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Full text of "Sagen und Geschichten von Wurtemberg's Burgen"

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a 5b 5. 22 


78 9 


Sun und baude 


von 


Hohentwiel, dem Kloſter Murrhardt, Hohen⸗ 

zollern, dem Kloſter Wiblingen, der Marien⸗ 

lirche zu Reutlingen, dem Kloſter Söflingen 
bei Ulm u. ſ. w. u. |. w. 


Ottmar F. V. Schünhnth. 


Stuttgart. 
Verlag von Eduard Fiſchhaber. 


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J. 


Hohentwiel. 


Beinahe aus der Mitte des mit allen Reizen der 
Natur geſchmückten Höhgau's, wo mehrere vulkaniſche 
Bergkegel aus dem Bodenſatze alter Fluth aufſteigen, 
erhebt ſich ein hoher ſteiler Fels, genannt der Hohen— 
twieler Berg, der die Ruinen der gewaltigſten Burg 
des Schwabenlandes auf ſeiner Stirne trägt. Die 
Höhe des Bergs beträgt 2174 Pariſer Fuß. ' 

Wenn man die Hälfte des Bergs erſtiegen hat, ge— 
langt man auf den Maierhof der ehemaligen Veſte. 
Dieſer beſteht aus dem Gaſthaus und dem eigentlichen 
Hof, wo ſich noch das Pfarrhaus ſammt dem Bet— 
ſaale befindet. Im Gaſthof, wo man gute und billige 
Bewirthung findet, löst man für 12 kr. eine Karte, 
wenn man das Belvedere auf der Höhe beſteigen 
will. Von der ſchönen Linde beim Gaſthaus ſchreitet 
man auf einer gepflafterten Heerſtraße aufwärts, an 
dem Kirchhof vorbei, der noch einige alte Grabdenk— 
male enthält, ſowie an jener ſteilen Felswand, in der 
wir die ſchönſten Natrolithe finden. In weniger als 
einer Viertelſtunde gelangt man an den erſten Ein— 


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gang der ehemaligen Veſte. In früherer Zeit befand 
ſich hier das Haupt-Portal, auf dem Widerholds 
Wappen, ſammt einem Deuten mit folgender In⸗ 
ſchrift angebracht war: 


Durch Gottes Gnad vnd Heldentrew 
Dis vöſte Hauß hier ſtehet new; 

Der feind hats zwar fünfmal geſchreckt, 
Doch hat der Herr zum Schutz erweckt 
Den Widerholt, der fünfzehn Jar 
Daſſelb beſchüzt in feindts gefahr. 


Dieſer Eingang eröffnete einen unter Baſtionen hin- 
laufenden Gang, der ſich nach etwa dreißig Schritten 
innerhalb der Schanzen öffnete, und zum erſten nun 
zerſtörten Thorhauſe führte. Er war die wichtigſte 
Paſſage zur Burg, und mußte deßwegen feſter als 
irgend ein Theil derſelben verwahrt werden. In ge— 
ringer Entfernung davon befand ſich ein zweites Thor— 
haus — es wurde zerſtört bis auf das Thor, welches 
in jetziger Zeit den Haupteingang in die Veſte bildet. 
Sind wir durch dieſes Portal getreten, ſo befinden 
wir uns im ſogenannten Vorhof, welcher bis zu der 
erſten, über die Felſen führenden Zugbrücke, auch die 
untere Veſtung hieß. In dieſer ſtanden die 
Ofſfizierswohnungen, die Kaſerne, die Kellerei, die 
Apotheke, das Wirthshaus und noch mehrere Ge— 
bäude, die wir nur noch in Trümmern erblicken. Drei 
Brücken, ehemals Zugbrücken, führen über jähe Felſen 


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zur oberen Veſtung. Tritt man bei der zweiten 
Brücke linker Hand hinüber, ſo befindet man ſich auf 
einer noch ziemlich gut erhaltenen Schanze (Friedrichs— 
baſtion), die den ſteilſten Theil der Burg deckte. Von 
hier aus blicken wir über einen ſenkrechten Felſen 
von wohl 400 Fuß Höhe hinab und haben eine der 
ſchönſten Ausſichten vor uns: die Burgen Staufen, 
Stoffeln, Mägdberg, Höwen ꝛc. liegen in lieblicher 
Gruppirung vor dem Blicke. Wir ſchreiten noch über 
eine Brücke, und ſtehen vor dem oberen Eingang in 
die Veſtung (Porte et pont du Gouvernement) 
mit den dazu gehörigen Gebäuden. Dieſe Gebäude 
bildeten die Wohnung des Commandanten. Auf dem 
noch wohlerhaltenen Portale ſtand bis auf die neueſte 
Zeit das in Metall gegoſſene Bild Widerholds, 
des treuen Commandanten von Hohentwiel. Sind 
wir durch das Portal getreten, ſo gelangen wir bald 
zu dem erſten wichtigen Gebäude der Veſtung. Oben 
auf demſelben iſt noch das Stück eines alten Säu— 
lenknaufs ſichtbar, es zieht ſich in einem Halbkreis 
um die ſüdliche Seite der Burg. Der Name „Kloſter— 
bau,“ den das Gebäude noch vor ſeiner Zerſtörung 
trug, weist darauf hin, daß hier das ehemalige 
Kloſter ſtand. Wirklich haben ſich auch noch be— 
deutende Reſte des alten Kreuzgangs erhalten, wovon 
man ſich leicht überzeugen kann, wenn man durch die 
von oben ſichtbare Oeffnung mühſam hindurchdringen 
will. Nachdem das Kloſter abgegangen war, wurde 
das Gebäude theils zur Kaſerne, theils für die Schule 


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fowie für Lehrer und Pfarrer verwendet. An den 
Kloſterbau, nur durch wenige Schritte getrennt, ſchloß 
ſich die von Widerhold erbaute Kanzlei und der ſo— 
genannte Neubau an. Gerade gegenüber dem Kloſter⸗ 
bau ſtehen noch die vier Wände der Kirche, welche 
Widerhold mitten in den Stürmen des Kriegs er— 
baute. Der ſich daran anlehnende Thurm hat in 
neueſter Zeit eine ſchöne Bedeutung erhalten, indem 
ein Belvedere auf feiner Zinne errichtet worden. 
Der für feinem Wohnſitz und die ſchöne Natur be: 
geiſterte Pfarrer Sigel gab die erſte Anregung dazu, 
und Eduard Keller, der Verfaſſer des lieblichen Büch- 
leins „Hohentwiel und feine Umgebung,“ unterſtützte 
den ſchönen Plan. Der Bau der Warte wurde auf 
Hetien begonnen, und am 7. Mai 1846 konnte fie 
zum erſten Male beſtiegen werden. Hier oben in 
einem geräumigen Gemach, wo man von der Mühe 
des Bergſteigens bequem ausruhen kann, iſt jetzt 
Widerholds Bild aufgeſtellt, denn wohl wäre es auf 
ſeinem früheren Poſtamente vor Vandalen neuerer 
Zeit oder gar Dieben nicht lange ſicher geweſen. Auf 
einer eichenen Treppe gelangt man durch eine Fall: 
thüre oben hinaus. Eine Plateform, etwa 300 Q. -F. 
haltend, der Boden mit Sturz beſchlagen, eingefaßt 
von einer ſteinernen Brüſtung, empfängt die Beſucher. 
„Zu den Füßen rings um den Thurm reihen ſich die 
rieſigen Schattengeſtalten der alten Burg, hoch hinein 
ſchaut man zu den obdachloſen Gemächern der fürſt⸗ 
lichen Burg, und der Raum der alten Kirche iſt 


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zum ſchwindelnden Abgrund geworden, aus welchem 
Geſträuch und Geſtein heraufſchaut. Aber über dieſe 
dunkle Ruinenſtadt hin ſchweifen die Blicke in einem 
der großartigſten und lieblichſten Rundgemälde.“ Wen: 
den wir zuerſt den Blick nach Norden, ſo liegt vor 
uns der ſchöne Kranz der Höhgauer Ritterburgen. 
Die äußerſte iſt Neuhöwen; von hier ſchweift das 
Auge hinüber bis zu dem Ihaleinfchnitt, der den 
Horizont bildet, und erkennt man rechts die Drei— 
faltigkeits-Kapelle bei Spaichingen — alſo zehn 
Stunden gerade aus. Weiterhin gegen Nordoſten iſt 
die Gegend weniger intereſſant — ein ziemlich hoher 
Bergrücken bildet den Horizont. Im Vordergrund 
das Städtlein Aach mit ſeinem alterthümlichen Burg— 
thurm, die Waldburg Langenftein mit ihren Umge— 
bungen und die etwas entferntere Nellenburg — 
weiter herwärts die Ruinen der Hornburg. Gegen 
Oſten liegt der Unterſee vor uns. Aus ſeiner Mitte 
ſteigt wie ein Feenland die Inſel Reichenau auf. 
Ueber dieſer Inſel ragt die Stadt Conſtanz mit 
ihrem majeſtätiſchen Dome hervor, hinter Conſtanz 
erſcheint das Becken des Oberſees eigentlich nur 
als ein breiter Silberſtreifen. Die fernſten Punkte 
ſind die Klauſe bei Bregenz und die beiden 
Thürme von Friedrichshafen. Wie von einem 
Rahmen iſt der See von den Schneebergen Tirols 
umſchloſſen, mit denen die große Bergreihe beginnt, 
auf welcher jetzt das Auge vor Allem ruht. Zunächſt 
und zu jeder Zeit ſichtbar iſt der rieſige Säntis; 


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die ihn umgebenden Churfürſten, worunter „Schild“ 
und „Speer“ beſonders ausgezeichnet ſind, ſchließen 
das Appenzeller Gebirge. An ſie reihen ſich die 
„Glarner Alpen.“ Wie ein langer Sarg blickt 
der mächtige Glärniſch nicht fern von ſeinem noch 
höheren Nachbar, dem Tödi herüber. Vor allem 
impoſant ſtellt ſich das Berner Hochland dar. 
Zwei bekannte Berge — der Rigi und ſein höherer 
Nachbar, der Pilatus — beſtimmen ſeine Lage. 
Zwiſchen dieſen heraus blicken die mächtigen Eisrieſen, 
links das himmelhohe Finſteraarhorn, rechts der 
Eiger, der Mönch und die Jungfrau. Noch 
einige weniger wichtige Berge machen den Uebergang 
zu den Savoyer Gebirgen, unter denen in weiter 
Ferne die Vorberge des Montblanc ſichtbar find. 
Die Schneeberge enden und das Juragebirg mit ſeinen 
wunderbar geſtalteten Bergformen blickt uns entgegen. 
Die höchſte derſelben — es iſt der Bergrücken mit 
einem tiefen Einſchnitt — bezeichnet den Weiß en⸗ 
ſtein. Wenn wir von dem einen Ende der Gebirge 
bis zum andern, den Tiroler Alpen bis zum Jura, 
eine Linie zögen, ſo wäre es wohl eine Ausdehnung 
von 80 — 90 Stunden, die das Auge auf einmal 
überfchaut. Der Vordergrund gegen Südweſt iſt am 
wenigſten intereſſant. Außer Schloß Herblingen 
und weiterhin dem Lägernberg ſammt der Burg 
Regensberg, deren Wartthurm hoch hervorragt, iſt 
kein lieblicher Punkt, auf dem das Auge ruhen könnte. 
Gegen Norden erhebt ſich am Horizont der Feldberg, 


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Belchen und Blauen, welche man durch die beiden 
Wäldchen des Stoffelberges hindurch erblickt. Alles, 
was wir bisher beſchrieben, erkennt man mit dem 
bloßen Auge. Bedient man ſich noch des hier oben auf— 
geſtellten Frauenhofer'ſchen Tubus, ſo wird das Auge 
wohl noch mehrere wichtige Punkte entdecken, die 
wir nicht angegeben — wir werden noch an 100 Orte, 
Städtchen, Dörfer, Weiler und Höfe unterſcheiden 
können, die man von hier aus überſieht. Jeder 
Wanderer, der Hohentwiel beſucht, wird voll Be— 
wunderung geſtehen müſſen, daß nichts fehlt, was zu 
einer ſchönen Ausſicht gehört, denn Bäche, Wieſen, 
Fruchtfelder, Weinberge, Wälder, Seen, Hügel, Ge— 
birge und Schneeberge, Burgen, Dörfer, Städte und 
Weiler — Alles vereinigt ſich, um ein Gemälde zu 
bilden, das mit allem Recht den ſchönſten Panoramen 
an die Seite geſetzt zu werden verdient. 

Wir ſteigen nach dem Genuß all des Herrlichen 
wieder von der Warte herab und durchwandern die 
übrigen Ruinen der Veſte. Wenige Schritte vom 
Thurme etwas aufwärts, und wir befinden uns vor 
der ſogenannten fürſtlichen Burg. Sie bildet ein 
Gebäude mit drei Flügeln, das die nördlich laufende 
Mauer zu einem Viereck verbindet. Die Burg hatte 
nur zwei Thürme, einen runden linker Hand, vom 
Portal an gerechnet, einen eckigten auf der Seite, wo 
die kleine Ausgangspforte der Burg ſich befindet. 
Der erſtere zur Linken des Portals war in früherer 
Zeit der Hauptthurm und iſt ſeiner Bauart nach zu 


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urtheilen, der älteſte Theil des Schloſſes, wahrfchein: 
lich noch der einzige Ueberreſt jener Burg, auf deren 
Grundmauern Herzog Chriſtoph von Württemberg im 
Jahr 1554 das jetzige Schloß erbaute. Im Flügel, 
welcher ſich der See zukehrt, war der Ritterſaal nebſt 
der Küche und einigen kleineren Gelaſſen; über dieſen 
im oberen Stockwerk befinden ſich die durch ihre 
Gefangenen berühmt gewordenen Gemächer: die Kerker 
eines deutſchen Patrioten J. J. Moſer, des preußi⸗ 
ſchen Werboffiziers Louis v. Knobelsdorf, der 
dreißig Jahre hier oben ſaß, und des unglücklichen 
Oberſten Rieger, in deſſen Kerkerloch weder Sonne 
noch Mond ſchien. Unter der fürſtlichen Burg dehnen 
ſich lange, meiſt in Felſen gehauene Gewölbe, welche 
theils zu Kellern, theils zu Magazinen verwendet 
wurden. In einem dieſer Gewölbe ſoll ein Oelfaß 
gelegen haben, über dem eine große Lampe hing. Es 
war nach der Sage das Oelfaß ſammt der ewigen 
Lampe im ehemaligen Kloſter der Hadewig. 

Noch iſt ein Bauwerk zu beſuchen übrig, das zu 
den wichtigſten gehörte, es iſt das ſogenannte Ron— 
del, auf der weſtlichen Seite der Veſte. Durch ein 
kleines Portal ſteigt man auf einer Leiter in die 
Tiefe und befindet ſich im obern Theil der Baſtion, 
deren Oeffnung man für einen ausgemauerten Zieh— 
brunnen halten könnte. In dieſer Oeffnung erblickt 
man eine ziemlich zerſtörte Treppe, auf der man be⸗ 
hutſam in das Innere des Rondels hinabſteigt. Man 
ſteht nun in einem meiſt aus Backſteinen aufgeführ— 


a 


ten Gewölbe. Das Ganze hat die Geſtalt einer klei— 
nen Citadelle, in der ringsum Schießſcharten mit 
Kanonen angebracht waren. Durch eine der Fenſter⸗ 
öffnungen ſieht man über die jähe, ſenkrechte Fels 
wand hinab. Herzog Chriſtoph erbaute dieſes 
Rondel, wohl um dieſe wenig verwahrte Seite der 
Burg beſſer zu decken. — Von dieſer Stelle der 
Veſtung aus, wo der Fels beinahe 250 Fuß hoch 
abfällt, ſoll in den Zeiten Widerholds ein junger 
Hirſch, den derſelbe im Burgzwinger hielt, herabge— 
ſprungen ſeyn, denn er ſah das Vieh austreiben, 
unter dem er auferzogen worden war. Trotz des ge— 
waltigen Sprunges nahm er keinen Schaden, nur 
rührte er ſich Anfangs nicht, als aber die Wache 
herbeilief, fprang er wieder auf und war friſch und 
geſund wie zuvor. 

Nachdem wir die Ruinen der Burg nach ihren 
intereſſanteſten Parthien betrachtet, ſetzen wir uns 
nicht ferne vom Rondel auf dem Bänkchen gegen den 
See hin, und laſſen das Wichtigſte aus der Chronik 
der ehemaligen Veſte vor unſerem Geiſte vorübergehen. 

Hohentwiel iſt unſtreitig eine der älteſten Burgen 
des Schwabenlandes, und wie mit Wahrſcheinlichkeit 
anzunehmen, römiſchen Urſprungs. Dafür ſpricht 
ſein uralter Name duellum, duellium, ſo wie ſeine 
Lage, nicht ferne vom Rhein, in der Nähe des noch 
in bedeutenden Spuren vorhandenen römiſchen Caſtells. 
Freilich finden wir in Hohentwiels jetzigen Reſten 
nicht die kleinſten Spuren mehr aus jener Zeit — die 


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Stürme, welche im Laufe von Jahrhunderten über 
die Felſenburg wehten, haben ſie alle verwiſcht. 

Ein tragiſches Gemälde eröffnet die eigentliche Ger 
ſchichte der Burg: der Kampf der beiden Kammer— 
boten Erchanger und Berthold mit Salomo, Biſchof 
zu Conſtanz und Abt zu St. Gallen. 

Mit Pipins von Heriſtall Thronbeſteigung war das 
alte Herzogthum Allemannien abgegangen. An ſeine 
Stelle trat das Amt der Kammerboten. Dieſe hat: 
ten an des Königs Statt die Angelegenheiten in den 
Provinzen des Landes zu beſorgen, beſonders aber 
war ihnen die Verwaltung der Krondomänen aufge— 
tragen. Seine Kammerboten waren die beiden Bruͤ— 
der Erchanger und Berthold. Der größte Theil des 
Thurgaus und Oberſchwabens ſtanden unter ihrer 
Leitung. Ihre eigenen Beſitzungen lagen meiſtentheils 
im Höhgau und am Bodenſee, wo ihr Hauptſitz die 
alte Burg Bodmann, und neben vielen andern Twiel 
ihr Beſitzthum war. 

Als die Ungarn im Jahr 912 ins Land fielen, 
da waren dieſe Brüder es, die ſich allein ihres bes 
drängten Vaterlandes annahmen, denn Huͤlfe war von 
Außen kaum zu erwarten. „Saget euren Führern, 
antworteten ſie den Abgeſandten der wilden Horden, 
mögen ſie immer kommen mit Heeresmacht, wir ha: 
ben Eiſen und Schwerter und fünf Finger an der 
Hand, um Feinden, wie ſich's gebühret, zu begegnen.“ 
Sie verbanden ſich mit Herzog Arnulf von Baiern, 
zogen dem Feindesheer entgegen, und hieben ſie am 


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Junfluſſe beinahe gänzlich zuſammen. Siegreich zogen 
fie nun zurück in ihre Lande, und ihre Macht nahm 
zu von Tag zu Tag, daß ſie nach und nach eher als 
Herzoge, denn als Kammerboten herrſchten. Ihnen 
gegenüber erhub ſich ein Nebenbuhler, Salomo III., 
Biſchof von Konſtanz, ein Mann von hohen Geiſtes— 
gaben, der über Niedere wie über gekrönte Häupter 
mit der Macht des Geiſtes herrſchte. Schon früher 
hatte er den Neid der Kammerboten erweckt, denn er 
hatte die ſeitherigen Könige Arnulf und Konrad ſich 
ſo gewonnen, daß ſie Schenkungen auf Schenkungen 
häuften, die ſie ihm und ſeinem Kloſter zukommen 
ließen; und dieß in den letzten Zeiten durch Konrad 
meiſtens zum Schaden der Kammerboten. Ihr Groll, 
der ſich ſchon zu Arnulfs Zeiten ausgeſprochen hatte 
in einem Ueberfall Salomo's, der ihnen aber miß— 
lungen war, ſuchte zum zweiten Mal einen Ausbruch 
und fand ihn auch. 

Eines Tages zogen die beiden Brüder in Beglei— 
tung ihres Neffen Luitfried, eines jähzornigen und 
kriegsfreudigen Jünglings, aus der Burg Stammheim, 
einer der königlichen Domänen. Gerade fügte es ſich, 
daß Salomo deſſelben Wegs kam. Nach kurzem Gruße 
begann der Biſchof feine Klage über die Unbill, welche 
von der Burg Stammheim aus von den Leuten der 
Kammerboten gegen ihn verübt worden war. Die 
Brüder ſchienen wenig darauf zu hören. Da erin— 
nerte fie der Biſchof an jenen Tag, wo er für ſie 
bei König Arnulf Gnade erbeten, als ſie wegen ih— 


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res Ueberfalls zur Strafe gezogen werden ſollten. 
Alsbald rief Luitfried, der Schweſterſohn der Beiden, 
ein ſehr vermeſſener Jüngling: ſo rühmt ſich der heil— 
loſe Mönch noch des Unrechts, das um ſeinetwillen 
Euch angethan worden, und ihr Ohme wollet ihn 
leben laſſen? Mit dieſen Worten zog er das Schwert, 
und hätte den Biſchof gewiß ermordet, wenn er nicht 
von ſeinen Oheimen gehalten worden wäre. Doch als er 
mit dem Pferde ſchnell umlenken wollte, um dem Ver- 
derben zu entgehen, fielen die Herrn ihm in die Zü— 
gel und ergriffen ihn. Einer von des Biſchofs Be— 
gleitern wollte dem das Schwert ziehenden Luitfried 
ſelbſt mit gezücktem Stahle begegnen, er wurde aber 
von den Speeren der ihn umringenden Mannen der 
Kammerboten durchbohrt und kam um. Nun wurde 
der Biſchof in eine nahe Herberge geführt; dort hieß 
man ihn abſteigen und niederſitzen, während ſeine 
Feinde auf die Seite gingen, um ſich zu berathen, 
was ſie über ihn beſchließen wollten. Er aber, ver— 
trauend auf ſeinen Herrn, betete unaufhörlich zu ſei— 
nem Patron, dem heil. Gallus. Luitfried rieth, daß 
man ihm die Augen ausſteche, oder die Rechte ab— 
haue. Der erfahrenere Theil der Mannen aber ver— 
langt durchaus, daß man nicht weiter gegen den Ge— 
ſalbten des Herrn wüthe, und hält es für's Beſte, 
daß man ihn unangetaſtet laſſe. Endlich kam bei 
den Herren der Beſchluß zu Stande, daß man den 
Biſchof gen Dietpoldsburg bringe, wo Bertha, Er— 
changers Gemahlin, ſich aufhielt, denn fie ſprachen: 


- 


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da fie ſonſt eine ſtrenge Frau iſt, fo mag ſie am 
Beſten zu ſolchem Werke zu gebrauchen ſeyn; auch 
meinten ſie, weil ſie aus Liebe für ihren Gemahl 
fchon oft dem Biſchof Böſes gewünſcht hätte, möchte 
ſte ſelbſt eine Art und Weiſe erſinnen, wie er bald 
aus dem Wege geräumt würde. Während die Her— 
ren mit ihrem Gefangenen der Dietpoldsburg zuzie— 
hen, fällt demſelben die ſchlechte Mähre unter dem 
Leibe zu Boden. Als die Wächter der Burg die kom— 
mende Schaar ſahen, laufen ſie herbei, um zu ſchauen, 
was da käme. Herr Berthold, der ſie erblickte, rief 
jetzt dem zu Fuß gehenden Biſchof zu: beug dich vor 
dieſen, du Verdammter Gottes, und füß ihre Füße, 
auf daß ſie dir Gnade erflehen. Nun wurde Salomo 
den Söldnern übergeben, ihn an Ort und Stelle zu 
bringen, und ein Bote an Bertha geſendet, der ihr 
das Geſchehene melden ſollte. Als aber die edle Frau 
hörte, was vorgefallen war, ſchlug ſie an ihre Bruſt 
und ſprach: das iſt der Tag, ſo unſerer Ehre vor 
Gott und Menſchen ein Ende machen wird. Alsbald 
rüſtete ſie die Kapelle und den Altar und bereitete 
Teppiche und Gewande in dem Gaden. Sie heißt 
einige Geiſtliche, welche eben anweſend waren, mit 
dem Evangelienbuch dem Biſchof entgegen gehen. Sie 
ſelbſt begibt ſich vor das Thor, um den Biſchof zu 
empfahen; ſte nimmt ihn bei der Hand und bittet 
ihn weinend, er möge ſie des Friedenskuſſes würdigen. 
Dann läßt fie fo ſchnell als möglich ein Bad berei— 
ten, darin ſich der müde Herr vom Staub und Schweiß 


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reinigen möge. Das Alles, meinen die Krieger, ges 
ſchähe von Frau Bertha nur zum Scheine. Auch 
der Biſchof, ſich jetzt wohl fühlend, befürchtet doch 
Unheil, als das Gaden vor ihm und den beiden an— 
weſenden Prieſtern geſchloſſen wird. Doch hätte er, 
wie er ſich ſpäter ſelbſt ausgeſprochen, die Nacht in 
Ruhe hinbringen können, wenn ihm nur der Klang 
der Trommeten und der Ruf der Burgmwächter keine 
Unbehaglichkeit verurſacht hätte. Am Morgen beſuchte 
Frau Bertha, begleitet von einer Magd, den hohen 
Gaſt und verhieß ihm Frieden und baldige Rückkehr 
zu den Seinigen; ſie labte ihn mit Erfriſchungen, 
indem ſie ſich ſelbſt von ihrer Magd, dem Biſchofe 
aber von den Prieſtern vorlegen läßt. 

Indeſſen hatten ſich die Kammerboten auf den 
Berg Twiel (Hohentwiel) begeben; fie führten dort 
hin von überall her Lebensmittel zuſammen, und 
ſuchten die Burg bei Tag und Nacht noch mehr zu 
verſchanzen; doch hielten ſie ſich mit den Ihrigen, die 
ſie für die treueſten achteten, geheim, und verbargen 
ſich bei Nacht in den waidereichen Wäldern (in der 
Nähe der Burg). In der dritten Nacht auf die an 
dem Biſchof verübte Bosheit, erhielt Siegfried, der 
Neffe Salomos, Kunde davon; alsbald ſammelte er 
ſeine Verwandten (Magen) und die Vaſallen des 
Biſchofs, ſo viel es die kurze Zeit erlaubte, und 
überfiel die Kammerboten Morgens früh in einem 
Walde, während ſie noch ſchliefen. Da erwachen ſie 
aus dem Schlafe mit dem geringen Gefolge, ſie 


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richten ihre Waffen der Unmacht gegen die mit Helm 
und Panzer gerüuͤſteten, aber trotz ihres tapfern Wi— 
derſtandes werden ſie alle drei lebendig ergriffen, ihrer 
Waffen beraubt, und gefeſſelt davon geführt. Sp: 
gleich laufen Boten voran, welche der edlen Bertha 
und den Bewohnern der Burg melden mußten: wenn 
fie den Geſalbten des Herrn nicht losgaben, fo wür— 
den die drei Herren an drei Seiten der Burg an den 
Galgen gehängt werden, um an der Sonne zu braten. 
Als die Burgmänner das hörten, hielten ſie es An— 
fangs für Täuſchung; erſt, als ſie Gewißheit von 
der Sache erhielten, zogen ſie aus der Burg. Nur 
der Biſchof mit ſeinen Geiſtlichen blieb zurück, und 
neben ihm Frau Bertha weinend und ſchluchzend 
ſammt ihren Dienerinnen. In der vergangenen Nacht 
nämlich hatte Frau Bertha durch einen Boten ihres 
Gemahls Kunde erhalten, daß der Biſchof von Diet— 
poldsburg nach Twiel, oder, was ſie noch mehr be— 
fürchtete, zum Tode geführt werden ſollte; darum 
hatte ſie alsbald mit dem hohen Gefangenen Zwie— 
ſprache gehalten und ihn heimlich durch ein verborges 
nes Pförtlein aus ſeiner Haft entlaſſen. Nun nahm 
der Biſchof die edle Frau bei der Hand, ſie ihres 
Schutzes verſichernd, und ging mit ihr den Seinigen 
entgegen; wie dieſe den Biſchof vor dem Thore der 
Burg erblickten, begrüßten ſie ihn mit dem jauchzen—⸗ 
den Geſange: Heil Herro, Heil Lieber u. ſ. w. 
Außer dieſen ließ aber der Biſchof Niemanden in die 
Burg eintreten, aus Sorge für die Erhaltung der 
II. 2 


18 


Haabe der Frau „Bertha und ihrer Begleiterinnen. 
Auf dem ganzen Wege nämlich hatte ſich ein unzäh— 
liger Haufe von Bewaffneten an die Schaar Sieg— 
frieds angeſchloſſen. 

Frau Bertha wünfchte ihren Gatten zu ſprechen; 
als er auf eine Stunde allein zu ihr geführt wurde, 
umſchlang fie ihn, und ließ ſich kaum mehr von ihm 
trennen, der ſelbſt Thränen vergoß; ihr aber ſtrömte 
vor Weinen Blut aus der Naſe. Selbſt die Feinde 
rührte ſolch ein ſchneller Glückswechſel. Als der Ge— 
feſſelte vor dem Biſchof niederfiel und um Verzeihung 
bat, ſprach dieſer: ſo viel an mir iſt verzeihe ich dir; 
er nahm ihn aus der Hand der erbitterten Wächter 
und begleitete ihn mit Segenswünſchen. Mit ſeinem 
Neffen und deſſen Gefolge unterhandelte er, daß Frau 
Bertha ehrenvoll und mit geſicherter Haabe zu den 
Ihrigen zurückgebracht würde. Da ſie auf der Burg 
noch übernachteten, ſo befahl er alle Haabe Bertha's 
ſeinen Getreuen zur Bewahrung, und ließ ſie dann 
ihr nachbringen; beim Abſchied lud er Frau Bertha 
ein, ihn zu Konſtanz zu beſuchen, damit ſie, wenn die 
Sache eine beſſere Wendung genommen, ſich in froherer 
Lage überzeugen könnte, ob er ſeines Wortes einge— 
denk wäre. Nun kehrte Biſchof Salomo, ein anderer 
Petrus, von tapfern Männern errettet, mit ehren⸗ 
voller Begleitung gen Konſtanz zurück. Allda ward 
er mit großem Frohlocken der von überall herzuſtrö⸗ 
menden Menge aufgenommen. 


Die drei Miſſethäter aber wurden nach Twiel ab: 
geführt, wo ſie für eine öffentliche Unterſuchung auf— 
behalten werden ſollten. Während ſie dahin gebracht 
wurden, hatten ſich die meiſten ihrer Getreuen zu den 
Waffen verſammelt, um ihre Herren den Händen ihrer 
Führer zu entreißen, wenn es möglich würde. Das 
aber wurde von den Vaſallen der Abteien und des 
Bisthums, ſowie von den Verwandten des Gott Ge— 
ſalbten verhindert, indem ſie ſie mit einer ſtarken 
Schaar umzingelten. 


König Konrad, der ſich dazumal in Frankenland 
aufhielt, erhielt Kunde von dem Ereigniß; reitende 
Boten waren Tag und Nacht gezogen, während der 
Biſchof gefangen war und wieder befreit wurde. Man 
erzählt, daß der König, der gerade früh erwacht war, 
aus dem Bette aufgeſprungen ſey, und kaum ſeine 
königliche Faſſung behalten habe, als er durch die 
Boten von der Geſchichte in Kenntniß geſetzt wurde: 
erſt durch die Boten der nachfolgenden ſey ſein Ge— 
müth einiger Maaßen wieder beruhigt worden. Als ſich 
der König wieder gefaßt hatte, fragte er nach dem Befin— 
den des zuvor gefangenen und nun wieder befreiten Bi— 
ſchofs. So viel wiſſen wir, Herr und König, antworteten 
die Sendlinge, daß der Mißhandelte ſich noch übel befin— 
det; denn wenn er glaubte, er könnte bald ſelbſt erſcheinen, 
ſo hätte er es gewiß durch uns Euch melden laſſen. 
Als der König das hörte, trat er bei Seite und 


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weinte: er konnte die hervorbrechenden Thränen nimmer 
zurückhalten. Alsbald hielt er einen geheimen Rath; 
dann ſchrieb er einen Reichstag nach Mainz aus: 
auf dieſem wurden die drei Miſſethäter verdammt, in 
die Acht erklärt und ihre Güter eingezogen. Bald 
darauf wurden ſie wirklich zum Tode verurtheilt und 
alle Andern, welche an dem ſo ſchweren Verbrechen 
Theil genommen, als Feinde in die Acht erklärt. 

Mit Uebereinſtimmung der ſchwäbiſchen Landes— 
herren wurde darauf Burkhard, der edelſte und tu— 
gendreichſte ſeines Volks, zum erſten Herzog der 
Allemannen gewählt. Dem wurden auch die einge— 
zogenen Güter der Verurtheilten als Lehen übertragen, 
ausgenommen das Zubringen Bertha's, welches ihr, 
weil ſie ihrem Gemahl nicht beigeſtimmt hatte, aus— 
drücklich ausgeſchieden wurde. Als Herzog Burkhard 
die Verurtheilten auf einige Tage in Gewahrſam er: 
hielt,“ bat der Biſchof denſelben um Aufſchub des 
Urtheils, bis er es bei dem König dahin brächte, 
daß ihnen nur Verbannung zuerkannt würde. Aber 
das häufige Anliegen des Biſchofs wirkte bei dem 
Könige nur dahin, daß er Befehl zu ihrer Hinrichtung 
gab, welche den 21. Jan. 917 bei Adingen (Oet⸗ 
tingen im Rieß) vollzogen wurde. Hochbetrübt über 
ihren Tod ließ der Biſchof denen, welchen er im 
Leben, ſo viel er vermochte, Verzeihung hatte ange— 
deihen laſſen, ſolche auch im Tode widerfahren: er 
geſtattete ihnen ein Begräbniß bei der Kirche. 

Von nun an blieb Hohentwiel bei der Burkhard'ſchen 


21 


Herzogsfamilie. Nach Burkhard I. Tod kam Her⸗ 
zog Hermann, ein Franke, ins Herzogthum. Er ver— 
mählte ſich mit Burkhards hinterlaſſener Wittwe 
Reginlinde, und erhielt auf dieſe Weiſe Anſprüche auf 
Twiel. Er erwählte die hohe Felſenburg zu ſeinem 
Aufenthalt und wirkte von hier aus fegensreich auf 
das ihm zur Heimath gewordene Schwabenland. Her— 
mann ſtarb im Jahr 948 nach einer folgereichen Re: 
gierung und ward in der Reichenau begraben. Luit⸗ 
hold, ſein Schwiegerſohn, folgte ihm nur auf kurze 
Zeit, und das Herzogthum ging jetzt wieder auf ei— 
nen Sohn Burkhards, deſſelben Namens, über. Die⸗ 
ſer vermählte ſich mit Hadewig, der geiſtreichen Tochter 
Herzog Heinrichs von Baiern und Nichte Koͤnig 
Otto's. Unter Herzog Burkhard, beſonders aber 
unter feiner Gattin Hadewig, begann für die Felſen⸗ 
burg Hohentwiel eine der glänzendſten Zeiten. Der 
Geſchichtſchreiber Ekkehard der Jüngere, Mönch von 
St. Gallen, im 11. Jahrhundert, derſelbe, welchem 
wir den ausführlichen Bericht über Erchanger und 
Berthold verdanken, hat über die Zeit der Hadewig 
viel Schönes berichtet, das wie eine Sage lautet, 
aber doch das Gepräge der Thatſache an ſich trägt. 
Wir geben die Darſtellung der ſchönen Geſchichte mit 
ſeinen eigenen Worten. 

Hadewig, Tochter König Heinrichs von Baiern, 
nach dem Tode ihres Gemahls Herzog Burkhard II. 
(973) verwittwete Herzogin von Allemannien, ja ſo— 
gar Reichsverweſerin, hatte auf der herrlich gelegenen 


— 


22 


Felſenburg Hohentwiel ihren Wohnſitz, und war, die 
weil ſie eine ſchöne, aber ſehr ſtrenge Frau war, in 
allen Landen gefürchtet. 

Als Kind ſchon mit dem griechiſchen Kaiſer Con- 
ſtantius VI., genannt Porphyrogenitus, verlobt, ward 
ſie durch ſeine Eunuchen, die er zu dieſem Zweck 
abſandte, in den griechiſchen Wiſſenſchaften unter: 
richtet. Als aber ein Maler (Eunuche), um das Bild 
der Jungfrau ſeinem Herrn zu fertigen, ſie genau 
anſchaute und recht ähnlich malen wollte, ſo verdrehte 
Hadewig Mund und Augen, denn die Heirath war 
ihr zuwider. Alſo ſtörriſcher Weiſe den Griechen ver— 
ſchmähend, trat ſie, nachdem ſie ſich auch den latei— 
niſchen Wiſſenſchaften gewidmet hatte, die reich Be— 
gabte, in eine Verbindung mit Herzog Burkhard. 
In Kurzem ſtarb der ſchon Bejahrte, und hinterließ 
ſie, als eine noch keuſche Jungfrau, mit reicher Mit⸗ 
gift und einem Herzogthume. 

Als Wittwe kam ſie einſt in das Kloſter St. 
Gallen, um zu beten; der dermalige Abt Burkhard 
nahm ſie freundlich auf, zumal da ſie ſeine Nichte 
war, und wollte ſie mit Geſchenken beehren. Da 
wollte ſie keine andere Gabe annehmen, als daß er 
ihr den Mönchen Ekkehard auf einige Zeit als Lehrer 
gen Twiel mitgeben möchte. Da er Pförtner war, 
jo hatte ſie ſich ſchon zuvor geheim mit ihm befpro- 
chen, ob er wollte. 

Wohl erlaubte es der Abt ungern, und Ekkehards 
Oheim mißrieth es ſogar; aber dem ungeachtet ſetzte 


20 


es Ekkehard durch, was man ſo ſchön von ihm ver— 
langt hatte. 

Als der ſehnlich Erwartete am beſtimmten Tage 
auf Twiel ankam, nahm ihn Hadewig freundlicher 
als er nur hoffen konnte, auf, und führte ihn mit 
eigener Hand in ein Gemach, das an das ihrige 
ſtieß. Dahin kam ſte nun bei Tag und bei Nacht 
in Begleitung einer Magd, um mit ihm zu leſen, 
aber immer bei geöffneten Thüren, ſo daß, wenn es 
auch Jemanden eingefallen wäre, etwas Zweideutiges 
darüber zu ſagen, keine Urſache vorhanden gemeſen 
wäre. 

Häufig fanden dort Diener, Vaſallen und ſogar 
Fürſten Beide im Leſen oder in Berathung begriffen. 
Oft erbitterte Hadewig durch ihren ſtrengen und harten 
Sinn den Mönch ſo ſehr, daß er manchmal lieber 
wieder in ſeinem Kloſter, als bei ihr ſein mochte. 
Ja ſie ließ ihm einmal das Obergewand abziehen, 
und ihn zu ſeiner großen Demüthigung auf dem 
Lager peitſchen; kaum geſtattete fie es ihm nach 
langem Flehen, daß er nicht kahl geſchoren wurde. 

Dagegen, wenn er an Feſttagen, oder wenn es ihm 
ſonſt beliebte, auf Beſuch nach Hauſe ging, ſo war 
es merkwürdig, wie große Gaben ſie für ihn auf 
Schiffen gen Steinach voranſchickte, und immer hatte 
ſie etwas Neues in Bereitſchaft, was ſie vermoͤge 
ihres gar ſinnigen Geiſtes hatte bereiten laffen, ent: 
weder für ihren lieben Lehrer zum Gebrauche, oder für die 
Mönche von St. Gallen zum Geſchenke. Unter dieſen 


24 


war außer den ſeidenen Mänteln, Kaputzen und Stolen, 
jene Alba, auf der die Hochzeit der Philologie in 
Gold geſtickt iſt; außerdem eine Dalmatika nebſt fein 
gearbeiteten Ohrenringen, was ſie nachher, als Abt 
Immo ein von ihr gewünſchtes Antiphonarium ihr 
verweigerte, in ihrer Fee Laune wieder 
zurück verlangte. 

Um dieſe Zeit öffneten ſich, wie es immer * Fall 
iſt, neidiſche Mäuler gegen die Mönche zu St. Gallen, 
als ob fie nur nach Willkür lebten. Daß ich Andres 
übergehe — ſagt der Berichterſtatter Ekkehard — und 
nur berühre, was uns angeht. Es ſtand der Hei: 
chenau ein Abt aus der Mitte der Brüder, Namens 
Rudimann, vor. Dieſer herrſchte tyranniſch über die 
Seinigen, und da er fremdes Leder zu gerben nicht 
verſtand, aber wohl Riemen daraus zu ſchneiden, ſo 
ſtreute er auch bösartige Gerede gegen die Mönche 
von St. Gallen aus, wohin er immer nur konnte. 
Es waren damals zu St. Gallen außer dem genann— 
ten Ekkehard und den vielen Jüngeren, ſo die Väter 
erzogen hatten, Ekkehard ein tüchtiger Mann, Gerhard, 
Notker und Chonibard von Altha, ſpäter Abt Waldo II. 
Dieſe alle verſammelten ſich auf Befehl ihres Abts 
und ließen durch den Vermittler Ekkehard den Rudi— 
mann brüderlich bitten, er möchte doch ſeine Zunge 
mäßigen. Deſſen achtete Jener nicht viel: doch be— 
handelte er den Boten aus Ehrfurcht gegen ſeine 
Perſon und Scheue vor der Herzogin, zu welcher er 
damals ging, auf würdige Weiſe. Durch ſeine kluge 


25 


Beredtſamkeit überführte Ekkehard bei der Verhand— 
lung den gegen alles widerſetzlichen Menſchen oft 
(ſeines Unrechts), aber vergebens. Er ging nun, 
bewogen durch des Abts Drohworte, heimlich in ſein 
Kloſter zurück, und ſchickte einen Freund auf den 
Berg, welcher der Herzogin das Hinderniß ſeiner 
Rückkunft melden mußte: die Sendung Rudimanns 
wies er zurück. 

Aber Rudimann, welcher wähnte, daß Ekkehard zu 
der Herzogin abgegangen wäre, beſtieg ein Pferd, und 
ritt gen St. Gallen. Heimlich ſchlich er in das 
Kloſter, um verſtohlener Weiſe zu beobachten, ob et— 
was einer Schuld Aehnliches ihm in den Weg käme. 
Er ging um das ihm wohlbekannte Kloſter herum, 
und ſpeculirte überall. Als er aber Nichts nach ſei— 
nem Wunſche fand, ſo ſtieg er von der Kirche aus 
in das Dorment, nahte ſich leiſe dem Aufenthaltsort 
der Brüder und ſetzte ſich verborgen hin. 

Da ſteht Ekkehard von ſeinem Lager auf, und wie 
er ein auf Alles achtender Mann war, folgt er ihm, 
ohne daß er ihn noch kennt. Er wundert ſich, als 
er auf einen einzelnen Mann ſtößt, und denkt: wer 
wohl von den Brüdern bei Nacht noch einen ſo un— 
gewohnten Weg gehen möchte. Jener nämlich ſaß im 
Dämmerſchein des Lichts aus der Küche. Ekkehard 
blieb eine Zeit lang ſtehen, und merkte bald am 
Schnarchen, welches dem Rudimann eigen war, daß 
es dieſer wäre. Alsbald befahl er einem der Brüder, 
die brennende Leuchte des Abts zu holen, trug ſie 


26 


vor Rudimann hin, legte Stroh auf den Boden und 
ſtellte ſich in die Ferne. Wie gewöhnlich traten nun 
die Brüder hinzu; die wunderten ſich, wem er die 
Leuchte hingeſtellt hätte. Durch Winken brachte ſie 
Ekkehard dazu, daß ſie ſich ſtill verhielten. Der Abt, 
dem man nämlich allein eine Leuchte vorzutragen 
pflegte, war nicht anweſend. 

Als endlich Rudimann nach langem Warten, nicht 
wiſſend, was er thun ſollte, aufſtand, ſo nahm Ekke⸗ 
hard die Laterne und ging ihm auf dem Wege voran, 
woher, wie er wußte, Rudimann gekommen war. Wie 
ſte an den Eingang der Kirche kamen, da wo die 
Zuhörer ſitzen, ermahnte ihn Ekkehard leiſe, er möchte 
Platz nehmen, bis er ihn dem Dekan und ſeinem 
Oheim gemeldet hätte, damit auch ſie den hohen 
werthen Gaſt kennen lernten. Indeſſen hatte ſich, 
ſiehe da! noch ein Theil der Brüder, beſonders der 
Jüngern, genaht, von der Neuigkeit der Sache her— 
beigetrieben. Einer von dieſen, als er ſah, was es 
war, holte aus der Conventſtube eine Peitſche, lief 
ſchreiend auf Rudimann los, und hätte dem ſaubern 
Gaſte Hiebe gegeben, wenn nicht die Beſonneneren 
ſeinen zum Hieb erhobenen Arm gehalten hätten. 
Als Rudimann ſich alſo in der Enge ſah, ſprach er:: 
wenn ich entfliehen könnte, beſte Jungen, wahrlich ich 
würde mich davon machen; nun aber ich, ich mag wollen 
oder nicht, in Euren Händen bin, ſo ziemt es Euch 
wohl, milder mit mir zu verfahren und auch Euren 
Dekan, ſowie die übrigen Brüder zu erwarten. 


27 


Endlich nach kurzer Berathung kam der Dekan 
Ekkehard nebſt den Vätern herzu. Ziemlich heftig 
ließ ſich Notker der Arzt, genannt Pfefferkorn, gegen 
ihn aus: zu deinem Unheil, rief er, biſt du, b pe 
der Menſchen, im Suchen, welche du verſchlingſt, i 
die Hände der Brüder gefallen, die du wie ein Ne 
Satan verklagſt. 

Rudimann, erſchreckt durch die Worte eines ſolchen 
Mannes, entgegnete, wohl wiſſend wie frommen Ge— 
müths der Dekan war: ſiehe zu, allerklügſter Vater, 
daß du dich nicht durch die Ränke deines Namens: 
bruders zu einer entehrenden Handlung verleiten läſſeſt, 
die dich hernach gereuen möchte. Endlich fiel er ſo— 
gar nieder und ſprach: ich begehre von Allen Verzeihung, 
dann will ich, mit euch verſöhnt, künftighin mich ſol— 
cher Dinge enthalten. Die vernünftigeren Gemüther 
rührte die traurige Lage eines ſolchen Mannes, aber 
andere, wie es geſchieht, murmelten anders. 

Als endlich durch Ekkehards Vermittlung die Väter 

beſänftigt und alle verſöhnt waren, kam Rudimann 
unter ſeiner Begleitung wieder zu den Seinigen zu— 
rück, wie ſie ihn erwarteten, und machte ſich nun 
davon, indem er nur Angenehmes vor den Seinigen 
berichtete. Auch bat er Ekkehard dringend, er möchte, 
wann er wieder gen Twiel gehe, ihn ja nicht um— 
gehen. Den Brüdern aber verhieß er durch ihn zwei 
Fäſſer Wein, die er auch bald darauf auf einem 
Schiffe gen Steinach ſandte. 

Abt Burkhard (zu St. Gallen), der den Lärmen 


28 


außen gehört hatte, bedauerte gar ſehr, als er zur 
Stelle erſchien, daß Rudimann ſo frei und ſicher ab— 
gezogen war, und brachte eine Klage über den uner— 
hörten Vorfall an den Biſchof. 

Bald nach dieſer Geſchichte zog Ekkehard wieder 
nach Twiel, begleitet von dem Diaconus Ekkehard, 
ſeinem Namensbruder, und dem Knaben Burkhard, 
der ſpäterhin Abt wurde. Er kehrte bei Rudimann 
auf der Reichenau ein, wie ſie früher verabredet hatten. 
Der Schlaufopf bot unter den Geſprächen allen ſei— 
nen Künſten auf, er fand ihn aber ſich gewachſen. 
Als Ekkehard eilte, um nicht zu ſpät vor der ſtrengen 
Frau Hadewig zu erſcheinen, beſchenkte ihn Rudimann 
mit einem ſchönen Pferde. 

Während Ekkehard dieſes mit einem Theil ſeiner 
Begleitung voranſchicken wollte, hielt ihn der Witzling 
ein wenig auf unter heitern Worten und traulichen 
Stichelreden; und als er ihn unter Umarmung und 
Küſſen entließ, raunte der Lispler ihm noch ins Ohr: 
Glückſeliger, der du eine ſo ſchöne Schülerin in der 
Grammatik zu unterrichten haſt! Auf dieß erwiederte 
ihm Ekkehard lachend, wie wenn er ihm gerne Bei⸗ 
fall gebe, ins Ohr: ſowie auch du, heiliger Herr, 
der du die ſchöne Nonne Kotelinde, deine liebe 
Schülerin, in der Dialectik unterrichtet haſt. Und 
ſchneller als das Wort, wandte er ſich ab, während 
Rudimann noch etwas entgegen lispeln wollte; er 
beſtieg ſein Pferd und ritt unwillig davon. Als 
aber Otker, ein Bruder und Vaſall des Abts, ſah, 


29 


wie Ekkehard davon zog, fo ſprach er: mein Herr, 
mir däuchts, du haſt dieſes Pferd gar verloren. In— 
dem verbeugten ſich jene zwei Brüder (Burkhard und 
Ekkehard), von denen wir oben geſagt, und nahmen 
Urlaub von dem Abt. Der wandte ſich von ihnen 
ab und ſprach zu Otker: möchteſt du nicht ſchnell 
hinter Ekkehard her Leute ſchicken, welche mir das 
Roß zurückbrächten? Nein, erwiederte Otker, denn 
der kommt jetzt mit den Seinigen zu einer Frau, wo 
ich es nicht wagen möchte, einem der Meinigen zu 
befehlen, daß ſie Etwas von ihm anrühren. Jene 
beide beſtiegen nun ihre Pferde und zogen beſcheident— 
lich hinter dem Lehrer her. Wie ſie den Berg hinan— 
ſtiegen, begegneten ſie der Herzogin, wie ſie in die 
Vesper ging. Als fie ſie begrüßt hatte — die Sache 
mit Rudimann war ſchon vor ihre Ohren gekommen — 
ſprach ſie: du biſt ja, mein Lehrer, wie ich höre, ein 
recht braver Laternenträger dem Wolfe geweſen, der 
in den Schafſtall drang. Ekkehard lachte und ſprach: 
beim Leben Hadewigs (ſo pflegte er zu ſchwö— 
ren), wenn einer der Ungeſchickten dem Einſchleicher 
in St. Gallen die Rippen eingeſchlagen hätte, ich 
hätte ihn nicht kurirt. 

Als Hadewig am andern Tag mit der Morgen— 
dämmerung, wie man pflegt, nach ihrer Art die Klo— 
ſterregel vollbracht hatte, was ſie ſelbſt höchſt pünkt— 
lich übte (denn damals ſchon hatte ſie angefangen, 
ein Kloſter auf dem Berge zu ſtiften), kam ſie des 
Leſens wegen zu ihrem Lehrer. Nachdem ſie ſich 


30 


niedergelaſſen hatte, fragte ſie unter anderem: wozu 
jener Knabe gekommen wäre, den Ekkehard mit ſich 
gebracht hätte. Wegen des Griechiſchen, meine Her— 
rin, antwortete Ekkehard: damit er von deinem Munde 
Etwas rauben könne, habe ich den Gelbſchnabel zu 
dir gebracht. Der Knabe, ſchön von Geſtalt und ſehr 
fertig im Verſemachen, trug nun ſein Anliegen alſo 
vor: 
Esse velim Graecus, cum vix sim Domna Latinus, 


(Herrin, ein Griech' möcht' ich ſeyn, obgleich ich kaum 
ein Lateiner.) 
Das ergötzte die Herzogin, dieweil ſie eine Liebha— 
berin von neuen Sachen war, ſo ſehr, daß ſie den 
Knaben zu ſich zog und küßte. Sie ſetzte ihn ſogar 
näher zu ſich auf ihren Fußſchemel und verlangte 
neugierig von ihm, daß er ihr noch mehr Verſe aus 
dem Stegreif mache. Der Knabe ſah ſie und den 
Lehrer an und trug, ungewohnt ſolchen Kuſſes, Fol— 
gendes vor: 
Non possum prorsus dignos componere versus, 
Num nimis expavi Duce me libante suavi, 
(Nimmer bin ich im Stand, recht würdige Verſe zu 
machen, 
Mich hat zu ſehr erſchreckt der Kuß, von der Herrin 
empfangen.) 


Gegen ihre gewohnte Strenge lachte jetzt Hadewig 
hoch auf; ſie wandte ſich ſodann, ſtellte den Knaben 


31 


vor ſich hin und lehrte ihn ein Lied fingen, das ſie 
ins Griechiſche überſetzt hatte: 


Maria et flumina ete. 
Lobet den Herren, ihr Meere und Flüſſe, 
Lobſinget den Herrn, ihr Quellen, Hallelujah! 


Häufig rief Hadewig nachher den Knaben zu ſich, 
wenn fie Zeit hatte, und lehrte ihn Griechiſch, ſobald 
jie Stegreifverſe von ihm herausgebracht hatte. Sie 
liebte ihn ganz beſonders; endlich, als er wegging, 
beſchenkte ſie ihn ſogar mit einem Horatius und ei— 
nigen andern Büchern, welche noch heutigen Tags die 
Bibliothek zu St. Gallen beſitzt. 

Ekkehard der Jüngere begab ſich darauf, wie er 
gewohnt war, mit dem Knaben zu einigen andern 
Kapellanen der Herzogin, um ſie zu unterrichten, die— 
weil fie durchaus nicht leiden wollte, daß ſie an ih: 
rem Hofe müßig gingen. Auch dieſer Ekkehard war 
ein gelehrter Mann. 

Ekkehard und Hadewig aber blieben, wie gewoͤhn— 
lich, allein beim Leſen zurück. Virgilius war unter 
der Hand und gerade jene Stelle: 


Timeo Danaos et dona ferentes 


(Danäer fürcht' ich, auch wenn ſie Geſchenke bringen.) 


Dieſe Stelle, meine Gebieterin, bemerkte Ekkehard, 
hatte ich mir geſtern zu merken. Er erzählte ihr 
nun, wie ihn der Abt von der Au eingeladen und 
mit einem Pferde beſchenkt habe, wie er jedoch, wäh— 


32 


rend er ſchenkte, von feinen Stichelreden nicht abge: 
laſſen, die letzten beiderſeits in die Ohren geraunten 
Witze verſchwieg er. 

Ich möchte, ſprach Hadewig darauf, die ganze 
Tragödie, welche ſich kürzlich zwiſchen euch ereignet, 
von Anfang an hören, weil ich nicht weiß, ob ich 
ſie recht gehört habe. Uebrigens wundere ich mich, 
daß zwei Klöſter meines Herzogthums mich verachten 
und unter ſich ſolche Mißhelligkeiten wechſeln, während 
ich, die Reichsverweſerin, doch ſo nahe ſitze. Ja wenn 
anders mir meine Räthe nicht abrathen, werde ich 
den Schuldigen billig zu ſtrafen wiſſen, wenn ich 
ihn auffinde. 

Ekkehard entgegnete: meine Herrin, es wäre unge— 
treu von mir, wenn ich, der ich nächſt meinem Oheim 
hauptſächlich die Verſöhnnäg veranlaßte, dir nach dem 
Friedenskuſſe etwas als Klage vorbringen würde, weil 
ich es nicht anders wenden kann. Ob mich gleich 
jener Menſch, deſſen Weſen du ja ſelbſt kenneſt, 
geſtern mit manchen verblümten Stichelreden gereizt 
hat, zudem daß er mir noch Geſchenke gegeben — ſo 
iſt es doch nicht meine Sache, ſolchen mit Männern 
geſchloſſenen Frieden zu brechen; ja ich will Allem 
aufbieten, mit ihm, wie er ſelbſt wünfcht, im Frieden 
auszukommen. 

Der Herzogin gefiel das verſtändige Betragen und 
die Redlichkeit ihres Lehrers; doch ſchrieb ſie nachher 
wegen dieſer und anderer Angelegenheiten ins Dorf 
Wahlwies einen Landtag aus, und befahl dem Biſchof 


33 


und den Aebten, Dabei zu erfcheinen. Rudimann 
aber, der vermuthete, Ekkehard möchte jene ins Ohr 
geraunten Worte der Herzogin geoffenbaret haben, war 
im Herzen erſchrocken, und richtete durch einen ge— 
wiſſen fremden Schlaukopf einen Brief an Ekkehard 
auf dem Berge. Die Worte des Briefs waren, um 
die Freundſchaft gegenſeitig anzuknüpfen, folgende: 

„Es ſollte mich wundern, wenn mein in Allem ſo 
kluger Freund jene jüngſt in's Ohr geraunten Witze 
ſeiner Frau Herzogin gemeldet hätte.“ Durch den 
nämlichen Boten erwiderte Ekkehard unter Anderem 
Folgendes: 

Noch nie ſtand ich bei meiner Allerſchönſten in 
ſolchem Zutrauen, daß ich es gewagt hätte, ihren 
ſtrengen Ohren Solches mitzutheilen. 

Befreit endlich von der bangen Furcht vor dem, 
was ihn fo ſehr beängſtigt hatte, wandte ſich Rudi— 
mann nach ſieben Tagen durch Boten an den dama— 
ligen Biſchof Gaminold. Ob ihm gleich dieſer wegen 
des Kloſter-Schleichens ſelbſt aufſäßig war, ſo be— 
ſchwichtigte er ihn doch durch ſeine Geſchenke. Rudi— 
mann brachte es ſo weit, daß ſich der Biſchof ſelbſt 
mit zween Fürſprechern zu der Herzogin begab. Bi— 
ſchof Gaminold erklärte vor ihr, daß er (ſeiner Seits) 
dem Abt erlaſſen habe, was er gegen ihn gefehlt. 
Da ſagten die Anwälte: wenn Rudimann von dem 
Biſchof losgeſprochen iſt, ſo ermangelt er mit Unrecht 
eurer Gnade, beſte Herzogin. Ihnen entgegnete Hade— 
wig: St. Gallen iſt ein Ort, mit Reichsfreiheit be— 

II. 3 


1 34 


gabt, und ſteht unter meiner Herrſchaft, es genießt 
daher ein Sicherheits-Privilegium, das ich ihm, ſo 
lang ich kann, gegen Jenen behaupten werde, der ein 
wahrhafter Tyrann unter dem Namen eines Abts iſt. 
Alſo werde ihm eine Strafe angeſetzt, weil er in dieſe 
Sicherheit einſchritt; und weil Ihr, mein Biſchof, für 
ihn gekommen ſeid, ſo ſoll er, wie es das Recht 
verlangt, ſolche Buße an's Kloſter St. Gallen ent— 
richten. Da es, wenn ein Laie den andern beein— 
trächtigt, in meinem Rechte ſteht, ihn von meinen 
Grafen nach dem Recht ſtrafen zu laſſen, wie viel— 
mehr wird ein tyranniſcher Abt, wenn er einen an— 
dern Abt bei Nacht überfällt, der unter königlicher 
Freiheit ſteht, vor mir einem königlichen Urtheil ſich 
unterziehen müſſen. Jedoch weil ſo wichtige Männer, 
wie ihr ſeid, für den Verbrecher gegen das königliche 
Anſehen ſprechen, ſo weiß ich kaum, was mir jetzt 
geziemt, in Abweſenheit des Königs zu antworten. 

Endlich kam es nach mehreren Verhandlungen, als 
die Herzogin ihre Räthe, und unter dieſen auch den 
Ekkehard zu Rathe gezogen hatte, kaum dahin, daß 
ſich Rudimann wegen des unter Mönchen noch nie 
erhörten Einfalls mit unſrem Abt in Gegenwart der 
Ihrigen, welche ſie dazu erleſen, verſöhnen, und am 
beſtimmten Tage vor dem Thore Twiels 100 Pfunde 
niederlegen mußte. Dann erſt ſollte er wieder ihre 
Gnade haben. Am beſtimmten Tage wurden 50 
Pfund des Biſchofs wegen dem Abt en ee 
das Uebrige ließ Hadewig einziehen. 


P4 


35 


Nach dieſen Zeiten — ſo lautet der Bericht unſeres 
Chroniften im Auszuge — ſcheint der Aufenthalt 
auf Twiel für Ekkeharden immer mehr ſeine Reize 
verloren zu haben. Mit Willen ſeiner Herrin verließ 
er Twiel und begab ſich an den Hof des Königs Otto, 
wo er durch Hadewigs Empfehlung die Stelle eines 
Lehrers und Erziehers des königlichen Prinzen erhielt. 
Von da aus wirkte er immer noch mit bedeutendem Ein— 
fluß auf die Angelegenheiten des Kloſters St. Gallen. 
Auch in der Ferne bewahrte Hadewig ihrem theuren 
Lehrer ein freundliches Wohlwollen, und gab davon 
ſprechende Beweiſe. Als ſie nemlich ihr Gut Sah— 
ſpach dem Kloſter St. Gallen vermachen ſollte, da 
verſprach ſie, es zu thun, wenn ihr lieber Ekkehard, 
ſo lang er lebe, Verwalter dieſes Guts werden würde. 
Als einige gegen Ekkehard Neidifchgefinnte im Kloſter 
zu dieſer Bedingung ſich nicht recht verſtehen wollten, 
brach Hadewig die Unterhandlung ab, und aus der 
Schenkung wurde Nichts. Ekkehard ſtarb im Jahr 
990. Er war ein Mann von ſeltenen Geiſtesgaben. 
Solche Männer gibt es keine mehr, oder nur ſelten, 
ſagt der genannte Chroniſt Ekkehard von ihm. Er 
war ſo ſchönen Angeſichts, daß man, wie von Moſes 
erzählt wird, nicht ohne Scheue ihn anblicken konnte. 
Daher ſagte Einer von ihm: Keinem iſt je die Bene— 
diktiner Capuze beſſer geſtanden. Er war ſchlank von 
Geſtalt, einem Helden gleich, kräftig gebaut, von 
blitzenden Augen. An Weisheit und Beredtſamkeit, 
beſonders an klugem Sinne ſtand er Keinem ſeiner 


36 


Zeit nach. In feinem blühenden Alter trachtete er 
mehr nach Ruhm, wie es bei einem ſolchen Manne 
nicht anders ſeyn konnte, als nach Demuth: nachher 
aber nicht ſo, weil Zucht, mit welcher Hochmuth nie 
etwas gemein hat, an ihm ſehenswerth war. Er 
war ein glücklicher, aber ſtrenger Lehrer; ſeine Zög— 
linge hielt er beſonders zum Schreiben und Zeichnen 
an. In dieſen beiden Fächern war er ſelbſt ſehr 
mächtig, beſonders im Zeichnen der goldnen Anfangs- 
buchſtaben, wie man es noch ſteht an den Verſen 
einer gewölbten Decke zu St. Gallen, in die er die 
Buchſtaben mit dem Meſſer eingeſchnitten hatte. Hohe 
und Niedere unterrichtete er in den Wiſſenſchaften, 
und bildete ſie theils für St. Gallen, theils für an— 
dere Orte. Mehrere derſelben ſah er ſpäter als Bi— 
ſchöfe. Auf einem Reichstag zu Mainz ſtanden ſechs 
ſeiner ehemaligen Schüler, damals Biſchöfe, vor ihm 
auf und begrüßten ihn als Lehrer. Der Erzbiſchof 
Willigis von Mainz winkte ihm heran, gab ihm einen 
Kuß und ſprach: mein würdiger Sohn, du wirft 
dereinſt neben Jenen auf dem Stuhle ſitzen. Ekke⸗ 
hard wollte zu ſeinen Füßen, aber Willigis hob ihn 
ſanft auf. 

Die edle Herzogin Hadewig folgte nach wenigen 


Jahren ihrem geliebten Lehrer auf Hohentwiel im 


Tode. In den letzten Jahren ihres Lebens wird ihr 
Name wenig mehr in öffentlichen Angelegenheiten ge— 
nannt. Ihre Hauptſorge wandte ſie auf Ungelegen: 
heiten, welche das ewige Wohl angehen. Noch mit 


— 


37 


ihrem Gemahl Burkhard war ſie Wiederherſtellerin des 
in Zerfall gerathenen Kloſters auf Twiel geworden, 
und wies demſelben zum Unterhalt der Mönche viele 
Güter und andere Bedürfniſſe im Ueberfluſſe an. 
Der erſte Abt dieſes Kloſters, das dem heil. Georg 
geweiht war, ſoll ein frommer Mann, Namens Wald— 
fred, geweſen ſeyn; der zweite hieß Rehwing, der 
dritte Dietrich, der vierte Starkolphin, der fünfte 
Reginger, der ſechste Meningoſus, der ſiebente Trude— 
wing. Einer, Namens Watzemann, ſoll ein Freund 
des genannten Ekkehard geweſen ſeyn. — Nicht minder 
mildthätig zeigte ſich Hadewig gegen das Kloſter 
Petershauſen, das in ihren Tagen (993) gegründet 
wurde, indem ſie ihm ein Gut Ephoidorf nebſt vielen 
Zugehörden in der Baar übergeben. Ben ſtarb 
im Auguſt des Jahrs 994. 

Nach ihrem Tod fiel Twiel an König Otto III., 
der mehrere Mal auf der herrlichen Felſenburg ſi ic 
aufgehalten. Von Otto kam es an ſeinen Nachfolger 
König Heinrich II., der wegen Hadewig, ſeines Großvaters 
Nichte, Erbanfprüche darauf machte. In dieſer Eigen: 
ſchaft verlegte er das Kloſter zu Twiel in die Stadt 
Stein am Rhein, denn den Mönchen war das mühſame 
Bergſteigen zu beſchwerlich geworden. Die Burg Twiel, 
von der die Geſchichte eine Zeitlang ſchweigt, wurde 
wahrſcheinlich wieder Herzogsſitz. Im Jahr 1073 
finden wir ſie im Beſitz Rudolfs von Schwaben, des 
Gegenkönigs. Während er im Norden kämpfte, ſaß 
ſeine Gemahlin Adelheid in Kummer und Noth auf 


= 


3 


38 


der Burg Twiel, wo fie wahrſcheinlich auch ſtarb. 
Von Rudolf kam Twiel an feinen Schwiegerſohn 
Herzog Berthold von Zähringen. Unter ihm wurde 
die Burg wohl zum erſten Mal erobert. Der Ser: 
zog ſuchte mit ſeinen Vaſallen den Feind ſeines 
Schwiegervaters, Abt Ulrich von St. Gallen, mit 
Krieg heim. Da gab er den Beſuch zurück, und 
nahm auf dieſem Zuge auch die Veſte Twiel weg, 
aber nicht mit offener Gewalt, ſondern durch heim— 
lichen Verrath der Burgmänner. Er mußte ſie aber 
bald wieder zurückgeben. Im Jahr 1094 kam es 
zwiſchen Herzog Friedrich dem Staufer und Berthold 
von Zähringen zu einem Vertrage, in Folge deſſen 
das alte Herzogthum Allemannien getheilt wurde. 
Friedrich behielt das eigentliche Schwabenland, aber 
Berthold bekam nur den weſtlichen Theil Allemanniens. 
Bei dieſer Theilung fiel Twiel zu Friedrichs Antheil; 
es blieb von nun an mit dem ſchwäbiſchen Herzog— 
thum eine Beſitzung der Staufer. Noch vor dieſer 
Zeit treten Edle auf, die ſich von Twiel nennen, 
aber es waren zuverläßig nur Staufiſche Burgmänner. 
Dieſem Geſchlechte gehörte jener Heinrich von Twiel 
an, der im Jahr 1086 nur auf kurze Zeit Abt von 
St. Gallen wurde. Dann erſcheinen im Jahr 1135 
in Urkunden Eberhard und Adilbero von Twiel, und 
im Jahr 1267 ein Junker Ulrich von Klingen, ge— 
nannt von Twiel. Noch vor Erlöſchen des Staufi— 
chen Hauſes kam Twiel als ein dem Reich heimge— 
fallenes Schwabenlehen an die Edlen von Klingenberg, 


39 


vielleicht zuerſt an den ebengenannten Ulrich von 
Klingen, denn die von Klingen und Klingenberg ha— 
ben ihr gemeinſames Stammhaus zu Altenklingen im 
Thurgau. Im Jahr 1315 galt ein Hans von 
Klingenberg, Herr zu Twiel, für den ſtärkſten Ritter 
im Höhgau. Wahrſcheinlich war er es, der im Jahr 
1330 in einer Fehde, da die Rottweiler vor Twiel 
zogen, im Treffen blieb. Im Jahr 1351 brach 
zwiſchen Graf Eberhard von Wirtemberg und den 
Grafen Albrecht und Rudolf von Hohenberg eine 
Fehde aus. Der Graf fiel in das Höhgau ein, und 
nahm Hohentwiel, ſowie Hohenklingen ſammt Stein 
und Schaffhauſen ein. Im Jahr 1396 erſcheint ein 
Hans von Klingenberg, Ritter und ſeßhaft zu Twiel. 
Ums Jahr 1464 ſaßen auf Twiel fünf Brüder von 
Klingenberg, Eberhard, Caſpar, Heinrich, Albrecht 
und Wolfgang. Unter ihnen wurde Hohentwiel und 
die Umgegend der Schauplatz einer der blutigſten 
Fehden. Auf der einen Seite ſtanden die Grafen 
von Wirtemberg und der Jörgenſchild, auf der an— 
dern Seite die Gebrüder von Klingenberg und Hans 
von Rechberg. Letzterer, zuvor treuer Diener und 
Rath Graf Ulrichs von Wirtemberg, dann ſchnöd 
von ihm zurückgeſetzt, unternahm in Verbindung mit 
denen von Klingenberg Feindſeligkeiten gegen die 
Grafen von Wirtemberg. Nach Andern ging der 
Handel von Seiten der Klingenberger an. Dieſe kün— 
deten den Brüdern Johann, Eberhard und Georg von 
Werdenberg Fehde an, weil ihr Genoſſe Conrad Rauber 


40 


behauptete, er ſei von denen von Werdenberg miß— 
handelt worden. An die Klingenberger ſchloß ſich ihr 
Nachbar Hans v. Rechberg an. Da Johann von Wer— 
denberg damals Hauptmann des Jörgenſchilds war, 
ſo nahm ſich dieſer der Sache an. So waren die 
Klingenberger von drei mächtigen Feinden auf ein— 
mal angegriffen, und ſahen ſich genöthigt, Hülfe von 
Schweizern an ſich zu ziehen. Die Fehde wurde 
immer heftiger, bis ſich Herzog Sigismund von Oeſter— 
reich nebſt Conſtanz und Zürich ins Mittel ſchlug, 
und im Jahr 1465 zwiſchen beiden Partheien einen 
Vergleich zu Stande brachten. Die Gebrüder von 
Klingenberg mußten den Grafen von Wirtemberg und 
dem Jörgenſchild Abtrag thun. Seit jener Fehde der 
fünf Brüder auf Hohentwiel wird der Name der 
Klingenberger auf Hohentwiel lange nicht mehr ge— 
nannt. Erſt mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts 
kommen ſie wieder in der Geſchichte vor, aber nicht 
auf die rühmlichſte Weiſe. Sie erſcheinen in der 
Verbindung der Schnapphähne und Heckenreiter auf 
Hohenkrähen und Friedingen, mit denen ſie eine förm— 
liche Räuberbande bilden, denn an 150 Köpfe ſtark 
lagern ſie an den Straßen, und machen ſie ſo un— 
ſicher, daß Niemand mehr ſicher handeln und wandeln 
kann, bis der ritterliche Georg von Frondsberg, Na— 
mens des ſchwäbiſchen Bundes, im Jahr 1512 die 
Burg Krähen belagert und das Krähenneſt ausnimmt. 
Da mußten auch die Klingenberger auf Hohentwiel 
einziehen, aber ſie waren ſo tief herabgekommen, daß 
4. 


41 


ſie keinen rechten Halt mehr auf Hohentwiel hatten, 
das ſie Armuthshalber nicht einmal mehr im gehörigen 
Stand erhalten konnten. Um dieſelbe Zeit verlieh 
Albrecht von Klingenberg das Oeffnungsrecht für 
ſeinen Antheil an der Burg, an Oeſterreich, ſein 
Vetter Hans Heinrich aber öffnete ſeinen Theil an 
Hohentwiel dem Herzog Ulrich von Wirtemberg, in 
deſſen Dienſte er trat. In Folge dieſer Oeffnungs— 
rechts- Verleihungen erlangte ſowohl Oeſterreich als 
Wirtemberg gewiſſer Maßen ein Anrecht auf das 
Schloß Hohentwiel, was ſpäterhin die Veranlaſſung 
mancher Irrungen zwiſchen Oeſterreich und Wirtem— 
berg Hohentwiels halber geworden. Im Jahr 1519 
erfuhr Herzog Ulrich, der aus ſeinem Lande Ver— 
triebene, daß Hans Heinrich von Klingenberg, der 
Hauptbeſitzer von Hohentwiel, nicht abgeneigt wäre, 
ihm ſeine Burg ganz und gar einzuräumen. Sogleich 
ergriff er die Gelegenheit und ließ mit dem Beſitzer 
der Burg unterhandeln. Den 23. Mai 1521 ſchloß 
Herzog Ulrich mit Hans Heinrich von Klingenberg 
wegen Twiel unter folgenden Bedingungen einen Ver— 
trag: „mit der Beſitznahme von Hohentwiel erlegt 
der Herzog dem von Klingenberg 1000 fl., nach zwei 
Jahren fällt die Veſte wieder an den von Klingen— 
berg, und der Herzog erlegt 5000 fl., wofür er die 
Oeffnung ſich vorbehält; geht aber die Veſte verloren, 
ſo hat der Herzog dem von Klingenberg und ſeinen 
Erben 20,000 fl. zu erlegen. Neben noch andern 
Bedingungen wurde beigefügt,, daß der Herzog die 


. 


42 


Veſte nie gegen die Eidgenoſſen gebrauchen dürfe, 
und daß den Städten Augsburg und Schaffhauſen 
das Oeffnungsrecht verbleibe.“ Kaum war dieſer Ver— 
trag abgeſchloſſen, ſo erhielt der Herzog Nachricht, 
daß er nicht gut von der Umgegend aufgenommen 
wäre, und man darnach trachte, die Veſte wieder aus 
ſeiner Hand zu bringen. Auf dieß hin legte der 
Herzog feine Dienſtleute Mare und Friedrich Stumpf 
von Schweinsberg mit einiger Beſatzung in das Schloß 
und ließ es mit allem Nöthigen verſehen, ja et— 
licher Maßen wieder neu bauen, denn ſeine Beſitzer 
hatten es ganz und gar in Abgang kommen laſſen. 
Das Betragen der beiden wirtembergiſchen Hauptleute 
erregte bald Beſchwerden von Seiten der Eidgenoſſen, 
doch der Herzog beſchwichtigte ſie leicht wieder. Der 
größte Dorn im Auge aber war die Beſitznahme 
Hohentwiels durch Herzog Ulrich den Königiſchen und 
Bündiſchen. Letztere rüfteten ſich ſogar zu einem Zug 
nach Hohentwiel, um ſich den gefährlichen Nachbar 
vom Halſe zu ſchaffen. Jedoch das Vorhaben zer— 
ſchlug ſich durch Vermittlung der Eidgenoſſen. Da— 
für wurde auf einer Tagſatzung zu Zürch beſchloſſen, 
im Einverſtändniß mit den Bündiſchen dem Herzog 
in Güte wieder die Veſte aus der Hand zu ſpielen. 
Auf einen Antrag von Seiten der Eidgenoſſen zeigte 
ſich der Herzog nicht abgeneigt dafür, zuvor aber bat 
er ſich, wichtiger Geſchäfte halber, einige Monate Be⸗ 
denkzeit aus, was ihm auch gewährt wurde. Dieſe 
Zeit wußte Herzog Ulrich gut zu benützen. Während 


43 


er ſich in Mömpelgard zur Wiedereroberung feines 
Landes rüſtete, ließ er in der Gegend von Hohentwiel, 
meiſtens mit Schweizergeld, Schweizer Söldlinge wer— 
ben, und die Veſte mit Munition und Lebensmitteln 
aufs Beſte verſogen. Am Ende des Oktobers 1524 
hatte der Herzog bereits 500 Mann zu Roß und zu 
Fuß auf Hohentwiel beieinander. Auf dieſe Nachricht 
rſchrack nicht wenig die öſterreichiſche Regierung zu 
Stuttgart; jetzt hielt man es ſchon für gewiß, 
daß Herzog Ulrich mit den aufrühreriſchen Bauren 
gemeinſchaftliche Sache machen würde, denn die auf 
der Veſte hatten mit den bei Hilzingen verſammelten 
Baurenrotten eine lange Unterredung gehalten. Dieſe 
hatte aber keinen andern Zweck gehabt, als ſich zu 
erkundigen, was der Auflauf bedeute. In dieſem 
Schrecken wußten die Herren zu Stuttgart zu keinem 
andern Mittel zu greifen, als zu einem ſchlechten. Sie 
machten den Grafen Rudolf von Sulz und Jörgen 
von Frondsberg, die ſich damals in der Gegend auf— 
hielten, den Antrag: „dem Herzog auf ſeinem Wege 
von Mömpelgard gen Twiel aufzupaſſen und ihn 
nieder zu werfen, dieweil ſie verhofften, daß dadurch 
viel Unkoſten geſpart und ſonſt viel Unruh verhütet 
werden möchte.“ Aber der gemeine Vorſchlag wurde 
von den biderben Rittern nicht angenommen, ebenſo 
wenig von dem Erzherzog Ferdinand zu Inspruck, 
der edel genug erklärte, daß er in ſolchen Vorſchlag 
nimmermehr willigen werde. Ein wiederholter Vor— 
ſchlag wurde gleichfalls zurückgewieſen. Das einzige, 


* 


44 


was Ferdinand gegen den Herzog Ulrich unternahm, 
war, daß er die Eidgenoſſen bat, zu verhüten, daß 
demſelben nicht geſtattet würde, fein Geſchütz von 
Baſel gen Twiel zu führen. Sonſt aber traf er alle 
Anſtalten, um ſich gegen das Eindringen des Herzogs 
in feine Erblande ſicher zu ſtellen. Während dieſer 
Zeit hielt ſich Ulrich bald zu Twiel, bald in der 
Schweiz auf, wo ſich, trotz des von einer Tagſatzung 
zu Luzern ausgegangenen Verbots, viele Eidgenoſſen 
unter ſeiner Fahne verſammelten. Im Februar 1525 
verſammelte er zu Schaffhauſen Alle um ſich, die er 
bisher geworben hatte. Sofort zog er der Veſte— 
Hohentwiel zu. Als er am Fuße des Bergs zu 
Hilzingen ankam, zählte er feine ganze Schaar, und 
dieſe beſtand aus 600 Mann Fußvolk und 200 
Reitern. Er ließ ſein grobes Geſchütz von der Veſte 
herunterführen, und nun begann der Zug zur Erobe— 
rung ſeines Landes. Doch ſo glücklich die Vorberei— 
tungen waren, ſo unglücklich war der Erfolg. Ueber 
Rottweil mußte der Herzog wieder ſeinen Rückzug 
antreten, denn ſeine Schweizer-Miethlinge hatten ihn 
treuloſer Weiſe verlaſſen. Hohentwiel war jetzt ſein 
einziger Zufluchtsort unter ſeinen geſcheiterten Hoff— 
nungen, und er hielt ſich von Zeit zu Zeit daſelbſt 
auf, bis er endlich mit Hülfe des Lanbppsfeh Philipp 
von Heſſen im Jahr 1534 wieder in den Beſitz ſeiner 
Stammlande kam, um deren Wiedergewinnung er 
Allem aufgeboten hatte. Vier Jahre darauf kam 
Herzog Ulrich nach manchen Streitigkeiten mit Oeſter⸗ 


45 


reich in den völligen Beſitz von Hohentwiel. Den 
24. Mai des Jahrs 1538 verkaufte Hans Caſpar 
von Klingenberg, Sohn des früheren Beſitzers Hans 
Heinrich von Klingenberg, der ſich beim erſten Ver 
trag einen lebenslänglichen Sitz auf der Veſte aus— 
bedungen hatte, „ſein Schloß Hohentwiel im Höhgäu 
gelegen, mit allem ſeinem Begriff, Zwängen, Bännen 
und Zugehörden, als weit die daſelbs reichen, auch 
die Oberkeiten, Herrlichkeiten, Gerechtigkeiten, wie er 
und ſeine Voreltern ſie hergebracht und inngehabt 
haben u. ſ. w., an Herzog Ulrichen von Wirtemberg 
um 12,000 fl. in Münz, je 15 Batzen für den 
Gulden gerechnet, gemeiner Landswährung.“ Der 
Verkäufer ſelbſt, ſowie deſſen Vater Hans Heinrich 
von Klingenberg, dann ſeine Tochter Roſina von 
Klingenberg und ihr Gemahl Joachim Brümſi be— 
jtegelten den Vertrag. 

Seit jenem wurde Hohentwiel ſelten mehr von 
Herzog Ulrich beſucht. Erſt im Jahr 1546 ſah er 
es wieder — im Unglück. Als er nemlich nach dem 
unglücklichen Ausgang des ſchmalkadiſchen Krieges 
ſein Land abermals mit dem Rücken anſehen mußte, 
eilte er ſeinem lieben Hohentwiel wieder zu, als ſeinem 
ſichern Zufluchtsort. Dießmal wurde er von den Eid— 
genoſſen nicht gern geſehen. Die Stadt Schaffhauſen 
erlaubte ihm nicht mehr, als daß er in einer offenen 
Herberge, aber ja in keinem Miethhaus Aufenthalt 
nehmen dürfe. Hier von Hohentwiel herab mußte er 
wieder mit Schmerz anſehen, wie fremde Hand in 


“ 


46 


feinem Erbe ſchaltete; auf Hohentwiel unterſchrieb er 
mit ſchwerem Herzen den mit harten Bedingungen 
verknüpften Hohentwieler Vertrag. Nach einem Aufent- 
halt von drei Wochen verließ er, den ſeine Feinde 
den Mann von Twiel genannt, den geliebten Zu— 
fluchtsort, und ſah die Veſte von nun an nimmer— 
mehr. Vier Jahre darauf ſchloß der merkwürdigſte 
der wirtembergiſchen Herzoge auf dem Schloß zu Tü— 
bingen ſeine thatenreiche und mühſelige Laufbahn. — 
Auch ſein Nachfolger Herzog Chriſtoph hielt Hohen— 
twiel in hohen Ehren und wendete ihm ſeine Auf— 
merkſamkeit zu. Als derſelbe, bekanntlich ein Liebhaber 
vom Bauen, mehrere Schlöſſer ſeines Landes beſſer 
einrichten und befeſtigen ließ, verwendete er auch eine 
anſehnliche Summe Geldes auf das Bauweſen zu 
Hohentwiel. Die ſogenannte fürſtliche Burg iſt der 
Hauptbau, den Herzog Chriſtoph wohl für ſich, zum 
Zweck eines jeweiligen Aufenthalts, aufführen ließ. 
Auch hinterließ er der Veſte ein ſchönes Andenken. 
Es war ein großer ſilberner Becher von ungefähr drei 
Schoppen, auf deſſen Deckel ein Mann ſtand, der 
einen großen Stein auf der Achſel trug. Wahrſchein— 
lich ſollte dieſe Figur den Herzog ſelbſt vorſtellen, 
wie er dieſen Stein auf höchſt eigenen Schultern auf 
die Veſte trug, zu Folge der noch bis auf die ſpäteſte 
Zeit beobachteten Gewohnheit, daß ein Jeder, der in 
die Burg eingelaſſen werden wollte, einen Stein hin— 
auf tragen mußte, dafür aber am Thor einen guten 
Trunk bekam. Der genannte Becher wurde gewöhn— 


47 


lich an den Geburtstagen der Herzoge auf das Wohl 
des ganzen Fürſtenhauſes geleert. Er befindet ſich 
dermalen in den Händen des Generals Widerhold, 
der ihn von ſeinem Pathen, dem ſeligen König Fried— 
rich zum Geſchenk erhielt. — Wie es auf der von 
Herzog Chriſtoph neugebauten Veſte Hohentwiel am 
Schluß des 16. Jahrhunderts ausgeſehen, darüber 
geben wir einen naiven Bericht des bekannten Hein— 
rich Schickard von Herrenberg, der den Herzog Fried— 
rich von Wirtemberg im Jahr 1599 auf einer Reiſe 
nach Italien begleitete, und auch Hohentwiel beſuchte. 
„Den 13. April nach dem alten Calender reisten wir 
früh von Stokach hinweg, erreichten in vier Stunden 
Hohentwiel, Ihrer F. G. Veſtung; daſelbſten wurden 
Ihre F. G. von Dero Dienern und Unterthanen mit 
großen Freuden empfangen und aufgenommen. Dieß 
fürſtlich, ja königlich Haus, ligt im Hegow, nit weit 
vom Bodenſee, in einem luſtigen und an Wein und 
Korn fruchtbaren Lands gelegen hoch iſt über die 
Maßen feſt. Es iſt ſich zu verwundern, wie der ſehr 
harte Fels, ledig und allein, in ſo übergroßer Höhe 
im Feld aufſteigt, da ſo nahe dabei kein einiger Berg, 
der ihm möchte Schaden bringen, alſo daß er weder 
mit Steigen, Schießen oder Untergraben, durchaus 
nicht kann gewältigt werden; iſt das Schloß nicht 
nur mit vielen ſchönen fürſtlichen Zimmern und noth— 
wendigen Gemachen, wie auch guter Ciſternen und 
Schöpfbrunnen, deßgleichen mit Keller und Stallun— 
gen, ſondern auch mit Baſtehen, Wällen und ſtarken 


— 


48 


Wehren zum Ueberfluß verſehen, welches jedoch ohne 
Noth geachtet werden möchte, angeſehen, daß von 
Natur dieſer Platz dermaßen befeſtiget, daß ſich darob 
zu verwundern. Wann auch ſchon weder Wäll, Boll— 
werk noch Bafteyen, ſondern nur allein die Thor und 
Fallbrücken dahin gebauet wären, würde es vor eines 
mächtigen Feindes Gewalt wohl ſicher ſeyn; daher 
auch Etliche nicht unbillig ſagen, daß ſich eines ſol— 
chen Hauſes (wann es auf der Ungeriſchen Gränze ge— 
legen wäre) die ganze Chriſtenheit zu erfreuen hätte. Be— 
neben wird an dieſem Berg erbaut Korn, auch treff— 
lich guter rother und weißer Wein, welches der wälſch 
Doktor vom Willkomm wohl erfahren. Nicht weni— 
ger iſt bei dieſer Veſtung an gutem Bau- und 
Brennholz gar kein Mangel. — Nach eingenommener 
Mahlzeit ſpazierten Ihro F. G. in die Zeughäuſer, 
Rüſtkammern, auch auf die Wäll und Baſteyen hin 
und wieder, gaben auch dem Hauptmann und Zeug— 
wart Befehl, alſobald das grob Geſchütz aus den 
Zeughäuſern auf die Wil, Bollwerk und Baſteyen 
hin und wieder zu führen und zu laden. Folgenden 
Tags früh geſchah mit dem groben Geſchütz ein 
Freuden-Schuß, da dann Ihro F. G. ſelber viel 
groß und kleine Stück in das Feld nach Bäumen 
und Andrem gerichtet, deßgleichen hat auch gethan 
der Hauptmann, Keller, Leutenant, Zeugwart, 
wie auch viel Soldaten aus der Guardi. Dieſes 
Schießen währet bis Eſſenszeit, alſo daß auf denſel— 
bigen Tag alles grob Geſchütz, ſo in der Veſtung 


49 2 


geſtanden, mit großem Krachen, daß auch das Land 
darum verhallet, abgeſchoſſen worden. — Nach vol— 
lendeter Mahlzeit verließen wir die Veſtung Hohen 
Twiel und zogen bis gegen Schaffhauſen anderthalb 
Meil, blieben allda über Nacht.“ Etliche dreißig 
Jahre ſpäter trat an die Stelle des Freuden- und 
Ehrenſchießens ein ernſteres Schießen. Mit dem drei— 
ßigjährigen Kriege eröffnet ſich wieder der Schauplatz 
der Geſchichte auf Hohentwiel, nachdem die Veſte 
lange keine Rolle mehr geſpielt hatte. Im Jahr 1632, 
als Herzog Julius Friedrich die Vormundſchaft über 
Wirtemberg führte, ſaß der tapfere Löſch als Haupt— 
mann (Commandant) auf Hohentwiel. Als ein eben— 
bürtiger Vorgänger Conrad Widerholds ſuchte Löſch 
von ſeiner Felſenburg aus in der Verwirrung des 
Kriegs ſeinen Nutzen zu ziehen. Was von feſten 
Plätzen in der Nähe von Hohentwiel war, deren 

ſuchte er habhaft zu werden. Das konnte Oeſterreich, 
von dem die meiſten dieſer Veſten Lehen waren, nicht 
gleichgültig anſehen. Es folgte bald ein Beſchwerde— 
Schreiben an den Herzog von Wirtemberg. Dieſer 
antwortete: daß die verſprochene nachbarliche Freund— 
ſchaft von Seiten Oeſterreichs nicht beſſer gehandhabt 
worden wäre, indem er nur beſchwerliche Einquartie— 
rungen und Durchzüge habe erdulden müſſen. Wegen 
Einnahme der Schlöſſer rechtfertigte ſich Hauptmann 
Löſch alſo: er habe alſo gethan, um den Schweden 
in dieſer Gegend ihre Unternehmungen zu erleichtern, 
mit denen er ſich auf von Oben ergangenen Befehl 


= 


50 


in ein gutes Verhältniß geſtellt habe. — Von jetzt 
an aber hatte Löſch Urſache, ſich in Acht zu nehmen, 
denn es rückten Oeſterreichiſche Truppen vom Boden— 
ſee herauf gegen Freiburg und Breiſach. — Was bis— 
her auf Hohentwiel vorging, war nur das Vorſpiel 
zur folgenden merkwürdigen Zeit, in der ſich die Veſte 
in ihrer höchſten kriegeriſchen Bedeutung zeigte — 
unter ihrem muthvollen Vertheidiger Conrad Wider— 
hold, der nunmehr die Hauptrolle am See und im 
ſüdlichen Schwaben übernommen. 

Conrad Widerhold ward zu Ziegenhein in Heſſen 
den 20. April 1598 von ehrbaren Eltern geboren. 
Schon früh trieb ihn die Neigung zum Krieg; ſchon 
in feinem ſiebzehenten Jahre diente er als gemeiner 
Reiter bei dem Grafen von Solms, ſpäter trat er 
in die Dienſte der Stadt Bremen, wo er ſich der 
Ingenieur-Kunſt widmete. Von da aus beſuchte er 
die Küſten von Frankreich, England, Portugal, Spa— 
nien, Barbarei, Italien, Corfu und Venedig. Nach— 
dem er ſich in letzterer Stadt zwei Jahre aufgehalten, 
kehrte er wieder nach Deutſchland zurück. Herzog 
Friedrich nahm ihn in ſeine Dienſte. Von der Stelle 
eines Trill-(Exercier-) Meiſters, flieg er nach drei 
Jahren zum Rang eines Hauptmanns und endlich 
Majors empor. Nachdem er ſich in dieſer Würde bei 
der Ausführung einiger militäriſcher Unternehmungen, 
wie bei der Belagerung der Städte Villingen und 
Schramberg, ſowie als Commandant der Veſte Horn— 
berg im Jahr 1633 durch Kenntniſſe und Tapferkeit, 


51 


auch Treue gegen feinen Fürſten vortheilhaft ausge: 
zeichnet hatte, ſo hielt ihn Herzog Eberhard für wür— 
dig, ihn über Größeres zu ſetzen. Als der Erfolg der 
Nördlinger Schlacht, den 27. Aug. 1634, für die 
Proteſtanten ſo unglücklich ausfiel, da war das Weh 
des verhängnißvollen Krieges in vollem Maaß über 
das unglückliche Land hereingebrochen. Die feindlichen 
Armeen drangen ohne Widerſtand in das offene Wir— 
temberg ein, und dieſes wurde nun der Tummelplatz 
roher und mordgewöhnter Horden. Herzog Eberhard 
flüchtete ſich nach Straßburg. Auf die Veſten ſeines 
Landes konnte er allein noch zählen, daß ſie dem 
Feinde Stand halten würden. Auf Hohentwiel richtete 
der Herzog jetzt ſein Hauptaugenmerk. Dieſe Veſte 
war noch die einzige, auf die er ſeine Hoffnung ſetzte, 
wie einſt ſein Ahnherr und Unglücksbruder Herzog 
Ulrich, darum wollte er dieſes Kleinod einem Manne 
anvertrauen, auf den er ſich verlaſſen konnte. Wel— 
chen treueren konnte er finden, als den Conrad Wi— 
derhold? Den 13. Juni 1634 übernahm er das 
Commando über Hohentwiel. Das erſte, was Wider— 
hold beim Antritt ſeines neuen Amtes that, war, 
daß er, ſo lange er noch Ruhe hatte, die Veſte in 
den beſten Vertheidigungszuſtand ſetzte, beſonders aber 
für hinlängliche Speiſung und Munition ſorgte. Von 
ſeinem Fürſten, der ſelbſt Mangel litt, konnte er keine 
Unterſtützung hoffen; was anders war ihm alſo übrig, 
als zu Streifzügen in der Umgegend Zuflucht zu nehmen, 
und dieſe glückten meiſtens. So geſchah es, daß er 


=“ 


8 


in Kurzem das ihm anvertraute Haus reichlich aus⸗ 
geſtattet hatte. Doch gerade dieß mußte deſto ſchneller 
Gefahr fur die Veſte herbeiführen. Um Widerholds 
Feindſeligkeiten Einhalt zu thun, erſchien zuerſt, im 
Jahr 1635, der kaiſerliche Feldmarſchall-Lieutenant 
Oſſa vor Hohentwiel. Voran ſchickte dieſer gütliche 
Unterhandlungen, doch, als Widerhold nicht: darauf 
einging, umzog er die Veſte. Das erſte war, daß 
er die Mühle zu Singen zerſtörte, deren ſich die 
Hohentwieler bisher bedienten. Dafür ließ Widerhold 
jetzt Hand- und Windmühlen auf der Veſte erbauen. 
Dieſe Blockade verwandelte der bald auf Oſſa folgende 
Obriſt v. Vitzthumb von Eckſtatt in eine förmliche Be: 
lagerung, und lag einige Monate vor Hohentwiel, 
ohne einen Sturm zu wagen. Da brach auf der. 
Veſle eine Peſt aus. Viele Gemeine und Offiziere 
wurden ihr Opfer. Unter letzteren war auch der 
bisherige Prediger hinweggerafft worden. An ſeine 
Stelle ſchickte der Herzog einen noch ſehr jungen 
Magiſter, Johann Eberhard Pauli, indem er zugleich 
an Widerhold die Weiſung ergehen ließ: „er möchte 
mit dieſem Pfarrer Geduld tragen, weil man bei 
dieſen betrübten Umſtänden keine Wahl habe: er 
möchte ihm freundlich zuſprechen, anfänglich ihn mit 
vielem Predigen verſchonen, zu Zeiten auch nur eine 
Predigt aus der Poſtillen ableſen laſſen, und ihm 
ſeiner Vorfahren Bücher einhändigen.“ Nur mit 
Mühe konnte dieſer Prediger durch die Belagerer bin: 
durch auf die Veſte gebracht werden. In dieſer Zeit 


53 


wagte Obriſt v. Vitzthumb einen Sturm auf die Veſte. 
Schon war er bis in den Vorhof gedrungen, da fiel 
Widerhold mit nicht mehr denn 12 Reitern aus 
derſelben, ſchlug die andringenden Feinde zurück, zer— 
ſtörte ihre Schanzen und führte 10 Gefangene auf 
die Veſte. Als Vitzthumb ſah, daß er wenig Fort— 
ſchritte machte, ſo ſchritt er zu einem Waffenſtillſtand, 
indem er verſprach, Hohentwiel unangefochten zu laſ— 
ſen, wenn Widerhold ſeine Feindſeligkeiten einſtellen 
würde. Dann zog er ab, nachdem er über ein halbes 
Jahr umſonſt um die Dame gebuhlt hatte. Die Zeit 
der Ruhe benützte Widerhold auf die zweckmäßigſte 
Weiſe. Er verbeſſerte die Veſtungswerke, führte zum 
Theil neue auf, und verſah Hohentwiel auf allerlei 
Weiſe. Noch nicht war ein Jahr verfloſſen, als 
Oeſterreich ſtracks gegen die Bedingungen des Waffen— 
ſtillſtandes ſchon wieder mit förmlichen Anſprüchen 
auf Hohentwiel auftrat. In einem kaiſerlichen Be— 
ſcheid vom Jahr 1636 war die gänzliche Räumung 
der Veſte unter den erſten Bedingungen. Das ſetzte 
den Herzog Eberhard in große Beſorgniß. Den 21. 
Mai 1637 ließ er an Widerhold die Weiſung er: 
gehen: er habe ſich im Geringſten nicht zur Abtretung 
Hohentwiels verſtanden; noch fügte er bei: wenn 
Schreiben oder Befehle von ihm an ihn gelangen 
ſollten, ſo ſolle er ſolchen keinen Glauben zuſtellen, 
wenn ſie auch mit dem fürſtlichen Sigill und Unter— 
ſchrift bewährt wären, es ſei denn, daß ſolche von 
Wort zu Wort von dem Herzog ſelbſt geſchrieben und 


2 * 


54 


mit gewiſſen Zeichen verſehen wären. Zugleich er— 
mahnte er ihn, dieſes Haus gegen Männiglich bis 
auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen. Wäh— 
rend der Herzog dieſe Weiſung an Widerhold ergehen 
ließ, ließ er ſich doch von Oeſterreich einfchüchtern, 
das nicht aufhörte, ſeine Forderung wegen Hohentwiel 
zu wiederholen. Eberhard verſuchte alles Mögliche, um 
Oeſterreich zufrieden zu ſtellen. Wirklich ſollte es 
jetzt zu einer Abtretung Hohentwiels kommen, und 
ſollte dieſe alſo vor ſich gehen, daß Widerhold und 
die Beſatzung freien Abzug hätte, und all Hab und 
Gut abgeführt werden dürfe. Durch ein Zeitungs— 
blatt erfuhr Widerhold, daß Hohentwiel an Oeſterreich 
übergeben werden ſollte. Dem gedachte er nun mit 
aller Macht vorzubeugen. Widerhold wollte lieber in 
Jedes Andern Beſitz die Veſte wiſſen, als in der— 
Hand der Oeſterreicher. Ohne Vorwiſſen ſeines Her— 
zogs ließ er ſich in Verhandlung mit dem großen 
Herzog Bernhard von Weimar ein, weil er wußte, 
daß dieſer nach der Veſte trachtete. Den 11. Novbr. 
1637 kam zwiſchen Beiden folgender Vertrag zu 
Stande: die Veſte beſitzen Sachſen und Wirtemberger 
gemeinſchaftlich; zur Unterhaltung der Beſatzung er— 
hält Widerhold von Herzog Bernhard 20,000 Rthlr.; 
dagegen darf der Herzog ſchalten und walten über 
die Veſte und Beſatzung. — Weder Herzog Eberhard 
von Wirtemberg noch der Kaiſer hatte die geringſte 
Kenntniß von dieſem Vertrag. Erſt als öſterreichiſche 
und wirtembergiſche Bevollmächtigte auf Hohentwiel 


55 


kamen, um die Abtretung der Veſte an Oeſterreich 
zu vollführen, da erklärte Widerhold frei heraus, daß 
er durch den Vertrag mit Herzog Bernhard der Krone 
Schweden ebenſo viel verpflichtet ſei, als dem Hauſe 
Wirtemberg, doch habe er ſich vorgeſetzt, einzig und 
allein dem angebornen Erbherrn die Veſte aufzube— 
halten. Von nun an fing Widerhold ſein altes 
Weſen wieder an, er brandſchatzte die ganze Seegegend. 
Keiner Vorſtellung von einer Uebergabe der Veſte 
wollte er mehr Gehör geben. Er wollte die Ehre 
haben, ſeinem Herrn als treuer Diener die Veſte als 
keuſche Jungfrau zurückzugeben. Dieſes Widerſtreben 
ſeines Commandanten ſetzte den Herzog in nicht ge— 
ringe Betrübniß. Er beklagte ſich ſelbſt bei dem 
Kaiſer über Widerholds Untreue, wie er es nannte. 
Er ließ eine Bittſchrift an den Kaiſer gelangen, wo— 
rin er ihn dringend bat, er möchte ihn die Hart— 
näckigkeit ſeines Commandanten nicht entgelten laſſen. 
Im Jahr 1639 war der große Bernhard ſelbſt auf 
der Veſte, um die Werke in Augenſchein zu nehmen 
— es war ſein letzter Beſuch auf Hohentwiel, denn 
am 7. Juli des Jahres ſtarb er, der größte Held 
ſeiner Zeit nach Guſtav Adolf, nicht ohne Verdacht, 
daß er Gift bekommen. Kaum war dieſe Nachricht 
verbreitet, ſo hielt ſchon wieder der Kaiſer dem Her— 
zog dringend vor, er ſolle den Widerhold zur Ueber— 
gabe Hohentwiels beſtimmen. Da ließ Eberhard drei 
Befehle nach einander an ihn ergehen; Widerhold 
antwortete nicht nach des Herzogs Wunſch. Im 


— 


56 


Auguſt 1639 ſchlug der kaiſerliche General-Feldmar⸗ 
ſchall Huyn von Gelern im Städtchen Engen fein 
Lager auf, um gegen Hohentwiel zu operiren. Zuerſt 
ſuchte er durch ſchriftliche Unterhandlung mit Wider— 
hold fertig zu werden. Aber Widerhold ging nicht 
darauf ein; er antwortete wie ein Mann, und er— 
klärte, er wolle das ihm anvertraute Haus bis aufs 
Aeußerſte vertheidigen. Dieſe Erklärung gab dem 
Feldmarſchall das Signal zum Angriff. Zuvor nur 
ſtrenglich belagert, wurde Hohentwiel jetzt förmlich be— 
ſchoſſen: es wurden 37 Granaten und Ernſtkugeln gegen 
die Veſte geworfen, aber es ſchadete nur wenig. Man 
ſuchte ſie durch Minen zu ſprengen, aber auch das 
war vergebens. Doch drangen die Feinde bis in den 
Vorhof der Veſte, der nur durch Palliſaden befeſtigt 
war. Widerhold trieb ſie wieder zurück. Bei dieſem 
Ausfall verrichtete eine Jungfrau Wunder der Tapfer— 
keit. Sie nahm einem feindlichen Corporal, der ſie 
verwundete, ſein Gewehr ab, und brachte es auf die 
Veſte. Noch im Jahr 1784 zeigte man zu Hohen— 
twiel eine Partiſane, auf deren einer Seite ein Soldat 
in den Schaft eingeſchnitten war, mit den Reimen: 


Horch Bruder mein! was ich dir ſag, 

So mir geſchehen dieſen Tag. 

Als ich vermeynt etwas zu bringen 

Von Hohentwiel, thät mir's mißlingen, 
Dann mir ein' Jungfrau unverzagt 

Mein Gwehr mit Spott und Schand abjagt. 


\ 


57 


Auf der andern Seite war eine Jungfrau eingeſchnitten 
mit der Umſchrift: 


Als man zahlt 1639 Jahr, 

In ein'm Ausfall, ſag' ich fürwahr, 

Ein' Jungfrau von 18 Jahr, 

Margaretha ſie genennet war, 

Mit einem Kayſerlichen Corporal rang, 

Und ihm dieß kurze Gwehr abnahm. 

Und wenn er ihr nicht wär entloffen, 

Hätt ſie mit ſeinem Gwehr ſein Herz troffen, 
Und wär ſchier gangen, wie man lieſt 

Von Holofern ein ſchön Geſchicht, 

Dem Judith fein Haupt abgeſchlagen 

Mit ſeinem Gwehr, wie die Schrift thut ſagen. 
Den 29. Auguſt iſt es geſchehen | 

Im Jahr, wie man kan oben fehen. 


