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78 9
Sun und baude
von
Hohentwiel, dem Kloſter Murrhardt, Hohen⸗
zollern, dem Kloſter Wiblingen, der Marien⸗
lirche zu Reutlingen, dem Kloſter Söflingen
bei Ulm u. ſ. w. u. |. w.
Ottmar F. V. Schünhnth.
Stuttgart.
Verlag von Eduard Fiſchhaber.
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Hohentwiel.
Beinahe aus der Mitte des mit allen Reizen der
Natur geſchmückten Höhgau's, wo mehrere vulkaniſche
Bergkegel aus dem Bodenſatze alter Fluth aufſteigen,
erhebt ſich ein hoher ſteiler Fels, genannt der Hohen—
twieler Berg, der die Ruinen der gewaltigſten Burg
des Schwabenlandes auf ſeiner Stirne trägt. Die
Höhe des Bergs beträgt 2174 Pariſer Fuß. '
Wenn man die Hälfte des Bergs erſtiegen hat, ge—
langt man auf den Maierhof der ehemaligen Veſte.
Dieſer beſteht aus dem Gaſthaus und dem eigentlichen
Hof, wo ſich noch das Pfarrhaus ſammt dem Bet—
ſaale befindet. Im Gaſthof, wo man gute und billige
Bewirthung findet, löst man für 12 kr. eine Karte,
wenn man das Belvedere auf der Höhe beſteigen
will. Von der ſchönen Linde beim Gaſthaus ſchreitet
man auf einer gepflafterten Heerſtraße aufwärts, an
dem Kirchhof vorbei, der noch einige alte Grabdenk—
male enthält, ſowie an jener ſteilen Felswand, in der
wir die ſchönſten Natrolithe finden. In weniger als
einer Viertelſtunde gelangt man an den erſten Ein—
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gang der ehemaligen Veſte. In früherer Zeit befand
ſich hier das Haupt-Portal, auf dem Widerholds
Wappen, ſammt einem Deuten mit folgender In⸗
ſchrift angebracht war:
Durch Gottes Gnad vnd Heldentrew
Dis vöſte Hauß hier ſtehet new;
Der feind hats zwar fünfmal geſchreckt,
Doch hat der Herr zum Schutz erweckt
Den Widerholt, der fünfzehn Jar
Daſſelb beſchüzt in feindts gefahr.
Dieſer Eingang eröffnete einen unter Baſtionen hin-
laufenden Gang, der ſich nach etwa dreißig Schritten
innerhalb der Schanzen öffnete, und zum erſten nun
zerſtörten Thorhauſe führte. Er war die wichtigſte
Paſſage zur Burg, und mußte deßwegen feſter als
irgend ein Theil derſelben verwahrt werden. In ge—
ringer Entfernung davon befand ſich ein zweites Thor—
haus — es wurde zerſtört bis auf das Thor, welches
in jetziger Zeit den Haupteingang in die Veſte bildet.
Sind wir durch dieſes Portal getreten, ſo befinden
wir uns im ſogenannten Vorhof, welcher bis zu der
erſten, über die Felſen führenden Zugbrücke, auch die
untere Veſtung hieß. In dieſer ſtanden die
Ofſfizierswohnungen, die Kaſerne, die Kellerei, die
Apotheke, das Wirthshaus und noch mehrere Ge—
bäude, die wir nur noch in Trümmern erblicken. Drei
Brücken, ehemals Zugbrücken, führen über jähe Felſen
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zur oberen Veſtung. Tritt man bei der zweiten
Brücke linker Hand hinüber, ſo befindet man ſich auf
einer noch ziemlich gut erhaltenen Schanze (Friedrichs—
baſtion), die den ſteilſten Theil der Burg deckte. Von
hier aus blicken wir über einen ſenkrechten Felſen
von wohl 400 Fuß Höhe hinab und haben eine der
ſchönſten Ausſichten vor uns: die Burgen Staufen,
Stoffeln, Mägdberg, Höwen ꝛc. liegen in lieblicher
Gruppirung vor dem Blicke. Wir ſchreiten noch über
eine Brücke, und ſtehen vor dem oberen Eingang in
die Veſtung (Porte et pont du Gouvernement)
mit den dazu gehörigen Gebäuden. Dieſe Gebäude
bildeten die Wohnung des Commandanten. Auf dem
noch wohlerhaltenen Portale ſtand bis auf die neueſte
Zeit das in Metall gegoſſene Bild Widerholds,
des treuen Commandanten von Hohentwiel. Sind
wir durch das Portal getreten, ſo gelangen wir bald
zu dem erſten wichtigen Gebäude der Veſtung. Oben
auf demſelben iſt noch das Stück eines alten Säu—
lenknaufs ſichtbar, es zieht ſich in einem Halbkreis
um die ſüdliche Seite der Burg. Der Name „Kloſter—
bau,“ den das Gebäude noch vor ſeiner Zerſtörung
trug, weist darauf hin, daß hier das ehemalige
Kloſter ſtand. Wirklich haben ſich auch noch be—
deutende Reſte des alten Kreuzgangs erhalten, wovon
man ſich leicht überzeugen kann, wenn man durch die
von oben ſichtbare Oeffnung mühſam hindurchdringen
will. Nachdem das Kloſter abgegangen war, wurde
das Gebäude theils zur Kaſerne, theils für die Schule
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fowie für Lehrer und Pfarrer verwendet. An den
Kloſterbau, nur durch wenige Schritte getrennt, ſchloß
ſich die von Widerhold erbaute Kanzlei und der ſo—
genannte Neubau an. Gerade gegenüber dem Kloſter⸗
bau ſtehen noch die vier Wände der Kirche, welche
Widerhold mitten in den Stürmen des Kriegs er—
baute. Der ſich daran anlehnende Thurm hat in
neueſter Zeit eine ſchöne Bedeutung erhalten, indem
ein Belvedere auf feiner Zinne errichtet worden.
Der für feinem Wohnſitz und die ſchöne Natur be:
geiſterte Pfarrer Sigel gab die erſte Anregung dazu,
und Eduard Keller, der Verfaſſer des lieblichen Büch-
leins „Hohentwiel und feine Umgebung,“ unterſtützte
den ſchönen Plan. Der Bau der Warte wurde auf
Hetien begonnen, und am 7. Mai 1846 konnte fie
zum erſten Male beſtiegen werden. Hier oben in
einem geräumigen Gemach, wo man von der Mühe
des Bergſteigens bequem ausruhen kann, iſt jetzt
Widerholds Bild aufgeſtellt, denn wohl wäre es auf
ſeinem früheren Poſtamente vor Vandalen neuerer
Zeit oder gar Dieben nicht lange ſicher geweſen. Auf
einer eichenen Treppe gelangt man durch eine Fall:
thüre oben hinaus. Eine Plateform, etwa 300 Q. -F.
haltend, der Boden mit Sturz beſchlagen, eingefaßt
von einer ſteinernen Brüſtung, empfängt die Beſucher.
„Zu den Füßen rings um den Thurm reihen ſich die
rieſigen Schattengeſtalten der alten Burg, hoch hinein
ſchaut man zu den obdachloſen Gemächern der fürſt⸗
lichen Burg, und der Raum der alten Kirche iſt
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zum ſchwindelnden Abgrund geworden, aus welchem
Geſträuch und Geſtein heraufſchaut. Aber über dieſe
dunkle Ruinenſtadt hin ſchweifen die Blicke in einem
der großartigſten und lieblichſten Rundgemälde.“ Wen:
den wir zuerſt den Blick nach Norden, ſo liegt vor
uns der ſchöne Kranz der Höhgauer Ritterburgen.
Die äußerſte iſt Neuhöwen; von hier ſchweift das
Auge hinüber bis zu dem Ihaleinfchnitt, der den
Horizont bildet, und erkennt man rechts die Drei—
faltigkeits-Kapelle bei Spaichingen — alſo zehn
Stunden gerade aus. Weiterhin gegen Nordoſten iſt
die Gegend weniger intereſſant — ein ziemlich hoher
Bergrücken bildet den Horizont. Im Vordergrund
das Städtlein Aach mit ſeinem alterthümlichen Burg—
thurm, die Waldburg Langenftein mit ihren Umge—
bungen und die etwas entferntere Nellenburg —
weiter herwärts die Ruinen der Hornburg. Gegen
Oſten liegt der Unterſee vor uns. Aus ſeiner Mitte
ſteigt wie ein Feenland die Inſel Reichenau auf.
Ueber dieſer Inſel ragt die Stadt Conſtanz mit
ihrem majeſtätiſchen Dome hervor, hinter Conſtanz
erſcheint das Becken des Oberſees eigentlich nur
als ein breiter Silberſtreifen. Die fernſten Punkte
ſind die Klauſe bei Bregenz und die beiden
Thürme von Friedrichshafen. Wie von einem
Rahmen iſt der See von den Schneebergen Tirols
umſchloſſen, mit denen die große Bergreihe beginnt,
auf welcher jetzt das Auge vor Allem ruht. Zunächſt
und zu jeder Zeit ſichtbar iſt der rieſige Säntis;
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die ihn umgebenden Churfürſten, worunter „Schild“
und „Speer“ beſonders ausgezeichnet ſind, ſchließen
das Appenzeller Gebirge. An ſie reihen ſich die
„Glarner Alpen.“ Wie ein langer Sarg blickt
der mächtige Glärniſch nicht fern von ſeinem noch
höheren Nachbar, dem Tödi herüber. Vor allem
impoſant ſtellt ſich das Berner Hochland dar.
Zwei bekannte Berge — der Rigi und ſein höherer
Nachbar, der Pilatus — beſtimmen ſeine Lage.
Zwiſchen dieſen heraus blicken die mächtigen Eisrieſen,
links das himmelhohe Finſteraarhorn, rechts der
Eiger, der Mönch und die Jungfrau. Noch
einige weniger wichtige Berge machen den Uebergang
zu den Savoyer Gebirgen, unter denen in weiter
Ferne die Vorberge des Montblanc ſichtbar find.
Die Schneeberge enden und das Juragebirg mit ſeinen
wunderbar geſtalteten Bergformen blickt uns entgegen.
Die höchſte derſelben — es iſt der Bergrücken mit
einem tiefen Einſchnitt — bezeichnet den Weiß en⸗
ſtein. Wenn wir von dem einen Ende der Gebirge
bis zum andern, den Tiroler Alpen bis zum Jura,
eine Linie zögen, ſo wäre es wohl eine Ausdehnung
von 80 — 90 Stunden, die das Auge auf einmal
überfchaut. Der Vordergrund gegen Südweſt iſt am
wenigſten intereſſant. Außer Schloß Herblingen
und weiterhin dem Lägernberg ſammt der Burg
Regensberg, deren Wartthurm hoch hervorragt, iſt
kein lieblicher Punkt, auf dem das Auge ruhen könnte.
Gegen Norden erhebt ſich am Horizont der Feldberg,
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Belchen und Blauen, welche man durch die beiden
Wäldchen des Stoffelberges hindurch erblickt. Alles,
was wir bisher beſchrieben, erkennt man mit dem
bloßen Auge. Bedient man ſich noch des hier oben auf—
geſtellten Frauenhofer'ſchen Tubus, ſo wird das Auge
wohl noch mehrere wichtige Punkte entdecken, die
wir nicht angegeben — wir werden noch an 100 Orte,
Städtchen, Dörfer, Weiler und Höfe unterſcheiden
können, die man von hier aus überſieht. Jeder
Wanderer, der Hohentwiel beſucht, wird voll Be—
wunderung geſtehen müſſen, daß nichts fehlt, was zu
einer ſchönen Ausſicht gehört, denn Bäche, Wieſen,
Fruchtfelder, Weinberge, Wälder, Seen, Hügel, Ge—
birge und Schneeberge, Burgen, Dörfer, Städte und
Weiler — Alles vereinigt ſich, um ein Gemälde zu
bilden, das mit allem Recht den ſchönſten Panoramen
an die Seite geſetzt zu werden verdient.
Wir ſteigen nach dem Genuß all des Herrlichen
wieder von der Warte herab und durchwandern die
übrigen Ruinen der Veſte. Wenige Schritte vom
Thurme etwas aufwärts, und wir befinden uns vor
der ſogenannten fürſtlichen Burg. Sie bildet ein
Gebäude mit drei Flügeln, das die nördlich laufende
Mauer zu einem Viereck verbindet. Die Burg hatte
nur zwei Thürme, einen runden linker Hand, vom
Portal an gerechnet, einen eckigten auf der Seite, wo
die kleine Ausgangspforte der Burg ſich befindet.
Der erſtere zur Linken des Portals war in früherer
Zeit der Hauptthurm und iſt ſeiner Bauart nach zu
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urtheilen, der älteſte Theil des Schloſſes, wahrfchein:
lich noch der einzige Ueberreſt jener Burg, auf deren
Grundmauern Herzog Chriſtoph von Württemberg im
Jahr 1554 das jetzige Schloß erbaute. Im Flügel,
welcher ſich der See zukehrt, war der Ritterſaal nebſt
der Küche und einigen kleineren Gelaſſen; über dieſen
im oberen Stockwerk befinden ſich die durch ihre
Gefangenen berühmt gewordenen Gemächer: die Kerker
eines deutſchen Patrioten J. J. Moſer, des preußi⸗
ſchen Werboffiziers Louis v. Knobelsdorf, der
dreißig Jahre hier oben ſaß, und des unglücklichen
Oberſten Rieger, in deſſen Kerkerloch weder Sonne
noch Mond ſchien. Unter der fürſtlichen Burg dehnen
ſich lange, meiſt in Felſen gehauene Gewölbe, welche
theils zu Kellern, theils zu Magazinen verwendet
wurden. In einem dieſer Gewölbe ſoll ein Oelfaß
gelegen haben, über dem eine große Lampe hing. Es
war nach der Sage das Oelfaß ſammt der ewigen
Lampe im ehemaligen Kloſter der Hadewig.
Noch iſt ein Bauwerk zu beſuchen übrig, das zu
den wichtigſten gehörte, es iſt das ſogenannte Ron—
del, auf der weſtlichen Seite der Veſte. Durch ein
kleines Portal ſteigt man auf einer Leiter in die
Tiefe und befindet ſich im obern Theil der Baſtion,
deren Oeffnung man für einen ausgemauerten Zieh—
brunnen halten könnte. In dieſer Oeffnung erblickt
man eine ziemlich zerſtörte Treppe, auf der man be⸗
hutſam in das Innere des Rondels hinabſteigt. Man
ſteht nun in einem meiſt aus Backſteinen aufgeführ—
a
ten Gewölbe. Das Ganze hat die Geſtalt einer klei—
nen Citadelle, in der ringsum Schießſcharten mit
Kanonen angebracht waren. Durch eine der Fenſter⸗
öffnungen ſieht man über die jähe, ſenkrechte Fels
wand hinab. Herzog Chriſtoph erbaute dieſes
Rondel, wohl um dieſe wenig verwahrte Seite der
Burg beſſer zu decken. — Von dieſer Stelle der
Veſtung aus, wo der Fels beinahe 250 Fuß hoch
abfällt, ſoll in den Zeiten Widerholds ein junger
Hirſch, den derſelbe im Burgzwinger hielt, herabge—
ſprungen ſeyn, denn er ſah das Vieh austreiben,
unter dem er auferzogen worden war. Trotz des ge—
waltigen Sprunges nahm er keinen Schaden, nur
rührte er ſich Anfangs nicht, als aber die Wache
herbeilief, fprang er wieder auf und war friſch und
geſund wie zuvor.
Nachdem wir die Ruinen der Burg nach ihren
intereſſanteſten Parthien betrachtet, ſetzen wir uns
nicht ferne vom Rondel auf dem Bänkchen gegen den
See hin, und laſſen das Wichtigſte aus der Chronik
der ehemaligen Veſte vor unſerem Geiſte vorübergehen.
Hohentwiel iſt unſtreitig eine der älteſten Burgen
des Schwabenlandes, und wie mit Wahrſcheinlichkeit
anzunehmen, römiſchen Urſprungs. Dafür ſpricht
ſein uralter Name duellum, duellium, ſo wie ſeine
Lage, nicht ferne vom Rhein, in der Nähe des noch
in bedeutenden Spuren vorhandenen römiſchen Caſtells.
Freilich finden wir in Hohentwiels jetzigen Reſten
nicht die kleinſten Spuren mehr aus jener Zeit — die
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Stürme, welche im Laufe von Jahrhunderten über
die Felſenburg wehten, haben ſie alle verwiſcht.
Ein tragiſches Gemälde eröffnet die eigentliche Ger
ſchichte der Burg: der Kampf der beiden Kammer—
boten Erchanger und Berthold mit Salomo, Biſchof
zu Conſtanz und Abt zu St. Gallen.
Mit Pipins von Heriſtall Thronbeſteigung war das
alte Herzogthum Allemannien abgegangen. An ſeine
Stelle trat das Amt der Kammerboten. Dieſe hat:
ten an des Königs Statt die Angelegenheiten in den
Provinzen des Landes zu beſorgen, beſonders aber
war ihnen die Verwaltung der Krondomänen aufge—
tragen. Seine Kammerboten waren die beiden Bruͤ—
der Erchanger und Berthold. Der größte Theil des
Thurgaus und Oberſchwabens ſtanden unter ihrer
Leitung. Ihre eigenen Beſitzungen lagen meiſtentheils
im Höhgau und am Bodenſee, wo ihr Hauptſitz die
alte Burg Bodmann, und neben vielen andern Twiel
ihr Beſitzthum war.
Als die Ungarn im Jahr 912 ins Land fielen,
da waren dieſe Brüder es, die ſich allein ihres bes
drängten Vaterlandes annahmen, denn Huͤlfe war von
Außen kaum zu erwarten. „Saget euren Führern,
antworteten ſie den Abgeſandten der wilden Horden,
mögen ſie immer kommen mit Heeresmacht, wir ha:
ben Eiſen und Schwerter und fünf Finger an der
Hand, um Feinden, wie ſich's gebühret, zu begegnen.“
Sie verbanden ſich mit Herzog Arnulf von Baiern,
zogen dem Feindesheer entgegen, und hieben ſie am
13
Junfluſſe beinahe gänzlich zuſammen. Siegreich zogen
fie nun zurück in ihre Lande, und ihre Macht nahm
zu von Tag zu Tag, daß ſie nach und nach eher als
Herzoge, denn als Kammerboten herrſchten. Ihnen
gegenüber erhub ſich ein Nebenbuhler, Salomo III.,
Biſchof von Konſtanz, ein Mann von hohen Geiſtes—
gaben, der über Niedere wie über gekrönte Häupter
mit der Macht des Geiſtes herrſchte. Schon früher
hatte er den Neid der Kammerboten erweckt, denn er
hatte die ſeitherigen Könige Arnulf und Konrad ſich
ſo gewonnen, daß ſie Schenkungen auf Schenkungen
häuften, die ſie ihm und ſeinem Kloſter zukommen
ließen; und dieß in den letzten Zeiten durch Konrad
meiſtens zum Schaden der Kammerboten. Ihr Groll,
der ſich ſchon zu Arnulfs Zeiten ausgeſprochen hatte
in einem Ueberfall Salomo's, der ihnen aber miß—
lungen war, ſuchte zum zweiten Mal einen Ausbruch
und fand ihn auch.
Eines Tages zogen die beiden Brüder in Beglei—
tung ihres Neffen Luitfried, eines jähzornigen und
kriegsfreudigen Jünglings, aus der Burg Stammheim,
einer der königlichen Domänen. Gerade fügte es ſich,
daß Salomo deſſelben Wegs kam. Nach kurzem Gruße
begann der Biſchof feine Klage über die Unbill, welche
von der Burg Stammheim aus von den Leuten der
Kammerboten gegen ihn verübt worden war. Die
Brüder ſchienen wenig darauf zu hören. Da erin—
nerte fie der Biſchof an jenen Tag, wo er für ſie
bei König Arnulf Gnade erbeten, als ſie wegen ih—
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res Ueberfalls zur Strafe gezogen werden ſollten.
Alsbald rief Luitfried, der Schweſterſohn der Beiden,
ein ſehr vermeſſener Jüngling: ſo rühmt ſich der heil—
loſe Mönch noch des Unrechts, das um ſeinetwillen
Euch angethan worden, und ihr Ohme wollet ihn
leben laſſen? Mit dieſen Worten zog er das Schwert,
und hätte den Biſchof gewiß ermordet, wenn er nicht
von ſeinen Oheimen gehalten worden wäre. Doch als er
mit dem Pferde ſchnell umlenken wollte, um dem Ver-
derben zu entgehen, fielen die Herrn ihm in die Zü—
gel und ergriffen ihn. Einer von des Biſchofs Be—
gleitern wollte dem das Schwert ziehenden Luitfried
ſelbſt mit gezücktem Stahle begegnen, er wurde aber
von den Speeren der ihn umringenden Mannen der
Kammerboten durchbohrt und kam um. Nun wurde
der Biſchof in eine nahe Herberge geführt; dort hieß
man ihn abſteigen und niederſitzen, während ſeine
Feinde auf die Seite gingen, um ſich zu berathen,
was ſie über ihn beſchließen wollten. Er aber, ver—
trauend auf ſeinen Herrn, betete unaufhörlich zu ſei—
nem Patron, dem heil. Gallus. Luitfried rieth, daß
man ihm die Augen ausſteche, oder die Rechte ab—
haue. Der erfahrenere Theil der Mannen aber ver—
langt durchaus, daß man nicht weiter gegen den Ge—
ſalbten des Herrn wüthe, und hält es für's Beſte,
daß man ihn unangetaſtet laſſe. Endlich kam bei
den Herren der Beſchluß zu Stande, daß man den
Biſchof gen Dietpoldsburg bringe, wo Bertha, Er—
changers Gemahlin, ſich aufhielt, denn fie ſprachen:
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da fie ſonſt eine ſtrenge Frau iſt, fo mag ſie am
Beſten zu ſolchem Werke zu gebrauchen ſeyn; auch
meinten ſie, weil ſie aus Liebe für ihren Gemahl
fchon oft dem Biſchof Böſes gewünſcht hätte, möchte
ſte ſelbſt eine Art und Weiſe erſinnen, wie er bald
aus dem Wege geräumt würde. Während die Her—
ren mit ihrem Gefangenen der Dietpoldsburg zuzie—
hen, fällt demſelben die ſchlechte Mähre unter dem
Leibe zu Boden. Als die Wächter der Burg die kom—
mende Schaar ſahen, laufen ſie herbei, um zu ſchauen,
was da käme. Herr Berthold, der ſie erblickte, rief
jetzt dem zu Fuß gehenden Biſchof zu: beug dich vor
dieſen, du Verdammter Gottes, und füß ihre Füße,
auf daß ſie dir Gnade erflehen. Nun wurde Salomo
den Söldnern übergeben, ihn an Ort und Stelle zu
bringen, und ein Bote an Bertha geſendet, der ihr
das Geſchehene melden ſollte. Als aber die edle Frau
hörte, was vorgefallen war, ſchlug ſie an ihre Bruſt
und ſprach: das iſt der Tag, ſo unſerer Ehre vor
Gott und Menſchen ein Ende machen wird. Alsbald
rüſtete ſie die Kapelle und den Altar und bereitete
Teppiche und Gewande in dem Gaden. Sie heißt
einige Geiſtliche, welche eben anweſend waren, mit
dem Evangelienbuch dem Biſchof entgegen gehen. Sie
ſelbſt begibt ſich vor das Thor, um den Biſchof zu
empfahen; ſte nimmt ihn bei der Hand und bittet
ihn weinend, er möge ſie des Friedenskuſſes würdigen.
Dann läßt fie fo ſchnell als möglich ein Bad berei—
ten, darin ſich der müde Herr vom Staub und Schweiß
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reinigen möge. Das Alles, meinen die Krieger, ges
ſchähe von Frau Bertha nur zum Scheine. Auch
der Biſchof, ſich jetzt wohl fühlend, befürchtet doch
Unheil, als das Gaden vor ihm und den beiden an—
weſenden Prieſtern geſchloſſen wird. Doch hätte er,
wie er ſich ſpäter ſelbſt ausgeſprochen, die Nacht in
Ruhe hinbringen können, wenn ihm nur der Klang
der Trommeten und der Ruf der Burgmwächter keine
Unbehaglichkeit verurſacht hätte. Am Morgen beſuchte
Frau Bertha, begleitet von einer Magd, den hohen
Gaſt und verhieß ihm Frieden und baldige Rückkehr
zu den Seinigen; ſie labte ihn mit Erfriſchungen,
indem ſie ſich ſelbſt von ihrer Magd, dem Biſchofe
aber von den Prieſtern vorlegen läßt.
Indeſſen hatten ſich die Kammerboten auf den
Berg Twiel (Hohentwiel) begeben; fie führten dort
hin von überall her Lebensmittel zuſammen, und
ſuchten die Burg bei Tag und Nacht noch mehr zu
verſchanzen; doch hielten ſie ſich mit den Ihrigen, die
ſie für die treueſten achteten, geheim, und verbargen
ſich bei Nacht in den waidereichen Wäldern (in der
Nähe der Burg). In der dritten Nacht auf die an
dem Biſchof verübte Bosheit, erhielt Siegfried, der
Neffe Salomos, Kunde davon; alsbald ſammelte er
ſeine Verwandten (Magen) und die Vaſallen des
Biſchofs, ſo viel es die kurze Zeit erlaubte, und
überfiel die Kammerboten Morgens früh in einem
Walde, während ſie noch ſchliefen. Da erwachen ſie
aus dem Schlafe mit dem geringen Gefolge, ſie
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richten ihre Waffen der Unmacht gegen die mit Helm
und Panzer gerüuͤſteten, aber trotz ihres tapfern Wi—
derſtandes werden ſie alle drei lebendig ergriffen, ihrer
Waffen beraubt, und gefeſſelt davon geführt. Sp:
gleich laufen Boten voran, welche der edlen Bertha
und den Bewohnern der Burg melden mußten: wenn
fie den Geſalbten des Herrn nicht losgaben, fo wür—
den die drei Herren an drei Seiten der Burg an den
Galgen gehängt werden, um an der Sonne zu braten.
Als die Burgmänner das hörten, hielten ſie es An—
fangs für Täuſchung; erſt, als ſie Gewißheit von
der Sache erhielten, zogen ſie aus der Burg. Nur
der Biſchof mit ſeinen Geiſtlichen blieb zurück, und
neben ihm Frau Bertha weinend und ſchluchzend
ſammt ihren Dienerinnen. In der vergangenen Nacht
nämlich hatte Frau Bertha durch einen Boten ihres
Gemahls Kunde erhalten, daß der Biſchof von Diet—
poldsburg nach Twiel, oder, was ſie noch mehr be—
fürchtete, zum Tode geführt werden ſollte; darum
hatte ſie alsbald mit dem hohen Gefangenen Zwie—
ſprache gehalten und ihn heimlich durch ein verborges
nes Pförtlein aus ſeiner Haft entlaſſen. Nun nahm
der Biſchof die edle Frau bei der Hand, ſie ihres
Schutzes verſichernd, und ging mit ihr den Seinigen
entgegen; wie dieſe den Biſchof vor dem Thore der
Burg erblickten, begrüßten ſie ihn mit dem jauchzen—⸗
den Geſange: Heil Herro, Heil Lieber u. ſ. w.
Außer dieſen ließ aber der Biſchof Niemanden in die
Burg eintreten, aus Sorge für die Erhaltung der
II. 2
18
Haabe der Frau „Bertha und ihrer Begleiterinnen.
Auf dem ganzen Wege nämlich hatte ſich ein unzäh—
liger Haufe von Bewaffneten an die Schaar Sieg—
frieds angeſchloſſen.
Frau Bertha wünfchte ihren Gatten zu ſprechen;
als er auf eine Stunde allein zu ihr geführt wurde,
umſchlang fie ihn, und ließ ſich kaum mehr von ihm
trennen, der ſelbſt Thränen vergoß; ihr aber ſtrömte
vor Weinen Blut aus der Naſe. Selbſt die Feinde
rührte ſolch ein ſchneller Glückswechſel. Als der Ge—
feſſelte vor dem Biſchof niederfiel und um Verzeihung
bat, ſprach dieſer: ſo viel an mir iſt verzeihe ich dir;
er nahm ihn aus der Hand der erbitterten Wächter
und begleitete ihn mit Segenswünſchen. Mit ſeinem
Neffen und deſſen Gefolge unterhandelte er, daß Frau
Bertha ehrenvoll und mit geſicherter Haabe zu den
Ihrigen zurückgebracht würde. Da ſie auf der Burg
noch übernachteten, ſo befahl er alle Haabe Bertha's
ſeinen Getreuen zur Bewahrung, und ließ ſie dann
ihr nachbringen; beim Abſchied lud er Frau Bertha
ein, ihn zu Konſtanz zu beſuchen, damit ſie, wenn die
Sache eine beſſere Wendung genommen, ſich in froherer
Lage überzeugen könnte, ob er ſeines Wortes einge—
denk wäre. Nun kehrte Biſchof Salomo, ein anderer
Petrus, von tapfern Männern errettet, mit ehren⸗
voller Begleitung gen Konſtanz zurück. Allda ward
er mit großem Frohlocken der von überall herzuſtrö⸗
menden Menge aufgenommen.
Die drei Miſſethäter aber wurden nach Twiel ab:
geführt, wo ſie für eine öffentliche Unterſuchung auf—
behalten werden ſollten. Während ſie dahin gebracht
wurden, hatten ſich die meiſten ihrer Getreuen zu den
Waffen verſammelt, um ihre Herren den Händen ihrer
Führer zu entreißen, wenn es möglich würde. Das
aber wurde von den Vaſallen der Abteien und des
Bisthums, ſowie von den Verwandten des Gott Ge—
ſalbten verhindert, indem ſie ſie mit einer ſtarken
Schaar umzingelten.
König Konrad, der ſich dazumal in Frankenland
aufhielt, erhielt Kunde von dem Ereigniß; reitende
Boten waren Tag und Nacht gezogen, während der
Biſchof gefangen war und wieder befreit wurde. Man
erzählt, daß der König, der gerade früh erwacht war,
aus dem Bette aufgeſprungen ſey, und kaum ſeine
königliche Faſſung behalten habe, als er durch die
Boten von der Geſchichte in Kenntniß geſetzt wurde:
erſt durch die Boten der nachfolgenden ſey ſein Ge—
müth einiger Maaßen wieder beruhigt worden. Als ſich
der König wieder gefaßt hatte, fragte er nach dem Befin—
den des zuvor gefangenen und nun wieder befreiten Bi—
ſchofs. So viel wiſſen wir, Herr und König, antworteten
die Sendlinge, daß der Mißhandelte ſich noch übel befin—
det; denn wenn er glaubte, er könnte bald ſelbſt erſcheinen,
ſo hätte er es gewiß durch uns Euch melden laſſen.
Als der König das hörte, trat er bei Seite und
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weinte: er konnte die hervorbrechenden Thränen nimmer
zurückhalten. Alsbald hielt er einen geheimen Rath;
dann ſchrieb er einen Reichstag nach Mainz aus:
auf dieſem wurden die drei Miſſethäter verdammt, in
die Acht erklärt und ihre Güter eingezogen. Bald
darauf wurden ſie wirklich zum Tode verurtheilt und
alle Andern, welche an dem ſo ſchweren Verbrechen
Theil genommen, als Feinde in die Acht erklärt.
Mit Uebereinſtimmung der ſchwäbiſchen Landes—
herren wurde darauf Burkhard, der edelſte und tu—
gendreichſte ſeines Volks, zum erſten Herzog der
Allemannen gewählt. Dem wurden auch die einge—
zogenen Güter der Verurtheilten als Lehen übertragen,
ausgenommen das Zubringen Bertha's, welches ihr,
weil ſie ihrem Gemahl nicht beigeſtimmt hatte, aus—
drücklich ausgeſchieden wurde. Als Herzog Burkhard
die Verurtheilten auf einige Tage in Gewahrſam er:
hielt,“ bat der Biſchof denſelben um Aufſchub des
Urtheils, bis er es bei dem König dahin brächte,
daß ihnen nur Verbannung zuerkannt würde. Aber
das häufige Anliegen des Biſchofs wirkte bei dem
Könige nur dahin, daß er Befehl zu ihrer Hinrichtung
gab, welche den 21. Jan. 917 bei Adingen (Oet⸗
tingen im Rieß) vollzogen wurde. Hochbetrübt über
ihren Tod ließ der Biſchof denen, welchen er im
Leben, ſo viel er vermochte, Verzeihung hatte ange—
deihen laſſen, ſolche auch im Tode widerfahren: er
geſtattete ihnen ein Begräbniß bei der Kirche.
Von nun an blieb Hohentwiel bei der Burkhard'ſchen
21
Herzogsfamilie. Nach Burkhard I. Tod kam Her⸗
zog Hermann, ein Franke, ins Herzogthum. Er ver—
mählte ſich mit Burkhards hinterlaſſener Wittwe
Reginlinde, und erhielt auf dieſe Weiſe Anſprüche auf
Twiel. Er erwählte die hohe Felſenburg zu ſeinem
Aufenthalt und wirkte von hier aus fegensreich auf
das ihm zur Heimath gewordene Schwabenland. Her—
mann ſtarb im Jahr 948 nach einer folgereichen Re:
gierung und ward in der Reichenau begraben. Luit⸗
hold, ſein Schwiegerſohn, folgte ihm nur auf kurze
Zeit, und das Herzogthum ging jetzt wieder auf ei—
nen Sohn Burkhards, deſſelben Namens, über. Die⸗
ſer vermählte ſich mit Hadewig, der geiſtreichen Tochter
Herzog Heinrichs von Baiern und Nichte Koͤnig
Otto's. Unter Herzog Burkhard, beſonders aber
unter feiner Gattin Hadewig, begann für die Felſen⸗
burg Hohentwiel eine der glänzendſten Zeiten. Der
Geſchichtſchreiber Ekkehard der Jüngere, Mönch von
St. Gallen, im 11. Jahrhundert, derſelbe, welchem
wir den ausführlichen Bericht über Erchanger und
Berthold verdanken, hat über die Zeit der Hadewig
viel Schönes berichtet, das wie eine Sage lautet,
aber doch das Gepräge der Thatſache an ſich trägt.
Wir geben die Darſtellung der ſchönen Geſchichte mit
ſeinen eigenen Worten.
Hadewig, Tochter König Heinrichs von Baiern,
nach dem Tode ihres Gemahls Herzog Burkhard II.
(973) verwittwete Herzogin von Allemannien, ja ſo—
gar Reichsverweſerin, hatte auf der herrlich gelegenen
—
22
Felſenburg Hohentwiel ihren Wohnſitz, und war, die
weil ſie eine ſchöne, aber ſehr ſtrenge Frau war, in
allen Landen gefürchtet.
Als Kind ſchon mit dem griechiſchen Kaiſer Con-
ſtantius VI., genannt Porphyrogenitus, verlobt, ward
ſie durch ſeine Eunuchen, die er zu dieſem Zweck
abſandte, in den griechiſchen Wiſſenſchaften unter:
richtet. Als aber ein Maler (Eunuche), um das Bild
der Jungfrau ſeinem Herrn zu fertigen, ſie genau
anſchaute und recht ähnlich malen wollte, ſo verdrehte
Hadewig Mund und Augen, denn die Heirath war
ihr zuwider. Alſo ſtörriſcher Weiſe den Griechen ver—
ſchmähend, trat ſie, nachdem ſie ſich auch den latei—
niſchen Wiſſenſchaften gewidmet hatte, die reich Be—
gabte, in eine Verbindung mit Herzog Burkhard.
In Kurzem ſtarb der ſchon Bejahrte, und hinterließ
ſie, als eine noch keuſche Jungfrau, mit reicher Mit⸗
gift und einem Herzogthume.
Als Wittwe kam ſie einſt in das Kloſter St.
Gallen, um zu beten; der dermalige Abt Burkhard
nahm ſie freundlich auf, zumal da ſie ſeine Nichte
war, und wollte ſie mit Geſchenken beehren. Da
wollte ſie keine andere Gabe annehmen, als daß er
ihr den Mönchen Ekkehard auf einige Zeit als Lehrer
gen Twiel mitgeben möchte. Da er Pförtner war,
jo hatte ſie ſich ſchon zuvor geheim mit ihm befpro-
chen, ob er wollte.
Wohl erlaubte es der Abt ungern, und Ekkehards
Oheim mißrieth es ſogar; aber dem ungeachtet ſetzte
20
es Ekkehard durch, was man ſo ſchön von ihm ver—
langt hatte.
Als der ſehnlich Erwartete am beſtimmten Tage
auf Twiel ankam, nahm ihn Hadewig freundlicher
als er nur hoffen konnte, auf, und führte ihn mit
eigener Hand in ein Gemach, das an das ihrige
ſtieß. Dahin kam ſte nun bei Tag und bei Nacht
in Begleitung einer Magd, um mit ihm zu leſen,
aber immer bei geöffneten Thüren, ſo daß, wenn es
auch Jemanden eingefallen wäre, etwas Zweideutiges
darüber zu ſagen, keine Urſache vorhanden gemeſen
wäre.
Häufig fanden dort Diener, Vaſallen und ſogar
Fürſten Beide im Leſen oder in Berathung begriffen.
Oft erbitterte Hadewig durch ihren ſtrengen und harten
Sinn den Mönch ſo ſehr, daß er manchmal lieber
wieder in ſeinem Kloſter, als bei ihr ſein mochte.
Ja ſie ließ ihm einmal das Obergewand abziehen,
und ihn zu ſeiner großen Demüthigung auf dem
Lager peitſchen; kaum geſtattete fie es ihm nach
langem Flehen, daß er nicht kahl geſchoren wurde.
Dagegen, wenn er an Feſttagen, oder wenn es ihm
ſonſt beliebte, auf Beſuch nach Hauſe ging, ſo war
es merkwürdig, wie große Gaben ſie für ihn auf
Schiffen gen Steinach voranſchickte, und immer hatte
ſie etwas Neues in Bereitſchaft, was ſie vermoͤge
ihres gar ſinnigen Geiſtes hatte bereiten laffen, ent:
weder für ihren lieben Lehrer zum Gebrauche, oder für die
Mönche von St. Gallen zum Geſchenke. Unter dieſen
24
war außer den ſeidenen Mänteln, Kaputzen und Stolen,
jene Alba, auf der die Hochzeit der Philologie in
Gold geſtickt iſt; außerdem eine Dalmatika nebſt fein
gearbeiteten Ohrenringen, was ſie nachher, als Abt
Immo ein von ihr gewünſchtes Antiphonarium ihr
verweigerte, in ihrer Fee Laune wieder
zurück verlangte.
Um dieſe Zeit öffneten ſich, wie es immer * Fall
iſt, neidiſche Mäuler gegen die Mönche zu St. Gallen,
als ob fie nur nach Willkür lebten. Daß ich Andres
übergehe — ſagt der Berichterſtatter Ekkehard — und
nur berühre, was uns angeht. Es ſtand der Hei:
chenau ein Abt aus der Mitte der Brüder, Namens
Rudimann, vor. Dieſer herrſchte tyranniſch über die
Seinigen, und da er fremdes Leder zu gerben nicht
verſtand, aber wohl Riemen daraus zu ſchneiden, ſo
ſtreute er auch bösartige Gerede gegen die Mönche
von St. Gallen aus, wohin er immer nur konnte.
Es waren damals zu St. Gallen außer dem genann—
ten Ekkehard und den vielen Jüngeren, ſo die Väter
erzogen hatten, Ekkehard ein tüchtiger Mann, Gerhard,
Notker und Chonibard von Altha, ſpäter Abt Waldo II.
Dieſe alle verſammelten ſich auf Befehl ihres Abts
und ließen durch den Vermittler Ekkehard den Rudi—
mann brüderlich bitten, er möchte doch ſeine Zunge
mäßigen. Deſſen achtete Jener nicht viel: doch be—
handelte er den Boten aus Ehrfurcht gegen ſeine
Perſon und Scheue vor der Herzogin, zu welcher er
damals ging, auf würdige Weiſe. Durch ſeine kluge
25
Beredtſamkeit überführte Ekkehard bei der Verhand—
lung den gegen alles widerſetzlichen Menſchen oft
(ſeines Unrechts), aber vergebens. Er ging nun,
bewogen durch des Abts Drohworte, heimlich in ſein
Kloſter zurück, und ſchickte einen Freund auf den
Berg, welcher der Herzogin das Hinderniß ſeiner
Rückkunft melden mußte: die Sendung Rudimanns
wies er zurück.
Aber Rudimann, welcher wähnte, daß Ekkehard zu
der Herzogin abgegangen wäre, beſtieg ein Pferd, und
ritt gen St. Gallen. Heimlich ſchlich er in das
Kloſter, um verſtohlener Weiſe zu beobachten, ob et—
was einer Schuld Aehnliches ihm in den Weg käme.
Er ging um das ihm wohlbekannte Kloſter herum,
und ſpeculirte überall. Als er aber Nichts nach ſei—
nem Wunſche fand, ſo ſtieg er von der Kirche aus
in das Dorment, nahte ſich leiſe dem Aufenthaltsort
der Brüder und ſetzte ſich verborgen hin.
Da ſteht Ekkehard von ſeinem Lager auf, und wie
er ein auf Alles achtender Mann war, folgt er ihm,
ohne daß er ihn noch kennt. Er wundert ſich, als
er auf einen einzelnen Mann ſtößt, und denkt: wer
wohl von den Brüdern bei Nacht noch einen ſo un—
gewohnten Weg gehen möchte. Jener nämlich ſaß im
Dämmerſchein des Lichts aus der Küche. Ekkehard
blieb eine Zeit lang ſtehen, und merkte bald am
Schnarchen, welches dem Rudimann eigen war, daß
es dieſer wäre. Alsbald befahl er einem der Brüder,
die brennende Leuchte des Abts zu holen, trug ſie
26
vor Rudimann hin, legte Stroh auf den Boden und
ſtellte ſich in die Ferne. Wie gewöhnlich traten nun
die Brüder hinzu; die wunderten ſich, wem er die
Leuchte hingeſtellt hätte. Durch Winken brachte ſie
Ekkehard dazu, daß ſie ſich ſtill verhielten. Der Abt,
dem man nämlich allein eine Leuchte vorzutragen
pflegte, war nicht anweſend.
Als endlich Rudimann nach langem Warten, nicht
wiſſend, was er thun ſollte, aufſtand, ſo nahm Ekke⸗
hard die Laterne und ging ihm auf dem Wege voran,
woher, wie er wußte, Rudimann gekommen war. Wie
ſte an den Eingang der Kirche kamen, da wo die
Zuhörer ſitzen, ermahnte ihn Ekkehard leiſe, er möchte
Platz nehmen, bis er ihn dem Dekan und ſeinem
Oheim gemeldet hätte, damit auch ſie den hohen
werthen Gaſt kennen lernten. Indeſſen hatte ſich,
ſiehe da! noch ein Theil der Brüder, beſonders der
Jüngern, genaht, von der Neuigkeit der Sache her—
beigetrieben. Einer von dieſen, als er ſah, was es
war, holte aus der Conventſtube eine Peitſche, lief
ſchreiend auf Rudimann los, und hätte dem ſaubern
Gaſte Hiebe gegeben, wenn nicht die Beſonneneren
ſeinen zum Hieb erhobenen Arm gehalten hätten.
Als Rudimann ſich alſo in der Enge ſah, ſprach er::
wenn ich entfliehen könnte, beſte Jungen, wahrlich ich
würde mich davon machen; nun aber ich, ich mag wollen
oder nicht, in Euren Händen bin, ſo ziemt es Euch
wohl, milder mit mir zu verfahren und auch Euren
Dekan, ſowie die übrigen Brüder zu erwarten.
27
Endlich nach kurzer Berathung kam der Dekan
Ekkehard nebſt den Vätern herzu. Ziemlich heftig
ließ ſich Notker der Arzt, genannt Pfefferkorn, gegen
ihn aus: zu deinem Unheil, rief er, biſt du, b pe
der Menſchen, im Suchen, welche du verſchlingſt, i
die Hände der Brüder gefallen, die du wie ein Ne
Satan verklagſt.
Rudimann, erſchreckt durch die Worte eines ſolchen
Mannes, entgegnete, wohl wiſſend wie frommen Ge—
müths der Dekan war: ſiehe zu, allerklügſter Vater,
daß du dich nicht durch die Ränke deines Namens:
bruders zu einer entehrenden Handlung verleiten läſſeſt,
die dich hernach gereuen möchte. Endlich fiel er ſo—
gar nieder und ſprach: ich begehre von Allen Verzeihung,
dann will ich, mit euch verſöhnt, künftighin mich ſol—
cher Dinge enthalten. Die vernünftigeren Gemüther
rührte die traurige Lage eines ſolchen Mannes, aber
andere, wie es geſchieht, murmelten anders.
Als endlich durch Ekkehards Vermittlung die Väter
beſänftigt und alle verſöhnt waren, kam Rudimann
unter ſeiner Begleitung wieder zu den Seinigen zu—
rück, wie ſie ihn erwarteten, und machte ſich nun
davon, indem er nur Angenehmes vor den Seinigen
berichtete. Auch bat er Ekkehard dringend, er möchte,
wann er wieder gen Twiel gehe, ihn ja nicht um—
gehen. Den Brüdern aber verhieß er durch ihn zwei
Fäſſer Wein, die er auch bald darauf auf einem
Schiffe gen Steinach ſandte.
Abt Burkhard (zu St. Gallen), der den Lärmen
28
außen gehört hatte, bedauerte gar ſehr, als er zur
Stelle erſchien, daß Rudimann ſo frei und ſicher ab—
gezogen war, und brachte eine Klage über den uner—
hörten Vorfall an den Biſchof.
Bald nach dieſer Geſchichte zog Ekkehard wieder
nach Twiel, begleitet von dem Diaconus Ekkehard,
ſeinem Namensbruder, und dem Knaben Burkhard,
der ſpäterhin Abt wurde. Er kehrte bei Rudimann
auf der Reichenau ein, wie ſie früher verabredet hatten.
Der Schlaufopf bot unter den Geſprächen allen ſei—
nen Künſten auf, er fand ihn aber ſich gewachſen.
Als Ekkehard eilte, um nicht zu ſpät vor der ſtrengen
Frau Hadewig zu erſcheinen, beſchenkte ihn Rudimann
mit einem ſchönen Pferde.
