzlichen Mutabilitäts Verhältnisse verstau di-
i ger Wesen auf dem Monde, vorn Prof. Gruithui-
sen. Die Mondbewohner sind vernünftige Wesen und
Troglodyten, die zur Menschengattung gehören und deren
* Kunstwerke, so weit sie uns sichtbar sind, auf einen hohen
| Grad von Verstandescultur schliefsen lassen; der Mond wird
sich einst (nach 25 — 30,000 Jahren) in die Erde ver¬
senken und eine gewaltige Revolution auf ihr veranlassen.
Der Verf. schadet seinem an sich recht interessanten Ge¬
genstände dadurch sehr, dafs er ihn häufig durch seine zu
sehr ins Einzelne gehenden Vermuthlingen beinahe ins Lä¬
cherliche zieht. * — Die Aufrichtung der Menschen¬
gestalt, von Nasse. Eine lesenswerthe Zusammenstel¬
lung, in welcher bewiesen wird, dafs die Thiere in ihren
Entwickelungsstufen dem Menschen in dem Grade näher
oder entfernter stehen, in welchem die Stellung oder Lage
' ■
f
368
XII. Zeitschriften.
ihres Körpers der «einigen mehr oder minder gleicht und
dafs der Mensch seihst erst, nachdem er demselben Stufen¬
gang gefolgt ist, sich zur aufrechten Stellung erhebt. —
Die K n t w i c k e 1 u n g der Menschengestalt zur
Schönheit, von Nasse. Die Foriuverhältnisse der Men*
schcngestalt, deren Häßlichkeit im Embryo auf der Ver¬
schmelzung des Thierischen mit dem Menschlichen beruht,
bilden sich in stufenweis fortschreitender Vollendung zur
Schönheit aus. Gegen die Behauptung, dafs die zu den
Lebensverrichtungen tüchtigste Gestalt stets auch die schönste
sei, möchte sich doch noch mancher gegründete Einwurf
machen lassen. — Uebcr das Physiologische i i\ der
Färbung der Menschenragen, von Nasse. Die Ver¬
schiedenheit der Hautfarben wird aus den \ erhältnissen der
Hauternährung hergeleitet: je geringer die Entwickelung
des Malpighiscnen Netzes, desto heller die Hautfarbe, und
umgekehrt. Zu diesem organischen Grunde verhält sich
das Licht und jedes andere Aeufsere, wie Gelegenheits¬
ursache zur Anlage. (?) Wenn der Verf. als möglich an¬
nimmt, dafs die Farbenverschiedenheit der Menscnenra^en
aus einem durch Krankheit erworbenen und fortgeerbten
Zustande herrühre, so mag ihm wohl nicht leicht jemand
beistimmen, denn das von ihm angeführte Vorkommen erb¬
licher krankhafter Formverhältnisse kann man durchaus nicht
als Beweis dieser Möglichkeit gelten lassen. — Ueber die
zweifelhaften Zustände d e s Gemüths; besonders
in Beziehu rdg auf ein vom Herrn Ilofrath Glarus
gefälltes gerichtsärztliches Gutachten, vom Prof.
G rohmann. Der Verf. speicht weniger von dem einzelnen
durch das von Glarus ausgestellte Gutachten bekannt ge¬
wordenen Falle, als von einem Mangel der gesammten Theo¬
rie der gerichtlichen Arzneikunde überhaupt, indem er die¬
jenigen Verbrechen, bei deren Thätern das gemeine und
sinnliche Bewußtsein unklar und verworren ist und an die
Zustande gränzt, die mannigfacher Art sind, von der Zurech¬
nungsfähigkeit ausscldiefst, und nur in sofern tritt er als Geg¬
ner von Glarus auf. — Das Seelenleben in seinen
Ab w eich u ngen von dem gesunden Zustande, vom
Prof. Grohmann. Die Seele erkrankt, wenn sie entweder
in dem Objekte, oder in der Vorstellung, oder in sich selbst
in einem allgemeinen Gefühlszustande untergeht, wodurch
eine Trennung des Bewußtseins veraulafst wird, auf welcher
das Wesen der Seelenkrankheiten beruht, deren Arten sich
wiederum unterscheiden, je nachdem sie sich vorzugsweise
als Leiden des Gefühls-, des Denk- oder des Willensver¬
mögens aussprechen.
D—ch.
Litter arische Annalen
der
gesammtcn Heilkunde.
1825.
k ■* * -« , w 4 i v
56.
XII.
Zeitschriften.
v
Heidelberger Klinische Annalen. Eine Zeit¬
schrift. Ilerausgegeben von den Vorstehern der medici-
nischen, chirurgischen und gehurtshülflichcn Akademischen
Anstalten zu Heidelberg, den Professoren Friede. Aug.
Benj. Puch eit, Max. Jos. Chelius und Franz Carl
Nägele. Erster Band. Erstes Heft. Heidelberg 1825,
in der akademischen Buchhandlung von J. C. B. Mohr.
8. 168 S.
l/V"ir müssen es den Herrn Herausgebern Dank wissen,
öfs sie ungeachtet der grofsen Anzahl von Zeitschriften,
Mt einer Reihe von Gelehrten, unter denen man die Na-
ien: v. Ammon in Dresden, Beck in 1 Freiburg, Ce-
Utti und Clarus in Leipzig, Erdmann in Dresden,
roos in Pforzheim, v. Ludwig in Stuttgardt, Renard
Mainz, Reufs in Aschaffenburg, Riecke in Tübingen,
it gen in Giefsen, Schaffer in Regensburg, Schmitt in
ien, Stein in Bonn und Wen dt in Breslau erblickt, ein
ternehmen beginnen, das ohne Zweifel eine ergiebige Quelle
r ärztliche Erfahrung werden wird. — Es bezweckt diese
itschrift: 1) die Verbreitung von Originalabhandlungen
ts der gesammtcn Heilkunde; 2) die Mittheilung der in
zu Heidelberg bestehenden Anstalten gemachten Erfah-
:ngen; und 3) eine Angabe und Würdigung der vorzüg-
rhsten und wichtigsten Ereignisse und Entdeckungen der
Mieren Zeit. Recensionen sollen ausgeschlossen bleiben.
III. Ed. 3. St. ' ^4
• %
370
XII. Zeitschriften.
Das vorliegende erste Heft beginnt mit einem recht
lesensvverthen Bericht über das medicinische Clinirum zu
Heidelberg, und über die im vergangenen Jahre in demsel¬
ben behandelten Krankheitsfälle, von Puch eit. Remer-
kenswertli sind die Erfahrungen des Yerf. über die Pecto-
riloquie, wodurch die Angaben Laennec’s bestätigt wer¬
den. Den Beschlufs machen dreizehn Krankengeschichten,
welche keine Mittheilung im Auszuge zulassen.
Ueber die Unentbehrlichkeit der Perfora¬
tion und die Schädlichkeit der ihr substituirten
Zangenoperation, von Dr. \V. J. Schmitt in Wien.
Wenn Geburtshelfer die Perforation ganz verwerfen und
die Zangenoperation an die Stelle dieses Kunstactes treten
lassen , um das Leben des Kindes retten zu wollen , so ir¬
ren sie sich; denn nie kann das Leben der Frucht hei dem
bedeutenden Grade von Zusammendrückung des Kopfes be¬
stehen, welche erforderlich wird, um seinen Umfang zum
Hervortreten aus einem Becken , das die Perforation erfor¬
dert , hinreichend zu verkleinern. Aufserdem giebt es Kin¬
derköpfe, deren Knochen so hart und so ausgebildet sind,
dafs die gröfstc Kraft nicht hinreicht, den Kopf mit Hülfe
der Zange zur Entwickelung gehörig vorzubereiten. Fer¬
ner wird das Leben der Mutter durch wiederholte Ver¬
suche mit der Zange aufs Spiel gesetzt. W eiche Zeit ver-
fliefst nicht bis zu dem Eintritt des Kopfes in denjenigen
Beckeneingang, in welchem er nur mit der Zange gefafst
werden kann! Während dieser Zeit wird das Leben in sei¬
ner Tiefe erschüttert, und der Tod ist nicht selten die
Folge , wenn der Organismus nun noch die unvermeidlichen
schädlichen Einwirkungen hei der gewaltsamen Entbindung
durch die Zange erlangen soll. W elche Quetschung, Zer¬
rung, weichen Druck auf die benachbarten W' eichgebilde
und Organe führt nicht das öftere Anlegen der Zange und
der Versuch, den Kopf mit der gröfsten Kraftanstrengung
zu Tage zu fördern, herbei! Nur diejenigen Geburtshelfer
können die angegebenen Thatsachen bezweifeln, die dasi
XII. Zeitschriften.
371
gebärende Weib für eine Maschine halten, und nur die
Gegenwart vor Augen haben, ohne die Folgen zu beden¬
ken. Drei l alle werden nun zur Bestätigung der von
dem Verb ausgesprochenen erfahrungsgemäfsen Behauptung,
dafs das wiederholte und oft vergebliche Anlegen der Zange
zur Kntwickelung des Kindes in Fällen, wo nur die Per¬
foration, wenn sie frühzeitig vorgenommen wird, Hülfe lei¬
sten kann, nicht nur höchst gefährliche, sondern sogar tÖdt-
hche Folgen hat, angeführt. Bef. überzeugt sich vollkom¬
men von der Richtigkeit des Ausgesprochenen , mufs aber
zugleich bemerken, dafs jeder Geburtshelfer nur deshalb
nicht frühzeitig genug zur Perforation, sondern erst zur
Zange schreitet, weil die Unmöglichkeit der Compressions-
fähigkeit des zu entwickelnden Kopfes nie vorausbestimmt
werden kann, und weil er sich dem Vorwürfe, das Kind
getödtet zu haben, nicht aussetzen will, indem uns be¬
stimmte Kennzeichen des Todes desselben abgehen. Sehr
häufig wird zwar der Tod des Kindes durch das wieder¬
holte Anlegen der Zange bewirkt; es geschieht diese Töd
tung aber unwillkührlich und nur, indem der Geburtshel¬
fer wo möglich das Kind lebend zu entwickeln und die
Mutter zugleich zu erhalten sucht. Eine gewaltsame Ent¬
wickelung durch die Zange unter Verhältnissen, wo eine
andere Operation angezeigt ist, kann ein vernünftiger Arzt
wohl nie empfehlen; und einige wenige auf diese Art aus¬
geführte Entbindungsfälle können nicht zur Verdrängung
der Perforation aus der Geburtshülfe berechtigen.
Ueber die Anwendung des Trepans bei Kopf¬
verletzungen, von Dr. v. Klein in Stuttgardt. Be¬
kanntlich sind bis auf den heutigen Tag die Meinungen:
ob man bei Schädelbrüchen sogleich trepaniren oder erst
die dazu auffordernden Zufälle abwarten solle, noch sehr
getheilt, und in neueren Zeiten ist dieser Gegenstand wie¬
der mehrmals zur Sprache gekommen. Auch der Verl,
hatte sich in lienke’s Zeitschrift für Staatsarzneikunde für
die baldige Trepanation als ein Vorbauungsmittel drohender
24 *
. 372
XII. Zeitschriften.
Gefahr erklärt, und zugleich seine Meinung dahin zu er¬
kennen gegeben, dafs wenn erst nach entstandenen Zufäl¬
len trepanirt würde, und der Tod erfolgte, die vorausge¬
gangene Schädelverletzung nie für absolut, sondern nur für
zufällig tüdtlich zu halten sei, die unterlassene baldige Tre¬
panation aber, bei tüdtlichem Ausgange, dem Arzte zur
Last gelegt werden solle. Dafs diese Ansichten nicht un¬
angefochten bleibvn konnten, liefs sich mit Hecht erwarten.
Ilr. I)r. Tocl trat als der eifrigste Gegner Klein ’s auf,
überzeugt, dafs bei einer ohne bestimmte Indieation Idols
zur Vorbauung unternommenen Trepanation der Arzt für
den elwanigen üblen Ausgang verantwortlich sei. Dagegen
trat nun Hr. v. Klein in dieser Abhandlung auf. Mach
Ref. Meinung kann die Ansicht eines Einzelnen in dieser
Angelegenheit nie allgemein gültig werden; denn ein jeder
wird durch die Art der Fälle, welche sich ihm darboten,
zu dem einen oder anderen Uriheil über die Nothwendig-
keit dieser Operation bestimmt. Um wo möglich zu der
Ucberzcugung zu kommen, dafs die Trepanation ein gefahr¬
loser Eingriff sei, wäre zu wünschen, dafs Wundärzte
grofser Krankenanstalten die in dieser Hinsicht während
einer Reihe von Jahren gemachten Erfahrungen bekannt
machten, und auch offenherzig die Fälle anzeigten, in de¬
nen die frühzeitig unternommene Trepanation keine Hülfe
leistete, wenn die Gehirnfunctionen vor der Unternehmung
derselben ungetrübt und keine anderweitige tiefe Verletzun¬
gen der Rasis cranii u. s. w. vorhanden waren. Ref. hat
sich in mehreren Fällen überzeugt, dafs Kranke mit einer
einfachen Fractur, ungeachtet der frühzeitig und hei ihrem
vollen Bewufstsein unternommenen Trepanation dennoch
ganz unerwartet starben, und dafs andere dagegen ohne
Trepanation vollkommen wieder genasen. Man wird da¬
her, ohne durch Richter von Vorurthcilen eingenommen
zu sein, durch diese Fälle bewogen, den Eingriff, den
diese Operation mit sich führt, doch nicht für so gering
und unschädlich zu halten, als Hr. v. Klein that, der sich
XII. Zeitschriften.
373
lieber trepanircn als einen Finger abschneiden lassen wollte.
So lange daher noch nicht dargethan ist, dafs die Trepa¬
nation ein gefahrloses Unternehmen ist, kann der Wund¬
arzt auch hinsichtlich seines Verfahrens bei einfachen Fractu-
ren des Hirnschädcls nicht in Anspruch genommen werden,
mag er bei dem Mangel an Gehirnaffectionen die Trepanation
unternehmen oder unterlassen; denn a priori kann er nicht
bestimmen, ob die Dura mater sich lostrennen, ob eine
Flüssigkeit sich unter dem Hirnschädel ansammeln, oder ob
der Gallus so wuchern wird, dafs die Function des Gehirns
dereiqst noch beeinträchtigt werden könnte. Nur dann
setzt er sich dem Vorwurfe der Nachlässigkeit aus, wenn
die Trepanation bei Depressionen unterlassen worden ist,
weil hier mit apodictischer Gewifsheit vorauszusetzen ist,
dafs über kurz oder lang Zufälle sich einfinden müssen,
deren Entstehen durch die Trepanation verhindert werden
konnte. —
Ein Aufsatz von Nägele, über die Inclination
des weiblichen Beckens, der die Resultate der ferne¬
ren Untersuchungen über diesen Gegenstand und zugleich
Bemerkungen über die Erfahrungen Kluge’s mit seinem
neuerfundenen Beckenmesscr enthält, verdient seiner Reich¬
haltigkeit wegen im Originale nachgelesen zu werden.
Ueber die Anwendung des Decoctum Zltt-
manni, in Vergleich mit anderen gegen ver¬
altete Lust seuclie und andere Krankheiten em¬
pfohlenen Behandlungsweisen, von Chelius. In
diesem Aufsatze theilt der Vcrf. die Resultate seiner Erfah¬
rung über die Wirkung und Anwendung des Roh antisy-
philitique von Laffecteur, des Trankes von \ igaroux,
des Pollinischen Decocts, des Sarsaparillentrankes nach
Sainte- Marie, über die Hunger- und Injectionscur, die
W^einho Idsche Quecksilhercur und über das Zittmann-
sche Decoct mit, wrobci zugleich die Formeln zur Berei¬
tung dieser zusammengesetzten Arzneimittel, so wie die
Gebrauchsart, nicht übergangen sind. Das Roh antisyphi-
374
XII. Zeitschriften.
litique von Laffecteur wandte ITr. Ch. nur dreimal hei
inveterirtcr Lnslseuche an, nachdem schon lange Queck¬
silber im UebermaCse und unordentlich angewandt worden
war. Die Heilung erfolgte in allen Fällen auf eine dauer¬
hafte W eise. Leber die Wirksamkeit des Tranks von 'S i-
garoux hat der Verf. keine eigene Erfahrung, und theilt
daher nur die Resultate von Renard mit, aus denen her¬
vorgeht, dafs der Erfolg bei dem Gebrauche dieses Mittels
nicht so günstig war, als hei dem Roh von Laffecteur.
Von dem Pollinischen Decoct sah Hr. Ch. nur gute
Wirkung, wenn die Schmierkur wegen irgend eines Zu¬
falles nicht vollendet werden konnte, weshalb er es mehr
für ein Adjuvans als für ein wirkliches Heilmittel hält.
Der Sarsaparillentrank von Sainte-Marie hatte stets aus¬
gezeichnete Wirkung; in mehreren Fällen mufste die Cur
abgebrochen werden, weil der Magen das Getränk nicht
vertragen konnte, oder weil die Kranken wegen unüber¬
windlicher Abneigung und heftigen Angegriffenseins zur
Vollendung der Cur nicht bewogen werden konnten. Aufser-
dem kommt die grofse Kostspieligkeit der Cur in Betracht,
weil das Mittel bis zum zwanzigsten und vierundzwanzigsten
Tage fortgesetzt werden mufs. Hinsichtlich der Inunctions-
cur werden die in neueren Zeiten von Neu mann gemach¬
ten Ein würfe mit hinreichenden Gegenbeweisen widerlegt,
und durch einige Krankengeschichten die Wirksamkeit die¬
ser in jeder Hinsicht schon längst erprobten und für be¬
währt gefundenen ßehandlungsweise der Syphilis von neuem
bestätigt. Leber die Weinholdsche Cur kann Hr. Ch.
nicht das günstige Urthcil fällen, das Neu mann über die¬
selbe ausgesprochen hat. Sie wurde von ihm häufig in
den Fällen angewandt, die Weinhold dafür bestimmt
hat; allein in den meisten derselben trat Speichelflufs ein,
der eine Unterbrechung der Cur erheischte; in anderen Fäl¬
len erfolgte keine Heilung, und es mufste noch Quecksil¬
ber und andere Mittel nachträglich angewandt werden. In
einigen Killen wurden Störungen in den Verrichtungen des
XII. Zeitschriften. / 375
Magens und Darmkanals beobachtet, welche nicht wieder
beseitigt werden konnten. Ref. Erfahrungen stimmen hier¬
mit ganz überein. Das Quecksilber vermag auf diese Art
angewendet, die schnellen und zerstörenden Fortschritte,
welche syphilitische Krankheitsformen zuweilen zeigen, zwar
ni beschränken, in sofern die Assimilation, Sanguification
ind die \ egetation überhaupt hierdurch auf einige Zeit
airiickgestellt werden; wenn der Patient von dieser Er-
s:liöpfung sich aber wieder erholt und die Reproduetion
sch gehoben hat, schreitet das zum Stillstand gebrachte
lebel mit gleicher Heftigkeit wieder vorwärts, oder bricht
v>n neuem aus, wenn es, wie selten geschieht, für den
Aigenbiick beseitigt ist.
Zur Anwendung des Zitt mann sehen Decocts hat Hr.
-'h. sehr häufig Gelegenheit gehabt, und zwar nicht allein
n veralteten syphilitischen, sondern auch in scrofulösen
und anderen dyscrasischen Krankheiten. Wahrend der gan¬
zen Cur läfst Ch. den Patienten wegen des copiös eintre¬
tenden Schweifses im Bette; die Diät ist etwas strenger als
The den sie vorschreibt; auch giebt der Verf. am elften
Tage kein Abführungsmittel, wenn der Kranke nicht gerade
sehr rüstig ist. Auf die Geschwüre werden ganz indiffe¬
rente Mittel, die nur zur Bedeckung dienen , gelegt. Wäh¬
rend des Gebrauchs dieses Decocts erfolgten täglich fünf,
sechs und mehrere dünne Stuhlausleerungen, und mehr oder
weniger starke Schweifse. Die Harnwerkzeuge schienen
nicht besonders gereizt zu werden. Die günstige Wirkung
blieb nie aus und trat immer sehr schnell ein, so dafs zu
Ende dieser Cur, mit dem zehnten oder elften Tage, alle
Zufälle verschwunden oder wenigstens so gebessert waren,
dafs die vollkommene Heilung bald nachfolgte. Der Verf.
wandte das Zittmannsche Decoct nicht allein bei veralte¬
ter Syphilis und nach übermäfsigem Gebrauche des Queck¬
silbers an, sondern auch in der Absicht, um durch die
ischnelle Wirkung dieses Mittels den Gefahr drohenden Zer¬
störungen für den Augenblick Gränzen zu setzen, und die
376
XII. Zeitschriften.
Krankheit dann durch eine fernere zweckmäßige Hehand-
lung zu heilen, welche indeß oft gar nicht mehr erforder¬
lich wurde. Auch hei primären syphilitischen Krankheits¬
formen, gegen die noch kein Mercurialpräparat gebraucht
worden war, hei bedeutenden scrofulösen Leiden, iinpcti-
ginösen Krankheiten, hei Lepra, Elephantiasis u. s. w. zeigte
sich dieses Mittel äußerst wirksam.' Außerdem hat es noci
die Vorzüge, dafs der Kranke dadurch nicht angegriffei
wird, daß er schon während des Gebrauches desselben ei»
besseres Aussehen bekömmt, und nach vollendeter Cur stä)-
ker und blühender wird. Auch kann es in hartnäckige»
Fällen wiederholt werden, gestattet die gleichzeitige An¬
wendung anderer Mittel, läßt sich unter allen Verhältnßsn
anwenden und ist im Vergleich zu der Inunctionscur, nt.
deren Wirkung die des Zit tmannschen Decoctes von
V erf. ganz gleich gestellt wird, mit geringeren Kosten ver¬
bunden. Den Beschluß dieser Abhandlung uud dieses Hef¬
tes machen vier interessante, das Mitgetheiltc belegende
Krankheitsfälle.
H — r.
5. The Edinburgh medical and surgicai Jour¬
nal: exhihiting ä concise view of the latest and most
important Discoveries in Medicine, Surgery, and Phar-
macy. ISr. LAX XII. Jan. 1825. Edinburgh, print. f.
A. Constable etc. 8. 228. S.
Dr. C um in in Glasgow macht eine neue Anordnung
der Knochenkrankheiten, die ganz dazu geeignet Lst, der
Verwirrung und W illkühr auf diesem Gebiete Gränzen zu
setzen. Es ist folgende:
I. Ostitis, Knochenentzündunfr.
J O
II. Ilyperostosis. Krankhaft vermehrte Ablagerung
von Knochenmaterie, ohne die Bildung irgend einer
umschriebenen Knochengesclnvußt
XII. Zeitschriften.
377
III. Osteoapostema. Eiterung innerhalb der Kno¬
chensubstanz.
IM Ca ries. Knochengeschwür.
1. C. exedens. Fressendes Knochengeschwür.
2. C. ossificans. Knochengeschwür mit Ablagerung
neuer Knochensubstanz von krankhafter und un¬
vollkommener Organisation.
M Osteoanabrosis. Blofse Resorption oder Erosion
des Knochens.
* , ». M 4
VI. Osteonecrosis. Tod des Knochens.
1. O. simplex. Blofser Verlust der Lebenskraft.
2. O. regenerans. Verlust der Lebenskraft mit
nachfolgendem Regenerationsprozefs.
MI. Exostosis. Umschriebene, sich über die Ober¬
fläche des Knochens erhebende Geschwulst, die ganz
oder zum Thcil aus Knochensubstanz besteht.
1. E. cellularis. Geschwulst oder Knochenborke
(bony crust), die mehr oder weniger vollkom¬
mene Knochenstücke einschliefst. Die zwischen
den Knochenstücken befindliche weichere Substanz
ist gewöhnlich von schleimiger, gallertartiger, knor¬
pelartiger, fettiger Beschaffenheit; zuweilen ist sie
dem Brei in einem Atherom ähnlich, und eine
bemerk enswerthe Varietät dieser Exostose ist die,
in der sich Hydatiden vorfinden.
2. E. petrosa vel laminata. Rauhe, unebene,
* ' 7
oder aus blätterigen Auswüchsen bestehende, mit
Knorpel untermischte Knochengeschwulst.
3. E. eburnea. Knochengeschwulst von der Festig¬
keit und Weifse des Elfenbeins.
\ III. Osteosarcoma. Sarcomatöse Geschwulst, die ihren
Ursprung in der Haut der Knochenzellen nimmt. Die
feste Knochenmasse wird dabei resorbirt, und immer
entsteht dasUebel innerhalb des Periosteums, das dann
für die Geschwulst einen Ueberzug abgiebt. Die in der¬
selben enthaltene Substanz ist verschieden u. s. w.
378
XII. Z eitscliriftcn.
IX. Osteoma lacia. Erweichung Her Knochen.
1. 0. infantum. Der Gehalt an Eiweif» sehr ver¬
mehrt; die Rinde Her Knochen verdickt und von
netzförmigem Gewebe.
2. O. adultorum. Gehalt an Knochenerde und Ei-
weifs sehr vermindert. Die Rinde sehr verdünnt.
D ie Zerbrechlichkeit (fragiiitas) der Knochen hat der
Verf. Anstand genommen als ein zehntes Genus aufzustel¬
len, weil sic ein Symptom von sehr verschiedenen Krank-
beitszuständen sei. Seine ausführlichem Bemerkungen über
die angeführten Knochenkrankheiten zeugen von vieler Er¬
fahrung und umsichtiger Benutzung des bereits Geleisteten.
Den gröfsten Theil des für Originalabhandlungen be¬
stimmten Raumes nehmen in diesem Hefte Krankheitsfälle
ein, deren Wichtigkeit nicht überall in die Augen springt.
Elinen Fall von Hydrophobie erlauben wir uns, einiger be-
merkenswerthen Umstande wegen, besonders hervorzuheben.
Ein achtzehnjähriger gesunder Pachterssohn wurde zu Ende
November 1823 von einem offenbar tollen Hunde in den
Zeigefinger gebissen. Man bediente sich zuerst eines ört¬
lichen Hausmittels, und rief dann, vier oder fünf Tage
nach der Verletzung, einen Wundarzt, der die Wunde
mit II öl len stein (lunar caustic) ätzte und in weni¬
gen Tagen zuheilte. Der Kranke fürchtete die Was¬
serscheu, und nahm mehrere ihm empfohlene, hier aber
nicht näher angegebene innere Mittel. Bis zum 13ten Octo-
her 1824 befand er sich wohl, jetzt aber, also fast elf
Monate nach dem Bisse, brach die Hydrophobie aus,
und tödtete ihn unter den gewöhnlichen Erscheinungen.
Ausgezeichnet war eine Lähmung der Kaumuskeln, wie sie
im letzten Zeiträume der Wuth hei Hunden vorkommt, so
dafs der Unterkiefer tief herabhing. Am dritten läge ent¬
zog derselbe Chirurg, der die Wunde hatte zuheilen las¬
sen, 16 Unzen Blut aus dem Arm, und schickte den Kran¬
ken sogleich in ein Hospital zu Liverpool, wo er unter
die Behandlung des Dr. Brandrcth kam. Dieser ver-
XII. Zeitschriften.
379
suchte die Infusion von essig saurem Morphium,
vier bis fünfmal, in kurzen Zwischenräumen, die den Kran¬
ken auch jedesmal zu beruhigen, und besonders den Herz¬
schlag zu vermindern schien, so dafs die Frequenz dessel¬
ben von mehr als 140 auf 9 1 herunterkam. Drei Stunden und
eine halbe Stunde vor dem Tode wurden noch zwei Wasser¬
infusionen, die eine von einer Pinte, die andere von acht Un¬
zen vorgenommen, Fieberanfälle jedoch eben sowenig als ir¬
gend eine andere auffallende Erscheinung beobachtet :). Zwei
auf die Brust gesetzte Moxas brachten einige Erleichterung
hervor. Die Section ergab nichts Bemerkenswerthes. — In
Rücksicht des sehr späten Ausbruches der Hydrophobie
schliefst sich dieser Fall an frühere merkwürdige Beobach¬
tungen dieser Art an. Die anfängliche prophylactische Be¬
handlung war in der That mehr als unverantwortlich. Ei¬
nen andern, von demselben Hunde gebissenen Menschen
hatte man ebenfalls, einige Monate nach erhaltener Ver¬
letzung, an der 'Wasserscheu sterben lassen. Dafs man in
England noch bis jetzt dem Höllenstein bei der Behandlung
der Bifswunden den Vorzug vor den übrigen Aetzmitteln
giebt, und dafs man von der unumgänglichen Nothwendig-
keit einer langen Auseiterung derselben noch keinesweges
allgemein überzeugt ist, kann nur Verwunderung erregen.
Ref. erinnert sich eines Falles, in dem ein bekannter engli¬
scher Arzt den Ausbruch der Wasserscheu bei einem neun-
\ t -
jährigen Mädchen dadurch verschuldete, dafs er die Bifs-
wunde im Gesicht zwar ausschnitt, und mit warmem Was¬
ser und Salzsäure, nach Orfila wusch, aber in zwei Tagen
die Heilung per primam intentionem bewirkte, um ent¬
stellende Narben zu vermeiden 2). Haben wir in
zweitausend Jahren gar nichts gelernt, und soll Celsus 3)
1) Vergl. Bd. I. No. 31. S. 488 dieser Annalen.
2) Edinburgh med. a. surg. Journ. 1819. April, p. 212.
3) L. V. c. 27.
380
XI E z citschriftcn.
eine bessere Bqhandlung des Tollenhundsbisscs angegeben
haben, als wir sie, wenn auch von der Mehrzahl der Aerzte
verworfen, im Jahr 1S25 beschrieben finden? Das wäre
ein harter Vorwurf für die neuere Medicin!
Bemerkungen von Robertson über Iritis enthalten
nichts, was nicht schon längst in jedem deutschen augen¬
ärztlichen I landbuche gelehrt würde. Die sehr charakteri¬
stische Iritis syphilitica ist ihrem Wesen nach gar nicht er¬
kannt. Es scheint darüber bei den englischen Augenärzten,
besonders bei Travers, das \ orurtheil zu herrschen, dafs
sie vom Gebrauch des Quecksilbers verursacht werde (mer-
cury both causes and eures iritis). Dem widerspricht R.
und glaubt, sie werde durch Erkältung während der Queck-
silbercur erregt. Dafs sie aber recht eigentlich ein Symptom
der Lues sei, ist ihm noch nicht in den Sinn gekommen,
auch scheint er noch niemals ein Condylom auf der syphi¬
litisch entzündeten Iris gesehen zu haben.
Dr. Martland in London hat mit Erfolg ein Staphy-
loma scleroticae, das sich in Folge einer unglücklichen Ex¬
traction eingefunden hatte, durch die oft wiederholte Para-
centese des Augapfels behandelt. Es wurde dadurch jedes¬
mal eiue grüfsere oder geringere Menge Humor vitreus
ausgeleert. Geschwulst und Schmerzen verschwanden, und
die Form des erblindeten Auges wurde glücklich erhalten.
Auch für die Behandlung des Staphyloma corneae, beson¬
ders in seinen Aufangsstadien, ist dieser Fall von Wich¬
tigkeit.
Liston, Averill und Wiikiuson liefern in diesem
Hefte einige beachtcnswerthe Beiträge zur Steinoperation.
Der erste hält die Erschöpfung der Kranken durch zu lange
Dauer der Operation, und die Infiltration des Urins in das
Zellgewebe der verletzten 1 heile für die wichtigsten und
häufigsten Ursachen des unglücklichen Erfolges, und gieht,
um beides zu vermeiden, einige Modificalioncn des Seiien-
steiuschnitts au, nach denen man eine mehr kegelförmige,
XII. Zeitschriften.*
381
sich nach aufsen beträchtlicher erweiternde Wunde, in der
Richtung der Blasenaxe von hinten nach vorn und oben
erhalten soll. Er reicht hierbei mit wenigen einfachen In¬
strumenten aus, und legt keinen besondern Werth auf die
Construction derselben. Zur sichern Durchleitung des Urins
empfiehlt er eine 5^- Zoll lange, und £ bis -§• Zoll dicke
elastische Röhre drei bis vier Tage lang in der Wunde lie¬
gen zu lassen, und versichert dies Mittel bei vielen Kran¬
ken mit dem besten Erfolge und ohne die geringsten un¬
angenehmen Zufälle angewandt zu haben.
Dr. Rostock erzählt beiläufig einen merkwürdigen
Fall von Arsenikvergiftung, den wir hier nicht übergehen
dürfen. Eine beträchtliche Menge weifser Arsenik war
durch ein Versehen in eine Hafergrützsuppe gekommen.
Der (nicht näher beschriebene) Kranke hatte davon etwas
gegessen, als man den Irrthum bemerkte, und sogleich ei¬
nen Arzt rief. Durch das gewöhnliche Verfahren wurden
die Vergiftungszufälle in etwa 36 Stunden bis auf eine be¬
deutende Erschöpfung beseitigt, von der sich der Kranke
indessen in zwei Tagen so weit erholte, dafs man weitere
ärztliche Hülfe für unnöthig hielt. Nach fünf Tagen
stellten sich jedoch neue Schmerzen in der Magengegend
ein, die Kräfte schwanden, der Puls sank, und in wenigen
Stunden war der Kranke todt. Der Magen zeigte die bei
der Arsenikvergiftung gewöhnlichen Erscheinungen, Arsenik
konnte aber nicht aufgefunden werden.
Seit dem vorigen Jahre hat das Edinburgher Journal
bekanntlich seine Bogenzahl vergröfsert, und benutzt den
gewonnenen Raum vorzüglich zu kritischen Anzeigen wich¬
tiger W erke. Wir bemerken mit Vergnügen eine gröfsere
Aufmerksamkeit auf die deutsche Litteratur, wie denn über¬
haupt seit einiger Zeit die wissenschaftliche Verbindung der
Nationen auf eine höchst erfreuliche Weise zunimmt, und
die Vorurtheile nach und nach verschwinden, die besonders
in England und Frankreich eine Art von geistigem, für die
382
XIII. Pocken in Schweden.
Heilkunde höchst verderblichen, Prohibitivsystem so lange
schon aufrecht erhalten haben.
Hecker.
» xm.
Nachricht über die Pocken in Schweden im
Marz und April 1825. Mitgethcilt von Dr.
Otto in Kopenhagen ').
ä • ■> :(
Im Upsalalehne herrschen die Pocken noch immer,
meistens aber doch nur die modificirten ; besondere Plätze
sind für diese Kranken im Invaliden-, Zucht- und Arbeits¬
hause eingerichtet; fünf lagen dort den 8ten März. — ln
dem Enkjoppingsbezirke brachen die Pocken bei ei¬
nem Kranken aus, der kürzlich von einer Reise nach Stock¬
holm zurückgekommen war; drei Personen wurden nachher
davon ergriffen, von welchen ein Kind starb. — Im Gö-
the burglehne waren im März nur zwei Pockenkranke. —
Im Staraburglehne einige Fälle von modificirten Pok-
ken. — Im Carlsstadtlehne- und Philipstadtbe¬
zirke sind im Ganzen 44 Pockenkranke gewesen; drei, die
zu gleicher Zeit an einer Brustentzündung litten und daran
starben, waren nicht vaccinirt; der Bezirksarzt klagt über
Mangel an Mitteln, der Ausbreitung der Seuche vorzubeu-
gen. — Im Oerebrolehne und in der Stadt stieg die
Zahl der Pockenkranken zu 4h; in Wiby waren 11 und
in Skjöllersta 4 Kranke; in Lcrbank wurde einer, der
früher vaccinirt war, von den modificirten, und zwei, die
nicht vaccinirt worden waren, von den natürlichen ergrif¬
fen; in demselben Hofe, wo diese Kranken lagen, befanden
sich mehrere vaccinirte Kinder, w'elche der Ansteckung
glücklich entgingen. — Im NYeraas- und Malmö lehne
1) Vcrgl. No. 44. S. 187 dieser Annalen.
XIII. Pocken in Schweden.
383
hatte einer die wahren und zwei die modificirten Pochen. —
Im Falu lehne waren 26 Pockenkranke, die entweder gar
nicht, oder nur unvollkommen schon die Kuhpocken gehabt
hatten. — Im Swardsjo hatten 10 die wahren Pocken,
ein Kind starb. — Im Geflelehne hatten 2 die wahren,
3 die modificirten Pocken. — . In Hille wurden 2 INicht-
vaccinirte von den natürlichen, und 1 \accinirter von den
modificirten Pocken ergriffen; die Krankheit wurde von ei¬
ner herumstreifenden Frau mit 6 Kindern, unter denen ein
Convalescent von den natürlichen Pocken war, dahin ge¬
bracht. — In Söderhamms hatte 1 Nichtvaccinirter die
wahren, und 3 Vaccinirte die modificirten Pocken.
In Stockholm selbst sind im März 42 in die Pocken-
anstalt eingekommen; 44 verliefsen das Spital als geheilt,
4 starben , und die Zahl der am Fnde des Monats Zurück¬
bleibenden betrug 30. 24 haben die natürlichen, und 18
die modificirten Pocken gehabt. — Ins Garnisonhospital
sind 11 aufgetiommen Avorden, und 12 als geheilt ausge¬
gangen. Keiner von de>n Todten war vaccinirt worden.
April. Im E nk j Öpp i ngs bezirke sind 2 Erwachsene
und 2 Kinder an den wahren Pocken gestorben. — Im
Stockholmslehne wurden 2 Kinder, die früher vacci¬
nirt Avaren, von den modificirten, und 3, die nicht vacci¬
nirt waren und wovon 1 starb, von den wahren Pocken
ergriffen. — Im Da la r ö bezirke litten 15 an mehr oder
weniger heftigen modificirten Pocken. , — Im Oester-
hannin ge bezirke befielen confluirende Pocken 2 Nichtvac-
cinirte. — Im Husbybezirke confluirende wahre Pocken
bei 4. — Im Odensal abezirke hat sich die Pockenkrank¬
heit mehr und mehr ausgebreitet, und einige besondere
Anstalten sind daher für diese Kranken errichtet wor¬
den. — Im Brankyrka bezirke confluirende wahre Pocken
bei 1. — Im West er hannin ge bezirke wahre Pocken
bei 4 Nicht\accinirten, und modificirte bei 4. — Im
Oesmobezirke wahre Pocken bei 2 Nichtvaccinirten. — —
Im När tun abezirke die wahren Pocken bei 4 Nichtvacci-
‘ 384
XIII. Pocken in Schweden.
nirten, wovon einer starb. — Im Munsübezirke wurden
im Ganzen 39 von den wahren, und 12 von den modifi-
cirten Pocken ergriffen; 3 von den ersten sind gestorben;
kein Vaccinirter hat daran gelitten. — In Nykjüpping
befielen die wahren Pocken 6. — Im Calmarlehne er¬
griffen sie 3 Nichtvaccinirte, von denen einer starb. — Im
Carlsstadtlchne, P bi lipsta dt bezirke und N yn’a litten 2
an den wahren Pocken. — In Oerebro nur 2. — Im
Kopparbergslehne nur einer. — Im Hurby- und
Grap en bergbezirke befielen die wahren Pocken mehrere
Erwachsene. — Im Geflelchne und Bezirke ebenfalls;
einer starb; die Pocken sind da von herumstreifenden Leu¬
ten, die ein Kind mit Pocken bei sich hatten, eingebracht
worden. — Im O h ransn übezirke wahre Pocken bei 3
Nichtvaceinirten. — Im F ä r i 1 a bezirke wahre Pocken bei 3,
die zwar vaccinirt waren, aber an denen die Pusteln nicht
ab acht angesehen werden konnten. — ImHulsingland-,
Jarfsö- und Mo bezirke wahre Pocken bei 2.
In Stockholm sind in die besondere Pockcnnnstalt
22 eingekommen , wovon 17 von den wahren, und 5 von
niodificirten ergriffen waren; 36 verlieben das Spital geheilt;
einer, der nicht vaccinirt worden war, starb; die Zahl
der Zurückgebliebenen am Ende des Monats betrug 15. —
Ins Garnisonhospital sind im April fünf mit den modificir-
ten, und einer mit den wahren Pocken aufgenommen wor¬
den. Die Pockenkrankheit »st abo im Abnehmen, und
die w'ahren Pocken sind im Allgemeinen sehr gutartig
gewesen.
In Dän emark haben sich seit der letzten Nachricht
keine Pocken gezeigt.
1825. Literarischer Anzeiger. No. 7.
SOicbf jtnif c|>c 23ibfto(jrap^tc bot* tm 2fa(jre 1825 er*
fd^tenenett äBcrfe.
Ammon, $r. A., Brunnenbtatetif ober Amveifung jum
gtvecfmäfngen ©ebrauebe . ber natuvTtcfjcn u. funflftc^en 50? t;
neraltvaffer; ein Buch für fold)e, tve(d;e $u ben »ipeilqueücn
reifen, bie 0truvefd)en ^rinfanfralten. befueben, ober bie
verfenbeten natürlichen" wie bie fünpdjen 50?ineralwaf]cr ju
Jpaufe trinfen. 8. Sprechen. Jpilfcfycr. X u. 158 0. br. 16 ©r.
Beg.in, L. J., nouveaux elemens de Chirurgie et de Me-
decine operatoire. 8. Paris. 1824. 4 Rthlr.
Bifcboff, (£1 ). Jpeinr. 0, bie Lel)re von ben ebemifeben ^ciU
mittein, ober Jpanbbucb ber Arzneimittellehre, al6 ©runblage
für Vorlefungcn unb jurn ©cbraud)e prattifeber 2lerjte unb
SBunbarjtc; lr Banb, entl). Einleitung, bie allgemeine 2trj-
neimittellebve, unb von ber befonbern bie erjle Eiaffe ber
Arzneimittel ober bie bafifeben Arghetforper. gr. 8. Bonn.
2ßebet\ LI u. 580 0. 2 9ttf)lr. 20 ©r.
£3 raube 6, 3^)* £>tet., über humanes Leben. gr. 8. 0d)leS;
tvig. ^aub|lummen;.3nft. XXXYI ü. 3360. 2 SRIjlr. 12 ©r.
djetnrotl), 3- E. X, Amveifung für angel)enbe 3trenargte
§u richtiger Bcl)anblung il)rer Traufen; als Anhang zu fei;
nem Lcl)rbud)e ber 0eelenft6rungen. gr. 8. Leipzig. 58. Vo;
gef. VIII u. 244 0. 21 @r.
^lofe, .f. Lubtv., @runbfa|e ber allgemeinen SMatetif; zu
acabemifcben Vorlcfungen entworfen, gr. 8. Leipzig. $um;
tner. XXIV u. 3% 6 0. 1 9vt()lr. 20 ©r.
baS Laboratorium, eine 0ammlung von AbbÜbungen unb
Befcbreibungen ber beften unb neueften Apparate gum Behuf
ber praftifeben unb pbvftfalifcben El)emte; IS Jpeft; ^afel
I — IV. 4. Weimar. 3nb. Eompt. 20 0. br. 12 ©r.
Ladern an b, Beobachtungen über b. Krankheiten ber «Jparn;
»verbeuge; aus bem geang. überf. von A. 58. <Pe|el. lr
3:1)1. über Verengerungen ber Jparnrbl)re unb beren Bel)anb;
(ung ; mit 4 litf)ogr. Abbüb. gr. 8. Leipzig. 5D?agagin. X u.
198 0. br. 1 S'ltblr.
— anatomifd);patf)o(ogifd)e Unterfucbungen über baS ©el)irn
unb feine §ugel)6rigen 4l)eile; aus bem grang. überfe^t von
Karl 5Beefe. lr 31)eil Ar u. 2r Brief, gr. 8. Leipzig. 5D?a;
g asm f. 3nb. XXX u. 298 0. # . 2 16 @r.
Lob stein, J. F., de nervi sympathetici humani, fabrica
usu et morbis, commentatio anatomico -physiologico-pa-
thologiea; tabulis aeneis et lithographicis illustrata. 4. Pa¬
ris. 8 Rthlr.
2
Magen die, F., formulaire pour la reparation et lV-mploi
de pltisieurs r.ouveaux medicamens; 4e edit. revue et au gm.
in 12. Paris. 824. 1 Kthlr.
\)3i a r c , £. t0?v n>ar bei* am 27. 2iuguft 1824 ju £eipjig ()iw
c^cric^tcte «Derber ^o\). SBopjecf äurcchnungßfdl)ig?
lenthaltenb eine Beleuchtung ber Schrift beß JJcrrn *$of;
ratb Br. (Elaruß: „bie 3urechnung^fdl)igfeit beß 93?6rbcrß
^ol). Oibrift. SBopjecf nad) ©runbfdfcen ber 0taatßar$nei;
funbe abtenma^ig erroiefen." 8. Bamberg. Brefd). MH u.
SO 0. br. 10 05r.
9tuff), Benj., mebijtntfche Unterjochungen unb Beobachtungen
über bie 0eelenfranf()eiten ; nad) ber jmeiten Originalauß;
gäbe teutfd) bearbeitet u. mit einigen 7inmert. begleitet von
05. &6nig. gr. 8. Üeipjig. (Enobloch- XII unb 298 0.