Dieſe Belagerung dauerte bis zum 8. November. 
Während derſelben verſuchte Herzog Eberhard durch 
nochmaligen Befehl ſeinen Commandanten zur Ueber— 
gabe der Veſte zu bewegen. Widerhold dachte: keine 
Antwort iſt auch eine Antwort — und er beant— 
wortete keines der Schreiben. Ein drittes ging nun 
vom Herzog ab, und ein eigenhändiges Poſtſeriptum 
des Inhalts war beigefügt: „wo du Widerhold uns 
noch mit Trewen meineſt, wirſt du dieſem Befelch 
Volge leiſten, und deine Trew, Ehr' und Namen zu 
retten, dich mit befolner Lieferung des Hauſes nicht 


“ 


58 


länger aufhalten, ſondern eines endlichen gegen uns 
erklären.“ Widerhold ließ ſich nicht bewegen und er— 
klärte, daß er dieß ihm anvertraute Haus dem ganzen 
Fürſtenhaus Wirtemberg zum Nachtheil unmöglich an 
den Kaiſer überlaſſen könnte. — Als der Feldmar— 
ſchall v. Gelern ſah, daß weder Worte noch Waffen 
bei Widerhold Etwas ausrichteten, ſo zog er mit ei— 
nem Theil ſeiner Armee von der Veſte weg. Obriſt 
Holz und Neumark hielten ſie ferner umſchloſſen. 
Dieſe verſuchten wieder mit Miniren ihr Glück, und 
ließen zu dem Ende acht Bergknappen dahin bringen, 
die aber keine Luſt für die gefährliche Arbeit bezeug— 
ten. Während dieſer Zeit machte Widerhold die Be— 
- merfung, wie ſich die Feinde den Tag über einer 
unten am Berg liegenden Kelter als eines Wacht— 
hauſes bedienten, und dabei ein ſtarkes Feuer unter— 
hielten, des Nachts aber ſich zurückzogen. Da ließ 
er an dieſer Stelle in der Nacht eine Granate ein— 
graben. Als die Feinde wieder erſchienen und ein 
Feuer anmachten, da entzündete ſich die Granate und 
ſprengte die Kelter ſammt einer großen Zahl von 
Feinden in die Luft. Bald zogen die Belagerer mit 
einem Verluſt von 1500 Mann von der Veſte. Auch 
Obriſt Truckmüller, der jetzt vor die Veſte rückte, 
zog nach einer kurz dauernden Cernirung derſelben 
im Jan. 1640 wieder ab. Jetzt bekam Widerhold 
Zeit, ſeine Felſenburg aufs Neue mit Proviant zu 
verſehen. — Nach ſieben Monaten wurde Hohentwiel 
aufs Neue attaquirt. Frederico Enriquez, ein ſpani⸗ 


59 
ſcher Edelmann am Hof der Erzherzogin Claudia von 
Oeſterreich, erbot ſich, einen neuen Verſuch auf 
Hohentwiel zu machen. Mit 7000 Mann zog er im 
Septbr. vor die Veſte. Voran ſchickte der Spanier 
ein höfliches Schreiben, aber Widerhold antwortete 
dem feinen Höfling mit lakoniſcher Kürze: „er würde 
wie bisher ſeine Pflicht thun in Vertheidigung des 
ihm anvertrauten Kleinods.“ Nun ſchlug der Spanier 
bei dem nahen Schloß Staufen ſein Lager auf und 
hielt nur mit 150 Mann und 80 Pferden die Veſte 
bloquirt. Indeſſen war der Weimaraner Obriſt Roſa 
den Hohentwielern zum Entſatz herbeigeeilt. Dieſer 
überfiel die feindliche Vorwacht und hieb ſie nieder. 
In der Nacht ließ Widerhold ſechs Granaten mit 
Feuerſchlöſſern, die durch verborgene Schnüre aufge— 
zogen werden konnten, in den Weg eingraben. Als 
die Feinde den Weg kamen, ließ er an den Granaten 
ziehen, ſie gingen zwar zu frühe los, und verfehlten 
ihre Wirkung, doch brachten ſie eine Verwirrung un— 
ter die Feinde. Widerhold und Roſa benützten dieſe, 
griffen den Feind an, hieben gegen 50 Mann nieder 
und machten fünf Offiziere und 60 Gemeine zu Ge— 
fangenen. Den andern Tag machten ſie einen An— 
griff auf den Poſten bei Staufen. Dieſer flüchtete 
ſich in die Burg, die Widerhold im Sturm eroberte. 
Die Feinde mußten ſich auf Gnad und Ungnade er— 
geben. Auf dieß zog ſich die Hauptarmee der Feinde, 
die bedeutend geſchmolzen war, zurück, und die Be— 
lagerung durch den prahleriſchen Spanier hatte ein 


* 


60 


Ende. Nachdem Abzug der Feinde fand Widerhold 
Zeit, eine neue Unternehmung zu machen. Er hatte 
gehört, daß zu Balingen 20,000 Thaler feindliches 
Contributionsgeld liege. Den 19. Jan. 1641 machte 
er ſich in der Stille auf und zog Balingen zu. Er 
kam frühe bei der Stadt an, und legte ſich mit ſei— 
nen Soldaten in ein Teich (Vertiefung). Ehe der 
Tag anbrach, ſtanden ſchon einige ſeiner Leute, theils 
als Zimmerleute, theils als Träger verkleidet vor 
dem Thor und begehrten Einlaß. Da nimmt Einer 
derſelben ſeinen Bündel mit Nüſſen vom Rücken, um 
den Thorhütern davon zu ſpenden, er läßt fie aber 
haufenweiſe, wie aus Verſehen herausfallen, und als 
die Hüter darnach haſchen, wirft er einige Handgra— 
naten darunter, die ſich ſchnell entzünden. Das war 
ein Signal für Widerhold, der jetzt ſchnell herbeieilt, 
das Thor mit einer Petarde ſprengt und in wenig 
Augenblicken mitten in der Stadt, und bald im Be— 
ſitz der 20,000 Thaler iſt. Auf dem Rückmarſch 
über Tuttlingen nahm ſich Widerhold noch Zeit, bei 
dem Wagner Fueß zu Gevatter zu ſtehen. Aber mit 
dem Sommer deſſelben Jahres erſchien für Hohen— 
twiel wieder eine herbe Zeit. Am 25. Juli erſchien 
der Churbairiſche Obriſt von Neuneck vor der Veſte. 
Ihm folgte am 9. Oktbr. der General-Feldzeugmeiſter 
Graf von Sparre. Dieſer hatte ſich hoch und theuer 
vermeſſen, er wolle innerhalb dreier Monate der Veſte 
habhaft werden. Auch er ſchlug zuerſt den Weg der 
Unterhandlung ein, aber Widerhold wollte Nichts 


61 


von Uebergabe willen. Da griff Sparre die Veſte 
mit Ernſt an: er beſchoß ſie vom 17. Okt. an ſo 
heftig, daß man das Feuer etliche Meilen weit ſehen 
konnte. Am 20. Okt. waren die Feinde bereits im 
Beſitz des Vorhofs, aber Widerhold trieb ſie mit . 
großem Verluſt wieder zurück. Durch ſeine Ausfälle 
und andere liſtige Anſchläge ſahen die Feinde ſtets 
ihre Abſichten wieder vereitelt. Einmal ließ er in 
die Erbſen- und Rübenaͤcker um die Veſte mit Bän⸗ 
dern gezierte Hüte ſtecken, an welche Feuerſchlöſſer 
gebunden waren; wenn nun die Feinde neugierig 
daran zogen, ſo wurden ſie von den Selbſtgeſchoßen 
erlegt. Ein ander Mal legte er in die Gebüſche um 
den Berg Soldaten mit Piquen und Angeln; mit 
dieſen rißen ſie die auf Kundſchaft ziehenden Feinde 
von den Pferden und brachten ſie gefangen auf 
Hohentwiel. So wird wenigſtens von Zeitgenoſſen 
Widerholds berichtet, wogegen der neueſte und beſte 
Hiſtoriograph Hohentwiels, Herr General von Mar— 
tens, dieſe ſo wie die früher angeführten Kriegs— 
liſten und ſonderbaren Anſchläge Widerholds ſtark 
bezweifelt. — Sparre litt von Tag zu Tag mehr 
Schaden an Leuten, ungerechnet die häufigen Weg— 
läufer. Da ſchritt er zur Unterminirung der Veſte. 
Mit unſäglicher Mühe ließ er den Felſen durchbohren 
und Pulver zum Sprengen einlegen, doch an den 
ungeheuren und harten Felſenmaſſen wollte dieß nicht 
viel ausrichten, denn Widerhold ſetzte von oben mit 
Feuer und Dampf zu. Endlich entſchloß ſich Sparre, 


& 


62 


die Belagerung aufzuheben. Schon machte er alle 
Anſtalt dazu, da wurde er von den aus ihren Be— 


ſatzungen im Elſaß gezogenen Schwediſchen Völkern 


noch im Lager überfallen, und eine ungeheure Beute 
an Munition u. dgl. fiel in Widerholds Hände, der 
durch einen Ausfall die Ueberrumplung ſeines Feindes 
ſich zu Nutzen machte. Von jetzt an lebte Widerhold 
unangefochten auf ſeiner Felſenveſte und bereicherte 
ſich mit Brandſchatzen aus der ganzen Umgegend. 
Conſtanz, Ueberlingen, die Klöſter Salmansweil, 
Petershauſen, Weiſſenau und andre Orte, mußten 
ihm bedeutende Contributionen entrichten; beſonders 
bedrängte er die nahe Stadt Radolfszell, die der 
kaiſerliche Obriſt von Grandmont beſetzt hielt. Aber 
auch in die Ferne zog er auf Beute aus, oder ließ 
ſeine Leute Streifzüge machen. So eroberten dieſe 
die ſteile Felſenveſte Wildenſtein an der Donau mit 
Liſt, während die Beſatzung in eine nahe Kirche ge— 
gangen war. Widerhold plünderte in eigener Perſon 
das Kloſter Blaubeuren und brachte ſeinen Abt ge— 
fangen nach Hohentwiel. Im Anfang des Jahres 
1643 überfiel er um Mitternacht die Stadt Ueber— 
lingen, wo nur 12 bis 15 Mann unter den Waffen 
waren. Die Hohentwieler zogen, nachdem ſie die 
Thore mit Petarden geſprengt hatten, in Reih' und 
Glied in die Stadt ein, und ſo — berichtet Wider- 
hold — ward dieſer alten Jungfrauen das Ehren- 
kränzlein abgezogen. Eine reiche Beute an Geſchützen, 
Getreide und Wein führte Widerhold auf Hohentwiel; 


63 


eine Orgel, die er für feine auf der Veſte neuerbaute 
Kirche beſtimmte, lieferte ihm das Franziskanerkloſter, 
welches er von Plünderung verſchont hatte. Um 
dieſem Unweſen zu ſteuern, das Widerhold von ſeinem 
Felſenneſt aus übte, übernahm jetzt der Churfürſt von 
Baiern einen Zug vor die Veſte. Die ſchwäbiſchen Stände 
ſollten das Geld dazu hergeben, und ſo mußte auch 
der arme Herzog Eberhard zur Blockirung ſeiner ei— 
genen Veſte 3000 fl. herſchießen. Im Mai 1644 
zogen die Baiern vor Hohentwiel; ſie ſchlugen von 
allen Seiten Schanzen auf, aber dabei blieb es. Wider— 
hold bekam endlich Langeweile und machte Ausfälle. 
Das verleitete nach und nach den Feinden die Be— 
lagerung. Doch, um nicht ſo ſchimpflich abzuzie— 
hen, knüpften die Feinde zuvor noch Verhandlun— 
gen an. Widerhold ſollte die Veſte an den Herzog 
abtreten und die Beſatzung auf 50 Mann herabſetzen; 
er dürfte Commandant bleiben, jedoch ſollte er einen 
Neben⸗Commandanten bekommen und von nun an 
neutral bleiben. Man bot ihm große Geldſummen 
und Beförderung, wenn er in dieſe Punkte willige, 
aber Widerhold ſchenkte den Anträgen kein Gehör, 
ſondern antwortete kurz und bündig: „er begehre 
ſeinem Herrn getreu zu dienen, welches auch Andre 
thun ſollen; wie man in ſeines Herrn Land hauſe, 
ſo plage er dieſer Feinde Orte ebenmäßig, wie er 
könne.“ So zerſchlugen ſich vor der Hand die Ver— 
handlungen, bis ſie durch ein neues, kühnes Waͤgſtück 
Widerholds wieder angeregt wurden. Er nahm auf 


— 


64 


einem Streifzug 40 für Venedig angeworbene Reiter 
gefangen, und brachte dieſe und 70 geſattelte Pferde 
auf die Veſte. Bei Gelegenheit der Forderung, dieſe 
Gefangenen wieder in Freiheit zu ſetzen, brachte man 
die frühere Verhandlung wieder auf die Bahn. Man 
erklärte ihm: „daß man wirklich gemeint ſei, dem 
Herzog ſelbſt die Veſtung wieder zu Handen zu ſtellen 
und es auch gar leichtlich dahin gerichtet werden 
koͤnnte, daß man dem Herzog nicht nur die ihm ent⸗ 
zogenen oberen Aemter zu Unterhaltung der Veſtung, 
ſondern auch in ſeinem Maaß das ganze Land wie— 
der abträte.“ Dieſe Erklärung ſcheint den zuvor ſo 
hartnäckigen Widerhold nachgiebiger geſtimmt zu haben. 
Er erklärte, ſeiner Seits in das Verlangte zu willigen, 
wenn dem regierenden Herzog Eberhard und ſeinem 
Bruder Friedrich das ganze Herzogthum abgetreten, 
die Streitigkeiten zwiſchen Oeſterreich und Wirtemberg 
abgethan, und alle kaiſerliche und bairiſche Truppen 
aus dem Lande abgeführt würden. Zu dieſen Be— 
dingungen ſetzte Widerhold noch einige ihn ſelbſt be— 
treffende Punkte. Kaum war Herzog Eberhard von 
dieſer Willensmeinung Widerholds durch ihn ſelbſt in 
Kenntniß geſetzt, ſo erſchien ſchon ein bairiſcher Ge— 
ſandter bei ihm, der auf die Beſchleunigung der Ver— 
handlung drang, und ihn beſtimmte, einen Abgeord— 
neten nach Hohentwiel zu ſenden. Bald darauf er— 


ſchienen die beiden Wirtembergiſchen Räthe Anton. 


von Lüzelberg und Dr. Johann Friedrich Jäger mit 
dem churbairiſchen General-Commiſſair Bartholomäus 


65 


Schäffler auf Hohentwiel, um von ihm eine nähere 
Erklärung zu vernehmen. Den 21. Mai 1644 kam 
endlich zwiſchen Widerhold und den Obengenannten 
ein Vergleich zu Stande, deſſen Hauptinhalt war: 
»Widerhold übergibt dem Herzog die Veſtung, daß ſie 
auf ewige Zeiten dem Haus Wirtemberg bleibe, ohne 
daß Oeſterreich je eine Anſprache daran zu machen 
hat, und verſpricht zugleich, alle Feindſeligkeiten einzu— 
ſtellen. Widerhold und ſeine Beſatzung ſollen gänz— 
liche Verzeihung erhalten. So die Veſtung belagert 
würde, müſſe der Kaiſer oder Churfürſt ohne Koften- 
anſprache ſie entſetzen, dem Herzog aber ſoll es frei 
ſtehen, die Commandantenſtelle zu übertragen, wem er 
wolle.“ Während der Verhandlung war Waffenſtill— 
ſtand; die feindlichen Generale ritten mit einander 
und Widerhold gab ein ſtattliches Mahl. Aber auf 
den Vergleich folgte von feindlicher Seite keine Rati— 
fication. Die Bedingungen convenirten nicht, denn 
ſie vereitelten ja die ränkevollen Abſichten der Oeſter— 
reicher und Baiern, die Widerhold durchſchaut hatte. 
Die Blockirung der Veſte begann von Neuem, ſie 
dauerte aber nicht lange. Zur ſelben Zeit drängten 
die Weimaraner Truppen von Freiburg die Baiern 
über den Schwarzwald zurück. Aus Feigheit zogen 
nun auch die vor Hohentwiel liegenden Baiern ab, 
und ließen ihr ganzes Lager zurück. Da der Ber: 
gleich von Seiten der Oeſterreicher und Baiern ſo 
ſchlecht gehandhabt worden war, fo fand ſich Wider— 
hold auch berechtigt, da fort zu machen, wo er es 
g 5 


II 
* 


66 


gelaſſen hatte; er machte einen Streifzug an den 


Bodenſee und bis nach Memmingen. Im Juni 1645 


ging ihm aber auch ein Unglücksſtern auf, denn ſein 
Keller Stockmaier, gebürtig von Sindelfingen, wurde 
mit einem Beutel von 1000 Dukaten Contributions— 
geld aufgefangen. Das wurmte dem Widerhold; er 
ſaß alsbald auf, und zog brandſchatzend durch die 
Seegegend bis Klofter Weingarten, wo er ſich den 
Abt als Geißel für ſeinen Keller holte. Beide wur— 
den ſpäter gegenſeitig ranzionirt, der Keller um 200 
Dukaten, der Abt aber um 4000 Reichsthaler, denn 
ein ſolcher Reichsprälat war doch koſtbarer, als ein 
Keller. Im Januar 1646 nahm Widerhold ohne 
Widerſtand die Inſel Reichenau und alle Seeſchiffe 
weg. Gerade war der See gefroren, aber er thaute 
auf, während Widerhold noch operirte. Da erlitt er 
großen Schaden an Leuten, die ertranken, er ſelbſt 
rettete nur durch Schnelligkeit ſein Leben. Im Februar 
überrumpelte er noch die Stadt Sulz und im Mai 


nahm er den Dillingern Pferde, Vieh und Bürger 


weg. So war er bald, wie der alte Überall und Nir⸗ 
gends, bald da, bald dort, bald am See, bald im 


Schwarzwald, bald in Oberſchwaben. Endlich ſcheint 


er doch auch dieſes Treibens ſelbſt müde geworden 
zu ſeyn. Vielleicht wurde er auch von ſeinem Herzog, 
bei dem ſich der Kaiſer wiederholt über Widerhold 
beſchwert hatte, beſtimmt, ſeine Feindſeligkeiten einzu⸗ 
ſtellen, die er eigentlich nur fortgeſetzt hatte, um dem 


— 


67 


Kaiſer Trotz zu bieten, der feinen geliebten Herrn 
das Leben ſo ſauer gemacht hatte. 

Wenn wir fragen, wie Widerhold es bisher hatte 
wagen können, ſich einer ſo großen Macht, wie 
Oeſterreich und Baiern war, ſo keck entgegen zu ſtellen, 
ſo finden wir den Grund davon am natürlichſten in 
der Verbindung, in welche er ſeit dem Vertrag mit 
dem großen Bernhard mit der Krone Schweden ge— 
treten war. Somit war er auch mit Frankreich in 
Verbindung getreten, denn Herzog Bernhard und ſein 
Nachfolger General Erlach ſtanden ja mit ihren 
Truppen eigentlich unter der Krone Frankreich. Unter 
Erlachs Oberkommando hatte ſich Widerhold geſtellt, 
auf dieſe Weiſe hatte er gleichſam ſich und ſeine 
Veſte in die Hände Frankreichs übergeben, und fo 
hatte er bisher in Frankreich einen kräftigen Hinter— 
mann. Daher kamen aber auch die Anſprüche, welche 
Frankreich in den nun bald ſich anknüpfenden Frie— 
densverhandlungen zu Osnabrück wegen Hohentwiel 
darlegte. Doch waren ſie immerhin noch billiger und 
beſcheidener, als die, welche Haus Oeſterreich rege 
machte. Ihm war Hohentwiel ſeit langen Zeiten ein 
Dorn im Auge geweſen, daher verlangte es jetzt ſo— 
gar die Schleifung der Veſte. Indeſſen hatte es 
Herzog Eberhard durch ſeine Geſandten bei den zu 
Osnabrück des Friedens wegen verſammelten Ständen 
zuwege gebracht, daß auch Hohentwiel unter die ſo— 
genannten Restituenda aufgenommen würde. Frank: 
reich gab ſich willig darein, und entſagte allen An— 


— 


68 


ſprüchen auf Hohentwiel. Doch kam während dieſer 


Zeit noch Manches dazwiſchen, was die Uebergabe 


der Veſte verzögerte. Endlich mit dem Jahr 1650 
kam es dahin, daß Hohentwiel von Frankreich abge⸗ 
treten wurde. Den 22. Juni wurde der mit Frank⸗ 
reich abgeſchloſſene Vergleich unterſchrieben, und Obriſt 
Widerhold erhielt ſofort die Vollmacht, Hohentwiel 
an den Herzog abzutreten. Am 4. Juli übergab 
nun Widerhold, der bisher ruhig und ſtill dem un— 
ruhigen Treiben in ſeiner Nähe zugeſehen hatte, ſein 
anvertrautes Kleinod an den rechtmäßigen Beſitzer als 
eine noch keuſche Jungfrau. Da dieſer Tag für das Haus 


Wirtemberg ein ſo wichtiger war, denn erſt jetzt war 


der langerſehnte Friede dem ganzen Lande zu Theil 
geworden, ſo ließ Herzog Eberhard auf den 11. Aug. 
1650 ein Dankfeſt anſtellen, und goldene und ſilberne 
Medaillen und kleine ſogenannte Friedenspfennige 
prägen. — Fünfzehen Jahre hatte Widerhold das ihm 
anvertraute Haus mit ſeltener Treue und Mannheit 
vertheidigt, — der Denkſtein, deſſen Innſchrift wir 
bereits oben angegeben, hat ſeine Heldenthätigkeit in 


wenigen Worten zuſammengefaßt — auch für die 


Ausſtattung und den Bau der Veſte hat er Viel ge⸗ 
than: mitten im Getümmel des Kriegs im Jahr 1639 
erbaute er dem Herrn zu Ehren ein ſtattliches Gottes⸗ 
haus; ferner erbaute er das neue Gaſthaus, in dem 
die Canzlei, ſowie Widerholds Rüſtkammer ſich befand, 
auch das Zeug- und Kugelhaus, welches mit Waffen 
und Munition angefüllt war, und das ſogenannte 


| 
| 
| 
| 


69 


neue Portal wurden unter ihm aufgeführt. So 
konnte er mit Recht von ſich ſagen, als er die Veſte 
verließ, er habe feinem geliebten Herrn und Fürſten— 
haus ein wohlerbautes Haus übergeben. Das aner- 


kannte auch der Herzog voll Dankbarkeit, denn er 


belehnte den treuen Diener und heldenmüthigen Mann 
mit den Rittergütern Neidlingen, Randegg und Och— 
ſenwangen, und übertrug ihm als Ehren- und Ruhe- 
Dienſt die Stelle eines Obervogts zu Kirchheim u. T. 
und eines Inſpektors zu Neidlingen. Allda lebte er 
noch 16 Jahre mit ſeiner Gattin Anna Hermegard, 


geb. Burkhartſchin von Helgoland; letztere ſtarb im 


Jahr 1666, er folgte ihr ein Jahr darauf, den 13. 
Juni 1667, im Tode nach. Eine Stiftung von 
15000 fl. „für die ſtudierende Jugend, die Kirche und 
Schule, dero treue Diener und andere arme Leute 
zu Kirchheim, ſo wie mehrere Stiftungen zu Hohen— 
twiel verewigen ſein Andenken.“ (Ein Mehreres zum 
Ehrengedächtniß des Helden und Chriſten, enthält 
das Büchlein: „Conrad Widerhold, der treue Com— 
mandant von Hohentwiel, nach ſeinem Weſen und 
Leben“ von Ottmar Schönhuth 1844.) 

Seit dem Jahr 1650 iſt die Geſchichte von Hohen⸗ 
twiel von keiner großen Bedeutung mehr. Im Jahr 


1671 kamen bei einer Verſammlung Oeſterreichiſcher 


und Wirtembergiſcher Abgeordneter im Höhgau, in 
Streitigkeiten wegen der Grafſchaft Nellenburg, von 
Seiten Oeſterreichs wieder Anſprüche auf die Bahn. 
Es kam jedoch zu keiner Verhandlung von Folgen. 


* 


70 


Als die Herren einander Befuche machten, bewirtheten 
die Wirtembergiſchen Abgeordneten auf Hohentwiel 
ihre Gäſte bis in die Nacht mit gutem Zuſpruch, ſo 
daß ſie nebſt ihrem ganzen Gefolge nicht wenig die 
Trefflichkeit des ſo beliebten Hohentwieler Trunks bei 
ſich verſpürten. Dieſer gute Trunk ſcheint auch die 
Unterhandlung wegen Hohentwiel ſo niedergeſchlagen 
zu haben, daß man ſie auf Weiteres verſchoben. Im 
März des Jahrs 1672 hielten Herzog Eberhard, der 
Markgraf von Baden und der Erbprinz von Anſpach auf 
Hohentwiel eine Zuſammenkunft, wie überhaupt die Veſte 
von Mitgliedern des Fürſtenhauſes manchmal beſucht 
wurde. Mit dem J. 1703 ſollte Hohentwiels Ruhm noch 
einmal bewährt werden. Als im ſpaniſchen Succeſ— 
ſionskriege die franzöſiſche Armee ſich mit der chur⸗ 
bairiſchen bei Tuttlingen vereinigte, da machten letztere 
einen Verſuch auf die Veſte, die damals noch mit 
einer gehörigen Beſatzung und allem Nöthigen beſtens 
verſehen war. Die Feinde mußten unverrichteter Dinge 
wieder abziehen. Nach dieſer Zeit erhielt Hohentwiel 
noch eine Bedeutſamkeit, aber nur eine traurige, da— 
durch, daß ſie der Aufbewahrungsort für Gefangene 
geworden. Wir nennen unter dieſen den preußiſchen 
Werbeoffizier von Knobelsdorf, der in ſeinen blühen— 
den Jahren die Veſte betrat und als Mann mit 
grauen Haaren ſie verlaſſen. Ferner war einer dieſer 
Unglücklichen der würtembergiſche Obriſt Rieger, der 
vier ſchreckliche Jahre auf Hohentwiel zubringen mußte. 
Sein Kerker war ein unterirdiſches Loch, in das man 


71 


ihm die Koſt von oben hinunter haſpelte und das nie 
gereinigt wurde; da hatte er weder Stuhl noch Tiſch, 
man erlaubte ihm nicht einmal einen Nachtſtuhl, ſo 
daß er im Staub und Geſtank beinahe zu Grunde 
ging. Die Winternächte mußte er in ſchrecklicher 
Finſterniß verſeufzen; Bart und Haupthaare wurden 
ihm nicht geſchoren, ſo daß er wie ein Wilder aus— 
ſah, nur die Bibel war ihm als Troſt gelaſſen. Der 
dritte und wichtigſte Gefangene, deſſen Jammergemach 
man jetzt noch in den oberen Ruinen der fürſtlichen 
Burg zeigt, war der würtemberg'ſche Univerſalgelehrte 
und Landſchaftsconſulent Johann Jakob Moſer. Den 
12. Juli 1759 kam er als ein unſchuldig Gefange— 
ner auf Hohentwiel. Er wurde in ein Zimmer ein— 
geſperrt, daraus er in vier Jahren nicht kommen ſollte. 
Er durfte weder in die Kirche gehen, noch war es 
einem Prediger erlaubt, ihn zu beſuchen, noch ihm 
auch bei anſcheinendem Lebensende das heil. Mahl zu 
reichen. Da man ſeine gewandte Feder fürchtete, ſo 
wurde ihm weder Papier, Tinte und Feder, noch ein 
andres Buch, als die Bibel, Steinhofers Predigtbuch 
und ein Geſangbuch geſtattet. Um ſeine Gedanken 
aufzubewahren, benützte er das gefärbte Papier, das 
er während ſeiner Gliederkrankheit mit Arzneien be— 
kommen hatte. Mit einer Stecknadel ſtach er ſeine 
Liederverſe hinein; ſpäter ſchrieb er mit der Spitze 
feiner Schuhſchnallen und einem Löffelſtiel, ja ſogar 
mit der Lichtputze und Scheere auf die weißen Stellen 
in feinen Büchern, und als dieſe voll waren, auf 


72 


die weiße Wand feiner: Stube und Kammer. Auf 


ſolche Weiſe ſchrieb oder kritzelte er vielmehr über 
tauſend geiſtliche Lieder ein. Den 25. Septbr. 1764 
wurde er dieſer ſeiner Haft auf der hohen Schule 


zu Hohentwiel entlaſſen, die ihm eine Leidens- und 


Kreuzesſchule geworden war. Der merkwürdige Mann, 


ein rechter Chriſt und Patriot, 

der Wahrheit treu bis in den Tod, 
die er mit Wandel, Wort und That 
bekannt und kühn vertheidigt hat, — 


ſtarb zu Stuttgart den 30. Septbr. 1784 als Greis 
von 84 Jahren. (S. das Büchlein: „J. J. Moſer, 
der unſchuldige Gefangene auf Hohentwiel und ſeine 
geiſtlichen Lieder,“ herausgegeben von Ottmar F. H. 
Schönhuth 1854.) 
\ Obgleich die Veſte Hohentwiel um dieſe Zeit und 
nachher ſo ziemlich ihre militäriſche Bedeutung ver— 
loren hatte, ſo wurde ſie dennoch von dem Fürſten⸗ 
hauſe nie ganz vernachläſſigt. Der Herzog beſuchte 
ſie einigemale und nahm Einſicht von ihrem Zuſtande. 
Ja es verweilten einmal ſogar zwei wirtembergiſche 
Prinzen einige Zeit auf derſelben. Mit Munition 
und Proviant war Hohentwiel zu jeder Zeit ſo gut 
verſehen, daß es eine jahrelange Belagerung hätte 
aushalten können; Mehl und Fleiſch war von vielen 
Jahren her aufgehäuft; Pulver die Menge lag in 
den beiden Pulverthürmen, dem Löwen und Drachen. 
Fünfundzwanzig Kanonen nebſt andern Geſchützen 


| 


73 


— 


waren auf der Veſte aufgeſtellt. Der Erhaltung der 
Geſchütze freilich wurde während der friedlichen Zeiten 
weniger Aufmerkſamkeit geſchenkt. Am meiſten war 
die Veſte vernachläßigt mit dem Beginn des 19. 
Jahrhunderts, einer Zeit, wo ſie wohl ihren alten 
Ruf wieder hätte bewähren können. Die Kanäle der 
Ciſterne auf der obern Veſte, woher einzig das Waſſer 
zu erhalten war, waren verfallen, die Kanonen in 
ganz ſchlechtem Zuftande und größtentheils von Eiſen 
— faſt alle ohne Lafetten, der Vorrath an gutem 
Pulver war gering; überhaupt waren weder von Außen 
noch von Innen Vorkehrungen getroffen worden, um 
einer vorkommenden Belagerung begegnen zu können. 
Kommandant der Veſte war der bejahrte General 
Bilfinger. Durch einen geheimen Befehl vom Herzog 
war ihm Obriſt Wolf, ohne ſein Wiſſen, ſo an die 
Seite geſetzt, daß Bilfinger nur Schatten-Komman— 
dant, Wolf aber das Faktotum mit eigener Verant— 
wortlichkeit für das Kommando ſein, und in Kriegs— 
fällen nach Umſtänden nur für ſich zu handeln er— 
mächtigt ſein ſollte. Beide Männer waren mehr im 
Beſitz militäriſcher Kenntniſſe, als daß ſie Muth und 
Entſchloſſenheit hatten, ſie anzuwenden. Die übrigen 
Offiziere waren an Leib und Geiſt invalid. Die 
ganze Garniſon beſtand aus 108 Mann, einſchließlich 
alle Offiziere und Spielleute. Die Kanonier-Kom— 
pagnie beſtand aus dem Hauptmann von Tundersfeld, 
einem 78jährigen Korporal Namens Ade, dem Forſt— 
knecht Johann Theurer, der von dem Gewerbe und 


— 


74 


Beruf Nichts wußte, und aus noch etlichen ſolcher 
Kunſtmänner. Von dieſer Garniſon waren über die 
Hälfte Sechsziger und Siebenziger, über zwei Dritt— 
theile verheirathet, ohne alle Disciplin — ohne 
Kenntniß im Dienſt, und ein großer Theil hatte 
wegen ſchlechter Aufführung in der Gegend alle Ach— 
tung verloren. So ſtand es auf Hohentwiel am 
1. Mai 1800, als die Franzoſen vor der Veſte er⸗ 
ſchienen. 

Schon am frühen Morgen — ſo lautet der von einem 
Augen- und Ohrenzeugen aus der Gegend verfaßte, 
von mehreren Anderen aber unterſchriebene und be— 
ſiegelte Bericht — vernahm man in der ganzen Ge— 
gend von Hohentwiel, daß die Franzoſen über den 
Rhein gegangen wären. Noch früher hörten zwar 
die Hohentwieler die Kanonade von der Gegend des 
Uebergangs her. Aber erſt zu der Zeit, da die unter 
dem Berg liegenden Gemeinden aufgeſchreckt wurden, 
witterten ſie Gefahr, und der Kommandant ſchickte 
einen Offizier zu dem im Dorfe Singen komman⸗ 
direnden General, Fürſt Joſeph von Lothringen, herab, 
und ließ anfragen, wie die Sachen ſtänden, und ins— 
beſondere, wie ſich Hohentwiel zu benehmen habe. 
Der Fürſt verhehlte den Uebergang nicht; auf die 
weitere Frage gab er zur Antwort, daß er wegen der 
Veſtung keine Befehle habe, und ſohin Nichts an— 
zuordnen finde. Dieſe Antwort ſetzte in Hohentwiel 
alles in Bewegung. Man ordnete in Eile an, was 
man konnte; flüchtete auf die obere Veſtung und 


75 


gab ſich alles Anſehen, als wollte man fich zur 
Wehr ſetzen und ſich halten. Allein blitzſchnell rückten 
die Franzoſen von Stein und Schaffhauſen vor, und 
ehe es in Hohentwiel bemerkbar war, umkletterten ſie 
ſchon, den Ziegen gleich, den Berg, beſetzten den 
Maierhof und kamen ungehindert bis an das Thor 
der unteren Veſtung. Dieß geſchah gegen 11 Uhr, 
und eine Stunde ſpäter ließ der franzöſiſche General 
Vandamme, der den Vortrab des rechten Flügels 
führte, die Veſtung durch ſeinen Adjutanten zur 
Uebergabe auffordern. Jetzt wurde in der größten 
Beſtürzung Kriegsrath gehalten. Man konnte zu kei— 
nem Beſchluſſe kommen, und äußerte gegen den Ad— 
jutanten nur ſo viel, daß die Antwort ſchriftlich er— 
folgen werde. Dieſe wurde offen durch den Haupt— 
mann von Rieger nach Singen gebracht, und dem 
Adjutanten über die Mittagstafel übergeben. Er las 
ſie flüchtig durch, und am Ende fragte er, wie weit 
Stuttgart von hier entfernt ſei? Man ſagte es ihm, 
und man konnte aus dieſer Frage ſchließen, daß der 
Veſtungs-Kommandant darauf antrage, eine Anfrage 
in Stuttgart beim Herzog zu machen. Was der 
Adjutant erwiederte, beſtärkte dieſe Vermuthung; denn 
er ſagte hierauf: dieſer Antrag würde zu lange auf— 
halten. Daher nahm er den Hauptmann v. Rieger 
zum General Lecourbe ins Lager, welches ein Büchſen— 
ſchuß vom Orte entfernt war. General Leeourbe 
wies die Sache ganz von ſich und an den General 
Vandamme. Dieſer erklärte ſodann, daß er dem 


* 


76 


Kommandanten zwei Stunden Bedenkzeit geſtatte, ob 
er gegen billige Kapitulation die Veſtung übergeben 
oͤder Gewalt abwarten wolle. Sobald Rieger dieſe 
Aeußerung auf die Veſtung überbracht hatte, wurde 
berathen, was nunmehr zu thun ſei. Das Reſultat 
fiel dahinaus: daß man unterhandeln, aber vorzüg— 
lich darauf beſtehen müſſe, daß die Veſtung nicht 
geſchleift würde. Bilfinger ſträubte ſich gegen dieſen 
Entſchluß, unterſchrieb aber doch in der Folge die 
Uebereinkunft. Der einzige Titular-Hauptmann von 
Reizenſtein blieb ſtandhaft dabei, man ſolle an keine 
Uebergabe denken, ſondern den Platz bis auf den 
letzten Mann vertheidigen; er unterſchrieb auch nie, 
weßhalb er bald durch den Herzog zum wirklichen 
Hauptmann befördert wurde, da hingegen die übrigen 
Offiziere alle kaſſirt, und wie bekannt, zum Theil 
ſehr hart beſtraft wurden. In Folge dieſer Ueberein— 
kunft kamen Obriſt Wolf und Hauptmann Graf 
Zuggato in das franzöſiſche Lager. Hier wurden die 
weiteren Punkte der Kapitulation verabredet, und 
General Vandamme gab alle Hoffnung, daß die 
Veſtung nicht geſchleift werden ſolle. Uebrigens kam 
man darin überein, daß die untere Veſtung den 
Franzoſen eingeräumt, ſpäter die Kapitulation näher 
beſtimmt und gegen einander ausgewechſelt werden 
ſollte. Um 5 Uhr Abends zogen alſo die Franzoſen 
in die untere Veſtung — und nach 7 Uhr meldeten 
ſich die zwei obengenannten Offiziere, in Begleitung 
des Auditors Märklin, bei dem General Vandamme, 


Er 


um die Kapitulation ins Reine zu bringen. Sie 
wurde Nachts 11 Uhr im Pfarrhof, weil in der 
Obervogtei, wo Vandamme ſich einquartiert hatte, 
kein Platz war, zu Stande gebracht und unterſchrie⸗ 
ben. Die Punkte derſelben ſind bekannt, aber ſchreck— 
lich war für Wolf der Beiſatz, daß General Van— 
damme ſich blos bei dem franzöſiſchen Gouvernement 
verwenden wolle, um die Veſtung unzerſtört zu erhalten. 
Wolf konnte bald einſehen, wie er getäuſcht worden 
ſei, und deßhalb ſein Schickſal ahnen. Er äußerte 
des andern Tages: er ſehe voraus, daß er verloren 
ſei. In der gewiſſen Vorausſetzung, der Veſtung 
ſowohl an ſich, als auch der Garniſon, durch freien 
Abzug mit ihrem Bischen Eigenthum, und der Ge— 
gend durch Abwendung der Verheerung, in welche ſie 
durch eine längere Blockade verſetzt worden wäre, eine 
Wohlthat zu erweiſen, habe er in die Kapitulation 
eingewilligt, bei dem Herzog aber Gnade und Zu— 
friedenheit gehofft, daß er unter den obwaltenden 
Umſtänden wenig Bedacht genommen habe, die Veſtung 
in ihrem Weſen zu erhalten, allein der unbeſtimmte 
Zuſatz in der Kapitulation, wegen Schleifung der— 
ſelben, werde ſein Verderben vollenden. Er ſah 
richtig der unglückliche Mann, aber zu ſpät. Er 
war Vater ſeiner Garniſon, ein Menſchenfreund und 
in der ganzen Gegend beliebt. Wie hart mußte er 
büßen, daß er zu wenig Soldat und nicht an feinem: 
Platz geweſen; aber ſeinem Fürſten war er treu und 
ergeben. In Folge der Kapitulation wurden die 


— 


78 


Franzoſen Meiſter der ganzen Veſtung, und fie zogen 
den 2. Mai, früh gegen 11 Uhr, ein, nachdem die 
Garniſon mit Wehr und Waffen, die ſie aber außer 
dem Thore ablegen mußten, ausgezogen war. Traurig 
war der Anblick dieſer unter freiem Himmel wohnen: 
den Menſchen, bemitleidenswerth ihr Loos, indem ſie 
jetzt von den Franzoſen das Brod betteln mußten, 
und zur Fortbringung ihrer Effeeten und Kinder 
ihnen von Seite des Herzogs alle Hülfe und Unter— 
ſtützung abgeſchlagen worden war. Die unter dem 
Berg liegende Ortſchaft Singen nahm ſich der Un— 
glücklichen thätig an, und wendete an 1000 Thaler 
daran, ohne je dafür Erſatz zu erhalten. — Wie die 
Franzoſen in der ſo leicht gewonnenen Veſtung mit 
dem, was ſie darin fanden, ſchalteten, läßt ſich wohl 
denken. Bis der Befehl zur Zerſtörung der Veſtung 
ankam, beſetzten ſie dieſelbe mit einer Kompagnie 
Infanterie, unter dem Kommando des Bataillon-Chefs 
Laurent. Die Zerſtörung begann den 17. Oktober 
1800 und endete am 31. März 1801. Im Anfang 
mußten die umliegenden Dörfer 300 Mann zu dieſem 
Geſchäft ſtellen und ſpäter 500. Die Franzoſen 
ſtellten eine Kompagnie Mineurs, die nicht nur die 
Veſtungswerke, ſondern ſogar einige der Felſen mit 
Pulver ſprengten, um überall traurige Zeichen zu 
hinterlaſſen, daß Franzoſen da geweſen. Zum Mit⸗ 
wirken wurden gezogen: Ueberlingen, Blomberg, Hü— 
fingen, Radolphzell, Landſchaft Nellenburg, Amt 
Reichenau und Oeningen, Tuttlingen, Möringen, die 


79 


Reichs⸗Ritterſchaft Engen mit Bezirk, Mainau, Blu: 
menfeld, Thengen, Hilzingen und Singen. Sogar 
and dem fernen Amt Balingen ſollen zu dieſem 
Zweck Leute requirirt worden ſeyn. Koſtſpielig waren 
die gezwungenen Arbeiten, weil ſie ſich ſehr in die 
Länge zogen. Man würde zwar in zwei Monaten 
dem Geſchäft ein Ende gemacht haben, wenn es nicht 
mehr darum zu thun geweſen wäre, Eiſen, Kupfer 
und Holz zu gewinnen, welche ſämmtlich verkauft 
wurden, und wovon der Gewinn den franzöſiſchen 
Aufſehern der Zerſtörung in den Sack ſchlüpfte, 
welche auch abſichtlich die Arbeit nicht ſehr beſchleu— 
nigten, um deſto länger im Sold zu ſtehen. 

So fiel Hohentwiel, die weitgeprieſene Veſte, 262 
Jahre, nachdem ſie an Württemberg gekommen war, 
166 Jahre, nachdem der treue Widerhold die Ver— 
theidigung übernommen hatte. — Seit der ſchmach— 
vollen Uebergabe der Veſte iſt Hohentwiels Name 
aus der Geſchichte verſchwunden, jedoch iſt ſie noch 
immer ein Gegenſtand der Aufmerkſamkeit unſeres 
erlauchten Fürſtenhauſes. Seitdem hat ein Aufſeher 
die Sorge darüber, um die Trümmer vor vandali— 
ſchen Händen neuerer Zeit zu bewahren. Von Zeit 
zu Zeit wird zur Erhaltung des Einzelnen noch 
manche ſchöne Summe ausgegeben. 

Der unter der Veſte liegende Hof iſt in die Hand 
dreier Pächter gegeben; für dieſe und für eine ganze 
Gemeinde von 40 Seelen (den dazu gehörenden 
Bruderhof mitgerechnet) iſt ein Geiſtlicher angeſtellt, 


— 


\ 


80 


welcher zugleich die Schule beſorgt. So lebt Wider: 
holds Andenken noch im Segen ſort; die Kirche, die 
er ſtiftete, iſt an den Fuß des Berges verpflanzt — 
auf der Burg ſelbſt aber iſt ſeit dem Jahre 1838 
ſein in Metall gegoſſenes Bild aufgeſtellt, welches 
uns an den theuren Mann erinnert, der nicht nur 
als Held auf dieſem Berge ſich unſterblichen Ruhm 
erwarb, ſondern auch den Grundſtein dazu legte, daß 
jetzt noch das Wort der evangeliſchen Wahrheit da— 
ſelbſt verkündigt wird. 

Der ſo ſagenreichen Geſchichte Hohentwiels fügen 
wir noch eine Geſchichte bei, die ein fleißiger Sammler 
ſchwäbiſcher Sagen, der edle 3 3 Ma⸗ 
genau, uns Wehen hat. 


Herr Reinhold von Hohentwiel. 


Die Edelfrau von Hohentwiel hatte ſeit fünf Jahren 
ihren Gatten, der zwei Jahre nach ihrer Vermählung 
in's gelobte Land gezogen, und nicht mehr zurückge— 
kehrt war, mit zahlloſen heißgeweinten Thränen be⸗ 
trauert. Doch der tiefſte Schmerz verliert ſeinen 
Stachel, der reichſte Thränenquell verſiegt, wenn die 
Zeit ihre lindernde Hand auf das Herz des Menſchen 
legt und ſeine heißen Schläge beſänftiget. So auch 
hier. Die ſchöne Edelfrau lebte einſam auf ihrem 
Schloſſe, mit weiblicher Arbeit beſchäftiget, und ver⸗ 
ließ daſſelbe nur, um in den Hütten der Armuth als 
Tröſtungsengel zu erſcheinen. Von Zeit zu Zeit 


81 


beſuchte ſie ein Freund ihres Mannes, ein junger 
und ſchöner Ritter, für den manches Frauenherz in 
verborgener Liebe ſchlug, und deſſen Namen jede Lippe 
pries. Seine Beſuche auf Hohentwiel wurden häufiger, 
die freundſchaftliche Theilnahme löste ſich auf in 
feurige Liebe von ſeiner Seite, in ſtille Ergebenheit 
von Seite der Burgfrau. Was tief im Herzen lebt 
und athmet, das kann nicht lange hinter dem Schloſſe 
der Lippen verborgen bleiben, es bricht ſich Bahn und 
tritt hinaus in das geſchäftige Leben, wo es Wurzeln 
ſchlägt, zum reichen Blüthenbaume wird, und oft die 
ſchönſten Früchte trägt. Gedachte auch die junge 
Wittwe noch ſehr oft ihres Gatten in inniger Liebe, 
ſehnte fie ſich auch zurück in die früheren ſchönen 
Stunden ihrer kurzen Ehe, jo konnte ſie doch hoffen, 
mit dem Jugendfreunde deſſelben ein nicht minder 
glückliches Leben zu führen, dem zwar die Blüthen- 
friſche der erſten Liebe abgeſtreift war, das aber an 
Erfahrung reicher, an ſtillem, ruhigem Glück nicht 
ärmer ſein würde. 

Das ſchöne Paar ſaß auf der Zinne von Hohen— 
twiel und blickte hinaus in die reiche blühende Ebene, 
auf die waldbedeckten Hügel, die von der ſcheidenden 
Sonne mit dunkelm Roth beleuchtet waren. Nach— 
läßig ruhte die Laute in der Hand der Edelfrau, die 
vor einigen Minuten ein Minnelied mit ihrer glocken— 
hellen Stimme geſungen hatte und mit dem Geiſte 
des Liedes Zwieſprache zu halten ſchien. Ein leichter 
Schleier ſchwärmeriſcher Sehnſucht hatte ſich über ihre 

II. 6 


® 


82 


holden Züge verbreitet, und ſinnend haftete ihr Auge 
auf den Zügen ihres künftigen Gatten, als wollte 
ſie ihre Zukunft in den Blicken deſſelben leſen. 

Da erſchien ein Pilger an der Zugbrücke des 
Schloſſes und begehrte Einlaß, der ihm auch ſogleich 
gewährt wurde, denn noch niemals ging ein Wanderer 
unerquickt, ein Armer unbeſchenkt oder ungetröſtet den 
Berg wieder herab. Der Pilger aber ſchien tief be— 
wegt, er verſchmähte Speiſe und Trank und verlangte 
nur, die Herrin zu ſprechen. Auf der Zinne ange— 
langt, konnte er kaum die Thränen zurückhalten, 
und ſeine Rede, Anfangs unſicher und ſchwankend, 
fand erſt ſpäter einen ruhigen Gang. Er gab vor, 
den Burgherrn gekannt zu haben, ſchilderte mit Feuer 
und Beredtſamkeit die harten Kämpfe, welche dieſer 
gegen die Sarazenen gekämpft, wie er umringt, ver— 
wundet und nach langer verzweifelter Gegenwehr end— 
lich gefangen wurde. Ein hartes trauriges Loos 
traf nun den Armen, der in finſterer Kerkernacht langſam 
genas, und kaum geneſen, ſchwere Arbeiten verrichten 
mußte. Dem ſchönen Auge der Edelfrau entſanken 
Thränen des aufrichtigſten Schmerzes bei der Kunde 
von dem Leiden ihres Gemahles. Der Pilger aber“ 
fuhr in ſeiner Erzählung fort, wie die Qualen des 
Geiſtes und Körpers ſich vereinigten, den Leidenden 
immer näher an den offenen Rand des Grabes zu 
führen, wie der Erliegende ſeinem Unglücksgefährten 
den Trauring gab, denſelben als letztes Pfand ehe— 
licher Liebe und Zärtlichkeit zu überreichen. 


83 


Nachdem dieſe den einfachen Goldreifen geküßt und 
lange betrachtet hatte, ſteckte ſie ihn an den Finger 
und ſagte, ſie wolle ſich neuerdings als Frau be— 
trachten, ihrem Mann auch im Tode noch die Treue 
bewahren, und die neue bevorſtehende Verbindung 
nicht eingehen. — Umſonſt waren die Bitten des 
Ritters, umſonſt die Betheurungen ſeiner Liebe; das 
edle Weib blieb ſtandhaft bei dem an 
Vorſautze. 

Da warf der Pilger das entſtellende graue Haar 
und den grauen Bart weg, und Herr Reinhold ſtand 
in vollendeter Mannesſchönheit vor der geliebten 
Gattin, die mit einem lauten Schrei halb ohnmächtig 
an ſeine Bruſt ſtürzte. Herr Reinhold von Hohen— 
twiel hatte, nachdem ihn ſeine zweite Krankheit bei— 
nahe getödtet, endlich Gelegenheit zur Flucht gefunden, 
und war nun in Liebe und Hoffnung zu ſeiner theuren 
Frau heimgekehrt. Das ſelige Paar ſtand umſchlungen 
in heißer Liebe, und Minuten vergingen, ehe ſich die 
zwei des anweſenden Freundes erinnerten. Der ſtand 
da mit Thränen in den Augen, Freude in den Zü— 
gen; er umarmte ſeinen Freund, reichte deſſen Haus— 
frau mit einem innigen, wehmüthigen Blicke [die 
Hand, und verließ ſchweigend das Schloß. 

Nach einem Jahre kehrte er wieder zurück, nachdem 
ſeine Leidenſchaft ſich gekühlt, ſeine Liebe ſich in 
innige Freundſchaft aufgelöst hatte. 

Nun erſt war das Glück der Eheleute vollkommen, 
da ſie auch den Freund wieder in ihrer Mitte hatten. 


4 
ir 


7 


84 


Die Heldenjungfrau von Hohentwiel. 


Es war ein lieblicher Abend am Ende des Julius— 
Monats des Jahres 1639, da ſaß unter der Linde 
im Hof der Veſte Hohentwiel eine Heldengeſtalt in 
den beſten Mannesjahren. Seine hohe Stirne mit 
Furchen durchzogen zeigte, daß er zu den Männern 
gehörte, welche in der Welt ſchon manches erfahren; 
das dunkle feurige Augenpaar harmonirte gar wohl 
mit dem pechſchwarzen Haare, das oben geſcheitelt 
in langen Locken ihm bis auf die Schultern wallte. 
Es war der Oberſt Konrad Widerhold, ſeit ſechs 
Jahren wohlbeſtallter Kommandant der Veſte Hohen: 
twiel. Gerade pflegte er einiger Raſt unter der Linde, 
denn ſoeben hatte er Kriegsübungen mit feiner Mann- 
ſchaft geendigt. Schon ſeit zwei Jahren hatte ſich die Veſte 
noch der Ruhe eines Waffenſtillſtandes zu erfreuen, den 
der kaiſerliche Oberſt Vizthumb nothgedrungen mit 
Widerhold geſchloſſen hatte. Während dieſer Zeit 
übte Widerhold jeden Nachmittag in eigener Perſon 
ſeine Soldaten. Kein Kriegsheld ſeiner Zeit that es 
ihm zuvor in der Kunſt, Soldaten-Gewehre recht 
und zierlich zu gebrauchen, die Piquen zu fällen, 
Fahnen zu ſchwingen, Compagnien und Regimenter 
in ſchöne Ordnung zu ſtellen, und in der Fecht- und 
Bau⸗Kunſt. Dieß alles waren Gegenſtände, die 
Widerhold ſeinen Untergebenen beizubringen ſuchte. 
Darum war ihm aber auch die Ruhe unter der Linde 


85 


fo willkommen; wenn die Uebungen vorüber waren, 
da überließ er ſich dann ganz ungeſtört dem Nach— 
denken über die wichtigen Ereigniſſe, die ſeit 20 Jahren 
über Deutſchland hingegangen, die an ſeiner Veſte 
geſtreift, und ſie zum Theil ſelbſt betroffen hatten. 
Solchen Gedanken hatte Widerhold auch dießmal ſich 
überlaſſen; man konnte es leicht ſchließen aus ſeiner 
nachdenklichen Stellung, denn er hatte ſein Haupt 
auf den Arm geſtützt, und ernſt und nachdenklich 
war ſeine Miene. Auf einmal ward er geſtört in 
ſeiner Ruhe, mit haſtigen Schritten nahte ihm ein 
junger Offizier, verbeugte ſich tief und überreichte 
ihm ein Schreiben. Haſtig erbrach es Widerhold, er 
hatte kaum einige Zeilen geleſen, ſo wurde ſein Ge— 
ſicht mit Bläſſe überzogen und das Papier zitterte 
unter ſeinen Händen; er ſank zurück an den Stamm 
der Linde und verhüllte ſchmerzvoll ſein Geſicht. So 
biſt du denn auch dahin, du edler Bernhard, ſeufzte 
Widerhold, und Thränen rollten über feine Wangen; 
jo biſt du denn auch dahin, du letzter Kämpfer für 
unſern theuren Glauben, im Laufe deiner Siege, in 
deinen blühendſten Jahren. Aber nicht biſt du ge— 
fallen auf dem Feld der Ehre, wie dein edler Waffen— 
freund, der theure Glaubensheld Guſtav Adolph, du 
biſt ein Opfer deiner heuchleriſchen Freunde geworden. 
Wer hätte das geglaubt, als du, wackerſter der 
deutſchen Männer, noch vor kurzer Zeit in dieſen 
Mauern wandelteſt, Jedem, der dich erblickte, zur 
Freude und zur Bewunderung. — Es war die Nach— 


— 


— 


86 


richt vom Tode des großen Herzogs Bernhard von 
Weimar, die Widerhold ſoeben mit Schmerzen ver⸗ 
nahm. Herzog Bernhard ſturb zu Neuburg den 18. 
Juli mitten in ſeiner Heldenthätigkeit, und nicht ohne 
Grund war in dem Schreiben die Vermuthung aus— 
geſprochen, daß er Gift bekommen, wahrſcheinlich 
durch des franzöſiſchen Cardinals von Richelieu Hand. 
Am Arm des gleichfalls betrübten jungen Ofſtziers, 
der ihm das Schreiben überbracht hatte, kehrte Wi— 
derhold in ſeine Wohnung zurück und ließ ſeinem 
Schmerze freien Lauf. Der junge Offizier hatte 
kaum das Gemach, auf das er den Kommandanten 
begleitete, betreten, da hörte er ſeinen Namen rufen; 
eine liebliche Mädchenſtimme ſprach hinter ihm: Herr 
Kapitän, nur ein Wort! was iſt denn dem Herrn 
Kommandanten begegnet, daß er ſo bleich und traurig 
blickt? Ach! erwiederte der Offizier, er hat eine für 
uns alle böſe Zeitung bekommen, ein wackerer Ber: 
fechter unſeres Glaubens, der Herzog Bernhard von 
Weimar, iſt Todes verſchieden. Gott ſeye ſeiner 
armen Seele gnädig! ſprach das Mädchen mit ernſter 
Miene. Nicht wahr, weil er ein Kezer war, fügte 
der junge Offizier bei, aber jetzt ſtehet es übel mit 
uns, der wackeren Helden ſind wenige mehr. Ach! 
was möget Ihr fo ſprechen, entgegnete das Mädchen, 
lebt nicht noch unſer Herr Kommandant? und Ihr — 
Ihr ſeid doch auch etwas Rechtes. Das Mädchen 
hatte kaum ausgeſprochen, da erſchallte die zürnende 
Stimme einer Dame aus dem Nebengemach, es war 


87 


Frau Hermegard, die Ehegattin Widerholds. Böſe 
Schwätzerin, ſprach ſie, geh in die Stube, was brauchſt 
du dich mit Männern zu unterhalten, um deine 
Neugier zu befriedigen, bleib ſitzen an deinem Ge— 
ſchäft, daß nicht der Tag wieder unnütz vorüber geht, 
biſt ohnedieß heute ſo ſpät aufgeſtanden. Hermegard 
ging nach dieſer kurzen Predigt wieder in ihr Gemach 
zurück, Margarethe verabſchiedete ſich ein wenig ver— 
legen und trippelte in die Stube, aus der ſte ge— 
kommen war. Heute nach dem Eſſen an der Linde 
Mehreres! rief ſie halblaut im Gehen noch dem jungen 
Manne zu, und verſchwand. Der Offizier, den wir 
eben anführten, war der Schwede Guſtav Schönhelm, 
Kapitän der Reiterſchwadron, welche Herzog Bern— 
hard nach ſeinem Vertrage, den er mit Widerhold 
wegen Hohentwiel geſchloſſen hatte, auf die Veſte 
legte. Er war einer von jenen Reitern geweſen, 
welche ſich in der Schlacht bei Lügen über des großen 
Königs Leiche warfen, als ſich der Kaiſerliche Oberſt 
Max Pikkolomini derſelben bemächtigen wollte. Seit— 
dem war er Zeuge aller Kriegsthaten des großen 
Bernhards, und ſchwang ſich durch Manneskraft bis 
zu dieſer Stelle. Bei all' dem war er kaum noch 
aus den Jahren des Jünglings getreten. Wie ſein 
inneres Weſen dem eines werdenden Königshelden 
glich, ſo war auch ſein Aeußeres einem Helden gleich. 
Schlank und kräftig war ſein Körperbau, lange blonde 
Locken, die in Ringeln bis auf ſeine Schultern 
wallten, ſowie das blaue hellglänzende Augenpaar, 


* 


88 


zeigten den Jüngling von ächt germaniſchem Stamme, 
ein Stutzbärtchen über dem lieblichen Munde und ein 
Knebelbärtchen am ſchön geformten Kinn, den Kriegs— 
mann aus dem 30jährigen Kriege. War es dem— 
nach ein Wunder, daß Margarethchen, mit blonden 
Locken und blauen Augen, das Pflegtöchterlein des 
Herrn Kommandanten, ſich zu dem jungen Manne 
ſo innig hingezogen fühlte, daß ſie ſo gern ans 
Fenſter trat, wenn der blonde Schweden - Offizier, 
angethan mit dem enganliegenden Goller, über dem 
ein breiter Kragen mit Brüßlerſpitzen lag, umſchlun— 
gen von einer koſtbaren Schärpe, und auf dem Haupt 
einen Hut mit ſchwankenden Federn auf ſeinem ſchäu— 
menden Schimmel, an der Spitze ſeiner Reiterſchwadron 
auf der Parade erſchien. 

Wie konnte man es aber dem lieben Mädchen 
verargen, wenn ſie ſo gerne jede Gelegenheit erhaſchte, 
wo ſie ein Wörtlein mit ihm ſprechen konnte. Auch 
er war ihr nicht abhold, nur Schade, daß verſchiedener 
Glaube fie äußerlich trennte, da doch ihre Herzen 
einander ſo nahe waren. Margaretha war Katholikin. 
Ein wunderbares Schickſal hatte ſie auf Hohentwiel 
unter Proteſtanten geführt. Bis in ihr 12. Jahr 
war ſie in dem unter der Veſte gelegenen Dorfe 
Singen von ſchlichten Bauersleuten erzogen. Da ge— 
ſchah es einmal, daß Widerhold in einer Zeit, als 
die Veſte noch nicht von Feinden gefährdet war, einen 
Beſuch im Dorfe machte. Zufällig begegnete ihm 
das Mädchen auf der Straße. Beim erſten Anblick 


89 


überrafchte ihn die edle Geſichtsbildung des Kindes, 
er fragte nach ſeiner Wohnung, und erfuhr von denen, 
die ihm das Mägdlein als ſeine Eltern vorzeigte, 
daß es nicht ihr eigenes Kind wäre, ſondern, daß 
fie es noch als Kind in den Windeln vor ihrem 
Hauſe gefunden. Aus Menſchenpflicht hätten ſie ſich 
ſeiner angenommen, und bei ihrer Armuth und der 
nicht unbedeutenden Anzahl ihrer eigenen Kinder, 
hätten ſte es redlich und ehrlich aufgezogen. Der 
menſchenfreundliche Widerhold machte ſogleich den 
Pflegeltern den Vorſchlag: ob ſie ihm das Kind zur 
weiteren Erziehung anvertrauen möchten? Man gab 
es ihm nach langem Bitten, denn man kannte den 
edlen Sinn des Mannes in der ganzen Gegend; nur 
der Pfarrer des Dorfes widerſtrebte, daß dieſes Kind 
unter Leute anderer Confeſſion kommen ſollte. Doch 
ließ er es zuletzt geſchehen, als ihm das Mägdlein 
hoch und theuer verſprach, feinem Glauben treu zu 
bleiben und jeden Sonntag getreu die Kirche zu 
Singen zu beſuchen. So kam Margaretha auf 
Hohentwiel und wuchs heran zur blühenden Jungfrau 
von 18 Jahren, unter der Aufſicht eines liebenden 
Pflegvaters, des Kommandanten Widerhold und ſeiner 
Gattin Hermegard, die wohl minder freundlichen Ge— 
müthes war, denn ihr Eheherr, aber doch eine Frau 
von anerkannt rechtſchaffenem Sinn. Das mußte 
freilich Margaretha oft erfahren, wie fo ſtrenge und 
oft gar wunderlich Frau Hermegard war, aber darum 
war ſie doch ihrer Pflegmutter von ganzem Herzen 


— 


90 


zugethan. Erſt heute hörte fie es, als ſie mit dem 
jungen Kapitän ſprach; obwohl ſie ſich heute eine 
Rüge von ihrer Pflegmutter zugezogen hatte, war ihr 
doch die Erlaubniß geworden, den Abend unter der 
Linde zuzubringen. Ungewöhnlich hatte ſich dießmal 
eine kleine Geſellſchaft unter der Linde verſammelt, 
doch ſie fand ja den, der ihr der wertheſte war. 
Kapitän Schönhelm hatte ſich ſchon vor einer Stunde 
hieher begeben. Ihr habt heute lang auf Euch warten 
laſſen, begann er zu Margarethen, die ſich bald in 
ſeine Nähe geſetzt hatte — vielleicht hat Frau Herme- 
gard den zweiten Theil ihrer Predigt abgehandelt? 
Er ſprach dieß etwas ſchelmiſch lächelnd. O nein, 
entgegnete Margaretha, meine liebe Pflegmutter weiß, 
daß kein zweiter Theil nöthig iſt. Weil, fiel Schönhelm 
ihr ins Wort, bei Euch der erſte Theil ſchon fruchtet. 
Aber es iſt auch kein Wunder, daß ſie ſchmähte, hat ja 
die ſtrenge Katholikin mit einem Kezer geſprochen, ſprach 
Margaretha. Gegen den Ihr aber hoffentlich nicht ſo 
feindſelig geſinnt fein werdet, wie es leider in dieſen be⸗ 
trübten Zeiten iſt, ſetzte halb fragend Schönhelm hinzu. 
Das iſt eine Frage, die ihr euch ſelbſt beantworten könnet. 
Aber erzählet mir doch etwas Näheres über die Trauer 
botſchaft, die mein Herr Pflegvater erhielt, bat Mar⸗ 
garetha mit freundlicher Stimme den Kapitän. Er⸗ 
laßt mir die Erzählung von dem Tode des großen 
Bernhards, ſeufzte Schönhelm, ſie würde mir nur 
den Abend verbittern. Gewiß, forſchte Margaretha, 


91 


hat ſein Tod Vermuthungen nach ſich gezogen, die 
den Proteſtanten eben ſo wenig Ehre bringen, wie 
eures großen Helden Guſtav Adolf's Tod. Auch über 
deſſen Tod könnet ihr mir gewiß das Beſte berichten, 
man ſagt ſo Mancherlei. Ihr waret ja, ſo viel 
ich höre, um ihn, als er um ſeinen Glauben das 
letztemal focht. Ja wohl, ſagte Schönhelm, als er 
für ſeinen Glauben focht, wie noch Keiner. 

Ich will Euch erzählen, werthe Jungfrau, auf daß 
Ihr erkennen möget, wie der Glaube dem Menſchen 
Kraft verleihet, auch ſein Theuerſtes, das Leben hin— 
zuopfern. Ich will erzählen von dem theuren Helden, 
ob auch die Erinnerung mir noch ſo ſchmerzlich iſt, 
von der Schlacht bei Lützen, wo er ſo ruhmvollen 
Tod fand. Es ſind jetzt neun Jahre verfloſſen ſeit 
jenem denkwürdigen Tage, als der Held auf deutſchem 
Boden landete. Ich begleitete ihn als gemeiner Reiter 
zu dem heiligen Werke, mit voller Luſt des Herzens. 
Nie werd' ich vergeſſen den Augenblick, als wir 
landeten auf der Inſel Rügen. Es war gerade in 
dieſem Monat, da kniete der große König nieder und 
betete, und das ganze Heer mit ihm; ſo kräftig hatte 
ich noch nie gebetet. Wie aber das Beginnen des 
frommen Königs war, ſo war auch ſein Enden. 
Von Sieg zu Sieg ward mir das Gluck, den Helden 
zu begleiten, aber auch zu ſeinem Tode in der Ent— 
ſcheidungsſchlacht bei Lützen. Es war zwei Jahre 
nach unſerer Landung, am 16. November des Jahres 
1632, als wir bei Lützen zur Schlacht gegen Wallen— 


— 


92 


ſtein auszogen. Ein dicker Nebel bedeckte noch das 
Gefilde, hell und feierlich erklang auf unſerer Seite 
des theuren Mannes Lutheri Lied: „Eine feſte 
Burg iſt unſer Gott“, dazwiſchen Trompeten⸗ 
und Paukenſchall, und nach dieſem das Lied: „Es 
woll' uns Gott genädig fein“. 

Unſer König warf ſich nieder auf ſeine Kniee 
und betete mit ganzer Seele um Sieg für die gerechte 
Sache, und Jeder von dem Heere ſtimmte mit ein. 
Der Nebel fing l an, ſich zu zerſtreuen; da ſchwang 
ſich Guſtav Adolf auf ſein Pferd; freudig wie die 
Sonne, die jetzt herniederblickte, ſaß er auf dem Roſſe. 
Er ſtellte ſich an den rechten Flügel, den linken führte 
ſein Genoſſe Herzog Bernhard von Weimar, der ihm 
jetzt auch gefolget im Tode, und nun rief er, das 
Heer durchreitend: Nun wollen wir dran! Das 
walt der liebe Gott — Jeſu! Jeſu! hilf 
mir ſtreiten zu deines Namens Ehr! Als man 
ihm einen Harniſch bot, ſprach er: „Gott ift mein 
Harniſch!“ Mit dem Rufe: Gott mit uns! 
ſtürzten wir in's Treffen. Ein mörderiſches Gefecht 
begann. Der Vortheil war zuerſt auf unſerer Seite, 
aber Pappenheim kam mit ſeinen Reitern, und der 
rechte Flügel wankte, der König eilte dem Bedrängten 
zu Hülfe, aber er ſprengte zu weit voran. Ich mit 
wenigen andern folgte ihm, denn ich hatte ihn bis— 
her nicht verlaſſen. Da traf den Wackeren ein Schuß 
in den Arm, daß er beinahe vom Pferde ſank. Der 
König iſt erſchoſſen! riefen die Unſern. Guſtav Adolf 


93 


wandte ſich und rief laut: es iſt nichts, folget mir! 
da bekam er einen zweiten Schuß in den Rücken. 
Mit dem Seufzer: „Mein Gott, mein Gott!“ ſank 
er vom Pferde. Er fiel in meine Arme. So ſtarb 
der edle König den Märtyrertod für den Glauben. 
Schönhelm endete. Thränen, die reichlich über ſeine 
Wangen rollten, unterbrachen ſeine Worte. Auch 
Margarethens blaue Augen ſtanden voll ee 
ſie konnte ſie nicht mehr zurückhalten. 

Das iſt die Wahrheit, fügte Schönhelm * einer 
Pauſe ſeiner Erzählung bei, und nicht, wie unſere 
Feinde lügen, daß ihn eines Verräthers Kugel von 
unſerer Seite getroffen. Was ich mit den Augen 
geſehen, das bezeuge ich auch, ſo wahr mir Gott 
helfe. Glücklicher Mann, ſprach Margaretha, daß 
ihr einem ſolchen Helden zur Seite ſtehen durftet, 
im Kampf und im Sterben, es muß ein ſeliges Ge— 
fühl ſein. Aber, Herr Kapitän, ſo gerne ich länger 
zuhören möchte, ich muß nach Hauſe, ſehet! wir ſind 
die letzten unter der Linde. Zudem muß ich heute 
noch Manches ordnen, weil morgen Sonntag iſt und 
ich gerne in die Kirche gen Singen gehen möchte. 
Margaretha, ſprach der Kapitän, iſt Euch nicht unſere 
Kirche näher? Glauben wir nicht Alle an Einen 
Gott? Iſt nicht Ein Gott und Eine Liebe? — 
Er ergriff Margarethens Hand, hielt ſie lange in der 
ſeinigen, während ſie gar nicht widerſtrebte, und 
wandte ſich aber, um ihre Thränen zu verbergen, die 
von Neuem hervorbrachen. Ich kann nicht anders, 


94 


ich darf nicht anders, antwortete die Jungfrau be⸗ 
deutungsvoll; ſie ſagte: Gute Nacht! und ging nach 
Hauſe. | 
Es war einige Tage nachher — da trat Kapitän 
Schönhelm in das Gemach des Kommandanten. Mein 
Herr Obriſt, ſprach er, indem er ihm einen Brief 
überreichte, ich bring euch wieder böſe Nachricht zum 
Nachtiſch. Soeben kommt ein Bote von Engen mit 
dieſem Schreiben. Kaiſerliche Völker haben ſich am ganzen 
Bodenſee zuſammengezogen, zu Engen liegt ſchon der 
General Feldmarſchall und Obriſt Gottfried Huhn 
von Gelern, er läßt euch ſeinen Gruß melden. Das 
hab ich mir gedacht, entgegnete Widerhold, ohne von 
der Botſchaft überraſcht zu werden. Das ſind die 
Früchte von unſers großen Bernhards Tod. Weil 
der Adler todt iſt, ſo ſind die Vögel wieder Meiſter. 
Er erbrach langſam den Brief, ein zweiter war ein— 
geſchloſſen. Den Inhalt kenne ich, rief Widerhold 
während des Leſens, ich brauche ihn nicht zu durch— 
leſen. Der Herr Feldmarſchall will meine Veſte, 
weil ſie durch Bernhards Verſcheiden keinen Herrn 
mehr habe. Er will ſie durch Schmeichelworte, ſtatt 
mit dem Schwert; nein, ſo bin ichs nicht gewohnt! 
Aber es ſcheint, er habe einen Fuͤrſprecher beigelegt. 
Ach! der iſt von Stuttgart, er hat den rechten Weg 
genommen und durch die rechte Hand. Und von dem 
Herzog, ja ich ſehe ſein Poſtſeript und von eigener 
Hand. Er las: „Wofern du Widerhold Uns noch 
mit Treuen meineſt, wirſt du dieſem Befehl Folge 


95 


leiſten, und deine Treu’, Ehr' und Namen zu retten, 
dich mit befohlener Lieferung dieſes Hauſes nicht 
länger aufhalten, ſondern eines endlichen gegen uns 
erklären.“ So, ſo, rief Widerhold, als er geleſen, 
das iſt alſo eure Handlungsweiſe, wenn ihr euch 
Mühe erſparen wollt, ihr nichtswürdigen Feinde. 
Den Schwachen treibet ihr in die Enge, daß er ja 
ſagen muß zu eurer Bosheit, daß er euch die Hand 
bieten muß, um eure böſen Pläne durchzuführen. 
Nein, nimmermehr, es ſoll euch nicht gelingen. Ach! 
fo weit iſt es gekommen mit dem erlauchten Haus 
der Wirtemberger, daß ſein Fürſt ein Spielball iſt 
in der Hand ſeiner Feinde, daß er tanzen muß nach 
ihrer Pfeife. Nein, mein ſchwacher Fürſt, mein un— 
glücklicher Gebieter, ich folge dir nicht, ich kann dir 
nicht folgen, wenn ich meine Treue, meine Ehr' und 
Namen retten will! Ich kann das Haus nicht den 
Feinden übergeben, auf dem dein Unglücks-Bruder, 
dein Ahnherr Ulrich, einzige Zuflucht fand in ſeiner 
Noth, ich muß treu handeln an deinem Hauſe, daß 
nicht du ſelbſt und die Nachwelt meiner Untreue 
fluche! Ich will nicht weichen, mit Gottes Hülfe, 
ich will dir eine reine Jungfrau wieder geben, wenn 
der Vater im Himmel deine Noth wendet! Ich will 
meinen letzten Tropfen Blut vergießen für dieß Haus. 
Auch ich, ſprach Schönhelm, der die dargebotene 
Rechte Widerholds ergriffen und an feine Bruſt drückte, 
auch ich will aushalten, ſo wahr mir Gott helfe! 
führ es zum Leben oder zum Sterben. 


96 


Margaretha, die ſich eben im Nebengemach befand, 
hörte das letzte Wort, und Schauder bebte durch ihre 
Glieder, denn ſie wußte, daß die Schweden Wort 
halten. — Nun mein Sohn, ſprach Widerhold, will 
ich auch dem Feld-Marſchall antworten, aber dieſe 
Antwort ſoll er nicht an's Fenſter ſtecken. Er ſetzte 
ſich und ſchrieb einen kurzen Brief, den er dem 
Kapitän übergab. Und die Antwort auf des Her— 
zogs Brief? fragte Schönhelm. Die iſt in der Feder 
geblieben, mein Sohn! Keine Antwort iſt auch eine 
Antwort, entgegnete bedeutungsvoll Widerhold. Schön— 
helm ging, in wenigen Stunden war der Brief an 
Ort und Stelle. 

Bald zeigte ſich, was der Innhalt von Widerholds 
Brief geweſen war. Noch am nemlichen Tage zog 
Gottfried Huyn von Gelern mit ſeinem Heere gegen 
die Veſte. Er lagerte ſich in der Nähe der kleinen 
Burg Staufen. Doch wegen der Sonntagsfeier be— 
gann er noch nicht gegen die Veſte zu agiren. Das 
vernahm bald Widerhold, und er befahl ſeinen Unter— 
gebenen, ſich bereit zu halten, denn es müßte ein 
harter Strauß werden; das ließen ihnen ſeine trotzigen 
Worte ahnen, welche er dem Schreiben an Gott— 
fried Huhn von Gelern hatte einfließen laſſen. Daß 
wieder eine ernſte Zeit für die Veſte beginne, das 
zeigte ſich am Abend des heutigen Tages. Gerade 
an Sonntagen war der Platz unter der Linde der 
beſuchteſte; ſelten fehlten Herr Widerhold und Frau 
Hermegard; aber dießmal hatte ſich Niemand einge— 


97 


funden, außer Guſtav Schönhelm. Auch Margaretha 
ſtellte ſich ein. 

Das hätte ich kaum erwartet, euch hier zu finden, 
war ihr erſtes Wort, als fie den Kapitän erblickte, es 
kommen jetzt wieder traurige Tage. Fur die Frauen, aber 
nicht für die Männer — entgegnete Schönhelm — wir 
greifen jetzt wieder zu unſerem Berufe. Gerade deßwegen 
bin ich heute noch einmal erſchienen, wer weiß, ob wir 
wieder hier zuſammenkommen! Dießmal mags hart ge— 
hen unſerer Veſte, ein wackerer Kriegsheld hat ſich unten 
gelagert. Jetzt mag es künftig euch ſchwer werden, Mar— 
garetha, eurer Gewohnheit zu folgen, die Kirche in Singen 
zu beſuchen. Da wäre nicht nöthig geweſen, die Veſte 
zu umſchließen, verſetzte das Mädchen. Seid ihr 
endlich andern Sinnes geworden, Margaretha? — 
Andern und doch noch des Gleichen — ſie ſagte dieß 
mit Bedeutung. Habt ihr gelernt, auch uns Ge— 

rechtigkeit wiederfahren zu laſſen? ſprach Schönhelm. 
Das iſt ſchon lange geſchehen — ach nur zu viel, ver— 
ſetzte Margaretha — ſie ſchlug verlegen die Augen nieder 
— und doch kann ich nie, nie im Leben Eine der 
Eurigen — Haltet ein, Margaretha, unterbrach ſie 
Schönhelm — er faßte ihre Hand und drückte fie 
krampfhaft an ſeine Bruſt — ſoll es ewig beim 
Worte bleiben, ein Gott, eine Liebe — wird es nie 
bei uns ſeine rechte Bedeutung erhalten, ein Gott? 
Eine Liebe iſt es ſchon, lispelte Margaretha und 
ſenkte ihr Haupt an Schönhelms Bruſt, er ſchlang 
ſeine Arme feurig um ſie, und hielt ſie lange feſt 
II. N 


- 


98 


umſchlungen. — Glaube meiner Kirche, ich habe dich 
verläugnet, rief Margaretha auf einmal wie aus ei— 
nem Traum erwachend, ich bin ein Kind der Ver— 
dammniß: ſie riß ſich heftig aus Schönhelms Armen 
und eilte von hinnen. 

Es war der 6. Auguſt des Jahres 1639, als 
Gottfried von Gelern, der kaiſerliche General = Feld: 
marſchall, die Belagerung der Veſte im eigentlichen 
Sinne begann. Von dieſem Tage bis zum 12. Aus 
guſt wurden, nach Widerholds eigenem Bericht, 37 
Granaten und Ernſtkugeln gegen die Veſte geworfen. 
Doch ihre Wirkung entſprach nicht den Wünſchen der 
Belagerer. Widerhold antwortete in gleichem Tone. 
Seine Munition war in gutem Zuſtand, feine Mus: 
ketiere gut geübt. Er ſelbſt ſtand an ihrer Spitze, 
nicht nur als Kommandant, ſondern perſönlich thätig. 
Es war ein ſchrecklich Feuerwerk, das Belagerer und 
Belagerte einander anzündeten. Auf weite Meilen 
leuchtete die Gegend von den Granaten, die hin und 
her ſchlugen, wenn die Nacht über der Gegend lag. 
Die feindlichen Granaten ſchadeten wenig, denn Wi— 
derhold hatte ſchon die nöthigen Vorkehrungen ger 
troffen, um ſie meiſtens unſchädlich zu machen. Die 
Dächer der Veſte waren ſo eingerichtet, daß ſie mit 
geringer Mühe konnten herniedergelaſſen werden, wenn 
ihnen Schaden durch Beſchießung drohte. Nur ein 
Mal richtete eine Granate bedeutenden Schaden an; 
ſie fiel auf das ſchöne Rondel, welches noch in 
ſeinen Trümmern zeigt, was es geweſen, ſchlug die 


99 


Thüre auf, und zertrümmerte den größten Theil der 
herrlich gebauten Wendeltreppe. Sonſt aber war der 
Schaden auf der Veſte unbedeutend. Das merkten 
bald die Belagerer mit dem größten Mißmuthe. Der 
kaiſerliche Feldmarſchall ſchritt jetzt zu einem andern 
Mittel. Er ließ nahe bei der Veſte Minen graben, 
um fie in die Luft zu ſprengen. Auch dieß fruchtete 
wenig, denn Widerhold ſprach ihnen von oben her 
mit ſeinen Musketieren ſo kräftig zu, daß die Arbeiter 
bald ihre Arbeit einſtellten. So war nach und nach 
der größte Theil des Monats unter fruchtloſen Ver— 
ſuchen der Belagerer dahingegangen, ſie konnten ſich 
nicht des geringſten Vortheils rühmen, den ſie ſeit 
dem erſten Tag der Belagerung erlangt hatten. Das 
letzte Mittel ſollte jetzt verſucht werden, und es hätte 
dieſes beinahe zum Ziel ihrer Wünſche geführt. Man 
wußte auf Seiten der Feinde, daß die auf der Veſte 
lange Zeit in Thätigkeit Gehaltenen ſich nach und 
nach mehr der Ruhe bei Nacht überließen, als es in 
den erſten Tagen der Belagerung geweſen war. Vor— 
ſichtig hatte Widerhold bei alle dem ſeine Wachen 
ausgeſtellt, aber gerade dieſe Vorpoſten waren es, 
welche den Tag über auch in Anſpruch genommen 
worden waren; das Nachtwachen war für Manchen 
eine ſchwere Aufgabe geworden. Oft hatte der 
Schwedenkapitän, dem Widerhold die Aufſicht an— 
vertraute, unten am Vorhofe in der Wachtſam— 
keit der Soldaten Manches vermißt; dafür war 
er Aug' und Ohr, als ob ihm die ganze Veſtung 


m 


100 


zu bewachen obläge. Ach, wenn auch die bedrängte 
Veſte ſein Auge wach gehalten hätte, ſeine Nächte 
waren ſchlaflos, ſeit jenem verhängnißvollen Abend, 
als ſich Margaretha aus ſeinen Armen riß. Doch 
die Natur verlangte auch von ihm ihren Tribut. Es 
war die Nacht des 29. Auguſts. Der Kapitän legte 
ſich nach vielen Tagen der Mühe zum erſten Male 
wieder auf ſein Kriegslager. Noch nicht war die 
eilfte Stunde der Nacht angebrochen, da drang von 
dem Vorhof der Burg herauf Waffengeklirr vor ſeine 
Ohren. Er ſprang auf, in einem Nu hatte er ſeine 
Waffen ergriffen. Die Feinde! die Feinde! war das 
erſte Wort, das er vernahm, als er aus ſeinem Ge— 
mache trat. Eine Wache eilte ihm entgegen. Zu den 
Waffen, zu den Waffen, Kameraden! ſo ſchallte jetzt 
die Stimme des Kapitäns durch die Lagerſtätte, wo 
ſeine Mannen lagen. In wenigen Augenblicken waren 
ſie gerüſtet. Ihre Roſſe, in denen ihre Kraft lag, 
mußten ſte zurück laſſen. 

An der Spitze ſeiner Schwadron rückte er zum 
erſten Portale; da ſtand ſchon Widerhold in gleichem 
Beginnen. Bleibet, Herr Kommandant! rief Schön: 
helm, ſichert die obere Veſte, euer Haupt iſt uns 
theuer. Laßt uns in den Vorhof hinab. Mit Mühe 
ließ ſich Widerhold zurückhalten. Der Kapitän ſtürzte 
mit ſeiner Schwadron den Feinden entgegen, die 
ſchon den Vorhof in Brand geſteckt hatten. Zur 
glücklichen Stunde noch war Schönhelm dem Feinde 
entgegen gekommen, in wenigen Augenblicken wäre 


101 


der Feind am oberen Thore geſtanden. Muthig er— 
klangen die Pallaſche in der Hand der Weimara— 
ner Reiter: wie bei Löwen, die lange eingeſperrt 
nun hervorbrechen aus ihrem Kerker, ſo war ihr 
Muth. Sie drängten die Feinde zurück, aber neue 
Schaaren der Feinde drangen durch den Vorhof. 
Nicht auf die Ueberzahl achtend, hieb Schönhelm ein, 
und wo ſein Pallaſch ſauste, da gab es eine Lücke. 
Er drang immer tiefer in die Feindesſchaar, denn 
ſein Herz war mit Muth und Rache erfüllt. — Wir 
verlaſſen die Helden auf ihrem Kampfplatz und gehen 
auf die Burg zurück. Widerhold beſetzte das Thor, 
aber auch alle übrigen Seiten der Veſte, die leicht 
während des Kampfes im Vorhofe hätten erſtiegen 
werden können. Wie gerne wäre er hinunter in den 
Vorhof, ſein Herz ſchlug dem Kampf entgegen, aber 
die obere Burg mußte gedeckt ſein. Wachet und 
betet! rief er ſeinen Männern zu, das iſt das Ein— 
zige, das wir thun können, da wir hier im Kampfe 
unſerer Brüder unthätig zuſehen müſſen. Laßt uns 
zu Dem uns wenden, der da ſpricht, ich will euch in 
keiner Noth verlaſſen, und wenn auch Tauſende der 
Feinde euch umgeben. Er entblößte ſein Haupt und 
kniete nieder auf dem Hofe der Veſte. Alle, die um 
ihn waren, mit ihm. „Herr der Heerſchaaren, errette 
uns von der Noth, die unſere Feinde über uns ver— 
hängen, errette dieß Haus von ihren Händen, ach 
es iſt ja noch das Einzige, was unſer unglücklicher 
Fürſt noch ſein nennen kann von all ſeinem Erbe, 


* 


102 


das ihm geraubet iſt. Laß deine Gotteskraft mächtig 
werden in den Schwachen, und ſtärke ihren Arm im 
Kampfe für die gerechte Sache.“ Amen. So betete 
Widerhold. Es war ein feierlicher Anblick in der 
Stunde der Mitternacht, die Krieger auf den Knieen 
mit entblößtem Haupte, ihren Kommandanten in der 
Mitte und der ſternbeſäete Himmel über ihnen. Eine 
Schreckensbotſchaft riß ſie aus dieſer frommen Stellung. 
Ein Weimaraner Reiter ſtürzte in ihre Mitte: Hülfe! 
die Unſern ſind übermannt, unſer Kapitän — er 
hatte noch nicht ausgeſprochen, da trat eine weibliche 
Geſtalt in weißem Gewande aus des Kommandanten 
Haus, es war Margaretha. Ein ſchrecklicher Lärm 
hatte ſie aus dem Schlafe geweckt, ſte war ans Fenſter 
getreten, das gegen den Vorhof ſich kehrte, ſie hörte 
Waffengeklirr, ſah eine hohe Flamme aus dem Vor— 
hofe aufſteigen. 

Was gibt es? rief ſie — ſie hörte den Weimaraner 
Reiter, der eben die Worte ſprach: unſer Kapitän, 
unſer Kapitän iſt umringt, helfet, rettet! Noch nicht 
hatte der Reiter geendet, da ergriff Margaretha den 
Degen eines neben ihr ſtehenden Kriegers, und wie 
ein leichtfüßiges Reh rannte ſie den Berg hinab. 
Sie kam noch zur rechten Stunde. Schönhelm 
war umringt von einer dichten Schaar ſeiner Feinde, 
die Seinigen waren größtentheils gefallen, er focht 
den letzten Kampf. Furchtbar blitzte noch ſein Degen, 
er blutete ſchon aus vielen Wunden. Ein feindlicher 
Cornet drang auf ihn ein; ſchon zuckte er feine 


— 


103 


Partiſane gegen Schönhelms Bruſt; halt! rief eine 
weibliche Stimme hinter ihm; wie ein Weſen aus 
höheren Regionen ſtand ſie zwiſchen ihm und Schön— 
helm. Sie fing den Stoß auf in ihre eigene Bruſt, 
aber in des Feindes Herz haftete ihr Degen, den ſie 
kräftig ſchwang. Der feindliche Cornet ſtürzte zu 
ihren Füßen nieder, ſie entwindete ihm mit zitternder 
Linken ſeine Partiſane. Ein Geiſt! riefen die feind— 
lichen Soldaten — ihre Gewehre ſanken ihnen aus ihren 
Händen, und ſte wandten zur Flucht den Rücken. 
Nur zwei ſtanden auf dem Kampfplatze, als Wider⸗ 
hold mit ſeiner Hülfe herbeieilte, Margaretha und 
Guſtav. Guſtav an Margarethens Bruſt gelehnt, 
ſie hatte mit einem Arm ihn umſchlungen, in dem 
andern hielt fie die erbeutete Partiſane. Ein Gott! 
rief Schönhelm in Margarethens Armen, und Eine 
Liebe! ſprach Margaretha. Es waren die letzten 
Worte, die beide Liebende im Erdenleben ſprachen. 
Widerhold und ſeine Krieger ſchloſſen einen Kreis um 
die beiden Leichname. „Dank dir, Vater im Himmel, 
daß du uns errettet von unſern Feinden. Dank dir, 
der du ein Gott und eine Liebe biſt.“ So betete 
Widerhold und alle Krieger mit ihm, und Thränen 
rollten über ihre Wangen. Mit dem folgenden Tage 
hob Gottfried von Gelern die Belagerung auf, und 
zog ab von der Veſte. 


104 


II. 


Die Herrgottskirche 
bei Eres bingen. 


Nicht ferne von der alten Tauberſtadt Greglingen, 
in dem romantiſchen Seitenthale, das der ſogenannte 
Herrgottsbach bildet, ſteht die uralte Herrgottskirche. Sie 
hat zwar längſt ihre Bedeutung als Wallfahrtskirche 
verloren, aber noch heut zu Tage wallen von Nah 
und Ferne Hunderte dahin, um ihren Marienaltar, 
eines der ſchönſten alten Sculpturwerke in deutſchen 
Landen, zu bewundern. Von fern erſcheint uns die— 
ſelbe als eine gewöhnliche, etwas größere Kapelle 
mit einer Mauer umfangen. Erſt in der Nähe an- 
gekommen, ſehen wir, wie ſie auch in Hinſicht auf 
Bauart eine der intereſſanteſten Kirchen im Tauber— 
grunde iſt, und es iſt wohl der Mühe werth, daß 
man auch ihr Aeußeres ſo genau als möglich beſchreibe. 
Treten wir in den die Kirche umgebenden Friedhof 
ein, ſo empfangen uns ſchöne Grabdenkmale aus 
neuerer Zeit, über welche Thränenweiden ihre Aeſte 
breiten. Drei ſind beſonders ſchön gearbeitet — die für 
Creglingen ſo wohlthätig wirkende Familie Dreher 
hat ſie ihren geliebten Todten errichtet. An ihnen 
vorbei gelangen wir zum erſten Portal der Kirche. 
Daſſelbe hat einen reich verzierten Giebel — drei 


— 


105 


ſchön durchbrochene Bogen ſtehen über einander, die 
noch ſo gut erhalten ſind, daß man glaubt, der 
Meißel des Steinhauers habe ſie eben erſt verlaſſ en. 
Die Weſtfronte der Kirche iſt mit einer durchbrochenen 
Fenſterroſe, die Giebelſpitze mit einem Glockenerker 
geziert. Die ſüdliche Pforte gegen Münſter hin iſt 
in derſelben Art gefertigt, wie die nördliche gegen 
Creglingen. Der Chor der Kirche hat fünf Strebe— 
pfeiler, deren Giebel mit wunderlichen, ſehr kunſtreich 
gearbeiteten Figuren geziert ſind. Auf dem erſten 
Pfeiler erblicken wir ganz oben Gott den Vater — 
unten ſteht ein Hund, der den Fuß zum Pißen auf- 
hebt. Der zweite Pfeiler zeigt oben einen Engel, 
der auf der Geige ſpielt; unterhalb ſteht ein Stein— 
hauer mit aufgehobenem Hammer, gegen den ein 
Hund die rechte Pfote erhebt. Auf dem mittleren 
Pfeiler iſt zu oberſt ein ſchöner Kopf mit einer Binde 
abgebildet; in der Mitte ein Adler, der einem Kopf 
die Krallen in den Mund ſchlägt, und zu unterſt 
ein Wolf, welcher ein eingewickeltes Kind im Maul 
hält und auf einem Thiere mit Menſchenantlitz und 
geringeltem Schwanze ſteht. Den vierten Pfeiler 
ziert ein Engel mit einem aufgeſchlagenen Buche; in 
der Mitte ſind zwei Affen, die mit einander ſpielen, 
unten ſteht eine Art Leopard. Auf dem fünften 
Pfeiler gegen Münſter hin ſehen wir einen Engel, 
der eine Krone in den Händen hält und das Hohen— 
lohe'ſche Wappen krönt, auf deſſen beiden Seiten 
Engel als Schildhalter ſtehen. Was die Figuren auf 


® 


106 


allen dieſen Pfeilern bedeuten, wiſſen wir nicht zu 
erklären. Einige, wie z. B. der Hund in ſo gar 
natürlicher Stellung, ſind wohl ein Ausfluß des 
derben Volkswitzes jener Zeit, der ſich auch von kirch— 
lichen Gebäuden nicht ferne hielt; andre, wie z. B. 
der Wolf mit dem Kind im Maul, könnten ſich auch 
auf etwas Geſchehenes beziehen, das auf ſolche Weiſe 
dem Andenken der Nachwelt aufbehalten wurde. Außer 
dieſen Pfeilern iſt bemerkenswerth das achtſtockigte 
Thürmchen, welches auf der Südſeite der Kirche in 
der Ecke vom Chor und Schiff ſich erhebt. Es hat 
drei Stockwerke mit gothiſchen Fenſteröffnungen. In 
der oberſten Oeffnung erblicken wir drei, mit großer 
Kunſt gearbeitete Köpfe — in der Mitte das Haupt 
Jeſu, zu deſſen beiden Seiten die Köpfe Johannes 
des Apoſtels, ſowie Johannes des Täufers, auf welch 
letzterem wir den Ausdruck des Schmerzes wahrnehmen. 
Oben hat das Thürmchen ein zierlich durchbrochenes 
Geländer, mit vier hervorragenden Thierfiguren, welche 
die Füße gegen die Gallerie ſtemmen; ſie dienen zur 
Waſſerleitung. Das Geſims der Gallerie bildet einen 
Kranz von Laubwerk. Eine Wendeltreppe von 60 
Staffeln führt auf das Thürmchen, das in früheſter 
Zeit als Kanzel gedient haben ſoll, von wo aus der 
Ablaß verkündigt wurde. Der Sage zu Folge, die 
freilich nicht verbürgt werden kann, hielt der berüch— 
tigte Dominikaner Tezel auf dieſer Kanzel vor der 
verſammelten Menge, welche die Kirche nicht faſſen 
konnte, ſeine erfolgreichen Ablaßpredigten. 


107 


Nachdem wir das Aeußere der Kirche betrachtet, 
betreten wir ihr Inneres, wo wir das herrlichſte 
Kunſtdenkmal alter Zeit treffen, welches im Franken— 
land zu finden iſt. Doch wenden wir uns nicht 
gleich dieſem zu, ſondern fangen mit Betrachtung 
anderer Alterthümer der Kirche an, um bei dem 
Schönſten recht lange zu verweilen. Der Chor, den wir 
zuerſt betrachten, gehört noch in die ſchönſte Zeit der 
gothiſchen Architeſtur. Das Gewölbe über dem Chor— 
altar hat ſechs Rippen mit einem Schlußſtein, auf 
dem zwei Figuren ſichtbar find. Da, wo die zwei 
Gewölbe des Chors ſich theilen, ſehen wir zu beiden 
Seiten dreiſchaftige Säulen mit alten Kapitälen, vier 
ähnliche ſtehen hinter dem Altar einander gegenüber, 
ſo daß im Ganzen ſechs Säulen ſich im Chor be— 
finden. Sie ſind ſämmtlich kunſtreich gearbeitet, be— 
ſonders was ihre Kapitäle anbelangt, und ſo alter— 
thümlichen Styls, daß man ſie eher die Uebergangs— 
periode vom byzantiſchen in den gothiſchen Styl, als 
in das 14. Jahrhundert verweiſen möchte. An der 
Wand hinter dem Altar iſt ein gothiſches Sakrament— 
häuschen, mit zwei ſchönen ſteinernen Figuren, die 
Muttergottes und den Heiland vorſtellend, und dem— 
ſelben gegenüber, gleichfalls an der Wand, iſt noch eine 
Niſche mit ſchöner gothiſcher Verzierung angebracht; 
oben daran iſt ein Kopf mit langen Haaren, wohl 
die ſchönſte Bildhauerarbeit im Innern der Kirche. 
Ueber dem Eingang in die Sakriſtei iſt eine hölzerne 
Tafel mit einem Bilde ohne Werth; deſto ſchöner iſt 


108 


das oben ragende Geſims, welches mit den beiden 
kunſtreichen Säulen zu den Seiten des Eingangs eine 
liebliche Verzierung deſſelben bildet. Die Sakriſtei 
hat ein Deckengewölbe und eine ſteinerne Altarſtufe. 
Auf der ſüdlichen Wand des Chors befindet ſich ein 
großes Fresko-Gemälde, das den heil. Chriſtoph dar— 
ſtellt, wie er durch die Fluth watet, den Heiland der 
Welt auf der Schulter. Zu den Füßen der an 30 
Fuß hohen Figur kniet ein Ritter mit feiner Hause 
frau, in der Tracht des 16. Jahrhunderts. Die 
Unterſchrift iſt durch Feuchtigkeit der Wand ſehr un— 
leſerlich geworden, ſo wie auch das Bild ziemlich 
verblichen iſt. Der Hochaltar im Chor hat am Tiſche 
ſchön durchbrochene Steinarbeit, und an der Staffel, 
ſowie im Schrein und auf feinen Flügelthüren, Bil— 
der, die auf keinen Fall einer Zeit der geſunkenen 
Kunſt angehören, wie der ſonſt kundige Beſchreiber (im 
evang. Kirchenblatt vom Jahr 1845. Nro. 35.) be⸗ 
hauptet. Wer den Altar nicht blos en passant, 
ſondern mit Muße betrachtet, wird ſich eines Beſſern 
überzeugen. Das in Holz geſchnitzte Hauptbild ſtellt 
den Gekreuzigten dar; ſein Antlitz voll Ausdruck 
zeigt mehr den ſchon vollendeten, als den noch leiden— 
den Welterlöſer; zu beiden Seiten ſchweben Engelein 
mit Kelchen. Neben dem Heiland hängen die Schächer; 
auf ihrem Antlitz liegt der Ausdruck des tiefſten 
Schmerzens. Zunächſt dem Kreuze ſteht Maria Mag— 
dalena mit klagender Geberde, und dabei der Jünger 
Johannes, welcher die Mutter des Herrn tröſtet. 


109 


Außer ihnen erblicken wir nahe beim Kreuz noch vier 
männliche Figuren. Eine derſelben, ein Krieger, dem 
die Lanze aus der Hand gebrochen iſt, flieht hinauf 
an's Kreuz; ein Anderer mit ſpöttiſchem Geſicht, eine 
Spitzkappe auf dem Kopf und ein Buch in der Linken, 
ſchaut auf den Kriegsknecht. Noch ſteht dabei ein 
Dritter mit einer Mütze auf dem Kopf — er iſt 
ernſt und nachdenklich. Unter dieſen Figuren in der 
Predella (Altarunterſatz) ſind drei Bruſtbilder — links 
Chriſtophorus, rechts Andreas mit Kreuz und Buch, 
in der Mitte die heil. Anna mit Maria und Chriſtus— 
kind. Letztere Bilder ſämmtlich ſind ohne Kunſtwerth. 
Deſto wichtiger ſind die altdeutſchen Gemälde an den 
Flügelthüren des Schreins. Sie ſind ſämmtlich auf 
Goldgrund, zwar etwas hart ausgeführt, aber aus— 
drucksvoll. Es ſind im Ganzen vier Darſtellungen. 
Oben zur Rechten kniet Jeſus in Gethſemane, die 
Jünger in einiger Entfernung von ihm ſind in Schlaf 
verſunken. Unten im zweiten Bild erblicken wir den 
Heiland, wie er das Kreuz trägt; vor ihm geht ein 
Krieger in weißer Tracht, hinter ihm Veronika mit 
dem Schweißtuch und noch eine andere weibliche Figur. 
Im Hintergrunde ſchöne Perfpective. Im Linken oben 
die Grablegung des Heilands: Vier Frauen umgeben 
das Grab — eine legt mit ſchmerzvollem Blicke ihren 
Arm um den Verblichenen, die zweite faßt ſeine Linke, 
eine dritte hat die Hände zum Gebet gefaltet; ihnen 
gegenüber Maria Magdalena, welche das Tuch vor— 
hält und weint. Zu den Füßen des Heilands er— 


* 


110 


blicken wir den Joſeph von Arimathia. Das vierte 
Bild zeigt den aus dem Grab Erſtandenen mit der 
Siegesfahne in der Hand, umgeben von Kriegsfnechten. | 
Oben zwei, welche eben aus dem Schlaf erwachen; 
der zur Rechten ſchlägt ſeine Helmkappe auf, und 
will noch nicht recht glauben, was er ſieht, der zur 
Linken zeigt eine nachdenkliche Miene. Ganz unten 
zwei andere, welche noch ſchlafen: der eine mit einem 
Turban hat die Linke unter den Kopf geſtützt, in der 
Rechten ruht die Armbruſt, der andere mit einer 
ſpitzigen Mütze hält eine Streitart; über dem Aufer⸗ 
ſtandenen ſchwebt ein Engel. Im Hintergrund ſehen 
wir die Stadt Jeruſalem. Alle dieſe Gemälde find 
mehr oder weniger verdorben, doch möchte es leicht 
möglich ſein, ſie wieder herzuſtellen. Auch die Kehr— 
ſeiten der Flügelthüren waren übermalt, aber leider! 
ſind ſie ſo verdorben, daß man kaum mehr die Spur 
von Gemälden darauf erkennen kann. Vom Hochaltar 
richten wir den Blick zu den mit Glasmalereien reich 
gezierten Fenſtern. Das reichſte iſt das mittlere Fenſter 
hinter dem Altar. Ganz oben gegen die Fenſterroſe 
hin ein Chriſtuskopf, weiter unten zwei Frauen in 
alter Tracht einander gegenüber. In der Mitte des 
Fenſters, Chriſtus am Kreuz, über dem Kreuz eine 
reiche gothiſche Verzierung — der Grund des Mittel: 
bildes iſt blau. — Zur Rechten des Gekreuzigten 
ſteht Maria, der ein Schwert durch die Seele dringt, 
unter ihr ein Geiſtlicher und ein Ritter im Ring⸗ 
kragen; darüber hin geht ein Schriftzettel. Zur 


111 


Linken erblicken wir eine weibliche Figur, unter ihr 
zwei Figuren, die hinter einander mit gefalteten 
Händen knien. Die größere ſtellt wohl die Stifterin 
dar, und ſtände vielleicht in Beziehung zu dem ge— 
genüber befindlichen Ritter; die kleinere im rothen 
Mantel gleicht einem Chorknaben. Die Fenſter zur 
Linken haben keine Gemälde mehr — ſie ſind ſchmäh— 
licher Weiſe ausgebrochen; in den beiden zur Rechten 
haben ſich noch einige Bilder erhalten. Im erſten 
ſehen wir den heil. Chriſtoph, ferner eine knieende 
Figur im weißen Mantel; über der Letzteren zieht 
ſich ein Schriftzettel, unten liegt ein Wappen. Oben 
am Fenſter iſt noch eine Figur in Roth, ſie hat die 
Hand um eine Art von Kreuz gelegt. Das zweite 
Fenſter zur Rechten enthält das Wappen von Weins— 
berg. — Ehe wir das Chor verlaſſen, betrachten wir 
noch die Chorſtühle zu beiden Seiten, welche mit 
reichem flach gehaltenem Schnitzwerk verziert ſind, wie 
wir es auch an der Thüre zur Sakriſtei und zur 
äußern Kanzel finden. Zwiſchen den Chorftühlen 
und auch an denſelben angeklebt, finden wir eine 
Menge von gedruckten Ablaßzetteln, wovon viele ſehr 
alt ſein mögen. Einzelne haben gute Holzſchnitte, 
und wir machen beſonders auf einen ſolchen auf— 
merkſam, der an der rechten Wand des Chors ange— 
bracht iſt. Wir ſehen darauf den heil. Sebaſtian, 
wie er mit Pfeilen durchbohrt wird; einer ſeiner 
Peiniger zieht mit einer Maſchine (im Nibelungen: 
lied Antwerk genannt) ſeine Armbruſt auf. — Das 


112 


herrlichſte Denkmal alter Kunſt ſteht im Schiff der 
Kirche: es iſt der ſogenannte Marienaltar, dem die 
Herrgottskirche es zu verdanken hat, daß ſie in neuerer 
Zeit von Freunden alter Kunſt aus der Nähe und 
Ferne ſo zahlreich beſucht wird. Der Altar ſteht bei— 
nahe mitten im Schiff der Kirche, und ſcheint ſchon 
ſeit der früheſten Zeit hier geſtanden zu haben, ob 
es gleich eine ſehr unpaſſende Stelle ift, da von kei— 
ner Seite ein Licht auf das koſtbare Altarbild fällt. 


Der Marienaltar aus Lindenholz geſchnitzt, 
ungefähr 27 Schuh hoch, 12 Schuh breit, das 
heißt mit völlig geöffneten Flügelthüren, deren jede 
3 Schuh breit und 12 Schuh hoch iſt, ſtehend auf 
einem einfachen, maſſiven ſteinernen Poſtamente, als 
Ein Ganzes mit dem durchbrochenen Altartiſche, 
zu welchem fünf Stufen führen, vornen von drei 
Seiten von einer 5 Schuh hohen Holzvergitterung 
mit beweglichen Thüren umgeben, ſtellt in verſchiedenen 
wohlgeordneten Gruppen folgende Scenen dar: Auf 
der rechten Flügelthüre des Altars unten die Ver— 
kündigung Mariä, oben der Beſuch der Ma⸗ 
ria bei ihrer Freundin Eliſabeth; auf der 
linken Flügelthüre oben die Geburt Jeſu im 
Stalle zu Bethlehem, unten die Reinigung 
Mariä. 

In der Mitte des Altars in Figuren vom größten 
Maaßſtab die Himmelfahrt Mariä; unter dieſer, 
in drei Gevierten mit Figuren vom kleinſten Maaßſtab, 


113 


rechts die drei Könige aus Morgenland, links der 
Jeſusknabe im Tempel unter den Lehrern. In 
der Mitte dieſes Unterſatzes befinden ſich zwei ſchwebende 
Engel mit ausgebreiteten Flügeln, die gegen einander 
ſchauen, und ein Tuch halten — was für eines? 
darüber ſind verſchiedene Meinungen. Ueber dem 
Hauptbilde des Altars, unterbrochen durch eine Art 
Aufſatz von ſchönen Ornamenten, ſehen wir in Fi— 
guren von gleicher Größe wie die in den Altarflügeln, 
die Krönung der Maria. Ueber dieſen abermals 
herrliche Ornamente, dann Chriſtus der Aufers 
ſtandene mit der Siegesfahne. — So viel, 
um nur eine kleine Andeutung von dem Herrlichen 
zu geben, was der Marienaltar dem Beſchauer beut. 
Eine ausführliche, von Kunſtſinn und Gefühl zeugende 
Beſchreibung gab Herr Stadtſchultheiß Dreher von 
Creglingen ſchon vor vielen Jahren; wir verweiſen 
auf dieſelbige, wie ſie auch in dem Büchlein „Creg— 
lingen und feine Umgebungen“ herausg. von 
Ottmar Schönhuth (1846) wörtlich zu finden iſt. 

Ueber den artiſtiſchen Werth des Sculpturwerkes 
hat ſchon längſt das Künſtler- und Kunſtkenner-Ur⸗ 
theil entſchieden. Das beſte Zeugniß über den hohen 
Kunſtwerth des Altars hat der württemb. Alterthums— 
Verein abgelegt. In das erſte prachtvoll ausgeſtattete 
Vereinsheft iſt eine Abbildung des Geſammtbilds, ſowie 
eines Details aufgenommen worden. Das erſtere iſt 
nach einer genaueren Zeichnung des Herrn G. C. 
Wilders aus Nürnberg lithographirt, das andere, der 

II. 8 

* 


114 


fogenannte engliſche Gruß, iſt von unſerem kurz ver⸗ 
ſtorbenen Malermeiſter Dr. Fellner an Ort und Stelle 
aufgenommen und faſt in Größe des Originals über⸗ 
getragen worden. Erſt jetzt, wenn man beide Ab: 
bildungen mit Fleiß betrachtet, wird man ſich recht 
bewußt, welchen koſtbaren Schatz die Herrgottskirche 
in dieſem Altare beſitzt. Wunderbar iſt es, daß ſich 
von dieſem herrlichen Kunſtdenkmal weder mündliche, 
noch ſchriftliche Ueberlieferung in Beziehung auf ſeine 
Entſtehung, ſeine Verfertiger und Stifter, ſowie ſeine 
Aufſtellung an dieſem Orte erhalten hat. Nur eine 
höchſt ſinnvolle Sage geht im Munde des Volkes, 
welche wohl einer bedeutungsvollen Figur am Altar 
ihre Entſtehung zu verdanken hat. Ein Schäfer lag 
einſam auf dem Felde heiliger Betrachtung ob, und 
faßte den Entſchluß, Gottes Namen durch die Stiftung 
eines Altars zu verherrlichen. Da er ſehr arm war, 
ſo unterzog er ſich ſelbſt der Ausführung, und ſiehe 
da! durch Gottes Beiſtand gelang ſie ihm herrlich. 
Der in der Predella auf der Bank ſitzende Mann 
mit einer Kappe auf dem Kopfe, einem Buch auf 
den Knieen, an den ſich Maria wendet, ſoll der 
Künſtler des Werks ſelber, und das Schnitzmeſſer in 
der (nun abgebrochenen) rechten Hand, das Wahr- 
zeichen des Altars geweſen ſein. Auf ähnliche Weiſe 
iſt in den kunſtreichen Chorſtühlen zu Blaubeuren 
Georg Sürlin ihr Verfertiger, und zu Straßburg 
auf dem Münſter zu oberſt an einem Pfeiler des 
Thurms Erwin von Steinbach abgebildet. Nur als 


115 


kleine Figürchen, und an Orten, wo man ſie kaum 
bemerkt, pflegten die Meiſter deutſcher Vorzeit ihr 
Bild der Nachwelt zu verewigen. Der Vergeſſenheit, 
in welche das unſchätzbare Werk von Creglingen ſeit 
der Reformation verfallen war, hat endlich unſere 
Zeit ein Ende gemacht. Das Hauptsoerdienſt hiebei 
gebührt dem genannten Herrn Dreher, dermalen Orts— 
vorſtand der Stadt Creglingen. Als er im, Jahr 
1832 Stiftungspfleger wurde, fand er den Altar 
gänzlich überdeckt von Inſchriften, Todtenkronen und 
vertrockneten Sträußen, die man ſeit langer Zeit bei 
Begräbniſſen als Andenken daſelbſt aufzuhängen pflegte. 
Er ließ dieſe Dinge wegnehmen, und der Altar zeigte 
ſich, gewiß in Folge der Bedeckung durch jene Gegen— 
ſtände, beinahe vollſtändig erhalten. Sodann wurden 
die Figuren abgenommen, von Schmutz gereinigt und 
neu geölt; bei dieſer Gelegenheit konnten die Figuren 
in nächſter Nähe und in ihrer ſeltenen Vortrefflichkeit 
beſchaut werden. Der Ruhm des Kunſtwerks ver— 
breitete ſich ſchnell überall hin; es wurden von ver— 
ſchiedenen Seiten bedeutende Summen geboten, aber 
immer vergebens, da die Stadt Creglingen ihr Kleinod 
wohl zu ſchätzen weiß. Es gereicht der Stadt und 
ihrem geiſtlichen und weltlichen Vorſtand zur Ehre, 
ſich daſſelbe und in demſelben ihren Ruhm erhalten 
zu haben. Seither iſt zur Erhaltung des ſeltenen 
Denkmals durch Veranſtaltung des eifrigen Alter— 
thumsfreunds noch mehr geſchehen. Durch die flache 
Holzdecke der Kirche, welche nur vom Dache beſchützt 


* 


* 


116 


iſt, konnte bisher der Regen herabträufeln und den 
Altar von oben her beſchädigen. Ueber dieſe Holz— 
decke iſt nun noch eine Decke gezogen, und ſo iſt nicht 
nur dieſer Altar, ſondern Alles, was in der Kirche 
Werth hat, vor fernerem Verderben geſichert. Ferner 
ſind auf der ſüdlichen und nördlichen Seitenwand der 
Kirche noch zwei Fenſteröffnungen angebracht worden, 
wodurch der Altar, ſowie die ganze Kirche beſſere 
Beleuchtung erhalten hat. Noch wäre zu wünſchen, 
daß man einen Künſtler auffände, der ſchon Proben 
feiner Fertigkeit in gothiſcher Schnitzarbeit abgelegt 
hätte, und tüchtig wäre, manches Fehlende am Altar 
im Geiſt der alten Kunſt zu ergänzen. Wir trauen 
es dem genannten Gönner und Schützer des herr— 
lichen Denkmals zu, daß er auch dieſen Wunſch der 
Alterthumsfreunde in Erfüllung bringen wird, da 
ſeinem ſeltenen Eifer die Ausführung ſchon ſo man— 
ches Schönen und Guten gelungen. — Außer dem 
bisher beſchriebenen Altar befinden ſich noch zwei 
andere in der Kirche, die in den Ecken gegen das 
Chor hin angebracht ſind. Beide verdienen, theils 
wegen ihrer Schnitzarbeit, beſonders aber wegen ihrer 
vortrefflichen, größtentheild noch gut erhaltenen Ges 
mälde, unſere ganze Aufmerkſamkeit. Der in der 
rechten Ecke iſt Johannes dem Täufer gewidmet. Ganz 
oben auf dem Geſims des Altars iſt der heil. Ges: 
baſtian abgebildet; zu beiden Seiten ſtehen Zwei, die 
ihre Geſchoße auf ihn richten. Unter ihm zwei kleine 
Altarflügel, auf denen an der Vorder: und Kehrſeite 


117 


gar niedliche Figuren in betender Stellung gemalt 
ſind. Die Mitte bildet ein größerer Altarſchrein mit 
übermalten Schnitzfiguren. Rechts erblicken wir die 
Vermählung Mariens mit Joſeph, in der Mitte die 
Geburt Jeſu (das Kindlein iſt geſtohlen), zur Linken 
die Anbetung der Weiſen (13 Figuren mit Kunſt 
gearbeitet). In der Predella befinden ſich drei Bruft- 
bilder von Heiligen. In der Mitte das Bild eine 
Heilige, zur linken ein Heiliger mit rother Mütze, 
der ein offenes Buch in der Hand hält — hinter 
ihm ein Engel — rechts ein Heiliger mit großem 
Bart und ſchwarzem Käppchen, der andächtig in ein 
Buch ſieht. Alle dieſe Köpfe find voll Ausdruck 
und kunſtreich ausgeführt. Der Altarflügel zur Linken 
nach Innen zeigt die Darſtellung Jeſu im Tempel. 
Der Hoheprieſter ſteht vor dem weißbedeckten Altar, 
auf dem das Kind im langen Röcklein liegt — hinter 
dem Altar vier Perſonen, Joſeph, Maria, Hanna 
und Simeon. Oben auf der Gallerie des Tempels 
ſehen wir zwei liebliche Figürchen (Mann und Frau), 
das eine im grünen, das andere im rothen Gewande. 
An der Außenſeite des Altars eine vor dem aufgeſchlage— 
nen Buche betende Maria. Dieſer Altar Johannis des 
Täufers iſt der einzige, welcher eine Inſchrift hat, 
die auf ſeinen Verfertiger hinweist. Auf der Rückſeite 
der in der Predella angebrachten drei Bilder befindet ſich 
die flüchtig gezeichnete Inſchrift Jakob Mühlholzer 
1496 zu Windsheim — unter der Zahl befindet ſich noch 
eine Art von Malerzeichen. Es iſt keinem Zweifel 
* 


118 


unterworfen, daß dieſer Mühlholzer Verfertiger des 
Altars geweſen. Windsheim an der Aiſch, eine von 
den fünf Reichsſtädten des fränkiſchen Kreiſes, war 
alſo damals ſchon kunſtverwandt mit der alten 
Künſtlerſtadt Nürnberg, und wohl könnte der ge 
nannte ein Schüler des berühmten Meiſters Veit Stoß 
geweſen ſein. Weniger begründen läßt ſich die Ans 
nahme, daß auch der Marienaltar ein Werk dieſes 
Mühlholzers geweſen ſei. Wohl iſt es wahr, daß 
die am beſchriebenen Altar befindlichen Schnitzfiguren 
denen am Marienaltar an Vollendung kaum nach— 
ſtehen, jedoch verrathen ſie wieder eine ganz andere 
Manier, zudem, daß die Figuren des Marienaltars 
durchaus unbemalt ſind, während die am Altar Jo— 
hannis des Täufers in Beziehung auf Colorit und 
Vergoldung ſich vortheilhaft auszeichnen. Wie ſon— 
derbar müßte es uns auch erſcheinen, wenn der 
Künſtler auf dem Altar, dem Vollendetſten, was je 
in feinem Fache der Kunſt geſchaffen wurde, ſeinen 

Namen weggelaſſen, und auf dem weniger Vollen— 
deten ihn beigeſetzt hätte. Viel eher glauben wir 
annehmen zu dürfen, daß der dritte Altar in der 
Kirche von demſelben Mühlholzer herrühre. Was 
die Jahrszahl 1496 anbelangt, ſo iſt es ſehr wahr— 
ſcheinlich, daß auch der Marienaltar um dieſelbe Zeit 
verfertigt wurde. — Der Altar auf der ſüdlichen 
Seite der Kirche iſt dem Apoſtel Johannes geweiht, 
und iſt reich an ſchönen Darſtellungen, beſonders an 
gelungenen Malereien. Auf dem Geſims des Altars 


119 


der Heiland, zu feinen Seiten zwei Frauen — Holz: 
ſchnitzbilder von geringem Werth, vielleicht auch aus 
ſpäterer Zeit. Im Schrein ſtehen drei heil. Frauen, 
zwei davon haben Büchlein in den Händen — und 
rechts und links im Flügel ſtehen noch zwei gekrönte 
Frauen. Die Predella ſtellt wieder einen Schrein 
dar, aber mit lauter Gemälden; das mittlere Bild 
zeigt den Heiland beim Abendmahl — um Johannes, 
ein jugendliches Bild, hat der Herr liebevoll den Arm 
geſchlungen. Auf dem linken Flügel des Schreins 
ſehen wir Moſes und Aron im Zelt — andere tragen 
Manna in Bütten und andern Gefäſſen ein — oben 
eine Schrift, die aber nimmer leſerlich. Auf dem 
rechten Flügel auf Goldgrund — ein königl. Prieſter 
kniet vor einem Tiſch mit Kreuz und Brod; zwei 
Männer in Rüſtung (einer mit einer Fahne) ſtehen 
vor ihm, zwei Frauen, gar liebliche Bilder, hinter 
dem König. Außen auf dem linken Flügel der Pre— 
della erblicken wir ein Frauenbild mit Kränzlein und 
Blumen in der Hand, auf dem rechten Fluͤgel eine 
Frau mit Krone, in ihrer Hand eine Lilie. Die 
Gemälde des Hauptſchreins ſind folgende: auf dem 
einen Flügel der Engel der Verkündigung, eine ju— 
gendliche Figur im weißen Unterkleid und goldgeſtickten 
Mantel — unter ihm ein Blumentopf mit einer 
Blume ſammt Umſchrift sancta et inmaculata; der 
Engel hält einen Schriftzettel in der Rechten mit den 
Worten: ave graciae plena, deus tecum etc. Drei 
Vöglein von lieblicher Zeichnung, darunter eine Meiſe 


* 


120 


und ein Rothkehlchen, figen auf Tiſch und Boden. 
Gegenüber dem Engel ſehen wir die heil. Jungfrau 
mit einem aufgeſchlagenen Buche in der Rechten — 
unter ihr ein niedliches Blaumeislein, auf dem Tiſch 
ſteht eine Lampe. Ferner zeigen die Flügel des Al— 
tarblatts: oben den heil. Wendelin mit Hund und 
Schaf, unten den heil. Sebaſtian und noch einen 
andern Heiligen; ferner zwei Biſchöfe, wovon der eine 
ein Gebäude, der andere ein Schwert in der Hand 
trägt; unter ihnen ſtehen zwei gekrönte Frauen — 
die eine trägt eine Zange in der Rechten, die andere 
einen Kreuzſtab in der Linken, zu ihren Füßen ein 
Thierkopf mit offenem Maul. Die ſämmtlichen Ge: 
mälde dieſes Altars gehören zu den ſchönſten aus 
alter Zeit. Auch dieſer Altar trägt nicht die geringſte 
Urkunde an ſich, die uns über den Künſtler einen 
Aufſchluß geben könnte, aber zuverläßig war es der— 
ſelbe, der den Altar Johannes des Täufers verfertigte. 
Als etwas Characteriſtiſches an dieſen Bildern möch— 
ten wir die Blumen, beſonders aber auch die Vöge— 
lein bezeichnen, welche nirgends auf altdeutſchen 
Bildern ſo häufig wie hier vorkommen, und mit 
großer Vorliebe gemalt zu ſein ſcheinen. Außer den 
Altären im Schiff der Kirche iſt noch bemerkenswerth 
das Fenſter neben dem nördlichen Eingang mit ge— 
malten Scheiben. Es zeigt den gekreuzigten Heiland 
— am Stamme des Kreuzes knien Frauen. Dem 
Gekreuzigten zur Seite ſehen wir ein ſehr einfach 
ausgeführtes Hohenloh'ſches Wappen mit zwei ſchwarzen 


121 


Leoparden. Dieſem gemalten Fenſter gerade gegenüber 
an der ſüdlichen Wand der Kirche hoch oben hängen 
drei noch gut erhaltene gemalte Wappenſchilde von 
Holz; ſie ſtellen das Wappen der Grafen v. Hohen: 
lohe-Brauneck dar — zwei ſchwarze Leoparden, als 
Helmzeichen eine goldene Krone, und darüber das 
Bruſtſtück eines weißen Einhorns mit voller Helm— 
decke. Nirgends mehr als hier finden wir das Wappen 
von Hohenlohe-Brauneck in ſolcher Darſtellung. — 
Auch an alten Grabdenkmalen, zum Theil in Stein 
gehauen, zum Theil aus Meſſing in Stein gegoſſen, 
hat Chor und Kirche einen großen Reichthum; leider 
ſind die älteſten Steine ſo ſehr abgetreten, daß man 
ſie oft nur noch theilweiſe entziffern kann. Unter 
die älteſten gehören vier neben einander, die ſich im 
Schiff der Kirche unmittelbar unter der Orgel be— 
finden. Auf dem einen iſt ein Kreuz eingehauen; er 
hat eine kaum mehr leſerliche Inſchrift, an der wir 
nur noch die Anno domini und obiti cujus anima 
requiescat in pace — erkennen. Ueber ihm liegt noch 
ein ſehr alter Stein, deſſen Schrift faſt ganz abge— 


treten iſt; und neben ihm ein noch älterer ohne Schrift, 


auf dem wir noch deutlich ein Wappen mit zwei 
ſchrägen Balken erkennen. Ein vierter ſehr alter 
Grabſtein liegt unmittelbar unter dem Marienaltar; 
ein alter Kelch iſt darauf eingehauen, die Umſchrift 
geht nur halb um den Stein und iſt ſehr unleſerlich. 
Ein neuerer, gleichfalls im Schiff der Kirche befind— 
licher, hat eine in den Stein eingelegte Tafel von 


* 


122 


Meſſing mit folgender Inſchrift: Als man zält 
1546 Jahr am Sonntag Oculi ſtarb der er⸗ 
ſam Andreas Schnepperger, Schulthes zu 
Creglingen, dem Gott gnedig ſei. Amen; 
dabei findet ſich das Wappen. Ein anderer ähnlicher 
liegt im Chor mit Wappen und Aufſchrift: Anno 
1546 am gülden Sonntag in der Vaſten ver⸗ 
ſchied der erbar Matthäus Kirmik, dem got 
gnad. Ein noch neueres Denkmal von Stein und 
gemalt ſteht an der nördlichen Seitenwand der Kirche, 
es iſt vom Jahr 1616 und ſtellt den Hans Ser: 
mann, Rathsherrn zu Creglingen, mit zwei Frauen 
und dreizehn Kindern dar, die neben ihm knien; ſechs 
Söhne und ſechs Töchter hatte die erſte und ein 
Söhnlein die zweite Frau. Beſonders aus dem 17. 
Jahrhundert ſind noch viele hübſche Grabſteine, ſo— 
wohl im Innern der Kirche, als auch außen an der 
nördlichen Außenwand angebracht. Es ſind manche 
darunter, welche aus ſchönen Steinen und nicht ohne 
Kunſt gearbeitet ſind. Noch erwähnen wir unter den 
Alterthümern der Kirche eines uralten hölzernen Kreuzes. 
Es hängt mitten in der Emporkirche mit eiſernen 
Klammern befeſtigt. Es iſt 10 Schuh lang und 1% 
Schuh dick und beſteht aus runden Balken, in welche 
55 hölzerne Nägel eingeſchlagen ſind. Einer Sage 
zu Folge, wurde dieſes Kreuz von einem Braunecker 
mit bloßen Füßen von Rom bis hieher geſchleift. 
Wie kräftig müſſen unſere Vorfahren geweſen ſein! 
kaum würde jetzt einer, der geübt im Tragen wäre, 


123 


dieſes Kreuz von der Herrgottskirche bis nach Creg— 
lingen ſchleifen. Neben dieſem Kreuz befindet ſich 
ein altes Kruzifix, das aber mit den Arbeiten an den 
Altären in keine Vergleichung geſtellt werden kann. 
Die an der ſüdlichen Wand der Kirche angebrachte 
Kanzel iſt nicht alt, aber doch der Beachtung werth; 
es iſt eingelegte Arbeit und hat lateiniſche Schrift 
rings herum und oben an der Decke. Beſteigen wir 
noch die Emporkirche, welche jetzt auf beiden Seiten 
durch runde Fenſter beleuchtet iſt, ſo ſehen wir eine 
ſchöne, mit gothiſchen Ornamenten verzierte Orgel von 
gutem Ton, welche der edle Vaterlandsfreund Jo— 
hann v. Dreher in Stettin ſtiftete; dabei haben 
wir von hier aus den ſchönſten Ueberblick über die 
Kirche und den Marienaltar, beſonders aber auch 
gegen den Chor hin, von wo aus ſich die gemalten 
Scheiben äußerſt ſchön darſtellen. 