Während Ekkehard dieſes mit einem Theil ſeiner
Begleitung voranſchicken wollte, hielt ihn der Witzling
ein wenig auf unter heitern Worten und traulichen
Stichelreden; und als er ihn unter Umarmung und
Küſſen entließ, raunte der Lispler ihm noch ins Ohr:
Glückſeliger, der du eine ſo ſchöne Schülerin in der
Grammatik zu unterrichten haſt! Auf dieß erwiederte
ihm Ekkehard lachend, wie wenn er ihm gerne Bei⸗
fall gebe, ins Ohr: ſowie auch du, heiliger Herr,
der du die ſchöne Nonne Kotelinde, deine liebe
Schülerin, in der Dialectik unterrichtet haſt. Und
ſchneller als das Wort, wandte er ſich ab, während
Rudimann noch etwas entgegen lispeln wollte; er
beſtieg ſein Pferd und ritt unwillig davon. Als
aber Otker, ein Bruder und Vaſall des Abts, ſah,
29
wie Ekkehard davon zog, fo ſprach er: mein Herr,
mir däuchts, du haſt dieſes Pferd gar verloren. In—
dem verbeugten ſich jene zwei Brüder (Burkhard und
Ekkehard), von denen wir oben geſagt, und nahmen
Urlaub von dem Abt. Der wandte ſich von ihnen
ab und ſprach zu Otker: möchteſt du nicht ſchnell
hinter Ekkehard her Leute ſchicken, welche mir das
Roß zurückbrächten? Nein, erwiederte Otker, denn
der kommt jetzt mit den Seinigen zu einer Frau, wo
ich es nicht wagen möchte, einem der Meinigen zu
befehlen, daß ſie Etwas von ihm anrühren. Jene
beide beſtiegen nun ihre Pferde und zogen beſcheident—
lich hinter dem Lehrer her. Wie ſie den Berg hinan—
ſtiegen, begegneten ſie der Herzogin, wie ſie in die
Vesper ging. Als fie ſie begrüßt hatte — die Sache
mit Rudimann war ſchon vor ihre Ohren gekommen —
ſprach ſie: du biſt ja, mein Lehrer, wie ich höre, ein
recht braver Laternenträger dem Wolfe geweſen, der
in den Schafſtall drang. Ekkehard lachte und ſprach:
beim Leben Hadewigs (ſo pflegte er zu ſchwö—
ren), wenn einer der Ungeſchickten dem Einſchleicher
in St. Gallen die Rippen eingeſchlagen hätte, ich
hätte ihn nicht kurirt.
Als Hadewig am andern Tag mit der Morgen—
dämmerung, wie man pflegt, nach ihrer Art die Klo—
ſterregel vollbracht hatte, was ſie ſelbſt höchſt pünkt—
lich übte (denn damals ſchon hatte ſie angefangen,
ein Kloſter auf dem Berge zu ſtiften), kam ſie des
Leſens wegen zu ihrem Lehrer. Nachdem ſie ſich
30
niedergelaſſen hatte, fragte ſie unter anderem: wozu
jener Knabe gekommen wäre, den Ekkehard mit ſich
gebracht hätte. Wegen des Griechiſchen, meine Her—
rin, antwortete Ekkehard: damit er von deinem Munde
Etwas rauben könne, habe ich den Gelbſchnabel zu
dir gebracht. Der Knabe, ſchön von Geſtalt und ſehr
fertig im Verſemachen, trug nun ſein Anliegen alſo
vor:
Esse velim Graecus, cum vix sim Domna Latinus,
(Herrin, ein Griech' möcht' ich ſeyn, obgleich ich kaum
ein Lateiner.)
Das ergötzte die Herzogin, dieweil ſie eine Liebha—
berin von neuen Sachen war, ſo ſehr, daß ſie den
Knaben zu ſich zog und küßte. Sie ſetzte ihn ſogar
näher zu ſich auf ihren Fußſchemel und verlangte
neugierig von ihm, daß er ihr noch mehr Verſe aus
dem Stegreif mache. Der Knabe ſah ſie und den
Lehrer an und trug, ungewohnt ſolchen Kuſſes, Fol—
gendes vor:
Non possum prorsus dignos componere versus,
Num nimis expavi Duce me libante suavi,
(Nimmer bin ich im Stand, recht würdige Verſe zu
machen,
Mich hat zu ſehr erſchreckt der Kuß, von der Herrin
empfangen.)
Gegen ihre gewohnte Strenge lachte jetzt Hadewig
hoch auf; ſie wandte ſich ſodann, ſtellte den Knaben
31
vor ſich hin und lehrte ihn ein Lied fingen, das ſie
ins Griechiſche überſetzt hatte:
Maria et flumina ete.
Lobet den Herren, ihr Meere und Flüſſe,
Lobſinget den Herrn, ihr Quellen, Hallelujah!
Häufig rief Hadewig nachher den Knaben zu ſich,
wenn fie Zeit hatte, und lehrte ihn Griechiſch, ſobald
jie Stegreifverſe von ihm herausgebracht hatte. Sie
liebte ihn ganz beſonders; endlich, als er wegging,
beſchenkte ſie ihn ſogar mit einem Horatius und ei—
nigen andern Büchern, welche noch heutigen Tags die
Bibliothek zu St. Gallen beſitzt.
Ekkehard der Jüngere begab ſich darauf, wie er
gewohnt war, mit dem Knaben zu einigen andern
Kapellanen der Herzogin, um ſie zu unterrichten, die—
weil fie durchaus nicht leiden wollte, daß ſie an ih:
rem Hofe müßig gingen. Auch dieſer Ekkehard war
ein gelehrter Mann.
Ekkehard und Hadewig aber blieben, wie gewoͤhn—
lich, allein beim Leſen zurück. Virgilius war unter
der Hand und gerade jene Stelle:
Timeo Danaos et dona ferentes
(Danäer fürcht' ich, auch wenn ſie Geſchenke bringen.)
Dieſe Stelle, meine Gebieterin, bemerkte Ekkehard,
hatte ich mir geſtern zu merken. Er erzählte ihr
nun, wie ihn der Abt von der Au eingeladen und
mit einem Pferde beſchenkt habe, wie er jedoch, wäh—
32
rend er ſchenkte, von feinen Stichelreden nicht abge:
laſſen, die letzten beiderſeits in die Ohren geraunten
Witze verſchwieg er.
Ich möchte, ſprach Hadewig darauf, die ganze
Tragödie, welche ſich kürzlich zwiſchen euch ereignet,
von Anfang an hören, weil ich nicht weiß, ob ich
ſie recht gehört habe. Uebrigens wundere ich mich,
daß zwei Klöſter meines Herzogthums mich verachten
und unter ſich ſolche Mißhelligkeiten wechſeln, während
ich, die Reichsverweſerin, doch ſo nahe ſitze. Ja wenn
anders mir meine Räthe nicht abrathen, werde ich
den Schuldigen billig zu ſtrafen wiſſen, wenn ich
ihn auffinde.
Ekkehard entgegnete: meine Herrin, es wäre unge—
treu von mir, wenn ich, der ich nächſt meinem Oheim
hauptſächlich die Verſöhnnäg veranlaßte, dir nach dem
Friedenskuſſe etwas als Klage vorbringen würde, weil
ich es nicht anders wenden kann. Ob mich gleich
jener Menſch, deſſen Weſen du ja ſelbſt kenneſt,
geſtern mit manchen verblümten Stichelreden gereizt
hat, zudem daß er mir noch Geſchenke gegeben — ſo
iſt es doch nicht meine Sache, ſolchen mit Männern
geſchloſſenen Frieden zu brechen; ja ich will Allem
aufbieten, mit ihm, wie er ſelbſt wünfcht, im Frieden
auszukommen.
Der Herzogin gefiel das verſtändige Betragen und
die Redlichkeit ihres Lehrers; doch ſchrieb ſie nachher
wegen dieſer und anderer Angelegenheiten ins Dorf
Wahlwies einen Landtag aus, und befahl dem Biſchof
33
und den Aebten, Dabei zu erfcheinen. Rudimann
aber, der vermuthete, Ekkehard möchte jene ins Ohr
geraunten Worte der Herzogin geoffenbaret haben, war
im Herzen erſchrocken, und richtete durch einen ge—
wiſſen fremden Schlaukopf einen Brief an Ekkehard
auf dem Berge. Die Worte des Briefs waren, um
die Freundſchaft gegenſeitig anzuknüpfen, folgende:
„Es ſollte mich wundern, wenn mein in Allem ſo
kluger Freund jene jüngſt in's Ohr geraunten Witze
ſeiner Frau Herzogin gemeldet hätte.“ Durch den
nämlichen Boten erwiderte Ekkehard unter Anderem
Folgendes:
Noch nie ſtand ich bei meiner Allerſchönſten in
ſolchem Zutrauen, daß ich es gewagt hätte, ihren
ſtrengen Ohren Solches mitzutheilen.
Befreit endlich von der bangen Furcht vor dem,
was ihn fo ſehr beängſtigt hatte, wandte ſich Rudi—
mann nach ſieben Tagen durch Boten an den dama—
ligen Biſchof Gaminold. Ob ihm gleich dieſer wegen
des Kloſter-Schleichens ſelbſt aufſäßig war, ſo be—
ſchwichtigte er ihn doch durch ſeine Geſchenke. Rudi—
mann brachte es ſo weit, daß ſich der Biſchof ſelbſt
mit zween Fürſprechern zu der Herzogin begab. Bi—
ſchof Gaminold erklärte vor ihr, daß er (ſeiner Seits)
dem Abt erlaſſen habe, was er gegen ihn gefehlt.
Da ſagten die Anwälte: wenn Rudimann von dem
Biſchof losgeſprochen iſt, ſo ermangelt er mit Unrecht
eurer Gnade, beſte Herzogin. Ihnen entgegnete Hade—
wig: St. Gallen iſt ein Ort, mit Reichsfreiheit be—
II. 3
1 34
gabt, und ſteht unter meiner Herrſchaft, es genießt
daher ein Sicherheits-Privilegium, das ich ihm, ſo
lang ich kann, gegen Jenen behaupten werde, der ein
wahrhafter Tyrann unter dem Namen eines Abts iſt.
Alſo werde ihm eine Strafe angeſetzt, weil er in dieſe
Sicherheit einſchritt; und weil Ihr, mein Biſchof, für
ihn gekommen ſeid, ſo ſoll er, wie es das Recht
verlangt, ſolche Buße an's Kloſter St. Gallen ent—
richten. Da es, wenn ein Laie den andern beein—
trächtigt, in meinem Rechte ſteht, ihn von meinen
Grafen nach dem Recht ſtrafen zu laſſen, wie viel—
mehr wird ein tyranniſcher Abt, wenn er einen an—
dern Abt bei Nacht überfällt, der unter königlicher
Freiheit ſteht, vor mir einem königlichen Urtheil ſich
unterziehen müſſen. Jedoch weil ſo wichtige Männer,
wie ihr ſeid, für den Verbrecher gegen das königliche
Anſehen ſprechen, ſo weiß ich kaum, was mir jetzt
geziemt, in Abweſenheit des Königs zu antworten.
Endlich kam es nach mehreren Verhandlungen, als
die Herzogin ihre Räthe, und unter dieſen auch den
Ekkehard zu Rathe gezogen hatte, kaum dahin, daß
ſich Rudimann wegen des unter Mönchen noch nie
erhörten Einfalls mit unſrem Abt in Gegenwart der
Ihrigen, welche ſie dazu erleſen, verſöhnen, und am
beſtimmten Tage vor dem Thore Twiels 100 Pfunde
niederlegen mußte. Dann erſt ſollte er wieder ihre
Gnade haben. Am beſtimmten Tage wurden 50
Pfund des Biſchofs wegen dem Abt en ee
das Uebrige ließ Hadewig einziehen.
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Nach dieſen Zeiten — ſo lautet der Bericht unſeres
Chroniften im Auszuge — ſcheint der Aufenthalt
auf Twiel für Ekkeharden immer mehr ſeine Reize
verloren zu haben. Mit Willen ſeiner Herrin verließ
er Twiel und begab ſich an den Hof des Königs Otto,
wo er durch Hadewigs Empfehlung die Stelle eines
Lehrers und Erziehers des königlichen Prinzen erhielt.
Von da aus wirkte er immer noch mit bedeutendem Ein—
fluß auf die Angelegenheiten des Kloſters St. Gallen.
Auch in der Ferne bewahrte Hadewig ihrem theuren
Lehrer ein freundliches Wohlwollen, und gab davon
ſprechende Beweiſe. Als ſie nemlich ihr Gut Sah—
ſpach dem Kloſter St. Gallen vermachen ſollte, da
verſprach ſie, es zu thun, wenn ihr lieber Ekkehard,
ſo lang er lebe, Verwalter dieſes Guts werden würde.
Als einige gegen Ekkehard Neidifchgefinnte im Kloſter
zu dieſer Bedingung ſich nicht recht verſtehen wollten,
brach Hadewig die Unterhandlung ab, und aus der
Schenkung wurde Nichts. Ekkehard ſtarb im Jahr
990. Er war ein Mann von ſeltenen Geiſtesgaben.
Solche Männer gibt es keine mehr, oder nur ſelten,
ſagt der genannte Chroniſt Ekkehard von ihm. Er
war ſo ſchönen Angeſichts, daß man, wie von Moſes
erzählt wird, nicht ohne Scheue ihn anblicken konnte.
Daher ſagte Einer von ihm: Keinem iſt je die Bene—
diktiner Capuze beſſer geſtanden. Er war ſchlank von
Geſtalt, einem Helden gleich, kräftig gebaut, von
blitzenden Augen. An Weisheit und Beredtſamkeit,
beſonders an klugem Sinne ſtand er Keinem ſeiner
36
Zeit nach. In feinem blühenden Alter trachtete er
mehr nach Ruhm, wie es bei einem ſolchen Manne
nicht anders ſeyn konnte, als nach Demuth: nachher
aber nicht ſo, weil Zucht, mit welcher Hochmuth nie
etwas gemein hat, an ihm ſehenswerth war. Er
war ein glücklicher, aber ſtrenger Lehrer; ſeine Zög—
linge hielt er beſonders zum Schreiben und Zeichnen
an. In dieſen beiden Fächern war er ſelbſt ſehr
mächtig, beſonders im Zeichnen der goldnen Anfangs-
buchſtaben, wie man es noch ſteht an den Verſen
einer gewölbten Decke zu St. Gallen, in die er die
Buchſtaben mit dem Meſſer eingeſchnitten hatte. Hohe
und Niedere unterrichtete er in den Wiſſenſchaften,
und bildete ſie theils für St. Gallen, theils für an—
dere Orte. Mehrere derſelben ſah er ſpäter als Bi—
ſchöfe. Auf einem Reichstag zu Mainz ſtanden ſechs
ſeiner ehemaligen Schüler, damals Biſchöfe, vor ihm
auf und begrüßten ihn als Lehrer. Der Erzbiſchof
Willigis von Mainz winkte ihm heran, gab ihm einen
Kuß und ſprach: mein würdiger Sohn, du wirft
dereinſt neben Jenen auf dem Stuhle ſitzen. Ekke⸗
hard wollte zu ſeinen Füßen, aber Willigis hob ihn
ſanft auf.
Die edle Herzogin Hadewig folgte nach wenigen
Jahren ihrem geliebten Lehrer auf Hohentwiel im
Tode. In den letzten Jahren ihres Lebens wird ihr
Name wenig mehr in öffentlichen Angelegenheiten ge—
nannt. Ihre Hauptſorge wandte ſie auf Ungelegen:
heiten, welche das ewige Wohl angehen. Noch mit
—
37
ihrem Gemahl Burkhard war ſie Wiederherſtellerin des
in Zerfall gerathenen Kloſters auf Twiel geworden,
und wies demſelben zum Unterhalt der Mönche viele
Güter und andere Bedürfniſſe im Ueberfluſſe an.
Der erſte Abt dieſes Kloſters, das dem heil. Georg
geweiht war, ſoll ein frommer Mann, Namens Wald—
fred, geweſen ſeyn; der zweite hieß Rehwing, der
dritte Dietrich, der vierte Starkolphin, der fünfte
Reginger, der ſechste Meningoſus, der ſiebente Trude—
wing. Einer, Namens Watzemann, ſoll ein Freund
des genannten Ekkehard geweſen ſeyn. — Nicht minder
mildthätig zeigte ſich Hadewig gegen das Kloſter
Petershauſen, das in ihren Tagen (993) gegründet
wurde, indem ſie ihm ein Gut Ephoidorf nebſt vielen
Zugehörden in der Baar übergeben. Ben ſtarb
im Auguſt des Jahrs 994.
Nach ihrem Tod fiel Twiel an König Otto III.,
der mehrere Mal auf der herrlichen Felſenburg ſi ic
aufgehalten. Von Otto kam es an ſeinen Nachfolger
König Heinrich II., der wegen Hadewig, ſeines Großvaters
Nichte, Erbanfprüche darauf machte. In dieſer Eigen:
ſchaft verlegte er das Kloſter zu Twiel in die Stadt
Stein am Rhein, denn den Mönchen war das mühſame
Bergſteigen zu beſchwerlich geworden. Die Burg Twiel,
von der die Geſchichte eine Zeitlang ſchweigt, wurde
wahrſcheinlich wieder Herzogsſitz. Im Jahr 1073
finden wir ſie im Beſitz Rudolfs von Schwaben, des
Gegenkönigs. Während er im Norden kämpfte, ſaß
ſeine Gemahlin Adelheid in Kummer und Noth auf
=
3
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der Burg Twiel, wo fie wahrſcheinlich auch ſtarb.
Von Rudolf kam Twiel an feinen Schwiegerſohn
Herzog Berthold von Zähringen. Unter ihm wurde
die Burg wohl zum erſten Mal erobert. Der Ser:
zog ſuchte mit ſeinen Vaſallen den Feind ſeines
Schwiegervaters, Abt Ulrich von St. Gallen, mit
Krieg heim. Da gab er den Beſuch zurück, und
nahm auf dieſem Zuge auch die Veſte Twiel weg,
aber nicht mit offener Gewalt, ſondern durch heim—
lichen Verrath der Burgmänner. Er mußte ſie aber
bald wieder zurückgeben. Im Jahr 1094 kam es
zwiſchen Herzog Friedrich dem Staufer und Berthold
von Zähringen zu einem Vertrage, in Folge deſſen
das alte Herzogthum Allemannien getheilt wurde.
Friedrich behielt das eigentliche Schwabenland, aber
Berthold bekam nur den weſtlichen Theil Allemanniens.
Bei dieſer Theilung fiel Twiel zu Friedrichs Antheil;
es blieb von nun an mit dem ſchwäbiſchen Herzog—
thum eine Beſitzung der Staufer. Noch vor dieſer
Zeit treten Edle auf, die ſich von Twiel nennen,
aber es waren zuverläßig nur Staufiſche Burgmänner.
Dieſem Geſchlechte gehörte jener Heinrich von Twiel
an, der im Jahr 1086 nur auf kurze Zeit Abt von
St. Gallen wurde. Dann erſcheinen im Jahr 1135
in Urkunden Eberhard und Adilbero von Twiel, und
im Jahr 1267 ein Junker Ulrich von Klingen, ge—
nannt von Twiel. Noch vor Erlöſchen des Staufi—
chen Hauſes kam Twiel als ein dem Reich heimge—
fallenes Schwabenlehen an die Edlen von Klingenberg,
39
vielleicht zuerſt an den ebengenannten Ulrich von
Klingen, denn die von Klingen und Klingenberg ha—
ben ihr gemeinſames Stammhaus zu Altenklingen im
Thurgau. Im Jahr 1315 galt ein Hans von
Klingenberg, Herr zu Twiel, für den ſtärkſten Ritter
im Höhgau. Wahrſcheinlich war er es, der im Jahr
1330 in einer Fehde, da die Rottweiler vor Twiel
zogen, im Treffen blieb. Im Jahr 1351 brach
zwiſchen Graf Eberhard von Wirtemberg und den
Grafen Albrecht und Rudolf von Hohenberg eine
Fehde aus. Der Graf fiel in das Höhgau ein, und
nahm Hohentwiel, ſowie Hohenklingen ſammt Stein
und Schaffhauſen ein. Im Jahr 1396 erſcheint ein
Hans von Klingenberg, Ritter und ſeßhaft zu Twiel.
Ums Jahr 1464 ſaßen auf Twiel fünf Brüder von
Klingenberg, Eberhard, Caſpar, Heinrich, Albrecht
und Wolfgang. Unter ihnen wurde Hohentwiel und
die Umgegend der Schauplatz einer der blutigſten
Fehden. Auf der einen Seite ſtanden die Grafen
von Wirtemberg und der Jörgenſchild, auf der an—
dern Seite die Gebrüder von Klingenberg und Hans
von Rechberg. Letzterer, zuvor treuer Diener und
Rath Graf Ulrichs von Wirtemberg, dann ſchnöd
von ihm zurückgeſetzt, unternahm in Verbindung mit
denen von Klingenberg Feindſeligkeiten gegen die
Grafen von Wirtemberg. Nach Andern ging der
Handel von Seiten der Klingenberger an. Dieſe kün—
deten den Brüdern Johann, Eberhard und Georg von
Werdenberg Fehde an, weil ihr Genoſſe Conrad Rauber
40
behauptete, er ſei von denen von Werdenberg miß—
handelt worden. An die Klingenberger ſchloß ſich ihr
Nachbar Hans v. Rechberg an. Da Johann von Wer—
denberg damals Hauptmann des Jörgenſchilds war,
ſo nahm ſich dieſer der Sache an. So waren die
Klingenberger von drei mächtigen Feinden auf ein—
mal angegriffen, und ſahen ſich genöthigt, Hülfe von
Schweizern an ſich zu ziehen. Die Fehde wurde
immer heftiger, bis ſich Herzog Sigismund von Oeſter—
reich nebſt Conſtanz und Zürich ins Mittel ſchlug,
und im Jahr 1465 zwiſchen beiden Partheien einen
Vergleich zu Stande brachten. Die Gebrüder von
Klingenberg mußten den Grafen von Wirtemberg und
dem Jörgenſchild Abtrag thun. Seit jener Fehde der
fünf Brüder auf Hohentwiel wird der Name der
Klingenberger auf Hohentwiel lange nicht mehr ge—
nannt. Erſt mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts
kommen ſie wieder in der Geſchichte vor, aber nicht
auf die rühmlichſte Weiſe. Sie erſcheinen in der
Verbindung der Schnapphähne und Heckenreiter auf
Hohenkrähen und Friedingen, mit denen ſie eine förm—
liche Räuberbande bilden, denn an 150 Köpfe ſtark
lagern ſie an den Straßen, und machen ſie ſo un—
ſicher, daß Niemand mehr ſicher handeln und wandeln
kann, bis der ritterliche Georg von Frondsberg, Na—
mens des ſchwäbiſchen Bundes, im Jahr 1512 die
Burg Krähen belagert und das Krähenneſt ausnimmt.
Da mußten auch die Klingenberger auf Hohentwiel
einziehen, aber ſie waren ſo tief herabgekommen, daß
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ſie keinen rechten Halt mehr auf Hohentwiel hatten,
das ſie Armuthshalber nicht einmal mehr im gehörigen
Stand erhalten konnten. Um dieſelbe Zeit verlieh
Albrecht von Klingenberg das Oeffnungsrecht für
ſeinen Antheil an der Burg, an Oeſterreich, ſein
Vetter Hans Heinrich aber öffnete ſeinen Theil an
Hohentwiel dem Herzog Ulrich von Wirtemberg, in
deſſen Dienſte er trat. In Folge dieſer Oeffnungs—
rechts- Verleihungen erlangte ſowohl Oeſterreich als
Wirtemberg gewiſſer Maßen ein Anrecht auf das
Schloß Hohentwiel, was ſpäterhin die Veranlaſſung
mancher Irrungen zwiſchen Oeſterreich und Wirtem—
berg Hohentwiels halber geworden. Im Jahr 1519
erfuhr Herzog Ulrich, der aus ſeinem Lande Ver—
triebene, daß Hans Heinrich von Klingenberg, der
Hauptbeſitzer von Hohentwiel, nicht abgeneigt wäre,
ihm ſeine Burg ganz und gar einzuräumen. Sogleich
ergriff er die Gelegenheit und ließ mit dem Beſitzer
der Burg unterhandeln. Den 23. Mai 1521 ſchloß
Herzog Ulrich mit Hans Heinrich von Klingenberg
wegen Twiel unter folgenden Bedingungen einen Ver—
trag: „mit der Beſitznahme von Hohentwiel erlegt
der Herzog dem von Klingenberg 1000 fl., nach zwei
Jahren fällt die Veſte wieder an den von Klingen—
berg, und der Herzog erlegt 5000 fl., wofür er die
Oeffnung ſich vorbehält; geht aber die Veſte verloren,
ſo hat der Herzog dem von Klingenberg und ſeinen
Erben 20,000 fl. zu erlegen. Neben noch andern
Bedingungen wurde beigefügt,, daß der Herzog die
.
42
Veſte nie gegen die Eidgenoſſen gebrauchen dürfe,
und daß den Städten Augsburg und Schaffhauſen
das Oeffnungsrecht verbleibe.“ Kaum war dieſer Ver—
trag abgeſchloſſen, ſo erhielt der Herzog Nachricht,
daß er nicht gut von der Umgegend aufgenommen
wäre, und man darnach trachte, die Veſte wieder aus
ſeiner Hand zu bringen. Auf dieß hin legte der
Herzog feine Dienſtleute Mare und Friedrich Stumpf
von Schweinsberg mit einiger Beſatzung in das Schloß
und ließ es mit allem Nöthigen verſehen, ja et—
licher Maßen wieder neu bauen, denn ſeine Beſitzer
hatten es ganz und gar in Abgang kommen laſſen.
Das Betragen der beiden wirtembergiſchen Hauptleute
erregte bald Beſchwerden von Seiten der Eidgenoſſen,
doch der Herzog beſchwichtigte ſie leicht wieder. Der
größte Dorn im Auge aber war die Beſitznahme
Hohentwiels durch Herzog Ulrich den Königiſchen und
Bündiſchen. Letztere rüfteten ſich ſogar zu einem Zug
nach Hohentwiel, um ſich den gefährlichen Nachbar
vom Halſe zu ſchaffen. Jedoch das Vorhaben zer—
ſchlug ſich durch Vermittlung der Eidgenoſſen. Da—
für wurde auf einer Tagſatzung zu Zürch beſchloſſen,
im Einverſtändniß mit den Bündiſchen dem Herzog
in Güte wieder die Veſte aus der Hand zu ſpielen.
Auf einen Antrag von Seiten der Eidgenoſſen zeigte
ſich der Herzog nicht abgeneigt dafür, zuvor aber bat
er ſich, wichtiger Geſchäfte halber, einige Monate Be⸗
denkzeit aus, was ihm auch gewährt wurde. Dieſe
Zeit wußte Herzog Ulrich gut zu benützen. Während
43
er ſich in Mömpelgard zur Wiedereroberung feines
Landes rüſtete, ließ er in der Gegend von Hohentwiel,
meiſtens mit Schweizergeld, Schweizer Söldlinge wer—
ben, und die Veſte mit Munition und Lebensmitteln
aufs Beſte verſogen. Am Ende des Oktobers 1524
hatte der Herzog bereits 500 Mann zu Roß und zu
Fuß auf Hohentwiel beieinander. Auf dieſe Nachricht
rſchrack nicht wenig die öſterreichiſche Regierung zu
Stuttgart; jetzt hielt man es ſchon für gewiß,
daß Herzog Ulrich mit den aufrühreriſchen Bauren
gemeinſchaftliche Sache machen würde, denn die auf
der Veſte hatten mit den bei Hilzingen verſammelten
Baurenrotten eine lange Unterredung gehalten. Dieſe
hatte aber keinen andern Zweck gehabt, als ſich zu
erkundigen, was der Auflauf bedeute. In dieſem
Schrecken wußten die Herren zu Stuttgart zu keinem
andern Mittel zu greifen, als zu einem ſchlechten. Sie
machten den Grafen Rudolf von Sulz und Jörgen
von Frondsberg, die ſich damals in der Gegend auf—
hielten, den Antrag: „dem Herzog auf ſeinem Wege
von Mömpelgard gen Twiel aufzupaſſen und ihn
nieder zu werfen, dieweil ſie verhofften, daß dadurch
viel Unkoſten geſpart und ſonſt viel Unruh verhütet
werden möchte.“ Aber der gemeine Vorſchlag wurde
von den biderben Rittern nicht angenommen, ebenſo
wenig von dem Erzherzog Ferdinand zu Inspruck,
der edel genug erklärte, daß er in ſolchen Vorſchlag
nimmermehr willigen werde. Ein wiederholter Vor—
ſchlag wurde gleichfalls zurückgewieſen. Das einzige,
*
44
was Ferdinand gegen den Herzog Ulrich unternahm,
war, daß er die Eidgenoſſen bat, zu verhüten, daß
demſelben nicht geſtattet würde, fein Geſchütz von
Baſel gen Twiel zu führen. Sonſt aber traf er alle
Anſtalten, um ſich gegen das Eindringen des Herzogs
in feine Erblande ſicher zu ſtellen. Während dieſer
Zeit hielt ſich Ulrich bald zu Twiel, bald in der
Schweiz auf, wo ſich, trotz des von einer Tagſatzung
zu Luzern ausgegangenen Verbots, viele Eidgenoſſen
unter ſeiner Fahne verſammelten. Im Februar 1525
verſammelte er zu Schaffhauſen Alle um ſich, die er
bisher geworben hatte. Sofort zog er der Veſte—
Hohentwiel zu. Als er am Fuße des Bergs zu
Hilzingen ankam, zählte er feine ganze Schaar, und
dieſe beſtand aus 600 Mann Fußvolk und 200
Reitern. Er ließ ſein grobes Geſchütz von der Veſte
herunterführen, und nun begann der Zug zur Erobe—
rung ſeines Landes. Doch ſo glücklich die Vorberei—
tungen waren, ſo unglücklich war der Erfolg. Ueber
Rottweil mußte der Herzog wieder ſeinen Rückzug
antreten, denn ſeine Schweizer-Miethlinge hatten ihn
treuloſer Weiſe verlaſſen. Hohentwiel war jetzt ſein
einziger Zufluchtsort unter ſeinen geſcheiterten Hoff—
nungen, und er hielt ſich von Zeit zu Zeit daſelbſt
auf, bis er endlich mit Hülfe des Lanbppsfeh Philipp
von Heſſen im Jahr 1534 wieder in den Beſitz ſeiner
Stammlande kam, um deren Wiedergewinnung er
Allem aufgeboten hatte. Vier Jahre darauf kam
Herzog Ulrich nach manchen Streitigkeiten mit Oeſter⸗
45
reich in den völligen Beſitz von Hohentwiel. Den
24. Mai des Jahrs 1538 verkaufte Hans Caſpar
von Klingenberg, Sohn des früheren Beſitzers Hans
Heinrich von Klingenberg, der ſich beim erſten Ver
trag einen lebenslänglichen Sitz auf der Veſte aus—
bedungen hatte, „ſein Schloß Hohentwiel im Höhgäu
gelegen, mit allem ſeinem Begriff, Zwängen, Bännen
und Zugehörden, als weit die daſelbs reichen, auch
die Oberkeiten, Herrlichkeiten, Gerechtigkeiten, wie er
und ſeine Voreltern ſie hergebracht und inngehabt
haben u. ſ. w., an Herzog Ulrichen von Wirtemberg
um 12,000 fl. in Münz, je 15 Batzen für den
Gulden gerechnet, gemeiner Landswährung.“ Der
Verkäufer ſelbſt, ſowie deſſen Vater Hans Heinrich
von Klingenberg, dann ſeine Tochter Roſina von
Klingenberg und ihr Gemahl Joachim Brümſi be—
jtegelten den Vertrag.
Seit jenem wurde Hohentwiel ſelten mehr von
Herzog Ulrich beſucht. Erſt im Jahr 1546 ſah er
es wieder — im Unglück. Als er nemlich nach dem
unglücklichen Ausgang des ſchmalkadiſchen Krieges
ſein Land abermals mit dem Rücken anſehen mußte,
eilte er ſeinem lieben Hohentwiel wieder zu, als ſeinem
ſichern Zufluchtsort. Dießmal wurde er von den Eid—
genoſſen nicht gern geſehen. Die Stadt Schaffhauſen
erlaubte ihm nicht mehr, als daß er in einer offenen
Herberge, aber ja in keinem Miethhaus Aufenthalt
nehmen dürfe. Hier von Hohentwiel herab mußte er
wieder mit Schmerz anſehen, wie fremde Hand in
“
46
feinem Erbe ſchaltete; auf Hohentwiel unterſchrieb er
mit ſchwerem Herzen den mit harten Bedingungen
verknüpften Hohentwieler Vertrag. Nach einem Aufent-
halt von drei Wochen verließ er, den ſeine Feinde
den Mann von Twiel genannt, den geliebten Zu—
fluchtsort, und ſah die Veſte von nun an nimmer—
mehr. Vier Jahre darauf ſchloß der merkwürdigſte
der wirtembergiſchen Herzoge auf dem Schloß zu Tü—
bingen ſeine thatenreiche und mühſelige Laufbahn. —
Auch ſein Nachfolger Herzog Chriſtoph hielt Hohen—
twiel in hohen Ehren und wendete ihm ſeine Auf—
merkſamkeit zu. Als derſelbe, bekanntlich ein Liebhaber
vom Bauen, mehrere Schlöſſer ſeines Landes beſſer
einrichten und befeſtigen ließ, verwendete er auch eine
anſehnliche Summe Geldes auf das Bauweſen zu
Hohentwiel. Die ſogenannte fürſtliche Burg iſt der
Hauptbau, den Herzog Chriſtoph wohl für ſich, zum
Zweck eines jeweiligen Aufenthalts, aufführen ließ.
Auch hinterließ er der Veſte ein ſchönes Andenken.
Es war ein großer ſilberner Becher von ungefähr drei
Schoppen, auf deſſen Deckel ein Mann ſtand, der
einen großen Stein auf der Achſel trug. Wahrſchein—
lich ſollte dieſe Figur den Herzog ſelbſt vorſtellen,
wie er dieſen Stein auf höchſt eigenen Schultern auf
die Veſte trug, zu Folge der noch bis auf die ſpäteſte
Zeit beobachteten Gewohnheit, daß ein Jeder, der in
die Burg eingelaſſen werden wollte, einen Stein hin—
auf tragen mußte, dafür aber am Thor einen guten
Trunk bekam. Der genannte Becher wurde gewöhn—
47
lich an den Geburtstagen der Herzoge auf das Wohl
des ganzen Fürſtenhauſes geleert. Er befindet ſich
dermalen in den Händen des Generals Widerhold,
der ihn von ſeinem Pathen, dem ſeligen König Fried—
rich zum Geſchenk erhielt. — Wie es auf der von
Herzog Chriſtoph neugebauten Veſte Hohentwiel am
Schluß des 16. Jahrhunderts ausgeſehen, darüber
geben wir einen naiven Bericht des bekannten Hein—
rich Schickard von Herrenberg, der den Herzog Fried—
rich von Wirtemberg im Jahr 1599 auf einer Reiſe
nach Italien begleitete, und auch Hohentwiel beſuchte.
„Den 13. April nach dem alten Calender reisten wir
früh von Stokach hinweg, erreichten in vier Stunden
Hohentwiel, Ihrer F. G. Veſtung; daſelbſten wurden
Ihre F. G. von Dero Dienern und Unterthanen mit
großen Freuden empfangen und aufgenommen. Dieß
fürſtlich, ja königlich Haus, ligt im Hegow, nit weit
vom Bodenſee, in einem luſtigen und an Wein und
Korn fruchtbaren Lands gelegen hoch iſt über die
Maßen feſt. Es iſt ſich zu verwundern, wie der ſehr
harte Fels, ledig und allein, in ſo übergroßer Höhe
im Feld aufſteigt, da ſo nahe dabei kein einiger Berg,
der ihm möchte Schaden bringen, alſo daß er weder
mit Steigen, Schießen oder Untergraben, durchaus
nicht kann gewältigt werden; iſt das Schloß nicht
nur mit vielen ſchönen fürſtlichen Zimmern und noth—
wendigen Gemachen, wie auch guter Ciſternen und
Schöpfbrunnen, deßgleichen mit Keller und Stallun—
gen, ſondern auch mit Baſtehen, Wällen und ſtarken
—
48
Wehren zum Ueberfluß verſehen, welches jedoch ohne
Noth geachtet werden möchte, angeſehen, daß von
Natur dieſer Platz dermaßen befeſtiget, daß ſich darob
zu verwundern. Wann auch ſchon weder Wäll, Boll—
werk noch Bafteyen, ſondern nur allein die Thor und
Fallbrücken dahin gebauet wären, würde es vor eines
mächtigen Feindes Gewalt wohl ſicher ſeyn; daher
auch Etliche nicht unbillig ſagen, daß ſich eines ſol—
chen Hauſes (wann es auf der Ungeriſchen Gränze ge—
legen wäre) die ganze Chriſtenheit zu erfreuen hätte. Be—
neben wird an dieſem Berg erbaut Korn, auch treff—
lich guter rother und weißer Wein, welches der wälſch
Doktor vom Willkomm wohl erfahren. Nicht weni—
ger iſt bei dieſer Veſtung an gutem Bau- und
Brennholz gar kein Mangel. — Nach eingenommener
Mahlzeit ſpazierten Ihro F. G. in die Zeughäuſer,
Rüſtkammern, auch auf die Wäll und Baſteyen hin
und wieder, gaben auch dem Hauptmann und Zeug—
wart Befehl, alſobald das grob Geſchütz aus den
Zeughäuſern auf die Wil, Bollwerk und Baſteyen
hin und wieder zu führen und zu laden. Folgenden
Tags früh geſchah mit dem groben Geſchütz ein
Freuden-Schuß, da dann Ihro F. G. ſelber viel
groß und kleine Stück in das Feld nach Bäumen
und Andrem gerichtet, deßgleichen hat auch gethan
der Hauptmann, Keller, Leutenant, Zeugwart,
wie auch viel Soldaten aus der Guardi. Dieſes
Schießen währet bis Eſſenszeit, alſo daß auf denſel—
bigen Tag alles grob Geſchütz, ſo in der Veſtung
49 2
geſtanden, mit großem Krachen, daß auch das Land
darum verhallet, abgeſchoſſen worden. — Nach vol—
lendeter Mahlzeit verließen wir die Veſtung Hohen
Twiel und zogen bis gegen Schaffhauſen anderthalb
Meil, blieben allda über Nacht.“ Etliche dreißig
Jahre ſpäter trat an die Stelle des Freuden- und
Ehrenſchießens ein ernſteres Schießen. Mit dem drei—
ßigjährigen Kriege eröffnet ſich wieder der Schauplatz
der Geſchichte auf Hohentwiel, nachdem die Veſte
lange keine Rolle mehr geſpielt hatte. Im Jahr 1632,
als Herzog Julius Friedrich die Vormundſchaft über
Wirtemberg führte, ſaß der tapfere Löſch als Haupt—
mann (Commandant) auf Hohentwiel. Als ein eben—
bürtiger Vorgänger Conrad Widerholds ſuchte Löſch
von ſeiner Felſenburg aus in der Verwirrung des
Kriegs ſeinen Nutzen zu ziehen. Was von feſten
Plätzen in der Nähe von Hohentwiel war, deren
ſuchte er habhaft zu werden. Das konnte Oeſterreich,
von dem die meiſten dieſer Veſten Lehen waren, nicht
gleichgültig anſehen. Es folgte bald ein Beſchwerde—
Schreiben an den Herzog von Wirtemberg. Dieſer
antwortete: daß die verſprochene nachbarliche Freund—
ſchaft von Seiten Oeſterreichs nicht beſſer gehandhabt
worden wäre, indem er nur beſchwerliche Einquartie—
rungen und Durchzüge habe erdulden müſſen. Wegen
Einnahme der Schlöſſer rechtfertigte ſich Hauptmann
Löſch alſo: er habe alſo gethan, um den Schweden
in dieſer Gegend ihre Unternehmungen zu erleichtern,
mit denen er ſich auf von Oben ergangenen Befehl
=
50
in ein gutes Verhältniß geſtellt habe. — Von jetzt
an aber hatte Löſch Urſache, ſich in Acht zu nehmen,
denn es rückten Oeſterreichiſche Truppen vom Boden—
ſee herauf gegen Freiburg und Breiſach. — Was bis—
her auf Hohentwiel vorging, war nur das Vorſpiel
zur folgenden merkwürdigen Zeit, in der ſich die Veſte
in ihrer höchſten kriegeriſchen Bedeutung zeigte —
unter ihrem muthvollen Vertheidiger Conrad Wider—
hold, der nunmehr die Hauptrolle am See und im
ſüdlichen Schwaben übernommen.
Conrad Widerhold ward zu Ziegenhein in Heſſen
den 20. April 1598 von ehrbaren Eltern geboren.
Schon früh trieb ihn die Neigung zum Krieg; ſchon
in feinem ſiebzehenten Jahre diente er als gemeiner
Reiter bei dem Grafen von Solms, ſpäter trat er
in die Dienſte der Stadt Bremen, wo er ſich der
Ingenieur-Kunſt widmete. Von da aus beſuchte er
die Küſten von Frankreich, England, Portugal, Spa—
nien, Barbarei, Italien, Corfu und Venedig. Nach—
dem er ſich in letzterer Stadt zwei Jahre aufgehalten,
kehrte er wieder nach Deutſchland zurück. Herzog
Friedrich nahm ihn in ſeine Dienſte. Von der Stelle
eines Trill-(Exercier-) Meiſters, flieg er nach drei
Jahren zum Rang eines Hauptmanns und endlich
Majors empor. Nachdem er ſich in dieſer Würde bei
der Ausführung einiger militäriſcher Unternehmungen,
wie bei der Belagerung der Städte Villingen und
Schramberg, ſowie als Commandant der Veſte Horn—
berg im Jahr 1633 durch Kenntniſſe und Tapferkeit,
51
auch Treue gegen feinen Fürſten vortheilhaft ausge:
zeichnet hatte, ſo hielt ihn Herzog Eberhard für wür—
dig, ihn über Größeres zu ſetzen. Als der Erfolg der
Nördlinger Schlacht, den 27. Aug. 1634, für die
Proteſtanten ſo unglücklich ausfiel, da war das Weh
des verhängnißvollen Krieges in vollem Maaß über
das unglückliche Land hereingebrochen. Die feindlichen
Armeen drangen ohne Widerſtand in das offene Wir—
temberg ein, und dieſes wurde nun der Tummelplatz
roher und mordgewöhnter Horden. Herzog Eberhard
flüchtete ſich nach Straßburg. Auf die Veſten ſeines
Landes konnte er allein noch zählen, daß ſie dem
Feinde Stand halten würden. Auf Hohentwiel richtete
der Herzog jetzt ſein Hauptaugenmerk. Dieſe Veſte
war noch die einzige, auf die er ſeine Hoffnung ſetzte,
wie einſt ſein Ahnherr und Unglücksbruder Herzog
Ulrich, darum wollte er dieſes Kleinod einem Manne
anvertrauen, auf den er ſich verlaſſen konnte. Wel—
chen treueren konnte er finden, als den Conrad Wi—
derhold? Den 13. Juni 1634 übernahm er das
Commando über Hohentwiel. Das erſte, was Wider—
hold beim Antritt ſeines neuen Amtes that, war,
daß er, ſo lange er noch Ruhe hatte, die Veſte in
den beſten Vertheidigungszuſtand ſetzte, beſonders aber
für hinlängliche Speiſung und Munition ſorgte. Von
ſeinem Fürſten, der ſelbſt Mangel litt, konnte er keine
Unterſtützung hoffen; was anders war ihm alſo übrig,
als zu Streifzügen in der Umgegend Zuflucht zu nehmen,
und dieſe glückten meiſtens. So geſchah es, daß er
=“
8
in Kurzem das ihm anvertraute Haus reichlich aus⸗
geſtattet hatte. Doch gerade dieß mußte deſto ſchneller
Gefahr fur die Veſte herbeiführen. Um Widerholds
Feindſeligkeiten Einhalt zu thun, erſchien zuerſt, im
Jahr 1635, der kaiſerliche Feldmarſchall-Lieutenant
Oſſa vor Hohentwiel. Voran ſchickte dieſer gütliche
Unterhandlungen, doch, als Widerhold nicht: darauf
einging, umzog er die Veſte. Das erſte war, daß
er die Mühle zu Singen zerſtörte, deren ſich die
Hohentwieler bisher bedienten. Dafür ließ Widerhold
jetzt Hand- und Windmühlen auf der Veſte erbauen.
Dieſe Blockade verwandelte der bald auf Oſſa folgende
Obriſt v. Vitzthumb von Eckſtatt in eine förmliche Be:
lagerung, und lag einige Monate vor Hohentwiel,
ohne einen Sturm zu wagen. Da brach auf der.
Veſle eine Peſt aus. Viele Gemeine und Offiziere
wurden ihr Opfer. Unter letzteren war auch der
bisherige Prediger hinweggerafft worden. An ſeine
Stelle ſchickte der Herzog einen noch ſehr jungen
Magiſter, Johann Eberhard Pauli, indem er zugleich
an Widerhold die Weiſung ergehen ließ: „er möchte
mit dieſem Pfarrer Geduld tragen, weil man bei
dieſen betrübten Umſtänden keine Wahl habe: er
möchte ihm freundlich zuſprechen, anfänglich ihn mit
vielem Predigen verſchonen, zu Zeiten auch nur eine
Predigt aus der Poſtillen ableſen laſſen, und ihm
ſeiner Vorfahren Bücher einhändigen.“ Nur mit
Mühe konnte dieſer Prediger durch die Belagerer bin:
durch auf die Veſte gebracht werden. In dieſer Zeit
53
wagte Obriſt v. Vitzthumb einen Sturm auf die Veſte.
Schon war er bis in den Vorhof gedrungen, da fiel
Widerhold mit nicht mehr denn 12 Reitern aus
derſelben, ſchlug die andringenden Feinde zurück, zer—
ſtörte ihre Schanzen und führte 10 Gefangene auf
die Veſte. Als Vitzthumb ſah, daß er wenig Fort—
ſchritte machte, ſo ſchritt er zu einem Waffenſtillſtand,
indem er verſprach, Hohentwiel unangefochten zu laſ—
ſen, wenn Widerhold ſeine Feindſeligkeiten einſtellen
würde. Dann zog er ab, nachdem er über ein halbes
Jahr umſonſt um die Dame gebuhlt hatte. Die Zeit
der Ruhe benützte Widerhold auf die zweckmäßigſte
Weiſe. Er verbeſſerte die Veſtungswerke, führte zum
Theil neue auf, und verſah Hohentwiel auf allerlei
Weiſe. Noch nicht war ein Jahr verfloſſen, als
Oeſterreich ſtracks gegen die Bedingungen des Waffen—
ſtillſtandes ſchon wieder mit förmlichen Anſprüchen
auf Hohentwiel auftrat. In einem kaiſerlichen Be—
ſcheid vom Jahr 1636 war die gänzliche Räumung
der Veſte unter den erſten Bedingungen. Das ſetzte
den Herzog Eberhard in große Beſorgniß. Den 21.