1 SRthlr. 12 0>r.
v. 0tcbolb, X (£(., für 05cburtßbülfe, Srauenjim;
mer; unb .ftinbcrfranfl)eitcn ; 5n Bbeß 2teß 0tücf mit 1
Tupfer, gr. 8. grantfurt. Barrentrapp. 241 0. br.
1 «Kthlr. 8 05 r.
3Ben$el, (£., bie roahrc .ft'rahe mit befonberer Berücfjtchtigf
ung ihrer unrichtigen unb Unheil fliftenbcn Beljanblungp;
' arten alß einer Cluellc jahllofer furchtbarer djronifcher iTtad);
franfbeiten. 8. Bambg. Brcfd). VIII u. 111 0. br. 12 05r.
3eitfd)rift für ‘Pbpfiologie, in Becbinbung mit mehreren
(belehrten hrrauogegeb. von Jriebrid) Xtcbemann, 05ottfr.
9t. Xreviranuß unb i}ub. £()• ‘Xreviranuß. Ir Bb.
2ß Jpcft, auch unter bem Xitel: Ueberftcht über bie 97atur
beß üftenfehen, ber Xl)icrc unb ber 'Pflanzen. Ir Banb mit
6 lithograpl). Xafcln. 4. Jpcibelberg. öfjwalb. 191 0. br.
4 «Kthlr. 9 05r.
^ränumerafiontf * 3ln$eiqe für Lehrer unb (Schüler ber
«Rafhcmafif.
X £eqenbc rq’ö
.ft'&ntgl. ^3reu§. Regier. @onbucfcur unb £ehrcr b. Btafhcmatif,
toUfidnOtgeö JCe£>vt>ucE) ber reinen Elementar»
50?af fjcmafif
jujn (Gebrauch für Lehrer,
befonberä ober für 0eIb(Uerncnbc unb (Ejraminonben.
9 r. 8. in Bier Xbeilenj Berlin bei €ntlin,
Breite 0 trage 9tr. 23.
Ir Xhctl: Xithmetif unb nieberc Xgebra. 502 0. 1821.
2 9tt()lr. 6 ©r.
3
2r Tl)cil: bie Qfptpcbometrie ober ebene (Geometrie. 690 0.
mit 16 ^upf. in Jolio. 1823. 4 91t(){r.
3r Tt)*il: bie Stereometrie ober körperliche Geometrie. 344
0. mit 6 $upf. in $olio. 1823. 1 iHthlr. 18 Q5t.
4r TI) eil: bie ebene u. fpl)drifcf)c Trigonometrie u. sPo(i;go;
nonietrie , unb beren 2lnwenbung auf bie 0tercometrie,
nebjt 0upplemcnten $u ben brei erjlcn Teilen, 704 0.
mit 6 .ftupf. in Jolio. 1825. 4 91ti)(r.
2Kfo complet im £abenpreife 12 9td)(r. 3n bem nod) f^tem
ben ^PrdnumerationSpreife aber nur 21 cf) t Tfyaler.
0iefeS $83erf ift in ben Jpeibelberger Jahrbüchern, in 0ee;
bobeS fritifcher 33ibliotl)ef unb ber ^>aüifcl>en riteratur^eitung,
fo wie in mehreren anbern frttifchen flattern fo günftig beur<
tl)ci(t worben, als 33crfaffer unb Verleger eS nur wünfehett
fottnen; bie «£>allifd)e £it. geituttg bemerkt ausbrüeflid): ,,ba£
es bie meiften ber gleichzeitigen al)n(id)en SÖücfyer
überleben werbe." @lcid)wohl ift es noch lange nicht fo
verbreitet, als es ju fepn verbiertt. $3ie(e haben mir bie $5e;
forgnip geäußert, eS mochte ins 0tocfen gerätsen, wie manche
ähnliche Unternehmungen ber neuern Seit; biefe ift aber nun
gänzlich befeitigt, ba baS SBerf volljtdnbig fertig ift. 2ln;
bere fürchteten ben $u f)ol)en ‘Preis. — 31un l)abe ich $war
bie greife ber einzelnen Tl)eile fo niebrig gefegt, ba§ fte jeber;
mann für l)bd)ft billig wirb erfennen müffen, unb icf) fann fte
im einzelnen nicht l)erabfe^en, auch benen feinen 9iad)la£ bc;
willigen, welche meine frühem besfallftgen 2(n§eigen unbeachtet
gelaffen haben. @(eichwol)l mochte ich mich benett gefällig $ei;
gen, beren .Grafte bie 0umme von 3wolf Thalern überjteigt,
unb erbiete mich M)er, ben früher für biejenigen, welche
bas ganje SSerf Voraus befahlen wollten, feftgefe£ten ;Prd;
numerationSpreiS von 21 d) t Tl)alern (14 §(. 24 3£r. 911)1-)
noch in biefem Jahre heftel)en $u (affen, wofür man eS burd)
alle S3ud)hcinbl ungen beziehen fann. 21uf biefe SSBeife
erleichtere id) ben Tlnfauf fo weit, als eS mir bet ben großen
.Soften, bie ein folcheS Sßcrf erforbert, nur möglich ift, wo;
gegen ich benn aber auch l)°ffe/ baß meine gute 2lbftd)t nicht
verfannt, unb ich burd) einen reichlichen 7lbfa| werbe entfepd;
bigt werben. — 0o ferne cs in ben S5ud)l)anb(ungen nicht
überall gleich vorrdtf)ig fepn follte, fenbe ich auf Verlangen
gern ein Upemplar jur 2lnftd)t.
Berlin, ben 1. Juli) 1825.
2h- %*- 3r- Sttälin.
4 ' ' o
Pränumerations-Anzeige.
Bei J. B. Wallis hau *ser in WJ$n, und in allen
soliden Buchhandlungen, wird Pränumeration angenommen
auf j
des heiligen Augustinus
22 Tiiieher von der Stadt Gottes.
Aus dem Lateinischen der Mauriucr- Ausgabe
ül»er.sct/.t von
J. P. S i 1 1) e r t.
Zwei Bände, 65 — 70 Bogen in gr. 8.
Pränumefnt ions- Preise , gültig bis Ende Juli d. J. :
Für 1 Hxcmpl. beider Bände auf weifsem Üruckpap. 4 Bthlr.
Auf Velinpapier 5 Bthlr. 12 Gr.
Längst ward dieses edelste und glänzendste Kleinod
des ganzen kirchlichen Alterthiims, worin der grolse Au¬
gustinus nicht nur als ein Fürst unter den Kirchenvätern,
sondern auch ohne allen Zweifel als das hochsimiigstc, reich¬
ste utid gelehrteste Genie der Vorzeit erscheint, in den
Schätzen der deutschen Literatur vermifst. Denn abgese¬
hen von der Herrlichkeit und Y\ ürde der Stadt Gottes,
oder der theils noch streitenden, theils schon triumphiren-
den Kirche, die in diesem W erke in himmlischem Lichte
strahlt, enthält dasselbe eine f ülle lebendiger Schönheiten
und Wahrheiten, zumahl in historischer und philosophischer
Beziehung; und manches kostbare Fragment denkwürdiger,
doch bis auf ihre Spuren verloren gegangener Schritten
Seneca’s, Cicero’s ^md der ältern Philosophen überraschen
darin den denkenden Leser. Wegen der hohen Vortreff¬
lichkeit dieses W erkes ergingen vielfältige Aufforderungen
an den deutschen Uebersetzer desselben, der es auch mit
aller Würde der deutschen Sprache wiedergab.
Der Unterzeichnete Verleger wird für gutes Papier,
reinen und rorrecten Druck bestens sorgen, und verspricht,
den ersten Band noch vor Michaelis, den zweiten vor
Ablauf dieses Jahrs bestimmt zu liefern. Der mit Anfang
August d. J. eintretende Ladenpreis wird bedeutend höher
seyn. Wien , im März 1825.
J. B. Wallish ausser.
0<immt(id)e in biefem litterarifcben Tfnjctc^cr anqc;
fufyrte 5M‘id)cr fmb in ben n ö 1 1 n ’ fc^cn 3Vud)l)anblitnqen in
Berlin, Breite 0>tra£e 9lr.23., unb in Saneberg a.‘ b. 2B.
311 fyaben.
Litter arische Annalen
der
ge s ammt en Heilkun de .
« ‘5lP 4 'S J-V- <s < J> ^
N° 57.
I
Ueber die Belohnungen der Aerzte.
\ on Dr. W. Sachse,
Grofsherzogl. Mecklenburg - Schwerinschem Geheimen Medicinal-
rathe in Ludwigslust.
▼ Venn der Staat es sich zur Pflicht macht, Recht und
Gerechtigkeit zu üben, und jede Beeinträchtigung der Bür¬
ger zu verhüten , so darf eine Klasse von Bewohnern des¬
selben eine um so gröfsere Sorge für die Erhaltung ihrer
Rechte hoffen und wünschen, je gröfser die Opfer
sind, welche sie den Staatsbürgern überhaupt
bringt; je heilbringender ihre Bemühungen sind, indem
sie sich mit der Erhaltung des physischen Wohls beschäf¬
tigt, dessen Mangel jede Kraft hemmt, welche zum allge¬
meinen und häuslichen Besten beitragen soll; und je weni¬
ger sie Dienstleistungen versagen, oder sich vorher um den
Lohn dafür bekümmern darf.
Zwar kostet jedes Studium einen bedeutenden Geld¬
aufwand, aber mehr als jedes andere, das der Arznei¬
wissenschaft und Wundarzneikunst. Schon bei den Schul¬
wissenschaften fängt dieser an, denn keinem Stande
sind Kenntnisse der Sprachen so nothwendig; der junge
Mediciner darf also nie so früh die Schule verlassen, er
mufs sehr kostspieligen Nebenunterricht nehmen, weil auf
vielen Schulen den lebendigen Sprachen gewöhnlich nur
wenige Stunden gewidmet werden, oder weil man darin,
z. B. im Englischen, gar keinen Unterricht giebt.
25
II. Ed. 4. St
386
I. Belohnungen der Aerzte.
Kommt er zur Academie, so kann er sich mit ct-
waiiigem Nebenunterrichte nicht befassen; er darf tun so
weniger auf freie Collegia rechnen, je mehr die Lehrer
selbst zu ihren Vorlesungen mancherlei Aufwandes bedür¬
fen, auf ein kurzes Studium darf er nicht hoffen, je um¬
fassender und ausgedehnter das Fach ist, und je bestimmter
von mehreren Regierungen ein langes Studium verlangt
wird. Kaiser Friedrich der zweite, einer der gröfsteii
und weisesten Monarchen, der selbst sechs Sprachen sprach
und schrieb, der selbst so gut Troubadour als Naturforscher
war, verlangte schon im dreizehnten Jahrhundert ein
fünfjähriges Studium; Kaiser Joseph der zweite erneuerte
im achtzehnten Jahrhundert dies Gesetz, und im Studien¬
plan von Pavia ward erst ein Cursus in den philosophischen
Wissenschaften, und dann noch ein sechsjähriges Studium
verlangt, lu Freiburg sollte erst drei Jahre Philosophie,
dann vier Jahre Medicin studirt werden, im fünften wurde
erst die Ilauptprüfung gestattet, und alle die, welche dem¬
nächst auf Stadt- und Landphysicatc Anspruch machen woll¬
ten, mnfsten dann noch einige Jahre im allgemeinen Kran-
kenhause gewesen sein u. s. w. — Der junge Medieiner
darf nicht so, wie es in andern Fächern der Fall ist, auf
das Nachstudiren rechnen, weil er oft gleich handelnd auf-
treten mufs, und soll dies mit einiger Festigkeit geschehen,
so mufs er Hospitäler besucht, oder überhaupt unter der
Anleitung geschickter Lehrer schon am Krankenbette ge¬
wirkt haben; dies alles läfst sich nicht ohne grofsen Kosten¬
aufwand bewerkstelligen, der nun noch durch Anschaffung
von P»ii ehern und Instrumenten, und durch die Promotion
seihst so sehr erhöhet wird.
\ e r 1 ä fs t nun der junge Arzt d i e A c a d c m i e , so
warten seiner tausend neue Schwierigkeiten. Kr kann den
erschöpften Kassen der Seinigen nicht etwa dadurch Krho-
luug verschaffen, dafs er wie in andern Fächern, als Haus¬
lehrer sein Brot verdienen kann, er mufs yon jeneu- neue
Ilülfsmittel begthien oder sich in neue Schulden stürzen,
I. Belohnungen der Aerztc. 387
theils um Patentgebühren zu bezahlen, die in Strafsburg
3000 Livres betrugen! ein Denkmal der Knechtschaft, wo¬
durch die Franzosen den verdienten Arzt mit den unbedeu¬
tendsten Handwerkern und den verächtlichsten Charlatans
in eine Klasse setzten! — theils um inländischen Medici-
nalbehürden neue Opfer zu bringen, die nach forschen sol¬
len, ob bei den Promotionen nicht Menschlichkeiten vor-
ge fall eil sind, und die mitunter Sünden auf Sünden häuften,
wofür oft sehr ansehnlich bezahlt werden mufste; so kostete
ein Examen in Amsterdam 500 Gulden. (S. Magaz. d. Hol¬
land. Litter. von Jonas. 1. Ed. 1. St. 1700.) Endlich mufs
der junge Arzt Geld besitzen, um selbst einige Jahre leben,
sich anständig kleiden und in Gesellschaften auftreten zu
können, in welchen er sich nach und nach Vertrauen und
Gönner erwerben soll, indem er bei aller Geschicklichkeit,
nie gleich volles Zutrauen haben und erwarten kann. —
Nun halte man sich die Sorgen zusammen, die ein junger
Arzt haben mufs, wenn er sich schon in Schulden gesetzt
hat, und neue machen mufs, ohne Aussicht auf baldige Ab¬
tragung zu haben, ohne je völlige Sicherheit dazu geben
zu können! Man denke sich die Schwierigkeiten die seiner
warten, die W etzlar (Entwurf p. 105. 166.) so treffend
schildert, indem er sagt: «Hunderterlei zufällige Umstände
sind es, wovon das Zutrauen des Publikums abhängt. Wäh¬
rend eine Parthei den jungen Arzt himmelan erhebt, drängt
die andere ihn zum Ignoranten herab. Eine Parthei will
einen aufgeklärten und feinen Arzt, die andere einen, der
eben so bigott und roh ist, wie sie; eine einen Schwätzer
und Spafsmacher, der andern gefällt der Ernst und das
faltige Gesicht; der einen gefällt die Jugend, der andern
das Alter; dieser will einen Schmeichler und Speichellecker,
jener einen geraden Mann; Damen wollen oft einen ledi¬
gen, Mädchen einen verheiratheten Arzt. Ueberdies kommt
noch die Figur, Sprache, Kleidung, Religion, Denkart,
Verwandtschaft des Arztes u. s. w. in Betracht. » — Ver¬
binden wir hiermit die oft gar unsanften Gesichter der
25 *
388
I. Belohnungen der Acrzte.
älteren Collegcn, so ist das erste Auftreten im erhabenen
Beruf dem jungen Arzte nichts weniger als erfreulich! —
Und bekommt er nun Geschäfte, so geschieht es zuerst bei
Kranken, deren Uebel meistens unheilbar sind, oder bei
Armen, oder endlich bei solchen Kranken, die jährlich ihre
Aerzte wechseln, theils weil Waukelmuth ihr Charakter
ist, oder weil sie immer die Runde machen, um niemanden
bezahlen zu dürfen! oder endlich bei llypocbondristen , die
von jungen Aerzten die meiste Aufmerksamkeit erwarten,
oder hören wollen, ob nicht für ihr Uebel ein neues Mit¬
tel von der Academic mitgebracht worden, und wie diese
plagen können, das sei Gott geklagt!
Der Staat hat 2) für den Arzt um so mehr zu sor¬
gen, weil in den gebildeten Klassen niemand seine
Freiheit, Ruhe und Gesundheit für das ganze
Leben so sehr aufopfert als er.
Es ist ein sehr irriger Wahn, dafs der Arzt wahre
Freiheit geniefsen könne, weil er sich von Vorgesetzten
nicht hudeln lassen dürfe. Jeder Kranke glaubt ihm be¬
fehlen zu können, und wahrlich! wenn er seine Praxis nicht
verlieren, wenn er nicht hungern will, mufs er oft ohne
Noth den Pflastertreter, den Krankenwärter, kurz den ge¬
horsamsten Diener machen. Zwar mag er sich damit trö-
• sten, dafs wohl nirgends unterm Monde wahre Freiheit
herrsche, und dals oft die Fesseln der Könige, die sich frei
w ahnen , sehr drückend sind. Wie mancher hätte wohl
gern ohne Revolution die Rastille zerstört, wie mancher
die Fesseln der Jesuiten zerrissen, die Pantoffeln der Pom-
padoure ins Feuer geworfen! Aber der als freier Mann
geschilderte Arzt, ist es gewifs unter allen Klassen am we¬
nigsten! — Wenn der Kranke, der nur Unpäfslichc, hin¬
ter doppcltcu Fenstern sitzt, wenn das Lieblingshündchen
sorgfältig im Zimmer gehalten wird, damit ihm die rauhe
Luft nicht schade, wenn der Tagelöhner Beschäftigungen
aufser dem Hause ausschlägt, soll der Arzt Gesundheit ver¬
schaffen, während er die scinige aufopfert. Man bedauert,
3S9
I. Belohnungen der Aerzte.
bei so böser Witterung bemüht zu haben, hat aber nach
wenigen Stunden schon neue Klagen, und das Bedauern ist
vergessen. — Den ganzen Tag befindet sich Herr oder
Frau N. N. nicht wohl, doch machen es die Unterhaltungen
des Tages minder fühlbar, wie leicht hätte zum Arzt ge¬
schickt werden können! Aber die Einsamkeit, die Dunkel¬
heit machen das Uebel schlimmer, und man achtet weder
der Buhe des Arztes, noch seiner Angehörigen, und häufig
hat dieser nichts zu rathen als eine andere Lage, ein Glas
Wasser, oder Thce !
ISicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben seiner
Familie mufs er aufs Spiel setzen, weil er nie ansteckende
Krankheiten scheuen darf, und hundertfältig bejammert
eine unversorgte Familie den Gatten und \ater. Lentin
brachte in seiner Umarmung einem seiner Kinder den Tod
an schrecklichen zusammenfliefsenden Blattern, und einer
meiner Freunde, der Doctor Rust in Grabow, wurde nicht
nur selbst vom Faulfieber angesteckt, sondern in wenigen
Wochen standen seine sieben unversorgten Kinder am
Grabe des Vaters, der Mutter, des Bruders, des Lehrers
und der Wärterin!
Mit dem geleisteten Doctoreide, ist die Ruhe des
Arztes für immer dahin! — Die beste Laune der Menschen
wird durch Krankheiten verstimmt; zu den ewdgen Klagen,
denen der Arzt sein Ohr von Haus zu Haus leihen mufs,
hat er bei den besten Absichten deswegen oft die unver¬
dientesten Aeufserungen zu hören, ja wahre Kränkungen
zu erdulden! — Die Begierde der Menschen, Fehler von
sich ab und auf andere zu wälzen, zeigt sich nirgends auf¬
fallender als in Krankheiten. Diätfehler will man nie be¬
gangen haben, und der Medicin wird jede, offenbar nach
jenen Vergehungen erfolgte, Verschlimmerung aufgebürdet,
und selten stirbt ein Kranker, wo nicht eine Base an der
Behandlung vieles auszusetzen hätte, und wo man nicht,
wenn auch mit überzuckerten Worten, den Arzt des J odt-
schlags beschuldigte. Sehr wahr sagt Wetzlar in seinem
390
I. Belohnungen der Aerzte.
Entwürfe p. 9.9.: «Es ist bekannt, welchen niedrigen Kriti-
«ken, welchen inhumanen, unartigen und groben Begeg-
M nungen und Angriffen die praktischen Aerzte ausgesetzt
«sind! man bedenkt dabei nie, dafs man einen gestörten
« Organismus ofl mit der besten Kunst nicht heilen kann;
„ dafs die Arzneien nicht gehörig genommen und die Vor-
<( Schriften selten ganz befolgt werden, und der nichtärzt-
« liehe Pöbel, zu dem selbst so manche Gelehrte gehören,
« bürdet dem Arzte den unglücklichen Ausgang auf. *
Niemand hat seinen Geist mehr anzuslrengen , als der
wahre Arzt, mit welchem man den hlolscn Heceptschreiber
nicht verwechseln mufs, dem es gleichgültig ist, welche
Nummer er aus dem Glückstopfe herauszieht. Andere Ge¬
lehrte hünnen mit Ruhe über ihren Gegenstand, den sie
durchführen wollen nachdeukcn, eine Idee führt die ver¬
wandte herbei. Der Arzt dagegen wird von Haus zu Haus
mit neuen Ansichten und Ideen bestürmt, er mufs sich so¬
gar zwingen, die eben erfaf.sten zu unterdrücken, damit er
sie nicht in den gegenwärtigen Zustand, des zweiten, des
dreifsigsten Kranken mit einmischt, und demnach fehlerhaft
einförmige Mittel verordnet. Wenn seine Seele in der
höchsten Bewegung ist, über den vielleicht naben Verlust
eines geliebten Kranken, mufs er ihr Ruhe gebieten, die
erforderlich ist, um neue Kranke zu untersuchen ! und wie
schwandet diese Rphe wenn er sein Rett besteigt, hier
verlafst ihn sein gefährlicher Kranker nicht nur nicht, son¬
dern die Phantasie trägt im Rüde alles greller auf, er sieht
ihn öfter sterben, sieht die jammernde ihn bestürmende
Familie, und kann nicht helfen! quält sich mit dem Gedan¬
ken , ob nicht dieses oder jenes Mittel vielleicht noch hätte
helfen können, und sicht wie neidische Collagen dies als
gewifs mit Achselzucken demonstriren , wohl gar hinzufü¬
gen: dem Arzte fehle es zwar nicht an Kenntnissen, aber
die Erfahrung! die Erfahrung!
ln keinem Stande wird durch Neid die Ruhe so gefähr¬
det, als im medicinischcn ! \ oin Prediger kann man sagen:
391
I. Belohnungen der Aerztc.
er hat schlecht geredet; vom Juristen: er hat den und den
um sein halbes, ja sein ganzes Vermögen gebracht; aber
heim Arzte gilt es einen Gegenstand, der nie zu ersetzen
ist: das Leben der Menschen! hier sind also auch Beschul¬
digungen um so peinigender, je weniger man seine Ehre,
um welche der Arzt so viel thun mufs, retten kann!
Aber auch das Schattenbild, die Ehre, welche so
manchem Stande Reize leiht, verbindet sich selten mit dem
des Arztes. Während der Jurist, der streng genommen,
nur den Codex recht gut zu verstehen braucht, alles wer¬
den, die höchsten W ürden erreichen kann, mufs der Arzt,
von dem man so viele Kenntnisse verlangt, sich oft mit
brotlosen Titeln begnügen, die ihm nur um so drückender
werden, je weniger sie ihn gegen die Mifshandlungen irgend
einer Menschenklasse schützen.
llat sich endlich der Arzt bis zum mühevollen Alter
hinaufgearbeitet, so mufs oft der gelehrteste sich selbst
überleben, einmal wird sein Geist, sein Körper zu stumpf!
und neue Theorien, neuere Manieren, neuere Generatio¬
nen, machen den jüngeren Arzt beliebter; Nahrungssorgen
machen, dafs dem grauen Arzte der Tod nicht früh genug
kommt, während castrirte Sänger ohne Manns- und Ge¬
lehrtenkraft auf ihren ertrillerten Marquisaten im Wohl¬
leben schwelgen!
Wo ist ein so undankbares Handwerk, sagte einst F.
II. Ehrlich in seiner Geschichte einer mit seltenen Zufäl¬
len verbundenen Brustkrankheit S. 51., als das medicinische?
Ich habe es aufgegeben! Erwerben Sie sich einen reichen
Onkel, und geben Sie es auch auf. — Allein es giebt der
Aerzte nicht viele, die ein so günstiges Geschick wie die
Ehrliche, Olaus -Borriche und Taddäus Florenti-
nus besitzen.
Her Staat hat 3) für den Arzt um so mehr zu sor¬
gen, je mehr dieser jetzt den unbilligsten Forderungen aus¬
gesetzt ist, und je mehr die Wohlhabenheit im Allgemei¬
nen abnimmt, folglich nicht mehr auf die Dankbarkeit Ein-
392
I. Belohnungen der Aerzte.
zelner, als Ersatzmittel für den Undank \ icler gerechnet
werden kann, und dieser steigt, indem er mit dem Leicht¬
sinn Schritt hält, je mehr Treue und Glauben sinken. Wo
der Wüstling alles verschwendet*, w'enn es auf sinnlichen
Genufs ankommt, da hat er nichts als Undank, wenn die Fol¬
gen dieser Genüsse gehoben werden sollen. Der Arzt, der
nicht gehörig belohnt wird, geht nicht mit Freudigkeit an
sein schweres Geschäft, versäumt, irn Andenken an die un¬
dankbaren, auch die besseren Kranken, und schadet so nicht
blofs, sondern wird zuletzt auch Menschenfeind, oder wi rd
wenigstens für solchen ausgeschrieen , wenn er es auch wirk¬
lich nicht ist.
Aber nun entsteht die Frage: W ie soll der Staat
für seine Medicinal personen sorgen?
liier ist der Unterschied zu machen , ob derselbe die
Thätigkeit der Aerzte u. s. w. zur Erhaltung des Allge¬
meinwohls und zur Hüllsleistung bei ärmeren Volksklassen
in Anspruch nimmt, oder ob er als Gesetzgeber auftreten,
und Beeinträchtigungen verhüten will. — Dafs der Staat
im ersten Falle, Gehalte geben mufs, ist klar und längst
anerkannt. Da aber, wo der Nichtarme sich selbst seinen
Arzt wählen kann, wo er das Recht hat vom Arzte mit
Billigkeit und Unbilligkeit liülfsleistungen zu fordern, und
letzterer mit Recht seine Belohnung vom Einzelnen fordern
kann, jener sich oft überschätzt, dieser sich beeinträchtigt
glaubt, da sind Medicinaltaxen das beste Mittel um Kla¬
gen zu verhüten, aber sie müssen nach genauer Abwägung
der Bemühungen und des Lohns, von MedicinalbehÖrden,
die als höchst nothwendig überall vorausgesetzt werden,
entworfen sein.
Da höre ich nun aber unsern J. B. Erhard in seiner
Theorie der Gesetze u. s. w., Berlin 1800, sagen: «Wenn
« den Arzt nur die Bezahlung zur Erfüllung seiner Pflicht
« an t reiht, so verliert er seinen Bang als moralische Person
« im Staate, und würdigt sich zu dem niedrigsten D ie ns t-
u gesindel herab. Ferner kann nur der Activhürger beifsen,
I. Belohnungen der Aerzte. 393
«der ein selbstständiges, von dem Einflüsse einzelner Bür-
« ger unabhängiges Gewerbe treibt; wer um seiner Nah-
« rung willen von dem einzelnen Bürger abhängt, und die-
« sem handlangen mufs, der kann kein Activbürger sein.
«Dies betrifft jeden, dem nicht sein Werk, über dessen
« Veräufserung er Herr ist, sondern dem nur seine Dienste
« bezahlt werden. Der Arzt ist im Dienste des Kranken,
« und er wird nicht nach seinem Werke, das er zu Stande
«bringt, sondern nach der Länge seines Dienstes bezahlt.
«Ferner wäre es seine Pflicht, wenn er es könnte, allen
« Krankheiten vorzukommen; dies würde ihn aber, wenn er
« von dem Lohne für seinen Dienst bei dem Kranken lebt,
« um seinen Verdienst und dadurch um sein Leben bringen,
« deswegen mufs das Geschäft des Arztes nicht als bürger-
« liebes Gewerbe angesehen werden; nur als Staatsdiener
« hat er bürgerlichen Werth — daraus geht dann hervor,
« dafs er auch vom Staate belohnt werden soll. »
Bei diesen Ansichten, deren Resultat wohl nie realisirt
werden kann , liegt eine Ueberschätzung des ärztlichen Stan¬
des zum Grunde. Lebt der Fürst von Abgaben des ein¬
zelnen, folglich auch des geringsten seiner Unterthanen,
lassen sich der Richter in den hohen Collegien, der Be¬
amte, der Rechtsgelehrte ihre Urtheilssprüche und ihre
übrigen Arbeiten nach vorgeschriebenen Taxen bezahlen,
nimmt der Prediger seinen Beichtgroschen, seine Tauf-,
Confirmations-, Trau- und Sterbe -Gebühren; nehmen der
Kammerherr, die Hofdame, für das Vortreten, für das
Schleppentragen bei feierlichen Hoffesten, ihre taxmäfsig
vorgeschriebenen hundert und zweihundert Thaler, — warum
sollen wir Aerzte uns nicht eine Taxation unserer Bemü¬
hungen gefallen lassen:’ Es würde eine grofse Engherzig¬
keit darin liegen , wenn wir die Würde unserer Kunst nicht
heben, und nicht ohne Lohn auch recht gern Krankheiten
verhüten wollten, zumal da wir überzeugt sind, dafs sich
so viele Lebe! nie verhüten lassen, folglich unser Brot¬
erwerb nie aufhören kann.
394
I. Belohnungen der Aerzte.
Mit Vergnügen habe ich gesehen, wie in Friedr. Ru-
dolpht’s drittem Theil Förstl. Sachsen - Golhaischer Histo-
rienheschrcibung die Taxen für Bäcker (1569, S. 152., von
1686, S. 324.), Landarbeiter (1615, vierter Theil S. 11.),
Steinmetzen, Maurer, Rademacher, Schmiede, Schlosser
(S. 12. 13 ), Riemer, Sattler, Gerber (S. 14.), Schuster,
Weber, Kürschner, Glaser (S. 15.), Seiler, Röttrher,
Schneider, Tuchmacher (S. 16.); fiir besoldete Landärzte,
Wundärzte und Hebammen (1653, S. 41 — 43. 1657,
S. 66 — 70.); Taxen wieviel die Kleider kosten dürfen,
welche in den sechs Klassen der Stände getragen werden
(1667 und 80, S. 167.); Taxen für die Beschäftigungen
der Prediger, Küster, Musicanten, Kinderfrauen, Schulleh¬
rer und Todtengräber (S. 235 — 37.) — friedlich neben¬
einander stehen. — Wir werden nicht weiter von Herab¬
würdigung zum Tagelöhner reden, \Venn wir es erfahren,
wie uns viele Kranke, ohne gesetzmäfsige Bestimmung ih¬
rer Verpflichtungen, mit ihrer Belohnung nicht selten un¬
ter den Tagelöhner herahsetzen! — Der Arzt in grofsen
Städten wird dies kaum begreifen, aber er lese Le nt in ’s
Leben, und er w'ird staunen, wie lange dieser anerkannt
vortreffliche Arzt, der Willkühr der Dienstempfänger Preifs
gegeben, in Dürftigkeit leben niufste! — Und aus meinem
ärztlichen Leben will ich nur hinzufugen: dafs ich in den
ersten acht Jahren nur in vier Häusern ein Annuuni von
vier Louisd’or hatte, dafs die, w'elche mir zwei Lonisd’or
gaben, sich schon sehr viel damit wufsten, und dafs ich
von den meisten für ganzjährige Bemühungen nur einen
Ducateu bekam; dafs ich von sehr vielen gar nichts erhielt,
und unter diesen die Herren von X, Y und Z nennen
könnte, die mich zwei bis vier Meilen weit Jahre lang holen
helsen, und höchstens nur ein K ü ch engeschenk gaben. —
Auch später habe ich oft für jeden Besuch bei Wohlha¬
benden kaum einen Groschen rechnen können. Lin reicher
Mann müfste ich sein \ wenn ich die Masse meiner Arbeiten
auch nur nach der schlechtesten laxe belohnt bekommen
395
I. Belohnungen der Aerzte.
liätle! Meine Naehfolger verstehen das besser, sie schrei¬
ben, trotz aller Nackenschläge, Rechnungen aus, und üben
so ein altes Recht, wodurch sie sich der Willkühr entzie¬
hen, die immer um so drückender wird, je mehr im Gan¬
zen Reichthum und Wohlhabenheit sinken, die früher so
ansehnliche Belohnungen bewirkten,, dafs der Arzt gern das
Schreiben der Rechnungen vergafs, welches jetzt ein so
gehässiges Ansehn gewonnen hat.
Aber Medicinaltaxen haben von der andern
Seite auch den N u t z e n : dafs sie dem Wucher ein¬
zelner Aerzte Gränzen setzen können.
Dieser war von jeher unter den Aerzten anzutreffen,
so berichtet Wursteisen in der Baseler Chronik S. 555,
von Theophrastus Paracelsus (1493 in der Schweiz
geboren), «dafs der Domherr zu Basel, Cornelius von
« Licht enfels, des Magenwahthums halb, von anderen
« Medicis kein sondern hilff kriegen können, er vor Theo-
«phrasto gesagt, er wült einem 100 Güldin schenken,
«der ihn hierein curieren köndte. Theophrastus erwü-
« sehet diese Rede, gab ihm 3 Opiat -Piliulen, zu messen.
«Der Thumbherr, welcher sich besser entpfunden, schiket
«ihm hernach 6 Güldin zur Verehrung. Theophrastus
« wolt sich defs nicht ersettigen lassen, sondern die 100
« Güldin haben. Die sach gerieht für die richter, welche
« ihm für seine Gäng und die vberreicht Arznei nach ihrem
« gulbedunken Belohnung erkannten. Darob ward Theo-
«phrastus unwillig, warff böfs Karten aufs und bochet
«mit etlichen Worten wider die Yrtheil, defs er vor der
« Oberkeit beklagt ward. Als man mit gefangenschaft stra-
y »
« fen wollte , zog er von Basel gehn Nürnberg u. s. w. »
Wer erstaunt nicht, wenn uns vo n Nettesh eim (de
vanitate scientiarum) berichtet: dafs der Bologneser Arzt
Peter von Abano, nie eine Landreise unter 50 Gulden
gemacht habe!
Unsere Schweriner Kanzleiacten könnten hierzu manche
Seitenstücke liefern; so brachte ein Hebarzt oft ein beschä-
39G
I. Belohnungen der Aerzte.
D
diätes Beinkleid bei Entbindungen mit in Rechnung. —
Ein Arzt, der J00 Thaler Jahrgeld von einem reichen
Gutsbesitzer bekam, klagte nach dessen Tode, dafs jener
ihm für eine Kur eine fürstliche Belohnung versprochen,
und setzte dafür 2000 Thaler an. Kr verlor, zu aller
Freude, den Prozefs mit 300 Thaler Unkosten. — Kin
anderer liefs sich für die Behandlung einer leichten Go¬
norrhöe von einem armen Pagen 10 Thaler praenunierando
bezahlen, und verlangte und erhielt auch noch 10 I haler
nach u. s. w. — Die Kotterdammer Aerzte wurden öffent¬
lich beschuldigt, dafs sic mit den Apothekern von je her
gemeine Sache gemacht, und sich die Hälfte des Gewinns
für jedes ihnen zugeschickte Recept bezahlen lassen, und
das sogar mit Wissen und Willen des Publikums! (Salzb.
Zeitung ^791. 4. Bd. S. 144.). — Im Oktober 1789 kam
in Petersburg eine Medicinaltaxe heraus, welche gröfsten-
tbeils durch die Unbescheidenheit einiger vor wenige« Jah¬
ren aus Deutschland gekommenen Aerzte veranlagt wurde.
Beispiele von der Unverschämtheit der Aerzte liefsen sich
noch ungleich inehr häufen, hier mögen aber diese genü¬
gen, um den Nutzen der Medicinaltaxen zu beweisen.
Aber woher soll man den MaaCsstab zu ihrer Einrich¬
tung nehmen? die erlangte Gesundheit läfst sich nicht taxi-
ren noch bezahlen, noch weniger die Sorgen, die der
Kranke dem Arzte macht! es mufs daher auf die äufsern
Zeichen der Bemühungen Rücksicht genommen werden.
Allgemeine Grundsätze zum Entwurf einer
Medicinaltaxe.
1) Sie mufs die höchste Summe enthalten,
welche der Arzt u. s. w. zu fordern berechtigt
ist. Damit aber der Kranke nicht übersetzt werde, mufs
sie sich
2) Nach den Vermögensumständen richten.
Da nun diese der Arzt nicht immer bestimmen kann , so
mufs hier auf den Stand vorzüglich gesehen werden,
397
|
I. Belohnungen der Aerzte.
weil die Forderungen der höheren Stande dem Arzte un¬
endlich mehr zu schaffen machen! Er soll hier nicht nur
länger bei den Kranken verweilen, sondern auch Gründe
für seine Verordnungen geben, Einwendungen gegen em¬
pfohlene Mittel anhüren und beseitigen, in den Vorzimmern
warten, dem Herrn, der Frau des Hauses Bericht erstatten,
und so gleichsam den Diener machen. Lentin hat sehr
Recht, wenn er sagt: «Je höher der Stand, je mehr läfst
«man es den Arzt Fühlen, dafs man sich für eine wichtige
« Quelle seiner Subsistenz hält, und dies Gefühl ist ganz
«unerträglich! — mir ist es oft vorgekommen , dafs sich
«der Kranke die Miene des Wohlthäters gab, und dafs
« doch seine Gabe kaum hinreichte, um das Fuhrwerk da-
« von zu bezahlen! »
Dafs es auch in den höheren Ständen Arme gebe, ist
zu bekannt, und niemand blickt da tiefer als der Arzt!
Wer gewohnt war viele Bedürfnisse zu befriedigen, dem
ist die Armuth weit drückender als dem, der jene vielleicht
nur dem Namen nach kannte! und wer nun bei solchen
verschämten Unglücklichen sich nach Taxen belohnen lassen
wollte, der würde sich an der leidenden Menschheit ver-
t
sündigen! — Der Arzt mufs sein Minimum setzen können
wie er will, und so wird er sich gern nach eines jeden
Vermögensumständen richten, und da nicht Hunderte von
Thalern anschreiben, wenn er sie auch verdient hätte, wo
er dadurch vielleicht den sechsten Theil der ganzen Ein¬
nahme des Mannes rauben , oder ihn zwingen sollte , andere
nothwendige Bedürfnisse ganz zu entbehren. Er wird und
mufs hier gerade durch Rechnungen ein Wohlthäter des¬
sen werden können, der ohne diese, seinem Gefühle der
Dankbarkeit zu sehr folgte und zu viel geben würde. Wird
der Arzt nur gegen die Unbilligkeit der Reichen durch
Rechnungen geschützt, so kann er manche Thräne im Stil¬
len trocknen und so den Kummer verscheuchen, der nur
zu oft dem Aufkommen hinderlich ist. Warum soll ich
hier nicht an meinen guten Schwiegervater Lentin erin-
398
I. Belohnungen der Acrzte.
nern, der, als sich seine Glücksumstände in Lüneburg bes¬
serten, jede Gabe, bis zum Ducaten inclusive, die er er¬
hielt, dazu verwandte, den dürftigeren Kranken Speisen zu
senden, oder unvermerkt ein Päckchen mit Geld unter das
bethränte Kopfkissen zu legen. Ja cs giebt Gottlob! unter
den Aerztcn auch noch Menschen, die dem Diogenes
das Auslöschen seines Lichts gebieten können! die lieber
selbst Mangel leiden, als dafs sie nicht die Noth der ärme¬
ren Brüder lindern sollten! deswegen sorge der Staat da¬
für, dafs Wohlhabenheit bei der Menschenklasse herrsche,
die am vertrautesten mit den Leiden der Armen ist.
3) Es mufs ein Gesetz gegeben werden: dafs der
Genesene seine Schuld al^ getilgt ansehen kann, wenn
er nicht zu bestimmten Zeiten Rechnungen vom
Arzte erhält.
Der Arzt mufs dadurch zur Einsendung derselben gleich¬
sam gesetzlich angehalten werden, damit die Sache das
Gehässige verliere, welches jetzt gewöhnlich damit
verbunden ist. Grüner sagt sehr richtig (AJmanach 17.91):
« der Mangel solcher Regulative wird die Mutter vieler Lü¬
tt Ordnungen und Uneinigkeiten. Der Arzt, meistens schlecht
« oder gar nicht bezahlt, wird als Grobian ausgesc luden,
« sobald er Belohnung fordert;» und May versichert Leute
gekannt zu haben, weiche blofs dürum die Wunderkuren
eines dummköpfigen Scharfrichters erhoben, weil der Arzt
so unverschämt gewesen, für langjährige Dienste seine Be¬
lohnung zu fordern. Er meint, der Kranke gliche oft dem
Kossc, welchem der so gütige oder so dumme Wolf, mit
eignen Zähnen, das Fufsgeschwür geöffnet, und dafür zur
Belohnung einen Fufstritt bekommen (s. Stoipertus 1. Bd.
S. 99.), und nicht dem Hunde, welcher dein die Hände
leckt, der Oel in seine Wunde?» giefst. Es ist ein sehr
wichtiges Gesetz, welches wir im Code Napoleon fin¬
den: L’action des medecins chirurgiens ct apothicaires pour
leurs visites, operations et mcdicamens, se prescrit par un
an. — lu» loscanischen Staat wurde vom GroLherzog
I. Belohnungen der Aerztc. 399
Leopold schon 1767 das Gesetz gegeben: dafs die Rech¬
nungen spätestens innerhalb dreier Jahre eingereicht wer¬
den müfsten , nach diesem Termin sollten sie keine Gültig¬
keit weiter haben (Scherf Beiträge 7, S. 92.). — Die
W eimarsche Medicinalordnung von 1673 C. 1. §. 2. ver¬
langt: die Kranken sollten den Aerzten, da diese ein so
mühsames und schweres Amt hätten , mit schleuniger Ver¬
geltung dankbar sein.
4) Das Linsenden der Rechnungen mufs zweimal
im Jahre, zu Neujahr und Johannis, in den landüblichen
Zinszablungsterminen geschehen.
Einmal, weil es dem Kranken nicht so schwer fällt,
eine kleine Summe zweimal, als eine grofse auf einmal zu
bezahlen; — zweitens, weil ihm dann die Sorgen und viel¬
fältigen Bemühungen noch in frischerem Andenken sind. —
Eine Dame schickte mir zu Weihnachten als Belohnung
für viele Bemühungen in den ersten Monaten des Jahres
eine Tasse, etwa drei Thaler an Werth, und meinte gar
nicht krank gewesen zu sein, bis eine Apothekerrechnung
von 37 Thalern sie davon überzeugte; für jene Tasse mufste
ich nun auch noch untersuchen, ob der Apotheker nicht
betrogen habe. — So wie die Zeit die Empfindungen der
Freude und des Kummers auslöscht, so verwischt sie auch
das Gefühl der Dankbarkeit. Friedrich Iloffmann räth
daher: Accipe dum dolet
Post morbum medicus ölet! (Medicus politicus p.238.)
Man könnte aber wohl besser sagen: Nam sanus solvere
nolet! — Es giebt der Fälle nur zu viele, wo eine schwere
im Anfänge des Jahres erlittene Krankheit, zu so grofser
Dankbarkeit stimmt, dafs der Kranke nicht Worte genug
finden kann, um sic auszudrücken, dafs er den Göttern und
den Aerzten die grüfsten Opfer gelobt, statt aber mit einer
Wachsfackel zu opfern, wird ein ganz kleines Lichtchen
auf den Altar der Dankbarkeit gelegt, und selbst in der
Rechnung aufgeführtc Bemühungen hält man für übertrie¬
ben, weil man vergafs, wie oft man um Besuche bat. —
400
I. Belohnungen der Arrzte.
Viel zu gering schätzt man in gesunden Tagen das edelste
der Güter, die Gesundheit! Wie oft bezahlt man für einen
Kaufkontrakt dem Sachwalter Hunderte, den *er in weni¬
gen Stunden machen konnte! und dem Arzte, der alles auf¬
bot um die Gesundheit herzustellen — nichts!
Das gesetzliche Kinsenden der Rechnungen hat den
grofsen Nutzen, dafs der säumige Zahler an seine Verpflich¬
tungen erinnert wird, ohne dafs der Arzt damit das unan¬
genehme Gefühl des Mahnens verbindet. — Oft ist in der
That nur blofse Säumigkeit, nicht Undank am Nichtzahlen
schuld; oft die verkehrte Idee, der Arzt habe es jetzt noch
so nöthig nicht! — als ob er nicht auch anderen zahlen
müfste, die keinen Gang unentgeltlich für ihn thun!
Das Kinsenden hat zweitens den Nutzen, dafs der Gei¬
zige den Arzt nicht mifshandeln kann; und
drittens, dafs mancher dadurch aus seiner Unwissenheit
gerissen wird, wieviel er dem Arzte pflichtmäfsig zu zah¬
len hat, und wieviel er aufserdem noch seiner Dankbarkeit
verdanken soll.