Nachdem wir die Merkwürdigkeiten der Herrgotts— 
kirche betrachtet, geben wir noch Einiges über ihre 
Geſchichte. Ueber die Entſtehung der Kirche, ſowie 
die Einweihung der ſämmtlichen Altäre berichtet eine 
alte Urkunde Folgendes: „Zu wiſſen iſt, daß in dem 
Jahr nach Chriſti Geburt unſers lieben Herrn tauſend 
dreihundert und in dem vierundachtzigſten Jahre, an 
dem Abend des heil. Marterers Santi Laurentii iſt 
gefunden worden das hochwürdig Saerament der 
Fohnleichnam Chriſti unſers lieben Herrn an der 
Stat, da 9zund der unterſt Altar iſt geſetzt die— 
ſer Capellen; da iſt darnach an ſolcher Stat viel 


* 


124 


wunderlicher Zeichen geſchehen. Da nun der Edel— 
herr, Herr Cunrad, und darnach Herr Gottfried ſein 
Bruder, Grafen und Herren zu Braunek, ſolch offen⸗ 
bare wunderliche Zeichen ſichtiglich geſehen und ge— 
höret haben, da haben ſte dem hochwürdigen Sacra— 
ment zu Lob und zu Ehre angehoben zu bauen die 
löbliche würdige Capelle mit dem heiligen würdigen 
Almoſen aller glaubhaftigen Menſchen. Und darnach 
in dem Jahre nach Chriſto unſers lieben Herrn Ge— 
burt tauſend dreihundert und in dem neunundacht⸗ 
zigſten Jahre, an dem Sonntage, da man in den 
Kirchen ſingt oculi mei, da iſt die Capelle geweiht 
worden mit den zweien unterſten Altären durch den 
hochwürdigen Vater und Herrn Johannſen, Biſchofen, 
und durch den ehrwürdigen in Gott Vater und Herrn 
Gerhard, Weihbiſchof des yzgenanten Herrn Jo— 
bannfen Biſchof zu Würzburg. Und darnach in dem 
Jahre nach Chriſti unſers lieben Herrn Geburt tau— 
ſend dreihundert und im ſechsundneunzigſten Jahre 
am nächſten Tag vor St. Lucie der heil. Jungfrauen 
iſt der oberſt Altar mitſammt dem Chor geweiht 
worden durch den ehrwürdigen Vater und Herrn Jo— 
hannſen Biſchof Nickopolenſis. Zu wiſſen iſt auch, 
daß der unterſt Altar geweiht iſt in der Ehre des 
hochwürdigen Sacramentes des Frohnleichnams Chriſti 
unſers lieben Herrn, und der lieben Heiligen. Und 
der Altar in dem Chore iſt geweiht in der Ehre der 
heil. Frauen St. Anna, der Mutter Maria, und in 
der Ehre St. Endres, des heil. Zwölfboten, und in 


125 


der Ehre St. Chriſtofels des heil. Märterers. Und 
der Altar hinten zu der rechten Seiten iſt geweiht 
in der Ehre des heil. St. Johannſen des Vorläufers 
und Täufers unſers lieben Herrn Jeſu Chriſti; und 
in der Ehre St. Lienhard des heiligen großen Noth— 
helfers und Beichtigers.“ Schon im Jahr 1386 
wurde dieſe Capelle unſers lieben Herrn, oder zu 
unſerm Herrn Gott mit einem eigenen Kaplan 
verſehen. Pabſt Bonifazius IX. war der erſte, der 
die Glaubigen auf die Herrgotts-Capelle im ſtillen 
und unbekannten Thale hinwies und ihr einen be— 
deutenden Ruf verſchaffte. In der Ablaßbulle vom 
Jahr 1394 heißt es unter Anderem alſo: „Bonifazius, 
Biſchof u. ſ. w. gemeiniglich an alle glaubhaftige 
chriſtliche Menſchen — wir begehren, daß die Capelle 
des heil. Fronleichnams Chriſti, gelegen bei der Stadt 
Creglingen, Würzburger Bisthums, mit bezuͤglichen 
ziemlichen Ehren ſtetiglich heimgeſucht und auch im 
Weſen behalten werde; und auf daß die Chriſtgläu— 
bigen von Andacht wegen lieber zuſammen kommen 
zu der vorgenannten Capellen, zu ihrer Aufrechthal— 
tung ihre chriſtliche Hände ſchneller reichen, und aus 
derſelben himmliſchen Gabe, die ſie geben, deſto frucht— 
barlicher geſpeist und erquickt werden von der all— 
mächtigen Gottesbarmherzigkeit — ſo verheißen wir 
allen wahrhaftigen Büßern, die eine wahre Reue und 
laute Beicht gethan haben, und in die genannte 
Capelle kommen mit ihrem andächtigen innigen Gebet 
und ihr heilig Almoſen reichen und da laſſen, an 


126 


dem Tag der Geburt Chriſti u. ſ. w. — die follen 
verdienen an einem jeglichen Tag beſonder drei Jahr 
Gnad und Ablaß ihrer Sünd, darum ein jeglich 
Menſch ſo lang in dem Fegfeuer brennen und braten 
und leiden müßt. Wer auch, zu welcher Zeit im Jahr 
das geſchehe, in die genannte Capelle komme und ihr 
hilflich und fürderlich ſei mit Worten oder durch 
Werke, der ſoll an demſelben Tage jeglichem verdienen 
100 Tag Ablaß.“ Noch reichere Abläſſe ertheilten 
die Päbſte Sixtus IV. und Julius. Im Jahr 1430 
erlaubte Pabſt Martin V. dem Burggrafen Michael 
zu Magdeburg und Herrn zu Braunek, zwei neuge— 
ſtiftete Benefizien und Vitarien zu St. Johannes 
dem Täufer und Johannes dem Evangeliſten, mit 
dem ihm vorbehaltenen Patronatsrecht daſelbſt einzu— 
fuͤhren, welche Biſchof Johann II. zu Würzburg im 
Jahr 1432 beſtätigte. Im Laufe der Zeit erhielt die 
Herrgottskapelle auch ein ziemliches Vermögen an 
Gütern und Nutzungen. Ums Jahr 1477 wurde zu 
Ehren des Nikolaus Baur, weiland oberſten Caplans 
an der Capelle, von ſeinen nächſten Sippen ein 
Gulden Zins zu einem Jahrtag geſtiftet „zu Troſt 
und Seeligkeit des Herrn Nikolaus Baurs ſeeligen 
Seele, auch aller ſeiner Eltern, auf ein nemlichen 
Tag ſechs Meßen mit Vigilien und andern zu halten.“ 
Ums Jahr 1488 wurde fur Gilg Baur, einſt Pfarr: 
beren zu Awe (Au), der ein Geſippter des genannten 
Gilg Baur war, noch ein halber Gulden Zins ge— 
ſtiftet, damit der obgenannte Jahrtag von wegen 


127 


Herrn Gilgen und auch feiner Seelen mit noch ſechs 
Aemtern der heiligen Meß erſtattet, alſo daß hinfüro 
auf ſolchen Jahrtag zwölf gehalten werden möchten. 
Wir ſehen aus dieſen beiden Stiftungen, was im 
15. Jahrhundert ein Gulden und ein halber Gulden 
für eine bedeutende Stiftung geweſen, und was man 
damit ausrichten konnte, und ſollte auch ein ſolcher 
Gulden ein Goldgulden geweſen ſeyn. — Die vielen 
Abläſſe, mit welchen die Herrgottskirche nach und nach 
begabt wurde, verſchafften ihr bald einen fo bedeuten: 
den Ruf, daß ſich zu gewiſſen Zeiten, beſonders am 
Fronleichnamstag und an den Tagen der heil. Bar— 
bara, Maria und Margaretha, eine ſo unzählbare 
Menge Wallfahrer hier einfand, daß nicht ſelten das 
Thal und die Thalwände bis auf die Kuppen der 
Berge, ſo weit man die Kirche mit dem Auge er— 
reichen kann, mit Andächtigen beſetzt war. Wir dür⸗ 
fen uns auch nicht wundern, denn manche der Ab— 
läſſe waren ſo lockend, daß ſie unter gewiſſen namhaft 
gemachten Umſtänden alle Freitage 18000 bis 80000 
Jahre Ablaß tödtlicher Sünden verſprachen. Aus 
jener Zeit mögen ſich die ſonderbaren Namen her— 
ſchreiben, welche einzelne, die Capelle umgebende Berge 
erhielten, ſo z. B. Bettäglich, Greinberg, Herrgottsberg, 
Handbuch und andere. Als die Reformation einge— 
führt wurde, hörte das Wallfahrten auf, und die 
Herrgottskirche wurde von nun an mit dem ſie um— 
gebenden Kirchhof zu einem noch wichtigeren Zwecke 
beſtimmt. Der Kirchhof iſt für die Stadt Creglingen 
A 


128 


und die Filialien Begräbnißplatz geworden, die Kirche 
aber wird zu Trauergottesdienſten benützt. 


Die Gründung der Herrgottskirche. 


Etwa eine Stunde von der Stadt Creglingen ent— 
fernt, auf dem Vorſprung eines ſteilen Hügels, ſtehen 
die Ruinen der Burg Braunek (Brunek, Brunegge), 
welche einem Hauptzweig der Dynaſten von Hohenlohe 
den Namen gab. Im Jahr 1380 bewohnten die 
Gebrüder Gottfried und Cunrad von Hohenlohe, die 
Letzten des Geſchlechts von Braunek, dieſe Burg. Im 
Jahr 1368 war ihr Vater Gottfried Todes ver— 
ſchieden, und zwar jählings, durch einen Sturz vom 
Pferde, alſo, daß er keine Zeit mehr hatte, ein Teſta— 
ment über Theilung der Güter zwiſchen ſeinen Söh— 
nen zu machen. Wär auch nicht nöthig geweſen, 
denn ihr Vater hatte fie noch bei Lebzeiten immerdar 
ermahnt, ſich als Brüder zu lieben, und ihre Mutter 
ſelig, die drei Jahre dem Vater im Tode vorange— 
gangen war, hatte ihnen oft die ſchönen Worte des 
Pſalms vorgehalten: ſiehe, wie fein und lieblich iſt 
es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen, 
daſelbſt verheißt der Herr Segen und Leben immer 
und ewiglich. Solche Ermahnung war an ihnen 
nicht umſonſt geweſen, bald gaben fie eine Probe 
davon. Denn als im Jahr 1371 ihr Vetter Ulrich 
von Braunek, genannt von Neuenhaus oberhalb 
Mergentheim, Todes verſchieden, und dieſe ſtattliche 


129 


Burg an die beiden Brüder überging, da machten fie 
auch jetzt keine Theilung, ſondern beſaßen beide Bur— 
gen mit einander gemeinſchaftlich, bis ſie die zwar 
ſchöne, aber zu entfernt gelegene Burg Neuenhaus 
an den deutſchen Orden verkauften. Da beide Brüder 
bereits um dieſe Zeit verehelicht waren, ſo hätte wohl 
einer von ihnen auf die Burg Neuenhaus ziehen 
können, aber ſie waren gar zu ſehr an einander ge— 
wöhnt, alſo daß ſie ihren Hausſtand nicht theilen 
mochten. Ihre beiden Hausfrauen, was doch wunder— 
ſelten der Fall iſt, vertrugen ſich alſo im Frieden, 
daß ſie an einem und demſelben Heerd mit einander 
kochten, und ſich mit ihren Kindern und Ehhalten in 
einem und demſelben Saale der Burg vertrugen. 
Frau Anna von Hohenlohe, Herrn Cunrads Hausfrau, 
und Frau Williberg von Rienek, Herrn Gottfrieds 
Gemahl, liebten ſich wie zwei Schweſtern, die unter 
Einem Mutterherzen gelegen, und dieſe innige Liebe 
der Männer und Frauen auf Burg Braunek war 
auch auf die Kinder übergegangen. Herr Cunrad von 
Braunek hatte nur ein einziges Töchterlein, und ſein 
Bruder Gottfried nur ein Söhnlein; auch dieſe beiden 
liebten ſich wie Geſchwiſtrige, und ebenſo war jedes 
von beiden den beiderſeitigen Eltern alſo zugethan, 
daß Herrn Gottfrieds Söhnlein nicht wußte, ob ihm 
Vater und Mutter oder Oheim und Muhme lieber 
wären, und ebenſo war es bei Cunrads Töchterlein. 
Weil aber Herr Cunrad von Braunek von Gott nur 
mit einem Töchterlein geſegnet war, und keine Hoff— 
II. 8 9 


* 


130 


nung mehr hatte, daß ſeine Hausfrau noch eines 
Kindes geneſen würde, dieweil ſie ſchon ſieben Jahre 
nimmer geboren hatte, To hatte er ſich ſchon längſt 
vorgeſetzt, von ſeinen zeitlichen Gütern Etwas Gott 
zu Ehren zu opfern, und dazu gab es bald eine Ge— 
legenheit. Es war im Jahr 1384, am Abend des 
heil. Märtyrer Laurentii, da wurde an der Stelle, 
da jetzt die Herrgottskirche ſteht, das hochwürdige 
Sacrament, der Fronleichnam Chriſti unſers Herrn 
aufgefunden; ein Ackersmann hatte das Heiligthum 
aus dem Boden geackert, allwo es mehrere Jahre tief 
verſcharrt gelegen und ganz unverſehrt geblieben war. 
Gerade ritt Herr Cunrad des Wegs, er wollte ſeinen 
Vetter Götz von Hohenlohe auf Burg Lichtel ober— 
halb des Münſterthals heimſuchen. Da erzählte ihm 
der Bauer von der wunderbaren Geſchichte und zeigte 
ihm den Fronleichnam des Herrn, den er ſoeben aus 
der Erde geackert hatte. Herr Cunrad von Braunek 
erkannte dieß alsbald für ein Zeichen, das ihm von 
Gott geworden wäre, daß er allda dem Herrn zu 
Ehren eine Capelle erbauen ſollte. Zur Stunde faßte 
der Edelherr den frommen Vorſatz, alſo zu thun, 
und wollte er das verrichten von ſeinem eigenen 
Vermögen, von den Gülten, Zinſen und Zehenten, 
die er in dieſem Jahr ſo reichlich von ſeinen Grund— 
holden zu Sechſelbach empfangen hatte. Aber er 
ſollte nicht alleine ſeyÿn, der unſrem Herrn Gott zu 
Ehren eine Capelle erbauete, denn, ſobald er auf 
Burg Braunek zurückkam und ſeinem Bruder von 


131 


dem Wunder meldete, auch ſein frommes Vorhaben 
demſelben offenbarete, da ſprach Gottfried ſein Bruder: 
da ſei Gott für, daß du allein dem Herrn eine 
Capelle baueſt! — hat er mich nicht ebenſo reich mit 
Gütern geſegnet wie dich? haben nicht meine Aecker 
der Früchte die Menge gegeben, auch meine Obſt— 
bäume und Weinſtöcke im Ueberfluß getragen? Dem— 
nach vergönne auch mir die Ehre, daß ich mit dir 
baue eine Capelle an heiliger Stätte, da ſich der liebe 
Herregott ſo wunderbarlich geoffenbaret. Dagegen 
war auch nicht Bruder Cunrad, und er vergönnte 
ihm williglich die Freude, mit ihm zu bauen an einer 
Capelle, Gott dem Allmächtigen zur Ehre. Von 
Stund an gingen beide Brüder daran, ihr Vorhaben 
auszuführen. Die ſtattlichen Roſſe im Marſtall der 
Edelherren durften von nun an ſelten mehr reichge— 
ſchmückte Schabraken und Sättel tragen, ſie wurden 
an ſchwere Karren geſpannt, und mußten tagtäglich 
in die Nähe des Fleckens Freudenbach traben, allwo 
die Hinterſaßen der Edelherren im Steinbruch Laſten 
von mächtigen Quadern hieben, mit denen die Pferde— 
knechte die Karren beluden, um fie ins Münſterthal 
zu führen. Als viele Laſten Steine an der Stätte 
lagen, wo die Capelle gebaut werden ſollte, da wur— 
den in den Wäldern der Edelherren große Eichen ge— 
fällt, und gleichfalls zur Stelle gebracht. Als nun 
Alles, Holz und Steine, im Ueberfluß an der Stätte 
vorhanden war, da beſtellten die Herren Steinmetzen, 
Bildhauer und Zimmerleute, um den Bau der Capelle 
0 


132 


zu fördern Die Werkleute arbeiteten gar fleißig, 

wozu ſie auch die Gebrüder von Braunek ernſtiglich 
anhielten, ſintemalen ſie tagtäglich abwechslungsweiſe 
ab ihrer Burg ins Münfterthal ritten und ihnen zus 
ſprachen. Vor Allem aber thaten ſie denſelben fleißig 
Zuſpruch mit manchem guten Trunk Tauberwein, 
denn wo die Maurer mit Wein den Mörtel anmachen, 
da gibt es ein feſt Mauerwerk, und die Arbeit geht 
raſch vorwärts. Alſo geſchah es, daß die Capelle, 
die in der Wochen nach St. Lorenzen des Jahrs 1384 
begonnen worden, mit Lichtmeß des Jahrs 1386 be— 
reits unter Dache ſtand und man in ihr am ein— 
fachen Steinaltar Meſſe halten konnte. Aber erſt 
im Jahr 1389 am Sonntag, da man in der Kirche 
ſinget oculi mei, da iſt die Capelle geweihet worden 
mit den zwei unterſten Altären durch den ehrwürdi— 
gen Herrn Gerhard, Biſchof zu Würzburg, und Herrn 
Johannſen ſeinen Weihbiſchof. Das war ein feſtlicher 
Tag für die ganze Umgegend, beſonders für alle Be— 
wohner der Burg Braunek und ihre Hinterſaßen, als 
man die Capelle im Münſterthal zu Ehren des hei— 
ligen Seligmachers Jeſu Chriſti unſers lieben Herrn, 
oder zu unſrem Herrn Gott weihte, weßhalb man 
ſie auch ſpäterhin Herrgottskirche nannte. Man 
hätte ſie auch mit Fug und Recht die Kirche zur 
Bruderlieb weihen dürfen, ſintemalen ſich Bruder— 
liebe vor und bei dem Bau alſo kund gethan, daß 
Liebe und Eintracht der Brüder der heiligen Stätte 
gleichſam die erſte Weihe gegeben. Seitdem iſt dieſe 


> 133 


Herrgottskirche eine der beſuchteſten Wallfahrtskirchen 
im ganzen Frankenlande geworden, beſonders von der 
Zeit an, da ſie in dem herrlichen Marienaltar ihr 
ſchönſtes Kleinod erhalten. 


Das Nachtglöcklein zu Creglingen. 


Kaum eine Viertelſtunde aufwärts, an der Tauber— 
brücke zu Creglingen, ſteht ein hoher Thorthurm, der 
wohl ein gleiches Alter, wie die Herrgottskirche haben 
mag. In ſeinem oberen Stocke befindet ſich ein Uhrwerk 
mit einer helltönenden Glocke. Dieſe wird jeden Win— 
ter von Martini bis Lichtmeß Abends 8 Uhr 10 Mi— 
nuten lang geläutet. An dieſe Glocke, das fogenannte . 
Nachtglöcklein, knüpft ſich eine liebliche Sage. Einſt 
in rauhen Wintertagen ging eine Jungfrau durch den obe— 
ren Taubergrund. Sie verſpätete ſich, und es wurde 
Nacht. Die Schneeflocken fielen ſo dicht, daß ſie bald 
keine Spur mehr von einem Wege unterſcheiden konnte. 
Da rief ſie voll Zagen und Bangen: erſcheint Nie— 
mand, der mir den Weg zeige und mich errette aus 
dieſer Noth? Aber keines Menſchen Stimme gab 
ihrem Rufe Antwort; der Winterſturm wehte fort 
und die Wellen der Tauber erbrausten immer wilder. 
Zitternd und bebend kniete ſie nieder auf den ſchnee— 
bedeckten Boden und flehte zum Himmel: ach! er— 
barme dich, himmliſcher Vater, und zeige mir die 
rechte Bahn, auf daß ich Rettung finde! Kaum hatte 
ſie das Wort geſprochen — ſiehe da! eines Glöckleins 

0 


134 


Ton klang ſilberhelle in ihr Ohr, und zu gleicher 
Zeit zeigte ſich eine Capelle vor ihrem erſtaunten 
Blicke. Da auf einmal war alle ihre Sorge ver⸗ 
ſchwunden. Freudig trat ſie in die Capelle ein, nahte 
dem Altar und ſank voll Dank und Andacht an ſei— 
nen Stufen nieder. Gelobet ſeiſt du, gütiger Gott, 
ſo betete ſie, der mich errettet hat aus des Sturmes 
Toben, und in der Finſterniß mir liebend ſeine Vater— 
arme reichte. Darum gelobe ich zur Stunde, hier zu 
ſtiften ein Geläut, deſſen Klang der Pilger höre, 
wenn er des Nachts wandelt durch dieſe Bergſchluchten, 
und ein Wetter ihn ereilet! Was ſie in jener heili— 
gen Stunde gelobt hatte, das vollführte ſie auch. 
Sie ſtiftete in den alten Thurm der Stadt ein Glöck— 
lein, das um Mitternacht angezogen wird, und noch 
jetzt ſeinen Klang durch das Tauberthal ſendet, um 
manchem irrenden Pilger in der Nacht den rechten 
Weg zu zeigen. Wie gut wäre es, wenn ſolche 
Glöcklein auch magiſche Kraft übten auf die moraliſch 
Verirrten; da wäre es der Mühe werth, über jedem 
Orte eine ſolche Silberglocke ertönen zu laſſen. 


135 


III. 


Ruine Hohengerhauſen 
im Blauthal. 


Auf einer ſchroffen Felſenſpitze in dem durch ſeine 
Burgen und Felsparthien herrlichen Blauthale, noch 
über dem ſogenannten Frauenberg, ſtehen die Ruinen 
der mächtigſten Burg im Thal, genannt Hohen— 
gerhauſen, die einen äußerſt maleriſchen Anblick 
bieten. Wie groß auch die Verheerungen in der 
Burg geweſen ſeyn mögen, man erkennt doch noch 
unter ihren Trümmern das Burgthor, die Mauern 
und Vorwerke, die ſie von Außen ſchützten, ſowie die 
Hauptzinne im Innern auf dem höchſten Punkte. Es 
ſteht noch ein gewaltiger Mauerſtock, von ſchönen 
Buckelquadern aus Tuffſteinen gehauen, 15 — 20 Fuß 
ins Gevierte. Er ſcheint dem kühnen und merkwür— 
digen Bogen zum Stützpunkt gedient zu haben, der 
zur Hälfte geſprengt, lange Zeit frei in die Luft 
hinausragte, und vorher die Verbindung von einem 
Felſen auf den andern herſtellte. Innerhalb der 
Ruinen befindet ſich ein großes, ganz in den grauen 
Marmorfelſen mit Kunſt gehauenes Gewölbe. Ehmals 
ſtanden auf der Burg zwei hohe Thürme, von denen 
der eine das eiſerne Haus geheißen, weil deſſen Ein— 
geweide nur aus eifernen Schleudern beſtand; der 


* 


136 


andre hieß der Rieſenthurm. Auch der ganze Fels 
war, wie auf der Burg Hohenkrähen am Bodenſee, 
mit Höhlungen und Gewölben verſehen, daß ſich ganze 
Schaaren von Rittern mit ihren Pferden darin auf— 
halten konnten, während ſie zu Zeiten auch zu Ma— 
gazinen dienten. 

Die Burg Hohengerhauſen iſt wohl die älteſte im 
Blauthal. Schon im Jahr 1000 und 1060 werden 
ihre älteſten Beſitzer, die Grafen Adelbert und Hugo 
genannt, welche ſich davon geſchrieben. Im Jahr 
1092 wird in einer Verhandlung zu Bempflingen 
zwiſchen den Stiftern von Zwiefalten, dem Grafen 
von Achalm und ihren Neffen ein Graf Hartmann 
von Gerohuſin genannt. Derſelbe zeugt auch im 
Jahr 1100 in der Stiftungsurkunde des Kloſters 
Ochſenhauſen. Das alte Grafen- oder Dynaſtenge— 
ſchlecht ſcheint ſchon frühe ausgeſtorben zu ſeyn, die 
Burg kam an die Grafen von Helfenſtein, welche 
Burgmänner darauf hielten, die ſich von der Burg nann— 
ten. In dem Urbarium des längſt abgegangenen Klöſter— 
leins Weiler bei Blaubeuren wird eines Juſts von 
Gerhauſen gedacht, gegen den die Meiſterin des Kloſters, 
Clara von Gemmingen, beim Grafen von Helfenſtein 
Klage erhoben, wegen Beeinträchtigung durch die 
Jagd im Forſt ihres Klöſterleins. Juſt war alſo 
ein Helfenſtein'ſcher Dienſtmann. Im Jahr 1282 
lebt Friedrich von Gerhuſen, und im Jahr 1292, 
ſowie im Jahr 1294 zeugt ein Ritter Gebehard, Vogt 
auf Gerhuſen. Im Jahr 1309 iſt wieder ein Frie⸗ 


137 


drich von Gerhuſen Zeuge bei einem Verkauf zu Aſch. 
Dabei wurde die Burg dennoch auch von den Grafen 
von Helfenſtein bewohnt, denn bei einer Theilung der 
Helfenſtein'ſchen Güter im Jahr 1356 räumte Graf 
Ulrich der Aeltere von Helfenſtein ſeinem Vetter 
Graf Ulrich dem Jüngeren den Sitz auf Gerhauſen 
ein. Man hat noch ein Verzeichniß von Geräth— 
ſchaften, welche „der alte Herr, Herr Ulrich von Ger— 
huſen, (nach Hiltenburg) gebracht, worunter ſich ins— 
beſondere die Stücke, welche Ulrichs junger Gemahlin, 
einer Prinzeſſin von Bosnien angehörten, durch Koſt— 
barkeit auszeichneten.“ In jene frühe Zeit, da die 
Grafen von Helfenſtein die Burg bewohnten, und 
die Herren von Ruck noch gegenüber auf dem Rucken— 
ſchloß ſaßen, gehört das bekannte Wort: 


Hüt dich Ruck, 
Daß dich Gerhus nit verdrud. 


Die beiden Nachbarn gegenüber waren ſtets wider 
einander, bis auch das Ruckenſchloß Eigenthum der 
Grafen von Helfenſtein wurde. Dieſe Grafen von 
Helfenſtein auf Gerhauſen mil en reiche Herren ge— 
weſen ſeyn — ſie hatten eigene Straßen von Ger— 
hauſen bis in ihre Herrſchaft Wieſenſteig, Helfenſtein 
und Heidenheim angelegt, und je von zwei Stunden 
zu zwei Stunden waren Denkſteine an den Straßen 
aufgerichtet, auf denen ihr Wappen (der Elephant) 
eingehauen war. Noch ſind Spuren von ſolchen 
Straßen vorhanden, die man Herrenwege nennt. Auch 

* 


138 


erzählt man in dem nur eine Viertelſtunde von Ger: 
hauſen entfernten Dorfe Sunderbuch von einem Gra— 
fen von Helfenſtein, deſſen Pferd, als er da vorbei 
ritt, ein ſilbernes Hufbeſchläg verloren. Ein armer 
aber redlicher Mann fand das Beſchläg und trug es 
dem Grafen nach. Der aber gab ihm ſtatt des 
Trinkgelds eine tüchtige Ohrfeige und rief: armer 
Teufel! warum haſt du das Beſchläg nicht behalten, 
und dir damit eine Nahrung verſchafft? Im Schloß 
hab' ich noch genug dergleichen. — Doch ſahen ſich 
dieſe reichen Herren von Helfenſtein bald veranlaßt, 
ihrer Schulden halber eine Beſitzung nach der andern 
zu verkaufen. Schon im Jahr 1303 verkaufte Graf 
Ulrich von Helfenſtein um 500 Mark Silber die drei 
Veſten Gerhauſen, Ruck und Blauenſtein ſammt der 
Stadt Blaubeuren an Herzog Rudolf von Oeſterreich, 
der ſie ihm aber wieder als Lehen zuſtellte. Im Jahr 
1390 verpfändete Graf Johann von Helfenſtein die 
Burg an Herrn Luz von Landau. Die Ulmer nahmen 
dem von Landau aus Neid dieſe und andre feſte 
Burgen weg, aber Luz eroberte ſie ſchnell wieder, an 
Mariä Himmelfahrt im Jahr 1393, während der 
größte Theil der Beſatzung auf Gerhauſen einer 
Prozeſſion im Kloſter beiwohnte. Wohl nach dieſer 
Zeit ſaßen die Rußen oder Reußen, die in dieſer 
Gegend begütert waren, auf der Burg. Vielleicht 
erhielt ſie davon im Munde des Volks den Namen 
Reußen⸗, Rußenſchloß. Im Jahr 1439 war ein Hans 
von Werno (au), der Eine von Reußenſtein zur Frau 


139 


hatte, auf Gerhauſen ſeßhaft. Derſelbe mußte das 
Oeffnungsrecht auf Reußenſtein, ſo wie auf Gerhauſen 
der Herrſchaft Wirtemberg zuſichern. Im Jahr 1448 
kam die Burg ganz und gar an Wirtemberg, denn 
Graf Conrad von Helfenſtein verkaufte ſie mit den 
Burgen Ruck und Blauenſtein ſammt der Stadt 
Blaubeuren um 40,000 fl. und 200 fl. Leibgeding 
an den Grafen Ludwig von Wirtemberg, der ſofort 
von Herzog Albrecht von Oeſterreich damit belehnt 
wurde. Die Grafen von Wirtemberg ſetzten einen 
Forſtknecht (Forſtbeamten) auf die noch bewohnbare 
Burg; doch kam ſie nach und nach immer mehr in 
Abgang. Im Jahr 1632 wurde von Wirtemberg 
aus befohlen, das ſehr in Abgang gerathene Schloß 
in aller Eile ſo gut als möglich auf den Fall nöthi— 
ger Defenfton zu repariren. Doch konnte ſie um 
dieſelbe Zeit noch einen vornehmen Gaſt beherbergen, 
denn die Erzherzogin Claudia, Wittwe des Erzherzogs 
Leopold, ſuchte auf dem Schloß eine Zeit lang ein 
ſicheres Aſyl, wo ſie mit den Ihrigen wohl geborgen 
war. Fürſtlich war die Bedienung, welche ihr hier 
zu Theil wurde; es paradirte ſogar eine Schloßwache 
vor dem Thor, das dem Einfall drohte. Beim Ab— 
ſchluß des weſtphäliſchen Friedens ſollen die Franzoſen 
das Schloß demolirt haben. Gegen den Schluß des 
17. Jahrhunderts war Gerhauſen bereits eine groß— 
artige Ruine. Wie ſie damals ausgeſehen, darüber 
berichtet der alte treuherzige Pfarrer Rebſtock in ſei- 
ner „kurzen Beſchreibung von Würtemberg“ vom Jahr 
c 


140 


1693 alſo: „dieß uralte Bergſchloß Gerhauſen iſt bis 
in den 30jährigen Krieg bewohnt und in baulichem 
Weſen ziemlich erhalten worden, wie denn noch Anno 
ſechszehnhundert und etlich und zwanzig ein Forſtknecht 
auf dieſem Schloß gewohnt, bei welchem der noch 
lebende 80 jährige Schultheiß (im Dorf Gerhauſen) 
zu Koſt gangen, und ſind des Forſtknechts Buben 
aus dieſem Schloß in die Schul nach Blaubeuren 
geſchickt worden. Dieſer alte Mann iſt mit mir den 
jähen Berg über die zerfallene Mauren hineingeſtiegen, 
und mir alle Beſchaffenheit gezeigt, in welchem noch 
ſehr hohe Mauren von ſchönem Steinwerk, Keller, 
Gefängniſſe, Brunnen und Ciſternen zu ſehen. Dieſer 
alte Mann erzählte mir auch, daß der untere Berg 
gegen dem Dorf Gerhauſen der Frauenberg genennet 
werde, welches daher rühren ſolle, weil vor Zeiten 
eine Frau von Helfenſtein da gewohnt, ſo der Jugend 
zu Gerhauſen jährlich an ſolchem Berg einen Eimer 
Wein zu vertrinken geben. Nunmehr kommt dieſes 
Schloß von Tag zu Tag je länger je mehr in Ab— 
gang, die Stein und Mauren werden abgebrochen 
und zu andern Gebäuden verbraucht.“ Im Jahr 
1768 iſt die Ruine Gerhauſen an einen Bürger von 
Blaubeuren für 60 fl. auf den Abbruch verkauft 
worden. Dieſen ſchmählichen Verkauf hatte der Staat 
mit zehnfachem Schaden zu büßen, den die bei jedem 
neuen Abbruch herabrollenden Steinmaſſen in den 
unten liegenden herrſchaftlichen Waldungen anrichte— 
ten. Da wurden auf Antrag eines Cameralbeamten 


141 


Teichmann die Ueberbleibſel von den Erben des 
Käufers um 44 fl. zurückgekauft, und ſo die ſchönſte 
Ruine im Blauthal vom gänzlichen Untergang ge— 
rettet. 

Manche Sage knüpft ſich an den Felſen, der die 
Ruine trägt — hier drei, wie ſie noch jetzt unter 
dem Volk gehen. 


Der Ludomillen⸗Stein im Blauthal. 


Nicht weit von der Burg Gerhauſen ſtand noch 
vor einigen Jahrzehenten am Fuß einer ſchroffen Fels— 
wand ein Steinkreuz, auf dem eine Jungfrau mit 
lockigen Haaren abgebildet war, und dieſes Denkmal 
wurde Ludomillen-Stein genannt. Ueber ſeine Ent— 
ſtehung hat ſich im Munde des Volks eine ernſte 
Sage erhalten. 

Vor wohl 700 Jahren lebte auf der Burg Ger— 
hauſen die Letzte des uralten Dynaſtengeſchlechts dieſes 
Namens, die hieß Ludomilla. Sie war die ſchönſte 
Jungfrau im Blauthal, und Mancher, der ſie ſah 
und hörte, wenn ſie liebeglühende Lieder zur Harfe 
ſang, wurde von einem gewaltigen Zauber ergriffen. 
Leider! wohnte in dem zarten Frauenherzen ein wilder 
Sinn, denn nicht nur verſtand ſie die Saiten der 
Harfe, ſondern ſie war auch gewandt, die Sehne des 
Bogens zu ſpannen, und den Pfeil ſicher nach ſeinem 
Ziele zu ſenden. 

Auf der Burg Gerhauſen fand jeder Fremdling 

* . 


142 


gaftliche Aufnahme und freundlichen Willkomm. Immer 
die liebenswürdigſten Gäſte wußte Ludomilla mit dem 
Zauber ihrer Schönheit, ihres Gefunges und ihrer Gaſt— 
freundſchaft auf der Burg hinzuhalten, wenn ſie aber 
ihres Umgangs ſatt geworden war, 4 entließ ſie ſie 
freundlich, doch kaum waren ſie durch das Thor der 
Burg geritten, ſo traf ſie ein tödtlicher Pfeil von 
derſelben Hand, die ſie zuvor liebgekost hatte. 

Auf dem Schloß Kaltenburg im Lonethal war 
großer Jammer und Herzeleid: der älteſte Sohn des 
Burgherrn war gen Ulm gezogen, wo Kaiſer Conrad 
damals einen Reichshof hielt, aber er kehrte nimmer 
in die Heimath zurück. Als man in Ulm nach ihm 
forſchte, da hieß es, er ſei bereits mehrere Wochen 
wieder von Ulm geſchieden, und nirgends konnte man 
von ſeinem Schickſal Etwas vernehmen. Von Kummer 
niedergebeugt wankte Ritter Albrecht auf Kaltenburg 
ſchnell dem Grabe zu; auf ſeinem Sterbelager mußte 
ihm Bruno, ſein jüngſter Sohn, verſprechen, nach 
ſeinem verlornen Bruder zu fahnden, und im Fall 
er in Feindes Gewalt wäre, ihn zu befreien, wenn 
er aber getödtet wäre, ſeinen Tod zu rächen. ©: 
bald fein Vater verſchieden war, machte ſich Bruno 
auf die Fahrt, um ſein Verſprechen zu erfüllen. 
Lange zog er das Land auf und ab, und forſchte 
auf allen Burgen, pochte an manchem Kloſter an, 
aber er konnte nicht die geringſte Spur von ſeinem 
Bruder entdecken. Eines Tags langte er in einem 
kleinen Thale an. Azurblau entſprang ein Flüßlein 


143 


aus einem breiten Felsbecken, und nicht ferne davon 
winkte hoch herab von der Höhe eine ſtattliche Burg. 
Hier an der blauen Quelle beſchloß Bruno zu raſten, 
und ſich und ſein Pferd mit kühlendem Tranke zu 
laben. So lag er lange ſtill und nachdenklich im 
kühlen Schatten der Gebüſche, während ſeine Ge— 
danken in der weiten Welt ſeinen Bruder ſuchten; da 
gewahrte er auf einmal ein flüchtiges Reh, das mit 
Keuchen die Weite ſuchte, und hinter ihm, auf einem 
edlen Roſſe ritt eine Jungfrau von blendender Schoͤn— 
heit, im reichen Jagdanzug mit Köcher und Bogen 
um den Nacken. Lange ſah Bruno der holden Er— 
ſcheinung nach, und lag träumend im Grünen, bis 
die Sonne in einem Glutmeer unterging und der 
freundliche Abendſtern am Himmel zu leuchten begann. 
Nun dachte er endlich daran, ein Nachtlager zu ſu— 
chen; er trieb ſein Pferd nach der Burg oben auf 
der Höhe, wo er bald anlangte und freundlich auf: 
genommen wurde. Hier ſah er zu ſeinem großen 
Entzücken die Jägerin, welche ſich ihm als Herrin 
des Schloſſes vorſtellte. Es war Ludomilla von 
Gerhauſen. Unter ſüßem Geſpräche mit ihr verſchwand 
Stunde um Stunde, bis die Mitternacht die im— 
mer noch Plaudernden zur Ruhe mahnte. Doch 
kein Schlummer ſenkte ſich auf Ludomillens Augen— 
lieder. Bis jetzt hatte ſie noch keinen Mann innig 
geliebt, ſondern ſie ſah in Allen nur das Werkzeug, 
ihre Luſt zu ſtillen; doch jest war zum erſten Mal 
in ihrem Herzen wahre innige Liebe zu einem Manne 
0 


144 


rege geworden. Zum erften Mal dachte ſie daran, fich ei— 
nen Gemahl zu wählen, und ſie entſchloß ſich, ihre Hand 
dem Gaſte zu ſchenken, dem ihr Herz ſeit ſeiner Ankunft 
zugefallen war. — Auch Ritter Bruno hatte ſich 
in ſein Gemach begeben. Alles war ſtill im Schloſſe: 
er trat an das offene Fenſter, ſchaute behaglich in 
die ſchöne Nacht hinaus, und hörte den lieblichen 
Klängen der Nachtigall zu, die ihr Lied von der 
Linde des Schloſſes ertönen ließ. Da auf einmal 
pochte es leiſe an die Thüre, und als er öffnete, 
ſtand vor ihm ein Mädchen in weißem Nachtkleide, 
mit einem Angeſicht, auf welchem die Augen gerne 
verweilten; in ihrem ſchwermüthigen Blicke lag ein 
Zauber, der tief ins Herz drang. Lange ſah der 
Ritter die Jungfrau verwundert an, da begann ſie 
mit melodiſcher Stimme: entſchuldigt, edler Ritter, 
daß ich zu einer ſo ungewöhnlichen Stunde komme, 
um Euch eine wichtige Mittheilung zu machen. Ein 
Schwur, den ich an heiliger Stätte gethan, ſo wie 
der Wunſch, Euch vom ſichern Tode zu retten, ver— 
anlaßt mich dazu. Ich bin eine Waiſe, und wurde 
ſchon früh von den Eltern Ludomillens, meiner 
Herrin, auf dieſe Burg gebracht, wo ich mit ihr er— 
zogen wurde. Meine Pflegeltern ſtarben und ich 
wollte das Schloß verlaſſen, wurde aber von Ludo 
millen beſtimmt, bei ihr zu bleiben, da ſie mich wie 
eine leibliche Schweſter liebe. Ich blieb, hielt mich 
aber meiſtens in meinem Gemach auf und ſah ſelten 
Ludomillen. Eines Abends, als ich von dem Walde 


145 


zurückkehrte, wo ich manchmal luſtwandelte, ſah ich, 
wie Ludomilla einem ſcheidenden Ritter, deſſen Pferd 
bereits geſattelt vor dem Schloſſe ſtand, einen zärt— 
lichen Abſchiedskuß reichte. Aber kaum war der Arg— 
loſe zu Pferde geſtiegen und einige Schritte von 
dannen geritten, ſo legte Ludomilla ihren Bogen an, 
und der Ritter ſank von ihrem nie fehlenden Geſchoße 
getroffen vom Pferde. Das Pferd des Getödteten 
wurde in den Stall geführt, der Leichnam aber wurde 
in eine nahe Ciſterne verſteckt. Von dieſem Tage 
an beobachtete ich Ludomillen genauer, und erfuhr, 
daß noch viele Ritter, nachdem ſie mit ihnen gebuhlt 
hatte und ihrer überdrüſſig geworden war, ein Opfer 
Ludomillens wurden. Einſt ging ich nach meiner 
Gewohnheit im Walde ſpazieren, da auf einmal 
ſprengten zwei vermummte Ritter heran, und einer 
von ihnen ſagte zu dem andern, indem ſie mich er— 
griffen und auf ein Pferd huben: wohl iſt es nicht 
die Rechte, doch fol fie unſre Beute ſeyn. Ich ſtieß 
einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht; als ich 
wieder aufwachte, fand ich einen ſchönen jungen Ritter 
mit mir beſchäftigt, und die beiden Räuber in ihrem 
Blute ſchwimmend am Boden liegen. Der Ritter 
ſetzte mich auf ſein Roß, und ging, nachdem er ſeine 
Wunden verbunden hatte, das Roß am Zügel führend, 
langſam neben mir her; er beſchwor mich, keine 
Angſt zu haben, und ihm zu ſagen, wo ich hinge— 
bracht zu werden wünſche. Ich bat ihn, mich nach 
der nahen Burg Gerhauſen zu geleiten, wo er ſelbſt 
10 


II. 1 


146 


. 


freundliche Aufnahme finden würde. Zugleich aber 
hielt ich es für Pflicht, ihn meinen Retter vor Zus 
domillens Argliſt zu warnen; ich beſchwor ihn, ja 
nicht ihren Liebesſchwüren zu trauen, denn der erſte 
Kuß von ihren Lippen, den ſie ihm reiche, weihe ihn 
zum Tode. Er verſprach mir, es zu thun und 
Morgen mit dem Früheſten ſein Roß ſatteln zu laſſen, 
um wieder von dannen zu ziehen. Aber meine War- 
nung war umſonſt. Ludomilla ſchlang auch um ihn 
ihre Zauberbande, er ließ ſich bethören, und auch er 
theilte das traurige Loos mit den Vielen, die ihm 
vorangegangen. Da legte ich ein feierliches Gelübde 
ab, jeden Ritter, der fürder in der Burg einkehren 
würde, vor Ludomillen zu warnen, wie ich eben Euch 
gethan. Als die Jungfrau geendet hatte, fragte 
Bruno: hat Euch Euer Retter nicht ſeinen Namen 
und ſeine Heimath genannt? Als ſeine Heimath 
nannte er, wenn ich nicht irre, das Lonethal, und 
ſein Name war Otto von Kaltenburg. Kaum hatte 
ſie den Namen ausgeſprochen, ſo rief Ritter Bruno 
ſchmerzvoll: o Gott! das iſt ja mein Bruder! So 
bin ich im Hauſe ſeiner Mörderin, aber ich will 
den Gemordeten fürchterlich rächen. Ich bitt' Euch, 
laſſet vor Niemanden merken, daß Ihr mir dieſe 
Mittheilung machtet. So gewiß ich Euch redlich 
gewarnt, erwiederte die Jungfrau — ich werde ſchwei— 
gen — Gott möge Euer Rächer ſeyn. Mit dieſen 
F verließ ſie den Ritter. 

So wenig Ritter Bruno ſonſt für Versen 


147 


fähig war, er zwang fich, feinen Schmerz zu verhehlen, 
und war am Morgen freundlich gegen Ludomilla, 
wenn er auch ihre Liebkoſungen kaum erwiederte. 
Aber gerade das fachte ihre Liebe noch mehr an, die 
ſie gleich beim erſten Zuſammentreffen gegen Bruno 
empfunden hatte. Es war am zweiten Tage ſeines 
Aufenthalts auf Gerhauſen — Ludomilla führte ihn 
auf einen hohen Felſen der Burg, von wo aus man 
das ſchöͤne Blauthal überblickte. Hier legte ſie dem 
Ritter das Geſtändniß ihrer Liebe ab. Da rief er 
mit zornrothem Angeſtcht: Scheuſal, wie ſollte ich 
Dich lieben können, da Du mir meinen Bruder ge— 
mordet und meinen Vater in die Grube gebracht! 
Wie vom Blitze gerührt ſtand Ludomilla — ſie 
zitterte und bebte, wankte an den Rand des Felſen 
und ſprach: Du willt mich nicht lieben, ſo vermähle 
ich mich mit dem Tode, dem ich ſo Viele geopfert — 
ſie warten meiner — Ludomilla ſtürzte hinab in den 
Abgrund, wo ſie an dem Felſen zerſchmetterte. — 
Bruno verließ zur Stunde die Burg — ihn begleitete 
die edle Jungfrau, feine Netterin, auf die Burg im 
Lonethal, wo ſie ihm bald Herz und Hand zum 
treuen Bunde reichte. 

An der Stelle, da Ludomilla den Tod fand, ließ 
Bruno ein Steinkreuz errichten, das die ſchreckliche Ge⸗ 
ſchichte verewigte. 


149 


Die Braut auf Gerhauſen. 


Auf einer Felſenſpitze über der Stadt Blaubeuren 
ſtand vor Zeiten die ſtattliche Burg Blauenſtein; ſie 
wurde frühe zerſtört, und an ihrer Stelle ein hölzer— 
nes Blockhaus erbaut, welches noch im Jahr 1773 
ſtand, und immer noch den Namen „Veſte oder Haus 
Blauenſtein, auch Blauhäuslein“ führte. Im ge— 
nannten Jahre wurde dieſes Blauhäuslein auf den 
Abbruch verkauft, und jetzt iſt kein Stein mehr von 
der ehmaligen ſtattlichen Veſte vorhanden. 

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ſaß 
auf Blauenſtein Graf Ulrich von Helfenſtein, dem 
auch die Nachbarburg Gerhauſen gehörte. Seine ſeit 
Jahren in Gott ruhende Gemahlin Frau Gertrud 
hatte ihm nur eine einzige Tochter geboren, welche 
die Freude und der Troſt ſeines Lebens hätte werden 
können, aber ſie wurde es nicht, denn die holde und 
minnigliche Hildegarde ſchenkte einem Manne ihre 
Liebe, der ihrem Vater zuwider war. Und warum 
war die Wahl Hildegardens keine dem Vater ge— 
nehme? Weil Herr Conrad von Gerhauſen, ein bie— 
derer und ritterlicher Junkherr, der Dienſtmann des 
reichen Grafen von Helfenſtein geweſen, denn, wie 
weiland ſein Vater Gebhard von Gerhauſen, ſo trug 
auch er von dem Helfenſteiner ſeine Burg zu Lehen 
und nannte ſich feinen Dienftmann. Dem ungeachtet 
hatte Conrad von Gerhauſen, ermuthigt von ſeiner 


149 


geliebten Hildegarde, es gewagt, frei und redlich vor 
den Grafen von Helfenſtein zu treten, und um die 
Hand der Tochter ſeines Lehensherrn zu werben, deren 
Herz er ſchon längſt beſaß. Die Werbung des jungen 
Ritters war keine glückliche. Mit barſchen Worten 
fuhr ihn der Graf an, verwies ihm ſeine Frechheit, 
daß er, der Dienſtmann, es wage, zur einzigen Tochter 
ſeines Herrn das Auge zu erheben, und ſchwur hoch 
und theuer, ſeine Tochter eher der Kirche zu weihen, 
als je ſeine Einwilligung zu dieſer Verbindung zu 
geben. Von nun an bewachte der Graf von Helfen— 
ſtein ſein Töchterlein mit Argusaugen, alſo daß 
Hildegarde nie über den Zwinger der Burg kam. 
Trotz dieſer ſtrengen Bewachung fand die Liebe Wege 
zur gegenſeitigen Verſtändigung — eine treue Amme 
ſetzte den Ritter von dem ſtrengen Entſchluſſe des 
Vaters in Kenntniß, und meldete ihm zugleich, wie 
Hildegarde bereit wäre, der Kindespflicht ihre innige 
Liebe zum Opfer zu bringen, wenn anders der Ge— 
liebte ſich dazu verſtehen könnte, auch zu entſagen. 
Mit ſchwerem Herzen fügte ſich Conrad von Gerhauſen 
in den Wunſch der Geliebten. Alsbald hinterbrachte 
Hildegarde ihrem Vater ihren Entſchluß, ſich in ſeinen 
Willen zu fügen, aber nur unter der Bedingung, 
wenn ſie den Schleier wählen dürfe. Graf Ulrich 
ließ ſeiner Tochter die Wahl, unter den vielen Gottes— 
häuſern eines zu ihrem künftigen Aufenthalt zu 
wählen, wozu ſie ihre Neigung hege. Hildegard ſchlug 
das in der Nähe befindliche alte Kleſter Söflingen 


150 


St. Clara Ordens vor, und der Vater gab willig 
ſein Jawort, weil dieſes Kloſter ſehr ſtrenge Clauſur 
hatte. Bald darauf begab ſich Graf Ulrich auf ſeine 
väterliche Burg Helfenſtein. Mit einem dort woh— 
nenden Bruder hatte er noch wegen der väterlichen 
Erbſchaft Ordnung zu treffen. Während er noch 
abweſend war, entſchloß ſich Hildegarde, ihre Fahrt 
in das Kloſter Söflingen anzutreten. Doch wollte 
fie nicht ſcheiden, ohne ihrem früheren Geliebten das 
letzte Lebewohl zu ſagen. Wieder war es die treue 
Amme, welche dem Ritter von Gerhauſen die Mel— 
dung machte, daß Fräulein Hildegarde am achten 
Tage vor Johannis des Taufers Tag nach Oſtern 
in der Frühe die Burg verlaſſen wolle, um nach 
Söflingen zu ziehen. Freudig wurde Ritter Conrad 
überrafcht, und in feinem immer noch liebeglühenden 
Herzen wurde ein Entſchluß gefaßt, den er glücklich 
durchführte. Hart an dem Felſen, der die Burg 
Gerhauſen trägt, mußte Hildegarde vorüberkommen. 
Noch in der Nacht ritt der liebende Ritter ab der 
Burg, und harrte mit einigen Reiſigen am Wege, 
bis die Erſehnte ſich nahe. Schon dämmerte der 
Morgen, da hörte man den Hufſchlag von Pferden 
auf der Straße — die kleine Reiſegeſellſchaft kam 
näher und näher — raſch der Ritter dem Fräulein 
entgegen, das von drei Reiſigen des Vaters begleitet 
war. Als Conrad ſeiner Geliebten nahe war, ſchlang 
er, ohne zu ſprechen, die Arme um ſie, hub ſie aus 
dem Sattel, die Anfangs Widerſtrebende, denn ſie 


151 N 


war keines ſolchen Grußes gewaͤrtig, ſetzte ſie vornen 
auf ſein Rößlein, und ſtracks ging es wieder der 
Burg Gerhauſen zu. Zu gleicher Zeit wandten ſich 
Conrads Reiſige gegen die Begleiter des Fräuleins, 
und während ſie mit einander handgemein wurden, 
jagte der Ritter mit ſeinem theuren Herzgeſpiel den 
Burgweg hinauf, und brachte die mühſam Errungene 


in ſichern Gewahrſam. Hildegarde erholte ſich bald 


von ihrem Schrecken, denn ſie lag ja in den Armen 
ihres Geliebten, dem ihr Herz noch nie recht entſagt 
hatte, wenn auch ihr Wille ſich dem ſtrengen Willen 
des Vaters gefügt. Bald folgten die Reiſige ihrem 


Herrn, denn ſie waren ſchnelle mit denen von der 


Burg Blauenſtein fertig geworden, und ſchickten ſie 
mit blutigen Köpfen heimwärts, um die Kunde zu 
bringen, wie unglücklich die Kloſterfahrt abgelaufen ſei. 
Wenige Tage darauf kehrte Graf Ulrich von Helfen— 
ſtein wieder auf ſeine Veſte zurück; wie erſchrack er, 
als er vom Raube ſeiner einzigen Tochter hörte! 
Einen Schwur that er zum Himmel, er wolle ſein 
Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er ſich an dem 
frechen Räuber feines Kindes ſchrecklich gerächt habe, - 
aber dieſe Rache ſollte ein Gewaltigerer an ſeiner 
Statt ausführen. Stracks eilte er nach Ulm, wo 
gerade König Rudolf von Habsburg einen Reichshof 
hielt. Wie er in Thüringen ſeinem Gebote gegen die 
Landfriedensbrecher ſchrecklichen Nachdruck gegeben, und 
unzählige Raubburgen theils in eigener Perſon, theils 
durch Vollzieher ſeiner Befehle hatte brechen und 


* 


152 


zerftören laſſen — ebenſo war er in Ulm erſchienen, 
um von da aus auch im Schwabenlande ein ſtrenges 
Racheamt gegen die Störer des gebotenen Landfriedens 
zu üben. So war dem Könige die Klage des Grafen 
von Helfenſtein wohl keine unwillkommene, und gleich 
am andern Tage nach der Ankunft des Grafen zu Ulm, 
ſammelte er eine Schaar von Rittern und Reiſigen, 
und zog vor die Burg Gerhauſen, um ſie ſtrenglich 
zu belagern. Voran ſchickte er gütliche Verhandlun— 
gen und forderte die Geraubte im Namen ihres tief— 
gekränkten Vaters zurück. Die gütliche Verhandlung 
blieb fruchtlos, Conrad von Gerhauſen weigerte ſich, 
die Thore der Burg zu öffnen und ſeine Geliebte 
zurückzugeben, die er nicht gegen ihren Willen in 
ſeiner Burg halte. Da entbrannte der Zorn des 
Königs, daß ein ſo geringer Vaſall dem Willen des 
Reichsoberhaupts widerſtrebe, auch alle im Heere an— 
weſenden Ritter und Herren waren auf's äußerſte 
aufgebracht, und gelobten Rache zu nehmen am 
frechen Störer des Landfriedens. Mehrere bekannte 
Ritter aus Schwabenland, die ſeither an allen ritter- 
lichen Unternehmungen König Rudolfs Theil ge— 
nommen, die unter ſeinen Fahnen tapfer gekämpft, 
und an der Spitze ſeines ſieggewohnten Heeres ſich 
ausgezeichnet hatten, traten heute hervor und ſchwuren 
feierlich, ſie wollen dem Grafen von Helfenſtein zur 
Wiedergewinnung ſeiner Tochter behülflich ſeyn. Da 
ließ der König zum Sturm blaſen, und es begann 
ein allgemeiner Angriff auf die Burg. Aber er war 


153 


fruchtlos. Die auf der Burg ſchleuderten mächtige Steine 
auf die Stürmenden, daß ſte mit blutigen Köpfen zurück— 
wichen, und bald Niemand mehr Luſt bezeugte, gegen die 
Mauren der Burg zu rennen, die mit dem natürlichen 
Fels ein Ganzes bildeten. Nach einiger Raſt ließ der 
König auf's Neue ſtürmen — dies Mal mit beſſerem Er— 
folg, denn die Belagerer rückten unter einem ftarfen Schil— 
derdach an, doch war es ihnen nicht möglich, in der 
Burg feſten Fuß zu faſſen. Noch hatte Conrad von 
Gerhauſen alle Zwinger und Thürme der Veſte in 
Händen, und Reiſige und Söldner genug, um mit 
ihnen Ausfälle zu machen, die bei Felſenburgen nie 
ohne Erfolg ſind, denn eine kleine Zahl der von 
oben her Stürmenden vermag unzählige Feinde zu— 
rückzutreiben, die mit unſichrem Fuße und mühſam 
aufwärts ſtreben. Als König Rudolf ſah, daß auch 
der zweite Sturm keinen großen Vortheil errungen, 
und der Ritter auf Gerhauſen immer noch ſo hart— 
näckigen Widerſtand leiſtete, ja durch die geringen 
Erfolge der Belagerer noch kühner und frecher ge— 
worden war — da rief er im Angeſicht der Ritter, 
Herren und Reiſigen, mit lauter Stimme zu: wer beim 
dritten Sturme der erſte iſt, der über die Mauren 
der Burg ſteigt, und den unbezwinglichen Ritter be— 
ſiegt, dem gebe ich mein kaiſerliches Wort, bei Graf 
Ulrich von Helfenſtein zu wirken, daß er ſeine Tochter 
Hildegarde einem unbeſcholtenen Ritter zum Gemahl 
gebe, und ich belehne den Ritter zum Lohn ſeiner 
Tapferkeit noch mit Burgen und Gütern, die dem 
* 


154 


Reich heimgefallen. Wie ein zündender Strahl fuhr 
die Rede des Königs durch die Herzen der Ritter 
und Junkherren, die Grafentochter Hildegarde, von 
deren Schönheit und Liebreiz ſchon Alle vernom— 
men, entflammte gewaltig die jugendlichen Seelen, 
und feuerte ſie an, das Beſte zu thun, um die Hand. 
des Fräuleins zu gewinnen. Ehe noch recht das 
Zeichen zum Sturm erklang, drängten die Kampf: 
muthigen voran, und der Angriff wurde ein. jo. alle 
gemeiner von allen Seiten, wie keiner der vorigen 
geweſen. Das Vorwerk auf dem unterhalb der Burg 
liegenden Frauenberg wurde unter lautem Jubelgeſchrei 
erſtiegen und eingenommen, und es konnte nicht mehr 
lange anſtehen, ſo mußte die Burg ſelbſt fallen. 
Bereits flatterte die Fahne mit dem Reichsadler auf 
einer Zinne des Vorwerks. Da erſchracken die auf 
der Burg, vor Allen Conrad von Gerhauſen, der die 
Gefahr über die Burg und ihre Bewohner gebracht, 
und doch wäre er nicht zum Kreuz gekrochen, wenn 
nicht ſeine geliebte Hildegarde fußfällig ihn gebeten hätte, 
die Burg auf Gnad' und Ungnade zu übergeben, in— 
dem dieß der einzige Weg zur Rettung wäre. Wäh— 
rend die Belagerer noch ſtürmten, erſchien eine weiße 
Fahne über dem Thore der Burg, und König Rudolf 
ſah mit Verwunderung, wie der kühne Ritter doch 
endlich andern Sinnes geworden war. Alsbald ließ 
er den Sturm einſtellen, um denen auf der Burg zu 
zeigen, daß er zur Unterhandlung geneigt wäre. Nun 
gingen die Thore der Burg auf, und der greiſe Burg⸗ 


155 


vogt auf Gerhauſen erſchien vor dem auf dem Frauen— 
berg harrenden König, überantwortete die Thorſchlüſſel 
und übergab im Namen ſeines Herrn die Burg auf 
Gnade und Ungnade. Es ſoll ein Stillſtand ſeyn, 
ſprach König Rudolf zum Burgwart, aber ehe wir 
unſern Willen über die Burg und ihre Bewohner 
kund werden laſſen, ſoll der Burgherr und des Gra— 
fen von Helfenſtein Tochter vor mir erſcheinen; ſie 
ſollen hin und her frei Geleit haben, ſo wahr ich 
ſtets mein königlich Wort gehalten. — Jetzt erſt wagte 
es Conrad, die Burg zu verlaſſen und mit ſeiner 
Hildegarde vor dem König zu erſcheinen. Aber ſie 
kamen nicht ohne Fürſprecherin. Das war Frau Anna 
von Helfenſtein, die unten im Dorfe auf der Blau— 
Juſel einen Wittumſitz hatte und vor der Belagerung 
allda auf der Burg Sicherheit geſucht hatte. Wäh— 
rend nun Hildegarde dem gekränkten Vater zu Füßen 
fiel, der nicht ferne vom König ſtand, und um Ver— 
zeihung für ihren Ungehorſam flehte, bot Frau Anna 
von Helfenſtein alle Macht der Rede auf, um das 
Herz des Königs zu begütigen, und für Conrad 
von Gerhauſen, der mit gebrochenem Muthe und 
düſterem Blicke von Ferne ftand, Gnade zu erbitten. 
König Rudolf wäre nicht der Gute geweſen, wie ihn 
Alle kannten, auch nicht der Artige gegen Frauen, 
wie er nicht minder bekannt war, wenn er der drin— 
genden Bitte der redſeligen Anna von Helfenſtein 
widerſtanden hätte. Frau Anna feierte einen glänzen— 
den Sieg über das Herz des Königs, alſo daß er 


* 


156 


nicht nur den Ritter von Gerhauſen ganz und gar 
zu Gnaden annahm, ſondern auch bei dem Grafen 
von Helfenſtein für Conrad von Gerhauſen und ſeine 
geliebte Hildegarde ein dringend Füͤrwort einlegte. 
Ihm hatte bereits das Flehen der knieenden Tochter 
das Herz warm und empfänglich für Verzeihung ge— 
macht. Graf von Helfenſtein, rief König Rudolf, 
zum Grafen gewendet, laßt ab und todt ſeye eure 
Feindſchaft gegen euren Dienſtmann, der wohl mit 
Ehren Rittersnamen trägt, ſintemalen er ſich ritter— 
lich auf ſeiner Burg gehalten, und uns Allen baß 
zugeſetzt hat — und verdient hat er die Hand eures 
holden Töchterleins, wie Keiner, denn wer um einer 
Holden willen ſein Gut und Leben in die Schanze 
ſchlägt, der mag es wohl redlich meinen. So gebt 
euren Segen dem Pärlein, Graf von Helfenſtein, 
und ich ſpreche das Amen dazu. 

Die Worte des Königs waren nicht umſonſt, ſie 
wirkten auf das Herz des Grafen — und da auch 
Anna von Helfenſtein, ſeine Baſe, es nicht an ihrem 
Zuſpruch fehlen ließ, ſo umſchlang er gerührt ſeine 
Tochter mit der Linken, und die Rechte reichte er dem 
Schwiegerſohn, deſſen zuvor düſtrer Blick ſich auf 
einmal in ſelige Wonne verklärte. — Es ſoll Friede 
ſeyn, rief der Graf — und auf den Krieg bald eine 
Hochzeit, ſetzte lachend König Rudolf hinzu — dann 
aber, ihr Glücklichen — er wendete ſich zu Ritter 
Conrad und ſeiner Hildegarde — laſſet das Kriegen 
nach der Hochzeit. — Das Wort des Königs ging 


157 


ſchnell in Erfüllung. Zur Stunde ließ er fein Heer 
auseinandergehen, nur er blieb zurück auf der Burg 
Gerhauſen, und war am andern Tage Zeuge der 
Vermählung Ritter Conrads mit ſeiner geliebten Hil— 
degarde. Das königliche Brautgeſchenk war die Burg 
Ruck, mit der Rudolf den Bräutigam belehnte. Auch 
die edle Fürſprecherin Anna von Helfenſtein zeigte 
ihre freudige Theilnahme dem Brautpaar, denn ſie 
verſchrieb den Neuvermählten ihren Anſitz auf der 
Blau-Inſel im Dorfe, und all ihr Eigenthum an 
Gütern und Gülten, ſo ſie dereinſt hinterlaſſen würde. 
Um den Bewohnern der Burg, ſo wie den Hinter— 
ſaßen im Dorfe den Tag der Vermählung zu einem 
Freudentag zu machen — es war gerade Johannis 
des Täufers Tag — ließ ſie einen ganzen Eimer 
edlen Neckarweins austheilen, und nahm Theil an 
der Freude der Fröhlichen. Ja, um das Andenken 
des Tages zu verewigen, an dem auch fie zum Gluck 
zweier Liebenden mitgeholfen hatte, ließ ſie, ſo lange 
ſie lebte, alljährlich am Tage Johannis des Täufers 
unter die Bewohner zu Gerhauſen einen Eimer Wein 
vertheilen. Um den beiden Glücklichen auf Gerhauſen 
näher zu ſeyn, hatte ſie den Anſitz auf der Blau— 
Inſel verlaſſen, und ſich eine Wohnung auf dem 
Frauenberg erbaut. Noch lange nach ihrem Tode, 
als das glückliche Paar auf Burg Gerhauſen abge— 
ſchieden und vergeſſen war, erzählte man von der 
milden Gräfin Anna v. Helfenſtein auf dem Frauen: 
berge. 


* 


158 


Der gottlofe Ritter von Gerhauſen. 


Wenn man alle Laſter, deren die Menſchen zu— 
ſammen fähig ſind, in ein Herz gießen könnte, daß 
auch nicht ein Schein von Tugend darinnen Platz 
hätte, ſo würde es dem Herzen des Ritters von Ger— 
hauſen ähnlich ſeyn. Wild und rauh bis zur Grau— 
ſamkeit, kannte er weder Freundſchaft noch Liebe, 
überhaupt kein heiliges Gefühl, und hörte er davon, 
ſo war Spott und Hohn die einzige Erwiederung, die 
er darauf hatte. Des Gebetes Troſt und Kraft hatte 
er nie erkannt, denn er betete nicht, wüſte Reden, 
freche, gottesläſterliche Ausrufungen oder Flüche ſtröm— 
ten von ſeinen Lippen. Sinnlichkeit in ihrer niedrig⸗ 
ſten Form war ſeine Hauptleidenſchaft. So hatte er 
ſeine Kraft verſchleudert, ſein Leben verſchwelgt, und 
es kam der Tod, den Tribut der Erde einzufordern. 
Des Todes Macht iſt unzerbrechlich, doch kann ein 
feſter Wille ſeine gewaltige Stärke auf kurze Zeit 
hemmen. Wir ſahen oft eine Mutter im letzten 
Kampfe ringen, jeder Augenblick ſchien ihr Leben aus— 
zulöſchen, doch die Sehnſucht nach ihrem fernen Kinde, 
der Wunſch, es wieder zu ſehen, hielt ſie noch tage— 
lang zurück im Erdendaſein, bis endlich das Kind 
eintrat, und die Mutter mit einem frohen Blicke uch 
in demſelben Momente verſchied. 

Der Ritter von Gerhauſen hatte kein Weib, A 
Kind, überhaupt kein Weſen, das ihn liebte, aber er 


159 


konnte nicht ſterben, denn ſein eiſerner Wille klammerte 
fich mit jeder Kraft der Seele an das ſcheidende Le— 
ben, welches um ſo reizender erſcheint, je mehr es 
im Verlöſchen begriffen iſt. Neben dem Bette des 
Sterbenden ſtand ein alter ehrwürdiger Prieſter, Troſtes— 
worte ſprechend und auf eine Auferſtehung nach dem 
Tode hinweiſend. Immer mehr riß die innerſte Ue— 
berzeugung den Redner hin, und er erhob begeiſtert 
das Crueifix, allein der Ritter riß es ihm aus der 
Hand, ſchleuderte es an die Mauer, daß es klirrend 
zerbrach, und ſchwur, er wolle wie Chriſtus in drei 
Tagen wieder lebend aus dem Grabe hervorgehen. 
Das war ſein letztes Wort; er ſank todt zurück. — 
Wie alle ſeine Vorfahren ihre Grablege im nahen 
Klofter Blaubeuren hatten, ſo ſollte auch feine Leiche 
dort beigeſetzt werden. 

Bei feinem Begängniſſe ſah man ſchwarze Kleider 
und viele Trauerfahnen, aber kein Auge feuchtete ſich, 
kein Herz fühlte Kummer, denn Alle hatten den Ritter 
gehaßt, Alle längſt fein Daſein verflucht und be— 
trachteten ſeinen Tod als des Himmels Segen. Am 
dritten Tage nach feiner Beerdigung hörte man großen 
Lärmen in der Kirche. Die erſchrockenen Mönche 
liefen mit den Knechten des Ritters, die noch im 
Kloſter weilten, hinab in die Kirche und ſahen entſetzt, 
daß der Grabſtein des Ritters von Gerhauſen halb 
aufgehoben war. Wie ſie ihn ganz wegnahmen, er— 
blickten ſie die Leiche in ſitzender Stellung, mit offenen 
Augen ihnen entgegenſtarrend. Die Leiche war von 


160 . 


gewaltigen Schlangen umwunden, die ſie feſt im 
Grabe zurückhielten. Erſt, nachdem die Mönche dort 
andächtig gebetet und um die Vergebung für den Laſter⸗ 
haften manche Stunde gefleht hatten, legte ſich die 
Leiche zurück und der Grabſtein ſchloß ſich wieder. 
Auf demſelben aber ließen die Erben dieſe ſchauder⸗ 
hafte Scene von einem geſchickten Bildner einhauen, 
daß ſie der Nachwelt Kunde gebe von einem verruch— 
ten Herzen, das dort der Auferſtehung entgegen mo— 
dert. Noch iſt es in der Kloſterkirche, nicht ferne von 
dem durch ſeine herrlichen Gemälde bekannten Hoch— 
altar zu ſehen. Mit Grauſen wendet man ſich ab 
von. dem ſchauerlichen Bilde, und gedenket des 
ſchrecklichen Strafgerichts. 


IV. 


Burgruine Lichtel 
im Münſterthal. 


Hoch über dem Münſterthälchen, einem tief einge: 
ſchnittenen Ausläufer des Taubergrundes, liegt der 
kleine Ort Lichtel mit den Ruinen der Burg gleichen 
Namens. Letztere ſind von keiner großen Bedeutung 
mehr, ſie bilden eigentlich die Umfangsmauer des 
Schulgartens, von dem aus man in das tief unten 
liegende romantiſche Thälchen hinabſieht, wo das Pfarr⸗ 


161 


dorf Münſter mit feinem uralten Kirchlein liegt. Sind 
auch die noch übrigen Reſte der Burg nimmer be— 
deutend, es muß dennoch in alten Zeiten eine wich— 
tige Burg geweſen ſeyn, denn ſie reichte von dem 
bezeichneten Garten bis an die Kirche, und die noch 
übrige Mauer iſt wohl der Ueberreſt eines Vorwerks, 
das die Burg gegen das Thälchen hin deckte. 
Lichtel, Lienthal erſcheint ſchon in früher Zeit un— 
ter den Beſitzungen des hohenloh'ſchen Hauſes. Im 
Jahr 1224 bewilligt Biſchof Theodorich von Würzburg 
den Brüdern Gottfried und Conrad von Hohenlohe, 
daß ſie ihren bisher vom Erzſtift Würzburg zu Lehen 
getragenen Zehenten zu Mergentheim gegen Lehen— 
barmachung anderer Güter als freies Eigenthum 
übergeben können; die Erſatzgüter und Gülten waren 
in Lihenthal (Lichtel) Stuppach, Althuſen u. ſ. w. 
Im Jahr 1235 erkennt Conrad v. Hohenloh, Graf 
v. Romaniola, daß er ſeine Burg Leindel dem Erz— 
ſtift Cöln zu Lehen aufgetragen. Später finden wir 
die Burg Lichtel ausſchließlich im Beſitz der Herren 
von Hohenlohe-Brauneck, welche ihre Vögte auf der— 
ſelben hatten. Denn im Jahr 1318 überlaſſen die 
Gebrüder Emich, Gottfried, Philipp und Gottfried 
v. Hohenloh, genannt v. Brauneck, an ihre Schweſter 
Ofemia v. Brauneck, ihres lieben Bruders Andreas 
ſeligen Wittwe, die Veſte zu Lienthal, ſeit ſie erfahren 
haben, daß er Andreas die Veſte zur Morgengab 
zu recht eigen mit Leuten und mit Gut, die dazu 
gehören, und mit dem Kirchenſatz und mit allen Rech— 
II. 8 11 


162 


ten an ſie gebracht, alſo, daß die genannte Ofemia 
dieſe Veſte mit Leuten und mit Gütern darf geben, 
wenden und kehren, wohin ſie gut dünkt, es ſei um 
ihrer Seelen willen, oder wem ſie es geben will, 
daran ſie die genannten Brüder von Brauneck nicht 
hindern wolle weder mit Worten, noch mit Werken 
u. ſ. w. Im Jahr 1327 ſtiftete die genannte Eu: 
phemia in das Spital zu Rotenburg einen Hof zu 
Holzhauſen u. ſ. w. zu gewiſſen frommen Zwecken 
mit dem Beiſatz, daß, wenn ein Jahr lang die Stif— 
tung nicht gehörig vollzogen würde, dieß ganz an 
das Haus Lienthal fallen ſoll. Schon in der Mitte 
des 14. Jahrhunderts finden wir die Veſte Lichtel 
mit Zugehör im Beſitz des Hochſtifts Würzburg, denn 
im Jahr 1354 erlaubte Kaiſer Karl IV. dem Bi⸗ 
ſchof Albrecht von Würzburg, daß er aus dem Dorf 
vor Lienthal, an dem Schloſſe gelegen, eine Stadt 
machen und dieſelbe mit Mauern und Thürmen be— 
feſtigen, auch Markt, Zoll und Andres dafelbſt auf— 
richten möchte. Es kam aber nicht dazu, denn Al— 
brechts Nachfolger, Biſchof Gerhard, bekannt durch 
fein Schuldenmachen! und Verſetzen der Stiftsgüter, 
verkaufte im Jahr 1376, mit Einwilligung des Ka— 
pitels, die Veſte Lienthal nebſt dem Burgrecht, wie 
vor Zeit Herrn Götzen von Hohenlohe geweſen iſt, 
nebſt dem Halsgericht, Vogtei, Kirchenſatz Mannſchaft, 
Lehensleuten für 2300 fl. an die Reichsſtadt Roten⸗ 
burg. Bald nach dieſer Zeit, ums Jahr 1381, im 
ſogenannten ſchwäbiſchen Gaukrieg, als die von Augs— 


163 


burg und Ulm ins Frankenland einfielen, und Alles, 
was in der Nähe Rotenburgs lag, verheerten, auch 
viel ſtarker, gewaltiger Schlöſſer, ſchöner und luſtiger 
Gebäude der Adelichen ruinirten, erging über die 
Burg Lichtel daſſelbe traurige Loos, ſie wurde ver— 
brannt (ausgebrannt). Im Jahr 1406 wurde Lichtel 
mit andern Burgen dem Biſchof Adolf von Mainz 
und dem Grafen Eberhard von Würtemberg überlie— 
fert und ganz und gar gebrochen. Seit jener Zeit 
liegt die Burg Lichtel in Trümmern, und was Men— 
ſchenhände nicht daran zerſtört, das hat der Zahn 
der Zeit vollends ruinirt, alſo daß man kaum mehr 
einen Schein von der alten ftattlichen Veſte erblickt. — 
Von der Burg Lichtel ſchrieb ſich in früherer Zeit 
ein edles Geſchlecht; es waren eben Burgmannen des 
hohenloh'ſchen Hauſes auf Lichtel. Im Jahr 1340 
zeugt Bertold v. Liehenthal, ein Edelknecht; im J. 1367 
lebt Ernſt v. Lienthal und Elsbeth, ſeine ehliche Haus— 
frau. Im Jahr 1372 erſcheint Hans von Liehen— 
thal, und im Jahr 1375 verkauft ein Friedrich v. 
Lienthal mit Einwilligung des Dietrich v. Lienthal, 
Bruder des Deutſchordens, und feiner Schweſter Mar: 
garetha, Ulrichs v. Morſtein ehlicher Wirthin, dem 
Frauenkloſter zu Rotenburg ſeinen Hof zu Thierbach 
nebſt allen Zinſen, Gülten, Gütern, Holzungen u. ſ. w. 
um 500 Pfund Heller. 

Ueber die Entſtehung der Burg und des Dorfs 
Lichtel geht eine Sage im Taubergrund, die wir in 
ihrer einfachen Geſtalt hier geben. 


164 


Das Lichtlein auf der Höhe. 


Einſt, in winterlicher Zeit, verirrte ſich Herr Götz 
v. Hohenlohe, von Weidmannsluſt getrieben, in den 
tiefen Waldungen, die ſich gegen das obere Tauber— 
thal hin erſtrecken. Bald fand er keine Spur mehr 
zur Rückkehr, denn die Nacht brach herein, und der 
Sturmwind tobte ſchauerlich durch die Wipfel der 
hundertjährigen Eichen. Da plötzlich, als ob es der 
Himmel ihm geſendet hätte, erblickte er auf ſteiler 
Felſenhöhe oberhalb des Münſterthals ein Lichtlein, 
und es zeigte ſich ihm mehrere Male. Mit beflügel: 
tem Schritt und voll Hoffnung eilte er dem Lichtlein 
zu. Bald kamen zwei Wanderer ihm entgegen, die 
ihn freundlich grüßten und auf den rechten Weg lei— 
teten. Sie führten den edlen Herrn in ihre gaſtliche 
Hütte, welche tief unten im Thälchen lag. Ruhig 
und ſanft ſchlief Götz von Hohenlohe auf dem ge— 
ringen Lager der Thalleute; aber vor ſeiner Seele 
ſtand immerdar, was Gott an ihm gethan hatte, der 
ihn aus der Waldnacht und dem Rachen der wilden 
Thiere gerettet, und ſtatt im Wald ein Lager auf 
Schnee und Eis, unter gaſtlichem Dach ein warmes 
Lager ihm bereitet hatte. Zum Dank gegen den 
Helfer in Nöthen ließ er alsbald auf der Höhe über 
dem Thal, wo ihm das Lichtlein zuerſt erſchienen war, 
eine Burg bauen. In ihrem Thurme mußte von 
nun an in der Nacht ein Licht brennen, das nach 
allen vier Seiten hinleuchtete, um für Jedmänniglich 


165 


ein Leitſtern zu ſeyn, der etwa in der Nacht in dieſer 
Gegend den Weg verfehlen möchte. An die Burg 
bauten ſich bald die Hinterſaßen an, und es entſtand 
das Dorf Lichtel, zunächſt an der Burg aber war 
das Kirchlein angebaut. Herr Götz v. Hohenlohe 
ſoll oft hinüber in dieſes Kirchlein gewandelt ſeyn, 
wenn der Tag ſich neigte und der Abend hereinbrach. 
Einsmal ſuchte man den alten Herrn, er ſaß in der 
Kirche im Betſtuhl, ſeine Augen gen Himmel gerichtet, 
aber ſie waren im Tode gebrochen. Das ewige Licht 
hatte ihm geleuchtet zum Weg in die wahre Heimath. 
Burg und Dorf hieß man Lichtel —Lichtthal, Licht über 
dem Thale. Noch jetzt ſagt man an der Tauber: 
man geht nach Lichtle. 


V. 
Das Steinhaus und Schloß zu Buchenbach 


an der Jagst. 


Unter die merkwürdigſten Bauwerke des Mittel— 
alters gehört unſtreitig das alte Steinhaus oder 
die kleine Burg zu Buchenbach. Das alterthüm— 
liche Schlößchen liegt an der Jagst, auf einem 
Vorſprung der Thalwand, iſt vom Sockel bis un— 
ter das Dach von Steinen aufgeführt und inwen— 
dig ganz wie die alten Burgen eingerichtet, mit 


2 


166 


kleinen Gademen (Gelaſſen) und ſcheint durchaus nicht 


den Zweck gehabt zu haben, ſeinen Bewohnern einen wohl— 
befeſtigten Zufluchtsort zu bieten, denn nirgends neh— 
men wir eine eigentliche Befeftigung wahr. Vielmehr 
ſcheint das Steinhaus, welches ganz und gar einem 
alten Thorthurm gleicht, von einem edlen Herrn zu 
dem Zweck erbaut worden zu ſeyn, daß er ungeſtört 
und einſam ſeine alten Tage darin verbringen könnte. 
Die Hauptmerkwürdigkeit daran iſt, was wir ſelten 
bei Wohnungen aus dem Mittelalter finden, daß der 


Name des Erbauers und die Zeit der Erbauung auf 


demſelben angebracht iſt. Es führt in uralten Buch— 
ſtaben folgende Inſchrift über dem Portal: 

Noch Chriſtes geburt Druzehenhundert 
Jor vnd in dem ſechs vnd funfzigeſten jor 
hot diz ſteinhus gebuwet Her Rudiger von 
Bechlingen genant der Rezze Korher zu dem 
newen munſter zu Wirzeburg der disze Wop— 
pen ſint vnd ſeiner Altvorderen Amen. 

Das Wappen über der Inſchrift zeigt im Schilde 
zwei Querbalken und als Helmzier einen Mannskopf 
mit ſtarkem Bart und zähneblöckendem grinſendem 
Geſicht, über dem ein ſpitziger Hut liegt. Wir er— 
fahren alſo, daß der Chorherr Rudiger von Bächlingen 
dieſes Steinhaus für ſich, wahrſcheinlich zu einem 
Ruheſitz, erbaute. 

Das Geſchlecht, aus dem dieſer Rüdiger ſtammte, 
hatte urſprünglich ſeinen Wohnſitz im Dorfe Bäch— 
lingen, das unterhalb Langenburg liegt. Die Edlen 


— 


167 


v. Bächlingen führten den Beinamen Rezzo, ent- 
ſprechend ihrem Wappen, das einen Rätzen oder Tat— 
tern (Tartarn) zeigt. Sie waren Burgmänner der 
Dynaſten von Hohenlohe auf Langenburg, und hießen 
ſich deßwegen auch manchmal ſchlechtweg Reze von 
Langenburg. Ein ſolcher Rezzo v. Langenburg 
erſcheint ſchon im Jahr 1270 als Canonikus am Stift 
zu Oehringen, ſpäter v. 1291— 99 als Dekan da— 
ſelbſt. Ein Bruder von dieſem war Conrad, genannt 
Reiz, welcher im Jahr 1287 als hohenloh'ſcher Burg— 
mann auf Langenburg bezeichnet wird. Er ſchenkte 
im Jahr 1297 mit Zuſtimmung ſeiner Hausfrau 
Hedwig und ſeines Sohnes Walther Gefälle zu Eber— 
bach und Otzenrode an den deutſchen Orden in Mer— 
gentheim. Im Jahr 1304 ſtegelt Herr Conrad Reiz 
mit ſeinem Sohn Walther und Herrn Burkhard von 
Bächlingen. Letzterer iſt derſelbe, der im Jahr 1320 
geſtorben, und mit ſeiner Hausfrau Eliſabethe v. Mor— 
ſtein in der Kirche zu Bächlingen begraben liegt, wo 
ſie beide ein gemeinſchaftliches Denkmal haben. Es 
iſt jenes höchſt intereſſante Grabmal, welches den 
Ritter von Bächlingen in ganzer Figur in vollem 
Harniſch zeigt, und in der Zeitſchrift des hiſt. 
Vereins für Würtembergiſch-Franken Jahrg. 
1848 in getreuer Abbildung vorliegt. 

Mit Rüdiger von Bächlingen, der das Steinhaus 
baute, erwarb die Familie die erſten Anſprüche auf 
Buchenbach, denn Gernot von Stetten, genannt der 
Buchener, verkaufte im Jahr 1340 mit ſeiner ehlichen 


168 


Wirthin Gerhuſe fowie feinen Söhnen Bechtold, Zurch, 
Gernot und Götz, an den genannten Rüdiger und 
deſſen Bruder Heinrich v. Bächlingen ſeinen Antheil 
an der Burg zu Buchenbach ſammt Zugehörden um 300 
Pfund Heller. Derſelbe Heinz v. Bächlingen wird 
noch im Jahr 1357 unter den Dienſtleuten Gerlachs 
v. Hohenlohe mit einem Dienſtgeld von 50 fl. auf— 
geführt. Im Jahr 1393 wird ein Rezzo von Bäch— 
lingen von der Herrſchaft Hohenlohe mit denjenigen 
Lehen belehnt, welche ſchon ſein Vater getragen hatte. 
Im Jahr 1403 verkauft Rezzo von Bächlingen, Dom- 
herr zu Würzburg, das Schloß Buchenbach mit ſeinen 
Zugehörungen an die Herren Ulrich und Albrecht von 
Hohenlohe. Ums Jahr 1409 ſtiften Götz v. Bäch— 
lingen und Rezzo v. Bächlingen Jahrtage in der Kirche 
zu Buchenbach; der letztere heißt ein Oheim Herrn 
Zürchs von Stetten, der als der älteſte der Familie 
Lehenherr der Kirche zu Buchenbach, aber auch ſonſt 
Hauptbeſitzer allda geweſen. Obgleich noch im Jahr 
1475 ein Götz v. Bächlingen, der Letzte des Geſchlechts 
vorkommt, der drei Jahrtage in der Kirche zu Bu— 
chenbach ſtiftete, ſo ſcheint doch ſchon vor dieſer Zeit 
das alte Schloß der Herren von Stetten, welches 
bereits vor Erbauung des Steinhauſes im Orte ge— 
ſtanden, wieder ganz in den Beſitz derer von Stetten 
übergegangen zu ſeyn, denn bereits im Jahr 1456 
verlieh Biſchof Johannes v. Würzburg an Jörgen 
v. Stetten Buchenbach das Schloß mit allen Zuge— 
hörungen u. ſ. w. Seitdem iſt es in dem Beſitz der 


169 


Herren von Stetten, Buchenbacher Linie, geblieben, 
hat aber im Laufe der Zeit eine bedeutende Verän— 


derung erfahren. In jener Zeit, da die von Bäch— 


lingen die Hälfte der Burg von Gernot dem Buchener 
erkauft, da redet die Urkunde von einem Schloß mit 
Burgthor, Ringmauer und Zwinger, beſonders von 
einem Berchfried (Hauptthurm), von einem Ziegelhaus, 
das im Vorhof der Burg ſtand, ſo wie einem großen 
Hauſe mit Küche und Keller, — alſo muß es eine 


der ſtattlichſten Burgen des Jagstthals geweſen ſeyn, 


die auf die am Ufer der Jagst ragende Höhe angebaut 
war. Aber ſchon in der zweiten Hälfte des 16. 
Jahrhunderts war das Schloß baufällig, alſo, daß 
Eberhard v. Stetten, der es im Jahr 1564 bewohnte, 
ſeinen Lehensherrn, den Grafen Ludwig Caſimir von 
Hohenlohe, gebeten, da er das Schloß wieder bauen 
würde, ſo möge ihm der Graf zu dem Ingebäu das 


nöthige Bauholz gnädigſt zukommen und durch ſeine 


Unterthanen beiführen laſſen. Dieſes Geſuch erfüllte 
zwar der Lehensherr nicht, aber er überließ ihm ſeine 
neugebaute Kelter und Scheune zu Buchenbach. Ob 


Eberhard von Stetten den Neubau ſeines Schloſſes 


vollbrachte oder nicht, können wir nicht angeben; es 
kam vielleicht ungebaut an ſeine Nachkommen. Im J. 
1717 baute Herr Sigmund Heinrich v. Stetten wohl 
an der Stelle des baufälligen Schloſſes ein neues, das 
ſeine Nachkommen bewohnen. Hat es auch ſein al— 
terthümliches Ausſehen ganz und gar verloren, ſo 
kann es immerhin für einen hübſchen Herrenſitz gel— 


8 


170 


ten, der freilich ſeit vielen Jahren weniger von Her— 
ren, als vielmehr von Frauen der uralten Familie 
von Stetten bewohnt worden. 

In dieſe Zeit fällt die naive 


Sage von der Zwölfeglocke, 


die wir mit den Worten des ortskundigen Berichter— 
ſtatters wiedergeben. | 

„Bor mehr als hundert Jahren wohnte ein altes 
Fräulein, die Schweſter des Gutsherren, der in aus— 
wärtigen Dienſten ſtand, im Schloſſe. Da ſich dieſe 
adelige Dame oft ſehr einſam und allein im öden 
Schloſſe fühlte, ſo ſuchte ſie dann öfters Geſellſchaft 
von auswärts beizuziehen, und vertrieb ſich häufig 
durch Spiel die Zeit. So kam es, daß der Schul— 
meiſter des Orts im Schloß gut bekannt wurde; er 
wurde, da er ein tüchtiger Kartenſpieler war, der alten 
Dame bald ein erwünſchter Geſellſchafter. Eines 
Tags war der Schulmeiſter äußerſt glücklich im Spiel, 
ſo daß er dem Fräulein ihren ganzen Geldvorrath 
abgewonnen hatte. Das Spiel war zu Ende und 
die alte Dame ſehr uͤbler Laune über ihr Mißgeſchick. 
— Früher ſchon ſoll der Schulmeiſter ſich öfters bei 
dem Fräulein über das viele Läuten beklagt ünd dar⸗ 
gethan haben, daß es ihm ſo viele Muͤhe und Arbeit 
verurſache. Da ſeye die Morgenglocke, die Schulglocke, 
die Mittagglocke, die Zwölfeglocke, die Veſperglocke 
und die Abendglocke zu läuten, und er ſeye deßhalb 


171 


ein wahrer Sklave. Als die alte Dame nun fo in 
ihrem Mißmuth da ſaß, kam ihr auf einmal ein be— 
ſonderer Gedanke in den Kopf. „Schulmeiſter,“ ſprach 
ſie, „Ihr habt Euch ſchon oft beklagt über das viele 
Läuten; ich will Euch von Einer Glocke helfen. Setzt 
Ihr das gewonnene Geld an die Zwölfeglocke?“ Mit 
Vergnügen willigte der Schulmeiſter ein, gewann 
wieder, und er war der Zwölfeglocke los. — Es ſoll 
zwar in der Pfarrei großes Aufſehen erregt haben, 
als die Zwölfeglocke nimmer geläutet wurde; allein 
da der Bruder der Fräulein Souverän des Orts 
war, und dieſelbe in ſeiner Abweſenheit die Zügel 
der Regierung in ihrer Hand hatte, ſo blieb es da— 
bei, — die Zwölfeglocke wurde nimmer geläutet. — 
Etwa 30 Jahre nachher, nachdem die Dame geſtorben, 
auch der Schulmeiſter nimmer am Leben war, ſoll 
es nun eben den Kirchenvorſtehern eingefallen ſeyn, 
die Zwölfeglocke wieder einzuführen, und der neue 
Schulmeiſter habe ſich dazu verſtanden, dieſelbe fer: 
nerhin wieder zu läuten. Aber, ſiehe da! als der 
Schulmeiſter das erſtemal die Zwölfeglocke zu läuten 
begann, öffnete ſich ein Fenſterlein oberhalb des Al— 
tars, neben dem freiherrlichen Kirchenſtuhle, und die 
alte verſtorbene Dame winkte mit ängſtlicher Geberde 
heraus — aufzuhören; der Meßner ließ ſchnell das 
Seil fahren und war noch ſchneller aus der Kirche 
geflüchtet. Ein ſpäterer Verſuch, die Zwölfeglocke 
wieder einzuführen, lief nicht glücklicher ab; hierauf 
wurde das Fenſterlein zugemauert, das Zwölfeläuten 


172 


aber unterblieb feit jener Zeit. Erſt im Jahr 1826 
wurde der Wunſch in der Gemeinde rege, es möchte 
die Zwölfeglocke wieder eingeführt werden. Als nem— 
lich im Herbſt dieſes Jahrs die größte der drei Glocken 
zu Buchenbach umgegoſſen wurde und der Guß ge— 
lungen war, da freute ſich Alt und Jung über den 
langvermißten lieblichen Klängen, und es wurde von 
allen Seiten der Vorſchlag gemacht, man ſollte die 
Zwölfeglocke wieder einführen, da fie überall in der 
Nachbarſchaft geläutet wurde und doch zu manchem 
andächtigen Vaterunſer Anlaß gebe. Berichterſtatter 
deſſen, der im genannten Jahr zu Buchenbach angeſtellte 
Schulmeiſter, erklärte ſich bereit, die Zwölfeglocke wie: 
der zu lauten, aber in Betracht der Laſt, die ihn 
und ſeine Nachfolger jährlich 365 Mal träfe, ver— 
langte er einen Scheffel Dinkel Beſoldungs-Aufbeſſe— 
rung. Aber dem Stiftungsrathe zu Buchenbach däuchte 
der Klang der Zwölfeglocke mit einem Scheffel Dinkel 
zu theuer erkauft — er gieng nicht auf die Sache 
ein. So blieb die Neugierde der Ortsbewohner, ſo 
wie der ganzen Umgegend, ungeſtillt, denn Jedmän— 
niglich wollte ſehen, was das alte Fräulein dazu 
ſagen würde, wenn die Zwölfeglocke zum erſten Mal 
wieder klänge. — Jetzt heißt es, und wohl auf im— 
mer: requiescat in pace! 


MWildeneck 


im Laurathal in Oberſchwaben. 


Die Umgebung des Kloſters Weingarten iſt reich 
an Naturſchönheiten, ſo wie an geſchichtlichen Erin— 
nerungen. In beider, beſonders aber in letzterer 
Hinſicht, zeichnet ſich das ſogenannte Laurathal aus. 
Daſſelbe wird von der Scherzach bewäſſert, die weit 
oberhalb des Pfarrdorfes Schlier entſpringt, ſich bei 
letzterem Ort mit dem Schlierbach vereinigt, der be— 
reits vier Mühlen treibt, und dann ein enges wildes 
romantiſches Waldthal bildet, das ſich in einer Länge 
von anderthalb Stunden bis gen Altdorf hinzieht. 
Mehrere Burgen ſtanden auf den Höhen des Laura— 
thals, die im Sturm der Zeit beinahe bis auf die 
Spur abgegangen. Auf ihnen ſaßen meiſtens Dienſt— 
mannen des alten Welfenhauſes. Geht man am 
linken Ufer der Scherzach, am Walde Haslach, thal— 
aufwärts, ſo findet man unfern dem Hofe Zundel— 
bach die Reſte einer Burg auf einem Hügel, die 
in alter Zeit Reuti geheißen, und ſchon im Jahr 
1294 vorkommt, denn in dieſem Jahr verkaufte der 
kaiſerliche Landvogt Graf Hugo von Werdenberg— 
Heiligenberg um 109 Mark Silber „die Burg zu 
Rüti ob Altdorf gelegen.“ Eine Sage läßt auf 
dieſer Burg, ebenſo wie auf dem Schloßberg bei Alt— 


® 


174 


dorf und auf dem Veitsberg bei Ravensburg den 
Kaiſer Friedrich Barbaroſſa geboren ſeyn. In Ur— 
kunden des 13. Jahrhunderts kommen oft Herren 
von Reuti vor, die ſich von dieſer Burg geſchrieben. 
Die Burg muß ſchon früh in Abgang gekommen ſeyn, 
denn das alte Abteibuch von Weingarten ſpricht ſchon 
von den Ruinen einer Burg am Walde Haslach, 
welche keine andere als Reuti ſehn kann. Im Jahr 
1748 wurde die Ruine vollends abgebrochen, und 
zum Bau der Pfarrkirche zu Altdorf verwendet. Von 
dieſer Burg Reuti, von der man jetzt noch Ueberreſte 
findet, ging im Laufe der Zeit ſogar der Name ver— 
loren, und man kennt ſie jetzt nur unter dem Namen 
Reutibühel. Weiter oberhalb Zundelbach ſtand 
eine zweite Burg, Wildeneck; von ihr und ihren Be— 
wohnern hat man noch Wehe Nachrichten, ſie ſelbſt 
aber iſt beinahe bis auf die Spur verſchwunden. — 
Burg Wildeneck war der Anſtitz eines alten Geſchlechts, 
das den ſeltſamen Namen „Wildemann“ führte. Im 
J. 1268 lebt ein Hermann Wildemann, beguͤtert zu 
Eratsrein. Im J. 1269 vertragen ſich Heinrich der 
Aeltere, der Wildemann genannt, und ſeine Söhne 
Hermann, Friedrich und Johannes, mit dem Kloſter 
Weingarten wegen des Vogtrechts, das die Wilde— 
mannen einſt von K. Conrad empfangen hatten, über 
verſchiedene Kloſtergüter, darunter über zwei Höfe zu 
Fenken, welche ſie dem Kloſter überließen. Im Jahr 
1283 wird ein Streit über die Burg Wildenegg da— 
durch geſchlichtet, daß Rudolf von Irmendegenſperch ſeinen 


. ———— —— 


175 


Rechten an die Burg mit drei dazu gehörigen Gütern 
zu Fenken, gegen das Kloſter Weingarten, das Lehens— 
herr der Burg und Zugehör geweſen zu ſeyn ſcheint, 
für 1 Mark Silber entſagt. In der Urkunde heißt 
Wildeneck castrum antiquum, alte Burg, d. h. älterer 
Theil der Burg. Unter den Zeugen dieſes Vertrags 
erſcheint ein Ulrich, der ſich ſchlechtweg „von Wildenegg“ 
nennt, ohne den Beinamen Wildemann. Ums Jahr 
1289 lebte Heinrich von Wildenegg, genannt Wilde— 
mann und ſeine Hausfrau Catharina, Schweſter des 
Ritters Burkard von Stein. Derſelbe verkauft im 
Jahr 1299 wegen der Schulden, in die er ſich durch 
das Zuſammenkaufen der Burg Wildeneck geſtellt, 
einen Hof zu Richlisreute, das Heirathsgut ſeiner 
Frau. Im Jahr 1301 verzichten Ulrich der Wilde— 
mann von Wildenegg und Burkard im Namen ſeiner 
Schweſter Catharina auf das Zinslehen an der Burg 
Wildeneck. Daraus könnte man ſchließen, daß Hein— 
rich der Wildemann zuerſt die ganze Burg Wildenegg 
erworben, von der er ſich nunmehr nannte. Dagegen 
halten wir den in der Urkunde vom Jahr 1283 ge— 
nannten Ulrich von Wildeneck für den urſprünglichen 
Beſitzer der Burg, und zu feinem Geſchlechte gehören 
die im Jahr 1302 genannten Gebrüder Hermann, 
Wilhelm und Hildebrand von Wildenegg. Im Jahr 
1300 leben Hermann, Ritter, genannt Wildemann, 
und ſein Bruder Heinrich, Mönch zu St. Ulrich in 
Augsburg. Im Jahr 1302 zeugt Conrad, genannt 
Wildemann. Im Jahr 1304, kauft Ritter Ulrich, 


176 


genannt Wildemann, das Gut Zundelbach und ein 
Gut zu Eratsrein. Die Letzten des Geſchlechts ſind 
Conrad und ſeine Söhne Pantilion, Johannes und 
Erhard. Sie verkaufen im Jahr 1355 und noch 
ſpäter verſchiedene Güter, z. B. Höfe zu Geſſenried 
und Vogteirechte an das Kloſter Weingarten. Nach 
dieſer Zeit ziehen ſich die letzten Wildemänner in die 
Stadt Ravensburg zurück und werden daſelbſt Bür— 
ger. Als ſolche verkaufen Pantalion und Erhard die 
Wildemänner im Jahr 1381 ihre Güter zu Kazheim 
mit den Vogteirechten auf den Gütern zu Appenberg, 
Kehrenberg und Schattbuch. Von einer Burg Wil⸗ 
deneck iſt gar keine Rede mehr, alſo waren die Wilde— 
männer ſchon längſt nicht mehr im Beſitze der Burg. — 
Woher die Wildemänner von Wildeneck dieſen Bei— 
namen erhalten, iſt nirgends überliefert. Auf ihrem 
Siegel, das zwei ſchräge Balken zeigt, iſt ihr Name 
mit Indomiti (Unbändige) überſetzt, ſo auf Sigillen 
vom Jahr 1299 und 1304. — Wir geben es nur als 
eine Vermuthung, daß der Name Wildemann, den die 
Beſitzer der Burg Wildeneck führten, mit der Sage, 
die wir nun beifügen, in einigem Zuſammenhang 
ſtehen könnte, daß die Wildemannen von dem „wilden 
Ritter,“ der Wildeneck rüßeß bewohnte, dieſen Bei⸗ 
namen erhalten. 

Zwiſchen den Burgen Rüti und Wildeneck, von 
denen wir bisher geſprochen, liegen noch die Trümmer 
des großen Steins, um den ſich die tragiſche 


177 


Sage vom wilden Nitter von 
Wildeneck. 


wie ein dſtrer Epheu anrankt. 

Gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts lebte Kuno 
von Wildeneck, gewöhnlich der „wilde Ritter“ genannt, 
der Sproſſe eines alten ritterlichen Geſchlechts. Es 
war, als ob in dem rauhen Manne kein weiches, 
mildes Gefühl je Platz finden könnte, Jagd und 
Zweikampf, Krieg und Fehde war's allein, was ihn 
beſchäftigte, er freute ſich der letzten Zuckungen des 
zum Tode getroffenen Wildes, er lachte ebenſo kalt— 
blütig über den Todeskampf eines ſterbenden Knappen. 

So zog er einſt im wilden Uebermuthe zu einem 
Turniere, das in der nahen Stadt Ravensburg ab— 
gehalten wurde. Schon hatte das Waffenſpiel be— 
gonnen, mit geſchloſſenen Viſieren ſprengten die Ritter 
in die Schranken, hoch bäumten ſich die edlen Roſſe 
und des Heroldes laute Stimme verkündete bereits 
den Namen der Sieger. Auch Kuno hatte eine Lanze 
gebrochen, und ſein durch Leibesübungen aller Art 
geſtählter Körper hatte ihm den Sieg verliehen. Aus 
den Händen eines der Ritterfräulein, die in reizendem 
Kranze den Schauplatz umgaben, ſollte der Sieger— 
dank ihm werden. Er ſchlug das Viſier zurück, ſein 
kühnes Auge ſuchte den Blick der Jungfrau, welche 
zuͤchtig ſich ihm nahte und ihm auf ſammtnen Kiffen 
die goldene Kette überreichte. Wie bezaubert ſchaute 

II. 8 12 


178 


er auf die holde Geſtalt, die ruhig und ernft vor 
ihm ſtand, und zum erſten Male verwirrt in ſeinem 
Leben, fand er keine Worte, dem edlen Fräulein zu 
danken, daß ſie ihn gewürdigt, ihm den Preis des 
Sieges zu ſpenden. In der ſonſt ſo feſten, ſichern 
Hand zitterte die goldene Kette, und als das Fräulein 
ſich ſtolz wegwandte und unter den Geſpielen ver— 
ſchwand, konnte der Ritter den Sturm im Innern 
nicht mehr ertragen, er eilte fort, ſchwang ſich auf 
ſein Roß und jagte hinaus in die ſtille Einſamkeit 
der Wälder. 

Was war wohl vorgegangen in der Seele des 
wilden Ritters, als Gunda, des kaiſerlichen Landvogts 
Otto von Waldburg zu Altdorf Tochter, züchtig und 
ernſt vor ihm ſtand, war in dem wilden, jedes weichen 
Gefühles bisher unzugänglichen Herzen des Ritters 
plötzlich ein neues Licht aufgegangen? vor der zarten 
Jungfrau bebte er, der noch nie gezittert, und ihr 
kalter Blick ſenkte ſich gleich einem Todesſtrahl ihm 
in die Seele. War das Liebe? war es das ſo oft 
verhöhnte Gefühl, das, wie er behauptete, des Mannes 
unwerth, nur ein Erbtheil der Thoren ſei? Wie dem 
auch immer ſei, in Kuno war eine urplötzliche Ver— 
änderung vorgegangen: es wallte und gährte in ſei— 
nem Herzen, denn die in ihm entſtandene Leidenſchaft 
war wild, wie er ſelbſt, ſie zog nicht ſtill beſeligend 
ihm ins Herz, ſie verklärte nicht, wie mit goldnem 
Morgenglanze, ſein ganzes Weſen — ſie glich einer 
gewitterſchwülen, ö Glut. 


ma 


Die Tage vergingen. Des wilden Ritters Liebe 
zur ſchönen Gunda war, wo möglich, noch tiefer ge— 
worden, er wollte ſie zu ſeinem Weibe machen, und 
wenn er an all die Seligkeit, die er ſich in ihrem 
Beſitze verſprach, dachte, ſo regten ſich ſogar milde 
Entſchlüſſe, weiche Gefühle in dem ſonſt ſo trotzigen 
Herzen. 

Kuno wählte den geraden Weg, er hatte noch nie 
erfahren, was es heiße, ſich ſelbſt einen Wunſch zu 
verſagen, und zweifelte keinen Augenblick an dem 
Gelingen ſeines Vorhabens. Von einigen Knappen 
begleitet, machte er ſich alſo auf den Weg nach 
dem Schloß des Landvogts zu Altdorf, um feine 
Brautwerbung anzubringen. Mit kalter Höflichkeit 
empfing ihn der Burgherr, hörte gelaffen des jungen 
Mannes Bitte, antwortete dann aber auch mit der 
derben Ehrlichkeit der alten guten Zeit, daß, obwohl 
er ſeine Tochter in keiner Weiſe zwingen werde, er 
doch nur ungerne dieſe Verbindung ſehen würde, weil 
des Ritters von Wildeneck rauhe Gemüthsart ihm ein 
gar schlechter Bürge für feines einzigen Kindes Gluck 
wäre. 

Mit ſchlecht verhehltem Verdruſſe bat Kund um 
die Ehre, das Fräulein ſelbſt ſehen zu dürfen, und 
alsbald erſchien Gunda auf des Vaters Geheiß im 
Saale. Blonde Flechten umgaben in reicher Fülle 
das edle Antlitz, welchem liebliche blaue Augen Reiz 
und Leben gaben; ſie war eine fo ächt deutſche Jung: 


8 


* 


180 


frau, ſinnig und jittig, und doch, wenn es fein mußte, 
opferwillig, ſtark und muthig. 

Verwundert lauſchte ſie des Ritters zierlicher Rede, 
aber ein beſtimmtes Kopfſchütteln, begleitet von we— 
nigen ernſten Worten, verkündete ihm entſchieden ge— 
nug, daß Gunda ſich nimmer entſchließen würde, 
Hausfrau auf Wildeneck zu werden. 

Schmerz und Ingrimm rasten in dem Herzen des 
verſchmähten Freiers, die Leidenſchaft kämpfte mit dem 
Stolze, beſiegte ihn, und Kuno beſchloß, daß um 
jeden Preis, durch Anwendung jedes Mittels, Gunda 
ſein werden müſſe. 

Haſt Du nie einen Tiger in ſeinem Käfig geſehen, 
welcher, weder durch Hunger, noch durch Wuth gereizt, 
wie ein Kätzlein ſprang? ſein glänzendes Fell iſt 
weich und glatt und gleichſam zierlich ſpielend, zeigt 
er feine ſchönen, ftarfen Glieder. Wer würde glauben, 
daß dieſes das gleiche wilde, furchtbare Thier ſei, 
welches den unglücklichen Reiſenden zerreißt und ſich 
in Blut und Mord ſättiget? Ungezähmte Leidenſchaft 
iſt gleich dem Tiger — unſchädlich, wenn befriedigt, 
ſchrecklich, wenn man ſich widerſetzt. 