Mai 1637 ließ er an Widerhold die Weiſung er:
gehen: er habe ſich im Geringſten nicht zur Abtretung
Hohentwiels verſtanden; noch fügte er bei: wenn
Schreiben oder Befehle von ihm an ihn gelangen
ſollten, ſo ſolle er ſolchen keinen Glauben zuſtellen,
wenn ſie auch mit dem fürſtlichen Sigill und Unter—
ſchrift bewährt wären, es ſei denn, daß ſolche von
Wort zu Wort von dem Herzog ſelbſt geſchrieben und
2 *
54
mit gewiſſen Zeichen verſehen wären. Zugleich er—
mahnte er ihn, dieſes Haus gegen Männiglich bis
auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen. Wäh—
rend der Herzog dieſe Weiſung an Widerhold ergehen
ließ, ließ er ſich doch von Oeſterreich einfchüchtern,
das nicht aufhörte, ſeine Forderung wegen Hohentwiel
zu wiederholen. Eberhard verſuchte alles Mögliche, um
Oeſterreich zufrieden zu ſtellen. Wirklich ſollte es
jetzt zu einer Abtretung Hohentwiels kommen, und
ſollte dieſe alſo vor ſich gehen, daß Widerhold und
die Beſatzung freien Abzug hätte, und all Hab und
Gut abgeführt werden dürfe. Durch ein Zeitungs—
blatt erfuhr Widerhold, daß Hohentwiel an Oeſterreich
übergeben werden ſollte. Dem gedachte er nun mit
aller Macht vorzubeugen. Widerhold wollte lieber in
Jedes Andern Beſitz die Veſte wiſſen, als in der—
Hand der Oeſterreicher. Ohne Vorwiſſen ſeines Her—
zogs ließ er ſich in Verhandlung mit dem großen
Herzog Bernhard von Weimar ein, weil er wußte,
daß dieſer nach der Veſte trachtete. Den 11. Novbr.
1637 kam zwiſchen Beiden folgender Vertrag zu
Stande: die Veſte beſitzen Sachſen und Wirtemberger
gemeinſchaftlich; zur Unterhaltung der Beſatzung er—
hält Widerhold von Herzog Bernhard 20,000 Rthlr.;
dagegen darf der Herzog ſchalten und walten über
die Veſte und Beſatzung. — Weder Herzog Eberhard
von Wirtemberg noch der Kaiſer hatte die geringſte
Kenntniß von dieſem Vertrag. Erſt als öſterreichiſche
und wirtembergiſche Bevollmächtigte auf Hohentwiel
55
kamen, um die Abtretung der Veſte an Oeſterreich
zu vollführen, da erklärte Widerhold frei heraus, daß
er durch den Vertrag mit Herzog Bernhard der Krone
Schweden ebenſo viel verpflichtet ſei, als dem Hauſe
Wirtemberg, doch habe er ſich vorgeſetzt, einzig und
allein dem angebornen Erbherrn die Veſte aufzube—
halten. Von nun an fing Widerhold ſein altes
Weſen wieder an, er brandſchatzte die ganze Seegegend.
Keiner Vorſtellung von einer Uebergabe der Veſte
wollte er mehr Gehör geben. Er wollte die Ehre
haben, ſeinem Herrn als treuer Diener die Veſte als
keuſche Jungfrau zurückzugeben. Dieſes Widerſtreben
ſeines Commandanten ſetzte den Herzog in nicht ge—
ringe Betrübniß. Er beklagte ſich ſelbſt bei dem
Kaiſer über Widerholds Untreue, wie er es nannte.
Er ließ eine Bittſchrift an den Kaiſer gelangen, wo—
rin er ihn dringend bat, er möchte ihn die Hart—
näckigkeit ſeines Commandanten nicht entgelten laſſen.
Im Jahr 1639 war der große Bernhard ſelbſt auf
der Veſte, um die Werke in Augenſchein zu nehmen
— es war ſein letzter Beſuch auf Hohentwiel, denn
am 7. Juli des Jahres ſtarb er, der größte Held
ſeiner Zeit nach Guſtav Adolf, nicht ohne Verdacht,
daß er Gift bekommen. Kaum war dieſe Nachricht
verbreitet, ſo hielt ſchon wieder der Kaiſer dem Her—
zog dringend vor, er ſolle den Widerhold zur Ueber—
gabe Hohentwiels beſtimmen. Da ließ Eberhard drei
Befehle nach einander an ihn ergehen; Widerhold
antwortete nicht nach des Herzogs Wunſch. Im
—
56
Auguſt 1639 ſchlug der kaiſerliche General-Feldmar⸗
ſchall Huyn von Gelern im Städtchen Engen fein
Lager auf, um gegen Hohentwiel zu operiren. Zuerſt
ſuchte er durch ſchriftliche Unterhandlung mit Wider—
hold fertig zu werden. Aber Widerhold ging nicht
darauf ein; er antwortete wie ein Mann, und er—
klärte, er wolle das ihm anvertraute Haus bis aufs
Aeußerſte vertheidigen. Dieſe Erklärung gab dem
Feldmarſchall das Signal zum Angriff. Zuvor nur
ſtrenglich belagert, wurde Hohentwiel jetzt förmlich be—
ſchoſſen: es wurden 37 Granaten und Ernſtkugeln gegen
die Veſte geworfen, aber es ſchadete nur wenig. Man
ſuchte ſie durch Minen zu ſprengen, aber auch das
war vergebens. Doch drangen die Feinde bis in den
Vorhof der Veſte, der nur durch Palliſaden befeſtigt
war. Widerhold trieb ſie wieder zurück. Bei dieſem
Ausfall verrichtete eine Jungfrau Wunder der Tapfer—
keit. Sie nahm einem feindlichen Corporal, der ſie
verwundete, ſein Gewehr ab, und brachte es auf die
Veſte. Noch im Jahr 1784 zeigte man zu Hohen—
twiel eine Partiſane, auf deren einer Seite ein Soldat
in den Schaft eingeſchnitten war, mit den Reimen:
Horch Bruder mein! was ich dir ſag,
So mir geſchehen dieſen Tag.
Als ich vermeynt etwas zu bringen
Von Hohentwiel, thät mir's mißlingen,
Dann mir ein' Jungfrau unverzagt
Mein Gwehr mit Spott und Schand abjagt.
\
57
Auf der andern Seite war eine Jungfrau eingeſchnitten
mit der Umſchrift:
Als man zahlt 1639 Jahr,
In ein'm Ausfall, ſag' ich fürwahr,
Ein' Jungfrau von 18 Jahr,
Margaretha ſie genennet war,
Mit einem Kayſerlichen Corporal rang,
Und ihm dieß kurze Gwehr abnahm.
Und wenn er ihr nicht wär entloffen,
Hätt ſie mit ſeinem Gwehr ſein Herz troffen,
Und wär ſchier gangen, wie man lieſt
Von Holofern ein ſchön Geſchicht,
Dem Judith fein Haupt abgeſchlagen
Mit ſeinem Gwehr, wie die Schrift thut ſagen.
Den 29. Auguſt iſt es geſchehen |
Im Jahr, wie man kan oben fehen.
Dieſe Belagerung dauerte bis zum 8. November.
Während derſelben verſuchte Herzog Eberhard durch
nochmaligen Befehl ſeinen Commandanten zur Ueber—
gabe der Veſte zu bewegen. Widerhold dachte: keine
Antwort iſt auch eine Antwort — und er beant—
wortete keines der Schreiben. Ein drittes ging nun
vom Herzog ab, und ein eigenhändiges Poſtſeriptum
des Inhalts war beigefügt: „wo du Widerhold uns
noch mit Trewen meineſt, wirſt du dieſem Befelch
Volge leiſten, und deine Trew, Ehr' und Namen zu
retten, dich mit befolner Lieferung des Hauſes nicht
“
58
länger aufhalten, ſondern eines endlichen gegen uns
erklären.“ Widerhold ließ ſich nicht bewegen und er—
klärte, daß er dieß ihm anvertraute Haus dem ganzen
Fürſtenhaus Wirtemberg zum Nachtheil unmöglich an
den Kaiſer überlaſſen könnte. — Als der Feldmar—
ſchall v. Gelern ſah, daß weder Worte noch Waffen
bei Widerhold Etwas ausrichteten, ſo zog er mit ei—
nem Theil ſeiner Armee von der Veſte weg. Obriſt
Holz und Neumark hielten ſie ferner umſchloſſen.
Dieſe verſuchten wieder mit Miniren ihr Glück, und
ließen zu dem Ende acht Bergknappen dahin bringen,
die aber keine Luſt für die gefährliche Arbeit bezeug—
ten. Während dieſer Zeit machte Widerhold die Be—
- merfung, wie ſich die Feinde den Tag über einer
unten am Berg liegenden Kelter als eines Wacht—
hauſes bedienten, und dabei ein ſtarkes Feuer unter—
hielten, des Nachts aber ſich zurückzogen. Da ließ
er an dieſer Stelle in der Nacht eine Granate ein—
graben. Als die Feinde wieder erſchienen und ein
Feuer anmachten, da entzündete ſich die Granate und
ſprengte die Kelter ſammt einer großen Zahl von
Feinden in die Luft. Bald zogen die Belagerer mit
einem Verluſt von 1500 Mann von der Veſte. Auch
Obriſt Truckmüller, der jetzt vor die Veſte rückte,
zog nach einer kurz dauernden Cernirung derſelben
im Jan. 1640 wieder ab. Jetzt bekam Widerhold
Zeit, ſeine Felſenburg aufs Neue mit Proviant zu
verſehen. — Nach ſieben Monaten wurde Hohentwiel
aufs Neue attaquirt. Frederico Enriquez, ein ſpani⸗
59
ſcher Edelmann am Hof der Erzherzogin Claudia von
Oeſterreich, erbot ſich, einen neuen Verſuch auf
Hohentwiel zu machen. Mit 7000 Mann zog er im
Septbr. vor die Veſte. Voran ſchickte der Spanier
ein höfliches Schreiben, aber Widerhold antwortete
dem feinen Höfling mit lakoniſcher Kürze: „er würde
wie bisher ſeine Pflicht thun in Vertheidigung des
ihm anvertrauten Kleinods.“ Nun ſchlug der Spanier
bei dem nahen Schloß Staufen ſein Lager auf und
hielt nur mit 150 Mann und 80 Pferden die Veſte
bloquirt. Indeſſen war der Weimaraner Obriſt Roſa
den Hohentwielern zum Entſatz herbeigeeilt. Dieſer
überfiel die feindliche Vorwacht und hieb ſie nieder.
In der Nacht ließ Widerhold ſechs Granaten mit
Feuerſchlöſſern, die durch verborgene Schnüre aufge—
zogen werden konnten, in den Weg eingraben. Als
die Feinde den Weg kamen, ließ er an den Granaten
ziehen, ſie gingen zwar zu frühe los, und verfehlten
ihre Wirkung, doch brachten ſie eine Verwirrung un—
ter die Feinde. Widerhold und Roſa benützten dieſe,
griffen den Feind an, hieben gegen 50 Mann nieder
und machten fünf Offiziere und 60 Gemeine zu Ge—
fangenen. Den andern Tag machten ſie einen An—
griff auf den Poſten bei Staufen. Dieſer flüchtete
ſich in die Burg, die Widerhold im Sturm eroberte.
Die Feinde mußten ſich auf Gnad und Ungnade er—
geben. Auf dieß zog ſich die Hauptarmee der Feinde,
die bedeutend geſchmolzen war, zurück, und die Be—
lagerung durch den prahleriſchen Spanier hatte ein
*
60
Ende. Nachdem Abzug der Feinde fand Widerhold
Zeit, eine neue Unternehmung zu machen. Er hatte
gehört, daß zu Balingen 20,000 Thaler feindliches
Contributionsgeld liege. Den 19. Jan. 1641 machte
er ſich in der Stille auf und zog Balingen zu. Er
kam frühe bei der Stadt an, und legte ſich mit ſei—
nen Soldaten in ein Teich (Vertiefung). Ehe der
Tag anbrach, ſtanden ſchon einige ſeiner Leute, theils
als Zimmerleute, theils als Träger verkleidet vor
dem Thor und begehrten Einlaß. Da nimmt Einer
derſelben ſeinen Bündel mit Nüſſen vom Rücken, um
den Thorhütern davon zu ſpenden, er läßt fie aber
haufenweiſe, wie aus Verſehen herausfallen, und als
die Hüter darnach haſchen, wirft er einige Handgra—
naten darunter, die ſich ſchnell entzünden. Das war
ein Signal für Widerhold, der jetzt ſchnell herbeieilt,
das Thor mit einer Petarde ſprengt und in wenig
Augenblicken mitten in der Stadt, und bald im Be—
ſitz der 20,000 Thaler iſt. Auf dem Rückmarſch
über Tuttlingen nahm ſich Widerhold noch Zeit, bei
dem Wagner Fueß zu Gevatter zu ſtehen. Aber mit
dem Sommer deſſelben Jahres erſchien für Hohen—
twiel wieder eine herbe Zeit. Am 25. Juli erſchien
der Churbairiſche Obriſt von Neuneck vor der Veſte.
Ihm folgte am 9. Oktbr. der General-Feldzeugmeiſter
Graf von Sparre. Dieſer hatte ſich hoch und theuer
vermeſſen, er wolle innerhalb dreier Monate der Veſte
habhaft werden. Auch er ſchlug zuerſt den Weg der
Unterhandlung ein, aber Widerhold wollte Nichts
61
von Uebergabe willen. Da griff Sparre die Veſte
mit Ernſt an: er beſchoß ſie vom 17. Okt. an ſo
heftig, daß man das Feuer etliche Meilen weit ſehen
konnte. Am 20. Okt. waren die Feinde bereits im
Beſitz des Vorhofs, aber Widerhold trieb ſie mit .
großem Verluſt wieder zurück. Durch ſeine Ausfälle
und andere liſtige Anſchläge ſahen die Feinde ſtets
ihre Abſichten wieder vereitelt. Einmal ließ er in
die Erbſen- und Rübenaͤcker um die Veſte mit Bän⸗
dern gezierte Hüte ſtecken, an welche Feuerſchlöſſer
gebunden waren; wenn nun die Feinde neugierig
daran zogen, ſo wurden ſie von den Selbſtgeſchoßen
erlegt. Ein ander Mal legte er in die Gebüſche um
den Berg Soldaten mit Piquen und Angeln; mit
dieſen rißen ſie die auf Kundſchaft ziehenden Feinde
von den Pferden und brachten ſie gefangen auf
Hohentwiel. So wird wenigſtens von Zeitgenoſſen
Widerholds berichtet, wogegen der neueſte und beſte
Hiſtoriograph Hohentwiels, Herr General von Mar—
tens, dieſe ſo wie die früher angeführten Kriegs—
liſten und ſonderbaren Anſchläge Widerholds ſtark
bezweifelt. — Sparre litt von Tag zu Tag mehr
Schaden an Leuten, ungerechnet die häufigen Weg—
läufer. Da ſchritt er zur Unterminirung der Veſte.
Mit unſäglicher Mühe ließ er den Felſen durchbohren
und Pulver zum Sprengen einlegen, doch an den
ungeheuren und harten Felſenmaſſen wollte dieß nicht
viel ausrichten, denn Widerhold ſetzte von oben mit
Feuer und Dampf zu. Endlich entſchloß ſich Sparre,
&
62
die Belagerung aufzuheben. Schon machte er alle
Anſtalt dazu, da wurde er von den aus ihren Be—
ſatzungen im Elſaß gezogenen Schwediſchen Völkern
noch im Lager überfallen, und eine ungeheure Beute
an Munition u. dgl. fiel in Widerholds Hände, der
durch einen Ausfall die Ueberrumplung ſeines Feindes
ſich zu Nutzen machte. Von jetzt an lebte Widerhold
unangefochten auf ſeiner Felſenveſte und bereicherte
ſich mit Brandſchatzen aus der ganzen Umgegend.
Conſtanz, Ueberlingen, die Klöſter Salmansweil,
Petershauſen, Weiſſenau und andre Orte, mußten
ihm bedeutende Contributionen entrichten; beſonders
bedrängte er die nahe Stadt Radolfszell, die der
kaiſerliche Obriſt von Grandmont beſetzt hielt. Aber
auch in die Ferne zog er auf Beute aus, oder ließ
ſeine Leute Streifzüge machen. So eroberten dieſe
die ſteile Felſenveſte Wildenſtein an der Donau mit
Liſt, während die Beſatzung in eine nahe Kirche ge—
gangen war. Widerhold plünderte in eigener Perſon
das Kloſter Blaubeuren und brachte ſeinen Abt ge—
fangen nach Hohentwiel. Im Anfang des Jahres
1643 überfiel er um Mitternacht die Stadt Ueber—
lingen, wo nur 12 bis 15 Mann unter den Waffen
waren. Die Hohentwieler zogen, nachdem ſie die
Thore mit Petarden geſprengt hatten, in Reih' und
Glied in die Stadt ein, und ſo — berichtet Wider-
hold — ward dieſer alten Jungfrauen das Ehren-
kränzlein abgezogen. Eine reiche Beute an Geſchützen,
Getreide und Wein führte Widerhold auf Hohentwiel;
63
eine Orgel, die er für feine auf der Veſte neuerbaute
Kirche beſtimmte, lieferte ihm das Franziskanerkloſter,
welches er von Plünderung verſchont hatte. Um
dieſem Unweſen zu ſteuern, das Widerhold von ſeinem
Felſenneſt aus übte, übernahm jetzt der Churfürſt von
Baiern einen Zug vor die Veſte. Die ſchwäbiſchen Stände
ſollten das Geld dazu hergeben, und ſo mußte auch
der arme Herzog Eberhard zur Blockirung ſeiner ei—
genen Veſte 3000 fl. herſchießen. Im Mai 1644
zogen die Baiern vor Hohentwiel; ſie ſchlugen von
allen Seiten Schanzen auf, aber dabei blieb es. Wider—
hold bekam endlich Langeweile und machte Ausfälle.
Das verleitete nach und nach den Feinden die Be—
lagerung. Doch, um nicht ſo ſchimpflich abzuzie—
hen, knüpften die Feinde zuvor noch Verhandlun—
gen an. Widerhold ſollte die Veſte an den Herzog
abtreten und die Beſatzung auf 50 Mann herabſetzen;
er dürfte Commandant bleiben, jedoch ſollte er einen
Neben⸗Commandanten bekommen und von nun an
neutral bleiben. Man bot ihm große Geldſummen
und Beförderung, wenn er in dieſe Punkte willige,
aber Widerhold ſchenkte den Anträgen kein Gehör,
ſondern antwortete kurz und bündig: „er begehre
ſeinem Herrn getreu zu dienen, welches auch Andre
thun ſollen; wie man in ſeines Herrn Land hauſe,
ſo plage er dieſer Feinde Orte ebenmäßig, wie er
könne.“ So zerſchlugen ſich vor der Hand die Ver—
handlungen, bis ſie durch ein neues, kühnes Waͤgſtück
Widerholds wieder angeregt wurden. Er nahm auf
—
64
einem Streifzug 40 für Venedig angeworbene Reiter
gefangen, und brachte dieſe und 70 geſattelte Pferde
auf die Veſte. Bei Gelegenheit der Forderung, dieſe
Gefangenen wieder in Freiheit zu ſetzen, brachte man
die frühere Verhandlung wieder auf die Bahn. Man
erklärte ihm: „daß man wirklich gemeint ſei, dem
Herzog ſelbſt die Veſtung wieder zu Handen zu ſtellen
und es auch gar leichtlich dahin gerichtet werden
koͤnnte, daß man dem Herzog nicht nur die ihm ent⸗
zogenen oberen Aemter zu Unterhaltung der Veſtung,
ſondern auch in ſeinem Maaß das ganze Land wie—
der abträte.“ Dieſe Erklärung ſcheint den zuvor ſo
hartnäckigen Widerhold nachgiebiger geſtimmt zu haben.
Er erklärte, ſeiner Seits in das Verlangte zu willigen,
wenn dem regierenden Herzog Eberhard und ſeinem
Bruder Friedrich das ganze Herzogthum abgetreten,
die Streitigkeiten zwiſchen Oeſterreich und Wirtemberg
abgethan, und alle kaiſerliche und bairiſche Truppen
aus dem Lande abgeführt würden. Zu dieſen Be—
dingungen ſetzte Widerhold noch einige ihn ſelbſt be—
treffende Punkte. Kaum war Herzog Eberhard von
dieſer Willensmeinung Widerholds durch ihn ſelbſt in
Kenntniß geſetzt, ſo erſchien ſchon ein bairiſcher Ge—
ſandter bei ihm, der auf die Beſchleunigung der Ver—
handlung drang, und ihn beſtimmte, einen Abgeord—
neten nach Hohentwiel zu ſenden. Bald darauf er—
ſchienen die beiden Wirtembergiſchen Räthe Anton.
von Lüzelberg und Dr. Johann Friedrich Jäger mit
dem churbairiſchen General-Commiſſair Bartholomäus
65
Schäffler auf Hohentwiel, um von ihm eine nähere
Erklärung zu vernehmen. Den 21. Mai 1644 kam
endlich zwiſchen Widerhold und den Obengenannten
ein Vergleich zu Stande, deſſen Hauptinhalt war:
»Widerhold übergibt dem Herzog die Veſtung, daß ſie
auf ewige Zeiten dem Haus Wirtemberg bleibe, ohne
daß Oeſterreich je eine Anſprache daran zu machen
hat, und verſpricht zugleich, alle Feindſeligkeiten einzu—
ſtellen. Widerhold und ſeine Beſatzung ſollen gänz—
liche Verzeihung erhalten. So die Veſtung belagert
würde, müſſe der Kaiſer oder Churfürſt ohne Koften-
anſprache ſie entſetzen, dem Herzog aber ſoll es frei
ſtehen, die Commandantenſtelle zu übertragen, wem er
wolle.“ Während der Verhandlung war Waffenſtill—
ſtand; die feindlichen Generale ritten mit einander
und Widerhold gab ein ſtattliches Mahl. Aber auf
den Vergleich folgte von feindlicher Seite keine Rati—
fication. Die Bedingungen convenirten nicht, denn
ſie vereitelten ja die ränkevollen Abſichten der Oeſter—
reicher und Baiern, die Widerhold durchſchaut hatte.
Die Blockirung der Veſte begann von Neuem, ſie
dauerte aber nicht lange. Zur ſelben Zeit drängten
die Weimaraner Truppen von Freiburg die Baiern
über den Schwarzwald zurück. Aus Feigheit zogen
nun auch die vor Hohentwiel liegenden Baiern ab,
und ließen ihr ganzes Lager zurück. Da der Ber:
gleich von Seiten der Oeſterreicher und Baiern ſo
ſchlecht gehandhabt worden war, fo fand ſich Wider—
hold auch berechtigt, da fort zu machen, wo er es
g 5
II
*
66
gelaſſen hatte; er machte einen Streifzug an den
Bodenſee und bis nach Memmingen. Im Juni 1645
ging ihm aber auch ein Unglücksſtern auf, denn ſein
Keller Stockmaier, gebürtig von Sindelfingen, wurde
mit einem Beutel von 1000 Dukaten Contributions—
geld aufgefangen. Das wurmte dem Widerhold; er
ſaß alsbald auf, und zog brandſchatzend durch die
Seegegend bis Klofter Weingarten, wo er ſich den
Abt als Geißel für ſeinen Keller holte. Beide wur—
den ſpäter gegenſeitig ranzionirt, der Keller um 200
Dukaten, der Abt aber um 4000 Reichsthaler, denn
ein ſolcher Reichsprälat war doch koſtbarer, als ein
Keller. Im Januar 1646 nahm Widerhold ohne
Widerſtand die Inſel Reichenau und alle Seeſchiffe
weg. Gerade war der See gefroren, aber er thaute
auf, während Widerhold noch operirte. Da erlitt er
großen Schaden an Leuten, die ertranken, er ſelbſt
rettete nur durch Schnelligkeit ſein Leben. Im Februar
überrumpelte er noch die Stadt Sulz und im Mai
nahm er den Dillingern Pferde, Vieh und Bürger
weg. So war er bald, wie der alte Überall und Nir⸗
gends, bald da, bald dort, bald am See, bald im
Schwarzwald, bald in Oberſchwaben. Endlich ſcheint
er doch auch dieſes Treibens ſelbſt müde geworden
zu ſeyn. Vielleicht wurde er auch von ſeinem Herzog,
bei dem ſich der Kaiſer wiederholt über Widerhold
beſchwert hatte, beſtimmt, ſeine Feindſeligkeiten einzu⸗
ſtellen, die er eigentlich nur fortgeſetzt hatte, um dem
—
67
Kaiſer Trotz zu bieten, der feinen geliebten Herrn
das Leben ſo ſauer gemacht hatte.
Wenn wir fragen, wie Widerhold es bisher hatte
wagen können, ſich einer ſo großen Macht, wie
Oeſterreich und Baiern war, ſo keck entgegen zu ſtellen,
ſo finden wir den Grund davon am natürlichſten in
der Verbindung, in welche er ſeit dem Vertrag mit
dem großen Bernhard mit der Krone Schweden ge—
treten war. Somit war er auch mit Frankreich in
Verbindung getreten, denn Herzog Bernhard und ſein
Nachfolger General Erlach ſtanden ja mit ihren
Truppen eigentlich unter der Krone Frankreich. Unter
Erlachs Oberkommando hatte ſich Widerhold geſtellt,
auf dieſe Weiſe hatte er gleichſam ſich und ſeine
Veſte in die Hände Frankreichs übergeben, und fo
hatte er bisher in Frankreich einen kräftigen Hinter—
mann. Daher kamen aber auch die Anſprüche, welche
Frankreich in den nun bald ſich anknüpfenden Frie—
densverhandlungen zu Osnabrück wegen Hohentwiel
darlegte. Doch waren ſie immerhin noch billiger und
beſcheidener, als die, welche Haus Oeſterreich rege
machte. Ihm war Hohentwiel ſeit langen Zeiten ein
Dorn im Auge geweſen, daher verlangte es jetzt ſo—
gar die Schleifung der Veſte. Indeſſen hatte es
Herzog Eberhard durch ſeine Geſandten bei den zu
Osnabrück des Friedens wegen verſammelten Ständen
zuwege gebracht, daß auch Hohentwiel unter die ſo—
genannten Restituenda aufgenommen würde. Frank:
reich gab ſich willig darein, und entſagte allen An—
—
68
ſprüchen auf Hohentwiel. Doch kam während dieſer
Zeit noch Manches dazwiſchen, was die Uebergabe
der Veſte verzögerte. Endlich mit dem Jahr 1650
kam es dahin, daß Hohentwiel von Frankreich abge⸗
treten wurde. Den 22. Juni wurde der mit Frank⸗
reich abgeſchloſſene Vergleich unterſchrieben, und Obriſt
Widerhold erhielt ſofort die Vollmacht, Hohentwiel
an den Herzog abzutreten. Am 4. Juli übergab
nun Widerhold, der bisher ruhig und ſtill dem un—
ruhigen Treiben in ſeiner Nähe zugeſehen hatte, ſein
anvertrautes Kleinod an den rechtmäßigen Beſitzer als
eine noch keuſche Jungfrau. Da dieſer Tag für das Haus
Wirtemberg ein ſo wichtiger war, denn erſt jetzt war
der langerſehnte Friede dem ganzen Lande zu Theil
geworden, ſo ließ Herzog Eberhard auf den 11. Aug.
1650 ein Dankfeſt anſtellen, und goldene und ſilberne
Medaillen und kleine ſogenannte Friedenspfennige
prägen. — Fünfzehen Jahre hatte Widerhold das ihm
anvertraute Haus mit ſeltener Treue und Mannheit
vertheidigt, — der Denkſtein, deſſen Innſchrift wir
bereits oben angegeben, hat ſeine Heldenthätigkeit in
wenigen Worten zuſammengefaßt — auch für die
Ausſtattung und den Bau der Veſte hat er Viel ge⸗
than: mitten im Getümmel des Kriegs im Jahr 1639
erbaute er dem Herrn zu Ehren ein ſtattliches Gottes⸗
haus; ferner erbaute er das neue Gaſthaus, in dem
die Canzlei, ſowie Widerholds Rüſtkammer ſich befand,
auch das Zeug- und Kugelhaus, welches mit Waffen
und Munition angefüllt war, und das ſogenannte
|
|
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69
neue Portal wurden unter ihm aufgeführt. So
konnte er mit Recht von ſich ſagen, als er die Veſte
verließ, er habe feinem geliebten Herrn und Fürſten—
haus ein wohlerbautes Haus übergeben. Das aner-
kannte auch der Herzog voll Dankbarkeit, denn er
belehnte den treuen Diener und heldenmüthigen Mann
mit den Rittergütern Neidlingen, Randegg und Och—
ſenwangen, und übertrug ihm als Ehren- und Ruhe-
Dienſt die Stelle eines Obervogts zu Kirchheim u. T.
und eines Inſpektors zu Neidlingen. Allda lebte er
noch 16 Jahre mit ſeiner Gattin Anna Hermegard,
geb. Burkhartſchin von Helgoland; letztere ſtarb im
Jahr 1666, er folgte ihr ein Jahr darauf, den 13.
Juni 1667, im Tode nach. Eine Stiftung von
15000 fl. „für die ſtudierende Jugend, die Kirche und
Schule, dero treue Diener und andere arme Leute
zu Kirchheim, ſo wie mehrere Stiftungen zu Hohen—
twiel verewigen ſein Andenken.“ (Ein Mehreres zum
Ehrengedächtniß des Helden und Chriſten, enthält
das Büchlein: „Conrad Widerhold, der treue Com—
mandant von Hohentwiel, nach ſeinem Weſen und
Leben“ von Ottmar Schönhuth 1844.)
Seit dem Jahr 1650 iſt die Geſchichte von Hohen⸗
twiel von keiner großen Bedeutung mehr. Im Jahr
1671 kamen bei einer Verſammlung Oeſterreichiſcher
und Wirtembergiſcher Abgeordneter im Höhgau, in
Streitigkeiten wegen der Grafſchaft Nellenburg, von
Seiten Oeſterreichs wieder Anſprüche auf die Bahn.
Es kam jedoch zu keiner Verhandlung von Folgen.
*
70
Als die Herren einander Befuche machten, bewirtheten
die Wirtembergiſchen Abgeordneten auf Hohentwiel
ihre Gäſte bis in die Nacht mit gutem Zuſpruch, ſo
daß ſie nebſt ihrem ganzen Gefolge nicht wenig die
Trefflichkeit des ſo beliebten Hohentwieler Trunks bei
ſich verſpürten. Dieſer gute Trunk ſcheint auch die
Unterhandlung wegen Hohentwiel ſo niedergeſchlagen
zu haben, daß man ſie auf Weiteres verſchoben. Im
März des Jahrs 1672 hielten Herzog Eberhard, der
Markgraf von Baden und der Erbprinz von Anſpach auf
Hohentwiel eine Zuſammenkunft, wie überhaupt die Veſte
von Mitgliedern des Fürſtenhauſes manchmal beſucht
wurde. Mit dem J. 1703 ſollte Hohentwiels Ruhm noch
einmal bewährt werden. Als im ſpaniſchen Succeſ—
ſionskriege die franzöſiſche Armee ſich mit der chur⸗
bairiſchen bei Tuttlingen vereinigte, da machten letztere
einen Verſuch auf die Veſte, die damals noch mit
einer gehörigen Beſatzung und allem Nöthigen beſtens
verſehen war. Die Feinde mußten unverrichteter Dinge
wieder abziehen. Nach dieſer Zeit erhielt Hohentwiel
noch eine Bedeutſamkeit, aber nur eine traurige, da—
durch, daß ſie der Aufbewahrungsort für Gefangene
geworden. Wir nennen unter dieſen den preußiſchen
Werbeoffizier von Knobelsdorf, der in ſeinen blühen—
den Jahren die Veſte betrat und als Mann mit
grauen Haaren ſie verlaſſen. Ferner war einer dieſer
Unglücklichen der würtembergiſche Obriſt Rieger, der
vier ſchreckliche Jahre auf Hohentwiel zubringen mußte.
Sein Kerker war ein unterirdiſches Loch, in das man
71
ihm die Koſt von oben hinunter haſpelte und das nie
gereinigt wurde; da hatte er weder Stuhl noch Tiſch,
man erlaubte ihm nicht einmal einen Nachtſtuhl, ſo
daß er im Staub und Geſtank beinahe zu Grunde
ging. Die Winternächte mußte er in ſchrecklicher
Finſterniß verſeufzen; Bart und Haupthaare wurden
ihm nicht geſchoren, ſo daß er wie ein Wilder aus—
ſah, nur die Bibel war ihm als Troſt gelaſſen. Der
dritte und wichtigſte Gefangene, deſſen Jammergemach
man jetzt noch in den oberen Ruinen der fürſtlichen
Burg zeigt, war der würtemberg'ſche Univerſalgelehrte
und Landſchaftsconſulent Johann Jakob Moſer. Den
12. Juli 1759 kam er als ein unſchuldig Gefange—
ner auf Hohentwiel. Er wurde in ein Zimmer ein—
geſperrt, daraus er in vier Jahren nicht kommen ſollte.
Er durfte weder in die Kirche gehen, noch war es
einem Prediger erlaubt, ihn zu beſuchen, noch ihm
auch bei anſcheinendem Lebensende das heil. Mahl zu
reichen. Da man ſeine gewandte Feder fürchtete, ſo
wurde ihm weder Papier, Tinte und Feder, noch ein
andres Buch, als die Bibel, Steinhofers Predigtbuch
und ein Geſangbuch geſtattet. Um ſeine Gedanken
aufzubewahren, benützte er das gefärbte Papier, das
er während ſeiner Gliederkrankheit mit Arzneien be—
kommen hatte. Mit einer Stecknadel ſtach er ſeine
Liederverſe hinein; ſpäter ſchrieb er mit der Spitze
feiner Schuhſchnallen und einem Löffelſtiel, ja ſogar
mit der Lichtputze und Scheere auf die weißen Stellen
in feinen Büchern, und als dieſe voll waren, auf
72
die weiße Wand feiner: Stube und Kammer. Auf
ſolche Weiſe ſchrieb oder kritzelte er vielmehr über
tauſend geiſtliche Lieder ein. Den 25. Septbr. 1764
wurde er dieſer ſeiner Haft auf der hohen Schule
zu Hohentwiel entlaſſen, die ihm eine Leidens- und
Kreuzesſchule geworden war. Der merkwürdige Mann,
ein rechter Chriſt und Patriot,
der Wahrheit treu bis in den Tod,
die er mit Wandel, Wort und That
bekannt und kühn vertheidigt hat, —
ſtarb zu Stuttgart den 30. Septbr. 1784 als Greis
von 84 Jahren. (S. das Büchlein: „J. J. Moſer,
der unſchuldige Gefangene auf Hohentwiel und ſeine
geiſtlichen Lieder,“ herausgegeben von Ottmar F. H.
Schönhuth 1854.)
\ Obgleich die Veſte Hohentwiel um dieſe Zeit und
nachher ſo ziemlich ihre militäriſche Bedeutung ver—
loren hatte, ſo wurde ſie dennoch von dem Fürſten⸗
hauſe nie ganz vernachläſſigt. Der Herzog beſuchte
ſie einigemale und nahm Einſicht von ihrem Zuſtande.
Ja es verweilten einmal ſogar zwei wirtembergiſche
Prinzen einige Zeit auf derſelben. Mit Munition
und Proviant war Hohentwiel zu jeder Zeit ſo gut
verſehen, daß es eine jahrelange Belagerung hätte
aushalten können; Mehl und Fleiſch war von vielen
Jahren her aufgehäuft; Pulver die Menge lag in
den beiden Pulverthürmen, dem Löwen und Drachen.
Fünfundzwanzig Kanonen nebſt andern Geſchützen
|
73
—
waren auf der Veſte aufgeſtellt. Der Erhaltung der
Geſchütze freilich wurde während der friedlichen Zeiten
weniger Aufmerkſamkeit geſchenkt. Am meiſten war
die Veſte vernachläßigt mit dem Beginn des 19.
Jahrhunderts, einer Zeit, wo ſie wohl ihren alten
Ruf wieder hätte bewähren können. Die Kanäle der
Ciſterne auf der obern Veſte, woher einzig das Waſſer
zu erhalten war, waren verfallen, die Kanonen in
ganz ſchlechtem Zuftande und größtentheils von Eiſen
— faſt alle ohne Lafetten, der Vorrath an gutem
Pulver war gering; überhaupt waren weder von Außen
noch von Innen Vorkehrungen getroffen worden, um
einer vorkommenden Belagerung begegnen zu können.
Kommandant der Veſte war der bejahrte General
Bilfinger. Durch einen geheimen Befehl vom Herzog
war ihm Obriſt Wolf, ohne ſein Wiſſen, ſo an die
Seite geſetzt, daß Bilfinger nur Schatten-Komman—
dant, Wolf aber das Faktotum mit eigener Verant—
wortlichkeit für das Kommando ſein, und in Kriegs—
fällen nach Umſtänden nur für ſich zu handeln er—
mächtigt ſein ſollte. Beide Männer waren mehr im
Beſitz militäriſcher Kenntniſſe, als daß ſie Muth und
Entſchloſſenheit hatten, ſie anzuwenden. Die übrigen
Offiziere waren an Leib und Geiſt invalid. Die
ganze Garniſon beſtand aus 108 Mann, einſchließlich
alle Offiziere und Spielleute. Die Kanonier-Kom—
pagnie beſtand aus dem Hauptmann von Tundersfeld,
einem 78jährigen Korporal Namens Ade, dem Forſt—
knecht Johann Theurer, der von dem Gewerbe und
—
74
Beruf Nichts wußte, und aus noch etlichen ſolcher
Kunſtmänner. Von dieſer Garniſon waren über die
Hälfte Sechsziger und Siebenziger, über zwei Dritt—
theile verheirathet, ohne alle Disciplin — ohne
Kenntniß im Dienſt, und ein großer Theil hatte
wegen ſchlechter Aufführung in der Gegend alle Ach—
tung verloren. So ſtand es auf Hohentwiel am
1. Mai 1800, als die Franzoſen vor der Veſte er⸗
ſchienen.
Schon am frühen Morgen — ſo lautet der von einem
Augen- und Ohrenzeugen aus der Gegend verfaßte,
von mehreren Anderen aber unterſchriebene und be—
ſiegelte Bericht — vernahm man in der ganzen Ge—
gend von Hohentwiel, daß die Franzoſen über den
Rhein gegangen wären. Noch früher hörten zwar
die Hohentwieler die Kanonade von der Gegend des
Uebergangs her. Aber erſt zu der Zeit, da die unter
dem Berg liegenden Gemeinden aufgeſchreckt wurden,
witterten ſie Gefahr, und der Kommandant ſchickte
einen Offizier zu dem im Dorfe Singen komman⸗
direnden General, Fürſt Joſeph von Lothringen, herab,
und ließ anfragen, wie die Sachen ſtänden, und ins—
beſondere, wie ſich Hohentwiel zu benehmen habe.
Der Fürſt verhehlte den Uebergang nicht; auf die
weitere Frage gab er zur Antwort, daß er wegen der
Veſtung keine Befehle habe, und ſohin Nichts an—
zuordnen finde. Dieſe Antwort ſetzte in Hohentwiel
alles in Bewegung. Man ordnete in Eile an, was
man konnte; flüchtete auf die obere Veſtung und
75
gab ſich alles Anſehen, als wollte man fich zur
Wehr ſetzen und ſich halten. Allein blitzſchnell rückten
die Franzoſen von Stein und Schaffhauſen vor, und
ehe es in Hohentwiel bemerkbar war, umkletterten ſie
ſchon, den Ziegen gleich, den Berg, beſetzten den
Maierhof und kamen ungehindert bis an das Thor
der unteren Veſtung. Dieß geſchah gegen 11 Uhr,
und eine Stunde ſpäter ließ der franzöſiſche General
Vandamme, der den Vortrab des rechten Flügels
führte, die Veſtung durch ſeinen Adjutanten zur
Uebergabe auffordern. Jetzt wurde in der größten
Beſtürzung Kriegsrath gehalten. Man konnte zu kei—
nem Beſchluſſe kommen, und äußerte gegen den Ad—
jutanten nur ſo viel, daß die Antwort ſchriftlich er—
folgen werde. Dieſe wurde offen durch den Haupt—
mann von Rieger nach Singen gebracht, und dem
Adjutanten über die Mittagstafel übergeben. Er las
ſie flüchtig durch, und am Ende fragte er, wie weit
Stuttgart von hier entfernt ſei? Man ſagte es ihm,
und man konnte aus dieſer Frage ſchließen, daß der
Veſtungs-Kommandant darauf antrage, eine Anfrage
in Stuttgart beim Herzog zu machen. Was der
Adjutant erwiederte, beſtärkte dieſe Vermuthung; denn
er ſagte hierauf: dieſer Antrag würde zu lange auf—
halten. Daher nahm er den Hauptmann v. Rieger
zum General Lecourbe ins Lager, welches ein Büchſen—
ſchuß vom Orte entfernt war. General Leeourbe
wies die Sache ganz von ſich und an den General
Vandamme. Dieſer erklärte ſodann, daß er dem
*
76
Kommandanten zwei Stunden Bedenkzeit geſtatte, ob
er gegen billige Kapitulation die Veſtung übergeben
oͤder Gewalt abwarten wolle. Sobald Rieger dieſe
Aeußerung auf die Veſtung überbracht hatte, wurde
berathen, was nunmehr zu thun ſei. Das Reſultat
fiel dahinaus: daß man unterhandeln, aber vorzüg—
lich darauf beſtehen müſſe, daß die Veſtung nicht
geſchleift würde. Bilfinger ſträubte ſich gegen dieſen
Entſchluß, unterſchrieb aber doch in der Folge die
Uebereinkunft. Der einzige Titular-Hauptmann von
Reizenſtein blieb ſtandhaft dabei, man ſolle an keine
Uebergabe denken, ſondern den Platz bis auf den
letzten Mann vertheidigen; er unterſchrieb auch nie,
weßhalb er bald durch den Herzog zum wirklichen
Hauptmann befördert wurde, da hingegen die übrigen
Offiziere alle kaſſirt, und wie bekannt, zum Theil
ſehr hart beſtraft wurden. In Folge dieſer Ueberein—
kunft kamen Obriſt Wolf und Hauptmann Graf
Zuggato in das franzöſiſche Lager. Hier wurden die
weiteren Punkte der Kapitulation verabredet, und
General Vandamme gab alle Hoffnung, daß die
Veſtung nicht geſchleift werden ſolle. Uebrigens kam
man darin überein, daß die untere Veſtung den
Franzoſen eingeräumt, ſpäter die Kapitulation näher
beſtimmt und gegen einander ausgewechſelt werden
ſollte. Um 5 Uhr Abends zogen alſo die Franzoſen
in die untere Veſtung — und nach 7 Uhr meldeten
ſich die zwei obengenannten Offiziere, in Begleitung
des Auditors Märklin, bei dem General Vandamme,
Er
um die Kapitulation ins Reine zu bringen. Sie
wurde Nachts 11 Uhr im Pfarrhof, weil in der
Obervogtei, wo Vandamme ſich einquartiert hatte,
kein Platz war, zu Stande gebracht und unterſchrie⸗
ben. Die Punkte derſelben ſind bekannt, aber ſchreck—
lich war für Wolf der Beiſatz, daß General Van—
damme ſich blos bei dem franzöſiſchen Gouvernement
verwenden wolle, um die Veſtung unzerſtört zu erhalten.
Wolf konnte bald einſehen, wie er getäuſcht worden
ſei, und deßhalb ſein Schickſal ahnen. Er äußerte
des andern Tages: er ſehe voraus, daß er verloren
ſei. In der gewiſſen Vorausſetzung, der Veſtung
ſowohl an ſich, als auch der Garniſon, durch freien
Abzug mit ihrem Bischen Eigenthum, und der Ge—
gend durch Abwendung der Verheerung, in welche ſie
durch eine längere Blockade verſetzt worden wäre, eine
Wohlthat zu erweiſen, habe er in die Kapitulation
eingewilligt, bei dem Herzog aber Gnade und Zu—
friedenheit gehofft, daß er unter den obwaltenden
Umſtänden wenig Bedacht genommen habe, die Veſtung
in ihrem Weſen zu erhalten, allein der unbeſtimmte
Zuſatz in der Kapitulation, wegen Schleifung der—
ſelben, werde ſein Verderben vollenden. Er ſah
richtig der unglückliche Mann, aber zu ſpät. Er
war Vater ſeiner Garniſon, ein Menſchenfreund und
in der ganzen Gegend beliebt. Wie hart mußte er
büßen, daß er zu wenig Soldat und nicht an feinem:
Platz geweſen; aber ſeinem Fürſten war er treu und
ergeben. In Folge der Kapitulation wurden die
—
78
Franzoſen Meiſter der ganzen Veſtung, und fie zogen
den 2. Mai, früh gegen 11 Uhr, ein, nachdem die
Garniſon mit Wehr und Waffen, die ſie aber außer
dem Thore ablegen mußten, ausgezogen war. Traurig
war der Anblick dieſer unter freiem Himmel wohnen:
den Menſchen, bemitleidenswerth ihr Loos, indem ſie
jetzt von den Franzoſen das Brod betteln mußten,
und zur Fortbringung ihrer Effeeten und Kinder
ihnen von Seite des Herzogs alle Hülfe und Unter—
ſtützung abgeſchlagen worden war. Die unter dem
Berg liegende Ortſchaft Singen nahm ſich der Un—
glücklichen thätig an, und wendete an 1000 Thaler
daran, ohne je dafür Erſatz zu erhalten. — Wie die
Franzoſen in der ſo leicht gewonnenen Veſtung mit
dem, was ſie darin fanden, ſchalteten, läßt ſich wohl
denken. Bis der Befehl zur Zerſtörung der Veſtung
ankam, beſetzten ſie dieſelbe mit einer Kompagnie
Infanterie, unter dem Kommando des Bataillon-Chefs
Laurent. Die Zerſtörung begann den 17. Oktober
1800 und endete am 31. März 1801. Im Anfang
mußten die umliegenden Dörfer 300 Mann zu dieſem
Geſchäft ſtellen und ſpäter 500. Die Franzoſen
ſtellten eine Kompagnie Mineurs, die nicht nur die
Veſtungswerke, ſondern ſogar einige der Felſen mit
Pulver ſprengten, um überall traurige Zeichen zu
hinterlaſſen, daß Franzoſen da geweſen. Zum Mit⸗
wirken wurden gezogen: Ueberlingen, Blomberg, Hü—
fingen, Radolphzell, Landſchaft Nellenburg, Amt
Reichenau und Oeningen, Tuttlingen, Möringen, die
79
Reichs⸗Ritterſchaft Engen mit Bezirk, Mainau, Blu:
menfeld, Thengen, Hilzingen und Singen. Sogar
and dem fernen Amt Balingen ſollen zu dieſem
Zweck Leute requirirt worden ſeyn. Koſtſpielig waren
die gezwungenen Arbeiten, weil ſie ſich ſehr in die
Länge zogen. Man würde zwar in zwei Monaten
dem Geſchäft ein Ende gemacht haben, wenn es nicht
mehr darum zu thun geweſen wäre, Eiſen, Kupfer
und Holz zu gewinnen, welche ſämmtlich verkauft
wurden, und wovon der Gewinn den franzöſiſchen
Aufſehern der Zerſtörung in den Sack ſchlüpfte,
welche auch abſichtlich die Arbeit nicht ſehr beſchleu—
nigten, um deſto länger im Sold zu ſtehen.