Hr. TJden meint in seiner Med. Politik S. 316, es
schicke sich für keinen gründlichen Arzt, um die Belohnung
emen ordentlichen Vertrag zu machen! er müsse sich nicht
für einen Besuch zwei oder vier Ggr. fordern, und selbst
geforderte Rechnungen nicht wie Schuster und Schneider
rubriciren. Ueberhaupt müsse man dem Kranken lieber al¬
les schenken, als einfordern oder einklagen. Wären die
Kranken undankbar, oder wohl gar unverschämt, so könne
man durch einen Dritten erinnern lassen, doch so, dafs er
es nicht merke. — Das klingt aus dem Munde eines Ber¬
liner Arztes, der bei den sehr grofsen Belohnungen die er
empfängt, die kleineren leicht vergessen kann, recht fein!
aber cs verträgt sich nicht mit den Pflichten, die der Arzt
sich und seiner Familie schuldig ist, noch weniger mit der
Geradheit, die der Mann immer beweisen sollte!
(Detchlufs folgt.)
Litter arische Annalen
der
gestimmten Heilkunde.
1825.
N°58.
1.
Ueber die Belohnungen der Aerzte.
Von Dr. W. Sachse,
Grofsherzogl. Mecklenburg- Schwerinschem Geheimen Medicinal-
rathe in Ludwigslust.
( Beschluss. J
Wozu den Dritten einmischen, und dadurch den Gemahn¬
ten vielleicht erst empfindlich machen? Gesetzt, der durch
gesetzmäfsig verordnete Rechnungsübergabe Erzürnte wählte
sich einen andern Arzt, so macht mir das Freude, dafs ich
Zeit für andere Geschäfte gewinne, die ich einem Undank¬
baren opferte!
5) Der Arzt mufs in Rücksicht seiner tax-
mäfsig geschriebenen ilechnungen vom Staate
geschützt werden, so dafs bei Concursen und Todes¬
fällen seine Forderungen allen übrigen vorauf gehen.
Der Hofmedicus Ellissen, früher selbst Jurist, hat
im Hannoverschen Magazin das AYidersinnige gezeigt, wel¬
ches in dem Medicinalgesetz enthalten ist, nach welchem
der Arzt bei Concursen allen übrigen vorgezogen werden
soll, wenn der Cridarius gestorben ist; dagegen in die
Klasse der chirographischen Gläubiger verwiesen wird, wenn
jener beim Concurse noch lebt. Indessen haben wir doch
schon Gesetze, die davon abweichen. Z. B. im Münster-
schen wird bestimmt: «Die Schuldforderungen der Medi-
« cinalpersonen, wenn sie nicht über zwei Jahr alt sind,
u oder wenn die Klage darum anhängig gemacht worden,
II. Bd. 4. St 26
402 I. Belohnungen der Aerzte.
m und die Gläubiger sich Leiin Concurs zur gehörigen Zeit
«melden, der Schuldner mag an der Krankheit ge-
« stör Len sein oder nicht, sollen allezeit in die erste
&Klasse versetzt und vorzüglich bezahlt werden.» — Auch
in der allgemeinen Concursordnung für Rühmen, Mähren,
Schlesien, Oestreich u. s. w. vom ersten Mai 1781 werden
die Medicinalpersonen §. 15. mit dem, was sie von einem
Jahre her zu fordern haben, in die erste Klasse gesetzt. —
Auch die schwedische Resolution vom 14ten August 1688
bestimmt schon §. 4., dafs Aerzte und Apotheker vor allen
andern Creditoren befriedigt, werden sollen. 'Wie sonder¬
bar contrastirt das damit, und erinnert an die Persischen
Strangulationen der Aerzte, wenn Prinzen sterben, — wenn
es gegründet ist, was Weikard in seinen Fragmenten
1791. No. 15. berichtet: dafs der Arzt in Rufsland keine
Relohnung bekömmt und das Haus dazu verliert, wenn der
Kranke gestorben ist. Deswegen liefsen sich die Aerzte in
'Moscau ihre Besuche jedesmal bezahlen. Letzteres ist auch
in England Sitte.
6) W as schon 1673 die Weimarsche Medicinalord-
nung §. 6. befahl, sollte jede Medicinaltaxe enthalten: dafs
kein Medicus des andern Patienten in die Kur
nehmen soll, bevor er gewifs wisse, dafs der
vorhergehende Arzt gebührlich remuncrirt wor¬
den. Dies ist um so erfreulicher, wreil cs Kranke giebt,
die von Jahr zu Jahr den Arzt wechseln, ohne auch nur
einen zu befriedigen, ja zuletzt zum ersten zurückkehren,
in der Meinung, dafs er die ersten Dienstleistungen verges¬
sen haben solle. Der neu angenommene Arzt kann also
auch schon sein Schicksal voraussehen, und in sofern scheint
es hart zu sein, zu solchen Menschen zu gehen, die zu an¬
deren ’S ergeudungen des Geldes genug haben.
O Es müfstc in Rücksicht der Zahlung auf
die mehr oder weniger grofse Theurung des
Orts Rücksicht genommen werden. Der Arzt iu
kleinen Städten, wo cs sich wohlfeil leben läkt, wo er
I. Belohnungen der xAerzte. 403
weniger Aufwand zu machen braucht, wo weniger Wohl¬
habenheit herrscht, dürfte auch nur das Recht haben, von
der ersten Klasse das zu fordern, was in grofsen Städten
schon die zweite zahlen mufs. Die Weimarsche Medicinal-
ordnung von 1802 hat §. 5. ein Gesetz hierüber: «Aerzte
in kleinen Landstädten sollen nur zwei Drittel, und Land¬
ärzte nur die Hälfte der Taxe liquidiren, mit Ausnahme der
notorisch Begüterten, aber auch bei diesen sollen sie nur
das ansetzen, was sonst für minder Wohlhabende bestimmt
ist.» Bocher, «von der Sorge des Staats für die Gesund¬
heit seiner Bürger, 1806 v» spricht auch schon von der
Kothwrendigkeit dieser Bedingung (S. 720 — 23), und will,
dafs der mit der Localität vertraute Physicus hierüber Vor¬
schläge machen soll.
8) Weil die Besuche den Maafsstab für die Beloh¬
nungen der Aerzte abgeben müssen, so ist es erforderlich,
dafs in dem zu entwerfenden Regulativ: dem sogenannten
Bravthun, oder dem Pflastertreten begegnet, und die Zahl
der erforderlichen Besuche genau bestimmt werde, damit
auch hier die W illkühr nicht zum Schaden des
Säckels der Kranken benutzt werde.
Dies thaten schon mehrere Medicinalordnungen; z. B.
die Churpfälzische von 1773, wo es §. 6. S. 33 heilst: der
Arzt soll den Kranken nicht mit unnöthigen Besuchen be¬
schweren, und soll in gefährlichen Krankheiten nicht mehr
wie zwei, und in kritischen Tagen nur drei Visiten an¬
rechnen, es sei denn, dafs er um öftere Besuche ersucht
würde.
In der Braunschweigischen Medicinalordnung von 1721
wird Cap. 1. §. 5. verlangt : dafs die Gefahr die Visiten be-
%
stimmen solle; damit aber der Patient nicht durch allzu-
fleifsi^es Besuchen in Kosten versetzt werde, soll der Arzt
die Visiten mit dem Patienten oder Angehörigen gehörig
verabreden.
Dasselbe verlangt auch die neue Weimarsche Verord¬
nung von 1802 §. 6.: Der Arzt soll nur solche Gänge in
26 *
' * . (-
404
I. Belohnungen der Aerzte.
Rechnung bringen dürfen, welche von ihm vorher ange¬
zeigt, oder ausdrücklich verlangt worden.
Dies ist das erste Kapitel eines Werks, welches
schon 1808 von mir ausgearbeitet wurde, veranlafst durch
die Prüfung einer neuen Medicinaltaxe, die man von mir
begehrte. So nützlich nun auch die Herausgabe für die
Mecklenburgischen Aerzte hätte werden können, weil es
uns noch an jeder guten Medieinalordnung gebricht, und
die Taxe über ein halbes Jahrhundert alt, höchst unvoll¬
kommen und unbrauchbar geworden ist, so verschob ich
doch bis hierher den Druck, weil ich das Ansehn des Eigen¬
nutzes vermeiden, und nicht wieder das « kreuzige, kreuzige
ihn!” hören wollte, welches einer unvorsichtigen Abhand¬
lung wegen (worin ich eine menschliche Schwäche, ohne
Schminke, vielleicht gar grob! rügte) beinahe über mich
ergangen wäre! —
Jetzt vom gröfseren Publikum unabhängig, kann man
mich doch der Habsucht nicht zeihen, wenn ich die Ver¬
sündigungen an Aerzten schildere und Mittel zur Abhülfe
vorschlage, und deswegen könnte ich die Schrift herausge¬
ben; ich wünschte sie aber noch zu vervollkommnen, und
dazu wmllte ich mir hierdurch den gütigen Beistand mei¬
ner Herren Amtsbrüder erbitten!
Im zweiten Kapitel habe ich die Geschichte der
Belohnungen und Ehrenbezeugungen der Aerzte ausgear¬
beitet, wozu mir die vortrefflichen Werke Sprengel’s,
Ilecker’s und einige andere Quellen beh ülflich waren.
lin dritten Kapitel suchte ich so viele Taxen zu¬
sammenzustellen, als ich auftreiben konnte, hob über jeden
Ansatz das Maximum und Minimum aus, und prüfte nach
einer zweiunddreifsigjährigen Erfahrung, wo die Gebühr
zu hoch oder zu niedrig angesetzt sei. Hierzu standen mir,
aufser der unvollkommenen und ältesten von Kaiser Frie¬
drich II. aus dem dreizehnten Jahrhundert, zu Gebote:
1) die Sachsen -Gothaische Taxe von 1653; 2) die
I. Belohnungen der Aerzte. 405
Preufsische von 1685; 3) die Frankfurter von 1686; 4) die
Ober- und Niedersächsische von 1700; 5) die Rheinische
von 1700; 6) die Oestreichische von 1700; 7) die Oest-
reichische von 1705; 8) die Alt -Hannoversche von 1719;
9) die Schlesische von 1744; 10) die Alt -Mecklenburgi¬
sche' von 1751; 11) die Alt- Wiirtembergische von 1755;
12) die Alt-Bremische von 1760; 13) die Pfälzische von
1773; 14) die Schwedische von 1774; 15) die Anspa-
clusche von 1780; 16) die Surinamsche von 1784; 17) die
Lippe -Detmold’sche von 1789; 18) die Badensche von 1793;
19) die neue Hannoversche von 1800; 20) die neue Bre¬
mische von 1800; 21) die neue Preufsische von 1802;
22) die Weimarsche von 1802; 23) die Baiersche von 1807;
24) die für Mecklenburg proponirte von 1808; 25) die
Frankfurter von 1810; 26) die neueste Preufsische von 1815.
Aufser diesen habe ich nur noch einige Notizen über die
Belohnungen in England und Nordamerika sammeln kön¬
nen. — Da nun in Buchläden dergleichen Localgesetze
nicht zu haben, folglich dem Käufer unzugänglich sind, so
ergehet meine gehorsamste Bitte an die Leser, welche noch
andere als die genannten Taxen besitzen, mir dieselben nur
auf kurze Zeit zu leihen.
Im vierten Kapitel wünsche ich eine Uebersicht
der Gehalte der Herren Professoren der medicinischen Fa-
cultät auf Academien geben zu können, wo möglich von
der Entstehung an bis auf unsere Zeit. Ich habe diese bis¬
her aber nur erst aus Rostock und aus Göttingen erhalten
können, und hier nur erst von 1790 und den Veränderun¬
gen von 1823. — Einer von den Herren Professoren auf
andern Academien, dem diese Zeilen zu Gesichte kommen,
würde sich mir daher sehr durch gefällige Mittheilungen
verbinden.
Im fünften Kapitel wünsche ich Nachrichten über
Besoldungen der Leih - und Hofärzte geben zu kön¬
nen, und bitte gleichfalls, mich darüber in Kenntnifs zu
setzen.
I
406 II. Lehre der GebartshUlfc.
Im sec listen von allen öffentlich angestellten Acrz-
ten bei den Medicinalbebördcn.
Im siebenten von der Belohnung der MilitalrSrzte
und Wundärzte. Von diesen habe ich nur erst Nachrich¬
ten aus Berlin, Hannover und Cassel erhalten.
Im achten soll dann endlich eine Medicinaltaxe fol¬
gen, wie sie nach den bisherigen Betrachtungen am pals-
lichsten sein dürfte.
\
II.
1 #
Lehre der Ge burtshiil fe, als neue Grnndlage
des Faches, insonderheit als Leitfaden hei Vor¬
lesungen. Verfasser; Georg W i lh. Ste i n, Pro¬
fessor zu Bonn. Erster Theil: Gchurtslehre. Mit
18 Abbildungen auf 5 Tafeln. Elberfeld, 1825. 8.
I\ und 519 S. (3 Thlr. 8 Gr.)
Der Verfasser spricht in der kurzen Vorrede aus, was
sich jedem Unbefangenen bei dem Anblicke eines neuen
Lehrbuches der Geburtshülfe von selbst aufdringen mufs;
nämlich dafs es, bei der Mehrzahl guter Schriften dieser
Art, um die Herausgabe eines solchen zu rechtfertigen,
triftiger Gründe bedürfe. Als solche Gründe aber stellt
er auf das Versprechen, seinen Gegenstand in neuer Ge¬
stalt und mit neuem Gehalt abzuhandeln, und so wä¬
ren dadurch zugleich die Gesichtspunkte gesteckt, welche
bei Beurtheilung dieser Arbeit im Auge behalten werden
müssen. — Gehen wir denn jetzt das, was uns der Ver¬
fasser hier darbietet, jenen Bücksicbten gemäfs aufmerksam
durch, und legen dem Publikum die Ausbeute unserer Be¬
trachtungen unpartheiisch vor!
Es ist hierbei nicht mehr als billig, dafs wir das zuerst
berücksichtigen, was der Verfasser selbst an die Spitze stellt,
II. Lehre der Geburtshülfe.
407
nämlich die neue Gestalt dieses Lehrbuches. — Wer
schon mehrere Schriften des Verfassers kennt, dem wird
auch das Eigentümliche der Schreibart, die ihm nach und
nach zur andern Natur geworden zu sein scheint, hinläng¬
lich bekannt sein , und er wird es uns auf unser Wort
glauben, dafs auch vorliegendes Lehrbuch von allen übrigen
ähnlichen Lehrbüchern anderer Verfasser, der Form des
Ausdrucks nach, ziemlich abweichend, und somit neu sein
müsse. Dessenungeachtet steht nicht wohl zu glauben, dafs
der Verf. gerade diese Neuheit im Sinne gehabt habe,
wenn er von neuer Gestalt spricht; wir jedoch dürfen nichts
destoweniger nicht unterlassen, diese Saite mit ein paar
W orten näher zu berühren. —
Die Sprache eines Volkes nämlich ist ein grofses Gan¬
ze, von jedem, der sich in derselben der Menschheit mit¬
theilen will, wohl in Ehren zu halten; ein Ganzes, mit
dem er nicht wilikührlich schalten darf, sondern welches er
lernen mufs mit möglichster Klarheit und Einfachheit stets
seinem Zwecke angemessen zu gebrauchen. Ein Schriftstel¬
ler daher, der ganz wider die Ordnung der Sprache und
ohne Gewinn für die Klarheit der Sachen willkiihrliche Ver¬
setzungen und Wortbildungen sich erlaubt, macht auf uns
ungefähr den Eindruck, den ein Mensch machen würde, wel¬
chen wir in gute Gesellschaft mit einem aus Sucht zum Son¬
derbaren umgewendet angezogenen Rocke eintreten sähen. —
Hr. Stein ist nun auf solche Untugenden seiner Schreib¬
art schon von mehreren Seiten aufmerksam gemacht wor¬
den; jedoch wie es scheint, ganz vergebens. Auch unsere
Warnungsstimme wird er wahrscheinlich unberücksichtigt
lassen; doch sicher mit Unrecht, da jeder aus unklarer und
unlogischer Schreibweise auf unlogische und unklare Denk¬
weise zu schliefsen, geneigt ist, wir aber eine klare Mit¬
theilung einem jeden, insbesondere jedoch einem sonst
kenntnifsvollen und mit Liebe und Ausdauer sein l ach ver¬
folgendem Manne, wie der Verf. ist, wohl gönnen mö~
geu. — Beweise für das, was wir über den Ausdruck des
408
II. Lch re der Geburtslnilfe.
Verf. bemerkt haben, liefsen sich fast von jeder Seile des
Buchs entnehmen. Eine kleine Probe möge die Definition
der Geburtshülfe geben, welche solchergestalt Seite 1. aus-
gedrückt ist:
« Geburtshülfe ist das zu einem Ganzen vereinte Wi$-
4( sen von Geburt jeder Art, von dem, was solcher (der
«Art, oder der Geburt oder Geburtshülfe?) für den ge-
« meinsamen Zweck der Medicin von der Kunst (von wel-
«cher?) nüthig ist und von der Art, dasselbe zu erlangen,
«wie sodann die Anwendung davon (wovon?) und also
«mehr und weniger Erlangung dessen, was solchermafsen
«nüthig wäre, selbst.” (!)
, Ob durch diese Definition der Form und dein Gehalte
nach, im Vergleich zu andern ähnlichen Definitionen etwas
gewonnen sei, bleibt dein Leser zur Beurtheilung überlas¬
sen. — Oder nehmen wir §. 5., wo es heilst: « Vorzüg-
« liehe Zweckbarkeit der Geburtshülfe gründet sich auf
« grofsen Antheil allgemeinkürperlither Eigenschaft der Ge-
« burtstheile , wie der Frucht und der Geburt und ihrer
« Verschiedenheit. »
Oder schlagen wir w eiter hinten auf und lesen §. 452:
«Es, solches Maafs, ist, allerdings, je nach Leben oder
«Tod des Kindes, ja, je nach nur erst verloren gehendem,
«ja nach so eben verloren gegangenem (!) Leben, so wie
« längst eingetreten gewesenem (!!) Tode selbst wieder ver¬
te schieden und im letztem P alle kaum irgend bestimmbar.» —
Immer finden w ir dieselbe "\ errenktheit der Sprache,
welche namentlich in einem Buche, das zum I nterrichte
bestimmt ist, den strengsten Tadel verdient. -Ja selbst darin,
dafs der Verf. sein Buch solemniter gewidmet hat: den
hochherzigen Zwecken der preufsischen Re¬
gierung, liegt etwas Geschraubtes und Affectirtes, wie cs
sich nie ein an Klarheit und Einfachheit des Ausdruckes ge¬
wöhnter Mann erlaubt haben würde. Und nun genug von
dieser Art von Neuheit der Gestalt.
Wir w’cnden uns nun zu dem Uebrigen, wodurch die
II. Lehre der Geburts hülfe. 409
Eigentümlichkeit dieses Buches, der Form nach, bezeich¬
net wird. Wir rechnen hierher zuerst die von dem Yerf.
durchgängig beibehaltene Verbindung in der Abhandlung
des gesunden und kranken Zustandes. Es zerfällt nämlich
dieser erste Band, aufser der Einleitung, in zwei Theile;
der erste betrachtet das Becken, die Gebärmutter, die
Mutterscheide, die äufsern Geburtstheile und die Theile der
i rucht , und zwar immer in ihrem gesunden sowohl als
krankhaften Zustande; der zweite Theil hingegen enthält
die eigentliche Geburtslehre, und zwar eben sowohl die
Lehre von der natürlichen als widernatürlichen Geburt.
Nun wissen wir zwar wohl, dafs bereits mehrere ältere
Schriftsteller eine solche Verbindung des physiologischen
und pathologischen beliebt haben; dessenungeachtet mufs es
uns, nachdem andere das Unzweckmäfsige dieser Verbin¬
dung dargestellt haben, überraschen, diese Verbindung in
dem neuesten Lehrbuche wieder vorgezogen zu sehen. In
Wahrheit gehört doch nur geringe Ueberlegung dazu, um
einzusehen, dafj es für den Lernenden durchaus unzweck-
mäfsig sei, von den Regelwidrigkeiten des Beckens und dem
nachtheiligen Einflüsse derselben auf die Geburt zu han¬
deln, bevor von dem Verlaufe der Geburt und deren be¬
sonderen Erscheinungen überhaupt ein deutlicher Begriff
gegeben worden ist, und ebendasselbe gilt von der Be¬
trachtung der Bildungsabweichungen im Uterus, in der
Vagina u. s. w. Eben so wenig können wir es für zweck-
mäfsig halten, wenn der Verf. die Lehre von der geburts-
h üblichen Untersuchung erst auf den zweiten Band ver¬
weist; und beobachtet er dieselbe Ordnung in seinen Vor¬
lesungen, so scheint es uns sehr schlimm für die Zuhörer,
wenn sie alle für die Geburt wichtigen Theile sich bekannt
machen sollen, ohne noch zu wissen, wie sie einen einzi¬
gen dieser Theile seinen Eigenschaften nach in der Natur
erkennen sollen.
Ein anderer Punkt, wodurch die Bearbeitung des Verf.
sich ebenfalls von der in andern ähnlichen Schriften üblichen
410
II. Lehre der Geburtsliülfe.
unterscheidet, zeigt sich in Uebcrgehung und Auslassung
gewisser Gegenstände, welche sonst immer in Lehrbüchern
der Geburtshiilfe abgehandelt zu werden pflegen, nicht al¬
lein nämlich dafs er (wie nicht mehr als billig) die anato¬
mische Beschreibung des Beckens und der Geschlechtstheile
übergeht, sondern er unterläfst auch von dem Baue des
groCsen Beckens in geburtshilflicher Hinsicht, von der Em-
pfängnifs, den» Zustande und der Thätigkeit der Gebärmut¬
ter im nicht schwängern Körper, so wie von der Entwickc-
lung der Frucht, das Nähere beizubringen. Könnte man
nun auch die letztem Auslassungen mit der Gonsequenz
entschuldigen , da der Verf. eine reine Gcburtslehre zu
geben beabsichtigte, so finden wir doch die erstcre Auslas¬
sung um so weniger zweckmäfsig, als gewifs der Einflufs
des grofsen Beckens auf richtige Einstellung des Kindes
oder fehlerhafte Lagen desselben keinesweges unbedeutend
ist. Uebrigens ist es auch im Ganzen gewils sehr zweck¬
mäfsig, wenn in einem geburtshilflichen Lehrbuche und den
geburtshülflichen Vorlesungen die allmähliche Entwickelung
des Kindes in ihren verschiedenen Stadien näher erläutert
wird; denn gewöhnlich prägt sich erst hier der Lernende
die für den Geburtshelfer so wuchtige Kenntnifs der ver¬
schiedenen Beschaffenheit der Frucht in den einzelnen Mo¬
naten der Schwangerschaft hinlänglich ein.
Es liegt uns nun jetzt noch ob, die vorliegende Schrift
in sachlicher Beziehung durchzugehen, um den Leser
cinigermafsen davon Rechenschaft, zu geben, was er in Rück¬
sicht des neuen Gehaltes von dem Verf. namentlich zu er¬
warten habe. Wir erkennen hierbei zuerst mit gebühren¬
der Achtung an, dafs, man möge nun einen Abschnitt des
Buches aufschlagen welchen man wolle, überall eine durch
Erfahrung geschärfte und Litteratur unterstützte Kenntnifs
des abgehandelten Gegenstandes sichtbar werde; dessenun¬
geachtet aber wird man nach einem freiem genialen Ueber-
blick der Sache, welcher, indem er sich losmacht von den
Fesseln der Schule, die wahre Kenntnifs der Natur wesent-
II. Lehre der Gebnrtshülfe.
411
lieh fordert, indem er zur vielseitigsten Betrachtung Anre¬
gung giebt, vergebens suchen, und Avir müssen gestehen,
dafs wir in dieser Hinsicht vorliegendes Werk weder dem
von Wigand, noch dem von Burns oder der Lacha-
pelle an die Seite setzen können. Dagegen fühlt man
sich fast überall von einer gewissen pedantischen Steifigkeit
in Theilung und Betrachtung der Sachen unangenehm affi-
cirt, und da nun eben der Styl des Yerf. sich, wie oben
besprochen , so wenig zur einfachen Klarheit eines eigent¬
lichen Lehrbuches eignet, so würde man es gewifs Herrn
Stein mehr Dank gewufst haben, wenn er die Resultate
eigener Erfahrungen und Untersuchungen für sieh darge¬
stellt und sie nicht mit so vielen längst bekannten zusam¬
men wieder in die Form eines Lehrbuchs geprefst hätte.
YV as zuerst die Lehre vom Becken betrifft , so finden
wir hinsichtlich der Schilderung der Bildung des Normal¬
beckens hier nur eben wieder im Wesentlichen das allge¬
mein Angenommene und Bekannte, mit Ausnahme dessen,
dafs es dem Yerf. nicht beliebt, auf die Annahme einer
Führungslinie und die Feststellung der Neigung des Beckens
ein besonderes Gewicht zu legen, und dafs er die letztere
wieder mit Levret 30 bis 35 Grad schätzt. Mehr Eigen-
thümliches bietet die Lehre von dem widernatürlichen Baue
des Beckens dar. Der Yerf. unterscheidet bei den regel¬
widrigen Becken nämlich zwei Hauptarten : 1 ) die Abwei¬
chung von dem natürlichen Becken, rücksichtlich seines
Maafses; 2) die Abweichung, hinsichtlich der Art seiner
Bildung oder der Form.
Die erste Art zerfällt theils in das zu grofse, theils in
das zu kleine Becken; die zweite enthält die sehr verschie¬
denen Arten des mifsgestalteten Beckens, welches nament¬
lich durch llhachitis, Osteomalacie , Exostosen und Osteo-
steatome, so wie durch Frakturen bedingt wird. Die ein¬
zelnen Schilderungen der verschiedenen Arten des mifsge¬
stalteten Beckens enthalten manche nicht uninteressante Be¬
merkung, wie z. B. das, was über den leichten Yerlauf des
412
II. Lehre der Gcburtshiilfe.
i. I
Wochenbettes hei Rh ach i tischen gesagt worden ist, gcwifs
die meisten Geburtshelfer bestätigt finden werden. Auch
sind die angehängten vorzüglich gut gezeichneten Kupfer¬
tafeln, wo namentlich der Unterschied des durch Rhachitis
und des durch Osteomalacie verbildeten Reckens lehrreich
dargestellt ist, eine dankenswerthe Zugabe zu diesem Ab¬
schnitte.
Der zweite Abschnitt schildert zuerst die Veränderung
der Gebärmutter in der Schwangerschaft, wobei jedoch die
hinfälligen Häute (obwohl mit Unrecht) unbeachtet blei¬
ben, sondern erst bei den Kindeshäuten in Retrachtung
kommen. Es folgt sodann die Retrachtung der Gebärmut¬
ter und ihre Thätigkeit während der Geburt sowohl, als
unmittelbar nach derselben, und es werden dabei zugleich
auch die sämmtlichen sonst unter dem Namen der regelwi¬
drigen Wehen zusammengefafsten Erscheinungen, meistens
mit grofser Ausführlichkeit, abgehandelt. — Abstrahiren
wir jedoch von einigen ungewöhnlichen Ausdrücken und
Redensarten, so finden wir auch hier wenig Neues, und es
ist nicht zu leugnen, dafs hierüber die Beobachtungen von
Wigand in vieler Beziehung reichhaltiger und mit mehr
Talent für unbefangene Naturbeobachtung aufgestellt sind.
ln dein dritten Kapitel dieses zweiten Abschnittes wer¬
den die organischen Abweichungen der Gebärmutter in Be¬
ziehung auf Schwangerschaft und Geburt erörtert, und ob¬
wohl auch hierbei manche nicht uninteressante Bemerkung
vorkommt, wohin die Anführung eines vom Verf. beobach¬
teten und demnächst ausführlicher zu beschreibenden Falles
gehört, in welchem der Uterus während der Schwanger¬
schaft gerissen, dann aber Heilung erfolgt und die Frau
abermals wieder schwanger geworden war, so müssen wir
</och auch hier bemerken , dafs der Verf. mehr für Männer
geschrieben zu haben scheint, denen das Fach vollkommen
bekannt ist, als für solche, welche es erst zu erlernen be¬
absichtigen , da es für die letztem einer noch weit bestimm¬
tem Angabe der Diagnose ganz gewifs bedurft hätte.
II. Lehre <Jer Gebnrtshlilfe. 413
In dem dritten Abschnitte ist der Zustand der Mutter¬
scheide unter der Geburt, und zwar sowohl der krankhaf¬
ten als gesunden, ausführlicher beschrieben, jedoch so, dafs
wir abermals namentlich hinsichtlich der Diagnosen uns
gröfstentheils nicht ganz befriedigt finden können.
Der vierte Abschnitt endlich enthält zweckmäfsige Er¬
läuterungen über den gesunden und krankhaften Zustand
bei und nach der Geburt, und es werden hiermit die Be¬
trachtungen der im mütterlichen Körper bedingten Momente
der Geburt überhaupt beschlossen. Man sieht hieraus, dafs
auf die Erörterung des verschiedenen auf Geburt so höchst
einflulsreichen Gesammtbaues des weiblichen Kör¬
pers, so wie auf die verschiedenen Constitutionen und
Temperamente, der Verf. gar keine besondere Rücksicht
genommen hat, so viel auch gerade in dieser Hinsicht noch
den meisten geburtshülflichen Compendien beizufügen ge¬
wesen wäre.
Die zweite Abtheilung von den Fruchttheilen , beginnt
mit der Betrachtung der Häute und des Wassers. Auch
hier ist jede Erörterung über die Beschaffenheit und Ent¬
stehung der Häute, worüber namentlich bei der hinfälligen
Haut so manches zu sagen gewesen wäre, gänzlich vermie¬
den. Es wird nirgends gesagt, was diese Häute sind, woran
man ihre verschiedene Beschaffenheit erkennt u. s. w., son¬
dern wieder, als ob der Verf. blofs für ausgebildete Gynä¬
kologen schriebe, werden nur einzelne Winke über den
Rinflufs dieser rheile und ihrer möglichen regelwidrigen
Verhältnisse auf den Geburtsverlauf gegeben; Winke, mit '
denen der Anfänger nichts zu machen weifs; der ausge¬
bildete Arzt aber sucht bekanntlich die Vermehrung seiner
Kenntnisse nicht leicht aus Compendien zu schöpfen. Wie
es übrigens möglich ist, dafs der Verf. das Stellen einer
VY asserblase nach zerrissenem Chorion blofs durch das Am¬
nion nicht öfterer bemerkt hat, so dafs er sogar an der
Möglichkeit dieses Vorgangs zweifelt, vermögen wir uns
kaum zu erklären.
414
II. Lehre der Gehurtshülfe.
Der zweite Abschnitt betrachtet die Beschaffenheit des
Kindes selbst. Zuerst wird der Bau des Kindeskopfs, seine
verschiedenen Durchmesser, die Verschiebbarkeit der Kopf-
knoehen und das Maafs derselben durchgegangen, darüber
nur wenig Neues gesagt, und dann zur Betrachtung des
übrigen Kinderkörpers und der verschiedenen Kindeslagen,
endlich aber zu der regelwidrigen Bildung des Kindes über—
gegangen. In letzterer Beziehung hätte der Verf. , wenn
er auch noch so oberflächlich von den verschiedenen Mon¬
strositäten handeln wollte, doch den Einflufs derselben auf
mögliches Fortleben des Kindes, so wie die Art und W eise
der Frkenntnifs dieser Mifsbildungen schärfer hervorheben
sollen.
Der dritte Abschnitt, von dem Nabelstrange, so wie
der vierte, über den Mutterkuchen, enthalten ebenfalls hin
und wieder einige nicht uninteressante Bemerkungen, und
zwar namentlich über die verschiedenen Arten der Placen-
tenbildung und ihrer Abnormitäten; jedoch ist auch hier im
Ganzen die Anordnung, nicht so, wie sie den eigentlichen
Lehrvortragen angemessen sein miifste.
W ir kommen nun zum zweiten Theile der Geburts¬
lehre, welcher auch vom Verf. die Geburtslehre im engern
Sinn genannt wird. Im ersten Kapitel, wo von den Er¬
scheinungen der Geburt im allgemeinen und ihrer Einthei-
lung gehandelt wird, behält der Verf. die gewöhnlichen
fünf Perioden bei, und trotz der abermals sehr wunder¬
lichen Wortstellungen, stöfst man doch im Grunde auch
hier auf das längst Bekannte.
Das zweite Kapitel liefert die Betrachtung der Kopf¬
geburten. Der Verf. bleibt hier der frühem Annahme ge¬
treu, zufolge welcher die sogenannte erste und zweite Hin¬
terhauptslage als die gewöhnlichsten angesehen werden, ob¬
wohl er auch die Möglichkeit des Vorkommens von Ueber-
gängen derjenigen Lagen, wo anfänglich die Stirn nach
vorwärts gerichtet ist, in solche, wo das Hinterhaupt sich
nach vorn wendet, anerkennt. Eine einfache und scharfe
II. Lehre der Geburtshülfe. 4 15
Sonderung der verschiedenen Kopflagen, nebst den Zeichen
ihrer Erkenntnifs, wie sie dem Anfänger so höchst nöthig,
wird man jedoch auch hier vergebens suchen.
Im dritten Kapitel kommt er zur Eintheilung der Ge¬
burten, in natürliche und widernatürliche, und spricht noch
insbesondere von der Bestimmung des natürlichen Geburts¬
geschäfts; sodann ist im vierten Kapitel von der langsamen
Geburt, im fünften von der schnellen, im sechsten von der
schweren, im siebenten von der sehr leichten oder allzu¬
leichten, und im achten von der an sich gefährlichen Ge¬
burt die Rede. Alle diese Kapitel geben wohl davon ge¬
nügsames Zeugnifs, dafs der Yerf. diese sämmtlichen ver¬
schiedenen Geburtsweisen häufig und ausführlich zu beob¬
achten Gelegenheit hatte, und wir können nicht umhin,
diese Kapitel den schon gebildeten Geburtshelfern, als mit
die lehrreichsten in diesem ganzen Bande, zu empfehlen.
Im Einzelnen freilich müssen wir auch hier wieder den
Mangel logischer Klarheit tadelnd bemerken, so wie denn
schon diese Art der Eintheilung der regelwidrigen Gebur¬
ten eben so vieles wider sich hat, als wollte man etwa die
verschiedenen Krankheiten eintheilen in leichte, schwere
und an sich gefährliche. Der Verlauf der Geburt ist ein
sehr zusammengesetztes Ganze, welches man immer in
seiner möglichen Verschiedenheit dadurch dem Anfänger
am deutlichsten machen wird, dafs man es in seine Ele¬
mente zerlegt, die verschiedenen Ursachen, welche diesen
oder jenen Verlauf bezeichnen, bestimmter hervorhebt und
erkennen lehrt, und dann erst dem schon weiter gekom¬
menen Schüler das Zusammenwirken verschiedener Ursachen
zu Einem bestimmten Geburtsverlauf gleichsam beispiels¬
weise vorlegt; denn wie wenig z. B. im blofsen Begriff
einer schweren Geburt für die Behandlung gewonnen
werde, geht schon daraus hervor, dafs dieselbe eben so gut
z. B. aus regelwidriger Thätigkeit des Uterus, aus Schief¬
stand und Verhärtung des Muttermundes, aus Gröfse oder
fehlerhafter Richtung des Kindes, als aus verengertem Becken
416
II. Lehre der Gcburtslnilfc.
hervorgehen kann. Was übrigens die an sich gefährlichen
Geburten betrifft, so fafst unter diesem Namen der Vcrf.
insbesondere die mit Blutungen, Vorfällen des Nabelstran¬
ges, Zuckungen und Zerreifsungen verbundenen, zusammen.
Sollten wir daher, nachdem wir somit einen Ueber-
blick dieses ganzen Bandes gegeben haben, unsere Meinung
über das Verdienst des Verf. in ein endliches Urtheil zu¬
sammen fasseu, so würde dieses etwa dergestalt auszudrücken
sein, dafs wir sagten: der \erf. habe in dieser Arbeit die
mannigfaltigsten Beweise von ausführlicher Kenntnifs seines
Gegenstandes an den Tag gelegt, im Ganzen jedoch dasje¬
nige Publikum, dem ein Lehrbuch dieser Art ursprünglich
bestimmt ist, zu wenig im Auge behalten, dabei die so
hauptsächlich wichtige Lehre von der Erkenntnifs der ver¬
schiedenen gesunden und krankhaften Zustände nicht genug¬
sam hervorgehoben, und sich im Allgemeinen durch unklare,
affectirtc und gezwungene Darstellungsweise wesentlich ge-«
schadet; so dafs wir nochmals aufrichtig wünschen müssen,
er möge uns künftig die Früchte seiner Erfahrung lieber
in gediegenen einzelnen Abhandlungen irgend einer Zeit¬
schrift darbieten, wofür wir ihm gewifs immer den gebüh¬
renden Dank zollen werden, anstatt sie auf diese Weise
in die Compendienform zusammenzudrängen, durch welche
Mühwaltung er die Wissenschaft und seinen Ruhm wenig
fördern wird.
Car us.
Lilterarische Annalen
der
gesummten 1 leilkunde.
1825.
N° 59.
III.
Theoretisch -praktisches Lehrbuch der Ge-
hurts hülfe für angehende Geburtshelfer. Von
Johann Philipp Horn, Dr. der Chirurgie und
Geburtshiilfe, ordentl. öffentl. Professor der theo¬
retischen Geburtshülfe an der K. K. Universität
zu Wien. Zweite, ganz umgearbeitete, verbes¬
serte und vermehrte Auflage. Wien, 1825. 8.
Druck und Verlag von J. B. Wallishausser. XVIII
und 439 S. (2 Thlr. 12 Gr.)
Die erste, 1814 erschienene Auflage dieses Lehrbuches war
zugleich für Hebammen bestimmt, da in den K. K. öster¬
reichischen Staaten, und namentlich in Wien, der Unter¬
richt für Geburtshelfer und Hebammen bis jetzt noch ge¬
meinschaftlich ist, und nur die Lehre von den Instrumen¬
ten den ersteren am Ende des Semesters besonders vorge¬
tragen wird. Es ist nicht zu begreifen, wie eine solche
Einrichtung noch bis auf den heutigen Tag fortbestehen
kann, die nicht nur höchst unschicklich ist, sondern auch
dem Lehrer sein Amt sehr erschweren mufs, indem es, für
denselben höchst schwierig ist, seinen Vortrag für Zuhörer
zweckmäfsig einzurichten, die hinsichtlich ihrer Bildung
so weit von einander verschieden sind. Der Verf., der
das Unangenehme derselben wohl fühlt, sieht die an ihn
zur Abfassung eines besondern Lehrbuchs für Geburtshelfer
ergangene Aufforderung als eine günstige Vorbedeutung an.
Die Anordnung des vorliegenden Werkes ist dieselbe,
wie die des kürzlich erschienenen Lehrbuches für Heb-
27
II, Bd. I. S<
418
III. Lehrbuch der Geburtshiilfe.
ammeu 1 ). Das Ganze zerfällt In dreizehn Abschnitte, von
denen die ersten zwölf hinsichtlich der Aufstellung der ein¬
zelnen Kapitel und des Inhalts mit dein I lebanmienlehrbuch
eine vollkommene liebereinstimmting zeigen. Nur das fünfte
Kapitel des zehnten Abschnitts, welches die in neueren Zei¬
ten von NVigand angegebenen , aufserlichen Handgriffe und
die \ er’änderung der Lage Behufs einer AN endting auf den
Kopf oder Steifs, und die Regeln zu der von Osiander
von neuem empfohlenen AVendung auf den Kopf enthält,
ist ein Zusatz zu dieser Auflage. Bef. kann daher seine
Anzeige nur auf den dreizehnten Ahschnrtt, welcher als
Beschlufs die lnstrumcntaloperationen zum Gegenstände hat,
beschränken.
Hinsichtlich der lndicationen zur Anlegung der Zange,
würde eine speciellere Aufführung der verschiedenen Lagen
des Kopfes, welche die Anwendung dieses Instruments er¬
forderlich machen, und eine nähere Angabe des Verfahrens
hei Schieflagen des Kopfes nicht überflüssig gewesen sein.
AN as die Anwendung des Hebels betrifft, so hat der
Yerf. mehrere Fälle für den Gebrauch dieses Instruments
bestimmt, für welche dieses AN erkzeug wohl ganz entbehr¬
lich und selbst schädlich sein möchte; und dagegen diejeni¬
gen Zustände gar nicht erwähnt, für welche diese Art von
Hülfe passend sein möchte. AN ill man diesem Instrumente
überhaupt noch eine besondere Aufmerksamkeit in dem Appa¬
rate der Geburtshülfe schenken; so möchten wohl nur Schief¬
lagen des Kopfes, Gesichtslagen und das Aufliegen des Ko¬
pfes auf das Os ileum Anzeigen hierzu abgeben, wenn man
nicht im Stande sein sollte, durch eine zweckmäfsige Lage¬
rung der K reifsenden diese zweckwidrige Stellung zur Ge¬
burt zu beseitigen. Der 1 1 r. A erf. stellt dagegen folgende
lndicationen zur Anwendung dieses Instruments auf;
1) Das A orgefallensein der Nabelschnur neben dem
schon tief in die Beckenhöhle vorgerückten Kopf. Hier
I ) Wrgl. No. 37. S. 79 dieser Annalen.
III. Lehrbuch der Geburtshülfc.
419
soll durch das Einführen des Zangenblattes an der Seite,
wo die Nabelschnur vorgefallen ist, ein noch größerer Druck
und somit auch gröfsere Gefahr für das Leben des Kindes
herbeigeführt werden. Hiergegen läfst sich aber erinnern,
daß jede Hülfe, die man mit dem Hebel bringen will, häufig
mißglückt und mit Zeitverlust verbunden ist. Bei der Ent¬
wickelung des Kopfes unter solchen Umständen kommt es
aber oft auf wenige Secunden an, und man mufs sich daher
beeilen, in der kürzesten Zeit den Druck auf die Nabel¬
schnur aufzuheben. Ein für den Augenblick noch stärkerer
Druck durch die Zange wird aber bei weitem nicht den
Nachtheil bringen, als wenn man durch ein nutzloses Ver¬
suchen mit dem Hebel die Nabelschnur bei bestehendem
Drucke noch erkalten läßt. Ist ferner der Kopf bedeutend
eingekeilt, so reicht der Hebel nicht hin; und ist noch hin¬
reichend Raum vorhanden, so kann man die Zange, ohne
eine Vermehrung des Druckes auf die Nabelschnur zu be¬
fürchten, anlegen und in weit kürzerer Zeit die Ausschlie¬
ßung des Kopfes bewirken. Uebrigens ist die Masse der
S me lli eschen Zange, welche für diese Fälle häufig paßt,
nicht von der Art, dafs man den vom Verf. angegebenen
Nachtheil zu befürchten hätte. Dieselbe Bemerkung gilt
von der
2ten Indication: Wenn nämlich ein Arm vorgefallen
ist, wo es in der Mehrzahl der Fälle gelingt, denselben
gegen die Symphysis sacro-iliaca einer Seite hinzuschieben
und sich so Platz zu machen.
3) empfiehlt der Verf. den Hebel dann, wenn der
Ausgang des Beckens in seinem queren Durchmesser durch
Einbiegung eines oder beider Sitzbeine in dem Grade ver¬
engt. ist, daß man den, bis dahin vorgerückten Kopf mit
dei an seinen beiden Seiten angelegten Zange so stark com-
pi 111111 en müßte, dais dadurch das Leben des Kindes einer
offenbaren Gefahr ausgesetzt würde. Dieser Fall kommt
wohl äußerst seilen vor; und bei beträchtlicher Einbiegung
der Sitzbeine möchte der Hebel die erwünschte Hülfe nicht
27 *
420
HI. Lehrbuch der Geburtshilfe.
leisten; bei geringerer reicht inan gewifs mit der Zange
aus, deren Löffeln man dann beim Einfuhren, so wie den
Tractionen, eine von dem Querdurchmesser etwas abwei¬
chende Richtung geben kann. Was übrigens den Druck
auf das Gehirn betrifft, so lehrt die Erfahrung täglich, wie
viel das Gehirn eines Kindes zu dieser Zeit ohne allen
Nachtheil vertragen kann.
4) Reim Eingetretensein des Kopfes mit dem geraden
Durchmesser in den queren des Beckens läfst sich , wenn
der Kopf eingekeilt ist, wohl kaum vom Hebel erwarten,
dafs man irn Stande sein wird, den Kopf in den sc biefen
oder geraden Durchmesser der mittleren und unteren Aper¬
tur führen zu können. W eit eher bewirkt man durch das
Einfuhren der Zange eine Annäherung des Kinnes an die
Brust, und somit eine Umwandlung in eine Hinterhaupts-
gebürt, die nur durch eine oft geringe Veränderung der
Richtung hei den Tractionen vollendet wird.