Kuno war nun, wo möglich, noch wilder geworden, 
Tage und Nächte lang verweilte er in ſeinen Wäldern, 
kein Lächeln erhellte mehr das bärtige Antlitz, in ſei— 
nem Innern kochte Haß und Zorn. Da verbreitete 
ſich die Kunde der Verlobung der ſchönen Gunda 
mit dem edlen Ritter von Ringenburg und ſenkte den 
Stachel noch tiefer in des wilden Ritters Bruſt. 


181 


Auf demſelben Turniere hatte der Junkherr von 
Ringenburg des Fräuleins Herz gewonnen, und der 
greife Vater ſegnete freudig bewegt den vielverſprechen⸗ 
den Bund. 

Schon rüftete man zu Altdorf zur Hochzeit: die Kapelle 
war reich mit Blumen und Kränzen geſchmuͤckt, heller 
Lichterglanz ſtrahlte in den heiligen Räumen, ſanftes 
Orgelſpiel vermiſchte ſich mit ſüßem Weihrauchduft, 
als im einfachen weißen Gewande, den Myrthenkranz 
in den blonden Locken, die reizende Braut an der 
Hand des glücklichen Bräutigams, die Stufen des 
Altares betrat und der Diener des Herrn den Bund 
der Herzen ſegnete. Helles Glockengeläute verkündete 
den freudig harrenden Dienſtmannen, daß die heilige 
Handlung vorüber, und alsbald trat der Zug aus 
der Kirche und luſtige Weiſen ertönten in den hohen 
Gemächern der altergrauen Burg. Strahlend vor Liebe 
und Glück ſchmiegte ſich die holde Braut an den 
erwählten Gatten, und ein ſeliges Leben durchzitterte 
ſie, als ſein Arm ſich um ihre zarte Geſtalt ſchlang, 
und er ſie mit innigen, ſchmeichelnden Tönen ſein 
ſüßes Weib nannte. Dem ſchönen Tage folgte ein 
wonniger Abend. Der Vollmond ſtrahlte in goldenem 
Glanze am tiefblauen Firmamente, gleich als wollte 
auch er den Neuvermählten ſeine Huldigung bringen; 
Luſt und Freude hatte ihren Wohnſitz in dem alten 
Ahnenſchloſſe aufgeſchlagen, die heitere Jugend drehte 
ſich im wirbelnden Tanze, feuriger Wein ließ das 
Blut lebhafter durch die Adern der alten Herren 

x 


182 


kreiſen, und unter lautem Jubelrufen der Gäfte ent: 
fernte ſich endlich der Bräutigam mit ſeiner Erkorenen 
und führte ſie ins trauliche Brautgemach. Lauſchige 
Stille und reizendes Halbdunkel umfing hier die Lie— 
benden; durch die offenen Fenſter fluthete das ſilberne 
Mondlicht, flüſterten die Blätter der Bäume ihre 
träumeriſchen Sagen und ein leiſes Lüftchen bewegte 
die Gardinen des Brautlagers, welches magiſch von 
dem rothen Lichte einer Lampe beleuchtet war. Kaum 
eingetreten, eilte die Braut, noch im hochzeitlichen 
Schmucke, einem Betſtuhle zu, welcher vor dem Bilde 
der Himmelskönigin in einer Niſche ſtand, und be— 
grüßte die Heilige. Der Bräutigam war neben ihr ge— 
kniet und weckte ſie nun aus ihren ſtillen Träumen. 
Sie blickte auf zu ihm mit ſchüchternen, verſchämten 
Blicken, ſchmiegte ſich an ihn, wie ein ſcheues Kind, 
und duldete nur widerſtrebend ſeine Zärtlichkeit, denn 
der keuſche Sinn der Jungfrau war noch nicht der 
heißen Liebe des Weibes gewichen. Die Lampe war 
längſt erloſchen, tiefe Stille umgab alle Bewohner 
des Schloſſes, dem Lärmen der hochzeitlichen Freude 
war die ruhige Stille der Nacht gefolgt, als plötzlich 
der Ruf „Feuer!“ erſcholl, und Waffengeklirr, wildes 
Geſchrei und Todesröcheln durch die Hallen tönte. 
Gunda erwachte entſetzt in des Gatten Armen, in 
welchen ſie ſo ſelig entſchlafen war, er erhob ſich raſch 
von dem Lager, um nach der Urſache des Lärmens 
zu ſehen, als plötzlich Vermummte in das Brautge— 
mach ſtürzten, voran der Ritter von Wildeneck, der 


183 


in wahnſinniger Wuth, es nicht einmal für nöthig 
hielt, ſeine Züge hinter einer ſchützenden Maske zu 
bergen. Mit einem Gebrülle ſprang er, gleich einer 
Hyäne, auf ſeinen glücklichen Nebenbuhler zu und 
ſenkte den ſcharfen Dolch in deſſen Bruſt. Mit dumpfem 
Stöhnen ſank der zum Tode Getroffene auf die Kiſſen 
zurück und färbte ſie mit ſeinem Herzblut, während 
Gunda ihn mit lautem Angſtſchrei umklammerte und 
ihn mit den ſüßeſten Namen rief. Kuno's Blicke 
funkelten in wilder Racheluſt, als er die entſetzliche 
Scene vor ſich ſah, einen Augenblick betrachtete er, 
wie träumend, die letzten Zuckungen ſeines Opfers, 
den verzweifelnden Schmerz der jungen Frau, dann 
fuhr er auf, umfaßte die Wehrloſe mit ſtarkem Arme, 
riß ſie vom Herzen des ſterbenden Gatten und floh 
mit ihr in wilder Haſt. 

Unter dem freudigen Getümmel der Hochzeit war 
es dem Ritter gelungen, ſich mit einigen Helfern in 
die Burg zu ſchleichen und die dunkle Nacht begünſtigte 
ſeine furchtbare That. 

In raſtloſer Haſt rannte er nun mit ſeiner koſt— 
baren Beute fort, ſich keine Ruhe gönnend, bis er 
im Laurathale bei dem ſogenannten großen Steine 
angekommen war. Hier wollte er friſche Kraft ſchöpfen, 
um die Geraubte dann auf ſeine ſichere Burg ſchleppen 
zu können. Er legte die Ohnmächtige auf dem Steine 
nieder und fchöpfte tief Athem. So war denn das 
finſtere Werk gelungen, und das leidenſchaftlich geliebte 
Weib hatte die Gewalt in ſeine Hände gegeben. Er 


2 


184 


betrachtete die leblos ſcheinende Geſtalt mit ftolger 
triumphirender Miene, als wollte er ſagen: „ich will 
Dich ſchon kirre machen.“ 

Die fühle Nachtluft und die kurze Ruhe brachten 
Gunda wieder zum Bewußtſein, die ſchrecklichen Er— 
lebniſſe der letzten Stunde traten vor ihr geiſtiges 
Auge, während der Körper noch in Ohnmacht erſtarrt 
ſchien. Mit ſicherem Urtheile und feſtem Entſchluſſe 
uberblickte ſie ihre Lage, ſie wußte, daß ihre Ehre dem 
Leben vorzuziehen ſei, und der Tod ſie ſchnell mit 
dem geliebten Vorangegangenen vereinen müſſe. Zu 
der Zeit, in welcher ſie lebte, konnte ein derartiger 
Entſchluß eines Weibes nicht überraſchen, und mit 
Aufbietung all ihrer Kräfte ſprang ſie auf, entriß 
dem erſtaunten Ritter das Schwert und ſenkte es 
muthig in die eigene Bruſt. Die That war mit 
Blitzesſchnelle vollbracht, und Gunda hatte ſo gut ge— 
troffen, daß ſie mit einem Flehen an die ewige 
Barmherzigkeit den Geiſt aufgab. 

Kuno von Wildeneck erbebte unter der Wucht dies 
ſes Ereigniſſes. Das war alſo die Frucht all ſeiner 
Pläne, deßhalb hatte er den ſchuldloſen Ritter von 
Ringenburg gemordet und ſich mit ſolch garſtigen, jede 
Ritterehre für immer befleckenden Thaten gebrand— 
markt! An der Leiche der Geliebten, um deren 
Beſitz er zum Verbrecher geworden, erwachten die 
Furien der Reue. Die Hand des Allmächtigen hatte 
an dem harten Herzen gerüttelt und es aus einem 
langen Schlafe zum ſchrecklichen Erwachen gerufen. 


185 


Stöhnend vor Weh und Gewiſſensqual ſank er 
neben Gunda in die Kniee und ſuchte das entfliehende 
Leben zu bannen — umſonſt — die blauen Augen 
waren gebrochen! Verfolgt von der Furcht vor irdi— 
ſcher Gerechtigkeit, und mehr noch von den Schreck— 
bildern des Gewiſſens, raffte er ſich auf und entfloh 
durch die finſtern Wälder, ohne zuvor noch den Fuß 
in die heimathliche Burg zu ſetzen. Die Leiche der 
jungen Burgfrau wurde von den Reiſigen gefunden, 
und unter heißen Thränen neben der des gemordeten 
Gatten von dem nun kinderloſen Vater begraben. 

Jahre waren vergangen. Die alte Burg der Wil— 
deneck war zur Einöde geworden, Dohlen niſteten in 
den Gemächern, man ſcheute den verrufenen Ort. 
Kein Ohr hatte ferner etwas von dem flüchtigen 
Kuno gehört. 

Mit dem Kainszeichen auf der Stirne war er un— 
ſtät in allen Ländern herumgeirrt, ohne irgendwo die 
heißerſehnte Ruhe zu finden. Zerfallen mit ſich und 
der Welt, gelang es dieſem wilden, fündenbeladenen 
Herzen doch nicht, den Blick gläubig und reuig zum 
Himmel zu erheben, und ſo ſchleppte er ein troſtloſes, 
fluchbeladenes Daſein fort. 

Ein gewitterſchwüler Sommertag neigte ſich ſeinem 
Ende zu, Donner und Blitz folgten ſich in ſchneller 
Abwechslung, die Glocken zu Weingarten läuteten den 
Wetterſegen, während die Kloſterthürme in fortwäh— 
rendem Feuer zu ſtehen ſchienen. Ein bleicher Wan— 
derer zog trotz dem Heulen des Sturmes und dem 

* 


186 


Flammen der Blitze die Straße einher; ein ſchmerz— 
licher Blick fiel auf die nahe Ruine Wildeneck, welche 
düſter von ihrer Anhöhe hernieder blickte, dann ver— 
lor ſich der fremde Mann in dem Dickicht des Laura— 
thales. Umtobt von Sturmesbrauſen und dem Ge— 
krächze der Raubvögel, gelangte er endlich zu dem 
großen Steine, neben welchem er ſtöhnend zuſammen— 
brach. Der Himmel ſchien ein Glutmeer, von allen 
Seiten umzüngelten Blitze in feurigem Zickzack den 
armen Wanderer: überwältigt von den Schrecken der 
Natur und der Qual des Gewiſſens, erhob ſich die 
hagere Geſtalt, rief mit gefalteten Händen: „Erbarme 
Dich, du Ewiger! ſei meiner armen Seele gnädig!“ 
Siehe da zuckte ein Blitzſtrahl vom Himmel über dem 
Haupte des Ritters und er ſank todt zuſammen. 
Am andern Morgen fanden Landleute an dem 
großen Steine im Laurathale die Leiche des längſt 
vermißten wilden Ritters. Lina Welebil. 


Die Sage vom Laurathale. 


Im romantiſchen Laurathale erhoben in grauer 
Vorzeit zwei Ritterburgen ihre mächtigen Zinnen. 
Auf der ſogenannten Zundelbacherhalde ſtand die Burg 
Reuti, über dem Bache die Haslachburg, deren Be— 
ſitzer Dagobert mit ſeiner einzigen Tochter Laura ein 
ſtilles, glückliches Leben führte. Nach dem Tode der 
geliebten Gattin zog er ſich noch mehr zurück und lebte 
einzig der Erziehung ſeines liebreizenden Kindes. Laura 


187 


gedieh zu den ſchönſten Hoffnungen, und nicht ſelten 
glänzte eine Thräne tiefer Rührung und ſeliger Vater- 
freude in dem Auge des greiſen Ritters, wenn er ‚fie 
betrachtete, Die feines Alters Krone war. 

Gegenüber von der ſtillen Haslachburg hauste auf 
dem Stammſchloſſe ſeiner Ahnen der junge Ritter Adal— 
bert von Reuti Dem jungen Edelmanne entging 
der Liebreiz der holden Nachbarin nicht, und bald hatte 
Amor den ſüßen Namen Laura mit glühendem Griffel 
ihm ins Herz geſchrieben. 

Laura blieb nicht unempfindlich gegen des Ritters 
Huldigungen, und das reizende, ſüße Glück der erſten 
Liebe breitete bald ſeinen geheimnißvollen Schleier 
über die jungen Herzen. 

Vater Dagobert ſegnete gerne den glückverheißen— 
den Bund, verlobte ſein einzig Kind dem Ritter von 
Reuti, und der nächſte Frühling ſollte feine Blü— 
then zu ihrer Trauung ſpenden. Süße, wonnige 
Tage flogen nun an dem Brautpaare vorüber, jedes 
Zuſammentreffen verband die Herzen, inniger und Laura 
freute ſich auf den Zeitpunkt, welcher ſie mit dem 
Geliebten vereinen ſollte, wie ein glückliches Kind ſich 
auf Weihnachten freut. 

Ein langer trüber Winter war unter Vorbereitungen 
für den künftigen e ſchnell vorüber gezogen, 
wieder dufteten Roſen, Jasmin und Flieder in den 
Burggärten, wieder fangen die Vögelein ihre zärtlichen 
Weiſen in den dichten Lauben des Parkes und die 
ganze Natur hatte ſich bräutlich geſchmückt. Die 

0 


188 


Wonnezeit des Jahres war längft zur Trauung der 
Verlobten beſtimmt geweſen, und der feſtliche Tag 
war bis auf wenige Wochen nahe gerückt. Wie froh 
und glücklich leuchtete nun Adalberts Auge, wenn er 
fein Bräutlein in die Arme ſchloß, und ſie mit ſuͤßem 
Erröthen, von wonniger Ahnung durchſchauert, ſich 
an ihn ſchmiegte. Bei ſolchen Scenen pflegte wohl 
ein Thränlein der Rührung über das Gluck der 
Kinder und der Erinnerung an die eigene Vergangen— 
heit in den grauen Bart des Vaters zu fallen: er 
dachte der Zeit, wo Lauras Mutter ſich ebenſo in 
jungfräulicher Schüchternheit an ihn ſchmiegte: — wo 
war ſie jetzt, die einſt ſein Alles war auf Erden? 

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen; Ritter 
Adalbert war ſchon frühe ausgeritten, drüben auf 
den Zinnen der Haslachburg wehte ihm ein weißes 
Tuch einladend entgegen und — wer hätte wohl der 
ſüßen Lockung widerſtanden? — anſtatt der fröhlichen 
Jagd zu pflegen, lenkte er ſein Pferd dem Ziele ſeiner 
Sehnſucht zu. Laura kam ihm wie ein frohes Kind 
entgegen gehüpft, er ſprang vom Sattel, ſchloß ſie 
in die Arme und ſie beſchloſſen, den wundervollen 
Tag im Freien zu genießen. Unter Tändeln und 
Koſen flogen die Stunden gleich Minuten; Laura 
hatte Kränze gewunden, und drückte deren ſchönſten 
jubelnd auf das ehrwürdige Haupt ihres Vaters. 
Plötzlich aber wurde ſie ernſt, ſetzte ſich zu ſeinen 
Füßen und barg den blonden Lockenkopf leiſe ſchluch— 
zend in ſeinem Schoße. 


189 


„Was ift Dir, mein Täubchen?“ fragte der alte 
Ritter beſorgt, und hob mit zitternder Hand ihr Köpf: 
chen in die Höhe. Laura lächelte ihm unter Thränen 
zu: „Weiß nicht, was ſo plötzlich mich überfiel,“ 
ſprach ſie wehmüthig „mich durchbebte es wie Ahnung 
kommenden Unglückes — wenn ich nur meinen Hoch— 
zeitstag erlebe“ — 

„Wie kommſt Du zu ſolch trüben Gedanken, Lieb— 
chen? verſcheuche ſie mir zu Liebe“ bat Adalbert, ihre 
zarte Hand küſſend. „Vergib mir, Vater und auch 
du Adalbert; ich wollte Euch nicht wehe thun — 
aber es zog mir wie ein Trauerklang durch die Seele 
und ich mußte weinen, ohne zu wiſſen warum.“ 

Das kleine Zwiſchenſpiel war bald vergeſſen, Adal— 
bert ſpielte die Laute meiſterhaft, und begleitete da— 
mit die lieblichen Lieder ſeiner Braut. 

Schon ſenkten ſich der Dämmerung Schatten über 
die Gefilde, und der Vater mahnte daran, in's Schloß 
zu gehen, damit die Abendluft nicht ſeinen alten 
Gliedern ſchade. 

»Wißt ihr, Kinderlein, über vierzehn Tagen will 
ich an eurer Hochzeit noch eines tanzen, und da darf 
die leidige Gicht mir nicht meine Freude ſtören, am 
Ehrentage meines Herzblättchens,“ ſcherzte er gutmü— 
thig, und die kleine Familie machte ſich auf den Weg. 

„Sehet, lieber Vater, welch drohende Gewitterwolken 
dort aufſteigen, ich denke, wir werden heute Nacht 
noch Donner und Blitz haben,“ ſprach Adalbert zu 
ſeinem Schwiegervater. 

. 


190 


„Ja, ja, die Luft iſt ſchwül und drückend, ich fürchte. 

beinahe ſelbſt etwas Aehnliches,“ erwiederte dieſer. 
„Unter ſolchen Umſtänden wirds wohl beſſer fein, 
ich begebe mich vor Ausbruch des Unwetters nach 
Hauſe,“ ſagte der junge Ritter zu ſeiner Braut. „O 
bleib bei mir — ich fürchte mich ſonſt,“ bat Laura, 
ſich an ſeinen Arm klammernd. a 

„Mein Kind ſollte keine Furcht kennen,“ tadelte 
Ritter Dagobert. Beſchämt und ſchweigend ſenkte 
Laura den Blick zur Erde und wagte keine Gegenrede, 
als ihr Bräutigam ſich beurlaubte. Ihr Herz zuckte 
krampfhaft, da er ſie umarmte, und ihr thränenfeuchter 
Blick tauchte bittend in den ſeinen — Adalbert ſchien 
zu zögern, aber er dachte an den Tadel des alten 
Ritters und blieb ſeinem Vorſatze getreu. 

Er eilte die Treppen hinunter, ſchwang ſich auf's 
Pferd und trabte bald zum Burgthore hinaus, wäh— 
rend Laura bleich und ſtille oben am Fenſter ſtand 
und ihm nachſtarrte, bis eine Biegung des Weges 
ihn ihrem Auge entzog. 

„Maria hilf!“ ſeufzte ſie aus beklemmter Bruſt 
und blickte gläubig zum Himmel. „Kind, das ich bin!“ 
fuhr ſie nach kurzer Pauſe im Selbſtgeſpräche fort, 
„warum iſt mir ſo unheimlich und bang? ich freue 
mich doch ſonſt der Naturereigniſſe, und wenn die 
Blitze flammen und der Sturm durch die Wipfel der 
Eichen rauſcht, ahne ich die Größe, die Kraft Gottes — 
aber heute — mir iſt ſo ſonderbar zu Muthe. — 
Sie preßte die Hand auf das unruhig pochende Herz 


191 


und blickte nach den Wolken, die ſchwarz und drohend 
am fernen Horizonte ſich ſammelten. Der Vögel 
Gezwitſcher war längſt verſtummt, ſie flatterten ſcheu 
umher und ſuchten Schutz gegen das drohende Un— 
wetter; die Luft war drückend, kein Wind belebte die 
ſchwüle Stille, einzelne Blitze zuckten durch die dunkeln 
Wolken und erleuchteten die ſchnell eintretende Däm⸗ 
merung. Die ganze Natur befand ſich in jener 
dumpfen, unheimlichen Ruhe, welche gewöhnlich einem 
heftigen Sturme vorangeht. 

Laura's Vater ſaß in ſeinem Sorgenſtuhle am 
Kamine, zwei Wachskerzen brannten vor ihm und be— 
leuchteten düſter die dunkeln Wände des großen, alten 
Gemaches. Er hatte das Haupt nachdenkend in eine 
Hand geſtuͤtzt, während die andere mit dem Halsbande 
des großen Hundes ſpielte, welcher neben ihm kauerte 
und ihn mit feinen klugen Augen anblickte. 

Im weißen Nachtgewande trat Laura mit einer 
brennenden Kerze in der Hand durch die offene ige 

„Mir ift fo bang, Vater,“ ſprach fie leiſe, »das 
Gewitter wird wohl Schaden bringen!“ 

„sit das mein ſtarkes, muthiges Kind? — wo iſt. 
Dein Gottvertrauen, Laura? Wenn wir glauben, daß; 
eine Vaterhand in allmächtiger Liebe unſere Geſchicke 
leitet, vor was können wir uns dann fürchten? Und 
iſt es denn das erſte Gewitter, das mein Kind 
auf dieſer einſamen Burg erlebt? ſonſt pflegteſt du 
dich nicht zu fürchten, Kind, und ich durfte ſtolz 
ſeyn auf meine muthige Tochter.“ 


in 


192 


„Du haft Recht, Vater, ich bin heute kindiſch,“ 
unterbrach ihn Laura; „ich will noch in die Kapelle 
gehen, im Gebete wird mir leichter werden, die heilige 
Jungfrau iſt ja die Tröſterin der Betrübten, zu ihren 
Füßen werde ich Blitz und Sturm nicht fürchten.“ 
„Geh, mein Kind,“ ſprach der alte Herr gerührt, 
„und wenn du zurückkommſt, hole mich hier ab, dann 
führſt du mich zur Ruhe.“ 

Langſam ſchritt Laura durch die langen Gänge der 
kleinen Hauskapelle zu. Durch die hohen Fenſter 
der Hallen flammten Blitze, näher und näher krachte 
der Donner, und das bleiche Licht der Wachskerze in 
des Fräuleins Hand flackerte trübe und unheimlich. 

Sie trat in das kleine Gotteshaus und näherte 
ſich dem Altare. Das Bild der Himmelskönigin 
ſchmückte denſelben, und der rothe Schein des ewigen 
Lichtes beleuchtete mild das Antlitz der Gebenedeiten 
unter den Weibern. 

Laura fühlte ſich ruhiger und weniger ängſtlich in 
den heiligen Hallen, ſie bekreuzte ſich fromm und ſank 
vor dem Altare auf die Kniee in brünſtigem Gebete. 

Ihr Auge hob ſich gläubig zu dem heiligen Bilde, 
es ſchien ihr zuzulächeln, ihr Muth und Vertrauen 
in's Herz zu flößen, und während draußen ein Gluten— 
meer aus den ſchwarzen Wolken quoll, Donnerſchläge 
ſich ſchnell und dröhnend folgten und der Sturm 
durch die Bäume heulte, flehte die leiſe Stimme des 
jungen Mädchens glaubensvoll in der ſchwacherhellten 
Kapelle: „Unter Deinem Schutz und Schirm fliehen 


193 


wir, o heilige Gottesgebärerin! — o mächtige Jung: 
frau, du Zuflucht der Sünder, du Tröſterin der 
Betrübten, du Hülfe der Chriſten, bitte für uns! 

Immer und immer wieder wiederholte ſie die frommen 
Worte, gleich als gäben ſie ihr Kraft, die Schrecken 
der Nacht zu tragen, als fühlte ſie, daß, was auch 
immer geſchehen möge, zu ihrem Wohle gereichen 
müſſe, wenn die Heilige ſie gewürdigt habe, auf 
ſie zu blicken. 

Nach und nach verſtummte die leiſe betende Stimme, 
wie in ſich verſunken kniete das Mädchen lautlos an 
den Stufen des Altares, und verwendete kein Auge 
von dem Bilde der Königin der Engel, auf deren 
Schooße das Heil der Welt ruhte. Ein ſüßes Lächeln 
ſchien die Züge des Burgfräuleins zu verklären, und 
o wie lieblich war das Bild in der Kapelle, im Ver— 
gleiche mit dem tobenden Sturme der rafenden Ele— 
mente draußen. 

Laura war ſchon lange in der Kapelle, es war ihr 
wohl geworden und ſie ſchien vergeſſen zu haben, daß 
der alte Vater ihrer harrte, als plötzlich ein glühender 
Blitz ſie aufſchreckte, dem augenblicklich ein Donner— 
ſchlag, welcher die Grundpfeiler der Burg erſchütterte, 
folgte. 

Einige Minuten ſpäter ſtand die Burg in Flammen; 
es hatte eingeſchlagen und das Feuer griff mit raſen— 
der Schnelle um ſich. Laura erſt ſo ängſtlich, hatte 

nun den Muth der Löwin gefunden, ſie verließ ſchnell 
die heilige Stätte und eilte in's Wohngemach, dem 

II. « 13 


194 


alten Vater beizuſtehen. Da lag der arme Greis 
ohnmächtig, und der treue Hund ſaß winſelnd und 
zitternd neben ihm. Keiner der Diener war an ſei— 
nem Platze, es war, als ob alle im erſten Schrecken 
geflohen wären. Laura dachte nicht an die eigene 
Gefahr, es galt, den theuren Vater zu retten, und 
ſo achtete ſie nicht der Flammen, die immer mehr 
um ſich griffen, nicht des erſtickenden Rauches, der 
ſie umgab. 

Es gelang ihr, den Vater zum Bewußtſein zu brin— 
gen, und mit einer jener übermenſchlichen Anſtrengun— 
gen, deren wir im Momente der Gefahr fähig ſind, 
ohne ſpäter begreifen zu können, wie es möglich war, 
ſchleppt ſie denſelben in den Garten, und rettet ihn 
vom Flammentode, um ihn kurze Zeit fpäter in ihren 
Armen ſterben zu ſehen. 

Ritter Adalbert hatte inzwiſchen auf der Zinne 
ſeiner Burg dem Toben des Sturmes zugeſehen. Sein 
Auge blickte eigentlich nur mechaniſch auf die groß: 
artige Naturerſcheinung, denn ſein Herz beſchäftigte 
ſich, mit ſüßen Bildern künftigen Glückes. Er ſah 
Laura als Weib und Mutter, ſich als den glücklich— 
ſten Gatten und freute ſich der kommenden Seligkeit. 
Da weckte auch ihn der furchtbare Donnerſchlag aus 
ſeinen ſüßen Träumen, und einen Augenblick ſpäter 
ſieht er Laura's Heimath in Flammen ſtehen. Adal— 
bert beſann ſich keinen Augenblick, er ſprang auf, 
eilte die Treppen hinunter und verließ die Burg, 
ohne ſich Zeit zu gönnen, auch nur die geringſten 


195 


Vorkehrungen zu treffen — es galt ja, die Geliebte 
zu retten. | 

Er eilte auf dem nächſten Wege dem nahen Bach 
zu, über welchen ein ſchmaler Steg führte, und hoffte, 
ſo in kürzeſter Zeit ihr mit Hülfe und Beiſtand nahe 
zu ſein. 

Die wilden Regenguͤſſe jedoch, welche die ganze 
Nacht niedergeſtürzt waren, hatten das enge Flußbette 
immer höher angeſchwellt, und die Wogen hatten die 
ſchwache Brücke mit fortgeriſſen. Der junge Ritter 
hatte keine Ahnung dieſes Ereigniſſes, er dachte nur 
der Gefahr ſeiner Braut, betrat ſchnell den Steg, und 
wenige Augenblicke ſpäter ſchlugen die Wogen ſchäu— 
mend über ihm zuſammen und begruben ihn in ihrem 
feuchten Schooße. Während er machtlos um ſein 
Leben kämpfte, hatte Laura verzweifelnd die Leiche 
des theuren Vaters und die brennende Burg verlaſſen, 
und wollte in ihrer Angſt Hülfe und Schutz bei dem 
theuren Bräutigame ſuchen. Von dem Glaſte der 
Feuersbrunſt geleitet, gelangt ſie an das Bett des 
Fluſſes und ſucht nach dem ſchmalen Stege, der ſie 
an das andere Ufer, und dann auf Adalberts Burg 
führen ſoll. Nirgends eine Spur der Brücke: — da 
zeigt eine plötzlich aufſteigende Feuerſäule und ein 
blendender Blitzſtrahl ihr ein menſchliches Weſen, das 
in den kalten Wogen mit dem Tode ringt. Starr 
vor Entſetzen blickt ſie noch einmal auf die ſchreckliche 
Scene — das Auge der Liebe hatte den Verlobten 
erkannt — und mit einem Schrei der Verzweiflung 

* 


196 


ſpringt ſie in das naſſe Grab, um vereint mit ihm 
zu ſterben, den ſie hienieden am Meiſten geliebt. 
Am folgenden Tage, als die Sonne wieder golden 
am tiefblauen Firmamente lachte, und wie verwundert 
auf die rauchenden Trümmer der erſt ſo ſtolzen Burg 
niederblickte, wurden die Leichen der Verlobten an's 
Land gebracht: ſie hatten ſich im Tode feſt um— 
ſchlungen und wurden ſo in geweihter Erde beigeſetzt. 
Im Munde des Volkes aber erhielt ſich die ſchauer— 
liche Sage, daß mancher Wanderer um die Mitter— 
nachtsſtunde eine Schattengeftalt mit weißem Gewande 
und Nebelſchleier von der Lauraburg zum großen 
Steine ſtille wallen geſehen habe. Das Thal aber 
führt feit jener ſchauerlichen Begebenheit den Namen 
Laurathal. L. Welebil. 


VI. 
Schloß Kirchberg 
an der Iller. 


Im ſchönen Thale der Iller, deren grüne Wellen 
noch ſchäumend vom geſchmolzenen Schnee der Tyroler 
Alpen das reiche Land durchſtrömen, das ſich am alten 
Kloſter Kempten bei der frühern Reichsſtadt Mem⸗ 
mingen herniederſenkt zum Donauthal — erhebt ſich 


197 


auf einem mäßigen Hügel des linken Ufers das Schloß 
Ober⸗ Kirchberg, das jetzt noch bewohnt wird von 
den Nachkommen des reichen Geſchlechts der Fugger. 
Schloß Ober-Kirchberg war ſeit Jahrhunderten der 
Hauptſitz der alten Herrſchaft Kirchberg, und wurde 
auf den Grundmauern der Stammburg der alten 
Grafen von Kirchberg erbaut. Letztere gehörten zu 
den älteſten und edelſten Geſchlechtern des Schwaben— 
landes. Die erſten urkundlichen Grafen von Kirchberg 
ſind die Gebrüder Hartmann und Otto, welche 
im Jahr 1093 das Kloſter Wiblingen ſtifteten, deſſen 
Vogtei dem Hauſe verblieb. Graf Hartmann von 
Kirchberg war einer der erſten Schwaben, welche im 
Jahr 1098 mit Gottfried von Bouillon nach Pa— 
läſtina zogen, um den Sarazenen das heilige Land 
zu entreißen. Im Jahr 1109 war Graf Hartmann, 
man weiß nicht aus welcher Urſache, in einer großen 
Fehde mit dem Grafen Rudolf von Bregenz begriffen. 
Sie lieferten einander im Januar dieſes Jahrs eine 
blutige Schlacht unweit Jedesheim, nicht ferne von 
Kirchberg; Graf Hartmann erſtritt am Ende den 
blutigen Sieg. Außer dem Graf Walther von Vös 
ringen fielen noch mehrere Edle. Otto von Kirchberg, 
Hartmanns Bruder, wird im Jahr 1099 zum letzten 
Mal in Urkunden genannt. Hartmann pflanzte den 
Stamm fort durch zwei Söhne, Hartmann und Eber— 
hard. Der erſtere erſcheint einige Male von 1127 
— 1134 in Urkunden, deſto häufiger fein. Bruder 
Graf Eberhard, der in den Jahren 1142 — 1150 
0 


198 


meiſtens in der Umgebung K. Konrads III. vorkommt. 
Eine Schweſter von dieſen beiden ſoll jene fromme 
Ida geweſen ſeyn, von der die Legende eine rührende, 
allwärts bekannte Geſchichte erzählt. Sie war an 
den reichen Grafen Heinrich von Toggenburg ver— 
mählt, deſſen väterliche Stammburg auf einem Felſen 
unweit dem Kloſter Fiſchingen im Thurgau lag. So 
tapfer und ritterlich dieſer ihr Gemahl war, ſo konnte 
er doch den Zorn nicht überwinden. Ein Rabe 
reizte noch die ſchrecklichſte Eiferſucht gegen ſeine Ge— 
mahlin in ihm auf, und veranlaßte ihn zu einer 
verabſcheuungswürdigen Gewaltthätigkeit. Der diebiſche 
Vogel hatte nemlich neben anderem Schmuck den Braut— 
ring der Gräfin am offenen Fenſter in der Sonne glän— 
zen ſehen und davon genommen. Der Jäger des Grafen 
fand den Ring und ſteckte ihn an ſeinen Finger. Wie 
der Graf den Ring an der Hand des Knechts bemerkt, 
entbrennt er von innerem Grimm; er glaubt, die 
Gräfin habe den Ring dem Knechte gegeben, um den 
Gemahl zu höhnen. Da ergriff er rachedürſtend die 
Gräfin, und ſchleuderte ſie in den Burggraben hin— 
unter, den Jäger aber läßt er an den Schweif eines 
wilden Pferdes binden, welches, über die Burghalde 
hinunter ſpringend, den Unglücklichen bald fürchterlich 
zerſchellt. Nur wie durch ein Wunder blieb die Gräfin, 
ungeachtet des tiefen Sturzes, am Leben. Von Gram 
erfüllt, und ohne Hoffnung, den verblendeten Gatten 
von ihrer Unſchuld überzeugen zu können, wankte ſie 
dem dichten Walde zu, verbarg ſich daſelbſt in einer 


199 


Höhle, und friftete mehrere Jahre lang ihr Leben mit 
wilden Beeren und Waldkräutern, und mit dem Al: 
moſen, welches die Hirten der Einſiedlerin gutmüthig 
reichten. Durch Zufall entdeckte der Graf auf der 
Jagd ſeine verborgene Gemahlin; ihre Erhaltung und 
fromme Ergebenheit in ihr trauriges Schickſal erſchien 
ihm nun als Beweis ihrer Unſchuld. Er wollte ſie 
wieder auf ſeine Burg führen, allein ſie zog es vor, 
eine Zelle bei Fiſchingen zu beziehen, und ihr übriges 
Leben dem Gotte zu weihen, der ſie vom ſchmählichen 
Tode errettet hatte. Ida ſtarb um 1179 und wurde 
zu Fiſchingen begraben. An ihrem Grabmale, das 
noch jetzt zu ſehen iſt, fand die Andacht viele Er— 
bauung, mancher Leidende Troſt in ſeiner Noth, das 
Kloſter Fiſchingen erlangte dadurch Berühmtheit und 
ſo viele Geſchenke, daß zu Ehren der frommen Ida 
eine Zeit lang auch ein Nonnenkloſter erhalten werden 
konnte. — Wir kehren wieder zu den Grafen von 
Kirchberg zurück. £ 

Söhne des Grafen Eberhard waren Otto, Hart: 
mann, und vielleicht auch ein Rudolf, der nur 
einmal im Jahr 1185 in einer Urkunde auftritt. 
Graf Hartmann von Kirchberg wird im Jahr 1164 
unter denjenigen genannt, welche auf Seiten des 
Herzog Welfs die unglückliche Schlacht bei Tübingen 
gegen den Pfalzgrafen Hugo mitgemacht. Sonſt wird 
er oft mit ſeinem Bruder Otto in Urkunden genannt, 
aber nach dem Jahr 1198 iſt er nicht mehr im Le— 
ben, während Otto ihm mehrere Jahre zuvor im 


200 

Tode vorangegangen. Ein Sohn von Hartmann war 
wohl der Graf Hartmann von Kirchberg, der noch 
bei Lebzeiten ſeines Vaters im Jahr 1187, und dann 
noch in Urkunden vom Jahr 1213 und 1215 er⸗ 
ſcheint. Söhne deſſen ſind Otto, und Hartmann, 
der einen Sohn Otto erzeugte, welcher ſich mit einer 
Schweſter des Grafen Ulrichs von Schelklingen ver— 
mählte. Aus dieſer Ehe gingen drei Söhne: Eber— 
hard, Conrad und Bruno hervor. Von den letzteren 
brachte es Bruno zur höchſten geiſtlichen Würde: er 
wurde Bifchof zu Brixen im Jahr 1250 und ſtarb 
1288. Graf Conrad von Kirchberg iſt der bekannte 
Minneſänger, welcher ſo begeiſtert von Blumen und 
Mai geſungen: 


Maie iſt kommen in die Land, 

Der uns je von Sorgen band; 
Kinder, Kinder ſeid gemahnt, 

Wir ſoln ſchauen Wonne mannigfalte, 
Auf der lichten Haide 

Da hat er uns vorgeſpreit 

Manig Blümelein gemeit u. ſ. w. 


Er hat 24 Strophen hinterlaſſen, in denen er beur— 
kundet, daß der Sänger an der grünen Iller keiner 
der geringen im Schwabenlande geweſen. Conrad 
und fein Bruder Bruno werden im Jahr 1255 in 
einer Verhandlung genannt, die auf der Burg Kirch— 
berg vorging. Bei dieſer Verhandlung erſcheint auch 
ein Otto von Kirchberg als Zeuge, der ſpäter 


201 


den Beinamen Graf von Brandenburg führte, und 
einer Nebenlinie angehörte. Dieſe müſſen angeſehene 
Herren geweſen ſeyn, denn ſie führen in Urkunden 
den Namen „erlauchte, hochgeborne Grafen.“ Conrad 
und Eberhard von Kirchberg werden noch bis ins 
Jahr 1268 mit einander in Urkunden aufgeführt. 
Die beiden pflanzten in zwei Linien den Hauptſtamm 
der Grafen von Kirchberg fort. Die eine, welche 
Conrad der Minneſänger ſtiftete, erloſch mit feinem 
Urenkel Wilhelm im J. 1366, da dieſer nur eine 
Tochter hinterlaſſen; die Linie Eberhards dauerte bis 
in den Anfang des 16. Jahrhunderts, wo ſie im 
ſechsten Gliede mit Graf Philipp von Kirchberg er— 
loſchen. Noch früher war die von dem obengenann— 
ten Otto von Brandenburg (jetzt Weiler und Schloß 
nicht ferne von Kirchberg und Neuhaus an der Leibe 
in Baiern) geſtiftete Nebenlinie ausgegangen; ſein 
Sohn gleichen Namens gab im Jahr 1304 ſeine 
Burg Neuhaus dem Hochſtift Augsburg zu Lehen 
auf, empfing ſie aber wieder mit ſeinem Vetter Graf 
Conrad dem Jungen von Kirchberg zu einem rechten 
Erblehen, und vererbte ſie auf die Kirchberger Haupt— 
linie, wie denn im Jahr 1347 Wilhelm der Aeltere, 
Graf von Kirchberg, von Kaiſer Karl IV. „mit den 
zwei Herrſchaften Kirchberg und zu dem Neuenhauſe, 
mit dem Burggeſäß zu Kirchberg u. ſ. w.“ belehnt 
wurde. Demnach lebte Graf Otto nicht mehr. — 
Viel Erwerbsglück war nicht in der durch frühe Thei— 
lung geſchwächten Familie, die noch durch eine ſchwarze 


A 


202 


That, einen Batermord, im Jahr 1339 war gebrande 
markt worden. Die Geſchichte hat den Namen des 
Vatermörders nicht überliefert, aber ein Graf von 
Kirchberg in Schwaben iſt es geweſen. Der Vater— 
mörder, welcher zugleich die Herrſchaft Wullenſtetten 
beſeſſen, ſoll 200 Jahre mit ſeinen Nachkommen von 
der Grafſchaft Kirchberg ausgeſchloſſen geweſen ſeyn, 
und mußte zur Strafe in ſeinem Wappen anſtatt der 
rothgekleideten Mohrin, eine Mohrin in ſchwarzem 
Kleide, mit fliegenden Haaren führen. — Die Burg 
und Herrſchaft Kirchberg ging frühzeitig, bei dem, 
daß es nicht an männlichen Sproſſen in der Familie 
fehlte, dem Haupttheil nach an Tochtermänner über. 
Doch brachte der Kirchberger Mannsſtamm die Graf— 
ſchaft Kirchberg wieder an fi. Graf Conrad (T 1417) 
und fein Sohn Eberhard ( 1440) brachten die 
Familie wieder empor. Conrads Enkel Eberhard, und 
Conrad, kauften wieder die Herrſchaft Kirchberg. Aber 
der Beſitz blieb nicht beiſammen; die genannten Gra— 
fen ſchwächten ſich aufs Neue durch Theilungen. 
Dazu kamen noch zahlreiche Schulden, welche beinahe 
die ganze Herrſchaft in die Hände der Stadt Ulm 
geſpielt hätten. Da verkauften Graf Wilhelm, Con— 
rads Sohn, und Philipp, Eberhards Sohn, der erſtere 
im Jahr 1481, der andere im Jahr 1498, ihre An⸗ 
theile an den Herzog Philipp den Reichen von Baiern. 

Mit Philipp, der nur eine Tochter hinterließ, erloſch 
im Jahr 1510 der ganze Men der Grafen 
von Kirchberg. 


203 / 


Nachdem aber im Jahr 15 7 der Herzog Georg 
in Baiern ohne männliche Leibes- und Lehenserben 
mit Tod abging, hat Kaiſer Maximilian, als Erzher— 
zog von Oeſterreich, aus „gegründeten, redlichen und 
billigen Urſachen, auch um des merklichen Koſtens und 
Schadens willen“ die Grafſchaft Kirchberg in Beſitz 
genommen, und ſeinen übrigen Ländern einverleibt. 
Dann hat er ſie bald darauf an Jakob Fugger 
für 70,000 fl. verpfändet, zwar nach einiger Zeit wies 
der eingelöst, aber nachgehends wieder für 525,000 fl. 
als ein Mannlehen an Fugger verkauft. Bei dieſem 
Hauſe iſt die Herrſchaft Kirchberg ununterbrochen ge— 
blieben. Unter ihnen hat das Schloß Kirchberg, das 
den Hauptort der Herrſchaft Fugger-Kirchberg 
bildet, ſeine jetzige Geſtalt erhalten. 


Das Fräulein von Kirchberg. 


Ein ſchlichter Leineweber zu Augsburg in der mäch— 
tigen Handels- und Reichsſtadt, die damals mit Nürn— 
berg und Ulm einen ſo großen Ruhm genoß, daß 
das Sprüchwort durch Alle Lande ging: 

Nürnberger Witz 

Ulmer Geſchütz 

Augsburger Geld 

Bezwingt die ganze Welt, 
der hatte es durch ſeinen Fleiß dahin gebracht, daß 
Fürſten und ſelbſt der Kaiſer ihm die Ehre ſchenkten, 
bei ihm einzukehren. 


204 


Tauſende der Laſtwagen führten feine Leinwand, 
den Fleiß der ſchwäbiſchen Weber, über die Alpen in 
das Land Italien und von da weiter nach Aſten und 
Afrika. Ja feine Schiffe ſegelten mit dieſer Waare 
in das kaum zuvor entdeckte ferne Amerika über das 
weite Weltmeer und nach Oſtindien, und brachten 
köſtliche Gegenſtände aus jenen Ländern zurück. Da— 
rum war auch des Kaufherrn Fugger Schatzkam— 
mer ſtets gefüllt mit Gold und Silber, und wo 
ein Mächtiger des Reiches Geld bedurfte, ſo wandte 
er ſich an Meiſter Fugger, daß er ihm welches vor— 
ſchöße. 

Kein Wunder, wenn er allwärts geehrt und ge— 
ſchätzt war, vom Kaiſer in den Adelſtand erhoben 
wurde, und ſeine Kinder bald im Schwabenland manch 
ſchönes Schloß und Gut ſich erwarben. 

So ſaß denn auch ungefähr hundert Jahre ſpäter, 
um die Zeit des drangſalvollen dreißigjährigen Krieges, 
ein Nachkomme jenes Kaufherrn in dem ſchönen 
Schloſſe zu Kirchberg. Weit und breit gab es keinen 
ſtolzern und luſtigeren Sitz, denn von dem Söller 
aus konnte er Thal aufwärts die Abendſonne die 
Tyroler Alpen beleuchten ſehen, und wenn längſt ſchon 
die Sonne hinunter, glühten jene hohen Spitzen noch 
weit in die Lande hinein. Wandte aber der Schloß— 
herr ſein Auge Thal abwärts, längs den bewaldeten 
Geſtaden der ſich ſchlängelnden Iller, ſo ſchimmerten die 
Mauern und Thürme des reichen Benediktinerklo— 
ſters Wiblingen zu ihm herauf, hinter ihnen ſtreckte 


205 


das Ulmer Münfter fein rieſiges Haupt hervor, und 
neben ihm manch anderer ſtarker Thurm der feſten 
Reichsſtadt. 

Conrad Fugger hatte nur zwei Kinder. Das älteſte 
war ein Sohn, der, kaum den Knabenjahren entwach— 
ſen, nach Mailand in Italien ſich gewendet, um dort 
bei Verwandten das Geſchäft eines Kaufherrn zu er— 
lernen, zu dem er ſchon als Knabe Luſt und Liebe 
gefühlt. In ferne Lande über Seen und Meere 
trugen ihn ſeine Träume auf reich beladenen Schiffen 
mit Elfenbein, Perlen, mit Seide und köſtlichen Früch— 
ten heißer Länder. 

So blieb bei den Eltern im Schloſſe nur Anna, 
ein liebliches Kind von ſechszehn Jahren. Mit großer 
Zärtlichkeit hingen Vater und Mutter an ihr, und 
beſonders Jener freute ſtch bei dem Gedanken, ſein 
Töchterlein nach wenigen Jahren mit dem Sohne 
eines ſeiner Nachbarn zu vermählen. 

Der Ritter Herrmann von Wain im AIllerthals⸗ 
hatte nemlich einen einzigen Sohn, und wenn die 
Väter zuweilen ſich beſuchten, dann ward beim Becher 
ſtets das Hauptgeſpräch, daß ihre Kinder in wenigen 
Jahren einander ſollten die Hand reichen als Ehgemahle. 

Freudig kehrte dann der von Fugger auf ſein 
Schloß zurück, denn er hielt große Stücke darauf, 
daß ſein Tochterlein ſich ſollte verbinden mit dem 
Nachkommen eines ſo alten, edlen Geſchlechts, wie das 
derer von Wain war. Der Stolz und Hochmuth fand 
ſich geſchmeichelt, da er ſelbſt nur zwei Ahnen zählte, 

* 


a A — * rr 


206 


wenn ein fo uraltes Geſchlecht in die nächſte Ver: 
wandtſchaft mit ihm träte. 

Aber ſo oft er auch mit ſeinem Ehgemahl darüber 
Unterredung pflegte und die Eltern es Anna nicht 
verhielten, daß über ihre Zukunft beſchloſſen ſei, ſo 
eilte das ſchüchterne Kind doch ſtets aus dem Ge— 
mache, denn noch war das erſte Gefühl zu einem 
Manne nicht in ihrem reinen, kindlichen Herzen er— 
wacht, und Otto von Wain, den ſie einigemal auf 
ihrem Schloſſe auf Beſuch geſehen, war ihr ſo gleich— 
gültig, wie jeder andere Jüngling, der ihr bisher be— 
gegnet und ein freundliches Wort mit ihr gewechſelt. 

Ja fie empfand ſogar ein etwas drückendes Gefühl, 
wenn ſie an das Vorhaben ihrer Eltern gedachte, 
denn obwohl Otto ein wohlgeftalteter Jüngling war 
und in dem ſcharlachrothen, nach ſpaniſcher Tracht 
gemachten Wammſe, mit geſchlitzten weiten Aermeln 
ſich ſtattlich ausnahm, ſo hatte er doch etwas in ſei— 
nem Blicke, was ihr ein tiefes Unbehagen einflößte. 
Indeſſen ſprach ſie ihre Gefühle nicht gegen ihre El— 
tern aus, ſondern ſuchte ſtets der Unterhaltung er 
ihre Zukunft auszuweichen. 

So war ihr ſiebenzehnter Geburtstag Ae 
und ihr Vater wußte ihn nicht beſſer und feſtlicher 
zu feiern, als daß er ihr einen kleinen, milchweißen 
Zelter mit vergoldetem Zaum und Zügel zur Feſt— 
gabe machte und ſeine Nachbarn zu einem fröhlichen 
Bankette einlud, zu welchem auch angeſehene Ulmer 
Adelige entboten wurden. 


207 


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— 


Vom früheſten Morgen an rührte ſich Anna und 
Alles auf Schloß Kirchberg in Küche und Keller, in 
den Ställen und auf dem Hof, und gegen Mittag 

ritten die edlen Gäſte den Hügel herauf und wurden 
vom Schloßherrn, deſſen Gemahl und dem jungen 
Fräulein freundlichſt empfangen. Unter den Erſten, 
die eintrafen, waren die edlen Herren von Wain, 
Vater und Sohn. Der junge Ritter war heute 
doppelt koſtbar gekleidet. Lange Straußenfedern wog— 
ten vom hellblauſammtnen Barette herab bis auf 
die Hälfte des Rückens; über dem papageigrünen 
Wammſe legte ſich ein fein gezackter, breiter Brüßler. 
pitzenkragen heraus, und um die Hüfte war ein 
foftbares kurzes Schwerdt gegürtet. 


Der wohlgeſtaltete junge Edle von Wain warf ſich 
leicht aus dem Sattel ſeines flüchtigen Rappen, und 
als ſein Vater den Hauswirth und ſeine Damen be— 
grüßt hatte, reichte auch er, ſich tief verbeugend, ſeine 
Hand den Eltern Anna's, und dann dem Fräulein, 
um ihr einen feingeſetzten Glückwunſch zu ſagen. 

Aber als ſeine Hand die ihrige drückte, zog ſie 
ſelbige jählings zurück, denn es war ihr, als ob ein 
hölliſches Feuer ſie brannte, und das ſcharfe Auge, 
mit welchem der junge Gaſt ſie traf, ſchnitt ihr ſchmerz— 
haft bis in die Seele. Sie ward ſich bewußt, daß 
ſie nie und nimmermehr dieſem Manne ſich zugeſellen 
könnte in Neigung und Wohlgefallen. 

Schnell wandte ſie ſich um und begrüßte einen 

- * 


208 


Ulmer Rathsherrn, der, wie ſonſt gar häufig, ſo auch 
heute ſich eingefunden hatte. 

Was es eigentlich war, das Anna zu dem jungen 
ihr beſtimmten Junker keine Neigung faſſen ließ, 
wußte ſte ſelbſt nicht, ſich klar zu machen, und ſie 
hatte ſich manchmal darüber in ſtillen Selbſtgeſprächen 
geſcholten. Aber fort und fort erfaßte ſie allemal 
wieder ein beengendes und drückendes Gefühl, ſo oft 
er, und ſo höflich er ſich auch nahte. Indeß hielt 
dieß Jedermann für jungfräuliche Schüchternheit und 
auch der Junker war dieſes Glaubens. 

Bald ſaß Alles an der reichgedeckten Tafel, wo 
man dem jungen von Wain den Ehrenplatz neben 
Anna angewieſen. 

Den erſten Trunk brachte der Hauswirth ſeinen 
liebwerthen Gäſten aus, die ihm heute beim Geburts— 
feſt ſeiner theuren Tochter die Ehre geſchenkt, Theil 
zu nehmen an der Freude ſeines Hauſes. 

Darauf ergriff der Alte von Wain den Pokal, 
dankte ſeinem alten ehrenwerthen Nachbar für die 
ſchätzbare Einladung, und fügte hinzu: inſonderheit 
möge der Himmel ſo gnädig ſeyn, dem edlen, hoch— 
achtbaren und ſchoͤnen Fräulein eine glückliche Zukunft 
zu ſchenken und ſeinem Hauſe die Freude, dieſes Feſt 
durch noch engere Bande mit dem Hauſe Fugger ver— 
knüpft, in alle Zeiten feiern zu dürfen. 

Alles erhob ſich und ſtieß die Pokale zuſammen, 
während Anna zitternd bald erröthete, bald erbleichte, 


209 


und als fie mit Allen angeſtoßen, vor heiligen innern 
Bewegung ihrer Mutter faſt in die Arme ſank. 

Indeſſen faßte ſie ſich nach Kräften und ſuchte dem 
Junker auf alle Fragen Antwort zu geben, oder ihm 
mit möglichſter Aufmerkſamkeit zuzuhören, wenn er 
von ſeinen Reiſen ſprach und dem wilden Kriegslager 
Tilly's, das er als Edelknabe des Churfürſten von 
Baiern, ſeines Herrn, vor zwei Jahren beſucht. Aber 
wenn des Junkers Auge feuriger ihr zublitzte, und er 
ſich näher gegen ſie bog, um in dem Reize ihrer 
lieblichen Züge zu ſchwelgen, dann überkam es ſie 
wieder unheimlich und eine unerklärliche Beklemmung 
preßte ihr das Herz zuſammen. 

Es war im Hochſommer, und die Sonne neigte 
ſich langſam zum Untergang, als die Gäſte zur Heim— 
kehr ſich rüſteten und ihre Roſſe vorgeführt wurden. 
Ich begleite Euch — rief der Herr von Fugger den 
Herren von Wain zu — eine Strecke hinüber jen— 
ſeits der Iller, denn der Abend iſt friſch und belebend, 
und noch manches Wort möchte ich wechſeln mit 
meinen liebwerthen Gäſten. 

Und auch Du — ſetzte er dann ſchnell hinzu — 
auch Du Anna magſt deinen Vater begleiten und er— 
proben, welchen Paß dein Zelter geht, den ich dir 
heute als Angebinde geſchenkt. 

Wiewohl Anna ſich entſchuldigte und alle Ausreden 
verſuchte, der Vater blieb dabei und die Gäſte ſtimm— 
ten alle in die Bitte ein. 

So wurde denn der kleine Zelter nach Frauenart 
x 14 


210 


* 


geſattelt mit den buntfarbigſten Teppichen, und der 
Junker hielt hocherfreut den Bügel, um dem ſchlanken 
Fräulein auf das Rößlein zu helfen. 

Mitten in der Schaar der Scheidenden ritt Anna 
dahin den Schloßberg hinab zur Iller, und eben ſo 
ſtolz blickte ihr Vater auf die reizende Jungfrau, als 
der Junge von Wain, dem das Glück winkte, ſie 
ſpäter als Ehgemahl heimführen zu dürfen. 

Als ſie über den breiten hölzernen Steg gekommen, 
der über das Illerflüßchen führte, trennte ſich die Ge— 
ſellſchaft. Linksab zogen die Gäſte aus Ulm und 
rechtshin wendeten ſich nach ihrem Schloſſe die Edlen 
von Wain. Nur eine kurze Strecke begleitete dieſe 
noch der Schloßherr von Kirchberg, dann wandte er 
ſich mit Anna zur Rückkehr. 

Eben ritten ſie wieder über den niedern Illerſteg, 
das Waſſer war ziemlich ſtark angelaufen durch ein 
Gewitter, das Tags zuvor weiter oben im Thal ge— 
fallen, es rauſchte wild durch die buſchigen Ufer, 
und brach ſich an den kleinen Erleninſeln und Sand— 
bänken. 

Da plötzlich fiel ein Schuß im Gebüſch! das Roß 
des Fugger bäumte ſich hoch auf, und mit ihm machte 
der erſchreckte Zelter Anna's einen ſo gewaltigen 
Sprung auf die Seite, daß Anna mit einem gellenden 
Schreckensſchrei aus dem Sattel flog und in die hoch: 
aufgeſchwollenen Wellen der Iller ſtürzte. 

Ein lauter Schrei Fuggers ſchallte ihr nach — in 
der höchſten Angſt um ſein Kind wollte er ſein Roß 


211 


in das Waſſer ſprengen, aber das ſcheue Thier folgte 
keinem Sporenſtoß und ſprang immer ſeitwärts, wäh— 
rend Anna ſchon unter kläglichem Hilferuf eine Strecke 
fortgeriſſen ward. 

Da erblickte der Graf plötzlich durch das Erlenge: 
büſch einen Jüngling ſtürzen im Jägergewande, der 
die Büchſe wegwarf und mit einem kühnen Sprung 
mitten in den Wogen war. Ein rüſtiger Schwimmer, 
hatte er in wenigen Augenblicken Anna erfaßt, die 
im Todeskampfe ſich krampfhaft an ihn klammerte, 
und arbeitete ſich nun mit Rieſenſtärke dem Ufer zu, 
wohin der ſprachloſe Vater geeilt war, und nun vom 
RNoſſe geſtiegen ihm die Hand reichte, um das theure 
Opfer den Wellen zu entreißen. 

Mit Mühe gelang es Beiden, Anna auf's Trockene 
zu bringen, und ſelbſt da noch hatte ſie des Jägers 
Arm ſo krampfhaft umklammert, daß er ſich ihr nicht 
entwinden konnte. 

Die Todesangſt hatte ihr die Augen geſchloſſen; 
erſt nach einigen Minuten ſchlug ſie dieſelben auf, 
und blickte in die großen braunen Augenſterne ih— 
res Retters, die von Treuherzigkeit und Theilnahme 
ſtrahlten. 

Es war ein Augenblick — aber es lag eine ganze 
Welt von Seligkeit darin, und zwei Herzen hatten den 
Bund der Liebe geſchloſſen, ohne daß auch ihr Mund 
nur eine Sylbe geſtammelt hätte. 

Mit einem leichten Seufzer und die blaſſen Wangen 
raſch erröthend, ließ Anna's Hand den gepreßten Arm 

* 


212 


ihres Retters los und ſank in die Arme ihres zärt- 
lichen Vaters. 

Jetzt erſt ſtammelte ſie ihren Dank und in den— 
ſelben ſtimmte Graf Fugger ein, während er dem 
ſchmucken, kühnen und edlen Jäger die Hand drückte. 

Wenn ich recht ſehe, fuhr er fort, ſo ſeyd Ihr der 
Sohn des Kloſterjägers von Wiblingen, der ſchon 
manchmal meinen Jagden hat beigewohnt, ein guter 
Schütze, im ganzen Illerthal gerne geſehen beim edlen 
Waidwerk! 

So iſt es, antwortete der Jäger, und ſtrich ſich die 
naſſen kaſtanienbraunen Locken aus dem Geſicht; ich 
ſtreifte die Iller herauf, da traf ich auf der Forſt— 
gränze zwei Eurer Knechte vor einer halben Stunde, 
die gingen pürſchen auf wilde Tauben und luden mich 
ein zu ihrem Pürſchgang, und darnach zu einem guten 
Trunk, denn, ſagten ſie, heute feiert die edle Herrſchaft 
das Geburtsfeſt unſeres gnädigen Fräuleins — wir 

haben einen fröhlichen Tag und dabei iſt jeder ehrliche 
Waidmann willkommen in unſerer Zechſtube. 

Frohen Sinnes nahm ich die Einladung an und 
hätte nie geahnt, daß das Unglück ſo nahe und ich 
ſelbſt die Urſache davon wäre. 

Während ich aufwärts ſchlich am Ufer gegen die 
Brücke, ſtreiften die Andern abwärts und die erſte 
Taube kam mir zum Schuß. 

Aber kaum hatte ich abgedrückt, da vernahm ich 
von ferne das Angſtgeſchrei menſchlicher Stimmen, und 
als ich in jäher Eile darauf zufprang, gewahrte ich 


213 


Euch, gnädiger Graf, auf der Brücke und Euer Roß 
hoch aufbäumend, indeſſen die Gewänder einer Dame 
in den Wellen daher trieben. - 

Was weiter geſchehen, habt Ihr geſehen, und ich 
danke dem gnädigen Himmel, daß er mich gewürdigt 
hat, das edle Fräulein dem Wellentod zu entreißen, 
denn ich ahnte gleich, daß mein Schuß es war, der 
das gräßliche Unglück hat angerichtet, als ich Euch 
auf der Brücke erblickte und das Fräulein in den 
Wogen der Iller. 

Wohl iſt es ſo — ſprach Graf Fugger — dein 
Schuß machte den Zelter meiner Anna ſcheu und warf 
ſie vom Rößlein, aber der Himmel hat dich auch zur 
Rettung auserſehen, und dein Muth hat wieder gut 
gemacht, was du ohne deinen Willen haſt Uebles 
angerichtet, darum ich dir nicht genug danken kann. 

Noch einmal drückte der Graf dem Jäger die Hand 
und auch Anna blickte ihn wiederholt mit ihren blauen 
Augen an, in welchen ihm ein Himmel entgegenſtrahlte. 

Indeſſen hatte ſich das Fräulein ziemlich erholt 
und als auch die beiden Knechte die Iller herauf 
herbeigekommen, eilten dieſe auf das Schloß, eine 
Sänfte zu holen, in welcher Anna, noch ehe die Sonne 
ganz hinunter, in ihre Gemächer gebracht wurde. 

Wiewohl Kuno der Jäger vom Grafen war ein: 
geladen worden, einen Nachtimbiß bei ihm einzuneh- 
men und mit trockenem Gewande ſich zu verſehen, ſo 
dankte er doch für die Gnade, und verſprach in den 
nächſten Tagen auf das Schloß zu kommen. Aber 


214 


als er ſich verabſchiedete, bat er Anna, ihm zu ge— 
ſtatten, daß er die Hand ihr Füffe, und als fie huld⸗ 
voll genickt, beugte er ſich ehrfurchtsvoll und berührte 
ihre Hand mit ſeinen Lippen, warf noch einen ſchüch— 
ternen Blick auf ihr erröthendes Antlitz und ſchritt 
dann haſtig über den Steg, um jenſeits ſeine Büchſe 
zu holen und nach Hauſe zu eilen. 

Als er fein Schlafſtüblein erreicht und feine Büchfe 
an die Wand gehängt hatte, faßte es ihn wie ein 
Fieber und er wußte nicht, wie ihm zu Muthe war. 
Am offenen Fenſter, in die lauwarme Nacht hinaus— 
ſtarrend und dem Rauſchen der Iller lauſchend, ſaß 
er bis tief nach Mitternacht und nur ein Bild war 
es, das ſtets ihn umſchwebte — das Bild Anna's. 

Mit einem Blick war ihm ein neues Leben tief 
drinnen in der Bruſt aufgegangen. Er, der ſonſt 
nur leicht mit den Mägdlein geſcherzt und gefost, 
dem eine Geſellſchaft munterer Waidgeſellen und ein 
Pürſchgang ſein Liebſtes geweſen, er hatte jetzt nur 
einen Gedanken, der wehmüthig ihn durchdrang, es 
war die Sehnſucht nach dem jungfräulichen Weſen, 
dem er vor wenigen Stunden in die himmliſch ſchönen, 
ſanften Augen geblickt, deren Hand er ehrfurchtsvoll 
mit den Lippen berührt hatte. 

Aber auch auf Schloß Kirchberg war in der Bruſt 
der Jungfrau eine wunderbare Veränderung vorge— 
gangen. Kaum war ſie allein auf ihrem Gemach 
und hatten ihre Eltern ihr gute Nacht geſagt, nach— 
dem ſie ſich überzeugt, daß der Schrecken Feine. be: 


215 


drohliche Spuren mehr zuruͤckgelaſſen, da glaubte Anna, 
ihre Bruſt wolle ihr zerſpringen vor ſeltſamen drän— 
genden Gefühlen. Wie eine Roſenknoſpe, wenn ein 
warmer Sommerregen ſie getroffen, mit den erſten 
Sonnenſtrahlen ſich entfaltet, ihren Kelch erſchließt 
und die zarten, feſt zuſammengepreßten Blätter aus— 
einander rollt, alſo hatte ein einziger Blick in das 
Auge eines Jünglings, wie ein Sonnenſtrahl auf 
das Innerſte ihres Herzens gewirkt. 

Ein Strom von Gefühlen und Regungen, die bis⸗ 
her geſchlafen hatten, die ihr noch gar nicht waren 
bekannt geworden, ergoß ſich, und in ihm ſpiegelte 
ſich nur ein Bild, das Bild des ſchönen Jägers mit 
ſeinen treuherzigen, braunen Augen. 

An ihn hatte ſie ſich vor wenigen Stunden faſt 
ſchon bewußtlos angeklammert, als könne nur er ihr 
noch das Leben retten, ohne ihn vermöge ſie jetzt 
auch nicht mehr leben zu können, nachdem die Rettung 
gelungen. Mit ihm vereint im Leben wie im Tode, 
das ſchien ihr jetzt das höchſte Glück — Alles An— 
dere hatte keinen Werth mehr für fie. 

Ein jäher Schmerz durchzuckte ſie, wenn in dieſe 
Gedanken hinein das Bild des Junkers von Wain 
trat, dem ihre Eltern ſie beſtimmt. Wie verzerrt er— 
ſchienen ihr nun ſeine Geſichtszüge gegen das freund— 
liche, offene, liebe Angeſicht ihres Retters, obwohl 
derſelbe kein häßlicher Junker war. Wie viel reizen— 
der däuchte ihr der ſchlichte Jäger- und Waidgeſelle 
in ſeinem ſchmuckloſen grünen Wamms, die Waidtaſche 

* 


216 


umgehängt und den Hirſchfänger um die ſchlanke 
Hüfte geſchnallt, als der prunkende junge Ritter in 
feinem ſpaniſchen Mantel von Sammt und mit dem 
reichverzierten Degen. 

So drehte ſich ihr Sinnen, Denken und Fühlen 
einzig und allein nur um den muthigen Jüngling, 
der unaufgefordert ſich ihretwegen hatte in die Wellen 
geſtürzt und faſt ſelbſt ein Opfer derſelben geworden 
wäre, als ſie ſich im Todeskampfe an ihn angeklammert. 

Erſt mit dem Grauen des Morgens vermochte ſie, 
dem Schlaf in die Arme zu ſinken, und auch ihre 
Träume waren nur eine Fortſetzung ſolcher und ähn— 
licher Bilder. 

Einige Tage darauf traf Anna's Vater den Jäger 
Kuno auf der Jagdgränze und machte ihm freundliche 
Vorwürfe, daß er ihn noch nicht beſucht. Wie gerne 
wäre dieſes von dem Waidgeſellen ſchon geſchehen, 
aber die Liebe hatte ihn ſchüchtern gemacht, und ſo 
oft er ſein beſtes Wamms angezogen und ſeine Büchſe 
umgeworfen hatte, ſo oft hatte er ſie wieder an die 
Wand gehängt und ein Zittern hatte ihn am ganzen Leibe 
ergriffen. Aber täglich war er hinüber geſtreift in 
das Illerthal, um an einer Wieſenhecke gelagert, 
ſtundenlang hinauf zu blicken auf Schloß Kirchberg 
und ſich in Gedanken vorzumalen, wo jetzt und in 
welchen Gemächern das edle Fräulein wohl weilen 
möchte. Wie oft er ſich auch ſagte, daß es ein wahn— 
ſinniger Gedanke ſey, nach dem Fräulein ſeine Augen 
zu erheben, er, der arme Dienſtmann des Kloſters, 


247 


dem noch kein Bürgersmägdlein der Reichsſtadt Ulm 
die Hand gereicht hätte, ſo konnte er doch unmöglich 
das edle, ſchöne Bild loswerden, das ihn Tag und 
Nacht umſchwebte. 

Heute nun traf ihn der Graf, und es half Nichts, 
er mußte mit, wie ſehr er ſich auch entſchuldigte, daß 
er nicht wohl anſtändig genug gekleidet, um vor der 
gnädigen Herrſchaft erſcheinen zu können. Als ſie in 
den Schloßhof eintraten, lehnte Anna an dem Ge— 
länder eines kleinen Blumengärtchens und ſank faſt 
in die Knie von wonnevollem Schrecken, als ſie den 
ſchmucken Waidgeſellen neben ihrem Vater herſchreiten 
ſah. Nicht minder faſt zückte es Kuno durch alle 
Glieder, als er plötzlich die Jungfrau gewahrte. Nur 
des Grafen Rede, der keine Acht auf dieſe innere Be— 
wegung der Beiden hatte, brachte ſie wieder zu ſich. 
Da bringe ich, lächelte er, unſern wackern Schützen 
und muß ihn faſt zwingen, unſer Schloß zu beſuchen 
und den Dank zu empfangen, den wir ihm in der 
erſten Beſtürzung nicht geben konnten. Wie — fuhr 
er fort, Anna! dort von dem ſeltenen Roſenſtock, den 
dein Bruder aus Italien uns geſendet, brich die ſchönſte 
Roſe ab, und ſtecke ſie zum freundlichen Empfang 
dem wackern Gaſte auf ſeinen Hut! Damit nahm er 
Kuno ſeinen breitkrämpigen grünen Hut ab, reichte 
ihn über's Geländer, und Anna ſteckte die ſchönſte 
Rose auf denſelben, welche ſie finden konnte. 

Schüchtern und tief, aber innerlich von ſeliger 
Wonne erfüllt, beugte ſich ‚Kuno und empfing feinen 


218 


Hut zurück. Kaum hatte er den Muth zu ſtammeln: 
welch hohe Gunſt, mein edles Fräulein und mein 
gnädiger Herr, alſo beehrt zu werden — ich ein ar— 
mer Waidgeſelle! 

Anna aber hatte ſich auch gefaßt, da ſie von ihrem 
Vater ſelbſt war aufgefordert worden, ihren Retter 
freundlich zu begrüßen und feinen Hut zu fchmüden 
und lächelte erröthend: werther Geſelle, dem ich mein 
Leben ſchulde, möge mein Vater Euch reichlicher be— 
lohnen, aber dieſe Roſe Euch ſtets erinnern, daß ich 
Euch ewig dankbar bleiben werde für Eure chriſtliche 
That und das Erbarmen, ſo Ihr mit mir gehabt, 
da alle Rettung mir verſchwunden! 

Nach dieſem Empfang führte der Graf ſeinen Gaſt 
in die Gemächer, wo die Gräfin ſeiner harrte und 
ihm herzlich die Hand drückte. Alsdann wurde er 
zur Tafel geführt und die köſtlichſten Speiſen und Ge— 
tränke aufgetragen. Beim Abſchied ſchenkte der Graf 
dem Jäger eine koſtbare Büchſe, die er aus den 
Niederlanden bekommen hatte, ausgelegt mit Gold 
und Silber, und die Gräfin ſteckte ihm einen reich 
mit Perlen verzierten Ring an den Finger. Alſo 
beſchenkt verließ Kuno das Schloß und verſprach, 
bald wieder zu kommen. 

Der Herbſt war noch nicht hereingebrochen, da 
hatten ſich zwei Herzen ihre Liebe geoffenbart und ſich 
geſchworen, für ewig einander zu gehören. Obwohl 
Kuno oft und oft ſeine Anna dringendſt bat, ihn zu 
vergeſſen, da ſie nie vor den Traualtar treten könn— 


219 


ken, ſo ſchloß doch Anna ihn ſtets dann an ihr 
klopfendes Herz und ſchwur ihm, daß ſie nie einem 
andern Manne gehören und lieber in das Klofter 
gehen werde, wenn ſie keinen andern Ausweg mehr 
fände. | 

So dringend darum auch ihre Eltern ihr fortwäh— 
rend oblagen, ſich mit dem Junker von Wain zu 
verloben, ſo kräftig widerſtand ſie jetzt, da die Liebe 
ihr den Muth gab, ihre Einwilligung zu verweigern. 
Dagegen trafen ſich die Liebenden von Zeit zu Zeit 
heimlich mit Hülfe einer Magd, die mit großer Treue 
an Anna hing. Gewöhnlich wählten ſie dazu die 
Halde an den buſchigen Ufern der Iller, wo Anna 
zum erſten Mal den Arm um Kuno geſchlungen, als 
er ihr nach in die Wellen ſich geſtürzt. Ein Schuß 
und einige Hornſtöße gaben gewöhnlich das Zeichen, 
worauf Anna mit ihrer Magd den Gang antrat und 
durch eine Gartenpforte das Schloß nächtlicher Weile 
verließ. 

Zwei Jahre waren ſo dahin geſchwunden, der Vater 
Anna's plötzlich geſtorben, und obwohl er noch auf 
dem Todesbett ſeine Tochter gebeten, ſich mit dem 
Junker von Wain zu verehelichen, fo Hatte fie doch 
unter den heißeſten Thränen ihm erklärt, daß ihr 
Herz brechen würde, wo ſie gehorchte. 

Da in der letzten Aufregung brach der ſtolze Graf 
in Verwünſchungen aus über den Stolz ſeines Kindes, 
und ſeine letzten Worte waren: weiche von mir, Du 
unnatürliche Tochter, die Du ſelbſt die Todesſtunde 


2 


220 


mir verbitterſt! Statt unſer Haus mit andern edlen 
Geſchlechtern immer weiter in Verbindung zu bringen, 
und auszubreiten zu Ruhm und Ehre, widerſtrebſt 
Du aus unbegreiflicher Laune meinem Willen und 
ſtoßeſt dein Glück zurück. 

Was Dich antreibt, alſo zu ſündigen an Deinen 
Eltern, bleibt mir unte Wollte es der Himmel, 
daß Dein Geſicht nicht die Larve trägt der Heuchelei 
und Du ſo tief geſunken, Dein Herz an einen Mann 
gehängt zu haben, in deſſen Adern kein edles Blut 
fließt. Meine Tochter biſt Du nicht mehr — Un— 
dankbare! Mit dieſen Verwünſchungen lagerte ſich der 
Tod auf ſeine Lippen. 

Als Anna ihrem Kuno die Nachricht brachte von 
den letzten Augenblicken ihres Vaters, da fiel er ihr 
zu Füßen und bat: o mein Theuerſtes, was ich beſitze, 
ich bin dein nicht werth, ſondern nur ein gemeiner 
Waidgeſelle im Dienſt und Pflicht meiner Kloſter— 
herren — Du aber ein Edelfräulein! So laß mich 
nun meine Straße ziehen, weit hinaus in die Welt, 
Dein Engelsbild in meinem Herzen, und ruhelos, bis 
der Tod mir Frieden gibt! Du aber thue nach dem 
Willen deines ſeligen Vaters, der ohne Frieden da— 
hingefahren ob deiner Weigerung. Der Freier um 
eine ſo edle Maid gibt es viele, wenn den Junker 
von Wain zu ehlichen Dir unmöglich iſt, denn reich 
iſt die Gegend an alten Geſchlechtern und edlen jungen 
Sproſſen. — 

Nimmermehr! rief Anna und umfaßte krampfhaft 


0 au 


ihren Geliebten. Du haft mir zweimal das Leben 
gegeben, einmal, indem Du mich vom Waſſertod er— 
retteteſt, und dann, indem aus Deinem Auge der 
Funke der Liebe in mein Herz traf, und ein neues, 
nie geahntes, ſüßes Leben in meiner Bruſt entzündete. 
Nimmermehr! fuhr das Fräulein fort — Dir habe 
ich Treue geſchworen, Dir bleibe ich zu eigen und 
wenn ich als Bettlerin müßte, verſtoßen von meiner 
Mutter, aus dem Schloſſe ziehen. 

Singeriſſen von dieſer treuen Liebe, ſtürzte Kuno 
ſeiner Anna zu Füßen, ergriff mit der Linken ihre 
Hand und preßte ſie an die Bruſt, während er die 
Rechte zum Himmel erhob und ſchwur: Mein theuer— 
ſtes Weſen! was würde aus uns in Bälde werden, 
wenn unſere Liebe entdeckt und wir gewaltſam aus— 
einander geriſſen würden. Wo wäre der Prieſter, der 
uns ſegnen würde, wollten wir vor ihn treten nach 
unſerem jetzigen Stande. Aber ein Weg — ein ein— 
ziger leuchtet als heller Stern in die Nacht unſerer 
Liebe. Ich habe Dich einmal erworben mir, als 
ich Dich den Wellen entriß, aber nicht vor den Men— 
ſchen, denn ich bin ein Knecht. Ich will Dich noch 
einmal erwerben, erkämpfen mit dem Schwerdt, er— 
kämpfen mir vor der Welt, als mein ewiges Eigen— 
thum. Längſt tobt die Kriegsfackel durch alle Länder 
Deutſchlands, und mancher Reitersknecht hat ſich 
hinauf geſchwungen zum Führer eines Fähnleins, und 
mancher tapfere Degen ſich ein Schlößlein erobert, 
denn nur der Kriegsmann gilt etwas in dieſen Tagen. 


222 


Wenn Wallenſtein noch lebte, der große Kriegs- 
meiſter, oder ſein tapferer Gegner, der König von 
Schweden, ſo folgte ich ihren Fahnen, um Ruhm 
und Ehre mir zu erwerben und als würdiger Bräuti— 
gam einſt vor Dein Haus treten zu können. So 
aber treibt nur Einer noch das Kriegshandwerk mit 
kuhnem Sinne, das iſt der Bernhard von Weimar 
gegen den Kaiſer Ferdinand. Zu ihm will ich ziehen 
und Dienſte nehmen, und wenn ich wiederkomme, als 
ein Kriegsmann mit Beute und Ruhm geſchmückt, 
dann tritt Nichts mehr unſrem Bund entgegen. Bleibe 
ich aber auf dem Feld des Kampfes und der Ehre, 
dann habe ich im letzten Augenblick noch das ſelige 
Gefühl, für Dich gekämpft zu haben und geſtorben 
zu ſeyn. 

Wie ſchwer ſich auch Anna in dieſen Entſchluß 
ihres Geliebten fand, ſo willigte ſie doch ein, in der 
ſüßen Hoffnung, daß der Himmel ihn beſchützen und 
glücklich an ihre Bruſt zurückführen werde. Nur das 
ſetzte ſie noch hinzu: Oft hat Dein Horn und Deine 
Büchſe mir ein Zeichen gegeben zum heimlichen — 
Wiederſehen hier am trauten Plätzlein der Iller — 
kehrſt Du zurück, ſo ſolle auch dann es mir durch 
ſeinen bekannten Ton die freudige Kunde bringen, 
daß Du meiner hier harreſt! 

Es ſei! ſprach der Waidgeſelle, und auch ein Zei— 
chen, wenn ich draußen auf blutigem Leichenfelde, 
Deinen ſüßen Namen auf den Lippen, in die Arme 
des Todes ſinke. Nach heißen Umarmungen trennten. 


223 


ſich die Liebenden. Schon des andern Tages mit 
dem Früheſten wandte ſich Kuno gegen die böhmiſche 
Gränze, wo Herzog Bernhard von Weimar und der 
ſchwediſche General Horn mit ihren Heeren ſtunden, 
um ins Baierland einzufallen. Willkommene Auf— 
nahme fand der junge Kriegsmann, und bald gab es 
keinen verwegeneren Reiter im Weimarer Leibdragoner— 
regiment, als ihn. > 

Galt es eine feindliche Wache zu überfallen, bei 
Nacht und Nebel, oder dem Feinde eine Kriegsbeute 
abzujagen, ſo war er ſtets unter den Erſten und 
Kühnſten, und bald ſaß Keiner ſchmucker gekleidet in 
feinen Scharlach mit Gold- und Silderſtirßrocken auf 
ſeinem Rößlein, als er. 

Den ſchönſten Degen und wie koſtbarſten Piſtolen 
hatte er bald einem ſpaniſchen Obriſten abgenommen, 
den er gefangen ins Lager gebracht, und Bernhard 
ſelbſt hatte ihn dabei öffentlich belobt und verſprochen, 
ihn bei der erſten Schlacht zum Fähndrich zu machen. 

Jetzt jubelte der tapfere Reitersmann und ſehnte 
ſich nach Nichts mehr, als daß die Feinde bald ſich 
zu einer Sauptfchlacht ſtellen, und ihm da ſchon zu 
Theil würde, die Fahne zu führen. Das blieb auch 
nicht lange aus, denn des Kaiſers Sohn Ferdinand 
zog mit dem General Gallas die Donau herauf mit 
einem ſtarken Heere und eroberte Regensburg und 
Donauwörth. Darauf wandte er ſich gegen Nörd— 
lingen, in dem ſchwediſche Beſatzung lag. Nun 
eilte der Herzog von Weimar herbei, der Stadt zu 


* 


224 


Hülfe, und warf ſich mit ſeinem Heere auf die Feinde. 
Eine blutige Schlacht ſtand jede Stunde bevor, und 
wurde geſchlagen. 

Zu Kirchberg auf dem Schloſſe ſaß an ſelbigem 
Herbſttaͤg, wo die Nördlinger Schlacht geſchlagen 
wurde, das Edelfräulein, wie immer noch zur ſpäten 
Stunde auf ihrem Zimmer. Von Zeit zu Zeit hatte 
ſie Kunde vernommen von den Hin- und Herzuͤgen 
der ſchwediſchen und kaiſerlichen Heere, denn italiäniſche 
Kriegshaufen waren kurz zuvor durch das Illerthal 
gezogen, um zu Ferdinand zu ſtoßen, und weit um— 
her ſcholl die Kunde, daß bei Nördlingen die feind— 
lichen Heere aufeinander treffen würden. 

Eine beſondere Angſt lag heute über Anna, us 
ſo oft fie auch zum hellen klaren Himmel blickte, an 
welchem der Vollmond aufgegangen war, ſo wollten 
doch ſeine milden Strahlen keine Ruhe in ihr Herz 
gießen. Die Wellen der Iller brausten heute ganz 
anders und unheimlich ein fernes Kampfgeſchrei und 
verworrenenes Waffengetöſe in ihr Ohr, und dazwi— 
ſchen däuchte es ihr, als heulten die Glocken des 
Ulmer Münſters wie gräßliches Grabgeläute darein. 

Oft warf ſie ſich auf ihr Lager und hüllte ihr 
blaſſes Haupt in die Kiffen, aber bei jedem Geräuſch 
ſprang fie wieder auf. Ahnungsvoll wog ſie die Ab— 
ſchiedsworte in ihrem Herzen: „und auch ein Zeichen, 
wenn ich auf blutigem Leichenfelde deinen ſüßen Na— 
men auf den Lippen in die Arme des Todes ſinke.“ 

Es mochte gegen Mitternacht gehen, da ſchien ihr, 


225 


daß das unheimliche Grollen und Rauſchen der Iller 
ſchwächer und matter werde, als ſey ein großer Kampf 
vorüber. Neue Hoffnung kehrte in ihr Herz! Ach! 
rief ſie, es war nur ein böſer, wacher Traum — mein 
Geliebter iſt von keiner Gefahr bedroht, vielleicht, 
daß der unglückliche Krieg zu Ende, daß er als Sieger 
in den nächſten Stunden hier eintrifft! 

Horch! horch! was iſt das? ſchrie ſie im nächſten 
Augenblick — neues Kampfgetös und Schlachtgeſchrei 
— ha! ein Schuß! ein Klang wie von Kuno's Horn! 

Anna wankte und warf ſich wieder auf ihr Lager, 
ihr Athem ſtockte — dann ſprang ſie auf und ſtürzte 
mit aufgelösten Haaren durch die hintere Gartenpforte 
hinab zur Iller. Alles ſchwand um ſie, ſie flog mehr, 
als ſie lief, und wiewohl ein furchtbares Grauſen ihre 
Bruſt beklemmte, ſo hielt ſie doch nicht inne im Lauf, 
ein unwiderſtehlicher Drang trieb ſie vorwärts. 

Links von der Brücke huſchte ſie durch das Wei— 
dengebüſch, und eilte auf das kleine, grüne, freie 
Plätzchen, wo ſie Kuno zum erſtenmal in das Auge 
geblickt und die Strahlen der Liebe eingeſogen, und 
wo ſie hundertmal ſich zuſammen gefunden, wo ſie 
endlich Abſchied von ihm genommen. Die Iller rauſchte 
wieder unheimlicher, nur der Mond goß ſeine milden 
Lichter ſanft auf die liebgewonnene Stelle. Ein 
Kriegsmann lag dort — ſollte er eingeſchlafen ſeyn 
oder nur ausruhen? Ja, ja, Kuno iſt's, das Auge 
der Liebe täuſcht ſich nicht — aber, gerechter Himmel! 
die Nachtluft ſpielt mit ſeinem Lockenhaar, zwiſchen 

II. 1 15 


226 


welches hindurch ein gebrochenes Auge ihr entgegen: 
ſtarrte, während aus der linken Schläfe ein Blutſtrom 
hervor quillt. Die rechte Hand aber hält krampfhaft 
das blanke Horn. 

Halb beſinnungslos ſtürzt Anna neben ihm nieder 
und breitet die Arme aus, ihn zu umklammern und 
an die Bruſt zu drücken. Aber ſie umſchloß nur einen 
feuchten Schatten, ein leeres Luftgebild. Da faßt ſie 
Wahnſinn und des Todes Grauen — ja, der Ge— 
liebte iſt heute Nacht gefallen und hat ſein Wort 
gehalten! Sie rafft ſich auf und ein Sprung in die 
Wellen der Iller erlöst ſie von den Höllenqualen 
des Lebens.“ 

Als die Wellen über ihr zuſammen ſchlugen, tönte 
es tief heraus aus dem Waſſer: Trarah! trarah! 
Und die Liebenden vereinte nun der Tod. 

Aber wie tapfer auch Weimar und die Schweden 
fochten, ſo neigte ſich bald das Glück auf die Seite 
des Feindes, und der Herzog ſelbſt führte fein Leib— 
dragonerregiment zum Angriff auf die böhmiſchen 
Kürafftere. Beim zweiten Angriff ſank der Fähndrich 
vom Roſſe, und Kuno rettete die Fahne, welche die 
feindlichen Reiter dem Sterbenden eee hatten, 
unter den Augen des Herzogs. 

Mehr als einmal trieben ſie die ſchweren Reiter 
zurück, aber vergebens, denn als der Tag ſich neigte, 
war das ſchwediſche Heer auf allen Seiten geſchlagen, 
und alles Geſchütz und die ganze Wagenburg verloren. 
Viele tauſend Todte und noch mehr Verwundete 


227 


deckten den Wahlplatz. Vergebens juchte der Herzog 
von Weimar mit feinen tapfern Reitern ſein fliehen: 
des Heer zu ſchützen vor dem wuͤthenden Andrang 
des Feindes. Von Stunde zu Stunde ſchmolz die 
Reiterſchaar zuſammen, und auch Kuno fanf von ei— 
nem ſchweren Säbelhieb getroffen vom Roß und das 
Schlachtgetümmel ging über ihn. So lag er halb— 
zerſtampft in einem Graben, eine Ohnmacht überfiel 
ihn, aber die Schmerzen riefen ihn wieder ins Leben, 
nachdem er einige Stunden bewußtlos gelegen. Der 
Mond war eben aufgegangen über das große, blutige 
Leichenfeld, von dem das Röcheln der Sterbenden 
und das Geſtöhne der Verwundeten in die Nacht hin— 

uf tönte, und nur durch den Hufſchlag flüchtiger 
Reiter unterbrochen wurde, welche von der Verfolgung 
zurückkehrten. 

Wie furchtbar Kuno auch ſeine Wunden ſchmerzten 
und der Durſt ihn quälte, ſo ſchnitt doch ein noch 
heftigerer Schmerz durch ſeine Bruſt — es war der 
Gedanke an Anna und der Abſchied von ihr für 
dieſes Leben. Schon hatte er die erſte Stufe zu 
ſeinem Kriegsglück erklommen und das Fähnlein mit 
Ehren geführt, und ſchon ſollte die Leiter zuſammen— 
brechen, auf deren höchſter Sproſſe er ſeiner Anna 
entgegentreten wollte. Aber nicht lange dauerte dieſe 
ſeine verzweiflungsvolle Betrachtung, da ſtürmten 
einige Reiter heran, raubſüchtige Croaten, und als ſie 
beim hellen Mondlicht den reichgekleideten Reiter ge— 
wahrten, ſtiegen ſie ab, ſtießen ihn unter gräßlichen 


228 


Flüchen mit den Füßen umher und zogen ihn aus. 
Als Nichts mehr an ihm zu plündern war, zog der 
Letzte, der ſein Roß wieder beſtieg, eine Piſtole aus 
dem Gürtel und zerſchmetterte dem armen Reiters— 
mann das Haupt. 

Nur ein matter Seufzer quoll noch über ſeine 
Lippen: Anna! 

Alljährlich nun, ſo geht die Sage, zu dieſer Stunde 
der Mitternacht hört man an jener Stelle der Iller 
einen Schuß fallen und ein Horn ertönen, und dann 
wandelt eine bleiche Jungfrau vom Schloß Kirchberg 
herab und ſtürzt ſich in die Wellen der Iller, aus 
denen ein: Trarah! Trarah! erſchallt. „ . 
ze: 


VII. 


Kloſter Murrhardt. 


An der Murr, die unterhalb Marbach in den Neckar 
mündet, in einem mit Wald umgebenen Wieſenthale, 
das ſehr viele Weiler und Höfe enthält, liegt die 
Stadt Murrhardt, (d. h. Hardt, Wald an der Murr) 
in der Nähe einer römiſchen Niederlaſſung erbaut. 
Wenigſtens wurden daſelbſt drei alte römiſche Votin- 
ſteine aufgefunden, auch zieht nicht weit davon die 
Teufelsmauer (der Pfahlgraben) vorüber. Hart an 


229 


der Stadt, nur durch eine Mauer von ihr getrennt, 
liegt die ehemalige Benediktiner-Abtei Murrhardt. 
Schon in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts 
ſtand hier eine Mönchzelle, die König Pipin der Kirche 
zu Würzburg übergab. Im Jahr 788 beſtätigte 
Karl der Große dieſe Uebergabe an den Biſchof Burk— 
hard zu Würzburg. Wenn dieſe Beſtätigungs-Urkunde 
auch nur in einer Copie des 13. Jahrhunderts vor— 
handen iſt, ſo haben wir doch keine Urſache, an der 
Wahrheit ihres Inhalts zu zweifeln, indem ſie durch 
eine Urkunde vom Jahr 993 beſtätigt wird. Wir 
wiſſen alſo, daß ſchon um dieſe Zeit eine kleine 
geiſtliche Niederlaſſung zu Murrhardt beſtanden, ehe 
noch Kaiſer Ludwig der Fromme ſich durch eine Stif— 
tung daſelbſt verewigte. Wir geben hierüber wörtlich 
den naiven Bericht des Chroniſten Georg Widemann 
aus dem 16. Jahrhundert, ſo wie einen Auszug aus 
der längſt beſtrittenen Stiftungsurkunde vom J. 817. 

„Anno 815, als Ludovikus der Gütig, ein Sohn 
Caroli des Großen, römiſchen Kaiſers, viel Wider: 
wärtigkeit von ſeinen zween Brüdern und Söhnen 
erlitt, kam er zum Herzogen in Schwaben, hielt ſich 
etlich Zeit an dem Fluß Murrha auf zwei Schlöffern, 
ſo daran gelegen, auf. Das eine hieß Hunnenburg, 
welches, als Etliche wollen, etwan von den Hunnen, 
zu Zeiten, als Attila ihr König Deutſchland ver— 
wüſtet, erbaut worden. Dagegen ſagen Etliche, daß 
ſolch Schloß von den Schwaben wider die Hunnen 
zur Gegenwehr erbaut, ſei uf einem Berg gelegen, 


230 


wie die Gräben deſſen noch zu ſehen. Das ander 
Schloß iſt nit fern vom Kloſter Murrhard, in einem 
Teich gelegen, ſo Wolkenburg genannt, da nach der 
Zeit etliche ſilberne Münzen, ſo heidniſch geweſen, 
in der Erden ſind gefunden worden. Zwiſchen dieſen 
zwei Schlöſſern iſt an der Murrha ein klein Wald⸗ 
bruderhäuslein, oder, als Etlich meinen, ein Bildſtock 
geſtanden, bei welchem ein Prieſter, ein Einſidelleben 
führend, Waltherikus genannt, ſich enthalten, dann 
dazumal das Leben in Wäldern und Einöden ganz 
hochachtbar war. Auf eine Nacht, als Kaiſer Lud⸗ 
wig in ſeinem Bett lag, und betrachtete ſeine Unfäll, 
die er von ſeinen Brüdern und Söhnen erlitt, mit 
jämmerlichem Seufzen den Almächtigen um Geduld 
bat, und daß er ſeine Anfechtung zu gutem Ende 
fördern wollte — da entſchlief er. Da ſoll ihm ein 
Geſicht fürkommen ſeyn, wie ich in einem Büchlein 
des Kloſters geleſen hab, eines Waldbruders vor dem 
Bildniß Chriſti knieend, und eine Stimm zu ihm 
ſprechend, daß er zu Morgens die Murrha abwärts 
reiten ſoll, da werde ihm dieſer Waldbruder begegnen 
und anzeigen, was er thun oder laſſen fol. Als 
nun Kaiſer Ludwig Morgens nach Anweiſung des 
Geſichts und der Stimme die Murrha abwärts ritt, 
und bis zu gemeld'tem Bildſtock oder Zellen kam, 
fund er einen Waldbruder, in aller Form und Ge: 
ſtalt, wie er ihm in voriger Nacht zim Schlaf er⸗ 
ſchienen war, vor dem Bildſtock knieend und betend. 
Da nun Kaiſer Ludwig dieſen Waldbruder erſahe, 


231° 


wurde er von Herzen erfreuet. Nach langem Geſpräch 
ſprach dieſer Waldbruder Kaiſer Ludwigen an, daß er 
ihm vergönne, bei dieſem Bildſtock oder Zellen eine 
Kirche und Wohnung aufzurichten, darin mit zwölf 
Waldbrüdern zu wohnen, und von umliegenden oder 
anſtoßenden Wäldern zu ihrer Unterhaltung, einen 
Bezirk darin zu reuten, eingebe, darbei auch Kaiſer 
Ludwig tröſtend: er ſoll keck ſeyn, er werde all ſeine 
Widerwärtigen zum Gehorſam bringen. Kaiſer Lud— 
wig glaubte des Einſiedlers Worte, die auch nachher 
wirklich in Erfüllung gingen, und gewährte ihm ſeine 
Bitte.“ — 

Sofort — das iſt der Inhalt der ſogenannten 
Stiftungsurkunde Kaiſer Ludwigs des Frommen — 
wies der Kaiſer dem frommen Walderich nahe bei 
ſeinem Schloß Hunnenburg im Walde einen Platz an, 
um allda eine Wohnung zu erbauen. Bald darauf 
gab er ihm die Weiſung, ſeine Clauſe in ein Klöſter— 
lein für zwölf Brüder zu verwandeln, und ſchenkte 
ihm zu dieſem Behuf den Wald eine Meile ringsum. 
Nach wenigen Jahren, als ſich die Anzahl der dorti— 
gen Brüder vermehrte, hat er noch zu Vermehrung 
ihres Unterhalts die Pfarreien Viehberg, Murrhard 
und Sulzbach hinzugethan, und zugleich befohlen, daß 
das Schloß Hunnenburg abgetragen und aus deſſen 
Steinen eine Kirche gebaut werden ſollte, die dem 
heil. Januarius zu Ehren geweihet wurde. Zum 
Widdum dieſer Kirche gab er außer den genannten 
Orten auch feinen Hof ſammt Kirche zu Osweil, 


232 


Pfarre und Hof zu Erdmannshauſen, fein Gut zu 
Laufen nebſt 30 Vaſallen und andern Dienſtleuten. 
Um dieſer ſeiner Stiftung Feſtigkeit zu geben, ſchickte 
er den frommen Walderich mit Gefandten von ihm 
an den Pabſt Stephan nach Rom, um von demſelben 
Walderichs Weihung zum Abt und die Beſtätigung 
der Freiheiten für das Kloſter zu erbitten; daß es 
nemlich im ganzen Umfang ſeiner jetzigen und künfti— 
gen Güter in vollem alleinigem Beſitze aller beweg— 
lichen und unbeweglichen Güter, Gränzen und Marken, 
Waſſer, Wälder, Fiſchereien und Jagden ſeyn und 
bleiben, darin von Niemand geſtört und mit Auflage 
beſchwert werden, allein zu pflanzen und auszureuten 
Macht haben, und keine andere geiſtliche oder welt— 
liche Perſon auf dem Eigenthum dieſes Kloſters ein 
Dorf, Weiler oder Schloß zu bauen, Macht haben 
ſolle. Dieſe Beſtätigung — ſo lautet die Urkunde — 
erhielt er nicht nur von dem Pabſte, ſondern derſelbe 
ſendete auch mit den kaiſerlichen Geſandten zween 
Cardinäle auf den damaligen Reichstag zu Worms, 
in deren und des Reichs Gegenwart der Kaiſer be— 
ſagtes Kloſter mit allen den dazu gehörigen Gütern 
in ſeinen Schutz genommen, demſelben den Beſitz 
aller genannten Freiheiten zugeſichert, und ihm zugleich 
die freie Abtswahl, nebſt der eben ſo ungehinderten 
Erwählung eines tauglichen und Wiederabſetzung eines 
untauglichen Vogtes geſtattet habe. Jeder, der dieſe 
Freiheiten antaſten würde — alſo beſtimmte der Stifter 


233 


laut der Urkunde — follte halb dem Kaiſer und halb 
dem Abt eine Strafe von 100 fl. erlegen. 

So viel über die Stiftung des Kloſters Murrhardt, 
die wir, wenn auch noch ſo viel daran gezweifelt 
worden, doch nicht ganz in das Reich der Sage ver— 
weiſen dürfen. Gewiß iſt, daß die Stiftung eine 
uralte iſt, mag ſie nun in die Zeit Pipins und Carls 
des Großen, oder Ludwigs des Frommen gehören. 
Daß der Einſiedler Walderich mit dieſer Stiftung in 
einiger Beziehung geſtanden, iſt außer Zweifel, denn 
ſonſt würde gewiß ſein Name zu Murrhardt kein ſo 
bekannter und gefeierter ſeyn. Unwahrſcheinlich iſt es 
nicht, daß er der erſte Vorſtand dieſer alten geiftlichen . 
Niederlaſſung geweſen. Das Jahr, wenn er lebte 
und ftarb, wiſſen wir nicht anzugeben, auch ſuchen 
wir ihn umſonſt unter den Kalender-Heiligen, aber 
ſo Viel iſt durch die chriſtliche Sage überliefert, daß 
auf dem Hügel bei der Stadt, da wo die erſte Clauſe 
des frommen Walderichs geſtanden, ſpäter im Jahr 
1489 eine Wallfahrtskirche erbaut wurde, welche ſei— 
nen Namen trägt, wie die noch vorhandene Walde— 
richs-Kapelle an der Kloſterkirche. In dieſer ſoge— 
nannten Walderichskirche (der nunmehrigen Begräb— 
nißkirche der Gemeinde) befindet ſich das Grab Wal— 
derichs, auf dem noch in der Mitte des 16. Jahr— 
hunderts einer jener drei römiſchen Denkſteine gelegen, 
die wir bereits erwähnt haben. Ehemals ſchrieb man 
dieſem Grabe die Kraft zu, Wahnſinnige zu heilen, 
wenn ſie auf den Stein gelegt würden. — Während 

® 


234 


wir die vorhandene Walderichskirche und Walderichs— 
kapelle für Lapidar-Urkunden halten, welche das einſtige 
Daſeyn eines Einſiedlers Walderich beweiſen, müſſen 
wir auf gleiche Weiſe behaupten, daß auch die Be— 
ziehung Kaiſer Ludwigs zur alten Kloſterſtiftung 
keine pure Mönchserfindung ſeyn kann, denn es ſteht 
doch wohl nicht umſonſt das Grabmal dieſes Kaiſers, 
wenn es auch nur für einen Denkſtein des anders— 
wo Begrabenen zu halten iſt, in der Klofterfirche. 
Nur die Denkmale der Stifter und ſonſtiger Wohl: 
thäter pflegte man in den Kloſterkirchen aufzuſtellen. 
Alſo muß er doch mindeſtens ein Begaber des alten 
„Klöſterleins geweſen ſeyn, oder wurde dieſe kleine 
geiſtliche Niederlaſſupg, die vielleicht ſeit dem Anfang 
des neunten Jahrhunderts etwas in Abgang gekom— 
men war, durch Kaiſer Ludwig in ein neues Leben 
geweckt und erweitert. Die in der Stiftungsurkunde 
genannten Vergabungen gehören wirklich zu dem äl— 
teſten Beſitz des Kloſters Murrhardt; andre ſind im 
Laufe der Zeit noch zahlreich nachgekommen. Schon 
vor dem Jahr 873 muß Murrhardt eine Beſitzung 
in Bottwar gehabt haben, denn als in dieſem Jahr 
ein gewiſſer Ado und ſeine Gemahlin Deda einen 
Herrenhof zu Bottwar nach Neuhauſen bei Worms 
vergabten, iſt ausdrücklich geſagt, daß dieſer Herren— 
hof von einer Seite bereits zu Murrhardt gehöre. 
Im Jahr 1027 übergibt Kaiſer Conrad II. dem 
Biſchof Meginhard zu Würzburg einen Wald um 
Murrhardt, innerhalb beſchriebener Gränzen, ſammt 


235 


dem Banne darüber; er und der Abt zu Murrhardt, 
damals Adalolf, ſollen allein das Recht haben, darin 
zu jagen. Schon vor dem Jahre 1182 muß das 
Pfarrdorf Kirchenkirnberg dem Kloſter vergabt wor— 
den ſeyn, denn in dieſem Jahre übergeben Abt Her— 
bert und ſeine Mönche mit Conſens ihres Kaſten— 
vogts, des Grafen Bertolds von Wolfſölden, dieſen 
Ort mit Wieſen und Feldern und aller Zugehör, ſo 
wie allen Rechten, die ſie bisher beſeſſen, an die 
Mönche zu Adelberg. Im Jahr 1348 kam Murre 
hardt in den vollen Beſitz der Kirche zu Großbottwar; 
ſchon lange vorher ſoll das Kloſter den Kirchenſatz 
und den Zehenten daſelbſt beſeſſen haben. Im Jahr 
1378 ſchenkte der letzte Graf von Weſtheim dem 
Kloſter die Kirche und den Kirchenſatz daſebſt, nebſt 
allen Gütern und Nutzungen auch zu Oedendorf. 
Auch Haslach im Limpurgiſchen nebſt dem Zehenten 
zu Wengen und Schönbronn, war eine Beſitzung 
Murrhardts. Ebenſo beſaß es in der Stadt Hall 
das Patronat der St. Catharinenkirche und mehrere 
andere Benefizien. Bei ſolchen bedeutenden Begabun— 
gen fönnen wir uns wohl denken, daß das Kloſter 
Murrhardt bald eines der wohlhabendſten im Schwa— 
benlande geworden. Aber auch bei dieſem nehmen 
wir, wie bei allen andern Klöſtern, ein Steigen und 
Fallen wahr, je nachdem ſeine Aebte Haushälter oder 
keine geweſen, oder je wie ſeine Schirmvögte, was in 
früherer Zeit die nächſt gelegenen Grafen von Loͤwen— 
ſtein geweſen, auf ihren eigenen oder des Kloſters 


236 


Nutzen geſehen. Hören wir hierüber wieder den Ber 
richt des Chroniſten G. Widemann. 

„Zudem haben auch etliche Aept wohl gehauſet, 
davon das Gotteshaus zugenommen; wiewohl durch 
Kriegslauf, Ueberſchwemmung, durch Gaſtung, Eigennutz 
der vermeinten Schirmherrn, es oft in Abfall kommen, 
hat doch der allmächtig allweg zugegeben, daß es ſich 
wieder erholt hat, und klöſterlich Leben allda nit er— 
loſchen iſt. Inſonderheit haben ihr Aept, deren Einer 
des Geſchlechts von Leuzenbronn, der einſt Pfarrer 
von Sulzbach iſt geweſen, und zu einem Abt iſt 
poſtulirt worden, für einen Haushalter gerühmt wor— 
den — dieſe haben durch ihr wohl Hauſen genanntes 
Kloſter wieder aufgebracht. In denſelbigen Zeiten iſt 
in Deutſchland eine ausbündige Zucht und Eifer ge— 
weſen, da Jedermann großen Luſt gehabt, die Kirchen 
zu begaben und Geiſtliche zu beſchirmen; und waren 
die Kirchenräuber Männiglich verhaßt, derowegen das 
Klofter Murrhard viel Jahr allein unter des römi— 
ſchen Reichs Schirm geweſen, bis zu der Zeit Kaiſer 
Carls IV. iſt allein der blos Schirm, doch nit erblich, 
Graf Eberharden von Wirtemberg übergeben worden. 
Ob es dieſem Kloſter genützt hab, weiß man wohl. 
Mit der Zeit iſt dieſer Schirm zur Vogtei, ja zu 
einem Eigenthum gewachſen, wiewohl Solches der 
Schirmbrief nit gibt.“ Wie es unter dieſem Schirm 
im Kloſter zugegangen, davon haben wir ein Pröb— 
lein, wenn wir in der Chronik Widemanns weiter 
fortfahren, wo er uns von dem ſeltſamen Abt Her— 


237 


bort, genannt Gütig Gott, einige heitere Stücklein 
erzaͤhlt. 

„Zu den Zeiten Graf Ulrichs von Wirtemberg, 
der ein gütiger Fürſt war, wurde der Ueberfall des 
Gejägs abgeſtellt. Denn dazumal Apt Herbord, ge— 
nannt Abt Gütiggott, weil „Botz gütig Gott!“ ſein 
Sprüchwort war, zu Murrhard Prälat geweßt. Wann 
die Jäger gen Murrhard kamen, zog er gen Stutt— 
garten mit Etlichen und aß zu Hof. Da er nun zu 
Hof ging, wurde er gefragt, ob er zu Hof was an— 
zubringen hätte, wollte man ihn hören. Darauf der 
Abt ſagte: Nein! Da wurd er wieder gefragoͤt, was 
er dann hie thät? Antwortet der Abt: Botz gütig 
Gott! ich will meinen, Kaiſer Ludwig habe ein Kloſter 
zu Murrhard geſtift, ſo ſehe ich wohl, es iſt ein 
Hundsſtall, denn meines gnädigen Herrn Hund und 
Hundsbuben liegen darin. Meine Mönche dürfen nit 
ſingen, die Hund heulen genug; ich will, ſo lang die 
Hund in meinem Kloſter liegen, hie gen Hof gehen, 
mein gnädiger Herr vermag mir baß zu eſſen zu 
geben, dann ich ſeinen Hunden. Darauf der fromm 
Graf geantwortet: ziehe heim, lieber Abt, die Hunde 
ſollen abgeſchaft werden. — Dieſer Abt hauſete wohl, 
er lugte, wie er den Ueberfall zu Murrhard und im 
Hof zu Bottwar möcht abſchaffen, machte darum kein 
Weg um Murrhard, und fo er von ſeinen Gäſten 
gefragt wurde, warum er die Weg um Murrhard ließ 
zergehen, antwortete er: Botz gütig Gott! mir kom— 
men dannoch mehr Gäſt, als mir lieb ſind. Wann 

* g 


238 


dieſer Abt zufallend Gäſt hatte, die bei ihm bis in 
dritten Tag verharreten, und nit hinwegritten, ließ 
er ſie durch ſeinen Kämmerling fragen, ob ſie wüßten, 
warum Chriſtus nit länger, denn bis auf den dritten 
Tag im Grab gelegen? So dann der Gaſt ſagte: 
er wiſſe es nit — ſo ſprach der Kämmerling: „mein 
Herr der Abt ſagt: Chriſtus ſei dieſelbe Zeit bei 
ſeinen guten Freunden, den Patriarchen und Pro— 
pheten in der Vorhölle geweſen, ſie deren entledigt; 
damit uns wollen anzeigen, wann Einer einen guten 
Freund daheim ſuche und bei ihme bleib bis in den 
dritten Tag, möge er erfahren, wie er lebe, und fei 
ohne Noth, daß er länger dableibe, er ſoll hinziehen.“ 
Da merkte der Gaſt, daß er unwerth war und zog 
ſeine Straße. — Dieſer Abt wollte nit leiden, daß 
ſich ſeine Diener mit Mänteln kleideten, ſagt, er ſorge, 
ſie tragen ihme unter Mänteln das Kloſter hinweg; 
das iſt ſo viel — ſie tragen ihm unter Mänteln ab, 
dann es wär gut darunter verſchlagen. 

Auf eine Zeit ritt er gen Bottwar, und ſah vor 
der Stadt viel Gäns in einem Dinkelacker, dem 
Gotteshaus Murrhard gehörig, gehen. Da ſchickte er 
ſeinen Diener, der mit ihm ritt, in die Stadt, ließ 
Jeder Gans einen Kübel kaufen, mit Waffer füllen 
und in die Aecker ſetzen, ſagend: die Gäns möchten 
Durſt ſterben, würden hernach die in der Stadt ſagen, 
ſie hätten an ſeinem Dinkel den Tod gefreſſen, und 
von ihm deſſen einen Abtrag begehren. Darauf ritt 
er in die Stadt, beruft den Vogt zum Morgeneſſen, 


239 


erzäßlet ihm den Handel mit den Gänſen, ſprechend: 
er ſähe, daß die von Bottwar es treulich mit ihm 
meinten, dann ſie ihre Gäns in ſeine Frucht treiben, da— 
mit er das Schnitterlohn bevor hätte; wann er ſollte 
dergleichen gewärtig ſeyn, daß er deren von Bottwar 
Gänſen ſäen müßt, wollt er ſie baulos liegen laſſen, 
ſo hätte er das Baugeld bevor. Demnach ſchickte der 
Vogt alsbald zu erkundigen aus, weß die Gäns 
wären, die müßten dem Abt den Dinkel und die 
Kübel bezahlen. 

Mit dieſen und andern Urſachen, weil er dem 
Gotteshaus treu war, und nit mit den großen Flaſchen 
auftrug, macht er, daß ihme Etliche des Hofgeſinds 
abhold wurden, ſagten, er wär ein kindiſcher, thörichter 
Mann, praktieirten ſo Viel, daß er der Abtei entſetzt, 
und ein Egen, der ein guter Geſell war, an ſeine 
Statt geſetzt ward. In ſeiner Entſetzung ſagte er zu 
den Rathen: es ſollt ein Mann herfür gehen, der 
ſagen dürft, Abt Herbordt — ſich ſelbſt meinend — 
hat St. Januarium (der Patron zu Murrhard iſt) 
jemals um einen Heller verſetzt. Aber die Glock war 
goſſen — der gut Abt mußt von der Abtei weichen; 
er ſtarb im Jahr 1444. Nach Abt Wilhelm Egen 
wurd kanoniſch Abt Herr Johann Schrade, der, ſo— 
weit das Kloſter begriffen, das Städtlein mit Zinnen 
vermauert und erneuert hat. 

Nach ihm — jo fährt Widemanns Kloſterchronik 
fort — kam Laurentius Gaus, der erblindet vor ſei— 
nem Ende. Alſo hielt Philiyp Renner, ein Prior, 


240 


der auch nach Abſterben Abts Lorenzen Abt wurde, 
das Regiment; die Mönche tractirten, wie fie aus der 
Kutten kämen, wurden die Zehenten zu Osweil um viel 
hundert Gulden verſetzt. Der Prior, Herr Wilhelm, 
wollt' mit ſolchem Geld gen Rom zu Pabſt Leo X., 
damit das Kloſter Murrhard in ein weltlich Stift 
transferirt werde, zu erlangen, doch das geiſtlich und 
weltlich Lehen ſollt auf Wirtemberg gewendet werden. 
Solch Wenden aller der geiſtlichen Güterlehen wollte 
Pabſt Leo nit bewilligen. Die Murrhard'ſchen lagen 
zu Rom, bankettirten, wurd der Seckel leicht; damit 
ſie dann nit ungeſchafft von Rom ritten, erlangten 
ſie allein die Translation des Ordens, unbewilligt, 
die geiſtlichen Lehen auf Wirtemberg zu wenden, und 
weil dieſen Sprechern zu Rom das Geld zerrann, ver— 
ſetzten ſie die Translationsbulle in des Fuggers Bank 
um etlich hundert Gulden. Als dieſe Handlung 
Wirtemberg gewahr wurde, daß nemlich die Trans⸗ 
lation, ohne die Bewilligung, die geiſtlich Lehen auf 
ſte zu wenden, war ausgebracht, ließ man die Bulle 
bei dem Fugger löſen, den Prior in Verhaftung an— 
nehmen, und im Thurm auf'm Aſperg zwei Jahr 
etlich Monat erhalten. Endlich wurd er ausgebeten, 
zu einem Conventual zu Murrhard wieder angenom- 
men, und iſt doch darin verſchieden. Dieweil aber 
der Fürſt in die ausgebrachte Translation nit willi— 
gen wollte, ſo iſt Murrhard ein Kloſter blieben. 
Dieſer Zeit war der Ueberfall der Gäſt groß zu 
Murrhard, auch wurde Philipp der Abtei entſetzt, 


241 


und Oswald, ein Conventualis zu Lorch, zum Abt 
an ſeine Statt geſetzt, der fromm, geiſtlich, andächtig 
und gottesfürchtig, aber in bürgerlichen Sachen und 
Haushalten nit gar anſtellig war. Dieweil dann des 
Kloſters Schulden viel, auch ſolch's weiter zu be⸗ 
ſchweren, dieſer Abt nit willigen wollte, ſo haben ſich 
zu Tilgung der Schulden, dieſer Abt und feine Con⸗ 
ventualen von den wirtembergiſchen Räthen, aus 
ihrem Kloſter Murrhard theidigen laſſen, in Zuver— 
ſicht, daß dadurch all Gaſterei und Atzung abgeſtellt, 
ein Vorrath erſpart und ſie wieder fürder in ihr 
Kloſte ſollten eingeſetzt werden. Alſo kam Abt Os— 
wald wieder in ſein Convent zu Lorch. Die andern 
i Conventualen wurden alle hin und wieder in die 
ö Klöſter Benedikter Ordens als Gäſt verſchickt, zween 
4 iſche Oekonomen in das Kloſter verſetzt, die alle 
Nut ung einnahmen, aber wurd Nichts abgelöst, und 
dazu in Einem Jahr 1000 fl. verdiſtillirt, ſo auf 
Zins aufgenommen worden. 