So fiel Hohentwiel, die weitgeprieſene Veſte, 262
Jahre, nachdem ſie an Württemberg gekommen war,
166 Jahre, nachdem der treue Widerhold die Ver—
theidigung übernommen hatte. — Seit der ſchmach—
vollen Uebergabe der Veſte iſt Hohentwiels Name
aus der Geſchichte verſchwunden, jedoch iſt ſie noch
immer ein Gegenſtand der Aufmerkſamkeit unſeres
erlauchten Fürſtenhauſes. Seitdem hat ein Aufſeher
die Sorge darüber, um die Trümmer vor vandali—
ſchen Händen neuerer Zeit zu bewahren. Von Zeit
zu Zeit wird zur Erhaltung des Einzelnen noch
manche ſchöne Summe ausgegeben.
Der unter der Veſte liegende Hof iſt in die Hand
dreier Pächter gegeben; für dieſe und für eine ganze
Gemeinde von 40 Seelen (den dazu gehörenden
Bruderhof mitgerechnet) iſt ein Geiſtlicher angeſtellt,
—
\
80
welcher zugleich die Schule beſorgt. So lebt Wider:
holds Andenken noch im Segen ſort; die Kirche, die
er ſtiftete, iſt an den Fuß des Berges verpflanzt —
auf der Burg ſelbſt aber iſt ſeit dem Jahre 1838
ſein in Metall gegoſſenes Bild aufgeſtellt, welches
uns an den theuren Mann erinnert, der nicht nur
als Held auf dieſem Berge ſich unſterblichen Ruhm
erwarb, ſondern auch den Grundſtein dazu legte, daß
jetzt noch das Wort der evangeliſchen Wahrheit da—
ſelbſt verkündigt wird.
Der ſo ſagenreichen Geſchichte Hohentwiels fügen
wir noch eine Geſchichte bei, die ein fleißiger Sammler
ſchwäbiſcher Sagen, der edle 3 3 Ma⸗
genau, uns Wehen hat.
Herr Reinhold von Hohentwiel.
Die Edelfrau von Hohentwiel hatte ſeit fünf Jahren
ihren Gatten, der zwei Jahre nach ihrer Vermählung
in's gelobte Land gezogen, und nicht mehr zurückge—
kehrt war, mit zahlloſen heißgeweinten Thränen be⸗
trauert. Doch der tiefſte Schmerz verliert ſeinen
Stachel, der reichſte Thränenquell verſiegt, wenn die
Zeit ihre lindernde Hand auf das Herz des Menſchen
legt und ſeine heißen Schläge beſänftiget. So auch
hier. Die ſchöne Edelfrau lebte einſam auf ihrem
Schloſſe, mit weiblicher Arbeit beſchäftiget, und ver⸗
ließ daſſelbe nur, um in den Hütten der Armuth als
Tröſtungsengel zu erſcheinen. Von Zeit zu Zeit
81
beſuchte ſie ein Freund ihres Mannes, ein junger
und ſchöner Ritter, für den manches Frauenherz in
verborgener Liebe ſchlug, und deſſen Namen jede Lippe
pries. Seine Beſuche auf Hohentwiel wurden häufiger,
die freundſchaftliche Theilnahme löste ſich auf in
feurige Liebe von ſeiner Seite, in ſtille Ergebenheit
von Seite der Burgfrau. Was tief im Herzen lebt
und athmet, das kann nicht lange hinter dem Schloſſe
der Lippen verborgen bleiben, es bricht ſich Bahn und
tritt hinaus in das geſchäftige Leben, wo es Wurzeln
ſchlägt, zum reichen Blüthenbaume wird, und oft die
ſchönſten Früchte trägt. Gedachte auch die junge
Wittwe noch ſehr oft ihres Gatten in inniger Liebe,
ſehnte fie ſich auch zurück in die früheren ſchönen
Stunden ihrer kurzen Ehe, jo konnte ſie doch hoffen,
mit dem Jugendfreunde deſſelben ein nicht minder
glückliches Leben zu führen, dem zwar die Blüthen-
friſche der erſten Liebe abgeſtreift war, das aber an
Erfahrung reicher, an ſtillem, ruhigem Glück nicht
ärmer ſein würde.
Das ſchöne Paar ſaß auf der Zinne von Hohen—
twiel und blickte hinaus in die reiche blühende Ebene,
auf die waldbedeckten Hügel, die von der ſcheidenden
Sonne mit dunkelm Roth beleuchtet waren. Nach—
läßig ruhte die Laute in der Hand der Edelfrau, die
vor einigen Minuten ein Minnelied mit ihrer glocken—
hellen Stimme geſungen hatte und mit dem Geiſte
des Liedes Zwieſprache zu halten ſchien. Ein leichter
Schleier ſchwärmeriſcher Sehnſucht hatte ſich über ihre
II. 6
®
82
holden Züge verbreitet, und ſinnend haftete ihr Auge
auf den Zügen ihres künftigen Gatten, als wollte
ſie ihre Zukunft in den Blicken deſſelben leſen.
Da erſchien ein Pilger an der Zugbrücke des
Schloſſes und begehrte Einlaß, der ihm auch ſogleich
gewährt wurde, denn noch niemals ging ein Wanderer
unerquickt, ein Armer unbeſchenkt oder ungetröſtet den
Berg wieder herab. Der Pilger aber ſchien tief be—
wegt, er verſchmähte Speiſe und Trank und verlangte
nur, die Herrin zu ſprechen. Auf der Zinne ange—
langt, konnte er kaum die Thränen zurückhalten,
und ſeine Rede, Anfangs unſicher und ſchwankend,
fand erſt ſpäter einen ruhigen Gang. Er gab vor,
den Burgherrn gekannt zu haben, ſchilderte mit Feuer
und Beredtſamkeit die harten Kämpfe, welche dieſer
gegen die Sarazenen gekämpft, wie er umringt, ver—
wundet und nach langer verzweifelter Gegenwehr end—
lich gefangen wurde. Ein hartes trauriges Loos
traf nun den Armen, der in finſterer Kerkernacht langſam
genas, und kaum geneſen, ſchwere Arbeiten verrichten
mußte. Dem ſchönen Auge der Edelfrau entſanken
Thränen des aufrichtigſten Schmerzes bei der Kunde
von dem Leiden ihres Gemahles. Der Pilger aber“
fuhr in ſeiner Erzählung fort, wie die Qualen des
Geiſtes und Körpers ſich vereinigten, den Leidenden
immer näher an den offenen Rand des Grabes zu
führen, wie der Erliegende ſeinem Unglücksgefährten
den Trauring gab, denſelben als letztes Pfand ehe—
licher Liebe und Zärtlichkeit zu überreichen.
83
Nachdem dieſe den einfachen Goldreifen geküßt und
lange betrachtet hatte, ſteckte ſie ihn an den Finger
und ſagte, ſie wolle ſich neuerdings als Frau be—
trachten, ihrem Mann auch im Tode noch die Treue
bewahren, und die neue bevorſtehende Verbindung
nicht eingehen. — Umſonſt waren die Bitten des
Ritters, umſonſt die Betheurungen ſeiner Liebe; das
edle Weib blieb ſtandhaft bei dem an
Vorſautze.
Da warf der Pilger das entſtellende graue Haar
und den grauen Bart weg, und Herr Reinhold ſtand
in vollendeter Mannesſchönheit vor der geliebten
Gattin, die mit einem lauten Schrei halb ohnmächtig
an ſeine Bruſt ſtürzte. Herr Reinhold von Hohen—
twiel hatte, nachdem ihn ſeine zweite Krankheit bei—
nahe getödtet, endlich Gelegenheit zur Flucht gefunden,
und war nun in Liebe und Hoffnung zu ſeiner theuren
Frau heimgekehrt. Das ſelige Paar ſtand umſchlungen
in heißer Liebe, und Minuten vergingen, ehe ſich die
zwei des anweſenden Freundes erinnerten. Der ſtand
da mit Thränen in den Augen, Freude in den Zü—
gen; er umarmte ſeinen Freund, reichte deſſen Haus—
frau mit einem innigen, wehmüthigen Blicke [die
Hand, und verließ ſchweigend das Schloß.
Nach einem Jahre kehrte er wieder zurück, nachdem
ſeine Leidenſchaft ſich gekühlt, ſeine Liebe ſich in
innige Freundſchaft aufgelöst hatte.
Nun erſt war das Glück der Eheleute vollkommen,
da ſie auch den Freund wieder in ihrer Mitte hatten.
4
ir
7
84
Die Heldenjungfrau von Hohentwiel.
Es war ein lieblicher Abend am Ende des Julius—
Monats des Jahres 1639, da ſaß unter der Linde
im Hof der Veſte Hohentwiel eine Heldengeſtalt in
den beſten Mannesjahren. Seine hohe Stirne mit
Furchen durchzogen zeigte, daß er zu den Männern
gehörte, welche in der Welt ſchon manches erfahren;
das dunkle feurige Augenpaar harmonirte gar wohl
mit dem pechſchwarzen Haare, das oben geſcheitelt
in langen Locken ihm bis auf die Schultern wallte.
Es war der Oberſt Konrad Widerhold, ſeit ſechs
Jahren wohlbeſtallter Kommandant der Veſte Hohen:
twiel. Gerade pflegte er einiger Raſt unter der Linde,
denn ſoeben hatte er Kriegsübungen mit feiner Mann-
ſchaft geendigt. Schon ſeit zwei Jahren hatte ſich die Veſte
noch der Ruhe eines Waffenſtillſtandes zu erfreuen, den
der kaiſerliche Oberſt Vizthumb nothgedrungen mit
Widerhold geſchloſſen hatte. Während dieſer Zeit
übte Widerhold jeden Nachmittag in eigener Perſon
ſeine Soldaten. Kein Kriegsheld ſeiner Zeit that es
ihm zuvor in der Kunſt, Soldaten-Gewehre recht
und zierlich zu gebrauchen, die Piquen zu fällen,
Fahnen zu ſchwingen, Compagnien und Regimenter
in ſchöne Ordnung zu ſtellen, und in der Fecht- und
Bau⸗Kunſt. Dieß alles waren Gegenſtände, die
Widerhold ſeinen Untergebenen beizubringen ſuchte.
Darum war ihm aber auch die Ruhe unter der Linde
85
fo willkommen; wenn die Uebungen vorüber waren,
da überließ er ſich dann ganz ungeſtört dem Nach—
denken über die wichtigen Ereigniſſe, die ſeit 20 Jahren
über Deutſchland hingegangen, die an ſeiner Veſte
geſtreift, und ſie zum Theil ſelbſt betroffen hatten.
Solchen Gedanken hatte Widerhold auch dießmal ſich
überlaſſen; man konnte es leicht ſchließen aus ſeiner
nachdenklichen Stellung, denn er hatte ſein Haupt
auf den Arm geſtützt, und ernſt und nachdenklich
war ſeine Miene. Auf einmal ward er geſtört in
ſeiner Ruhe, mit haſtigen Schritten nahte ihm ein
junger Offizier, verbeugte ſich tief und überreichte
ihm ein Schreiben. Haſtig erbrach es Widerhold, er
hatte kaum einige Zeilen geleſen, ſo wurde ſein Ge—
ſicht mit Bläſſe überzogen und das Papier zitterte
unter ſeinen Händen; er ſank zurück an den Stamm
der Linde und verhüllte ſchmerzvoll ſein Geſicht. So
biſt du denn auch dahin, du edler Bernhard, ſeufzte
Widerhold, und Thränen rollten über feine Wangen;
jo biſt du denn auch dahin, du letzter Kämpfer für
unſern theuren Glauben, im Laufe deiner Siege, in
deinen blühendſten Jahren. Aber nicht biſt du ge—
fallen auf dem Feld der Ehre, wie dein edler Waffen—
freund, der theure Glaubensheld Guſtav Adolph, du
biſt ein Opfer deiner heuchleriſchen Freunde geworden.
Wer hätte das geglaubt, als du, wackerſter der
deutſchen Männer, noch vor kurzer Zeit in dieſen
Mauern wandelteſt, Jedem, der dich erblickte, zur
Freude und zur Bewunderung. — Es war die Nach—
—
—
86
richt vom Tode des großen Herzogs Bernhard von
Weimar, die Widerhold ſoeben mit Schmerzen ver⸗
nahm. Herzog Bernhard ſturb zu Neuburg den 18.
Juli mitten in ſeiner Heldenthätigkeit, und nicht ohne
Grund war in dem Schreiben die Vermuthung aus—
geſprochen, daß er Gift bekommen, wahrſcheinlich
durch des franzöſiſchen Cardinals von Richelieu Hand.
Am Arm des gleichfalls betrübten jungen Ofſtziers,
der ihm das Schreiben überbracht hatte, kehrte Wi—
derhold in ſeine Wohnung zurück und ließ ſeinem
Schmerze freien Lauf. Der junge Offizier hatte
kaum das Gemach, auf das er den Kommandanten
begleitete, betreten, da hörte er ſeinen Namen rufen;
eine liebliche Mädchenſtimme ſprach hinter ihm: Herr
Kapitän, nur ein Wort! was iſt denn dem Herrn
Kommandanten begegnet, daß er ſo bleich und traurig
blickt? Ach! erwiederte der Offizier, er hat eine für
uns alle böſe Zeitung bekommen, ein wackerer Ber:
fechter unſeres Glaubens, der Herzog Bernhard von
Weimar, iſt Todes verſchieden. Gott ſeye ſeiner
armen Seele gnädig! ſprach das Mädchen mit ernſter
Miene. Nicht wahr, weil er ein Kezer war, fügte
der junge Offizier bei, aber jetzt ſtehet es übel mit
uns, der wackeren Helden ſind wenige mehr. Ach!
was möget Ihr fo ſprechen, entgegnete das Mädchen,
lebt nicht noch unſer Herr Kommandant? und Ihr —
Ihr ſeid doch auch etwas Rechtes. Das Mädchen
hatte kaum ausgeſprochen, da erſchallte die zürnende
Stimme einer Dame aus dem Nebengemach, es war
87
Frau Hermegard, die Ehegattin Widerholds. Böſe
Schwätzerin, ſprach ſie, geh in die Stube, was brauchſt
du dich mit Männern zu unterhalten, um deine
Neugier zu befriedigen, bleib ſitzen an deinem Ge—
ſchäft, daß nicht der Tag wieder unnütz vorüber geht,
biſt ohnedieß heute ſo ſpät aufgeſtanden. Hermegard
ging nach dieſer kurzen Predigt wieder in ihr Gemach
zurück, Margarethe verabſchiedete ſich ein wenig ver—
legen und trippelte in die Stube, aus der ſte ge—
kommen war. Heute nach dem Eſſen an der Linde
Mehreres! rief ſie halblaut im Gehen noch dem jungen
Manne zu, und verſchwand. Der Offizier, den wir
eben anführten, war der Schwede Guſtav Schönhelm,
Kapitän der Reiterſchwadron, welche Herzog Bern—
hard nach ſeinem Vertrage, den er mit Widerhold
wegen Hohentwiel geſchloſſen hatte, auf die Veſte
legte. Er war einer von jenen Reitern geweſen,
welche ſich in der Schlacht bei Lügen über des großen
Königs Leiche warfen, als ſich der Kaiſerliche Oberſt
Max Pikkolomini derſelben bemächtigen wollte. Seit—
dem war er Zeuge aller Kriegsthaten des großen
Bernhards, und ſchwang ſich durch Manneskraft bis
zu dieſer Stelle. Bei all' dem war er kaum noch
aus den Jahren des Jünglings getreten. Wie ſein
inneres Weſen dem eines werdenden Königshelden
glich, ſo war auch ſein Aeußeres einem Helden gleich.
Schlank und kräftig war ſein Körperbau, lange blonde
Locken, die in Ringeln bis auf ſeine Schultern
wallten, ſowie das blaue hellglänzende Augenpaar,
*
88
zeigten den Jüngling von ächt germaniſchem Stamme,
ein Stutzbärtchen über dem lieblichen Munde und ein
Knebelbärtchen am ſchön geformten Kinn, den Kriegs—
mann aus dem 30jährigen Kriege. War es dem—
nach ein Wunder, daß Margarethchen, mit blonden
Locken und blauen Augen, das Pflegtöchterlein des
Herrn Kommandanten, ſich zu dem jungen Manne
ſo innig hingezogen fühlte, daß ſie ſo gern ans
Fenſter trat, wenn der blonde Schweden - Offizier,
angethan mit dem enganliegenden Goller, über dem
ein breiter Kragen mit Brüßlerſpitzen lag, umſchlun—
gen von einer koſtbaren Schärpe, und auf dem Haupt
einen Hut mit ſchwankenden Federn auf ſeinem ſchäu—
menden Schimmel, an der Spitze ſeiner Reiterſchwadron
auf der Parade erſchien.
Wie konnte man es aber dem lieben Mädchen
verargen, wenn ſie ſo gerne jede Gelegenheit erhaſchte,
wo ſie ein Wörtlein mit ihm ſprechen konnte. Auch
er war ihr nicht abhold, nur Schade, daß verſchiedener
Glaube fie äußerlich trennte, da doch ihre Herzen
einander ſo nahe waren. Margaretha war Katholikin.
Ein wunderbares Schickſal hatte ſie auf Hohentwiel
unter Proteſtanten geführt. Bis in ihr 12. Jahr
war ſie in dem unter der Veſte gelegenen Dorfe
Singen von ſchlichten Bauersleuten erzogen. Da ge—
ſchah es einmal, daß Widerhold in einer Zeit, als
die Veſte noch nicht von Feinden gefährdet war, einen
Beſuch im Dorfe machte. Zufällig begegnete ihm
das Mädchen auf der Straße. Beim erſten Anblick
89
überrafchte ihn die edle Geſichtsbildung des Kindes,
er fragte nach ſeiner Wohnung, und erfuhr von denen,
die ihm das Mägdlein als ſeine Eltern vorzeigte,
daß es nicht ihr eigenes Kind wäre, ſondern, daß
fie es noch als Kind in den Windeln vor ihrem
Hauſe gefunden. Aus Menſchenpflicht hätten ſie ſich
ſeiner angenommen, und bei ihrer Armuth und der
nicht unbedeutenden Anzahl ihrer eigenen Kinder,
hätten ſte es redlich und ehrlich aufgezogen. Der
menſchenfreundliche Widerhold machte ſogleich den
Pflegeltern den Vorſchlag: ob ſie ihm das Kind zur
weiteren Erziehung anvertrauen möchten? Man gab
es ihm nach langem Bitten, denn man kannte den
edlen Sinn des Mannes in der ganzen Gegend; nur
der Pfarrer des Dorfes widerſtrebte, daß dieſes Kind
unter Leute anderer Confeſſion kommen ſollte. Doch
ließ er es zuletzt geſchehen, als ihm das Mägdlein
hoch und theuer verſprach, feinem Glauben treu zu
bleiben und jeden Sonntag getreu die Kirche zu
Singen zu beſuchen. So kam Margaretha auf
Hohentwiel und wuchs heran zur blühenden Jungfrau
von 18 Jahren, unter der Aufſicht eines liebenden
Pflegvaters, des Kommandanten Widerhold und ſeiner
Gattin Hermegard, die wohl minder freundlichen Ge—
müthes war, denn ihr Eheherr, aber doch eine Frau
von anerkannt rechtſchaffenem Sinn. Das mußte
freilich Margaretha oft erfahren, wie fo ſtrenge und
oft gar wunderlich Frau Hermegard war, aber darum
war ſie doch ihrer Pflegmutter von ganzem Herzen
—
90
zugethan. Erſt heute hörte fie es, als ſie mit dem
jungen Kapitän ſprach; obwohl ſie ſich heute eine
Rüge von ihrer Pflegmutter zugezogen hatte, war ihr
doch die Erlaubniß geworden, den Abend unter der
Linde zuzubringen. Ungewöhnlich hatte ſich dießmal
eine kleine Geſellſchaft unter der Linde verſammelt,
doch ſie fand ja den, der ihr der wertheſte war.
Kapitän Schönhelm hatte ſich ſchon vor einer Stunde
hieher begeben. Ihr habt heute lang auf Euch warten
laſſen, begann er zu Margarethen, die ſich bald in
ſeine Nähe geſetzt hatte — vielleicht hat Frau Herme-
gard den zweiten Theil ihrer Predigt abgehandelt?
Er ſprach dieß etwas ſchelmiſch lächelnd. O nein,
entgegnete Margaretha, meine liebe Pflegmutter weiß,
daß kein zweiter Theil nöthig iſt. Weil, fiel Schönhelm
ihr ins Wort, bei Euch der erſte Theil ſchon fruchtet.
Aber es iſt auch kein Wunder, daß ſie ſchmähte, hat ja
die ſtrenge Katholikin mit einem Kezer geſprochen, ſprach
Margaretha. Gegen den Ihr aber hoffentlich nicht ſo
feindſelig geſinnt fein werdet, wie es leider in dieſen be⸗
trübten Zeiten iſt, ſetzte halb fragend Schönhelm hinzu.
Das iſt eine Frage, die ihr euch ſelbſt beantworten könnet.
Aber erzählet mir doch etwas Näheres über die Trauer
botſchaft, die mein Herr Pflegvater erhielt, bat Mar⸗
garetha mit freundlicher Stimme den Kapitän. Er⸗
laßt mir die Erzählung von dem Tode des großen
Bernhards, ſeufzte Schönhelm, ſie würde mir nur
den Abend verbittern. Gewiß, forſchte Margaretha,
91
hat ſein Tod Vermuthungen nach ſich gezogen, die
den Proteſtanten eben ſo wenig Ehre bringen, wie
eures großen Helden Guſtav Adolf's Tod. Auch über
deſſen Tod könnet ihr mir gewiß das Beſte berichten,
man ſagt ſo Mancherlei. Ihr waret ja, ſo viel
ich höre, um ihn, als er um ſeinen Glauben das
letztemal focht. Ja wohl, ſagte Schönhelm, als er
für ſeinen Glauben focht, wie noch Keiner.
Ich will Euch erzählen, werthe Jungfrau, auf daß
Ihr erkennen möget, wie der Glaube dem Menſchen
Kraft verleihet, auch ſein Theuerſtes, das Leben hin—
zuopfern. Ich will erzählen von dem theuren Helden,
ob auch die Erinnerung mir noch ſo ſchmerzlich iſt,
von der Schlacht bei Lützen, wo er ſo ruhmvollen
Tod fand. Es ſind jetzt neun Jahre verfloſſen ſeit
jenem denkwürdigen Tage, als der Held auf deutſchem
Boden landete. Ich begleitete ihn als gemeiner Reiter
zu dem heiligen Werke, mit voller Luſt des Herzens.
Nie werd' ich vergeſſen den Augenblick, als wir
landeten auf der Inſel Rügen. Es war gerade in
dieſem Monat, da kniete der große König nieder und
betete, und das ganze Heer mit ihm; ſo kräftig hatte
ich noch nie gebetet. Wie aber das Beginnen des
frommen Königs war, ſo war auch ſein Enden.
Von Sieg zu Sieg ward mir das Gluck, den Helden
zu begleiten, aber auch zu ſeinem Tode in der Ent—
ſcheidungsſchlacht bei Lützen. Es war zwei Jahre
nach unſerer Landung, am 16. November des Jahres
1632, als wir bei Lützen zur Schlacht gegen Wallen—
—
92
ſtein auszogen. Ein dicker Nebel bedeckte noch das
Gefilde, hell und feierlich erklang auf unſerer Seite
des theuren Mannes Lutheri Lied: „Eine feſte
Burg iſt unſer Gott“, dazwiſchen Trompeten⸗
und Paukenſchall, und nach dieſem das Lied: „Es
woll' uns Gott genädig fein“.
Unſer König warf ſich nieder auf ſeine Kniee
und betete mit ganzer Seele um Sieg für die gerechte
Sache, und Jeder von dem Heere ſtimmte mit ein.
Der Nebel fing l an, ſich zu zerſtreuen; da ſchwang
ſich Guſtav Adolf auf ſein Pferd; freudig wie die
Sonne, die jetzt herniederblickte, ſaß er auf dem Roſſe.
Er ſtellte ſich an den rechten Flügel, den linken führte
ſein Genoſſe Herzog Bernhard von Weimar, der ihm
jetzt auch gefolget im Tode, und nun rief er, das
Heer durchreitend: Nun wollen wir dran! Das
walt der liebe Gott — Jeſu! Jeſu! hilf
mir ſtreiten zu deines Namens Ehr! Als man
ihm einen Harniſch bot, ſprach er: „Gott ift mein
Harniſch!“ Mit dem Rufe: Gott mit uns!
ſtürzten wir in's Treffen. Ein mörderiſches Gefecht
begann. Der Vortheil war zuerſt auf unſerer Seite,
aber Pappenheim kam mit ſeinen Reitern, und der
rechte Flügel wankte, der König eilte dem Bedrängten
zu Hülfe, aber er ſprengte zu weit voran. Ich mit
wenigen andern folgte ihm, denn ich hatte ihn bis—
her nicht verlaſſen. Da traf den Wackeren ein Schuß
in den Arm, daß er beinahe vom Pferde ſank. Der
König iſt erſchoſſen! riefen die Unſern. Guſtav Adolf
93
wandte ſich und rief laut: es iſt nichts, folget mir!
da bekam er einen zweiten Schuß in den Rücken.
Mit dem Seufzer: „Mein Gott, mein Gott!“ ſank
er vom Pferde. Er fiel in meine Arme. So ſtarb
der edle König den Märtyrertod für den Glauben.
Schönhelm endete. Thränen, die reichlich über ſeine
Wangen rollten, unterbrachen ſeine Worte. Auch
Margarethens blaue Augen ſtanden voll ee
ſie konnte ſie nicht mehr zurückhalten.
Das iſt die Wahrheit, fügte Schönhelm * einer
Pauſe ſeiner Erzählung bei, und nicht, wie unſere
Feinde lügen, daß ihn eines Verräthers Kugel von
unſerer Seite getroffen. Was ich mit den Augen
geſehen, das bezeuge ich auch, ſo wahr mir Gott
helfe. Glücklicher Mann, ſprach Margaretha, daß
ihr einem ſolchen Helden zur Seite ſtehen durftet,
im Kampf und im Sterben, es muß ein ſeliges Ge—
fühl ſein. Aber, Herr Kapitän, ſo gerne ich länger
zuhören möchte, ich muß nach Hauſe, ſehet! wir ſind
die letzten unter der Linde. Zudem muß ich heute
noch Manches ordnen, weil morgen Sonntag iſt und
ich gerne in die Kirche gen Singen gehen möchte.
Margaretha, ſprach der Kapitän, iſt Euch nicht unſere
Kirche näher? Glauben wir nicht Alle an Einen
Gott? Iſt nicht Ein Gott und Eine Liebe? —
Er ergriff Margarethens Hand, hielt ſie lange in der
ſeinigen, während ſie gar nicht widerſtrebte, und
wandte ſich aber, um ihre Thränen zu verbergen, die
von Neuem hervorbrachen. Ich kann nicht anders,
94
ich darf nicht anders, antwortete die Jungfrau be⸗
deutungsvoll; ſie ſagte: Gute Nacht! und ging nach
Hauſe. |
Es war einige Tage nachher — da trat Kapitän
Schönhelm in das Gemach des Kommandanten. Mein
Herr Obriſt, ſprach er, indem er ihm einen Brief
überreichte, ich bring euch wieder böſe Nachricht zum
Nachtiſch. Soeben kommt ein Bote von Engen mit
dieſem Schreiben. Kaiſerliche Völker haben ſich am ganzen
Bodenſee zuſammengezogen, zu Engen liegt ſchon der
General Feldmarſchall und Obriſt Gottfried Huhn
von Gelern, er läßt euch ſeinen Gruß melden. Das
hab ich mir gedacht, entgegnete Widerhold, ohne von
der Botſchaft überraſcht zu werden. Das ſind die
Früchte von unſers großen Bernhards Tod. Weil
der Adler todt iſt, ſo ſind die Vögel wieder Meiſter.
Er erbrach langſam den Brief, ein zweiter war ein—
geſchloſſen. Den Inhalt kenne ich, rief Widerhold
während des Leſens, ich brauche ihn nicht zu durch—
leſen. Der Herr Feldmarſchall will meine Veſte,
weil ſie durch Bernhards Verſcheiden keinen Herrn
mehr habe. Er will ſie durch Schmeichelworte, ſtatt
mit dem Schwert; nein, ſo bin ichs nicht gewohnt!
Aber es ſcheint, er habe einen Fuͤrſprecher beigelegt.
Ach! der iſt von Stuttgart, er hat den rechten Weg
genommen und durch die rechte Hand. Und von dem
Herzog, ja ich ſehe ſein Poſtſeript und von eigener
Hand. Er las: „Wofern du Widerhold Uns noch
mit Treuen meineſt, wirſt du dieſem Befehl Folge
95
leiſten, und deine Treu’, Ehr' und Namen zu retten,
dich mit befohlener Lieferung dieſes Hauſes nicht
länger aufhalten, ſondern eines endlichen gegen uns
erklären.“ So, ſo, rief Widerhold, als er geleſen,
das iſt alſo eure Handlungsweiſe, wenn ihr euch
Mühe erſparen wollt, ihr nichtswürdigen Feinde.
Den Schwachen treibet ihr in die Enge, daß er ja
ſagen muß zu eurer Bosheit, daß er euch die Hand
bieten muß, um eure böſen Pläne durchzuführen.
Nein, nimmermehr, es ſoll euch nicht gelingen. Ach!
fo weit iſt es gekommen mit dem erlauchten Haus
der Wirtemberger, daß ſein Fürſt ein Spielball iſt
in der Hand ſeiner Feinde, daß er tanzen muß nach
ihrer Pfeife. Nein, mein ſchwacher Fürſt, mein un—
glücklicher Gebieter, ich folge dir nicht, ich kann dir
nicht folgen, wenn ich meine Treue, meine Ehr' und
Namen retten will! Ich kann das Haus nicht den
Feinden übergeben, auf dem dein Unglücks-Bruder,
dein Ahnherr Ulrich, einzige Zuflucht fand in ſeiner
Noth, ich muß treu handeln an deinem Hauſe, daß
nicht du ſelbſt und die Nachwelt meiner Untreue
fluche! Ich will nicht weichen, mit Gottes Hülfe,
ich will dir eine reine Jungfrau wieder geben, wenn
der Vater im Himmel deine Noth wendet! Ich will
meinen letzten Tropfen Blut vergießen für dieß Haus.
Auch ich, ſprach Schönhelm, der die dargebotene
Rechte Widerholds ergriffen und an feine Bruſt drückte,
auch ich will aushalten, ſo wahr mir Gott helfe!
führ es zum Leben oder zum Sterben.
96
Margaretha, die ſich eben im Nebengemach befand,
hörte das letzte Wort, und Schauder bebte durch ihre
Glieder, denn ſie wußte, daß die Schweden Wort
halten. — Nun mein Sohn, ſprach Widerhold, will
ich auch dem Feld-Marſchall antworten, aber dieſe
Antwort ſoll er nicht an's Fenſter ſtecken. Er ſetzte
ſich und ſchrieb einen kurzen Brief, den er dem
Kapitän übergab. Und die Antwort auf des Her—
zogs Brief? fragte Schönhelm. Die iſt in der Feder
geblieben, mein Sohn! Keine Antwort iſt auch eine
Antwort, entgegnete bedeutungsvoll Widerhold. Schön—
helm ging, in wenigen Stunden war der Brief an
Ort und Stelle.
Bald zeigte ſich, was der Innhalt von Widerholds
Brief geweſen war. Noch am nemlichen Tage zog
Gottfried Huyn von Gelern mit ſeinem Heere gegen
die Veſte. Er lagerte ſich in der Nähe der kleinen
Burg Staufen. Doch wegen der Sonntagsfeier be—
gann er noch nicht gegen die Veſte zu agiren. Das
vernahm bald Widerhold, und er befahl ſeinen Unter—
gebenen, ſich bereit zu halten, denn es müßte ein
harter Strauß werden; das ließen ihnen ſeine trotzigen
Worte ahnen, welche er dem Schreiben an Gott—
fried Huhn von Gelern hatte einfließen laſſen. Daß
wieder eine ernſte Zeit für die Veſte beginne, das
zeigte ſich am Abend des heutigen Tages. Gerade
an Sonntagen war der Platz unter der Linde der
beſuchteſte; ſelten fehlten Herr Widerhold und Frau
Hermegard; aber dießmal hatte ſich Niemand einge—
97
funden, außer Guſtav Schönhelm. Auch Margaretha
ſtellte ſich ein.
Das hätte ich kaum erwartet, euch hier zu finden,
war ihr erſtes Wort, als fie den Kapitän erblickte, es
kommen jetzt wieder traurige Tage. Fur die Frauen, aber
nicht für die Männer — entgegnete Schönhelm — wir
greifen jetzt wieder zu unſerem Berufe. Gerade deßwegen
bin ich heute noch einmal erſchienen, wer weiß, ob wir
wieder hier zuſammenkommen! Dießmal mags hart ge—
hen unſerer Veſte, ein wackerer Kriegsheld hat ſich unten
gelagert. Jetzt mag es künftig euch ſchwer werden, Mar—
garetha, eurer Gewohnheit zu folgen, die Kirche in Singen
zu beſuchen. Da wäre nicht nöthig geweſen, die Veſte
zu umſchließen, verſetzte das Mädchen. Seid ihr
endlich andern Sinnes geworden, Margaretha? —
Andern und doch noch des Gleichen — ſie ſagte dieß
mit Bedeutung. Habt ihr gelernt, auch uns Ge—
rechtigkeit wiederfahren zu laſſen? ſprach Schönhelm.
Das iſt ſchon lange geſchehen — ach nur zu viel, ver—
ſetzte Margaretha — ſie ſchlug verlegen die Augen nieder
— und doch kann ich nie, nie im Leben Eine der
Eurigen — Haltet ein, Margaretha, unterbrach ſie
Schönhelm — er faßte ihre Hand und drückte fie
krampfhaft an ſeine Bruſt — ſoll es ewig beim
Worte bleiben, ein Gott, eine Liebe — wird es nie
bei uns ſeine rechte Bedeutung erhalten, ein Gott?
Eine Liebe iſt es ſchon, lispelte Margaretha und
ſenkte ihr Haupt an Schönhelms Bruſt, er ſchlang
ſeine Arme feurig um ſie, und hielt ſie lange feſt
II. N
-
98
umſchlungen. — Glaube meiner Kirche, ich habe dich
verläugnet, rief Margaretha auf einmal wie aus ei—
nem Traum erwachend, ich bin ein Kind der Ver—
dammniß: ſie riß ſich heftig aus Schönhelms Armen
und eilte von hinnen.
Es war der 6. Auguſt des Jahres 1639, als
Gottfried von Gelern, der kaiſerliche General = Feld:
marſchall, die Belagerung der Veſte im eigentlichen
Sinne begann. Von dieſem Tage bis zum 12. Aus
guſt wurden, nach Widerholds eigenem Bericht, 37
Granaten und Ernſtkugeln gegen die Veſte geworfen.
Doch ihre Wirkung entſprach nicht den Wünſchen der
Belagerer. Widerhold antwortete in gleichem Tone.
Seine Munition war in gutem Zuſtand, feine Mus:
ketiere gut geübt. Er ſelbſt ſtand an ihrer Spitze,
nicht nur als Kommandant, ſondern perſönlich thätig.
Es war ein ſchrecklich Feuerwerk, das Belagerer und
Belagerte einander anzündeten. Auf weite Meilen
leuchtete die Gegend von den Granaten, die hin und
her ſchlugen, wenn die Nacht über der Gegend lag.
Die feindlichen Granaten ſchadeten wenig, denn Wi—
derhold hatte ſchon die nöthigen Vorkehrungen ger
troffen, um ſie meiſtens unſchädlich zu machen. Die
Dächer der Veſte waren ſo eingerichtet, daß ſie mit
geringer Mühe konnten herniedergelaſſen werden, wenn
ihnen Schaden durch Beſchießung drohte. Nur ein
Mal richtete eine Granate bedeutenden Schaden an;
ſie fiel auf das ſchöne Rondel, welches noch in
ſeinen Trümmern zeigt, was es geweſen, ſchlug die
99
Thüre auf, und zertrümmerte den größten Theil der
herrlich gebauten Wendeltreppe. Sonſt aber war der
Schaden auf der Veſte unbedeutend. Das merkten
bald die Belagerer mit dem größten Mißmuthe. Der
kaiſerliche Feldmarſchall ſchritt jetzt zu einem andern
Mittel. Er ließ nahe bei der Veſte Minen graben,
um fie in die Luft zu ſprengen. Auch dieß fruchtete
wenig, denn Widerhold ſprach ihnen von oben her
mit ſeinen Musketieren ſo kräftig zu, daß die Arbeiter
bald ihre Arbeit einſtellten. So war nach und nach
der größte Theil des Monats unter fruchtloſen Ver—
ſuchen der Belagerer dahingegangen, ſie konnten ſich
nicht des geringſten Vortheils rühmen, den ſie ſeit
dem erſten Tag der Belagerung erlangt hatten. Das
letzte Mittel ſollte jetzt verſucht werden, und es hätte
dieſes beinahe zum Ziel ihrer Wünſche geführt. Man
wußte auf Seiten der Feinde, daß die auf der Veſte
lange Zeit in Thätigkeit Gehaltenen ſich nach und
nach mehr der Ruhe bei Nacht überließen, als es in
den erſten Tagen der Belagerung geweſen war. Vor—
ſichtig hatte Widerhold bei alle dem ſeine Wachen
ausgeſtellt, aber gerade dieſe Vorpoſten waren es,
welche den Tag über auch in Anſpruch genommen
worden waren; das Nachtwachen war für Manchen
eine ſchwere Aufgabe geworden. Oft hatte der
Schwedenkapitän, dem Widerhold die Aufſicht an—
vertraute, unten am Vorhofe in der Wachtſam—
keit der Soldaten Manches vermißt; dafür war
er Aug' und Ohr, als ob ihm die ganze Veſtung
m
100
zu bewachen obläge. Ach, wenn auch die bedrängte
Veſte ſein Auge wach gehalten hätte, ſeine Nächte
waren ſchlaflos, ſeit jenem verhängnißvollen Abend,
als ſich Margaretha aus ſeinen Armen riß. Doch
die Natur verlangte auch von ihm ihren Tribut. Es
war die Nacht des 29. Auguſts. Der Kapitän legte
ſich nach vielen Tagen der Mühe zum erſten Male
wieder auf ſein Kriegslager. Noch nicht war die
eilfte Stunde der Nacht angebrochen, da drang von
dem Vorhof der Burg herauf Waffengeklirr vor ſeine
Ohren. Er ſprang auf, in einem Nu hatte er ſeine
Waffen ergriffen. Die Feinde! die Feinde! war das
erſte Wort, das er vernahm, als er aus ſeinem Ge—
mache trat. Eine Wache eilte ihm entgegen. Zu den
Waffen, zu den Waffen, Kameraden! ſo ſchallte jetzt
die Stimme des Kapitäns durch die Lagerſtätte, wo
ſeine Mannen lagen. In wenigen Augenblicken waren
ſie gerüſtet. Ihre Roſſe, in denen ihre Kraft lag,
mußten ſte zurück laſſen.
An der Spitze ſeiner Schwadron rückte er zum
erſten Portale; da ſtand ſchon Widerhold in gleichem
Beginnen. Bleibet, Herr Kommandant! rief Schön:
helm, ſichert die obere Veſte, euer Haupt iſt uns
theuer. Laßt uns in den Vorhof hinab. Mit Mühe
ließ ſich Widerhold zurückhalten. Der Kapitän ſtürzte
mit ſeiner Schwadron den Feinden entgegen, die
ſchon den Vorhof in Brand geſteckt hatten. Zur
glücklichen Stunde noch war Schönhelm dem Feinde
entgegen gekommen, in wenigen Augenblicken wäre
101
der Feind am oberen Thore geſtanden. Muthig er—
klangen die Pallaſche in der Hand der Weimara—
ner Reiter: wie bei Löwen, die lange eingeſperrt
nun hervorbrechen aus ihrem Kerker, ſo war ihr
Muth. Sie drängten die Feinde zurück, aber neue
Schaaren der Feinde drangen durch den Vorhof.
Nicht auf die Ueberzahl achtend, hieb Schönhelm ein,
und wo ſein Pallaſch ſauste, da gab es eine Lücke.
Er drang immer tiefer in die Feindesſchaar, denn
ſein Herz war mit Muth und Rache erfüllt. — Wir
verlaſſen die Helden auf ihrem Kampfplatz und gehen
auf die Burg zurück. Widerhold beſetzte das Thor,
aber auch alle übrigen Seiten der Veſte, die leicht
während des Kampfes im Vorhofe hätten erſtiegen
werden können. Wie gerne wäre er hinunter in den
Vorhof, ſein Herz ſchlug dem Kampf entgegen, aber
die obere Burg mußte gedeckt ſein. Wachet und
betet! rief er ſeinen Männern zu, das iſt das Ein—
zige, das wir thun können, da wir hier im Kampfe
unſerer Brüder unthätig zuſehen müſſen. Laßt uns
zu Dem uns wenden, der da ſpricht, ich will euch in
keiner Noth verlaſſen, und wenn auch Tauſende der
Feinde euch umgeben. Er entblößte ſein Haupt und
kniete nieder auf dem Hofe der Veſte. Alle, die um
ihn waren, mit ihm. „Herr der Heerſchaaren, errette
uns von der Noth, die unſere Feinde über uns ver—
hängen, errette dieß Haus von ihren Händen, ach
es iſt ja noch das Einzige, was unſer unglücklicher
Fürſt noch ſein nennen kann von all ſeinem Erbe,
*
102
das ihm geraubet iſt. Laß deine Gotteskraft mächtig
werden in den Schwachen, und ſtärke ihren Arm im
Kampfe für die gerechte Sache.“ Amen. So betete
Widerhold. Es war ein feierlicher Anblick in der
Stunde der Mitternacht, die Krieger auf den Knieen
mit entblößtem Haupte, ihren Kommandanten in der
Mitte und der ſternbeſäete Himmel über ihnen. Eine
Schreckensbotſchaft riß ſie aus dieſer frommen Stellung.
Ein Weimaraner Reiter ſtürzte in ihre Mitte: Hülfe!
die Unſern ſind übermannt, unſer Kapitän — er
hatte noch nicht ausgeſprochen, da trat eine weibliche
Geſtalt in weißem Gewande aus des Kommandanten
Haus, es war Margaretha. Ein ſchrecklicher Lärm
hatte ſie aus dem Schlafe geweckt, ſte war ans Fenſter
getreten, das gegen den Vorhof ſich kehrte, ſie hörte
Waffengeklirr, ſah eine hohe Flamme aus dem Vor—
hofe aufſteigen.
Was gibt es? rief ſie — ſie hörte den Weimaraner
Reiter, der eben die Worte ſprach: unſer Kapitän,
unſer Kapitän iſt umringt, helfet, rettet! Noch nicht
hatte der Reiter geendet, da ergriff Margaretha den
Degen eines neben ihr ſtehenden Kriegers, und wie
ein leichtfüßiges Reh rannte ſie den Berg hinab.
Sie kam noch zur rechten Stunde. Schönhelm
war umringt von einer dichten Schaar ſeiner Feinde,
die Seinigen waren größtentheils gefallen, er focht
den letzten Kampf. Furchtbar blitzte noch ſein Degen,
er blutete ſchon aus vielen Wunden. Ein feindlicher
Cornet drang auf ihn ein; ſchon zuckte er feine
—
103
Partiſane gegen Schönhelms Bruſt; halt! rief eine
weibliche Stimme hinter ihm; wie ein Weſen aus
höheren Regionen ſtand ſie zwiſchen ihm und Schön—
helm. Sie fing den Stoß auf in ihre eigene Bruſt,
aber in des Feindes Herz haftete ihr Degen, den ſie
kräftig ſchwang. Der feindliche Cornet ſtürzte zu
ihren Füßen nieder, ſie entwindete ihm mit zitternder
Linken ſeine Partiſane. Ein Geiſt! riefen die feind—
lichen Soldaten — ihre Gewehre ſanken ihnen aus ihren
Händen, und ſte wandten zur Flucht den Rücken.
Nur zwei ſtanden auf dem Kampfplatze, als Wider⸗
hold mit ſeiner Hülfe herbeieilte, Margaretha und
Guſtav. Guſtav an Margarethens Bruſt gelehnt,
ſie hatte mit einem Arm ihn umſchlungen, in dem
andern hielt fie die erbeutete Partiſane. Ein Gott!
rief Schönhelm in Margarethens Armen, und Eine
Liebe! ſprach Margaretha. Es waren die letzten
Worte, die beide Liebende im Erdenleben ſprachen.
Widerhold und ſeine Krieger ſchloſſen einen Kreis um
die beiden Leichname. „Dank dir, Vater im Himmel,
daß du uns errettet von unſern Feinden. Dank dir,
der du ein Gott und eine Liebe biſt.“ So betete
Widerhold und alle Krieger mit ihm, und Thränen
rollten über ihre Wangen. Mit dem folgenden Tage
hob Gottfried von Gelern die Belagerung auf, und
zog ab von der Veſte.
104
II.
Die Herrgottskirche
bei Eres bingen.