Ganz, entbehrlich ist die Anwendung des stumpfen Ha¬
kens zur Beendigung der Steisgcburt. Wenn die Finger
hierzu nicht ausreichen, so ist die Zange das zweckmäfsigste
"Werkzeug, die, ohne je Nachtheil zu bewirken, an dem
Steife angelegt werden kann. —
Nach dem Kaiserschnitte will der Verf. nur Ileftpllastcr-
streifen zur Vereinigung der Unterleibswunde angewandt
wissen. Schwerlich möchten diese wohl ausreichen, eine
gehörige Annäherung der Wundlefz.en behufs der Adhäsion
zu bewirken und den Vorfall der Eingeweide zu hindern,
der allen denen, welche diese Operation ausübten, so viel
zu schaffen gemacht hat. Recht zweckmäfsig scheint dage¬
gen dem Ref. das \ erfahren Zang’s, der die Faden¬
bändchen schon anlegt, bevor zur Oeffnung des Bauch¬
fells geschritten wird. Nach Vollfuhruug der Operation
zieht man dann die Schlingen vom obern Wundwinkel
aus zusammen, und umgeht so das Hindernifs, welches sich
durch das Hervorfallen der Eingeweide beiin Einfuhren
der Ligaturen in den Weg stellt, wenn inan erst nach Be-
III. Lehrbuch der Geburtshiilfe. 421
endigung der Operation zu dieser Art der Vereinigung
schreiten will.
Der Schoofsfugenschnitt wird vom Verf. sehr in Schutz
genommen. Indem er sich auf einige in Frankreich und
Holland glücklich abgelaufene Falle bezieht, räumt er ihm
sogar den Vorzug vor dem Kaiserschnitte ein. (!) Hat näm¬
lich nach des Verf. Ansicht die Conjugata Zoll, so soll
dieselbe durch das in Folge dieser Operation auf 2 bis 2£ Zoll
möglich werdende Voneinanderweichen der getrennten
Schambeine, in gerader Richtung vom Promontorium aus,
um 2 Linien, in schiefer Richtung von diesem Punkte aus
bis zu den TrenaungsfTächen hin aber um 4 bis 6 Linien
verlängert, und aufserdem durch die Lücke zwischen beiden
Schambeinen noch Raum für das Hinterhaupt zum Durch¬
tritt gestattet werden. Hiergegen läfst sich \ber erinnern,
dals die wenigen bekannt gewordenen glücklichen Fälle gar
noch nicht die Zweckmäfsigkeit der Operation beweisen,
und sehr in den Hintergrund zu stehen kommen würden,
wenn alle unglücklich ausgefallenen nicht verschwiegen,
sondern auch bekannt gemacht worden wären. Uebrigens
ist es auch bekannt, dafs in Frankreich die Synchondroto-
mie zuweilen gemacht worden ist, wo es sich nachträglich
auswies, dafs die vorausgesetzte Verengerung des Reckens
gar nicht statt fand, und jene also auch nicht indicirt war.
Es konnte daher auch die Durchschneidung der Synchon-
drose der Schambeine jene Übeln Folgen nicht haben, die
wirklich vielfacher Erfahrung gemäfs eintraten, wenn we¬
gen eines bedeutenden Mifsverhältnisses zwischen den Durch¬
messern des Kopfes und denen des Beckens eine Voneinan-
derweichung der Schambeine von mehreren Zollen zur Aus-
schliefsung des Kindes erforderlich wird. Man braucht da¬
her gar keine Erfahrung zu haben, um einsehen zu kön¬
nen, dafs, wenn, wie der Verf. berechnet, der Schools¬
fugenschnitt hei 2- Conjugata den Kaiserschnitt nur bei
einem Auseinanderweichen der Schambeine von mehreren
Zollen ersetzen könne, auch zugleich ein Auseinandergehen
III. Lehrbuch der Geburtshülle.
4 Ti
der wahrend der Schwangerschaft so sehr nufgelockerlen
Symphvsis sacro-iliaca erfolgen und somit die gröbste Ge¬
fahr fiir das Lehen der K reifsenden , oder wenigstens docl»
ein für die Folge höchst beklagenswerther Zustand herbei¬
geführt werden mufs. "Wenn der I lr. Vcrf. diese Opera¬
tion nur einmal unter den genannten Umständen, d. h. bei
Zoll Conjugata und bei normalen Durchmessern des
Kopfes, gemacht haben wird, >o wird er wohl hinreichend
belehrt worden sein und die hierüber ausgesprochenen An¬
sichten ändern. In Berlin liefs sich vor einigen Jahren ein
zu seiner Zeit sehr berühmter W undarzt durch die von
Frankreich und Holland her bekannt gewordenen glückli¬
chen Fälle verleiten, die Synchondrotomic zu verrichten,
nicht leicht möchte sie aber wieder vorgenommen werden.
(Das ganze Becken ging plötzlich mit einem krachenden
Geräusch auseinander, das auf die Umstehenden einen wi¬
drigen und unauslöschlichen Eindruck machte.) Alle sieben
Indicalionen die der Verf. , von dem oben angegebenen
Gesichtspunkte ausgehend, für diese Operation aufgestellt
hat, sind daher durchaus zu verwerfen; und die hier auf¬
geführten Falle erheischen entweder die Zange oder ein
anderes Operationsverfahren, je nachdem das Kind lebt
oder todt ist.
Gänzlich vermiCst wird das Kapitel über die künstliche
Frühgeburt ( Accouchement provoejue), durch welche inan
bei grofser Enge des Beckens eine weit gröfsere bevorste¬
hende Gefahr und wohl gar ein blutiges Eingreifen ent¬
behrlich machen kann. Eben so w'iirden einige Kegeln
über das Verfahren, die zu üppige Ausbildung des Fötus
zu beschränken, wenn .wegen Enge des Beckens und an¬
derer Abnormitäten eine schwere Entbindung bevorsteht,
für den jungen Geburtshelfer recht zweckmäfsig gewesen
sein. —
R — r.
423
IV'. Unterstützung des Mittelfleischcs.
• V V
. • IV ■
Ist cs schädlich, das Mittelfleisch 1) e i der
Gehurt zu unterstützen? Nach mehrfacher
Prüfung am Gebärbette beantwortet von A. E.
v. Sieb old. Aus dessen Journale für Geburts¬
hülfe, Frauenzimmer- und Kinderkrankheiten ab¬
gedruckt. Frankfurt a. M. , bei Fr. Varren trapp.
1825. 8. 44 S. (6 Gr.)
Es konnte wohl mit Recht erwartet werden, dafs die,
allen bisherigen Erfahrungen widerstreitende Meinung des
Hrn. Prof. Mende (Beobachtungen und Bemerkungen aus
der Geburtshülfe und gerichtlichen Medicin, erstes Bänd¬
chen, Göttingen 1824, S. 27 — 52.), nach der eine jede
Unterstützung des Mittelfleisches für entbehrlich und selbst
gefahrvoll gehalten wird, nicht überall Beifall finden würde.
Hr. Geh. R. v. Siebold tritt in der vorliegenden Schrift
als ihr eifriger Widersacher auf, und hält sich für ver¬
pflichtet, die Resultate seiner vieljährigen Erfahrung und
jetzigen Versuche öffentlich mitzutheilen; der gröfste Theil
seiner Kunstgenossen wird es ihm gewifs Dank wissen, dafs
er durch frühzeitige Aufstellung der Gegengründe jener
Meinung jeder Versuchung ihr Beifall zu geben, zuvorzu¬
kommen suchte.
Nach Voranschickung einiger allgemeinen Bemerkungen
über die Unterstützungsweise des Mittelfleisches in früheren
Zeiten, geht der Verf. zur Angabe seines Verfahrens über,
um ein Mifsverstandnifs von Seiten des verstorbenen Wi¬
gand über diesen Punkt zu heben; und führt nun die
Gründe an, wodurch Mende die Unterlassung einer jeden
Unserstützung zu rechtfertigen glaubt.
Auf den Ausspruch Wigand’s sich berufend, der
nachgewiesen habe, dafs der Kopf hinsichtlich seiner Durch¬
messer bei der Ausschliefsung hinreichend verkleinert und
424 IV. Unterstützung des Mittelflcischcs.
denen des Beckens ganz angemessen gestellt werde, wenn
man während der Entbindung eines mit einer normalen
Kopflage zur Geburt sich stellenden Kindes durchaus keine
Unterstützung anwende, und dafs jeder Druck auf das Mit¬
telfleisch während dieses Actes nur dieses Bestreben der
Natur verhindere, indem die Lage und Richtung der dabei
interessirten Theilc verändert und somit der Austritt er¬
schwert werde, bemerkt Mende: dafs die Natur noch an¬
dere Hülfsmittcl zur Verhütung der Dammrisse habe, die
von Wigand keinesweges berücksichtigt seien, und dafs
hei gehöriger Würdigung dieser selbst das Verfahren
Wigand’s, wodurch die Absicht der Natur unterstützt
werden solle, noch ein unzweckmäfsiges genannt werden
müsse.
Das erste dieser Iliilfsmittel, worauf M. ein grofses
Gewicht legt, soll die Contractilität der Scheide, der gro-
fsen und kleinen Schamlippen, so wie des Dammes sein.
Durch die Wirkung dieser Theile allein soll das Zurück-
treten des Kopfes beim Nachlasse der Wehen bewirkt, und
dem Kopfe so allmählig die vorteilhafteste Stellung zum
Heraustreten gegeben werden (worauf v. Sieb old schon
in der vierten Auflage seines Lehrbuchs §. 376. aufmerk¬
sam gemacht hat).
Das zweite besteht in der starken Ausdehnbarkeit der
grofsen und der kleinen Schamlippen, wodurch die vorher
längliche und schmale Schamspalte in eine fast runde OefT-
nung verwandelt wird.
Als drittes Iliilfsmittel betrachtet der Verf. die nach
so geschehener Vorbereitung der Theilc eintretende Zurück¬
ziehung der Schamlippen und des Mittelfleisches über den
noch zum fheil eingeschlossenen Kopf, wodurch dieser von
seinen umgebenden 1 heilen gänzlich befreit wird, wie der
Muttermund es beim Durchtritt des Kopfes durch dieselben
thun soll.
Ein viertes Iliilfsmittel bietet der Kopf durch seine
eigentümliche Bewegung mit dem Hinterhaupte nach oben,
IV. Unterstützung; des Mittelfleisches. 425
sobald dieses unter dem Schanibogen hervortritt, dar. Diese
in Absätzen geschehende Bewegung, wobei die Stirn und
das Gesicht zugleich von dem Mittelfleische entfernt wer¬
den, soll durch die hintere Wand der Scheide und haupt¬
sächlich durch den Scheidenspanner und das Mittelfleisch
bewirkt werden.
Diese Selbsthülfe der Natur im Auge behaltend, wi¬
derlegt M. das V erfahren Wigand ’s, welches die Beför¬
derung der Turgescenz der Schamlippen und des Mittel-
fleisches bezweckt, wenn diese kalt, trocken und zusammen¬
geschrumpft sind, der Kreifsenden die Lage auf der linken
Seite empfiehlt, wenn der Druck des Kindes zu direct auf
den sehr gedrängten Damm einwirkt und ihn in einer an¬
haltenden Spannung erhält, und zuläfst, dafs man beim
Durchschneiden des Kindes einen sanften Druck anbringt,
um die von der grofsen Spannung herrührenden Schmer¬
zen zu lindern. Anstatt dessen will M. bei grofser Schlaff¬
heit des ganzen Körpers und Trägheit der Verrichtungen
durch eine mehr nährende und reizende Diät, angemessene
körperliche Bewegung und durch warme, gewürzhafte Bä¬
der schon längere Zeit vor dem Beginnen der Geburt auf
den ganzen Organismus und somit auch auf die Geburts¬
wege einwirken, und bei grofser Trockenheit, Spannung
und Straffheit durch eine anfeuchtende (?) Diät, durch
Buhe und erweichende Bäder erschlaffen. Eine jede ört¬
liche, nur auf die Geburtstheile gerichtete Behandlungs¬
weise will er nur dann gelten lassen, wenn der Damm in
Folge einer früheren Geburt eingerissen gewesen, und bei
der Heilung eine feste, wenig nachgebende Narbe entstan¬
den ist, in welchem Falle dann die erweichende Behand¬
lung schon längere Zeit vor der Geburt vorgenommen wer¬
den soll. Sehr häufig sei indessen auch dieses Verfahren
nicht erforderlich, indem die Narben oft weich genug seien
und kein Hindernifs in den Weg legen, wie ihn ein Fall
hei einer jungen Frau belehrt habe, bei der Mastdarm,
Scheide und Damm in der ersten Geburt gerissen und
426 IV. Unterstützung des Mittclflcischcs.
dessenungeachtet die zweite Geburt sehr leicht erfolgt sei,
obgleich das Kiird ein vollkommen ansgetragenes und sehr
starkes gewesen.
Eine jede Unterstützung des Dammes, selbst die lei¬
seste Berührung desselben, welche Wigand gestattet,
schadet noch M. in sofern als der Damm früher zum Zu-
rückziehen gereizt wird, ehe noch das Hinterhaupt über
die Schambeine in die Höhe gehoben werden kann, wo je¬
ner Theil gerade in die gröbste Gefahr gerät h. Auch seien
Hebammen und angehende Geburtshelfer nur selten dahin
b ' ' .
zu bringen, gerade nur das zu tliun, was, wenn es keinen
Nutzen bringt, doch wenigstens nicht schadet, und es
werde durch eine falsche Application der Hand die Zurück¬
ziehung des Dammes und der äufsern Geschlechtstheile über
den Kopf, so w ie die Stellung dieses zu jenen nur gestört,
und wenn der Druck auch nur ein sehr gelinder sei, die
dabei biilfreiche Thätigkeit nur normwidrig angereizt. Statt
einer jeden Unterstützung der Natur auf diese Art em¬
pfiehlt M. eine angemessene Rückenlage, je nachdem die
Inclination des Beckens und der Geburtstheile es erfordert,
und eine geringere oder stärkere Erhöhung des Kreuzes
und des Hintern nebst Annäherung der Schenkel. Auch
bei der Zangenoperation soll die Unterstützung des Dam¬
mes schaden, die Zange nach gehöriger Entwickelung
des Kopfes weggelegt, und die völlige Austreibung der Na¬
tur allein überlassen werden. Desgleichen werde bei Fuls-
geburten und nach der endung das Hinterhaupt von
selbst unter dem Schambogcn in die Höhe gedrückt, damit
das Gesiebt ohne zu heftige Spannung des Dammes über
diesem sich entwickeln könne, welches man hei der künst¬
lichen Entwickelung nachzuahmen suchen müsse. — Am
Ende der genannten Abhandlung berichtet M. noch, dafs
unter *5 Geburten, unter denen 40 bei Erstgebärenden,
und von denen drei durch die Wendung und acht durch
Anlegung der Zange beendigt wurden, der Damm nur bei
dreien eingerissen sei, und zwar zweimal nach dem Ge-
IV. Unterstützung des Mittelfleisclies. 4!27
brauch der Zange von Osiander, und einmal nach der
Wendung.
Hierauf bemerkt nun v. Sieh old, dafs obgleich er es
nebst Roer und Jörg schon früher öffentlich ausgespro¬
chen habe, dals die Scheide beim Gebärungsacte mitwirke,
er doch bis jetzt noch keinesweges von einer eigenen Ge-
burtsthätigkeit der grofsen Schamlippen überzeugt worden
sei. l)afs die ,Scheide und die Schamspalte die Geburt ver¬
zögern könne, will v. Sieb old nicht in Abrede stellen,
wold aber, dafs durch die Zusammenziehung dieser Theile
das Zurückweichen des Kopfes während der Geburt bewirkt
' «
werde; denn das Kind müsse ohne diese Hülfe beim Nach¬
lasse der Contractionen von selbst in den Uterus wieder
etwas zurücktreten, weil es hier den gröfsten Raum fände,
und die nun erfolgende Verengerung der Scheide und
Schamspalte sei daher eher die Folge als die Ursache jenes
Zurücktrittes. Dafs der Kopf, je näher er dem Ausgange
der Scheide getrieben wird, weniger zurückweiche, als
wenn er noch hoch steht, soll nicht der jetzt geschwäch¬
ten Repulsivkraft der Scheide, sondern der heftigeren Con-
traction der Gebärmutter zugeschrieben werden. Die Ein¬
wirkung der Scheide und Schamspalte auf die Kopfstellung
sei problematisch, und das Rotatorische bei der Ausschlie-
fsung des Kindes erfolge mehr nach einem Naturgesetze,
nach welchem alle Excretionen in drehender Bewegung ge¬
schehen.
Ref. rnufs dem Hrn. v. Siebold vollkommen beipflich¬
ten, und kann als hinreichende Ursache des Zurückweichens
des Kindes während der Geburt allein den Nachlafs der
Contractionen anerkennen, die das Kind gleichsam wie ei¬
nen Keil aus einem weiteren in einen engeren Raum trei¬
ben und bei jenem ein Rückgleiten des Kindes aus
dem engen Raume auf einer gleichsam schiefen Fläche in
die nunmehr lreie Höhle gestatten, bis der Kopf in die
einzelnen Durchmesser eingepafst, eine gröfse're Beharrlich¬
keit zeigt. Ein Einflufs der Scheide und der Schamspalte
428 IV. Unterstützung des Mittelfleisches.
auf die Stellung des Kopfes ist wohl nur eingebildet, und
diese Erscheinung, so wie das drehende Heraustreten des
Kindes, der Thätigkcit de* Uterus allein zuzuschreiben , der
das Uebergewicht hat über jedes etwanige Uontractions-
streben in den äufsercn Geschlechtsteilen , die, wenn ^ie
hinsichtlich ihrer Thätigkeitsäiifserung mit dem Fundus je¬
nes Organs im antagonistischem Verhältnisse stehen, sich
nur passiv verhalten und in einem beharrlichen Zustande
von Expausion sich befinden müssen. —
Den günstigen Einflufs der Ausdehnungsfähigkeit der
Schamlippen auf den Damm nicht verkennend, hält v. Sie¬
bold die hier entstehende Oeffnung mehr für die W ir¬
kung des Kopfes, welche verschwindet, wenn ein anderer
Theil als dieser zur Geburt sich stellt. Das Hinweggleiten
des Kopfes über den Damm wird mehr durch die Drehung
jenes um seine Queraxe begründet, und eher hifst sich ein
Druck von Seiten der hintern Scheidenwand nach oben,
als eine Retraciionskraft der Schamlippen und des Mittel¬
fleisches denken, die v. Siebold nie hat wahrnehmen kön¬
nen und Men de ohne allen Beweis annimmt. Als Gegen¬
beweis für das Retractionsvermögen des Os uteri, wodurch
zugleich dargethan wird, dafs diesen Thcilen ein passives
Verhalten zugeichrieben werden müsse, wird mit Recht das
jedesmalige Einreisen der Vaginalportion bei der Geburt
angeführt, dessen Folgen (die jNarben) für ein charakteri¬
stisches Zeichen einer schon statt gefundenen Geburt gehal¬
ten werden. Was die Schamlippen betrifft., so vermögen
diese durch ihre Organisation nicht, eine besondere Thä-
tigkeit bei dem Geburtsacte zu äufsern. Eben so bemerkt
auch v. Sieb old, dafs man während der Schwangerschaft
nie voraussehen könne, welcher Zustand der äufsern Ge¬
schlechtsteile und der Scheide hei der Geburt wirklich ein-
treten werde, um durch eine frühzeitig eingeleitete allge¬
meine Behandlung jedes örtliche Verfahren, das oft wäh¬
rend des Geburtsactes erst erforderlich wird, unnöthig zu
machen, und dafs man in den seltensten Fällen Gelegenheit
V. Lehrbuch der Chirurgie. 429
finde, schon während der Schwangerschaft eine, die künf¬
tige Entbindung erleichternde Behandlung einzuleiten. Mit
gleicher Gründlichkeit werden die übrigen Bedenklichkeiten
beseitigt, und es wird überzeugend bewiesen, dafs die von
M. empfohlene Unterstützung der Naturthätigkeit unzurei¬
chend sei, das Einreifsen des Dammes zu verhüten.
Um endlich noch auf dem "W ege der Erfahrung zu
einem Resultate zu kommen, wodurch die Unterstützung
des Dammes entweder als nachtheilig und überflüssig, oder
die Nothwendigkeit dieses Handgriffs von neuem bewiesen
würde, liefs v. Sieb old unter den Augen seiner Schüler
mehreren Kreifsenden ohne irgend eine Unterstützung des
Dammes blofs die Hülfe zukommen , welche M. angewen¬
det wissen will ; allein sehr bald wurde er eines anderen
überzeugt, und hielt sich für verpflichtet, von dieser Ent¬
bindungsart fernerhin abzustehen, da er Resultate erhielt,
die den Erfahrungen Mende’s ganz entgegengesetzt wa¬
ren, obgleich alle die Vorsichtsmaßregeln beobachtet wer¬
den, die Mende angegeben hat. Bei allen fünf Erstge¬
bärenden, die auf die vorgeschriebene Art während der
Entbindung behandelt wurden, rifs der Damm bis zum After
ein; und von drei Nachgebärenden, die keine Narben am
Perinaeum von früher erlittenen Einrissen darboten, rifs
der Damm ebenfalls bei zweien, und bei mehreren andern
erfolgte noch eine sehr schmerzhafte Geschwulst der Ge-
schlechtstheile und Vorfall der Gebärmutter, welche Er¬
scheinungen nur in der die Verarbeitung der Wehen hin¬
dernden Lage und dem dadurch verursachten längeren Ver¬
weilen des Kopfes am Ausgange ihren hinreichenden Grund
fanden.
Ii — r. •
y.
Lehrbuch der Chirurgie, bestimmt zu academi-
schen \ orlesungcn und zum Selbstunterricht für
430 V. Lehrbivch der Chirurgie,
Aerzte un d \Y undärzte; von Di. Carl Heinrich
Dzondi, ord. öffentlichen Lehrer der M edicin
und Chirurgie aui der Universität zu Halle. Halle,
bei Hemmerde und Schwetschke. 1824. 8. 653 S.
(2 Thlr. 12 Gr.)
Es ist keine kleine, keine leichte Aufgabe, ein Lehr¬
buch der Chirurgie zu schreiben. — \ iele ringen auf die¬
sem Felde der chirurgischen Litteratur nach dem Sieger¬
kranze — den, trotz vieler trefflicher und geübter Kämpfer,
noch keiner errungen hat, und der deshalb in der Arena
nur höher gehängt ist. Schwieriger aber wird diese Auf¬
gabe noch, wenn das Lehrbuch auch ein Handbuch für
Aerzte und W undärzte sein soll! — Hier steigern sich die
Forderungen, die an ein Buch der Art gemacht werden,
um das Doppelte — der Verfasser mufs Theoretiker und
Praktiker sein; ihm müssen sich die kleinsten Details, wie
die generellsten Ansichten der W issenschaft auf das schärfste
und bestimmteste darbieten; er mufs dem Anfänger deut¬
lich sein, und dem schon in seiner Kunst Bewanderten alles
das bieten, was seine schon erweiterte Kenntnifs entweder
noch erweitern, oder berichtigen kann; um kurz zu sein,
er nuifs die Natur in ihrer ganzen l iefe erkannt haben,
alles das wissen, was je Gutes und Haltbares über dieselbe
gesagt und geschrieben worden ist, und so in einer der
gesunden Logik entsprechenden Ordnung aus* dem Einzel¬
nen ein Ganzes bilden. Sind die genannten Forderungen
nun aber überhaupt solche, die man an ein jedes Compen-
dium, welches irgend eine Kunst und Wissenschaft be¬
schreibt, machen mufs, so passen dieselben auch auf das
bestimmteste auf die endlich auch in Deutschland zur Kunst
erhobene Chirurgie, ja sie reichen hier nicht einmal aus,
da gerade dieser Theil der gesammten Mcdiein es ist, wel¬
cher nur Positives besitzt, keine Speculation zuläfst und
deshalb die Phantasie und transcrndenlale Philosophie aus
diesem Theiic der Litteratur ganz verbannt. W’-er ein ebi-
43 i
\ . Lehrblich der Chirurgie.
rurgisches Compendium schreibt, hat mit einem Worte alle
Flüchten des Historiographen — ohne sich jedoch auf die
dem letztem erlaubten Raisonnements einlassen zu dür¬
fen — er hat aber auch die Pflichten des Lehrers zu er¬
füllen — ihm liegen auch endlich noch die Pflichten des
Ordners ob. —
Das vorliegende W erk erfüllt in mehr als einer Hin¬
sicht alle genannten Forderungen! Es gehört nach des
Reh Gutachten — das füglich nur ein individuelles ist —
hinsichtlich des Plans, nach welchem es verfafst ist, zu den
erfreulichsten Erscheinungen in der neuern deutschen chi¬
rurgischen Litteratur — es beurkundet den belesenen Lit-
terator, den geübten Practiker, den erfahrenen Lehrer,
aber freilich auch den eifrigen Reformator. — Die Aus¬
führung desselben scheint jedoch Reh — und freilich ist
auch dieses ein individuelles Lrtheil — nicht ganz gelun¬
gen, bisweilen sogar gefährlich. Ohne den nachhelfenden
Vortrag des Lehrers, kann dieses Handbuch dem Anfänger
nur wenig Nutzen bringen; sehr brauchbar wird es aber
für den sein, welcher sich zur Prüfung vorbereitet, und
dem es überhaupt darum zu thun ist, eine nach den Ge¬
setzen der Logik verfalste Uebersicht der gesammten Chi¬
rurgie zu bekommen. Gänzlich unbrauchbar wird dagegen
der Arzt oder W undarzt das vorliegende Lehrbuch finden,
welcher dasselbe zum Selbstunterricht zu benutzen ge¬
dächte. — Gefährlich ist es endlich selbst bei dem nach¬
helfenden Vortrag des Lehrers, weil es dem Anfänger zu
wenig Data giebt, welche gründlich beschrieben allen An¬
forderungen genügten, und so gewdsse Dogmen formen
könnte, deren Aneignung so viel zur Gründlichkeit bei der
Erlernung einer Wissenschaft beiträgt. — Dieser Tadel
entsteht hier nicht aus Tadelsucht, nein, er geht aus der
innern Ueberzeugung des Pvef. hervor, der den Verf.
schätzt und demselben die aufrichtigste Verehrung für so
manches Treffliche und Wahre, welches derselbe geschrie¬
ben, anderwärts zollte. Remerken wir nun endlich noch,
432
V. Lehrbuch der Chirurgie.
dafs es uns nicht ganz passend scheint in einem Lehrhuche,
in einem Compendium, des in der Wissenschaft noch Un¬
bestimmten zu häufig Krwahnung zu thun, eigene Beobach¬
tungen, deren Complex noch kein bestimmtes Resultat ge¬
ben kann, hier und dort einzuweben, so ist hiermit alles das
ausgesprochen , was wir gegen das vorliegende Handbuch
der Chirurgie zu sagen hätten, in sofern jetzt erst nur von
dem Plane und der Anlage desselben die Bede ist. Das
Resultat unsers Tadels ist daher: Der Verfasser ist kein
Laudator temporis acti, er ist ein Reformator in der Chi¬
rurgie, indem er ein Nachahmer Bichat’s sein will. —
Dieser Tadel würde an jeder andern Stelle ein Lob sein;
hier bleibt er aber gewifs ein gerechter Tadel.
Wer die Eigenschaften näher kennen lernen will, durch
die sich übrigens das vorliegende Handbuch vor allen sei¬
nen Vorgängern auszeichnet, der lese das vom Verf. in der
Vorrede zu seinem Handbuche gegebene Lob derselben S.XII.
Nur mufs dasselbe hier in sofern berichtigt werden, als
Langenbeck bereits vor zwei Jahren in seiner Nosologie
und Therapie der chirurgischen Krankheiten, Göttingen 1S2‘2,
eine genaue und gründliche Erörterung der Entzündung
im Allgemeinen, und eine bestimmte Unterscheidung und
Abhandlung der Entzündung der verschiedenen Urgebilde
oder Systeme insbesondere gab. Es würde uns zu weit
Trihren, und wir würden etwas schon oft Gesagtes nur
wiederholen müssen, wenn wir uns hier auf die Beantwor¬
tung der Frage einlassen wollten, oh diese Art und Weise,
die Entzündung und ihre Lehre zu verfolgen, überhaupt
in der Chirurgie anwendbar sei? Es liegt, so wie wir uns
hier überzeugen können, klar am Tage, dafs der hier ein-
geschlagcne W eg, eine allgemeine Chirurgie zu gründen,
gerade, ohne Umschweife, in die allgemeine Pathologie
führt, allwo, wie bekannt, allgemeine Anatomie nicht feh¬
len darf, und nicht fehlt.
( Beschluss folgt.)
Litterarische Annalen
der*
gesammten Heilkunde.
1825.
60.
Lehrbuch der Chirurgie u. s. w., von Dr. Carl
Heinrich Dzondi. Halle, 1824. 8.
( B e s c h L u f s. )
In sofern aber als es des Verf. Absicht ist, durch eine
genauere Kenntnils der Entzündung und ihrer naturge-
mäfsen Behandlung eine heilsame R.eform der Medicin her¬
beizuführen, d. h. in sofern der Verf. als Lehrer der Chi¬
rurgie durch dieselbe überhaupt auf die Pathologie einen
reformirenden Einflufs haben will, mufs bemerkt werden,
dafs dieses ganze Kapitel in die allgemeine Pathologie
gehört, und von hier aus mit den neuen Ansichten über
Entzündung, der geradeste Weg zu der gewünschten Re¬
form geführt haben würde! So lange wir «nämlich noch
keine allgemeine Chirurgie haben , die streng genommen
auch nur eine Enterabtheilung der allgemeinen Pathologie
sein könnte, wollen wir uns lieber an diese letztere halten,
weil hierdurch wenigstens neuen Irrthiimern vorgebaut wer¬
den dürfte. Hier ist also noch viel zu thunl Hierher mö¬
gen sich die muthigen Kämpfer wagen!
Ein Skelet der von dem Verf. in dem ersten Ab¬
schnitte seines Werkes der allgemeinen Chirurgie getrof¬
fenen Eintheilung wird hinreichen, um einen genügenden
Beweis von der philosophischen Richtung zu geben, welche
dieselbe genommen hat.
I. Allgemeine Chirurgie. A. Lehre von der Entzün¬
dung im Allgemeinen, a. Eintheilung und Verschieden¬
heit derselben. 1. Die Entzündung ist in Hinsicht des Ursäch-
II. Bd. 4. St. 28
434
V. Lehrbuch der Chirurgie.
Ilclicn entweder quantitativ, z. 1b durch Feuer, oder qua¬
litativ, durch Syphilis. >2. In Hinsicht des Zusammenhan¬
ges mit dem Ursächlichen ist die Entzündung entweder
primär, oder secundär. 3. In Hinsicht der Verbindung der
Ursachen untereinander kann die Entzündung sein einfach,
oder complicirt. 4. In Hinsicht der ergriffenen Theile ist
sie entweder einzeln, oder componirt. 5. ln Hinsicht des
Umfangs: örtlich, allgemein. 6. In Hinsicht der Form (Ty¬
pus): anhaltend (continens), nachlassend (remittens), wech¬
selnd (intermittens). 7. In Hinsicht des Verlaufs: regel-
mäfsig, unregelmäfsig. 8. In Hinsicht des Ausgangs: be-
gränzt (finita), cyclisch, unbegränzt (Infinita). 9. In Hin¬
sicht der Dauer: hitzig (acuta), chronisch (chronica). 10. ln
Hinsicht der Constitution, activ, sthenisch: örtlich, allge¬
mein, mit vorwallender Sensibilität , Irritabilität, Repro-
duction; passiv, asthenisch: örtlich, allgemein, mit herabge¬
stimmter Sensibilität, Irritabilität, Reproduction. 11. ln
Hinsicht der Systeme oder l rgebildc. Es giebt so viele
Entzündungen, als es verschiedene Systeme giebt: Entzün¬
dung der Nerven, Gefäfsc, des Zellgewebes, der Muskeln,
der Haut, des Lymph-, Drüsen-, Schleimhaut-, serösen,
Svnovial-, fibrösen, Knorpel- und Knochen -Systems. 12. In
Hinsicht der Organe, als: des Gehirns, der Augen u. s. w.
1>. Von den Perioden der Entzündung. 1. Erste
Periode. Zeichen derselben. Zeichen des Nervensystems:
a. Wärme; b. Schmerz, verschieden dem Grade und der
Beschaffenheit nach; c. erhöhte Sensibilität; d. verändertes
Gemeingefühl ( Cocnaesthesis mulala). Zeichen des Gefäfs-
systeins: a. vermehrter Zuflufs der Säfte, des Bluts; b. ent¬
zündliche Stimmung des Bluts; c. erhöhte Thätigkeit des
Pulses. Zeichen des plastischen Systems: a. Röthe; b. Ge¬
schwulst; c. Störung der Ab- und Aussonderungen, 2. Zweite
Periode. Zeichen derselben. Zeichen des Nervensystems:
a. W ärme und Hitze in abnehmendem Grade; b. Schmerz
in herabsteigendem Yerbältnifs; c. verminderte Sensibilität,
d. verändertes Gemeingefühl. Zeichen des Gefäfssystems:
Y. Lehrbuch der Chirurgie. 435
a. Zuflufs des Bluts in abnehmendem Verhältnisse; b. ent¬
zündliche Stimmung des Bluts, allmählig abnehmend; c. ver¬
minderte Thätigkeit des Pulses. Zeichen des plastischen
Systems: a. abnehmende und veränderte Röthe; b. abneh¬
mende und veränderte Geschwulst; c. neue Producte: Ei¬
ter, Schleim, Lymphe u. s. w. 3. Dritte Periode: Criti-
cum Stadium.
L. Von den Ursachen der Entzündung. Aetiologie.
Die nächste Ursache der Entzündung giebt der Begriff der¬
selben an; die entferntem Ursachen sind: a. prädisponi-
rende (disponentes, opportunitas), oder b. veranlassende,
Gelegenheitsursachen (occasionales). Die ursächlichen Mo¬
mente der Entzündung sind entweder quantitative, oder
qualitative. I. Quantitative Ursachen sind in Hinsicht des
Ursprungs entweder a. innere a. körperliche mechanische,
als: Exostosen, Masse von Säften, chemische, Schärfe, Jau¬
che, dynamische, Hautschlacke, b. geistige, in der Psyche
erzeugt, als: Affecte, erregende, deprimirende; b. äufsere,
a. Atmosphäre, b. Nahrungsmittel, c. Aussendinge, Klei¬
dung, Lebensart; alle drei können entweder mechanische,
chemische oder dynamische sein. In Hinsicht der Dauer,
vorübergehende oder fortdauernde. In Hinsicht des Um¬
fangs der Wirkung sind sie entweder a. allgemein ergrei¬
fend, b. örtlich störend. II. Qualitative Ursachen sind sol¬
che, welche durch Umstimmung der Thätigkeit des plasti¬
schen Systems Entzündung hervorbringen, z. B. Krätzstoff;
es sind: 1. Uontagien; 2. Miasmen, a. animalische, b. vege¬
tabilische; 3. Gifte: a. thierische , z. B. Bienenstich; b. Pflan¬
zengifte, z. B. Euphorbium; c. mineralische, z. B. Arsenik.
D. Prognose der Entzündung, hängt ab: 1. von der
Ursache, 2. von den Stadien und dem Verlaufe, 3. vom
Grade der Heftigkeit (?), 4. von den Verbindungen, Com-
plicationen, 5. von der Constitution des Organismus, Ju¬
gend, 6. von den Aussendingen , der Lage, Jahrszeit.
E. I herapeutik der Entzündung. Im ersten Zeiträume.
Die erste Heilanzeige ist, wenn Entzündung überhaupt ge-
28*
436
V. Lehrbuch der Chirurgie.
heilt werden mufs: zertheile die Entzündung, sobald es ge¬
schehen kann, und komme der Bildung des neuen Products
zuvor. Dieses geschieht durch die Anwendung der antiphlo¬
gistischen Heilmethode, diese ist entweder eine quantitative,
oder qualitative. I. Quantitative antiphlogistische Heilme¬
thode ist zunächst entweder auf das plastische, oder Nerven-,
oder Gefäfs- System , oder auf mehrere zugleich gerichtet,
und zwar direct oder indirect. In Hinsicht des plastischen
Systems, a. directe Methode: 1. Entfernung des Entzün¬
dungsreizes, als des ursächlichen Moments, 2. Herabstim¬
mung der krankhaft 'erhöhten Thätigkeit des plastischen Sy¬
stems durch Kälte, Quecksilber (??), Arsenik (? .’); b. in-
directe Methode: 1. Ableitung des entzündlichen Reizes,
2. Entfernung alles dessen, was die Thätigkeit des plasti¬
schen Systems erhöht. In Hinsicht des Nervensystems,
* l
a. directe Methode: 1. Abstumpfung der Sensibilität, Mit¬
tel: Narcotica (nicht auch durch Herabstimmung des Ge-
fäfssystems?) ; 2. Belebung der Thätigkeit des Nerven¬
systems, Mittel: Wärme, momentane Kälte, Brechmittel
{Castoreum, Ammonium); b. indirecte Methode: 1. Ablei¬
tung der Nervenempfänglichkeit , 2. Beseitigung alles des¬
sen, was das Nervensystem herabstimmen kann. In Hin¬
sicht des Gefäfssystems, a. directe Methode: 1. Verminde¬
rung der Blutmasse, 2. Herabstimmung der entzündlichen
Drathese des Blutes, Mittel: Quecksilber, Säuren, Kälte,
b. indirecte Methode: Ableitung des Bluts vom Kopfe.
II. Qualitative antiphlogistische Heilmethode wirkt entweder
a^hrect, oder b. indirect. Die zweite Heilanzeige ist: Leite
den Verlauf der Entzündung durch dieses Stadium hindurch
zweckmäfsig ins zweite; diese Anzeige tritt ein, wenn die
erste nicht erfüllt werden kann. In dieser Hinsicht müssen
folgende Punkte berücksichtigt werden: 1. Grad der Hef¬
tigkeit der Entzündung, 2. die Dauer, 3. die Stelle, 4. die
Symptome, 5. die Complication , 6. die Stimmung des Or¬
ganismus, 7. die Aussendinge. Zweiter Zeitraum. Die
erste Heilanzeige ist: Leite ,die Entzündung zweckmäfsig
437
V. Lehrbuch der Chirurgie.
durch dieses Stadium ins dritte; dieses geschieht durch Be¬
folgung der hei der ersten Heilanzeige gegebenen Regeln,
durch Unterstützung der Kräfte des Organismus. Zweite
Heilanzeige: Leite die Bildung des neuen Productes durch
1. Beförderung desselben , z. B. durch erregende Pflaster auf
Abscesse, 2. durch Beschränkung und Unterbrechung des¬
selben, z. B. der Eiterung, durch Hunger, Blutlassen, 3. Um¬
stimmung des Products, z. B. des schlechten Eiters in guten.
Dritter Zeitraum. Die erste Heilanzeige ist: Leite die Krise,
wenn sie die Natur selbst macht, damit sie sei 1. vollkom¬
men, 2. ununterbrochen, 3. nicht auf andere Organe ge¬
schehe. Die zweite Heilanzeige ist: Beendige die Krise
durch Hülfe der Kunst, wenn die Natur es nicht durch
eigene Kräfte vermag, 1. mechanisch, durch Oeffnung des
Abscesses mit der Lancette, 2. chemisch, durch Aetzmittel,
3. dynamisch , durch Reizung und Erwärmung.
I:
Wer ersieht aus dieser kurz dargestellten Skizze der
Lehre von der Entzündung und ihrer Behandlung, wie sie
der Verf. gab, nicht hinlänglich alle Gründe, die Ref. zu
dem oben ausgesprochenen Urtheil vermochten? zeigt sich
nicht in dieser ganzen Darstellung der geübteste philoso¬
phische Kopf, der kundige Forscher der Natur, aber auch
nicht der eifrige Reformator? Wem dürfte es aber nicht
höchst gefährlich dünken, wenn ein Lehrer in einem Lehr¬
buche der Chirurgie, aus dem der Schüler, der leider nur
zu oft mit dem gröfsten Vertrauen, mit Hintansetzung
seiner eigenen Urtheilskraft in vcrba magistri schwört, die
prima elementa lernen soll (s. S. 31), um die krankhaft er¬
höhte Thätigkeit des plastischen Systems herabzustimmen,
auch den Arsenik empfiehlt! — Gpwifs ist es nicht über¬
triebene Aengstlichkeit des Ref., wenn er dieses 'adelt!
Nun noch zur Berichtigung und Beleuchtung einiger
grofsen und kleinen Einzelheiten : Seite 67 fehlt in der Lit-
teratur der Entzündung des Nervensystems J. Swan’s Preis*
438 V. Lehrbuch der Chirurgie.
«clirift über die Behandlung der Loealkrankheiten der Ner¬
ven u. s. w., übersetzt von F. Franke, Leipzig 1824. 8.,
eine wie bekannt treftliche und gründliche Schrift; auch
durfte wohl der Verf. S. 6S nicht so bestimmt über die
Verrichtungen des Gehirns sprechen: «der obere Theil des
«Gehirns ist der Intelligenz, der untere vordere den Sin-
« nesorganen , der hintere untere dem Geschlechtstriebe
•«und der Lebenskraft bestimmt;» das ist ja ganz Gallisch!
Was würde Kühn, was Heren ds, was würden alle die¬
jenigen Aerzte sagen die griechisch verstehen, wenn sie
Neurolemmatitis (S. 70) lesen! Seite 75 wird Puchelt
eine Schrift ««das Nervensystem in seinem krankhaften \er-
hältnisse, Leipzig 1818,» beigelegt; das mufs doch wohl
das Venensystem heifsen! Hodgson heifst der berühmte
englische Schriftsteller von den Krankheiten der Arterien
u. s. w. , nicht Hodgon (S. 75). Seite 98 fehlt, was
Clarus in seinen klinischen Annalen und Kreysig in sei¬
ner Krankheitslehre Schönes, Wahres und Treffliches über
die Entzündung des serösen Systems gesagt haben. I)ic
Archives generales de medecinc, welche seit einiger Zeit
in Paris von einer Gesellschaft der besten französischen
Aerzte herausgegeben werden, enthalten in den verschiede¬
nen bis jetzt erschienenen Bänden einige treftliche Aufsätze
über die Entzündung des Synovialsystems, die Ref. über
alles das ohne Bedenken setzt, was Brodic und andere
über diesen Punkt (S. 102) gesagt haben. Seite 117 fehlt
Dr. Weding’s treftliche und gründliche Inauguralabhand-
lung, de Regeneratione ossium, Lipsiae 1824, deutsch be¬
arbeitet in dem Jonrnal für Natur - und Heilkunde von den
Professoren der med. chirurgischen Academie in Dresden,
drittes Heft, 1824. Seite 140 fehlt das Handbuch: Versuch
über die Zugmittel in der Heilkunde, von I. K. Uouge-
mont; aus dem Franz, von Wezelcr. Frankfurth 1798.
Seite 146 fehlt das bekannte vom Professor Klose in Bres¬
lau deutsch bearbeitete 'Werk von Yieusseu* unter dem
Titel: «« K. L. Klose über künstliche Blulauslcerungen und
439
V. Lehrbuch der Chirurgie.
ihre Anwendung in der Mehrzahl der Krankheiten, aus dem
Franz, des Vieusseux frei übersetzt und durch Zusätze,
Anmerkungen und einen historisch - literarischen Anhang
vermehrt, Breslau 1819. ” Seite 156 fehlt des berühmten
Stieglitz kritisches Buch «über den thierischen Magne¬
tismus, Hannover 1814. " Seite 173 fehlt Seiler’s Ueber-
setzung des Scarpa- Yac ca i sehen Werkes «über die
Ligaturen. »
Seite 222 handelt der Verf. die Behandlung der Ver¬
brennungen nur nach seiner Ansicht ab, d. h. er will sie
nur durch Kälte, durch Ueberschlagen von kaltem Wasser
behandelt wissen. W ie unendlich oft läfst sich die Anwen¬
dung des kalten W assers aber nicht ins Wrerk stellen, vor¬
züglich bei Kindern, die doch am öftersten die schrecklich¬
sten Verbrennungen, theils durch eigenes Verschulden, theils
durch Unvorsichtigkeit ihrer Umgebungen erleiden! Warum
wird hier kein Wort von den trefflichen Brandsalben ge¬
sagt? Und endlich behauptet der Verf. (S.222), Arzneimittel
sind hier nicht nöthig! Welcher gewissenhafte, mit der
Natur vertraute Arzt wird es wagen, hei gefährlichen Ver¬
brennungen, welche die stärksten Fieber zu verursachen pfle¬
gen, die armen Kranken ohne kräftige antiphlogistische
Mittel zu lassen! Wer stark ausgebildete Lntziindungen
der Schleimhäute, des Magens und der Lingeweide sehen
will, der öffne nur die Unglücklichen, welche an heftigen
Verbrennungen starben. Und doch sollte man die Kranken
ohne Arzneimittel lassen? Welcher practische Arzt end¬
lich hat nicht nach starker Verbrennung öfters, ja sogar
sehr oft, hauptsächlich bei Kindern, ♦ Krämpfe entstehen
sehen? Und doch soll man die Kranken ohne Arzneimittel
lassen ?