Das ſtund an, bis Reutlingen belagert wurde; da 
ſupplicirten die Brüder im Lager beim Landesfürſten 
und wurden wieder eingeſetzt, der Atzung gefreiet, 
doch ſollten ſie dafür jährlich 100 fl. geben. Alſo 
wurd Abt Oswald ein Murrhard'ſcher Conventual, 
und Herr Martin Mörlin, ein trefflich geſchickter 
Mann, von Männiglichem geliebt und werth gehalten, 
der wurd ihm zum Großvogt zugeben; die hauſeten 
wohl. Und wiewohl mit der Zeit ſich allerlei Schatzung 
eng, war es doch Alles leidenlich geweſen, bis 


242 


Anno 1 1525, da etliche aufrühreriſche Predikanten den 
gemeinen Mann aufrühreriſch machten, und nahmen 
die aufrühreriſchen Bauern des hälliſchen Landes und 
Gmünder Waldes Murrhard ein, plünderten das 
Kloſter, und führten auch unter Andrem etliche alte 
Brief und Freiheiten darvon, welche, als ſie das Kloſter 
Lorch anzündeten, damit verbronnen ſind. Als aber 
der ſchwäbiſch Bund aufging, und der Landesfuͤrſt durch 
den Landgrafen wieder in ſein Land eingeſetzt worden, 
wurde mit Murrhard, wie mit andern Klöſtern ges 
hauſet: es ging unter. Alſo wurden die Brüder 
ausgeſtoßen bis Anno 1548. Doch von wegen der 
großen Gunſt, ſo der Adel zu Abt Martin ha 
wurde er im Kloſter als ein Amtmann, allw 
Orden tragend, gelaſſen, mit dem Prior 
Als aber das Interim durch Kaiſer Carl 
worden, ſtarb Abt Martin am Mittwochen 
Juni 1548. Indem erleuchtet! Gott das Her Cori, 
des Königs der Perſer, daß er die Klöſter 
öffnete, ſolche den verjagten Brüdern eingab, und 
Prälaten zu wählen und Brüder anzunehmen, ihm 
gebot. Alſo wurde der ehrwürdig und löblich Herr 
Thomas Carlin Abt, ſo blieben war als Prior, durch 
den hochwürdigen Fürſten und Herrn, Melchior Bis 
ſchof zu Würzburg, in eigner Perſon verordnet und 
beſtätigt u. ſ. w.“ Der Chroniſt, den wir bisher er⸗ 
zählen ließen, ſchließt die Chronik des Kloſters und 
der Aebte mit dem eh men Wunſche: Der allmächtig 
Gott verleihe ſeiner Gnaden (dem neuen Abt) * 


243 


wierige Geſundheit, und deutſcher Nation, daß 
ſie auch erleuchtet, zu Fried' und Einigkeit ge⸗ 
finnet werde! So ſetze ich keinen Zweifel, dieſer 
Abt Carlin werde hauſen, daß in Murrhard wieder 
klöſterlich Leben, nach Stiftung des erſten Stifters, 
Kaiſer Ludwigs, werde grünen und alles Unglücks ſich 
erholen, der auch ſtetig das Kloſter wieder zu bauen 
und die Kirche zu zieren angefangen; denn zum vo— 
rigen Unfall verbrann auch in der Zeit, als die Con— 
ventuales exulirten, dieſes Kloſters Dormitorium 
(Schlafſaal) und die beſte Scheure. Auf Thomas 
Carlin folgt Otto Leonhard Hofſeß als Abt. Er 
kam wahrſcheinlich durch ſeinen Bruder Jakob Hofſeß 
ins Amt, der ſeit 1534 Vogt zu Murrhard geweſen, 
und ſich ſehr um das Städtchen verdient machte, be— 
ſonders dadurch, daß er gute Brunnen dahin leiten 
ließ, und Schule und Rathhaus daſelbſt erbaute. Abt 

ß war keiner von denen, die wohl hauſeten: er 
wurde wegen ſeiner üblen Aufführung ins Gefängniß 
gelegt, und nach wenigen Jahren ſeiner Amtsführung 
abgeſchafft, im Jahr 1552. Auch ſein Bruder der 
Vogt muß ſpäter ſehr ausgeartet ſeyn, denn er wurde 
im Jahr 1574 wegen ſeiner Untreue und geſetzten 
Reſts von 7000 fl. enthauptet. Otto Leonhard Hofſeß 
war der letzte katholiſche Abt. Ihm folgten jetzt evan— 
geliſche Prälaten, und Murrhard wurde eine evange— 
liſche Kloſterſchule. Nach der Nördlinger Schlacht 
wurde der evangeliſche Abt Dauber mit den Seinigen 
vertrieben, und es . abermals katholiſche Aebte 


244 


bis zum Jahr 1650, wo Murrhard den Evangelifchen 
wieder eingegeben wurde. Nun folgten die evangeli⸗ 
ſchen Aebte in ununterbrochener Reihe. Darunter 
nennen wir nur die wichtigeren: Johannes Maier, 
Verfertiger einer der erſten wirtembergiſchen Land— 
charten, er ſtarb 1713; die beiden Hochſtetter, einer 
Familie Wirtembergs angehörig, die ſchon einige Jahr— 
hunderte die wirtembergiſche Kirche mit gelehrten Theo— 
logen verſehen; den M. Fried. Chriſtof Oetinger, den 
bekannten Theoſophen und Prediger. Noch bis ins 
Jahr 1806 erſchienen die Murrharder Aebte auf den 
Landtagen. — Vom weitläufigen Kloſtergebäude, das die 
ehemaligen Prälaten bewohnten, find nur noch Ueber: 
bleibſel an der Förſterwohnung, unter anderem auch 
Reſte des ehemaligen Kreuzgangs, aber aus ſehr ſpäter 
Zeit, vorhanden. 

Wir haben die wichtigſten Momente aus der Ge⸗ 
ſchichte des Kloſters und ſeiner Aebte an unſrem Blicke 
vorübergehen laſſen; nun wenden wir uns zu ſeinen 
alterthümlichen Merkwürdigkeiten, an denen Murrhardt 
viel reicher iſt, als manche andere Klöſter unſeres 
Vaterlandes, denn gerade dieſes hat ſogar in den 
verhängnißvollſten Zeiten am wenigſten den Raub der 
Zerſtörung erfahren. Wir faſſen zuerſt die St. Wal⸗ 
derichskapelle ins Auge, jenes wie durch ein 
Wunder beinahe ganz unverletzt erhaltene Bethaus, 
das wegen der Schönheit ſeiner Formen und des 
Reichthums ſeiner Ornamente zu den ſchönſten Denk⸗ 
malen romaniſcher Baukunſt gehört. Die Kapelle ſteht, 


245 


an ihrer Sudſeite von der erſt ſpäter angebauten 
Kloſterkirche überragt, auf einem Abhang am nörde 
lichen Ende der Stadt, in einem kleinen, nur gegen 
Oſten ſich öffnenden Waldthal. Die Kapelle iſt ein 
ſogenanntes Oratorium, deſſen Grundriß beinahe ein 
Quadrat bildet, und im Oſten mit einer etwas mehr 
als halbkreisrunden gewölbten Chorniſche ſchließt. Die 
vier Mauern des Gebäudes ſchrägen ſich, dem Innern 
entſprechend, in ſpitzen Gibeln ab, tragen das über 
das innere Gewölbe gelegte, ſich in vier verſchobenen 
Vierecken in die Höhe ziehende Dach, wie das Ge— 
wölbe und der Chor, in ſtarken Quadern aus dem in 
der Umgebung von Murrhardt häufig vorkommenden 
rothen Sandſtein ausgeführt. Die weſtliche Wand, 
deren Giebel, gleich denen der andern drei Wände, 
ein mit dem Sägenornament decorirtes Kranzgeſims 
und der daſſelbe begleitende Rundbogenfries ſchmückt, 
öffnet ſich durch ein ziemlich niederes reiches Portal, 
das nicht in der Mitte, ſondern an der ſüdlichen Ecke 
der Mauer angebracht iſt, dem Zutritt in die Kapelle. 
Dieſes prachtvolle Portal mit Rundbogenſturz, deſſen 
Seitenwände ſich, wie abgeſchrägt, dem Beſchauer ent— 
gegenbreiten, iſt dreifach abgetreppt. Jede Abtreppung 
der Laibung beſteht aus zwei, durch mannigfaches 
Blattwerk mit einander verbundenen Halbſäulen, welche 
von phantaſtiſchen Figuren-, Thier- und Frazzen⸗ 
Capitellen gekrönt werden, und ſich in der Wölbung 
des Portals mit demſelben reichen Wechſel der Formen 
des Ornaments in den Einkehlungen und Zwiſchen— 


246 


wänden in ſelbſtſtändiger, kräftiger Gliederung fort: 
ſetzen. In dem Thürfeld des Portals, das überhaupt 
einen Reichthum der Phantaſie entfaltet, der nur von 
der völligen Harmonie, in der alle einzelnen Theile 
ſich zum ſchönſten Ganzen ordnen, übertroffen wird, 
thront ein ſegnender Chriſtus. Tritt man nun durch 
die niedrige Thüre in das Innere, ſo wird man un⸗ 
gemein überraſcht von dem wunderbaren Einklang der 
Verhältniſſe und der reichen Mannigfaltigkeit der archi= 
tektoniſchen Details. Die gegenüberſtehende öſtliche 
Wand erſchließt die kuppelförmig überwölbte Abſis, 
während an den andern drei Wänden niſchenförmige, 
nach oben von drei Kreisſtöcken überwölbte Vertie⸗ 
fungen angebracht ſind, deren Bögen von kleinen, 
freiſtehenden Säulen mit höchſt intereſſanten Kapitellen 
getragen werden. Die ſüdliche und nördliche Wand 
bat je zwei ſolcher architektoniſch mit einander ver— 
bundenen Doppelniſchen, die weſtliche aber neben der 
Eingangsthüre nur eine einzige. In den vier Ecken 
ſteigen maſſive, aus je drei Halbſäulen gebildete Pfeiler 
mit phantaſtiſch ornamentirten Pflanzen-, Thier- und 
Menſchenantlitz-Kapitellen empor; ſie tragen das rings— 
um laufende, im Chor ſich gleich einem Kranze über 
das Rundbogenfenſter ziehende Fries, und die mäch— 
tigen, aus den Ecken entſpringenden Gewölberippen. 
Dieſe ſpannen ſich im Spitzbogen in die Höhe, und 
bilden, aus gleichem Steine mit den Kappen, die ſich 
über die im gleichſeitigen Dreiecke conſtruirten, einges 
zogenen Giebelfenſter legen, das maſſive und doch fo 


247 


leicht ausſehende ſpitzbogige Kreuzgewölbe, das ein, 
einen Knoten darſtellenden Schlußſtein krönt. Die 
Kappen und Rippen beſtehen aus denſelben ſtarken 
Steinen, wie die Mauern, und es ſcheint das minder 
ſchiebende Spitzbogengewölbe, wenn der Gedanke, wel— 
cher der germaniſchen Kunſt zu Grunde liegt, ſich nicht 
auch hier ſchon im Geiſt der damaligen Zeit vorbe— 
reitete, aus ſtatiſchen Gründen gewählt worden zu 
feyn, das heißt, um den Seitendruck auf die Mauern, 
welche der Strebepfeiler ermangeln, zu mindern. In 
die ſüdliche Wand wurde durch eine der Niſche nach— 
her eine Thüre gebrochen, um dadurch eine Verbindung 
mit der ſpäter erbauten Kloſterkirche zu bewirken. In 
der Chorniſche ſteht ein nakter Altar — ein einfacher 
Tiſch mit einer deßgleichen Platte; auf demſelben eine 
aus ſpäter Zeit herrührende Bildſäule des h. Walderich 
(nach Andern des h. Januarius). Die Säulen haben 
insgeſammt das Kelchkapitäl mit fein ausgearbeiteten 
Blättern und die Attiſche Baſis, die ſich mittelſt Men— 
ſchen- und Thierlarven oder Laibformen auf den Ecken 
— ſogenannten Schutzblättern — mit dem Unterſatz 
verbindet. Die Gewölberippen haben das ſchon leichter 
gegliederte Birnenprofil nebſt zwei Hohlkehlen, die ſich 
durch einen Rundſtock mit einander verbinden. Das 
ziemlich tief gemeiſelte Ornament zeigt beinahe durch— 
gehend, im mannigfaltigſten und doch immer zum 
Ganzen ſtimmenden Wechſel der Form, die eigenthüm— 
lich geſchwungene und gewundene Stengel- und Ran: 
kenverſchlingung mit Blättern, unter denen die Lilie 


248 


ſehr häufig vorkommt; es ift mit großer Geſchicklich⸗ 
keit und Geſchmack ausgeführt. — Betrachten wir das 
Aeußere der Kapelle, ſo finden wir die Wand gegen 
Norden in drei Felder getheilt, und zwar durch zwei 
Halbſäulen, die ſich über ihren reizend ausgehauenen 
ſchlanken Kapitellen im Giebel in Liſſenen fortſetzen, 
welche oben in das Rundbogenfries unter dem Giebel— 
gefim3 übergehen. Zwiſchen dieſen Liſſenen find zwei 
rundbogige Fenſter mit reicher Stabgliederung ange— 
bracht. — Am reichſten, und wie es ſcheint, mit be— 
ſonderer Vorliebe decorirt, iſt die öſtliche Seite der 
Kapelle mit der halbkreisförmigen Chorniſche und deren 

Rundbogenfenſter. Dieſe Abſis, deren Dach die unter 
dem Traufgeſims der Kapelle aufſteigende Rundbogen— 
verzierung des Giebels beinahe ganz verdeckt, wird 
durch Halbſäulen mit äußerſt hübſchen Kapitellen in 
fünf Felder getheilt, in deren mittlerem ſich das pracht⸗ 
volle Rundbogenfenſter befindet, auf deſſen Waſſer⸗ 
ſchlag zwei Löwen ruhen. Daſſelbe wird von einem 
breiten, äußerſt rein und fein ornamentirten Fries um: 
zogen, und ſchrägt ſich nach Innen in zwei Rund: 
ſtäbe und zwei mit Ornamenten verzierte Hohlkehlen 
ab. Unter der Waſſerſchräge des Fenſters ſchließt ein 
einfaches Blätterornament die ornamentale Umrab: 
mung, welche zwei kurze Halbſäulen mit Figurenkapitäl 
tragen, architektoniſch ab. Die übrigen vier Felder 
der Chorniſchen endigen in zierlich ausgeführten, zu 
beiden Seiten des Fenſters von conſolenartigem Laub: 
werk getragenen, giebelförmigen Geſimſen, deren Spitzen 


249 


das Hauptgeſims des Chors berühren. Das letztere 
iſt ein Rundbogenfries, der unter dem Kranzgeſims 
der Abſis herumläuft, und deſſen Bogen mit dem 
ſchönſten, wechſelndſten Ornamentenſchmucke ausgefüllt 
ſind. In dem mittleren Bogen, gerade über der Mitte 
des Fenſters, erblickt man einen von vorn dargeſtellten 
Löwenkopf mit Vordertatzen, die in den breiten Rund— 
fries des Fenſters greifen. Auch auf der noch frei— 
ſtehenden Wand der Kapelle ſelbſt ſteigt von den bei— 
den Eckſäulen der Chorniſche zu den Kapitellen der 
Mauerecken ein geradliniges ornamentirtes Geſims 
empor. Das über die Mauer heraustretende, durch 
den aufgehöhten Boden aber bis auf einen Schuh 
bedeckte Baſament der Kapelle bewegt ſich im ähnli— 
chen Profil, wie die Säulenfüße, und die zwei ſicht⸗ 
baren Mauerecken ſind in Form von Dreiviertelsſäulen 
abgerundet und ſchließen ſich durch ihre Kapitelle den 
aufſteigenden Kranzgeſimſen der Giebelfenſter an. — 
Dem bisher Gegebenen, das wir der gelehrten Ab— 
handlung in den Heften des Wirtem b. Alterthum⸗— 
vereins entnommen, wo wir auch drei treffliche 
Bilder nach Profeſſor Eberleins wohlgelungener 
Zeichnung finden, fügen wir noch bei, daß ſich in der 
Kapelle vier ſteinerne Sitze befinden, auf deren jedem 
drei Perſonen Platz haben; ſie ſollen, wie der Chroniſt 
Widemann berichtet, für die zwölf Brüder beſtimmt 
geweſen ſeyn. Ein fünfter Stuhl unten beim Thür: 
lein war für den Abt. Auch waren früher an der 


* 


250 


Thüre Löcher eingeſchnitten, durch welche hindurch das 
Volk die Meſſeämter verrichten ſah. 

Fragen wir nach der Zeit der Erbauung dieſer in 
ihrer Art einzig ſchönen St. Walderichskapelle, ſo wird 
ſie, nach dem ſo vollendeten Bauſtyl zu ſchließen, in 
die letzte Hälfte des 12. Jahrhunderts fallen, da 
Herbort Abt geweſen. Einer früheren Zeit gehört 
wohl das ſchöne Portal an, das mit weit mehr Härte 
und Strenge, als die Formen im Innern der Kapelle 
und in der Chorniſche ausgeführt iſt. Auch iſt das 
Portal aus weißem Sandſtein gehauen, und nicht 
auf eine organiſche Weiſe mit dem übrigen Bauwerk 
verbunden. Wir glauben darum annehmen zu dürfen, 
daß das Portal zuvor an einer älteren Kapelle, etwa 
der früheren Grabkapelle Walderichs geſtanden. — Die 
Kirche, welche an die Kapelle angebaut iſt, hat gar 
keinen alterthümlichen Bauftyl. In ihrem Innern 
ſehen wir das Grabmal Kaiſer Ludwigs des Frommen 
in Sargform, aus dem Ende des Mittelalters. Auf 
dem Deckel des Denkſteins ſieht man im Umriß eine 
Figur, mit einer Krone auf dem Haupt; in der 
Rechten hält ſie ein unter ſich gehendes, mit ſeiner 
Spitze den Boden berührendes Schwert, in der Linken 
einen Scepter. Neben den Füßen das hohenſtaufiſche 
Löwenwappen. An der Seite des Sargs ſind gothiſche 
Verzierungen. Die um den Rand des Steins lau— 
fende gothiſche Inſchrift lautet: Anno domini octin- 

gentesimo sexto obiit illustrissimus Romanorum 
Imperator semper Augustus Ludovicus filius 


251 


Karoli Magni, cognomento Pius, fundator hujus 
monasterii, cujus anima requiescat in pace. Amen. 
(Im Jahr des Herrn 816 (vielmehr 840) ſtarb 
der erlauchteſte Kaiſer der Römer, alle Zeit 
Mehrer, Ludwig, Sohn Karls des Großen, 
genannt der Fromme, Stifter dieſes Klo— 
ſters, deſſen Seele im Frieden ruhe. Amen.) 
Ferner befindet ſich noch in dieſer Kloſterkirche ein 
Schrein 6 Schuh 2½ Zoll hoch, 5 Schuh 4 Zoll 
breit, 1 Schuh tief, mit zwei Flügeln. Er enthält 
die Mutter Gottes mit dem Leichnam des Herrn im 
Schooß, welchen zu Haupt und Füßen Joſeph von 
Arimathia und Nicodemus halten, in vergoldeter Holz— 
ſchnitzerei. (Dieſe Figuren waren urſprünglich nicht 
da, denn unten ſteht St. Sebastianus, S. Maria, 
Mater Dei, S. V. M. 1496.) In der Predella iſt 
gemalt: Chriſtus als ecce homo, welcher die Hände 
ausſtreckt, und ſie links ſeiner Mutter Maria und 
rechts Johannes dem Cvangeliſten zum Küſſen dar— 
reicht. Landſchaftlicher Hintergrund. Von den Flü— 
geln iſt ja nur die innere Seite bemalt. Auf jeder 
Seite zwei Bilder unter einander auf Goldgrund, 
rechts oben weibliche Heilige, in deren Mitte die heil. 
Catharina mit dem Schwert, die heil. Barbara mit 
dem Kelch u. a. Die Unterſchrift lautet: all hailig 
junckfrowen. Unten männliche Heilige, darunter 
ein Biſchof in der Mitte, St. Franziscus, St. Jakob 
u. a. Links oben das Pfingſtfeſt mit der Unterſchrift: 
all hailig XII boten vnd pnſer Frau. Unten 


252 


männliche Heilige, in deren Mitte Johannes der Täufer 
mit dem Lamm, der h. Laurentius, Stephanus, Leo 
der Große u. ſ. w. ein vortreffliches Gemälde. 

Noch iſt die ſogenannte St. Walderichskirche 
wegen ihrer Alterthümer des Beſuches werth. Außen 
auf ihrer Nordſeite iſt die Gefangennehmung des 
Heilandes in Holzfiguren dargeſtellt. Auf derſelben 
Seite finden ſich zwei Reliefs aus viel älterer Zeit, 
welche anders woher genommen ſind, eingemauert: 
ein länglichtes mit zwei die offenen Rachen zuſammen— 
ſtreckenden Löwen; das andere, halbkreisförmige, wahr— 
ſcheinlich ehemaliger Thürſturz aus ſehr früher Zeit, 
ſtellt in der Mitte das Lamm mit dem Kreuz en 
medaillon dar, links ein Königsbruſtbild mit einem 
Lilienſtab in der Hand, rechts einen Stern, dieſe bei— 
den in kleineren Medaillons. Außen ſind niedliche 
byzantiniſche Verzierungen, auch ein Menſchenkopf; 
unten ſind verwitterte Inſchriften. Heideloff, 
unſer unübertroffener, würdiger Altmeiſter in der 
Architektonik des Mittelalters, hält den Thürfturz für 
ein Werk aus der Zeit Abt Herborts (1180) und 
meint, das Königsbruſtbild deute auf Ludwig den 
Frommen. Wir ſtimmen dieſer Anſicht mit ganzer 
Seele bei, und fügen nur noch hinzu, daß alle dieſe 
Merkwürdigkeiten der alten Kapelle mögen angehört 
haben, die über St. Walderichs Grab erbaut wurde. 
Noch bemerken wir an dieſer Walderichskirche eine 
eigenthümliche Einrichtung für die Opfernden. An 
der äußeren Mauer befindet ſich eine Oeffnung, durch 


253 


welche hindurch man die Gaben für St. Walderich 
einlegte. Noch jetzt wallfahrten, beſonders am Char⸗ 
freitag, Schaaren von Glaubigen — die meiſten der 
evangeliſchen Kirche angehörig — nach der Walderichs— 
kirche, und legen ihre Gaben ein. Beſonders ſind es 
auch die Frauen, welche durch ſolche Gabe die Er— 
hörung ihrer heißeſten Wünſche erlangen möchten. 
Als einmal auf höheren Befehl ſolch Opfern auf dem 
gewöhnlichen Wege eine Zeitlang unterſagt wurde, ſo 
wußten die Leute dem h. Walderich ihre Gaben durch 
die Oeffnungen der Thuͤrſchwelle oder auf anderem 
Wege beizubringen. 


Die Sage von St. Walderich. 


Da man ſchrieb 800 Jahre nach der Geburt Chriſti, 
war ein großer Theil der deutſchen Lande an den 
Flüſſen Weſer, Elbe und Oder noch heidniſch. Dazu: 
mal regierte ein großer, mächtiger, chriſtlicher Kaiſer, 
Karl, genannt der Große, über viele Reiche, als da 
find Spanien und Frankreich, Italien und die chriſt— 
lichen Lande der deutſchen Völker bis gegen Däne— 
mark hinauf, und kämpfte mit den Heiden, dem 
mächtigen Sachſenvolk, um ſie zu bekehren, deßgleichen 
mit den Ungarn, die in die chriſtlichen Lande räuberiſch 
an der Donau herauf einfielen, und mit den Un⸗ 
gläubigen, den Söhnen Mohameds, welche halb Spa⸗ 
nien erobert hatten. 


254 


Kaiſer Karl der Große hatte mehrere Söhne. Seine 
alteften, Karl und Pipin, ſtarben, als ſie kaum die 
ihnen vom Vater übertragenen Königreiche angetreten, 
und für Pipin gab er nun deſſen Sohn, ſeinem Enkel 
Bernhard, die Krone von Italien. Als der Kaiſer 
ſein Ende herannahen ſah, rief er ſeinen dritten Sohn 
aus rechtmäßiger Ehe Ludwig nach Aachen zu einem 
Reichstag. 


Im kaiſerlichen Ornate, umgürtet mit einem gol⸗ 
denen Schwerdt, in den Händen tragend das goldene 
Evangelienbuch, auf dem Haupte eine Krone mit 
Edelſteinen, um die Schulter geſchlagen den Purpur— 
mantel, führte Karl ſeinen Sohn Ludwig in die Ver— 
ſammlung der Fürſten, Biſchöfe und aller Edlen des 
Reiches, und fragte ſie: wollt Ihr dieſen meinen lieben 
Sohn annehmen und halten als Euren künftigen 
König und Kaiſer? 

Einmüthig erſcholl es: Ja, Gott will es alſo haben! 

Darauf zog der Kaiſer mit dem Neugewählten in 
den Dom zu Aachen und fiel vor dem Altar nieder, 
um lange zu beten. Aber, als er ſich wieder erhoben, 
ſprach er zu Ludwig: Mein Sohn! So ermahne ich 
dich nun, als meinen Nachfolger auf dem Stuhl der 
chriſtlichen Kaiſer des Abendlandes, du wolleſt treu 
und fromm wandeln in den Augen des Königs aller 
Könige, wolleſt Sorge tragen für die heilige chriſt— 
liche Kirche und ihre Diener, wolleſt gegen deine 
Schweſtern allezeit ſehn ein treuer Bruder und dein 


255 


Volk lieben, wie deine Kinder, den Armen Troſt ver— 
1 und getreue, gottes fürchtige Beamte ſetzen 
über daſſelbe, zu Nutz und Frommen des Reiches, 
das . anvertrauet von Gott und allem Volke. 

Willſt du das Alles erfüllen, mein lieber Sohn? 

Ja, entgegnete auf die Kniee geſenkt Ludwig — ſo 
wahr mir Gott helfe! | 

Nun — fuhr der Kaiſer fort — ſo ſetze dir ſelbſt 
die Krone auf, und ſtets möge ſie dich erinnern an 
| dein Verſprechen! 

Alſo nahm Ludwig die Krone aus ſeines Vaters 
Hand und ſetzte ſich dieſelbe auf. 


Aber er war nicht der Mann des Krieges und der 

Kraft, um das Reich zu erhalten und zu mehren, 
wie ſein Vater. In feiner Jugend ſchon in ſtillen 
Klöſtern erzogen, taugte er mehr zum Mönch als zum 
weltlichen Herrſcher, und erhielt wegen ſeiner vielen 
und reichen Stiftungen an die Kirche den Namen 
„der Fromme.“ 
Mit feiner Gemahlin Irmengardis zeugte er drei 
Söhne und theilte das Reich unter fie. Den älteſten 
Lothar ernannte er zum Mitkaiſer und Nachfolger und 
gab ihm Italien. Den zweiten Sohn Pipin ſetzte er 
über das Reich Burgund, und dem dritten Ludwig 
gab er ein Königreich in Deutſchland, von Tyrol bis 
nach Böhmen und Sachſen hin ſich erſtreckend. 

Darauf nahm Ludwig, der Vater, fein zweites Eh— 
gemahl, Judith, die ſchöne Tochter Welfs, eines Fürſten, 
0 


256 


der in Baiern und am Bodenſee große gef 3 
hatte. 

Sie gebar ihm einen Sohn Karl, une Lu dwig 
ſchenkte ihm das Land Allemanien am Rhein und 
Neckar. Aber dazu ſahen die Söhne erſter Ehe fcheel 
und ſie ergriffen 15 Waffen gegen ihren Vater. Bei 
Colmar nächſt Straßburg ſtanden ihre Heere ſich ein— 
ander gegenüber, und durch Ueberredung und Beſtechung 
ftel Alles vom alten Kaiſer ab, alſo daß derſelbe zu 
den wenigen Begleitern, die noch treu bei ihm aus— 
hielten, mit Thränen in den Augen ſagte: geht, geht, 
nachdem die Andern alle mich verlaſſen, will ich nicht, 
daß Eure Treue Euch das Leben koſte von den zuͤr⸗ 
nenden Feinden! Seitdem heißt das Feld, wo dieſes 
geſchehen, das ſonſt den Namen „Nothfeld“ trug, das 

„Lügenfeld.“ 

Da floh Ludwig über den Rhein nach Schwaben, 
um Schutz zu ſuchen und ein ſicheres Verſteck vor 
ſeinen ergrimmten Söhnen. Von einem einzigen treuen 
Diener begleitet erklomm er die Gebirge des Schwarz— 
waldes, und zog durch ihre finſtre Schluchten immer 
gegen Sonnenaufgang weiter. Das Wild des Waldes 
war ſeine Speiſe, denn der Kaiſer, obwohl mönchiſch 
erzogen, hatte eine ungeheure Leibesſtärke. Sein 
Körper war, wie die Geſchichtſchreiber berichten, von 
mittelmäßiger Länge, die großen Augen leuchteten hell, 
die breiten Schultern nebſt den feſten Armen zeugten 
von ungewöhnlicher Kraft, und Niemand kam ihm 
gleich im Wurf der Lanze und im Bogenſchießen. 


257 


Noch bedeckte damals das Land ringsumher Wald 
und Sumpf. Kleine Burgen und einzelne Weiler, 
ſelten hie und da in einem abgelegenen Thal ein 
Klöſterlein, waren die einzigen Wohnſitze. Städte gab 
es außer am Rheinſtrom keine, denn die, welche früher 
am Neckar von dem mächtigen Kriegsvolk der Römer 
erbaut waren, lagen längſt gebrochen und verödet, da 
der Deutſche es nicht liebte, in feſten Wohnſitzen zu 
hauſen, und der wilde Hunnenkönig Attila aus Un— 
garn herauf dieſe Lande früher mit Feuer und Schwerdt 
überzogen und keinen Stein auf dem andern gelaſſen 
hatte. 

Wo ſonſt vor 400 Jahren, als die römifchen 
Kriegsheere das Land erobert und ihre Kaiſer darüber 
geherrſcht, der Pflug gegangen und der Landbewohner 
den Wald urbar gemacht hatte, und wo herrliche 
Straßen über Berg und Thal geführt waren, da war 
jetzt wieder Wildniß eingeriſſen, und den Schutt alter 
Wohnſitze überwucherten Bäume und Geſträuche und 
Moos. 

Doch war das Heidenthum ſchon längſt dem Chri— 
ſtenthum gewichen, denn vor 200 Jahren ſchon hatten 
ſich Apoſtel des Evangeliums eingefunden am Boden— 
ſee und nach und nach war alles Volk bekehrt worden. 

Fromme Männer hatten ſich überall angeſiedelt, 
entweder einzeln als Einſtedler oder mehrere zuſammen 
in kleinen Klöſtern, um die Wildniß auszurotten, ihr 
Brod zu bauen, Fiſche zu fangen und der Umgegend 
die Lehre vom Kreuz zu verkünden. Aber bei alledem 

II. 17 


258 


herrſchten noch viel Aberglauben und heidniſche Ge: 
bräuche unter dem Volke, und die ungelehrten Prieſter 
ſelbſt miſchten ſelbige mit dem chriſtlichen Gottesdienſte. 

Als der fliehende Kaiſer den Schwarzwald auf dem 
Rücken hatte und ſich am Enzflüßlein hin dem Neckar 
näherte, da und dort einſprechend in einer Hütte 
armer Landbewohner und ein Lager bei ihnen ſuchend, 
da traf ihn das Unglück, daß er ſeinen treuen Be— 
gleiter verlor und derſelbe nach ſchneller Erkrankung 
auf der Reiſe ſtarb. 

Betrübt zog der Kaiſer ſeines Weges fürbaß und 
kam an den Neckarfluß, wo viele Weiler und Burgen 
Thal auf und ab ſeinen Augen ſich zeigten. Doch 
getraute er ſich nicht, hier lange zu raſten oder gar 
zu verweilen, aus Furcht vor ſeinen grimmigen und 
unnatürlichen Söhnen. Darum ſetzte er ſeinen Weg 
weiter fort, als er den Fluß mit Hülfe eines Fähr⸗ 
manns überſchritten. 

Schwarze Tannenwälder zogen ſich dort um die 
Ufer eines kleinen Flüßleins, welches der Fährmann 
die Murr nannte, und an dieſem Waſſer hinauf 
beſchloß der Wanderer weiter zu pilgern, und aus 
den bewohnteren Gegenden ſich wieder in tiefere Wild— 
niß und Waldſchluchten zu begeben. 

Am zweiten Tage, an dem Orte, wo die Murr 
ſich in den Neckar ergoß, ſaß der Kaiſer Mittags am 
Ufer des Waſſers, das in kurzen Windungen, und 
meiſt mit ſteilen waldigen Ufern beſchattet, ſich immer 
gegen Sonnenaufgang zog. Das Thal ſchien ſich zu 


259 


erweitern, denn breite, ſumpfige Wieſenflächen breiteten 
ſich vor ſeinen Blicken aus, und auf einem einzelnen 
Hügel, deſſen Rand von Waldbäumen frei und an— 
gebaut war mit Feldfrüchten, gewahrte er eine kleine 
Burg mit hohem Thurme. 

Kaum hatte er eine Zeitlang hier geraftet, da tönte 
hinter ihm Hufſchlag durch den Wald und als er 
ſich umwandte, nahte ein junger Jägersmann, den 
Jagdſpeer, in der Rechten und mit der Linken ein 
muthiges Roß lenkend. Er war einfach in ein linne— 
nes Wamms und Hoſen gekleidet, und ein grünes 
Barett aus Wolle bedeckte ſein Haupt, deſſen blonde, 
glänzende Locken bis über die Schulter herabhiengen. 

Als der Jägersmann den Wanderer 'erblickte, ritt 
er zornig auf ihn zu und befahl ihm, alsbald die 
Stelle zu verlaffen und ſich aus dem Thal zu machen, 
wo nicht, ſo werde er ihn mit den Hunden zu Tode 
hetzen laͤſſen. Erſchrocken fiel der Kaiſer dem Jägers— 
mann zu Füßen und bat ihn, ſeines Weges ihn ohne 
Gefährde fürbaß ziehen zu laſſen, ſintemal er ein Ge— 
lübde gethan, in ein fernes Land zu wallen, denn er 
gedachte bei ſich, dieſe Nothlüge zu gebrauchen, um 
nicht entdeckt zu werden. 

So biſt du alſo kein böfes Weſen, ſprach der Jä— 
gersmann, kein Zauberer und Wettermacher und nicht 
ſchuld daran, daß vorgeſtern der Hagel mir alle meine 
Frucht an meinem Schloßberg zuſammengeſchlagen? 

Mit Nichten, mein junger und ehrbarer Recke, 
ſprach der Kaiſer, ich komme vom Neckarthale und 

® 


260 


bin erſt feit geftern in dieſes Thal getreten — aber, 
wenn du ein guter Chriſt biſt und nimmer an heid— 
niſchen Gebräuchen hängeſt, ſo ſollteſt du mir kein 
ſolches Ungebühr zumuthen, als ſtände ich mit dem 
Teufel im Bunde. Dabei bekreuzte ſich der Kaiſer 
dreimal. 

Wohlan, ſprach der Jägersmann, ich will dir trauen 
und glauben, denn dein Auge iſt redlich und offen, 
auch gleicheſt du mehr einem Waidmann, denn einem 
Zauberer. 

Da thueſt du Recht daran, fuhr der Kaiſer fort 
— ich bin ein frommer Wanderer und achte die Ge— 
bote der heiligen Kirche und den Befehl des aller— 
ſeligſten Kaiſers Carolus Magnus. Weißt du, wie 
ſelbiger lautet? 

In Schrift und Geſetz bin ich wohl wenig erfahren, 
ſagte der Jägersmann, aber das weiß ich, daß der 
verſtorbene Kaiſer viele Geſetze hat erlaſſen in Be: 
tracht des Glaubens, und daß ohne ihn mein Volk 
und meine Ahnen noch in der Freiheit lebten und in 
der Verehrung ihrer Götter, denn ich bin der Sohn 
eines Sachſenfürſten, der im Kampf für ſeinen alten 
Glauben gegen das Frankenheer des Kaiſers gefallen, 
und als ein Waiſe hier herauf in das Land Schwaben 
gebracht wurde von einem Edlen dieſes Landes. Dem 
aber war indeſſen fein Weib und einziger Sohn ge⸗ 
ſtorben — ſo nahm er nun mich zum Erben an und 
ſetzte mich auf ſein Schloß, das dort drüben über 
der Murr ſich erhebt und den Namen „Reichenberg“ 


261 


träget. Aber meinen alten Glauben kann ich nicht 
ganz ablegen, obgleich ich getauft worden, und ſelbſt 
die chriſtlichen Deutſchen hängen noch mit vieler Liebe 
an ihren früheren heiligen Gebräuchen, nicht minder 
die Mönche und Nonnen. 

Darum, entgegnete der Kaiſer, hat auch der aller— 
ſeligſte Carolus Magnus einen Befehl erlaſſen auf 
ſeinem Schloß zu Aachen, der lautet: 

Niemand ſoll auf Vogelgeſchrei achten, noch Tage 
wählen, noch aus dem Evangelium und Pſalter wahr— 
ſagen. Die Nonnen ſollen kein Blut mehr abzapfen der 
Zauberei wegen. Bäume und Haine ſoll man ume 
hauen und bei ihnen, wie auch an Felſen und Quellen, 
keine geweihte Kerzen anzünden. Zauberer, Weiſſager, 
Beſchwörer ſoll man in Gewahrſam nehmen und von 
Prieſtern belehren laſſen, ſo wie auch die Wetter— 
macher, und wo ſie ſich nicht bekehren, ſtrenge beſtrafen. 

Da ſiehſt du ſelbſt, lächelte der Jägersmann, daß 
der Glaube an die alten deutſchen Götter tief wurzelt 
im Gemüth des Volkes, obwohl ſchon über 100 Jahre 
bei Euch die Mönche aus England und Irland den 
neuen Chriſtenglauben gepredigt und eingeführt. Und 
welch eine Laſt und Joch haben fie damit eingeführt, 
daß der freie Mann muß den Zehenten geben den 
Prieſtern, deren Hoheprieſter zu Rom ſitzet im Lande 
Italien. 

Darum hat ſich auch unſer Sachſenfürſt Wittekind 
und fein Volk fo heldenmuthig gewehret gegen den 
Kaiſer Carolus viele Jahre, bis es allmälig erlegen 

2 


262 


und unterwürfig iſt gemacht worden. O, das war 
eine ſchöne Zeit, als ich, ein kleiner Knabe noch, den 
Verſammlungen anwohnte unſeres Volkes und unſerer 
Krieger. Noch wohl erinnere ich mich, als wäre es 
geſtern geſchehen, daß ich in Goslar war, bei dem 
großen Opferfeſt. Alles Volk ſchwur unter freiem 
Himmel an der heiligen Stätte: Heiliger, großer 
Wodan, du unſer Sachſengott, hilf uns und unſerem 
Pannerherrn Wittekind gegen den ſchändlichen chriſt— 
lichen Kaiſer Karl, den Schlächter unſerer Brüder. 
Wir opfern dir einen Auerochſen und ein paar Schaafe 
und allen Raub, ſo wir in der Schlacht gewinnen. 
Auch wollen wir dir ſchlachten alle Gefangene, die 
wir machen, auf dem heiligen Harzberge, allwo du 
dein Heiligthum haſt! 

Doch komm, fuhr der Sachſenjüngling fort, ich 
will dich geleiten in mein Schloß und dir einen Im 
biß vorſtellen, daran magſt du dich laben und dann 
deines Weges weiter ziehen. 

Gerne nahm der Kaiſer die Einladung an und 
folgte dem Jüngling auf ſein Schloß, deſſen alter 
Thurm, noch von dem römiſchen Kriegsvolk erbaut, 
vom ſonnigen Hügel herabwinkte. Als er ſich mit 
Speis und Trank erquickt, führte ihn der Schloßherr 
an die Fenſteröffnung und zeigte ihm die Gegend um⸗ 
her. Ein großes Thal lag vor ſeinen Blicken, das 
ſich aufwärts zwiſchen den dunkeln Tannenwäldern 
zog und in welchem die Murr ſich herab ſchlängelte, 
in welche weiter oben die Lauter aus einem engen 


263 


Seitenthale über Felſen und Baumſtämme hereinſtrömte. 

Nur da und dort am Rande der Berge und Wälder 
ſtieg der Rauch auf aus einzelnen Hütten, die zer= 
ſtreut umher lagen, denn das Thal war nur ſehr 
ſpärlich bewohnt von Fiſchern und Landbauern. Keine 
Straße führte durch die Gegend, nur einzelne Fuß— 
pfade wanden ſich an den Bergen über den ſumpfigen 
Wieſen dahin, auf denen Kühe und Pferde da und 
dort frei herumwaideten. 

Dort hinauf, ſprach der Schloßherr, an jenen Hütten, 
genannt „Sulzbach,“ vorüber, müßt Ihr ziehen, 
wenn Euer Fuß durch die uralten Waldungen ſich 
hindurch arbeiten kann. Aber es ſollen böſe Geiſter 
dort oben hauſen aus den Zeiten des römiſchen 
Kriegsvolkes, das einſt mit Hülfe des Teufels eine 
große, breite, gepflaſterte Straße anlegte, von dem 
Donaufluß im Lande Baiern bis hinüber zum Neckar 
mit Schanzen und Wartthürmen. Einer meiner Knechte 
war eines Tages auf der Jagd verirrt und hat die 
Trümmer noch geſehen, die von den Bergen herab 
über das Murrthal herüber und jenſeits wieder die 
Berge ſteil hinauf ſich ziehen. Er hat in der Noth 
in einem zerfallenen Thurm übernachtet, und hat 
ſchreckliche Geſichte geſehen und einen hölliſchen Lärmen 
und Getöſe vernommen. Schwarze Böcke und Drachen 
ſind vorübergerast, durch den Tannenwald und in den 
Lüften erſcholl ein ſchauerliches Halloh! 

Der Kaiſer bekreuzte ſich und ſprach: vor dem 
Blendwerk des Teufels ſchützt mich das heilige Zeichen 


264 


des Kreuzes. Auch trage ich eine Reliquie bei mir 
von einem chriſtlichen Märtyrer, die wendet alle liſtigen 
Anfälle des Böſen von mir ab. Habe Dank, mein 
edler Herr dieſes Schloſſes, für deine Gaſtfreundſchaft, 
ich will jetzt meines Weges ziehen. 

So zog er weiter den Hügel herab in das Thal, 
denn all ſein Sinnen ſtund darauf, einen recht ab— 
gelegenen Ort zu finden, wo er ſicher wäre vor Ver⸗ 
folgung. Als er darum einige taufend Schritte vor— 
wärts gegangen war und an den Ort kam, wo das 
Lauterflüßlein aus einem finſtern, waldigen Nebenthale 
herausſtrömte, beſann er ſich, ob er dort hinein ſich 
wenden oder weiter der Murr folgen ſollte. Er warf 
ſeinen Stab vor ſich hin, um zu ſehen, wohin beim 
Niederfallen ſeine Spitze zeigte, und da ſie gegen 
Morgenaufgang deutete, ſo ſetzte er ſeinen Weg der 
Murr entlang weiter. Nur wenige Hütten traf er 
auf dieſem Pfad, die geſchloſſen beiſammen ſtunden, 
nächſt dem Zuſammenfluß der Lauter und Murr, und 
wie der Sachſe ihm berichtet, Sulzbach genannt wur⸗ 
den. Mit vieler Mühe mußte er ſich oft durch Dor— 
nen und dichtes Gebüſch winden längs der Berge hin, 
weil er im Thale und im Sumpf nicht vorwärts 
ſchreiten konnte. Ein Reh, das ihm in den Schuß 
kam, erlegte er mit ſeiner Armbruſt, zog es ab, 
waidete es aus und ſchnitt ſich die beiden Hinterſchlegel 
ab, um für den Fall der Noth auf einige Tage Le⸗ 
bensmittel zu haben. Als er fertig war, hing er 
das Wildpret auf den Rücken und brach ſich weiter 


265 


Bahn durch die Wildniß. Indeſſen hatte ſich der Tag 
geneigt, als er an einem verfallenen Schlößlein an— 
langte, das am Gebirge, von Tannen überwachſen, 
wie ein Schwalbenneſt hing. Hier gedachte er ſeine 
Nachtherberge aufzuſchlagen. Er brach ſich Tannen— 
äſte ab und bereitete ſich unter dem Urſprung einer 
Mauer ſeine Lagerſtätte. Der Himmel hatte ſich über— 
zogen und eine finſtere Nacht brach ein. Alles war 
ſtill um ihn, nur die Tannen rauſchten und die Murr 
drunten im Thale, und zuweilen flog eine Eule aus 
den Mauerlöchern und heulte durch die Nacht. Da 
auf einmal ſchlug ein Glöcklein rein und zart in ſeine 
Ohren; der Schall ſchien von jenſeits des Thales zu 
kommen ünd hielt einige Minuten an. Nein, das 
war kein teufliſcher Spuck, die Töne klangen ſo rein 
und lieblich, daß er auf die Kniee niederſank und zu 
allen Heiligen, beſonders aber ſeinem Schutzpatron 
dem heiligen Ludwig betete, ihn zu beſchützen vor 
allen Gefahren und ſeinen Widerſachern und eine fröh— 
liche Heimkehr zu ſchenken. 

Als er ſich vom Gebet erhoben, trat er unter den 
Mauern durch die Tannen hervor, um in das Thal 
hinab blicken zu können, von wannen die frommen 
Klänge herüber kamen. Siehe da, ein Licht ſandte 
ſeine Strahlen in die dunkle Nacht, in der gleichen 
Richtung, wie er den Schall vernommen. 

Gewiß, ſprach der Kaiſer für ſich hin, wohnen 
dort drüben chriſtlich fromme Menſchen, und wenn 
das Wetter näher zieht, deſſen Vorbote, ein heftiger 


266 


Wind, durch das Thal rauſchte, jo habe ich doch ein 
ſichereres Obdach, als hier in dieſem zerfallenen Ge— 
mäuer. | 

Alſo nahm er ſein Wildpret wieder auf den Rücken, 
Stab und Armbruſt zur Hand, und klimmte den 
felſigen ſteilen Abhang hinab in der Richtung, wie 
das Lichtlein herüber ſchimmerte. 


Bald gelangte er zur Murr, und bent er hier 
auf und ab ſuchte, ob er keine ſeichte Furth fände, 
traf er auf einen Steg, der ihn trocken hinüberführte 
und einen ſchmalen Fußpfad, der über das Thal ſich 
wand. Nach kurzer Zeit ſtand er am Abhang des 
jenſeitigen Gebirges, das ſchwarz in das Thal herein⸗ 
hing, und bei dem Schein der Blitze, die bereits das 
Gewitter näher ankündigten, erblickte er vor ſich auf 
einem kleinen freien Hügel ein großes Kreuz und 
hinter dieſem ſchimmerte das Lichtlein hervor, als wäre 
es am Berge angeheftet. 


Raſch eilte er den Hügel hinan und ſtand nun 
nach wenigen Schritten vor einer offenen Thüre, welche 
in eine Höhle führte, die in den Berg hinein ging. 
Bei dem Geräuſch ſeiner Tritte erſchien eine hohe, 
ehrwürdige Geſtalt unter dem Eingang. Weiße Locken 
flatterten ſpärlich um das bleiche Antlitz, das nur 
durch den Schimmer des Lichtes eine leichte Röthe 
zeigte. Ein grobes, wollenes Gewand verhüllte die 
Glieder, die auf einen ſtarken und knochigen Bau 
ſchließen ließen. Um die Lenden war ein Gürtel von 


267 


Hanf gewunden, daran hing ein kleines hölzernes 
Grucifir. 

Wer naht ſich zur ſpäten Stunde noch meiner Hütte? 
ſprach der Greis in ruhigem, tiefem Tone — Gold 
und Silber habe ich keines, wenn du Fremdling böfen 
Anſchlag führeſt — kommſt du aber friedlich, vielleicht 
ein verirrter Jäger oder Wandersmann, dann biete 
ich gerne und mit Freuden dir ein Obdach an gegen 
das Gewitter, welches das Thal heraufzieht. Sey 
unbeſorgt, entgegnete Ludwig, und verzeihe einem 
Wanderer, wenn er geſtärkt von dem Klang deines 
frommen Glöckleins deinem Lichte folgt in dunkler 
Nacht und Wildniß, um bei Menſchen ein Nachtlager 
zu ſuchen. So trete ein, winkte der Einſiedler, im 
Namen der h. Dreifaltigkeit, die behüten möge mit 
allen Heiligen deinen Eingang, wie deinen Ausgang! 
Frohen Muthes folgte der Kaiſer der Einladung und 
trat in die Höhle, welche ziemlich geräumig war und 
mit Baumſtämmen ausgefüttert. Auf der Seite be— 
fand ſich in einer Art Niſche und Vertiefung ein 
rohes Lager, beſtehend in einigen gegerbten Thierfellen 
über ein Bündel Stroh und dünnes Waldgras ge— 
breitet. Im Hintergrund der Höhle ſtand ein Stein, 
der die Form eines kleinen Altars bildete und auf 
demſelben war ein einfaches, hölzernes Kreuz befeſtigt. 
Eine eiſerne Lampe vor dem Altar aufgehängt, be— 
leuchtete die Höhle matt, in welcher ſich nur noch 
dem Nachtlager gegenüber ein roher Tiſch und eine 
Bank an der Wand befanden. Heiliger Vater! ſprach 


268 


Ludwig, als er eingetreten, ſo Euch es mangelte an 
einem kräftigen Imbiß, jo nehmet aus meinen Hän— 
den hier dieſes edle Wildpret, das ich vor wenigen 
Stunden erlegt. Damit legte er ſeine Jagdbeute dem 
Einſtedler zu Füßen. Der aber ſprach: Behalte die 
Speiſe für dich, denn Fleiſch und Wein kommt nicht 
über meine Lippen. Meine Nahrung iſt Milch, die 
mir meine Ziege gibt, und das Gerſtenbrod, das ich 
mir baue, ſo wie der Fiſch in den Seen, die unter 
meiner Hütte liegen. Faſten und Beten nimmt meine 
erſte Zeit hinweg, die Bedürfniſſe meines Lebens ſind 
gering. 

Während der Einſtedler dieſes ſprach, trug er eine 


Schüſſel mit Milch und Gerſtenbrod auf, und lud 


ſeinen Gaſt ein, das Abendeſſen mit ihm zu theilen. 


Als ſie nun ſo bei Tiſche ſaßen, begann der Ein- 


ſtedler ſeinen Gaſt näher zu muſtern und frug ihn 
nach dem Zweck und Ziel ſeiner Wanderung. Ob— 
wohl der Kaiſer gerade kein Mißtrauen in den from— 
men Mann ſetzte, fo getraute er doch nicht, ſich zu 
offenbaren und antwortete: ich bin ein fränkiſcher 
Graf und am Rhein zu Hauſe. Böſe Feinde haben 
ſich gegen mich verſammelt, und nachdem ich mein 
Gemahl in ein Klofter geflüchtet, floh ich vor ihnen. 
Aber, da ſie mich verfolgten, ſo getraute ich mir nicht 
mehr, weder an den Ufern des Rheins noch des 
Neckars vor ihrer Liſt und großen Macht und eilte, 
mich in die Wildniß dieſes Landes zu verbergen. Mein 
Sohn, ſprach der Einſiedler, jo du kein Uebelthäter 


269 


biſt und deine Feinde von boshaftem Herzen, magſt 
du hier eine Zufluchtsſtätte finden und ſicher bei mir 
wohnen, denn in dieſe Einöde naht ſich ſelten ein 
menſchliches Weſen. Ein verirrter Jäger oder ein 
Hirte und Waldbewohner ſind die Einzigen, die in 
meine Klauſe treten, um Obdach zu ſuchen oder Huͤlfe 
für einen Kranken. Seit undenklichen Tagen bedecken 
dunkle Tannenwälder Gebirg und Thal, und nur alte 
verfallene Burgen liegen zerſtreut an den Bergen um— 
her, dort drüben, wo du herübergekommen, die Wol- 
kenburg und ganz in der Nähe meiner Hütte die 
Hunnenburg, wo einſt der wilde Hunnenkönig Attila 
die Einwohner erwürgte, als er aus ſeinem fernen 
Lande heraufzog an den Rhein. Es iſt ein kaiſerlich 
Schlößlein, noch wohl erhalten und von einigen Kriegs— 
knechten bewohnt und bewahrt. Auch die alten Thürme, 
Wälle und gepflaſterte Straßen des Römervolkes, das 
einſt hier über das Land herrſchte, ſind längſt mit 
Moos, Geſträuch und Wald überzogen, und wo einſt 
Menſchen wohnten und das Land ſpärlich bebauten, 
da ſiehſt du, ſo weit dein Auge reicht, nichts als 
Wald und Sumpf und ſelten eine Hütte. Böſe 
Geiſter hauſen in den alten Gemäuern des heidniſchen 
Römervolkes, darum baut kein Bewohner der Gegend 
ſeine Hütte in deren Nähe. 

Aber, fuhr er fort, warum haſt du dich in deinen 
Nöthen nicht an den Kaiſer Ludwig gewendet und 
Hülfe bei ihm geſucht? Ach! entgegnete Ludwig, wie 
ſollte ich Hülfe ſuchen bei einem Kaiſer, deſſen ſchlimme 


270 


Söhne ihren Vater ſelbſt vom Throne geſtoßen, um 
eitler Ländergier wegen, und mit ihm Krieg führen 
jenſeits des Rheines im Lande Frankreich! Daß Gott 
ſie ſtrafe, zürnte der Klausner, dieſe Natterbrut, welche 
die Hand zu legen ſich erfrechen an den Geſalbten 
des Herrn! Ich habe ihn geſehen, den ſchönen Knaben 
Ludwig zu Ingelheim in der Pfalz, als ich mit den 
Edlen des Reiches den erſten Heereszug that, gegen 
das heidniſche Sachſenvolk mit Kaiſer Karolus Magnus, 
dem Gott den ewigen Frieden ſchenke! O, wenn das 
der alte fromme Held wüßte, daß ſeine Enkel alſo 
handeln an ſeinem Sohne, ihrem Vater, er könnte 
nicht ruhen in ſeiner Gruft zu Aachen, wo er ſttzt 
im kaiſerlichen Ornat auf ſeinem Throne. Ja, wenn 
Ihr den geſehen hättet von Angeſicht zu Angeſicht, 


dieſes heitere Antlitz mit großen, feurigen Augen und 


ſchönen, gelbgelockten Haaren, vor dem ſeine Feinde 
ſchon zitterten, wenn nur ſein Blick ſie traf! Wie 
ein höheres Weſen erſchien er, wenn er an der Spitze 


ſeines Heeres daherzog auf ſeinem Streitroſſe, das 


wie von Eiſen an Muth und Farbe war. Ein eherner 


Helm ſaß auf ſeinem Haupte, Arme und Beine wa- 
ren gewappnet mit ſtählernen Schienen und ein file 


berner Panzer deckte ſeine Bruſt. In der Linken 


bielt er die eiſerne Lanze und in der Rechten das 


ſtarke Schwerdt mit goldnem Gefäß. 


Ja, ſein Ruhm war groß und erſcholl durch die 
ganze Welt, und ich war als ein junger Kriegsgeſelle zu 
Mainz, als die Geſandten des mohamedaniſchen Fürſten 


271 


Harun Al Raſchid ankamen, der zu Bagdad im Mor— 
genlande herrſchte; ich gab ihnen das Ehrengeleite nach 
Ingelheim am Rheine, wo der Kaiſer Hof hielt. Das 
war eine Pracht von Ehrengeſchenken, die ſte vor Karl 
dem Großen ausbreiteten — Gezelte von den reichſten 
Farben, koſtbare Seidenzeuge, Balſam, Narden, Salben 
und Räucherwerk, dazu große Leuchter von Gold und 
eine künſtliche Uhr. Jede Stunde fielen zwölf Erz— 
kügelchen auf eine Glocke herab, welche an einem Werk 
angebracht war, das ein Schloß vorſtellte, dann ritten 
zwölf Reiter durch zwölf Fenſter ein und aus. Da— 
gegen ſandte der Kaiſer dem morgenländiſchen Fürften 
außer vielen Geſchenken an Maulthieren und Pferden, 
zwölf fränkiſche Hunde, die ſtark genug waren, es mit 
Löwen und Tigern aufzunehmen. Viele Kriegszüge, 
ſchloß der Klausner, habe ich mit dem ſeligen Kaiſer 
gemacht nach Sachſen und Holſtein, nach Spanien, 
Italien und das Morgenland. Da kam ich einſt 
ſchwer verwundet zu einem Einſiedler am Bodenſee, 
der pflegte mich und als ich genas, gelobte ich Gott 
und ſeinen Heiligen, den Harniſch abzulegen und dem 
Himmel zu dienen mit Beten und Kaſteien als frommer 
Klausner. Lange zog ich umher, bis ich dieſe Stätte 
fand und da meine Hütte zu bauen beſchloß. — Unter 
dieſen Geſprächen ging das Gewitter und der Abend 
dahin und der Einſtedler bereitete ſeinem Gaſt ein 
weiches Lager neben ſich, worauf ſie ſich zur Ruhe 
begaben. Oft und oft war Ludwig daran geweſen, 
ſich feinem Gaftfreund zu erkennen zu geben, wenn 
a * 


! 
1 


272 


diefer von feinem Vater ſprach und von dem Hofleben 
deſſelben, an welchem er Theil genommen, ja von ihm 
ſelbſt, aber immer wieder hielt er an ſich. Als aber 
Beide in Schlaf geſunken, hatte der Einſiedler einen 
wunderbaren Traum. Es dünkte ihm, die männliche 
Geſtalt ſeines Gaſtes ſtehe vor ihm, aber nicht in 
dem gemeinen Gewande eines reiſigen Geſellen, ſon— 
dern im Purpurmantel, die Krone auf dem Haupte, f 
und die vergoldete Erdkugel in der Hand und ein 
goldenes Schwerdt an der Seite. Das Antlitz war 
verjüngt und trug die Züge des großen Kaiſers. 
Zuletzt vernahm er eine Stimme, die rief: Bruder 
Walderich — deiner Hütte iſt Heil wiederfahren, denn 
du beherbergeſt den Geſalbten des Herrn, Ludwig den 
Frommen, der geflohen iſt vor feinen eigenen ſünd⸗ 
haften Söhnen, ſo ihn vom Throne geſtoßen. Aber 
die Hand des Höchſten wird ihn wieder erhöhen nach 
kurzer Noth und ſetzen auf den Thron ſeiner Vor⸗ 
fahren! An dieſem Traume wachte der Einſiedler, Wal— 
derich mit Namen, auf. Schon ſendete die Sonne 
ihre erſten Strahlen durch das kleine Fenſterlein und 
beleuchtete das Antlitz des Fremdlings, der neben ihm 
ſchlief. 

In der That ſchienen dem frommen Bruder jetzt 
die Geſichtszüge, die großen Augenwimpern, die Naſe 
und Stirne große Aehnlichkeit zu haben mit dem ver⸗ 
ſtorbenen Kaiſer und ſeine breite Bruſt und ſehnigen 
Arme glichen nicht minder dem rieſigen Bau Karls 
des Großen. 


273 


Als Walderich ſein Morgengebet geſprochen vor dem 
kleinen Altar, trug er eine Schüſſel mit Milch und 
Brod wieder auf den Tiſch und weckte dann ehrfurchts— 
voll den Schläfer. Da nun dieſer die Augen auf— 
ſchlug, da fiel Walderich vor ihm nieder und ſprach: 
Sohn meines Kaiſers und rechtmäßiger Kaiſer 
des Frankenreiches! Mir iſt Heil wiederfahren und 
meiner Klauſe, daß ich gewürdigt worden, dich zu 
beherbergen und dir Schutz zu geben gegen deine 
Widerſacher! So höre nun, der Herr wird ſeine Hand 
wenden gegen deine Widerſacher in kurzer Zeit und 
dich zurückführen auf deinen Thron! Gelobt ſey der 
Name Gottes! Erſtaunt vernahm Ludwig die Worte des 
Klausners, dann hob er ihn auf, drückte ihn an die 
Bruſt und ſprach: Heiliger Mann! du haſt wahr ge— 
ſprochen und der Himmel hat deine Augen erleuchtet! Ja, 
ich bin Ludwig dein Kaiſer, ein flüchtiger Vater vor 
feinen jchlimmen Söhnen, und habe meinen Stand 
verſchwiegen vor dir, aus Menſchenfurcht. Jetzt aber, 
da eine höhere Hand dir die Wahrheit gezeigt, will 
ich nicht länger ſchweigen, und ſo du nichts dawider 
haſt, bei dir wohnen, bis Gerechtigkeit wieder im Reiche 
wird und der König aller Könige mir den Stuhl 
meiner Väter zurückgibt! 

Alſo blieb Ludwig bei dem Klausner Walderich 
und führte ein frommes Leben mit Beten und Kaſteien 
gleich Jenem. Nur zuweilen ging er auf die Jagd, 
doch nicht allzuferne auf die Berge dieſſeits und jen⸗ 

ſeits der Murr. x 
| II. 18 


| 274 

Immer die Nähe der Menſchen fürchtend, kam er 
nur ein einzigesmal das Thal hinunter bis in die 
Nähe, wo die Lauter ſich in die Murr ergießt. Es 
war nach einem heftigen Gewitter, und als er einen 
Hirſch verfolgend über die Murr ſetzen wollte, wurde 
er von dem reißenden Gewäſſer erfaßt. Keine menſch⸗ 
liche Hülfe war in der Nähe, als ein junger Hirte, 
der am Abhang des Gebirges ſein Vieh waidete. Als 
der den Jäger mit den Wellen kämpfen ſah, eilte er 
herbei, hieb einen ſtarken Aſt ab, reichte ihn dem Er— 
trinkenden und rettete ihm das Leben. 

So war der Spätherbſt hereingebrochen. Manch— 
mal hatte der Einſiedler ſich weiter hinab bis ins 
Neckarthal begeben, um Kundſchaft einzuziehen, wie 
es im Reiche ſtehe. Da endlich kam er zurück mit 
der Nachricht, daß die Stunde der Gefahr vorüber 
und daß Ludwigs Söhne, Pipin und Ludwig, ein 
großes Heer gerüſtet und den älteſten Sohn Lothar 
in einer blutigen Schlacht geſchlagen und nach Italien 
verfolgen. Alles das aber ſey geſchehen, um ihren 
Vater wieder einzuſetzen, nach welchem bereits in alle 
Lande Boten ausgeſendet ſeyen, ihn aufzuſuchen. 

Erfreut hörte Ludwig die Kunde und rüſtete ſich, 
ſeine Zufluchtsſtätte zu verlaſſen, doch zögerte er noch, 
bis er weitere Nachrichten empfangen, welche die erſte 
Kunde beſtätigten. Dafür beſchloß er, da die höͤchſte 
Gefahr vorüber, ehe er die Gegend verließe, ſich noch 
weiters auf ſeinen Jagdzügen umzuſehen. Er drang 
das Thal hinauf, ſtieg über einen Berg und kam in 


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275 N 
ein anderes großes Thal, in welchem einzelne Hütten 
ftanden, deren Bewohner das Flüßchen, an dem ſie 
ihre Feldſtücke anbauten, die „Roth,“ und das Ge— 
birge, über welches Ludwig gekommen, die „Schanze“ 
hießen und ihm erzählten, daß dort eine römiſche 
Burg geftanden. 

Ein andermal drang er in die Wälder gen Mitter: 
nacht vor und kam auf ein hohes Gebirg, von wo 
er nach Mittag zu eine hohe Gebirgskette erblickte, in 
welcher ſich einzelne noch höhere Bergkegel erhoben 
und die „Alb“ genannt war. 

Ehe er nun aber die Klauſe und den frommen 
Einſtedler verließ, trat er eines Morgens mit ihm vor 
die Hütte, denn er gedachte, dem Einſiedler ſeine 
Dankbarkeit zu bezeugen. Doch ehe er ſeine Gedanken 


offenbarte, beugte ſich Walderich und ſprach: Mein 


gnädigſter Herr und Kaiſer, nehmt es nicht ungnädig 
auf, ſo ich Euch demüthig bitte, Ihr wollet mich aus 
kaiſerlicher Huld belehnen mit dem Grundſtück, worauf 
meine Hütte ſteht, damit Niemand ein Recht habe, 
mich zu vertreiben oder ſonſt hier zu ſchädigen. 

Lächelnd antwortete der fromme Ludwig und ſprach: 
Mein frommer Bruder! du haſt viel gethan an deinem 
Kaiſer, jo will ich denn erkenntlich ſeyn für alles 
Gute, ſo du mir erwieſen! 

Siehſt du da unten in dem grünen Murrthale und 


wo am Fuß des Hügels dieſe fiſchreichen Seen liegen, 
in welchen ſich die Tannen des Berges ſpiegeln — 
hier will ich ein Kirchlein bauen von ſchönem Geſtein 


276 


und dazu meinen geſchickteſten Meiſter und Steinmetzen 
ſenden. Dazu will ich ein Klöſterlein errichten für 
zwölf fromme Mönche und dich einſetzen zum Abte, 
dem Herrn zu dienen für alle Zeiten. Damit aber 
die Mönche ein zureichendes Einkommen haben, dem 
Gottesdienſt ohne Sorgen nachzukommen, ſo ſoll das 
Land rings umher, ſo weit ich meinen Jagdſpeer und 
Armbruſt getragen, der Bürſche zu pflegen — Eigene 
thum werden des Kloſters und Niemand ihm feine 
Rechte wehren, noch ſtreitig machen. 


Dem Klöſterlein aber ſoll der Name werden „Murr⸗ 
Hardt“ auf ewige Zeiten, als eine Zuflucht für Alle, 
welche in ſtiller Waldeinſamkeit ihr Leben dem Himmel 
weihen! 

Darauf ließ ſich der Kaiſer vom Bruder Walderich 
den Segen geben und dieſer begleitete ihn das Thal 
hinab. Als ſie an das Schloß Reichenberg kamen, 
ſprach der Klausner: allergnädigſter Herr, wäre es 
nicht gut, wenn Ihr einen wackern Geſellen zur Bes 
gleitung nehmet, und der Schloßherr, von dem Ihr 
mir erzählt, wird höchlichſt erfreut ſeyn, wenn Ihr 
ihn würdiget, mit Euch zu ziehen. 


Du haſt recht geſprochen, entgegnete Ludwig, wir 
wollen ihn heimſuchen und du magſt bezeugen, weſſen 
Standes ich bin und wohin ich ziehe. Alſo ſtiegen 
fie den Berg hinauf und traten vor den Schloßherrn, 
und als Walderich dem Sachſenjüngling alles geoffen⸗ 
baret, da warf ſich dieſer dem Kaiſer zu Füßen und 


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277 


gelobte, ihm ein treuer Reiſegefährte zu ſeyn, bis er 
zu den Seinen gelangte. 

Als nun dieſer ſich gerüftet und dem Kaiser ſein 
beſtes Pferd übergeben, da wandte ſich Walderich unter 
großem Danke für die kaiſerliche Gnade und Geſchenk 
wieder ſeiner Klauſe zu. Ludwig aber mit ſeinem 
neuen Reiſegefährten ritt gegen Niedergang der Sonne 
dem Neckar zu. 

Als ſie nun dieſem Fluß entlang an den Rhein 
nach Worms gelangt, da erkannte Alles den Kaiſer 
und frohlockte, daß der Vermißte wieder gefunden, 
den die Sendboten vergeblich in allen Landen geſucht. 
Alsbald eilten reiſige Krieger nach der Stadt Metz 
und verkündigten den reuigen Söhnen Pipin und 
Ludwig, daß ihr Vater in Worms angekommen. 

Alſo zogen dieſe herbei und brachten Ludwigs ihres 
Vaters Gemahl, ihre Stiefmutter Judith und deren 
Sohn Karl mit, die Beide in einem Kloſter einge— 
kerkert waren. 

Als nun der Winter vorüber, da gedachte Ludwig 
der Fromme ſeines Verſprechens gegen Walderich, 
und er ſandte einen Meiſter und Steinmetzen aus 
Italien, der in der edlen Baukunſt wohl erfahren und 
großen Ruhm hatte, mit einem Dutzend weiterer ge— 
ſchickter Geſellen ins Schwabenland. 

Als dieſe bei dem Klausner Walderich angekommen 
mit vielen Maulthieren und Karren und Geräthſchaf— 
ten zur Zeit der Oſtern, da war der fromme Mann 
hocherfreut und ging ihnen entgegen und hieß ſie 


„ 278 


willkommen. Darauf bauten ſie ſich Hütten am Fuße 


des Hügels, wo die Klauſe und nun bis auf unſere 
Tage die Walderichskirche mit dem Kirchhof ſteht und 
begannen ihre Arbeiten. Die nahe Hunnenburg wurde 
abgeriſſen und ihre Inſaßen, die kaiſerlichen Dienſt— 
leute, halfen getreulich die ſchönſten Steine der Burg 
ins Thal zu ſchaffen, um aus ihnen die ſchmucke 
Kirche aufzurichten. Nach Jahresfriſt ſtand die ſteinerne 
Capelle künſtlich behauen und mit vielem ſteinernem 
Schmuck verſehen fertig, einen ſtarken Steinwurf ent= 
fernt von der Klauſe auf dem Hügel. Und daneben 
erhob ſich ein hölzernes Klöſterlein für zwölf Mönche, 
ringsum mit einem ſchönen Garten und einer Mauer 
verſehen, welche auf der Mittag- und Abendſeite ein 
fiſchreicher Weiher umſpühlte. 


Als nun Alles fertig war, kam ein Bote vom 


Kaiſer an den neuen Abt, daß ſelbiger nach Rom 
pilgern ſolle zu dem Biſchof Stephan, ſich allda weihen 
zu laſſen zum Abte, um darnach mit zwölf Mönchen 
das Kloſter nach der Regel des heil. Benedikts ein— 
zurichten. Gehorſam folgte Walderich dem Befehle 
und pilgerte nach Rom, um ſich allda weihen zu 
laſſen. Auf ſeinem Heimweg aber ſammelte er zwölf 
Mönche um ſich und zog mit ihnen dem neuen Kloſter zu. 


Noch war der Winter nicht über das Land ge« 
kommen, aber doch ſpielte der Wind ſchon mit dem 
gelb gewordenen Laube, da erſchien der Kaiſer auf 
einem Zug nach Ulm, wo er im nahen Blauthal ei⸗ 


279 


nem Kirchlein eine Glocke ſchenkte, in den Tannen⸗ 
wäldern Murrhardts. 

Heitern Antlitzes ritt er längs den Bergen mit 
ſeinem Gefolge, worunter der Biſchof von Worms 
und einige Geiſtliche, das Thal herauf und begrüßte 
von ferne ſchon das Wäldlein auf dem Hügel zur 
rechten Seite von der Murr, wo er in der Einſtedler— 
höhle ſo manche Woche in ſtiller Abgeſchiedenheit zu— 
gebracht. Es war um Vieles heller geworden rings 
um den Hügel, und an ſeinem Fuße winkte die neue, 
ſchöne, reichgezierte Capelle von künſtlicher Bauart, 
einer Biſchofsmütze gleichend. Eine blendend weiße 
Gartenmauer ſchloß die Capelle und ein feines, ſau— 
beres Klöſterlein ein, und auf der Mitternachtsſeite 
hatten ſich die Dienſtleute angeſtedelt. Demüthig kam 
ihnen der neue Abt Walderich entgegen und überreichte 
dem Kaiſer den Schlüſſel zur Capelle. 

Am nächſten Tag ward das neue Gotteshaus ein— 
geweiht von dem Biſchof und dem Abt Alles über— 
geben auf ewige Zeiten. Brief aber und Sigill, wie 
ſolche der Schreiber des Kaiſers dem Abte überant— 
wortet, enthielten eine reichliche Begabung des Kloſters 
und waren ſchon in Worms ausgeſtellt worden im 
Fürſtenrath. 

Bis in ſein höchſtes Alter begleitete Walderich ſein 
heiliges Amt als Abt und wählte zu ſeinem Vogte 
und erſten Schirmherrn den ſächſiſchen Ritter auf 
Reichenberg, der von nun an in hohen Ehren bei 
dem Kaiſer ſtund. 


® 


280 


Der fromme Ludwig aber mußte noch manche Stürme 
erleben, denn wiederholt empörten ſich ſeine Söhne 
gegen ihn, weil ſie ihrem Stiefbruder Karl keinen An⸗ 
theil am Reiche gönnten. Mit Mühe drängte der 
unglückliche Kaiſer ſeinen Sohn Ludwig nach? Baiern 
zurück, worauf er von den Anſtrengungen der Sorgen, 
Kümmerniß und des Feldlagers in Mainz unter dem 
Gebet ſeines Bruders, des Biſchofs Drogo von Metz, 
verſchied. Doch im letzten Augenblick verließ ihn ſein 
frommer Sinn nicht. Er verzieh ſeinem Sohn Lud— 
wig und ſprach: weil er nicht zu mir kommen kann, 
um mir Abbitte zu leiſten, ſo thue ich das Meinige 
und nehme Gott zum Zeugen, daß ich ihm Alles 
verzeihe! Euer Amt — Ihr Prieſter! aber, ſetzte er 
hinzu, wird ſeyn, daß ihr ihm ſaget, wie er die grauen 
Haare ſeines Vaters hat mit Herzeleid in die Grube 
gebracht. 

Er ſtarb im 64. Jahre ſeines Alters und 27. ſeiner 
Regierung, und wurde zu Metz im Dom beigeſetzt. 


VIII. 
Hohenzollern. 


Zwei Gebirgskegel treten aus der langen Reihe 
der ſchwäbiſchen Albhöhen ſichtbar hervor, am öſtlichen 


| 


0 


281 


Ende Hohenſtaufen, auf deſſen Gipfel einft die 
Burg eines längſt verſchwundenen Geſchlechts unſterb— 
MA Helden und Herrſcher ſtand; gegen das Weſt— 
ende des Gebirges prangt nun in erneuter Herrlich— 
keit Hohenzollern, die Stammburg eines blühen— 
den Königsgeſchlechts. Der majeſtätiſche, die ganze 
Ebene wie ein König beherrſchende Bergkegel, ragt 
3000 Fuß über der Meeresfläche. Eine ſteile, jetzt 
gebahnte Heerſtraße, führt diejenigen, welche von 
Hechingen und Balingen herkommen, den ſenkrechten 
Kalkfelſen hinan, welchen die ſtattliche Ritterburg krönt. 
Ein bequemerer Pfad zieht ſich von der Capelle zum 
heil. Kreuz nordöſtlich am Waldſaume hin, und bei 
dem ſo freundlich im Grünen geborgenen Kirchlein 
Mariazell vorüber, auf das Plateau des Bergs. Den 
dritten Weg, einen anmuthigen Fußpfad, welcher auf 
der Nordſeite durch einen ſchattigen Laubwald direkt 
hinauf zu den Außenwerken der Veſte führt, wählen 
rüſtige Bergſteiger. — Durch ein Thor mit der Auf— 
ſchrift: 
Zollern, Nürnberg, Brandenburg im Bund 
Baut die Burg auf altem Grund. 
(Wappen mit dem Adler) 


Mich errichtet Preußens ſtarke Hand — 
Adlerthor bin ich genannt. 


treten wir in die Burg. Hohenzollern in ſeinem, ganz 
im Style der mittelalterlichen Burgen gehaltenen Um: 


\ 


282 


bau iſt eine herrliche Burg, die ſich mit den fehönften 
reſtaurirten Ritterburgen am Rhein, wie im übrigen 
Deutſchland meſſen kann, und doch weht uns nicht 5 27 
beim Eintritt jener Geiſt an, wie in jener Zeit, da unſer 
Blick auf alte zerriſſene Ringmauern und Außenwerke, 
auf halbzerſtörte Thürme und Thore fiel, und wenn 
auch alle dieſe Ruinen erſt aus dem 15. und 16. 
Jahrhundert, ja noch ſpäterer Zeit ſtammten. Mag 
die neue Zeit noch ſo großartig bauen, was ſie baut, 
erſcheint klein gegen die Werke der Vorzeit, ſeien es 
nun Burgen oder kirchliche Gebäude. Doch Eines 
iſt ſtehen geblieben, zu was wir uns vor Allem wen— 
den, es iſt das mit großer Treue und Gewiſſenhaftig— 
keit reſtaurirte St. Michaeliskirchlein, der einzige Ueber⸗ 
reſt aus der Urzeit der Burg, mit feinen alten Stein 
denkmalen, den ſicherſten Urkunden für die Zeit der 
Erbauung der Zollern-Burg. Dieſes Kirchlein iſt 
zwar ſeinem Aeußern nach wohl erſt am Schluſſe des 
14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts erbaut worden, 
aber es enthält die älteſten Ueberreſte der urfprünglichen 
Anlage der Burg, nemlich drei Steindenkmale, welche 
vor den Stufen des Altars in das Pflaſter eingelegt 
find. Der mittelſte dieſer 6%, Fuß langen und über 
2 Fuß breiten Denkſteine zeigt die Geſtalt des Erz—⸗ 
engels Michael, wie er den Drachen tödtet. Derſelbe 
war Burgpatron auf Hohenzollern, und die Capelle 
war ihm gewiß ſchon bei der Gründung der Burg 
geweiht. Auf dem Denkſtein unter der Figur des 
Heiligen befindet ſich eine Darſtellung des Salvators 


283 


und der heil. drei Könige. Die beiden andern Stein: 
platten zeigen die Geſtalten des heil. Matthäus und 
des heil. Johannes, Ueberreſte einer Darſtellung der 
vier Evangeliſten. Das Ganze war wohl urſprüng⸗ 
lich die Dedikationstafel des dem heil. Michael ges 
widmeten Kirchleins, und das Alter dieſer Denkmale 
geht, nach dem Styl zu urtheilen, bis in das Jahr 
1000 zurück. „Alſo wird durch dieſe Steindenkmale 
die angenommene Erbauungszeit der Burg Hohen— 
zollern, nemlich der Anfang des 11. Jahrhunderts, 
beſtätigt.“ Dieſen Worten des Freiherrn Rudolf von 
Stillfried, des erſten und kundigſten Forſchers in der 
Geſchichte des Hauſes Hohenzollern, wäre nichts Wei— 
teres beizufügen, da auch andere Beſchreiber der Burg 
das Kirchlein ſelbſt als ein Denkmal des 11. Jahr— 
hunderts gelten laſſen, was nicht unwahrſcheinlich 
lautet, denn es iſt ja bekannt, wie viele Kirchen und 
Capellen, die noch aus dem höchſten Alterthum ſtammen, 
durch Erneuerung oft den Bauſtyl ſpäterer Jahrhun— 
derte angenommen. Das früher unter dem Kirchlein 
befindliche rundbogige Gewölbe ſpricht für letztere Be— 
hauptung, daß die Capelle einer früheren Zeit ange— 
hört. Dieſes Gewölbe, zu dem man vom Burgplatz 
hinabſteigt, ſoll in früheſter Zeit die Familiengruft 
der Grafen von Zollern geweſen ſeyn, welche erſt im 
13. Jahrhundert nach Kloſter Stetten und fpäter 
nach Hechingen verlegt wurde. Die Wappenſchilde des 
Wiederherſtellers der Burg, des Grafen Joſt Nicolaus 

von Zollern und feiner Gemahlin, Gräfin Eliſabeth 


284 


von Werdenberg, find im Chor angebracht, im Schiffe 
aber hängt der Todtenſchild jenes Grafen, ſammt dem 
ſeines Vaters Eitelfriedrich I. Die alten Bogenfenſter 
prangen von dem Schmuck 600jähriger Glasgemälde, 
welche, gleichwie die meiſten übrigen zur Ausſchmuͤckung 
der Capelle verwendeten Gegenſtände, im Jahr 1823 
aus dem Kloſter Stetten hieher verſetzt worden ſind. 
Ein gleichfalls altes Glasgemälde mit dem Zoller'ſchen 
Wappenſchild, einem Goldhelm und dem Helmſchmuck 
des Pfauenwedels, befindet ſich in einem Fenſter der 
nördlichen Wand. Noch bemerken wir, daß in Dies 
ſer Capelle durch kindliche Pietät das edle landes— 
väterliche Herz des im Jahr 1838 verſtorbenen Fürſten 


beigeſetzt worden: es ruht in einer ſilbernen Urne, 


die in einer Niſche des Chors ſteht. 

Von dem düſteren Dunkel des Michaeliskirchleins 
treten wir in die friſche heitere Luft hinaus, und be— 
ſteigen den Luginsland, der allein ſtehen geblieben, 
während das Gerippe der früheren Burg in Folge des 
gänzlichen Umbaus ganz und gar niedergeriſſen wurde. 
Dieſer Luginsland ſteht auf dem Fundamente des 
alten Wartthurms der Burg Hohenzollern. Für die 
Mühe des Hinaufſteigens auf vielen Stufen werden 
wir durch eine herrliche Ausſicht belohnt, die wir mit 
den Worten des begeiſterten Verfaſſers des trefflichen 
Bergbüchleins „das Stammſchloß Hohenzollern 
von P. Th. Mark“ (Hechingen 1846) geben. . 

„Gleich zunächſt zeigen ſich hier dem Beſchauer 
einerſeits die freundlichen Dörflein Zimmern, Biſſingen, 


285 


Tannheim, Steinhofen und Weſſingen, wie ſie gleich— 
ſam Schutz ſuchend ſich an den Berg herandrängen, 
andererſeits Boll, und tief unten am Ufer des Köller 
das friedliche Stetten oder Kloſter Gnadenthal. Weiter⸗ 
hin, jenſeits der Starzel, liegt auf einem Hügel das 
im Jahr 1585 von Graf Eitelfriedrich IV. von 
Zollern gegründete ehemalige Franziskaner-Mönchs— 
kloſter St. Luzen (jetzt Brauerei); dieſſeits des Fluſſes 
die Haupt- und Reſidenz-Stadt des Fürſtenthums, 
das Orpheiſche Hechingen, wo es ſtets wie Aeolsharfen 
die milde Luft durchrauſcht, wo ſeit Jahrhunderten 
ſchon die fürſtliche Familie, die ſteile Stammburg 
verlaffend, in einem prachtvollen Pallaſte glänzendes 
Hoflager hielt, dann aber, da auch dieſer Herrſcherſttz 
verſchwunden, bis auf die neuere Zeit von einer 
ſchlichten, mit Buſchwerk und Anlagen freundlich um— 
gebenen Villa aus, ihren Segen über das beglückte 
Land ſpendete. Ueber Hechingen hinaus, in weiter 
Ferne, erblickt man das Tübinger Pfalzgrafenſchloß, 
gleichſam einen Vorberg des durch ſeinen trefflichen 
Holzwuchs ausgezeichneten Schönbuchwalds, ferner die 
alte Burg Hohenentringen, wo einſt hundert Kinder 
von fünf Vätern aus- und eingingen, die Ruinen 
Achalm und Neufen, ja ein wonnetrunkenes Dichter— 
aug wird ſogar im nebelgrauen Oſten, am entgegen— 
geſetzten Ende der langgedehnten Alb, den Kaiſerberg 
Hohenſtaufen, oder gar noch den Buſſen, den heiligen 
Schwabenberg, entdecken, von welchem die neuere Ge— 
ſchichtskunſt, nachdem ſie den fabelhaften Taſſilo von 


286 


Zollern aufgegeben, den Urſprung des erlauchten 
Herrſcherhauſes herleiten will. Gegen Norden ſchweift 
der Blick dahin über die fruchtbare Au (das Gäu 
genannt) bis Rotenburg, Nagold, Wildberg und nach 
den Bergen bei Calw; im Weſten ſieht man den 
Schwarzwald mit dem weit hervorragenden Gebirgs— 
grat des Kniebis; im Süden die ſteilen Höhen von 
St. Georgen und auf der alten Waſſerſcheide des 
Neckars und der Donau, in der alten Baar, die 
Hochebene bei Rottweil, die Lochen, den Plettenberg 
und den Schafberg. In dämmernder Ferne tauchen 
am weſtlichen Horizonte die Vogeſen empor, und im 
Süden aus dem Nebelſtreifen des Bodenſees die 
thurer Alpen mit dem hohen Säntis und die zackigen 
Gipfel der Bündtner und Appenzeller Alpen. Kurz, 
der Zollernberg beherrſcht, gleichwie der Buſſen das 
Schwabenland jenſeits der Donau, ſo das geſegnete 
Schwaben dieſſeits der Donau und der Alb, und 
man kann ſich wohl denken, wie ſchon vor mehr als 
ſechs Jahrhunderten ſo mancher junger Zollergraf an 
dieſer Stelle ſich eine Herzogs- oder Königskrone 
träumen mochte.“ 

Wir wenden uns von dem Genuſſe der ſchönen 
Natur zur Geſchichte der Burg Hohenzollern, und 
laſſen die Bilder jener ritterlichen Männer, die auf 
der Burg aus- und eingingen, vor unſrem Blicke vor— 
überziehen, ſtattlichere und ſchönere Geſtalten, als wie 
ſie der alte Ahnenſaal im Bilde vorführt. 

In die Mitte des 11. Jahrhunderts fällt die erſte 


287 


glaubwürdige Kunde von dem erlauchten Geſchlecht, 
das ſich von dieſer Burg nannte. Was vor dieſe 
Zeit fällt, gehört dem Reiche der Sage und den Ver— 
muthungen an. Die Erſten urkundlich genannten 
dieſes Namens ſind die nun folgenden. In der 
Chronik Hermanns des Lahmen, fortgeſetzt von Bert— 
hold, iſt beim Jahr 1061 angemerkt, daß Burkard 
und Wezil von Zolorin getödtet wurden. Sie 
fielen in einem der Parteikämpfe, welche während der 
Minderjährigkeit Kaiſer Heinrich IV. das deutſche 
Reich zerrütteten. In welchem Verhältniß Beide zu 
einander ſtanden, das iſt nicht näher beſtimmt, aber 
wahrſcheinlich waren es Brüder. Es müſſen wichtige 
Männer geweſen ſeyn, denn ſonſt hätte wohl nicht 
der Chroniſt in ſeiner Chronik, die nur allgemein 
wichtige Dinge enthält, ihren Tod angemerkt. Lange 
nach ihnen im Jahr 1095 wird Adelbert von 
Zolro genannt. Er gründete in dieſem Jahr mit 
Rotmann von Huſin und Graf Alwie von Sulz auf 
dem Gut Alpirsbach, welches durch Erbrecht auf ſie 
gekommen war, ein Mönchskloſter dieſes Namens. 
Herr Adelbert von Zolro mehrte dieſe Stiftung durch 
neue Schenkungen; er ſelbſt entſagte dem Weltleben 
und trat in dem Kloſter als Mönch ein, wo er auch 
ſtarb. Er war, nach Allem zu ſchließen, der wichtigſte 
Begaber des Kloſters, und ſo finden wir es ganz am 
Platze, daß die Familienglieder des Hauptſtifters in 
den erſten Zeiten Schirmvögte der neuen Stiftung 
geworden. Ein ſolcher war jener Graf Friedrich, der 


288 


in der erneuerten Stiftungs-Urkunde des Kloſters 
unter dem Namen Friedrich der Aeltere, als Schirme 
vogt deſſelben bezeichnet wird. Dieſer Friedrich der 
Aeltere kann aber wohl kein anderer ſeyn, als der 
in der Geſchichte des Kloſters Reichenbach zwiſchen 
den Jahren 1085 — 1100 genannte Graf Friedrich 
von Zolro. Er kommt noch mehrere Male in Ur— 
kunden vor; ſo in drei Kaiſerurkunden vom Jahr 1111. 
Bei ſeinen Zeitgenoſſen führte er den Namen Maute; 
fo nennen ihn wenigſtens die Zwiefalter Annalen. 
Daß dieſer Graf Friedrich der Aeltere ein naher Ver: 
wandter des Mitſtifters von Alpirſpach geweſen, iſt 
gewiß, denn ſonſt wäre er nicht zum Schirmvogt des 
Kloſters gewählt worden. Nach der ſehr fleißig aus— 
gearbeiteten Stammtafel des bereits genannten Frei— 
herrn Rudolf von Stillfried wäre Friedrich ein Sohn 
des im Jahr 1061 gefallenen Burkard von Zolorin, 
während Adelbert ein Sohn des mit jenem genannten 
Wezil von Zolorin geweſen, der die ſogenannte Hai— 
gerloch'ſche Linie von Zollern gründete, welche mit 
einem Wezel ( 1141) und deſſen Sohn Adelbert II. 
im Jahr 1150 wieder erloſchen. Friedrich der Aeltere 
von Zollern hatte zur Gemahlin Udilhilde von Urach, 
mit der er ſechs Söhne: Friedrich, Burchard, 
Ulrich, Egino, Gottfried, Albert, und zwei 
Töchter: Udilhild und Luitgard zeugte. Unter den 
Söhnen wurde Ulrich Abt auf der Reichenau, Albert 
Moͤnch in Zwiefalten, Gottfried genannt von Zimbern 
und Egino ſind ohne Erben, dagegen pflanzen Burchard 


289 


und Friedrich den Stamm fort in zwei Linien. 
Burchard ſtiftet durch ſeinen Sohn gleichen Namens 
die Linie Zollern⸗Hohenberg, welche in der Hauptlinie 
mit Albrecht von Hohenberg-Haigerloch, dem Minne— 
ſänger, im Jahr 1298, und in der von ſeinem Bruder 
Burchard IV. Graf von Hohenberg geſtifteten Neben— 
linie im Jahr 1486 endete. Eine Schweſter der Ge: 
nannten war Gertrud (Anna), die Gemahlin Kaiſer 
Rudolfs von Habsburg. — Friedrich, wohl der ältere 
Sohn Friedrichs, genannt Maute, wurde höchſt wahr— 
ſcheinlich der Gründer des dauernd blühenden Ge— 
ſchlechts von Zollern. Er folgt ſeinem im Jahr 1120 
verſtorbenen Vater im Amt eines Kloſtervogts zu 
Alpirſpach, und muß kein unbedeutender Mann ge: 
weſen ſeyn, denn in einer Kaiſerurkunde vom Jahr 
1136 ſtellt er ſeinen Namen vor die Namen der 
Grafen von Wirtemberg, Laufen u. A. Zum letzten 
Mal erſcheint er in einer Urkunde vom Jahr 1145, 
da er, wahrſcheinlich kurz vor ſeinem Tode, dem Kloſter 
Hirſau ein goldenes Cruzifix, einen goldenen Kelch, 
ſo wie ſeine Beſitzungen zu Genkingen vermachte, wo— 
für ſein Jahrstag gefeiert wurde. Erſt im Jahr 1171 
kommt wieder ein Graf Friedrich von Zollern vor, 
und wir halten dieſen ohne Bedenken für einen Sohn 
des eben genannten Friedrich. Er iſt derjenige, mit 
welchem das Haus Hohenzollern die erſte Stufe zu 
feiner künftigen Größe betrat. Graf Friedrich ver— 
mählte ſich — es iſt unbekannt, wann? mit Sophie 


Gräfin von Rätz und Erbburggräfin, und erhielt mit 


II. 19 
0 


290 


ihr das nach dem Tode ihres Vaters auf fie als 
Lehen übergegangene Burggrafthum Nürnberg. Als 
ſolcher erſcheint er zum erſten Mal im Jahr 1192, 
aber er nannte ſich immer noch Graf von Zollern. 
Er ſtarb etwa ums Jahr 1200 und hinterließ zwei 
Söhne: Friedrich II. und Conrad L Wir wiſſen 
nicht, welcher von beiden der ältere geweſen, auch 
nicht, welchem vorzugsweiſe das Burggrafenthum zu— 
gefallen, denn beide führten wenigſtens den Titel: 
Graf von Zollern und Burggraf von Nürnberg. 
Friedrich II. vermählte ſich mit Maria, einer Erb— 
tochter der Grafen von Babenberg, mit welcher er 
zwei Söhne, Friedrich und Conrad II., und eine 
Tochter Sophia zeugte; er ſtarb im Jahr 1218, und 
wurde im Kloſter Heilsbronn (bei Nürnberg) begraben, 
wo eine Gedächtnißtafel ſein Andenken verewigt. Wann 
ihm ſein Bruder Conrad I., der vermählt, aber ohne 
Kinder war, im Tode folgte, wiſſen wir nicht. Von 
Friedrich II. Söhnen wird Conrad I. der Träger der 
burggräflichen Würde. Er vermählte ſich mit Gräfin 
Clementine von Habsburg, die ihm drei Töchter und 
zwei Söhne, Friedrich III. und Conrad III., geboren. 
Der letztere, vermählt mit Agnes von Hohenlohe, 
ſtarb unbeerbt im Jahr 1314; der erſtere iſt der 
Burggraf Friedrich III. von Nürnberg, mit dem das 
Haus den höchſten Glanz erreichte. Er iſt der erſte 
Begründer der burggräflich-hohenzollern'ſchen Haus— 
macht, der Fortpflanzer der burggräflichen, nachmals 
kurfürſtlichen, jetzt königlichen Linie von Hohenzollern, 


291 


wie wir ihn ausführlich geſchildert finden in dem 
Büchlein „Burggraf Friedrich III. von Nürn- 
berg, Graf von Zollern, der Freund König 
Rudolfs von Habsburg von Ottmar F. H. 
Schönhuth. 1854.“ 

Wir gehen auf Friedrichs II. andern Sohn zurück, 
den Freiherr von Stillfried, dem wir, als dem kun— 
digſten Genealogen des hohenzollern'ſchen Hauſes, bis 
jetzt gefolgt ſind, zum Unterſchied von den Friedrichen 
fränkiſcher Linie, Friedrich mit dem Löwen nennt, weil 
er, ſtatt mit dem quadrirten Schild von Hohenzollern, 
immer noch mit dem burggräflichen Löwenſiegel ſeines 
Vaters ſiegelte, auch in jener Zeit, da er bereits mit 
ſeinem Oheim, Burggraf Conrad, getheilt (1226), ſo 
wie ſich nach erlangter Volljährigkeit ausſchließlich ſei— 
ner ſchwäbiſchen Stammgüter angenommen hatte, und 
wieder auf Burg Hohenzollern hauste. Von ihm 
ſtammt Friedrich der Erlauchte, der ſeit 1248 
wieder mit dem quadrirten Schild von Hohenzollern 
ſiegelt, und im Jahr 1260 — 1267 das Kloſter Stetten 
ſtiftete. Er ſtarb 1289 und hinterließ zwei Töchter: 
Adelheid und Willeburgis, ſo wie drei Söhne, die 
alle den Namen Friedrich führten, welche ihm ſeine 
Gemahlin, Gräfin Udilhild von Dillingen, geboren. 
Der eine von dieſen drei Friedrichen war Domprobſt 
zu Augsburg ums Jahr 1293, der andere, Friedrich 
der Junge genannt von Merkenberg, ſtiftete die ſo— 
genannte Schalksburger Nebenlinie, welche mit ſeinem 
Urenkel Friedrich, genannt Mülli, oder vielmehr 


292 


deſſen Sohn Friedrich im Jahr 1403 wieder erloſchen; 
der dritte Sohn, Friedrich der Ritter, pflanzte 
mit ſeiner Gemahlin Kunigunde, Markgräfin von 
Baden, den ſchwäbiſchen Hauptſtamm fort. Er heißt 
Graf von Zollern mit dem Beiſatz „des Zolre ift“, 
weil bei der Theilung mit ſeinem Bruder, der Schalks— 
burg erhielt, ihm die ganze Burg Zollern zufiel (1288). 
Von Friedrichs des Ritters drei Söhnen, die alle 
ſeinen Namen trugen, pflanzte Friedrich, genannt 
Oſtertag, regierender Herr auf Hohenzollern, den 
alten Stamm dauernd fort. Seine drei Söhne ſind: 
Friedrich, auch Oſtertag genannt, der als Groß— 
prior des Johanniterordens in deutſchen Landen im 

Jahr 1400 verſtorben; Friedrich der Schwarz- 
graf, der die ſogenannte ſchwarzgräfliche Linie ſtiftete, 
die mit ſeinen Kindern wieder ausging; und Frie— 
drich, genannt der Straßburger, der die Straß— 
burger Linie ſtiftete. Von des Letzteren drei Söhnen iſt 
Graf Fritz der Aeltere von der Hohenzoller,, 
Hauptmann des Löwenbundes im Jahr 1382, mit 
feiner Gemahlin Adelheid, Gräfin von Fürftenberg, 
der Stammhalter des ſchwäbiſchen Hauſes Hohen— 
zollern geworden. Eine Tochter und fünf Söhne 
entſproßten feiner Ehe. Drei von den Söhnen: Fries 
drich, genannt Aeppeli, Friedrich, genannt Frizli, 
und Friedrich, genannt Hügeli, erlangten geiſtliche 
Würden; Eitelfriedrich I. und Friedrich, genannt 
der Oettinger, theilten nach des Vaters Hingang 
(1401) das Erbe. Dieſe Erbtheilung nun, wobei 


293 


die Zollerburg gemeinſamer Sitz blieb, an dem über: 
dieß noch der ſchwarzgräfliche Nebenzweig Theil hatte, 
und ſo manche, in Folge derſelben eingetretene Miß— 
ſtände, beſonders aber auch die Verſchiedenheit der 
beiderſeitigen Charaktere, war Urſache jenes verderb— 
lichen Bruderzwiſtes, der manche Jahre andauerte. 
Eine Hauptveranlaſſung zu dieſem Zwiſte mag ge— 
weſen ſeyn, daß Graf Friedrich der Oettinger im Jahr 
1415 faſt ſein ganzes Beſitzthum, ausgenommen ſei— 
nen unveräußerlichen Antheil an Burg Zollern und 
Hechingen, an den Grafen Eberhard von Wirtemberg 
verpfändete, was natürlich feinem jo wirthſchaftlichen 
Bruder, der die Herrſchaft zufammenzuhalten ſtrebte, 
nicht genehm ſeyn konnte, um ſo mehr, als er die 
aufgenommenen Gelder in Abenteuern vergeudete, an— 
ſtatt ſie zu Befriedigung ſeiner vielen Gläubiger zu 
verwenden. Es war im Zwiſte der Brüder ſogar fo 
weit gekommen, daß der Oettinger ſogar Umtriebe 
machte, ſeinen Bruder Eitelfriz ganz und gar aus 
dem Beſitze der Burg Hohenzollern zu verdrängen. 
Wie er, der ſonſt ritterliche Mann, mit ſeinem Bruder 
im Zanke lag, ſo war er auch der Reichsſtädte, ab— 
ſonderlich der Rottweiler, Feind geworden. Aber den 
ſchlimmſten Feind gewann er an Henriette, Gräfin 
von Mömpelgard, der Wittwe des Grafen Eberhard 
von Wirtemberg. Wie er mit der Letzteren zerfal— 
len, berichtet der Chroniſt der Grafen von Zimmern. 
Die Grävin Henriette habe an des Oettingers Ge— 
ſtalt und adelichem Weſen Wohlgefallen gefunden und 


294 


feiner Minne begehrt, welches Anſinnen aber dieſer 
auf eine ſchnöde Weiſe zurückgewieſen; worauf dann 
aus Liebe Haß, und aus dieſem Begierde nach Rache 
geworden. Dieſe zu ſtillen, gab es bald eine Veran— 
laſſung. Denn als die Rottweiler, vielfach gereizt 
von dem Grafen, ihm im Mai 1422 abſagten, da 
bot Gräfin Henriette freudig die Hand zur Befehdung 
des Oettingers und leiſtete freien Zuzug. Im Sommer 
des genannten Jahres begannen die Rottweiler, zu 
denen ſich noch die Städte des ſchwäbiſchen Bundes, 
Augsburg, Ulm, Nördlingen, Ravensburg, Gmuͤnd, 
Memmingen, Dinkelsbühl, Biberach, Kempten, Kauf— 
beuren, Ißny, Pfullendorf, Weil, Giengen, Leutkirch, 
Bopfingen, Aalen, ſammt vielen außerſchwäbiſchen 
Verbündeten, insbeſondere Straßburg geſellt hatten, 
die Belagerung. Wenn es auch nicht 40,000 Feinde 
geweſen ſind, welche die Burg umlagerten, wie M. 
Cruſius behauptet, ſo war es doch das größte Heer, 
das die Städte je zu einem ſolchen Zwecke aufgeboten 
hatten. Gleich in den erſten Tagen beſchoßen die 
Städter die feſte Burg ſtrenglich. Meiſter Claus 
Hetzel und Oswald Klein, die beſten Büchſenmeiſter 
im reichsſtädtiſchen Heere, ſchoßen manchen Stein 
gegen ihre Thore und Vorwerke, aber der Oettinger 
ließ ſich dadurch nicht ſchrecken, vielmehr ſpottete er 
ſeiner Feinde, und rief von der Burg herunter: ich 
hab eine Henne über den Eiern ſitzen, die ſoll ausbrüten, 
ſo laſſet doch euer Schießen, damit ihr ſie mir nicht 
im Neſte ſchrecket! Die Belagerer achteten nicht dieſes 


295 


Spottes, ſondern forderten, als ihre Geſchoße nicht 
vergebens gegen die Burg geſpielt, und da und dort die 
Mauren zerſtoßen hatten, bald zur Uebergabe auf. Der 
Graf antwortete auf eine rohe Weiſe: acht Rottweiler 
Bürger, die er vor der Belagerung der Burg auf 
des Reichs Straßen gefangen und bisher in Haft 
gehalten hatte, ließ er im Angeſicht der rachedürſtigen 
Städter an den Zinnen der Burg aufhängen. Die 
Belagerer drängten jetzt die Burg mit erneuter An— 
ſtrengung. Doch der Oettinger verzagt nicht, ob— 
gleich der Entſatz ſeines einzigen wichtigen Bundes— 
genoſſen, des Markgrafen von Baden, ausblieb, auf 
den er längſt gehofft. Seine Geliebte ſteht ihm ja 
noch helfend zur Seite, und ſchleicht bei der Nacht— 
zeit durch die Schaaren der weiſen und klugen Städter, 
um denen auf der Burg Proviant und Munition 
zuzuführen. Als aber dieſe Heldin von Zollern end— 
lich von den Feinden entdeckt und gefangen genommen 
wurde, da fieng bei dem Oettinger an, der Muth zu 
ſinken. Bereits war der Winter herbeigekommen mit 
ſeinen kalten Tagen; der Graf hatte gehofft, die 
Städter würden vom Berge ziehen, aber ſie blieben, 
und ließen ſich nicht ſtören in ihren Grabarbeiten 
gegen die Burg. Als aber auch noch die Lebens— 
mittel denen auf der Burg begannen auszugehen, da 
faßte der Graf einen Entſchluß, den wir ſeinem ſo 
unverzagten und ritterlichen Sinne nicht zugetraut 
hätten. In einer ftürmifchen Nacht verſammelte er 
die Seinen auf der Burg und ſagte zu ihnen: er 
* 


296 


müſſe fich ſelbſt den Berg hinab machen, und ſchauen, 
wie er einen reiſigen Zeug aufbringe; dann wolle er 
wieder zu ihnen auf die Burg zurückkehren. Das 
gelobte er ihnen feſt, und ebenſo ſchwuren ihm die 
Seinen hinwiederum, daß ſie das Beſte thun wollen. 
Alſo ſchied er von der Burg mit wenigen Reitern 
und war froh, daß er davon kam. Sofort ging er 
zum Markgrafen Carl von Baden, ſo wie zum Her— 
zog Reinhard von Lothringen, und hielt ihnen vor, 
wie er die Städter von dem Berg treiben wollte, 
wenn beide ihm Entſatz ſenden würden. Aber die 
kehrten ſich nicht daran, und ließen ihn ohne Hoff— 
nung wieder laufen. Alſo kehrte der Oettinger nicht 
mehr auf ſeine Burg zurück, wie er verheißen hatte, 
und ließ ſeine Getreuen auf Zollern Mangel und 
Noth haben. Dieſe wehrten ſich, ſo gut ſie konnten, 
aber zuletzt half es ihnen Nichts mehr. Von Tag 
zu Tag geriethen die Feinde dem Hauſe näher, bald 
nahmen ſie den Kapf (die Höhe), machten doppelte 
Schirme (zur Aufſtellung der Geſchütze); ehe die— 
ſelben zerſchoſſen werden konnten, zogen ſie mehrere 
Büchſen hinauf, und ließen dieſe gegen das Berghaus 


jpielen. Da ließ ſich Niemand mehr von der Be- 


ſatzung außer der Burg ſehen. Darnach nahmen die 
Feinde den Zwinger ein; da vermochten die drinnen 
das Haus nimmer zu halten: die ausgehungerte Be— 
ſatzung übergab den Feinden die Burg auf Gnad' 
und Ungnade, in die Hand der Ulmer, um nicht den 
erbitterten Rottweilern in die Hände zu fallen. Ju— 


297 


belnd voll Siegesfreude ſteckten die Reichsſtädter mit 
den Wirtembergern das Reichsbanner auf ein hohes 
Dach, daß man es manche Tage weithin in der Hoͤhe 
fliegen und ſchweben ſah. Und nun ſchritten die 
Ulmer ans Werk der Zerſtörung: ſie brannten und 
brachen das verwunſchene Raubneſt zu Grunde, von 
dem — jo hatten es die Städter mit der rachſüchti— 
gen Gräfin Henriette geſchworen — kein Stein auf 
dem andern bleiben ſollte. Ja die Zerſtörer zerbrachen 
ſogar die Steine, damit ſie nie wieder zu einem neuen 
Bau dienen möchten. Das geſchah am Samſtag vor 
Himmelfahrt im Jahr 1423, nachdem die Belagerung 
beinahe ein Jahr gedauert hatte. — Ein gewaltiger 
Jubel erhob ſich unter den Städten des Schwaben— 
landes über den Fall der verhaßten Grafenburg; man 
ſagte und ſang noch lange davon. Ein gleichzeitiger 
Dichter, Conrad von Reutlingen, beſang in einem 
Gedichte von zierlichen lateiniſchen Verſen, und ein 
anderer, ebenfalls gleichzeitiger Dichter, Conrad 
Silberdrat, wahrſcheinlich aus Rottweil, dichtete 
über die Heldenthat der Städter ein deutſches Reim: 
gedicht von 460 Zeilen, das der ehrwürdige, nun 
auch heimgegangene Meiſter Sepp von Laßberg 
auf der alten Meersburg aus einer Handſchrift unter 
dem Titel edirte: „Ein ſchön alt Lied von 
Grave Friz von Zolre dem Oettinger.“ Gegen 
den Schluß dieſes wirklich poetiſchen Gedichts, aus 
dem wir oft wörtlich die Geſchichte der Belagerung 
Hohenzollerns entnommen, heißt es: 
0 


298 


Füro nun hin darob nimmer wird gekriegt, 

Noch kein Graf von Zollr me daruf wird gewiegt. 
Deß habet Dank ihr Reichſtädt immermehr, 

Daß ihr bejagt hant ſolch Ehr, 

Und dem Oettinger ſo wohl hant vergolten, 

Der euch dik übel hat geredt und geſcholten. 