Nicht ferne von der alten Tauberſtadt Greglingen,
in dem romantiſchen Seitenthale, das der ſogenannte
Herrgottsbach bildet, ſteht die uralte Herrgottskirche. Sie
hat zwar längſt ihre Bedeutung als Wallfahrtskirche
verloren, aber noch heut zu Tage wallen von Nah
und Ferne Hunderte dahin, um ihren Marienaltar,
eines der ſchönſten alten Sculpturwerke in deutſchen
Landen, zu bewundern. Von fern erſcheint uns die—
ſelbe als eine gewöhnliche, etwas größere Kapelle
mit einer Mauer umfangen. Erſt in der Nähe an-
gekommen, ſehen wir, wie ſie auch in Hinſicht auf
Bauart eine der intereſſanteſten Kirchen im Tauber—
grunde iſt, und es iſt wohl der Mühe werth, daß
man auch ihr Aeußeres ſo genau als möglich beſchreibe.
Treten wir in den die Kirche umgebenden Friedhof
ein, ſo empfangen uns ſchöne Grabdenkmale aus
neuerer Zeit, über welche Thränenweiden ihre Aeſte
breiten. Drei ſind beſonders ſchön gearbeitet — die für
Creglingen ſo wohlthätig wirkende Familie Dreher
hat ſie ihren geliebten Todten errichtet. An ihnen
vorbei gelangen wir zum erſten Portal der Kirche.
Daſſelbe hat einen reich verzierten Giebel — drei
—
105
ſchön durchbrochene Bogen ſtehen über einander, die
noch ſo gut erhalten ſind, daß man glaubt, der
Meißel des Steinhauers habe ſie eben erſt verlaſſ en.
Die Weſtfronte der Kirche iſt mit einer durchbrochenen
Fenſterroſe, die Giebelſpitze mit einem Glockenerker
geziert. Die ſüdliche Pforte gegen Münſter hin iſt
in derſelben Art gefertigt, wie die nördliche gegen
Creglingen. Der Chor der Kirche hat fünf Strebe—
pfeiler, deren Giebel mit wunderlichen, ſehr kunſtreich
gearbeiteten Figuren geziert ſind. Auf dem erſten
Pfeiler erblicken wir ganz oben Gott den Vater —
unten ſteht ein Hund, der den Fuß zum Pißen auf-
hebt. Der zweite Pfeiler zeigt oben einen Engel,
der auf der Geige ſpielt; unterhalb ſteht ein Stein—
hauer mit aufgehobenem Hammer, gegen den ein
Hund die rechte Pfote erhebt. Auf dem mittleren
Pfeiler iſt zu oberſt ein ſchöner Kopf mit einer Binde
abgebildet; in der Mitte ein Adler, der einem Kopf
die Krallen in den Mund ſchlägt, und zu unterſt
ein Wolf, welcher ein eingewickeltes Kind im Maul
hält und auf einem Thiere mit Menſchenantlitz und
geringeltem Schwanze ſteht. Den vierten Pfeiler
ziert ein Engel mit einem aufgeſchlagenen Buche; in
der Mitte ſind zwei Affen, die mit einander ſpielen,
unten ſteht eine Art Leopard. Auf dem fünften
Pfeiler gegen Münſter hin ſehen wir einen Engel,
der eine Krone in den Händen hält und das Hohen—
lohe'ſche Wappen krönt, auf deſſen beiden Seiten
Engel als Schildhalter ſtehen. Was die Figuren auf
®
106
allen dieſen Pfeilern bedeuten, wiſſen wir nicht zu
erklären. Einige, wie z. B. der Hund in ſo gar
natürlicher Stellung, ſind wohl ein Ausfluß des
derben Volkswitzes jener Zeit, der ſich auch von kirch—
lichen Gebäuden nicht ferne hielt; andre, wie z. B.
der Wolf mit dem Kind im Maul, könnten ſich auch
auf etwas Geſchehenes beziehen, das auf ſolche Weiſe
dem Andenken der Nachwelt aufbehalten wurde. Außer
dieſen Pfeilern iſt bemerkenswerth das achtſtockigte
Thürmchen, welches auf der Südſeite der Kirche in
der Ecke vom Chor und Schiff ſich erhebt. Es hat
drei Stockwerke mit gothiſchen Fenſteröffnungen. In
der oberſten Oeffnung erblicken wir drei, mit großer
Kunſt gearbeitete Köpfe — in der Mitte das Haupt
Jeſu, zu deſſen beiden Seiten die Köpfe Johannes
des Apoſtels, ſowie Johannes des Täufers, auf welch
letzterem wir den Ausdruck des Schmerzes wahrnehmen.
Oben hat das Thürmchen ein zierlich durchbrochenes
Geländer, mit vier hervorragenden Thierfiguren, welche
die Füße gegen die Gallerie ſtemmen; ſie dienen zur
Waſſerleitung. Das Geſims der Gallerie bildet einen
Kranz von Laubwerk. Eine Wendeltreppe von 60
Staffeln führt auf das Thürmchen, das in früheſter
Zeit als Kanzel gedient haben ſoll, von wo aus der
Ablaß verkündigt wurde. Der Sage zu Folge, die
freilich nicht verbürgt werden kann, hielt der berüch—
tigte Dominikaner Tezel auf dieſer Kanzel vor der
verſammelten Menge, welche die Kirche nicht faſſen
konnte, ſeine erfolgreichen Ablaßpredigten.
107
Nachdem wir das Aeußere der Kirche betrachtet,
betreten wir ihr Inneres, wo wir das herrlichſte
Kunſtdenkmal alter Zeit treffen, welches im Franken—
land zu finden iſt. Doch wenden wir uns nicht
gleich dieſem zu, ſondern fangen mit Betrachtung
anderer Alterthümer der Kirche an, um bei dem
Schönſten recht lange zu verweilen. Der Chor, den wir
zuerſt betrachten, gehört noch in die ſchönſte Zeit der
gothiſchen Architeſtur. Das Gewölbe über dem Chor—
altar hat ſechs Rippen mit einem Schlußſtein, auf
dem zwei Figuren ſichtbar find. Da, wo die zwei
Gewölbe des Chors ſich theilen, ſehen wir zu beiden
Seiten dreiſchaftige Säulen mit alten Kapitälen, vier
ähnliche ſtehen hinter dem Altar einander gegenüber,
ſo daß im Ganzen ſechs Säulen ſich im Chor be—
finden. Sie ſind ſämmtlich kunſtreich gearbeitet, be—
ſonders was ihre Kapitäle anbelangt, und ſo alter—
thümlichen Styls, daß man ſie eher die Uebergangs—
periode vom byzantiſchen in den gothiſchen Styl, als
in das 14. Jahrhundert verweiſen möchte. An der
Wand hinter dem Altar iſt ein gothiſches Sakrament—
häuschen, mit zwei ſchönen ſteinernen Figuren, die
Muttergottes und den Heiland vorſtellend, und dem—
ſelben gegenüber, gleichfalls an der Wand, iſt noch eine
Niſche mit ſchöner gothiſcher Verzierung angebracht;
oben daran iſt ein Kopf mit langen Haaren, wohl
die ſchönſte Bildhauerarbeit im Innern der Kirche.
Ueber dem Eingang in die Sakriſtei iſt eine hölzerne
Tafel mit einem Bilde ohne Werth; deſto ſchöner iſt
108
das oben ragende Geſims, welches mit den beiden
kunſtreichen Säulen zu den Seiten des Eingangs eine
liebliche Verzierung deſſelben bildet. Die Sakriſtei
hat ein Deckengewölbe und eine ſteinerne Altarſtufe.
Auf der ſüdlichen Wand des Chors befindet ſich ein
großes Fresko-Gemälde, das den heil. Chriſtoph dar—
ſtellt, wie er durch die Fluth watet, den Heiland der
Welt auf der Schulter. Zu den Füßen der an 30
Fuß hohen Figur kniet ein Ritter mit feiner Hause
frau, in der Tracht des 16. Jahrhunderts. Die
Unterſchrift iſt durch Feuchtigkeit der Wand ſehr un—
leſerlich geworden, ſo wie auch das Bild ziemlich
verblichen iſt. Der Hochaltar im Chor hat am Tiſche
ſchön durchbrochene Steinarbeit, und an der Staffel,
ſowie im Schrein und auf feinen Flügelthüren, Bil—
der, die auf keinen Fall einer Zeit der geſunkenen
Kunſt angehören, wie der ſonſt kundige Beſchreiber (im
evang. Kirchenblatt vom Jahr 1845. Nro. 35.) be⸗
hauptet. Wer den Altar nicht blos en passant,
ſondern mit Muße betrachtet, wird ſich eines Beſſern
überzeugen. Das in Holz geſchnitzte Hauptbild ſtellt
den Gekreuzigten dar; ſein Antlitz voll Ausdruck
zeigt mehr den ſchon vollendeten, als den noch leiden—
den Welterlöſer; zu beiden Seiten ſchweben Engelein
mit Kelchen. Neben dem Heiland hängen die Schächer;
auf ihrem Antlitz liegt der Ausdruck des tiefſten
Schmerzens. Zunächſt dem Kreuze ſteht Maria Mag—
dalena mit klagender Geberde, und dabei der Jünger
Johannes, welcher die Mutter des Herrn tröſtet.
109
Außer ihnen erblicken wir nahe beim Kreuz noch vier
männliche Figuren. Eine derſelben, ein Krieger, dem
die Lanze aus der Hand gebrochen iſt, flieht hinauf
an's Kreuz; ein Anderer mit ſpöttiſchem Geſicht, eine
Spitzkappe auf dem Kopf und ein Buch in der Linken,
ſchaut auf den Kriegsknecht. Noch ſteht dabei ein
Dritter mit einer Mütze auf dem Kopf — er iſt
ernſt und nachdenklich. Unter dieſen Figuren in der
Predella (Altarunterſatz) ſind drei Bruſtbilder — links
Chriſtophorus, rechts Andreas mit Kreuz und Buch,
in der Mitte die heil. Anna mit Maria und Chriſtus—
kind. Letztere Bilder ſämmtlich ſind ohne Kunſtwerth.
Deſto wichtiger ſind die altdeutſchen Gemälde an den
Flügelthüren des Schreins. Sie ſind ſämmtlich auf
Goldgrund, zwar etwas hart ausgeführt, aber aus—
drucksvoll. Es ſind im Ganzen vier Darſtellungen.
Oben zur Rechten kniet Jeſus in Gethſemane, die
Jünger in einiger Entfernung von ihm ſind in Schlaf
verſunken. Unten im zweiten Bild erblicken wir den
Heiland, wie er das Kreuz trägt; vor ihm geht ein
Krieger in weißer Tracht, hinter ihm Veronika mit
dem Schweißtuch und noch eine andere weibliche Figur.
Im Hintergrunde ſchöne Perfpective. Im Linken oben
die Grablegung des Heilands: Vier Frauen umgeben
das Grab — eine legt mit ſchmerzvollem Blicke ihren
Arm um den Verblichenen, die zweite faßt ſeine Linke,
eine dritte hat die Hände zum Gebet gefaltet; ihnen
gegenüber Maria Magdalena, welche das Tuch vor—
hält und weint. Zu den Füßen des Heilands er—
*
110
blicken wir den Joſeph von Arimathia. Das vierte
Bild zeigt den aus dem Grab Erſtandenen mit der
Siegesfahne in der Hand, umgeben von Kriegsfnechten. |
Oben zwei, welche eben aus dem Schlaf erwachen;
der zur Rechten ſchlägt ſeine Helmkappe auf, und
will noch nicht recht glauben, was er ſieht, der zur
Linken zeigt eine nachdenkliche Miene. Ganz unten
zwei andere, welche noch ſchlafen: der eine mit einem
Turban hat die Linke unter den Kopf geſtützt, in der
Rechten ruht die Armbruſt, der andere mit einer
ſpitzigen Mütze hält eine Streitart; über dem Aufer⸗
ſtandenen ſchwebt ein Engel. Im Hintergrund ſehen
wir die Stadt Jeruſalem. Alle dieſe Gemälde find
mehr oder weniger verdorben, doch möchte es leicht
möglich ſein, ſie wieder herzuſtellen. Auch die Kehr—
ſeiten der Flügelthüren waren übermalt, aber leider!
ſind ſie ſo verdorben, daß man kaum mehr die Spur
von Gemälden darauf erkennen kann. Vom Hochaltar
richten wir den Blick zu den mit Glasmalereien reich
gezierten Fenſtern. Das reichſte iſt das mittlere Fenſter
hinter dem Altar. Ganz oben gegen die Fenſterroſe
hin ein Chriſtuskopf, weiter unten zwei Frauen in
alter Tracht einander gegenüber. In der Mitte des
Fenſters, Chriſtus am Kreuz, über dem Kreuz eine
reiche gothiſche Verzierung — der Grund des Mittel:
bildes iſt blau. — Zur Rechten des Gekreuzigten
ſteht Maria, der ein Schwert durch die Seele dringt,
unter ihr ein Geiſtlicher und ein Ritter im Ring⸗
kragen; darüber hin geht ein Schriftzettel. Zur
111
Linken erblicken wir eine weibliche Figur, unter ihr
zwei Figuren, die hinter einander mit gefalteten
Händen knien. Die größere ſtellt wohl die Stifterin
dar, und ſtände vielleicht in Beziehung zu dem ge—
genüber befindlichen Ritter; die kleinere im rothen
Mantel gleicht einem Chorknaben. Die Fenſter zur
Linken haben keine Gemälde mehr — ſie ſind ſchmäh—
licher Weiſe ausgebrochen; in den beiden zur Rechten
haben ſich noch einige Bilder erhalten. Im erſten
ſehen wir den heil. Chriſtoph, ferner eine knieende
Figur im weißen Mantel; über der Letzteren zieht
ſich ein Schriftzettel, unten liegt ein Wappen. Oben
am Fenſter iſt noch eine Figur in Roth, ſie hat die
Hand um eine Art von Kreuz gelegt. Das zweite
Fenſter zur Rechten enthält das Wappen von Weins—
berg. — Ehe wir das Chor verlaſſen, betrachten wir
noch die Chorſtühle zu beiden Seiten, welche mit
reichem flach gehaltenem Schnitzwerk verziert ſind, wie
wir es auch an der Thüre zur Sakriſtei und zur
äußern Kanzel finden. Zwiſchen den Chorftühlen
und auch an denſelben angeklebt, finden wir eine
Menge von gedruckten Ablaßzetteln, wovon viele ſehr
alt ſein mögen. Einzelne haben gute Holzſchnitte,
und wir machen beſonders auf einen ſolchen auf—
merkſam, der an der rechten Wand des Chors ange—
bracht iſt. Wir ſehen darauf den heil. Sebaſtian,
wie er mit Pfeilen durchbohrt wird; einer ſeiner
Peiniger zieht mit einer Maſchine (im Nibelungen:
lied Antwerk genannt) ſeine Armbruſt auf. — Das
112
herrlichſte Denkmal alter Kunſt ſteht im Schiff der
Kirche: es iſt der ſogenannte Marienaltar, dem die
Herrgottskirche es zu verdanken hat, daß ſie in neuerer
Zeit von Freunden alter Kunſt aus der Nähe und
Ferne ſo zahlreich beſucht wird. Der Altar ſteht bei—
nahe mitten im Schiff der Kirche, und ſcheint ſchon
ſeit der früheſten Zeit hier geſtanden zu haben, ob
es gleich eine ſehr unpaſſende Stelle ift, da von kei—
ner Seite ein Licht auf das koſtbare Altarbild fällt.
Der Marienaltar aus Lindenholz geſchnitzt,
ungefähr 27 Schuh hoch, 12 Schuh breit, das
heißt mit völlig geöffneten Flügelthüren, deren jede
3 Schuh breit und 12 Schuh hoch iſt, ſtehend auf
einem einfachen, maſſiven ſteinernen Poſtamente, als
Ein Ganzes mit dem durchbrochenen Altartiſche,
zu welchem fünf Stufen führen, vornen von drei
Seiten von einer 5 Schuh hohen Holzvergitterung
mit beweglichen Thüren umgeben, ſtellt in verſchiedenen
wohlgeordneten Gruppen folgende Scenen dar: Auf
der rechten Flügelthüre des Altars unten die Ver—
kündigung Mariä, oben der Beſuch der Ma⸗
ria bei ihrer Freundin Eliſabeth; auf der
linken Flügelthüre oben die Geburt Jeſu im
Stalle zu Bethlehem, unten die Reinigung
Mariä.
In der Mitte des Altars in Figuren vom größten
Maaßſtab die Himmelfahrt Mariä; unter dieſer,
in drei Gevierten mit Figuren vom kleinſten Maaßſtab,
113
rechts die drei Könige aus Morgenland, links der
Jeſusknabe im Tempel unter den Lehrern. In
der Mitte dieſes Unterſatzes befinden ſich zwei ſchwebende
Engel mit ausgebreiteten Flügeln, die gegen einander
ſchauen, und ein Tuch halten — was für eines?
darüber ſind verſchiedene Meinungen. Ueber dem
Hauptbilde des Altars, unterbrochen durch eine Art
Aufſatz von ſchönen Ornamenten, ſehen wir in Fi—
guren von gleicher Größe wie die in den Altarflügeln,
die Krönung der Maria. Ueber dieſen abermals
herrliche Ornamente, dann Chriſtus der Aufers
ſtandene mit der Siegesfahne. — So viel,
um nur eine kleine Andeutung von dem Herrlichen
zu geben, was der Marienaltar dem Beſchauer beut.
Eine ausführliche, von Kunſtſinn und Gefühl zeugende
Beſchreibung gab Herr Stadtſchultheiß Dreher von
Creglingen ſchon vor vielen Jahren; wir verweiſen
auf dieſelbige, wie ſie auch in dem Büchlein „Creg—
lingen und feine Umgebungen“ herausg. von
Ottmar Schönhuth (1846) wörtlich zu finden iſt.
Ueber den artiſtiſchen Werth des Sculpturwerkes
hat ſchon längſt das Künſtler- und Kunſtkenner-Ur⸗
theil entſchieden. Das beſte Zeugniß über den hohen
Kunſtwerth des Altars hat der württemb. Alterthums—
Verein abgelegt. In das erſte prachtvoll ausgeſtattete
Vereinsheft iſt eine Abbildung des Geſammtbilds, ſowie
eines Details aufgenommen worden. Das erſtere iſt
nach einer genaueren Zeichnung des Herrn G. C.
Wilders aus Nürnberg lithographirt, das andere, der
II. 8
*
114
fogenannte engliſche Gruß, iſt von unſerem kurz ver⸗
ſtorbenen Malermeiſter Dr. Fellner an Ort und Stelle
aufgenommen und faſt in Größe des Originals über⸗
getragen worden. Erſt jetzt, wenn man beide Ab:
bildungen mit Fleiß betrachtet, wird man ſich recht
bewußt, welchen koſtbaren Schatz die Herrgottskirche
in dieſem Altare beſitzt. Wunderbar iſt es, daß ſich
von dieſem herrlichen Kunſtdenkmal weder mündliche,
noch ſchriftliche Ueberlieferung in Beziehung auf ſeine
Entſtehung, ſeine Verfertiger und Stifter, ſowie ſeine
Aufſtellung an dieſem Orte erhalten hat. Nur eine
höchſt ſinnvolle Sage geht im Munde des Volkes,
welche wohl einer bedeutungsvollen Figur am Altar
ihre Entſtehung zu verdanken hat. Ein Schäfer lag
einſam auf dem Felde heiliger Betrachtung ob, und
faßte den Entſchluß, Gottes Namen durch die Stiftung
eines Altars zu verherrlichen. Da er ſehr arm war,
ſo unterzog er ſich ſelbſt der Ausführung, und ſiehe
da! durch Gottes Beiſtand gelang ſie ihm herrlich.
Der in der Predella auf der Bank ſitzende Mann
mit einer Kappe auf dem Kopfe, einem Buch auf
den Knieen, an den ſich Maria wendet, ſoll der
Künſtler des Werks ſelber, und das Schnitzmeſſer in
der (nun abgebrochenen) rechten Hand, das Wahr-
zeichen des Altars geweſen ſein. Auf ähnliche Weiſe
iſt in den kunſtreichen Chorſtühlen zu Blaubeuren
Georg Sürlin ihr Verfertiger, und zu Straßburg
auf dem Münſter zu oberſt an einem Pfeiler des
Thurms Erwin von Steinbach abgebildet. Nur als
115
kleine Figürchen, und an Orten, wo man ſie kaum
bemerkt, pflegten die Meiſter deutſcher Vorzeit ihr
Bild der Nachwelt zu verewigen. Der Vergeſſenheit,
in welche das unſchätzbare Werk von Creglingen ſeit
der Reformation verfallen war, hat endlich unſere
Zeit ein Ende gemacht. Das Hauptsoerdienſt hiebei
gebührt dem genannten Herrn Dreher, dermalen Orts—
vorſtand der Stadt Creglingen. Als er im, Jahr
1832 Stiftungspfleger wurde, fand er den Altar
gänzlich überdeckt von Inſchriften, Todtenkronen und
vertrockneten Sträußen, die man ſeit langer Zeit bei
Begräbniſſen als Andenken daſelbſt aufzuhängen pflegte.
Er ließ dieſe Dinge wegnehmen, und der Altar zeigte
ſich, gewiß in Folge der Bedeckung durch jene Gegen—
ſtände, beinahe vollſtändig erhalten. Sodann wurden
die Figuren abgenommen, von Schmutz gereinigt und
neu geölt; bei dieſer Gelegenheit konnten die Figuren
in nächſter Nähe und in ihrer ſeltenen Vortrefflichkeit
beſchaut werden. Der Ruhm des Kunſtwerks ver—
breitete ſich ſchnell überall hin; es wurden von ver—
ſchiedenen Seiten bedeutende Summen geboten, aber
immer vergebens, da die Stadt Creglingen ihr Kleinod
wohl zu ſchätzen weiß. Es gereicht der Stadt und
ihrem geiſtlichen und weltlichen Vorſtand zur Ehre,
ſich daſſelbe und in demſelben ihren Ruhm erhalten
zu haben. Seither iſt zur Erhaltung des ſeltenen
Denkmals durch Veranſtaltung des eifrigen Alter—
thumsfreunds noch mehr geſchehen. Durch die flache
Holzdecke der Kirche, welche nur vom Dache beſchützt
*
*
116
iſt, konnte bisher der Regen herabträufeln und den
Altar von oben her beſchädigen. Ueber dieſe Holz—
decke iſt nun noch eine Decke gezogen, und ſo iſt nicht
nur dieſer Altar, ſondern Alles, was in der Kirche
Werth hat, vor fernerem Verderben geſichert. Ferner
ſind auf der ſüdlichen und nördlichen Seitenwand der
Kirche noch zwei Fenſteröffnungen angebracht worden,
wodurch der Altar, ſowie die ganze Kirche beſſere
Beleuchtung erhalten hat. Noch wäre zu wünſchen,
daß man einen Künſtler auffände, der ſchon Proben
feiner Fertigkeit in gothiſcher Schnitzarbeit abgelegt
hätte, und tüchtig wäre, manches Fehlende am Altar
im Geiſt der alten Kunſt zu ergänzen. Wir trauen
es dem genannten Gönner und Schützer des herr—
lichen Denkmals zu, daß er auch dieſen Wunſch der
Alterthumsfreunde in Erfüllung bringen wird, da
ſeinem ſeltenen Eifer die Ausführung ſchon ſo man—
ches Schönen und Guten gelungen. — Außer dem
bisher beſchriebenen Altar befinden ſich noch zwei
andere in der Kirche, die in den Ecken gegen das
Chor hin angebracht ſind. Beide verdienen, theils
wegen ihrer Schnitzarbeit, beſonders aber wegen ihrer
vortrefflichen, größtentheild noch gut erhaltenen Ges
mälde, unſere ganze Aufmerkſamkeit. Der in der
rechten Ecke iſt Johannes dem Täufer gewidmet. Ganz
oben auf dem Geſims des Altars iſt der heil. Ges:
baſtian abgebildet; zu beiden Seiten ſtehen Zwei, die
ihre Geſchoße auf ihn richten. Unter ihm zwei kleine
Altarflügel, auf denen an der Vorder: und Kehrſeite
117
gar niedliche Figuren in betender Stellung gemalt
ſind. Die Mitte bildet ein größerer Altarſchrein mit
übermalten Schnitzfiguren. Rechts erblicken wir die
Vermählung Mariens mit Joſeph, in der Mitte die
Geburt Jeſu (das Kindlein iſt geſtohlen), zur Linken
die Anbetung der Weiſen (13 Figuren mit Kunſt
gearbeitet). In der Predella befinden ſich drei Bruft-
bilder von Heiligen. In der Mitte das Bild eine
Heilige, zur linken ein Heiliger mit rother Mütze,
der ein offenes Buch in der Hand hält — hinter
ihm ein Engel — rechts ein Heiliger mit großem
Bart und ſchwarzem Käppchen, der andächtig in ein
Buch ſieht. Alle dieſe Köpfe find voll Ausdruck
und kunſtreich ausgeführt. Der Altarflügel zur Linken
nach Innen zeigt die Darſtellung Jeſu im Tempel.
Der Hoheprieſter ſteht vor dem weißbedeckten Altar,
auf dem das Kind im langen Röcklein liegt — hinter
dem Altar vier Perſonen, Joſeph, Maria, Hanna
und Simeon. Oben auf der Gallerie des Tempels
ſehen wir zwei liebliche Figürchen (Mann und Frau),
das eine im grünen, das andere im rothen Gewande.
An der Außenſeite des Altars eine vor dem aufgeſchlage—
nen Buche betende Maria. Dieſer Altar Johannis des
Täufers iſt der einzige, welcher eine Inſchrift hat,
die auf ſeinen Verfertiger hinweist. Auf der Rückſeite
der in der Predella angebrachten drei Bilder befindet ſich
die flüchtig gezeichnete Inſchrift Jakob Mühlholzer
1496 zu Windsheim — unter der Zahl befindet ſich noch
eine Art von Malerzeichen. Es iſt keinem Zweifel
*
118
unterworfen, daß dieſer Mühlholzer Verfertiger des
Altars geweſen. Windsheim an der Aiſch, eine von
den fünf Reichsſtädten des fränkiſchen Kreiſes, war
alſo damals ſchon kunſtverwandt mit der alten
Künſtlerſtadt Nürnberg, und wohl könnte der ge
nannte ein Schüler des berühmten Meiſters Veit Stoß
geweſen ſein. Weniger begründen läßt ſich die Ans
nahme, daß auch der Marienaltar ein Werk dieſes
Mühlholzers geweſen ſei. Wohl iſt es wahr, daß
die am beſchriebenen Altar befindlichen Schnitzfiguren
denen am Marienaltar an Vollendung kaum nach—
ſtehen, jedoch verrathen ſie wieder eine ganz andere
Manier, zudem, daß die Figuren des Marienaltars
durchaus unbemalt ſind, während die am Altar Jo—
hannis des Täufers in Beziehung auf Colorit und
Vergoldung ſich vortheilhaft auszeichnen. Wie ſon—
derbar müßte es uns auch erſcheinen, wenn der
Künſtler auf dem Altar, dem Vollendetſten, was je
in feinem Fache der Kunſt geſchaffen wurde, ſeinen
Namen weggelaſſen, und auf dem weniger Vollen—
deten ihn beigeſetzt hätte. Viel eher glauben wir
annehmen zu dürfen, daß der dritte Altar in der
Kirche von demſelben Mühlholzer herrühre. Was
die Jahrszahl 1496 anbelangt, ſo iſt es ſehr wahr—
ſcheinlich, daß auch der Marienaltar um dieſelbe Zeit
verfertigt wurde. — Der Altar auf der ſüdlichen
Seite der Kirche iſt dem Apoſtel Johannes geweiht,
und iſt reich an ſchönen Darſtellungen, beſonders an
gelungenen Malereien. Auf dem Geſims des Altars
119
der Heiland, zu feinen Seiten zwei Frauen — Holz:
ſchnitzbilder von geringem Werth, vielleicht auch aus
ſpäterer Zeit. Im Schrein ſtehen drei heil. Frauen,
zwei davon haben Büchlein in den Händen — und
rechts und links im Flügel ſtehen noch zwei gekrönte
Frauen. Die Predella ſtellt wieder einen Schrein
dar, aber mit lauter Gemälden; das mittlere Bild
zeigt den Heiland beim Abendmahl — um Johannes,
ein jugendliches Bild, hat der Herr liebevoll den Arm
geſchlungen. Auf dem linken Flügel des Schreins
ſehen wir Moſes und Aron im Zelt — andere tragen
Manna in Bütten und andern Gefäſſen ein — oben
eine Schrift, die aber nimmer leſerlich. Auf dem
rechten Flügel auf Goldgrund — ein königl. Prieſter
kniet vor einem Tiſch mit Kreuz und Brod; zwei
Männer in Rüſtung (einer mit einer Fahne) ſtehen
vor ihm, zwei Frauen, gar liebliche Bilder, hinter
dem König. Außen auf dem linken Flügel der Pre—
della erblicken wir ein Frauenbild mit Kränzlein und
Blumen in der Hand, auf dem rechten Fluͤgel eine
Frau mit Krone, in ihrer Hand eine Lilie. Die
Gemälde des Hauptſchreins ſind folgende: auf dem
einen Flügel der Engel der Verkündigung, eine ju—
gendliche Figur im weißen Unterkleid und goldgeſtickten
Mantel — unter ihm ein Blumentopf mit einer
Blume ſammt Umſchrift sancta et inmaculata; der
Engel hält einen Schriftzettel in der Rechten mit den
Worten: ave graciae plena, deus tecum etc. Drei
Vöglein von lieblicher Zeichnung, darunter eine Meiſe
*
120
und ein Rothkehlchen, figen auf Tiſch und Boden.
Gegenüber dem Engel ſehen wir die heil. Jungfrau
mit einem aufgeſchlagenen Buche in der Rechten —
unter ihr ein niedliches Blaumeislein, auf dem Tiſch
ſteht eine Lampe. Ferner zeigen die Flügel des Al—
tarblatts: oben den heil. Wendelin mit Hund und
Schaf, unten den heil. Sebaſtian und noch einen
andern Heiligen; ferner zwei Biſchöfe, wovon der eine
ein Gebäude, der andere ein Schwert in der Hand
trägt; unter ihnen ſtehen zwei gekrönte Frauen —
die eine trägt eine Zange in der Rechten, die andere
einen Kreuzſtab in der Linken, zu ihren Füßen ein
Thierkopf mit offenem Maul. Die ſämmtlichen Ge:
mälde dieſes Altars gehören zu den ſchönſten aus
alter Zeit. Auch dieſer Altar trägt nicht die geringſte
Urkunde an ſich, die uns über den Künſtler einen
Aufſchluß geben könnte, aber zuverläßig war es der—
ſelbe, der den Altar Johannes des Täufers verfertigte.
Als etwas Characteriſtiſches an dieſen Bildern möch—
ten wir die Blumen, beſonders aber auch die Vöge—
lein bezeichnen, welche nirgends auf altdeutſchen
Bildern ſo häufig wie hier vorkommen, und mit
großer Vorliebe gemalt zu ſein ſcheinen. Außer den
Altären im Schiff der Kirche iſt noch bemerkenswerth
das Fenſter neben dem nördlichen Eingang mit ge—
malten Scheiben. Es zeigt den gekreuzigten Heiland
— am Stamme des Kreuzes knien Frauen. Dem
Gekreuzigten zur Seite ſehen wir ein ſehr einfach
ausgeführtes Hohenloh'ſches Wappen mit zwei ſchwarzen
121
Leoparden. Dieſem gemalten Fenſter gerade gegenüber
an der ſüdlichen Wand der Kirche hoch oben hängen
drei noch gut erhaltene gemalte Wappenſchilde von
Holz; ſie ſtellen das Wappen der Grafen v. Hohen:
lohe-Brauneck dar — zwei ſchwarze Leoparden, als
Helmzeichen eine goldene Krone, und darüber das
Bruſtſtück eines weißen Einhorns mit voller Helm—
decke. Nirgends mehr als hier finden wir das Wappen
von Hohenlohe-Brauneck in ſolcher Darſtellung. —
Auch an alten Grabdenkmalen, zum Theil in Stein
gehauen, zum Theil aus Meſſing in Stein gegoſſen,
hat Chor und Kirche einen großen Reichthum; leider
ſind die älteſten Steine ſo ſehr abgetreten, daß man
ſie oft nur noch theilweiſe entziffern kann. Unter
die älteſten gehören vier neben einander, die ſich im
Schiff der Kirche unmittelbar unter der Orgel be—
finden. Auf dem einen iſt ein Kreuz eingehauen; er
hat eine kaum mehr leſerliche Inſchrift, an der wir
nur noch die Anno domini und obiti cujus anima
requiescat in pace — erkennen. Ueber ihm liegt noch
ein ſehr alter Stein, deſſen Schrift faſt ganz abge—
treten iſt; und neben ihm ein noch älterer ohne Schrift,
auf dem wir noch deutlich ein Wappen mit zwei
ſchrägen Balken erkennen. Ein vierter ſehr alter
Grabſtein liegt unmittelbar unter dem Marienaltar;
ein alter Kelch iſt darauf eingehauen, die Umſchrift
geht nur halb um den Stein und iſt ſehr unleſerlich.
Ein neuerer, gleichfalls im Schiff der Kirche befind—
licher, hat eine in den Stein eingelegte Tafel von
*
122
Meſſing mit folgender Inſchrift: Als man zält
1546 Jahr am Sonntag Oculi ſtarb der er⸗
ſam Andreas Schnepperger, Schulthes zu
Creglingen, dem Gott gnedig ſei. Amen;
dabei findet ſich das Wappen. Ein anderer ähnlicher
liegt im Chor mit Wappen und Aufſchrift: Anno
1546 am gülden Sonntag in der Vaſten ver⸗
ſchied der erbar Matthäus Kirmik, dem got
gnad. Ein noch neueres Denkmal von Stein und
gemalt ſteht an der nördlichen Seitenwand der Kirche,
es iſt vom Jahr 1616 und ſtellt den Hans Ser:
mann, Rathsherrn zu Creglingen, mit zwei Frauen
und dreizehn Kindern dar, die neben ihm knien; ſechs
Söhne und ſechs Töchter hatte die erſte und ein
Söhnlein die zweite Frau. Beſonders aus dem 17.
Jahrhundert ſind noch viele hübſche Grabſteine, ſo—
wohl im Innern der Kirche, als auch außen an der
nördlichen Außenwand angebracht. Es ſind manche
darunter, welche aus ſchönen Steinen und nicht ohne
Kunſt gearbeitet ſind. Noch erwähnen wir unter den
Alterthümern der Kirche eines uralten hölzernen Kreuzes.
Es hängt mitten in der Emporkirche mit eiſernen
Klammern befeſtigt. Es iſt 10 Schuh lang und 1%
Schuh dick und beſteht aus runden Balken, in welche
55 hölzerne Nägel eingeſchlagen ſind. Einer Sage
zu Folge, wurde dieſes Kreuz von einem Braunecker
mit bloßen Füßen von Rom bis hieher geſchleift.
Wie kräftig müſſen unſere Vorfahren geweſen ſein!
kaum würde jetzt einer, der geübt im Tragen wäre,
123
dieſes Kreuz von der Herrgottskirche bis nach Creg—
lingen ſchleifen. Neben dieſem Kreuz befindet ſich
ein altes Kruzifix, das aber mit den Arbeiten an den
Altären in keine Vergleichung geſtellt werden kann.
Die an der ſüdlichen Wand der Kirche angebrachte
Kanzel iſt nicht alt, aber doch der Beachtung werth;
es iſt eingelegte Arbeit und hat lateiniſche Schrift
rings herum und oben an der Decke. Beſteigen wir
noch die Emporkirche, welche jetzt auf beiden Seiten
durch runde Fenſter beleuchtet iſt, ſo ſehen wir eine
ſchöne, mit gothiſchen Ornamenten verzierte Orgel von
gutem Ton, welche der edle Vaterlandsfreund Jo—
hann v. Dreher in Stettin ſtiftete; dabei haben
wir von hier aus den ſchönſten Ueberblick über die
Kirche und den Marienaltar, beſonders aber auch
gegen den Chor hin, von wo aus ſich die gemalten
Scheiben äußerſt ſchön darſtellen.
Nachdem wir die Merkwürdigkeiten der Herrgotts—
kirche betrachtet, geben wir noch Einiges über ihre
Geſchichte. Ueber die Entſtehung der Kirche, ſowie
die Einweihung der ſämmtlichen Altäre berichtet eine
alte Urkunde Folgendes: „Zu wiſſen iſt, daß in dem
Jahr nach Chriſti Geburt unſers lieben Herrn tauſend
dreihundert und in dem vierundachtzigſten Jahre, an
dem Abend des heil. Marterers Santi Laurentii iſt
gefunden worden das hochwürdig Saerament der
Fohnleichnam Chriſti unſers lieben Herrn an der
Stat, da 9zund der unterſt Altar iſt geſetzt die—
ſer Capellen; da iſt darnach an ſolcher Stat viel
*
124
wunderlicher Zeichen geſchehen. Da nun der Edel—
herr, Herr Cunrad, und darnach Herr Gottfried ſein
Bruder, Grafen und Herren zu Braunek, ſolch offen⸗
bare wunderliche Zeichen ſichtiglich geſehen und ge—
höret haben, da haben ſte dem hochwürdigen Sacra—
ment zu Lob und zu Ehre angehoben zu bauen die
löbliche würdige Capelle mit dem heiligen würdigen
Almoſen aller glaubhaftigen Menſchen. Und darnach
in dem Jahre nach Chriſto unſers lieben Herrn Ge—
burt tauſend dreihundert und in dem neunundacht⸗
zigſten Jahre, an dem Sonntage, da man in den
Kirchen ſingt oculi mei, da iſt die Capelle geweiht
worden mit den zweien unterſten Altären durch den
hochwürdigen Vater und Herrn Johannſen, Biſchofen,
und durch den ehrwürdigen in Gott Vater und Herrn
Gerhard, Weihbiſchof des yzgenanten Herrn Jo—
bannfen Biſchof zu Würzburg. Und darnach in dem
Jahre nach Chriſti unſers lieben Herrn Geburt tau—
ſend dreihundert und im ſechsundneunzigſten Jahre
am nächſten Tag vor St. Lucie der heil. Jungfrauen
iſt der oberſt Altar mitſammt dem Chor geweiht
worden durch den ehrwürdigen Vater und Herrn Jo—
hannſen Biſchof Nickopolenſis. Zu wiſſen iſt auch,
daß der unterſt Altar geweiht iſt in der Ehre des
hochwürdigen Sacramentes des Frohnleichnams Chriſti
unſers lieben Herrn, und der lieben Heiligen. Und
der Altar in dem Chore iſt geweiht in der Ehre der
heil. Frauen St. Anna, der Mutter Maria, und in
der Ehre St. Endres, des heil. Zwölfboten, und in
125
der Ehre St. Chriſtofels des heil. Märterers. Und
der Altar hinten zu der rechten Seiten iſt geweiht
in der Ehre des heil. St. Johannſen des Vorläufers
und Täufers unſers lieben Herrn Jeſu Chriſti; und
in der Ehre St. Lienhard des heiligen großen Noth—
helfers und Beichtigers.“ Schon im Jahr 1386
wurde dieſe Capelle unſers lieben Herrn, oder zu
unſerm Herrn Gott mit einem eigenen Kaplan
verſehen. Pabſt Bonifazius IX. war der erſte, der
die Glaubigen auf die Herrgotts-Capelle im ſtillen
und unbekannten Thale hinwies und ihr einen be—
deutenden Ruf verſchaffte. In der Ablaßbulle vom
Jahr 1394 heißt es unter Anderem alſo: „Bonifazius,
Biſchof u. ſ. w. gemeiniglich an alle glaubhaftige
chriſtliche Menſchen — wir begehren, daß die Capelle
des heil. Fronleichnams Chriſti, gelegen bei der Stadt
Creglingen, Würzburger Bisthums, mit bezuͤglichen
ziemlichen Ehren ſtetiglich heimgeſucht und auch im
Weſen behalten werde; und auf daß die Chriſtgläu—
bigen von Andacht wegen lieber zuſammen kommen
zu der vorgenannten Capellen, zu ihrer Aufrechthal—
tung ihre chriſtliche Hände ſchneller reichen, und aus
derſelben himmliſchen Gabe, die ſie geben, deſto frucht—
barlicher geſpeist und erquickt werden von der all—
mächtigen Gottesbarmherzigkeit — ſo verheißen wir
allen wahrhaftigen Büßern, die eine wahre Reue und
laute Beicht gethan haben, und in die genannte
Capelle kommen mit ihrem andächtigen innigen Gebet
und ihr heilig Almoſen reichen und da laſſen, an
126
dem Tag der Geburt Chriſti u. ſ. w. — die follen
verdienen an einem jeglichen Tag beſonder drei Jahr
Gnad und Ablaß ihrer Sünd, darum ein jeglich
Menſch ſo lang in dem Fegfeuer brennen und braten
und leiden müßt. Wer auch, zu welcher Zeit im Jahr
das geſchehe, in die genannte Capelle komme und ihr
hilflich und fürderlich ſei mit Worten oder durch
Werke, der ſoll an demſelben Tage jeglichem verdienen
100 Tag Ablaß.“ Noch reichere Abläſſe ertheilten
die Päbſte Sixtus IV. und Julius. Im Jahr 1430
erlaubte Pabſt Martin V. dem Burggrafen Michael
zu Magdeburg und Herrn zu Braunek, zwei neuge—
ſtiftete Benefizien und Vitarien zu St. Johannes
dem Täufer und Johannes dem Evangeliſten, mit
dem ihm vorbehaltenen Patronatsrecht daſelbſt einzu—
fuͤhren, welche Biſchof Johann II. zu Würzburg im
Jahr 1432 beſtätigte. Im Laufe der Zeit erhielt die
Herrgottskapelle auch ein ziemliches Vermögen an
Gütern und Nutzungen. Ums Jahr 1477 wurde zu
Ehren des Nikolaus Baur, weiland oberſten Caplans
an der Capelle, von ſeinen nächſten Sippen ein
Gulden Zins zu einem Jahrtag geſtiftet „zu Troſt
und Seeligkeit des Herrn Nikolaus Baurs ſeeligen
Seele, auch aller ſeiner Eltern, auf ein nemlichen
Tag ſechs Meßen mit Vigilien und andern zu halten.“
Ums Jahr 1488 wurde fur Gilg Baur, einſt Pfarr:
beren zu Awe (Au), der ein Geſippter des genannten
Gilg Baur war, noch ein halber Gulden Zins ge—
ſtiftet, damit der obgenannte Jahrtag von wegen
127
Herrn Gilgen und auch feiner Seelen mit noch ſechs
Aemtern der heiligen Meß erſtattet, alſo daß hinfüro
auf ſolchen Jahrtag zwölf gehalten werden möchten.
Wir ſehen aus dieſen beiden Stiftungen, was im
15. Jahrhundert ein Gulden und ein halber Gulden
für eine bedeutende Stiftung geweſen, und was man
damit ausrichten konnte, und ſollte auch ein ſolcher
Gulden ein Goldgulden geweſen ſeyn. — Die vielen
Abläſſe, mit welchen die Herrgottskirche nach und nach
begabt wurde, verſchafften ihr bald einen fo bedeuten:
den Ruf, daß ſich zu gewiſſen Zeiten, beſonders am
Fronleichnamstag und an den Tagen der heil. Bar—
bara, Maria und Margaretha, eine ſo unzählbare
Menge Wallfahrer hier einfand, daß nicht ſelten das
Thal und die Thalwände bis auf die Kuppen der
Berge, ſo weit man die Kirche mit dem Auge er—
reichen kann, mit Andächtigen beſetzt war. Wir dür⸗
fen uns auch nicht wundern, denn manche der Ab—
läſſe waren ſo lockend, daß ſie unter gewiſſen namhaft
gemachten Umſtänden alle Freitage 18000 bis 80000
Jahre Ablaß tödtlicher Sünden verſprachen. Aus
jener Zeit mögen ſich die ſonderbaren Namen her—
ſchreiben, welche einzelne, die Capelle umgebende Berge
erhielten, ſo z. B. Bettäglich, Greinberg, Herrgottsberg,
Handbuch und andere. Als die Reformation einge—
führt wurde, hörte das Wallfahrten auf, und die
Herrgottskirche wurde von nun an mit dem ſie um—
gebenden Kirchhof zu einem noch wichtigeren Zwecke
beſtimmt. Der Kirchhof iſt für die Stadt Creglingen
A
128
und die Filialien Begräbnißplatz geworden, die Kirche
aber wird zu Trauergottesdienſten benützt.
Die Gründung der Herrgottskirche.
Etwa eine Stunde von der Stadt Creglingen ent—
fernt, auf dem Vorſprung eines ſteilen Hügels, ſtehen
die Ruinen der Burg Braunek (Brunek, Brunegge),
welche einem Hauptzweig der Dynaſten von Hohenlohe
den Namen gab. Im Jahr 1380 bewohnten die
Gebrüder Gottfried und Cunrad von Hohenlohe, die
Letzten des Geſchlechts von Braunek, dieſe Burg. Im
Jahr 1368 war ihr Vater Gottfried Todes ver—
ſchieden, und zwar jählings, durch einen Sturz vom
Pferde, alſo, daß er keine Zeit mehr hatte, ein Teſta—
ment über Theilung der Güter zwiſchen ſeinen Söh—
nen zu machen. Wär auch nicht nöthig geweſen,
denn ihr Vater hatte fie noch bei Lebzeiten immerdar
ermahnt, ſich als Brüder zu lieben, und ihre Mutter
ſelig, die drei Jahre dem Vater im Tode vorange—
gangen war, hatte ihnen oft die ſchönen Worte des
Pſalms vorgehalten: ſiehe, wie fein und lieblich iſt
es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen,
daſelbſt verheißt der Herr Segen und Leben immer
und ewiglich. Solche Ermahnung war an ihnen
nicht umſonſt geweſen, bald gaben fie eine Probe
davon. Denn als im Jahr 1371 ihr Vetter Ulrich
von Braunek, genannt von Neuenhaus oberhalb
Mergentheim, Todes verſchieden, und dieſe ſtattliche
129
Burg an die beiden Brüder überging, da machten fie
auch jetzt keine Theilung, ſondern beſaßen beide Bur—
gen mit einander gemeinſchaftlich, bis ſie die zwar
ſchöne, aber zu entfernt gelegene Burg Neuenhaus
an den deutſchen Orden verkauften. Da beide Brüder
bereits um dieſe Zeit verehelicht waren, ſo hätte wohl
einer von ihnen auf die Burg Neuenhaus ziehen
können, aber ſie waren gar zu ſehr an einander ge—
wöhnt, alſo daß ſie ihren Hausſtand nicht theilen
mochten. Ihre beiden Hausfrauen, was doch wunder—
ſelten der Fall iſt, vertrugen ſich alſo im Frieden,
daß ſie an einem und demſelben Heerd mit einander
kochten, und ſich mit ihren Kindern und Ehhalten in
einem und demſelben Saale der Burg vertrugen.