Seite 229 fehlt auch Swan’s Preisschrift über die
Localkrankheiten bei den Verletzungen des Nervensystems;
auch dürften hier Breschet’s schöne Versuche über die
Durchschneidungen des Vagus bei Pferden u. s. w. (Ar-
chives generales de medecine) nicht fehlen. Seite 242, bei
440
V. Lehrbuch der Chirurgie.
der Lehre von den Verletzungen und Wunden den Kopfs,
fehlen Richter’s klassische Anfangsgründe, die doch wohl
sehr viel Wahres und Treuliches über diesen noch immer
irn Dunkel schiebenden Punkt der Chirurgie enthalten.
S. 217 fehlt Duvcrge's sehr brauchbare Abhandlung über
die Mittel die Gegenstüfse im menschlichen Körper zu ent¬
decken und ihre Folgen zu verhüten, aus dem Franz, von
Moritz. Leipzig 1781.
Sehr brauchbar und ganz neu ist die Nebeneinander¬
stellung der Symptome bei der Lrschütterung des Gehirns,
und bei der Rlutergiefsung in» Schädel ( S. 263) Diese so
lehrreiche Methode liehe sich in Handbüchern der Chirur¬
gie, wie in den Lehrstunden über dieselbe, gewifs mit
dem gröfsten Nutzen für die Lernenden auf andere chirur¬
gische Fälle anwenden!
Seite 266. Die entzündliche Reizung des Gehirns, wel¬
che der Verfasser aLo defiiürt: »< Der Zustand des Gehirns
und seiner Iläute, in welchem es durch irgend etwas ent¬
zündlich gereizt wird,” übersetzt derselbe durch lrritamcn-
tum inflammatorium gewifs ganz falsch ; Irritamentum be¬
deutet dasselbe was Stimulus ist, und durch dieses Irrita-
mentum -wird ja erst das Gehirn entzündlich gereizt; hier
verwechselt der Yerf. ITsarhc und ^Virkung. So ist auch
die Trennung der ursächlichen Momente, in mechani¬
sche. z. P>. spitzige Splitter, fremde Körper, Extravasate,
Narben, Spannung, Druck u. s. w., und in dynamische,
wohin er die gewifs auch mechanisch wirkenden, reizenden
Extravasate, den verdorbenen Eiter, fremde reizende Stofle
u. s. w. rechnet, sehr willkührlich.
Seite 278. ^ on den durchdringenden Wunden der Brust.
Hier vermifst Ref. ungern Mayer’s sehr gute Monographie
der Rrustwunden : De vulneribus «pectoris penetrant ibus. Pe¬
tersburg 1822. T. I. Seite 306. Wunden der Extremitä¬
ten, insonderheit der Gelenke. In der Therapie dieser
Wunden empfiehlt der Verf. als das Hauptmittcl Kalte, kalte
Umschläge; «Rlutlassen, allgemeines und örtliches, hilft
VI. Neue Anwendungen des Stethoscops. 441
hier wenig,» setzt er dann hinzu. Leider noch ganz un¬
bekannte oder verkannte Wahrheiten. Kalte Umschläge
hat schon Schmucker, ja schon Heister in diesen Fäl¬
len anempfohlen, und in der neuesten Zeit haben Rust,
Walther, Langenbeck und andere, ihren Nutzen von
neuem gepriesen! Allein diese reichen nicht immer aus!
W ie oft ist nicht der Wundarzt in diesen Fällen consecu-
tiver entzündlicher Leiden, der Leber wegen, die der Verf.
nicht einmal erwähnt, zu örttlichem oder allgemeinem
Blutlassen gezwungen! Ein Yersäumnifs dieser Mittel stif¬
tet, trotz kalter Umschläge, die Tag und Nacht fortgesetzt
werden, in den genannten Fällen gar grofsen Schaden!
Doch wir brechen hier ab, um unsere Anzeige nicht
ihre Gränzen überschreiten zu lassen, und um nicht noch
mehr tadeln zu müssen! — Ref. scheidet nichts destoweni-
ger mit Hochachtung von dem Verf. des angezeigten Hand¬
buches, da derselbe unstreitig einer der gebildetsten Wund¬
ärzte unseres Vaterlandes ist; jedoch kann er hier die Be¬
merkung nicht unterdrücken, dafs die Mit- und Nachwelt
ein stilles , bescheidenes Denken und Handeln höher zu
schätzen pflegt, als die laute und hervor tretende Genialität!'
v. Ammon .
VI.
Mdmoire sur de nouvelles applications du
Stethoscope de Ms. le Professeur Laennec;
par J. Lisfranc, membre titulaire de TAcademie
royale de medecine, Chirurgien du Bureau central
des höpitaux civils etc. Paris, 1823. 8.
Ueber neue Anwendungen des S tetho scops
in Beziehung auf die Chirurgie, von J. Lis¬
franc. Aus dem Französischen. Mit Abbil-
442 VI. Neue Anwendungen des Stethoscops.
dang des Stethoscops. Weimar, 1824. 8. 22 S.
(6 Gr.)
Die medici irische Erziehung oder Ausbildung des Gehör¬
organs zur Erkenutnils krankhafter Erscheinungen des Or¬
ganismus hat der in Deutschland beinahe verkannte Auen-
brugger begonnen, Gorvisart erweitert, und endlich
Laennec durch Erfindung seines Stethoscops auf den
Standpunkt erhoben, welchen dieselbe jetzt einnimmt. Die
allgemein Nerbreitete Anwendung des Stethoscops in Erahk-
reich zur Erforschung der verschiedenen Brustaffectionen,
zu welcher der berühmte Elrfinder die freundlichste und
gefälligste Anleitung im Höpital Necker, wie in der Cha¬
rite zu Paris giebt, hat mehrere seiner Schüler, wie andere
Aerzte, auf den Gedanken gebracht, dieses Instrument auch
zur genauen Erkennt nifs mehrerer anderer pathologischer
und physiologischer Erscheinungen zu gebrauchen. Dahin
gehören die von Lejumeau de Kergaradec bekannt ge¬
machten Entdeckungen über die verschiedenen Pulsationen
des Funiculus umbilicalis, oder der Placenta und des Her¬
zens des Foetus im Mutterleibe. Dahin dürfen wir ferner
merkwürdige Erscheinungen rechnen, welche Ref. mit meh¬
reren andern deutschen Aerzten im Jahre 1822 unter
Laennec's Leitung an den Arterien fiebernder Kranken
und an den Muskelscheiden der an Gicht und Rheumatis¬
mus L eidenden wahrnahm; Erscheinungen, deren Erzäh¬
lung und Erklärung, wenn sie Laennec nicht seihst bald
bekannt machen sollte, Ref. sich vorbehält; dahin gehört
aber auch die Anwendung des Stethoscops in Beziehung
auf die Erken nt nifs der Eracturen, und zwar compiicirter
Fractnren tief liegender Knochen und knöcherner Gehihle,
der Blasensteine , Gallensteine, Windsucht, Gelenkwasser¬
sucht, Kopfwassersucht, Riickgraths Wassersucht und fremder
Körper in den Gelenken, die wir in vorliegender Schrift
beschrieben finden. Führt nun gewifs die Anwendung des
Stethoscops hei zweifelhaften Fällen von Eracturen oder
443
VII. Allgemeine Heilkunde.
Luxationen, wo starke Geschwulst der Theile, wie grofse
Empfindlichkeit des Kranken alle weitere Untersuchung
lemmcn, zur richtigen Diagnose, indem die Crepitation der
Cnochenenden durch Application des Instrumentes selbst,
venn sie sehr gering ist, sehr leicht gehört wird; schafft
tlso diese neue Anwendung des genannten Instruments
der hohen Nutzen, so scheuen wir uns nicht auszuspre-
:hen, dafs Lisfranc wohl zu weit geht, wenn er bei Er-
;ennlnifs der oben genannten Uebel dem Stethoscop ein
p'ofses Gewicht beilegt. Auch sind die hier gegebenen
kegeln und Erscheinungen so kurz und flüchtig angedeutet,
lafs wir dieselben nur für Vermuthungen halten können!
Vuf diese Weise wird der guten Sache des Stethoscops
nehr geschadet, als geniitzt, und wir fürchten, dafs man-
:her hierdurch verleitet werden wird, das Kind mit dem
kade auszuschütten!
I
Möchte diese kurze Anzeige dazu beitragen, den grofsen
Werth des Stethoscops in vielen zweifelhaften Fällen in
einem wahren Lichte zu zeigen! Möchten besonders kli-
lische Lehrer der Anwendung dieses Instruments ihre Auf-
nerksamkeit schenken!
v. Ammon.
VII.
Handbuch der allgemeinen Heilkunde, von
Christian Pfeufer, der Phil, und Med. Dr.,
Prof, der allg. und besond. Heilkunde und Klinik,
Assess. des Königl. Medicinalcomite und dirigir.
Arzte des allgem. Krankenhauses zu Bamberg.
Bamberg, bei Drausnick. 1824. 8. VIII und 175 S.
(1 Thlr. 4 Gr.) '
Indem man den Titel dieses Buches liest, glaubt man
n demselben eine allgemeine Therapie zu erblicken, da das
444
VII. Allgemeine Heilkunde.
W ort Heilkunde mit dem Beiworte « allgemein ” hier nicht
Medicin andeuten kann, weil es keine W issenschaft giebt,
die wir allgemeine Medicin nennen könnten; auch wird
man in dieser Meinung durch die Vorrede bestärkt. Indem
man aber von Seite 8 bis 52 eine Uebersicht der allgemei¬
nen Pathologie, und am Ende des Buches wieder einige
nicht in die allgemeine Therapie gehörige Abschnitte liest,
so erhält man die Ueberzeugung, dafs das AN erk in der
That keinesweges für eine allgemeine Therapie erklärt wer¬
den könne. Auch w ollte der Verf. keinesweges allgemeinen
* «
wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, sondern nur ein
Ilandbucji für die Jünglinge an der chirurgischen Schule,
deren Lehrer er ist, und an ähnlichen Anstalten entwerfen.
Ob es dem Ziele, welches sich Baierns chirurgische Schulen
gestellt haben, entspreche, vermag Kec. nicht zu beurthei-
len ; im Allgemeinen möchten wir es aber nicht zu diesem
Zwecke empfehlen, indem mehreren Abschnitten die Ein¬
fachheit und Klarheit fehlt, welche Büchern, die für solche
Leser bestimmt sind, nothwendig eigen sein mufs. Auch
haben wir eine grofse Anzahl von Angaben gefunden, die
uns nicht der Erfahrung gemäfs zu sein scheinen, wie wir
nachher sdai legen werden; für keinen Leser aber sind Irr-
thiimer gefährlicher, als für den, der aus Mangel an eige¬
nem Urtheil sich streng an die vorgetragene Lehre binden
mufs. Ehe wir jedoch an dieses Einzelne gehen, geben
wir eine Uebersicht des Ganzen.
Nach einigen vorangestellten Begriffen über Heilkunst
und Ilcilkünstler , folgt auf dem bereits angegebenen Raume
ein gedrängter Auszug der allgemeinen Pathologie. Am
weitläufigsten ist hier die Lehre vom Krankheitsgenius be¬
handelt; v\ ir finden dieses in sofern unzweckmäfsig , als wir
es für unmöglich halten, dafs gerade diese schwerste Auf¬
gabe des Hcügeschäfts von denen erfafst werden könne, die
eine unvollkommene allgemeine und ärztliche Bildung erhal- j
ten, und in der Ausübung seihst durch die ihnen ange- j
wiesene untergeordnete Beschäftigung von jenen höchsten
VII. Allgemeine Heilkunde. 445
Aufgaben der Heilkunde abgehalten werden. — Der Ab¬
schnitt von Erforschung der Krankheit ist sehr kurz aus
gefallen, während er die höchste Beachtung verdiente ; auch
ist es auffallend, dals der Puls, welcher in jenen Abschnitt
gehörte, besonders abgehandelt ist. — Es folgen nun Ab¬
schnitte über Diagnose, Prognose, Anzeigen, Kur und Heil¬
methoden; die antiphlogistische, die krampfstillende und die
antigastrische werden vorzüglich unterschieden, und die an¬
tagonistische, in einem sehr ausgedehnten Wortsinne, zu¬
gefügt. Dann wird von den diätetischen Mitteln, von Ta¬
bak, Schlaf und Bewegung (wie kommen diese drei Dinge
zusammen?), von den specifischen Arzneien (einer der ge¬
lungensten Abschnitte), von Elektrizität, Galvanismus und
Magnetismus als Heilmitteln, und von der Erbauung der
galvanischen Säule gehandelt. Zuletzt folgen noch Regeln
für Schwangere, Gebärende, Kreifsende und Neugeborne
(wird der Zögling diese nicht in der Geburtshülfe erfah¬
ren?), und Regeln bei Unglücksfällen. Die beiden letzten
Abschnitte sind besonders populär, und nach bekannten
Grundsätzen abgefafst.
Wir sind nicht im Stande, neue Lehren hervorzuzie¬
hen, da das Wfrk keine solchen enthält; wohl aber sind
wir verpflichtet, gegen mehrere Sätze zu protestiren, die
der Yerf. in einem Tone vorträgt, als ob sie allgemein an¬
erkannt wären. §. 49: «(Heilbar ist diejenige Krankheit,
welche die Möglichkeit in sich enthält, dafs die Lebenskraft
das Normalverhältnifs zwischen äufserer und innerer Natur
herstelle und zur regelmäfsigen Thätigkeit gelange.” Diese
Ansicht ist Brownschen Lehren, nicht aber der Natur ge-
mäfs; denn Krankheit beruht nicht wesentlich auf einem
Mifsverhältnifs zwischen der Außenwelt und dem organischen
Leibe, sondern auf einem Mifsverhältnisse in diesem selbst,
wodurch erst secundär auch das Verhältnifs zur äufsern
Natur verändert wird ; die in dem angeführten Satze nach¬
gestellte und eben dadurch als minder bedeutend zu erken¬
nen gegebene Wiederherstellung der regelmäfsigen innern
446
VII. Allgemeine Heilkunde.
Tbatigkeit ist die erste Bedingung aller Heilbarkeit; ist diese
vorhanden , so bedarf es in der Hegel weiter nichts, da
hier nicht von solchen Fällen die Hede sein kann, wo die
Heilung wegen Heftigkeit der Uufsern Eindrücke nicht er¬
folgt. — Ganz, dieselben Einwendungen machen wir gegen
die in §. 55. aufgestellte Erklärung der Lebenskraft, als
u der eigentümlichen Empfänglichkeit Tür äufsere und in¬
nere Einflüsse mit dem Aermögen, ihr Einwirken zu be¬
schränken und sie fiir den organischen Zweck zu benutzen. *
Die innere Thätigkeit und ihre Anordnung, nach deren
Feststellung erst von dem Verhäitnifs zu dem Aeufsern die
Hede sein kann, ist ganz übersehen. — Die Definition des
Giftes §. 87. ist viel zu allgemein, und überdies das Schwan¬
kende dieses Begriffes überhaupt nicht hinlänglich darge¬
legt. — Nach §. 115. kann man das Aller vom 50sten bis
zum (»Osten Jahre in der Hegel als ein Stillstehen auf der
höchsten Blüthe des Lebens annehmen. Allein cs giebt
kein wirkliches Stillstehen in der Blüthe des Lebens und
in demselben überhaupt; wollten wir aber, dem Scheine
folgend, ein solches annehmen, so miifsten wir es in eine
frühere Lebenszeit setzen. — Die im §. 117. aufgestellte
Lehre, dafs das männliche Geschlecht den. sensiblen Krank¬
heiten mehr urtterworfen sei, als das weibliche, scheint
nicht der Erfahrung gemäfs. — Nach §. 140. ist eine solche
Krankheit örtlich, welche auf die Gesammtheit der Lebens-
verrichtungen keinen Einflufs hat. Pafst diese Erklärung
auf einen Beinbruch oder eine Verrenkung? Giebt es über¬
haupt irgend ein Örtliches Uebel, welches auf die Gesund¬
heit der Lebensverrichtungen keinen Einflufs äufsert? Mufs
nicht ein solcher vielmehr nothwendig entstehen, so dafs
man höchstens sagen darf, dafs cs keinen bemerkbaren Ein-
fl u fs äufsere? — Nach §. 157. « sind ansteckende Krankhei¬
ten diejenigen, welche ohne Hiicksicht auf die besondere
Beschaffenheit des Körpers und des Organs, worauf sie
wirken, sich immer unter derselben Gestalt fortpflanzen. »
Abgesehen davon, dafs gegen die Wahrheit des Satzes sich
447
\ II. Allgemeine Heilkunde.
nancherlei einwenden läfst, so ist auch das Wesen des
Ansteckenden, nämlich die Hervorbringung einer Krankheit
lurch eine Krankheit, gar nicht angegeben; denn so weit
ler hier aufgestellte Satz überhaupt richtig ist, läfst er sich
äst auf alle Krankheiten anwenden. — Nach §. 188. ist
ler entzündliche Krankheitsgenius jetzt im Abnehmen, und
ch eint in den gastrischen überzugehen. Für die Gegend
les Verf. mag das nach seinen Angaben richtig sein ; für
)eutschland überhaupt möchte es sich doch wohl anders
erhalten. — Nach §. 232. deuteten die Alten mit dem ,
Aorte Krisis den Augenblick an, « in welchem ein tÖdt-
icher Ausgang der Krankheit nicht mehr zu bezweifeln
var. ” Dieser Irrthum ist um so wunderlicher, als bekannt-
ich die Alten, worunter doch niemand verstanden werden
ann, als die, welche die Lehre von den Krisen aufgestellt
iahen, von diesen allein Genesung erwarteten, und sie also
licht als Zeichen eines tödtlichen Ausgangs betrachten könn¬
en. — Nach §. 233. ist Perturbatio critica eine durch feh-
erhaftes Verhalten von Seiten des Kranken, oder durch eine
inpassende Behandlung von Seiten des Arztes, oder durch
ndere Einflüsse bewirkte Störung der Krise; allein diese
Erklärung verträgt sich weder mit dem Wortsinne, noch
nit dem bisherigen Sprachgebrauche, da man unter Pertur-
iatio critica immer die stürmischen Auftritte versteht, die
;u einer Krise gehören, ihr vorausgehen, oder sie andeuten. —
^ach §. 235. besteht jede acute Krankheit ursprünglich aus ei-
lem örtlichen Leiden, und der Abspiegelung desselben, in
linem Fieber; wir vermissen jedoch die Beweise für diese
chon von andern aufgestellte Behauptung, da wir in vielen
litzigen Krankheiten schlechterdings keine örtliche Quelle
intdecken können. — Nach §. 240. ist Lysis Entscheidung
ler Krankheit durch ein unerwartetes Ausgleichen des durch
lie Krankheit gestörten Gleichgewichts der organischen
functionen; allein die Bezeichnung «unerwartet” ist durch-
ius unpassend; das Allmählige der Ausgleichung ist das We¬
sentliche. — Nach §. 319. werden selbst verlorene Gebilde
448
\ II. Allgemeine Heilkunde.
%
durch den Lebensprozefs wieder ersetzt, oder durch üppi¬
gere Ausbildung verwandter Theilc vertreten; allem die lle-
productiou des Menschen vermag in der That nicht, ganz
verlorene Gebilde wieder zu ersetzen, wenn wir nämlich
Gebilde iin allgemeinsten Sinne nehmen und also auch cdele
Theilc darunter verstehen. Dafs das erste Daumenglied,
welches wegen Laries bei einer Person abcenommen wor-
o m o . #
den, nach vier Monaten sich wieder erzeugt hatte, ist in
der That sehr wunderbar. ISie haben wir nach Amputa¬
tionen neue Glieder wachsen sehen. Der Fall ist übrigens
nicht genau genug beschrieben, und kann vielleicht so ge¬
deutet werden, dafs nur der knöcherne Theil des Gliedes
bei Erhaltung der weichen Thelie entfernt und dann wieder¬
erzeugt worden ist. — Nach 331. kann man auf die Heil¬
kraft der Natur inehr trauen hei äufserlichen, örtlichen, als
bei innerlichen, allgemeinen Krankheiten. Wir getrauen
uns das (regentheil dieses Salzes beweisen zu können. —
Nach 4}. 514. wählt man Gampher hei entzündlicher Dia-
thesis, wenn die Entwickelung eines Exanthems mit Ner¬
venleiden verbunden ist, die Digitalis aber, wenn mit Nerven¬
leiden eine besondere Lebhaftigkeit des Gefafssystems ver¬
eint ist; geg^n beide Anzeigen lassen sich sehr bedeutende
Eimvurfe machen. — Nach &. 586. sollen nur für die
schleimige Lungensucht revulsive Mittel passen; allein die
allgemeine Erfahrung lehrt, dafs die Entwickelung der kno¬
tigen Lungensucht, als der häufigsten Form, durch solche
Mittel gehemmt werden könne. — Nach 625. ist Milch
als schon fertiger Chylus zu betrachten; allein die Mi¬
schung beider Stoffe ist wesentlich verschieden, wenn sie
sich auch in Hinsicht mancher Bestandteile sehr gleichen
mögen.
Wir könnten noch vieles hervorheben, was uns in
Hinsicht auf die Sache tadelnswert geschienen hat; allein
der Wunsch, den Annalen Baum und uns den Vorwurf
einer iibergrofsen Tadelsucht zu ersparen, veranlafst uns
zum Schlüsse, wobei wir nicht umhin können zu bemer¬
ken, dafs auch die Schreibart einzelner Wörter und der
Ausdruck oft zu tadeln sind, z. B. mannige statt manche,
prophilactisch , Hilfe, Abgabe von Arzneien statt Dar¬
reichung, u. a. m. —
Li r htenstädt.
Litterarische Annalen
der
ge s am inten 1 Heilkunde.
e^'<3^^t'^e-^3©e?efe'^G'e:ae<r^3e>siQfc>«w vU h I
Vfr-tTr-^? >,a?V^:>-'3'?>,jiy>''a$'»r?<jfy » yy B •
VIII.
Neues praktisches System der speciellen
Nosologie, von Dr. Christ. Friedr. Harlefs,
Königl. Preufs. Geh. Hofrath und ordentl. öffentl.
Professor der Medicin zu Bonn, Ritter, und vie¬
ler gelehrten Gesellschaften Mitglied. Erste Hälfte.
(Auch unter dem Titel: Handbuch der ärzt¬
liche n Kl inik, zweiter Band.) Coblenz, bei
Hölscher. 1824. 8. XX u. 634 S. (3 Thlr. 21 Gr.)
as vorliegende Werk enthält zwei sehr verschiedenartige
Theile in sich, nämlich ein System der speciellen Nosologie
und eine Diagnostik der einzelnen Arten, nebst zahlreichen
Bemerkungen. Jenes ist zuvörderst deswegen zu einer Kri¬
tik nicht geeignet, weil der Verf. , und mit Recht, ver¬
langt, dafs man vor Vollendung des Ganzen kein Urtheil
darüber abgebe. Ueberhaupt aber ist es sehr schwer, ein
solches System zu beurtheiien, theils weil der Verf. die
Veränderlichkeit der Steilung sehr vieles Einzelnen zugiebt,
ia selbst schon in der Vorrede manche in dem Werke auf-
gestellte Eintheilung abändert und noch abzuändern gedenkt,
theils weil der Rec. gern gesteht, dafs Tadeln hier leicht,
Bessermachen aber sehr schwer sei, theils endlich, weil
eine nur irgend umfassende Kritik ein eigenes Werk erfor¬
dern würde. Was aber den eben angedeuteten andern
Theil des Werkes betrifft, so findet sich in ihm, wie sich
von einem eben so wahrhaft gelehrten als erfahrenen Meister
nicht anders erwarten läfst, eine solche Masse eigenthiim-
licher Bemerkungen und Ansichten, dafs wir nur wenige
n. Bd. 4. St. 29
1825
450 YIU. System der speciellcn Nosologie.
%
genau sichten können und uns begnügen müssen, unsere
Leser auf das W erk seihst zu verweisen. Schade dafs das¬
selbe durch die Losreifsung von der Therapie weniger der
grofsen Masse der Praktiker, als den Gelehrten in die Hände
fallen wird. Her. gesteht, dafs er die Trennung der spe-
ciellen Nosologie von der Therapie für durchaus natur¬
widrig hält, wie denn auch der Vcrf. sich an vielen Stellen
zu therapeutischen Abschweifungen hat verleiten lassen, ^cine
Inconsequenz, die wir gern verzeihen. Diese Art der Be¬
arbeitung .erscheint uns in diesem Werke um so uozweck-
mäfsiger, als die nachfolgenden praktischen Theile noth-
wendig viele W iederhol ungen herbeiführen werden.
Der Verf. «teilt zuvörderst die allgemeinen Grundsätze
seiner Lintheilung auf. Ein Ilauptgegensatz im Lehen sei
die mehr dynamische oder mehr chemische Richtung, die
auch bei einer Lintheilung der Krankheiten in Betracht
kommen müfsten. Eine Krankheit sei einer krummen Linie
vergleichbar, und zwar eine hitzige einer regelinäfsigen
Ellipse, hingegen eine chronische mehr einer wellenförmi¬
gen. Der Unterschied zwischen hitzigen und chronischen
Krankheiten sei zwar allerdings in der Natur gegründet,
aber doch nicht zu einer Hauptabteilung geeignet, indem
dadurch zu einander gehörende Formen, z. B. hitziger und
chronischer Katarrh, von einander gerissen werden. (Je¬
des System, auch das des Verf., reifst manches Zusammen¬
gehörige auseinander; die alte Abtheilung von hitzigen und
chronischen Krankheiten that dies weniger, als irgend eine
neuere. Könnte man in Beziehung * auf das Beispiel des
Verf. nicht eben so gut sagen, cs sei eine Losreifsung,
w'enn der chronische Katarrh nicht hei den Schleimflüssen
abgehandelt wird?) Die praktische Bestimmung eines noso¬
logischen Systems veranlasse einen weniger strengen logi¬
schen Charakter, als man an sich von einem Systeme zu
erwarten berechtigt ist. Auch gesteht der Verf., dafs sich
keinesweges eine feste G ranze zwischen Ort und Symptom
auffmden lasse. W ie sollte dies auch möglich sein, da
VIII. System der speciellen Nosologie. 451
selbst auf dem Gebiete der eigentlichen Naturgeschichte die
Gränze, der Ort nicht ganz feststeht. Eben so wenig sind
die Bemühungen, bestimmte Principien Tür die obern Ab¬
theilungen aufzustellen, gelungen. Besonders glauben wir
nicht, dafs die von dem Yerf. aufgestellten sieben Klassen
allgemeinen Beifall erlangen dürften ; ja wir glauben sogar,
dafs er selbst, der unermüdlich und mit edler Freimiithig-
keit an seinen Ansichten bessert, diese Eintheilung noch
einmal ganz anders gestalten dürfte. Wir geben das Skelett
der ersten beiden Klassen, welche allein in dem vorliegen¬
den ersten Theile behandelt sind, unseren Lesern, ohne
dem Urtheile auf irgend eine Art vorgreifen zu wollen.
Erste Klasse. Morbi dynamici exquisitiores. Erste Ord¬
nung. Eigenthüinliche Ilirn- und Nervenkrankheiten, ohne
wesentliches Fieber. Erste Gattung. Einfache, an sich
schmerz- und, lieberlose Nervenaufregung und Sensibilitäts-
erhöhung. Erste Hauptart. Hyperästhesie des Gemeinge¬
fühls. Zweite Hauptart. Hyperästhesie des Hirns. Dritte
4
Hauptart. Hyperästhesie der Sinnwerkzeuge. Vierte Ilaupt-
art. Anhaltende Schlaflosigkeit. Fünfte Ilauptart. Hyper¬
ästhesie der Digestionsorgane, Heifshunger, Brenndurst,
Sodbrennen. Sechste Hauptart. Hyperästhesie der Ge¬
schlechtsorgane. Zweite Gattung. Schmerzhafte Hyper¬
ästhesie in einzelnen Nervengebieten. Erste Untergattung
(wrarum nicht wieder Hauptart?). Kopfschmerz. Erste Art,
der allgemeine, nicht entzündliche, langwierige, zweite Art,
der halbseitige, dritte Art, der rheumatische, vierte Art,
der periodische Kopfschmerz. Zweite Untergattung. Rücken¬
schmerz. Erste Art, Nacken- und Rückenschmerz; zweite
Art, Lenden- und Kreuzschmerz. Dritte Untergattung.
Oertlicher Nervenschmerz. Der Gesichtsschmerz, der Au¬
genschmerz, der Ohrschmerz, der Zahnschmerz, der Schul¬
tergelenkschmerz , der Ilüftgelenksehmerz , der Fufsschmerz
und der Genitalienschmerz machen besondere Arten. Vierte
Untergattung. Neuralgie der Verdauungswrerkzeuge. Der
Magenkrampf mit sechs Unterarten, und die Kolik mit zehn
29 *
452 VIII. System der spcciellen Nosologie.
Unterarten, Lüden die Arten. Hier folgt nochmals eine
vierte Untergattung, der neurisch - krampfhafte Eeber-
schmerz, wahrscheinlich ans Irrthum, indem entweder blofs
diese und die folgenden Zahlen der Untergattungen falsch
bezeichnet sind, oder dieser Schinerz vielleicht eine Art
der vorigen Untergattung sein sollte. Fünfte Untergattung.
Die Neuralgie der Harnwerkzeuge , wobei als Unterarten
(warum nicht wie hei den Verdauungswerkzeugen, als Ar¬
ten?) das Nierenweh und der Harnblasenscbmerz aufgefiibrt
werden. Sechste Untergattung. Der Schmerz in der Wei¬
berbrust. Dritte Gattung. Rheumatischer Schmerz der
Muskeln und Muskelscheiden. Rheumatismus subacutus,
Rheumatalgia chronica und Rheumatismus arthriticus bilden
die Arten. — Vierte Gattung. Krampfhafte Reizungskrank-
heilen (ein vieler Mifsdeutung unterworfenes V\ ort) in dem
Gebiete des Rumpfnervensystems. Die Katalepsie, die Ek¬
stase, die Hysterie, die Hypochondrie ohne Materie, der
Veitstanz, die krampfhafte Engbrüstigkeit, der Krampf¬
husten, der Keichhusten, die Brustbraune bilden die Arten.
Fünfte Gattung. Parästhesie. Schwindel, Alpdrücken, Heim¬
weh, Nachtwandeln, selbstentstandener lebensmagnetischcr
Zustand (eine zwar nicht mehr neue, aber in allen Bezie¬
hungen unrichtige Bezeichnung), das Schlafwachen (so wird
hier Coma vigil übersetzt, aber wohl nicht mit Recht, in¬
dem dieser Name viel besser zur deutschen Bezeichnung
des Somnambulismus pafst, da das Ambulare, im Deutschen
wandeln, zu wenig bezeichnet), ungewöhnliche Gelüste
und Sinnestäuschungen sind die Arten. — Zweite Ordnuner.
Krampfkrankheiten der Bewegungsorgane. Erst Gattung:
Starrkrämpfe. Der wahre Starrkrampf mit vier Abarten,
die W asserscheu mit Schlundkrampf in drei Abarten, und
der Schmerzkrampf mit neun Abarten bilden die Arten.
Zweite Gattung: Wechselkrämpfe. Die Fallsucht, aus
dem Gehirn, dem Rückenmark oder einzelnen Nerven-
parthien stammend, die Kriebelkrankheit, das Krampfzit-
iern, das Schluchzen, das Niefsenj das Herzklopfen, der
VIII- System der speciellen Nosologie. 453
heftige Magenkrampf, das Wiederkäuen, der Brechdurch¬
fall und der Gebärmutterkrampf bilden die Arten. Dritte
Ordnung. Anästhesien und Lehensschwächen. Lrste Gat¬
tung. Cerebral- Anästhesie oder Betäubungen, Ohnmächten
und Sinnlichkeiten. Ilauptarten sind: die Ohnmacht mit drei
Abarten oder Graden, der Scheintod mit sechs Abarten , je
nach den verschiedenen Ursachen, die Schlafsucht mit Be¬
täubung in drei Abarten. Zweite Gattung. Schwächen und
Anästhesien. Arten sind: die Schwachsichtigkeit (da unter
den Abarten die Myopie aufgefiikrt ist, so verdiente auch
die Presbyopie ihren Platz, da sie wahrlich nicht als ein
Starksehen betrachtet werden kann), der schwarze Staar
mit sieben Abarten, die Schwerhörigkeit mit zwei Abarten,
die Taubheit mit vier Abarten, der Geschmacksverlust', der
Geruchsverlust, die Stimmlosigkeit mit vier Abarten, die
Getaststumpfheit mit drei Abarten. Dritte Gattung. Läh¬
mungskrankheiten. Untergattungen: der Schlagflufs, von
dem sieben Arten nebst mehreren Abarten unterschieden
werden, und die wahre Lähmung mit sieben Arten.
Zweite Klasse. Gemischte Erregungskrankheiten, Morbi
dynamico -materiales, eccritici. Erste Ordnung: Wesent¬
liche Fieber. Die von den Fiebern gegebene Definition
sei. eint uns durchaus hypothetisch und viel zu allgemein, so
dafs sie auch auf viele andere Zustände pafst. Sie heifst:
«Fieber sind die auf einander folgenden Acte der Entwicke¬
lung und Aeufserung eines ungleich, anomal und krampf¬
haft gewordenen Antagonismus zwischen dem Nerven- und
Blutgefäfssystem, sowohl von Seite ihrer gegenseitigen Re-
ceptivität, als von der ihrer gegenseitigen Reactionsweise,
so zwar, dafs diese Störung und krampfhafte Anomalie des
Antagonismus ihren Ursprung nimmt einerseits in dem Ge¬
biete der Gefäfsnerven, andererseits in denjenigen der klein¬
sten Arterienendigungen und der aus diesen hervorgehenden
Capillargefäfse, und sich von diesen Gebieten aus mehr
oder weniger nach den Centralheerden des Nervensystems
und des Blutgefäfssystcms verbreitet. * Hier ist aber nur
4r>4 VIII. System der speciellen Nosologie.
von den wesentlichen Fiebern die Rede, wo nämlich das
Fieber an sich das Grundleiden ausmacht. Krstc Unterord¬
nung. Synocha oder das Reizungsfieber. Erste Gattung:
das einfache Gefäfsrcizungsfieber mit drei Arten, Synocha
ephemera, levior, Synocha simplex neuro - sthenica , und Sy¬
nocha simplex gravior angiosthenica. Zweite Gattung: das
reine und einfache Wechselfiebcr. Es hat folgende Arten:
das einfache und regelmäfsige Wechselfieber mit drei Ab¬
arten, tertiana, quartana und quotidiana, das Wechsclfieber
mit vervielfachtem Typus mit vier Abarten, das in seinen
Typen zusammengesetzte Wechselfieber, das in seinem Ty¬
pus regellose und das örtliche Wechselfieber. Dritte Gat¬
tung: das entzündliche oder halbentziindlichc Fieber. Vierte
Gattung: das entzündliche oder halbentzündliche Nerven¬
fieber. Fünfte Gattung: das entzündungsartige Fieber des
Systems der absondernden Häute. Arten sind: das Schnu-
pfenfieber mit den Abarten Gravedo und Goryza, der Kehl¬
kopfs- und Luftröhrenkatarrh, der Lungen-, der Darm-,
der Harnblasen- und der Ilarnröhrenkatarrh. Sechste Gat¬
tung: das entzündungsartige Fieber der fibrösen und tendi-
nösen Häute. Siebente Gattung, das stbenisch -erethislischc
Intcstinalfieber mit den Arten: eigentliches sthenisches Gal¬
lenfieber, Magenreizungsfieber , Darmfieber, sthenische Ruhr
mit vier Abarten, und die sthenische Brechruhr mit drei
Abarten. — Zweite Unterordnung. Svnochus oder astheni¬
sches Blutzersetzungsfieber. Erste Gattung, einfacher und
gelinder Synochus mit den Arten: gallichter Synochus, nach¬
lassender, aussetzender Synochus, das Brennfiebcr, der Sy¬
nochus entero- mesentericus von Petit, die asthenisch -sep¬
tische Art des Schleimfiebers. Zweite Gattung, der voll¬
endete, anstec kungsfähige und bösartige Synochus. Arten
sind: die faulige und ansteckende Ruhr, der faulig -bösar¬
tige Brechdurchfall, das bösartige Fleckfieber mit fünf Ab~
arten, die brandige Bräune, der bösartige Karfunkel, das
faulige Kindbettfieber, der Hospitalbrand, die morgenlän¬
dische Pest, das ansteckende gelbe Fieber, dessen Gonta-
VIII. System der speciellen Nosologie. 455
giosität in den meisten Fällen der Hr. Verf. noch jetzt, wie
in früherer Zeit, mit vollem Rechte behauptet. — Dritte
Unterordnung. Typhus oder asthenisches Hirn- und Ner¬
venfieber. Erste Gattung. Der erethistische, minder voll¬
kommene und langsamer verlaufende Typhus. Arten sind:
das schleichende Nervenfieber mit zwei Abarten, das ner¬
vöse Katarrhalfieber, das nervöse Wechselfieber , das nervöse
Schleimfieber. Zweite Gattung. Der vollkommene, torpide
Typhus mit den Arten: der an sich nicht ansteckende, spo¬
radische Typhus, der ansteckende Typhus, der intermitti-
rende mit vier Abarten, und das typhöse Sumpffieber. —
Zweite Ordnung. Die Entzündungen. Der Yerf. legt zu¬
erst seine allgemeine Ansicht über diese Krankheitsformen
dar, und widerstrebt sowohl denen, die nur Eine Natur
der Entzündung anerkennen wollen, als denen, die den
Begriff der Entzündung neuerdings zu weit erstrecken und
daher die antiphlogistische Heilart übertreiben. Bei der
Entzündung sei immer eine materielle Umwandlung des
Bluts vorhanden, welche aber keinesweges immer dieselbe,
sondern in sich sehr verschieden sei, indem nämlich die ob¬
waltenden dynamischen Verhältnisse ganz entgegengesetzter
Art sein können, und schon die Verschiedenheit der Organe
eine wesentliche Modification dieser Zustände herbeiführe.
Der Yerf. sagt hier goldene und zeitgemäfse Worte, wenn
auch eigentlich nichts Neues; 'auch bedauern wir, dafs öftere
Wiederholungen derselben Behauptung verkommen. Jedoch
können wir keinesweges mit dem Yerf. als wahrscheinlich
anerkennen, dafs in jeder Entzündung ein wasserstolfiges
als Hauptelement zu betrachten sei; in der activen Entzün¬
dung soll dasselbe mehr mit dem Sauerstoff verbunden sein
und dadurch eine Verdichtung entstehen; in der passiven
Entzündung, die mehr auf Zerstörung hinarbeitet, sei der
Wasserstoff ungebundener und die Contraction überall der
Expansion nachgebend. Zu dem letztem Charakter neigen
besonders noch die specifischen Entzündungen. Auen giebt
es offenbar solche Zustände, die zwischen beiden Charak-
456 VIII. System der speciellen Nosologie.
teren schwanken, und die überhaupt mehr einen subinflam-
matorischen, d. i. nur halbentzündlichen Charakter tragen.
Wir begreifen jedoch nicht, wie der Verf. sagen kann, dafs
selbst in der achten Entzündung weder im Gesammtorga-
nismus noch in dem entzündeten Organe eine wahre Hyper-
sthenie oder erhöhte Lebensthiitigke.it sei. Will man un¬
ter einer solchen nun eine dem Leben unmittelbar forder¬
liche andauernde Krafterhöhung verstehen, so ist jene Be¬
hauptung freilich richtig; allein dafs in dem gegenwärtigen
Zeitpunkte bei solchen Zustanden eine wahre Potenzirung
der Lebensthiitigkeit vorhanden sei, lüfst sich eben so wis¬
senschaftlich behaupten, als es die unbefangene Anschauung
lehrt. — Erste Reihe. Entzündungen einzelner Systeme,
die sich jedoch nie über ein ganzes System gleichmäfsig er¬
strecken. Erste Gattung, die Muskelentzündung mit fol¬
genden Arten: die rheumatische, die gichtische, die trau¬
matische, die von üufserer Gewalt herrührende, die durch
Gifte entstandene. Zweite Gattung, die Nervenentzündung.
Arten sind: die Entzündung einzelner Nervenstämme mit
zwei Abarten, und die Entzündung der Nervenknoten.
Dritte Gattung, die Entzündung der Blutgefäfse mit den
Arten: Entzündung der Schlagadern, der Blutadern und
der Saugadern. Vierte Gattung: die Entzündung der serö¬
sen und Schleimhäute. Fünfte Gattung, die Entzündung
der fibrösen und sehnigen Häute mit den Arten: Entzün¬
dung der Knochenhaut und Entzündung der Gelenkkapseln
und Aponeurosen. Sechste Gattung: die Knochen- und
Knorpelentzündung. Siebente Gattung, die Drüsenentzün¬
dung mit den Arten: Entzündung der Chylusdriisen , der
Milchbrustdrüsen , der allgemeinen Lymphdrüscn, der Spei¬
cheldrüsen und der Schleimdrüsen. Achte Gattung, die
Entzündung der änfsern Haut mit den Arten: arterielle,
tief eindringende Hautentzündung mit den Abarten, Ent¬
zündung von Verbrennung, von Aetzmitteln und von thie-
rischen Giften , die venöse oberflächliche Hautentzündung,
d. i. einfache Hautrosc, mit den Abarten: die glatte, die
457
VIII, System der speciellen Nosologie.
serös -wässerige und die wandernde ödematöse Rose; die
Rose von Frost, die faulig -brandige Rose, die Ausschlags¬
rose und die Rose der Neugebornen. — Zweite Reihe.
Entzündung einzelner Organe und Eingeweide; die Gattun¬
gen sind in fortschreitender Zahl mit den obigen. Neunte
Gaitung, die Hirnentzündung, mit gerechter Polemik gegen
Marcus und die Freunde der Arachnitis. Arten sind : die
tiefgehende Hirnentzündung mSt acht Abarten, die ober¬
flächliche Hirnentzündung mit sechs Abarten, die hydropo-
genisehe Hirnhautentzündung oder die hitzige Hirnwasser¬
sucht (ist diese nicht oft vielmehr eine Hirnhöhlenentzün¬
dung mit drei Abarten, die Entzündung der fibrösen Hirn¬
haut und die mit Entzündung der Brustorgane verbundene
Hirnentzündung, Paraphrenitis. Zehnte Gattung, Entzün¬
dung des Rückenmarks. Arten sind: Myelitis cervicalis, dor-
salis, lumbaris, menlngea und profunda. Elfte Gattung, die
Augenentzündungen. Erste Untergattung, Entzündung des
Augapfels, seiner Häute und innern Theile. Arten sind:
die phlegmonöse innere Augenentzündung mit zwei Abarten,
die phlegmonöse Entzündung der Iris, die Entzündung der
Linse und Kapsel, die äufsere rosenartige Augapfelent¬
zündung, der entzündliche Schleimflufs des äufsern Auges
mit zwei Abarten, und die varicöse Augenentzündung.
Zweite Untergattung, Entzündung der Augenlieder. Arten
sind: die äufsere erysipelatöse Entzündung der Augenlieder,
die Entzündung der Augenliedränder, die schwärende Au-
genliederentziindung und das Gerstenkorn. Dritte Unter¬
gattung, Entzündungen der Thränenwerkzeuge mit den Ar¬
ten: Entzündung des Thränensacks, der Thränencarunkei
und der Thränendrüse. Es folgt hierauf noch eine beson¬
dere Eintheilung der Augenentzündungen, in sofern sie
nämlich von specifischen Ursachen entstehen. Zwölfte Gat¬
tung, die Ohrenentzündung. Arten sind: Entzündung des
äufsern Ohrs, des innern Ohrs und der weichen Theile der
Eustachischen Trompete. Auch hier folgt eine besondere
Abtheilung nach den specifischen Ursachen. Dreizehnte Gat-
458 VIII. System der speciellcn Nosologie.
I - %
tung, die Entzündung der Ohrspeicheldrüse mit den Ar¬
ten: einfache epidemische, kritische, impetiginöse und Mer-
curial- Parotitis (wohl nicht, wie cs hier immer heifst, Pa¬
rotis). Vierzehnte Gattung: Lungenentzündung, idiopa¬
thisch oder sympathisch. Fünfzehnte Gattung, die inuern
Halsentzündungen oder Bräunen, llauptarten sind: die Ka-
chenbräune mit acht Unterarten , die Matidelbräune mit fünf
Unterarten, und die Entzündung des Kehlkopfs und des
Stamms der Luftröhre mit fünf Abarten. Sechzehnte Gat¬
tung, die Entzündung der Schilddrüse. Siebzehnte Gattung,
die Entzündung der Speiseröhre mit den Arten: traumati¬
sche, corrosive, metastatischc und symptomatische. Acht¬
zehnte Gattung, Entzüudung der Bronchialäste in den Lun¬
gen. Neunzehnte Gattung, Lungenentzündung, mit sehr
interessanten und gelehrten Bemerkungen, die eines Aus¬
zuges unfähig sind. Arten sind: die ächte, tief eingehende
Lungenentzündung, die mehr oberflächliche mit fünf bedeu¬
tenden Abarten, die bösartige Lungenentzündung mit zwei
Abarten (es wird diese Form dritte llauptart genannt, wäh¬
rend sie dem Zusammenhänge nach offenbar nur dritte Art
heifsen kann, welcher Irrthum dann auch sich auf die fol¬
genden Formen verbreitet), und die schleichende Lungen¬
entzündung mit drei Abarten. Zwanzigste Gattung, die
Brustfellentzündung mit den llauptarten: der reine und ein¬
fache entzündliche Seitenstich, die Entzündung des Mittel -
felis, der gallige und der rheumatische Seitenstich. Lin-
undzwanzigste Gattung, die Zwerchfellentzündung, und
zwar die idiopathische und die sympathische. Zweiundzwan¬
zigste Gattung, Entzündungen des Herzens und des Herz¬
beutels, mit Bestreitung derer, welche diese Formen über¬
haupt zu häufig sehen wollen und andererseits die Diagnostik
so weit treiben zu können glauben, dafs sie uns bald ange¬
ben werden, wie die Entzündung jedes einzelnen Muskel¬
bündels des Herzens mit Leichtigkeit erkannt werden könne.