Aber die Worte des Dichters „daß kein Graf mehr 
auf Zollern gewiegt werde,“ ſind ſo wenig in Er— 
füllung gegangen, als der Fluch Kaiſer Sigmunds, 
der alſo ſolchen über die gebrochene Burg hin— 
ſchleuderte: „daß fürbaßer daſſelb Schloß Zolr noch 
der Berg zu ewigen Zeiten nimmermehr gebauen, ge— 
machet, gefeſtet, von Niemand fürgenommen und auf— 
gerichtet werden ſoll, ſondern daſſelb Schloß und 
Berg ſollen zu dem heiligen Reich als ein gebrochenes 
Raubhaus gehören.“ Wohl konnte Graf Fritz der 
Oettinger nimmer daran gedenken, die Burg wieder 
herzuſtellen, denn er war ein armer und verlaſſener 
Mann. Bald, nachdem er die noch belagerte Stamm— 
burg verlaſſen, und den Markgrafen von Baden und 
Herzog von Lothringen vergebens zu einem Kriegszug 
zu bereden geſucht hatte, denn die Drohungen des 
dem Oettinger feindſeligen Kaiſers mit Bann und 
Acht hielten Beide zurück — als er ſich nun durch 
Lothringen wieder zum Rheine wendete, näherte er 
ſich unvorſichtiger Weiſe allzuſehr den Gränzen der 
Grafſchaft Mömpelgard, er wurde da von ſtreifen— 
den Reitern der Gräfin Henriette im offenen Felde 


299 


aufgefangen und nach Mömpelgard in einen Thurm 
gebracht, der lange Zeit nach ihm noch der Oettingers 
Thurm genannt wurde. Hier mußte der ſonſt lebens— 
luſtige Graf lange Zeit ſchmachten, während welcher 
Viel um ſeine Erledigung vergeblich bei der unver— 
ſöhnlichen Regentin von Wirtemberg unterhandelt 
wurde. Endlich im Jahr 1429, nachdem die Söhne 
der Gräfin Henriette, Ludwig und Ulrich, Grafen von 
Wirtemberg, der Vormundſchaft ihrer Mutter ledig 
wurden, kam ein Vertrag mit dem Oettinger und 
dem Hauſe Hohenzollern zu Stande, in welchem unter 
Anderem mehrere Orte der Grafſchaft an Wirtemberg 
abgetreten wurden, und der Oettinger ſeiner Haft 
wieder loskam. Wie mag dem Oettinger zu Muth 
geweſen ſeyn, als er heim kam, und die Burg ſeiner 
Väter, von der | 


„er wähnt, daß Niemand außer Gott 
ihm den Berg möcht' angewinnen, 
als er ſchätzt in ſeinen Sinnen!“ 


in ſo ſchmählichen Trümmern liegen ſah! Wir hören 
bis 1440 Nichts mehr von dem Oettinger. In die— 
ſem Jahr ſtiftet er für ſich einen Jahrstag im Kloſter 
Stetten. Er hat ſich auf einmal alles Irdiſchen ent— 
ſchlagen und wendet nun ſeinen Sinn nach himm— 
liſchen Gütern, wie das Männern, die Viel erfahren 
und gelitten, in damaliger Zeit öfter als jetzt zu be— 
gegnen pflegte, denn der Glaube war ſtark über Alles. 
Er beſtellte ſein Haus, und fuhr mit geringer Be— 


300 


gleitung nach dem Grabe des Heilandes in Paläſtina. 
Ob er dort oder auf der Heimreiſe geſtorben, iſt un: 
bekannt, genug, er ſah das Land ſeiner Väter und 
den Wiederaufbau der Burg nimmer, und der im 
Leben nie geruht, ruhete nun im Grabe. Er ſtarb 
im Jahr 1443, verſöhnt mit der ganzen Welt, und 
wohl auch mit ſeinem Bruder Eitelfriedrich, der ihm 
bereits im Jahr 1439 im Tode vorangegangen war, 
nachdem er umſonſt verſucht hatte, die Stammburg 
wieder herzuſtellen, denn die Städter hinderten ihn 
daran. Deſſen noch unmündiger Sohn, Joſt Nico: 
laus, folgte ſeinem Vater und Oheim im Beſitze der 
Herrſchaft. Auf dieſem ſchwachen Sprößling beruhte 
jetzt die Hoffnung des vor kaum 50 Jahren noch 
von zwölf männlichen Häuptern vertretenen Hauſes. 
Graf Joſt Niklas war klüger und beſcheidener als ſein 
Oheim, dem er aber an tapferem und fröhlichem 
Muthe ganz ähnlich war. Er befand ſich bei der Ueber— 
nahme der Herrſchaft Hohenzollern in ſehr bedrängten 
Umſtänden. Sein vornehmſtes Dichten und Trachten 
ging nun vor allen Dingen dahin, die Feindſchaft 
Wirtembergs, als des gefährlichſten Nachbars, ganz 
und gar hinzulegen und zu verſöhnen; er trat daher, 
als ein junger und freudiger Geſell, in den Dienſt 
des Grafen Ulrichs von Wirtemberg, der wegen ſeiner 
Milde den Namen „des Vielgeliebten“ bekam. Zu 
Stuttgart am Hofe des Grafen fand man damals 
in großer Anzahl die Blüthe des ſchwäbiſchen Adels: 
unter dieſen lernte Graf Joſt Niklas auch den Frei⸗ 


* 


301 


herrn Werner von Zimmern aus Mößkirch kennen, 
mit ihm von gleichem Alter, ein kühner Degen, von 
höflichen Sitten und beſonders bei holden Frauen wohl 
geſehen. Biederkeit und jugendlicher Muth ſchließen 
ſich gerne an einander an; ſo ward denn auch zwi— 
ſchen dieſen beiden jungen Herzen ein Bund geveſtet, 
der bis an ihr Beider Lebensende währte. Wie innig— 
lich aber dieſer Beider Freundſchaft war, mag man 
aus dem vernehmen, was der Chroniſt von Zimmern 
von ihnen erzählt. Dieſe zwei jungen Geſellen hatten 
einander ſo lieb, daß ſie nicht nur ſtets in derſelben 
Wohnung beiſammen lagen, ſondern auch gemeinſam 
nur ein Sammetwamms zuſammen beſaßen, alſo daß 
wenn der Eine darin an den Hof ging, der andere 
zu Hauſe bleiben mußte. Da ſich nun eines Tags 
begab, daß Werner von Zimbern frühe aufſtand, 
Willens, an den Hof zu gehen, und er ſeinem Kna— 
ben, den ſie dann auch gemeinſchaftlich zu einem 
Diener hatten, befahl, ihm das Sammtwamms zu 
bringen, um ſolches anzulegen — da fand ſich, nach 
faſt langem Suchen, das Kleid hinter einer Truhen, 
das der Knabe empor hielt und dabei ſprach: Da 
iſt nun das Unglück! Da der von Zimmern das 
hört‘, ſprach er: iſt es ein Unglück, fo will ichs auch 
nicht an mir haben, und magſt du es dir nur be— 
halten, denn es iſt dir von uns geſchenkt. Wie nun 
die beiden Geſellen wieder zu einem oder gar zu einem 
Paar ſolcher Wämmſer gekommen, iſt nicht geſagt, 
ich eracht aber, daß ſie es nicht lange anſtehen ließen, 


302 


wieder an den Hof und in das Frauenzimmer zu 
gehen. — Daß ich aber wieder auf Graf Joſt Niklaſen 
von Zollern komme, ſo muß ich ſagen, daß er an 
Graf Ulrichen von Wirtemberg einen günſtigen und 
liebreichen Herrn fand, der ihn auch zu einem ſeiner 
Räthe mit guter Beſtallung annahm, und bei dem 
er noch viele Jahre verblieb; folgends überkam er 
Gunſt und Dienſt Kaiſer Friedrichs III., und nach— 
gehends zu Herzog Sigmund von Oeſterreich zu Tyrol, 
wo er ſeinen liebſten Freund und Geſellen Werner 
von Zimbern wieder fand, der deßgleichen an dem 
ritterlichen Hof Herzog Sigmunds diente, welcher den 
ſchwäbiſchen Edlen abſonderlich hold war, und deren 
er eine große Anzahl an ſeinem Hoflager zu Inspruck 
und in ſeinem Dienſte enthielt. Unter dieſen fand 
ſich auch Graf Johann von Werdenberg und zum 
Heiligenberg, des Zweiges von Sargans mit der weißen 
Fahne. An deſſen Tochter Agnes, die allen Jung— 
frauen am Insprucker Hofe an ſchöner Jugendblüthe 
und adelichem Weſen voranglänzte, fand nun Graf 
Joſt Niklas ein beſonderes Wohlgefallen, und ſie auch 
hinwiederum an ihm, alſo daß ſie mit des Vaters 
Bewilligung alsbald ein Paar wurden, und Gottes 
Segen an Nachkommenſchaft klärlich ſpürten. In⸗ 
zwiſchen war im Schwabenlande allenthalben Friede 
geworden, denn die Städte hatten ſich mit den Herren 
und dem Adel ausgeſöhnt. Da bewarb ſich Graf 
Joſt Niklas auf's Neue bei ſeinen Freunden und 
Gönnern, drß ihm beim Wiederaufbau feiner Stamm: 


303 


burg fürder kein Hinderniß mehr gemacht würde, wie 
weiland ſeinem Vater. Als nun Steine, Kalk, Ziegel, 
Holz und ander Bauzeug genüglichen auf den Berg 
geſchafft waren, auf dem über dreißig Jahre nur 
Füchſe, Eulen und andere Raubvögel ihre Wohnung 
gehabt hatten, ladete Joſt Niklas alle ſeine Verwandten, 
Freunde und Günſtigen ein, in ſein Land zu fahren 
und dem hochzeitlichen Beginn des neues Baues an— 
zuwohnen. Da kamen Erzherzog Albrecht, ſein be— 
ſonders günftiger Freund und gnädiger Herr, der 
dazumal in den Borlanden zu Rotenburg am Neckar 
feinen Sitz hatte, ferner Herr Philipp der Gütige, 
Herzog zu Burgunden, Markgraf Albrecht von Bran— 
denburg, genannt Achilles, und Karl der Markgraf 
von Baden, lauter tapfere Fürſten des deutſchen 
Reichs, mit großem und ſtattlichem Gefolge herbei, 
und wollten Graf Joſt Niklaſen helfen, die Burg ſeiner 
Väter wieder aufzubauen. Man mag auch denken, daß 
Wenige des hohen und niedern Adels von Schwaben da 
ausblieben, und beſonders die Zoller'ſche ganze Sipp— 
ſchaft, jung und alt am wenigſten; alſo daß eine große 
und ehrliche Geſellſchaft da verſammelt war, ohne die 
Menge des Volks zu rechnen, das in Unzahl von 
allen Enden und Orten herzulief. Da nun Alles 
zum Beginn des Werks geordnet war, wälzte man 
den Grundſtein an ſeinen beſtimmten Ort, und die 
genannten Fürſten traten hinzu und legten goldene 
und ſilberne Münzen ihres Gepräges in die Höhlung 
deſſelben, griffen dann zu ſilbernen Kellen und Häm— 


304 


mern, welche Graf Joſt Niklas eigens hiezu mit den 
Wappen gedachter Fürften hatte bezeichnen laſſen, und 
mauerten den Stein ein und zu, wobei Graf Hein— 
rich von Fürſtenberg, des Grafen nächſter Sipp, 
Mörtel trug, und ein Freiherr von Brandis denſelben 
umrührte. Das war an St. Pilgrims Tag des h. 
Biſchofs Tag (16. Mai) im Jahr, als man zählte 
von Chriſti unſers Erlöſers Geburt 1454. Alſo 
brachte der Mai wieder, was der Mai Denen von 
Zollern genommen hatte, und ward die Burg in kurzer 
Zeit darnach wieder vollends ausgebaut, und ſo wehr— 
lich wieder hergeſtellt als zuvor, jo daß Meiſter Con- 
rad Silberdrat von derſelben wohl hätte ſingen mögen: 


Hohenzoller, du wehrliches Haus, 
Wie weit ſchauſt du überaus. 
All um und um im Schwabenland, 
Biſt du ob allen Häuſern bekannt, 
Daß alle, die dich han geſehn, 
Wol mögen alles Preiſes jehen. 
(Meiſter Sepp.) 
Graf Joſt Niklas, der Wiederherſteller der Burg, 
ſtarb im Jahr 1488, als Landvogt zu Rotenburg a. N. 
und der Herrſchaft Hohenberg. Ein Sohn deſſelben, 
Graf Eitelfriedrich II., Liebling Kaiſer Maximilians, 


Hauptmann der Grafſchaft Hohenberg, und erſter 


Kammerrichter bei Errichtung des kaiſerlichen Kammer: 
gerichts, ein im Frieden und Krieg ausgezeichneter 
Herr, ſorgte aufs Neue für Macht und Glanz des 


305 


neuen, aus einem einzigen Sproſſen wieder aufblühen— 
den Grafenhauſes. Durch ihn kam die Herrſchaft 
Haigerloch, der alte Familienbeſitz, in Folge Tauſches 
wieder an Haus Hohenzollern. Auch erwarb er für 
ſich und feine Nachkommen die Reichskämmererwürde. 
Beſonders iſt Eitelfriedrich dadurch wichtig geworden, 
daß in Folge ſeiner Vermählung mit der Markgräfin 
Magdalena von Brandenburg, die weit aus einander 
gewachſenen Zweige des Zollernſtamms ſich zum erſten 
Male wieder einander zubeugten. Magdalena gebar 
ihrem Gemahl fünf Töchter und ſechs Söhne; ſo trieb 
alſo der Stamm von Hohenzollern auf einmal wieder 
zahlreiche Sproſſen. Sie wurde die Stammmutter aller 
jetzt lebenden Fürſten von Hohenzollern, Hechingen und 
Sigmaringen, und ſtarb im Jahr 1496; ihr Gemahl 
folgte ihr im Jahr 1512 im Tode nach. Beide liegen 
in der von Eitelfriedrich und ſeinem Bruder, Biſchof 
Friedrich, gegründeten Stiftskirche zu Hechingen. Dort 
findet ſich ein prächtiges Grabdenkmal, das wohl Graf 
Wolfgang Franz, der im Jahr 1517 ſtarb, ſeinen 
Eltern geſetzt haben könnte, denn ſein Name iſt darauf 
eingegraben. Das Grabmal beſteht aus einer, wahr— 
ſcheinlich von Peter Viſcher in Nürnberg kunſtreich 
gefertigten Platte aus Erz, welche früher auf einem 
reichverzierten Poſtamente ruhte. Die Platte zeigt die 
ſtattliche Figur des Grafen, wie er mit der Rechten 
das Schwerdt, mit der Linken den Roſenkranz hält. 
Um den Hals trägt er den Orden des goldenen Vließes, 
von dem auch das quadrirte Wappenſchild über feinem 
II. 20 


306 


Haupte umfchlungen ift. Seine Füße ſtehen auf einem 
Löwen, dem Bilde der Kraft. Ihm gegenüber ſteht 
ſeine Gemahlin, eine liebliche Frauengeſtalt in zierlicher 
altdeutſcher Tracht, den Brandenburgiſchen Schwanen⸗ 
orden um den Hals tragend. Derſelbe umgibt auch 
das über ihrem Haupt befindliche Wappen mit dem 
Brandenburg'ſchen Adler. Zu ihren Füßen liegt ein 
Hund, das Bild der Treue. In Mitte der beiden 
Wappenſchilde hoch oben iſt ein größeres Wappenſchild, 
deſſen gekreuzte Scepter die Erbkämmerwürde des Reichs 
bezeichnen. Um die Platte herum zieht ſich eine In— 
ſchrift mit gothiſchen Buchſtaben, welche in alten Reimen 
von dem Verſtorbenen, ſeinen Würden, ſo wie von 
ſeiner Gemahlin und ſeinen Kindern redet. Eine ſchöne 
Abbildung des Denkmals, gezeichnet von Eberlein, hat 
der Württemb. Alterthumsverein geliefert. — Es iſt 
eines der wenigen Denkmale der Grafen von Hohen— 
zollern, die ſich noch erhalten, und hat mehr Werth, 
als alle Bilder des noch vorhandenen Ahnenſaales, 
die Nichts anderes als Gebilde der Phantaſie ſind, 
wenn wir das Bild des Grafen Joſt Niklas und der 
ſpäteren Familienglieder ausnehmen wollen. — 

Der auf der Grabplatte genannte Biſchof Friedrich 
von Augsburg war ebenfalls ein Sohn des Grafen Joſt 
Niklas und hat ſich um die Burg der Väter verdient 
gemacht. Er erweiterte ſie mit einigen Gebäuden, und 
brachte manche Verbeſſerungen auf der Burg an. Nach 
Eitelfriedrich II. wurde ſein Sohn, deſſelben Namens, 
Herr auf Hohenzollern. Er ſtarb zu Pavia an Gift 


307 


im Jahr 1525, und hinterließ nebſt noch andern 
Kindern einen Sohn Karl, der ſeinem Vater in der 
Regierung folgte und den Stamm fortpflanzte. Im 
Jahr 1535 erhielt derſelbe die Herrſchaften Sigmaringen 
und Vöhringen, ſtiftete unter feinen Söhnen im Jahr 
1575 die ſogenannte Zoller'ſche Erbvereinigung und 
ſtarb im Jahr darauf. Seine zwei Söhne Eitelfrie— 
drich IV. und Karl II. theilten ſich in zwei Linien; 
die zu Hechingen und die zu Sigmaringen. Der erſtere 
gründete die erſten Anfänge der Wafſenhalle auf der 
Burg, in der die Waffen und Rüſtungen früherer 
Grafen von Zollern aufgehängt wurden, unter andern 
auch die Rüſtung des Grafen Joſt Niklas, zu denen 
dann in ſpäterer Zeit noch viele merkwürdige Waffen 
und Rüſtungen hinzukamen. Doch ſcheint die Burg 
Hohenzollern dem Grafen Eitelfriedrich bald nimmer 
mehr behagt zu haben; er baute das Schloß zu Hechingen 
im Jahr 1604 und wählte es zu feinem Mohnfige. 
Sein Sohn Johann Georg wurde im Jahr 1623 zum 
erſten Fürſten von Hohenzollern erhoben, und ſtarb 
1624. Er hinterließ zwei Söhne, Eitelfriedrich V. 
und Philipp Friedrich. Der erſtere wurde im Jahr 
1653 in das Fuͤrſtenkollegium zu Regensburg aufge— 
nommen; er ſtarb im Jahr 1661 an einer empfangenen 
Wunde. Da er keine Kinder hinterließ, ſo folgte ihm 
ſein Bruder Philipp Friedrich in der Regierung, die 
er bis zum Jahr 1671 führte. Philipp Friedrichs 
älteſter Sohn, Friedrich Wilhelm, kaiſerlicher General, 
erhielt im Jahr 1692 den fürftlichen Titel für ſich 


308 


und alle feine Nachkommen, und errichtete im Jahr 
1695 mit Brandenburg die fogenannte Erbverbrüderung, 
welche faſt gleichzeitig durch einen Ehebund zreifchen 
einem Hohenzollern'ſchen Prinzen und einer Branden- 
burg⸗Baireuth'ſchen Prinzeſſin beſiegelt wurde. Friedrich 
Wilhelm ſtarb im Jahr 1735; ihm folgte ſein Sohn 
Friedrich, mit dem im Jahr 1750 dieſe Linie ſchloß. 
Auf ihn folgte ſeines Oheims, Hermann Friedrichs Sohn, 
Joſeph Wilhelm, welcher der Urgroßoheim des gegen— 
wärtigen Fürſten iſt. — Von der Linie des Hauſes 
Hohenzollern in Sigmaringen werden wir fpäter reden 
— es bleibt uns nur noch übrig, die weiteren Schickſale 
der Burg Hohenzollern zu erzählen. 

Während der Bauernkrieg die Burg Zollern ganz 
und gar unangefochten ließ, tobte deſto wilder der 
30 jährige Krieg gegen ihre Mauern. Sie leiſtete lange 
Widerſtand, bis ſie ſich im Jahr 1634 nach einer 
Belagerung von mehreren Monaten den Wirtembergern 
ergab, die ſie rein ausplünderten, und gute Beute 
machten, denn Alles in der Umgegend hatte ſeine 
Habe dahin geflüchtet. Aber ſchon im Oktober defjel- 
ben Jahrs fiel ſie durch Liſt in die Hände der Kaiſer⸗ 
lichen. Nach dem Weſtphäliſchen Frieden erkaufte Deftere 
reich für einen Jahresgehalt von 5000 fl. das Recht, 
eine Beſatzung auf die Burg legen zu dürfen, über— 
nahm aber die Verbindlichkeit, dieſelbe im baulichen 
Stande zu erhalten, auch blieb der Graf von Zollern 
oberſter Befehlshaber. Vergeblich bemühte ſich im Jahr 
1668 der große Churfürſt v. Preußen, das Beſatzungs⸗ 


309 


recht auf Hohenzollern zu erhalten; die Oeſterreicher 
blieben in ihrem Rechte. In den 1740ger Jahren, 
im bairiſchen Kriege, ſtreckte die auf Zollern liegende 
Beſatzung vor einem franzöſiſchen Belagerungs-Corps 
die Waffen. Erſt im Jahr 1798 wurde dieſes Deffe 
nungsrecht von den Oeſterreichern aufgegeben, wodurch 
dem Fürſten von Zollern die ſchöne Rente entging. 
Wie es am Schluſſe des 18. Jahrhunderts mit dem 
Bau der Veſte ſtand, beſchreibt uns der alte ſchon ge— 
nannte Meiſter Sepp, im Anhang zum Büchlein von 
Graf Fritz dem Oettinger, wenn er vom Jahr 1788 
ſagt: „Da ritt ich manchmal gen Hohenzollern, und 
erfreute mein Herz an der ſtattlichen und wehrhaften 
alten Burg und dankte innerlich dem Neffen des edlen 
Oettingers, daß er ſie in allen ihren Theilen ſo herr— 
lich wieder erbaut hat.“ Aber in den Waffenſaal 
müſſen ſchon damals Plünderer oder große Liebhaber 
der Alterthümer gekommen ſeyn, denn an der Rüſtung 
des Grafen Joſt Niklas fehlte der linke Handſchuh — 
der andere, ſo berichtet Meiſter Sepp, gerieth in 
beſſere Hände. — Nach jener Zeit — ſo fährt der 
Berichterſtatter fort — als ich ſie wieder ſah, fiel ſie 
ganz zuſammen und blieb ſo in Schutt und Graus 
liegen, bis in neuerer Zeit Fürſt Hermann Otto von 
Hohenzollern es unternahm, mit Hülfe des jüngeren 
Stammes von Preußen und des von Sigmaringen, 
ſie wieder aufzubauen. — Das war wohl um jene 
Zeit, da Preußens edler Friedrich Wilhelm im Jahr 
1819 auf einer Pilgerfahrt in das Land ſeiner Vaͤter, 
® 


310 


das ehrwürdige Stammhaus in fo troftlorem Zuftand 
ſah. Nicht lange darnach, im Jahr 1823 — alſo 
gerade 400 Jahr nach der Zerſtörung der alten Burg 
— wurde Anſtalt getroffen, dem weiteren Umſichgreifen 
des Ruins vorzubeugen, aber die Vorkehrungen waren 
ſo ungenügend, daß ſeit dem die Burg immer weiter 
der Zerſtörung verfiel. Der frühere, auf den Grundmauern 
des alten Wartthurms erbaute Thurm, ſtammte aus jener 
Zeit. Erſt nach dem verhängnißvollen J. 1848 wurde 
ein freundlicher Loos der Hohenzoller Burg zu Theil. 
Burg und Land fiel an das fo innig verwandte Koͤnigs— 
haus. Der edle Monarch kehrte wieder auf der Burg 
der Väter ein, und empfing nach alter Sitte von feinen 
Vaſallen die Lehenshuldigung. Seitdem legte er von 
Neuem die Hand ans Werk, und ließ die Stammburg 
wieder aus ihren Trümmern zu neuer Herrlichkeit ers 
ſtehen, daß man jetzt mit Recht ſingen mag: 

Hohenzoller, du wehrlich Haus, 

Wie ſtolz ſchauſt du überaus; 

Allum und um im Schwabenland, 

Biſt du ob allen Burgen bekannt. 


Die Chronikenſage von Graf Friedrich 
von Zollern. 


Es hat vor vielen Jahren ein Graf von Zollern 
gelebt, genannt Graf Friedrich, ſein Weib hat geheißen 
Udelhild, eine gottesfürchtige Frau, die nach ihrem 
Abſterben von vielen Leuten für heilig iſt geachtet 


311 


£ 
worden. Wer ſie von Geſchlecht geweſen, iſt wegen 
Länge der Zeit vergeſſen. Dieſer Grafe, nachdem er 
etliche Kinder von ſeinem Gemahl bekommen, die er 
mehrtheils hin und wieder an der Fürſten Höf, und 
einstheils zu ſeinen nächſten Freunden und Verwand— 
ten zu erziehen verſchickt, da nahm er ihm für, in die 
Heidenſchaft zu reiſen, und weit entlegene Länder zu 
erkundigen. Derhalben empfahl er ſeinem Gemahl die 
Grafſchaft und was er hatte, ſchied ab von ihr und 
ſeinen Unterthanen mit wenig Dienern, kam über Meer; 
da iſt er etliche nit wenig Jahr in der Heidenſchaft 
umher gezogen, bis ihm zu Letztem feine Diener und 
Pferd abgangen, und er alſo unerkannt in großer 
Armuth und Mangel leben müſſen. Wie er nun in 
feinen größten Noͤthen geweßt, auch nit wohinaus 
noch wohinan gewußt, da iſt ein Geſpenſt zu ihm 
kommen, das hat ihn in mancherlei Weiſe verſucht, 
wie dann der Tauſendliſtig nit ruhen oder feiren kann, 
ſondern, von ſeiner boshaftigen Art und Eigenſchaft, 
wo er Angſt und Leid oder Unmuth weiß, ſich ein— 
miſcht und zuſchlägt. Noch gab der Allmächtige dem 
großmüthigen Grafen ſo viel Verſtand und Gnad, daß 
er dem Feind in ſeinen Anfechtungen, darin er ihn von 
Gott abzuführen ſich unterſtand, widerſtehen konnte. 
Letztlich brachte ihm der bös Feind ein Roß mit dem 
Bericht, daß ihn ſolches an alle Ort und Ende, dahin 
ihn gelüſtet, ohne alle Gefahr ſeiner Seel und des 
Leibs in einer Geſchwinde tragen würde (mocht ſich 
ſchier des Pacolets Roß vergleichen), jedoch, wenn 
® 


312 


er Abends oder ſonſt unter Tags abſtände, fo ſollt er 
das gegen Niedergang der Sonnen abzaumen und ab— 
ſattlen, ſo würde er das für und für ſein Leben lang 
haben, ja auch die ganze Welt damit durchreiſen kön⸗ 
nen, wo er aber Solches einmal überſehen, würde er 
ſein Roß ewiglichen verloren haben — damit wollt 
er ihn gewarnt haben. Was nun der Graf dagegen 
hat müſſen dem Geſpenſt verheißen oder leiſten, wie 
einſt in ſolchen Fällen gebräuchlich, das iſt unbewußt 
und Länge halber der Zeit in Vergeß kommen. Hie— 
mit iſt aber der bös Geiſt von ihm abgeſchieden und 
hat ihn verlaſſen. Alſo iſt der Grafe noch etliche Jahr 
einen weiten Weg mit dieſem Roß gereiſt, jedoch hat 
ihn letztlich angefochten, demnach er viel Jahr aus 
geweſen, wiederum zu ſeinem Weib und Kindern ſich 
zu verfügen. Hiezwiſchen aber hat man ihn wegen 
ſeines langen Ausbleibens, und daß man weder Staub 
noch Flug von ihm vernommen, gar verſchätzet gehabt. 
Sein Gemahl, die Gräfin, hat die Landſchaft weislich 
und wohl regiert, ſo ſind auch mittler Zeit die jungen 
Herren und Fraͤulein erwachſen, die ſind eins Theils 
ausgeſteuert worden, und hat ſich ſeiner Niemand mehr 
verſehen gehabt. Indeß hat das wunderbarlich Roß 
den Grafen einen weiten Weg getragen, daß er mit 
großem Verlangen ſeine Grafſchaft erreicht; da hat er, 
daß ſein Weib und Kinder noch im Leben und alle 
Sachen wohl ſtanden, heimlichen, ſeitmals er bei 
Männiglichen unerkannt, erfahren, darauf eine Botſchaft 
ſeiner Hausfrau auf Zollern gethan. Wie derſelbigen 


313 


das Botenbrod zukommen, ift die gut Frau eilends 
ihrem Herrn, den ſie in vielen Jahren nie geſehen, 
ſammt etlichen ihrer beider Söhnen und Töchtern für 
das Schloß an Berg herab entgegen gangen, und 
haben ihn mit großen Freuden empfangen. Der Graf 
iſt auch von ſeinem Roſſe abgeſtanden, und hat ſein 
Weib und Kinder jeglichen angeſprochen, iſt mit ihnen 
hinauf ins Schloß gangen. In dieſen Freuden aber 
hat der Graf ſeines Roſſes weiters nit wahrgenommen, 
oder auch befohlen, wie man das abzäumen und ab— 
ſatteln ſolle, ſondern die Diener habens hinaufgeführt 
ins Schloß, ſie ſind aber nit recht mit ihm umgangen, 
derhalben ſo iſt das Roß Angeſichts der Diener ver— 
ſchwunden, daß ſie nit gewißt, wohin es kommen, 
derhalben ſie eilends zum Grafen ihrem Herrn gangen, 
und ihm zu Wunder angezeigt, was ihnen mit dem 
Roß begegnet. Gleich hat er vermerkt, daß er ſelbs 
hieran ſchuldig, und daß die Diener außer Unwiſſen— 
heit das Roß verwahrloſet, und wiewohl ihm das in 
ſeinem Herzen eine große Beſchwerd, jedoch, ſeitmals 
ihm der Allmächtig alſo mit allen Gnaden heimgeholfen, 
und der Verluſt des abenteuerlichen Roſſes nit mocht 
wiederbracht werden, ſchlug er's außerm Sinn, ſo viel 
möglich, und ſprach zu den Dienern: wohlan, wie ich 
ihm gethan, es iſt geſchehen, und ſeye damit Gott er— 
geben. Darbei iſt es alſo blieben, daß die Diener von 
ihm wieder abgeſchieden, und er kein bös Wort dazu 
geredet. In wenig Stunden hernach, noch deſſelbigen 
Tags, da ſind drei fchöner Jungfrauen in Weißem 
e 


314 


angethan, an das Thor auf Zollern kommen, und fie 
von denen Wächtern: was ihr Begehren, und zu wem 
fie wöllen? gerechtfertiget, haben fie für den Grafen 
perſönlichen begehrt. Wie das dem Grafen fürgebracht 
worden, hat er befohlen, ſie unverzüglich ein- und vor⸗ 
zulaſſen. Als das geſchehen, haben fe vor ihm ſich 
geneigt, und hat die eine unter ihnen bekannt: ſie 
ſeien Geiſter, die ſeien verflucht, und in Gewalt des 
böſen Feinds geweſen, und durch die Wirkung deſſel— 
bigen haben ſie drei ihn den Grafen viel Zeit und 
einen weiten Weg in der Geſtalt des Roſſes getragen, 
und dieweil er aber um den Verluſt des Roſſes nit 
ungeduldig geweſt, ſondern Alles Gott ergeben, ſo 
ſeien ſie jetztmals aus der teufeliſchen Gewalt erledigt, 
und all ihr Marter und Pein abgeſtellt, auch ſie ſtetig 
und ewiglichen behalten, da ſie ſonſt bis an den jüng⸗ 
ſten Tage hätten müſſen von den hölliſchen Geiſtern 
geplagt ſeyn. Derhalben ſie ihm fleißig gedankt mit 
dem Vermelden, daß ſie den Allmächtigen ewiglichen 
für ihn und die Seinen getreulich bitten wollen; und 
damit ſind ſie verſchwunden. Dieſer Graf Friedrich 
iſt auf ein groß Alter kommen, und nach ſeiner Reiſe 
daheim blieben, hat noch etliche Jahr in gutem Frieden 
gelebt. Er ſoll zu Stetten im Kloſter begraben ſeyn. 
Sein Gemahl hat ihn überlebt, die liegt auch in Stetten. 
Solch Frauenkloſter haben dieſer Graf und ſein Gemahl 
die Gräfin bei wenig Jahren zuvor geſtiftet, nemlich 
anno domini 1259; ſoll vorhin ein Johanniterhaus 


315 


geweſen ſeyn, welches aber in den . Kriegen 
zerſtört und in Abgang kommen. 


Der Graf von Zollern und die Wirtem⸗ 
bergerin. 


Zur Zeit Graf Eberhards von Wirtemberg lebte 
auch ein junger Graf von Zollern, der Friedrich ge— 
heißen hat, und in Krieg und Frieden, in Schimpf 
und Ernſt ein braver, geachteter Edelmann war. Jahre 
hindurch hatte er ſich als einen treuen Freund des 
Grafen Eberhard von Wirtemberg bewieſen, und 
war dieſem beigeſtanden in vielen Faͤhrlichkeiten uͤnd 
Nöthen. Der Wirtemberger ließ dieſen treuen Freun— 
desdienſten auch gebührende Anerkennung zu Theil 
werden, und Friedrich ſtand wohl ſeinem Herzen am 
nächſten; ſogar ſchien er dem von Zollern oft mehr zu 
vertrauen, als ſeinem eigenen Ehegemahl. Dieſer be— 
ſondere Vorzug nun, den der Graf dem von Zollern 
zu Theil werden ließ, verdroß die übrigen Fürſtendiener, 
und befonders auch die geſtrenge Frau Gräfin, Eber— 
hards Weib, gar gewaltig. Während aber Frie— 
drichs übrige Neider ſich damit begnügten, den edeln 
Ritter zu beneiden und ihn zu verfluchen, hegte die 
Gräfin ein glühendes Rachegefühl gegen ihn in der 
Bruſt, und wartete nur auf eine günſtige Gelegenheit, 
ihren Haß gegen den unſchuldigen Friedrich zu be— 
friedigen. So lange nun ihr fuͤrſtlicher Gatte lebte, 
wollte es ihr nicht gelingen, ihren Plan auszuführen, 

® 


316 


aber er ſtarb plötzlich eines unerwarteten Todes, und 
nun wollte ſie den verhaßten Grafen Zollern fühlen 
laſſen, daß nun ſie Herr im Lande ſey. 

Friedrich war an dem Todbette feines geliebten 
Freundes geſtanden, und hatte ihm, während eine ſchöne 
Thrane feine männliche Wange benetzte, die Augen 
zugedrückt. Als er nun aber der Leiche ſeines Freundes 
die letzte Liebespflicht erwieſen und ſie zur Ahnengruft 
begleitet hatte, befahl er, in das gräfliche Schloß zu— 
rückgekehrt, ſeinen Knappen, ſogleich die Roſſe vorzu— 
führen, damit er auf Hohenzollern zurückkehre, indem 
er es nicht mit ſeiner Ehre verträglich hielte, einem 
ſchwachen Weibe, das jetzt im Lande gebiete, zu ge— 
horchen. Sein Befehl wurde vollzogen, und ſchon 
wollte der Graf mit den Seinen ſich zu Pferde ſetzen, 
als der verwittibten Gräfin Kämmerer aus dem Schloſſe 
trat, und ihm ankündigte, er ſolle ſogleich vor der 
gnädigen Frau erſcheinen, um gewiſſe Befehle zu em⸗ 
pfangen. 5 

„Was,“ rief der ſtattliche Jüngling, nachdem er des 
Kämmerers Auftrag vernommen; „glaubt ihr denn, 
ich werde dieſem Befehle Folge leiſten? Mein edler 
Freund und Gönner, Herr Eberhard, liegt im kühlen 
Schooß der Erde, und nun glaubt das ſtolze Weib 
wohl, ich, ein freier Edelmann, werde mir von ihr 
Befehle vorſchreiben laſſen. Ich weiß nur zu gut, 
welche Ränke ſie gegen mich angeſponnen; ich haſſe ſie, 
ich biete ihr Trotz.“ 

„Bedenkt, edler Herr!“ warnte der Kämmerer. 


317 


„Was bedenken,“ rief der Ritter, „ich fürchte mich 
vor keinem Weibe. Sagt ihr,“ ſetzte er noch hinzu, 
indem er ſich in den Sattel ſchwang, „ſagt ihr, Frie— 
drich von Zollern werde nie einem Weibe gehorchen!“ 

Der Kämmerer ging. Friedrich aber ritt mit ſei— 
nem Häuflein ſtolz durch Stuttgarts Gaſſen und lang— 
ſam zum Thore hinaus, um zu zeigen, wie wenig er 
ſich vor den Folgen feiner kühnen Aeußerungen fürchte. 
Er pfiff ein freudiges Reiterſtücklein vor ſich hin, und 
kam nach einem ſcharfen Ritte in fröhlicher Stimmung 
auf feiner ſchönen Stammburg, die noch in unſern 
Tagen ihr Haupt ſtolz in die Wolken erhebt, an. 

Ein paar Tage waren vergangen, und der Burgherr 
ſaß gerade bei einem Humpen trefflichen Weines im 
hohen Ahnenſaale, da meldete man ihm einen wirtember— 
giſchen Reiſigen, der ein Schreiben an ihn zu beſtellen 
habe. „Hm,“ dachte der junge Mann, „ein Liebes— 
brief iſt es gewiß nicht; doch wir wollen ſehen, was 
mir die Wirtembergerin wohl ſchreiben mag.“ 

Mit dieſem Gedanken ließ er den Boten herein— 
kommen, welcher ihm mit einer ſtummen Verbeugung 
ein klein Brieflein überreichte. “Der Graf ließ den 
Burgkaplan, vor deſſen Weisheit er viel Achtung hatte, 
herbeirufen, um die Schriftzüge zu entziffern, da er 
ſelbſt es in der Leſekunſt nicht einmal bis zum ABC 
gebracht hatte. Der Pfaffe kam und las dem Grafen 
die Botſchaft vor. Dieſe aber lautete ganz kurz und 
zwar folgendermaßen: 

„Auf dem Schloßplatze unſerer Hofburg in Stutt— 


318 


gart habt Ihr meiner gefpottet, Herr Graf, ſprechend: 
Es wird mich kein Weib verſchlingen! Ich thue nun 
aber Euch hiemit kund und zu wiſſen, daß ich allewege 
Euch, Eure Veſte, Euer Leben und Euer Gut zu ver— 
ſchlingen trachte, ich ein ſchwaches und feiges Weib, 

Henriette, Gräfin von Wirtemberg.“ 


So gegeben zu Stuttgarten in unſerer 
Hofburg am St. Simonstag. 


„Verſchlingen will ſie mich?“ lachte Friedrich, als 
er die Botſchaft vernommen hatte — nun dann muß ſie 
allerdings eine ſtarke Eßluſt haben. „Doch Freund,“ 
fuhr er fort, indem er ſich zu dem Boten wandte, 
„trinke hier einen Becher Rheinwein, und dann kehre 
zu deiner Gebieterin zurück, vermeldend: So lange noch 
Friedrich von Zollern lebe, werde er nie einem 
Weibe dienen, und er habe noch einmal vor deinen 
Ohren wiederholt, daß er nicht fürchte, von ihr ver— 
ſchlungen zu werden.“ 

Der Bote verließ die Burg und Friedrich ſetzte ſich 
wieder ganz ruhig zum Humpen, als wäre nichts vor— 
gefallen. Als er aber am andern Morgen in den 
Burghof herunterkam, um feine Befehle wegen Bere 
wahrung der Burg zu geben, begegnete ſein Blick nur 
traurigen Mienen auf den Geſichtern ſeiner Leute. 
„Hei,“ rief er, „warum ſteht ihr denn ſo bleich und 
traurig, als hättet ihr euer Seelenheil dem Teufel ver⸗ 
macht? rührt euch! zu Pferde, wir müſſen heute die 
Burg mit Lebensmitteln verſehen.“ 


319 


„Hm, Herr,“ ſtotterten Einige. 

„Nun was ſoll es?“ fragte der Graf ungeduldig. 
„Wir ſtehen ſo betrübt hier,“ entgegnete ihm ſein alter 
Leibknappe, „weil es wohl zu ſpät ſeyn möchte, jetzt 
Lebensmittel für eine Belagerung aufzutreiben. Denn 
ſteigt nur auf die Warte, edler Herr, ſo werdet Ihr 
Euch ſogleich von der Wahrheit meiner Worte über— 
zeugen.“ 

Der Graf beſtieg, ſich über dieſe Rede gar ſehr ver— 
wundernd, die Warte, und prallte, oben angekommen, 
erſtaunt vor dem Anblicke zurück, der ſich unten am 
Fuße des Schloßberges darbot. Rings um ſeine Veſte 
hatte ſich nämlich bedeutendes Kriegsvolk gelagert, deſſen 
weiße Zelten in der Morgenfonne gleiften. Auf einem 
kleinen Hügel in der Mitte des Lagers flatterte ſtolz 
das Banner von Wirtemberg, und verkündete Frie— 
drichen, daß ſeine grimmige Feindin, die Gräfin von 
Wirtemberg, bereits angefangen, ihre Drohungen aus— 
zuführen. „Bei Lanze und Schwert,“ murmelte der 
Graf vor ſich hin, „ſie hat mir ſchon einen Streich 
geſpielt, indem ſie meine Burg umſchloß, ehe ich daran 
dachte, mich mit Lebensmitteln zu verſehen, und da 
Alles auf eine ernſte Belagerung deutet, ſo muß mir 
dieſes ſehr unangenehm ſeyn.“ 

Während er ſo ſprach, wurde ſeine Aufmerkſamkeit 
durch einen zweiten Kriegerzug erregt, der, über die 
Vorhügel der Alb herunterziehend, ſeiner Burg ſich 
nahte. Die Neuankommenden waren beinahe eben ſo 
ſtark, als die gelagerten Wirtemberger, und Friedrich 


320 


rieth hin und her, wer fie wohl ſeyn möchten. Ehe 
er noch darüber mit ſich einig werden konnte, rief 
ihn ſein Leibknappe in den Ritterſaal hinunter; ein 
fremder Bote kündigte ſich ihm als einen vereideten 
Reitersmann der Stadt Ulm an, und überbrachte dem 
Grafen den Abſagebrief ſeiner Stadt, worin vermeldet 
wurde, daß ein hochlöblicher Magiſtrat von Ulm den 
Grafen von Zollern befehden wolle mit Schwert und 
Feuer, der vielen Unbill wegen, ſo der Graf der freien 
Reichsſtadt ſchon zugefügt. 

Nun wußte alſo Friedrich, weßwegen der zweite 
Heerhaufen vor feine Burg gerückt ſey. Bald vereinig— 
ten ſich die Wirtemberger und Ulmer, um mit allen 
Kräften ſich der Burg des jungen Grafen zu bemäch— 
tigen. Die Gräfin von Wirtemberg, welche ſelbſt im 
Lager ſich befand, ſpornte die Ihrigen und ihre neuen 
Bundesgenoſſen zur unaufhörlichen Thätigkeit an, doch 


nicht unthätiger kämpfte Friedrich den Belagerern ent= 


gegen. Er war überall zugegen, wo Gefahr drohte, 
und ehe die Lebensmittel in der Burg zu mangeln be— 
gannen, konnten ſich die Feinde durchaus keines er— 
rungenen Vortheiles rühmen. Aber jener Fall trat 
nur zu bald ein. Die Veſte war nur auf einige 


Monden mit Mundbedarf verſehen, und als der Graf 


durch kühne Ausfälle ſich einige Male wieder aus ſeinen 
umliegenden Beſitzungen damit verſorgt hatte, verheerte 
der Feind auf Anſtiften der Gräfin ringsum das platte 
Land, daß es dem Belagerten keine Lebensmittel mehr 
darbieten konnte. Alles weithin glich einer Wüfte, 


. . ̃³²— 7— . ⁵˙ R ̃⁰ůnu u — 


321 


und der Graf ſchaute traurig hernieder auf feine ſonſt 
ſo blühenden Thäler, Wälder und Felder. Dennoch 
gab er ſich nicht, und verfolgte ſeine muthige Gegen— 
wehr. Aber Keller und Speiſekammer waren leer, 
und die Burgleute, welche vor Kraftloſigkeit kaum 
noch die Waffen ſchleppen konnten, begehrten, ihr 
Gebieter möchte mit dem Feinde unterhandeln, indem 
in einigen Tagen er und ſie unfehlbar durch ſchmäh— 
lichen Hungertod zu Grunde gehen müßten. Der 
Graf aber wollte nichts vom Unterhandeln hören. Als 
er aber traurig eines Tages auf der Warte ſtand, 
und ſich rings umſchaute, ob wohl gar keine Rettung 
mehr möglich ſey, da konnte er ſich nicht enthalten, 
vor ſich hinzumurmeln: „Verſchlungen hat ſie doch 
mein Gut!“ 

Am andern Morgen unternahmen die Feinde einen 
allgemeinen Sturm, und da die Knappen des Grafen 
ihnen ſowohl an Zahl weit nachſtanden, als auch der 
Hunger ihre Kräfte aufgezehrt hatte, ſo wurden ſie 
Herr der Mauern und Thore. Nur wo Friedrich 
kämpfte, konnten ſie lange nicht obſiegen, bis auch 
ihm endlich die Kräfte ſchwanden, und er aus vielen 
Wunden blutend von einer überlegenen Feindeszahl 
gefangen wurde. 

Welch ein Jubel verbreitete ſich durch die feindlichen 
Haufen, als der Graf gefeſſe t in das Lager der 
Würtembergerin geführt wurde. 2 el Ulmer überließen 
nämlich den Gefangenen der ſtolze en Gräfin, überzeugt, 
daß dieſelbe ſich und ſie ſattſam an ihm rächen würde. 

II. N 21 


322 


Die Gefühle des armen Grafen kann ſich wohl 
Jeder vorſtellen, als er blutend und erſchöpft vor 
ſeine grimmige Feindin geſchleppt wurde. Er mußte 
alle ſeine geiſtigen Kräfte zuſammenraffen, um der 
körperlichen Schwäche nicht die Oberhand zu laſſen, 
und ruhig und mit Würde trat er vor feine Siegerin, 
entſchloſſen, Hohn und Schimpf kaltblütig zu ertragen, 
um durch Schweigen ihr zu zeigen, daß er auch in 
Banden noch eine verächtliche Geſinnung gegen ſie 
hege. Die ſtolze Gräfin trat dem Beſiegten in glänzen— 
dem Schmucke entgegen, und ein Strahl der glühendſten 
Freude leuchtete aus ihren Augen, als ſie den Mann 
gefeſſelt vor ſich ſah, der es gewagt hatte, ihr öffent— 
lich Hohn zu ſprechen. Gegen Friedrichs Erwartung 
aber begnügte ſie ſich, ihn mit haßfunkelnden Augen 
anzublitzen, und kein Wort ging über ihre Lippen. 
Er ſtand trotzig und ungebeugt vor ihr, obgleich der 
Schmerz ſeiner Wunden ihm die Nerven zuſammenzog. 
Endlich lächelte die Gräfin gar argliſtig und höhniſch, 
und wandte ſich von dem Gefangenen weg, einer 
Schaar von Bewaffneten zuwinkend, die ſich hinter 
dem Grafen aufgeſtellt hatte. Die Krieger ſchienen 
den Wink wohl zu verſtehen, denn ſie führten den 
Gefangenen hinweg, und nachdem ſeine Wunden in 
Eile verbunden waren, wurde er auf ein Pferd geſetzt, 
es wurden ihm die Augen verhüllt, die Bewaffneten 
umgaben ihn von allen Seiten, einer nahm ſein Roß 

fort, er wußte nicht wo— 


am Zügel uni g 
hin. Kaum och Zeit, bevor ihm die Augen 


323 


verbunden wurden, einen kurzen Scheideblick nach feiner 
geliebten Stammburg hinaufzuſenden, und als er das 
würtembergiſche Banner auf ihren Zinnen flattern 
Jah, ſeufzte er unwillkührlich, und ſprach in duͤſterem 
Schmerze vor ſich hin: „Verſchlungen hat ſie nun 
mein ſtolzes Schloß.“ 

Der Graf wurde von ſeinen Begleitern ohne Un— 
terbrechung, außer wenn ſie ihm etwa einen Becher 
ſchlechten Weines zur Stärkung reichten, fortgeführt, 
bis die Nacht am Horizont heraufſtieg und mit dun— 
keln Schatten die Erde zu umhüllen begann. Nun 
hielt der Zug auf einer Anhöhe; es wurde dem Grafen 
die Binde von den Augen genommen, er ſah ſich nun 
einem feſten Thurme gegenüber, deſſen ſchwärzliche 
Mauern von den hie und da aus dem Gewölke bre— 
chenden Mondesſtrahlen ſchauerlich erleuchtet wurden. 
Nun verließen aber den Grafen ſeine bisher mühſam 
behaupteten Kräfte. Der lange Ritt hatte ihn zu 
ſehr angeſtrengt, und er ſank halb bewußtlos vom 
Roſſe. Kaum hörte er noch den Anführer ſeiner 
Hüter, welcher mit rauher Stimme zu ihm ſprach: 
„So, hier in dieſem ſtattlichen Thurme ſollt Ihr jetzt 
künftighin wohnen, edler Herr; nehmt Euch aber in 
Acht, Euern Spott nicht gegen die ſpröden Eulen zu 
richten, die Euch freundſchaftlich Geſellſchaft leiſten 
werden; ſie find gar n verſtehen 

1 efehen, wie weit 


Euch höhnende Reden gebe 0 


Als der Graf, der während an. in Be⸗ 


324 


ſinnungsloſigkeit gefallen war, wieder aus feiner Bes 
täubung erwachte, fand er ſich in einem dunkeln, 
niedrigen Gemache; da nur durch ein eng ver— 
wahrtes Fenſterlein eine ſparſame Tageshelle in das 
Gewölbe fiel, und er ſich an Händen und Füßen 
gefeſſelt fand, auch eine unangenehme Feuchte verſpürte, 
und ein leiſes Seufzen neben ſich hörte, das wie 
Unkenruf tönte, ſo konnte er nicht lange ungewiß 
ſeyn, daß er in einem jener ſchrecklichen Kerker ſich 
befinde, in welchen zu damaliger Zeit ſo Mancher 
auf elendigliche Weiſe oft Jahre lang vegetirte, denn 
leben kann man wohl das Fortbeſtehen eines menſch— 
lichen Geſchöpfes in ſolcher Lage nicht nennen. Ein 
Schauder überfröſtelte den kranken Körper des Ge— 
fangenen, und drang mit eiſiger Kälte tief hinein in 
ſeine Seele, als er zur vollen Ueberzeugung ſeines 
entſetzlichen Schickſales gekommen war. Er bezwang 
ſeine Schwäche und erhob ſich von dem ärmlichen 
Strohlager, auf dem er bei ſeinem Erwachen gelegen, 
um durch nähere Unterſuchung ſeines Aufenthaltsortes 
ſich zu überzeugen, daß dieß Alles kein Traum ſey, 
und ob Menſchen ihn wirklich ſo grauſam behandeln 
könnten. Die Unterſuchung aber führte ihn nicht 
weiter, als zu der peinlichen Gewißheit ſeines trauri— 
gen Looſes, und hatten ihm auch ſeine Körperſchwäche 
und die Schmerzen ſeiner Wunden erlaubt, eine Zeit 

Stel zu bleiben, ſo duldeten dieſes 
die ſchweren 15 cht, welche ſeine ermatteten 
Glieder wieder auf das elende Lager niederzogen. Ein 


“rt * 


325 


Heer düſterer Gedanken umfluthete nun Friedrichs 
Seele, und gewiß ein minder kräftiges Gemüth hätte 
dieſe ſchweren Schickſalsproben nicht ausgehalten, ſon— 
dern wäre untergegangen in Nacht und Wahnſinn. 
Er, immer gewöhnt, ſich keine Freiheit zu verſagen, 
ſollte hier, umfangen von Kerker und Feſſeln, ſeine 
Tage hinſchleppen. Nimmer war es ihm vergönnt, 
an der Spitze ſeiner braven Vaſallen, auf muthigem 
Hoffe zur männerregenden Feldſchlacht zu ziehen. Hier 
ſollte er liegen und vermodern in Unthätigkeit, in 
Körper⸗ und Seelenleiden. Er bekam kein menſch— 
liches Weſen zu ſehen in ſeiner ſchaurigen Einſamkeit. 
Durch eine kleine eiſerne Fallthüre, die oben in dem 
Gewölbe angebracht war, wurde ihm täglich ſeine 
ſpärliche Koſt, ſchlechtes Brod und Waſſer, an einem 
Seile herniedergelaſſen. Seine einzige Geſellſchaft war 
der Sturmwind, der Nachts um ſeinen Kerker heulte, 
und eine Eule, die außerhalb des Fenſterleins ſeiner 
Zelle ihre Wohnung aufgeſchlagen hatte, und durch 
ihre nächtlichen Klagetöne gleichſam des Gefangenen 
Seelenſchmerz äußerte. Anfangs hatte der Graf noch 
eine Hoffnung in ſich erhalten, daß ſeine Feindin ſeine 
Gefangenſchaft nicht allzulange würde dauern laſſen, 
aber in dieſer Hoffnung betrog er ſich ſehr. Die 
Gräfin hatte beſchloſſen in ihrem Grimme, nicht eher 
ſollte der Gefangene das Tageslicht wieder ſchauen, 
als bis ſie hinabgeſunken wär Br in die Gruft. Und 
als nun der Gefangene jede Hoffnung, ſeine Freiheit 
wieder zu erlangen, ſchwinden ließ, fand er einigen 


326 


Troſt darin, feiner Feindin keine Wohlthat verdanken 
zu müſſen. Wenn er an jenes höhniſche Lächeln dachte, 
womit ſie ihn zur ewigen Gefangenſchaft verurtheilt 
hatte, ſo glaubte er eine Art von Beruhigung darin 
zu finden, ſich niemals vor dieſem Weibe gebeugt zu 
haben, und auch ferner keine Wohlthaten von ihr 
empfangen zu müffen. Er ſtärkte ſtch mit edlem 
Gleichmuth und lebendigem Vertrauen auf den Ewigen, 
der auch durch Kerkernacht ſeine milden Hoffnungs— 
ſtrahlen auf das Haupt des duldenden Unglücklichen 
fallen laſſen kann. 

So verbrachte er in ſeinem Kerker lange Jahre. 
Da raſſelte eines Tages die Eifenthüre und herein 
traten zwei Geſtalten, die den Grafen raſch entfeſſelten 
und ihn hinaufleiteten aus dem Reich der Finſterniß 
in's reine, volle Tageslicht. Geblendet ſchlug Frie— 
drich die Augen nieder. Ihm war, als tauche er aus 
einem düſtern Labyrinth voll Finſterniß und Graus 
empor in eine höhere, ſchönere 3 Endlich ver— 
mochte er allmählig hinauszublicken in das Reich des 
Lichtes und Friſche. Da lagen ſie vor ihm die Auen 
und Wälder, ſo grün, ſo blühend, wie ehemals, und 
er war geworden ſo alt. In wenigen Jahren hatte 
ſich ſein jugendliches Geſicht in tiefe Falten gelegt, 
ſein Haar war grau geworden, und ein langer, weißer 
Bart floß ihm bis zur Hüfte hinab. 

Aus den Gedanken, in welchen ihn die Empfindungen 
zwiſchen einſt und jetzt verſenkten, weckte ihn eine be⸗ 
kannte Stimme. Er ſah ſich um, und ſiehe da, ſein 


327 


alter Leibknappe kniete vor ihm und blickte mit thrä— 
nendem Blick zu dem geliebten Herrn auf. Dieſer 
aber, verſtehend des treuen Dieners Zähre, hob ihn 
auf, und ſprach wehmuͤthig lächelnd: „Verſchlungen 
hat ſie mein Leben.“ — Dann fragte er, wie er 
hieher komme? 

»O Herr,“ erwiederte der alte Knappe, „das grimme 
Weib iſt endlich todt, und Ihr ſeyd frei. Eure Burg 
gehört wieder Euch und ich habe Eure getreuen Va— 
ſallen hieher geführt, um Euch im Triumphe auf 
Euer Stammſchloß zu geleiten.“ 

Während der alte Knappe ſo ſprach, war ein reiſiger 
Zug in gleißenden Harniſchen, das Banner der Grafen 
von Hohenzollern in ſeiner Mitte, vor dem Gefäng— 
nißthurme aufgeritten. Zwei Edelknaben führten dem 
Grafen ein auserleſenes Schlachtroß vor. Zwei andere 
kleideten ihren wiederbefreiten Gebieter mit ritterlichem 
Gewande. Einen dankenden Blick warf der Graf gen 
Himmel, als er wieder ſeine treue Wehr umgürtete; 
dann ſchwang er ch auf's Roß, und ſprach ernſt 
und feierlich: „Verſchlungen hat jenes Weib, wie ſie 
gedroht, mein Gut, mein Schloß, mein Leben; aber 
ſie hat mir mich ſelbſt, meine beſſere Kraft nicht ent— 
reißen können, und ich fühle jetzt wieder eine Lohe 
des alten Muthes meine Adern durchglühen. Aber 
auf Hohenzollern kehre ich nicht wieder zurück. Dif 
Bilder meiner Ahnen würden daſelbſt mit Zorn aue 
mich herabblicken, der ich nicht im Stande war, ihre 
Gruft und das Haus, welches ſie ihren Enkeln erbaut, 

® 


328 


vor feindlicher Entehrung zu ſchützen. Wer mir folgen 
will, der nehme Schwert und Schild, ich ziehe nach 
Paläſtina in Gottes Fehde, einer heiligen Sache will 
ich fortan meine noch übrige Kraft weihen!“ So 
ſprach der Graf, und ſeine getreuen Vaſallen ſchlugen 
klirrend die Waffen zuſammen, rufend: er möge ſie 
führen, wohin er wolle, ſie würden nie zurückbleiben. 

Ohne weitere Fährlichkeiten gelangte Friedrich mit 
den Seinigen nach Paläſtina, und die alte Kraft 
ſchien ihn wieder zu beleben, als er das heilige Land 
betrat. In allen Schlachten gegen die Unglaubigen 
wehte ſein Banner in den vorderſten Reihen der Käm— 
pfenden, und wo Gefahr war, da war gewiß der Graf 
von Zollern und ſein alter Leibknappe zu finden. 
Beim Sturme auf Jeruſalem waren die beiden unter 
den Erſten auf den Mauern; und als die Stadt ganz 
in der Gewalt ſich befand, wallfahrtete der Graf de— 
müthig zum Grabe des Heilandes. Dort verrichtete 
er inbrünſtig ſein Gebet, und dankte Gott für die 
Gnade, ihn aus dem Kerker befreit, und ihm vergönnt 
zu haben, hier ſeinen Dank in Demuth darzubringen. 
Als er aber ſich von den Knieen erhoben hatte, über— 
zog Todesbleiche ſein Antlitz, und er ſank dem treuen 
Leibknappen in die Arme. Seine Augen wurden ſtarr, 
ſein Blut ſtand ſtill, und kaum konnte er noch, ehe 
der Tod ihm an's Herz trat, mit bleichem Munde 
leiſe murmeln: „Verſchlungen hat ſie nun auch mich!“ 


329 


IX. 


Arnegg und Niedegg 
im Blauthal. 


Faſt in der Mitte zwiſchen dem Urſprung der Blau, 
dem Blautopf bei Blaubeuren und der Stadt Ulm, 
liegt auf der rechten Seite der Blau das Pfarrdorf 
Arnegg, und über demſelben auf einer Anhöhe Burg 
Arnegg, der Sitz einer ehemaligen Herrſchaft dieſes 
Namens. Sie war früher von bedeutendem Umfang, 
mit mehreren Nebengebäuden verſehen, und mit einer 
großen Ringmauer eingefaßt. Von der ganzen Burg 
iſt nichts mehr übrig, als ein bürgerliches Wohnhaus, 
welches freilich keinem Schloſſe mehr gleich ſieht. 

In alten Zeiten ſchrieben ſich eigene Edelleute von 
Arnegg, aber fie müſſen ſchon frühe ausgeſtorben ſeyn. 
Schon in der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts 
war die Burg und Herrſchaft in anderen Händen, 
denn im Jahr 1338 kaufte Graf Ulrich von Wirtem— 
berg von Conrad Sefler die halbe Burg und halbe 
Herrſchaft um 1850 Pfund Heller; die andere Hälfte 
kam ſpäter an die Grafen von Wirtemberg und zwar 
von Hans von Stein, der ſie von Ulrich Sefler, ei— 
nem Bruder des genannten Conrads, erworben hatte. 
Im Jahr 1470 verkauften die Grafen Ulrich V. und 
ſein Sohn Eberhard „Arneck das Burgſtall und das 

* 


330 


Dorf darunter, und die Mühle in demſelben u. ſ. w.“ 
an Wilhelm von Stadion, an den die Herrſchaft be: 
reits verpfändet war, um 6300 fl. Demnach muß 
die Burg ſchon vor 1470 von den Ulmern zerſtört 
geweſen ſeyn, da fie in der Urkunde ein Burgſtall 
heißt. Bei der Familie von Stadion blieb Burg und 
Herrſchaft ununterbrochen. Nur im Jahr 1657 hatte 
Eitel Ludwig von Stadion mit einem gewiſſen Ni⸗ 
cola de Heures um den Beſitz zu ſtreiten. Derſelbe 
nannte ſich Obriſtlieutenant und Herr auf Arnegg, 
und hatte ſich wohl in den Wirren des dreißigjährigen 
Krieges eigenmächtig in die Herrſchaft immitirt. Im 
Jahr 1700 verkaufte Johann Philipp von Stadion 
Burgſtall und Herrſchaft Arnegg an den Landeommen— 
thur Deutſchordens zu Altshauſen für 110,000 fl. 
Im Jahr 1704 wurde Arnegg von Herzog Eberhard 
von Wirtemberg nur auf kurze Zeit beſetzt. Im Jahr 
1806 kam die Herrſchaft mit Altshauſen an Wirtem— 
berg. Schon vor der Beſitznahme durch Wirtemberg 
war ein Theil des Schloſſes abgebrochen worden, der 
andere Theil wurde im Jahr 1808 verkauft und mit 
Ausnahme des gedachten Wohnhauſes vollends abge— 
tragen. | 

Hinter Arnegg ſtand in alten Zeiten auf einem 
hohen Felſen die Burg Niedegg. Es muß eine 
geräumige und feſte Burg geweſen ſeyn, als ſie im 
Jahr 1480 von den Ulmern zerſtört wurde. Zur 
Sühne für die Zerſtörung ſollten die * 
den Ruinen der Burg dem heil. Nicolaus eine Kapelle 


* 


331 


erbauen und eine ewige Meſſe ſtiften. Ob fie es. 
gethan haben, iſt nicht weiter geſagt. Im Jahr 1826 
ſtanden noch bedeutende Steinwände und Mauern von 
der Burg Niedegg, ſeit neuerer Zeit ſind die Ruinen 
immer geringer geworden. 

Die Burgen Arnegg und Niedegg gehörten einſt 
einem und eben demſelben Beſitzer. Einer der letzteren 
Herren ſoll ſie unter ſeine beiden Söhne vertheilt 
haben. Vom Haß dieſer Brüder hat'ſich eine traurige 
Sage erhalten. 


Der Geiſt des Junkers auf Niedegg. 


Lange lebten die beiden Brüder im Frieden neben 
einander, Diether auf Arnegg, Hugo auf Niedegg. 
Da entdeckte eines Tages ein Mönch aus dem Kloſter 
Blaubeuren dem Ritter auf Arnegg, daß ſein Bruder 
nicht der rechtmäßige Sohn des verſtorbenen Vaters 
geweſen, ſondern die Frucht heimlicher und fündlicher 
Liebe, die ein Kloſterbruder aus Blaubeuren zu dem 
Eheweib des alten Herrn von Arnegg gefaßt, wie 
dieſe ihm auf dem Todtenbette gebeichtet. Im hefti— 
gen Ungeſtümm fuhr bei dieſer Kunde Diether auf. 
Nimmer länger wollte er mit einem Baſtard des 
Vaters Guter theilen. Er verſammelte alle feine 
Knechte und verband ſich mit einem benachbarten 
Freunde, um ſeinen Stiefbruder aus ſeinem Erbe zu 
verjagen. Aber dieſer wehrte ſich männlich, und ob 
er zwar der Hebermacht weichen mußte und das Meiſte 


ee 


332 


an feinen Gütern und Forſten verlor, fo behauptete 
er doch fein feftes Adlerneſt und was im Bereich 
ſeiner Armbruſt rings herum lag. Es mochte ein 
Jährlein ſeit dieſem Bruderzwiſt abgelaufen ſeyn, da 
feierte Diether auf ſeines Schloſſes Altane an einem 
warmen Herbſtabend, mit einer großen Anzahl Gäſte, 
die Vermählung ſeiner Tochter Ida mit einem Edlen 
von Spät. Luſtig ſchmetterte der Trompetenſchall 
herüber über DA enge Thal und brach ſich an den 
Mauern der Burg Niedegg, und weithin ſchallte der 
fröhliche Geſang der Gäſte, welchen die ſchöne Braut 
den Wein kredenzte. Bei dieſem Anblick ſchwoll Hugo 
die Zornesader auf der Stirne, und wild ſchritt er 
in ſeinem Gemache auf und ab. Endlich rief er in 
höchſter Wuth: ha! dieſer Jubel, der vom Söller und 
von der Altane mir wie zum Spott herüber klingt — bei 
allen Heiligen! er ſoll zur Stunde ſich in Trauer 
verwandeln. Damit griff er zu ſeiner Armbruſt und 
eilte auf die Spitze ſeines Thurmes. Kaum vermochte 
er die Wehre zu ſpannen, als er ſich gegenüber die 
Feſtlichkeiten überblicken konnte — aber er nahm alle 
Kraft zuſammen, und ſein ſtilles Auge ſuchte ſich ein 
Opfer für ſeinen Todesbolzen aus. 

Dort ſtund ſie die ſchöne Ida mit ihren blonden 
Locken und dem madonnengleichen Antlitz, in einem 
weißen Gewande, das ſich anmuthig um ihre Glieder 
ſchloß. Ein blauſammtnes Mieder hielt ihre Bruſt 
umſpannt, über welches ſich ein breiter Spitzenkragen 
herauslegte. Sie hatte ſich eben von ihrem Sitze 


333 


neben ihrem Bräutigam und Vater erhoben, um mit 
den nebenanſitzenden Gäſten ein freundliches Wort zu 
reden, und bot dem rachedürſtenden Junker auf Niedegg, 
der hinter den Zinnen ſeines Thurmes hinüberſpähte, 
ihre ganze Geſtalt dar. Da ſtand fie — und jen— 
ſeits der Geiſt der Rache, der keinen Augenblick zögerte, 
ſein teufliſches Werk auszuführen, ja von der Schön— 
heit der Braut nur noch mehr hingeriſſen wurde, 
ſeinem Bruder die Pein der Hölle zu bereiten. Wie 
ein Jäger auf der Bürſche, wenn ihm ein edles Wild 
anläuft, fuhr er mit der Armbruſt an den Backen, 
zielte auf die Bruſt ſeines Opfers — der Bolzen 
ſchwirrte hinüber. Aber nicht die Jungfrau traf der 
Schuß, ſondern Diether ihren Vater, der im nem— 
lichen Augenblicke ſeinen Sitz verlaſſen hatte, und an 
ſeinem Kinde mit einem Pokal in der Hand vorüber 
eilen wollte, um einen neuen Gaſt zu begrüßen. Der 
Pfeil war ihm mitten ins Herz gefahren und mit 
einem lauten Schrei ſank er in die Arme ſeiner Tochter. 
Woher der Schuß gekommen, das war kein Geheim— 
niß, denn frohlockend ſchallte des Junkers Stimme 
herüber: das iſt mein Hochzeitsgruß, geſegne ihn Euch 
die Hölle! | 

So war das Haus der Freude in das Haus der 
Trauer umgewandelt, doch ſollte es nicht unvergolten 
bleiben. Gleich nach der Beſtattung des Ermordeten 
rückte der Gemahl ſeiner Tochter, Ritter Spät, mit 
ſeinen Leuten hinüber und belagerte die Burg des 
Mörders. Nach langem Widerſtand wurde ſie erobert 


334 


aber der, den fie ſuchten, entfloh durch einen unters 
irdiſchen Gang und zog ins Ungarland, woher er 
nimmer zurückkehrte. Aber ſein Geiſt hatte mit dem 
Tode in der Fremde keine Ruhe gefunden. Nach der 
Sage ſoll alle vier Wochen im Neumond auf den 
Trümmern Niedeggs, wo einſt der Wartthurm ſtand, 
eine Geſtalt erſcheinen und mit einer Armbruſt einen 
Schuß thun nach der Veſte Arnegg hinüber. Zuerſt 
hebe ſich die Geſtalt rieſengroß und beuge ſich wie 
über die Zinnen eines Thurmes, dann lege ſie eine 
Armbruſt an. Ein feuriger Pfeil fliege dann über 
das Thal und wenn er erlöſcht, dann wimmere es 
noch eine gute Weile, und zuletzt ſtöhne und ächze es 
ſchwer und die Geſtalt löſe ſich in Luft auf. 


X. 
Die Marienkirche 


zu Reutlingen. 


Die Frauen- oder Marienkirche in der uralten, 
ehemaligen Reichsſtadt Reutlingen, ausgezeichnet vor 
vielen andern durch Gewerbsfleiß, iſt wohl eines der 
wenigen vollendeten altdeutſchen Baudenkmale in un— 
ſerem wirtembergiſchen Vaterlande. Sie iſt im reinſten 
gothiſchen Style, aus gehauenen Quadern, gebaut. 


335 


Der Hauptthurm an der Abendſeite hat eine Höhe 
von 255 Fuß, und zeigt vom Hauptportal an, das 
unter dem Thurm ſich öffnet, die noch unvermiſchten 
Formen des reinſten gothiſchen Styls, bis zu den 
Fenſtern mit halbrunden Bogen und den beiden Kranz— 
geſimſen, die ſich mit ihren feingearbeiteten Thürmchen 
bis an die Engelsfigur hin erſtrecken. Neben dem 
Hauptportal ſind noch zwei Portale von beinahe gleicher 
Größe. Alle drei haben im Thürſturz in der ſpitz 
zulaufenden Krönung ſchönes gothiſches Maaswerk. 
Ueber den drei Thüren hin zieht ſich das erſte Kranz— 
geſims mit ſchöner gothiſcher Füllung. Auf der Oſt— 
ſeite, zu beiden Seiten des ziemlich niederen Chors, 
ſtehen zwei Thürme von einfacher Bauart, die aber 
mit der Bauart des Hauptthurms, wie der einfache 
Chor mit dem Schiff der Kirche im ſchönen Einklang 
ſteht. Auf zwölf Eckpfeilern mit Giebelthürmchen 
ſtehen die kunſtreich gehauenen Statuen der zwölf 
Apoſtel in Lebensgröße. Treten wir in das Innere 
der Kirche, ſo wandeln wir im Schiff derſelben, unter 
einem zierlich geſprengten Gewölbe, welches von 16 
achteckigten ſteinernen Säulen getragen wird. Unſre 
Aufmerkſamkeit richtet ſich vor Allem auf den Tauf— 
ſtein und das ſogenannte h. Grab. Der erſtere iſt 
in gothiſchem Style gearbeitet und bildet ein Achteck. 
Auf ſeinen Feldern befinden ſich ſinnreich componirte 
Basreliefs, welche die Taufe Chriſti durch Johannes 
und die ſieben Sakramente vorſtellen. Das Werk 
ſtammt laut der Inſchrift aus dem Jahr 1499. 


336 


Ebenfalls ein Werk aus dem 15. Jahrhundert, von 
ſeltener Schönheit, ja faſt einzig in ſeiner Art, iſt 
das ſogenannte heil. Grab, in dem nemlichen feinen 
hellgrauen Sandſtein wahrſcheinlich von demſelben 
Meiſter gearbeitet. Es ſollte wohl urſprünglich einen 
ſymmetriſchen Gegenſatz zu dem Taufſtein bilden, 
denn ohne Zweifel ſtand daſſelbe an der linken Seite 
des Chors an der Sakriſtei. Indem man es an den 
Eingang im Seitenſchiff links verſetzte, wo es ſich 
jetzt befindet, brach man eine Hälfte feines pracht⸗ 
vollen Kranzes ab, um darüber hinweg eine Treppe 
auf die Emporkirche zu führen, und auch andere 
Stücke am oberen Theil des Werks, beſonders an den 
Thürmchen, ſind abgebrochen, doch noch großentheils 
erhalten. Die vier oberen Figuren, Daniel, Abakuk, 
Elias und Jakob, die wir über dem Kranze zwiſchen 
fünf Thürmchen wahrnehmen, ſind nur aufgeſetzt, ohne 
architektoniſchen Verband, und ihre urſprüngliche Reihen 
folge iſt ungewiß. Im mittleren Thürmchen ſteht der 
auferſtandene Chriſtus mit der Siegesfahne, über dem 
Chriſtuskopf mit Schweißtuch, das zwei Engel halten 
als Sieger über Leiden und Tod. Hinter dem Grabe, 
über dem ſich der Kranz hinzieht, ſteht der Evangeliſt 
Johannes mit den drei Marien, ausgezeichnete Figu— 
ren von unbeſchreiblicher Anmuth. Unten am leeren 
Grabe, um das ſich ein ſchönes Ornament zieht, er— 
blicken wir im Bruſtbild unter ſchönen gothiſchen 
Bogen die Apoſtel Bartholomäus, Andreas und Mat: 
thäus mit ihren Emblemen. Rechts und links am 


337 


Grabe liegen zwei eben aus dem Schlaf erwachende 
Wächter mit Mützen auf dem Kopfe. Der eine hat 
den Griff ſeines kurzen Schwertes gefaßt, der andere 
hält neben ſeinem Schwerdte eine Waffe, die einen, 
Kolben wie von einer Büchſe hat. An den Seitenpfeilern 
ſcheinen über den Conſolen kleine Figuren zu fehlen, 
wenn nicht vielmehr angenommen werden muß, daß 
hier am Oſtermorgen kleine Lichter brannten. Auch 
auf den vier Eckpfeilern des Kranzes ſind Figuren 
von kleinerem Maaßſtab in der Mitte, wie gegen 
oben, angebracht. Es ſind chriſtliche Heilige und 
Märtyrer, darunter die h. Dorothea, Apollonia, eine 
Heilige mit einer Kerze u. ſ. w. (Treffliche Abbil— 
dungen dieſes heil. Grabes, ſo wie eines Detailbilds 
aus dem Kranze, gezeichnet von Prof. Eberlein, 
finden ſich in den Heften des Wirtemb. Alter— 
thums vereins.) — Noch iſt in der Kirche ein Stück 
von dem Sturmbock aufbewahrt, an den ſich die 
Geſchichte der Erbauung der Marienkirche anknüpft. 
Als im Jahr 1247 Heinrich Raſpe, genannt der Pfaffen— 
könig, weil Pabſt Innocenz IV. ihn gegen den Staufer 
Friedrich II. zum deutſchen König gewählt hatte, die 
ſtaufiſch geſinnte Stadt Reutlingen belagerte und zur 
Uebergabe aufforderte, da antworteten die Abgeſand— 
ten der Reutlinger: „der dem Kaiſer geſchworene Eid 
bleibt uns, trotz päbſtlicher Löſung deſſelben, ein 
heiliger, und wir geloben, der Jungfrau Maria eine 
Kirche zu bauen, wenn wir aus den Händen des 
angeblichen Kenigs befreit werden.“ Die Bürger ließen 
II. 22 


338 


es nicht bei Worten, ſondern fielen mit gewappneter 
Hand heraus, richteten eine große Niederlage an, und 
der Pfaffenkönig wurde gezwungen, die Belagerung 
aufzugeben. Der Sturmbock, den die Feinde ver— 
gebens gegen die Mauer gerichtet hatten, blieb im 
feindlichen Lager zurück, und wurde von den Reut— 
lingern in die Stadt gebracht. Er hatte eine Länge 
von 126 ½ Werkſchuhen. Ein Reutlinger Reim: 
chroniſt, Fizion, der noch im Jahr 1623 lebte und 
ihn geſehen, beſchreibt ihn alſo: 


Ein wunderbarlich ſeltſam Ding, 
Da vornen beſchlagen alſo feſt 
Mit einem Schnabel uf das beſt. 


Er hatte 74 Ringe, mit denen er in Bewegung ge— 
ſetzt werden konnte. Der Sturmbock wurde nunmehr 
das Längen-Maaß der der heil. Jungfrau gelobten 
Kirche, nemlich des Schiffes der Kirche. An der Stelle 
der Kirche ſtand wohl in alten Zeiten eine kleine 
Capelle. Dieſelbe wurde beim Bau der neuen Kirche 
nicht abgebrochen, ſondern iſt dem Haupttheile nach 
geblieben, wie denn noch jetzt in der öſtlichen Ecke der 
Reſt einer Capelle vorhanden iſt, welche in Beziehung 
auf Bauart älter als die Kirche erſcheint; dieſe Reſte 
der alten Capelle wurden in den Bereich der neuen 
Kirche gezogen. Noch im Jahr 1403 iſt von einem 
Catharinenaltar in der alten Triſtkammer (Schatz— 
kammer) neben der Frauenkirche, die zur Aufbewahrung 
der Altergeräthe beſtimmt war, die Rede. Die Kirche 


339 


wurde im Jahr der aufgehobenen Belagerung ange: 
fangen, denn noch vor dem großen Brande im Jahr 
1726 war auf einem uralten ſteinernen Hauſe unter— 
halb der Kirche ein Brod von 11 Zoll Durchmeffet 
in Holz abgebildet, zum Danke gegen Gott, daß zur 
Zeit der Erbauung der Kirche ein ſolches nur einen 
Pfennig gekoſtet. Zugleich war darauf berichtet, daß 
die Kirche im Jahr 1247 begonnen und im Jahr 
1318 vollendet worden. Sie wurde alſo, wie auch 
der ſchon genannte Fizion berichtet, in einem Zeit— 
raum von 70 Jahren ſo weit vollendet, daß ſie dem 
Gebrauch übergeben werden konnte. Das ſchöne Werk 


In 70 Jaren ward vollend 
vnd ufgefieret bis zum End. 


Schon im Jahr 1320 ſtiftete ein gewiſſer M. Sein: 
rich, genannt von Rutelingen, einen Altar in der 
Capelle der heil. Maria zu Rutelingen, zu einer fort— 
dauernden Meſſe und dotirte ihn mit 16 Pfund 
Heller. Bis zum Ausbau der Kirche und ihrer in— 
neren Verzierung mögen dann auch noch 26 Jahre 
verfloſſen ſeyn, und ſo können wir auch eine andere 
Anſicht gelten laſſen, daß 96 Jahre auf den Bau 
der Kirche verwendet worden feyen. Uebrigens muͤſſen 
die Gaben beim Bau der Kirche ſehr reichlich ge— 
floſſen ſeyn, denn es ſoll nach Vollendung des Baus 
noch ſo Viel an Geld übergeblieben ſeyn, daß die 
Marienkirche im nahen Bronnweiler noch davon ge— 


baut werden konnte. — Wie milde und gutthätig waren 
0 ® 


340 


unſere Vorfahren, wenn es darauf ankam, dem Herrn 
ein Haus zu bauen — wie ganz anders in jetziger 
Zeit! Nach alten Berichten, die von Mund zu Mund 
gingen, muß die Ausſtattung der Marienkirche eine 
prächtige geweſen ſeyn. Zwei Orgeln waren in der— 
ſelben angebracht. Ueber der Kanzel war ein höchſt 
kunſtreicher Deckel, und auch über dem Taufſtein be⸗ 
fand ſich ein ähnlicher von feinvergoldeter (wohl ge— 
triebener) Arbeit. Auch andere Alterthümer von hohem 
Werthe gereichten ihr zur Zierde. Auf dem Haupt- 
thurm befanden ſich fünf Glocken, deren größte 90 
Centner wog. Der eine der hinteren Thürme, der 
grüne Thurm genannt, ragte mit ſeiner höchſten Spitze 
bis an den oberen Umlauf des Hauptthurms, der 
andere, genannt der Pfennigthurm, obgleich etwas 
niederer, gab dem andern an Schönheit Nichts nach; 
in beiden hingen noch vier Glocken. — Eine beſondere 
Merkwürdigkeit der Kirche war auch der daſelbſt auf— 
gehängte Sturmbock, welcher als ein ewiges Sieges— 
zeichen in der Gott gelobten Kirche prangen ſollte. 
Er blieb 270 Jahre, bis 1517 in derſelben, an ei— 
nem Platze, welcher der Bocksſtall hieß. Da hatte 
der öfter in Reutlingen einfehrende Kaiſer Maxi⸗ 
milian I, den Bürgern der Stadt gerathen, den 
Sturmbock, der als ein kriegeriſch Werkzeug nicht in 
die Kirche tauge, zu entfernen. Auf dieß wurde der 
Sturmbock aus der Kirche geräumt. Da aber die 
Kirche überall mit Häuſern umzingelt war bis auf 
die Oſtſeite, ſo wurde im Chore ein beſonder Loch 


341 


oben in die Mauer gebrochen, und der Bock in die Pfarr: 
gaſſe hinausgeſchoben. Wo er von nun an aufbewahrt 
wurde, iſt nicht berichtet. Er lag 46 Jahre ander— 
wärts, bis er auf Befehl Kaiſer Ferdinands I. auf den 
Marktplatz gebracht, und über den ſteinernen Bögen 
am Rathhaus aufgehängt wurde, und zwar überzwerch, 
auch um 12 Schuh verkürzt. Eine dabei angebrachte 
Inſchrift in lateiniſcher und deutſcher Sprache lautete 
alſo: „Als da regierte der Durchlauchtigſt, Großmäch— 
tigſt, Unüberwindlichſt Römiſche Kaiſer Ferdinand der 
Erſte, alle Zeit- Mehrer des Reichs, König in Ger— 
manien, Ungarn und Böheim, Infant in Hiſpanien, 
Erzherzog in Oeſterreich, Graf zu Tirol, ließ ein ehr— 
ſamer weiſer Rath und Gemeind zu Reutlingen dieſen 
alten Sturmbock, damit er in der Nachkommenden 
Gedächtniß nicht verfiele, an dieſes neue Rathhaus 
hie öffentlich anhenken im Jahr nach Chriſti Geburt 
1563.“ Im Brandunglück vom Jahr 1726 wurde 
auch dieſer Sturmbock ein Raub der Flammen, und 
nur ein Stück davon wurde gerettet, das ſpäter wie— 
der in die Kirche gebracht wurde, die zur ſelben Zeit 
gleichfalls beinahe vernichtet wurde. Am Abend des 
verhängnißvollen 24. Septembers war auch die Kirche, 
und zwar der Thurm über der Glockenſtube, in einer 
Höhe von 180 Fuß von den Flammen ergriffen, und 
bald fingen die Glocken von ſelbſt ihr eigenes Grab— 
geläute an. Abwärts im Thurm verbreitete ſich ſofort 
das Feuer und brannte ihn ſo aus, daß man vom 
Boden bis oben hinauf ungehindert blicken konnte. 


342 


Alles was brennbar war in der Kirche, mit Aus— 
nahme der Stühle in der Taufkapelle, wurde von den 
Flammen vernichtet; ſogar die ſchönen zierlich ge— 
wundenen und ausgehauenen Pfeiler, welche die Ge— 
wölbe trugen, wurden vom Feuer angefreſſen. Und 
doch iſt der herrliche Bau, wenn auch nach Innen 
verwüſtet, im Aeußern ſo weit erhalten worden, daß 
er von ſeiner altehrwürdigen Phyſtognomie Nichts ver— 
loren hat. Ein halbes Jahr nach dem Brande legte 
man die erſte Hand an die Wiederherſtellung des 
Thurms, den man zuvor wegen ſeiner Baufällig— 
keit hatte wollen mit Kanonenkugeln zuſammenſchießen. 
Ein junger Steinhauer, Namens Rupp aus Schwein: 
furt, unternahm es zuerſt, zur Herſtellung des hart 
beſchädigten Kirchthurms Vorſchläge zu, machen, und 
half fie ausführen. Seitdem iſt durch feinen kundi— 
gen Enkelſohn, Hrn. Bauinſpektor Rupp, Erbauer der 
Burg Lichtenſtein, ſo Viel für Wiederherſtellung der 
ſchönen Marienkirche geſchehen, daß nur noch zu wün— 
ſchen übrig bleibt, es möchten auch die Alterthümer 
der Kirche, vor Allem die heil. Grabkapelle, unter 
ſeiner klugen Leitung reſtaurirt werden. 


Der Sturmbock von Reutlingen und 
die Gründung der Marienkirche. 
Es war ein heißer Vormittag im Sommer des 


Jahres 1247, an welchem die Rathsſitzung in der 
Stadt Reutlingen beendigt war, auf die Kunde, daß 


343 


der Landgraf Raſpo von Thüringen in Nürtingen 
mit ſeinem Heere eingerückt ſey, und vielleicht am 
nächſten Tage vor den Thoren der Stadt erſcheinen 
werde, um ſich als Kaiſer huldigen zu laſſen. Ein 
großer Theil der Rathsherren ſtimmte dafür, den 
Landgrafen als Kaiſer anzuerkennen, und beſonders 
der jüngere Bürgermeiſter, Johann Kalbfell, hatte eine 
lange Rede gehalten, worin er zur Unterwerfung der 
Stadt gerathen. Bedenket, ſprach er, daß die Zeiten 
vorüber ſind, wo Kaiſer Friedrich der Staufer von 
allen Fürſten und dem Pabſt zu Rom als Kaiſer 
hochgeehret ſtand. Schon vor 20 Jahren hatte ihn 
der Pabſt in den Bann gethan und den Kaiſerthron 
für erledigt erklärt, weil derſelbe ſeinen Schwur ge— 
brochen, als Streiter nach dem h. Grab zu ziehen. 
Zwar iſt ihm wieder verziehen worden, aber als er 
dem Pabſt die Inſel Sardinien vorenthielt, auf welche 
der h. Vater Anſpruch machte, da ſchleuderte dieſer 
wieder den dreimaligen ſchrecklichen Kirchenfluch auf 

den Kaiſer, ja er predigte einen allgemeinen Kreuzzug 
gegen ihn, und forderte alle Fürſten und Vaſallen 
auf, die Waffen gegen den alten Beherrſcher zu er— 
greifen. So wurde alſo die kaiſerliche Krone als er— 
ledigtes Gut jedem Fürſten angetragen, der Luſt dazu 
hätte. Aber der Kaiſer fuhr in ſeinem Trotze fort, 
und zog mit einem gewaltigen Kriegsheer nach Italien, 
das von ihm abgefallen, und überzog die reichen, 
ſchönen Städte, die ihm den Gehorſam aufgeſagt, und 
vor Allem wüthete ſein Eidam, der blutgierige Ezzelino, 


344 


der allein in der Stadt Piſa 1200 Bürger grauſam 
tödten ließ. Und nicht nur mit dem Schwerdte ward 
geſtritten, ſondern auch mit der Feder, denn auf die 
Bannflüche des heil. Vaters antwortete der trotzige 
Kaiſer, er lache ihrer, da der Pabſt wohl ſich ausgebe 
für den Statthalter Chriſti, daß er aber im Gegen— 
theil feg ein großer Drache, ein anderer Bile am, 
ein Fürſt der Finſterniß, ja der Antich riſt ſelbſt. 
O welche Trauer ergriff damals alle chriſtlichen Ge— 
müther, als das Oberhaupt des weltlichen Reiches 
alſo das Oberhaupt der Kirche beſchimpfte, in 
dem Kriege alle Prieſter mißhandelte und ſelbſt die 
heiligen Kirchengefäſſe entweihte, aus welchen ſeine 
Kriegsleute mit ihren Buhldirnen ſoffen, ſo daß der 
neun und neunzigjährige h. Vater Gregor ſich darüber 
zu Tode grämte. Doch ſein Nachfolger wich nicht 
zurück vor dem gewaltigen Tyrannen und Feind der 
Kirche Chriſti, deren Beſchützer er ſeyn ſollte. Er 
eilte vor zwei Jahren nach der Stadt Lyon in Frank— 
reich, und hielt hier eine große Verſammlung von 
Biſchöfen und Fürſten und Geſandten aus England 
und Spanien. Viel ward hin und her verhandelt 
auf die Klage des Pabſtes und die Vertheidigung der 
Abgeordneten des Kaiſers, bis die große Kirchenver— 
ſammlung Alles wohl überlegt hatte. Darauf ſprach 
auch ſie, wie früher der Pabſt, den Bann aus wider 
den Kaiſer, und befahl den deutſchen Fürſten, unge— 
ſäumt ein neues Haupt zu wählen. Ueberzeugt, daß 
die Kirchenverſammlung ein gerechtes Urtheil geſprochen, 


345 


fielen. nun viele Fürſten, die bisher noch zu Kaiſer 
Friedrich gehalten, von ihm ab, und manche von ihnen 
nebſt den Biſchöffen des Reiches wählten Heinrich 
Raſpo, Landgraf von Thüringen. Warum nun wollen 
wir nicht achten auf, das Urtheil des Pabſtes und 
der von Gott erleuchteten Kirchenverſammlung? Wir 
ſind dem geächteten Friedrich von Staufen, der ſonſt 
die Krone trug des Reiches, keinen Gehorſam mehr 
ſchuldig. Darum iſt mein Rath und Vorſchlag: laſſet 
uns friedlich verhandeln mit dem neuen Kaiſer und 
ihm unſere Thore öffnen, wie ſchon manche Stadt es 
gethan. Oder fürchtet Ihr die Macht Friedrichs? 
O! der ſteht weit entfernt und ſeine Rache vermag 
uns nicht zu treffen, denn täglich wird ſein Heer 
kleiner und ſeine Anhänger fallen von ihm ab. Der 
Landgraf aber ſtehet in wenigen Stunden vor unſern 
Thoren und wir vermögen nichts Beſſeres zu thun 
zu Nutz und Frommen unſerer Stadt und ihrer kaiſer— 
lichen Freiheiten, als indem wir ihm huldigen als 
unſerem neuen gnädigen Kaiſer! 

Ein zuſtimmendes Gemurmel ließ ſich vernehmen; 
da trat noch einmal der ältere Bürgermeiſter, Hein— 
rich Kurz, auf, ein Greis von ſiebenzig Jahren. 

Mit Ehren, ſprach er, wohlweiſe Herren! möchte 
ich zur Grube fahren, die ſchon für mich ſich öffnet, 
denn ich bin betagt und habe ſiebenzig Sommer hinter 
mir. Ich trage ein ſchwäbiſch Herz im Buſen, und 
in demſelben die Treue zu meinem allergnädigſten 
Kaiſer Friedrich, den Gott ſegnen möge, obgleich feine 


346 


Widerſacher ihm fluchen, und haben Verwirrung ge: 
bracht in das Reich, und die Fürſten und Vaſallen 
aufgehetzt gegen ihr rechtmäßiges Oberhaupt, daß ſte 
ihn vom Throne ſtoßen und reißen die Krone von 
ſeinem geſalbten Haupte. — Und nun einen ſcharfen 
Blick auf den jüngern Bürgermeiſter werfend, fuhr 
der Greis fort: ich will nicht glauben, wohlweiſer 
Herr und Freund, daß ein päbſtlicher Lockengel Euch 
ins Garn gebeizt, und ferne ſey es von mir, zu arg— 
wöhnen, als ob man Euch Dieſes oder Jenes ver— 
ſprochen, wenn Ihr abtrünnig werdet von Kaiſer 
Friedrich und ſtimmet im Rathe unſerer Stadt gegen 
ihn. Aber wohl weiß ich, daß durch päbſtliches Geld 
und die Predigten der Bettelmönche die Treue zum 
Abfall gereizt wird in ganz Deutſchland. Und wahr— 
lich, auch die Edlen unſerer ſchwäbiſchen Gauen haben 
die Schmach auf ſich geladen der Untreue. Denn als 
voriges Jahr des Kaiſers Sohn dieſen Landgrafen, ge— 
nannt der Pfaffenkönig, bei Frankfurt beinahe ſchon in 
einer Schlacht beſtegt hatte, wichen plötzlich 2000 
Schwaben unter dem Grafen von Wirtemberg und 
Gröningen zurück, und ihm folgten der Markgraf von 
Baden und andere ſchwäbiſchen Herren in der Hoff— 
nung, das Erbe des edlen Staufers zu theilen. Laſſet 
uns beharren wie Worms, Frankfurt und Straßburg, 
an unſerem Herrn, der gnädigſt unſere Stadt mit 
Mauern umgeben hat. Darum dieſes muß ich Euch 
entgegenhalten, daß Eure Anſicht und Rath nicht von 
der Wahrheit iſt, ſintemal Euer Blick getrübet iſt 


* 


347 


und Euer Einſehen darum nicht mehr ein unpar— 
theiiſches. Ihr habet geſprochen, daß der Kaiſer unſer 
Herr, der ſtets unſere Freiheiten geſchützt und ver— 
mehrt, ein trotziger Fürſt ſey, der das Anſehen des 
heiligen Vaters nicht achte, und mit ſeinem Kriegs— 
volk übel und widerchriſtlich gehaust habe im Lande 
Italien gegen die Städte und die Prieſter. Aber ich 
habe die Gnade gehabt, mehr denn einmal an ſeinem 
Hofe geweſen zu ſeyn, und muß bekennen, daß noch 
kein Fürſt aus dem Hauſe der Staufer ein ſo vor— 
trefflicher Kaiſer geweſen. Kraft und Kühnheit blickt 
aus ſeinem Auge, und Klugheit und feine Sitte, 
Großmuth und Treue ſind die Perlen ſeiner Krone. 
Kein Fürſt iſt ihm gleich an Würde und Anmuth, 
keiner an Kraft und Mannhaftigkeit, ein großes Reich 
zu regieren. Mit Recht bedünkt mich, hat der Kaiſer 
die Inſel Sardinia für ſich behalten, die er von den 
Söhnen Mahomeds erobert, ſtatt fie dem Pabſte zu 
überlaſſen, wie dieſer gewünſcht. 

Wohl hat ſchon damals der h. Vater den Bann— 
ſpruch über den Kaiſer ausgeſprochen, und deſſen 
Krone andern Fürſten angeboten, aber nicht alle red— 
lich geſinnten Fürſten waren damit einverſtanden, ja 
viele ergrimmten über dieſe Handlung. Was hat der 
chriſtlich fromme König Ludwig von Frankreich vor 
10 Jahren geſprochen, als ihm des Pabſtes Abge— 
ſandte zuredeten, die Krone Friedrichs ſich aufs Haupt 
zu ſetzen, der ein Uebelthäter und Verächter der Kirche 
Chriſti ſey? Hat er nicht den merkwürdigen Ausſpruch 


348 


gethan, daß er feine Hand nicht ausſtrecken werde 
nach der Krone eines Gerechten? daß er dafür halte, 
wie Friedrich, der Gebannte, wohl ein beſſerer Chriſt 
ſey, denn der Pabſt ſelbſt? Was brauchen wir weiter 
Zeugniß dafür, daß die Sache Friedrichs, unſeres 
allergnädigſten Kaiſers, eine gerechte ſey? Ihr ſprechet: 
der Kaiſer habe den h. Pabſt beſchimpft und ihn 
einen Antichriſt geheißen, aber Ihr vergeſſet, daß der 
Pabſt ihn zuvor gereizt mit viel ſchmählichen Worten, 
daß er ihn einen Feind und Verächter des Heilandes 
genannt. Darum lege ich es Euch ans Herz, wohl— 
weiſe Väter der Stadt, daß Ihr in Treue verharret, 
wie es redlichen Reichsgenoſſen geziemt, an Kaiſer 
Friedrich unſerem allergnädigſten Herrn. Gedenket an 
die Worte des Kaiſers, als er ſeine Abſetzung ver— 
nommen. Voll Hoheit ſprach er: bringet mir her 
meine Krone, daß ich ſehe, ob ich ſie wirklich verloren. 
Dann ſetzte er die Kaiſerkrone aufs Haupt und rief: 
„noch habe ich dich, du meine Krone, und kein Pabſt 
und keine Kirchenverſammlung ſoll fte mir ohne bluti— 
gen Kampf rauben.“ Ich will nicht davon ſprechen, 
daß ſelbiger noch mächtig genug wäre, unſern Abfall 
zu beſtrafen, denn nicht Furcht, ſondern Pflicht und 
Treue ſoll uns leiten, unſern Reichsſchwur zu halten 
dem Kaiſer, und gälte es Blut und Leben. Wohl 
rückt der Landgraf heran mit einem ſtarken Heere, 
und viele der Biſchöfe und Fürſten ſind ihm zuge— 
fallen, aber lieber wollen wir unſere Mauern gebrochen 
ſehen, als daß wir unſern Schwur brechen. Feſt iſt 


349 


unfere Stadt, und find unſere Herzen nicht minder 
fefte und unerſchütterlich, ſo mögen wir unverzagt 
entgegenſehen dem Kampfe und gewärtig ſeyn mit 
Gottes Hülfe eines ruhmvollen Ausgangs dieſer ſchlim— 
men Sache. Darum ermahne ich Euch, mannhaft 
Euch zu rüſten und chriſtlich zu ſtreiten, als ehrliche 
Reichsbürger! — Die Worte des ergrauten Altbürger— 
meiſters wurden mit Beifall aufgenommen, und ſelbſt 
die ſchwächere Gegenparthei wagte es nicht, weiter 
Einſprache zu thun, ſondern fügte ſich in den Willen 
der Mehrzahl. 

Mit freudeſtrahlendem Angeſicht kehrte der Alt— 
bürgermeiſter in ſein Haus zurück, wo ihm Eliſabeth, 
ſein Enkelkind, freundlich auf der Stiege entgegenkam, 
ihn zum Mittagimbiß in das Familiengemach geleitete 
und ihm voller Freude die Kunde mittheilte, daß der 
Vetter aus Eßlingen angekommen zu Beſuch, und ſeit 
drei Stunden ſchon ſeiner harre. Freundlich bewill— 
kommte der Altbürgermeiſter ſeiner Schweſter Enkelkind, 
den jungen, ſtattlichen Kaufherrn, der von Zeit zu 
Zeit zu Beſuche kam, worauf wohl feine Baſe Eliſa— 
beth am meiſten ſich freute, denn das junge Pärlein 
hatte ſchon längſt ein Auge für einander. Aber 
dieſes Mal war der Vetter zugleich auch in einer 
wichtigen Angelegenheit gekommen, denn der Altbür— 
germeiſter hatte vor zwei Tagen einen Boten an des 
Vetters Vater geſendet, den Rathsherrn Walther in 
Eßlingen, um bei ihm Nachfrage anzuſtellen, wie die 
Stadt Eßlingen geſinnt ſey wegen Kaiſer Friedrich 


350 


und ſeines Gegners des Landgrafen von Thuͤringen. 
Darum, als der Altbürgermeiſter den jungen Walther 
herzlich gegrüßt und Platz genommen hatte an dem 
Tiſch, da begann der Vetter: Ich komme auf Geheiß 
meines Vaters in der ſchweren Lage, die eingetreten 
iſt, daß der Landgraf von Göppingen herüber gegen 
Reutlingen zieht. Mein Vater läſſet Euch darin ent⸗ 
bieten, daß, obwohl ein kleiner Theil der Eßlinger 
Bürger ſchwierig geworden, doch der hohe Rath und 
Ausſchuß nebſt den angeſehenſten ehrbaren Bürgern 
treu geſinnt ſeyen gegen unſern allergnädigſten Kaiſer 
Friedrich. Immer haben die Kaiſer des Hauſes Hohen— 
ſtaufen unſere Stadt in Ehren gehalten, in unſern 
Mauern oft und gerne verweilt, und der jetzige hat unſere 
Stadt mit Mauern und Gräben vor zwanzig Jahren 
umgeben — darum iſt ihm Alles in Treue zugethan, 
bis auf einige Lotterbuben, die bei dem Gegenkaiſer 
ſich ein Gnadenkettlein holen möchten. Auch ſollt Ihr 
nur mannhaft ſtehen zu dem Staufer, und unſer Rath 
iſt gewillt, Euch einige Fähnlein Knechte zu ſenden 
und etliche Reiſige, wenn es Noth thue. Das iſt 
meine Botſchaft, hochweiſer Herr Oheim, vielgeliebter 
Vetter! 

Freudig ergriff der Altbürgermeiſter den Becher und 
ſtieß mit dem jungen Vetter an, und ſein Enkelkind 
Eliſabeth, die mit ihrer verwittibten Mutter bei dem 
Großvater wohnte, lächelte innig beglückt, als der 
Vetter auch ſie aufforderte, mit ihm anzuſtoßen auf 
das Heil der guten Stadt Reutlingen und aller 


351 


wackern Jungfrauen darinnen. Dann aber nahm der 
Großvater den jungen Vetter mit ſich auf ſein Ge— 
mach, um mit ihm noch über Mancherlei zu ſprechen; 
Eliſabeth ging ihren häuslichen Geſchäften nach und 
war heute noch einmal ſo flink, ſeitdem der liebe 
Vetter auf Beſuch eingeſprochen. Des Nachmittags 
ließ der Altbürgermeiſter den Rath noch einmal zu— 
ſammenrufen, kündigte ihm die Nachrichten von Eß— 
lingen an, und es ward nun beſchloſſen, durch Trommel— 
ſchall die Bürgerſchaft aufzubieten. Nach einer Stunde 
ſtanden die Zünfte alle unter den Waffen, ihre Fähn— 
leinsträger auf dem linken Flügel. Jetzt wurden die 
Befehle ausgetheilt für die Wachtmannſchaften und 
Hochwächter auf den Thürmen, dann fuhren die 
Kärrner große Keſſel an die Stadtmauern und ſchaff— 
ten ſie hinauf, um darin Waſſer und Pech ſiedend 
zu machen, wenn der Feind einen Sturm wage. 
Andere fuhren Steine herbei und häuften ſie rings 
- auf den Thürmen und Mauern auf, die Feinde da— 
mit zu empfangen, und ehe der Abend eingebrochen, 
war auf alle Art dafür geſorgt, daß jeder Bürger 
wußte, was ſeines Amtes ſey in der Vertheidigung 
des Rechts ſeines Kaiſers und der freien Reichsſtadt 
Reutlingen. Schon des andern Tages in der Frühe 
kamen flüchtige Landleute von Metzingen her mit 
Karren und Vieh und begehrten Einlaß, denn die 
vorausſtreifenden böhmiſchen Reiſige des Landgrafen 
waren dort eingefallen und begannen allwärts zu 
ſengen und zu brennen. Bei dieſer Nachricht ruſtete 


352 


ſich eine Schaar berittener junger Bürger aus den 
ehrſamen Zünften und von den Geſchlechtern, einen 
Ausfall zu machen und dem Landvolk Schutz zu 
bieten, um ihre Habe ſicher in die Stadt zu bringen. 
Auch Georg Walther legte den Harniſch an, ſchnallte 
das Schwerdt um und trat dann vor ſeine Baſe 
Eliſabeth. Er war ein ſchmucker Reitersmann, keck 
und kühn blitzte ſein Auge unter dem Helm hervor, 
und ſeine männliche Geſtalt ward noch gehoben durch 
die blinkende Rüſtung. Etwas erſchrocken fuhr Eli— 
ſabeth von ihrem Stuhl auf, als ihr Vetter ſo vor 
ſie trat, und ſprach: liebwerther Vetter! wie? wollet 
Ihr uns verlaffen? aber warum in dieſer Rüſtung, 
wenn Ihr nach Eßlingen zurückkehret, ehe der Feind 
unſere Mauern berennet und Ihr nicht mehr frei die 
Straße pafiteren könnet? Nimmermehr, antwortete der 
Vetter, wie ſollte ich Reutlingen und das Haus 
meiner wertheſten Verwandten und vor Allem meine 
theure Baſe Eliſabeth verlaſſen zur Stunde der Ge— 
fahr? Nein, ich will mein Leib und Leben daran ſetzen, 
die Gefahr abzuwenden, die Euch und Eurer Stadt 
droht. Ich will hinausziehen mit den Reiſigen, um 
den Heſſen, Thüringern und Böhmen zu zeigen, daß 
wir als treue Schwaben für das Haus Hohenſtaufen 
zu kämpfen bereit ſind. Aber ehe ich gehe, liebe Baſe, 
drängt es mich, ein Wörtlein mit Euch zu ſprechen. 
Eliſabeth! in den Stunden der Gefahr wird die 
Zunge beherzter und das Herz pocht ungeſtümmer. 
Was die Blicke Euch wohl längſt verrathen — ſoll 


398 


Euch mein Mund verkünden — ich liebe Euch von 
ganzem Herzen und von ganzer Seele, und mein 
ſchönſtes Erdenglück wäre es, ſo Ihr mich nicht ver— 
ſchmähtet, und könntet mir gewogen ſeyn zu einem 
Bund für das ganze Leben. 

Schüchtern und erröthend ſchlug das ſchöne, jung— 
fräuliche Mägdlein ihre ſanften blauen Augen nieder, 
und ſpielte mit dem bunten Teppich, der über ihren 
Arbeitstiſch ausgebreitet lag. Aber Walther fuhr fort, 
ihre zitternde Hand ergreifend und ſie an ſeine pochende 
Bruſt preſſend — verzeiht, theure Baſe, daß ich ſo 
keck ſpreche und Euch fragend ins Auge blicke — ernſt 
ſind die Stunden, und doppelt freudig ziehe ich in 
den Kampf, wenn ich weiß, daß Euere Blicke mir 
folgen wie ein ſchützender Engel, daß Euer Gebet fuͤr 
mich zur heiligen Mutter Gottes ſteigt — daß Ihr 
mir geneigt ſeyd; in mein Ohr erklänge das ſüße 
„Ja“ wie ein Klang aus himmliſchen Höhen. Ueber— 
wältigt von dieſer Rede, liſpelte Eliſabeth, „ich bin 
Euch gut, recht, recht gut!“ und ließ Walther ihre 
Hand, der ſie ehrerbietig küßte — Du biſt mir gut, 
recht, recht gut? rief der Vetter und drückte das 
Köpfchen der Baſe überſelig an ſeine Bruſt — ſo 
ſprich auch das ſchönſte Wörtlein aus, das Wörtlein 
„ja!“ Doch — ſetzte er ſtockend hinzu — ich weiß 
nicht, ob Du mir mehr als gut ſeyn kannſt — ob 
dein Herz noch frey, ob noch kein Bild darin haftet, 
das Dir noch theurer! O ſprich! ſprich! und erlöfe 
mich von dem bangen Zweifel. Da begann Cliſabeth 

II. 23 


354 


zu ſchluchzen, überwältigt von der Wonne, ſo heiß 
geliebt zu ſeyn. Kein Bild ruht in meinem Herzen, 
ſtammelte ſie — nur das Deine hat ſich eingeſchlichen, 
ſeit wir uns kennen, und ſchüchtern habe ich es ge— 
pflegt, denn ich halte mich nicht für würdig genug, 
daß Du mir vor Allen den Vorzug gebeſt unter den 
Geſchlechtern von Reutlingen und Eßlingen. Aber 
kein Jüngling auch hat ſich noch genaht, der ſich um 
meine Gunſt beworben, als der junge Rathsherr Ber— 
thold — aber bei allen Heiligen, lieber wollte ich 
ins Klofter gehen, denn ihm meine Hand bieten — 
es iſt ein tückiſcher, eitler Mann, er könnte mich nie 
beglücken. Mit dieſen Worten ſchlug Elifabeth ihre 
in Thränen ſchwimmenden Augen zu ihrem Vetter 
empor, und Walther drückte ihr einen heißen Kuß 
auf die Stirne. So biſt Du mein, liebe Baſe — 
mein vor Gott und Menſchen, und Reutlingen iſt 
meine zweite Heimathsſtadt, für die ich in den Streit 
ziehe, begleitet von Deinem Segen! Ja, dieſes Pfand 
will ich mit mir nehmen, ein Zeichen Deiner Liebe — 
fuhr Walther fort, und pflückte eine Roſe von einem 
Roſenſtöcklein, das auf dem Tiſche Eliſabethens ſtund 
— komm, theurer Engel, und ſtecke ſie mir auf den 
Helm, denn unter dem Panier der Liebe will ich 
ſtreiten und fechten. Er kniete nieder, und mit glühen⸗ 
den Wangen und zitternder Hand ſteckte Eliſabeth 
das Röslein ihrem Vetter auf den Helm; darauf 
preßte er den erſten, heiligen Kuß auf ihre Lippen 
und ſtürzte fort, überwältigt von feinen Gefühlen. 


355 


Erſt am ſpäten Abend verkündeten die Trompeten 
auf den Thürmen, daß die Reiſigen zurückkehren, mit 
ihnen ein großer Haufe Landvolkes mit Wagen und 
Vieh und Hausgeräthſchaften, das ſie vor den Feinden 
flüchteten. Die Reiſigen hatten ſich wacker mit den 
böhmiſchen Reitern herumgeſchlagen, und vor Allen 
war Walther der männlichſte Kämpe, der tollkühn 
ſich unter die dichteſten Haufen hineinwagte, und ſie 
auseinander ſtäubte. Mit banger Sehnſucht hatte 
ihn Eliſabeth erwartet, und als er mit Raub be— 
deckt in das Haus des Altbürgermeiſters eintrat, folgte 
ihm ein zahlreicher Haufen Bürger und Landleute, 
welche laut ſeine Tapferkeit prieſen und der Stadt 
Reutlingen Glück wünſchten zu einem fo edlen Waffen: 
bruder. Noch am Abend trat Walther auch vor Eli— 
ſabethens Mutter und ſeinen Großoheim und bat ſte 
um ihren Segen für ſich und die Jungfrau, und ein 
fröhlicher Abend beſchloß dieſen Tag ſeiner Waffenprobe. 

Am andern Morgen wogte mit dem Früheſten 
Alles zu den Mauern und Thürmen, denn die Kunde 
hatte ſich verbreitet, daß der Landgraf mit ſeinem 
ganzen Heere während der Nacht herangezogen und 


nun ſein Lager ſchlage auf zwei Seiten der Stadt. 


Aengſtlich blickten die Bürger über die Mauern, als 
ſie die zahlreichen Haufen und Fähnlein, die dichten 
Schaaren von Reiſigen Anſtalt machen ſahen, ihr 


Lager einzurichten. Schon ſtand das Zelt des Lande 


grafen aufgerichtet, darüber eine Krone und hohe 
Fahne. Vom Fuß der Achalm und den Weinbergen 


7 * 


— 


356 


herab bis zum Echazflüßlein wimmelte es mit Kriegs: 
leuten und Roſſen, und die abgehauenen Weinſtöcke 
und Obſtbäume rauchten ſchon auf allen Punkten als 
Lagerfeuer. Nach einer Stunde nahte ſich ein Ritter 
in glänzender Rüſtung und ein weißes Tuch an ſeine 
Lanze geſteckt dem Thore und begehrte Einlaß. Als 
er auf das Rathhaus geführt wurde, ſprach er zum 
verſammelten Rathe: Hochweiſe Herren der Stadt, 
wie Euch männiglich bekannt, hat der h. Vater den 
ungetreuen Sohn der Kirche, Friedrich den Staufer, 
ſeiner Krone für verluſtig erklärt, und die Kirchen— 
verſammlung in der Stadt Lyon den Bann auf ſein Haupt 
geſchleudert. Alle Fürſten ſind von ihm abgefallen, 
und ſchon haben viele derſelben nebſt den Biſchöfen 
meinen gnädigſten Herrn, den Landgrafen Heinrich 
Raſpo zu Heſſen und Thüringen, erkoren und ihm 
gehuldigt zu Hochheim am Main im letzten Herbſt, 
als dem Kaiſer des h. römiſchen Reiches. Darum, 
was ſtehet Ihr an, dem Geächteten und Gebannten 
länger Gehorſam zu leiſten, und mit gewaffneter Hand 
Euch gegen den rechtmäßigen Kaiſer, meinen Herrn, 
zu ſetzen. Laſſet ab von dem Widerſtand, ſo wird 
Euch mein Herr beſtätigen in all Euren Rechten und 
Freiheiten als rechtmäßiger Kaiſer! 

Da nahm der Altbürgermeiſter das Wort und ſprach: 
Wir haben zu Kaiſer Friedrich geſchworen und ſind 
nicht gewillt, dem Unrecht beizutreten, das an unſerem 
allergnädigſten Kaiſer geübt wird von Seiten des 
Pabſtes und der Kirchenverſammlung. Mag auch 


357 


eine unſelige Zwietracht das deutſche Reich zerreißen 
in zwei feindliche Lager, und mögen dem Kaiſer 
Friedrich alle ſeine Freunde untreu werden, ſo halten 
wir dafür, daß Nichts an unſerer Treue rütteln fol. 
Gerade um fo unerſchütterlicher wollen wir zu unſe— 
rem Kaiſer ſtehen, je mehr Unglück ihn trifft. Gott 
ſeys geklagt! haben doch ſeine Feinde wälſche Ritter 
zu Meuchelmördern gedungen, ſeinen geheiligten Leib 
und Majeſtät anzutaſten, und haben die Bürger der 
feindlich geſinnten Stadt Bologna im Land Italien 
ſeinen Sohn Enzius gefangen und im Gefängniß ſterben 
laſſ en. Deſto feſter wollen wir in Unglück und Noth 
an ihm treu halten, wie wir vor Gott geſchworen, 
denn unſer Eid iſt uns heilig, wenn der Pabſt ihn 
auch gelöſt hat. Das meldet Eurem durchlauchtigſten 
Herrn, wie Reutlingens Bürger nimmer weichen in 
der Treue zum Kaiſerhauſe von Hohenſtaufen und Ge— 
walt mit Gewalt abzutreiben bereit feyen. 

So begann nun der Landgraf ſein Lager zu ver— 
ſchanzen und die Stadt zu belagern, bis er fle mit 
Sturm gewänne. Weit und breit ließ er die Land⸗ 
leute herbeitreiben durch ſeine Reiſigen zum Schanzen, 
und ließ Belagerungswerkzeuge anfertigen, hölzerne 
Thürme und Mauerbrecher. Aber auch die Stadt 
war nicht läßig, und verſuchte faſt täglich durch Auge 
fälle die Belagerer an ihrer Arbeit zu hindern und 
die angefangenen Werke zu zerſtören. 

Nach acht Tagen kam ein Bote im Gewand eines 
Mönches, der trat in das Haus des Altbürgermeifters 


358 


und brachte ein Brieflein von Walthers Vater, darin 
ward gemeldet, daß am nächſten Tage gegen Sonnen⸗ 
untergang ein Häuflein Reiſiger werde von Eßlingen 
eintreffen; dieſe ſolle man einholen bei Betzingen, da⸗ 
mit ſie unaufgehalten und unbeſchweret in die The 
der Stadt kämen. 

Als nun am folgenden Tage die Sonne ſich zu 
neigen begann, zog eine Schaar Reiſiger, geführt 
von zwei Hauptleuten, zum Tübinger Thor hinaus, 
während auf der Seite des Metzinger Thors einige 
Zünfte einen verſtellten Ausfall machten, um die Be⸗ 
lagerer zu täuſchen und ihre Aufmerkſamkeit davon 
abzulenken, daß aus der Stadt ein Zuzug eingeholt 
werde. 

Der junge Walther ritt indeſſen an der Seite des 
ſtädtiſchen Hauptmanns Berthold, des jüngſten Raths⸗ 
herrn, Betzingen zu, um ſeine Landsleute aus Eß⸗ 
lingen einzuholen. Und wie geht es denn Eurer 
Baſe? fragte gegen ihn gewendet der Rathsherr und 
blickte ihm ſcharf ins Geſicht — fürwahr eine lieb⸗ 
reizende Jungfrau — aber ein Wee voll 
Eigenſinn und Laune. 