Frau Anna von Hohenlohe, Herrn Cunrads Hausfrau,
und Frau Williberg von Rienek, Herrn Gottfrieds
Gemahl, liebten ſich wie zwei Schweſtern, die unter
Einem Mutterherzen gelegen, und dieſe innige Liebe
der Männer und Frauen auf Burg Braunek war
auch auf die Kinder übergegangen. Herr Cunrad von
Braunek hatte nur ein einziges Töchterlein, und ſein
Bruder Gottfried nur ein Söhnlein; auch dieſe beiden
liebten ſich wie Geſchwiſtrige, und ebenſo war jedes
von beiden den beiderſeitigen Eltern alſo zugethan,
daß Herrn Gottfrieds Söhnlein nicht wußte, ob ihm
Vater und Mutter oder Oheim und Muhme lieber
wären, und ebenſo war es bei Cunrads Töchterlein.
Weil aber Herr Cunrad von Braunek von Gott nur
mit einem Töchterlein geſegnet war, und keine Hoff—
II. 8 9
*
130
nung mehr hatte, daß ſeine Hausfrau noch eines
Kindes geneſen würde, dieweil ſie ſchon ſieben Jahre
nimmer geboren hatte, To hatte er ſich ſchon längſt
vorgeſetzt, von ſeinen zeitlichen Gütern Etwas Gott
zu Ehren zu opfern, und dazu gab es bald eine Ge—
legenheit. Es war im Jahr 1384, am Abend des
heil. Märtyrer Laurentii, da wurde an der Stelle,
da jetzt die Herrgottskirche ſteht, das hochwürdige
Sacrament, der Fronleichnam Chriſti unſers Herrn
aufgefunden; ein Ackersmann hatte das Heiligthum
aus dem Boden geackert, allwo es mehrere Jahre tief
verſcharrt gelegen und ganz unverſehrt geblieben war.
Gerade ritt Herr Cunrad des Wegs, er wollte ſeinen
Vetter Götz von Hohenlohe auf Burg Lichtel ober—
halb des Münſterthals heimſuchen. Da erzählte ihm
der Bauer von der wunderbaren Geſchichte und zeigte
ihm den Fronleichnam des Herrn, den er ſoeben aus
der Erde geackert hatte. Herr Cunrad von Braunek
erkannte dieß alsbald für ein Zeichen, das ihm von
Gott geworden wäre, daß er allda dem Herrn zu
Ehren eine Capelle erbauen ſollte. Zur Stunde faßte
der Edelherr den frommen Vorſatz, alſo zu thun,
und wollte er das verrichten von ſeinem eigenen
Vermögen, von den Gülten, Zinſen und Zehenten,
die er in dieſem Jahr ſo reichlich von ſeinen Grund—
holden zu Sechſelbach empfangen hatte. Aber er
ſollte nicht alleine ſeyÿn, der unſrem Herrn Gott zu
Ehren eine Capelle erbauete, denn, ſobald er auf
Burg Braunek zurückkam und ſeinem Bruder von
131
dem Wunder meldete, auch ſein frommes Vorhaben
demſelben offenbarete, da ſprach Gottfried ſein Bruder:
da ſei Gott für, daß du allein dem Herrn eine
Capelle baueſt! — hat er mich nicht ebenſo reich mit
Gütern geſegnet wie dich? haben nicht meine Aecker
der Früchte die Menge gegeben, auch meine Obſt—
bäume und Weinſtöcke im Ueberfluß getragen? Dem—
nach vergönne auch mir die Ehre, daß ich mit dir
baue eine Capelle an heiliger Stätte, da ſich der liebe
Herregott ſo wunderbarlich geoffenbaret. Dagegen
war auch nicht Bruder Cunrad, und er vergönnte
ihm williglich die Freude, mit ihm zu bauen an einer
Capelle, Gott dem Allmächtigen zur Ehre. Von
Stund an gingen beide Brüder daran, ihr Vorhaben
auszuführen. Die ſtattlichen Roſſe im Marſtall der
Edelherren durften von nun an ſelten mehr reichge—
ſchmückte Schabraken und Sättel tragen, ſie wurden
an ſchwere Karren geſpannt, und mußten tagtäglich
in die Nähe des Fleckens Freudenbach traben, allwo
die Hinterſaßen der Edelherren im Steinbruch Laſten
von mächtigen Quadern hieben, mit denen die Pferde—
knechte die Karren beluden, um fie ins Münſterthal
zu führen. Als viele Laſten Steine an der Stätte
lagen, wo die Capelle gebaut werden ſollte, da wur—
den in den Wäldern der Edelherren große Eichen ge—
fällt, und gleichfalls zur Stelle gebracht. Als nun
Alles, Holz und Steine, im Ueberfluß an der Stätte
vorhanden war, da beſtellten die Herren Steinmetzen,
Bildhauer und Zimmerleute, um den Bau der Capelle
0
132
zu fördern Die Werkleute arbeiteten gar fleißig,
wozu ſie auch die Gebrüder von Braunek ernſtiglich
anhielten, ſintemalen ſie tagtäglich abwechslungsweiſe
ab ihrer Burg ins Münfterthal ritten und ihnen zus
ſprachen. Vor Allem aber thaten ſie denſelben fleißig
Zuſpruch mit manchem guten Trunk Tauberwein,
denn wo die Maurer mit Wein den Mörtel anmachen,
da gibt es ein feſt Mauerwerk, und die Arbeit geht
raſch vorwärts. Alſo geſchah es, daß die Capelle,
die in der Wochen nach St. Lorenzen des Jahrs 1384
begonnen worden, mit Lichtmeß des Jahrs 1386 be—
reits unter Dache ſtand und man in ihr am ein—
fachen Steinaltar Meſſe halten konnte. Aber erſt
im Jahr 1389 am Sonntag, da man in der Kirche
ſinget oculi mei, da iſt die Capelle geweihet worden
mit den zwei unterſten Altären durch den ehrwürdi—
gen Herrn Gerhard, Biſchof zu Würzburg, und Herrn
Johannſen ſeinen Weihbiſchof. Das war ein feſtlicher
Tag für die ganze Umgegend, beſonders für alle Be—
wohner der Burg Braunek und ihre Hinterſaßen, als
man die Capelle im Münſterthal zu Ehren des hei—
ligen Seligmachers Jeſu Chriſti unſers lieben Herrn,
oder zu unſrem Herrn Gott weihte, weßhalb man
ſie auch ſpäterhin Herrgottskirche nannte. Man
hätte ſie auch mit Fug und Recht die Kirche zur
Bruderlieb weihen dürfen, ſintemalen ſich Bruder—
liebe vor und bei dem Bau alſo kund gethan, daß
Liebe und Eintracht der Brüder der heiligen Stätte
gleichſam die erſte Weihe gegeben. Seitdem iſt dieſe
> 133
Herrgottskirche eine der beſuchteſten Wallfahrtskirchen
im ganzen Frankenlande geworden, beſonders von der
Zeit an, da ſie in dem herrlichen Marienaltar ihr
ſchönſtes Kleinod erhalten.
Das Nachtglöcklein zu Creglingen.
Kaum eine Viertelſtunde aufwärts, an der Tauber—
brücke zu Creglingen, ſteht ein hoher Thorthurm, der
wohl ein gleiches Alter, wie die Herrgottskirche haben
mag. In ſeinem oberen Stocke befindet ſich ein Uhrwerk
mit einer helltönenden Glocke. Dieſe wird jeden Win—
ter von Martini bis Lichtmeß Abends 8 Uhr 10 Mi—
nuten lang geläutet. An dieſe Glocke, das fogenannte .
Nachtglöcklein, knüpft ſich eine liebliche Sage. Einſt
in rauhen Wintertagen ging eine Jungfrau durch den obe—
ren Taubergrund. Sie verſpätete ſich, und es wurde
Nacht. Die Schneeflocken fielen ſo dicht, daß ſie bald
keine Spur mehr von einem Wege unterſcheiden konnte.
Da rief ſie voll Zagen und Bangen: erſcheint Nie—
mand, der mir den Weg zeige und mich errette aus
dieſer Noth? Aber keines Menſchen Stimme gab
ihrem Rufe Antwort; der Winterſturm wehte fort
und die Wellen der Tauber erbrausten immer wilder.
Zitternd und bebend kniete ſie nieder auf den ſchnee—
bedeckten Boden und flehte zum Himmel: ach! er—
barme dich, himmliſcher Vater, und zeige mir die
rechte Bahn, auf daß ich Rettung finde! Kaum hatte
ſie das Wort geſprochen — ſiehe da! eines Glöckleins
0
134
Ton klang ſilberhelle in ihr Ohr, und zu gleicher
Zeit zeigte ſich eine Capelle vor ihrem erſtaunten
Blicke. Da auf einmal war alle ihre Sorge ver⸗
ſchwunden. Freudig trat ſie in die Capelle ein, nahte
dem Altar und ſank voll Dank und Andacht an ſei—
nen Stufen nieder. Gelobet ſeiſt du, gütiger Gott,
ſo betete ſie, der mich errettet hat aus des Sturmes
Toben, und in der Finſterniß mir liebend ſeine Vater—
arme reichte. Darum gelobe ich zur Stunde, hier zu
ſtiften ein Geläut, deſſen Klang der Pilger höre,
wenn er des Nachts wandelt durch dieſe Bergſchluchten,
und ein Wetter ihn ereilet! Was ſie in jener heili—
gen Stunde gelobt hatte, das vollführte ſie auch.
Sie ſtiftete in den alten Thurm der Stadt ein Glöck—
lein, das um Mitternacht angezogen wird, und noch
jetzt ſeinen Klang durch das Tauberthal ſendet, um
manchem irrenden Pilger in der Nacht den rechten
Weg zu zeigen. Wie gut wäre es, wenn ſolche
Glöcklein auch magiſche Kraft übten auf die moraliſch
Verirrten; da wäre es der Mühe werth, über jedem
Orte eine ſolche Silberglocke ertönen zu laſſen.
135
III.
Ruine Hohengerhauſen
im Blauthal.
Auf einer ſchroffen Felſenſpitze in dem durch ſeine
Burgen und Felsparthien herrlichen Blauthale, noch
über dem ſogenannten Frauenberg, ſtehen die Ruinen
der mächtigſten Burg im Thal, genannt Hohen—
gerhauſen, die einen äußerſt maleriſchen Anblick
bieten. Wie groß auch die Verheerungen in der
Burg geweſen ſeyn mögen, man erkennt doch noch
unter ihren Trümmern das Burgthor, die Mauern
und Vorwerke, die ſie von Außen ſchützten, ſowie die
Hauptzinne im Innern auf dem höchſten Punkte. Es
ſteht noch ein gewaltiger Mauerſtock, von ſchönen
Buckelquadern aus Tuffſteinen gehauen, 15 — 20 Fuß
ins Gevierte. Er ſcheint dem kühnen und merkwür—
digen Bogen zum Stützpunkt gedient zu haben, der
zur Hälfte geſprengt, lange Zeit frei in die Luft
hinausragte, und vorher die Verbindung von einem
Felſen auf den andern herſtellte. Innerhalb der
Ruinen befindet ſich ein großes, ganz in den grauen
Marmorfelſen mit Kunſt gehauenes Gewölbe. Ehmals
ſtanden auf der Burg zwei hohe Thürme, von denen
der eine das eiſerne Haus geheißen, weil deſſen Ein—
geweide nur aus eifernen Schleudern beſtand; der
*
136
andre hieß der Rieſenthurm. Auch der ganze Fels
war, wie auf der Burg Hohenkrähen am Bodenſee,
mit Höhlungen und Gewölben verſehen, daß ſich ganze
Schaaren von Rittern mit ihren Pferden darin auf—
halten konnten, während ſie zu Zeiten auch zu Ma—
gazinen dienten.
Die Burg Hohengerhauſen iſt wohl die älteſte im
Blauthal. Schon im Jahr 1000 und 1060 werden
ihre älteſten Beſitzer, die Grafen Adelbert und Hugo
genannt, welche ſich davon geſchrieben. Im Jahr
1092 wird in einer Verhandlung zu Bempflingen
zwiſchen den Stiftern von Zwiefalten, dem Grafen
von Achalm und ihren Neffen ein Graf Hartmann
von Gerohuſin genannt. Derſelbe zeugt auch im
Jahr 1100 in der Stiftungsurkunde des Kloſters
Ochſenhauſen. Das alte Grafen- oder Dynaſtenge—
ſchlecht ſcheint ſchon frühe ausgeſtorben zu ſeyn, die
Burg kam an die Grafen von Helfenſtein, welche
Burgmänner darauf hielten, die ſich von der Burg nann—
ten. In dem Urbarium des längſt abgegangenen Klöſter—
leins Weiler bei Blaubeuren wird eines Juſts von
Gerhauſen gedacht, gegen den die Meiſterin des Kloſters,
Clara von Gemmingen, beim Grafen von Helfenſtein
Klage erhoben, wegen Beeinträchtigung durch die
Jagd im Forſt ihres Klöſterleins. Juſt war alſo
ein Helfenſtein'ſcher Dienſtmann. Im Jahr 1282
lebt Friedrich von Gerhuſen, und im Jahr 1292,
ſowie im Jahr 1294 zeugt ein Ritter Gebehard, Vogt
auf Gerhuſen. Im Jahr 1309 iſt wieder ein Frie⸗
137
drich von Gerhuſen Zeuge bei einem Verkauf zu Aſch.
Dabei wurde die Burg dennoch auch von den Grafen
von Helfenſtein bewohnt, denn bei einer Theilung der
Helfenſtein'ſchen Güter im Jahr 1356 räumte Graf
Ulrich der Aeltere von Helfenſtein ſeinem Vetter
Graf Ulrich dem Jüngeren den Sitz auf Gerhauſen
ein. Man hat noch ein Verzeichniß von Geräth—
ſchaften, welche „der alte Herr, Herr Ulrich von Ger—
huſen, (nach Hiltenburg) gebracht, worunter ſich ins—
beſondere die Stücke, welche Ulrichs junger Gemahlin,
einer Prinzeſſin von Bosnien angehörten, durch Koſt—
barkeit auszeichneten.“ In jene frühe Zeit, da die
Grafen von Helfenſtein die Burg bewohnten, und
die Herren von Ruck noch gegenüber auf dem Rucken—
ſchloß ſaßen, gehört das bekannte Wort:
Hüt dich Ruck,
Daß dich Gerhus nit verdrud.
Die beiden Nachbarn gegenüber waren ſtets wider
einander, bis auch das Ruckenſchloß Eigenthum der
Grafen von Helfenſtein wurde. Dieſe Grafen von
Helfenſtein auf Gerhauſen mil en reiche Herren ge—
weſen ſeyn — ſie hatten eigene Straßen von Ger—
hauſen bis in ihre Herrſchaft Wieſenſteig, Helfenſtein
und Heidenheim angelegt, und je von zwei Stunden
zu zwei Stunden waren Denkſteine an den Straßen
aufgerichtet, auf denen ihr Wappen (der Elephant)
eingehauen war. Noch ſind Spuren von ſolchen
Straßen vorhanden, die man Herrenwege nennt. Auch
*
138
erzählt man in dem nur eine Viertelſtunde von Ger:
hauſen entfernten Dorfe Sunderbuch von einem Gra—
fen von Helfenſtein, deſſen Pferd, als er da vorbei
ritt, ein ſilbernes Hufbeſchläg verloren. Ein armer
aber redlicher Mann fand das Beſchläg und trug es
dem Grafen nach. Der aber gab ihm ſtatt des
Trinkgelds eine tüchtige Ohrfeige und rief: armer
Teufel! warum haſt du das Beſchläg nicht behalten,
und dir damit eine Nahrung verſchafft? Im Schloß
hab' ich noch genug dergleichen. — Doch ſahen ſich
dieſe reichen Herren von Helfenſtein bald veranlaßt,
ihrer Schulden halber eine Beſitzung nach der andern
zu verkaufen. Schon im Jahr 1303 verkaufte Graf
Ulrich von Helfenſtein um 500 Mark Silber die drei
Veſten Gerhauſen, Ruck und Blauenſtein ſammt der
Stadt Blaubeuren an Herzog Rudolf von Oeſterreich,
der ſie ihm aber wieder als Lehen zuſtellte. Im Jahr
1390 verpfändete Graf Johann von Helfenſtein die
Burg an Herrn Luz von Landau. Die Ulmer nahmen
dem von Landau aus Neid dieſe und andre feſte
Burgen weg, aber Luz eroberte ſie ſchnell wieder, an
Mariä Himmelfahrt im Jahr 1393, während der
größte Theil der Beſatzung auf Gerhauſen einer
Prozeſſion im Kloſter beiwohnte. Wohl nach dieſer
Zeit ſaßen die Rußen oder Reußen, die in dieſer
Gegend begütert waren, auf der Burg. Vielleicht
erhielt ſie davon im Munde des Volks den Namen
Reußen⸗, Rußenſchloß. Im Jahr 1439 war ein Hans
von Werno (au), der Eine von Reußenſtein zur Frau
139
hatte, auf Gerhauſen ſeßhaft. Derſelbe mußte das
Oeffnungsrecht auf Reußenſtein, ſo wie auf Gerhauſen
der Herrſchaft Wirtemberg zuſichern. Im Jahr 1448
kam die Burg ganz und gar an Wirtemberg, denn
Graf Conrad von Helfenſtein verkaufte ſie mit den
Burgen Ruck und Blauenſtein ſammt der Stadt
Blaubeuren um 40,000 fl. und 200 fl. Leibgeding
an den Grafen Ludwig von Wirtemberg, der ſofort
von Herzog Albrecht von Oeſterreich damit belehnt
wurde. Die Grafen von Wirtemberg ſetzten einen
Forſtknecht (Forſtbeamten) auf die noch bewohnbare
Burg; doch kam ſie nach und nach immer mehr in
Abgang. Im Jahr 1632 wurde von Wirtemberg
aus befohlen, das ſehr in Abgang gerathene Schloß
in aller Eile ſo gut als möglich auf den Fall nöthi—
ger Defenfton zu repariren. Doch konnte ſie um
dieſelbe Zeit noch einen vornehmen Gaſt beherbergen,
denn die Erzherzogin Claudia, Wittwe des Erzherzogs
Leopold, ſuchte auf dem Schloß eine Zeit lang ein
ſicheres Aſyl, wo ſie mit den Ihrigen wohl geborgen
war. Fürſtlich war die Bedienung, welche ihr hier
zu Theil wurde; es paradirte ſogar eine Schloßwache
vor dem Thor, das dem Einfall drohte. Beim Ab—
ſchluß des weſtphäliſchen Friedens ſollen die Franzoſen
das Schloß demolirt haben. Gegen den Schluß des
17. Jahrhunderts war Gerhauſen bereits eine groß—
artige Ruine. Wie ſie damals ausgeſehen, darüber
berichtet der alte treuherzige Pfarrer Rebſtock in ſei-
ner „kurzen Beſchreibung von Würtemberg“ vom Jahr
c
140
1693 alſo: „dieß uralte Bergſchloß Gerhauſen iſt bis
in den 30jährigen Krieg bewohnt und in baulichem
Weſen ziemlich erhalten worden, wie denn noch Anno
ſechszehnhundert und etlich und zwanzig ein Forſtknecht
auf dieſem Schloß gewohnt, bei welchem der noch
lebende 80 jährige Schultheiß (im Dorf Gerhauſen)
zu Koſt gangen, und ſind des Forſtknechts Buben
aus dieſem Schloß in die Schul nach Blaubeuren
geſchickt worden. Dieſer alte Mann iſt mit mir den
jähen Berg über die zerfallene Mauren hineingeſtiegen,
und mir alle Beſchaffenheit gezeigt, in welchem noch
ſehr hohe Mauren von ſchönem Steinwerk, Keller,
Gefängniſſe, Brunnen und Ciſternen zu ſehen. Dieſer
alte Mann erzählte mir auch, daß der untere Berg
gegen dem Dorf Gerhauſen der Frauenberg genennet
werde, welches daher rühren ſolle, weil vor Zeiten
eine Frau von Helfenſtein da gewohnt, ſo der Jugend
zu Gerhauſen jährlich an ſolchem Berg einen Eimer
Wein zu vertrinken geben. Nunmehr kommt dieſes
Schloß von Tag zu Tag je länger je mehr in Ab—
gang, die Stein und Mauren werden abgebrochen
und zu andern Gebäuden verbraucht.“ Im Jahr
1768 iſt die Ruine Gerhauſen an einen Bürger von
Blaubeuren für 60 fl. auf den Abbruch verkauft
worden. Dieſen ſchmählichen Verkauf hatte der Staat
mit zehnfachem Schaden zu büßen, den die bei jedem
neuen Abbruch herabrollenden Steinmaſſen in den
unten liegenden herrſchaftlichen Waldungen anrichte—
ten. Da wurden auf Antrag eines Cameralbeamten
141
Teichmann die Ueberbleibſel von den Erben des
Käufers um 44 fl. zurückgekauft, und ſo die ſchönſte
Ruine im Blauthal vom gänzlichen Untergang ge—
rettet.
Manche Sage knüpft ſich an den Felſen, der die
Ruine trägt — hier drei, wie ſie noch jetzt unter
dem Volk gehen.
Der Ludomillen⸗Stein im Blauthal.
Nicht weit von der Burg Gerhauſen ſtand noch
vor einigen Jahrzehenten am Fuß einer ſchroffen Fels—
wand ein Steinkreuz, auf dem eine Jungfrau mit
lockigen Haaren abgebildet war, und dieſes Denkmal
wurde Ludomillen-Stein genannt. Ueber ſeine Ent—
ſtehung hat ſich im Munde des Volks eine ernſte
Sage erhalten.
Vor wohl 700 Jahren lebte auf der Burg Ger—
hauſen die Letzte des uralten Dynaſtengeſchlechts dieſes
Namens, die hieß Ludomilla. Sie war die ſchönſte
Jungfrau im Blauthal, und Mancher, der ſie ſah
und hörte, wenn ſie liebeglühende Lieder zur Harfe
ſang, wurde von einem gewaltigen Zauber ergriffen.
Leider! wohnte in dem zarten Frauenherzen ein wilder
Sinn, denn nicht nur verſtand ſie die Saiten der
Harfe, ſondern ſie war auch gewandt, die Sehne des
Bogens zu ſpannen, und den Pfeil ſicher nach ſeinem
Ziele zu ſenden.
Auf der Burg Gerhauſen fand jeder Fremdling
* .
142
gaftliche Aufnahme und freundlichen Willkomm. Immer
die liebenswürdigſten Gäſte wußte Ludomilla mit dem
Zauber ihrer Schönheit, ihres Gefunges und ihrer Gaſt—
freundſchaft auf der Burg hinzuhalten, wenn ſie aber
ihres Umgangs ſatt geworden war, 4 entließ ſie ſie
freundlich, doch kaum waren ſie durch das Thor der
Burg geritten, ſo traf ſie ein tödtlicher Pfeil von
derſelben Hand, die ſie zuvor liebgekost hatte.
Auf dem Schloß Kaltenburg im Lonethal war
großer Jammer und Herzeleid: der älteſte Sohn des
Burgherrn war gen Ulm gezogen, wo Kaiſer Conrad
damals einen Reichshof hielt, aber er kehrte nimmer
in die Heimath zurück. Als man in Ulm nach ihm
forſchte, da hieß es, er ſei bereits mehrere Wochen
wieder von Ulm geſchieden, und nirgends konnte man
von ſeinem Schickſal Etwas vernehmen. Von Kummer
niedergebeugt wankte Ritter Albrecht auf Kaltenburg
ſchnell dem Grabe zu; auf ſeinem Sterbelager mußte
ihm Bruno, ſein jüngſter Sohn, verſprechen, nach
ſeinem verlornen Bruder zu fahnden, und im Fall
er in Feindes Gewalt wäre, ihn zu befreien, wenn
er aber getödtet wäre, ſeinen Tod zu rächen. ©:
bald fein Vater verſchieden war, machte ſich Bruno
auf die Fahrt, um ſein Verſprechen zu erfüllen.
Lange zog er das Land auf und ab, und forſchte
auf allen Burgen, pochte an manchem Kloſter an,
aber er konnte nicht die geringſte Spur von ſeinem
Bruder entdecken. Eines Tags langte er in einem
kleinen Thale an. Azurblau entſprang ein Flüßlein
143
aus einem breiten Felsbecken, und nicht ferne davon
winkte hoch herab von der Höhe eine ſtattliche Burg.
Hier an der blauen Quelle beſchloß Bruno zu raſten,
und ſich und ſein Pferd mit kühlendem Tranke zu
laben. So lag er lange ſtill und nachdenklich im
kühlen Schatten der Gebüſche, während ſeine Ge—
danken in der weiten Welt ſeinen Bruder ſuchten; da
gewahrte er auf einmal ein flüchtiges Reh, das mit
Keuchen die Weite ſuchte, und hinter ihm, auf einem
edlen Roſſe ritt eine Jungfrau von blendender Schoͤn—
heit, im reichen Jagdanzug mit Köcher und Bogen
um den Nacken. Lange ſah Bruno der holden Er—
ſcheinung nach, und lag träumend im Grünen, bis
die Sonne in einem Glutmeer unterging und der
freundliche Abendſtern am Himmel zu leuchten begann.
Nun dachte er endlich daran, ein Nachtlager zu ſu—
chen; er trieb ſein Pferd nach der Burg oben auf
der Höhe, wo er bald anlangte und freundlich auf:
genommen wurde. Hier ſah er zu ſeinem großen
Entzücken die Jägerin, welche ſich ihm als Herrin
des Schloſſes vorſtellte. Es war Ludomilla von
Gerhauſen. Unter ſüßem Geſpräche mit ihr verſchwand
Stunde um Stunde, bis die Mitternacht die im—
mer noch Plaudernden zur Ruhe mahnte. Doch
kein Schlummer ſenkte ſich auf Ludomillens Augen—
lieder. Bis jetzt hatte ſie noch keinen Mann innig
geliebt, ſondern ſie ſah in Allen nur das Werkzeug,
ihre Luſt zu ſtillen; doch jest war zum erſten Mal
in ihrem Herzen wahre innige Liebe zu einem Manne
0
144
rege geworden. Zum erften Mal dachte ſie daran, fich ei—
nen Gemahl zu wählen, und ſie entſchloß ſich, ihre Hand
dem Gaſte zu ſchenken, dem ihr Herz ſeit ſeiner Ankunft
zugefallen war. — Auch Ritter Bruno hatte ſich
in ſein Gemach begeben. Alles war ſtill im Schloſſe:
er trat an das offene Fenſter, ſchaute behaglich in
die ſchöne Nacht hinaus, und hörte den lieblichen
Klängen der Nachtigall zu, die ihr Lied von der
Linde des Schloſſes ertönen ließ. Da auf einmal
pochte es leiſe an die Thüre, und als er öffnete,
ſtand vor ihm ein Mädchen in weißem Nachtkleide,
mit einem Angeſicht, auf welchem die Augen gerne
verweilten; in ihrem ſchwermüthigen Blicke lag ein
Zauber, der tief ins Herz drang. Lange ſah der
Ritter die Jungfrau verwundert an, da begann ſie
mit melodiſcher Stimme: entſchuldigt, edler Ritter,
daß ich zu einer ſo ungewöhnlichen Stunde komme,
um Euch eine wichtige Mittheilung zu machen. Ein
Schwur, den ich an heiliger Stätte gethan, ſo wie
der Wunſch, Euch vom ſichern Tode zu retten, ver—
anlaßt mich dazu. Ich bin eine Waiſe, und wurde
ſchon früh von den Eltern Ludomillens, meiner
Herrin, auf dieſe Burg gebracht, wo ich mit ihr er—
zogen wurde. Meine Pflegeltern ſtarben und ich
wollte das Schloß verlaſſen, wurde aber von Ludo
millen beſtimmt, bei ihr zu bleiben, da ſie mich wie
eine leibliche Schweſter liebe. Ich blieb, hielt mich
aber meiſtens in meinem Gemach auf und ſah ſelten
Ludomillen. Eines Abends, als ich von dem Walde
145
zurückkehrte, wo ich manchmal luſtwandelte, ſah ich,
wie Ludomilla einem ſcheidenden Ritter, deſſen Pferd
bereits geſattelt vor dem Schloſſe ſtand, einen zärt—
lichen Abſchiedskuß reichte. Aber kaum war der Arg—
loſe zu Pferde geſtiegen und einige Schritte von
dannen geritten, ſo legte Ludomilla ihren Bogen an,
und der Ritter ſank von ihrem nie fehlenden Geſchoße
getroffen vom Pferde. Das Pferd des Getödteten
wurde in den Stall geführt, der Leichnam aber wurde
in eine nahe Ciſterne verſteckt. Von dieſem Tage
an beobachtete ich Ludomillen genauer, und erfuhr,
daß noch viele Ritter, nachdem ſie mit ihnen gebuhlt
hatte und ihrer überdrüſſig geworden war, ein Opfer
Ludomillens wurden. Einſt ging ich nach meiner
Gewohnheit im Walde ſpazieren, da auf einmal
ſprengten zwei vermummte Ritter heran, und einer
von ihnen ſagte zu dem andern, indem ſie mich er—
griffen und auf ein Pferd huben: wohl iſt es nicht
die Rechte, doch fol fie unſre Beute ſeyn. Ich ſtieß
einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht; als ich
wieder aufwachte, fand ich einen ſchönen jungen Ritter
mit mir beſchäftigt, und die beiden Räuber in ihrem
Blute ſchwimmend am Boden liegen. Der Ritter
ſetzte mich auf ſein Roß, und ging, nachdem er ſeine
Wunden verbunden hatte, das Roß am Zügel führend,
langſam neben mir her; er beſchwor mich, keine
Angſt zu haben, und ihm zu ſagen, wo ich hinge—
bracht zu werden wünſche. Ich bat ihn, mich nach
der nahen Burg Gerhauſen zu geleiten, wo er ſelbſt
10
II. 1
146
.
freundliche Aufnahme finden würde. Zugleich aber
hielt ich es für Pflicht, ihn meinen Retter vor Zus
domillens Argliſt zu warnen; ich beſchwor ihn, ja
nicht ihren Liebesſchwüren zu trauen, denn der erſte
Kuß von ihren Lippen, den ſie ihm reiche, weihe ihn
zum Tode. Er verſprach mir, es zu thun und
Morgen mit dem Früheſten ſein Roß ſatteln zu laſſen,
um wieder von dannen zu ziehen. Aber meine War-
nung war umſonſt. Ludomilla ſchlang auch um ihn
ihre Zauberbande, er ließ ſich bethören, und auch er
theilte das traurige Loos mit den Vielen, die ihm
vorangegangen. Da legte ich ein feierliches Gelübde
ab, jeden Ritter, der fürder in der Burg einkehren
würde, vor Ludomillen zu warnen, wie ich eben Euch
gethan. Als die Jungfrau geendet hatte, fragte
Bruno: hat Euch Euer Retter nicht ſeinen Namen
und ſeine Heimath genannt? Als ſeine Heimath
nannte er, wenn ich nicht irre, das Lonethal, und
ſein Name war Otto von Kaltenburg. Kaum hatte
ſie den Namen ausgeſprochen, ſo rief Ritter Bruno
ſchmerzvoll: o Gott! das iſt ja mein Bruder! So
bin ich im Hauſe ſeiner Mörderin, aber ich will
den Gemordeten fürchterlich rächen. Ich bitt' Euch,
laſſet vor Niemanden merken, daß Ihr mir dieſe
Mittheilung machtet. So gewiß ich Euch redlich
gewarnt, erwiederte die Jungfrau — ich werde ſchwei—
gen — Gott möge Euer Rächer ſeyn. Mit dieſen
F verließ ſie den Ritter.
So wenig Ritter Bruno ſonſt für Versen
147
fähig war, er zwang fich, feinen Schmerz zu verhehlen,
und war am Morgen freundlich gegen Ludomilla,
wenn er auch ihre Liebkoſungen kaum erwiederte.
Aber gerade das fachte ihre Liebe noch mehr an, die
ſie gleich beim erſten Zuſammentreffen gegen Bruno
empfunden hatte. Es war am zweiten Tage ſeines
Aufenthalts auf Gerhauſen — Ludomilla führte ihn
auf einen hohen Felſen der Burg, von wo aus man
das ſchöͤne Blauthal überblickte. Hier legte ſie dem
Ritter das Geſtändniß ihrer Liebe ab. Da rief er
mit zornrothem Angeſtcht: Scheuſal, wie ſollte ich
Dich lieben können, da Du mir meinen Bruder ge—
mordet und meinen Vater in die Grube gebracht!
Wie vom Blitze gerührt ſtand Ludomilla — ſie
zitterte und bebte, wankte an den Rand des Felſen
und ſprach: Du willt mich nicht lieben, ſo vermähle
ich mich mit dem Tode, dem ich ſo Viele geopfert —
ſie warten meiner — Ludomilla ſtürzte hinab in den
Abgrund, wo ſie an dem Felſen zerſchmetterte. —
Bruno verließ zur Stunde die Burg — ihn begleitete
die edle Jungfrau, feine Netterin, auf die Burg im
Lonethal, wo ſie ihm bald Herz und Hand zum
treuen Bunde reichte.
An der Stelle, da Ludomilla den Tod fand, ließ
Bruno ein Steinkreuz errichten, das die ſchreckliche Ge⸗
ſchichte verewigte.
149
Die Braut auf Gerhauſen.
Auf einer Felſenſpitze über der Stadt Blaubeuren
ſtand vor Zeiten die ſtattliche Burg Blauenſtein; ſie
wurde frühe zerſtört, und an ihrer Stelle ein hölzer—
nes Blockhaus erbaut, welches noch im Jahr 1773
ſtand, und immer noch den Namen „Veſte oder Haus
Blauenſtein, auch Blauhäuslein“ führte. Im ge—
nannten Jahre wurde dieſes Blauhäuslein auf den
Abbruch verkauft, und jetzt iſt kein Stein mehr von
der ehmaligen ſtattlichen Veſte vorhanden.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ſaß
auf Blauenſtein Graf Ulrich von Helfenſtein, dem
auch die Nachbarburg Gerhauſen gehörte. Seine ſeit
Jahren in Gott ruhende Gemahlin Frau Gertrud
hatte ihm nur eine einzige Tochter geboren, welche
die Freude und der Troſt ſeines Lebens hätte werden
können, aber ſie wurde es nicht, denn die holde und
minnigliche Hildegarde ſchenkte einem Manne ihre
Liebe, der ihrem Vater zuwider war. Und warum
war die Wahl Hildegardens keine dem Vater ge—
nehme? Weil Herr Conrad von Gerhauſen, ein bie—
derer und ritterlicher Junkherr, der Dienſtmann des
reichen Grafen von Helfenſtein geweſen, denn, wie
weiland ſein Vater Gebhard von Gerhauſen, ſo trug
auch er von dem Helfenſteiner ſeine Burg zu Lehen
und nannte ſich feinen Dienftmann. Dem ungeachtet
hatte Conrad von Gerhauſen, ermuthigt von ſeiner
149
geliebten Hildegarde, es gewagt, frei und redlich vor
den Grafen von Helfenſtein zu treten, und um die
Hand der Tochter ſeines Lehensherrn zu werben, deren
Herz er ſchon längſt beſaß. Die Werbung des jungen
Ritters war keine glückliche. Mit barſchen Worten
fuhr ihn der Graf an, verwies ihm ſeine Frechheit,
daß er, der Dienſtmann, es wage, zur einzigen Tochter
ſeines Herrn das Auge zu erheben, und ſchwur hoch
und theuer, ſeine Tochter eher der Kirche zu weihen,
als je ſeine Einwilligung zu dieſer Verbindung zu
geben. Von nun an bewachte der Graf von Helfen—
ſtein ſein Töchterlein mit Argusaugen, alſo daß
Hildegarde nie über den Zwinger der Burg kam.
Trotz dieſer ſtrengen Bewachung fand die Liebe Wege
zur gegenſeitigen Verſtändigung — eine treue Amme
ſetzte den Ritter von dem ſtrengen Entſchluſſe des
Vaters in Kenntniß, und meldete ihm zugleich, wie
Hildegarde bereit wäre, der Kindespflicht ihre innige
Liebe zum Opfer zu bringen, wenn anders der Ge—
liebte ſich dazu verſtehen könnte, auch zu entſagen.
Mit ſchwerem Herzen fügte ſich Conrad von Gerhauſen
in den Wunſch der Geliebten. Alsbald hinterbrachte
Hildegarde ihrem Vater ihren Entſchluß, ſich in ſeinen
Willen zu fügen, aber nur unter der Bedingung,
wenn ſie den Schleier wählen dürfe. Graf Ulrich
ließ ſeiner Tochter die Wahl, unter den vielen Gottes—
häuſern eines zu ihrem künftigen Aufenthalt zu
wählen, wozu ſie ihre Neigung hege. Hildegard ſchlug
das in der Nähe befindliche alte Kleſter Söflingen
150
St. Clara Ordens vor, und der Vater gab willig
ſein Jawort, weil dieſes Kloſter ſehr ſtrenge Clauſur
hatte. Bald darauf begab ſich Graf Ulrich auf ſeine
väterliche Burg Helfenſtein. Mit einem dort woh—
nenden Bruder hatte er noch wegen der väterlichen
Erbſchaft Ordnung zu treffen. Während er noch
abweſend war, entſchloß ſich Hildegarde, ihre Fahrt
in das Kloſter Söflingen anzutreten. Doch wollte
fie nicht ſcheiden, ohne ihrem früheren Geliebten das
letzte Lebewohl zu ſagen. Wieder war es die treue
Amme, welche dem Ritter von Gerhauſen die Mel—
dung machte, daß Fräulein Hildegarde am achten
Tage vor Johannis des Taufers Tag nach Oſtern
in der Frühe die Burg verlaſſen wolle, um nach
Söflingen zu ziehen. Freudig wurde Ritter Conrad
überrafcht, und in feinem immer noch liebeglühenden
Herzen wurde ein Entſchluß gefaßt, den er glücklich
durchführte. Hart an dem Felſen, der die Burg
Gerhauſen trägt, mußte Hildegarde vorüberkommen.
Noch in der Nacht ritt der liebende Ritter ab der
Burg, und harrte mit einigen Reiſigen am Wege,
bis die Erſehnte ſich nahe. Schon dämmerte der
Morgen, da hörte man den Hufſchlag von Pferden
auf der Straße — die kleine Reiſegeſellſchaft kam
näher und näher — raſch der Ritter dem Fräulein
entgegen, das von drei Reiſigen des Vaters begleitet
war. Als Conrad ſeiner Geliebten nahe war, ſchlang
er, ohne zu ſprechen, die Arme um ſie, hub ſie aus
dem Sattel, die Anfangs Widerſtrebende, denn ſie
151 N
war keines ſolchen Grußes gewaͤrtig, ſetzte ſie vornen
auf ſein Rößlein, und ſtracks ging es wieder der
Burg Gerhauſen zu. Zu gleicher Zeit wandten ſich
Conrads Reiſige gegen die Begleiter des Fräuleins,
und während ſie mit einander handgemein wurden,
jagte der Ritter mit ſeinem theuren Herzgeſpiel den
Burgweg hinauf, und brachte die mühſam Errungene
in ſichern Gewahrſam. Hildegarde erholte ſich bald
von ihrem Schrecken, denn ſie lag ja in den Armen
ihres Geliebten, dem ihr Herz noch nie recht entſagt
hatte, wenn auch ihr Wille ſich dem ſtrengen Willen
des Vaters gefügt. Bald folgten die Reiſige ihrem
Herrn, denn ſie waren ſchnelle mit denen von der
Burg Blauenſtein fertig geworden, und ſchickten ſie
mit blutigen Köpfen heimwärts, um die Kunde zu
bringen, wie unglücklich die Kloſterfahrt abgelaufen ſei.
Wenige Tage darauf kehrte Graf Ulrich von Helfen—
ſtein wieder auf ſeine Veſte zurück; wie erſchrack er,
als er vom Raube ſeiner einzigen Tochter hörte!
Einen Schwur that er zum Himmel, er wolle ſein
Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er ſich an dem
frechen Räuber feines Kindes ſchrecklich gerächt habe, -
aber dieſe Rache ſollte ein Gewaltigerer an ſeiner
Statt ausführen. Stracks eilte er nach Ulm, wo
gerade König Rudolf von Habsburg einen Reichshof
hielt. Wie er in Thüringen ſeinem Gebote gegen die
Landfriedensbrecher ſchrecklichen Nachdruck gegeben, und
unzählige Raubburgen theils in eigener Perſon, theils
durch Vollzieher ſeiner Befehle hatte brechen und
*
152
zerftören laſſen — ebenſo war er in Ulm erſchienen,
um von da aus auch im Schwabenlande ein ſtrenges
Racheamt gegen die Störer des gebotenen Landfriedens
zu üben. So war dem Könige die Klage des Grafen
von Helfenſtein wohl keine unwillkommene, und gleich
am andern Tage nach der Ankunft des Grafen zu Ulm,
ſammelte er eine Schaar von Rittern und Reiſigen,
und zog vor die Burg Gerhauſen, um ſie ſtrenglich
zu belagern. Voran ſchickte er gütliche Verhandlun—
gen und forderte die Geraubte im Namen ihres tief—
gekränkten Vaters zurück. Die gütliche Verhandlung
blieb fruchtlos, Conrad von Gerhauſen weigerte ſich,
die Thore der Burg zu öffnen und ſeine Geliebte
zurückzugeben, die er nicht gegen ihren Willen in
ſeiner Burg halte. Da entbrannte der Zorn des
Königs, daß ein ſo geringer Vaſall dem Willen des
Reichsoberhaupts widerſtrebe, auch alle im Heere an—
weſenden Ritter und Herren waren auf's äußerſte
aufgebracht, und gelobten Rache zu nehmen am
frechen Störer des Landfriedens. Mehrere bekannte
Ritter aus Schwabenland, die ſeither an allen ritter-
lichen Unternehmungen König Rudolfs Theil ge—
nommen, die unter ſeinen Fahnen tapfer gekämpft,
und an der Spitze ſeines ſieggewohnten Heeres ſich
ausgezeichnet hatten, traten heute hervor und ſchwuren
feierlich, ſie wollen dem Grafen von Helfenſtein zur
Wiedergewinnung ſeiner Tochter behülflich ſeyn. Da
ließ der König zum Sturm blaſen, und es begann
ein allgemeiner Angriff auf die Burg. Aber er war
153
fruchtlos. Die auf der Burg ſchleuderten mächtige Steine
auf die Stürmenden, daß ſte mit blutigen Köpfen zurück—
wichen, und bald Niemand mehr Luſt bezeugte, gegen die
Mauren der Burg zu rennen, die mit dem natürlichen
Fels ein Ganzes bildeten. Nach einiger Raſt ließ der
König auf's Neue ſtürmen — dies Mal mit beſſerem Er—
folg, denn die Belagerer rückten unter einem ftarfen Schil—
derdach an, doch war es ihnen nicht möglich, in der
Burg feſten Fuß zu faſſen. Noch hatte Conrad von
Gerhauſen alle Zwinger und Thürme der Veſte in
Händen, und Reiſige und Söldner genug, um mit
ihnen Ausfälle zu machen, die bei Felſenburgen nie
ohne Erfolg ſind, denn eine kleine Zahl der von
oben her Stürmenden vermag unzählige Feinde zu—
rückzutreiben, die mit unſichrem Fuße und mühſam
aufwärts ſtreben. Als König Rudolf ſah, daß auch
der zweite Sturm keinen großen Vortheil errungen,
und der Ritter auf Gerhauſen immer noch ſo hart—
näckigen Widerſtand leiſtete, ja durch die geringen
Erfolge der Belagerer noch kühner und frecher ge—
worden war — da rief er im Angeſicht der Ritter,
Herren und Reiſigen, mit lauter Stimme zu: wer beim
dritten Sturme der erſte iſt, der über die Mauren
der Burg ſteigt, und den unbezwinglichen Ritter be—
ſiegt, dem gebe ich mein kaiſerliches Wort, bei Graf
Ulrich von Helfenſtein zu wirken, daß er ſeine Tochter
Hildegarde einem unbeſcholtenen Ritter zum Gemahl
gebe, und ich belehne den Ritter zum Lohn ſeiner
Tapferkeit noch mit Burgen und Gütern, die dem
*
154
Reich heimgefallen. Wie ein zündender Strahl fuhr
die Rede des Königs durch die Herzen der Ritter
und Junkherren, die Grafentochter Hildegarde, von
deren Schönheit und Liebreiz ſchon Alle vernom—
men, entflammte gewaltig die jugendlichen Seelen,
und feuerte ſie an, das Beſte zu thun, um die Hand.
des Fräuleins zu gewinnen. Ehe noch recht das
Zeichen zum Sturm erklang, drängten die Kampf:
muthigen voran, und der Angriff wurde ein. jo. alle
gemeiner von allen Seiten, wie keiner der vorigen
geweſen. Das Vorwerk auf dem unterhalb der Burg
liegenden Frauenberg wurde unter lautem Jubelgeſchrei
erſtiegen und eingenommen, und es konnte nicht mehr
lange anſtehen, ſo mußte die Burg ſelbſt fallen.
Bereits flatterte die Fahne mit dem Reichsadler auf
einer Zinne des Vorwerks. Da erſchracken die auf
der Burg, vor Allen Conrad von Gerhauſen, der die
Gefahr über die Burg und ihre Bewohner gebracht,
und doch wäre er nicht zum Kreuz gekrochen, wenn
nicht ſeine geliebte Hildegarde fußfällig ihn gebeten hätte,
die Burg auf Gnad' und Ungnade zu übergeben, in—
dem dieß der einzige Weg zur Rettung wäre. Wäh—
rend die Belagerer noch ſtürmten, erſchien eine weiße
Fahne über dem Thore der Burg, und König Rudolf
ſah mit Verwunderung, wie der kühne Ritter doch
endlich andern Sinnes geworden war. Alsbald ließ
er den Sturm einſtellen, um denen auf der Burg zu
zeigen, daß er zur Unterhandlung geneigt wäre. Nun
gingen die Thore der Burg auf, und der greiſe Burg⸗
155
vogt auf Gerhauſen erſchien vor dem auf dem Frauen—
berg harrenden König, überantwortete die Thorſchlüſſel
und übergab im Namen ſeines Herrn die Burg auf
Gnade und Ungnade. Es ſoll ein Stillſtand ſeyn,
ſprach König Rudolf zum Burgwart, aber ehe wir
unſern Willen über die Burg und ihre Bewohner
kund werden laſſen, ſoll der Burgherr und des Gra—
fen von Helfenſtein Tochter vor mir erſcheinen; ſie
ſollen hin und her frei Geleit haben, ſo wahr ich
ſtets mein königlich Wort gehalten. — Jetzt erſt wagte
es Conrad, die Burg zu verlaſſen und mit ſeiner
Hildegarde vor dem König zu erſcheinen. Aber ſie
kamen nicht ohne Fürſprecherin. Das war Frau Anna
von Helfenſtein, die unten im Dorfe auf der Blau—
Juſel einen Wittumſitz hatte und vor der Belagerung
allda auf der Burg Sicherheit geſucht hatte. Wäh—
rend nun Hildegarde dem gekränkten Vater zu Füßen
fiel, der nicht ferne vom König ſtand, und um Ver—
zeihung für ihren Ungehorſam flehte, bot Frau Anna
von Helfenſtein alle Macht der Rede auf, um das
Herz des Königs zu begütigen, und für Conrad
von Gerhauſen, der mit gebrochenem Muthe und
düſterem Blicke von Ferne ftand, Gnade zu erbitten.