Arten sind: die wahre hitzige Herzentzündung mit mehre¬
ren Abarten, die schleichende Herzentzündung, und die Herz-
VIII. System der speciellcn Nosologie. 459
beutelentzündung mit oberflächlicher Herzentzündung, mit
drei Abarten, Dreiundzwanzigste Gattung, die Bauchfell¬
entzündung. Arten sind: die reine Bauchfellentzündung mit
den Abarten traumatisch, rheumatisch und metastatisch, die
mit Entzündung der Bauchmuskeln, die mit Entzündung
der Gedärme verbundene Bauchfellentzündung, die Entzün¬
dung des Netzes, die Bauchfellentzündung der Kindbetterin-
nen, welcher ein sehr verschiedenartiger Charakter zu-
kommt, und die schleichende Bauchfellentzündung. Vier¬
undzwanzigste Gattung, Leberentzündung. Arten sind: die
tiefgehende mit mehreren aus dem verschiedenen, Sitze sich
ergebenden Abarten, die oberflächliche, die tropische und
die schleichende. Fünfundzwanzigste Gattung, die Milzent¬
zündung, mit richtigen Einwürfen gegen die Behauptung
des häufigen Vorkommens und gegen Heusinger’s zu künst¬
liche Eintheilungen. Arten sind: die hitzige idiopathische
und die schleichende. Sechsundzwanzigste Gattung, Ent¬
zündung der Bauchspeicheldrüse, als: subacute und chroni¬
sche. Siebenundzwanzigste Gattung, Magenentzündung mit
Beweisen gegen Broussais’s Lehre von der Häufigkeit
derselben, und von der grofsen Sensibilität der Schleimhaut
des Magens. Arten sind: die hitzige phlegmonöse mit drei
Abarten , die halbhitzige mehr rosenartige mit drei Abarten,
die atonische von Aufweichung der Häute begleitete. Acht¬
undzwanzigste Gattung, Entzündung der Gedärme. Arten
sind: die hitzige, die schleichende, die der dünnen Gedärme,
die des Kolons, die des Mastdarms, die mit Darmentzün¬
dung verbundene Gekrösentzündung mit sieben Abarten.
Neunundzwanzigste Gattung, die Entzündung der Nieren
und der Harnleiter. Arten: die hitzige, ziemlich selten vor¬
kommend, und die chronische mit mehreren Abarten. Drei-
fsigste Gattung: die Harnblasenentzündung, hitzig, chro¬
nisch oder sympathisch. Einunddreifsigste Gattung, die Ent¬
zündung der Gebärmutter und der Eierstöcke. Arten: die
hitzige Gebärmutterentzündung mit drei Abarten, die bei
derselben zugleich vorhandene Entzündung der Eierstöcke,
460
IX. Aerztliche Ileceptirkunst.
die chronische und die metastatische Gebärmutterentzündung.
Zweiunddreifsigste Gattung, Entzündung der Psoasmuskeln,
hitzig oder chronisch. DreiunddreiCsigste Gattung, Entzün¬
dung der äufsern Geschlechtstheile. Arten: Entzündung der
Hoden und Nebenhoden, der männlichen Ruthe, der Scheide
und äufsern weiblichen Gesrhlechtstheile. Vierunddreifsigste
Gattung, Entzündung der Vorsteherdrüse, hitzig oder chro¬
nisch. Eiinfunddreifsigste Gattung, Entzündung der Wei-
berhrust.
Die Bearbeitung der übrigen fünf Klassen soll im näch¬
sten Bande erfolgen, VVir können bei aller Anerkennung
der hohen Verdienste des Yerf. nicht umhin, das System,
in soweit cs schon dasteht, für in vielen Beziehungen nicht
naturgemäfs zu halten. Das gegebene Schema setzt unsere
Leser hinlänglich in den Stand, unsere Ansicht zu verwer¬
fen oder anzuerkennen. *
L ichtcnstädt .
IX. *v
Anleitung zur ärztlichen Ucceptirkunst,
nebst einem systematischen Grundrisse
der Arzneimittellehre. AJs Leitfaden zu sei¬
nen Vorlesungen entworfen von Dr. Ludw. Chou-
lant, Professor der theoretischen Heilkunde und
Dircctor der Poliklinjk an der chirurg. niedicini-
schen Akademie zu Dresden, Arzte am König!.
Krankenstifte zu Dresden und mehrerer gelehrten
Gesellschaften Mitgliedc. Leipzig, bei Leop. Vöfs.
>825. 8. VIII und 116 S. (12 Gr.)
Der llr. V erf. will, laut der Vorrede, diese Schrift
nur als eine gedruckte Handschrift für seine Zuhörer be¬
trachtet wissen; in sofern wäre ei also unschicklich, in
461
IX. Aerztliche R eceptirkunst.
einem kritischen Blatte darüber zu sprechen; allein der Um¬
stand, dafs sie in den Buchhandel gekommen und auf dem
gewöhnlichen FVege verbreitet worden ist, steht mit jenem
Wunsche des 'S erf. in W iderspruch und nöthigt die Kri¬
tik, darüber zu sprechen. Es finden sich hier zwei wesent¬
lich verschiedene uud verschieden zu beurtheilende Dinge,
nämlich die Receptirkunst und der Grundrifs der Arznei¬
mittellehre. Die erstere, Seite 1 bis 48, ist überaus kurz
gefafst, indem sie, wenn wir die mitgetheilten Formeln
hinwegdenken, kaum zwei Bogen ausmacht. Der Verf. hat
alles weggelassen, was nach seiner Meinung in die allge¬
meine Therapie oder in den allgemeinen Theil der Arznei¬
mittellehre gehört; jedoch vermifst man ungern allgemeine
F orschriften über * das, was die Chemie beim Receptiren
anordnen darf und nicht darf, so wie eine Sonderung der
Formen in die, wo eine wahrhaft chemische oder eine
mehr mechanische Verbindung angeordnet wird. Die Re¬
ceptirkunst wird in eine ärztliche und pharmaceutische ge-
theilt; jene habe die Arznei anzuordnen, diese die Anord¬
nung zu vollziehen; allein letzteres heilst zwar im gemei¬
nen Leben ebenfalls Receptiren, ohne jedoch wissenschaft¬
lich diesen Namen zu führen, während ersteres gewöhnlich
schlechthin mit dem Namen Receptirkunst bezeichnet wird.
In dem allgemeinen Theile werden trotz der übrigens herr¬
schenden Kürze mehrere Dinge mitgethei.lt, die nur für den
nöthig sein dürften, der viel zu früh von der Schulbank in
N
akademische Hörsäle entflohen ist, z. B. die Uebersetzung
von detur, es werde gegeben, die Bestimmung, dafs Re-
cipe den Accusativ und dieser dann wieder den Genitiv re¬
giere u. s. f. In Hinsicht auf die einzelnen Formen der
Mittel ist das allgemein Bekannte vorgetragen. Aufgefallen
ist uns nur, dafs das Umrühren der Latwrergen empfohlen
wird, welches oft eben so unthunlich als unnütz ist; dafs
ferner die Harzmixtur als eine gesonderte aufgestellt wird,
während sie unter die Mixtur überhaupt gehört, und dafs
die Eintheilung in Emulsio vera et spuria beibehalten wird,
4ß2
✓
IX. Aorztlichc Ileceptirkimst.
obgleich in beiden dasselbe Mischungsverhältnifs vorhanden
ist, nämlich Verbindung von Gel, Schleim und Wasser.
Unter den mitgelheilten Rccepten finden wir einige nicht
allen Forderungen entsprechend; so ist Seite 15 eine Vor¬
schrift zu einem trocknen Umschläge gegeben , wo neben
Chamillen, Salbei und Campher, Farina seminis lini ange¬
ordnet wird; der Leinsamen als solcher kann hier schwer¬
lich eine Wirksamkeit haben, zumal da dergleichen Um¬
schläge gewöhnlich nur mittelst einer Hülle an den Körper
gebracht werden; soll der Leinsamen aber blofs als schlech¬
ter W ärmeleiter dienen (obgleich nicht angegeben ist, dafs
hier erwärmte trockne Umschläge gemeint sind), so kann
Kleie dieselben und eine W ärmflasche über den Umschlag
noch gröfsere Dienste leisten. Auch die auf derselben Seite
stehende Formel zu einem Klystier, aus Leinsamen, 'Vale¬
riana und Bittersalz ist nicht vorzüglich; cs scheint, als ob
das Bittersalz hier mitgekocht werden sollte, während es
doch viel zweckmäfsiger ist, es nach Vollendung des Ko¬
chens hinzuzuthun. Eben so unpassend scheint uns folgen¬
des Becept Seite 35: I^U Calomel. gr. xv. Sulph. an tim.
aur. scr. un. Bes. Guaj. nat. Sap. medic. ää. 3 ij. Extr.
Dulcam. q. s. ut f. Pil. gr. ij. Consp. p. rad. Liq. I)S. Täg¬
lich 10 Stück. Nie würden wir dem Apotheker überlassen
haben, von dem kräftigen Extracte der Dulcamara nach Be¬
lieben zu nehmen ; noch schlimmer aber ist der Umstand,
dafs der Arzt in Folge der gegebenen "\ orschrift gar nicht
weifs, wie viel der Kranke von den verordneten Mitteln
täglich bekommt, indem eine Berechnung hier durchaus un¬
möglich ist.
In der Anordnung der Arzneimittellehre hat der Verf.
um so mehr eine rein -naturgeschichtliche Lintheilung an¬
nehmen zu müssen geglaubt, als er seinen Zuhörern in der
allgemeinen Therapie eine therapeutische Lintheilung mit¬
theilt. ln der That gleicht sich auf diese Wreisc das Nach¬
theilige der angenommenen Lintheilung einigermaafsen aus ;
dennoch können wir dieselbe nicht billigen, da sie durchaus
1
463
IX. Aerztliche Ileccptirknnst.
gar keinen ärztlichen Gesichtspunkt gicbt, was vermieden
sein würde, wenn der Verf. eine chemische Eintheilung,
etwa in Gren’s Sinne, angenommen hätte. Es ist übri¬
gens blofs das Klassensystem mit den einzelnen dahin gehö¬
rigen Dingen ohne alle Bemerkung aufgenommen; die offi-
cinellen Mittel sind mit einem Sternchen bezeichnet.
I. Anorganische und chemische Arzneimittel. 1. Säu¬
ren, sowohl die mineralischen als die vegetabilischen, unter
welchen auch die selbst in naturhistorischer Hinsicht nicht
zu den Säuren gehörige Blausäure aufgeführt ist. 2. Lau¬
gensalze und Erden. 3. Metalle, welchen die Jodine ange¬
hängt ist. 4. Entzündliche Körper; aufser Schwefel und
Phosphor, sind hier noch Bernstein, Asphalt, Steinöl, Stein¬
kohlen und Glanzrufs aufgezählt. 5. Gasarten. 6. Imponde¬
rabilien. 7. Wasser. 8. Weingeistige Mittel, wobei jedoch
der Wein nicht aufgerührt ist.
II. Arzneimittel aus dem Pflanzenreiche. Die hier ge¬
gebene Anordnung ist ganz nach natürlichen Familien ent¬
warfen, und von Hrn. Prof. Reichen hach stammend,
welcher dieselben nächstens besonders herausgeben und er¬
läutern wird. Der Unterzeichnete Ref. vermag aus Mangel
an hinreichenden botanischen Kenntnissen nicht über die
Naturgemäfsheit der hier aufgestellten natürlichen Familien
zu entscheiden; die Ueberzeugung ist jedoch mit erneuerter
Lebendigkeit in ihm entstanden , dafs wir noch sehr fern
von dem Ziele sind, dem an sich löblichen Gedanken, die
Arzneipflanzen nach natürlichen Familien zu ordnen, eine
solche Ausführung zu geben, dafs nicht höchst widernatür¬
liche Zusammenstellungen dadurch veranlafst werden sollten.
Als Beweis dafür erwähnen wir, dafs in dem vorliegenden
Systeme folgende nach ihrer Wirkung auf das organische
Leben wesentlich verschiedene Stoffe in denselben natür¬
lichen Familien als zusammengehörig nebeneinander gestellt
sind: Secale cornutum und Boletus igniarius unter den Pil¬
zen, Lycopodium clav. und Aspid. fil. mas unter den Far-
renkräutern, die Getreidearten und der Zucker unter den
464
IX. Aerztliche Reccptirkanst.
Grasern, Rad. Salep und Yanilla aromatica unter den Or¬
chideen, Rumex Acetosa und Rheum unter den Poly¬
goneis, Farberröthe, Ipecacuanha, Kaffee und China un¬
ter den Uiihiaceis, Lactuca virosa, Leontodon Tarax. , Ta-
nacctum vulg. und Arnica inontana unter den Compositis,
'S erbascura Thapsus in der Mitte vieler narcotischer Pflan¬
zen unter den Solaneis, Yeronica officinalis und Digitalis
purpurea unter den Pcrsonatfs tt. s. f. Die aufgestellten
Familien sind folgende: Fungi, Lichenes, Algae, Musci,
Filices, Aroidae, Alismaceae, Gramineae, Cyperoideae,
Knsatae, Smilaceae, Colchiceac, Orchideae, Scitaniineae,
LiHaceae, Palmae, Coniferae, rrhvmeleae, Piperaceae, Po-
lygoneae, Atripliceae, Tricoccae, Menispcrmeae, Aristolo-
chieae, Amentaceae, Urtireae, Laurineae, Pluinbagineae,
Yalerianeae, \iburnidia, Caprifoliae, Plantagineae, Rubia-
ceae, Compositae, Cainpanulareae, Cucurbitaceae, Labiatae,
Yerbenaceae, dasmineae, Asperifoliae, Solaneae, Polygalcae,
Personatae, Convolvulaceae, Primulaceae, Kriceae, Con-
tortae, Styraceae, l mbelliferae, Sarmentaceae, Rosaceae,
Sedeae, Rhamneae, Terebinthinaceae, Pomaceae, Salicariae,
Myrteae, Ainygdaleae, Cruciferae, Yioleae, Cisteae, Regu-
minosae, Ranunculaceae, Magnoliaceae, Rulaceae, Riittne-
reae, Malvaceae, Oxalideae , Sapindaccae, Tiliaceae, Thea-
ceae, Dipterocarpeae, Caryöphvlleae, Lineae, Hvpericeae,
Guttiferae, Meliaceae, Hesperideae. Man kann mit Recht
zweifeln, ob viele Zuhörer der Yorträge über Arzneimittel¬
lehre mit sämmtiichen angeführten Familien bekannt sein
dürften.
III. Arzneimittel aus dem Thierreiche. 1. Zoophyta.
2. Mollusca. 3. Yermes. 4. Crustacea. 5. Insecta. 6. Pisces.
7. Aves. 8. Mammalia. Auch diese Abtheilung, die nach
anerkannten naturgeschichtlichen Grundsätzen geordnet ist,
ist in Beziehung auf die Heilmittellehre von sehr beschränk¬
tem Nutzen. — Den Schlufs macht eine Auswahl guter
Schriften über die Arzneimittellehre und die mit ihr ver¬
bundenen wissenschaftlichen Zweige.
Lichtenstädt.
Litterarische Annalen
der
i •
gestimmten Heilkunde.
1825:
X.
Zeitschriften.
1. Journal der praktischen Heilkunde. Herausge¬
geben von C. W. Hufeland und E. Osann. LX. Bd.
5. St. Mai 1825. IJerlin, bei G. Reimer. 8. 133 S.
IL i n i g e - E r f a h r u n g e n über die W irksatnkeii des
innerlichen Gebrauches des Terpenthinöls gegen
den Bandwurm (Taenia Solium) von 13r. v. Pommer.
1) ieses schon vor vielen Jahren von englischen und schwe¬
dischen Aerzten zu gleichem Zwecke angewendete, in
Deutschland aber, wie es scheint, noch nicht genug beach¬
tete Mittel, verdient nicht nur wegen des Grades und der
Schnelligkeit seiner Wirkung, sondern auch wegen seiner
Wohlfeilheit und der Einfachheit des Gebrauches vor vie¬
len ähnlichen den \ orzug. Es werden hier vier Fälle mit-
getheilt, in welchen es mit dem glücklichsten Erfolge ge¬
braucht wurde, nachdem die geriihmtesten Kurmethoden
vergebens angewandt worden waren. P. liefs das Oel in
kurzen Zwischenräumen, ohne weitere Vorbereitung und
ohne allen Zusatz, in beträchtlichen Gaben (in einem Falle
bis zu 6 Unzen binnen 10 Stunden) nehmen, und sich selbst
durch convulsible Stimmung des Nervensystems und irri¬
table Schwäche nicht vom Gebrauche desselben abhalten.
Erbrechen, Eingenommenheit des Kopfes, leichte Betäu¬
bung, Schwindel, Grimmen im Leibe, Brennen im After,
waren die dabei eintretenden Beschwerden , welche im Ver¬
gleich mit der Heftigkeit des Gruudübels nicht in Betracht
II. Bd. 4. St. 30
X. Zeitschriften.
466
kamen und bald von selbst wieder verschwanden. Selbst
da, wo es sich nicht mit Bestimmtheit ausmitteln liefs, ob
die vorhandenen Krankheitszustände von hysterischen Lei¬
den oder von 'Würmern herriihrten , war die vorsichtige
Anwendung des Terpenthinöls nützlich. Grofse Gaben hält
P. deshalb für vorzüglicher als kleine, weil sie schnell wir¬
ken und durch Vermehrung der pcristal tischen Bewegung
zu bald aus dem Darmkanale entfernt werden, als dafs ih¬
nen Zeit gelassen würde, in die sogenannten zweiten und
dritten Wege überzugehen und durch Heizung entzündliche
Zustande, Strangurie und Blutharnen zu eregen. — Sal¬
zung e n ’ s Heilquelle, ein die Seebäder ersetzen¬
des Mittel, vom Ilofr. Schlegel. Nach Promins-
dorff’s hier beigefügter Analyse findet in den quantitati¬
ven Verhältnissen eine nicht unbedeutende Verschiedenheit
zwischen dem Meerwasser und dem Salzunger Quell statt,
<*ind von einem eigentlichen Krsatz des ersten durch den¬
selben kann trotz aller Trefflichkeit, die man ihm nach den
Erfahrungen mehrerer Aerztc nicht w’ohl absprechen darf,
doch nicht leicht die Rede sein, oder es miifslen die dem
Meere beigemischten feinen thierischen Stoffe, die durch
den Wellenschlag erzeugten elektrischen und magnetischen
Strömungen, die Seeluft u. s. w. nichts zu der eigenthiim-
lichen Wirkung des Seebades beitragen. Der Salzunger
Quell äufserte seine grolse Heilkraft besonders bei Schwäche
des Unterleibes, bei allzugrofser Empfindlichkeit des Ner¬
vensystems, Hysterie, Hypochondrie, bei Schwäche der
Hautnerven, Neigung zu übermäfsigen Schweifsen, im chro¬
nischen Rheumatismus, in der Gicht, in Lähmungen, Drii-
senkrankheiten und allen scrofulüsen Leiden u. s. w. —
Zwei Mittet ge gen zwei schwere Krankheiten:
die acute Hirnwassersucht der Kinder und die
häutige Bräune, vom Geh. Med. Rath Sachse. Der
Verf. empfiehlt zwei Mittel, deren Anwendung bei der Be¬
handlung der genannten beiden Krankheiten nach seinem
eigenen' Bekenntnisse zwar nicht neu ist, denen man aber
X. Zeitschriften.
467
nach den hier angeführten Erfahrungen einen allgemeinem
Gebrauch wünschen mufs. Gegen den Ilydrencephalus
zeigten sich nannich in dazu disponirten Familien früh¬
zeitig angelegte Fontanellen aufserordentlich nütz¬
lich, wie mit Beispielen dargeihan wird. Gegen die häu¬
tige Bräune empfiehlt S. dringend das kalte Wasser
in Umschlagen um den Ilals und Uebergiefsuugen des
Rückens, über deren herrliche von Harder in Petersburg
zuerst entdeckte Wirkungen ihm neue Erfahrungen initge-
theilt worden sind. Interessant sind die am Schlafs ange¬
führten Beobachtungen älterer Aerzte von der Heilkraft der
kalten Begielsnngen und Untertauchungen in exanthemati-
schen Krankheiten. — Medici nische Beobachtungen
und „Vergleichungen versc hiedener Schriftstel¬
ler alter und neuer Zeit im Gebiete der Arznei¬
wisse nschaft, vom Med. Rath P itschaft (Forts.). Nach
Mittheilung der Urtheile einiger Neuern über den vortreff¬
lichen Fried r. H offmann und nach Entschuldigung eini¬
ger Gebrechen, die man ihm zur Last legen könnte, folgen
Stellen aus alten Aerzten über die Anwendung des kalten
Wassers und des Lattichs, dessen beruhigende, leichten
Schlaf bewirkende Eigenschaften schon den Alten bekannt
waren r).
- 72 -
Da in neuern Zeiten der äufsere Gebrauch des kalten
Wassers so viel besprochen wird und immer mehr in Auf¬
nahme zu kommen scheint, so wird es nicht uninteressant
sein, die Ansichten eines ältefn deutschen Beobachters
der unverdienten Vergessenheit zu eritreifsen. Sein jetzt
nur noch seltenes Werk führt den Titel:
Unterricht von Kr afft und Wüirckung des fri¬
schen Was s e r s in die Leiber der M e n -
1) Yergl. Ccls. L. II. c. 32.
30*
468
X. Zeitschriften.
sehen. Von «loh. Siegemund Hahn in Schweidnitz.
Vierte Auflage. Breslau u. Leipzig, 1754. 8. 290 S.
Nachdem der Verf. in der Vorrede sich über die ^ or-
urtheile gegen den Gebrauch des Wassers beklagt bat, wie
dasselbe bei Heilung der Krankheiten so in Vergessenheit
gerathen sei, « dafs die Leute sich bekreutzigten , w enn man
den Kranken anriethe, in hitzigen Fiebern gemeines frisches
Wasser zu trinken so viel ihnen beliebig, oder die jircis-
haften Glieder ungesclieut in kühlem Wasser zu waschen
und zu baden, » erwähnt, er einer Schrift von Doctor
Scbwerdtner in «Tauer, welcher die besten Werke der
Engländer und Franzosen von den Kräften des frischen
Wassers gesammelt, ins Deutsche übersetzt und unter dem
Titel: Medicina vere universalis in sechs Theilcn zum Druck
befördert habe. Diese gründlich geschriebenen W erkchen
hätten auf den Vater S. Hahn einen solchen Eindruck ge¬
macht, dafs er den äufserlichen und innerlichen Gebrauch
des kalten W assers bei allerlei Krankheiten aufs nachdrück¬
lichste angerathen, und auch sein W asser- Glaubensbekennt¬
nis in öffentlichen Schriften vor Augen gelegt habe, im
Jahre 1732 in seinem Peterswälder Brunnen, und 1737
in seiner Psvchrolnsia veteri renovata. « Es war aber
nicht zu verwundern , ” fährt unser Hahn fort, « d«afs auch
die jungen Hähne zwitscherten, wie die alten kräheten,
und so erschien die erste Ausgabe dieser Schrift im Jahre
O
1738. ” So viel vom Geschichtlichen.
In der zweiten Section handelt der 'S erf. den äufser-
lichen Gebrauch des Wassers ah, und im dritten Kapitel
das frische W aschcn in hitzigen Krankheiten, und läfst sich
Seite 96 ff. also vernehmen: «Aber was zu thun, wenn
«sich die Blattern , Masern, Friesei oder Petetschen wittern
«lassen? Soll man diese schlimmen Pursche nach Belieben
« in der von ihnen in der Haut genommenen Herberge hau-
« sen und sic gar in Brand stecken lassen? Nein! wir wol-
« len lieber den etwa erregten Brand bald wieder löschen.
«Ich will so viel sagen, erst benennte Exanthemata kann
X. Zeitschriften.
469
« man keck vor und bei ihrem Anfalle bei ihrem Abfalle oder
« Endigung (da man wegen der jung hervorkommenden Haut
« und nachgelassenen Hitze ein etwas laues Wasser gebrau-
« eben kann) ziemlich frisch waschen, damit die Entzündung
«nicht überhand nehmen, hingegen die Haut zu desto leicli-
« terer Herausbrechung erweichet werden möge, und ich kann
« gewifs versichern , dafs gar selten einer unserer Blattern-
« patienten, der nur treulich gefolgct, sonderliche Merkmale
« davon behalten habe. — Auch die Beispiele anderer Na-
«tionen r) und die ungefähren Zufälle, so hin und wieder
«geschehen, haben uns zu vernünftiger Nachahmung Ge-
« legenheit genug an die Hand gegeben. Floyer 1 2) führt
« viele Exempel an von Leuten , welche von den Blattern
« durch die zufälligerweise geschehene Eintauchung ins kalte
« Wasser glücklich sind curirt worden. — Auch betheure
«ich überhaupt bei allem was redlich heifst, dafs unter de-
« nen einige Jahre her von den an Masern oder Friesei
«darnieder gelegenen noch keiner, der frisch gewaschen
«worden, von den Variolanten aber nicht der vierdte Theil
1) D ie Afrikaner waschen alle Blatterpatienten. Ein Schiffs -
capitain, der Selaven von dieser Nation führte, liefs dieselben,
als die Blattern unter sie kamen, auf gut Europäisch fleifsig "mit
Matratzen bedecken, über welche Plage sie seufzeten und sich
ausbaten , ihre Kranken anders curiren zu dürfen. Als es ihnen
vergönnt wurde, banden sie den Blatterkranken Seile um den
Leib, warlen sie täglich etlichemal ins Meer und trockneten sie
wieder an der Sonne, und auf diese "Weise starb fast keiner
von ihnen. Siehe D. Kundmann’s Seltenheiten der Natur und
Kunst. Folio. Seite 1286.
>
2) J. F 1 oy er Psychrolusia , oder Versuch zu beweisen,
dals kaltes Baden nützlich sei , erschien in London 1702. Ich
habe eine Lebersetzung von 1749 durch J.' L. Sommer vor
mir, wo Seite 227 ff. mehrere Beispiele erzählt werden von
Personen , welche in hitzigen und Blatterfi ehern sich in I eiche
stürzten und bei Stunden darin verweilten mit auffallend günsti¬
gem Erfolge.
470
X. Zeitschriften.
«als sonsten *) bei andern Methoden geschehen, so wie
«auch unter denen, so bisher vornehmlich 1737 bei epide-
« mische u Fiebern mit Petetschen beschwert gewesen, nur
«etliche dem Tode zu Theil worden, ob sie schon allo
«ziemlich kiihle, auch bei anhaltendem, sie abmattendem
« Schweifse sind gewaschen w orden. » — Seite 107 wird
von Septalius angeführt, wie er gegen Kopfweh kalten
Weinessig mit Hosenöl vermischt von einer gew issen llö he
auf die Gegend der Sutura coronnlis herab zu giefsen ver¬
ordnet (cf. Honet Labyrinth, medic. Genevae 16S7 p. 230).
« Warum w ollen wir nicht statt dieser stark riechenden
« Oxyrhodinorum lieber das schlechte Wasser gebrauchen \ »
fahrt Hahn fort, «ich glaube wir werden mit recht kalt
« aufgegossenem Wasser in hitzigen Fiebern die von In-
« Hammation im Gehirn oder dessen Hauten herriihrendc
« Phrenesia nicht nur wieder abwenden, sondern wohl gar
« verhüten. Sogar habe ich Auflagen frischen Fises um den
« Kopf bei kürzlich grassirenden Fiebern von atigenschein-
« lieber Würckung gefunden. *» —
W eiterhin spricht der Verf. denn noch vom Nutzen
kalter Aufschläge in der Cardialgie, in der Kolik und Dy¬
senterie, und in letztem Krankheiten auch der kühlen Kly-
stieyre, um die entzündeten Gedärme zu erfrischen. «Sogar in
Entzündung der Brust liefs einer meiner Collegen (S. 116)
einem seiner Patienten mit kaltem Wasser angcfeuchtetc
Pauschen über die Brust legen, ja gar Fis appliciren , wo¬
durch der Kranke ungemein soulagiret wurde.”
Das Angeführte mag hinreichen, um zu zeigen, dafs
Dr. Hahn über das Wesen mancher Krankheiten und man¬
cher Symptome in Krankheiten weit richtigere Begriffe hatte
«als viele Aerzte, die nach ihm kamen, z. B. über das De¬
lirium in hitzigen Fiebern, die entzündliche Natur der exan-
1 ) So starben einem benachbarten Medico bei der w asscr-
metbode von 156 Blattrrpaticnten nicht mehr als 8, obschon
recht hbae Blattern grassuteu.
X. Zeitschriften.
47 i
thematischen Fieberkrankhelten, mancher Koliken und Rub¬
ren, und dafs er dem gemäfs seine Behandlung wohl ein¬
zurichten wufste. . ,
Ueher das Verfahren selbst beim Baden und Waschen
in hitzigen Krankheiten äufsert er sich Seite 214 also: «ln
«hitzigen Krankheiten läfst sich das Baden, wenn die Pa-
« tienten allzuschwach werden, dafs sie in der Wanne nicht
<( ausdauern können, nicht allemal thun, und man kann auch
« dabei schon mit dem blofsen Waschen zurechte kommen:
« doch wenn dergleichen Leute das Baden vertragen kön-
«nen, so läfst man sie nicht eben so lange darinnen, aber
« man kann es desto Öfters wiederholen , doch nicht länger
« als bis man aus dem Pulse und der Empfindung der Pa-
« tienten selbst gewahr wird, dafs die gröfste Hitze gedämpft
«sei, und dabei beobachtet man eben keine Zeit, auch
«sonst keine besondere Diät.” Seite 218: «Die, so die
« Patienten warten, waschen sie zuweilen mit dem Schwamme
« überschlagen kühle, appliciren mit Wasser benetzte Flecken,
«vornehmlich an diejenigen Glieder, die vor andern mit
«Hitze, Schmerzen, Schwulst, Ausschlägen u. s. w. befallen
«sind, des Tages über nicht einmal, sondern nachdem die
«Heftigkeit oder Nachlassung der Zufälle es erfordern.”
In einem Anhänge werden dann 35 Krankengeschichten
mitgetheilt, wo durch kaltes Waschen Heilung erzweckt
wurde. Zehn von diesen betreffen acute Krankheiten,
Blattern, Masern, Petechien, Pneumonien u. s. w. , die an¬
dern mehr chronische Krankheiten, Fälle von Gicht, Was¬
sersucht, Manie u. s. w.
Wie endlich die Anwendung des kalten Wassers in
neuern Zeiten blofs eine Wiederholung der frühem Me¬
thode ist, was wir aus dem Angeführten gesehen haben,
so sind auch die Klagen einiger Aerzte unserer Zeit über
ungerechte, verläumderische Beurtheilung ihres Verfahrens
und das hartnäckige Widerstreben mancher Collegen gegen'
diese Behandlungsart blofs Wiederholungen dessen, was
man bei Hahn liest. Ich dürfte nur eine von den vielen
X. Zeitschriften.
47 2
Stellen, wo der Verf. gegen die Psychrophobous (kalt AN as-
serscheuen), wie er sie nennt, sich ereifert, anführen, um
die Uebcreinstimmung zu zeigen, wenn nicht der Satz, dafs
ceteris paribus gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben,
es schon hinreichend begreiilich machte.
Locher - Halber,
2. Revue medicale fran^aise et Strange re, et
J o u r n a ( de C 1 i n i q u e de l’Hdtel-Dieu et de I a
Charite de Paris etc. Tome premier. A Paris, cbez
Gabon et Comp. 1825. 8. Mars. 165 pp. Avec une li-
thogr. . ,).
Ucbcr die Physiologie des Gehirns und der
Nerven, von M. Laurencet. In dem Novemberheftc
1824 der Revue medicale hat Laurencet eine neue,
sehr sinnreiche Methode, das Gehirn zu zergliedern, mit-
getheilt, mittelst welcher er zu dem Resultate gelangt
ist, dafs die Empfindungs- und Bewegungnerven , wel¬
che im Rückenmarke als Bündel liegen , im Gehirne
unter der Form von Membranen zusammenstofsen , sich
in einander fortsetzen und so »eine Schlinge bilden.
Diese anatomischen Untersuchungen schliefsen sich an die
Be 11’ sehe, durch Magen die ’s Versuche bestätigte An¬
sicht über die Eigenschaften der vordem und hintern Bün¬
del des Rückenmarkes, wovon die erstem der Bewegung,
die letztem der Empfindung vorstehen, an. L. setzt im
Januar- und Märzstück jener Zeitschrift den Zusammen¬
hang der erwähnten Markbündel näher auseinander, und
läfst sodann die sich darauf stützenden physiologischen Sätze
folgen, wobei der Verf. übrigens von den intellectuellen
Operationen ganz abstrahirt. —
1 ) Vergl. Bd. II. Seite 85 dieser Annalen.
X. Zeitschriften.
473
Vor allem handelte es sich darum zu wissen, sagt L.,
wie die Nerven der vier Rückenmarksbündel, welche in der
Wirbelsäule parallel liegen, sich im Gehirne, wo sie ver- •
wickelter sind, verhielten. — Von der Kreuzung der
Pyramiden verfolgte er die Bündel bis zu ihrer membranö-
sen Ausbreitung auswärts vom Sehehügel. Zwei Anschwel¬
lungen, das grofse und das kleine Gehirn, bilden das Cen¬
trum des Nervensystems. Das grofse Gehirn resultirt aus
der Ausbreitung der vordem Nerven in «ine Netzform;
das kleine Gehirn, ebenfalls als ein membranöses Netz ge¬
bildet, liegt auf den hintern Nerven.
Diese beiden Reihen von Nerven sind durch eine Ana-
stomose in Verbindung gesetzt, welche zwischen dem Se¬
ptum lucidum, dem Cornu Ammonis, dem Corpus callosum,
und der vordem *) und hintern 2) Umbeugung dieser Com-
missur statt findet. Keine Raphe bezeichnet diesen Punkt
der Vereinigung, sondern die Fasern des einen Systems
setzen sich in die des andern ohne Unterbrechung fort.
Die Ausbreitung der vordem Pyramiden stellt sich bei
ihrem Hervortreten unter dem Thalamus opticuj in Form
eines Fächers, in der Richtung von innen nach aufsen dar;
alle Fasern biegen sich dann von aufsen nach innen um,
je nach ihrer eigenthümlichen schrägen, Quer- oder Län¬
genrichtung, und concentriren sich im Corpus callosum und
in dessen Umbeugungen. Durch diese Convergenz wird
der Fächer auf eine kleinere Fläche zusammengedrängt, und
steht dadurch mit der Ausbreitung des weit kleinem Fä¬
chers der hintern Nerven in Proportion. Der kleine Fächer
hat seine Basis in den vordem Schenkeln des Fornix, und
seine Extremität im Septum lucidum und Cornu Ammonis.
Seine Fasern divergiren in drei verschiedenen Richtungen,
und legen sich an die entsprechenden der vordem Nerven
an. Die Continuität liegt im Septum lucidum, welches sich
mit den Fasern der Hemisphären kreuzt; diese Kreuzung
1) Knie. 2) Aufgesetzte Wulst, nach Reil. lief.
474'
X. Zeitschriften.
wird besonders deutlich an der hintern IJmbeugung des
Corpus callosum. Aus dieser erwähnten Anastomose der
vordem und liintern Nerven am Corpus callosum mit dein
Septum lucidum folgt nicht, dafs alles, was vor diesem
Punkte ist, bei Hirnverletzungen nur Störungen der Bewe¬
gung, und was hinter demselben ist, nur ausschließlich Stö¬
rungen der Empfindung offenbaren miifste. Die vordem
Fasern können sich eben sowohl vom Thalamus opticus aus
in das Corpus restiforme erstrecken, wie die von den hin¬
tern Nerven sich fortsetzenden lasern sich vom Corpus
restiforme zum Thalamus opticus begeben können. Denn
die Stelle ihrer Anastomose bezeichnet keine Gränzc, keine
Raphe; es ist im Gegentheil ein Kreis ohne Anfangs- und
Endpunkt. Die Kreuzung ist der Continuität nicht hinder¬
lich. Die Fortsetzungen der hintern Nerven, das Septum
lucidum und das Cornu Ammonis, liegen zwar vertical,
während die über der Kreuzung befindlichen Thcile hori¬
zontal liegen; indefs diese relative Lage, welche von den
Faltungen der Membran abhängt, würde verschwinden,
wenn man dies Netz bei seinem vordem und hintern Ende
auseinanderziehen könnte: alsdann würde man zwei gleiche
abgestumpfte Kegel erhalten, welche mit ihren Grundflächen
zusammenstiefsen; die Fasern würden sich, ohne Unterbre¬
chung, von der Spitze des einen Kegels bis zu der Spitze
des andern verfolgen lassen, und nur auf dem Punkte würde
eine Kreuzung statt finden, wo die Einfügung der Fasern
der Hemisphären in die Commissur des Corpus callosum
geschieht.
Die beigefügten beiden Figuren machen dies sehr an¬
schaulich. Nach diesen sieht man, dafs das Nervensystem
paarig ist, und dals jede seiner Hälften einen Kreis bildet,
der den andern diagonal schneidet, und dafs jeder Kreis
aus zwei parallelen Ellipsen zusammengesetzt ist, deren eine
gebildet wird durch die Bewegungsnerven und die andere
durch die Empfindungsnerven.
Außer dieser großen Scblingenanastomosc giebt cs
X. Zeitschriften.
475
weiter unten, zwischen den Empfindlings- und Bewegungs¬
nerven, noch eine zweite. Diese wird durch die Verbin¬
dung des kleinen Gehirns mit den vordem Nerven, mittelst
seiner Commissur, mit dem Pons Yarolii hervorgebracht.
Diese Commissur ist eine wahre Vermischung der Fasern,
welche vom kleinen Gehirne kommen, mit denen der Pyra¬
miden. Wenn man die Protuberanz kreuzweise durchsclinei-
det, so sieht man nur sehr wenige Querfasern durch ihre
Dicke fortgehen, und der Winkel, welchen die Pyramiden
zwischen sich über der Commissur des Pons lassen, ist mit
grauer Substanz angefüllt; nur einige fasern, unmittelbar
über den Olivarkörpern , scheinen von dem einen Pyrami¬
dalbündel zu dem andern hinüberzugehen. Zunächst kann
dies noch eine Täuschung sein, weil diese Bündel sich an
diesem Orte berühren; aber je weiter sie unter dem Pons
von einander weichen, desto deutlicher scheint der Schen¬
kel des kleinen Gehirns sich in die Pyramide seiner Seite
zu begeben. Es fragt sich, wie die Fasern hier enden, ob
ihr Ende zwischen den Pyramiden frei stehe und ob hier
nur Contiguität statt finde, oder ob vielmehr, w'as wahr¬
scheinlicher ist, eine Anastomose, eine Continuität vorhan¬
den sei, so dafs die Fasern der Commissur in die Pyrami¬
dalbündel gleichsam eingepflanzt wären. Das Auge vermag
dies nicht zu ermitteln; aber gewäfs ist es, dafs das kleine
Gehirn durch die vordem Pyramiden auf die Bewegung
wirkt. Der Analogie nach mufs man der letzteren An¬
nahme beistimmen, weil die Leitungsfäbigkeit der Nerven
in der ganzen Ausdehnung des Rückenmarks , so wie in den
Theilen des Körpers, nur auf Continuität, nicht aber auf
blolsem Contakt beruht.
Das kleine Gehirn bildet also eine zwreite Schlinge un¬
ter der erstem. Zu bemerken ist, dafs die beiden Segmente
des Kreises über der Kreuzung der Pyramiden liegen.
Dies ist die Zurückführung des sehr complicirten Baues
des Gehirns auf einen einfachen Mechanismus, auf eine
Schlinge. Diese Continuität findet durch sehr feine I heile
476
X. Zeitschriften.
statt, deren Zusammenhang man nicht eingesehen hatte; so
hatte man noch nicht klar die Verbindungen des Fornix
durch seine vordem Schenkel und die daraus hervorgehen¬
den Theilungen mit den Corporibus quadrigeminis, so wie
die Verbindung dieser mit dem Cerebellum dargethan. Die
hintere Commissur des mittlern Ventrikels sah man nur für
Pedunculi ad glandulam pinealem an, deren Spur man am
Schehiigel verlor, wahrend dieselben die innere Abtheilung
des sehr feinen Netzes sind, welches den Schehiigel bedeckt.
Aber, was nicht weniger auffallend ist, dies Netz seihst
hatte man nie bemerkt und beschrieben, welches doch hei
den erwachsenen Thieren so sehr deutlich ist. Beim Men¬
schen ist dieser kleine weifse Schleier, der diese Krhabcn-
heit bedeckt, freilich sehr zart; aLer die Faltung, welche
die VentricalHäche des Selichiigels überzieht, ist stets sicht¬
bar, so wie auch die äufsere Faltung desselben Netzes,
welche längs der Basis des Corpus striaturn fortgebt. Ehen
so wenig hatte man den Zusammenhang davon nachgewie¬
sen; man wufste nicht, dafs alles dies Anhängsel der Schen¬
kel des Fornix sind. Man glaubte stets, dafs das Bündel,
welches von diesen Schenkeln herabsteigt, um sich in die
Corpora mammillaria zu senken, im Innern ries Thalamus
opticus ende, während man es bis über diesen fort ver¬
folgt, wo es sich auswärts von dieser Erhabenheit zwischen
ihr und dein Corpus striatum mit der äufsern Umbeugung
des erwähnten oberflächlichen Netzes vereinigt, und darauf
die ganze Parthie einnimmt, welche zwischen den seitlichen
Bündeln der \alvula Vieussenii und dem Pyramidaltheile
der Schenkel des grofsen Gehirns liegt. Dies ist bei den
übrigen Mammalihus besonders deutlich, und hier ein fase¬
riger Bau durchaus nicht zu verkennen. 'Wenn es nun
wahrscheinlich ist, dafs das Agens der Nervenwirkung ein
dem elektrischen Fluidum analoges ist (:’ ); so sind diese
obwohl zarten Theile eben so gute Leiter, als die Masse
der Hemisphären selbst, indem cs hierbei auf die Dicke
durchaus nicht ankommt.
X. Zeitschriften.
477
Diese von dem Verf. im Centrnm des Nervensystems
aufgefundene Schlinge scheint durch die Entdeckung von
Dumas und Prevost, welche ebenfalls eine Schlinge, und
zwar mittelst des Mikroskops aufgefunden haben, bestätigt
zu werden.
Sollte diese wichtige Entdeckung auch durch die
Untersuchung anderer Anatomen Bestätigung erhalten, so
wäre endlich ein leitender Faden in den mäandrischen Win¬
dungen des Gehirns aufgefunden, an dem wir den Gang
zweier wichtigen somatischen Operationen, der Empfindung
und Bewegung, verfolgen konnten. Von den deutschen
Anatomen , die in der Lehre des Gehirns schon so viel ge¬
leistet haben, ist zu hoffen, dals sie diesen wichtigen Ge¬
genstand einer sorgfältigen Prüfung unterwerfen werden.
Im Gehirne ist der Bau so zart, das Gefiige so fein, der
Zusammenhang der J heile so versteckt, dals man sich auf
das, was ein Einzelner gefunden hat oder gefunden haben
will, nicht geradezu verlassen kann.