Mit Verlaub', entgegnete Walther — was Ihr 
Eigenſinn und Laune nennet, das findet vielleicht ein 
anderer als rühmlich an meiner Baſe! Ei, lachte 
ſpöttiſch der Rathsherr — da habt Ihr wohl der 
Jungfrau ſelbſt zu tief in die Augen geguckt, da Ihr 
den Trotzkopf in Schutz nehmet — die Liebe aber 
machet blind. Ha! hab ichs nicht errathen? Ihr 


359 


ſehet die Jungfrau gerne und werbet um ihre Gunſt? — 
Eine leichte Zornesröthe zog über die Stirne Walthers, 
und heftig fuhr er auf: Ei, mein hochweiſer und 
edler Rathsherr, es bedünkt mich, daß Ihr zum loſen 
Spiel Eurer Zunge einen Gegenſtand nehmet, der 
nicht dazu paßt. Was mich anbelangt und meine 
Baſe, davon habe ich keine Rechenſchaft zu geben, 
und doch will ich Euch den Gefallen thun, um Eure 
Neugier zu ſtillen, daß ich Euch ſage: meine Baſe 
iſt meine Braut! darum wünfche ich, Ihr werdet ſelbſt 
einſehen, wie ſich ein Geſpräch über eine Jungfrau 
nicht ſchicket, wenn es an ihren Bräutigam gerichtet iſt. 

Wie ein Dolchſtich trafen dieſe Worte den Raths— 
herrn, denn Eliſabeth war ihm tief in den Sinn ge— 
wachſen, und er hatte es ihr nie verzeihen können, 
daß ſie ihn ſo ſpröde abgewieſen. Aber er nahm ſich 
zuſammen und ſprach gegen den glücklichen Neben— 
buhler: entſchuldiget, wenn ich eine Saite etwas rauh 
für Euer Ohr angeſchlagen — war ja nur eiu Scherz 
und hätte ich gewußt, daß Eliſabeth, Eure ſchöne 
Baſe, ihr Herz Euch geſchenkt, ſo wäre mir ſolcher 
nicht über die Lippen gekommen. Nun Glück auch 
zu dieſem Sieg über eine ſtolze Jungfrau! 

In dieſem Augenblick ſah man von ferne Helme 
blinken und eine Reiterſchaar die Höhe hinter Betzingen 
herabziehen. Frohen Muthes gaben die Reutlinger 
ihren Roſſen die Sporen, um ihre Freunde zu begrüßen, 
und zwiſchen Walther und dem Rathsherrn verſtummte 
das Zwiegeſpräch. In kurzer Zeit trafen die Reiter 


' | 360 


zuſammen und zogen, die Dämmerung e nun 
Reutlingen zu. 

Schon des andern Tages ward ein neuer Ausfall 
beſchloſſen, und Walther ſollte mit den Eßlinger 
Reiſigen Mittags einen Ausritt machen, auf großen 
Umwegen ſich dem Wege nach Metzingen zuſchlagen 
und dann mit einbrechender Nacht auf ein Feuer— 
zeichen, das von den Thürmen gegeben würde, im 
Rücken den äußerſten Theil des Lagers angreifen, 
während von der Stadt aus eine ſtarke Schaar auf 
die Verſchanzung ſich ſtürzen ſollte, um ſie in Brand 
zu ſtecken und zu zerſtören. Auch der Rathsherr war 
bereit, den Ausfall mitzumachen und half dazu, den 
Plan auszumitteln; aber in ſeinem Buſen ſpann er 
Verrath und er beſchloß, dieſe Gelegenheit zu benützen, 
um den verhaßten Nebenbuhler dem Schwerdt des 
Feindes zu überliefern. Er ſchrieb darum ein Brief: 
lein und ſandte es durch einen vertrauten Knecht an 
den Landgrafen ins Lager. Darin ſtand geſchrieben: 

Allergnädigſter Kaiſer! 9 

Obwohl ein großer Theil der Reutlinger Euch Trotz 
bietet und Euch nicht huldigen will, ſo gibt es 
doch manchen Städter, der im Herzen zu Euch hält 
und nur gezwungen die Waffen gegen Euch trägt. 
Und daß er ſeinen guten Willen auch durch die That 
beweißt, jo wiſſet, daß heute Nacht eine Reiterſchaar 
von 150 Mann Euch im Rücken von der Metzinger 
Straße her zu überfallen gedenkt am äußerſten Ende 
Eures Lagers, während von der Stadt her ein Ausfall 


361 


mit Fußvolk gemacht werden ſoll. Ein Feuerzeichen 

wird aufſteigen und zu ſelbiger Zeit iſt der doppelte 

Angriff beſchloſſen. Darum ſendet eine ſtarke Ab— 

theilung gegen Metzingen, auf daß ihr Eure Feinde 

übermannt und kein Reiter mehr in die Thore Reut⸗ 

lingens zurückkehret; am wenigſten aber der Anführer, 

ein Eßlinger, der Euer erbittertſter Feind iſt. Er 

reitet einen Mohrenſchimmel, auf den ſoll man be— 

ſonders achten. — Er ſelbſt aber ſtellte ſich krank, 
als Walther mit den Eßlinger Reiſigen auszog und 
blieb zu Hauſe. 

Als nun Walther mit Einbruch der Nacht die 
Straße von Metzingen erreicht hatte auf großen Um— 
wegen und gegen das Lager langſam vorrüͤckte, harrend 
auf das Feuerzeichen, da auf einmal hagelte rechts 
und links es von Pfeilſchüſſen auf ſeine Reiter, und 
in der Dunkelheit erhob ſich, wie aus dem Boden 
hervorgewachſen, eine Schaar von Bewaffneten. 

Raſch ſuchte er dem Angriff zu entgehen und jagte 
mit ſeinen Leuten vorwärts, aber auf einmal leuchtete 
das Feuer zu ihm auf, und vor ſich auf der Straße 
erblickte er einen hohen Verhau von gefällten Bäumen, 
hinter denen ihn ein neuer Hagel von Pfeilen über— 
ſchüttete. Jetzt galt es, umzukehren und ſich Luft 
zu machen, trotz der rechts und links dicht fallen— 
den Schüffe, denen er kaum erſt entgangen; aber da 

prallte er auf eine Reiterſchaar, die ihm auch rüds 
lings den Weg verlegt hatte. Ein furchtbarer Kampf 
entſpann ſich, wie verzweifelt focht Walther mit ſeinen 


362 


Leuten, umringt von übermächtigen Haufen. Hiebe 
fielen auf Hiebe, und Freund und Feind ſtürzte ſchwer— 
getroffen zuſammen und bildete einen Knäuel von 
Menſchen und Roſſen. 


Es war ein ſchreckliches Morden, und nur wie durch 
ein Wunder brach ſich Walther mit einigen ſeiner 
Leute Bahn durch den Haufen der Feinde, aber noch 
der Letzte derſelben führte einen ſo gewaltigen Hieb 
auf Walthers linken Arm, daß ihm der Zügel ent» 
fiel und der Arm gelähmt hinſank. 


Auf dem Hafenmarkt zu Eßlingen in einem N 
burgartigen, ſteinernen Häuſer, die Naubthürm f 
nannt, welche von den Geſchlechtern der Reichsſtadt 
bewohnt wurden, ſaß nach einigen Tagen bei ſeinen 
Eltern Walther trüb geſtimmt am Fenſter. Den 
linken Arm trug er in einer Binde, denn er war 
ſchwer verletzt, aber noch eine tiefere Wunde blutete 
in feinem Herzen, denn er gedachte feiner Eliſabeth 
und der Ungewißheit, in welcher ſie ſchwebe über ſein 
Schickſal. Mit genauer Noth war er nebſt dreißig 
feiner Leute dem Tod und der Gefangenſchaft ent— 
gangen, hatte auf ſchweißtriefendem Roſſe die freie 
Straße nach Metzingen gewonnen und war nach kurzer 
Raſt die ganze Nacht hindurch geritten, um in ſeine 
Vaterſtadt zurückzukehren, da er keine Möglichkeit ges 
funden, ungehindert Reutlingens Thore zu erreichen. 


Auch in Reutlingen war große Trauer, denn einige 
hundert Todte und Verwundete waren das Opfer ge— 


363 


worden des Verraths. Aber Niemand ahnte, daß 
der junge Rathsherr die Urſache davon war. 

Am ſchmerzlichſten getroffen fand ſich Eliſabeth, als 
die Schreckenskunde ihr zu Ohren kam, daß die Ep: 
linger Reiter faſt beinahe alle in Tod oder Gefangen⸗ 
ſchaft gerathen und auch nicht Einer in die Thore 
zurückgekehrt ſey. Der junge Rathsherr ſelbſt war 
es, der mit verſtellter Theilnahme in das Haus des 
Altbürgermeiſters geeilt war, und in Anweſenheit Eli— 
ſabeths ihrem Großvater die Nachricht gebracht hatte, 
daß die traurige Botſchaft angelangt ſey von dem 
ntergang der Eßlinger Schaar. 

Jetzt wurde Reutlingen immer härter umzingelt 
und bereits waren die großen Wurfgeſchoße und 
Sturmböcke fertig, um gegen die Mauern vorgefchoben 
zu werden und gegen ſie mit gewaltiger Wucht zu 
arbeiten. 

| Die Kunde von der harten Belagerung kam von 

Tag zu Tag faſt nach Eßlingen, und Walther wälzte 
ſich wie ein Verzweifelter auf ſeinem Lager und malte 
ſich das Schrecklichſte aus, wenn der Landgraf die 
Stadt erſtürme und Eliſabeth in die Hände der 
Sieger fiele. 

Indeſſen wehrte ſich die Stadt Reutlingen mann— 
haft, zerſtörte da und dort die Belagerungswerkzeuge 
und ſchlug manchen Sturm ab. So verzog ſich die 
Belagerung gegen ſechs Wochen. Ergrimmt über den 
Trotz ſeiner Feinde, befahl nun der Landgraf, aus 
den ſtärkſten Eichen des nahen Waldes von Sondel— 


5 EIN Ss 


364 


fingen einen Rieſenſturmbock anzufertigen von 126 ½ 
Schuh Länge. 

Mit Ochſen und Roſſen ward das Holz herbeige— 
führt, und im Angeſicht der Stadt gingen die Kriegs— 
werkleute daran, die fürchterliche Waffe anzufertigen. 
Schwere eiſerne Ringe und Handheben wurden daran 
angebracht und dazu ein Schutzdach gezimmert, um 
beſchützt vor dem Steinhagel der Belagerten mit 40 
rüſtigen Leuten den Sturmbock in Bewegung zu ſetzen 
und damit gegen die Mauern zu ſtoßen. 

Als die Reutlinger mit Schrecken gewahrten, daß 
der Landgraf nächſtens einen großen Sturm vorbereite 
da beſchloß der hohe Rath auf den Antrag des Alt 


bürgermeiſters eine Proceſſion in die Kapelle zur Mut⸗ 


ter Gottes, welche mitten in der Stadt lag. 
Die ganze Bürgerſchaft nahm Theil an dem Bitt: 
gange. Voraus zog die Stadtgeiſtlichkeit, die Mönche 


N 
Alle 


und Nonnen, dann folgte der Rath und die Bürger: 


ſchaft und mit ihr die Weiber, Jungfrauen und Kinder. 

In heißem Gebete lag Alles auf den Knien und 
flehte die heil. Jungfrau Maria an, ſie zu ſchuͤtzen 
vor dem furchtbaren Feinde und ihnen Kraft und 
Sieg zu verleihen. Dann nahm der Altbürgermeiſter 
das Wort, trat vor den Altar der Jungfrau und 
ſprach: Heilige Jungfrau, du Gebenedehyte unter den 
Weibern! Siehe herab gnädigſt auf die Bürger dieſer 
Stadt. Du weißt, welch mächtigen Sturmbock unſer 
Feind läſſet anfertigen, um ſtündlich damit unſere 
Mauern einzuſtoßen und dann in unſere Stadt ein⸗ 


zubrechen. So höre unſer Gelübde und nehme es 
gnädig an. So du wirſt uns erretten aus dieſer 
Noth und unſern Waffen Sieg verleihen, wollen wir 
dir eine Kirche erbauen, wie weit und breit keine im 
Lande, und des Sturmbocks Länge ſoll das Maß 
ſeyn für das Fundament dieſer Kirche! 

Amen! Amen! fiel die ganze Bürgerſchaft ein. 
Nach wenigen Tagen war der Sturmbock fertig 
und mit dem Früheſten des Morgens ſchaffte man 
ihn unter ſeinem Schutzdach auf ſtarken Walzen gegen 
die Mauer. Jetzt eilte Alles auf die Thuͤrme und 
Mauern, ſelbſt Weiber und Kinder ſchleppten Steine 
herbei und ſiedendes Waſſer, um ſich mannhaft zu 
wehren. Aber der Landgraf ſchoß aus ſeinen Augen 
vernichtende Blicke gegen die Stadt, und ritt inmitten 
ſeines Kriegsvolkes heran und ließ den rieſigen Sturm— 
bock unter einem blechernen Dach von den 40 Leuten 
anlegen. Bei jedem Stoß erdröhnte die Mauer und 
fielen zerbröckelte Steine heraus von der fürchterlichen 
Wucht. Zu gleicher Zeit wurden hunderte von Leitern 
herbeigetragen und bereit gehalten, auf zwei Seiten 
die Mauern zu ſtürmen. Unter einem heftigen Schießen 
mit Pfeilen auf die Bürger, welche die Mauern be— 
ſetzt hielten, legten die Stürmenden die Leitern an, 
und gedeckt von ihren Schilden, kletterten ſie hinauf, 
aber zu Hunderten ſtürzten ſie auch wieder zu Boden. 

Nach einigen Stunden vergeblichen Blutvergießens 
ſtellte der Landgraf das Stürmen ein. Aber nachdem 
die größte Hitze des Tages vorüber, griff er die Stadt 


Yr ar: 


mit erneuerter Wuth an. ki arbeitete der 
rieftge Sturmbock mit einigen andern kleinern Geſellen, 
und große Steine wurden mit Maſchinen gegen die 
Vertheidiger auf die Mauern geſchleudert. Nach ei— 
niger Zeit wich der Wucht des Sturmbocks die Mauer, 
ganze Steinmaſſen rollten herab und nun warf der 
Landgraf ſeine auserleſenſten Krieger auf dieſen be— 
ſchädigten Theil und ſtürmte mit Leitern. Wiewohl 
ſich die Reutlinger auf's tapferſte wehrten und ihre 
Feinde mit Keule und Schwerdt, Spieß und Stangen, 
mit Steinen und ſiedendem Waſſer empfingen, fo ver: 
mochten fie doch kaum der Uebermacht und Wuth 
der Stürmenden auf die Länge Widerſtand zu leiſten. 
Da auf einmal erhoben ſich im Lager auf drei Seiten 
Feuerflammen, und ſchwarze Rauchwolken wirbelten 
zum Himmel auf. Frohlocken und Jubel ſchallte von 
den Mauern, und mit Schrecken wandte der Landgraf 
ſich mit ſeinen Kriegern nach dem Schauplatz des 
allgemeinen Erſtaunens um. Alles drängte ſich in 
wilder Unordnung dahin. Die Thürmer aber riefen 
von ihren Warten herab, das iſt die Eßlinger Reichs— 
fahne, der ſchwarze Reichsadler im goldnen Felde, 
der drüben flattert im Lager, und der helle Schimmer 
blanker Harniſche von Roß und Mann leuchtet uns 
in die Augen. 

Gott und der heil. Maria ſey Dank! jubelten die 
Bürger — auf, laßt uns den Schrecken des Feindes 
benützen und einen Ausfall machen. 

Da rauſchten die Banner von Reutlingen zu den 


367 


geöffneten Thoren hinaus, und in ungeordneten Haufen 
ſtürzte ſich Alles, was wehrhaftig, auf den fliehenden 
Feind. Von hinten und vornen bedroht und den 
Schrecken in ſeinem ganzen Heere, ringsum die Zelte 
und Wagen und Geräthſchaften in Flammen, bot der 
Landgraf Allem auf, mit dem noch geordneten Haufen 
ſich gegen die Achalm hin zurückzuziehen und ſeine 
Flüchtigen zu ſammeln, ſo gut es gehen konnte. 

Durchs brennende Lager aber ſprengten mit Freuden— 
geſchrei, das Panier hoch ſchwingend, die Reiter aus 
Eßlingen, an ihrer Spitze Walther im blanken Waffen— 
ſchmucke, und als ſein Auge den Altbürgermeiſter er— 
ſpähte, der gleich einem Jüngling das Schwerdt in 
der Rechten unter ſeinen Bürgern daherritt, da flog 
er auf ihn zu und rief: Willkommen, mein lieber 
Ohm, und Heil und Glück der treuen Reichsſtadt 
Reutlingen, wie unſerem allergnädigſten Herrn und 
Kaiſer Friedrich von Hohenſtaufen! Was macht meine 
liebe Baſe Eliſabeth? 

Mit Freudenzähren drückte ihm der Altbürgermeifter 
die Hand, denn er glaubte ihn vom Tode auferſtanden, 
und ſtieg dann vom Pferde ab, mitten im Getümmel, 
warf ſich auf die Kniee und rief gen Himmel: Ge— 
grüßet ſeyſt du holdſelige Jungfrau Maria, du Ge— 
benedeyte unter den Weibern! denn du haſt unſer 
Gelübde gnädig gehört und uns errettet aus der 
Noth und Gefahr, die uns dräuete! 

Dann wieder ordnete er ſeine wirren Haufen und 
ließ das brennende Lager wohl beſetzen, während der 


368 


Landgraf ſich noch immer, von den Muthigſten ver— 
folgt, zurückzog und erſt eine Viertelſtunde hinter dem 
Lager Halt machte, um ſeine Zerſprengten zu ſammeln. 

Bald läuteten alle Glocken der Stadt zum Sieg, 
und an der Seite ſeines Oheims ritt Walther mit 
ſeiner Schaar zum Thore hinein unter dem Jubel 
des ganzen Volkes. 

An der Ecke der nächſten Seitengaſſe lag vor einem 
Hauſe auf einer ſteinernen Bank ein mit dem Tode 
Ringender, neben ihm kniete ein Mönch, der ihm die 
Abſolution ertheilte. Als Walther vorüber ritt, rief der 
Sterbende: „Walther! Walther! Um Gotteswillen, 
nein, nein es iſt kein Traum, Ihr ſeyd es — ſeyd 
nicht ſchon drüben im Jenſeits — o, wenn Ihr kein 
Geſpenſt ſeyd und meine brechenden Augen mich nicht 
trügen, ſo haltet inne und vernehmet die letzten Worte 
eines Sterbenden.“ 

Ergriffen von dieſem Jammerruf, „ flieg Walther 
vom Roſſe und mit ihm der Altbürgermeiſter, der ſo— 
gleich in dem Sterbenden den jungen Rathsherrn er— 
kannt hatte. Walther! jammerte der Rathsherr und 
ſuchte deſſen Hand zu ergreifen — der Himmel iſt 
gerecht — o ſeyd barmherzig und verzeiht mir meine 
Todſchuld, ehe ich vor den Thron Gottes trete. — 
Walther! Walther! Ich habe ſchwer an Euch geſün— 
digt, denn wiſſet — ja! ja! Ihr Alle und Ihr Herr 
Altbürgermeiſter — wiſſet, ich habe das Höllenſtück 
vollführt, das ſo manchem meiner Mitbürger das 
Leben koſtete — ich habe unſern vorgehabten Aus fall 


369 


dem Feinde verrathen aus Rache gegen Euch, weil 
Eliſabeth ihr Herz Euch geſchenkt und mich verſchmäht 
hatte — ich ſchickte Euch in den ſichern Tod, wie 
ich hoffte — nun aber ſeyd Ihr demſelben entronnen, 
kehret heute als Sieger in unſere Stadt, während ich 
von einem Trabanten des Landgrafen ſelbſt dieſen 
Hellebartenſtich in die Bruſt erhielt und hier auf 
dem Pflaſter meinen Geiſt aushauchen muß, denn ich 
fühle es, ich erreiche mein Haus nicht mehr — meine 
Minuten ſind gezählt! 

Erſchrocken über dieſe Beichte fuhr Walther zu— 
ſammen — da alſo lag fein Todfeind, der ihm all 
ſein irdiſch Glück zerſtören wollte, aber er lag ja jetzt 
im Sterben, und mitleidig rief er aus: Unglücklicher! 
ich verzeihe Euch, ſo wahr mir Gott einſt auch ver— 
zeihen möge auf meinem Todtenbette! Dank! Dank! 
ſtöhnte der Rathsherr, und ſein Auge brach, ſeine 
Seele war entflohen. 

Erſchüttert ſtand das Volk umher, und mit tief: 
bewegtem Herzen ſtiegen Walther und ſein Oheim 
wieder zu Pferde und ritten ihrem Hauſe zu. 

Mit einem hellen Freudenſchrei empfing Eliſabeth 
ihren Walther und lange Zeit lagen ſie ſich ſprachlos 
in den Armen. Dann erzählte Walther, was ihm 
bisher begegnet, wie er dem Feinde mit Mühe und 
Noth entgangen, dann einige Wochen krank in Eß— 
lingen verweilt, aber in furchtbarer Beſorgniß um 
das Schickſal- der Seinigen und der Stadt Reutlingen 
dem Rath von Eßlingen keine Ruhe gelaſſen, bis ſie 

II. 24 


370 


ihm wieder ein Häuflein Reiſiger zum Zuzug gegeben, 
mit welchen er gehofft habe, ſich in die belagerte 
Stadt zu ſchlagen. Als er nun von der Metzinger 
Höhe herab das Kampfgeſchrei und den Sturm wahr— 
genommen, und wie das Lager faſt ganz verlaſſen 
und alle Kriegsleute um die Mauern zum Stürmen 
verſammelt geweſen, da ſey er in flüchtigem Ritt in 
das Lager eingebrochen und hätte es in Brand geſteckt. 


So biſt du die Hand, lächelte Eliſabeth, durch welche 
die Jungfrau Maria unſere Stadt gerettet hat. 

Ja, ſo iſt es! ſprach der Altbürgermeiſter, denn 
auf den Schrecken erſt, welcher die Feinde erfaßte, 
als ſie hinter ſich ihr Lager in Flammen ſtehen ſahen, 
konnten wir ſolchen Sieg über ſie erfechten. 

Des andern Tages mit dem Früheſten meldeten 
die Hochwächter, daß der Landgraf mit ſeinem Heere 
verſchwunden und bei Nacht und Nebel abgezogen 
ſey. Nun ſtrömte Alles hinaus, und die jungen 
Bürger zogen den Sturmbock herein auf den Markt— 
platz, wo alles Volk ſtaunend um denſelben ſchwärmte, 
und das rieſige Werk mit ſeinen Eiſenringen und 
ſchweren Handhaben betrachtete. b 

Im nemlichen Herbſt noch ward das Hoch— 
zeitsfeſt Walthers mit ſeiner Baſe gefeiert, und die 
Stadt ſchenkte ihm aus Dankbarkeit für ſeine ritter— 
liche That einen Platz zu einem Hauſe. An gleichem 
Tage ward auch neben dieſem Hausplatz der Sturm— 
bock aufgeſtellt, und nach feinem Maaß der Grund— 


371 


ſtein gelegt zu der Kirche, welche die Stadt der 
Jungfrau Maria gelobt hatte. Neben dem Altbürger— 
meiſter und dem Rath gaben auch Walther und Eli- 
ſabeth ihre drei Hammerſchläge auf den erſten Stein, 
und legten das Fundament zu ihrem zeitlichen Glück. 
Sechs und neunzig Jahre vergingen über dem Bau 
des Tempels, der, ohne den Chor und den Thurm 
einzurechnen, hundert ſechs und zwanzig Schuhe in 
die Länge erhielt. Der dreihundert fünf und zwanzig 
Schuh hohe Thurm wurde im Jahr 1343 vollendet, 
und am Tage des heil. Oswalds ward auf die Spitze 
des Thurmes, der ſchlank und durchbrochen zum 
Himmel ſtrebt, der große vergoldete Engel geſetzt. Die 
Hauptdenkmale dieſer Baufunft fallen in Schwaben zwar 
erſt in die folgenden Jahrhunderte, wie das Ulmer 
Münſter, die Frauenkirche zu Eßlingen und Andere, 
aber der Styl und die Muſter entfalteten ſich in der 
Zeit, wo die Hohenſtaufen die Krone des römiſch— 
deutſchen Reiches trugen. Der gewaltige Geiſt dieſer 
Zeit trieb ſolche rieſige Thürme und Dome zum Himmel, 
die Kreuzesform herrſchte in dieſen heiligen Bauten 
vor, und die Roſe, aus welcher, als Grundfigur alles 
Laubwerk und aller Reichthum der Zierathen hervor— 
wuchſen, und aus welcher die Bogen und Gewölbe, 
feſt und ruhend, wie das Gewölbe des Himmels und 
die ſchlanken Säulen, die leicht, wie die Andacht und 
die Gebete des Glaubens, ſich aufwärts ſchwingen. 
Der Landgraf aber zog nach Ulm, wo er einen 
ähnlichen Widerſtand fand, und dort, von einem ver— 


372. 


gifteten Pfeile getroffen, ins Thüringer Land heimzog 
und ſchnell an der Wunde ſtarb. So hatte er ver— 
gebens nach der Kaiſerkrone gerungen, aber auch 
Friedrich der Staufer ſtarb nach drei Jahren, im Jahr 
1250, im ſieben und fünfzigſten Jahre feines thaten— 
vollen Lebens, gedrängt vom Unglück, aber nicht ge— 
beugt. Nach ihm erloſch der Glücksſtern ſeines mäch⸗ 
tigen und glorreichen Hauſes. 


XI. f 
Buine Bebenburg. 


Bebenburg, im Munde des Volks Bemberg, liegt 
im Bezirk Gerabronn auf der Thalhöhe, an deren 
Fuß die Brettach und Blaubach ſich vereinigen. Von 
dem alten Schloſſe, das von hier aus weithin die 
Gegend beherrſchte, ſtehen nur noch die Reſte eines 
uralten Thurms. Die Burg wurde im Jahr 1449 im 
Städtekrieg zerſtört. Im Jahr 1539 wurden die 
Ueberreſte von Gebäulichkeiten an Privatperſonen ver⸗ 
kauft, und von den Reſten des Burgſtalls der jetzige 
Weiler angelegt. ö 

Einem mächtigen Dynaſtengeſchlechte gab dieſe Burg 
einſt den Namen; ſte waren ein Zweig der Küchen— 
meiſter von Nortenberg. Der erſte bekannte Herr von 


373 


Bebenburg war Wolfram, Stifter des Kloſters Schön- 
thal, welcher vom Jahr 1140 bis 1162 vorkommt. 
Im Jahr 1171 erſcheinen zwei Brüder, Wolfram und 
Dietrich von Bebenburg, in einer Urkunde des Kloſters 
Schönthal unter den Zeugen. Das Jahr darauf 
zeugt gleichfalls ein Wolfram von Bebenburg in einer 
Urkunde Kaiſer Friedrichs I., mit der er das Kloſter 
Schäftersheim in ſeinen Schutz nimmt. Von dieſen 
beiden war Dietrich Chorherr zu Würzburg und dann 
Probſt zu Anſpach, als welcher er noch im Jahr 1194 
erſcheint. Wolfram wird im Jahr 1178 genannt. 
In welchem Verhältniß dieſe beiden Herren zum 
Stifter von Schönthal geſtanden, können wir nicht 
urkundlich nachweiſen, aber wahrſcheinlich waren es 
Söhne Wolframs J.; auch ſollen ſie noch eine Schweſter 
Namens Sophie gehabt haben, welche ums Jahr 1194 
als Hausfrau Herrn Friedrichs von Bielriet vorkommt. 
Nun aber erſcheint eine bedeutende Lücke in der Ge— 
nealogie der alten Bebenburger. Ein kundiger Forſcher 
fränkiſcher Geſchichte behauptet, mit dieſen beiden 
Brüdern feye das Geſchlecht der Edelherren ausge— 
ſtorben, die Herrſchaft Bebenburg an das Reich zurück— 
gefallen und dann ein Reichsdienſtmann damit be— 
lehnt worden, der nun Gründer des Geſchlechts der 
Ritter von Bebenburg geworden. Die erſten dieſer 
neuen Familie, die genannt werden, ſind Rudolf und 
Lupold von Bebenburg, welche im J. 1329 das Patro— 
nat der Kirche in Gammesfeld der Johanniter-Commen— 
thurie in Rotenburg übergeben. Dieſe Herren beſaßen 


374 


auch die Burg zu Gammesfeld; im Jahr 1332 wur: 
den ſie von dem Grafen Kraft von Hohenlohe noch 
mit der Veſte Burleswag belehnt. Im Jahr 1445 
erhielt der genannte Rudolf von Bebenburg von dem— 
ſelben Grafen von Hohenlohe noch andere Lehen, 
unter andern ein Burglehen zu Lobenhauſen. Im 
Jahr 1347 war er nicht mehr am Leben, denn im 
September dieſes Jahrs beſtätigen Lupold von Beben— 
burg, Domherr zu Würzburg, Friedrich von Beben— 
burg, Johanniter, ſein Bruder, und Walter Küchen— 
meiſter von Nortenberg, dieſe alle Vormünder Rudolfs 
v. B. ſeligen, und Engelhard v. B., des letzteren 
älterer Sohn, das Vermächtniß, welches Rudolf v. B. 
mit ſeiner Hausfrau Sophie, Geborne von Rechberg, 
noch bei Lebzeiten zu ſeinem und ihrem Seelenheil 
an das Kloſter gethan, und beſtand ſolches in 10 
Pfund Hellern, oder an ihrer Statt 20 Malter Korn, 
welche die Erben jedes Jahr aus Gütern zu Gammes— 
feld zu verabreichen hatten. Dieſe Stiftung, ſo heißt 
es in der Urkunde, machte Rudolf v. B. an das 
Kloſter, uhr den Schaden zu erſetzen, welchen er mit 
Andern demſelben zugefügt hatte. Auch mögen ſo 
heißt es ferner in derſelben, Abt und Convent ihm 
dem Verblichenen um Gottes Willen verzeihen, und 
vielmehr deſſen eingedenk ſeyn, was ihnen und dem 
Kloſter von ihm und feinen Vorfahren Guts ge— 
ſchehen. Aus Letzterem erſehen wir, daß Rudolf v. B. 
den Stifter Wolfram von Bebenburg auch unter ſeine 

Vorfahren zählte, und alſo auf jeden Fall in einem ver— 


375 


wandtſchaftlichen Verhältniſſe zu dem alten Geſchlechte 
geſtanden. Der bedeutendſte Mann aus der Familie 
der Bebenburger iſt unſtreitig der bereits genannte 
Lupold v. B., Bruder Rudolfs, zuerſt Domherr zu 
Würzburg, Mainz, Bamberg, und dann Biſchof zu 
Bamberg von 1352 — 1363. Im Jahr 1348 ſtiftete 
er eine Schweſterklauſe zu Gammesfeld, und im Jahr 
1357 die Marienkapelle zu Anhauſen, welche ſpäter 
zu einem Auguſtinerkloſter erhoben wurde. Lupold 
von Bebenburg hat ſich auch in der gelehrten Welt 
einen bedeutenden Namen erworben, durch einige 
hiſtoriſche Werke, die jetzt zu den ſeltenen Wiegen— 
drucken gehören. Er ſtarb zu Bamberg im Jahr 
1363, und ein Denkſtein mit ſeinem Bild und Wappen 
iſt noch jetzt neben denen vier Gliedern ſeines Ge— 
ſchlechts, an der ſogenannten Anhäuſer Mauer, dem 
einzigen Ueberbleibſel des Kloſters Anhauſen, zu ſehen. 
— Unter Rudolfs v. B. Söhnen kam Bebenburg in 
fremde Hände. Engelhard, ſein älteſter Sohn, ver— 
kaufte ſie im Jahr 1357 auf Wiederkauf an Herrn 
Engelhard von Hirſchhorn. Im Jahr 1360 bewilligte 
K. Karl IV. Engelharden von Bebenburg, im Fall 
er ohne Leibeserben ſtürbe, dem Engelhard v. Hirſch— 
horn die Veſte Bebenburg auftragen zu dürfen, wo— 
raus ſich ergibt, daß fie Reichslehen geweſen. In 
demſelben Jahr geben ſeine Brüder Friedrich und 
Wilhelm ihren Conſens zu dem Kauf. Doch bis zum 
Jahr 1380 ſind die Herren v. B. wenigſtens noch 
theilweiſe im Beſitz der Veſte und Herrſchaft Beben— 


376 


burg, und der dazu gehörigen Burg Gammesfeld; 
aber im Dezember des genannten Jahres traten Wil— 
helm v. B. und ſeine Hausfrau Gutta, Geborene von 
Landau, ihren Antheil, und im Jahr 1405 Catha— 
rina von Klingenſtein, Wittwe des Conrad von Be— 
benburg, das ihr zum Leibgeding verſchrieben geweſene 
Drittel an die Burggrafen Friedrich V. und VI. von 
Nürnberg käuflich ab. — Wo die Herren von Beben— 
burg ſeitdem ihren Anſitz hatten, iſt nicht angegeben. 
Vielleicht zogen ſie ſich vom Land in die Stadt Ro— 
tenburg zurück. Im Jahr 1431 ſtarb daſelbſt Junker 
Rudolf von Bebenburg, und liegt in der Kirche der 
Dominikanerinnen begraben, wo noch ſein Grabmal 
mit Wappenſchild zu ſehen iſt. Ungefähr um dieſelbe 
Zeit lebte Conrad von Bebenburg, der durch ſeinen 
Handel mit der Stadt Hall bekannt geworden. Der 
Handel aber ging alſo an: Als die Pfarrei Reinſperg 
ums Jahr 1440 erledigt wurde, da ſetzte der Abt 
zu Comburg, als Kirchherr, den Sohn eines Salzſieders 
zu Hall als Pfarrer ein. Aber es ſtand nicht lange 
an, ſo ſandte der Biſchof einen andern Pfarrer, Na— 
mens Berchtold von Rotenburg, dem der erſtere Platz 
machen mußte. Derſelbe beſaß eine gute Zeit die 
Pfarrei; aber der Salzſieder wollte ſeinen Sohn wie— 
der in der Stelle haben. So nahm er eines Abends 
etliche Haalbuben (Siedergeſellen) an ſich, und lief mit 
ihnen hinaus nach Reinſperg. Da fingen ſie den Pfar— 
rer in ſeinem Garten, führten ihn hinter den Reinſpach 
hinab, zwiſchen Scheffau und Horbach zu einem Wag 


377 


(wogendes Waſſer) an die Bühler, dräuten ihn, er 
ſollte dem vorigen Pfarrherrn wieder weichen, und 
feine Gerechtigkeit übergeben, wo nit, jo wollten fie 
ihn ertränken — er aber wollt nit abſtehen. Da 
nahmen ſie ihn, gürteten ihm die Juppen zu, ſchuben 
ihm den Buſen und Aermel voll Stein, warfen ihn 
in den Wag, und als er wieder heraus kroch, warf 
einer ihm einen Stein an den Kopf, daß er hinter 
ſich fiel und ertrank; ſeinen Leichnam hingen ſie an 
einen Baum. Auf dieß wendete ſich der Biſchof von 
Würzburg an die Stadt Hall, und „forderte wegen 
ſeines Pfaffen Ermordung Bekehrung und Wandel,“ 
(angemeſſene Buße). Die Stadt antwortete, daß ſie 
und die ihrigen Solches nicht angehe. Der Biſchof 
beſtand auf ſeiner Forderung. Als, aber die Sache 
keinen Fürgang hatte, ſo übertrug der Biſchof Con— 
raden von Bebenburg, ſeinem Diener und Stiftsmann, 
die Bauren zu Reinſperg, ihr Leib und Gut zu ſeinen 
Handen zu antworten, und ſchickte ihm dazu die Sei— 
nigen zu Roß und zu Fuß, die ſolches mit ihm thun 
ſollten. Da kam noch eine andere Sache hinzu, wo— 
durch dem von Bebenburg der Auftrag ein willkom— 
mener wurde. In denſelben Tagen war ſeine Haus— 
frau in dem Wildbad geweſen. „Nun kam ſie bei 
nächtlicher Weil vor das Kloſter Comburg, und be— 
gehrte nach Herberg, der Abt aber war nicht anheims; 
ward ihr zur Antwort, ſie dürften Niemanden ein— 
faffen, weil ihr gnädiger Herr und Abt nit anheims 
wär', ſie ſollt hinab gen Steinbach in das Thal 


** . 


378 


fahren, ſo fände ſie gute Herberg. Da fie aber hin: 
fuhren, warf der Fuhrmann um, brach der Bem— 
bergerin einen Arm ab. Nachdem ſie aber heim kam, 
klagte ſie Solches ihrem Mann, wie man den Pfaffen 
ertränkt und jetzo ſie veracht, bei Nacht nit wollen 
in das Kloſter laſſen, darum ihr dieſer Schad und 
Schmach widerfahren; hetzte und erzürnte ihren Junker, 
daß er bald darnach etliche der Seinen, auch des 
Markgrafen von Anſpach Amtsverwandte aufmahnte, 
und denen von Reinſperg unabgeſagt die Kühe weg— 
nahm. Die Bauren folgten nach und ſchrieen Zeter 
Mordio! Weil aber dazumal Comburg unter deren 
von Hall Schutz und Schirm ſtand, und das Dorf 
derer von Comburg war, ſo liefen die Hälliſchen mit 
Spieß und Stangen zu, ereilten ſie bei Ilshofen, 
drangen ihnen das Vieh ab, und fingen 21, führten 
ſie am St. Nicolaus Abend gen Hall, und hängten 
ſie alle am andern Tag. Darunter, ſo ſagt man — 
alſo erzählt der alte Chroniſt Herold in ſeiner Haller 
Chronik — ſei auch ein Schmidbub geweſen, den hab 
man gefragt: wie er heiße? hab er geantwortet: er 
heiße Hans; darauf der Stättmeiſter geantwortet: 
jo du Hänslein hießeſt, that man dir Nichts, weil 
du aber Hans heißeſt, ſo mußt du mit den Burſchen 
hinfahren. — Auf dieſe Gewaltthat forderte Conrad 
von Bebenburg die von Hall vor ein Schiedsgericht 
und verklagte ſie wegen unrechtichen Gebrauchs ihrer 
Freiheit vor dem Landgericht zu Würzburg und Her— 
zogthum in Franken, und erlangte eine Achtserklärung 


Ag => 
4 * 


379 


gegen Hall, ſodann verlangte er vor dem Richterſtuhl 
des Kaiſers ſelbſt Beſtätigung dieſes Urtheils. In 
ſeiner Klageſchrift verlangte er unter Anderem: „Der 
Wandel ſey Bann gegen Bann, und die Seelen zu 
beſſern (büßen), oder aber für jegliche Perſon einen 
ganzen güldenen Mann, als groß, als jener geweſen 
iſt (der ertränkte Pfaffe), und darnach die Seele zu 
beſſern.“ Ueber den weiteren Gang des Handels 
wiſſen wir nur ſo viel, daß es im Jahr 1442 zu 
einem kaiſerlichen Urtheilsſpruch kam, der aber keine 
eigentliche Entſcheidung der Sache herbeiführte. Da— 
gegen erwuchs aus dieſem Handel den Hallern ein 
Krieg, der Menſchen und Geld koſtete. Unter den 
21 Gefangenen, die gehängt wurden, waren etliche 
Grundholden des Markgrafen Albrecht zu Ansbach. 
Aus Rache begann nun dieſer im Jahr 1444 um 
Mariä Heimſuchung mit den Hallern Fehde, wie er 
bisher mit den Nürnbergern gekriegt hatte, und that 
ihnen viel Schaden. Ein und ein halbes Jahr dauerte 
der Krieg, mit Rauben, Sengen und Brennen von 
beiden Seiten, bis es zu einem Frieden kam, in Folge 
deſſen die von Hall dem Markgrafen 6000 fl. geben, 
und den 21 Gehängten einen Jahrstag in der Kirche 
zu Anhauſen an der Bühler aufzurichten gelobten. 
In dieſem Kriege wurde auch die Bebenburg verbrannt. 
Conrad von Bebenburg mit den übrigen Edelleuten 
der Gegend war auch auf Seiten des Markgrafen, 
und der Beben burger beſonders mag nicht unterlaffen 
haben, an den Feinden fein Müthlein zu kühlen. 


380 


Seitdem hören wir Nichts mehr von ihm. Vielleicht 
ein Sohn Conrads war Jörg v. B., des h. roͤmiſchen 
Reichs Erbküchenmeiſter, der im Jahr 1469 die Pfarr— 
und Kirchen-Sätze zu Oberaſpach und die Badſtube 
zu Unteraſpach dem Kloſter und Gotteshaus An— 
hauſen, mit Bewilligung Wilhelms von Bebenburg, 
überlaſſen. Er ſtarb im Jahr 1472, und wurde in 
dem Familienbegräbniß Anhauſen beigeſetzt, wo ſein 
Grabmal zu ſchauen, auf dem er in Lebensgröße in 
Stein gehauen. Der genannte Wilhelm v. B. war 
der Letzte des Mannsſtamms dieſer Familie. Im 
Jahr 1499 — 1502 war er markgräflicher Amtmann 
zu Lobenhauſen und ſtarb im Jahr 1516. — Als 
Wappen führten die Herren von Bebenburg im ſil— 
bernen Feld zwei rothe Thürme mit Zinnen, und auf 
dem Helm eine geflügelte weibliche Figur, daher wir 
im Wappen des Kloſters Schönthal dieſelben Thürme 
finden. 

An den zertrümmerten Thurm der alten Herren— 
burg knüpfen wir die Sage von Wolfram von Beben— 
burg, dem Stifter des Kloſters Schönthal. 


Wolfram von Bebenburg. 


Otto von Bebenburg lebte im Anfang des zwoͤlf— 
ten Jahrhunderts, und war einer der tapferſten Ritter 
des Gaus, in dem Rotenburg lag. Wenn es darauf 
ankam, ſeinem Lehensherrn mit einem Fähnlein Knechte 
zu Hülfe zu ziehen, war er gewiß einer der erſten, 


381 


der ſich einfand; aber bei Mahlen und Banketten, 
die die reichen Gaugrafen fo häufig hielten, fehlte 
immerdar Otto von Bebenburg, denn er war kein 
Freund von ſolchen Dingen; lieber ging er, wenn 
ihn Fehden nicht in Anſpruch nahmen, auf die Felder, 
wenn ſeine Knechte pflügten oder die Schnitter im 
Kornfeld ſtanden und reichen Segen ſammelten — 
vor allem aber war er ein Liebhaber der Jagd. 
Dieſer war er leidenſchaftlich ergeben, mehr als es 
ſeiner Gattin, der edlen Bertha von Seckendorf, lieb 
war. Solcher Liebhaberei huldigte er nicht minder, 
als er ſeinen erſten Sohn Wolfram auf den Armen 
wiegte, denn das Waidwerk war ihm gleichſam zur 
andern Natur geworden. Sobald der Knabe fo weit 
herangewachſen war, daß er auf dem hölzernen Reit— 
gaul ſitzen konnte, nahm er ihn mit ſich auf ſein 
Jagdroß, trotz des Widerſtrebens der liebenden Gattin, 
denn der Ritter Otto wollte, daß ſeinem Söhnlein 
ſchon frühe dieſe Neigung eingeprägt würde. Das 
blutjunge Knäblein mußte vorn auf den Sattelknopf 
ſitzen, wenn es noch ſo bittend die Hände zur lieben 
Mutter ausſtreckte und Thränen über Thränen von 
ſeinen rothen Wangen floßen — und der unerbittliche 
Vater behielt ihn oft bei ſich auf der Jagd vom 
Morgen bis zum Abend, denn ſo lange blieb Otto 
gewöhnlich von Hauſe entfernt. Ging es ſcharf beim 
Jagen, ſo gab er das Söhnlein einem ſeiner Jagd— 
genoſſen, oder ſetzte es nieder am Stamme einer Eiche 
auf bekanntem Platze — hätte Frau Bertha es ge— 


—— 


382 


wußt, ſie wäre vor Schmerz vergangen — und zum 
Spiel gab er dem Söhnlein eine ſeiner Rüden und 
ſeine Jagdflaſche, welche das Knäblein wohl kannte, 
denn wenn es dürſtete, gab ihm der Vater daraus 
zu trinken, wenn es aber hungerte, mußte es vorlieb 
nehmen mit dem ſchwarzen Brode, das die Jagdge— 
noſſen des Ritters zum Imbiß mit ſich nehmen mußten. 
Da geſchah es eines Tags, daß der Ritter allein 
auf der Jagd war — bald wurde er eines merk— 
würdigen Wildes anſichtig und er rüſtete ſich, es zu 
verfolgen. Schnell ſtieg er vom Pferde und ſetzte 
den Knaben von vier Jahren nieder am Stamme ei— 
ner wohlbekannten Eiche — und neben ihm legte ſich 
der Rüde Waldmann, der mit dem Knäblein geboren 
und aufgewachſen war. Jetzt folgte der Ritter dem 
Wilde, das ihm in den Weg getreten war — es 
war ein Hirſch mit 16 Enden, deren er noch wenige 
geſehen hatte von ſolcher Größe. Raſch gings in 
geſtrecktem Laufe durch Buſch und Wald — immer 
hatte der Ritter den Hirſch im Auge, aber nie kam 
er ſo weit nahe, daß ſein Speer ihn erreichen konnte 
— der Hirſch verließ das Dickicht des Waldes und 
ſtrebte in's Weite — der Ritter folgte ihm mit ſei— 
nen Rüden — der Hirſch ſprang ohne Ermüden 
immer weiter; nach und nach verlor ſich dieſer und 
jener der Rüden — denn fie vermochten dem Schnell: 
füßigen nimmer zu folgen und blieben zurück. Die 
Sonne ſtand hoch am Himmel, als der Ritter zur 
Jagd ritt, jetzt war ſie beinahe ſchon geſunken, und 


383 


in weiter Ferne erglänzte die Zinne von Bebenburg 
im Abendſtrahle. Da wo die Brettach ſchon in ziem— 
licher Breite dahin fließt, ſtand der Hirſch eine Zeit— 
lang ſtille, aber als er ſah, daß der Ritter ihm nahe, 
faßte er einen Sprung, er erreichte mit Mühe das 
Ufer, der Ritter in der Haſt des Verfolgens konnte 
ſein Roß nimmer halten, es wagte gleichfalls den 
Sprung, aber er reichte nicht zum Ufer. Lang ſtrebte 
das Roß ſich in der Höhe zu halten, aber je mehr 
es ſtrebte, deſto tiefer ſank es unter im Schlamme 
des Fluſſes, und Ritter und Roß ſanken zur Tiefe. 

Während dieß Traurige geſchah, ſaß Frau Bertha 
ſehnſüchtig auf dem Söller der Burg und blickte 
hinüber an die Gränze des Waldes, in den ihr Ge— 


mahl zur Jagd geritten war — jeden Augenblick 
mußte er nahen, denn die Sonne war ſchon unter: 
gegangen — und nie war es ſo ſpät geworden, wie 


ſehr auch der Ritter ſelten gewohnt war, frühe heim— 
zukehren. Schon lagerten ſich dichte Schatten über 
die Umgegend, Otto kam immer noch nicht; da ſandte 
Frau Bertha ihre Diener aus, um Vater und Söhn— 
lein aufzuſuchen. Dieſe fanden von Beiden keine 
Spur — oft riefen ſie den Herrn beim Namen, aber 
Nirgends her ward ihnen eine Antwort. Betrübt 
kehrten ſie heim, und brachten die traurige Kunde 
ihrer Gebieterin, daß ſie weder ihren Herrn noch das 
Söhnlein gefunden. Berthas Bangigkeit wurde immer 
größer, als mitten in der Nacht die Rüden heim⸗ 
kehrten, welche ihr Gemahl mit ſich genommen hatte, 


384 


nur einer fehlte, der getreue Begleiter des Söhnleins. 
Begleitet von einem Diener, machte ſich Frau Bertha 
mit dem Fruͤheſten des Morgens ſelbſt auf den Weg. 
Der Diener führte neben ſich einen der Hunde, die 
vom Walde heimgekehrt waren. Bald kamen ſie zu 
der Eiche, an der Ritter Otto ſein Söhnlein zurück— 
gelaffen hatte. Die wohlbekannte Jagdflaſche ihres 
Gemahls lag auf dem Boden. Gottlob, ſprach Frau 
Bertha, doch eine Spur. Lange ſchnoberte der Rüde, 
den ſie mitgenommen, an der Stelle; er ſchien einem 
bekannten Geruche nachzugehen. Immer weiter ſuchte 
der Hund. Frau Bertha und ihre Diener folgten, ſo 
weit er ging. Mehr als eine Stunde gingen ſie 
hinter dem Hunde — er führte ſie aus dem Walde 
in die Ebene — immer rüſtiger wurde ſein Gang 
— kaum vermochte die Frau mit ihren zarten Füßen 
dem ſchnellen Laufe des Hundes zu folgen. Jetzt lief 
er ſo weit vor ihnen, daß ſie ihn kaum mehr erblick— 
ten — auf einmal hielt er ſtille und wedelte mit 
dem Schwanze — ein anderer Hund ſprang ihm zu 
— es war Waldmann, der Geſpiele des kleinen 
Wolfram, der jetzt freudig auf fie zueilte — aber 
der andere Hund, deſſen Spur die beiden bisher ge— 
folgt waren, blieb ſtehen, richtete den Kopf in die 
Höhe und heulte laut in die Luft. Frau Bertha 
und der Diener waren jetzt nahe gekommen — ſie 
ſtanden am Ufer der Brettach — ein freudiger An⸗ 
blick und ein ſchmerzlicher bot zu Einer Stunde ſich 
ihnen dar. Hier ſaß der kleine Wolfram — und 


385 


neben ihm ein Mägdlein von gleicher Jugend, das ſich 
freundlich an ihn anſchmiegte; noch lagen auf ihrem 
Schooß die Reſte von Erdbeeren, die ſie mit einander 
verzehrt hatten. Freudig ſtand das Knäblein auf und 
lief ſeiner Mutter entgegen, ohne das Händchen des 
Mädchens fahren zu laſſen. Sieh! lieb Mütterlein, 


rief der Kleine, und ſtreckte der Mutter noch einige 
Erdbeeren hin, die hat mir das Mägdlein gebracht, 


denn ich hatte großen, großen Hunger. Während die 
Mutter das wiedergefundene Kind in die Arme ſchloß, 
ſtand der Diener neben dem Hunde, der ſich heulend 
gegen den Fluß gewandt hatte. Schaut, rief er auf 
einmal, dort hängt ja das Barett eures Gemahls, 
meine Gebieterin! Wirklich ragte aus dem Waſſer 
beraus ein Barett mit einer Reiherfeder, wie Herr Otto 


es zu tragen pflegte, und bald ergab es ſich, daß es 
die Stelle ſey, an der der Ritter mit dem Pferde 
untergeſunken war. O Gott, mein Gemahl! rief Frau 


Bertha, als ſie hinblickte und unter dem Barett das 


bleiche Geſicht des Ertrunkenen erkannte — ſie ſank ohn— 


mächtig auf den Boden. Laut ſchrie Wolfram, als 
er ſeine Mutter hinſinken ſah und legte ſich neben ihr 
nieder, aber das Mägdlein faßte ihre Hände und weinte 
und ſchluchzte. 

Ehe Frau Bertha von ihrer Ohnmacht erwachte, 


war der Diener nach Hauſe geeilt, um Leute herbei— 


zuholen und Rath zu ſchaffen in der jammervollen 

Lage. Wie we'slich fügt es oft die Vorſehung, daß 

der Menſch, während das Leid in vollem Maaße herein 
II. 25 


386 


bricht, die Größe des Schmerzens nicht empfindet, denn 
es tritt der Zuſtand der Bewußtloſigkeit ein. Bertha 
war mit beiden Kindern ſchon auf ihre Burg gebracht, 
als ihre Ohnmacht ſie verließ. Als ſie die Augen 
aufſchlug, lag ſie auf ihrem Bette; zu beiden Seiten 
ſtanden die Kinder, welche ihre Hände gefaßt hielten 
und immer noch weinten. Sie wollte ſich aufrichten, 
um in den Burghof zu eilen, aber ſie fiel in eine 
neue Ohnmacht. Drunten im Hof lag Otto v. Beben— 
burg, ſtarr mit geſchloſſenen Augen, auf einer Trag— 
bahre, umgeben von ſeiner Dienerſchaft, welche laut 
klagte, denn alle waren ihrem Herrn von Herzen zu— 
gethan. Wirklich hatte man den edlen Herrn im Schilf 
des Fluſſes gefunden — ſein Pferd war in der Tiefe 
verſunken — aber er ſaß noch feſt auf dem Sattel — 
ſeine Rechte lag krampfhaft um den Zügel, und man 
ſah deutlich, wie er alle Kraft angewendet hatte, um 
das Pferd in die Höhe zu reißen. Am dritten Tage 
ward Herr Otto v. Bebenburg in der Gruft ſeiner Väter 
beigeſetzt; hinter ſeinem Sarge gingen nur Wenige. 
Frau Bertha lag fieberkrank im Bette, das ſie nicht 
verlaffen durfte, aber den kleinen Wolfram nahm der 
alte Diener auf ſeine Arme und trug ihn zunächſt 
hinter dem Sarge; ſo ſah Wolfram von Bebenburg, 
der noch nicht die Größe ſeines Verluſtes kannte, in 
die Gruft ſeines Vaters, und faltete betend die Händ— 
lein, als man ihn hinabſenkte, denn er ſah, wik die 
übrigen die Hände falteten und beteten für die Seele 
des geliebten Burgherrn. 


387 


Unter dem Traurigen, was bisher geſchehen war, 
hatte man des fremden Mägdleins beinahe vergeſſen. 
Als man Frau Bertha und ihr Söhnlein von dem 
Orte wegbrachte, wo das Schreckliche vorgegangen war, 
ſo folgte das Mägdlein und ließ ſich von Niemand 
abtreiben. — Die Tage der großen Unruhe auf der Burg 
waren vorüber, Bertha konnte auch nach und nach 
das Krankenlager verlaſſen, und jetzt erſt richtete ſie 
ihre Aufmerkſamkeit auf das Kind, welches auf fo 
wunderbare Weiſe mit ihrem Söhnlein zuſammenge— 
troffen war. Bis auf dieſe Stunde hatte noch Nie— 
mand nach dem Kinde gefragt, deſſen Heimath oder 
Herkunft durch keine Frage ermittelt werden konnte, 
die Frau Bertha an daſſelbe richtete. Nur ſo viel 
konnte man aus ſeinen kindlichen Antworten ſchließen, 
daß Ida ſein Name ſey, daß es in dem kleinen Stüb— 
chen eines ſchöͤnen, von dichter Waldung umgebenen 
Häuschens erzogen wurde, wo nur eine alte Frau 
liebevoll ſeiner wartete. Es ſah nie Jemand anders 
um ſich, als eine ſchöngeſchmückte Frau, welche es zu= 
weilen beſuchte, aber nie froh anblickte. Selten kam 
es aus ſeinem einſamen Stübchen, und immer war 
die alte Frau ihm zur Seite. Einmal entging es der 
Aufſicht ſeiner Wärterin, ging hinein in den Wald 
und ſuchte Erdbeeren, kam aber immer tiefer in den 
Wald hinein. Es hörte die Stimme ſeiner Waͤrterin, 
aber aus Furcht verlief es ſich immer weiter, bis es 
ganz ermüdet, nach langem Gehen, an jene Eiche kam, 
wo der kleine Wolfram mit ſeinem Hunde ſpielte. 


2388 


Dort theilte es mit dem Knaben die Erdbeeren, welche 
es geſammelt hatte, und als es Nacht war, ſchlief es 
neben ihm ein auf dem Mooſe. Des Morgens ver— 
ließ der Hund die Eiche und wedelte freundlich, bis 
ſie beide ihm folgten und an den Ort kamen, wo 
Wolframs Vater im Fluſſe untergeſunken war. — 
Letzteres berichtete der kleine Wolfram, als ergänzend 
zu des Mägdleins unvollſtändiger und manchmal uns 
deutlicher Ausſage. Dieß Wenige reichte hin, um 
nähere Forſchungen anzuſtellen, ob etwa das Kind ei— 
nem der benachbarten Ritter des Gau's gehöre. — 
Ueberall hin ſandte Frau Pertha Boten, um Erkun— 
digung einzuziehen, aber Niemand fand ſich, der an 
das Kind einen Anſpruch machte. Da unterließ es 
die trauernde Wittwe, weiter nachzuforfchen. Hat mir, 
ſprach ſie, der Herr des Himmels eine liebe Seele von 
der Seite genommen, ſo hat er doch eine andere mir 
wieder zugeführt. Zudem hatte ſich auch das Maͤgd— 
lein ſo ſehr an den kleinen Wolfram angeſchloſſen, 
daß es jedesmal weinte, wenn man davon ſprach, wie 
es bald feinen lieben Geſpielen verlaffen müßte. Das 
rum betrachtete Frau Bertha das fremde Mägdlein als 
ihr Eigenthum, und es galt ihr wie ein Töchterlein, 
das ſie unter ihrem eigenen Herzen getragen. Von 
nun an waren die beiden Kinder der einzige Troft 
und die einzige Freude in ihrem frühen Wittwenſtande. 
Wie zwei Geſchwiſter wuchſen die Kinder neben einan— 
der auf. Ida betrachtete ihren Geſpielen Wolfram 
nicht anders, als ihren Bruder, und die Frau von 


389 


Bebenburg als ihre Mutter. Mit ſichtbarem Wohl— 
gefallen blickte Frau Bertha auf das innige Verhaͤlt— 
niß der Kinder, und ſie ſchien, es auch nicht mißbilli— 
gend anzuſehen, als Beide heranblühten, und aus jenem 
Verhältniß der Geſchwiſter noch ein innigeres nach und 
nach ſich entfaltete. Zuvor die beſtändige Theilnehmerin 
an Wolframs Spielen, ſaß Ida ſeit ihrem ſechszehn— 
ten Jahre mehr einſam auf ihrem Gemache, aber ſie 
war nicht minder mit dem geliebten Bruder im Geiſte 
beſchäftigt; derweil tummelte Wolfram ſein Roß auf 
der Ebene oder ritt zur Jagd, aber mehr, um ſeine 
Gedanken zu zerſtreuen, denn als der Neigung zu 
fröhnen. Es waltete jenes Gefühl in ſeinem Herzen, 
in dem man Gottes freie Natur, beſonders das Dunkel 
der belaubten Wälder ſucht, um an den Gegenſtand zu 
denken, dem man nahe ſein könnte, und doch nicht 
nahe ſein will, damit er nicht belauſche die Gedanken 
des Herzens, damit er nicht begegne dem liebeglühenden 
Blicke des Jünglings — jenes Gefühl, in dem man 
die Abgeſchiedenheit ſucht, damit der Gegenſtand unſerer 
Liebe nicht errathe das Geheimniß unſerer Hingebung 
unſerer unmännlichen Abhängigkeit. Doch was ſollten 
ſie es ſich ſelbſt, was ſollten ſie es andern lange verhehlen, 
daß ein Band ſeit einiger Zeit ihre Herzen knüpfe — 
ſah ja die Mutter mit Wohlgefallen auf Beide, und 
ſchien es ſogar zu wünfchen, daß fie das engſte Band 
verbände. 

Wie bei Wenigen leuchtete ein freundlicher Stern 
am Himmel der Liebe dieſen Glücklichen. Aber wie es 


390 


jo oft die Erfahrung des Menſchenlebens lehrt, wo 
am glücklichſten der Anfang, da iſt der Fortgang der 
unglücklichſte — jo auch hier. Wer konnte bald ges 
wiſſer fein der ungetheilteſten Neigung Ida's, wer hatte 
bald triftigere Beweiſe, daß ihr Herz nur für ihn 
ſchlage, dem ſie ſeit früher Jugendzeit zugethan war, 
als Wolfram von Bebenburg? Aber nur kurz dauerte 
fein Wahn, in dem er fo felig war; nur kurze Zeit 
währte die Treue, welche Fräulein Ida in mancher trau⸗ 
lichen Abendſtunde ihrem heißgeliebten Wolfram gelobte. 

Cuno von Selteneck war einer der Jugendgeſpielen 
Wolframs von Bebenburg — ſeine Burg lag nicht 
ferne von Wolframs Burg, daher ſprach er oft dort 
ein, wenn ihn die Jagd des Weges führte, und Frau— 
lein Ida, welche in der ganzen Gegend für Wolframs 
Verlobte galt, erſchien oft neben Mutter Bertha, wenn 
ſie den Gaſt willkommte; Wolfram war oft ſelbſt der— 
jenige, welcher ſie veranlaßte, dem lieben Jugendge— 
noſſen den Becher zu kredenzen. Ach! daß der Menſch 
ſelbſt, ohne daß er es gedenkt, die erſte Veranlaſſung 
eines Schmerzens werden muß, der ſeine Seele ſpaͤter 
niederdrückt! — Ida ſah den Seltenecker, ſie verglich 
den Ritter von höfiſchem Weſen und mehr als freunde 
lichen Worten mit dem redlichen und ächt biedern 
Weſen Wolframs v. Bebenburg, und der letztere ſtand 
weit über dem erſteren: ſie ſtellte endlich den hohen 
und ftattlichen Cuno v. Selteneck, mit blondem Locken⸗ 
haar und blauen Augen, gegenüber ihrem geliebten 
Wolfram, der weniger durch äußere Geſtalt ſich aus— 


391 


zeichnete, ob ihm gleich jene Anmuth der Züge, jener 
Ausdruck des Auges nicht fehlte, der mehr wirkt, als 
ſtattliche Figur, als das Weibiſche im Aeußern des 
Mannes; ſie verglich — und Wolfram ſtand in dieſer 
Hinſicht weit unter Cuno von Selteneck. Solche Ver⸗ 
gleichungen, meinen die zarten Frauen, ſchaden der 
Liebe nicht — ſo dachte auch Ida. Der Ritter von 
Bebenburg nahm dennoch im Herzen die erſte Stelle 
ein, und Cuno von Selteneck, je öfter ihn Ida ſah, 
deſto weniger war ſein Erſcheinen für ſie gleichgültig. 
Der von Selteneck erwiederte ihre Aufmerkſamkeit, ohne 
daß Wolfram es merkte, denn ſein Herz war keines 
Mißtrauens fähig, und hielt es für unnöthig, den 
Beobachter zu machen. Höfiſche Reden und Schmei— 
cheleien wirkten auf Ida's Herz; die Eitelkeit, welche 
ſelten den Mädchenſeelen fehlt, wurde auf ſolche Weiſe 
genährt — bald ſolgten bei Beiden ſüße Blicke hinter 
Wolframs Rücken — und Ida, die zuvor nur Einem 
zugethan war, theilte ihre Neigung zwiſchen Zweien. 
Doch Niemand kann zwei Herren dienen, iſt ein wahres 
Wort — den einen muß man lieben, den andern 
haſſen. Das erſtere war Cunos von Selteneck glück— 
liches Loos — und Wolfram, der Auserwählte ihrer 
Jugend — für ihn ſchlug Ida's Herz immer weniger, 
ob ſie es gleich lang ſich ſelbſt verhehlte, und ſie ließ 
ihn in ſeinem traurigen Irrthum. 

Wolfram konnte lange nicht zu der Ueberzeugung 
gelangen, daß in Ida's Herzen eine traurige Verän— 
derung vorgegangen — ihr Blick war ja immer der 


392 


liebevolle, ihr Wort immer das freundliche, ihre Lieb: 
koſungen immer dieſelben; — er konnte keiner andern 
ir cht werden, obgleich feine Mutter, welche doch für 

ſo ſehr eingenommen war, ihm da und dort nicht 
1 Winke gab, daß es nöthig wäre, Ida 
beſſer zu beobachten. Weiber ſehen tiefer in das Herz 
derer, die ihres Geſchlechtes ſind, aber Wolfram achtete 
dieſe Winke nicht, bis ihm ſelbſt die Augen aufgingen 
und er erkennen mußte, wie ſehr er ſich in Ida ges 
täuſcht hatte. 

Eines Tags kehrte er früher von der Jagd heim, 
als er es ſonſt gewohnt war — er war ohne Be⸗ 
gleitung ausgeritten, und ſein Gehen hatte eben ſo 
wenig Aufſehen gemacht, als jetzt ſein Kommen. Er 
ritt über die Brücke in den Hof — ſonſt waren Ida 
und ihre Pflegmutter die erſten, welche ihn bewill⸗ 
kommten — Ida erſchien nicht, aber Bertha, ſeine 
Mutter, ging neben ihm: denn ſchon im Burggarten 
hatte ſie ihn bewillkommt, in dem ſie ſo eben ſich er— 
gangen hatte. Haſtig eilte Wolfram die Treppe hinauf, 
aber leiſen Trittes zu Ida's Gemach, denn er wollte 
ſie freudig überraſchen durch ſeine baldige Heimkehr. 
Schnell öffnete er die Thür — er ſah Ida, und vor 
ihr lag ein Ritter auf den Knieen — ihre Rechte 
hielt die Seinige, und den linken Arm hatte ſie um 
ſeinen Nacken gelegt. Wie vom Blitze gerührt waren 
Beide, als ſie den Ritter von Bebenburg erblickten. 
Cuno von Selteneck, rief Wolfram, iſt das Ritterſinn 
und Freundestreue? Sein Geſicht überzog bald Röthe, 


393 


bald Todtenbläſſe, und feine Hand zitterte am Griffe 
des Schwertes, das er gefaßt hatte. Ida würdigte 
er keines Blickes; die war zurückgetreten und verhüllte 
vor Schaam ihr Geſicht; Cuno von Selteneck aber 
ſtand gegenüber mit geſchränkten Armen und ſchien ſie 

an dem Schmerz zu weiden, der jetzt Wolframs He 

durchwühlte: Cuno von Selteneck ſchien der Beleidigte 
und Wolfram der Beleidiger. Beide betrachteten ſich 
lange; da begann endlich Wolfram mit gefaßter Stimme 
und kaltem Blicke: Cuno von Seltene! mit Sonnen— 
aufgang bei den beiden Eichen im Thalgrund! Dieſes 
geſagt, verließ er das Gemach, aber einen wehmüthigen 
Blick richtete er noch im Gehen auf Ida. Mit einem 
Hohnlachen erwiederte Cuno des Gehenden Heraus— 
forderung zum Zweikampf. 

Niemand auf der Burg, ſelbſt Bertha, die Burg— 
frau, erfuhr etwas von dem, was geſchehen war, Wolf— 
ram verſchloß es als ein Geheimniß in ſeine Bruſt. 
Nur in feinem Blicke, der fo düfter war, wie noch nie, 
las Frau Bertha, daß etwas vorgefallen wäre — aber 
ſie forſchte nicht, als ſie am Abendimbiß ſaßen — ſie 
fragte nicht nach der Urſache, als Ida nicht dabei ex— 
ſchien, wie ſie es immer gewohnt war. ‚ 

Morgens, ehe die Sonne aufging, trat Wolfram 
aus der Burg und ſtieg hinunter ins Thal, wo die 
beiden Eichen aus Einem Stamme wuchſen. Noch lag 
Dämmerung über dem Thal; als die Sonne aufging, 
erſchien Cuno von Selteneck in glänzender Rüſtung. 
Sie traten einander näher; kaum ſah Wolfram ſeinem 


394 


* Gegner noch ins Geſicht, ſo ſchwang Cuno ſchon den 
Stahl über ſeinem Haupte. Mit Gewandtheit fing 
Wolfram den Hieb auf, der ihm den Helm geſpalten 
hätte; Cunos Schwert prallte in die Luft und er ſah 
bald, daß ein Kräftiger ihm gegenüber ſtand. Wolfe 

kam ließ ſeinem Gegner Zeit, das Schwert wieder 
feſter zu faſſen. — Cuno richtete einen zweiten Hieb 
gegen Wolframs Haupt, aber zu gleicher Zeit holte 
Wolfram aus, und begegnete dem Schwerte des Gegners 
— beide prallten zuſammen und Cunos Stahl flog 
in Stücke. Der Kampf war jetzt geendet, aber der 
von Selteneck wollte nicht abſtehen, er riß den Dolch 
aus dem Gürtel und ſtürzte auf Wolfram los. Cuno 
ſuchte des Gegners Hals, da wo der Helm und der 
Panzerkragen zuſammentreffen, aber ſeine Hand zitterte 
vor Wuth, und der Dolch glitt am Bruſtpanzer ab; 
indeſſen faßte ihn Wolfram mit kräftigem Arme, rang 
eine Zeitlang und warf ihn zu Boden, daß Cunos 
Rüſtung laut krachte; das Helmband riß in Stücken 
und der Helm rollte weit hin. Jetzt erſt ward ſicht— 
bar, daß Wolframs Hieb nicht nur ſeines Gegners 
Schwert zerſchlagen, ſondern auch ſeinen Helm getroffen 
und ihm eine nicht unbedeutende Kopfwunde beigebracht 
habe. Cuno von Selteneck lag auf dem Boden und 
aus ſeinem Haupte quoll das Blut: er war ſo ſehr 
vom Fall erſchüttert, daß er ſich lange nicht mehr 
aufrichten konnte. Wolfram verließ den Kampfplatz 
und kehrte zur Burg zurück — aber als er zurückblickte, 
ſah er, wie der von Selteneck grimmig ſeine Fauſt 


395 


ballte, und nicht undeutlich hörte er das Wort aus 
ſeinem Munde: Rache und Verderben! — Doch das 
Wort ſchien umſonſt geredet. Wolfram hörte ſeitdem 
wenig mehr von ſeinem treuloſen Freunde: die einzige 
Kunde war die, daß er bald wieder geneſen waͤre. 
Aber nicht ſo bei dem Ritter von Bebenburg. Se 
er ſich ſo ſchrecklich in Ida getäuſcht hatte, nagte ein 
ſchwerer Kummer an ſeinem Herzen — vor ſeiner 
Mutter hielt er Ida's Unrecht verborgen, darum blieb 
ſie immer in der Burgfrau Umgebung — er ſah ſie 
täglich, ſaß ihr gegenüber, ſah den Kummer ihres 
Herzens, der dem neuen Buhlen galt — er ſollte 
haſſen, und doch konnte er es nicht, denn das Band 
der Liebe war in ſeinem Herzen nicht ſo ſchnell zer— 
riſſen. — Da erging aus dem Munde Bernhards von 
Clairvaux der Ruf zum heil. Grabe, und er drang 
auch in dieſe Gegend — Wolfram hörte ihn mit 
Freuden und folgte. Kein Wort ſeiner Mutter, die 
jetzt einſam und verlaſſen wäre, konnte ihn zurückhalten. 
In wenigen Tagen hatte er ſich gerüſtet, und er zog 
zuvor nach dem Jagſtthal, um ſich dort mit dem Sohne 
eines Freundes ſeines ſeligen Vaters, dem jungen 
Engelhard von Berlichingen, dem Heere Koͤnig Konrads 
anzuſchließen, das ſich gerade aus allen Gegenden 
Deutſchlands verſammelte. Es war ein ſchmerzlicher 
Augenblick, als Wolfram aus der Burg ſeiner Vaͤter 
ritt: die Mutter wollte ſich kaum von ihrem Sohne 
trennen. Auch Ida trat herzu, in ihren Augen ſtan— 
den Thränen, und ſie ſchien herzlich ihr Unrecht zu 


396 


* 
bereuen. Wolfram reichte ihr die Hand zum Abſchied 
und ein Blick fiel auf ſie, wie in jenen Tagen, da ſte 
ſein ganzes Seelenglück war. Mutter! war des Schei⸗ 
denden letztes Wort, Mutter verſtoß nicht das Mägd⸗ 
lein um meinetwillen. Da erſt floſſen Ida's Thränen 
ſtromweiß, und ſie ſah lange noch dem Scheidenden 
nach. — Drei Jahre kämpften die beiden Freunde, 
Wolfram v. Bebenburg und Engelhard v. Berlichingen, 
im heil. Lande ritterlich gegen die Sarazenen. Mit 
Siegeslorbeeren geſchmückt kehrten die beiden Freunde, 
die an heil. Stätte den Ritterſchlag empfangen hatten, 
in das deutſche Vaterland zurück. Engelhard v. Ber⸗ 
lichingen ſah freudig die Seinigen, Vater, Mutter und 
Geſchwiſter wieder; nicht ſo der edle Wolfram von 
Bebenburd. Als er ſich unterwegs von feinem Freunde 
verabſchiedet hatte, ritt er allein der Burg ſeiner Ahnen 
zu. Eine traurige Kunde traf ſein Herz, als er nahe 
der Burg ritt. Seine innig geliebte Mutter Bertha 
war ſchon vor zwei Jahren geſtorben, ſo berichtete ihm 
ein alter Diener des Hauſes, der heimathlos umherzog, 
denn er war aus dem Schloſſe Bebenburg vertrieben, 
das nach dem Tode der Burgfrau ein Fremder ge— 
waltthätig eingenommen. Und wer war dieſer Gewalt⸗ 
tbätige? Cuno von Selteneck, fein Todfeind, der mit 
Hülfe der ungetreuen Ida ſich leicht in den Beſitz des 
Schloſſes geſetzt hatte, und nun mit ihr darin ſchaltete 
und waltete. Behalte Beides, rief Wolfram ſchmerz— 
erfüllt, die Treuvergeſſene und das Erbe der Ahnen, 
ich will dir, du ehrvergeſſener Räuber, weichen, denn 


397 
N 


ich habe doch keine Freude im Leben mehr, ſeitdem die 
theure Mutter verſtorben und Ida mir verloren ge— 
gangen — in der Erfüllung meines Gelübdes, das 
ich an heil. Stätte gethan, dem Herrn ein Kloſter zu 
bauen, wenn ich wohlbehalten in die Heimath kehre, 
will ich den Frieden ſuchen, den die Welt mir ges 
nommen. Im Angeſicht der nun fremdgewordenen 
Väterburg lenkte er ſein Roß um, nachdem er dem 
armen Diener Alles gegeben hatte, was er Werthvolles 
noch bei ſich trug — und nun zog er dem Jagſtthale 
zu, wohin ſein lieber Waffenbruder ihm vorangegangen 
war. Weit unten im Thale, nahe der Burg Berli— 
chingen, dem Anſitz ſeines Freundes, beſaß Wolfram 
das Erbgut Neuſeze (Neuſaß), nebſt mehreren andern 
Gütern und Grundſtücken. Da wollte er zuerſt das 
im heiligen Lande gelobte Kloſter gründen. Aber er 
änderte ſein Vorhaben, als ihm an der Stätte eine 
wunderbare Erſcheinung wurde, die ihm bedeutete, er 
möge dieſen Platz Neuſeze auf der Höhe verlaſſen, und 
zunächſt unten im Schönthale das Kloſter aufbauen. 
Willig trat fein Waffenbruder Engelhard von Berli— 
chingen ein ſeiner Familie gehöriges Grundſtück ab, 
und nun wurde hier, in geringer Entfernung von der 
Burg Berlichingen, ein ſtattliches Kloſter erbaut, im 
Jahr des Herrn als man zählte 1157, und ſein Name 
ward genennet Schönthal, dieweil es in einem ſchönen 
Thale lag. Nachdem Wolfram von Bebenburg einen 
Abt mit zwölf Mönchen aus dem Kloſter Maulbronn 
beſtellt hatte, um in dem neuen Kloſter ſich anzuſiedeln, 


398 


N 
trat er ſelbſt nicht als Mönch, ſondern aus purer 
Demuth als Laienbruder ein, denn er wollte der Ge— 
ringſte unter Allen ſeyn. In dieſem, dem Herrn ge— 
ſtifteten Kloſter, diente er von nun an Gott mit einem 
andaͤchtigen und frommen Leben, bis ihn der Herr in 
die Wohnungen des ewigen Friedens abrief. Er liegt 
zu Schönthal neben den übrigen Mönchen begraben. 
Ein lebensgroßes Bild im Converſenhabit, gleich beim 
Eingang in die jetzige prachtvolle Kloſterkirche, verewigt 
das Andenken des frommen Stifters Wolfram von 
Bebenburg. 


XII. 
Die Delfener Capelle. 


Zwiſchen Tuͤbingen und Hechingen, hart an den 
Albbergen, liegt auf offenem Felde, umgeben von Obſt— 
bäumen, das freundliche Dorf Belſen (Filial von Möſ— 
ſingen), berühmt durch ſeine weit und breit berühmte 
uralte Capelle. Dieſelbe ſteht unmittelbar unter dem 
Farrenberg auf einem grünen, dicht mit Obſtbäumen 
beſetzten Hügel, iſt maſſiv von reinbehauenen weißen 
Sandſteinen gebaut, aber mit nordiſchem Spitzgiebel⸗ 
dach. Schon der flüchtigſte Anblick, ſagt Gu ſtav 
Schwab, der die Capelle am ausführlichſten beſchrieben, 


399 


erklärt fie für ein vorgothiſches Alterthum: das runde 
Gewölbe der niedrigen Pforte, der Bau der Fenſter, 
die gänzliche Schmuckloſigkeit, ſelbſt die Beſchaffenheit 
der Bauſteine, ſetzen dieſes außer Zweifel. Nur der 
kleine Chor hat ſpitzbogige Fenſterwölbungen, und iſt 
ſammt dem Thürmchen unſtreitig jüngeren Urſprungs. 
Kommt man von Möſſingen, ſo erblickt man zuerſt 
die Oſtſeite, den Chor des Kirchleins. Mehrere Steine 
haben zwar ein alterthümliches Ausſehen, aber Nichts 
iſt da, was auf ein höheres Alter ſchließen ließe, als 
das gewöhnliche der Kirche. Anders ſieht die Nord⸗ 
ſeite aus: auch hier ſtört zwar ein durchbrochenes 
Kirchenfenſter und eine Treppe, die auf den Thurm 
führt, aber die Steine find durchaus alt und maſſiv, 
auch, wie gewöhnlich bei ähnlichen Gebäuden, zum 
Theil unten mit runden Löchern. Erſt die Abendſeite 
gibt Aufſchluß über den früheren Zuſtand und die 
Bedeutung des Kirchleins. Gerade über der Thüre, 
dem Haupteingang, iſt ein Kreuz zu ſehen, über dem, 
concentriſch mit dem unten laufenden Bogen, ein Stein, 
auf dem eine kleine Figur, ein kurzer dicker Kerl, 
deſſen Arme und Beine einen Halbkreis bilden und 
unten zuſammenlaufen, ſich befindet: „ein ſich ver— 
krattelnder Mann,“ ſagt der alte Zeller in ſeiner 
Beſchreibung Tübingens vom Jahr 1743. Er ſcheint 
Etwas in den Händen zu halten, was durchaus nicht 
mehr deutlich zu erkennen iſt. Genau über dieſem 
Stein, ziemlich höher, zeichnen ſich vier andere aus. 

uf dem in der Mitte ſtehenden iſt eine Figur, etwa 


400 


doppelt fo groß, als die auf dem untern Stein, mit | 


dickem Kopf, an die Seiten gelegten Armen, die Beine 
an ſich zwar gerade, aber doch ſo, daß die Zehenſpitzen 
ſich (beinahe) berühren. Der Stein zur Rechten zeigt 
einen großen Ochſenkopf, der zur Linken zwei Widder⸗ 
köpfe, der über dem mittleren zwei Köpfe, deren einer 
ein Widder⸗, der andere ein Ochſenkopf zu ſeyn ſcheint. 
Etwas höher iſt wieder ein Kreuz, größer als das 
untere. Auf den erſten Blick fällt es auf, wie ſehr 
bei der ganz und gar ſchiefen Lage deſſelben die bis 
jetzt ſo genau beobachtete Symmetrie verletzt iſt: es 
ſteht viel zu ſehr zur Rechten, und nicht, wie alle 
andere Steine, ganz perpendikulär. Höher, und noch 
weiter rechts, iſt eine kleine Oeffnung. Zur Rechten 
wie zur Linken der Thüre finden wir zwei gewölbt 
hervorſpringende kleine Säulen, nicht freiſtehend, un— 
mittelbar an die Wand ſich anſchließend, jede um etwas 


mehr als handbreit. Die rechte hat unten ganz deut⸗ 


lich zwei Räder, die Umriſſe mit Punkten bezeichnet, 
die bei der untern ziemlich tief gehen. Das Ausſehen 
mahnt auf den erſten Anblick an Ammonshörner, wir 
glauben aber, fie für Zierrathe erklären zu dürfen, 
denn, wenn wir den untern Theil der linken Säule 
betrachten, ſo finden wir ihn mit dreifachen Streifen 
geziert. Ganz die nemliche Erſcheinung finden wir um 
das untere Kreuz, nur weniger tief, und hie und da 
die Umriſſe weniger beſtimmt. Daſſelbe finden wir 
endlich, wenn wir die Verzierung der engen Pforte, 
wie ſie, mit Anſpielung auf den Spruch, die Ueberſchrift 


401 


neunt, damit vergleichen. Wenn wir uns von der 
Mittagsſeite, die nichts Bedeutendes hat, aus zur 
Morgenſeite wenden, ſo fällt uns zuerſt die Einbeu— 
gung in die Augen, die den Anfang des Chors be— 
zeichnet. Hier iſt nun eine runde Oeffnung, ſo ge— 
legen, daß durch ſie der erſte Strahl der Morgenſonne 
hereinfällt. Der Theil des Gemäuers iſt unſtreitig 
ſo alt, als die Weſtſeite. — Die Volksſage von Belſen 
erklärt dieſe Kirche, die ſeit undenklicher Zeit zum 
Gottesdienſt der Gemeinde eingerichtet iſt, für einen 
heidniſchen Bels- oder Baals-Tempel, von dem fie 
auch den Namen Belſen ableitet, ſetzt den Farren— 
berg, wohl auch den Roßberg, mit in Verbindung, 
indem ſie erzählt, daß auf dieſen Höhen das heilige 
Opfervieh geweidet wurde, und zeigt noch im Innern 
der Kapelle den Stein, an welchen die Opfer ange: 
bunden wurden. 

Wir wollen die Volksſage nicht als aus der Luft 
gegriffen betrachten, ſondern mit den Anſichten der 
Gelehrten, die ſich ſchon ſeit mehr als 100 Jahren 
mit der Unterſuchung über das Alter der Capelle und 
der Erklärung ihrer Bildwerke Viel zu ſchaffen gemacht 
haben, in Einklang bringen. Darüber ſind alle einver— 
ſtanden, daß die Belſener Capelle ein Bauwerk iſt, welches 
im Laufe der Zeit mehrere Aenderungen erfahren. Will 
man ſich eine Vorſtellung von ihrer Urgeſtalt machen — 
das ſind die Worte unſers Altmeiſters in dieſem Fache, 
des gelehrten Domdechant von Jaumann — ſo muß 
man ſich die neuen Zuſätze zuerſt hinwegdenken. Dieſe 

II. 26 


402 


find das Dach, der Chor gegen Oſten und eine erft 
vor 30 Jahren angebaute Sakriſtei. Alle dieſe Theile 
ſind erſt ſpäter, wohl zur bequemeren Einrichtung für 
eine chriſtliche Kirche, aber offenbar zur Entſtellung 
des alten Denkmals hinzugekommen. Die Sakriſtei 
iſt gerade an der Stelle angebaut, wo die Oeffnung 
zum Einfallen des erſten Sonnenſtrahls beim Auf— 
gang der Sonne angebracht war. Denken wir uns 
nun dieſe Zuſätze weg, ſo zeigt ſich uns von Oſten, 
wo jetzt der Chor angebracht iſt, der freie Eingang 
— vielleicht einer Vorhalle in den Tempel; links, 
gerade gegen Oſten, iſt an einem Vorſprung die ob— 
benannte Oeffnung angebracht: aus früher ganz klei— 
nen, hoch oben, zu beiden Seiten gegen Norden und 
Süden angebrachten Oeffnungen (Fenſtern, Hohllich— 
tern) fiel ein ſpärliches Licht, und gegen Abend war, 
dem Eingang gegenüber, eine niedere ſchmale Pforte 
angebracht, ſo wie eine gleiche Pforte gegen Süden 
war. An der Abendſeite erhebt ſich der Giebel, und 
an dieſem ſind die hieroglyphiſchen Figuren eingemauert. 
So etwa war die Capelle oder vielmehr der Tempel 
in älteſter Zeit, und kündigt ſich als ein römiſches 
Bauwerk an, das etwa vom zweiten bis dritten Jahr: 
hundert errichtet wurde. Der Tempel war dem Mi: 
thrasdienſt, vereinigt mit dem Iſiscultus, den römiſche 
Veteranen aus dem Orient mitgebracht und überall, wo 
ihre Legionen lagen, einführten, gewidmet. Hier — das 
ſind die Worte des ſel. Schwab, der am ſcharfſinnig⸗ 
ſten über die Capelle geforſcht — opferten ſie nach 


403 


egyptiſcher Weiſe Farren, die ſie auf dem ganz nahen 
Farrenberg weideten. Merkwürdig iſt in dieſer Hin— 
ſicht ein im Innern der Capelle aus der Mauer, da, 
wo ſich der neuere Chor anſchließt, hervorragender 
Stein, der in einer chriſtlichen Kirche durchaus fremd 


und bedeutungslos iſt, den aber die Volksſage ohne 


Bedenken zu dem Steine macht, an den die Farren 
beim Opfer angebunden wurden. Darum vermuthen 
wir, daß da, wo ſich jetzt der Chor anſchließt, der 
Haupteingang zum Tempelchen mit der Opferſtätte 
geweſen, vielleicht mit bedeutenden und reicheren, jetzt 
verlornen Symbolen. Das jetzige Frontiſpitz wäre 
die Rückſeite mit einer Hinterthür und den übrig ge— 
bliebenen Sinnbildern. Den ganzen Tempel denken 
wir uns begreiflich nicht ſpitzig und mit einem Giebel— 
dach, wie jetzt verſehen, ſondern etwas thurmartig in 
die Höhe gebaut. Später wurde die Capelle in eine 
chriſtliche Kirche umgewandelt. Dieſe Umwandlung 
geſchah wahrſcheinlich durch die iriſchen Heidenbekehrer, 
etwa 600 Jahre nach Chriſti Geburt, um dieſelbe 


Zeit, als dieſe am Bodenſee einen deutſchen Heiden— 


tempel zu Bregenz in einen chriſtlichen umwandelten. 
Laſſen wir nun einen ſolchen chriſtlichen Heidenbekehrer 
nach Belſen kommen und die dortigen Allemannen 


bekehren; er findet den römischen Tempel vielleicht 


ſchon als Ruine, aber doch mit leichter Mühe zum 
chriſtlichen Dienſt wieder herſtellbar, und macht dieſes 
den Neubekehrten begreiflich. Es wird ans Werk ge: 
ſchritten. Das Haus muß vor allen Dingen nach 


404 


nordiſcher Sitte und dem Bedürfniß des Klima's ein 
Giebeldach erhalten. Zu dem Ende wird auf beiden 
Längeſeiten von der Höhe genommen, an der Breite 
aber hinaufgebaut, um den Giebel zu vollenden. 
Dieſe Annahme erleichtert uns die Erklärung des 
Kreuzes. Die Bekehrer wie die Bekehrten haben ohne 
Zweifel Anſtand an den unförmlichen und ihnen 
fremden Götzenbildern am oberen Theile dieſer Tem⸗ 
pelſeite genommen. Sie und ſich zu beruhigen, riethen 
nun jene den Bauenden, bei Vollendung des Giebels 
über den abgöttiſchen Mißgeſtalten das ſichtliche Symbol 
bol des Kreuzes einzuſetzen, vielleicht nicht blos als Zei— 
chen des vertriebenen Götzendienſtes, ſondern auch, um 
den möglichen unheilvollen Einfluß jener Götzen (Teufel) 
unwirkſam zu machen. Aus eben dem Grunde ward 
über die Eingangsthüre an der Weſtſeite ein Kreuz 
mit verſchiedenen Zierrathen eingemauert. Daß wir 
heut zu Tage keinen Anſatz im Bau des Giebels be 
merken (abgerechnet den unmittelbar auf beiden Seiten 
des Daches hinlaufenden) wird wohl auf Rechnung 
des Geſchmacks der Umgeſtaltenden geſetzt werden 
dürfen, die hoffentlich die wenigen Steine des Gipfels 
nach dem Muſter des alten Baues zuzuhauen und zu— 
ſammenzuſetzen nicht unterlaſſen haben werden. Eben 
ſo mag es mit dem jetzt von dem Chor verdrängten 
Haupteingang auf der andern Breite des Tempels 
gegangen ſeyn. Dort denken wir uns auch die bei 
römiſchen Gebäuden zu erwartenden Aufſchriften über 
der jetzt verſchwundenen Hauptthüre und etwa einen 


405 


Säulengang. — Was die Symbole am Giebel des 
urſprünglich römiſchen Tempels betrifft, fo halten wir 
ſie für die egyptiſchen Natur- und Lichtgottheiten, und 
zwar die Farren- oder Kuhköpfe für die Andeutung 
der Iſis, die Zwerge für die weltſchöpferiſchen Licht— 
und Feuergötter, die in Egypten hie und da in Ver— 
bindung mit der Iſis und in bärtiger Zwergsgeſtalt 
erſcheinen. Namentlich hat der Belſener Giebelzwerg 
große Aehnlichkeit mit einem Zwerg auf einem egyp— 
tiſchen Denkmale, welchen man für Gott Knuphis, 
den guten ſchöpferiſchen Geiſt, den idealen Oſiris hält. 
Auch auf einer egyptiſchen Silbermünze findet ſich 
ein ähnlicher Zwerg, und auf der andern Seite ein 
Ochs. Auch die Widderköpfe erſcheinen an Kunſt— 
darſtellungen aus dem Iſiskreiſe, und zwar an Har— 
pokrates, einem Sohne der Iſis und des Oſiris. 
Auf einem h. Schiffe in den Seulpturen des Palaſtes 
zu Karnat kommt am Vorder- und Hintertheile ein 
Widderkopf als Verzierung vor. Wie viel an dieſer, übri— 
gens ſcharfſinnigen Erklärung, wahrſcheinlich oder nicht 
wahrſcheinlich, annehmbar oder nicht annehmbar iſt, laſſen 
wär dahingeſtellt ſeyn. Eine, der Anſicht Schwabs und 
ſeiner Vorgänger ziemlich entgegengeſetzte Anſicht, die 
aber mehr mit der Volksſage ſtimmt, hat der ſcharf— 
ſinnigſte Forſcher über das Keltenthum, Archivdirektor 
Mone zu Carlsruhe, über die Belſener Capelle auf— 
geſtellt. Er nimmt an, das Kirchlein ſtamme zwar 
aus dem 8. oder 9. Jahrhundert (nemlich in ſeinen 
älteſten Theilen), allein aus ſeinem Namen und den 


406 


Bildern ergebe ſich, daß zur Zeit, als die Gallier 
(Kelten) unter römiſcher Herrſchaft Allemannien be: 
wohnten, hier der galliſche Bel verehrt worden ſey. 
Die Stier- und Widderköpfe ſeyen Erinnerungszeichen, 
daß einſt ſolche Thiere auf dem Farrenberg geopfert 
worden, und das Kreuz mit der Sonne deute an, 
daß der Beldienſt der neuen Sonne des Chriſtenthums 
habe weichen müſſen. Dieſe Anſicht hat viele Wahr: 
ſcheinlichkeit, denn daß Belſen urſprünglich ſchon ein 
chriſtliches Kirchlein geweſen, auf dem die ſymboliſchen 
Steine, Reſte von einem alten Cultus, eingeſetzt wur⸗ 
den, iſt keinem Zweifel unterworfen. 

Mone's Anſicht, daß zu Belſen in älteſter Zeit der 
Keltiſche Gott Bel, Balin, verehrt worden ſey, iſt 
von dem fleißigen Beſchreiber der Burgen Achalm und 
Lichtenſtein, M. Gratianus, Pfarrer zu Sondel— 
fingen, theils weiter ausgeführt, theils wieder bedeu⸗ 
tend modifizirt worden, fie ſteht aber der Schwab'ſchen 
entgegen. Wir geben ſie, um dem Leſer die Wahl 
zu laſſen, für welche Anſicht er ſich entſcheiden möge. 
Was die Volksſage gibt, beſtätigen die alten Bildſteine, 
daß der urſprünglich heidniſch-römiſche Tempel zu Belſen 
dem Sonnengott gewidmet war. Die Bildſteine ſind 
nicht nur ganz roh behauen, ſondern ſie unterſcheiden 
ſich auch von den andern Sandſteinen durch rauheres 
Korn und ſchwärzliche Farbe. Die Bildſteine ſind 
demnach nicht für römiſch, ſondern für älter, als die 
Capelle zu halten. Auch die hohen Spitzgiebel können 
wir fo wenig als die Kreuze für Zuſätze und Gr: 


407 


gänzungen der iriſchen Chriſtenbekehrer anſehen. Der 
weſtliche Giebel hat durchaus keine Spur von einem 
ſpäteren Anſatz. Wer die ganz genau in einander 
greifende Verbindung der Capellmauern unterſucht, 
findet vielmehr die vorragenden Hohlkehlen der beiden 
Langſeiten fo ſchön und genau mit der Giebelſeite 
verbunden, daß der Giebel offenbar der erſten Anlage 
des Tempels angehören muß; und noch genauer iſt 
der untere Stein mit dem Kreuz in die Wölbung des 
Pfortenbogens, beſonders in den über dem Kreuze 
ſtehenden Schlußſtein mit dem kleinen Zwerg einge— 
fügt. Demnach müſſen, wie der ganze Giebel, auch 
die Kreuze der erſten Anlage des Tempels angehören. 
Bedenklich iſt, obſchon auf der Oſtſeite die Opferſtelle 
war, daß man in der öſtlichen Giebelſeite über dem 
Chor zwar die bemerkte Oeffnung, aber gar keine 
Spur von den Symbolen des Sonnendienſtes antrifft. 
Sie ſind auf der Weſtſeite des Tempels angebracht, 
ohne Zweifel, weil die Sonnendiener von Weſten heran— 
gezogen ſind, was uns den Schlüſſel zum Ganzen geben 
muß. Von Weſten, aus Gallien, ſind galliſche Völker, 
keltiſcher Abſtammung, ſchon frühzeitig über den Rhein 
gezogen und im alten Sueven-, ſpäter Allemannen⸗ 
lande eingewandert. Dieſe Gallier hatten ſchon vor 
Cäſars Zeit Götterbilder, die ſie in ihre neue Heimath 
mitbrachten. Zwar verehrten fie, wie die alten Ger: 
manen, die Sonne, den Mond und das Feuer, aber 
ſie brachten jetzt auch den Bilderdienſt auf, den ſie 
wahrſcheinlich von den Iren empfangen. Durch ſie 


408 


kam der irische Gott Grannus, von den Römern 
Apollo genannt, über den Rhein, und dieſer iſt ein 
und derſelbe mit Belen, Bel, Bal, denn nach 
Herodian nannten die keltiſchen Eingebornen den Ben 
Sonnengott Belin. Der Ortsname ſelbſt, Belſen, 
Bel⸗ſon, führt auf die Altkeltiſche Sprache zurück. 
Die ſchöne, jetzt nur mit alten Buchen beſetzte Alb— 
weide auf dem Farrenberg war wohl ein alter heiliger 
Hain der Kelten. Unter dem Farrenberg auf dem 
Hügel wurde geopfert, und auf der Opferſtelle waren 
die Symbole keltiſcher Götter aufgeſtellt. Die Kelten 
umſchloßen auch ihre Götterbilder mit Wänden, ſie 
bauten dem Belin ein Sonnenhaus, aber weder von 
Holz noch von Steinen, ſondern aus getrocknetem 
Lehme. Als nun eine römiſche Legion etwa zwiſchen 
201— 223 nach Chriſti am Farrenberg eine friedliche 
Niederlaſſung gründete, fand fie den keltiſchen Gottes⸗ 
dienſt bereits beſtehend. Da die Römer auch die 
Götter der unterworfenen Völker zu römiſchen machten, 
ſo weihten ſie dem Apollo Grannus, dem Deus 
invictus sol, oder wie ſie den ſchon beſtehenden 
Sonnengott geheißen, einen römiſchen Tempel, indem 
ſie das alte Belinshaus mit Nachahmung ſeiner 
Form in einen römiſchen Tempel von Stein umbauten. 
In derſelben Stellung gegen die Morgenſonne mit 
Beibehaltung der alten Tiefe und Länge wird der 
neue Tempel aufgebaut, nur die Wände werden nach 
römiſcher Form höher. An der vorderen, der Oſtſeite, 
wird bei dem Haupteingang neben der Opferſtelle der 


409 


alte Opferſtein in die Mauer eingeſetzt; oben in der 
Zinne wird der Giebel geſchloſſen, aber über der Mitte 
wird jene runde Oeffnung angebracht, durch welche 
der erſte Lichtſtrahl in die Capelle fällt. Da die 
Symbole aus dem Weſten ſtammen, ſo werden ſie nicht 
alle in der hinteren Giebelſeite, ſondern über der hei— 
ligen Pforte eingeſetzt. Der Gott, welchem wieder 
unter dem Farrenberg, natürlich von eingebornen 
Prieſtern und nach alter Weiſe geopfert wurde, war 
der genannte Sonnengott Belin, Bel, (Grannus, 
Grian). Der obere Zwerg auf der Capelle ſoll wohl 
denſelben darſtellen; die drei Strahlenräder oder 
Sonnen, von welchen die mittlere gleich mit ſeiner 
Bruſt, die obere über, die untere unter dem Gott 
ſteht, deuten auf die aufgehende und untergehende 
Sonne. Der Bel, welcher den Tag regiert, hat ſei— 
nen Begleiter, welcher die Nacht regiert: dieſer iſt 
der untere kleine Zwerg, Maan, Magen, Magon, 
Luan, der Mond. Bekanntlich hielten unſere heidni— 
ſchen Vorfahren ſehr viel auf den Einfluß des Mondes. 
Die Thierköpfe ſind die Symbole des geweihten großen 
Opferthiers; die Germanen opferten nicht nur dem 
Sonnengott Farren, ſondern auch dem Maan Ochjen: 
köpfe. So hätten wir nun an der Belſener Capelle 
ein wichtiges Stück aus der Mythologie unſerer heid— 
niſchen Vorfahren. Aber Eines macht noch bei Allem, 
was ſo ſchön zutrifft, Schwierigkeit, das ſind die bei- 
den ächt chriſtlichen Kreuze über dem Portal, und 
oben am Giebel. Doch auch damit können wir in's 


410 


Reine kommen. Da, wenn man die Kreuze genau 
betrachtet, an beiden der rechte Querbalken länger 
als der linke, und in der Breite ſchärfer ift, fo könn⸗ 
ten ſie auch für Aexte oder Hauinſtrumente gehalten 
werden, womit dem großen Opfervieh der Kopf ab⸗ 
gehauen wurde, und dieſe ſogenannten Kreuze wären 
alſo Symbole der Opferhandlung, wie man ſolche 
Hauinſtrumente noch an alten römiſchen Altären findet. 
Somit wäre auch dieſe Schwierigkeit beſeitigt. Wir 
haben alſo in dem Belſener Kirchlein urſprünglich 
einen römifchen Sonnentempel (Belinstempel), der 
etwa im 8.— 9. Jahrhundert in eine chriſtliche Capelle 
umgewandelt wurde, an dem die alten heidniſchen 
Symbole ſtehen geblieben find. — Daran nehmen die 
andächtigen Beſucher kein Aergerniß, denn finden ſich 
nicht an vielen alten chriſtlichen Kirchen römiſche 
Steine mit heidniſchen Figuren, die beſonders im 15. 
Jahrhundert häufig an chriftlichen Kirchen eingemauert 
wurden? Ja, wie viele Kirchen aus der ſchönſten 
gothiſchen Zeit zeigen Frazen und andere Bilder, die 
urſprünglich beim Bau ſchon an dieſelben angebracht 
wurden, und eben nicht ſehr erbaulich für den Be— 
ſchauer ſind — und doch hat man ſeit Jahrhunderten 
fie ohne Aergerniß ſtehen laffen. 

Die Anſicht, daß zu Belſen eine Opferſtätte des 
Sonnengottes Belin geweſen, erhält eine Begründung 
dadurch, daß nicht nur in Schwaben, ſondern auch 
im Frankenlande Spuren der Belinsverehrung vor- 
kommen. So iſt nicht weit von der gewerbreichen 


411 


Stadt Künzelsau ein Dorf Belſenberg, über dem auf 
einer von Felſen umgebenen Höhe noch die bedeuten— 
den Grundmauern der ſogenannten heil. Kreuzkapelle 
ſich befinden. Der ganzen Lage dieſer uralten Capelle 
nach zu ſchließen, möchte auch hier vor der chriſtlichen 
Zeit ein dem Sonnengott Belin geweihtes Heiligthum 
geſtanden haben, das dem Dorfe den Namen gegeben. 
(S. Zeitſchrift des hiſt. Vereins für Wirtembergiſch— 
Franken Jahrg. 1850 S. 92.) Ferner liegt zwiſchen 
Waldenburg und Künzelsau ein Weiler Belshag, 
was offenbar auf einen Belshayn hinweist. Auch 
das nicht ferne von der Jagst gelegene Städtchen 
Ballenberg (in Urkunden Balinberg genannt) könnte 
von dem Sonnengott Bal ſeinen Namen erhalten 
haben. 

Eine dritte Anſicht über die Belſener Capelle ers 
klärt ſie für ein rein chriſtliches Bauwerk im älteren 
byzantiniſchen Styl (10. bis 11. Jahrh.), die urſprüng⸗ 
lich ſchon dem chriſtlichen Cultus gewidmet war. 
Der ſel. Oberſt Hövel, ein Kundiger in dieſem Fache, 
hat fünf genaue Abbildungen der Capelle, ihres 
Grundriſſes und einzelner Details geliefert (die Ca— 
pelle zu Belſen von H. Stuttgart 1841) und darin 
dieſe Anſicht aufgeſtellt. Auch hat er nachgewieſen, 
daß die Stürze und Bogenfüllungen über den beiden 
Thüren mit ihren ſeltſamen Zeichen je aus einem 
einzigen Steine gehauen und gleichzeitig mit dem 
Chorbogen, and nicht etwa erſt bei Erweiterung des 
Kirchleins angefertigt worden ſeien. „Die eingemauerten 


412 


Kreuze, die menschlichen Geſtalten, die Stier: und 
Widderköpfe, findet man auch an andern alten chriſt— 
lichen Kirchen.“ Mit dieſen Worten eines Kenners 
vom erſten Range, iſt freilich allen bisherigen hiſtoriſch— 
mythologiſchen Unterſuchungen über die Capelle ihr 
Werth benommen, ſo ſcharfſinnig und' gelehrt fie auch 
ſeyn mögen — und auch künftige Unterſuchungen werden 
für unnöthig erklärt. Einen chriſtlich-ſymboliſchen 
Werth haben immerhin ſolche Figuren an alten Kirchen, 
wie in neueſter Zeit in der Schrift „über die Kirche 
zu Großenlinden in Heſſen von V. Klein,“ und an 
der Capelle zu Oberwittighauſen an der Tauber von 
H. Bauer (S. Zeitſchrift des hiſt. Vereins Jahrgang 
1855 mit einer Abbildung) gezeigt worden. — Was 
früher für heidniſches Bildwerk gehalten worden, er: 
ſcheint nach der neueren Forſchung als rein chriſtlich. 


Eine wehmüthige Sage hat ſich von der 1 
Capelle erhalten. 


Das verlorene und wiedergefundene 
Kind. 


Wild brauste der Sturm und heulte durch Wald 
und Flur, immer näher rückte der Donner, immer 
glühender flammten die Blitze und verwandelten die 
ſchwarze, dunkle Nacht in ein Glutenmeer. Wilde 
abe ſtürzten nieder, alle Elemente ſchienen im 

Kampfe zu liegen, und ängſtlich beteten die Bewohner 


413 


eines Dorfes hit Hechingen. um une au eee 
zun Himmel. j 

Dieſe Fünditbare Gewitternacht⸗ war einem sinheubini 
Sommertage gefolgt. Die arme Gertrud, eines Tag- 
löhners Wittwe, hatte in der Ernte geholfen und 
war gegen Abend, als drohende Wolken am fernen 
Horizonte aufſtiegen, ängſtlich heimgeeilt, weil ſie ihr 
einzig Kind allein zu Hauſe wußte. Die bitterſte 
Armuth hatte ſie veranlaßt, ihr karges Stücklein Brod. 
hie und da im Taglohn zu verdienen und ihr liebes 
Kind in der Zwiſchenzeit dem Schutze Gottes und 
ſeiner heiligen Engel anzuvertrauen. 

So hatte ſie auch dieſen Morgen, nachdem ſie ſtill 
ihr Morgengebet geflüftert, ſich zum Fortgehen ange— 
ſchickt, hatte dem kleinen Joſeph Blumen, Bilder und 
Spielereien gegeben, ihm erlaubt in den Garten zu 
ſpringen, und war, nachdem ſie mit heißen Küſſen 
ſeine Fragen, warum ſie fortgehe, erſtickt, ihrer Arbeit 
nachgegangen. 

Ein Muttergottesbild ſtand drüben am grünen 
Bergeshang, vor ihm ſank Gertrud im Vorübergehen 
nieder, empfahl ihr Kind dem heiligen Schutze und 
ging getroſt an ihr Tagwerk. Wie gut, daß die all— 
mächtige Liebe uns nicht vergönnt, den Schleier der 
Zukunft zu lüften: wir müßten oft vergehen vor 
Angſt, wüßten wir, was uns bevorſteht. } 

Als Gertrud am Abende mit bangem Gefühle 
heimeilte und ihres Kindes Namen ſchon von Weitem 
rief, war daſſelbe nirgends zu finden. Kein Winkel 


a 2 414 


der Hütte und des Gartens blieb undurchſucht, die geäng⸗ 
ſtete Mutter ſuchte wieder und wieder an allen wahrſchein⸗ 
lichen und unwahrſcheinlichen Orten — umſonſt! — keine 
fröhliche Kinderſtimme antwortete dem Angſtruf — 
alles blieb ſtumm und ſtille, nur das Krachen des 
Donners und das Leuchten des Blitzes gaben der 
Scene ein ſchauerliches Leben. 


Gepeinigt von namenloſer Angſt läuft die arme 
Mutter von Haus zu Haus, klopft an jeder Thuͤre: 
doch Niemand konnte Nachricht von dem Kleinen geben. 
Einige wollten ihn im Nachmittage ins Thal hinaus: 
gehen haben ſehen, der Hirte erinnerte ſich, daß er 
Blumen ſuchend dem nahen Berge zugeſprungen ſey 
— doch Niemand hatte ihn heimkehren ſehen. 


Da eilt fie fort die unglückliche Mutter, dem Dun: 
keln Felde zu, ſie achtet nicht des ſtrömenden Regens, 
nicht des rollenden Donners, ſie freut ſich noch der 
Blitze, denn ihre Glut iſt ja ihr einziges Licht. Alles 
Raſen der Elemente kann die Mutter nicht ſchrecken, 
die ihr Kind verloren, die ihm Schutz und Hülfe 
bringen will. Ihr Herz betet um Erbarmen zum 
Himmel: „O lenke mich in meiner Noth, führe Du 
mich, Ewiger, und laſſe mich mein Kind finden! bitte 
für mich, Du heilige Gottesgebärerin, um all Deiner 
Leiden, all Deiner Glorie willen und ſchütze milde 
mein armes Kind!“ Ein heller Blitzſtrahl beleuchtet 

in mäßiger Ferne den Berg, zu deſſen Füßen ruht 
eine uralte Kapelle — dann hüllt wieder tiefes Dunkel 


— ͤ— . ˙ 1A 


415 


Alles ein. Der Mutter Schritte lenken fich faſt un: 
willkührlich dem heiligen Orte zu. 

Die kleine, ſteinerne Kirche ſtammte aus grauer 
Vorzeit, ein mißgeſtaltetes Götzenbild grinſete über 
dem Portale und oben vom Giebel herab. Sie trat 
durch die ſtets offene, runde Thüre, um in heiliger 
Stille dort zu beten: ſonſt ſcheute man den finſtern, 
unheimlichen Ort. „O wenn mein Kind an dieſem 
Orte weilte!“ klagte die Mutter, während ſie, durch 
Nacht und Dunkel tappend, den Weg ſuchte. 

Die ewige Barmherzigkeit aber läßt kein gläubiges, 
armes Menſchenherz ohne Troſt: die ſchwarzen Wolken 
zerriſſen, der Regen hörte auf, ſeltener und ſeltener 
flammten die Blitze, immer ferner rollte der Donner 
und das klare Silberlicht des Mondes ergoß ſich bald 
über die wieder beruhigte Erde. 

Gertrud war der Kapelle nahe gekommen; der alte 
Aberglauben hemmte ihre Schritte — doch es galt ja 
ihres Kindes Wohl oder Weh — ſtie faßte ſich ein Herz 
und trat durch die offene Pforte. 

Das bleiche Mondlicht leuchtete durch die kleinen 
Fenſteröffnungen und umfluthete mild ein am Altare 
ſchlummerndes Kind. Dort in den Stufen des alten 
Qpferſteines liegt der verlorne Liebling, ein ſelig Lä— 
cheln ſcheint die zarten Lippen zu umſchweben, und 
in dem halbgeöffneten Händchen ruhte ein glänzend 
Silberſtück. Kennt ihr der Engel Groſchen nicht? 
ſie geben ihn zum Pfand, wenn ſie ein zartes Kind 
mit in die ewige Heimath führen wollen. „Mein 


416 


Kind, mein ſüßes Kind! ich habe dich gefunden!“ 
rief die Mutter voll Freude und neigte ſich über den 
verlorenen Liebling. Aber keine Liebkoſung, kein zärt⸗ 
lich Wort kann den Kleinen erwecken, ſein Händchen 
iſt ſo kalt, ſeine Wangen ſo bleich: von unſäglicher 
Angſt gefoltert, kniet die Mutter ſchluchzend neben 
dem Kinde nieder, küßt es heiß auf die kalten Lippen, 
drückt es an die liebende Bruſt — umſonſt — es 
athmet nicht mehr — der Engel des Herrn hat es 
aus dem, malten Heidentempel in den goldnen Himmel 
geholt; das verirrte Lämmchen iſt nun debe beim 
guten Hirten. 

Kein Wort vermag der Wittwe Schmerz zu mulen, 
ſie weint in unſäglichem Jammer! Wie iſt ihr nun 
Alles genommen: Eltern, Gatte und Kind todt — 
wie kann ſie das elende Leben ertragen? Nur Ein Ge— 
danke — der der Verzweiflung, durchbebte ſie. Da ſank 
ſie wieder auf die Kniee, zu Ihm flehend, der gegeben 
und genommen hat, der ſie einſt mit den Geliebten 
wieder vereinen wird: und aus der alten Heidenkapelle 
ſteigt ein demüthiges Gebet himmelwärts zum Gott 
der Chriſten, und bringt den Balſam des Segens 
und Troſtes nieder in das wunde Herz einer ver- 
laſſenen Mutter! 1 5 Lina Welebil. 