König Rudolf wäre nicht der Gute geweſen, wie ihn
Alle kannten, auch nicht der Artige gegen Frauen,
wie er nicht minder bekannt war, wenn er der drin—
genden Bitte der redſeligen Anna von Helfenſtein
widerſtanden hätte. Frau Anna feierte einen glänzen—
den Sieg über das Herz des Königs, alſo daß er
*
156
nicht nur den Ritter von Gerhauſen ganz und gar
zu Gnaden annahm, ſondern auch bei dem Grafen
von Helfenſtein für Conrad von Gerhauſen und ſeine
geliebte Hildegarde ein dringend Füͤrwort einlegte.
Ihm hatte bereits das Flehen der knieenden Tochter
das Herz warm und empfänglich für Verzeihung ge—
macht. Graf von Helfenſtein, rief König Rudolf,
zum Grafen gewendet, laßt ab und todt ſeye eure
Feindſchaft gegen euren Dienſtmann, der wohl mit
Ehren Rittersnamen trägt, ſintemalen er ſich ritter—
lich auf ſeiner Burg gehalten, und uns Allen baß
zugeſetzt hat — und verdient hat er die Hand eures
holden Töchterleins, wie Keiner, denn wer um einer
Holden willen ſein Gut und Leben in die Schanze
ſchlägt, der mag es wohl redlich meinen. So gebt
euren Segen dem Pärlein, Graf von Helfenſtein,
und ich ſpreche das Amen dazu.
Die Worte des Königs waren nicht umſonſt, ſie
wirkten auf das Herz des Grafen — und da auch
Anna von Helfenſtein, ſeine Baſe, es nicht an ihrem
Zuſpruch fehlen ließ, ſo umſchlang er gerührt ſeine
Tochter mit der Linken, und die Rechte reichte er dem
Schwiegerſohn, deſſen zuvor düſtrer Blick ſich auf
einmal in ſelige Wonne verklärte. — Es ſoll Friede
ſeyn, rief der Graf — und auf den Krieg bald eine
Hochzeit, ſetzte lachend König Rudolf hinzu — dann
aber, ihr Glücklichen — er wendete ſich zu Ritter
Conrad und ſeiner Hildegarde — laſſet das Kriegen
nach der Hochzeit. — Das Wort des Königs ging
157
ſchnell in Erfüllung. Zur Stunde ließ er fein Heer
auseinandergehen, nur er blieb zurück auf der Burg
Gerhauſen, und war am andern Tage Zeuge der
Vermählung Ritter Conrads mit ſeiner geliebten Hil—
degarde. Das königliche Brautgeſchenk war die Burg
Ruck, mit der Rudolf den Bräutigam belehnte. Auch
die edle Fürſprecherin Anna von Helfenſtein zeigte
ihre freudige Theilnahme dem Brautpaar, denn ſie
verſchrieb den Neuvermählten ihren Anſitz auf der
Blau-Inſel im Dorfe, und all ihr Eigenthum an
Gütern und Gülten, ſo ſie dereinſt hinterlaſſen würde.
Um den Bewohnern der Burg, ſo wie den Hinter—
ſaßen im Dorfe den Tag der Vermählung zu einem
Freudentag zu machen — es war gerade Johannis
des Täufers Tag — ließ ſie einen ganzen Eimer
edlen Neckarweins austheilen, und nahm Theil an
der Freude der Fröhlichen. Ja, um das Andenken
des Tages zu verewigen, an dem auch fie zum Gluck
zweier Liebenden mitgeholfen hatte, ließ ſie, ſo lange
ſie lebte, alljährlich am Tage Johannis des Täufers
unter die Bewohner zu Gerhauſen einen Eimer Wein
vertheilen. Um den beiden Glücklichen auf Gerhauſen
näher zu ſeyn, hatte ſie den Anſitz auf der Blau—
Inſel verlaſſen, und ſich eine Wohnung auf dem
Frauenberg erbaut. Noch lange nach ihrem Tode,
als das glückliche Paar auf Burg Gerhauſen abge—
ſchieden und vergeſſen war, erzählte man von der
milden Gräfin Anna v. Helfenſtein auf dem Frauen:
berge.
*
158
Der gottlofe Ritter von Gerhauſen.
Wenn man alle Laſter, deren die Menſchen zu—
ſammen fähig ſind, in ein Herz gießen könnte, daß
auch nicht ein Schein von Tugend darinnen Platz
hätte, ſo würde es dem Herzen des Ritters von Ger—
hauſen ähnlich ſeyn. Wild und rauh bis zur Grau—
ſamkeit, kannte er weder Freundſchaft noch Liebe,
überhaupt kein heiliges Gefühl, und hörte er davon,
ſo war Spott und Hohn die einzige Erwiederung, die
er darauf hatte. Des Gebetes Troſt und Kraft hatte
er nie erkannt, denn er betete nicht, wüſte Reden,
freche, gottesläſterliche Ausrufungen oder Flüche ſtröm—
ten von ſeinen Lippen. Sinnlichkeit in ihrer niedrig⸗
ſten Form war ſeine Hauptleidenſchaft. So hatte er
ſeine Kraft verſchleudert, ſein Leben verſchwelgt, und
es kam der Tod, den Tribut der Erde einzufordern.
Des Todes Macht iſt unzerbrechlich, doch kann ein
feſter Wille ſeine gewaltige Stärke auf kurze Zeit
hemmen. Wir ſahen oft eine Mutter im letzten
Kampfe ringen, jeder Augenblick ſchien ihr Leben aus—
zulöſchen, doch die Sehnſucht nach ihrem fernen Kinde,
der Wunſch, es wieder zu ſehen, hielt ſie noch tage—
lang zurück im Erdendaſein, bis endlich das Kind
eintrat, und die Mutter mit einem frohen Blicke uch
in demſelben Momente verſchied.
Der Ritter von Gerhauſen hatte kein Weib, A
Kind, überhaupt kein Weſen, das ihn liebte, aber er
159
konnte nicht ſterben, denn ſein eiſerner Wille klammerte
fich mit jeder Kraft der Seele an das ſcheidende Le—
ben, welches um ſo reizender erſcheint, je mehr es
im Verlöſchen begriffen iſt. Neben dem Bette des
Sterbenden ſtand ein alter ehrwürdiger Prieſter, Troſtes—
worte ſprechend und auf eine Auferſtehung nach dem
Tode hinweiſend. Immer mehr riß die innerſte Ue—
berzeugung den Redner hin, und er erhob begeiſtert
das Crueifix, allein der Ritter riß es ihm aus der
Hand, ſchleuderte es an die Mauer, daß es klirrend
zerbrach, und ſchwur, er wolle wie Chriſtus in drei
Tagen wieder lebend aus dem Grabe hervorgehen.
Das war ſein letztes Wort; er ſank todt zurück. —
Wie alle ſeine Vorfahren ihre Grablege im nahen
Klofter Blaubeuren hatten, ſo ſollte auch feine Leiche
dort beigeſetzt werden.
Bei feinem Begängniſſe ſah man ſchwarze Kleider
und viele Trauerfahnen, aber kein Auge feuchtete ſich,
kein Herz fühlte Kummer, denn Alle hatten den Ritter
gehaßt, Alle längſt fein Daſein verflucht und be—
trachteten ſeinen Tod als des Himmels Segen. Am
dritten Tage nach feiner Beerdigung hörte man großen
Lärmen in der Kirche. Die erſchrockenen Mönche
liefen mit den Knechten des Ritters, die noch im
Kloſter weilten, hinab in die Kirche und ſahen entſetzt,
daß der Grabſtein des Ritters von Gerhauſen halb
aufgehoben war. Wie ſie ihn ganz wegnahmen, er—
blickten ſie die Leiche in ſitzender Stellung, mit offenen
Augen ihnen entgegenſtarrend. Die Leiche war von
160 .
gewaltigen Schlangen umwunden, die ſie feſt im
Grabe zurückhielten. Erſt, nachdem die Mönche dort
andächtig gebetet und um die Vergebung für den Laſter⸗
haften manche Stunde gefleht hatten, legte ſich die
Leiche zurück und der Grabſtein ſchloß ſich wieder.
Auf demſelben aber ließen die Erben dieſe ſchauder⸗
hafte Scene von einem geſchickten Bildner einhauen,
daß ſie der Nachwelt Kunde gebe von einem verruch—
ten Herzen, das dort der Auferſtehung entgegen mo—
dert. Noch iſt es in der Kloſterkirche, nicht ferne von
dem durch ſeine herrlichen Gemälde bekannten Hoch—
altar zu ſehen. Mit Grauſen wendet man ſich ab
von. dem ſchauerlichen Bilde, und gedenket des
ſchrecklichen Strafgerichts.
IV.
Burgruine Lichtel
im Münſterthal.
Hoch über dem Münſterthälchen, einem tief einge:
ſchnittenen Ausläufer des Taubergrundes, liegt der
kleine Ort Lichtel mit den Ruinen der Burg gleichen
Namens. Letztere ſind von keiner großen Bedeutung
mehr, ſie bilden eigentlich die Umfangsmauer des
Schulgartens, von dem aus man in das tief unten
liegende romantiſche Thälchen hinabſieht, wo das Pfarr⸗
161
dorf Münſter mit feinem uralten Kirchlein liegt. Sind
auch die noch übrigen Reſte der Burg nimmer be—
deutend, es muß dennoch in alten Zeiten eine wich—
tige Burg geweſen ſeyn, denn ſie reichte von dem
bezeichneten Garten bis an die Kirche, und die noch
übrige Mauer iſt wohl der Ueberreſt eines Vorwerks,
das die Burg gegen das Thälchen hin deckte.
Lichtel, Lienthal erſcheint ſchon in früher Zeit un—
ter den Beſitzungen des hohenloh'ſchen Hauſes. Im
Jahr 1224 bewilligt Biſchof Theodorich von Würzburg
den Brüdern Gottfried und Conrad von Hohenlohe,
daß ſie ihren bisher vom Erzſtift Würzburg zu Lehen
getragenen Zehenten zu Mergentheim gegen Lehen—
barmachung anderer Güter als freies Eigenthum
übergeben können; die Erſatzgüter und Gülten waren
in Lihenthal (Lichtel) Stuppach, Althuſen u. ſ. w.
Im Jahr 1235 erkennt Conrad v. Hohenloh, Graf
v. Romaniola, daß er ſeine Burg Leindel dem Erz—
ſtift Cöln zu Lehen aufgetragen. Später finden wir
die Burg Lichtel ausſchließlich im Beſitz der Herren
von Hohenlohe-Brauneck, welche ihre Vögte auf der—
ſelben hatten. Denn im Jahr 1318 überlaſſen die
Gebrüder Emich, Gottfried, Philipp und Gottfried
v. Hohenloh, genannt v. Brauneck, an ihre Schweſter
Ofemia v. Brauneck, ihres lieben Bruders Andreas
ſeligen Wittwe, die Veſte zu Lienthal, ſeit ſie erfahren
haben, daß er Andreas die Veſte zur Morgengab
zu recht eigen mit Leuten und mit Gut, die dazu
gehören, und mit dem Kirchenſatz und mit allen Rech—
II. 8 11
162
ten an ſie gebracht, alſo, daß die genannte Ofemia
dieſe Veſte mit Leuten und mit Gütern darf geben,
wenden und kehren, wohin ſie gut dünkt, es ſei um
ihrer Seelen willen, oder wem ſie es geben will,
daran ſie die genannten Brüder von Brauneck nicht
hindern wolle weder mit Worten, noch mit Werken
u. ſ. w. Im Jahr 1327 ſtiftete die genannte Eu:
phemia in das Spital zu Rotenburg einen Hof zu
Holzhauſen u. ſ. w. zu gewiſſen frommen Zwecken
mit dem Beiſatz, daß, wenn ein Jahr lang die Stif—
tung nicht gehörig vollzogen würde, dieß ganz an
das Haus Lienthal fallen ſoll. Schon in der Mitte
des 14. Jahrhunderts finden wir die Veſte Lichtel
mit Zugehör im Beſitz des Hochſtifts Würzburg, denn
im Jahr 1354 erlaubte Kaiſer Karl IV. dem Bi⸗
ſchof Albrecht von Würzburg, daß er aus dem Dorf
vor Lienthal, an dem Schloſſe gelegen, eine Stadt
machen und dieſelbe mit Mauern und Thürmen be—
feſtigen, auch Markt, Zoll und Andres dafelbſt auf—
richten möchte. Es kam aber nicht dazu, denn Al—
brechts Nachfolger, Biſchof Gerhard, bekannt durch
fein Schuldenmachen! und Verſetzen der Stiftsgüter,
verkaufte im Jahr 1376, mit Einwilligung des Ka—
pitels, die Veſte Lienthal nebſt dem Burgrecht, wie
vor Zeit Herrn Götzen von Hohenlohe geweſen iſt,
nebſt dem Halsgericht, Vogtei, Kirchenſatz Mannſchaft,
Lehensleuten für 2300 fl. an die Reichsſtadt Roten⸗
burg. Bald nach dieſer Zeit, ums Jahr 1381, im
ſogenannten ſchwäbiſchen Gaukrieg, als die von Augs—
163
burg und Ulm ins Frankenland einfielen, und Alles,
was in der Nähe Rotenburgs lag, verheerten, auch
viel ſtarker, gewaltiger Schlöſſer, ſchöner und luſtiger
Gebäude der Adelichen ruinirten, erging über die
Burg Lichtel daſſelbe traurige Loos, ſie wurde ver—
brannt (ausgebrannt). Im Jahr 1406 wurde Lichtel
mit andern Burgen dem Biſchof Adolf von Mainz
und dem Grafen Eberhard von Würtemberg überlie—
fert und ganz und gar gebrochen. Seit jener Zeit
liegt die Burg Lichtel in Trümmern, und was Men—
ſchenhände nicht daran zerſtört, das hat der Zahn
der Zeit vollends ruinirt, alſo daß man kaum mehr
einen Schein von der alten ftattlichen Veſte erblickt. —
Von der Burg Lichtel ſchrieb ſich in früherer Zeit
ein edles Geſchlecht; es waren eben Burgmannen des
hohenloh'ſchen Hauſes auf Lichtel. Im Jahr 1340
zeugt Bertold v. Liehenthal, ein Edelknecht; im J. 1367
lebt Ernſt v. Lienthal und Elsbeth, ſeine ehliche Haus—
frau. Im Jahr 1372 erſcheint Hans von Liehen—
thal, und im Jahr 1375 verkauft ein Friedrich v.
Lienthal mit Einwilligung des Dietrich v. Lienthal,
Bruder des Deutſchordens, und feiner Schweſter Mar:
garetha, Ulrichs v. Morſtein ehlicher Wirthin, dem
Frauenkloſter zu Rotenburg ſeinen Hof zu Thierbach
nebſt allen Zinſen, Gülten, Gütern, Holzungen u. ſ. w.
um 500 Pfund Heller.
Ueber die Entſtehung der Burg und des Dorfs
Lichtel geht eine Sage im Taubergrund, die wir in
ihrer einfachen Geſtalt hier geben.
164
Das Lichtlein auf der Höhe.
Einſt, in winterlicher Zeit, verirrte ſich Herr Götz
v. Hohenlohe, von Weidmannsluſt getrieben, in den
tiefen Waldungen, die ſich gegen das obere Tauber—
thal hin erſtrecken. Bald fand er keine Spur mehr
zur Rückkehr, denn die Nacht brach herein, und der
Sturmwind tobte ſchauerlich durch die Wipfel der
hundertjährigen Eichen. Da plötzlich, als ob es der
Himmel ihm geſendet hätte, erblickte er auf ſteiler
Felſenhöhe oberhalb des Münſterthals ein Lichtlein,
und es zeigte ſich ihm mehrere Male. Mit beflügel:
tem Schritt und voll Hoffnung eilte er dem Lichtlein
zu. Bald kamen zwei Wanderer ihm entgegen, die
ihn freundlich grüßten und auf den rechten Weg lei—
teten. Sie führten den edlen Herrn in ihre gaſtliche
Hütte, welche tief unten im Thälchen lag. Ruhig
und ſanft ſchlief Götz von Hohenlohe auf dem ge—
ringen Lager der Thalleute; aber vor ſeiner Seele
ſtand immerdar, was Gott an ihm gethan hatte, der
ihn aus der Waldnacht und dem Rachen der wilden
Thiere gerettet, und ſtatt im Wald ein Lager auf
Schnee und Eis, unter gaſtlichem Dach ein warmes
Lager ihm bereitet hatte. Zum Dank gegen den
Helfer in Nöthen ließ er alsbald auf der Höhe über
dem Thal, wo ihm das Lichtlein zuerſt erſchienen war,
eine Burg bauen. In ihrem Thurme mußte von
nun an in der Nacht ein Licht brennen, das nach
allen vier Seiten hinleuchtete, um für Jedmänniglich
165
ein Leitſtern zu ſeyn, der etwa in der Nacht in dieſer
Gegend den Weg verfehlen möchte. An die Burg
bauten ſich bald die Hinterſaßen an, und es entſtand
das Dorf Lichtel, zunächſt an der Burg aber war
das Kirchlein angebaut. Herr Götz v. Hohenlohe
ſoll oft hinüber in dieſes Kirchlein gewandelt ſeyn,
wenn der Tag ſich neigte und der Abend hereinbrach.
Einsmal ſuchte man den alten Herrn, er ſaß in der
Kirche im Betſtuhl, ſeine Augen gen Himmel gerichtet,
aber ſie waren im Tode gebrochen. Das ewige Licht
hatte ihm geleuchtet zum Weg in die wahre Heimath.
Burg und Dorf hieß man Lichtel —Lichtthal, Licht über
dem Thale. Noch jetzt ſagt man an der Tauber:
man geht nach Lichtle.
V.
Das Steinhaus und Schloß zu Buchenbach
an der Jagst.
Unter die merkwürdigſten Bauwerke des Mittel—
alters gehört unſtreitig das alte Steinhaus oder
die kleine Burg zu Buchenbach. Das alterthüm—
liche Schlößchen liegt an der Jagst, auf einem
Vorſprung der Thalwand, iſt vom Sockel bis un—
ter das Dach von Steinen aufgeführt und inwen—
dig ganz wie die alten Burgen eingerichtet, mit
2
166
kleinen Gademen (Gelaſſen) und ſcheint durchaus nicht
den Zweck gehabt zu haben, ſeinen Bewohnern einen wohl—
befeſtigten Zufluchtsort zu bieten, denn nirgends neh—
men wir eine eigentliche Befeftigung wahr. Vielmehr
ſcheint das Steinhaus, welches ganz und gar einem
alten Thorthurm gleicht, von einem edlen Herrn zu
dem Zweck erbaut worden zu ſeyn, daß er ungeſtört
und einſam ſeine alten Tage darin verbringen könnte.
Die Hauptmerkwürdigkeit daran iſt, was wir ſelten
bei Wohnungen aus dem Mittelalter finden, daß der
Name des Erbauers und die Zeit der Erbauung auf
demſelben angebracht iſt. Es führt in uralten Buch—
ſtaben folgende Inſchrift über dem Portal:
Noch Chriſtes geburt Druzehenhundert
Jor vnd in dem ſechs vnd funfzigeſten jor
hot diz ſteinhus gebuwet Her Rudiger von
Bechlingen genant der Rezze Korher zu dem
newen munſter zu Wirzeburg der disze Wop—
pen ſint vnd ſeiner Altvorderen Amen.
Das Wappen über der Inſchrift zeigt im Schilde
zwei Querbalken und als Helmzier einen Mannskopf
mit ſtarkem Bart und zähneblöckendem grinſendem
Geſicht, über dem ein ſpitziger Hut liegt. Wir er—
fahren alſo, daß der Chorherr Rudiger von Bächlingen
dieſes Steinhaus für ſich, wahrſcheinlich zu einem
Ruheſitz, erbaute.
Das Geſchlecht, aus dem dieſer Rüdiger ſtammte,
hatte urſprünglich ſeinen Wohnſitz im Dorfe Bäch—
lingen, das unterhalb Langenburg liegt. Die Edlen
—
167
v. Bächlingen führten den Beinamen Rezzo, ent-
ſprechend ihrem Wappen, das einen Rätzen oder Tat—
tern (Tartarn) zeigt. Sie waren Burgmänner der
Dynaſten von Hohenlohe auf Langenburg, und hießen
ſich deßwegen auch manchmal ſchlechtweg Reze von
Langenburg. Ein ſolcher Rezzo v. Langenburg
erſcheint ſchon im Jahr 1270 als Canonikus am Stift
zu Oehringen, ſpäter v. 1291— 99 als Dekan da—
ſelbſt. Ein Bruder von dieſem war Conrad, genannt
Reiz, welcher im Jahr 1287 als hohenloh'ſcher Burg—
mann auf Langenburg bezeichnet wird. Er ſchenkte
im Jahr 1297 mit Zuſtimmung ſeiner Hausfrau
Hedwig und ſeines Sohnes Walther Gefälle zu Eber—
bach und Otzenrode an den deutſchen Orden in Mer—
gentheim. Im Jahr 1304 ſtegelt Herr Conrad Reiz
mit ſeinem Sohn Walther und Herrn Burkhard von
Bächlingen. Letzterer iſt derſelbe, der im Jahr 1320
geſtorben, und mit ſeiner Hausfrau Eliſabethe v. Mor—
ſtein in der Kirche zu Bächlingen begraben liegt, wo
ſie beide ein gemeinſchaftliches Denkmal haben. Es
iſt jenes höchſt intereſſante Grabmal, welches den
Ritter von Bächlingen in ganzer Figur in vollem
Harniſch zeigt, und in der Zeitſchrift des hiſt.
Vereins für Würtembergiſch-Franken Jahrg.
1848 in getreuer Abbildung vorliegt.
Mit Rüdiger von Bächlingen, der das Steinhaus
baute, erwarb die Familie die erſten Anſprüche auf
Buchenbach, denn Gernot von Stetten, genannt der
Buchener, verkaufte im Jahr 1340 mit ſeiner ehlichen
168
Wirthin Gerhuſe fowie feinen Söhnen Bechtold, Zurch,
Gernot und Götz, an den genannten Rüdiger und
deſſen Bruder Heinrich v. Bächlingen ſeinen Antheil
an der Burg zu Buchenbach ſammt Zugehörden um 300
Pfund Heller. Derſelbe Heinz v. Bächlingen wird
noch im Jahr 1357 unter den Dienſtleuten Gerlachs
v. Hohenlohe mit einem Dienſtgeld von 50 fl. auf—
geführt. Im Jahr 1393 wird ein Rezzo von Bäch—
lingen von der Herrſchaft Hohenlohe mit denjenigen
Lehen belehnt, welche ſchon ſein Vater getragen hatte.
Im Jahr 1403 verkauft Rezzo von Bächlingen, Dom-
herr zu Würzburg, das Schloß Buchenbach mit ſeinen
Zugehörungen an die Herren Ulrich und Albrecht von
Hohenlohe. Ums Jahr 1409 ſtiften Götz v. Bäch—
lingen und Rezzo v. Bächlingen Jahrtage in der Kirche
zu Buchenbach; der letztere heißt ein Oheim Herrn
Zürchs von Stetten, der als der älteſte der Familie
Lehenherr der Kirche zu Buchenbach, aber auch ſonſt
Hauptbeſitzer allda geweſen. Obgleich noch im Jahr
1475 ein Götz v. Bächlingen, der Letzte des Geſchlechts
vorkommt, der drei Jahrtage in der Kirche zu Bu—
chenbach ſtiftete, ſo ſcheint doch ſchon vor dieſer Zeit
das alte Schloß der Herren von Stetten, welches
bereits vor Erbauung des Steinhauſes im Orte ge—
ſtanden, wieder ganz in den Beſitz derer von Stetten
übergegangen zu ſeyn, denn bereits im Jahr 1456
verlieh Biſchof Johannes v. Würzburg an Jörgen
v. Stetten Buchenbach das Schloß mit allen Zuge—
hörungen u. ſ. w. Seitdem iſt es in dem Beſitz der
169
Herren von Stetten, Buchenbacher Linie, geblieben,
hat aber im Laufe der Zeit eine bedeutende Verän—
derung erfahren. In jener Zeit, da die von Bäch—
lingen die Hälfte der Burg von Gernot dem Buchener
erkauft, da redet die Urkunde von einem Schloß mit
Burgthor, Ringmauer und Zwinger, beſonders von
einem Berchfried (Hauptthurm), von einem Ziegelhaus,
das im Vorhof der Burg ſtand, ſo wie einem großen
Hauſe mit Küche und Keller, — alſo muß es eine
der ſtattlichſten Burgen des Jagstthals geweſen ſeyn,
die auf die am Ufer der Jagst ragende Höhe angebaut
war. Aber ſchon in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts war das Schloß baufällig, alſo, daß
Eberhard v. Stetten, der es im Jahr 1564 bewohnte,
ſeinen Lehensherrn, den Grafen Ludwig Caſimir von
Hohenlohe, gebeten, da er das Schloß wieder bauen
würde, ſo möge ihm der Graf zu dem Ingebäu das
nöthige Bauholz gnädigſt zukommen und durch ſeine
Unterthanen beiführen laſſen. Dieſes Geſuch erfüllte
zwar der Lehensherr nicht, aber er überließ ihm ſeine
neugebaute Kelter und Scheune zu Buchenbach. Ob
Eberhard von Stetten den Neubau ſeines Schloſſes
vollbrachte oder nicht, können wir nicht angeben; es
kam vielleicht ungebaut an ſeine Nachkommen. Im J.
1717 baute Herr Sigmund Heinrich v. Stetten wohl
an der Stelle des baufälligen Schloſſes ein neues, das
ſeine Nachkommen bewohnen. Hat es auch ſein al—
terthümliches Ausſehen ganz und gar verloren, ſo
kann es immerhin für einen hübſchen Herrenſitz gel—
8
170
ten, der freilich ſeit vielen Jahren weniger von Her—
ren, als vielmehr von Frauen der uralten Familie
von Stetten bewohnt worden.
In dieſe Zeit fällt die naive
Sage von der Zwölfeglocke,
die wir mit den Worten des ortskundigen Berichter—
ſtatters wiedergeben. |
„Bor mehr als hundert Jahren wohnte ein altes
Fräulein, die Schweſter des Gutsherren, der in aus—
wärtigen Dienſten ſtand, im Schloſſe. Da ſich dieſe
adelige Dame oft ſehr einſam und allein im öden
Schloſſe fühlte, ſo ſuchte ſie dann öfters Geſellſchaft
von auswärts beizuziehen, und vertrieb ſich häufig
durch Spiel die Zeit. So kam es, daß der Schul—
meiſter des Orts im Schloß gut bekannt wurde; er
wurde, da er ein tüchtiger Kartenſpieler war, der alten
Dame bald ein erwünſchter Geſellſchafter. Eines
Tags war der Schulmeiſter äußerſt glücklich im Spiel,
ſo daß er dem Fräulein ihren ganzen Geldvorrath
abgewonnen hatte. Das Spiel war zu Ende und
die alte Dame ſehr uͤbler Laune über ihr Mißgeſchick.
— Früher ſchon ſoll der Schulmeiſter ſich öfters bei
dem Fräulein über das viele Läuten beklagt ünd dar⸗
gethan haben, daß es ihm ſo viele Muͤhe und Arbeit
verurſache. Da ſeye die Morgenglocke, die Schulglocke,
die Mittagglocke, die Zwölfeglocke, die Veſperglocke
und die Abendglocke zu läuten, und er ſeye deßhalb
171
ein wahrer Sklave. Als die alte Dame nun fo in
ihrem Mißmuth da ſaß, kam ihr auf einmal ein be—
ſonderer Gedanke in den Kopf. „Schulmeiſter,“ ſprach
ſie, „Ihr habt Euch ſchon oft beklagt über das viele
Läuten; ich will Euch von Einer Glocke helfen. Setzt
Ihr das gewonnene Geld an die Zwölfeglocke?“ Mit
Vergnügen willigte der Schulmeiſter ein, gewann
wieder, und er war der Zwölfeglocke los. — Es ſoll
zwar in der Pfarrei großes Aufſehen erregt haben,
als die Zwölfeglocke nimmer geläutet wurde; allein
da der Bruder der Fräulein Souverän des Orts
war, und dieſelbe in ſeiner Abweſenheit die Zügel
der Regierung in ihrer Hand hatte, ſo blieb es da—
bei, — die Zwölfeglocke wurde nimmer geläutet. —
Etwa 30 Jahre nachher, nachdem die Dame geſtorben,
auch der Schulmeiſter nimmer am Leben war, ſoll
es nun eben den Kirchenvorſtehern eingefallen ſeyn,
die Zwölfeglocke wieder einzuführen, und der neue
Schulmeiſter habe ſich dazu verſtanden, dieſelbe fer:
nerhin wieder zu läuten. Aber, ſiehe da! als der
Schulmeiſter das erſtemal die Zwölfeglocke zu läuten
begann, öffnete ſich ein Fenſterlein oberhalb des Al—
tars, neben dem freiherrlichen Kirchenſtuhle, und die
alte verſtorbene Dame winkte mit ängſtlicher Geberde
heraus — aufzuhören; der Meßner ließ ſchnell das
Seil fahren und war noch ſchneller aus der Kirche
geflüchtet. Ein ſpäterer Verſuch, die Zwölfeglocke
wieder einzuführen, lief nicht glücklicher ab; hierauf
wurde das Fenſterlein zugemauert, das Zwölfeläuten
172
aber unterblieb feit jener Zeit. Erſt im Jahr 1826
wurde der Wunſch in der Gemeinde rege, es möchte
die Zwölfeglocke wieder eingeführt werden. Als nem—
lich im Herbſt dieſes Jahrs die größte der drei Glocken
zu Buchenbach umgegoſſen wurde und der Guß ge—
lungen war, da freute ſich Alt und Jung über den
langvermißten lieblichen Klängen, und es wurde von
allen Seiten der Vorſchlag gemacht, man ſollte die
Zwölfeglocke wieder einführen, da fie überall in der
Nachbarſchaft geläutet wurde und doch zu manchem
andächtigen Vaterunſer Anlaß gebe. Berichterſtatter
deſſen, der im genannten Jahr zu Buchenbach angeſtellte
Schulmeiſter, erklärte ſich bereit, die Zwölfeglocke wie:
der zu lauten, aber in Betracht der Laſt, die ihn
und ſeine Nachfolger jährlich 365 Mal träfe, ver—
langte er einen Scheffel Dinkel Beſoldungs-Aufbeſſe—
rung. Aber dem Stiftungsrathe zu Buchenbach däuchte
der Klang der Zwölfeglocke mit einem Scheffel Dinkel
zu theuer erkauft — er gieng nicht auf die Sache
ein. So blieb die Neugierde der Ortsbewohner, ſo
wie der ganzen Umgegend, ungeſtillt, denn Jedmän—
niglich wollte ſehen, was das alte Fräulein dazu
ſagen würde, wenn die Zwölfeglocke zum erſten Mal
wieder klänge. — Jetzt heißt es, und wohl auf im—
mer: requiescat in pace!
MWildeneck
im Laurathal in Oberſchwaben.
Die Umgebung des Kloſters Weingarten iſt reich
an Naturſchönheiten, ſo wie an geſchichtlichen Erin—
nerungen. In beider, beſonders aber in letzterer
Hinſicht, zeichnet ſich das ſogenannte Laurathal aus.
Daſſelbe wird von der Scherzach bewäſſert, die weit
oberhalb des Pfarrdorfes Schlier entſpringt, ſich bei
letzterem Ort mit dem Schlierbach vereinigt, der be—
reits vier Mühlen treibt, und dann ein enges wildes
romantiſches Waldthal bildet, das ſich in einer Länge
von anderthalb Stunden bis gen Altdorf hinzieht.
Mehrere Burgen ſtanden auf den Höhen des Laura—
thals, die im Sturm der Zeit beinahe bis auf die
Spur abgegangen. Auf ihnen ſaßen meiſtens Dienſt—
mannen des alten Welfenhauſes. Geht man am
linken Ufer der Scherzach, am Walde Haslach, thal—
aufwärts, ſo findet man unfern dem Hofe Zundel—
bach die Reſte einer Burg auf einem Hügel, die
in alter Zeit Reuti geheißen, und ſchon im Jahr
1294 vorkommt, denn in dieſem Jahr verkaufte der
kaiſerliche Landvogt Graf Hugo von Werdenberg—
Heiligenberg um 109 Mark Silber „die Burg zu
Rüti ob Altdorf gelegen.“ Eine Sage läßt auf
dieſer Burg, ebenſo wie auf dem Schloßberg bei Alt—
®
174
dorf und auf dem Veitsberg bei Ravensburg den
Kaiſer Friedrich Barbaroſſa geboren ſeyn. In Ur—
kunden des 13. Jahrhunderts kommen oft Herren
von Reuti vor, die ſich von dieſer Burg geſchrieben.
Die Burg muß ſchon früh in Abgang gekommen ſeyn,
denn das alte Abteibuch von Weingarten ſpricht ſchon
von den Ruinen einer Burg am Walde Haslach,
welche keine andere als Reuti ſehn kann. Im Jahr
1748 wurde die Ruine vollends abgebrochen, und
zum Bau der Pfarrkirche zu Altdorf verwendet. Von
dieſer Burg Reuti, von der man jetzt noch Ueberreſte
findet, ging im Laufe der Zeit ſogar der Name ver—
loren, und man kennt ſie jetzt nur unter dem Namen
Reutibühel. Weiter oberhalb Zundelbach ſtand
eine zweite Burg, Wildeneck; von ihr und ihren Be—
wohnern hat man noch Wehe Nachrichten, ſie ſelbſt
aber iſt beinahe bis auf die Spur verſchwunden. —
Burg Wildeneck war der Anſtitz eines alten Geſchlechts,
das den ſeltſamen Namen „Wildemann“ führte. Im
J. 1268 lebt ein Hermann Wildemann, beguͤtert zu
Eratsrein. Im J. 1269 vertragen ſich Heinrich der
Aeltere, der Wildemann genannt, und ſeine Söhne
Hermann, Friedrich und Johannes, mit dem Kloſter
Weingarten wegen des Vogtrechts, das die Wilde—
mannen einſt von K. Conrad empfangen hatten, über
verſchiedene Kloſtergüter, darunter über zwei Höfe zu
Fenken, welche ſie dem Kloſter überließen. Im Jahr
1283 wird ein Streit über die Burg Wildenegg da—
durch geſchlichtet, daß Rudolf von Irmendegenſperch ſeinen
. ———— ——
175
Rechten an die Burg mit drei dazu gehörigen Gütern
zu Fenken, gegen das Kloſter Weingarten, das Lehens—
herr der Burg und Zugehör geweſen zu ſeyn ſcheint,
für 1 Mark Silber entſagt. In der Urkunde heißt
Wildeneck castrum antiquum, alte Burg, d. h. älterer
Theil der Burg. Unter den Zeugen dieſes Vertrags
erſcheint ein Ulrich, der ſich ſchlechtweg „von Wildenegg“
nennt, ohne den Beinamen Wildemann. Ums Jahr
1289 lebte Heinrich von Wildenegg, genannt Wilde—
mann und ſeine Hausfrau Catharina, Schweſter des
Ritters Burkard von Stein. Derſelbe verkauft im
Jahr 1299 wegen der Schulden, in die er ſich durch
das Zuſammenkaufen der Burg Wildeneck geſtellt,
einen Hof zu Richlisreute, das Heirathsgut ſeiner
Frau. Im Jahr 1301 verzichten Ulrich der Wilde—
mann von Wildenegg und Burkard im Namen ſeiner
Schweſter Catharina auf das Zinslehen an der Burg
Wildeneck. Daraus könnte man ſchließen, daß Hein—
rich der Wildemann zuerſt die ganze Burg Wildenegg
erworben, von der er ſich nunmehr nannte. Dagegen
halten wir den in der Urkunde vom Jahr 1283 ge—
nannten Ulrich von Wildeneck für den urſprünglichen
Beſitzer der Burg, und zu feinem Geſchlechte gehören
die im Jahr 1302 genannten Gebrüder Hermann,
Wilhelm und Hildebrand von Wildenegg. Im Jahr
1300 leben Hermann, Ritter, genannt Wildemann,
und ſein Bruder Heinrich, Mönch zu St. Ulrich in
Augsburg. Im Jahr 1302 zeugt Conrad, genannt
Wildemann. Im Jahr 1304, kauft Ritter Ulrich,
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genannt Wildemann, das Gut Zundelbach und ein
Gut zu Eratsrein. Die Letzten des Geſchlechts ſind
Conrad und ſeine Söhne Pantilion, Johannes und
Erhard. Sie verkaufen im Jahr 1355 und noch
ſpäter verſchiedene Güter, z. B. Höfe zu Geſſenried
und Vogteirechte an das Kloſter Weingarten. Nach
dieſer Zeit ziehen ſich die letzten Wildemänner in die
Stadt Ravensburg zurück und werden daſelbſt Bür—
ger. Als ſolche verkaufen Pantalion und Erhard die
Wildemänner im Jahr 1381 ihre Güter zu Kazheim
mit den Vogteirechten auf den Gütern zu Appenberg,
Kehrenberg und Schattbuch. Von einer Burg Wil⸗
deneck iſt gar keine Rede mehr, alſo waren die Wilde—
männer ſchon längſt nicht mehr im Beſitze der Burg. —
Woher die Wildemänner von Wildeneck dieſen Bei—
namen erhalten, iſt nirgends überliefert. Auf ihrem
Siegel, das zwei ſchräge Balken zeigt, iſt ihr Name
mit Indomiti (Unbändige) überſetzt, ſo auf Sigillen
vom Jahr 1299 und 1304. — Wir geben es nur als
eine Vermuthung, daß der Name Wildemann, den die
Beſitzer der Burg Wildeneck führten, mit der Sage,
die wir nun beifügen, in einigem Zuſammenhang
ſtehen könnte, daß die Wildemannen von dem „wilden
Ritter,“ der Wildeneck rüßeß bewohnte, dieſen Bei⸗
namen erhalten.
Zwiſchen den Burgen Rüti und Wildeneck, von
denen wir bisher geſprochen, liegen noch die Trümmer
des großen Steins, um den ſich die tragiſche
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Sage vom wilden Nitter von
Wildeneck.
wie ein dſtrer Epheu anrankt.
Gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts lebte Kuno
von Wildeneck, gewöhnlich der „wilde Ritter“ genannt,
der Sproſſe eines alten ritterlichen Geſchlechts. Es
war, als ob in dem rauhen Manne kein weiches,
mildes Gefühl je Platz finden könnte, Jagd und
Zweikampf, Krieg und Fehde war's allein, was ihn
beſchäftigte, er freute ſich der letzten Zuckungen des
zum Tode getroffenen Wildes, er lachte ebenſo kalt—
blütig über den Todeskampf eines ſterbenden Knappen.
So zog er einſt im wilden Uebermuthe zu einem
Turniere, das in der nahen Stadt Ravensburg ab—
gehalten wurde. Schon hatte das Waffenſpiel be—
gonnen, mit geſchloſſenen Viſieren ſprengten die Ritter
in die Schranken, hoch bäumten ſich die edlen Roſſe
und des Heroldes laute Stimme verkündete bereits
den Namen der Sieger. Auch Kuno hatte eine Lanze
gebrochen, und ſein durch Leibesübungen aller Art
geſtählter Körper hatte ihm den Sieg verliehen. Aus
den Händen eines der Ritterfräulein, die in reizendem
Kranze den Schauplatz umgaben, ſollte der Sieger—
dank ihm werden. Er ſchlug das Viſier zurück, ſein
kühnes Auge ſuchte den Blick der Jungfrau, welche
zuͤchtig ſich ihm nahte und ihm auf ſammtnen Kiffen
die goldene Kette überreichte. Wie bezaubert ſchaute
II. 8 12
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er auf die holde Geſtalt, die ruhig und ernft vor
ihm ſtand, und zum erſten Male verwirrt in ſeinem
Leben, fand er keine Worte, dem edlen Fräulein zu
danken, daß ſie ihn gewürdigt, ihm den Preis des
Sieges zu ſpenden. In der ſonſt ſo feſten, ſichern
Hand zitterte die goldene Kette, und als das Fräulein
ſich ſtolz wegwandte und unter den Geſpielen ver—
ſchwand, konnte der Ritter den Sturm im Innern
nicht mehr ertragen, er eilte fort, ſchwang ſich auf
ſein Roß und jagte hinaus in die ſtille Einſamkeit
der Wälder.
Was war wohl vorgegangen in der Seele des
wilden Ritters, als Gunda, des kaiſerlichen Landvogts
Otto von Waldburg zu Altdorf Tochter, züchtig und
ernſt vor ihm ſtand, war in dem wilden, jedes weichen
Gefühles bisher unzugänglichen Herzen des Ritters
plötzlich ein neues Licht aufgegangen? vor der zarten
Jungfrau bebte er, der noch nie gezittert, und ihr
kalter Blick ſenkte ſich gleich einem Todesſtrahl ihm
in die Seele. War das Liebe? war es das ſo oft
verhöhnte Gefühl, das, wie er behauptete, des Mannes
unwerth, nur ein Erbtheil der Thoren ſei? Wie dem
auch immer ſei, in Kuno war eine urplötzliche Ver—
änderung vorgegangen: es wallte und gährte in ſei—
nem Herzen, denn die in ihm entſtandene Leidenſchaft
war wild, wie er ſelbſt, ſie zog nicht ſtill beſeligend
ihm ins Herz, ſie verklärte nicht, wie mit goldnem
Morgenglanze, ſein ganzes Weſen — ſie glich einer
gewitterſchwülen, ö Glut.
ma
Die Tage vergingen. Des wilden Ritters Liebe
zur ſchönen Gunda war, wo möglich, noch tiefer ge—
worden, er wollte ſie zu ſeinem Weibe machen, und
wenn er an all die Seligkeit, die er ſich in ihrem
Beſitze verſprach, dachte, ſo regten ſich ſogar milde
Entſchlüſſe, weiche Gefühle in dem ſonſt ſo trotzigen
Herzen.
Kuno wählte den geraden Weg, er hatte noch nie
erfahren, was es heiße, ſich ſelbſt einen Wunſch zu
verſagen, und zweifelte keinen Augenblick an dem
Gelingen ſeines Vorhabens. Von einigen Knappen
begleitet, machte er ſich alſo auf den Weg nach
dem Schloß des Landvogts zu Altdorf, um feine
Brautwerbung anzubringen. Mit kalter Höflichkeit
empfing ihn der Burgherr, hörte gelaffen des jungen
Mannes Bitte, antwortete dann aber auch mit der
derben Ehrlichkeit der alten guten Zeit, daß, obwohl
er ſeine Tochter in keiner Weiſe zwingen werde, er
doch nur ungerne dieſe Verbindung ſehen würde, weil
des Ritters von Wildeneck rauhe Gemüthsart ihm ein
gar schlechter Bürge für feines einzigen Kindes Gluck
wäre.
Mit ſchlecht verhehltem Verdruſſe bat Kund um
die Ehre, das Fräulein ſelbſt ſehen zu dürfen, und
alsbald erſchien Gunda auf des Vaters Geheiß im
Saale. Blonde Flechten umgaben in reicher Fülle
das edle Antlitz, welchem liebliche blaue Augen Reiz
und Leben gaben; ſie war eine fo ächt deutſche Jung:
8
*
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frau, ſinnig und jittig, und doch, wenn es fein mußte,
opferwillig, ſtark und muthig.
Verwundert lauſchte ſie des Ritters zierlicher Rede,
aber ein beſtimmtes Kopfſchütteln, begleitet von we—
nigen ernſten Worten, verkündete ihm entſchieden ge—
nug, daß Gunda ſich nimmer entſchließen würde,
Hausfrau auf Wildeneck zu werden.
Schmerz und Ingrimm rasten in dem Herzen des
verſchmähten Freiers, die Leidenſchaft kämpfte mit dem
Stolze, beſiegte ihn, und Kuno beſchloß, daß um
jeden Preis, durch Anwendung jedes Mittels, Gunda
ſein werden müſſe.
Haſt Du nie einen Tiger in ſeinem Käfig geſehen,
welcher, weder durch Hunger, noch durch Wuth gereizt,
wie ein Kätzlein ſprang? ſein glänzendes Fell iſt
weich und glatt und gleichſam zierlich ſpielend, zeigt
er feine ſchönen, ftarfen Glieder. Wer würde glauben,
daß dieſes das gleiche wilde, furchtbare Thier ſei,
welches den unglücklichen Reiſenden zerreißt und ſich
in Blut und Mord ſättiget? Ungezähmte Leidenſchaft
iſt gleich dem Tiger — unſchädlich, wenn befriedigt,
ſchrecklich, wenn man ſich widerſetzt.
Kuno war nun, wo möglich, noch wilder geworden,
Tage und Nächte lang verweilte er in ſeinen Wäldern,
kein Lächeln erhellte mehr das bärtige Antlitz, in ſei—
nem Innern kochte Haß und Zorn. Da verbreitete
ſich die Kunde der Verlobung der ſchönen Gunda
mit dem edlen Ritter von Ringenburg und ſenkte den
Stachel noch tiefer in des wilden Ritters Bruſt.
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Auf demſelben Turniere hatte der Junkherr von
Ringenburg des Fräuleins Herz gewonnen, und der
greife Vater ſegnete freudig bewegt den vielverſprechen⸗
den Bund.