Ueberdies herrscht in den Gehirnen eine mannigfache
Verschiedenheit, namentlich in Bezug auf die Faserung,
weshalb der unsterbliche Reil viele Gehirne verglich und
aus dem Resultate der Beobachtungen sich gleichsam ein
ideales Gehirn bildete, in welches er die Entdeckungen
eintrug. Das Ziel dieses grofsen Mannes war ein viel hö¬
heres; er wollte nicht allein erforschen, wie die somatischen
Operationen vom Gehirne aus dirigirt würden, sondern er
wollte entdecken, in welcher nähern Beziehung die Entfal¬
tung, Entwickelung des Gehirns und seiner einzelnen Theile
mit der Psyche ständen. Reil war auf einem herrlichen
Wege ; er hätte uns um eine grofse Strecke in der Er¬
kenntnis der Bedeutung der einzelnen Theile weiter ge¬
bracht, wäre er nicht zu früh für die ganze medicinische
Kunst und Wissenschaft gestorben.
Gail und Spurzh eim haben gleichfalls bei ihren
wichtigen und interessanten Forschungen und gehaltvollen
Entdeckungen das Gehirn nicht blofs in Bezug auf das
478 .
X. Zeitschriften.
Körperliche im Menschen betrachtet, sondern ihre Arbeit
umfafete auch wesentlich die Beziehung dieses Organs zur
geistigen Seite des Menschen.
Es ist überhaupt zu wünschen, diese letztere Rücksicht
bei allen anatomisch - physiologischen Untersuchungen des
Gehirns nie aus den Augen zu lassen; denn im Menschen
dürfen die geistige und körperliche Seite nie getrennt
werden.
Wenn daher Laurencet's Entdeckung, der, wenn
sie sich bewähren sollte, nicht wenig Dank zu zollen ist,
um so mehr, da keiner seiner grofsen Vorgänger, wie viele
sich auch um den Lauf und den Zusammenhang der Gehirn-
faserungen bleibendes Verdienst erworben haben, wie viel
auch durch Gail und Reil vorzugsweise in Hinsicht die¬
ses Gegenstandes mit Glück geleistet worden ist, zu die¬
sem klaren Resultate, zu dieser einfachen, vollständigen
Communication zwischen den Markfasern des Gehirns ge¬
langt ist, — wenn also diese Entdeckung nicht nur einen
isolirten Werth behalten soll; so niufs sie nothwendiger
Weise mit dem in Verbindung gesetzt werden, was sich
auf das VerhäitniCs des Gehirnes zur geistigen Seite des
Menschen bezieht, und in dieser Hinsicht bereits in den
vollwichtigen Acten der Physiologen niedergelegt ist, oder
was noch in der Zukunft darin geleistet werden wird.
Es ist in der neuern Zeit zwar mancher interessante
und lehrreiche Schlufs aus pathologischen Zuständen gezo¬
gen worden, auch haben die directen Versuche, in denen
Magendie vielleicht seines Gleichen sucht, Vieles zur Auf¬
hellung beigetragen: inan weife jetzt, oder meint doch zu
wissen, dafe die vordem Stränge des Rückenmarks der
Bewegung, die hintern der Empfindung angehören, —
solche sogenannte directe Versuche führen indeis nur zu
oft zu Einseitigkeiten, und leisten das nicht, was sic an¬
fänglich zu versprechen scheinen. Man nennt solche Ver¬
suche: gemachte Erfahrungen , die als unfehlbar gelten.
])r. A. Velpcau (Archive* g/nerales de Medicine, Jan-
X. Zeitschriften.
479
vier 1825.) hat in Hinsicht auf die Bell - Mangendie-
schen Sätze Verletzungen des Rückenmarks untersucht, und
kommt nach dem Vergleich zwischen den krankhaften Er¬
scheinungen in den Verrichtungen der afficirten Theile und
dem Ergebnifs der Obduction, zu dem Ausspruche, dafs
vor einem zu unbedingten Vertrauen in noch so scharfsin¬
nige Theorien zu warnen sei. —
Dies nur in Parenthese, wobei Ref. sich nur noch die
Bemerkung erlaubt, dals es eine Kränklichkeit unserer heu¬
tigen Gelehrten ist, dafs sie einmal viel zu früh erklären,
ehe noch Materialien genug gesammelt worden sind, aus
denen allenfalls sich ein allgemeiner Satz ziehen liefse ; und
zweitens überhaupt zu viel zu erklären suchen. Es sähe
viel besser um die Wissenschaft aus, wenn manche soge¬
nannte scharfsinnige Theorien gar nicht vorhanden wären.
Jeder hält sich für berechtigt, ein allgemeines Urtheil aus¬
zusprechen, während er doch in der beschränktesten Parti-
cularität nur zu oft befangen ist. Sammeln und Beobach¬
ten sollen Viele; das Ordnen und Expliciren überlasse man
denen, die den Geist, die Entfaltung des Begriffes erkannt
haben!
Im zweiten Artikel (März 1825) geht der Verf. an
die physiologischen Sätze. Er rechnet also zu den Thei-
len, welche den Bewegungsnerven angehören: 1) die Py¬
ramiden, als Fortsezungen der vordem Bündel; 2) die
Ausbreitung dieser Pyramidalfasern, welche durch den Pons
fortgehen und darauf die vordere Fläche der Hirnschenkel
einnehmen; 3) die Fortsetzungen dieser Fasern, die von
der untern Seite des Thalamus opticus hervorkommen, um
durch das Corpus Striatum zu gehen; 4) die ganze Par-
thie, welche von dem Netze der Hemisphären herstammt,
gebildet durch die letztgenannten Fortsetzungen selbst, bis
zürn Corpus callosum, und dies mit eingeschlossen.
Diese ganze Masse kommt, wie früher erwähnt, von den
ausgebreiteten Pyramidalfasern her, die anfangs in der Rich¬
tung von innen nach aufsen gehen, darauf umgebogen, von
4S0
X. Zeitschriften.
allen Seiten von aufsen nach innen convergiren. Alle An¬
schwellungen und Höhlungen vom Corpus Striatum und dem
dritten Ventrikel an, verdanken den Beugungen und Fal¬
tungen der Membran allein ihren Ursprung.
Zu den Nerven der Empfindung gehören, von oben
nach unten genommen, folgende Abtheilungen: 1) das feine
und zarte Netz, welches das Cornu Ammonis bekleidet,
und an seiner innern G ranze das Corpus fimbriaturn bildet;
2) die Platten des Fornix und Septum lucidum, welche
letztere nur Umbeugungen der erstem sind; 3) die vor¬
dem Schenkel des Fornix; 4) alle Unterabtheilungen die¬
ser Schenkel, nämlich das Netz, welches den Thalamus
opticus bedeckt, die innere und äufsere Umbeugung dieses
Netzes, welche ersterc sich durch die hintere Commissur
und die Corpora quadrigemina zum kleinen Gehirne be-
giebt ; ferner die übrigen, weit zahlreichem und beträcht-
- lichern Abtheilungen, web he «las Innere des Thalamus opti¬
cus in drei unterschiedenen Aesten durchziehen; und 5) ab¬
wärts sowohl zu den Corporibus mammillaribus als auch
zu den weifsen Bündeln, welche beim Menschen das trian¬
guläre Watt darstellen, welches man zwischen den Pedun-
culis ccrcbri bemerkt, und auf dem der Nervus oculomo-
torius mit einer seiner Wurzeln entspringt, verlaufen.
Dieses faserige Bündel scheint zum hintern Theile der Py¬
ramiden zu gehen, aber man kann beim Menschen diese
Richtung schwer bestimmen, während sie bei den übrigen
Säugethieren , namentlich bei den Nagern, in einer grofse-
ren Strecke deutlich ist. Bei den Nagern ist es nicht eine
faserige Platte, sondern man bemerkt vielmehr zwei abge¬
rundete kleine Bündel, welche eine deutliche Furche von
den Pedunculis trennt.
(Jicschlu/s folgt.)
Litternriscke Annalen
der
gesummten Heilkunde.
Zeitschriften.
t \
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/ - —
• . * » ' y
2. Revue medicale fran§aise et etrangere, et
Journal de ( A i n i q u e de l’Hötel-Dieu et de 1 a
Charite de Paris etc. 1825. Mars.
( JBeschlu/s. )
A^V^enn man die oberflächliche Lage der Fasern des Pons
abschabt, welche die Pyrainidalbiindel bedeckt, so bemerkt
man da, wo tjiese auseinander treten, und etwas weiter hin¬
ter ihnen, die Leiden kleinen Bündel, welche aus den
_
Corporibus mammillaribus hervorkommen ; aber man verliert
die Spur ihrer Fortsetzung in den Bulbus rhachidicus (das
verlängerte Mark). Es fragt sich, ob dies die Elemente
des dritten Bündels sind, welches Belingeri seitlich zwi¬
schen den vordem und hintern Bündeln der Medulla be¬
schreibt. Der Verf. hat dieses Bündel niemals finden kön¬
nen; eben so wenig den seitlichen Streif (der etwa das¬
selbe wäre, wie Belingeri’s drittes Bündel), aus wel¬
chem man die N. respiratorii herleitet.
Nach der Aufzählung dieser, sowohl für die Bewegung
als auch für die Empfindung bestimmten Theile, entwickelt
der Yerf. seine physiologischen Ansichten.
Gail hatte schon zur Hälfte die Phänomene erklärt;
er hatte bereits nachgewiesen, dafs die vordem Bündel sich
ins Gehirn fortsetzen, und dafs die Lähmungen an der ent¬
gegengesetzten Seite des Körpers in der Kreuzung dieser
II. Bd. 4.. St. 31
m
X. Zeitschriften.
IUindel, bevor sic sich in» Gehirne ausbreiten, ihren Grund
haben. Aber nicht so gelang es ihm mit den hintern Bün¬
deln. Man wulste schon, dafs die Bewegung sich vom
Centrum nach der Peripherie erstrecke, und dafs die Kin¬
drücke dagegen ihren Lauf von der Peripherie nach den»
Gentrum nehmen; aber man ahnetc nicht, dafs Systeme
verschiedener Nerven diesen» doppelten Zwecke vorstchen.
Krst Magen d ie ( i’) hat dies durch seine Versuche dargethan.
Der Verf. stellt nun, nach einigen vorgängigen He-
flexionen, folgende Punkte fest:
1 ) Die Nerven sind in den Theilen des Körpers nur
einfache Leiter der Eindrücke. Angekommen im Gehirne,
nehmen sie die Eindrücke, welche sie dahin gebracht ha¬
ben, selbst wahr, und bringen darauf den Organen die
'Willensbestimmung, welche sie veranlafst haben, zurück.
Dies letzte Phänomen wird jedesmal auf der, der Hemi¬
sphäre, von welcher die Bestimmung ausgeht, entgegenge¬
setzten Seite hervorgebracht. Man kann also schon daraus
schliefsen, dafs das Gehirn das Organ sei, wo das Princip
der Bewegung seinen Sitz hat. Diese Eigenschaft bezieht
sich sowohl auf die willkührlichen als unwillkührlichen Be-
wegungen.
2) Eben so ist das grofse Gehirn ausschliefslich als
das Organ der Empfindung und Wahrnehmung zu betrach¬
ten. Diese Action hängt einmal, vielfach genommen,
von einer gew issen Parthie der Theile ah , die man sich in
einem bestimmten Raume denken kann, und einfach von
der ganzen Cerebralmasse , jedoch nur in Bezug auf das
Organ, welches den Eindruck empfangen und zugeschickt
hat. Dieser Eindruck erstreckt sich stets bis zu der Hemi¬
sphäre, welche der Seite des Körpers, auf der das afficirte
Organ befindlich, entgegengesetzt ist. Das grofse Gehirn
empfängt also die Sensationen ebenfalls, so wie es die Con-
tractionen veranlafst, mittelst Kreuzung.
3) Man erklärt sich sehr leicht die Kreuzung des letz¬
ten Phänomens — der Contractionen — wenn man die
X. Zeitschriften.
483
Richtung der vordem, als der Bewegung angehörig bezeich-
neten Fasern, welche sich von dem Gehirne zu den bethei¬
ligten Organen begeben, so wie jene vier Formen (Pha-
ses), in denen diese Fasern auf ihrem Wege von der Me-
dulla zu den Hemisphären Zusammenkommen, verfolgt. - -
Um anatomisch von dem Kreuzungswege der Sensationen
Rechenschaft zu geben, mufs man andererseits ebenfalls die
der Empfindung angehörigen Fasern in allen ihren fünf
Bildungen (Phases), und zwar von unten nach oben ver-
fol gen. Wenn z. R. ein Eindruck am Ende einer obern
Extremität statt findet, und man verfolgt denselben in sei¬
nem \ erlaufe, so kommt man leicht auf die hintern Bündel
der Medulla, wohin die Empfindungsnerven vom Plexus
brachialis sich begeben, und mit diesen Bündeln (von der
Rinsenkung dieser Nerven aufwärts) zum Bulbus rhachidi-
cus und selbst bis zur Protuberantia annularis. Es bleibt
nur noch zu wissen übrig, ob diese Bündel ihren Weg
durch das kleine Gehirn nehmen, oder nur durch die von
den Abtheilungen des Fornix herrührenden Bündel, deren
Spur bis zum Bulbus rhachidicus verfolgt worden, oder ob
der Eindruck endlich durch die Commissur des kleinen Ge¬
hirns, welche mit den vordem Pyramiden in Verbindung
steht, zum grofsen Gehirne gelange. — Für welche An¬
sicht man sich nun auch entscheiden mag, so bleibt doch
der Fornix das vermittelnde Organ, weil das kleine Gehirn
ebensowohl durch die Corpora quadrigemina, als das kleine
ijnnere Bündel der Pedunculi bei den Säugethieren oder
das trianguläre Blatt beim Menschen, durch die Eminentiae
pisiformes, mit den vordem Schenkeln des Fornix zusam-
menstöfst. Der Fornix, das Septum lucidum und das Cornu
Ammonis sind also die Theile, durch welche die hintern
Nerven mit den von den vordem Pyramiden gebildeten
Hemisphären verbunden werden. —
Es ist sehr zu wünschen, dafs der geschickte lind geist¬
reiche \ erfasser sich, wie er es auch verspricht, mit die¬
sem Gegenstände weiter beschäftige, und uns recht bald
31 *
4S4
X. Zeitschriften.
mit dem Resultate seiner fernem Forschungen I>ekannt
mache. Von der gröfsten Wichtigkeit w ird es ganz beson¬
ders sein, die pat halogische Anatomie in dieser Beziehung
zu bearbeiten, indem diese uns oft mehr Aufschlufs ge¬
währt, als die directen Versuche. —
• • • • +* •
Zwei Beobachtungen über die Verbreitung des Garci-
noms und Markschwammes auf innere Theile, von \ elpeau,
sind ganz dazu geeignet, über diesen krankhaften Vrozefs
Licht zu verbreiten. Ein dreifsigjühriger gesunder Mann
bekam nach einer starken körperlichen Anstrengung eine
seirrhöse Geschw ulst in der linken Achselhöhle, die in \ er¬
lauf von zehn Monaten in offenen Krebs mit starken Hä-
morrhagien überging, und so endlich den Tod herbeifiihrte.
Bei der Section zeigte sich das Pancreas, die rechte ISiere,
und in einem Umkreis von anderthalb Zoll die hintere
Wand der untern Holdader scirrbös, so dafs die ganze
seirrhöse Masse in dies G ef als eingewachsen zu sein schien. —
ln einem andern Falle erfolgte auf eine, nach äufserer Ver¬
letzung bei einem gesunden Manne entstandene Sarcotele,
die sich bei der Section als einen Markschwamm des Testi-
kels (eancer cerebri forme) zu erkennen gab, eine ähnliche
Degeneration der Lungen, der Milz, des Pancreas und der
unteren Holdader. Das so entstandene Gewächs im Unter¬
leibe bildete eine grofse, unförmliche, allenthalben fest¬
sitzende Masse, die die benachbarten Eingeweide aus ihrer
Lage ge^rängt batte, und die Ilobladcr sowohl wie die
Aorta umfafste. Alle Aeste der Hohlader, und namentlich
die V enae crurales enthielten faserige Concretionen von of¬
fenbar älterer Entstehung, in Gestalt eines zähen, unglei¬
chen, äutserlich glatten Stranges in jedem Gefafs, der nir¬
gends verwachsen und nicht mit Blut, sondern mit weni¬
gem röthlicben Serum umgehen war. Im Innern waren diese
Stränge weich, von körnigem Bau, von Farbe gelb, weifs,
schwarz oder grün, nach aufsen grünlich oder gelb, bald
weicher, bald härter, und seidenen an einigen Stellen Eiter,
X. Zeitschriften.
485
an andern dagegen tuberculöse und hirnähnliche Masse zu
enthalten. Ueber die Nierenvenen hinaus nahm der Umfang
derselben beträchtlich zu, und sie zeigten mehr und mehr
die Beschaffenheit der Substanz der grofsen unförmlichen
Geschwulst, mit der sie unläugbar in dem genauesten pa¬
thologischen Zusammenhänge standen. — Sind diese Anga¬
ben alle zuverlässig, so liegt es in der That sehr nah, die .
Venenresorption als den Weg anzuerkennen, auf dem die
Natur die Ansteckung entfernter Tlieile von einem örtlichen
Krebs oder Mark schwamm aus bewerkstelligt, und das an¬
fänglich blofs örtliche Uebel zu einer zerstörenden allge¬
meinen Krankheit ausbildet. Die von dem Herausgeber in
diesen Annalen *) ausgesprochene Ueberzeugung, « dafs der
Körper bei bösartigen Geschwüren auf dem Wiege der Ve¬
nenresorption chronisch vergiftet werde, und ein ursprüng¬
lich örtlicher Krebs wie durch eine innere Ansteckung sich
dahin und dorthin verbreite, und dadurch den rettungslosen
Zustand , nicht nur der Cachexie , sondern auch der allge¬
meinen Scirrhusbildung unabwendbar herbeiführe, }> wird
durch Velpeau’s Beobachtungen auffallend bestätigt, und
scheint sich zur Gewifsheit erheben zu können, im ball
noch ähnliche folgen sollten. Hr. V. sammelt seit mehre¬
ren Jahren Beweise für die pathologische Wirksamkeit der
Venenresorpiion in Rücksicht der Uebertragung krankhafter
Stoffe, und gedenkt dieselben bei Gelegenheit mitzuthei-
len. — Der beigegebene nicht ganz deutliche Steindruck
stellt einen Theil des Markschwamms im Unterleibe im zwei¬
tem Falle dar, und soll vorzüglich die Lage und lextur
der besprochenen Stränge in den grofsen Unterleibsvenen
anschaulich machen.
Die letztere Beobachtung Velpeau’s hat in der Aca-
demie royale de medecine (25. Jan.) Gelegenheit zu in¬
teressanten Erörterungen gegeben. Ade Ion, der Bericht¬
erstatter, hielt dieselbe in Betreff jener Stränge in den
] ) No. 41,. S. 142.
486
X. Zeitschriften,
Unterleibsvenen , in «lenen sich hirnähnliche Masse vorge¬
funden hatte, für durchaus neu. Beclard erwähnte indes¬
sen zwei ähnliche Fälle aus seiner Erfahrung, in deren ei¬
nem bedeutende Concremente hirnähnlicher Substanz im
Herzen und den grofsen Gefafsen enthalten waren, die sich
bis in die Halsgefäfse hinauf erstreckten, und hier äufscr-
1 ich eine Geschwulst erregten, deren Operation der Kran¬
ken das Leben kostete. Der zweite Fall schliefst sich an
den von Velpeau noch näher an. Es waren iin ganzen
Körper Markschwämme entstanden, in der untern Hohlader
aber und in ihren beiden Hauptästen fand man den beschrie¬
benen durchaus ähnliche Stränge mit hirnähnlicher Masse.
Die deutschen Leser erinnern sich bei dieser Gelegenheit
der beiden merkwürdigen Beobachtungen von I\ust *), wo
eine ausgedehnte, vom llodcn ausgegangene Bildung innerer
Markschwämme mit einer Varicosität der Lymphgefäfse,
besonders der Cisterna chyli und des Ductus thoracicus ver¬
bunden war. Sollten sich bei wiederholten Beobachtungen
auch die lymphatischen Gcfiifse als die "N erbrciler jenes
furchtbaren Uebels zu erkennen geben, wie man danach
mit aller Wahrscheinlichkeit vermuthen kann, so wäre durch
so auffordernde Thatsachcn der Weg für künftige Unter¬
suchung vorgezeichnet.
Die Beobachtungen über sogenannte parenchymatöse
Blutungen nach grofsen Operationen mehren sich seit eini¬
ger Zeit. Dafs dergleichen nach Unterbindungen grofser
Gefäfsstänmic, namentlich der A. anonyma a), der cruralis
und carotis vorgekommen sind, und zuweilen den Erfolg
wichtiger Operationen vereitelt haben, ist allgemein be¬
kannt, wenn auch die wundärztliche Praxis die Contraindi-
cation gar zu gewaltsamer Störungen des Kreislaufes, die
offenbar in dieser Erscheinung hegt, weniger als sie sollte,
1) E. ‘Horn’» Archiv für medir inische Erfahrung. 1815.
September, Ortober. S. 731.
2) INo. 8. S. 126. d. A.
X. Zeitschriften.
487
zu fürchten scheint. — Regelmäfsig intermittirende Blu¬
tungen der Wunde nach einer sehr geschickt ausgeführten
Excision des Daumens, des Zeigefingers und des zugehöri¬
gen Theils des Metacarpus, so wie der Handwurzel der lin¬
ken Hand, die nach der Zerschmetterung derselben durch
das Springen eines Gewehrs nothwendig wurde, hat Iir.
Benähen beobachtet. Der Operirte war ein gesunder
junger Mann von zweiundzwanzig Jahren; alles verlief gut,
nur stellte sich, ungeachtet wiederholter Aderlässe, am ach¬
ten Tage nach der Excision ein starkes Nasenbluten ein,
und drei Tage danach, während der Eieberexacerbation eine
unbedeutende Blutung aus den Gefäfsenden der schon meist
vernarbten Wunde. Diese wiederholte sich den Abend
darauf zu derselben Zeit, wiederum mit Fieberbewegung;
eben so am fünften Tage. Ein Hindernifs der gänzlichen
"V ernarbung entstand daraus uicht. Bemerkenswerth ist es,
dafs die Blutung erst spät, nach begonnener Heilung ein¬
trat, wie dies auch nach Unterbindungen grofser Gefäfse
beobachtet worden ist, und aus derselben, mit Vollblütig¬
keit verbundenen überwiegenden Thätigkeit der Capillar-
gefäfse erfolgte, die durch gröfsere Hemmungen des Kreis¬
laufes gewaltsam herbeigeführt wird.
A. Me-nard sucht cs in einer kurzen Abhandlung
wahrscheinlich zu machen, dafs der Sitz der Epilepsie im
kleinen Gehirn zu suchen sei, indem sich eine Steigerung
der Geschlechtsfunctionen gewöhnlich damit verbinde, die
mit den ^ errichtungen des kleinen Gehirns im genauesten
Zusammenhänge stehen. Allerdings ist der Gegenstand ei¬
ner Beleuchtung von dieser Seite sehr empfänglich. Die
Ph ysiologie des Nervensystems macht so bedeutende Fort¬
schritte, dafs für die Pathologie desselben vielleicht bald
grofser Gewinn zu erwarten steht.
Die Wirksamkeit der Acupunctur gegen hartnäckige
und schmerzhafte Augenentzündungen , hat sich nach J.
Cloquet und Ilusson neuerdings in mehreren Fällen be¬
währt. Man wählte dazu die Schläfe, die Stirn, oder die
488
X. Zeitschriften.
Augenbraunen. Leider ist der Charakter der Entzündung
nicht angegeben.
Coqueteau will sich durch sechs Versuche an drei
Kaninchen, zwei Katzen und einem Hunde überzeugt ha¬
lben, dafs die Krystalllin.se sich regenerirt, wenn man sie
ohne Zerstörung der Kapsel ausgezogen hat.
' Hecker .
3. Magazin for Naturvidenskaherne. .1 Forening med
Proh^ssorernc I)r. M. Skjclderup og I)r. Fr. Holst
udgivet of Profcssorcrne G. F. Lundh, C. Hansteen og
H. J. Masch man n. Aargang 1825. IsteHeftc. Christiania,
hos Chr. Gründahl.. 8. 177 S. med 2 Steentryk.
Magazin für die Naturwissenschaften. Jahrgang
1825. lstes Heft. Christiania.
Die Abtheilung für die Arznei wissen schaft in
dieser vierteljährig herauskommenden norwegischen Zeit¬
schrift enthält folgende Origina^abhandlungen.
1) Einen Fall von Ruptura utcri während
der Geburt; von dem Professor und Generalchirurgen
Th u Istrup in Christiania. Die Ruptur ereignete sich bei
einem Mädchen, 41 Jahr alt, das schon einmal mit Hülfe
der Wendung ein Kind geboren hatte, aber im höchsten
Grade bucklicl» war, und ein sehr kleines und fehlerhaftes
Becken hatte. Die Ruptur fand statt, bevor der Mutter¬
mund noch so ausgedehnt, oder die Frucht so tief gesun¬
ken war, dafs die Zange angewendet werden konnte, und
ehe die vorhandenen Symptome sie irgend befürchten lic-
fsen. Die Mutter starb eine halbe Stunde danach , und
das Kind wurde todt in der Bauchhöhle gefunden. — Die
Bemerkungen, mit denen der Verf. den Fall begleitet, ent¬
halten zu allgemein bekannte Dinge, uin sie hier zu wie¬
derholen.
2) Eine magnetische Cur in Christiania, vom
29sten Decembcr 1817 bis zum 1 2 1 e n Mai 181^;
vom Hrn. Döderlein, Stadt physicus in Christiania. Diese
Cur ist in sofern merkwürdig, weil sie die erste jemals in
X. Zeitschriften.
489
Norwegen vorgenommene ist. Deutschland besitzt der¬
gleichen Erzählungen in so grofser Menge,, dals es hier
genügen mag zu bemerken, dafs die Kranke, 24 Jahr
alt, seit langer als 5 Jahren an heftigen hysterischen Zu¬
fällen gelitten hatte, dafs sie sich sogleich für den Magne¬
tismus empfänglich zeigte, bald in magnetischen Schlaf ver¬
fiel, und während desselben dem Magnetiseur richtige Ant¬
worten gab, sich selbst Knoblauch gegen ihre XVurmbe-
sch werden verordnete, und mit der gröfsten Genauigkeit
alles was man ihr auf die Cardia legte, angab. Sie wurde
geheilt, und ist, nach der Versicherung des Verf. , irgend
eines Betrugs durchaus unfähig.
3) Beobachtung einer Caries in dem rech¬
ten Schläfenbein; vom Professor Holst in Christiania.
Das Gehirn und seine Häute wurden davon ergriffen, und
der Kranke starb.
4) Herr H eiberg in Bergen giebt Nachricht von
einem neuen Instrumente, um eine krankhaft verlängerte
Uvula sicher und schnell abzuschneiden. — Die Verlänge¬
rung der Uvula soll in Bergen sehr allgemein sein, was
Hr. H. aus der feuchten Luft und den plötzlichen Verän¬
derungen der Witterung herleitet. Das Instrument ist von
einem Schmidt, Lassen (!) in Bergen erfunden. Es be¬
steht aus zwei eisernen Platten, die durch Schrauben so
verbunden sind, dafs die unterste, die vorn einen scharfen
lland hat, vorwärts und rückwärts geschoben werden kann ;
die oberste Platte hat an dem Ende, das in den Mund ein¬
gebracht wird, eine runde Oeffnung, in welche eben die
Uvula pafst. Mit der rückwärts gezogenen unteren Platte
wird das Instrument in den Mund eingebracht; man lälst
jenes runde Loch die verlängerte Uvula aufnehmen; dann
durch eine Feder die untere Platte hervorspringen, und —
das unterste Stück der Uvula ist hinweg!
Die Nothwendigkeit dieses ziemlich complicir ten Instru¬
mentes ist nicht wohl zu begreifen, indem ja die Abschnei¬
dung der Uvula sehr bequem, sicher und geschwind mit
490
XI. Dissertationen.
Hülfe eines einfachen Bistouri’s, oder einer Schere aus-
gcfiihrt werden kann.
Otto.
XI.
Dissertat
o n e n •
1. Der Universität Berlin.
16. M o n s t r i a c e p h a 1 i h u m a n i E x p o s i t i o anato-
mica. Spec. inaug. nied. auctore Joann. Ilenric.
Kalck, Saraepontin. Def. d. 28. Mart, 1825. 4. pp. 16.
Cum 2 tabh. aen.
Der hier beschriebene Acephalus giebt eine neue Be¬
stätigung, dafs das Fehlen des Kopfes ein Fehlen des Her¬
zens voraussetzt. Es wäre zu wünschen gewesen, dafs der
Yerf. auf diesen wichtigen Umstand mehr Rücksicht, als in
der übrigens guten anatomischen Beschreibung geschehen
ist, genommen hätte. Sind hier und da auch einzelne
Fälle vorgekommen, wo bei fehlendem Kopfe das Herz
vorhanden war, so sind dies gewifs nur seltene Ausnahmen
von der allgemeinen Regel. Die Abbildungen in Kupfer,
von denen die eine die äiifsern Umrisse der Mifsgeburt, die
andere die geöffnete Bauch- und Brusthöhle darstellt, sind
zweckmäfsig und sauber. (Vergl. De Acephalis sive
Monstris corde carentibus Diss. atict. E. Elben. C. 22 tabb.
lithogr. Berolin. 1821. 4.
17. De Signis ex Respiratione petitis. Diss. inaug.
med. auctore Gustav. Roseinan n, Silos. Def. d. 2.
April. 1825. 8. pp. 37. ' * ♦ *
Eine nach den bekannten Quo.llen mit Flcils ausgear-
beitetc Semiotik der Respiration, die durch Hinzufügung
r
XL Dissertationen.
491
der Resultate der Auscultation an Vollständigkeit gewonnen
haben würde.
18. De Phthisi tracheali. Diss. inaug. med. auetor.
August. Ludoyic. Theodor. Bock, Sandaviens.
Def. d. 6. April. 1825. 8. pp. 30.
19. De nonnullis Ny mp har um varietatibus et de-
g e n e r a t i o n i b u s insignioribus, et i m p r i m i s de
n o t a b i 1 i q u a d a m i 1 1 a r u m degeneratione iuxu-
riante. Diss. inaug. med. auctore Carol. Ernest.
Beniamin Klewitz, Marcbic. Def. d. 7. April. 1825. 4.
Cum 2 tabb. lithogr.
Diese Dissertation kann als ein Seitenstück zu Tol-
berg’s trefflicher Abhandlung « De varietate hymenum.
Ilalae 1791. 4. » betrachtet werden. Der Verf. schickt die
pathologische Anatomie der Nymphen mit vielfältiger An¬
gabe der Quellen voran, und erzählt dann zwei im hiesi¬
gen Charitekrankenhause beobachtete Fälle von bedeuten¬
der Wucherung derselben. In dem einen brachte die Ex¬
stirpation radicale Hülfe, in dem andern waren bis dahin
die gewöhnlichen innern und äufsern Heilmittel ohne W ir-
kung geblieben. Die beigegebenen Steindrucke versinnlichen
die Wucherung der Nymphen im ersten Fall einigermaafsen.
20. De Eclampsiae diagnosi et prognosi. Diss.
inaug. pathologic. auctore Theophil, de Meyeren,
Borusso -Eichsfeldens. Def. d. 9. April. 1825. 8. pp. 28.
21. De accu rat io re Phthisis nerveae diagnosi.
Diss. inaug. med. auctore Frideric. de Meyeren,
Borusso -Eichsfeldens. Def. d. 11. April. 1825. 8. pp. 23.
Hecker.
XL Disspi'lalioiuu.
4<«
t
11. Der Universität Prag.
De Statu febrimn nervoso in gencrc (’-ommen-
lat io analytico-nosologica. Auctore J o h. E r n.
Ryba. Pragae, 1824. S. pp. 100.
Diese in einem klaren und verständlichen Latein ge¬
schriebene Inaugural- Dissertation giebt eine ausführliche
und sehr gute Uebersicht alles desjenigen, was in alter und
neuer Zeit von den vorzüglichsten Schriftstellern zur Dar¬
stellung und Erklärung des nervösen Fieberzustandes in sei¬
nem ganzen Umfange geschehen ist, und hebt mit einer
recht gesunden Kritik und Beibringung der nüthigen Gründe
das hervor, was der Wahrheit am nächsten kommt oder
zufolge einer Menge unleugbarer Thatsachcn als unbedingt
wahr angenommen werden mufs. Nach Feststellung einiger
allgemeinen Grundsätze über die Behandlung seines wichti¬
gen Gegenstandes, die etwas mehr ins Kurze hätte gefafst
w erden können , geht der Verf. Seite 28 zur Geschichte
des nervösen Fieberzustandes über, und entwickelt die
Hauptansichten der Alt en und Neuen darüber auf genügende
W eise. Phrenitis war den Alten jedes acute Fieber mit
heftigem . Irrereden; den der Phrenitis gerade entgegenge¬
setzten Zustand nannten sie Lethargus, worunter sie, wie
hier mit Beweisstellen dargethan wird, unsern heutigen
Status febrimn nervosus torpidus verstanden. Man betrach¬
tete ihn nicht als ein blofses Symptom, wie nach Grüner
einige Neuere thuu, sondern als eine cigenthiimliche Krank¬
heit. Den meisten Neuern wird der sehr gegründete N or-
wurf gemacht, dafs sie sich mehr darin gefallen hätten,
Theorien über das Nervenfieber aufzustellen, als dessen No¬
sologie genau zu bestimmen, und dafs sie dadurch zu son¬
derbaren N eriiTungen und Behauptungen verleitet w orden.
Dagegen wertlen Ili Idenbrand’s, Kreysig’s und einiger
andern \erdienste um Aufhellung dieses dunkeln Gegen¬
standes besonders hervorgehoben und mit gebührender Wür¬
digung anerkannt. Die Behauptung des Verf., dals sieb bei
XI. Dissertationen.
493
genauerer Betrachtung im Delirium das eine oder andere
Seelenvermögen vorzugsweise vor den übrigen krankhaft
verändert zeige, bestätigt die Erfahrung nicht; dem sorg¬
fältigen Beobachter wird sich vielmehr das Gegentheil als
wahr erweisen. Die Unordnung und Verworrenheit der
Symptome, sagt der Verf., welche man in nervösen Fie¬
bern beobachtet, unterscheide sich von der in der Hypo¬
chondrie und Hvsterie dadurch, dafs sie in letztem, als
J m 1 *
fieberlosen Zuständen, nie allgemein sei, sondern sich im¬
mer auf das Gangliensystem, besonders des Unterleibes, be¬
schränke; das ist nur halb wahr; sobald beide Krankheiten
eine gewisse Höhe erreicht haben, zeigen sich die verschie¬
denartigsten Zufälle im ganzen Körper. Zum Schlüsse die¬
ser schätzbaren Abharfdlung werden folgende allgemeine
Sätze zur Uebersicht und als Endergebnisse aulgestellt.
Der nervöse Fieberzustand ist ein unregelmäfsiger Zu¬
stand von wahrer Schwäche der Lebenskräfte, Wirkung
und Bestandtheil irgend eines Fiebers. 1) Er unterscheidet
sich von jedem Schwäche- und jedem fieberlosen nervösen
Zustande durch seine Symptome und seine Natur wesent¬
lich. 2) Er bringt niemals Fieber hervor, sondern ist
Wirkung desselben. 3) Er kann zu jedem Fieber treten,
ist aber verschiedenen Fieberarten ganz vorzüglich eigen.
4) Er begründet nicht die Natur des Fiebers, sondern ver¬
ändert blofs den Charakter. 5) Er behält die Natur des
Fiebers, zu dem er tritt, bei und ist daher nach der Art
desselben höchst verschieden, anders im gastrischen Fieber,
anders in den Blattern u. s. w. 6) Es giebt demnach kein
nervöses Fieber eigener Art. 7) Das Stadium der Irritation
fehlt nie, geht aber bisweilen so gelind und schnell vor¬
über, dafs es viele Beobachter gar nicht bemerken. 8) Der
nervöse Fieberzustand ist nicht allein verschieden nach den
Fieberarten, sondern auch nach der epidemischen Consti¬
tution, nach der Anlage des Kranken u. s. w. Selbst der
Typhus contagiosus, wenn er Menschen befällt, die vorher
durch 'Buhr, Diarrhöen u. s. wv geschwächt wurden, nimmt
494
XII. Corrcspondonznacliriclilcn.
eine eigenthiimliehe Form an, die von dem gewöhnlichen
Verlauf abweicht und der Febris lenta nervosa nicht un¬
ähnlich ist. 9) Wenn aber der nervöse Fieberzustand auch
nicht das Grund wesen ausmacht, so ist er doch in jedem
Fieber ein so wichtiges Moment, dafs er bei der Cur im¬
mer die Ilanptindication, nicht selten die Indicatio vitalis,
begründet.
D.
xn.
Correspondenznachricbtcn.
I . Nachricht ii b e r die Pocken in Schweden und
Dänemark im Mai 18*25. Mitgetheilt von I)r. Otto
in Kopenhagen *).
Schweden. In Stockholm sind in das Pocken¬
hospital 25 (16 mit den natürlichen Pocken und 9 mit den
modificirten) aufgenommen worden. 16 sind als geheilt
entlassen, 3 gestorben, und 17 noch zurück; keiner von
den Verstorbenen war jemals vaceinirt worden. — In das
Garnisonhospital sind 2 mit den modificirten Pocken aufge-
nommen, und 6 geheilt entlassen worden.
Was die Provinzen betrifft, so wurde im Stock¬
holm sieh ne 1, der nicht vaceinirt war, von den natür¬
lichen, und 1 von den modificirten Pocken ergriffen; irn
Munsö litten 17 an den natürlichen, und 10 an den mo¬
dificirten Pocken (im Ganzen haben 73 dort die Pocken
gehabt, von welchen 6 gestorben sind). In Adelsöe,
Färcntuna und Hillersjö sind 3 Frwachsene, die nicht
vaceinirt w'aren, daran gestorben; in VA ermdü haben 7,
1 ) Ycrgl. No. 56. S. 38*2 dieser Annalen.
495
X]i. Corrcspondcnznachricfatcn.
• ^ \ '» t
Kinder und Erwachsene (nicht vaccinirte), die natürlichen
Pocken gehabt. — Im Calmarlehne und Wimmerby-
bezirke hatten 12 die natürlichen, und in Mörlunda und
Mälilia 15 die modificirten Pocken. — Im Wenners-
borglehne und l>lo raasbezirke litten 23 an den Pocken,
davon die meisten von der modificirten Art waren. Im
Kils und isnum haben im Ganzen 73 die natürlichen
Pocken gehabt; im Car lsstadtleh ne und Philipstadt¬
bezirke herrschen die Pocken noch immer, aber genauere
Nachrichten fehlen. Im F alulehne und Bezirke litten 5
an den Pocken; in Järna habeh sich nur die modificirten
gezeigt; in Svärssjö haben im Ganzen 82 unter dem
zwölften Jahre und 75 ältere die Pocken gehabt; 5, die
nicht vaccinirt waren, sind daran gestorben. In Norr-
bärke wurden 6 von den natürlichen, und im Hernö-
s a n d 1 e h n e 4 von den modificirten Pocken ergriffen.
Dänemark. In Copenhagen ist nicht ein einziger
Pockenkranker mehr; in Jütland dagegen giebt es viele.
Da aber nichts darüber in den Zeitungen bekannt gewor¬
den ist, so kann die Zahl, die sich auf mehr als 350 belau¬
fen soll, nicht genau angegeben werden.
2. Oertliche Selbstverbrennung. (Auszug aus dem
Journale des allgemeinen Krankenhauses in Hamburg.)
i
Marg. Friederike Kath. Heins, 17 Jahr alt, klein,
von zartem Körperbau und blühendem Ansehn, seit ihrem
dreizehnten Jahre sparsam und sehr beschwerlich, aber doch
regelmäfsig menstruirt, litt seit längerer, doch unbestimmter
Zeit an Schwindel und Kopfschmerz. Sie mufste deshalb
ihren Dienst als Hausmädchen aufgeben, und lebte seitdem
als Näherin. Die gewöhnlichen Kinderkrankheiten hatte sie
leicht und ohne Folgen überstanden.
Am 21 sten Januar 1825 war sie Abends mit Nähen
beschäftigt, als sie plötzlich eine ungewöhnlich starke zu¬
nehmende Hitze im ganzen Körper, und im Zeigefinger der
496 XII. Correspondenznachrichtcn.
linken Hand, indem sie Wachs vom Fenster wegnehmen
wollte, ein heftiges Brennen wahrnahm. In demselben
Augenblicke war dieser Finger von einer etwa einen bis
anderthalb Zoll langen blauen Flamme umgeben, die einen
eigenen, schwefeligen Geruch verbreitete. Wasser löschte
dieselbe nicht, eben so wenig ein umgeschlagenes nasses
Handtuch. Bei wiederholtem Eintauchen der Finger in
Wasser schien die ganze lland zu brennen. Die Kranke
ging jetzt eiligst nach Hause, und wickelte während dieser
Zeit die Hand in ihre Schürze; diese und die Kleider
brannten an, doch war die Flamme nur im JDunkeln be¬
merkbar. Zu Hause schlug sie fortwährend, und auch die
ganze Nacht hindurch Milch um, wonach denn auch die
Flamme erlosch f doch aber /ein sehr lästiges Brennen in
der Hand mit oftmals erneuertem schwefeligen Geruch zu¬
rückblieb. Nach einem Aderlafs und einigen Arzneien bes¬
serte sich die Kranke, behielt aber immer noch ein heftiges
Brennen im linken Vorderarm, zuweilen seihst mit Schwe¬
felgeruch.
Am 25sten Februar wurde sic in das allgemeine Kran¬
kenhaus 'aufgenommen. Hie innere Fläche der Mittelhand
war zu dieser Zeit mit kleinen 'Blasen besetzt, eine grÖfserc
zeigte sich am Mittelfinger, und bis zuin folgenden Tage
war nach vorhergegangenem Brennen eine neue an der
Spitze des Kingfingers ausgebildet. Diese Blasen verhielten
sich zwar ganz wie gewöhnliche Brandblasen , verliefen aber
nicht so rasch, sondern erreichten gewöhnlich erst in 24 Stun¬
den ihre völlige Ausbildung, auch war die Küthe im Um¬
kreis etwas dunkeier. Reihen mit Wolle erregte im Zeige¬
finger ein lebhaftes Gefühl von Brennen. Die Efslust war
gering, der Durst bedeutend, der Puls ruhig, und aufser
einigen Kopfschmerzen in der Stirn war sonst keine krank¬
hafte Erscheinung aufzufinden.
(Besch lufs folgt.)
Litterarische Annalen
der
r
gesummten Heilkunde.
N° 64.
1825.
XII.
Corrcspondenznachri. chten. ;
2. Oertliche Selbstverbren nung.
< . • . • ’ "'k. ■
(Beschluß s.)
In der Nacht vom 26sten zum 27sten Februar hatte die
Kranke gut geschlafen, und war nur gegen Morgen öfters
zusammengefahren. Brandblasen zeigten sich nicht weiter,
wohl aber blieb eine besondere Wärme in der linken Hand,
auch war die Berührung der Yolarfläche und der Finger
schmerzhaft. Das Thermometer zeigte hier eine Tempe¬
ratur von 25°, in der rechten Hand dagegen nur 17° R.
Mit brennbaren Stoffen wurden mehrere genaue Versuche
angestellt, die jedoch nichts bemerkenswerthes ergaben.
Eben so blieben auch die besten Electrometer, während die
Kranke auf dem Isolirbrette safs, unempfindlich. Bitterer
Geschmack und Mangel an Efslust waren jetzt die einzigen
Zeichen von allgemeinem Unwohlsein,
Am folgenden Tage (28. Febr.) waren die gastrischen
Zufälle geringer, das Brennen in der linken Hand eben so
stark , die Temperatur in beiden Händen wie am 27 sten.
Die Blase am Ringfinger war verschwunden, die am Mittel¬
finger dagegen dicker anfgelaufen und schmerzhaft. Die
Kranke fuhr noch öfters heftig zusammen.
1. Marz. Derselbe Zustand. Es wurden aus den Fin¬
gerspitzen der linken Hand electrische Funken gezogen, die
der Kranken viel Schmerz verursachten. Am folgenden
Tage war danach dasTIrennen in den Fingerspitzen, beson¬
ders im Zeigefinger, viel heftiger, und die Unruhe stärker;
es entstanden jedoch keine Blasen. Im Uebrigen derselbe
Zustand.
3. März. Nach einer ruhigen Nacht die Schmerzen in
den Fingern unverändert. Am ersten Gliede des Zeige¬
fingers nach innen eine neue Brandblase,
n. Bd. 4. st. 32
498
XII. Corrcspnndenznachrichten.
4. März. Die W ärnic der linken Hand w ieder um
6 Grad stärker als in der rechten. Sonst derselbe Zustand,
der auch durch den Kinlritt der Menstruation am 5ten (das
erste Mal nach dem Brennen der Iland) keine Veränderung
erlitt.
ft. März. Die Menstruation «lauert fort; heftiges Zu- •
sammen fahren, starkes Brennen in der linken Iland hei
24° 1\. (in der rechten 17°). Aufch in der Nacht wieder¬
holte sich das Zusammenfahren mehrmals, seihst mit Auf¬
schreien. Tags darauf am kleinen Finger eine Brandblase,
bei noch anhaltenden Regeln.