417 


XIII. 
Kloſter Wiblingen. 


Links über dem Thale der Iller, die hier eine be— 
deutende Krümmung macht, liegt das Pfarrdorf Wib— 
lingen, und etwas höher und freier die ehemalige 
Benediktiner-Abtei dieſes Namens. Sie wurde im 
Jahr 1093 von den Grafen Hartmann von Kirch— 
berg und ſeinem Bruder Otto auf eignem Grund 
und Boden geſtiftet. Zuerſt wurde der Kloſterbau, 
wie der Ulmer Mönch Felix Fabri aus dem 15. 
Jahrhundert berichtet, an einem andern Ort begonnen; 
als aber die Stifter Hartmann und Otto von ihrem 
Kreuzzug nach Jeruſalem zurückkehrten, und von den 
Bauleuten vernahmen, daß ſich der Bau wegen des 
ſandigen Bodens nicht halten könne, ſo wurde der 
Bau verlaſſen und das Kloſter an dem Orte erbaut, 
wo es noch jetzt ſteht. Wirklich iſt auch bald hernach 
der Berg, auf dem das Kloſter begonnen wurde, ge— 
borſten, und der angefangene Theil der alten Kirche 
ſtürzte ſammt dem Kirchhofe herab. Das neuerrichtete 
Kloſter wurde von St. Blaſien aus mit Mönchen 
ausgeſtattet, und im September des Jahrs 1093 
durch Biſchof Gebhard von Conſtanz zu Ehren des 
heil. Martins eingeweiht. Im Jahr 1098 nahm 
Pabſt Urban II. das neugegründete Kloſter in ſeinen 

II. 27 


418 


Schutz und beftimmt feine Rechte und Freiheiten. 
In dieſer Bulle übertrug er dem Stifter und ſeiner 
Familie die Schirmvogtei über das Kloſter, mit der 
ausdrücklichen Bemerkung, „wenn Einer nicht das 
Frommen des Kloſters fürdere, jo Dürfen Abt und 
Brüder ihn entfernen und einen andern wählen.“ Als 
Steuer legte der Pabſt dem Abt und Convent auf, 
daß ſie jedes Jahr einen Biſant (güldene Dukate) in 
den päbſtlichen Fiskus liefern. Die Schutzbulle wurde 
im Jahr 1126 von Pabſt Honorius, im Jahr 1148 
von Eugen III. erneuert, und werden in letzerer Bulle 
zugleich die Beſitzungen des Kloſters zu Gögglingen, 
Diſchingen, Vöhringen, Kirchberg, Harthauſen in Schutz 
genommen. In der Schutzbulle Pabſt Cöleſtins III. 
werden außer den genannten noch die Kloſterbeſitzungen 
zu Achſtetten, Erſingen, Donauſtetten, Staig, Altheim, 
Hüttisheim, Laupheim, Buch, Remshard, Gerlenhofen, 
Hütenhauſen, Stetten in Schutz genommen. Wir 
ſehen hieraus, daß Wiblingen bereits im erſten Jahr— 
hundert feiner Stiftung viele und bedeutende Güter 
beſeſſen. — Der erſte Abt des Kloſters war Werner 
von Ellerbach, edel au Geſchlecht, und noch edler 
durch ſeinen frommen Sinn. Weil dieſer Abt gar 
gottergebene Mönche unter ſich hatte, ſo wurde er 
von vielen Gott geweihten Jungfrauen angeſprochen, 
er möchte doch neben feinem Kloſter auch ein Klöſter— 
lein für ſie erbauen. Der Abt willfahrte ihrer Bitte, 
und erbaute zur Seite des Convents ein Klöſterlein, 
in dem lange Zeit eine Sammlung Gott geweihter 


419 


Jungfrauen geweſen, neben der Capelle der h. Maria. 
Letztere ſtand in dem Kirchhof, wo das Begräbniß der 
genannten Schweſtern war, unter welchen manche ſehr 
fromme geweſen ſeyn ſollen. Ja noch lange nachher 
wallfahrteten Viele aus Ulm und von der Umgegend 
zu jener Capelle, zur Ehre dreier Jungfrauen, welche 
man die drei heil. Jungfrauen nannte. Abt Werner 
lebte noch im Jahr 1126. Nach ihm erſcheint Abt 
Berthold noch im Todesjahr Abt Werners. Dieſem 
folgte Abt Arnold bis 1147. Dann führte den Abts— 
ſtab Stephanus, welcher vom Jahr 1148 bis 1173 
in Urkunden vorkommt. Im Jahr 1194 lebte Abt 
Heinrich, der bis 1241 regierte. Auf ihn folgte Abt 
Hermann, der nur zwei Jahre regierte. Deſſen Nach— 
folger war Abt Conrad bis zum Jahr 1281. — 
Mit dem Anfang des 15. Jahrhunderts ſah es nicht 
zum Beſten im Kloſter Wiblingen aus, denn die Zucht 
der Mönche lag ſehr im Argen. Daran waren haupt— 
ſächlich die Mönche von Reichenau Schuld, welche 
einen reichen Pfleghof mit vielen Gütern und Gülten 
zu Ulm hatten. Allda wohnten immer ſechs bis ſieben 
Mönche von der Reichenau, die auf ihrem Hofe, ge— 
nannt der Grienhof, der fo prächtig wie ein fürſt— 
liches Schloß war, umgeben von einer Mauer und 
einem Luſtgarten, Wein ausſchenkten, und mit den 
Ulmern weltlich handelten und wandelten. War ein 
Stechen zu Ulm, ſo ſtachen die Mönche auch mit: 
ſie trieben mit ihnen Ritterſpiel und Turnier, hielten 
Tänze, viel Banket, Gaſtung und Wohlleben, alſs 


420 


daß alle Tage ein Zehentlein oder Dörflein der Abtei 
Reichenau dahin ging, wie es hergegangen war. In 
dieſes Leben in Saus und Braus, das die Reichenauer 
trieben, wurden auch die Mönche der nahen Klöſter 
hineingezogen. Gab es einen luſtigen Tag in Ulm, 
ſo luden die Reichenauer Mönche auch ihre Brüder 
zu Wiblingen ein, und es hieß: „gleiche Brüder, gleiche 
Kappen.“ Im Strudel des Wohllebens verſanken 
bald auch die Mönche zu Wiblingen, und das Kloſter 
gerieth in Abgang. Ein gleiches Schickſal hatte auch 
das Frauenkloſter zu Wiblingen getroffen; wie in 
dem Mönchskloſter, ſo verfiel auch in dieſem die Zucht, 
und es ging bald ſeiner Auflöſung entgegen. Da 
kam noch zu rechter Zeit ein Mann ans Ruder, der 
das Kloſter vom Abgrund des Verderbens rettete. 
Es war Abt Ulrich Hablützel, der es nach dem Bei— 
ſpiel des Benediktiners Ludwig Berbus aus Venedig 
unternahm, auch ſein Kloſter zu reformiren. Raſch 
legte er die Hand ans Werk, und es war nicht ohne 
Segen. Aber es läßt ſich nicht leicht beſchreiben, 
ſagt der Ulmer Mönch Felix Fabri, welche Schwierig— 
keit der ehrwürdige Vater Ulrich bei der Reformation 
ſeines Convents zu überwinden hatte, denn er fand 
bei ſeinen Brüdern den größten Widerſpruch. Ja er 
hatte ſo ſehr um ſein Leben zu beſorgen, daß, wenn 
er im Chor, im Kapitel und Speiſeſaal bei den un 
geberdigen Brüdern ſich einfand, er immer einen 
Panzer heimlich um die Bruſt legte. Mit ungeheurer 
Mühe und unter vielen Sorgen brachte er endlich 


421 


doch fein Werk zu Stande, und führte wieder einen 
ſo geordneten Zuſtand im Kloſter, und eine ſolche 
Zucht unter ſeinen Mönchen ein, daß Kloſter Wib— 
lingen eine Mutter für alle Klöſter in Schwaben ge— 
worden, und andere Klöſter von ihm aus reformirt 
wurden, weil es ſo viele fromme und tüchtige Männer 
in ſeiner Mitte hatte. Das geſchah ums Jahr 1445. 
Dem edlen Abt Ulrich folgte Johannes im Amte; 
nur einige Jahre begleitete er dieſe Würde, dann 
reſignirte er, denn er ſehnte ſich nach Ruhe. Sein 
Nachfolger war Conrad Ruch, der ſein Kloſter wohl 
regierte, und noch in den Zeiten des Chroniſten Felir 
Fabri, gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, lebte. 
Wohl unter den letztgenannten Aebten zeichneten ſich 
die Mönche zu Wiblingen wegen wiſſenſchaftlichen 
Strebens beſonders aus. Denn als um dieſe Zeit 
der Gedanke vielfach rege geworden war, daß man 
in den Klöſtern eigene Lyceen errichten ſollte, wo 
tüchtige Männer zu Lehrern gebildet würden (was 
dann in der Reformationszeit durch Errichtung 
der Kloſterſchulen zur Ausführung gekommen), da 
wurde beſonders auch Wiblingen als tauglich für eine 
Lehranſtalt empfohlen. Der Pfarrer Luz zu Dillingen 
ſchlug es vor und erbot ſich, wenn es zu Stande 
käme, ſeinen ganzen Büchervorrath dazu herzugeben. 
Gegen den Schluß des 17. Jahrhunderts ſtand Kloſter 
Wiblingen beſonders in hohen Ehren. Nicht nur hatte 
es um jene Zeit ſeine äußere Zierde, ein prächtiges 
Convent und eine herrliche Kirche erhalten, ſondern 


422 


es glänzte auch durch die Frömmigkeit und Zucht, 
ſowie das wiſſenſchaftliche Streben ſeiner Mönche. 
Das Alles hatte das Kloſter dem ehrwürdigen Abt 
Maurus zu verdanken, der mit Recht als der zweite 
Stifter des Kloſters angeſehen wird. Er ſtand 26 
Jahre würdiglich dem Kloſter vor, und ſtarb im Jahr 
1692. Noch am Schluſſe des 18. Jahrhunderts 
war Wiblingen eine anſehnliche Abtei: der Convent 
zählte 28 Patres und 5 Fratres. Auch hatte es noch 
ſeine meiſten Beſitzungen, die ihm in den älteſten 
Zeiten zugekommen waren. Im Jahr 1780 wurde 
das Kloſter Wiblingen zu der damals öſterreichiſchen 
Markgrafſchaft Burgau eingetheilt, kam aber im Jahr 
1805 an Baiern, und im Jahr 1806 an Wirtem— 
berg. Das Kloſter wurde ſofort aufgehoben, und 
bald darauf ſein Prachtgebäude zu einem Schloſſe 
eingerichtet. Längere Zeit war Wiblingen die Reſidenz 
des Herzogs Heinrich von Wirtemberg, und wurde 
hernach theilweiſe eine Wohnung für Beamte. Schon 
ſeit mehreren Jahren iſt das Schloß Wiblingen zu 
einer Kaſerne eingerichtet, in welcher ein Theil der 
zu Ulm gehörigen Garniſon untergebracht iſt. Von 
den alten Kloſtergebäuden iſt Nichts mehr zu ſehen. 
Die gegenwärtige, noch jetzt mit Recht bewunderte 
Kirche, wurde zwiſchen 1780 —83 erbaut; ſie hat 
eine Länge von 330, eine Breite von 100 P. Fuß. 
Die vortrefflichen Fresken in dieſer Kirche ſind von 
einem trier'ſchen Hofmaler Namens Januar Zik aus 
Koblenz gefertigt. Schnek aus Brixen hat die treff⸗ 


423 


lichen Gypsſtatuen gearbeitet. In der Kirche wird 
noch eine 5 Linien breite und 6 Zoll lange Kreuz— 
partikel anfbewahrt, welche der Pabſt Urban II. dem 
Kloſter geſchenkt haben ſoll. 

Wir laſſen eine wunderbare Hiſtorie folgen, die 
wir in ihren Grundzügen der Chronik des genannten 
Felir Fabri entnommen. 


Die Wunderproceffion zu Wiblingen. 


Unter den Mönchen zu Wiblingen befand ſich ums 
Jahr 1400 Einer, der aus dem fernen Morgenlande 
gekommen und einſt vor den Abt getreten war, um 
im Kloſter als Mönch aufgenommen zu werden. Nach 
ſeinen Ausſagen war er auf dem Berge Libanon ge— 
boren, hatte manche Jahre unter den Ungläubigen 
zugebracht, als Sklave eines arabiſchen Arztes und 
Gelehrten, und als er nach deſſen Tode ſeine Freiheit 
erhalten, war er weit umher gewandert auf gelehrten 
Schulen und hatte Vieles gelernt. Auch kam er nicht 
ohne Hab und Gut und brachte dem Abte ein Käſt— 
chen mit edlen Steinen, um damit eine Monſtranz 
zu verzieren. Darum wurde er auch gerne aufge— 
nommen unter die Brüder des h. Benedikts, ſo un— 
heimlich und ſcheu ſonſt ſein Ausſehen war. Nach— 
dem ſein erſtes Probejahr vorüber, in welchem er die 
niederſten Dienſte hatte verrichten müſſen, trat er in 
die Reihe der Mönche und wurde als Bruder auf— 
genommen. 


424 


Jetzt hatte er mehr Zeit, ſich mit dem zu bejchäf: 
tigen, was er längſt unter den Ungläubigen gelernt, 
nemlich mit Zauberei und geheimen ſchwarzen Künſten. 
Wie heimlich er es auch trieb und ganze Nächte in 
ſeiner Zelle wachte, um dort Salben zu bereiten, 
Tränke zu kochen und Metalle zu ſchmelzen, oder aus 
den Knochen von Menſchen und Thieren, die er ver⸗ 
brannte, Pulver zu bereiten — ſo merkte doch einer 
ſeiner Nachbarn, der öfters wegen eines Körperleidens 
ſchlafloſe Nächte hatte, daß der Bruder Mauritius, 
ſo hieß der fremde Mönch, etwas Beſonderes auf ſeiner 
Zelle treiben müſſe, denn er vernahm ſein Auf- und 
Abgehen, das Geräuſch des Feuers und den wider— 
lichen Geruch, der oft zu ihm herüber drang. 

Auch verkehrte Mauritius heimlich mit den Be⸗ 
wohnern der Dörfer, die nächſt dem Kloſter lagen, 
um ſeine Zaubermittel gegen Menſchen und Vieh unter 
ſie zu bringen. 

So ſchlich denn einſt zur Mitternacht der kränkliche 
Mönch an die Thüre des Mauritius und ſpähte durch 
die Spalten. Aber ein Entſetzen erfaßte ihn, als er 
ſeine Blicke in die Zelle geworfen. 

Mauritius ſtand vor einem kleinen kupfernen Keſſel, 
und rührte mit einem menſchlichen Knochen darin. 
Dicke Dämpfe ſtiegen aus dem Keſſel auf, und die 
Rauchwolken bildeten ſich zu allerlei ungeheuerlichen 
Geſtalten, die immer größer und größer wurden und 
die Zelle anfüllten. Ringsumher ſtanden abgehauene 
Aeſte von Erlen, Buchen und Eichen, daran hingen 


425 


die herrlichſten Früchte Italiens und des Morgen 
landes, wie Pomeranzen, Citronen, Feigen und Ananas. 

Erſchrocken eilte der Mönch zum Abt und verkün— 
digte ihm, was er geſehen. Als dieſer nun es nicht 
glauben wollte und es ihm bedünkte, daß der Mönch 
im Fiebertraum rede, ſo zog er ihn mit vor, und 
der Abt ſpähte ſelbſt durch die Spalten der Thüre, 
und bekreuzte ſich, als er alles beſtätigt fand. 

Mit dem früheſten Morgen verſammelte der Abt 
die Mönche, und als auch Mauritius erſchienen, gebot 
er den herbeigerufenen Kloſterknechten, ihn zu binden. 
Alles war erſtaunt, denn Niemand wußte, wo das 
hinaus wollte; da erhob ſich der Abt und ſprach: 
Ein räudiges Schaaf iſt unter uns und ſein Name 
heißet Mauritius, denn er iſt nicht ein Kind des 
Himmels, ſondern der Hölle, ſintemalen er ſich abgibt 
mit Zaubereien. Ich ſelbſt habe ihn ertappt über ſei— 
nen teufliſchen Wegen zur ſpäten Mitternachtsſtunde. 
Darum führt ihn fort in den unterſten Kerker des 
Kloſters, und feſſelt ihn mit ſchweren Ketten an die 
Wand, bis wir nach drei Tagen uns berathen und 
ſein Urtheil geſprochen haben. 

Kalt und mit höhniſchen Mienen hatte Mauritius 
dieſe Worte vernommen, und unheimliche Blitze ſchoßen 
aus ſeinen kleinen ſchwarzen und ſtechenden Augen. 
Auf Wiederſehen, Abt! lachte er, als er abgeführt 
ward — auf Wiederſehen nach drei Tagen, wenn 
Ihr nicht bis dorthin ſammt all Euren Mönchlein 
erſoffen ſeyd in der Iller, und das Kloſter nicht fort— 


426 


geriſſen iſt, daß man nicht mehr weiß, wo es ger 
ſtanden. 

Während er ſo ſprach, zogen ſchwere Regen⸗ und 
Gewitterwolken jenſeits der Donau auf, und trotzig 
ließ ſich Mauritius abführen in den Kerker. Der 
Abt aber zog mit ſeinen Mönchen in die Kirche und 
warf ſich vor dem Altar nieder und flehte zum Himmel 
um Schutz vor dem ſchlimmen Zauberer. 

Als der Gefängnißwärter Abends dem Gefangenen 
Brod und Waſſer bringen wollte, hingen die Feſſel 
und Ringe leer an der Mauer, und von Mauritius 
war trotz den verriegelten Thüren keine Spur mehr 
zu finden. Todesbleich eilte der Schließer zum Abte 
und verkündigte ihm, was er gefunden. Jetzt war 
Alles nicht länger im Zweifel, daß Mauritius mit 
dem Böſen im Bunde ſtehe. Dazu regnete es immer 
heftiger und ein ſchweres Gewitter zog das Illerthal 
herauf. Sein Hagel zerſchlug alle Feldfrüchte des 
Kloſters und der Umgegend, und der darauf folgende 
Regen ſchüttete in Strömen herab. So dauerte es 
drei Nächte und drei Tage. Immer höher ſchwoll 
die Iller, und ihre hochaufwirbelnden Wellen waren 
zum tobenden Strom angewachſen, der damals noch 
einige hundert Ruthen vom Kloſter entfernt vorüber 
ſich wälzte, und nicht wie heute ſo nahe daſſelbe be— 
ſpühlte. Bald ſtürmte das Gewäſſer entfeſſelt in das 
weite Thal und riß Bäume, Brücken, Häuſer und 
Scheunen mit ſich fort. 

Immer näher und näher braust die Waſſerfluth 


427 


gegen das Kloſter, bald ſtürzt die ftarfe Mauer, welche 
ſelbiges umſchloß, als wäre ſie nur aus Lehm auf— 
geführt, bald ſteht das Kloſter von Wogen umthürmt 
gleich einer Inſel im Meere. Verzweiflung erfaßte 
die Mönche, denn nirgends war Hülfe, nirgends 
Rettung zu hoffen. 

Vergebens ertönte ihr Jammerruf, ihr Wimmern 
erſtarb im Wogenſchall, und ſelbſt auf zerbrechlichen 
Kähnen war keine Rettung zu hoffen, da die reißen— 
den Wogen Alles zertrümmerten. 0 

Da ſammelte der Abt die Brüder Alle und führte 
ſie zur Kirche. Dort am Hochaltar fiel er betend 
mit ihnen auf die Kniee und flehte um Rettung aus 
der ſchrecklichen Gefahr. Sie riefen zum h. Benedikt, 
dem Schutzpatron, und manch brünſtiger Pſalm ent— 
ſtieg ihren bleichen Lippen, indeſſen von Außen die 
Gewalt der Wogen an die Mauern der Kirche an— 
prallte. So lag das Häuflein ſechs volle Stunden 
in der fuͤrchterlichſten Todesnoth, und immer matter 
wurde ihr Gebet und ihr Geſang, und immer lauter 
tobte die Fluth. Bereits neigte ſich der Tag und 
die Nacht brach allmählig herein, da noch einmal 
ermannen ſie ſich zu einem lauten Pſalmen. Kaum 
war er verklungen, ſo erhellte ein lichter roſinfarbiger 
Strahl die in Dämmerung gehüllte Kirche. Auf 
duftenden Wolken ſchwebte über dem Hochaltar ein 
Engel hernieder, in ſeiner Rechten eine Fahne mit 
dem heiligen Kreuz geziert. 

Stumm und ſprachlos richten die Todesopfer ihre 


428 


Augen auf dieſe Erſcheinung, aber der Engel war 
kaum unter ſie getreten, da winkte er ihnen mit der 
Hand, ihm zu folgen. Er ſchreitet voran, der Zug 
folgte, einen neuen Pſalm anſtimmend aus voller 
Bruſt. Als fie durch die Kirchenthüre in den Hof 
traten, da wichen die Erſten wieder ſchreckensvoll zu— 
rück, denn in Nacht und Nebel gehüllt tobte die 
Fluth heran, auf welcher Trümmer aller Art auf— 
und abwogten. Der Engel aber hob die Fahne hoch 
empor und ſchlug mit derſelben dreimal gegen die 
Wogen, und beim dritten Schlag bäumte ſich das 
tobende Element hoch auf, als ſchäumte es vor Grimm 
und wälzte ſich rückwärts. Wie vom Sturm ge: 
peitſcht raſcher und immer raſcher weichen die Waſſer 
aus des Kloſterhofs Räumen, und bald hörte man 
nur noch von Ferne das unheimliche grollende Rauſchen. 


Ehe ſich die Mönche von ihrem Staunen erholen 
konnten, war der Engel verſchwunden ſammt ſeiner 
Fahne und zerfloſſen das himmliſche Bild in das 
Dunkel der Nacht. Nur auf der Stelle auf der Schwelle 
der Kirchenthüre, von wo aus er das Element mit 
dem Kreuz auf der Fahne gebändigt, fanden ſich der 
Abdruck ſeiner Füße im Stein und ringsum ſieben 
Kreuzzeichen. N 

Des andern Tages aber, als ſich die Waſſer ganz 
verlaufen hatten, fand man den Leichnam des Zauber— 


mönches Mauritius, der ertrunken zwiſchen Weiden: 
bäumen hing. 


429 


Obwohl er durch feinen Bund mit dem Böſen 
dieſe Ueberſchwemmung angerichtet und die Schleuſen 
der Wolken geöffnet hatte, ſo wurde er dennoch ſelbſt 
ein Opfer ſeiner teufliſchen Bosheit. 


XIV. 
Ruine Blankenhorn 


im Zabergäu. 


Unweit dem Städtchen Güglingen, auf einem nörd— 
lichen Vorſprung des waldreichen Strombergs, erheben 
ſich die noch bedeutenden Trümmer der einſt gewalti— 
gen Raubburg Blankenhorn. 

Will man zu dieſer maleriſchen Ruine gelangen, 
ſo beſteigt man hinter dem Dörflein Ochſenbach den 
Bergrücken; wenn man ſich dann eine halbe Stunde 
mühſam durch verwachſene Gebüſche gewunden hat, 
ſo gelangt man an einen halbverſchütteten Burg— 
zwinger, und von da führt ein geebneter Fußpfad an 
das noch gut erhaltene Burgthor, welches ſich auf 
der Weſtſeite befindet. Daſſelbe hat eine Höhe von 
15 Fuß, und iſt durch eine ſehr dicke, mit einer 
Fenſteröffnung verſehene und gegen Süden noch ziem⸗ 
lich hohe Mauer mit dem Burg-Mantel verbunden. 
Dieſer Mantel, welcher mit ſeinen großen und 8 Fuß 


430 


dicken, ohne irgend eine Oeffnung an einander ge: 
fügten Buckelſteinen, bis jetzt noch am meiſten der 
Zerſtörung getrotzt hat, hat noch eine Höhe von 60 
Fuß. An ihn ſchließt ſich öſtlich eine Mauer an, 
welche drei Schießlöcher hat, gegen Norden immer 
ſchwächer wird und dort ſchon durch Menſchenhände 
gelitten hat. Nördlich iſt nur ein kleiner Mauerreſt 
ſichtbar. Das Innere der Burg bildet mit ſeinen 
kahlen Wänden ein länglichtes Viereck, ungefähr 200 
Fuß lang, und an der ſüͤdlichen Seite 180, an der 
nördlichen 100 Fuß breit. Im Schloßhof findet man 
noch den alten ſteinernen Bogen eines Kellerhalſes, 
aber der Keller iſt verſchüttet. Vielleicht würde ſich 
hier eher ein Faß mit altem trefflichem Zabergäuer 
finden laſſen, als Silber und Gold, was man ſchon 
in den Zeiten des alten Rebſtocks auf der Burg 
ſuchte. Er redet in ſeiner kurzen Beſchreibung Wir— 
tembergs „von dem verſtörten Burgſchloß Blanken⸗ 
horn, von welchem ſonderbare Sachen ſpargirt werden, 
als ob ein Schatz allda verborgen. Solle von lauter 
Wein erbaut worden feyn; wer es aber erbauet und 
bewohnt, davon finden ſich keine eigentlichen Nach— 
richten.“ Wirklich haben auch wir bisher nichts Ur— 
kundliches über die erſten Erbauer und Beſitzer der Burg 
Blankenhorn auffinden können. Wären jene an den drei 
Mauern der Burg vorkommenden Hieroglyphen ger— 
maniſche Runen ſtatt Steinmetzenzeichen, wie ſie ſonſt 
noch auf einigen uralten Burgen vorkommen, ſo wäre 
vielleicht eine Jahrszahl oder ein Name herauszu— 


431 


bringen. Daß ein Geſchlecht dieſes Namens eriftirte, 
iſt keinem Zweifel unterworfen, denn noch jetzt gibt 
es in Wirtemberg und Baden ein Geſchlecht dieſes 
Namens. Die Herren von Blankenhorn ſind wohl 
ſchon frühe in den bürgerlichen Stand herabgeſtiegen. 
Die Wirtemberger Familie Blankenhorn will von den 
Rittern von Blankenhorn abſtammen, und es hat 
ſich bei ihr die Familienſage erhalten, daß einer ihrer 
Ahnherrn zur Zeit des 30jährigen Kriegs vom Kaiſer 
ab der Burg vertrieben worden ſeye und ſich in die 
Gegend von Urach, Achalm und Teck gezogen habe, 
wo er ſein adeliges Wappen abgelegt und bürgerlich 
geworden. Wohl dürfen wir annehmen, daß, wenn 
wir je dieſer Familienſage Glaubwürdigkeit zuſchreiben, 
jener Ahnherr des Geſchlechts Blankenhorn nicht erſt 
im 30jährigen Krieg, ſondern viel früher vertrieben 
wurde und ſich in die Gegend gewendet, wo ſich noch 
Nachkommen von ihm befinden. Da M. Cruſius 
die Burg Blankenhorn ausdrücklich ein Raubſchloß 
nennt, fo iſt wohl ſchon im 13. Jahrhundert einer 
der letzten Raubritter von der Burg Blankenhorn, 
die ſo recht gelegen war, um das Zabergäu auszu— 
ſpähen und auszubeuten, vom Kaiſer aus ſeiner Burg 
vertrieben worden, und ſein Name iſt verſchollen, bis 
er in ſpäterer Zeit bei Enkeln bürgerlichen Standes 
wieder aufgekommen. Die Burg des vertriebenen 
Ritters wurde ſodann, wie es bei heimgefallenen 
Reichslehen der Fall war, dieſem oder jenem in der 
Nähe begüterten Edelmann, vielleicht auch einigen 


432 


zugleich verliehen. So finden wir fie am Schluffe 
des 13. Jahrhunderts in den Händen der edlen Herren 
von Neufen und von Magenheim. Im Jahr 1296 
kam die eine Hälfte der Burg von Rudolf von Neufen 
durch Kauf an die von Brubere (Breuberg), von 
dieſen ebenfalls durch Kauf an Conrad von Flügelau, 
und von dieſem durch Vermächtniß im Jahr 1313 
an Heinrich von Eberjtein, der ſie noch im Jahr 1320 
beſaß. In letzterem Jahr verzichtete Zaiſolf v. Magen⸗ 
heim gegen Heinrich von Eberftein auf feine Rechte, 
die er noch auf Blankenhorn hatte. Die andere 
Hälfte von der Burg Blankenhorn kam durch Ulrich 
von Magenheim, den Schwager Ulrichs von Neufen, 
an ſeinen Enkel, den Grafen Burgin von Hohenberg. 
Im Jahr 1321 verkaufte Burgin von Hohenberg die 
Burg Blankenhorn nebſt noch andern wichtigen Be— 
ſitzungen an den Grafen Eberhard von Wirtemberg 
um 5250 Pfund Heller. Im Jahr 1327 wurde 
ſie von Wirtemberg an Mainz verpfändet, aber wie— 
der eingelöst. Im Jahr 1450 belehnte Graf Ulrich 
den Eberhard von Sternenfels mit der Burg Blanken— 
horn und einigen andern Gütern, weil dieſer in dem 
Krieg mit den Eßlingern und Reutlingern dem Gra⸗ 
fen im nächtlichen Kampfe das Leben gerettet hatte. 
Im Jahr 1472 verleiht Graf Eberhard von Wirtem- 
berg dem Hermann von Sachſenheim, Ritter, um 
ſeiner treuen Dienſte willen, das Schloß Blankenhorn 
ſammt dem Berg, Brunnen, dem untern Garten und 
23 Morgen Holz als Mannlehen, und behält ſich 


433 


die Oeffnung darin vor, auch mußt' er verſprechen, 
es auf ſeine Koſten im redlichen Bau zu erhalten. 
Aber die von Sachſenheim machten wohl wegen ſeiner 
Baufälligkeit keinen Gebrauch davon, und ſo brach 
denn im Jahr 1479 Bartel Luz, alter Forſtmeiſter, 
das Schloß von Holz und Dachwerk ab und verkaufte 
Holz und Ziegel. So war alſo kein Bauernkrieg 
nöthig, um die Burg Blankenhorn zu ruiniren. Schon 
im Jahr 1591 war „Plankenhorn, weiland ein Raub⸗ 
ſchloß“ zerftört. Im Jahr 1617 ſagt ein alt Land: 
buch darüber: ein alt Burgstall zu Eibenſpach, 
Blankenhorn genannt, ſo gar in Abgang kommen; 
und im Lagerbuch d. anno 1711 heißt es: Blanken⸗ 
hor, das alt abgegangen Schloß und Burgstall am 
Stromberg mit ſambt ſeinem Inbegriff zu allen Dr: 
ten, zwiſchen der Herrſchaft Wirtemberg Wäldern gele— 
gen, iſt erſtgemeld'ter Herrſchaft eigen und mit Gehöltz 
und Hägern verwachſen, erträgt Nichts, ſondern wird 
einem Forſtknecht zu Eibenſpach ſammt einem ver— 
wachſenen Wieſenſtücklein dabei zur Benutzung gelaſſen. 
— Vor einigen Jahren wurde in der Nähe dieſer 
Ruine, ungefähr zwei Fuß tief, beim Ausgraben einer 
großen alten Eiche ein eeltiſcher Ne, ap Kelt 
genannt, ausgegraben. 


Nitter Wolf von Blankenhorn. 


Wolf von Blankenhorn war tapfer von Gemüth, 
aber ſtolz war ſein Sinn, und nach den damaligen 
II. 28 


434 


Zeiten und Sitten Jagd und Fehde ſeine liebſte Be⸗ 
ſchäftigung. Er erfüllte nie die Pflicht eines echten 
Ritters, der Retter der Nothleidenden und unſchuldig 
Verfolgten zu ſeyn! Vielmehr war er der Reiſenden 
Geiſel und der Schrecken des Landes weit und breit. 
Getreu ahmte der ſtarke Troß von Reiſigen und 
Dienſtknechten dem furchtbaren Gebieter nach. Eines 
Tages erblickte der ungeſtüme Wolf bei einem fröh— 
lichen Gaſtmahle auf der Veſte Stromberg Elsbethen, 
die 16jährige liebreizende Tochter des friedlichen Burg⸗ 
herrn. Mächtig wurde Wolf von der Schönheit des 
Fräuleins ergriffen, und er fühlte ſich von Liebe zu 
derſelben überwunden. Mit Ungeſtümm geſtand er der 
ſchönen Elsbeth ſeine Liebe, und als er ein Gegen— 
geſtändniß von ihr erhielt, wählte er ſie zu ſeiner 
ehelichen Hausfrau. Aber es hielten ihn die Reize 
des jungen Weibes nicht lange gefeſſelt, auch konnte 
die Holde ihn nicht zum gefälligen Manne umſchaffen, 
weil er, trotz ihres liebreichen Betragens, gegen ſie 
immer wild und rauh blieb. Seit ihrem Hochzeits⸗ 
tages wußte ſie nichts von dem angenehmen Eheſtands— 
leben, wie man es in ihrer Jugend geſchildert hatte; 
denn ſtatt daß ihr Gemahl ſie liebte, beſchäftigte er 
ſich mit Waffenſpiel und Jagd, umgeben von vielen 
gleichgefinnten Geſellen. Bald zeigte ſich ihm und 
jeiner Geſellſchaft eiue, erwünſchte Gelegenheit, feine 
Freude im Waffengeklirr ſuchen zu können; denn mit 
vielen ſeiner Waffengeſellen unternahm Wolf einen 
Kriegszug nach Italien, um dem Kaiſer Heeresfolge 


435 


zu leiſten. Alle Vorſtellungen Elsbeths, ihn von 
dieſem Heereszug abzuhalten, waren vergebens. Selbſt 
ihr Geſtändniß, daß ſie Mutter werden würde, brachte 
den unruhigen Wolf nicht von der Ausfuhrung ſeines 
Vorhabens ab, denn ftatt auf die abmahnenden Worte 
ſeiner Hausfrau zu hören, ſtieß er ſie mit harten 
Worten von ſich, und verließ unter lautem Halloh! 
die Burg mit ſeinen Reiſigen. 

Nach einem Jahre kehrte Wolf wieder von ſeinem 
Heereszug nach Blankenhorn zurück. Mit einem jungen 
Fräulein auf dem Arme, eilte ihm Elsbeth zum Em— 
pfang und Gruß entgegen; als er aber des Kindes 
Geſchlecht vernahm, ſo wurde er unwirſch darob und 
rief aus: „dieſes Kind iſt zum Leidweſen meines 
Hauſes geboren!“ | 

Einige Uebelgeſinnte gegen Elsbethen ſuchten den 
Grimm des Ritters dadurch noch mehr anzufachen, 
daß ſie vorgaben, ſein Weib hätte in ſeiner Abweſen— 
heit die Früchte verbotener Liebe genoſſen. Wolf 
wurde wegen dieſer boshaften Verläumdung jo ent— 
rüſtet, daß die Verſicherung ſeiner Hausfrau von ihrer 
Unſchuld und unwandelbaren Treue gegen ihn bei ihm 
nichts vermochte. Er ſtieß ſie von ſich, und ließ ſie 
in ſein ſo fürchterliches Burgverließ hinunter haſpeln. 
Lange ſchmachtete die Unglückliche mit ihrem Säug— 
ling bei Waſſer und Brod in dieſem Orte der Qual 
und des Jammers, wo ſich Unken und Molche in 
ſcheußlichen Geſtalten im Schlamme umher wälzten. 
Da empfingen ihre getreuen Brüder Kunde davon; 


436 


zur Stunde ſchickten ſie dem Unmenſchen, ihm Rache 
ſchwörend, den Abſagebrief zu. Zu ihrem Haufen 
ſtießen noch einige Fähnlein Knechte der friedlichen 
Ritter von Lomersheim und Gemmingen; im engen 
Thale zwiſchen Blankenhorn und Burg Stromberg 
kam es zur blutigen Schlacht, worin Wolf und ſeine 
Streitgenoſſen unterlagen, und Wolf gezwungen wurde, 
ſein Weib der kläglichen Haft zu entlaſſen. Doch 
kaum hatte die leidende Elsbeth wieder Gottes freie 
Luft eingeathmet, und in der väterlichen Burg die 
milde Sonne und des Himmels heiteres Blau erblickt, 
ſo erlag der durch Gram geſchwächte zarte Körper 
der neuen Empfindung, und entſeelt ſank die Dulderin 
auf dem grünen Raſen im Burggarten nieder. Kurz 
nach dem Hinſcheiden ſeiner unglücklichen Gattin warb 
Wolf um die ſtolze Kunigunde, Tochter des Ritters Veit 
von Sachſenheim, in deſſen Burg ſeit geraumer Zeit 
ein Kobold, der Klopfer genannt, unſichtbar ſein 
Weſen trieb, ſich beſonders bei jedem wichtigen Vor— 
fall hören ließ, und dann gewöhnlich vom alten Veit 
zu Rathe gezogen wurde. Furchtbar lärmte der Geiſt 
dießmal bei jener beiden Verlobung, der er ſich auf 
das heftigſte widerſetzte, und mit feuriger Schrift ſah 
man plötzlich die Worte zum Entſetzen der verſammel⸗ 
ten Gäſte an die Wand geſchrieben: „In drei Jahren, 
in drei Monden, in drei Tagen;“ was ſich auch be— 
ſtätigte. Nach Verfluß dieſer Zeit zog Wolf, der die 
furchtbare Schrift längſt vergeſſen hatte, mit ſeinen 
Geſellen gen Sachſenheim, um Hülfe zu einer vor⸗ 


437 


habenden Fehde von dem Geiſte zu begehren, welcher 
ſich aber durchaus nicht dazu verſtehen wollte. Da 
mußte zweimal der Burgpfaffe den Geiſt beſchwören; 
zweimal ermahnte der Burggeiſt die frechen Geſellen, 
ſeine Ruhe nicht zu ſtören, ſondern von ihrem toll— 
kühnen Vorhaben abzuſtehen. Aber als die Raſenden, 
von Zabergäus Wein erhitzt, ihn zum drittenmale 
vorforderten und ſeiner Warnung ſpotteten, erhob ſich 
ein Sturmwind, der Bäume entwurzelte und die Burg 
in ihren Mauern erſchütterte. Auf dieſen furchtbaren 
Orkan folgte eine Helle, wie Wetterleuchten; überall 
ziſchten Flammen umher; der erzuͤrnte Burggeiſt er— 
ſchien plötzlich in fürchterlicher Geſtalt, mit glühend 
großen Augen und höhnte mit einem Grinſen und 
Hohnlachen der böſen Geiſter die Thoren, welche in 
der brennenden Burg einen ſchrecklichen Tod fanden. 
Er verſchwand zur Stunde und ließ ſich auch ſeit 
jener Zeit nicht mehr ſehen und hören. 

Wolf und Kunigunde ſuchten des Verhängniſſes 
rächender Hand zu entrinnen und theilten das Loos 
der Uebrigen, welche ſammt der Burg zu Aſche ver— 
brannten. 

Als das Schloß Sachſenheim wieder neu erbaut 
wurde, ſo wurde das Bild des Klopfers über dem 
Eingang ins Innere eingemauert. Hier ging es dem 
Kobold auf dem Schloß Sachſenheim, wie dem Burg— 
geiſt zu Scharzfeld am Hart. Dort aber verfuhr der 
Burggeiſt ſäuberlicher, als der Klopfer zu Sachſenheim. 
Der Burggeiſt wollte dort nicht züchtigen, ſondern 


438 


nur aufbrechen. Er mochte nicht zu Scharzfeld weis 
len, wo die Tugend und Unſchuld mit Füßen getreten 
ward. Unter krachenden Donnerſchlägen fuhr er aus 
ſeinem Quartier im runden Thurm hinauf, hob die 
Bedachung deſſelben ab und ſtürzte in die Tiefe, 
ſchwebte über Scharzfeld, ſchrie es laut über die ganze 
Gegend aus, daß der Burgpfaffe mehr als der Kaiſer 
an der Sünde ſchuldig ſey, und verſchwand auf im⸗ 
mer, wie der Burggeiſt zu Sachſenheim. 


XV. 
Aloſter Söflingen 


bei Ulm. 


Im lieblichen Thale der Blau, von einem Arme 
dieſes klaren Waſſers durchfloſſen, liegt der ſtattliche 
Marktflecken Söflingen, und die ehemalige Frauenabtei 
dieſes Namens — nur eine halbe Stunde von der 
Stadt Ulm entfernt. 

Schon in den Zeiten Carls des Großen fol. Se 
velingen, Söflingen zu dem königlichen Kammer: 
gut Ulm gehört haben. Im 13. Jahrhundert waren 
die Grafen von Dillingen im Beſitze von Söflingen; 
fie hatten hier eine Veſte, auf der fie ſich als Reichs⸗ 
vögte von Ulm öfters aufhielten. Später wurde 


439 


dieſe Burg der Sitz ihrer Dienſtmannen, die fich von 
Sevelingen ſchrieben, und das Truchſeßenamt am 
Hofe der Grafen von Dillingen bekleideten. Herr 
Minlo von Sevelingen, von dem in der Liederſamm⸗ 
lung der Minneſänger 11 Lieder vorhanden find, ge: 
hörte zuverläßig zu dieſen Dienſtmannen. — Von 
dem Geſchlecht der Grafen von Dillingen wurde das 
Frauenkloſter Söflingen geſtiftet! Urſprünglich waren 
die erſten Frauen dieſes Kloſters in der Stadt Ulm, 
die ſogenannten Eliſabetherinnen! auf dem Gries. 
Ulrich und Peregrin von Freiberg ſchenkten ihnen im 
Jahr 1237 ihre Hofmark, den ſogenannten Mönche: 
hof, und Conrad von Zimmern, Abt in der Reichenau, 
vergabte ihnen etliche Höfe und Gründe in dem nahe 
gelegenen Orte Pfuhl. Jedoch blieben ſie nur 30 
Jahre zu Ulm. Sie überſiedelten im Jahr 1258 mit 
ihrer Aebtiſſin Frau Halwig in das nahe Söflingen, 
denn in dieſem Jahr ſchenkte Graf Hartmann III. von 
Dillingen mit Zuſtimmung ſeines Sohnes, Biſchofs 
Hartmann von Augsburg und ſeiner drei Töchter, 
alle Herrſchaft und Beſitzungen des Dorfs Sevelingen, 
ſowie das Patronatsrecht der dortigen Kapelle. So 
war das Kloſter Söflingen entſtanden. Der alte 
ſchwäbiſche Chroniſt Thomas Lyrer von Rankwyl 
ſchreibt die Gründung des Kloſters der Gemahlin des 
Grafen zu, die durch eine ſchreckliche Familienbegeben⸗ 
heit dazu veranlaßt war. „Da war — ſo lautet der 
Bericht — ein Herr in Schwaben, der hätt' ſeine 
Wohnung zu Dillingen, und hatte des von Kellmüͤnz 


440 


(des Grafen Aegid) Tochter zum Weibe. Und war 
ſonſt Keiner von Kellmüntz mehr, darum ſo erbt er 
ihn. Nun dingte er (Graf Hartmann) feinen Schwäher, 
einen Schreiber, und beſtellte ihn, daß er ihn ertödten 
ſollte; darum verhieß er ihm 20 Mark Silbers. 
Und auf einen Tag an dem Abend, da ging der 
Herr (Graf Aegid) auf den Berg bei dem Schloß 
ſpazieren, da ſtieß ihn der Schreiber überab und viel 
Erdreichs mit ihm, als ob es ſonſt mit ihm hinab 
wär gefallen, und ſchrie gar laut: o weh meines 
lieben Herrn! Da, das die Frau und die Andern in 
der Veſte erhörten, ſchrieen ſie und liefen heraus zu 
ihm, da konnt er nicht mehr reden und ſtarb von 
Stund an. Da kam ſein Tochtermann, der von 
Dillingen, und thät, als ob es ihm faſt Leid wär, 
und nahm das Gut, Land und Leut' ein. Aber Graf 
Hartmann blieb nicht lange ohne Ahndung. Als 
er nemlich dem Schreiber ſeinen verheißnen Lohn geben 
ſollte, da wollte derſelbe Mehr, und der Graf wollt 
es ihm nicht geben. Darauf machte ſich der Schreiber 
an die Verwandten des Grafen von Kellmüntz, die 
auch gern an der Herrſchaft geerbt hätten, und 
meldete ihnen, wie er auf Anſtiften des Grafen von 
Dillingen den von Kellmüntz ums Leben gebracht. 
Nun ſtellten dieſe Verwandten des Ermordeten dem 
Grafen von Dillingen ſo lange nach, bis ſie ihn 
fingen. Sie führten ihn vor den König, und riefen 
das Recht an gegen den Grafen. Der wurde mit⸗ 
ſammt dem Schreiber vor den König gebracht. Als 


441 


nun der Graf von Dillingen gar ſehr läugnete, zeigte 
der Schreiber zu Kellmüntz die Briefe, die der Graf 
mit ſein ſelbs Hand an ihn geſchrieben hatte. Alſo 
befand ſich die Wahrheit, daß das Uebel von dem 
Herrn gekommen war. Nun wurde das Urtel ge— 
ſprochen über den Grafen von Dillingen, und er 
ward gerichtet (mit dem Schwerdte), als er verdient 
hatte; aber der Schreiber wurde nicht getödtet, weil 
ihn der Vetter des Grafen von Kellmüntz des Lebens 
verſichert hatte, doch ward beſchloſſen, daß man ihn 
vermauren und ihm zu eſſen geben ſollte bis an ſei— 
nen Tod. Der enthauptete Graf Hartmann hinter— 
ließ nur einen noch unmündigen Sohn. Ueber den 
wurde beſchloſſen, daß man ihn, ſobald er zu ſeinen 
Tagen käme, geiſtlich machen ſollte, wollte er aber 
nit geiſtlich werden, ſo ſollte man ihn einlegen und 
verſorgen, damit er keine Frau nehmen möcht, denn 
ſein Blut unwürdig ſey. Nun nahm die Frau von 
Dillingen (Williburg) ihren Sohn und baute ein 
Kloſter, das nannte ſie Seflingen, und baute für ſich 
eine Wohnung daſelbſt, und behielt ihren Sohn bei 
ſich, bis er 13 Jahre alt wurde. Sie brachte den 
Knaben dazu, daß er gelobte, geiſtlich zu werden, ſo 
lange ſeine Mutter noch am Leben war, darnach aber 
wollte er thun, was ihm ſeine Vormünder und Freunde 
hießen und riethen. Nun ward der Knabe gebiſſen 
von einem uaſinnigen Hund und ſtarb am fünfzehn— 
ten Tage elendiglich. Die Mutter lebte nach ihm 
acht Jahr und vierthalb Monate, und ward begraben 


442 


in dem Kloſter Söflingen, das ſie ſelbs geſtiftet hatte.“ 
Wohl gehört dieſe Geſchichte, die wir theils wört— 
lich nach der Chronik des Thomas Lyrer erzählt, 
theils im Auszug mitgetheilt haben, in das Reich der 
Sage, oder: hat fie ſich mindeſtens ſpäter ereignet, 
denn nach zuverläßigen Urkunden lebte ja der Graf 
von Dillingen noch im Jahr 1259. Im Fe⸗ 
bruar dieſes Jahrs eignet er dem Kloſter alle Be- 
ſitzungen, die er von ſeinen Lehensleuten durch Kauf 
oder Schenkungen erhalten. Später im Jahr 1270 
verkaufte Frau Williburg, die Wittwe Wigmanns von 
Aiſelingen, die Veſte Sevelingen mit aller Zugehör, 
und Allem, was ihr und ihrem Manne gehörte, ſo 
lang er lebte, für 300 Pfund Heller an das Kloſter, 
und der Biſchof Hartmann beſtätigte den Verkauf, 
der durch die Wittwe ſeines Dienſtmannes geſchehen. 
Aber außer der genannten Williburg hatten noch an— 
dere an der Burg Antheil, denn in demſelben Jahr 
beſtätigt der Biſchof Hartmann dem Klofter die 
Schenkung Ebo's von Sevelingen über ſeinen Antheil 
an der Veſte und an andern Gütern u. ſ. w. Auf 
ſolche Weiſe kam das Kloſter bald in den Beſitz von 
ganz Söflingen und von noch weiteren Gütern in 
der Umgegend. Schon bei ſeiner Entſtehung waren 
die Kloſterfrauen zu Söflingen durch die Huld König 
Conrads IV. dem römiſchen Reich unmittelbar unter: 
worfen, und König Conradin erneuerte im Jahr 1267 
dieſen Schutz. Im Jahr 1359 empfahl es Kaiſer 
Karl IV. dem Schirm der Stadt Ulm, und im Jahr 


443 


1368 ſtellte ihm ebenderſelbe Kaiſer einen Freibrief 
über ſeine Unvogtbarkeit aus. Die ſpäteren Kaiſer 
beſtätigten ſeine Freiheiten. Seit 1470 war dieſer 
Schutz der Stadt auf gewiſſe Zeit zu einer förmlichen 
Schirmvogtei über das Kloſter erwachſen. Später 
wurde dem Kloſter dieſe Vogtei läſtig und es kündete 
ihn wieder auf. Darüber gerieth das Kloſter mit der 
Stadt vor dem Reichshofrath in einen Streit, der 
ſich aber im Jahr 1473 dahin entſchied, daß die 
Stadt dem Schutz und Schirm, ſo wie der Territo— 
rialhoheit und Gerichtsbarkeit über die ſämmtlichen 
Beſitzungen des Kloſters entſagte. Dagegen das 
Kloſter andere Beſitzungen und Rechte abtrat, die einen 
Werth von 51,245 fl. hatten. Zugleich erhielt Söf— 
lingen ſowohl im reichsabteilichen Collegium, als auf 
dem Reichstage Sitz und Stimme. 

Die Kloſterfrauen von Söflingen hatten von jeher 
eine ſehr ſtrenge Clauſur; doch entdeckte man einmal 
bei einer Unterſuchung des Kloſters im Jahr 1482, 
daß mehrere Nonnen gröblich das Gelübde der Keuſch— 
heit verletzt hatten. Am Schluß des vergangenen 
Jahrhunderts muß es wieder etwas beſſer in den 
Sitten geworden ſeyn, denn es heißt von ihnen: ſie 
leben nach der erſten Strenge des Ordens, bringen 
den größten Theil des Tags und der Nacht im Chor 
mit Gebet zu — ſie gehen ſehr rauh gekleidet und 
enthalten ſich lebenslänglich des Genuſſes von Fleiſch— 
ſpeiſen, an den Feſttagen der ganzen römiſchen Kirche 
ſogar von Allem, was von Fleiſch herkommt. Man 


444 


darf ſelten eine Kloſterfrau ſehen, ja ſelbſt einer 
Herzogin von Wirtemberg war es einmal nicht ge— 
ſtattet, über die Clauſurſchwelle zu treten, um die 
Aebtiſſin zu beſuchen. Die Anzahl der Nonnen be: 
lief ſich in älteren Zeiten auf 32 Nonnen und vier 
Schweſtern. Die Beſitzungen des Kloſters beſtanden 
in drei Dörfern u. ſ. w. mit 4000 Einwohnern und 
mit einem Einkommen von 65,000 fl. — Söflingen, 
Dorf und Kloſter, wurden ſowohl im 30jährigen 
Kriege, als in den Jahren 1790, 1800 und 1805 
ſchwer heimgeſucht. Im Oktober 1702 und im Mai 
1703 hatte der Churfürſt Mar Immanuel, im Au: 
guſt 1704 der Herzog von Marlborough und im 
Oktober 1805 vor der Eroberung Ulms, der Mar- 
ſchall Ney im Kloſter Söflingen ſein Hauptquartier. 
— Im Jahr 1803 wurde der Ort Baiern unter— 
worfen und das Kloſter aufgelöst, und war bis zum 
Uebergang an Wirtemberg im Jahr 1810 der Sitz 
eines Landgerichts. Die Auflöſung des Kloſters er— 
folgte im Jahr 1803. Bei dieſer Veranlaſſung fand 
man einen großen Bündel ſogenannter Buhlbriefe, 
die wahrſcheinlich aus allen Zeiten des Kloſters ſtamm⸗ 
ten. Söflingen war der Geburtsort berühmter Männer. 
Georg Syrlin, Vater und Sohn, die berühmten 
Künſtler Ulms, wurden im 15. Jahrhundert hier ge— 
boren. Auch ward hier der Maler Franz Krauß, 
Schüler Piazetto's, im Jahr 1705 geboren. — Vom 
früheren Kloſter ſteht noch die St. Leonhardskirche, 
welche im Jahr 1693 neu gebaut wurde, alſo nichts 


445 


alterthümlich Merkwürdiges enthält. Sie iſt dermalen 
die Pfarrkirche. Noch älter iſt die St. Jakobskirche, 
die ſchon vor Gründung des Kloſters erwähnte Capelle, 
welche der Sage nach eine der zwölf Kirchen ſeyn 
ſoll, die Karl der Große hin und wieder in Deutſch— 
land zur Ehre der Apoſtel gründete. Die früheren 
Kloſtergebäude, welche einen großen Umfang hatten, 
und mit einer Ringmauer umfangen waren, wurden 
bei der Auflöſung des Kloſters im Jahr 1803 theils 
zu Beamtenwohnungen verwendet, theils verkauft. — 
Das intereſſanteſte Alterthum zu Söflingen iſt das 
zunächſt an der Blaubrücke ſtehende alte ſteinerne 
Kreuz mit einem erhabenen Chriſtusbild. — Wir geben 
zum Schluß eine Geſchichte aus jener Zeit des Kloſters, 
wo nicht die ſtrengſte Clauſur gehalten wurde, wie 
ſie etwa im Jahr 1482 geweſen. 


Die Nonne von Söflingen. 


Es war um die Zeit des Auguſts 1388, da war 
eines Morgens ein luſtiges Leben auf den Straßen 
der alten Reichsſtadt Ulm. Hunderte von Reiſigen 
mit ihren Knechten tummelten ſich in allen Gaſſen 
und öffentlichen Plätzen umher, dazu ſtanden überall 
geſchloſſene Haufen von Lanzknechten um ihre Fähn— 
lein geſammelt, und um ſie und durch ihre Reihen 
wandelten Vürgersleute, die ihnen Speiſe und Trank 
zubrachten. Lange Reihen von Wagen, mit Schanz— 
und Brandzeug und Spießen beladen, ſtunden auf 


446 


dem grünen Hof nächſt dem Spital. Es war meiſt 
Augsburger Kriegsvolk, mit dem ſich nun die Ulmer 
vereinigten, um den Graf Eberhard von Wirtemberg, 
der Greiner oder auch Rauſchebart genannt, zu be— 
fehden. Es war eine alte Feindſchaft nemlich zwiſchen 
den Grafen von Wirtemberg und den Reichsſtädten, 
die dauerte ſchon manche Jahre. Schon der Groß— 
vater Eberhards, Eberhard der Erlauchte geheißen, 
war ein tapferer und kecker Kriegsheld geweſen und 
darum geehrt und eee von allen Ständen des 
Reiches. Derſelbe hatte ſich die Schirmvogtei über 
die freie Stadt Ulm erworben und über einige andere 
Städte Eßlingen, Reutlingen, Rottweil, Hall, Gmünd, 
Heilbronn, Wimpfen, Weinsberg und Weil in Schwaben, 
die er im Namen des Kaiſers ausübte. 

Aber ſtatt nun dieſe Städte zu beſchützen gegen 
jede Unbill, ſuchten ſolche Schirmherren ihren Nutzen 
und bedrängten ſie empfindlich, denn ſie gedachten, 
ſolche allmählig mit all' ihren Gerechtſamen an ſich 
zu ziehen. Kein Wunder, wenn darum auch der 
mächtige Graf Eberhard der Erlauchte auf alle Art 
und Weiſe ſein Schirmvogtamt mißbrauchte und die 
Städte bedrückte, alſo, daß es oft zwiſchen ihm und 
denſelben em Krieg kam, wenn's der Graf we du 
toll trieb. 

Unter den Reiſigen, welche heute in Ulm ſich zum 
Kriegszug rüfteten, war auch ein junger Ritter Rus 
dolph aus dem Patriziergeſchlecht derer von Schirmer 
in der Stadt Ulm. Sein Roß ſtand geſattelt vor 


l 447 


der Herberge zum Pflug, wo er mit ſeinen guten 
Freunden einen Abſchiedstrunk nahm. Auf baldiges, 
glückliches Wiederſehen! rief ein junger Doktor der 
Rechtsgelehrſamkeit und hob ſeinen Becher mit feuri— 
gem Neckarwein — ſcheert dem Rauſchebart ſeine 
Haare und ſtutzt ſie ihm gut zu, daß es einmal Ruhe 
und Friede wird mit dieſem Land- und Leute-Schinder! 
Bei allen Heiligen — er iſt um nichts beſſer, dieſes 
ſich hochdünkende wirtembergiſche Gräflein, als wir 
freien Edlen und Bürger der Reichsſtadt Ulm und 
hat nur das Schutzamt. Aber, daß Gott erbarm! 
wie üben es dieſe hohen Raubvögel! Das ganze Jahr 
liegt er mit der Reichsſtadt Eßlingen in Streit und 
Fehde, fort und fort gibt es Stöße und Späne. 
Machts ihm, wie anno 1286 — rief ein Schreiber 
des Raths — da iſt dem Grafen der Kaiſer Rudolph 
mit den Städten ſelbſt auf den Harniſch gerückt wegen 
ſeiner Unbilden, die er gegen die Städte verübt. Da 
hat man ihm ſieben Burgen verbrannt, die rings um 
die Stadt Stuttgart ſtanden. Ja! lachte ein Reiſiger 
aus Augsburg, deſſen Großvater früher dem Grafen 
gedient, der aber nun mit den Städtern Kriegsdienſte 
that — der alte Graf hat doch nachher das Haupt 
wieder höher getragen, wie mein Ahne mir noch als 
Kind erzählt: denn er hat ſeine Augen auf die Kaiſer— 
krone geworfen, und hätten die Fürſten des Reiches 
nicht feinen kecken Sinn und Gemaltthätigfeit gefürchtet, 
ſo hätte er ſie wohl mögen ſich aufs Haupt ſetzen. 

Um den neuen Kaiſer hat er ſich einen Teufel 


448 


geſcheert und auf fein Banner die Worte geſchrieben: 
Gottes Freund und der ganzen Welt Feind! Ja, als, 
ihn der Kaiſer zur Rechenſchaft ziehen wollte auf 
dem Reichstag zu Worms wegen ſeiner Bedrückungen 
der Städte, ſo ſprach er trotzig: Ich bin Keines 
Dienſtmann und mag thun, was ich will, ſo habe 
ich auch mit den Städten gehandelt nach Fug und 
Recht! Und wie iſt's ihm bekommen? lachte der 
Doktor der Rechtsgelehrſamkeit — man hat die Reichs⸗ 
acht über ihn ausgeſprochen, und die ſchwäbiſchen 
Reichsſtädte find ihm auf den Leib gerückt. Da haben 
die Eßlinger ihre Rache genommen, dem Grafen ſeine 
Stammburg Wirtemberg verbrannt, ſein Erbbegräbniß 
in der Burg Beutelſpach zerſtört und die Todtenge— 
beine unter freien Himmel geworfen. Wie ein Bettler 
hat er fliehen müſſen, denn von 80 Burgen, Städten 
und Dörfern ſind ihm kaum drei geblieben. 

Ihr habt wahr geſprochen, fuhr der Augsburger 
Reiſige fort — man hat ihn ſcharf gezüchtigt , aber 
ganz zu Boden ihn zu bringen, vermochten ſeine 
grimmigſten Feinde doch nicht, denn bald zog er wieder 
in ſein Land und eroberte Alles wieder, was er ver— 
loren. Doch, ſetzte er hinzu — mißdeutet mir meine 
Rede nicht, als ob ich in meinem Sinn zu dem Wir— 
temberger Grafen hinge. Nein, ich lobe mir nur, 
wenn der Feind, gegen welchen ich Schwerdt und 
Speer führe, ein mannhafter iſt, der mir die Haare 
weißt auf der Zunge und das Weiße im Auge; dann 
iſt's eine Luft, ritterlich zu fechten. Darum habe ich 


449 


auch der Stadt Augsburg meine Dienſte angeboten, 
als es hieß, es gehe gegen den Wirtemberger Grafen, 
den Enkel von jenem alten Helden, der hat das Blut 
ſeiner Ahnen, darum heißt er auch der Greiner und 
Zänker und der Rauſchebart. Daß er ein Zänker 
und händelſüchtig wie ſein Großvater — nahm der 
Schreiber das Wort — mag Jeder wiſſen, denn Art 
läßt nicht von Art. Indeß gehts ihm juſt wie ſei— 
nem Ahnen, heute gut, morgen ſchlecht. Bald liegt 
er den Städtern auf dem Nacken und drückt und 
ängſtigt ſie, bald macht ihn der Kaifer im Bund mit 
den Städten mürbe, wie vor einigen Jahren. Aber 
ein Ende will es nicht nehmen und das arme Land— 
volk muß ſtets die Zeche bezahlen. Fallen die Eß— 
linger ins Stuttgarter Land, ſo brennen ſie nieder, 
was Feuer fängt, und laſſen die Weinberge von 
Schaafen abhüten, daß ſie auf viele Jahre nichts mehr 
tragen, und redlich mit vollgerütteltem Maaße vergilt 
es ihnen wieder der Graf. 


Aber die Reutlinger haben dem Wirtemberger am 
dickſten mit dem Kolben gelaust; mein Bruder, der 
Gerbermeiſter, war vor 11 Jahren dabei, als rüftiger 
Gerbergeſelle und gutes Ulmerkind. Sitzt damals des 
Grafen Sohn, der Gelbſchnabel Ulrich, mit einem 
ſtarken Häuflein Ritter und Knechten auf dem Schloß 
Achalm, um die Stadt Reutlingen zu drücken. 


Da war's um Oſtern, als gegen tauſend Reutlin— 
II. 29 


450 


ger Volks ins Uracher Thal gezogen und den gräflichen 
Unterthanen in Dettingen die Häuſer über den Köpfen 
anzündeten, und alles Vieh und Beute heimtrieben. 
— Mein Gräflein Ulrich hats kaum vermerkt, daß das 
Volk heimzieht mit Beute beladen, da beſchließt er, 
ihnen ein Andenken auf den Weg zu geben und ſie 
mit blutigen Köpfen heimzuſchicken. Darum reitet er 
mit 200 Reiſigen den Berg herab und verlegt ihnen 
den Paß. Aber kaum waren die Reiter von ihren 
Roſſen geſtiegen und ſtreckten ihre langen Speere dem 
unordentlichen Zug derer entgegen, die vom Uracher 
Thal heimzogen, da riegelten die Städter ein geheimes 
Hinterpförtlein in der Stadtmauer auf und fielen mit 
ihren Morgenſternen und Hellebarden über die hinter— 
ſten Reihen der Ritter her. Das gab eine blutige 
Arbeit, denn mannhaft ſtritten die von der Achalm, 
nicht minder der junge Graf. Aber ſie erlagen der 
Wuth und dem Grimm der Städter, und gegen 60 
Grafen und Herren und Edelknechte wurden erſchlagen, 
das Gräflein ſelbſt entkam mit knapper Noth auf 
ſein Schloß, und als er drauf nach Stuttgart ritt 
und will ſich zu dem Rauſchebart an den Tiſch ſetzen, 
da faßte der Alte ſtirnerunzelnd ſein Meſſer und 
ſchneidet, ohne ein Wörtlein zu ſagen, das Tafeltuch 
zwiſchen Beiden entzwei. — — Nun ja, nahm endlich 
der Junker von Schirmer das Wort, der indeſſen 
ſtillſchweigend ſich mit dem Stuhle an die Wand zu— 
rückgelehnt und nur zuweilen einen tüchtigen Zug aus 


451 


ſeinem Becher gethan hatte — nun ja, jo geht der 
alte Tanz fort, der Graf hat kürzlich vollends das 
Schutz- und Schirmrecht verloren über die Städte, 
das will er ſich nicht gefallen laſſen, und wir wollen 
ihm zeigen, daß wir unſere Freiheiten und Rechte 
mit dem Schwerdt in der Hand zu vertheidigen ge— 
willt ſind. Der junge Reiſige war bisher nur halb 
auf das Geſpräch aufmerkſam geweſen, denn ihm 
gingen ganz andere Dinge im Kopf herum. Eine 
ſchmucke Maid war es, die ihm nicht aus dem Sinne 
gehen wollte. Darum ergriff auch lachend ſein Freund, 
der Doktor der Rechtsgelehrſamkeit, der von dieſem 
Liebeshandel wußte, den Becher, ſtieß mit ihm an 
und lachte: Laß fahren, laß fahren den Liebes— 
gram — kommt Zeit, kommt Rath! Magſt dich die— 
weil kurzweilen bei den ſchmucken Dirnen im Neckar— 
thale und im Strohgäu hinter Tübingen! 

So das iſt's? lachte der Augsburger Reiſige — 
warum der Ulmer Junkherr alleweil in Boden hinein 
ſtiert — o ho! Mädels gibts überall genug, und 
namentlich die ſchönſten gehören dem Kriegsvolk und 
ſind ihm auch am meiſten gewogen, denn ſie lieben 
eine blanke Waffenrüſtung und kurzes Weſen, das 
nicht lange um den Brei herum ſtreicht! Holla! habt 
Ihrs gehört, man ſtoßt in die Hörner, das iſt das 
Signal für die Augsburger Fähnlein zu Roß, wir 
haben den Vortrab! Gehabt Euch wohl, und Euch 
Junkherr Schirmer werde ich auf dem Zuge wieder 


452 


begegnen, ſey es vor dem Feinde, oder in einer Her— 
berge beim Krug. 

Auch Ludwig von Schirmer drückte den Helm auf 
das Haupt, umarmte ſeine Zechgenoſſen und warf 
ſich auf ſeinen Apfelſchimmel, den ihm ſein Knecht 
vorgeführt. Aber ehe er zu ſeinem Fähnlein ritt, 
das am Zeughauſe ſich ſammelte, machte er zuvor 
noch einen Umweg und trabte in die Hafengaſſe und 
an den Kramläden hinauf, welche an der Mauer ſich 
befanden, die den Münſterhof gegen den Judenhof hin 
abſchließt. Dort ſaß in dem Laden ihres Vaters, 
eines Goldſchmiedes, Elsbeth, eines der ſauberſten 
Mägdlein in ganz Ulm. Schon ſeit einem vollen 
Jahre hatte der Junkherr Ludwig, ein leichtblütiger 
Geſelle, ſeine Augen auf ſie geworfen. Stundenlange 
war er am Kramladen geſtanden, wenn der Goldſchmied 
juſt das Geſchäft ſeinem Töchterlein zur Beſorgung 
übergeben, und hatte mit ſüßen, feinen Reden das 
Herz des Mägdleins beſtrickt. Zwar war es keine 
ernſthafte und ehrliche Minne, und zum Ehegemahl 
das Bürgerskind zu nehmen, fiel dem jungen Patrizier 
nicht ein, aber ſeine leidenſchaftliche Neigung zu ihr 
war doch ſo heftig, daß er nicht leben konnte, wenn 
er ſie nicht jeden Tag geſehen und geſprochen und an 
ihren Reizen ſeine Blicke gewaidet hatte. 

Es war aber auch ein lieblicher Anblick, welchen 
das Goldſchmiedstöchterlein gewährte, denn eine ſolche 
Fülle der ſchwarzglänzenden Haare, die fie unter ei⸗ 


453 


nem ſeidenen Häubchen halb verſteckte, eine ſolche weiße 
Stirne und ſo freundlich glänzende Augen fand man 
nicht leicht vereint. Dabei war ſie voller Munterkeit 
und lebhaften Weſens, aber auch voll Zutraulichkeit, 
und ſonder Argwohn traute ſie den feinen Reden und 
Betheuerungen des jungen Patriziers. Aber vor ihrem 
Vater ſuchte ſie ihre Neigung zu Ludwig geheim zu 
halten, und wenn er zuweilen unerwartet in den. 
Kramladen trat und Ludwig dort traf, ſo hatte dieſer 
ſtets eine Ausrede und kaufte einen kleinen Schmuck 
ein, um den Schein zu verdecken, als komme er aus 
andern Gründen her, als um Etwas auszuſuchen. 
Wie ſehr auch die Liebenden Allem aufboten, um 
außer dem Kramladen ſich zu ſprechen und an ge— 
heimen Orten zu beſtellen, ſo war es ihnen bis zu 
dieſem Tage nicht gelungen, denn des Vaters Augen 
wachten zu ſcharf über dem Töchterlein, und wenn 
Elsbeth ausging, begleitete ſie immer des Vaters 
Schweſter, da ihre Mutter längſt geſtorben. So traf 
Ludwig ſeine Herzgeliebte außer dem Kramladen nur 
bei ihren Gängen in und aus der Kirche, und nur 
einmal hatten die Liebenden das Glück, ſich ganz ohne 
Zeugen zu ſehen. Der Thurmwärter auf dem Münſter 
war ein naher Verwandter zu Elsbeth und hatte ein 
Töchterlein von ziemlich gleichem Alter. Dieſe zu 
beſuchen verabredeten Beide zuſammen, denn die alte 
Baſe und Anzertrennliche Gefährtin Elsbeths war 
hier nicht zu befürchten, weil ihr Alter es nicht zu— 
ließ, die vielen hundert Treppen zu beſteigen. 


454 


An einem Mittag ſtund Ludwig ſchon einige fünfzig 
Treppen in der Höhe der engen Wendeltreppe, die in 
einem luftigen Thürmchen an der Außenſeite des 
Münſters auf den Thurm führt, und ſpähte zu den 
offenen Fenſtern hinunter auf den Münſterplatz, um 
Elsbeth zu erwarten. Sie kam, begleitet von ihrer 
alten Baſe, welche ſich unten von ihr trennte, und 
klopfenden Herzens hüpfte das Mägdlein die Treppen 
hinauf, wo Ludwig ihrer harrte. Nicht minder ſchlug 
dem Junkherrn die Bruſt, als er endlich einmal ohne 
läſtige Zeugen das ſchönſte Mägdlein der Stadt um— 
faſſen und ſie an ſein Herz drücken konnte. 


Elsbeth vermochte nicht zu widerſtehen, aber ſie 
trieb den Junkherrn an, weiter zu ſteigen und ſie 
hinauf zu geleiten. Doch die günſtige Gelegenheit 
benügend, hielt dieſer alle fünfzig Treppen wieder an 
und überhäufte das Mägdlein mit Liebkoſungen, und 
ſcherzte über die Menſchen drunten, welche wie dunkle 
Ameiſen über den Münſterplatz liefen, daß er nun 
einmal vor ihren Augen in der luftigen Wendeltreppe 
ein ſo ſeliges Glück genieße, ohne daß ſie es nur 
merkten oder ſelbſt ahnten, wie da oben zwei Lieben— 
de dem Himmel näher, ja bis zum Himmel verzückt 
jeyen. Endlich entließ Ludwig feine liebliche Beute, 
verweilte, indeß ſie aus der Wendeltreppe heraus auf 
den Umgang des Thurmes trat, noch eine Viertel⸗ 
ſtunde darin, und folgte dann auch, als wär er allein 
heraufgeſtiegen. Bald entdeckte er Elsbeth in einem 


455 


Eckthürmlein mit ihrer Freundin und höflich grüßte 
er ſie, um ein Geſpräch anzuknüpfen. So gelang es 
ihm, den ganzen Nachmittag um ſie zu verweilen, 
und da des Thurmwärters Tochter oft in ihre Woh— 
nung ging, um Elsbeth mit Gebäck und Kuchen zu 
bewirthen, jo konnten die Liebenden ganze Viertel- 
ſtunden allein auf dem Kranz herumſpazieren und ihr 
Herz ausſchütten. So prächtig auch die Ausſicht war 
vom hohen Münſter ringsum ins Land, ſo herrlich 
heute an dem heitern Mittag die Alpen herabſchim— 
merten aus dem Tyroler- und Schweizerland, ſo hatte 
das verliebte Pärlein doch kaum einige Blicke für 
dieſe Schönheiten, und ihre Augen hingen gegenſeitig 
an einander, ſo oft des Thurmwächters Margaretha 
ihnen den Rücken wandte. 


Das war aber auch eine Seligkeit für das Herz 
eines liebeheißen Mägdleins, zum erſtenmale ohne 
Furcht vor hinderlichen Zeugen und weit von den 
Augen ihres Vaters und ihrer ſtrengen Baſe, hoch 
droben unter freiem Himmel und erhoben, wie es ihr 
dünkte, über der ganzen Welt, mit einem Manne faſt 
ganz allein zu ſeyn, der ihre ganze Seele füllte und 
deſſen hoher Stand ihrer Eigenliebe ſchmeichelte. Sie 
vergaß alles, was ſie hätte mit Bedenken erfüllen 
ſollen, daß fie ſich den Küffen des Junkherrs ohne 
Widerſtand hingegeben, daß eine große Kluft beſtehe 
zwiſchen ihrer Herkunft und feinem Stande, ſie ver: 


456 


gaß, einen Blick in die Zukunft zu werfen und ſich 
zu fragen, wo will das hinaus und wie wird alles 
weiter kommen? Sie lebte nur für den Augenblick 
in einem ſüßen, glänzenden und berauſchenden Traume, 
und gedachte nicht, daß derſelbe ein Ende nehmen könne. 


Anders war es bei dem Junker. Trotz ſeiner heißen 
Leidenſchaft zu Elsbeth, war er ſich wohl bewußt, 
daß mit der Zeit, und wenn er einmal einen Haus— 
ſtand gründen würde, Elsbeth es nicht ſeyn könne, 
welche er dazu wählen könne. Aber was „ ſollte, er 
auf Jahre hinaus ſchon Pläne machen, er wollte nur 
genießen, was die Gegenwart ihm gebracht, ohne zu 
fragen, was die Zukunft bringen und wie ſich alles 
ferner umgeſtalten könnte. Auch, für ihn war da— 
rum dieſe unverhoffte Gelegenheit, einen Nachmittag 
mit dem liebreizenden Mägdlein auf dem Münſter— 
thurme zu verweilen, ein Tag ſüßen Glückes. Er 
hatte den erſten Honigſeim von Elsbeths duftigen 
Lippen genoſſen. Als die Sonne tiefer und tiefer ſich 
ſenkte, nahm Ludwig Abſchied und liſpelte Elsbeth 
ins Ohr, daß ſie bald nachkommen möge, da er auf 
der Wendeltreppe ihrer harren werde. So fanden die 
Liebenden noch einmal ein ſeliges Viertelſtündlein, um 
ſich ihre Liebe gegenſeitig zu verſichern; von dieſem 
Tage an war das Band um ſo feſter geknüpft. 


Ein Vierteljährlein ſpäter nun ſchnallte der Junk— 
herr die Rüſtung um und beſtieg ſein Roß, um in 


457 


den Krieg gegen den Grafen von Wirtemberg zu 
ziehen. Schon Tags zuvor hatte er Abſchied genom— 
men, aber er hatte Elsbeth verſprechen müſſen, des 
andern Tages noch einmal vorüber zu kommen, denn 
wenn Liebende ſcheiden, iſt es ihnen unmöglich, ſich 
zu trennen, ohne zuvor noch zwei und dreimal den 
Abſchied zu wiederholen. Seit einer Stunde drum 
ſchon harrte die betrübte Elsbeth auf ihren Ludwig. 
Die ganze Nacht hatte ſie ſchlaflos zugebracht über 
den Schmerzen der Trennung, und die Farbe ihrer 
Wangen war gewichen unter den heißen Thränen— 
güſſen, die ihren Augen entſtrömten. 


Jetzt erſchien Ludwig — ja er war's, der von der 
Hafengaſſe herauf in ſtarkem Schritte einbog, feſt das 
muthige Roß zügelnd. Ein ſchwarz und weißer Feder— 
buſch wallte vom hohen Helm, und eine blanke Rüftung, 
darauf ein goldener Doppeladler, deckte ſeine Bruſt, 
während Oberſchenkel und Schienbeine mit künſtlich 
gearbeiteten Schienen umſchloſſen waren. Die Lanze 
in der Rechten ſaß der Junker ſtattlich und feſt, als 
wäre Roß und Mann aus einem Guß, auf ſeinem 
apfelgrauen Schimmel, den eine reichgeſtickte Sattel— 
decke und ein wallender Federbuſch zwiſchen den Ohren 
ſchmückte. So nahte der Ritter dem Kramladen, aber 
in ſelbigem Augenblick kam auch der Vater Elsbeths 
und ſo blieb Ludwig nichts übrig, als einen raſchen 
zärtlichen Blick auf Elsbeth zu werfen und ihrem 


458 


Vater zuzurufen: glückſeligen Morgen, Meiſter Süß 
und ehrſame Jungfrau Elsbeth! Möge Euch Gott 
geſund erhalten, bis ich wieder in Eurem Laden kann 
einſprechen, um einen feinen Schmuck auszuwählen! 
Gott behüte Euch — antwortete Meiſter Süß — und 
nehme Euch in ſeine Obhut mit allen ſeinen Heiligen 
und gebe der gemeinen Sache der Stadt Glück und 
Heil gegen ſeinen Widerſacher, den Wirtemberger 
Grafen — kehret glücklich und geſund zurück! Und 
Elsbeth, die Thränen kaum zurückhaltend, ſprach 
halblaut: Lebet wohl, hochedler Junkherr! Gott ſey 
mit Euch! Sie wankte auf ihren Stuhl nieder und 
das Herz wollte ihr zerſpringen. Noch ein Blick und 
Ludwig war vorüber und bog raſch auf den Juden— 
hof hinein, um durch die Frauenſtraße nach dem 
Zeughauſe zu reiten und dort zu den Seinigen ſich 
anzureihen. Ein Glück war es, daß der Goldſchmied 
ſich an ſeine Nachbarn wandte, um mit ihnen über 
den Abzug des Kriegsvolkes zu ſprechen, ſonſt hätte 
er ſehen müſſen, wie Elsbeth halbohnmächtig ſich in 
eine Ecke lehnte und es langer Zeit brauchte, bis ſie 
wieder ſich aufraffte und die Spuren ihrer Thränen 
verwiſchte. 


Eine Stunde ſpäter zog das verbündete Ulmer und 
Augsburger Heer unter fliegenden Bannern mit Fuß: 
volk, Reiſigen und Wagen zum Frauenthor hinaus 
und wandte ſich links in das Blauthal. Ueber die 


459 


Alb hinüber und hinunter nach Reutlingen ging der 
Zug, während die Nürnberger ihren Weg nach Gmünd 
und Eßlingen nahmen und mit dieſen Städten zu— 
ſammenſtießen. Noch nie hatten die Städter eine ſo 
große Macht vereinigt, wie in dieſem Kriege, und ſie 
ſchlugen nach einigen Tagen ihr Lager nahe bei der 
Reichsſtadt Weil der Stadt, neben dem Dörflein 
Döffingen auf. Hatten fie ſchon auf dem Zuge in 
allen wirtembergiſchen Dörfern übel gehaust und Alles 
verheert, ſo ſollte auch Döffingen das harte Kriegs— 
geſchick treffen. Deßwegen war von allen Seiten das 
Landvolk zuſammengeflohen mit Weib und Kindern, 
mit Vieh und Geräthſchaften in den hoch ummauerten 
geräumigen Kirchhof von Döffingen, und was mann— 
haft war, hatte die Waffen ergriffen, um hier ihres 
Lebens und Guts ſich zu wehren. Aber wie lange 
war das möglich, wenn der Graf nicht ſchnell ſeinen 
Unterthanen zu Hülfe kam? Deßhalb ſchloßen die 
Städter, frohen Muthes und voll Sicherheit, den 
Kirchhof mit Allem, was ſich darauf befand, nach 
kurzem Kampf zu nehmen, einen engen Kreis um das 
Dörflein und pflanzten ihr Belagerungsgeräthe auf, 
die Belagerten damit zu ängſtigen. Brandpfeile und 
ein Steinhagel wurde hinein geſchleudert und zum 
Sturm alles vorbereitet. Indeſſen hatte der Graf 
Eberhard auch nicht geſäumt, ſeine Feinde mannhaft 
zu empfangen, und mit vielen Fürſten, Grafen und 
Edlen einen Bund geſchloſſen, alſo daß er 7000 


460 


Mann zuſammenbrachte. Mit dieſen rückte er am 
zweiten Tage heran. 

Es war an einem Sonntag frühe in der Erntezeit, 
da hatte Ludwig die Reihe getroffen, mit einigen 
Reiſigen auf den Vorwachen unweit Döffingen zu ſte— 
hen, um zu ſpähen, ob ſich kein Wirtemberger Kriegs- 
volk nahe. Da auf einmal blitzt es von Waffen und 
Rüſtungen im hellen Sonnenſchein ein enges Thal 
herauf. Es waren die Fähnlein des Wirtemberger 
Grafen. Immer dichter und dichter füllen ſie das 
Thal, und als Ludwig gewahrt hatte, daß ein mäch— 
tiges Heer im Anzug, jagte er mit der Botſchaft ins 
Lager und verkündete dem Ulmer Feldhauptmann, dem 
Bürgermeiſter Conrad Beſſerer, was er geſehen. 


In ſchnellſter Eile wurde Kriegsrath gehalten und 
die ſtädtiſchen Banner ordneten ſich in Schlachtreihen, 
um die Feinde zu empfangen. Die vielen Hecken, 
Gräben und Hohlwege hinderten die Reiſigen, am 
Kampf Theil zu nehmen, und ſie ſtiegen darum von 
den Roſſen und ſchloßen ſich in dichtgereihte Haufen, 
um mit der Lanze zu fechten. 


Indeſſen war das Fürſtenheer unter Trommelſchall 
und Trompetenklang angerückt. An ihrer Spitze ritt 
Graf Ulrich, der Sohn Eberhards des Rauſchebarts. 
Hoch aufgeſchwollen glühte ſeine Zornesader auf der 
Stirne und feine Augen ſchoßen Blitze, denn heute 
gedachte er die Schmach auszulöſchen, die er bei Reut— 


461 


lingen erlitten von den Bürgern vor 11 Jahren. 
Als er das ſtädtiſche Heer vor ſich ſah, rief er zu 
ſeinem hinter ihm reitenden greiſen Vater: Gottlob! 
der Tag iſt gekommen, daß ich meine alte Schuld 
abzahle. Hab ich dürfen ſeit jenem Tag nicht mehr 
ſpeiſen mit dir auf einem Tafeltuch, ſo mag ich doch 
heute kämpfen neben dir auf einem blutigen Felde. 


Wohlan! rief er dann ſeinen Reiſigen zu, laßt uns 
von den Roſſen ſteigen und mit gleichen Waffen 
ſtreiten, wie drüben die Reiſigen der Städte, denn 
wir wollen um nichts im Vortheil ſeyn gegen den 
Feind! Denkt an den Tag bei Reutlingen und nun 
drauf und dran! 


Alſo ſtiegen ſeine Reiſigen ab und ſchloßen ſich in 
dichte ſchmale Glieder, und drauf und dran gings auf 
den Feind. Bald waren ſie auf die eiſernen Mauern 
und den Lanzenwald der Städter angeprallt und ein 
entſetzlich heißer Kampf begann. Wie ſehr auch Ulrichs 
Leute gleich Löwen drauf losſtürmten, die Lanzen feſt 
mit dem Eiſenhandſchuh geführt, ſo hielten die Städter 
und ihre Reiſigen, darunter ſo manche tapfere Ritter, 
doch unerſchütterlichen Widerſtand. Wohl eine halbe 
Stunde wogte der Kampf hin und her. Auf beiden 
Seiten focht Jeder nach Leibeskräften. Jetzt wechſel— 
ten die Städter auf Befehl ihres Feldhauptmanns 
Beſſerer ſchnell ihre vorderen Glieder und ſchoben die 
hinteren Reihen, die noch nicht ermüdet waren, gegen 


462 


Ulrich. Der Junkherr von Schirmer war unter dieſen. 
Mit Ungeſtümm und ungebrochener Kraft drückte er 
auf den Feind. Noch einige Minuten und ſie weichen. 
Da ſtellt ſich Graf Ulrich wie ein angeſchoſſener Eber 
den Städtern entgegen und ſuchte ſeine Leute wieder 
zum Stehen zu bringen. Aber nicht minder von 
Kampfwuth hingeriſſen, ſtürzt ſich Ludwig auf ihn 
und führt einen gewaltigen Stoß mit der Lanze nach 
ihm. Ulrich taumelte, aber wehrte den Stoß mit 
ſeiner Waffe ab. Doch ein zweiter Stoß traf ſchlimmer 
und verwundete ihn, durch den Halsberg dringend, 
tief und ſchwer. Schon wollte Ludwig ihm den 
Todesſtoß verſetzen, da erhielt er ſelbſt einen Schlag 
mit einer Hellebarde über den Helm, der dieſen zer— 
ſchmetterte und ihm eine tiefe Kopfwunde beibrachte. 
Während er zu Boden ſank, trugen Ulrichs Begleiter 
den Grafen vom Kampfplatz auf eine nahe Wieſe, 
ſetzten ihn da auf einen Weidenſtumpen, lüfteten den 
Harniſch und wuſchen ſeine Wunde aus, aber der 
tapfere Ritter verſchied unter ihren Händen. 


Dieſer zurückgeſchlagene Angriff koſtete noch einigen 
Grafen und Rittern das Leben, und das Siegesge— 
ſchrei der Städter erfüllte das ganze Heer des Wir— 
tembergers mit Bangen. Alles ſtockte, kein Häuflein 
wollte mehr vorwärts und glaubte, es ſey ſchon Alles 
verloren, da der Kern der Ritterſchaft ſo hart ge— 
troffen. 


463 


Als der alte Graf dieſes gewahrte, da flog er wie 
ein Wetter unter die Fähnlein und reiſigen Geſchwader, 
ſein langer weißer Bart rauſchte durch die Luft und 
fein Schwerdt blitzte hell im Sonnenſchein. Vor— 
wärts! rief er — was ſtutzt Ihr bei der Leiche des 
jungen Grafen! Mein Sohn iſt wie ein anderer 
Mann! Wohlan! ſteht tapfer! Halloh! ſehet dort, 
die Feinde fliehen! 


Jetzt ſtürmten ſeine Schaaren wieder friſchen Muths 
darauf los und bei dem Rufe: ſehet die Feinde 
fliehen! ſtutzten nun die Städter. Sie ſahen ſich um, 
und da ein Haufe von Troßknechten bei der Wagen— 
burg ihren Roſſen die Stränge abſchnitten und ſich 
ängſtlich in das Dorf flüchteten, ſo glaubten ſie in 
der That, daß ein Theil ihrer Leute bereits geſchlagen 
ſeye. Auf dieſes wandten die Nürnberger zuerſt den 
Rücken und liefen aus der Schlachtordnung, ein Haufe 
immer den andern mit ſich fortreißend. In derſelben 
Zeit aber, als dieſe die Flucht ergriffen, eilte ein 
ſtarker Reiterhaufen des gräflichen Heeres aus dem 
Walde, der ſich um eine Stunde verſpätet hatte. 
Als er die feindlichen Banner in Unordnung gewahrte, 
jagte er ſogleich unter hellem Geſchrei unter die 


Flüchtigen, und begann ſie niederzuſtoßen und zuſam⸗ 


menzureiten. Mit doppelter Hitze und Freudigkeit 
ſtürmten nun des alten Grafen Kriegsleute. Aber 
wie an einen feſten Felſen ſchlugen ihre eiſernen 


464 


Wogen an das Stadtbanner von Ulm, unter ſeinem 
Hauptmann Beſſerer. Dieſer tapfere Haufe wich 
nicht, während Alles nach und nach aus der Schlacht 
floh. Leichen auf Leichen thürmten ſich — Ulms 
Banner wehte ſtets noch hoch in der Luft. Glied 
und Reihen werden niedergeſtoßen und das Häuflein 
ſchmilzt zuſammen — immer noch flattert das Banner. 
Endlich ſinkt auch dieſes und bedeckt als Leichentuch 
der Ehre ſeinen todeswunden Träger, Conrad von 
Beſſerer. Die Schlacht iſt gewonnen, und in der 
ſchwülen Sommernacht ruhen gegen 1000 Städter 
als Leichen um den Kirchhof, den fie am frühen Mor: 
gen noch zu erobern gedachten. Viele hundert ſind 
gefangen. 


Unter einem Haufen von Leichen erwachte auch zur 
Mitternachtsſtunde Ludwig aus ſeiner Ohnmacht und 
Betäubung. Kaum wußte er, wo er war, ſo ſchwach 
war er durch den Blutverluſt geworden. Weit umher 
brannten Lagerfeuer, ſchallte das Getöſe von zechen— 
den Kriegsleuten, das Stampfen und Wiehern der 
Roſſe, und in der Nähe das Röcheln und Aechzen 
von Schwerverwundeten und Sterbenden. Endlich 
ſuchte er, ſich zu erheben, um Hülfe zu gewinnen und 
an ein nahes Bächlein ſich zu ſchleppen, um ſeinen 
glühenden und brennenden Durſt zu löſchen. Aber 
quer über ihm lag in ſchwerer Rüſtung ein Reiſiger, 
der kein Lebenzeichen mehr von ſich gab. Als er mit 


465 


ſchwerer Mühe ihn von fich abgewälzt und der Mond 
deſſen Geſicht beſtrahlte, erkannte er in ihm ſeinen 
Zechgenoſſen von Ulm, den Augsburger Reiſigen. 
Ein Streitkolben hatte ihm die Bruſt eingeſchlagen. 
Mit großer Mühe ſchleppte er ſich an das Bächlein, 
wo ein feindlicher Ritter, der über das blutige Schlacht— 
feld ritt, ihn bemerkte und ſich ſeiner erbarmte. Er 
kam in ritterliche Haft und Pflege nach Stuttgart, 
aber ſeine Verwundung war ſo bedeutend, daß er bis 
zum Herbſte dort auf dem Schmerzenslager verweilen 
mußte, bis er nach einem beträchtlichen Löſegeld immer 
noch ſchwer krank ſich konnte nach Ulm bringen laſſen. 
Hier überfiel ihn eine neue heftige Krankheit, von der 
Ludwig erſt im Frühjahr genas. 


Vieles hatte ſich indeſſen in Ulm geändert. Schon 
im Herbſte war dem Goldſchmied ſein Kramladen 
durch räuberiſches Geſindel über Nacht erbrochen und 
Alles daraus geſtohlen worden. Der Schrecken hie— 
rüber war ſo heftig, daß den Goldſchmied der Schlag 
traf und er jählings ſtarb. Da nur ein kleines Ver— 
mögen von ihm zurückgelaſſen worden, ſo beſchloß 
der Pfleger Elsbeths und ihre alte Baſe, daß ſie den 
Schleier nehmen und in das Kloſter gehen ſollte. 

Wie ſehr auch Elsbeth Anfangs wenig Luſt zeigte, 
ſo wurde ſie doch williger, als ſie den Junkherrn todt 
glaubte, und, in den erſten Wochen des größten Schmer⸗ 
zens ihr das Leben und die Stadt ganz zuwider ge— 

II. 30 


466 


worden war. Mit großer Andacht und in Thränen 
zerfließend hatte ſie der Todtenmeſſe angewohnt, welche 
man im Münſter für den Stadthauptmann Bürger⸗ 
meiſter Conrad von Beſſerer nebſt allen mit ihm bei 
Döffingen gefallenen ulmiſchen Streitern gehalten hatte. 
Was ſie erfahren konnte, war nichts weiter, als daß 
der Junkherr im Zweikampf mit dem Grafen Ulrich 
gefallen, und man ſpäter nie etwas von ihm weiter 
gehört habe. 


So war ihr alſo die Welt ein Trauerhaus gewor— 
den, ſeitdem ſie den Geliebten und ihren Vater ver— 
loren, und ſie eilte zuletzt ſelbſt, bald in ein Kloſter 
aufgenommen zu werden. Ob derer nun zwar mehrere 
in Ulm waren, ſo zog ſie es doch vor, ein anderes 
Kloſter zu ihrem Eintritt zu wählen, zumal ihr Ver— 
mögen auch ziemlich gering, und die Kloſterfrauen in 
Ulm eine ſchöne Mitgift mitzubringen hatten. 


Die Baſe ſchlug ihr dazu das Frauenkloſter Söf— 
lingen vor. Ehe ſie aber Ulm verließ, beſuchte ſie 
noch einmal ihre Freundin und Verwandtin Margarethe 
auf dem Münſterthurme. Ach wie anders war es ihr 
dießmal zu Muthe! Nicht mehr harrte ihrer der ſchmucke 
Junkherr auf der Wendeltreppe, um ſie feurig ans 
Herz zu drücken — nicht mehr wandelte er mit ihr 
auf dem Kranz umher, und ſcherzte mit ihr, daß ſie 
vor aller Welt hier oben doch fo ungeftört ſich ver— 
gnügen könnten. O wie ſchnell ſchwindet das Glück! 


467 


Statt in der luftigen Höhe ſuchte ihr Blick den Ge— 
liebten nur in der Gruft verſcharrt draußen auf dem 
Schlachtfeld und längſt modernd. Sie ſelbſt ſollte 
mit den nächſten Tagen die Welt verlaſſen und für 
immer ſich in enge Mauern einſchließen. 


Nach wenigen Tagen öffneten ſich die Pforten des 
Kloſters zu Söflingen, und Elsbeth nahm das Nonnen— 
gewand. Anfangs zog ein tiefer Ernſt in ihr Innerſtes 
ein, und ſie weihte ſich mit ganzer Hingebung dem 
Gebet und dem Dienſte Gottes nach Vorſchrift des 
Kloſters. Sie ſuchte das Bild des Junkherrs und 
ihre Schmerzen um ihn durch eifriges Gebet zu ver— 
drängen. Aber das dauerte nicht allzulange, da ward 
ſie von den andern Nonnen beſpöttelt über ihre allzu: 
ſtrenge Frömmigkeit und für thöricht geſcholten, allen 
Freuden zu entſagen. Die Aebtiſſin war nemlich eine 
ſchwache Frau und überſah ihren Untergebenen faſt 
Alles, und wenn ſie je ſtrenger verfahren wollte, dann 
wurde ſie von den lebensluſtigen und leichtſinnigen 
unter den Nonnen mehr geärgert und hinters Licht 
geführt, daß ſie gerne wieder die Augen zudrückte. 


Längſt war das heilige, ſtille Leben aus den meiſten 
Klöftern entflohen und ein fündliches Leben hatte in 
vielen auf eine recht ärgerliche Weiſe eingeriſſen. Da 
war ein Frauenkloſter auf der Alb in Offenhauſen, 
von da war eine Nonne als Lehrerin in der Kunſt, 
Heiligenbilder auszuſchnitzeln, nach Söflingen gekommen. 


468 


Die konnte nicht Wunders genug erzählen, wie es in Offen» 
hauſen zuging. Die Junker gingen da mit ihren luſti⸗ 
gen Geſellen aus und ein, und tranken und tanzten 
und buhlten nach Herzensluſt. Als der Biſchof von 
Augsburg fromme Nonnen dahin ſandte, um wieder 
ſtrenge Ordnung einzuführen, wurden dieſe von den 
liederlichen Bewohnerinnen des Kloſters ſo geplagt und 
mißhandelt, daß ſie ſich flüchten mußten. Als wieder 
andere geſchickt wurden, machten ſie es dieſen gleicher 
maßen. Kein Wunder, wenn in Söflingen auch die 
Nonnen ſich es ſo wohl ſeyn ließen, als ſie nur 
immer konnten. Sie tanzten mit einander, ſangen 
luſtige Lieder, ſchrieben Liebesbriefe und beſtellten ihre 
Buhlen an die Gartenmauer. Bald nahm auch Els— 
beth an den Luſtbarkeiten ihrer Schweſtern Theil. Unter 
dieſen wurde Beate, eine ausgelaſſene Nonne, zuweilen 
von einem Doktor der Rechtsgelehrſamkeit aus Ulm an 
der Gartenmauer beſucht, wobei die Schweſtern einander 
Hülfe leiſteten und Wache hielten, ob die Aebtiſſin nicht 
herzu käme. Einſt bat nun Beate ihre Freundin Els— 
beth, mit ihr an einem ſchönen Märzabend in den 
Garten zu gehen, da dort ein feines Herrlein aus Ulm 
mit ihr Stelldichein feiern wolle. Elsbeth ſetzte ſich 
alſo mit Beate in ein Erkerthürmchen der 9 
mauer, um das Herrlein zu erwarten. 

Während ſie ſo da ſaßen und Elsbeth mit ſchwerem 
Herzen von ihrer Liebe zu dem im Krieg gefallenen 
Junkherr Schirmer erzählte, klatſchte es auf einmal 


469 


hinter ihnen, und als die Nonnen ſich umſahen, ſtieß 
Elsbeth einen lauten Schrei aus und ſtürzte zu Boden. 
Voller Schrecken ſuchte Schweſter Beate ſie aufzurichten, 
und als ſie die Augen aufſchlug und die Sprache zu— 
rückkehrte, ſtammelte ſie: Ludwig! Ludwig! und ſtarrte 
geiſterhaft über die Gartenmauer hinab auf den Fußpfad, 
auf welchem kaum noch zwanzig Schritte entfernt zwei 
junge Männer daher ſchleuderten. Im nächſten Augen— 
blick rief auch der Eine von dieſen: Elsbeth! biſt du 
es, Elsbeth, in dieſem Nonnengewande? 

Es war der Junkherr Schirmer, den heute ſein 
Freund, der Rechtsgelehrte, beredet hatte, mit ihm nach 
Söflingen zu wandeln und ihn zu einer minniglichen 
Unterhaltung zu begleiten zu der luſtigen und ſchmach— 
tenden Beate. 


Immer noch zitterte Elsbeth, und nur die Worte: 
Ludwig! Ludwig! klangen dumpf von ihren Lippen, 
bis derſelbe ihr die Hand heraufreichte und fie tröſtend 
verſicherte: ich bin dein Ludwig — ja ich bin es, 
theure Elsbeth! 


Alſo nicht auf dem Schlachtfeld haſt du den Tod 
gefunden mit den 600 vom Ulmer Banner? fragte 
haſtig und zitternd die Nonne — ach! was hab ich 
um dich gelitten, ſeit jener gräßlichen Kunde, was 
geweint und gebetet für dich, und wie gerne nahm ich 
den Kloſterſchleier, weil die Welt mir ein Grab geworden. 


Herzenskind! rief der Junkherr und küßte ihre Hand, 


470 


die bald kalt wie Eis, bald wie Feuer fprühte — es 
iſt mein zweiter Gang ins Freie, ſeit ich von einer 
langwierigen Krankheit aufgeſtiegen — welch ein Glück, 
daß dieſer Gang mich dich wieder finden ließ. Und 
nun erzählte er ihr, wie Alles ſich zugetragen, am 
Schluſſe aber blickte er ihr ſehnſüchtig ins Auge und 
ſprach: O Elsbeth! ich habe dich wieder gefunden, 
aber ach! als Nonne. Schlimmer iſt unſer Loos ge— 
worden, denn du biſt nicht mehr frei — frei, wie 
damals, als wir dort oben, ſiehſt du, dort auf des 
Münſters Kranze die Seligkeit der Liebe genoſſen. 


Seid zufrieden, fiel ihm die Nonne Beate in die 
Rede, daß Ihr Euch wieder gefunden. Der Kloſter⸗ 
ſchleier iſt nicht ſo dicht, daß man nicht das Feuer 
der Liebe durch ihn ſprühen fühlen könnte. — Die 
Aebtiſſin kommt! rief in dieſem Augenblick Elsbeth, 
die ſich gegen die Gartenſeite gewandt hatte — fort, 
Ludwig! — auf Wiederfehen! Auch Beate winkte ihrem 
Buhlen, und raſch eilten die Männer hinter ein nahes 
Gebüſch, während die Nonnen der Aebtiſſin entgegen 
gingen und dieſe mit ernſter Miene begrüßten. 


Von dieſer Stunde an kebte und fühlte Elsbeth nur 
wieder für den fchmucken Junkherr, das Paternoſter 
und der Roſenkranz ward von ihr nur gedankenlos 
gebetet, und wenn fte im Chorſtuhl in den Geſang 
der Nonnen einſtimmte, hatte ſie nur ſein Bild vor 
Augen. So ward ſchnell der von ihr vor Gott ge— 


471 


ſchworne Bund zur Lüge, und der irdiſche Bräutigam 
flammte höher in ihrer Bruſt, als der himmliſche. 


Beſuche folgten auf Beſuche, und durch Boten wurden 
häufige Liebesbriefe gewechſelt. Bald wurde auch der 
Junkherr kecker und mit den Räumen des Kloſters 
vertrauter, ſo daß er in dunkeln Nächten über die 
Gartenmauer ſtieg und im Gebüſch verſteckt lauerte, 
bis Elsbeth ihm durch ein Licht in ihrer Zelle das Zei— 
chen gab, daß es nun ſicher ſei. Eine Strickleiter von 
ihr herabgelaſſen brachte ihn ſchnell zwei Stockwerke 
hoch hinauf an ihr offenes Fenſter, und von da in 
ihre Arme. — So hatte er fie einige Monden lang 
beſucht, als ſie eines Abends ihm in die Arme ſank 
und bebenden Herzens ihm ein ſchreckliches Geheimniß 
anvertraute. Ach! klagte ſie — hätte ich doch nie 
den heiligen Kloſterſchwur gebrochen — jetzt folgt den 
Roſenwochen nur Reue und Schmerz! Wie ſchrecklich 
für mich, und welche Buße und Strafe harret mein, 
wenn ich der Aebtiſſin reuig muß Rede ſtehen. O, 
hätte ich mich nie einem Manne anvertraut — o Lud⸗ 
wig, Herzensludwig, was ſoll ich beginnen — hilf, 
hilf mir! 


Mit Schwüren aber tröſtete ſie der Junkherr: ſei 
nicht fo ängſtlich, mein Täubchen! — Ich will Rath 
ſchaffen. Vertraue mir nur, ich bringe dich ſicher 
von hier hinweg, hinauf nach Balzheim an der Iller; 
dort wohnt eine Baſe von mir aus dem Geſchlecht 


472 


der Baldinger, die war mir von jeher gewogen und 
wird weiter für uns ſorgen. 


So ward denn beſchloſſen, daß der Junkherr die 
Nonne Elsbeth in der erſten günſtigen Nacht 10 den 
Kloſtermauern entführen ſollte. 


Schon in der nächſten Woche trat Neumond ein 
und es waren dunkle Nächte zu hoffen. So erſchien 
Ludwig denn in einer derſelben an der Gartenmauer 
mit einem Knechte und zwei ſtarken Roſſen. Eine 
ſtarke Leiter ward in den Garten geſchafft und an die 
Mauern des Kloſters angelegt. Aus dem Blauthal 
hervor zog ein Wetter heran, deſſen Sturm dem Vor— 
haben günſtig zu werden ſchien. Schon jagte des 
Sturmes Sauſen die Regenfluth herab, ſchon rollte 
der Donner mit ſteigender Wuth, da ächzte es vom 
Kirchthurm bange Geiſterklage 12 Uhr, und mit dem 
letzten Schlage wurde es hell in der Zelle Elsbeths. 

Raſch legte Ludwig die Leiter unter dem Fenſter 
an, die ſein Begleiter hielt, und ſtieg hinauf. Ho! ho! 
Liebchen! rief er halblaut — dein Retter naht — 
fort jetzt durch Sturm und Wetter! 

Noch war das Fenſter nicht geöffnet, und wieder 
rief er: Schnell in meine Arme! Siehe, wie es blitzt, 
der Himmel ſelbſt hat Erbarmen mit uns und ſchützt 
das Gelingen! 


Jetzt ging das Fenſter ae Elsbeth blickte heraus, 
aber mit ängſtlichem Blick, der Buſen ſchlug ihr hoch 


* 


473 


und ungeſtüm, und wie eine Marmorſäule blieb ſie 
unbeweglich. Nur von ihren Lippen klang es: o Gott! 
ein ahnend Zagen erfüllt mich — nein, nein, ich 
kanns nicht wagen, Herzensludwig! höre nur des 
Donners Stimme, das iſt des Himmels Fluch. Er 
zürnt mit feurigem Grimme ſolch ſträflichem Verſuche! 
— Ja! ja! der ſtrenge Richter droht laut im Unge— 
witter dem Verbrecher Vernichtung, und Vernichtung 
der gottvergeſſenen Himmelsbraut! 


Ungeduldig entgegnete der Junkherr: ha! Kind! jey 
nicht ſo bange, faſſe dich ſchnell, Herzensmaid! o laß 
dieſes thörichte Bangen und Zaudern, fträub dich nicht 
länger, denn raſch entflieht die günſtige Zeit! Aber 
wieder trat die Nonne einen Schritt vom Fenſter zus 
rück, dann beugte ſie ſich vor mit abwehrenden Händen 
und warnte: Horch! horch! was klirrt da unten? — 
fliehe! fliehe! Ludwig! der Laut von Hunden gellt 
herüber vom Kloſterthor — ſie wittern verrätheriſch 
unſer Beginnen — o ſpute dich und fliehe! Aber 
Ludwig griff haſtig nach Elsbeths Hand — um Gottes— 
willen! bat er — was ſoll jetzt banger Sinn? — 
komm! komm! daß wir auf ſchnellem Roſſe entfliehen! 


Während ſo die Nonne mit Furcht und Zagen ringt, 
faßte ſie der Junkherr, umklammerte ſie um die Hüfte; 
und als ſie in ſeine Arme geſunken widerſtandslos 
und betäubt, trug er ſie, den Raub aus heiliger Hürde, 
von Sproß zu Sproß hinab, ob auch von Donner: 


474 


ſchlägen der Boden tobte und dröhnte So eilt er 
mit ihr durch Sturm und Nacht der Gartenmauer zu, 
während ſein Knecht die Leiter trug. Aber auf ein⸗ 
mal wankte der Kloſterräuber und ſank faſt in die 
Kniee, denn in einer Niſche der Mauer hatte er das 
Bildniß Mariens, der Mutter Gottes und heiligen 
Jungfrau erblickt. Beim Schein der Blitze ſchauen ihre 
Augen ihn dräuend an — ſie zürnen, als ob Leben 
den todten Stein beſeele. Noch zwei Schritte vermag 
er es, ſeinen Raub vorwärts zu tragen, da ſinkt er 
in die Kniee zuſammen, und im nächſten Augenblick 
rollt ein furchtbarer Donner zu ſeinen Häupten — 
ein Blitzſtrahl blendet ſeine Augen und getroffen vom 
rächenden Feuer des Himmels ſinkt das Paar todt zur 
Erde nieder. — Noch zeigt man die Stelle, wo die 
Strafe des Himmels die fündige Nonne von Söf— 
lingen und ihren Buhlen erreichte. Fr. Norden. 


ER. 


„Hohentwiel „„ 9 
Herr Meinhold von Hohentwiel.. 80 
Die Heldenjungfrau von Hohentwiel. 84 

Die Herrgottskirche bei Creglingen. 104 
Die Gründung der Herrgottskirchte 128 
Das Machtglöcklein zu Creglingen 133 

Nuine Hohengerhauſen im Blauthal . . 135 
Der Ludomillen-Stein im Blauthal 141 
Die Braut auf Gerhauſen 148 
Der gottlofe Bitter von Gerhauſen 158 


Burgruine Lichtel im Münſterthal . . 160 


Das Lichtlein auf der HBBhe = 164 
Das Steinhaus und Schloß zu Buchenbach 

an der Jagſt 165 

Sage von der Zwölfglochke 170 


Wildeneck im Laurathal in Sherfhmaien 178 
Sage vom wilden Ritter von Wildenek . . . . 177 
Die Sage vom Laurathallk 186 

Schloß Kirchberg an der Iller . . 196 
Das Fräulein von Kirchberg 2038 


Kloſter Murrbardtt . » 2 2 2 2 228 
Die Sage von St. Walveih - 2 2 22020. .258 


Hohenzollern 2 2 
Die Chronikenſage von Graf Agticbrich von 0 310 
Der Graf von Zollern und die Wirtembergerin . . 315 

Arnegg und Niedegg im Blauthal . . 329 


Der Seiſt des Junkers auf Niede ggg. 331 


Die Marienkirche zu Reutlingen 334 


Der Sturmbock von Reutlingen und die Gründung 
der Marienkirchkhte 342 


Nuine Beben burg 372 


Wolfram von Beben burg 380 
Die Belſener Capelle 398 
Das verlorene und wiedergefundene Kind. 412 
Kloſter Wiblingen mH 07 
Die Wunderproceffion zu Wiblingen ib. . 23 


Ruine Blankenhorn im Zabergau . . 429 
Ritter Wolf von Blankenhorn 433 
Kloſter Söflingen bei uli 438 
Die Nonne von Söflingen 445 


Durch Eduard gifchhaber in Stuttgart kann be: 
zogen werden: 


Das duch 


der 


Kai iſerſagen, e und Klofer- 
. mährchen. 
Dem deutſchen Volke gewidmet 
von 


Karl von Falkenſtein. 
Preis 1 Thlr. oder 1 fl. 48 kr. 


Inhalt: 


Karl der Große. Kaiſer Friedrich der Zweite. Kaiſer 
Otto der Dritte. Kaiſer Barbaroſſa's Burg. Burg Baden. 
Burg Falkenſtein. Burgen Nothweiler und Barbelſtein. 
Schloß Arensperg oder Arnsberg. Lauff oder Lauffen. 
Der Ottilienberg. Burg Boſenſtein. Hermann Grimm. 
Drache und Jungfrau. Burgfräulein von Windeck. Non⸗ 
nenkloſter zu Pfalz. Kedrichſtein. Die Steinkirche. Lorlei⸗ 
Schloß. Kloſter Lichteneck. Rieſe auf Steinsberg. Das 
Mümmelchen. Schloß Stauffenberg. Die Schwanenburg. 


Der Drachenſtein. Die Burg Eppſtein. Burg Habsburg. 
Schloß Iberg. Die Klöſter Gſenn und Pfäfers. Burg 
Balm. Die St. Martins- oder Schlacht⸗Kapelle. Burgen 

Bichelſee und Haſelberg. Rieſe Gargantua. Die Wilden⸗ 
burg. Burg Steinach. Die Sanet Lorenzkirche. Schloß 
Greyers. Die Jungfrauenhöhle. Burg Balb. Königs- 
burg Hornberg. Geilings-Schloß. Die Zwerge des Fich— 
telbergs. Luxburg und das rothe Schloß. Der Wolfſtein. 
Kaiſerin Kunigunde. Schloß Altenburg. Der Nußhard. 
Das Waldſchloß. Die Keſſelburg. Schloß Falkenſtein. 
Kloſter Marienburg. Burg Haunſtein. Die Frauenkirche. 
Kloſter Brod. Burg Karlſtein. Blonnhofen. Kloſter 
Paulinzell. Burg Blankenſtein. Das graue Fräulein. 
Horn der Berggeiſter. Horn der Zwerge. Schloß Eifen- 
berg. Schloß Henneberg. Das Magdalenenkloſter. Das 
Todtenkloſter. König Merwig. Wartburg und Frauen⸗ 
burg. Georg Beichlingen. Die Berg- oder Holzweibel. 
Liebfrauenkirche zu Arnſtadt. Zwergenhöhle bei Arnſtadt. 
Heiligenſtadt und Schloß Ludwigſtein. Frau Hollen-Schloß. 
Böneburg und Bilſtein. Schloß Bodenſtein. Schloß See- 
burg. Burg Lauenrode. Die Aſſeburg. Die Hühnenburg. 
Das Kreuzkloſter. Zwerge des Lindenbergs. Heinrich der 
Löwe. Kloſter der grauen Mönche. Jagen um Mitter- 
nacht. Teufels Hochzeit. Der Dom zu Goslar. Helmſtedt. 
Die Goldſchmiede. Seehuſeburg. Die Domburg. Hackel⸗ 
berg. Das felſenverwandelte Schloß. Burg Kuyffhauſen. 
Sanct Blaſius-Nonnenkloſter. Burg Schwarzfeld. Die 
Kucksburg. Burg Queſtenburg. Ilſenſtein. Burg Fal⸗ 
lenſtein. Teufelsburg. Arnſtein. Die Roßtrappe. Burg 


Regenſtein. Burg Lichtenftein. Hildesheim. Die Sclof- 
zwerge. Die hohle Burg. Der Hühnenberg. Klöſter 
Fredelsloh und Heggenbach (Happach). Kaiſer Otto und 
der Hirt. Die Lauenburg. Der Waldgeiſt. König Gol— 
demar. Ottenſtein. Die Schaumburg. Wichtelmännchen 
zu Oldendorf. Die Amelunxburg. Das Dachtelfeld. Das 
Haus Ahrens. Dom zu Magdeburg. Der Nirnenſtein. 
Der Katzenberg. Die Moritzburg. Die Zwerge zu Hitzacker. 
Schloß Windberg und der Burgwartsberg. Der breite 
Berg. Die Berge Löbau und Stromberg. Der Forſten⸗ 
berg. Markgraf Diezmann von Sachſen. Die Bettel- 
mannskirche. Mönch Bruno. Die Funkenburg. Die 
Hauptkirche zu Rathenau. Die Müggelsberge. Markgraf 
von Anhalt. — Rieſenſtein und Steintanz. Wittenberge. 
Die Zwergenberge. König Abel. Kloſter am Gollenberg. 
Die Burg Kienaſt. Schloß Fallſtein. Die Kloſterbraut. 
Burg Kinsberg. Wald- und Berggeiſt Rübezahl. Schloß 
Richemberg. Die Zwergfelſen bei Ellbogen. Kaiſer Karl 
der Vierte. Barbarakloſter. Der Habichtſtein. Kob. Burg 
Frauenkloſter (Przimda). Sanct Georgskloſter. Burg 
Troßky. Schloß Neumietel. Endersdorf. Burg Pären— 
ſtein (Bärenſtein). Admont und Gottwick. Kaiſer Ferdi⸗ 
nand der Erſte. Burg Greiffenſtein. Hermannſtein. Schloß 
Greifenſtein. Der Teufelsberg. Die Schadenburg. Das 
Roththal. Das Weitmoſer Schloß. Rieſe Rabbol. 


Wunder - Sagen 


und 


Geſpenſterbuch. 


Enthaltend: 


Spuck- und Geiſtergeſchichten l Volks- 
mährchen, Legenden und Hiſtorien. 


Herausgegeben 
von 
Peter Schlemihl. 
Preis 18 Sgr. oder 1 fl. 


; 5 en Public 1b | 
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