19. März. Leichte catarrhalische Beschwerden. F.inc
kleine Brandblase am Zeigefinger. Sonst derselbe Zustand.
1. April, ln der ganzen Zeit ist nichts bemerkens¬
wert h es vorgefallen. Kin heftiger Schmerz im linken Arm
von offenbar rheumatischer Natur machte ein Blasenpliaster
erforderlich.
5. Mai. Keine neuen Erscheinungen. Das Mädchen
war übrigens gesund, sehnte sich wieder nach Arbeit, und
wurde datier entlassen.
Dies ist die einfache Beobachtung eines höchst merk¬
würdigen Falles, der* in Rücksicht der Abwesenheit hei
Selbstverbrennungen sonst gewöhnlicher Umstände, und
mehr noch der Erhaltung des befallenen Theils der einzige
je bekannt gewordene ist. « In dem einzigen Falle, wo cm
Mann von dem Feuer nur theilweisc an dem Arm ergriffen
ward, so dafs er Menschen durch Geschrei zu Hülfe rufen
und Jas Ereignifs erzählen konnte, hatte er plötzlich einen
Schmerz auf dem Arm, wie von einem Keulenschlage ge¬
fühlt, und zugleich einen Funken bemerkt, der das Hemde
in Asche verwandelte » 1 ).
1) K. A. Rudolphi, Orundrifs <fcr Physiologie. Bd. I.
S-. 212. — Vergl. Pierre Aimc Lair Essai snr les combu-
»tions humaines produiles par un long abus des liqueurs spiri¬
tuelles. Paris 1800. 12. — Versuch über das Verbrennen mensch¬
licher Körper u. s. w. Febers, von C. W. Ritter. Hamburg
1801. 8. — Als Nachtrag dazu: Feber Selbstentzündungen in
orgamsirten und leblosen Körpern, llcrausgeg. von C. W\ Kit¬
ter. Ebend. 1804. 8. — J. Heinr. K o p p Ausführliche Dar¬
stellung und Untersuchung der Selbstverbrennungen des mensch¬
lichen Körpers. Frankfurt a. M. 1811. 8. — Treviranus
Biologie. V. S. 131 — 139.
*. r
Namen - Registe r.
■
. /
Aaron 191.
Abilgaard 68.
Abu Giafar Achmed 184.
Adams 124.
Adelon 485.
Aetius 194. 204.
Ailbaud 121. 124.
Albano 395.
Alcock 347.
Alexander 194.
Alibert 86.
v. Ammon 114. 231. 239. 352.
369. 441. 443.
Andral 86. ,
Andrea 48.
Andrieux 86.
Angelini 288.
Aretäus 194.
Aristoteles 278.
Armstrong 122.
Arneraan 118. 243. 245.
Assalini 351.
Astruc 192.
Audouard 86.
Auenbrugger 442.
Autenrieth 347.
Averill 380.
Axter 212. 213. 214.
%
Baermann 116.
Baillie 124.
Bally 86
Balme 122. 124.
Bartels 62.
Basedow 115.
Bayle 86. 89. 96. 99.
Beck 369.
Becker 235.
B^clard 51. 92. 96. 118. 245. 486.
Bell 53. 87. 243. 251. 472.
Bellanger 86.
Benaben 487.
Berard 86.
Berends 438.
Berger ( von ) 68.
Bergmann 366.
Berlinghieri 481.
Berlioz 91.
Bernard 184.
Betschlcr 234.
Bichat 432.
Bi sch off 57.
Bock 491.
Boerhaave 308. **■
Böhmer 108.
Bonet 470.
Bonifaz (IX.) 256.
Bör 427.
Borelli 251.
Borrich 391.
Bostock 381.
Bouillaud 86.
Bourdon 86.
Bousquet 86.
Boyer 52. 115. 236.
Brandreth 378.
Brechet 439.
Bremser 126.
Brera 42.
Bricheteau 242.
Brisseau 246.
Brodie 28. 50. 438.
Brosius 103. 252.
Broussaxs 98. 144. 359. 459.
Brown 1. 445.
Brünninghausen 350. 351.
32 *
500 Namen - Register.
Pryre 71.
Puchheim 106.
UüfTon ‘281.
Durkard von Ilomcrk 256.
Iiuras 124. 411.
Calius 194.
Callisen 261.
Cant i'l 354.
Cardanus 357.
Carlisle -127.
Caincrarius 121.
Carus 49. 106. 416.
Cayol 86.
Cedrenus 206.
Celsus 194. 3 <9.
Ccrutti 369.
Chaussier 121. 123. 176.
Chelius 369. 373.
Cheseldcn 348.
Choulant 106. 460.
Churchill 91.
Clams 368. 369. 438.
Claudius 283.
Cloquct 92. 94. 95. 254. 487.
Coluruella 357.
Commodus 206.
Coopcland 28. 36.
Coquetcau 488.
Corvisart 442.
Coutanceau 86.
Cruikshank 124. 0
Cruvcilhicr 86. 121. 122.
Cumin 376.
Cuvier 288.
Damin 110.
Dandin 287.
Delpech 86. 176.
Dernours 49. 51.
Dcschanips 95.
Deslandes 86.
Desportes 86.
Deyeux 252.
Diel 326.
Dio Cassius 206.
Diocletian 206.
Diodor 203.
Diogenes 398.
Dionysius 203.
D öderlein 48$f.
Domitian 206.
Double 86.
Doulret 172.
Dtihois 111.
Dur (Antonius Ir) 67.
Duchatelet 98.
Dugcs 86.
Dumas 4/7.
Dupau 86.
Dupuytren 118.
Duverge 440.
1) z o n (1 i 430. 433.
Karle 231. 232. 233.
Kbel 350.
F.bn Doreid 191.
Eggert 236. 237.
Ehrlieh 391.
K i c h h e i m e r 350. 351 . 352.
Elben 490.
Kilissen 401.
Kmlers 313. 314
Eneaux 176.
Erdraann 369.
Erhard 392.
Ksquirol 86.
Kuagriu.s 195. 207.
Eusebius 206.
Eenoglio 354. 355.
Eerricr 348.
F i c i n u s 106. 109. 130.
Fischer 103.
Fitz! er 215.
Fizeau 86.
Fleischmann 122. 121.
Klo. t ul mu >. 391 .
Flourens 51. 78. 86. 243. 245.
Floyer 469.
Fodera 243. 246. 248. 249. 250.
359.
Ködere 142. 143. 145. 161. 177.
Fontnna 220. 245. 280. 281.
Fontanvilles 86.
Fouquicr 57. 86.
Frank (J. ) 40.
Frank ( L. ) 358.
Frank (P.) 153. 154. 157. 160.
163. 168 172. 174.
F ranke 1 06. 438.
Freind 20 4.
Fried 108.
Friedrich II. 386. 404.
501
Namen -Register.
Gadermann 229.
Galen 144. 194. 205. 30$.
Galerlus 200.
Gail 477. 478. 481.
Gallois (lc) 14. 50.
Ga.se 86.
Geil 108.
Gerardin 178.
Gerdy 86.
Geod'roy- Saint- Ililaire 86.
Gierl 359.
Gilbert 178.
Girandy 86.
Girtanner 192.
Gmelin 130. 292. 355.
Go cd ecke 124.
Goelis 103. 104. 252.
Goethe 259.
Goscheline 80.
G rahner- Maraschin 352.
Graele 96. 111. 113. 135. 345.
348. 349. 355. 363.
Gren 463.
Grnnaud (Anie) 166.
Grob mann 368.
Groos 116. 369,
Gruithuisen 367.
Grüner 156. 204. 398. 492.
Gnlbrand 68.
Günther 36/.
Günz 313. 314.
Gun on 183.
Ilahn 196. 202, 205. 468. 470.
471.
Ilahncniann 312.
llnirne 92.
llales 150.
Haller l. 3. 7. 50. 118.
Hamilton 172,
Hamisy 207.
Hammer 143.
Harder 214. 467.
Harlcfs 124. 449.
II au sbrand 213. 214.
Herker 100. 115. 116. 129.
204. 208. 219. 254. 256. 382.
404. 488. 491.
Helberg 489.
Ileinroth 75.
Heister 87. 441.
II eisterbergk 315.
Heller 86.
Hellmund 234. 235.
Hen cke 121. 371.
Hensler 192.
llerholdt 68. 69. 257. 258. 261.
262. 264. 266. 267. 268. 269.
270. 271.
II erm bstädt 105. 253.
Herodot 204. 205.
Ile r r m a n n 304. 305.
Hertwig 221.
II ertzberg 236.
Herzberg 116.
11 eusinger 459.
Hildenbrand 492.
Hippocrates 148. 194. 201. 202.
308.
Hirzel 209.
llodgson 438.
Hol bau er 254.
Iloffmann 281. 399. 467.
Holst 489.
Ilomer 357.
Horn (J. P.) 79. 417.
Horn (E.) 102. 306. 359. 486.
Hu lei and 100. 103. 105. 133.
188. 213. 228. 251. 348. 465.
Hunter 117. 124.
Ilusson 487.
♦ ' v? * * .1
Jacobsen 69.
Jäger 122. 123. 124.
Jenner 68.
Jonas 1 15. 387.
Jones 118. 120.
Jörg 311. 427.
Joseph 11. 386. 1
JoilS! jelin 347.
Ilard 86.
Ittner 319.
Julia 86.
Julius Echter von Mespelbrunn
256.
Jussieux 252.
Justinian 207.
Kade 121.
Kaempf 332.
Kaiser 105.
Kalck 490.
Kendel 49.
Key! 221.
502 Namen -Register.
Kicser 176. 2‘23. 221. 226 22a
KirckhofT (v.) 362. 363.
Kirkcr 277.
Klein (v.) 371. 372.
Klewitz 491.
Klingberg 269.
Klose 438.
Kluge 235. 373.
Kncschke 315.
Kopp 498.
Krause 190.191.193.231.356.
Kreysig 4. 106. 438. 492.
Kühn 438.
Kundinann 469.
Lscepede 286.
Lachapelle 411.
Laennec 39.86.99.370.441.442.
LafTeeteur 373. 374.
I,air 498.
Laisnl 123.
Langenheck 432. 441.
Larrey 33. 45. 86. 239. 241. 242.
Lassaignc 86.
Lassen 489.
Laurencet 472. 478.
Laurent 86.
Laurenti 288.
Leibnitz 30. *
Lejumeau 442.
Lenhossek 122.
Lentin 389. 394. 397.
Leopold 399.
Levret 347. 411.
v. Lichtenfcls 395.
Lichtenstädt 1. 57. G6. 78.
229. 311. 326. 448. 460. 463.
Lind 178.
Lindes 68.
Unn6 251. 284. 286. 287.
Lisfranc 86. 441. 443.
Liston 380.
Littre 250.
Livius 203. 357.
Lobstein 28.
Lochcr-Balber 209. 472.
Lorenz v. Bibra 256.
Lori ns er 220.
Lucius Aurelius Ycrui 205.
Luders 356.
Ludwig ( v. ) 369.
Lu th eri z 216.
Maas 238.
Magen die 50. 53. 137. 243. 249.
250. 251. 355. 472. 482.
Maitland 68.
Marcard 155.
Marcus 457.
Martinet 86. 98.
Martland 380.
Marx 120.
Masudi 191. 207.
Maunoir 119. 120.
May 398.
Mayer 108. 119. 245. 440.
Mazet 184.
Mcad 281.
Meckel 117.
Meding 438.
Meifsner 108.
Mcnard 487.
Men de 423. 428.
Meriadec - Laennec 86.
Mesmer 224. 226.
Metaxi 275.276.284,289.290.
Meyer 209.
Meyeren (de) 491.
Miquel 86.
Montague (Worthlcy) 67.
Moore 201.
Morand 254.
Moreau 95.
Morgagni 16.
Moritz 440.
Müller 238.
Müller (A.) 337.
Nägele 108. 369. 373.
Nagler 163.
Nannoni 120. 245.
.Napoleon 398.
Nasse 365. 366. 367. 368.
Naumann 100.
Nettesheim ( Agr. v. ) 395.
Neu mann 374.
Niccphorus 195.
Ochlenschläger 259.
Oerstedt 358.
Ohle. 106.
Olli vier 48.
O m o d e i 352.
Oppel 287.
Orfila 302. 303. 379.
INamcn- Register. 503
Osann 100. 103. 133. 251. 465.
Osiander 238. 418. 427.
Otto 124. 187. 257. 382. 490.
494.
Ozanam 143.
Paletta 28.
Paracelsus 308. 395.
Pariset 86.
Parmentier 15/.
Parry 119.
Paul 191.
Pauli (F.) 117.
Pauli (Simon) 252.
Pegelius (Magnus) 116.
Pelletan 86. 91. 92. 95. 254.
Percy 95. 351.
Peschier 168.
Petit 52. 118. 348. 454.
Pettenkofer 221.
Pf aff 189.
P f e u f e r 443.
Philip (Wilson) 14.
Philo 203.
Pinel 174.
Pitschaft 46/.
Plett 68.
Plinius 283. 357.
Po ch ha mm er 319. 320.
Pollini 373.
v. Pommer 465.
Pr ela 355.
Prevost 47 7.
Procop 207.
Prunelle 86.
Puchelt 369. 370. 438.
Kachelt! 50.
Radius 48. 49. d3.
Bahn 209. 210.
Ra misch 120.
Ras chig 106.
Rasori 144.
Recamier 86. 87.
Regnaudot 136.
Reichenbach 106. 463.
Reil 33. 49. 121. 473. 477. 478.
Reiske 184.
Renard 369. 374.
Reufs 369.
Rhades 123. 124.
Rihes 86.
Riccioli 276. 28/. 289. 290.
Richerz 124.
Richter 120. 3/2. 440-
Riccke 369.
Ritgen 83. 369.
Ritter 498.
Robertson 380.
Roche 246.
R ocher 403.
Rochoux 178.
Rüderer 163.
Rolando 243.
Rondolini 358.
Rose m a n n 490.
Rostan 87.
Rougemont 217. 438.
Roux 86. 96. 344. 34;>. 346.
347. 349.
Rudolph! 126. 127. 128. 289.
290. 498.
Rudolphi (Friedr. ) 394.
Rufus 203. 204.
Rullier 87.
Rust (N.) 214. 231. 235. 237.
359. 441. 486.
Rust 389.
Ryba 492.
Sachs 228.
Sachse 385. 401. 466.
Saillant 155
Sainte- Marie 3/3. 374.
Saint -Martin 215. \
Salle (De) 86.
Sanchez 192.
Sannhamraer 233. 234.
Sauvages 156.
Scarpa 34. 439.
Schaffer 369.
Scharold 255.
Scheel 68. 115. 116.
Scherf 399.
Schiller 259.
Schindler 366.
Schlegel 460'.
S c h m i d t 319. 320. 321. 323.
324.
Schmitt 369. 370.
Schmucker 441.
Schnell 1 18.
Schnurrcr 143.
504
Namen-Register.
v. S C h fl n b e r g 292.
Schnitte 12/.
Srhweiggcr 358.
Schwenkfeld 155.
Schwerdtncr 468.
Scuderi 202.
Seiler 106. 130. 439.
Septalius 470.
Serres 49. 86.
Seyffert 315.
Shakspeare 259.
Shaw 286.
v. Siebold 8.3. 252. 423. 424.
427. 428. 429.
Smellie 84. 419.
Smith 302.
Sommer 469.
Sprengel 155. 192. 404.
Spnrtherm 477.
Stark 72. 365.
Steffen 1 87.
Stein 369. 406. 407. 411.
v. Sternberg 256.
Stieglitz 438.
Strnensce 68.
Suchet 348.
Swan 437. 439.
Sydenharn 172.
Synesius 184*
Taube 221.
Textor 359.
Thomas 111.
Thomson 119.
Thucydidcs 195. 196 202.
Thuessink ( Thomassin a) 71.
Thulstrup 488.
Ticdemann 49. 50. 130. 355.
Toel 372. ,
Tolberg 491.
Travers 380.
Treutlcr 290.
Treviranus 498.
Trithcm 256.
Trommsdorff 466.
Tyrrcl 53.
Udrn 400.
Urban 215.
Vancpteltn 221. 319.
Vclpeau 478. 48-1. 485. 486.
Vcst 122.
Vetter 124.
"N iborg 68.
Vieusseux 438. 439.
Vigaroux 373. 374.
Virgil 357.
V o s (de) 126.
^ rolick 52.
Wagner 102. 105. 216. 272.
273. 304.
Waldinger 217.
V. Walther 96. 111. 135 349.
355. 441.
Waltlier 43.
Wcdekind (von) 239.
Weidmann 120.
’Weikard 402.
Weinhold 373. 374.
Wcndt (J. C. W.) 67.
Wendt 209. 212. 251. 369.
Wentel (Karl) 14. 15.
Werlhof 193. 194. 195. 196.
197. 205.
Wernecke ( v. ) 350.
Wettlar 387. 389.
Weteler 4 .‘48.
Wigand 83. 411. 412. 418. 423.
424. 425. 426.
Will,, and 223. 225. 226.
W ilkinson 380.
Willan 200. 206.
Wind (de) 124.
VN inslow 68.
w ursteisen 395.
VY ustand 273.
Zang 420.
Zeller 124.
Zink 359. 360.
Zittmann 373.
t
S a c h - Pt e g i s t e r.
Abscesse, der Wirbelbeine 37. — der Leber 88.
Acephalus, Beschreibung eines, 490.
Acupunctur 89. 254., deren Wirkungsart 91., Anwendungs¬
weise 92., bei Neuralgien, Rheumatismen und Contusionen 94.,
bei Augenentzündungen 487.
Aencephalie 51.
Aerzte, deren Belohnung 385. — deren Verhältnisse als Staats¬
bürger 392. — Taxe für dieselben 392.
Aetiologie, der Riickgrathskrümmungen 21. — psychische 73.
Amputationsapparat, tragbarer 350.
Anatomie des Gehirns 472.
Anchylose, der Wirbelbeine 28. — allgemeine 353.
Angina, membranacea, Brechmittel dabei 104., deren Cha-
racter und Wiesen 166. — gangraenosa 167.
Anthrax 176.
Anthropologie, psychische 74.
Apoplexia, medullaris 54. — sanguinea 86.
Arsenik, \ergiftung damit 381.
Arzneimittel, ihre Wirkungsart auf die Irritabilität 11., auf
Blut und Herz 133. — deren Eintheilung 306. 308. 463. —
all gemeine w irkungsart derselben 307. — verschiedene For¬
men derselben 310. — pathogenetische Wirkung derselben 311.,
und daraus hergeleitete Schlüsse auf ihre therapeutische Kraft 316.
Atelomyelie 51. ✓
Atrophie des Pvückenmarks 56.
Augenentzündung, epidemische 165., europäische und ägyp¬
tische 166. — im niederländischen Heere 362. , deren Conta-
giosität und Cur 363.
Augenheilkunde in Frankreich und Deutschland 114.
i
Bäder in Ems 326., deren Wirkung nach den verschiedenen
Wärmegraden 327., deren Anwendung und Heilsamkeit 328.
B a n d w ü rm e r, deren Begattung 127. — neue Art derselben 128.
Barbeneier, deren Schädlichkeit 110.
Baryt, Wirkung desselben auf den thicrischen Organismus 294.
Becken, Bau und Fehler desselben 411.
Belladonna, als Prophylacticum der Hundswuth 212.
506
Sach - Register.
Bewegung, F.inthcilungen derselben 5. — Abhängigkeit dersel¬
ben 6. — Krankheiten derselben und deren Grundformen 10. —
Einwirkung auf dieselbe durch Arzneimittel 11. — durch eigene
Nerven vermittelt 243.
Biographie Deschamp’s 95. — Beclard's 96.
Bl asenfif her 1 69.
Blausäure gegen Rtirkemnarkskrankheiten 57.
Blödsinn, Fall von Heilung desselben 111.
Blut, dessen verschiedener Einflufs nach seincr\ erschiedenhcit 131.
Blutung, parenchymatöse , Fälle derselben und Entstehung*-
art 486.
Bluthrerhcn, Fall ciues langedauernden 259.
Brand, llospitalhrand 176.
Brechmittel hei Augina memhranacea 104.
Bruch, durch das Hüftbeinloch, Fall desselben 229.
Brüche, der Wirbelbeine 38. 53. — der Oberschenkelknochen
vor der Gehurt 238. — Behandlung complicirtcr 239. —
Camp hör, dessen pathogenetische Wirkung 314.
Cant h ariden, als Prophylacticum der Hundswuth 212.
Carbunkcl 176.
Catarrh, epidemischer 162.
Cephalaeruatoma, s. Thrombus neonatorum.
Cerium, dessen W irkung auf den thierischen Körper 301.
Cholera, europäische und indische 162.
Chrom, Wirkung desselben auf den thierischen Organismus 296.
Circulation de« Blutes, deren Verschiedenheit in Krankhei¬
ten 100.
Clitoris, Exstirpation derselben 111.
Conceptio, sine immissione, Fall derselben 238.
Congestionen, Unterschied von Entzündung 24. — als Ursaeh
der Rückgrathskrümmungcn 24. — bei Magencrweichung 124.
Consensus, des Herzens 135.
Constitutio aeris epidemica stationaria 145.
Consumtionsleiden, dessen Arten 66.
Contagium, Fortpflanzung desselben 149.
Contusioncn, Acupunctur dagegen 94.
Convulsionen, durch Hemmung der Respiration gehoben 261.
Coopeland’s Mittel zur Erkennung des Sitzes der Riickgraths-
krankheiten 28 , nur bei Entzündungen 36.
Crisis, W'ürdigung derselben als Blutreinigungsprozefs 141.
Croton Ti gl i um, Geschichte desselben 251.
Cyphosis 32.
Dampfbäder, bei schweren Geburten 82. — russische 319.,
deren Wirksamkeit bei Brustleiden, Rheumatismus, Gicht 320.,
Einrichtungsart derselben 322., Gebrauchsweise derselben 323.,
allgemeine Wirkung derselben 324., Indicationen für diesel¬
ben 325.
Delirium tremens, dessen Entstehung und Heilung 367.
Densue 109., chemische I ntersuchung desselben 110.
Diabetps, insipidus, Fall desselben 267. — vaginalis und vc-
sicalis 268.
507
Sach - Register.
l) rehkrankheit, deren Entstellung und Analogie 366.
D u r c li 1 ö c li e r u n g des M agens 87 121., deren Erkennung 122.,
Ursachen 124.
Eingeweidewürmer, in Holland beobachtete 126. — der
Schlangen 289.
Einsaugung, als pathologisches Moment 129. — auf doppel¬
tem Wege 130. — Analogie derselben mit der Infusion 137.
Eisen, dessen Wirkung auf den thierischen Organismus 302.
E i t er b 1 a 1 1 e r , bösartige 175. 176.
E i t e r u n g s f i e b e r, Entstehung desselben 142.
Electricität, als Reizmittel betrachtet 254. — Wirkung der¬
selben auf die Schlangen 283.
Empfindung, eigene Nerven für dieselbe 243.
Entzündung, Unterschied von Congestion 24. — befällt nur
1 heile von natürlich gesunder Beschaffenheit 24. — chroni¬
sche 25. — geht nicht in Verhärtung über 25. — im Kindes¬
alter 25. — der Wirb elbeine 33., deren Ursachen 34., Zu¬
fälle 35., Diagnose 36., Heilung 44. — - der Rückenmarks¬
häute 54., deren Behandlung 55. — des Rückenmarks 55. —
der Schilddrüse 62. — epidemische 160. — in chirurgischer
H insicht 483.
Ephemera sudatoria 169.
Ephidrosis 168.
Epidemie, Begriff und Entstehung derselben 146. — Eintei¬
lung 149. — Verhütung derselben 150.
Epilepsie, deren Sitz 487.
Ergotisme, Unterschied von Raphanie 155. — Ursachen des¬
selben 156.
Ernährung, Fehler derselben als Ursach der Rückgrathskrüm-
mung 30.
Erregung, als Entwickelungsmoment der Krankheiten 151. —
deren Grade 152.
Erschütterung des Gehirns, Diagnose derselben 440.
Erweichung, des Rückenmarks 55. — des Gehirns 87. — des
Magens 120.
Eian thematische Krankheiten, deren Geschichte 200.
s. ferner Pestilenzen.
Euphorbia, historische und chemische Untersuchungen dersel¬
ben und ihrer Arten 251.
Falcadine 186.
Farben der Mcnschenra^en , deren Erzeugung 368.
F c b r i s coerulea 253.
Febris flava, s. Fieber.
F e b r i s nervosa 1 e n t a H uxhamii 180;
Fieber, durch Infusion erregt 137. — gastrische, durch \enen-
einsaugung verursacht 137. — epidemische 153. — remitlirende
epidemische 159. — gelbes 159., Pathologie desselben 177.,
dessen Geschichte 178. , Ursachen 178., Cur 179., in Europa 183. ,
Verbreitung desselben in Spanien 237. — Schleimficbcr. 163.
Schweifsfieber 168. — Puerperalfieber 169. — erysipelatösesl72. * —
508
Sacli - Kopisten
Faulficbcr, wahres und falsches 173. — FIcekficber 174. —
blaues 253. — Definition desselben 453. — nervöser Zustand
desselben 493.
Fontanellen gegen Ilydrencephalns 467.
Friese 1, idiopathischer 61. 62. — epidemischer 168. — con-y
tagiöser 169. »
Fungus m e d u 1 1 a r i s , Fälle desselben 359. 484. — Entstehung
und Verbreitung desselben 484.
G a 1 1 cn fic b e r, Complicationrn und Cur desselben 61. — des¬
sen Arten 61. — dessen Entstehung 140. 161.
G a 1 v a n i s rn u s , wirksam bei der Acupunctur 94. — gegen
Schlafsucht 105
Gastro malacia 120., Diagnose, Einthcilung 122. — mit Hy-
droccphalus verbunden 122. — mit Lungeuaffectionen verbun¬
den 123. — Leichenöffnung und deren Resultate 12 4. 125. —
Aetiologie- 124.
Gastropathia 121.
Gaumeunath 96., Rout Verfahren dabei 345., Resultate des¬
selben 346. — geschichtliche Kunde derselben 347. — Grä-
fe’s neueres Verfahren dabei 349.
Geburt, Lage der Mutter dabei 83. — Einthcilung derselben 415.
G c bu r tsh ii 1 f e , Definition derselben 408.
Geburt s «tu hl bei regelmäfsigen Geburten 82.
Gefälje, deren Krankheiten als Ursache der Rückgrathskriim-
mung 27. — Bildung neuer bei Wunden 117.
Gefühls v e r m 6 geu, Existenz desselben 365.
Gegend, 8alubrität derselben 147.
Gehirn, dessen Anatomie und Physiologie 472.
Gehirnentzündung, deren Verschiedenheit 98. — als Urs ach
der Geisteskrankheiten 98.
Geist des Menschen, Doppelleben desselben 365.
Geisteskrankheiten, durch Meningitis chronica verursacht 96.
— Perioden derselben 97. — durch Dirnentzündung bedingt 98.
Gekröse, Beobachtung einer Geschwulst desselben 242.
G el c ge n h ei tsu r sa c h en der Seelcnkranklicitcn 74.
Gemüth, zweifelhafte Zustände desselben 368.
G c s c b w ii r i gk eit der Wirbelbcine 33.
Gestalt des Menschen, aufrechte, deren Bedeutung 367. — de¬
ren Entwickelung zur Schönheit 368.
Gift, Entstehung desselben 365.
Hals, schiefer 29.
Ii a m a t o rb a c b i s 54.
Hebammen, Wirkungskreis derselben 79. — Eigenschaften
derselben 80. — ihre Pflichten 84.
II e 1» e 1 , Indicationcn für dessen Gebrauch 418.
Heilkunde, allgemeine 4 43.
1 1 e f I in i 1 1 c 1 1 c h r e , Geschichte derselben 308.
Heilquelle, zu Pfäfcrs 105. — zu Muskau 105. 253. — zu
Ems 326. — zu Salzungen 466.
llellmund’s Mittel gegen Krebs und Flechten 234.
509
Sach - Register.
Helodes (febris) 168.
11 erz, dessen Verhalten und Wirkungsart in Krankheiten 132. —
Consensus demselben 133.
llundswuth, Vorboten derselben 106. — Erzeugungsart ihres
Contagiums und dessen Wirkungsweise 107. — Fälle dersel¬
ben 99. 378. — Cur derselben 107. — prophylactische Be¬
handlung derselben 108. 209. 212. 21ß. , deren Resultate in
Zürich 210. — fehlende Wasserscheu dabei 100. 217 — Dia¬
gnose derselben beim Hunde 218. — Ursache derselben beim
Hunde 219.
Hüfte, hohe 30.
H y d ro c e p h alus acutus, Diagnose und Aetiologie dessel¬
ben 104. — bei Magenerweichung 122. — Curverfahren 467.
Hydrophobie, Fall derselben mit Wuthbläschen am Zungen¬
bändchen 99.
II ydrorhachitis, deren Entstehung 40.
lly drorrhoea der schwängern Gebärmutter, deren Entstehungs¬
art 108.
Hysterie, Fall einer lange dauernden und complicirtc.n 258.
Inclination des Beckens 373.
Induration des Zellgewebes 116.
Infection, Begriff derselben 149.
Infusion 115. — Geschichte derselben 116. — Wirkung und
Wichtigkeit derselben 136. — erregt Fieber 137.
Intussusception der Gedärme 61.
Iridium, dessen Wirkung auf den thierischen Körper 300.
Iritis syphilitica, deren Entstehung 380.
Irritabilität, Wortbedeutung 1. — Verhältnifs zur Repro-
duction und Sensibilität 4. — Veränderung derselben durch
Arzneimitte l 11.
Ischuric, mit Diabetes verbunden 267. — doppelte 268.
Juliushospital zu W ürzburg, Geschichte desselben 256. —
Irrenanstalt in demselben 337., deren Mängel 338.
Kaiserschnitt, Verband dabei 420.
Keuchhusten, dessen Ursachen, Contagiosität, Sitz und Cur 166.
Kinderkrankheiten, deren Charakter und Cur 104.
Knochen, ihre Veränderung in der Osteornalacie 24. — Ent¬
zündung derselben mit Eiterung stets verbunden 25. — deren
Krankheiten 376.
Knorpel, der Wirbelsäule , 'ihre Entwickelung 19. — Entzün¬
dung derselben stets mit Eiterung verbunden 25. — Krankbei¬
ten derselben 26. — Uebergang in Verknöcherung 26.
Kobalt, dessen Wirkung auf den thierischen Körper 301.
Kopfknochen, Uebereinandersehiebung derselben und deren
Prognose 253.
Kraft, des Lebens 3. — Grundkräfte 3. 13.
Krampf, dessen Entstehung 10. — Erklärung seiner zwiefachen
Heilart 12.
Krankheiten, am Riickgrathe 14. , deren innere u rsa eben 21. —
der Rückenknorpel 26. — der Rückenmuskeln und Geläfse 27. —
510
Sack -Register.
des Üürkenmarks 27. — allgemeine, durch örtlichen Ursprung be¬
dingt 132. — durch Infectiön und Contagion 149. — epide-
mische, deren Verhütung 150. — deren Noth Wendigkeit 19S. —
krebsähnliche , s. Krebs. — der Seele 368. — deren Kiutliei-
lung 450. — rein dynamische 4SI. — gemischte Erregungs-
krankheitrn 45*3.
Krebs, ihm ähnliche Krankheiten , durch örtliche. Heizung ver¬
ursacht 231., Indirationen für die Operation dabei 232. — der
N« homsteinfeger 232., dessen Ursachen, Verlauf, Sitz 232.,
Cur 23*3. — Ilcllmund’s Mittel dagegen 234. — der Brust,
Fall desselben 236.
Krümmung des llückgraths und deren Formen 29. — - deren
Bedeutung 29. — zur Seite 31. — nach hinten 32.
Lage des Kindeskopfes, deren Verschiedenheit und Uebergängc 4 14.
Lähmung, deren Entstehung 10. — Krklärung ihrer zwiefachen
Heflart 12.
Leben, Grundkräfte desselben 13.
Leber, Entzündung und \bsccss« derselben 88.
I.ordosis 38.
Luft, deren Salubrität und Veränderungen 148. — deren Verun¬
reinigung 165. ,
Luftconstitution,' ihre Wirkung auf Krankheiten 58. — als
Ursache von Epidemien 145.
L u n g c n s c h sv i n d snclit, deren Heilung durch Narbenbildung 65.
L y mp b g e fä f s e , deren Function 130.
Magen, Fall von Durchlöcherung desselben 87.
M a g e n er wei c h u n g, deren Diagnose 122. — Aetiologic 124. —
Sectionsbcfund dabei 124. 125.
Magnetismus, thierischer, Definition desselben 224. — Ana¬
logie desselben mit der Elcctricität 226 — Erscheinungen des¬
selben und deren Kritik 227.
Mangan, dessen W irkung auf den thierischen Organismus 302.
Marochcttische Bläschen in der Wuth 99.
Masern, deren Geschichte, Einthcilung und Entstehung 185. —
Alter derselben 191.
Mastdarm, Strictur desselben 115.
Mcdicin, verschiedene Bearbeitung derselben 103.
M e d i ci b a 1 w es e n , Würzburg’s 255.
Meningitis, chronische 96. — als Ursache der Geisteskrank¬
heiten 96. — ihre Ursachen, Sita, Verlauf 97.
M et r i ti s , nach Metrorhagie 64.
Mittel fleisch, Unterstützung desselben bei der Geburt 423.
Molybdän, Wirkung desselben auf den thierischen Organis¬
mus 297.
Mondbcwolincr, deren Eigenthümliclikeitcn 367.
NI us kein, deren Krankheiten als Ursachen der Kückgrathskrüra-
niung 27.
M u s k e 1 1 h ä t i g k c i t , durch Nerven vermittelt 7.
Musik, NN irkung derselben auf die Schlangen 283.
Sach -Register.
511
Mutterkorn, dessen Schädlichkeit 156., Verschiedenheit 157.,
Entstehung 220. — Versuche damit an Thieren 221. — wird
durch Dörren nnsch ad lieh 222.
Mutte rscheide, krampfhafte Contraction derselben 268.
ahnorme Secretjon derselben 268.
IS a h e 1 s c h nur, Verwickelung derselben 234.
Nachgeburt, Lösung derselben 82.
Nadeln im Körper, Beobachtung eines solchen Falles 257.
Nahrungsmittel, Salubrität derselben 147.
Nerven, verschiedene dhatigkeit derselben 243. eigentüm¬
liche Organisation der einzelnen 244 — Gesetze bei der \ er-
theilung ihrer Aeste 245. — Einflufs der Empfindung» - auf
die Bewegungsnerven 245. — Ursprung beider Nerven¬
arten 247, — Physiologie derselben 472.
Nervenfieber, Complicationcn und Cur derselben 61.
Nervcnsys tem, als Verbindung zwischen psychischem und
körperlichem Leben 76.
Neuralgien, Acupunctur dagegen 94.
Nickel, dessen Wirkung auf den tierischen Körper 301.
N o t a 1 g i c 4 1 .
Obstructio alvi, Fall einer lange dauernden 271.
Onanie, im Blödsinn 112. 114.
Opium, gegen Puerperalfieber 171.
Osmium, dessen Wirkung auf den tierischen Organismus 298.
Osteomalacie, Unterschied von Rhachitis 23. Eintei¬
lung 23. — Diagnose 23. — Leichenbefund 23. — häu¬
figer beim weiblichen Geschlecht 24. — ihre W irkung auf das
Rückgrat 32.
Otterbifs, Beobachtungen und Wirkungen desselben 272.
Palladium, dessen Wirkung auf den tierischen Körper 300.
Paracentese, der Brust, durch einen Troakar 87.
Pellagra 158.
Pemphigus 169.
Pendelschwingungen, rabdomantische, deren Bedeutung 366.
Perforation des Kinderkopfes, deren Werth 3/0.
Peripncumonia, spuria epidemica 168.
Pest, deren Ursachen und Contagiosität 182. — in Aegypten 182.
Pestilenzen, deren Geschichte 200., bei Hippoerates 201.,
bei Thucydides 202., bei Dionysius, Livius, Diodor, Philo,
Rufus 203., bei Herodot 204., bei Galen 205., bei Dio Cas-
sius , Eusebius, Nicepliorus 206., bei Procop, Euagrius, Ma-
sudi 207.
Petechialfieber 174. — in Italien 175.
Pfefferkörner, im Wechselfieber 358. — deren Extract 358.
Physiologie des Gehirns und der Nerven 4/2.
Placenta, besondere Bildung derselben 234.
Platin, dessen Wirkung auf den tierischen Körper 299.
Pleuritis, spuria und rheumatica 62. — spuria epidemica 168.
Pncumatorhachis 54.
512
Sacli - I\cf>istcr.
Pocken, der Menschen , Geschichte derselben in Dänemark 67. —
inodificirte 70. 189. — Ursprung derselben 184. — Disposi¬
tion für dieselben 184. 198, deren Tilgung 199. — Geschichte
der Epidemie derselben in Dänemark und Schweden 187. 382.
494. — l'ortpflanzungsart derselben 188. 199. — Alter der¬
selben 190. 357. — bei Griechen und Römern 194. — der
'I hiere und deren Alter 356.
Puerperalfieber, epidemisches 169. — dessen Arten, Wesen,
Sitz, Ursachen 170. — Cur 171.
Puls, beschleunigter, dessen Entstehung und Wirkungen 101.
Quecksilber, als Prophylaeticum der llundswuth 212. — ein-
geriebenes wird im Urin gefunden 354. — Wirkungsart des¬
selben gegen S\philis 355.
11 c c e pt i rk u n st , allgemeine 309. 460. — Einthcilung dersel¬
ben 461.
Regeneration, deren Verschiedenheit nach den Systemen des
Körpers 119. — der Linse 488.
Rep roduction verlorener Thcile 118.
Resorption, s. Einsaugung.
Re tr overs io utcri grnvidi , Kall derselben 233.
Rhachialgic 40., deren Heilung 41.
Rhachitis, Unterschied von Scrofelkrankhrit und Ostcomaln-
cie 23. — erregt Leine Entzündung 23. — Diagnose der be¬
ginnenden 252.
R h e u m a t i s m u s , Acupunctur dagegen 94.
Rhodium, dessen Wirkung auf den tlneriscben Körper 300.
Ricinus communis, historische und chemische Untersuchun¬
gen desselben 252.
Rose, fieberhafte epidemische 172.
Rubia tinctorum, in der Rhachitis 252.
Rücken, runder 30.
Rückenmark, dessen Krankheiten 27. — Entzündung desscl-
bcn42.55. — dessen Anatomie 49. , Physiologie 50. — JLIdungs-
feliler 51., Wunden 52., Wassersxicht 52., Erweichung 55.,
Atrophie 56., A erknorpelung 56., Verknöcherung 56. , Knoten,
schwammige Wucherungen und Würmer desselben 56. — L all
fast gänzlicher Zerstörung seines Zusammenhangs 248-
R ü c kg rath, Krankheiten desselben 14. — Anatomie und Phy¬
siologie desselben 18. — Knorpel desselben 19. « — b^nt wicke-
lang desselben 20. • — Anchylosc desselben 28. 39. — Krüm¬
mlingen desselben und deren Formen 29. 31. 32., deren Hei¬
lung 44. — Spalte desselben 39.
Ruhr, deren Entstehung 87. — Ruhrficbcr 157.
Sa hurra, deren W'irkung auf das Herz 137.
Scharlach, dessen Entstehung und Verlauf 185. — dessen Ent
wickciung 236.
Sc hechin, ulceröser 200.
S c h e r I i c v o 186.
Schilddrüse, Entzündung derselben 62.
Schlaf,
t
/
Sach -Register. 513
Schlaf, langer Mangel desselben beobachtet 271.
Schlafsucht, Galvanismus dagegen 105. — Kall derselben 260. ,
Schnupftabak dagegen 261.
Schlangen, Roms und seiner Umgegend 2/5., Aufenthalt der¬
selben 276., Häutung derselben 278., Anatomie derselben 278.,
Wirkung des Bisses derselben 281., Fortpflanzung dersel¬
ben 282. , Instinct und Empfindlichkeit derselben 283. — Natur¬
geschichte der nicht giftigen 284., der giftigen 287. — Schma-
rotzerlhiere derselben 289.
Schulter, hohe 30.
Scoliosis 31.
Schoofsfugenschnitt, dessen Werth 421.
Scorbut, epidemischer 157.
Sch leim fieber, Arten desselben 163. — epidemisches 163.
Schwangerschaftslehre, für Hebammen 81.
Schweifs fieber, mit Friesei 168.
Seelen krank heit 73., Definition, Formen, Erzeugung der¬
selben 73.
Seelenleben, dessen Krankheiten 368.
Selbstverbrennung, örtliche, Fall derselben 495.
Scrpentaria, deren pathogenetische Wirkung 314.
Sibbens 186.
Sinnestäuschung, der Irren 89.
Skrofelkrankheit, Eintheilung 22. — Unterschied von Rha-
chitis und Osteomalacie 23.
Spalte des Rückgrathes 39. 52.
Spannung, chronische, der Haut bei Kindern, deren Ursachen 253.
Staphyloma scleroticae, dessen Heilung 380.
Steinoperation, neue Methode derselben 380.
Stethoscop, Anwendung desselben 441.
Strictura, ani spastica 115.
Strontian, Wirkung desselben auf den thierischen Organis¬
mus 294. i
Strychnin, gegen Rückenmarkskrankheiten 57.
Synocha und Synochus 59. — Begriff derselben 60.
Syphilis, epidemisches Vorkommen derselben 186. — Ge¬
schichte derselben 186.
Tartarus stibiatus, bei BrUstaffectioncn 168.
"faxe für Aerzte 392. — G rundsätze derselben 396.
1 eil ur, dessen Wirkung auf den thierischen Organismus 297.
Terpenthinöl gegen Bandwurm 465.
Thrombus neonatorum, Cur desselben 252.
I insu e 109. — chemische Untersuchung desselben 110.
1 itansäure, deren Wirkung auf den thierischen Organis¬
mus 298.
1 ourniquet (Schnallen-, Schrauben-), von Eichhcimer 351.
1 repanation des Schädels, deren Gefahr und Indicationen 371.
Tripper, bemerkenswerthes Symptom dabei 239.
Typhus, exanthematicus 64., Verlauf und Cur 64. — europäi¬
scher 180., dessen Diagnose , Sitz, Ursachen und Cur 181. —
orientalischer 182. — amerikanischer 183.
n. ßd. 4 st. 33
514
Sach -Register.
l'ran, dessen Wirkung auf den thicri’schcn Körper 30l.
l'tcrui, Rctroversio desselben 233. — Veränderungen des
schwangeren 412. — Ruptur desselben 488.
Uvula, verlängerte, Instrument zur Abschneiduug dersclbcn/489
Va ccination, in Dänemark 68 — neue Methode derselben 71 . —
deren schützende kraft 18 5. 189. 356. — Geschichte dcrsel
ben 355.
Vagitus uterin us, Beobachtung desselben 238.
Valeriana, pathogenetische Wirkung derselben 313.
Venen, dt ren Resorptionsvermögen 130. 485.
Ventilator 1 50.
Verbrennung, Cur derselben 439.
Vergiftung, durch Resorption 142.
Verrenkung der Wirbelbeine, spontane 39.
Viper, Gilt derselben 280., dessen Wirkung 280.
Volk s k r a n k h e i t e n , Kiutbeilung derselben 145.
W arzendeckel aus Resina elastica 81.
W asscr, kaltes, im Croup 467. — in acuten Exanthemen 468. —
VV irkung und Anwendung desselben überhaupt 467.
VV ass erb läse, durch das Amnion gebildet 413.
Was scr scheu, fehlende in der Wuth 100. 217. — - Vorboten
derselben 106. — Erzeugungsart ihres Contngiums 106. —
Heilung der ausgebrochenen 107., der noch nicht entwickel¬
ten 108.
V’N assersucht, der Rückgrathshöhle 40. — des Rücken¬
marks 52. — ihre Entstehung 65. — nach Scharlach 185.
W endung, Gefahr derselben 83.
Wirbelbeinc, Entzündung derselben 33., deren Ursachen 34.,
Zufälle 35., Diagnose 36., Heilung 44. — Eitergeschwülste
derselben 37. , deren Erkennung 37. — Brüche derselben 38. —
Luxationen derselben 39.
W och ne rinnen, Krankheiten derselben 84.
Wunden, lleilungsprozefs derselben 117.
W u r n> f i e b e r , epidemisches 154.
w uthgift, dessen Erzeugung und Wirkungsart 107.
Z an g e n o p e r a t i o n , deren Verhältnifs zur Perforation 370. —
deren Indicatiönen 418.
Zittraanu s Dccoct, dessen Wirksamkeit und Anwendung 376.
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