Schon rüftete man zu Altdorf zur Hochzeit: die Kapelle
war reich mit Blumen und Kränzen geſchmuͤckt, heller
Lichterglanz ſtrahlte in den heiligen Räumen, ſanftes
Orgelſpiel vermiſchte ſich mit ſüßem Weihrauchduft,
als im einfachen weißen Gewande, den Myrthenkranz
in den blonden Locken, die reizende Braut an der
Hand des glücklichen Bräutigams, die Stufen des
Altares betrat und der Diener des Herrn den Bund
der Herzen ſegnete. Helles Glockengeläute verkündete
den freudig harrenden Dienſtmannen, daß die heilige
Handlung vorüber, und alsbald trat der Zug aus
der Kirche und luſtige Weiſen ertönten in den hohen
Gemächern der altergrauen Burg. Strahlend vor Liebe
und Glück ſchmiegte ſich die holde Braut an den
erwählten Gatten, und ein ſeliges Leben durchzitterte
ſie, als ſein Arm ſich um ihre zarte Geſtalt ſchlang,
und er ſie mit innigen, ſchmeichelnden Tönen ſein
ſüßes Weib nannte. Dem ſchönen Tage folgte ein
wonniger Abend. Der Vollmond ſtrahlte in goldenem
Glanze am tiefblauen Firmamente, gleich als wollte
auch er den Neuvermählten ſeine Huldigung bringen;
Luſt und Freude hatte ihren Wohnſitz in dem alten
Ahnenſchloſſe aufgeſchlagen, die heitere Jugend drehte
ſich im wirbelnden Tanze, feuriger Wein ließ das
Blut lebhafter durch die Adern der alten Herren
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kreiſen, und unter lautem Jubelrufen der Gäfte ent:
fernte ſich endlich der Bräutigam mit ſeiner Erkorenen
und führte ſie ins trauliche Brautgemach. Lauſchige
Stille und reizendes Halbdunkel umfing hier die Lie—
benden; durch die offenen Fenſter fluthete das ſilberne
Mondlicht, flüſterten die Blätter der Bäume ihre
träumeriſchen Sagen und ein leiſes Lüftchen bewegte
die Gardinen des Brautlagers, welches magiſch von
dem rothen Lichte einer Lampe beleuchtet war. Kaum
eingetreten, eilte die Braut, noch im hochzeitlichen
Schmucke, einem Betſtuhle zu, welcher vor dem Bilde
der Himmelskönigin in einer Niſche ſtand, und be—
grüßte die Heilige. Der Bräutigam war neben ihr ge—
kniet und weckte ſie nun aus ihren ſtillen Träumen.
Sie blickte auf zu ihm mit ſchüchternen, verſchämten
Blicken, ſchmiegte ſich an ihn, wie ein ſcheues Kind,
und duldete nur widerſtrebend ſeine Zärtlichkeit, denn
der keuſche Sinn der Jungfrau war noch nicht der
heißen Liebe des Weibes gewichen. Die Lampe war
längſt erloſchen, tiefe Stille umgab alle Bewohner
des Schloſſes, dem Lärmen der hochzeitlichen Freude
war die ruhige Stille der Nacht gefolgt, als plötzlich
der Ruf „Feuer!“ erſcholl, und Waffengeklirr, wildes
Geſchrei und Todesröcheln durch die Hallen tönte.
Gunda erwachte entſetzt in des Gatten Armen, in
welchen ſie ſo ſelig entſchlafen war, er erhob ſich raſch
von dem Lager, um nach der Urſache des Lärmens
zu ſehen, als plötzlich Vermummte in das Brautge—
mach ſtürzten, voran der Ritter von Wildeneck, der
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in wahnſinniger Wuth, es nicht einmal für nöthig
hielt, ſeine Züge hinter einer ſchützenden Maske zu
bergen. Mit einem Gebrülle ſprang er, gleich einer
Hyäne, auf ſeinen glücklichen Nebenbuhler zu und
ſenkte den ſcharfen Dolch in deſſen Bruſt. Mit dumpfem
Stöhnen ſank der zum Tode Getroffene auf die Kiſſen
zurück und färbte ſie mit ſeinem Herzblut, während
Gunda ihn mit lautem Angſtſchrei umklammerte und
ihn mit den ſüßeſten Namen rief. Kuno's Blicke
funkelten in wilder Racheluſt, als er die entſetzliche
Scene vor ſich ſah, einen Augenblick betrachtete er,
wie träumend, die letzten Zuckungen ſeines Opfers,
den verzweifelnden Schmerz der jungen Frau, dann
fuhr er auf, umfaßte die Wehrloſe mit ſtarkem Arme,
riß ſie vom Herzen des ſterbenden Gatten und floh
mit ihr in wilder Haſt.
Unter dem freudigen Getümmel der Hochzeit war
es dem Ritter gelungen, ſich mit einigen Helfern in
die Burg zu ſchleichen und die dunkle Nacht begünſtigte
ſeine furchtbare That.
In raſtloſer Haſt rannte er nun mit ſeiner koſt—
baren Beute fort, ſich keine Ruhe gönnend, bis er
im Laurathale bei dem ſogenannten großen Steine
angekommen war. Hier wollte er friſche Kraft ſchöpfen,
um die Geraubte dann auf ſeine ſichere Burg ſchleppen
zu können. Er legte die Ohnmächtige auf dem Steine
nieder und fchöpfte tief Athem. So war denn das
finſtere Werk gelungen, und das leidenſchaftlich geliebte
Weib hatte die Gewalt in ſeine Hände gegeben. Er
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betrachtete die leblos ſcheinende Geſtalt mit ftolger
triumphirender Miene, als wollte er ſagen: „ich will
Dich ſchon kirre machen.“
Die fühle Nachtluft und die kurze Ruhe brachten
Gunda wieder zum Bewußtſein, die ſchrecklichen Er—
lebniſſe der letzten Stunde traten vor ihr geiſtiges
Auge, während der Körper noch in Ohnmacht erſtarrt
ſchien. Mit ſicherem Urtheile und feſtem Entſchluſſe
uberblickte ſie ihre Lage, ſie wußte, daß ihre Ehre dem
Leben vorzuziehen ſei, und der Tod ſie ſchnell mit
dem geliebten Vorangegangenen vereinen müſſe. Zu
der Zeit, in welcher ſie lebte, konnte ein derartiger
Entſchluß eines Weibes nicht überraſchen, und mit
Aufbietung all ihrer Kräfte ſprang ſie auf, entriß
dem erſtaunten Ritter das Schwert und ſenkte es
muthig in die eigene Bruſt. Die That war mit
Blitzesſchnelle vollbracht, und Gunda hatte ſo gut ge—
troffen, daß ſie mit einem Flehen an die ewige
Barmherzigkeit den Geiſt aufgab.
Kuno von Wildeneck erbebte unter der Wucht dies
ſes Ereigniſſes. Das war alſo die Frucht all ſeiner
Pläne, deßhalb hatte er den ſchuldloſen Ritter von
Ringenburg gemordet und ſich mit ſolch garſtigen, jede
Ritterehre für immer befleckenden Thaten gebrand—
markt! An der Leiche der Geliebten, um deren
Beſitz er zum Verbrecher geworden, erwachten die
Furien der Reue. Die Hand des Allmächtigen hatte
an dem harten Herzen gerüttelt und es aus einem
langen Schlafe zum ſchrecklichen Erwachen gerufen.
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Stöhnend vor Weh und Gewiſſensqual ſank er
neben Gunda in die Kniee und ſuchte das entfliehende
Leben zu bannen — umſonſt — die blauen Augen
waren gebrochen! Verfolgt von der Furcht vor irdi—
ſcher Gerechtigkeit, und mehr noch von den Schreck—
bildern des Gewiſſens, raffte er ſich auf und entfloh
durch die finſtern Wälder, ohne zuvor noch den Fuß
in die heimathliche Burg zu ſetzen. Die Leiche der
jungen Burgfrau wurde von den Reiſigen gefunden,
und unter heißen Thränen neben der des gemordeten
Gatten von dem nun kinderloſen Vater begraben.
Jahre waren vergangen. Die alte Burg der Wil—
deneck war zur Einöde geworden, Dohlen niſteten in
den Gemächern, man ſcheute den verrufenen Ort.
Kein Ohr hatte ferner etwas von dem flüchtigen
Kuno gehört.
Mit dem Kainszeichen auf der Stirne war er un—
ſtät in allen Ländern herumgeirrt, ohne irgendwo die
heißerſehnte Ruhe zu finden. Zerfallen mit ſich und
der Welt, gelang es dieſem wilden, fündenbeladenen
Herzen doch nicht, den Blick gläubig und reuig zum
Himmel zu erheben, und ſo ſchleppte er ein troſtloſes,
fluchbeladenes Daſein fort.
Ein gewitterſchwüler Sommertag neigte ſich ſeinem
Ende zu, Donner und Blitz folgten ſich in ſchneller
Abwechslung, die Glocken zu Weingarten läuteten den
Wetterſegen, während die Kloſterthürme in fortwäh—
rendem Feuer zu ſtehen ſchienen. Ein bleicher Wan—
derer zog trotz dem Heulen des Sturmes und dem
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186
Flammen der Blitze die Straße einher; ein ſchmerz—
licher Blick fiel auf die nahe Ruine Wildeneck, welche
düſter von ihrer Anhöhe hernieder blickte, dann ver—
lor ſich der fremde Mann in dem Dickicht des Laura—
thales. Umtobt von Sturmesbrauſen und dem Ge—
krächze der Raubvögel, gelangte er endlich zu dem
großen Steine, neben welchem er ſtöhnend zuſammen—
brach. Der Himmel ſchien ein Glutmeer, von allen
Seiten umzüngelten Blitze in feurigem Zickzack den
armen Wanderer: überwältigt von den Schrecken der
Natur und der Qual des Gewiſſens, erhob ſich die
hagere Geſtalt, rief mit gefalteten Händen: „Erbarme
Dich, du Ewiger! ſei meiner armen Seele gnädig!“
Siehe da zuckte ein Blitzſtrahl vom Himmel über dem
Haupte des Ritters und er ſank todt zuſammen.
Am andern Morgen fanden Landleute an dem
großen Steine im Laurathale die Leiche des längſt
vermißten wilden Ritters. Lina Welebil.
Die Sage vom Laurathale.
Im romantiſchen Laurathale erhoben in grauer
Vorzeit zwei Ritterburgen ihre mächtigen Zinnen.
Auf der ſogenannten Zundelbacherhalde ſtand die Burg
Reuti, über dem Bache die Haslachburg, deren Be—
ſitzer Dagobert mit ſeiner einzigen Tochter Laura ein
ſtilles, glückliches Leben führte. Nach dem Tode der
geliebten Gattin zog er ſich noch mehr zurück und lebte
einzig der Erziehung ſeines liebreizenden Kindes. Laura
187
gedieh zu den ſchönſten Hoffnungen, und nicht ſelten
glänzte eine Thräne tiefer Rührung und ſeliger Vater-
freude in dem Auge des greiſen Ritters, wenn er ‚fie
betrachtete, Die feines Alters Krone war.
Gegenüber von der ſtillen Haslachburg hauste auf
dem Stammſchloſſe ſeiner Ahnen der junge Ritter Adal—
bert von Reuti Dem jungen Edelmanne entging
der Liebreiz der holden Nachbarin nicht, und bald hatte
Amor den ſüßen Namen Laura mit glühendem Griffel
ihm ins Herz geſchrieben.
Laura blieb nicht unempfindlich gegen des Ritters
Huldigungen, und das reizende, ſüße Glück der erſten
Liebe breitete bald ſeinen geheimnißvollen Schleier
über die jungen Herzen.
Vater Dagobert ſegnete gerne den glückverheißen—
den Bund, verlobte ſein einzig Kind dem Ritter von
Reuti, und der nächſte Frühling ſollte feine Blü—
then zu ihrer Trauung ſpenden. Süße, wonnige
Tage flogen nun an dem Brautpaare vorüber, jedes
Zuſammentreffen verband die Herzen, inniger und Laura
freute ſich auf den Zeitpunkt, welcher ſie mit dem
Geliebten vereinen ſollte, wie ein glückliches Kind ſich
auf Weihnachten freut.
Ein langer trüber Winter war unter Vorbereitungen
für den künftigen e ſchnell vorüber gezogen,
wieder dufteten Roſen, Jasmin und Flieder in den
Burggärten, wieder fangen die Vögelein ihre zärtlichen
Weiſen in den dichten Lauben des Parkes und die
ganze Natur hatte ſich bräutlich geſchmückt. Die
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188
Wonnezeit des Jahres war längft zur Trauung der
Verlobten beſtimmt geweſen, und der feſtliche Tag
war bis auf wenige Wochen nahe gerückt. Wie froh
und glücklich leuchtete nun Adalberts Auge, wenn er
fein Bräutlein in die Arme ſchloß, und ſie mit ſuͤßem
Erröthen, von wonniger Ahnung durchſchauert, ſich
an ihn ſchmiegte. Bei ſolchen Scenen pflegte wohl
ein Thränlein der Rührung über das Gluck der
Kinder und der Erinnerung an die eigene Vergangen—
heit in den grauen Bart des Vaters zu fallen: er
dachte der Zeit, wo Lauras Mutter ſich ebenſo in
jungfräulicher Schüchternheit an ihn ſchmiegte: — wo
war ſie jetzt, die einſt ſein Alles war auf Erden?
Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen; Ritter
Adalbert war ſchon frühe ausgeritten, drüben auf
den Zinnen der Haslachburg wehte ihm ein weißes
Tuch einladend entgegen und — wer hätte wohl der
ſüßen Lockung widerſtanden? — anſtatt der fröhlichen
Jagd zu pflegen, lenkte er ſein Pferd dem Ziele ſeiner
Sehnſucht zu. Laura kam ihm wie ein frohes Kind
entgegen gehüpft, er ſprang vom Sattel, ſchloß ſie
in die Arme und ſie beſchloſſen, den wundervollen
Tag im Freien zu genießen. Unter Tändeln und
Koſen flogen die Stunden gleich Minuten; Laura
hatte Kränze gewunden, und drückte deren ſchönſten
jubelnd auf das ehrwürdige Haupt ihres Vaters.
Plötzlich aber wurde ſie ernſt, ſetzte ſich zu ſeinen
Füßen und barg den blonden Lockenkopf leiſe ſchluch—
zend in ſeinem Schoße.
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„Was ift Dir, mein Täubchen?“ fragte der alte
Ritter beſorgt, und hob mit zitternder Hand ihr Köpf:
chen in die Höhe. Laura lächelte ihm unter Thränen
zu: „Weiß nicht, was ſo plötzlich mich überfiel,“
ſprach ſie wehmüthig „mich durchbebte es wie Ahnung
kommenden Unglückes — wenn ich nur meinen Hoch—
zeitstag erlebe“ —
„Wie kommſt Du zu ſolch trüben Gedanken, Lieb—
chen? verſcheuche ſie mir zu Liebe“ bat Adalbert, ihre
zarte Hand küſſend. „Vergib mir, Vater und auch
du Adalbert; ich wollte Euch nicht wehe thun —
aber es zog mir wie ein Trauerklang durch die Seele
und ich mußte weinen, ohne zu wiſſen warum.“
Das kleine Zwiſchenſpiel war bald vergeſſen, Adal—
bert ſpielte die Laute meiſterhaft, und begleitete da—
mit die lieblichen Lieder ſeiner Braut.
Schon ſenkten ſich der Dämmerung Schatten über
die Gefilde, und der Vater mahnte daran, in's Schloß
zu gehen, damit die Abendluft nicht ſeinen alten
Gliedern ſchade.
»Wißt ihr, Kinderlein, über vierzehn Tagen will
ich an eurer Hochzeit noch eines tanzen, und da darf
die leidige Gicht mir nicht meine Freude ſtören, am
Ehrentage meines Herzblättchens,“ ſcherzte er gutmü—
thig, und die kleine Familie machte ſich auf den Weg.
„Sehet, lieber Vater, welch drohende Gewitterwolken
dort aufſteigen, ich denke, wir werden heute Nacht
noch Donner und Blitz haben,“ ſprach Adalbert zu
ſeinem Schwiegervater.
.
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„Ja, ja, die Luft iſt ſchwül und drückend, ich fürchte.
beinahe ſelbſt etwas Aehnliches,“ erwiederte dieſer.
„Unter ſolchen Umſtänden wirds wohl beſſer fein,
ich begebe mich vor Ausbruch des Unwetters nach
Hauſe,“ ſagte der junge Ritter zu ſeiner Braut. „O
bleib bei mir — ich fürchte mich ſonſt,“ bat Laura,
ſich an ſeinen Arm klammernd. a
„Mein Kind ſollte keine Furcht kennen,“ tadelte
Ritter Dagobert. Beſchämt und ſchweigend ſenkte
Laura den Blick zur Erde und wagte keine Gegenrede,
als ihr Bräutigam ſich beurlaubte. Ihr Herz zuckte
krampfhaft, da er ſie umarmte, und ihr thränenfeuchter
Blick tauchte bittend in den ſeinen — Adalbert ſchien
zu zögern, aber er dachte an den Tadel des alten
Ritters und blieb ſeinem Vorſatze getreu.
Er eilte die Treppen hinunter, ſchwang ſich auf's
Pferd und trabte bald zum Burgthore hinaus, wäh—
rend Laura bleich und ſtille oben am Fenſter ſtand
und ihm nachſtarrte, bis eine Biegung des Weges
ihn ihrem Auge entzog.
„Maria hilf!“ ſeufzte ſie aus beklemmter Bruſt
und blickte gläubig zum Himmel. „Kind, das ich bin!“
fuhr ſie nach kurzer Pauſe im Selbſtgeſpräche fort,
„warum iſt mir ſo unheimlich und bang? ich freue
mich doch ſonſt der Naturereigniſſe, und wenn die
Blitze flammen und der Sturm durch die Wipfel der
Eichen rauſcht, ahne ich die Größe, die Kraft Gottes —
aber heute — mir iſt ſo ſonderbar zu Muthe. —
Sie preßte die Hand auf das unruhig pochende Herz
191
und blickte nach den Wolken, die ſchwarz und drohend
am fernen Horizonte ſich ſammelten. Der Vögel
Gezwitſcher war längſt verſtummt, ſie flatterten ſcheu
umher und ſuchten Schutz gegen das drohende Un—
wetter; die Luft war drückend, kein Wind belebte die
ſchwüle Stille, einzelne Blitze zuckten durch die dunkeln
Wolken und erleuchteten die ſchnell eintretende Däm⸗
merung. Die ganze Natur befand ſich in jener
dumpfen, unheimlichen Ruhe, welche gewöhnlich einem
heftigen Sturme vorangeht.
Laura's Vater ſaß in ſeinem Sorgenſtuhle am
Kamine, zwei Wachskerzen brannten vor ihm und be—
leuchteten düſter die dunkeln Wände des großen, alten
Gemaches. Er hatte das Haupt nachdenkend in eine
Hand geſtuͤtzt, während die andere mit dem Halsbande
des großen Hundes ſpielte, welcher neben ihm kauerte
und ihn mit feinen klugen Augen anblickte.
Im weißen Nachtgewande trat Laura mit einer
brennenden Kerze in der Hand durch die offene ige
„Mir ift fo bang, Vater,“ ſprach fie leiſe, »das
Gewitter wird wohl Schaden bringen!“
„sit das mein ſtarkes, muthiges Kind? — wo iſt.
Dein Gottvertrauen, Laura? Wenn wir glauben, daß;
eine Vaterhand in allmächtiger Liebe unſere Geſchicke
leitet, vor was können wir uns dann fürchten? Und
iſt es denn das erſte Gewitter, das mein Kind
auf dieſer einſamen Burg erlebt? ſonſt pflegteſt du
dich nicht zu fürchten, Kind, und ich durfte ſtolz
ſeyn auf meine muthige Tochter.“
in
192
„Du haft Recht, Vater, ich bin heute kindiſch,“
unterbrach ihn Laura; „ich will noch in die Kapelle
gehen, im Gebete wird mir leichter werden, die heilige
Jungfrau iſt ja die Tröſterin der Betrübten, zu ihren
Füßen werde ich Blitz und Sturm nicht fürchten.“
„Geh, mein Kind,“ ſprach der alte Herr gerührt,
„und wenn du zurückkommſt, hole mich hier ab, dann
führſt du mich zur Ruhe.“
Langſam ſchritt Laura durch die langen Gänge der
kleinen Hauskapelle zu. Durch die hohen Fenſter
der Hallen flammten Blitze, näher und näher krachte
der Donner, und das bleiche Licht der Wachskerze in
des Fräuleins Hand flackerte trübe und unheimlich.
Sie trat in das kleine Gotteshaus und näherte
ſich dem Altare. Das Bild der Himmelskönigin
ſchmückte denſelben, und der rothe Schein des ewigen
Lichtes beleuchtete mild das Antlitz der Gebenedeiten
unter den Weibern.
Laura fühlte ſich ruhiger und weniger ängſtlich in
den heiligen Hallen, ſie bekreuzte ſich fromm und ſank
vor dem Altare auf die Kniee in brünſtigem Gebete.
Ihr Auge hob ſich gläubig zu dem heiligen Bilde,
es ſchien ihr zuzulächeln, ihr Muth und Vertrauen
in's Herz zu flößen, und während draußen ein Gluten—
meer aus den ſchwarzen Wolken quoll, Donnerſchläge
ſich ſchnell und dröhnend folgten und der Sturm
durch die Bäume heulte, flehte die leiſe Stimme des
jungen Mädchens glaubensvoll in der ſchwacherhellten
Kapelle: „Unter Deinem Schutz und Schirm fliehen
193
wir, o heilige Gottesgebärerin! — o mächtige Jung:
frau, du Zuflucht der Sünder, du Tröſterin der
Betrübten, du Hülfe der Chriſten, bitte für uns!
Immer und immer wieder wiederholte ſie die frommen
Worte, gleich als gäben ſie ihr Kraft, die Schrecken
der Nacht zu tragen, als fühlte ſie, daß, was auch
immer geſchehen möge, zu ihrem Wohle gereichen
müſſe, wenn die Heilige ſie gewürdigt habe, auf
ſie zu blicken.
Nach und nach verſtummte die leiſe betende Stimme,
wie in ſich verſunken kniete das Mädchen lautlos an
den Stufen des Altares, und verwendete kein Auge
von dem Bilde der Königin der Engel, auf deren
Schooße das Heil der Welt ruhte. Ein ſüßes Lächeln
ſchien die Züge des Burgfräuleins zu verklären, und
o wie lieblich war das Bild in der Kapelle, im Ver—
gleiche mit dem tobenden Sturme der rafenden Ele—
mente draußen.
Laura war ſchon lange in der Kapelle, es war ihr
wohl geworden und ſie ſchien vergeſſen zu haben, daß
der alte Vater ihrer harrte, als plötzlich ein glühender
Blitz ſie aufſchreckte, dem augenblicklich ein Donner—
ſchlag, welcher die Grundpfeiler der Burg erſchütterte,
folgte.
Einige Minuten ſpäter ſtand die Burg in Flammen;
es hatte eingeſchlagen und das Feuer griff mit raſen—
der Schnelle um ſich. Laura erſt ſo ängſtlich, hatte
nun den Muth der Löwin gefunden, ſie verließ ſchnell
die heilige Stätte und eilte in's Wohngemach, dem
II. « 13
194
alten Vater beizuſtehen. Da lag der arme Greis
ohnmächtig, und der treue Hund ſaß winſelnd und
zitternd neben ihm. Keiner der Diener war an ſei—
nem Platze, es war, als ob alle im erſten Schrecken
geflohen wären. Laura dachte nicht an die eigene
Gefahr, es galt, den theuren Vater zu retten, und
ſo achtete ſie nicht der Flammen, die immer mehr
um ſich griffen, nicht des erſtickenden Rauches, der
ſie umgab.
Es gelang ihr, den Vater zum Bewußtſein zu brin—
gen, und mit einer jener übermenſchlichen Anſtrengun—
gen, deren wir im Momente der Gefahr fähig ſind,
ohne ſpäter begreifen zu können, wie es möglich war,
ſchleppt ſie denſelben in den Garten, und rettet ihn
vom Flammentode, um ihn kurze Zeit fpäter in ihren
Armen ſterben zu ſehen.
Ritter Adalbert hatte inzwiſchen auf der Zinne
ſeiner Burg dem Toben des Sturmes zugeſehen. Sein
Auge blickte eigentlich nur mechaniſch auf die groß:
artige Naturerſcheinung, denn ſein Herz beſchäftigte
ſich, mit ſüßen Bildern künftigen Glückes. Er ſah
Laura als Weib und Mutter, ſich als den glücklich—
ſten Gatten und freute ſich der kommenden Seligkeit.
Da weckte auch ihn der furchtbare Donnerſchlag aus
ſeinen ſüßen Träumen, und einen Augenblick ſpäter
ſieht er Laura's Heimath in Flammen ſtehen. Adal—
bert beſann ſich keinen Augenblick, er ſprang auf,
eilte die Treppen hinunter und verließ die Burg,
ohne ſich Zeit zu gönnen, auch nur die geringſten
195
Vorkehrungen zu treffen — es galt ja, die Geliebte
zu retten. |
Er eilte auf dem nächſten Wege dem nahen Bach
zu, über welchen ein ſchmaler Steg führte, und hoffte,
ſo in kürzeſter Zeit ihr mit Hülfe und Beiſtand nahe
zu ſein.
Die wilden Regenguͤſſe jedoch, welche die ganze
Nacht niedergeſtürzt waren, hatten das enge Flußbette
immer höher angeſchwellt, und die Wogen hatten die
ſchwache Brücke mit fortgeriſſen. Der junge Ritter
hatte keine Ahnung dieſes Ereigniſſes, er dachte nur
der Gefahr ſeiner Braut, betrat ſchnell den Steg, und
wenige Augenblicke ſpäter ſchlugen die Wogen ſchäu—
mend über ihm zuſammen und begruben ihn in ihrem
feuchten Schooße. Während er machtlos um ſein
Leben kämpfte, hatte Laura verzweifelnd die Leiche
des theuren Vaters und die brennende Burg verlaſſen,
und wollte in ihrer Angſt Hülfe und Schutz bei dem
theuren Bräutigame ſuchen. Von dem Glaſte der
Feuersbrunſt geleitet, gelangt ſie an das Bett des
Fluſſes und ſucht nach dem ſchmalen Stege, der ſie
an das andere Ufer, und dann auf Adalberts Burg
führen ſoll. Nirgends eine Spur der Brücke: — da
zeigt eine plötzlich aufſteigende Feuerſäule und ein
blendender Blitzſtrahl ihr ein menſchliches Weſen, das
in den kalten Wogen mit dem Tode ringt. Starr
vor Entſetzen blickt ſie noch einmal auf die ſchreckliche
Scene — das Auge der Liebe hatte den Verlobten
erkannt — und mit einem Schrei der Verzweiflung
*
196
ſpringt ſie in das naſſe Grab, um vereint mit ihm
zu ſterben, den ſie hienieden am Meiſten geliebt.
Am folgenden Tage, als die Sonne wieder golden
am tiefblauen Firmamente lachte, und wie verwundert
auf die rauchenden Trümmer der erſt ſo ſtolzen Burg
niederblickte, wurden die Leichen der Verlobten an's
Land gebracht: ſie hatten ſich im Tode feſt um—
ſchlungen und wurden ſo in geweihter Erde beigeſetzt.
Im Munde des Volkes aber erhielt ſich die ſchauer—
liche Sage, daß mancher Wanderer um die Mitter—
nachtsſtunde eine Schattengeftalt mit weißem Gewande
und Nebelſchleier von der Lauraburg zum großen
Steine ſtille wallen geſehen habe. Das Thal aber
führt feit jener ſchauerlichen Begebenheit den Namen
Laurathal. L. Welebil.
VI.
Schloß Kirchberg
an der Iller.
Im ſchönen Thale der Iller, deren grüne Wellen
noch ſchäumend vom geſchmolzenen Schnee der Tyroler
Alpen das reiche Land durchſtrömen, das ſich am alten
Kloſter Kempten bei der frühern Reichsſtadt Mem⸗
mingen herniederſenkt zum Donauthal — erhebt ſich
197
auf einem mäßigen Hügel des linken Ufers das Schloß
Ober⸗ Kirchberg, das jetzt noch bewohnt wird von
den Nachkommen des reichen Geſchlechts der Fugger.
Schloß Ober-Kirchberg war ſeit Jahrhunderten der
Hauptſitz der alten Herrſchaft Kirchberg, und wurde
auf den Grundmauern der Stammburg der alten
Grafen von Kirchberg erbaut. Letztere gehörten zu
den älteſten und edelſten Geſchlechtern des Schwaben—
landes. Die erſten urkundlichen Grafen von Kirchberg
ſind die Gebrüder Hartmann und Otto, welche
im Jahr 1093 das Kloſter Wiblingen ſtifteten, deſſen
Vogtei dem Hauſe verblieb. Graf Hartmann von
Kirchberg war einer der erſten Schwaben, welche im
Jahr 1098 mit Gottfried von Bouillon nach Pa—
läſtina zogen, um den Sarazenen das heilige Land
zu entreißen. Im Jahr 1109 war Graf Hartmann,
man weiß nicht aus welcher Urſache, in einer großen
Fehde mit dem Grafen Rudolf von Bregenz begriffen.
Sie lieferten einander im Januar dieſes Jahrs eine
blutige Schlacht unweit Jedesheim, nicht ferne von
Kirchberg; Graf Hartmann erſtritt am Ende den
blutigen Sieg. Außer dem Graf Walther von Vös
ringen fielen noch mehrere Edle. Otto von Kirchberg,
Hartmanns Bruder, wird im Jahr 1099 zum letzten
Mal in Urkunden genannt. Hartmann pflanzte den
Stamm fort durch zwei Söhne, Hartmann und Eber—
hard. Der erſtere erſcheint einige Male von 1127
— 1134 in Urkunden, deſto häufiger fein. Bruder
Graf Eberhard, der in den Jahren 1142 — 1150
0
198
meiſtens in der Umgebung K. Konrads III. vorkommt.
Eine Schweſter von dieſen beiden ſoll jene fromme
Ida geweſen ſeyn, von der die Legende eine rührende,
allwärts bekannte Geſchichte erzählt. Sie war an
den reichen Grafen Heinrich von Toggenburg ver—
mählt, deſſen väterliche Stammburg auf einem Felſen
unweit dem Kloſter Fiſchingen im Thurgau lag. So
tapfer und ritterlich dieſer ihr Gemahl war, ſo konnte
er doch den Zorn nicht überwinden. Ein Rabe
reizte noch die ſchrecklichſte Eiferſucht gegen ſeine Ge—
mahlin in ihm auf, und veranlaßte ihn zu einer
verabſcheuungswürdigen Gewaltthätigkeit. Der diebiſche
Vogel hatte nemlich neben anderem Schmuck den Braut—
ring der Gräfin am offenen Fenſter in der Sonne glän—
zen ſehen und davon genommen. Der Jäger des Grafen
fand den Ring und ſteckte ihn an ſeinen Finger. Wie
der Graf den Ring an der Hand des Knechts bemerkt,
entbrennt er von innerem Grimm; er glaubt, die
Gräfin habe den Ring dem Knechte gegeben, um den
Gemahl zu höhnen. Da ergriff er rachedürſtend die
Gräfin, und ſchleuderte ſie in den Burggraben hin—
unter, den Jäger aber läßt er an den Schweif eines
wilden Pferdes binden, welches, über die Burghalde
hinunter ſpringend, den Unglücklichen bald fürchterlich
zerſchellt. Nur wie durch ein Wunder blieb die Gräfin,
ungeachtet des tiefen Sturzes, am Leben. Von Gram
erfüllt, und ohne Hoffnung, den verblendeten Gatten
von ihrer Unſchuld überzeugen zu können, wankte ſie
dem dichten Walde zu, verbarg ſich daſelbſt in einer
199
Höhle, und friftete mehrere Jahre lang ihr Leben mit
wilden Beeren und Waldkräutern, und mit dem Al:
moſen, welches die Hirten der Einſiedlerin gutmüthig
reichten. Durch Zufall entdeckte der Graf auf der
Jagd ſeine verborgene Gemahlin; ihre Erhaltung und
fromme Ergebenheit in ihr trauriges Schickſal erſchien
ihm nun als Beweis ihrer Unſchuld. Er wollte ſie
wieder auf ſeine Burg führen, allein ſie zog es vor,
eine Zelle bei Fiſchingen zu beziehen, und ihr übriges
Leben dem Gotte zu weihen, der ſie vom ſchmählichen
Tode errettet hatte. Ida ſtarb um 1179 und wurde
zu Fiſchingen begraben. An ihrem Grabmale, das
noch jetzt zu ſehen iſt, fand die Andacht viele Er—
bauung, mancher Leidende Troſt in ſeiner Noth, das
Kloſter Fiſchingen erlangte dadurch Berühmtheit und
ſo viele Geſchenke, daß zu Ehren der frommen Ida
eine Zeit lang auch ein Nonnenkloſter erhalten werden
konnte. — Wir kehren wieder zu den Grafen von
Kirchberg zurück. £
Söhne des Grafen Eberhard waren Otto, Hart:
mann, und vielleicht auch ein Rudolf, der nur
einmal im Jahr 1185 in einer Urkunde auftritt.
Graf Hartmann von Kirchberg wird im Jahr 1164
unter denjenigen genannt, welche auf Seiten des
Herzog Welfs die unglückliche Schlacht bei Tübingen
gegen den Pfalzgrafen Hugo mitgemacht. Sonſt wird
er oft mit ſeinem Bruder Otto in Urkunden genannt,
aber nach dem Jahr 1198 iſt er nicht mehr im Le—
ben, während Otto ihm mehrere Jahre zuvor im
200
Tode vorangegangen. Ein Sohn von Hartmann war
wohl der Graf Hartmann von Kirchberg, der noch
bei Lebzeiten ſeines Vaters im Jahr 1187, und dann
noch in Urkunden vom Jahr 1213 und 1215 er⸗
ſcheint. Söhne deſſen ſind Otto, und Hartmann,
der einen Sohn Otto erzeugte, welcher ſich mit einer
Schweſter des Grafen Ulrichs von Schelklingen ver—
mählte. Aus dieſer Ehe gingen drei Söhne: Eber—
hard, Conrad und Bruno hervor. Von den letzteren
brachte es Bruno zur höchſten geiſtlichen Würde: er
wurde Bifchof zu Brixen im Jahr 1250 und ſtarb
1288. Graf Conrad von Kirchberg iſt der bekannte
Minneſänger, welcher ſo begeiſtert von Blumen und
Mai geſungen:
Maie iſt kommen in die Land,
Der uns je von Sorgen band;
Kinder, Kinder ſeid gemahnt,
Wir ſoln ſchauen Wonne mannigfalte,
Auf der lichten Haide
Da hat er uns vorgeſpreit
Manig Blümelein gemeit u. ſ. w.
Er hat 24 Strophen hinterlaſſen, in denen er beur—
kundet, daß der Sänger an der grünen Iller keiner
der geringen im Schwabenlande geweſen. Conrad
und fein Bruder Bruno werden im Jahr 1255 in
einer Verhandlung genannt, die auf der Burg Kirch—
berg vorging. Bei dieſer Verhandlung erſcheint auch
ein Otto von Kirchberg als Zeuge, der ſpäter
201
den Beinamen Graf von Brandenburg führte, und
einer Nebenlinie angehörte. Dieſe müſſen angeſehene
Herren geweſen ſeyn, denn ſie führen in Urkunden
den Namen „erlauchte, hochgeborne Grafen.“ Conrad
und Eberhard von Kirchberg werden noch bis ins
Jahr 1268 mit einander in Urkunden aufgeführt.
Die beiden pflanzten in zwei Linien den Hauptſtamm
der Grafen von Kirchberg fort. Die eine, welche
Conrad der Minneſänger ſtiftete, erloſch mit feinem
Urenkel Wilhelm im J. 1366, da dieſer nur eine
Tochter hinterlaſſen; die Linie Eberhards dauerte bis
in den Anfang des 16. Jahrhunderts, wo ſie im
ſechsten Gliede mit Graf Philipp von Kirchberg er—
loſchen. Noch früher war die von dem obengenann—
ten Otto von Brandenburg (jetzt Weiler und Schloß
nicht ferne von Kirchberg und Neuhaus an der Leibe
in Baiern) geſtiftete Nebenlinie ausgegangen; ſein
Sohn gleichen Namens gab im Jahr 1304 ſeine
Burg Neuhaus dem Hochſtift Augsburg zu Lehen
auf, empfing ſie aber wieder mit ſeinem Vetter Graf
Conrad dem Jungen von Kirchberg zu einem rechten
Erblehen, und vererbte ſie auf die Kirchberger Haupt—
linie, wie denn im Jahr 1347 Wilhelm der Aeltere,
Graf von Kirchberg, von Kaiſer Karl IV. „mit den
zwei Herrſchaften Kirchberg und zu dem Neuenhauſe,
mit dem Burggeſäß zu Kirchberg u. ſ. w.“ belehnt
wurde. Demnach lebte Graf Otto nicht mehr. —
Viel Erwerbsglück war nicht in der durch frühe Thei—
lung geſchwächten Familie, die noch durch eine ſchwarze
A
202
That, einen Batermord, im Jahr 1339 war gebrande
markt worden. Die Geſchichte hat den Namen des
Vatermörders nicht überliefert, aber ein Graf von
Kirchberg in Schwaben iſt es geweſen. Der Vater—
mörder, welcher zugleich die Herrſchaft Wullenſtetten
beſeſſen, ſoll 200 Jahre mit ſeinen Nachkommen von
der Grafſchaft Kirchberg ausgeſchloſſen geweſen ſeyn,
und mußte zur Strafe in ſeinem Wappen anſtatt der
rothgekleideten Mohrin, eine Mohrin in ſchwarzem
Kleide, mit fliegenden Haaren führen. — Die Burg
und Herrſchaft Kirchberg ging frühzeitig, bei dem,
daß es nicht an männlichen Sproſſen in der Familie
fehlte, dem Haupttheil nach an Tochtermänner über.
Doch brachte der Kirchberger Mannsſtamm die Graf—
ſchaft Kirchberg wieder an fi. Graf Conrad (T 1417)
und fein Sohn Eberhard ( 1440) brachten die
Familie wieder empor. Conrads Enkel Eberhard, und
Conrad, kauften wieder die Herrſchaft Kirchberg. Aber
der Beſitz blieb nicht beiſammen; die genannten Gra—
fen ſchwächten ſich aufs Neue durch Theilungen.
Dazu kamen noch zahlreiche Schulden, welche beinahe
die ganze Herrſchaft in die Hände der Stadt Ulm
geſpielt hätten. Da verkauften Graf Wilhelm, Con—
rads Sohn, und Philipp, Eberhards Sohn, der erſtere
im Jahr 1481, der andere im Jahr 1498, ihre An⸗
theile an den Herzog Philipp den Reichen von Baiern.
Mit Philipp, der nur eine Tochter hinterließ, erloſch
im Jahr 1510 der ganze Men der Grafen
von Kirchberg.
203 /
Nachdem aber im Jahr 15 7 der Herzog Georg
in Baiern ohne männliche Leibes- und Lehenserben
mit Tod abging, hat Kaiſer Maximilian, als Erzher—
zog von Oeſterreich, aus „gegründeten, redlichen und
billigen Urſachen, auch um des merklichen Koſtens und
Schadens willen“ die Grafſchaft Kirchberg in Beſitz
genommen, und ſeinen übrigen Ländern einverleibt.
Dann hat er ſie bald darauf an Jakob Fugger
für 70,000 fl. verpfändet, zwar nach einiger Zeit wies
der eingelöst, aber nachgehends wieder für 525,000 fl.
als ein Mannlehen an Fugger verkauft. Bei dieſem
Hauſe iſt die Herrſchaft Kirchberg ununterbrochen ge—
blieben. Unter ihnen hat das Schloß Kirchberg, das
den Hauptort der Herrſchaft Fugger-Kirchberg
bildet, ſeine jetzige Geſtalt erhalten.
Das Fräulein von Kirchberg.
Ein ſchlichter Leineweber zu Augsburg in der mäch—
tigen Handels- und Reichsſtadt, die damals mit Nürn—
berg und Ulm einen ſo großen Ruhm genoß, daß
das Sprüchwort durch Alle Lande ging:
Nürnberger Witz
Ulmer Geſchütz
Augsburger Geld
Bezwingt die ganze Welt,
der hatte es durch ſeinen Fleiß dahin gebracht, daß
Fürſten und ſelbſt der Kaiſer ihm die Ehre ſchenkten,
bei ihm einzukehren.
204
Tauſende der Laſtwagen führten feine Leinwand,
den Fleiß der ſchwäbiſchen Weber, über die Alpen in
das Land Italien und von da weiter nach Aſten und
Afrika. Ja feine Schiffe ſegelten mit dieſer Waare
in das kaum zuvor entdeckte ferne Amerika über das
weite Weltmeer und nach Oſtindien, und brachten
köſtliche Gegenſtände aus jenen Ländern zurück. Da—
rum war auch des Kaufherrn Fugger Schatzkam—
mer ſtets gefüllt mit Gold und Silber, und wo
ein Mächtiger des Reiches Geld bedurfte, ſo wandte
er ſich an Meiſter Fugger, daß er ihm welches vor—
ſchöße.
Kein Wunder, wenn er allwärts geehrt und ge—
ſchätzt war, vom Kaiſer in den Adelſtand erhoben
wurde, und ſeine Kinder bald im Schwabenland manch
ſchönes Schloß und Gut ſich erwarben.
So ſaß denn auch ungefähr hundert Jahre ſpäter,
um die Zeit des drangſalvollen dreißigjährigen Krieges,
ein Nachkomme jenes Kaufherrn in dem ſchönen
Schloſſe zu Kirchberg. Weit und breit gab es keinen
ſtolzern und luſtigeren Sitz, denn von dem Söller
aus konnte er Thal aufwärts die Abendſonne die
Tyroler Alpen beleuchten ſehen, und wenn längſt ſchon
die Sonne hinunter, glühten jene hohen Spitzen noch
weit in die Lande hinein. Wandte aber der Schloß—
herr ſein Auge Thal abwärts, längs den bewaldeten
Geſtaden der ſich ſchlängelnden Iller, ſo ſchimmerten die
Mauern und Thürme des reichen Benediktinerklo—
ſters Wiblingen zu ihm herauf, hinter ihnen ſtreckte
205
das Ulmer Münfter fein rieſiges Haupt hervor, und
neben ihm manch anderer ſtarker Thurm der feſten
Reichsſtadt.
Conrad Fugger hatte nur zwei Kinder. Das älteſte
war ein Sohn, der, kaum den Knabenjahren entwach—
ſen, nach Mailand in Italien ſich gewendet, um dort
bei Verwandten das Geſchäft eines Kaufherrn zu er—
lernen, zu dem er ſchon als Knabe Luſt und Liebe
gefühlt. In ferne Lande über Seen und Meere
trugen ihn ſeine Träume auf reich beladenen Schiffen
mit Elfenbein, Perlen, mit Seide und köſtlichen Früch—
ten heißer Länder.
So blieb bei den Eltern im Schloſſe nur Anna,
ein liebliches Kind von ſechszehn Jahren. Mit großer
Zärtlichkeit hingen Vater und Mutter an ihr, und
beſonders Jener freute ſtch bei dem Gedanken, ſein
Töchterlein nach wenigen Jahren mit dem Sohne
eines ſeiner Nachbarn zu vermählen.
Der Ritter Herrmann von Wain im AIllerthals⸗
hatte nemlich einen einzigen Sohn, und wenn die
Väter zuweilen ſich beſuchten, dann ward beim Becher
ſtets das Hauptgeſpräch, daß ihre Kinder in wenigen
Jahren einander ſollten die Hand reichen als Ehgemahle.
Freudig kehrte dann der von Fugger auf ſein
Schloß zurück, denn er hielt große Stücke darauf,
daß ſein Tochterlein ſich ſollte verbinden mit dem
Nachkommen eines ſo alten, edlen Geſchlechts, wie das
derer von Wain war. Der Stolz und Hochmuth fand
ſich geſchmeichelt, da er ſelbſt nur zwei Ahnen zählte,
*
a A — * rr
206
wenn ein fo uraltes Geſchlecht in die nächſte Ver:
wandtſchaft mit ihm träte.
Aber ſo oft er auch mit ſeinem Ehgemahl darüber
Unterredung pflegte und die Eltern es Anna nicht
verhielten, daß über ihre Zukunft beſchloſſen ſei, ſo
eilte das ſchüchterne Kind doch ſtets aus dem Ge—
mache, denn noch war das erſte Gefühl zu einem
Manne nicht in ihrem reinen, kindlichen Herzen er—
wacht, und Otto von Wain, den ſie einigemal auf
ihrem Schloſſe auf Beſuch geſehen, war ihr ſo gleich—
gültig, wie jeder andere Jüngling, der ihr bisher be—
gegnet und ein freundliches Wort mit ihr gewechſelt.
Ja fie empfand ſogar ein etwas drückendes Gefühl,
wenn ſie an das Vorhaben ihrer Eltern gedachte,
denn obwohl Otto ein wohlgeftalteter Jüngling war
und in dem ſcharlachrothen, nach ſpaniſcher Tracht
gemachten Wammſe, mit geſchlitzten weiten Aermeln
ſich ſtattlich ausnahm, ſo hatte er doch etwas in ſei—
nem Blicke, was ihr ein tiefes Unbehagen einflößte.
Indeſſen ſprach ſie ihre Gefühle nicht gegen ihre El—
tern aus, ſondern ſuchte ſtets der Unterhaltung er
ihre Zukunft auszuweichen.
So war ihr ſiebenzehnter Geburtstag Ae
und ihr Vater wußte ihn nicht beſſer und feſtlicher
zu feiern, als daß er ihr einen kleinen, milchweißen
Zelter mit vergoldetem Zaum und Zügel zur Feſt—
gabe machte und ſeine Nachbarn zu einem fröhlichen
Bankette einlud, zu welchem auch angeſehene Ulmer
Adelige entboten wurden.
207
.r
—
Vom früheſten Morgen an rührte ſich Anna und
Alles auf Schloß Kirchberg in Küche und Keller, in
den Ställen und auf dem Hof, und gegen Mittag
ritten die edlen Gäſte den Hügel herauf und wurden
vom Schloßherrn, deſſen Gemahl und dem jungen
Fräulein freundlichſt empfangen. Unter den Erſten,
die eintrafen, waren die edlen Herren von Wain,
Vater und Sohn. Der junge Ritter war heute
doppelt koſtbar gekleidet. Lange Straußenfedern wog—
ten vom hellblauſammtnen Barette herab bis auf
die Hälfte des Rückens; über dem papageigrünen
Wammſe legte ſich ein fein gezackter, breiter Brüßler.
pitzenkragen heraus, und um die Hüfte war ein
foftbares kurzes Schwerdt gegürtet.
Der wohlgeſtaltete junge Edle von Wain warf ſich
leicht aus dem Sattel ſeines flüchtigen Rappen, und
als ſein Vater den Hauswirth und ſeine Damen be—
grüßt hatte, reichte auch er, ſich tief verbeugend, ſeine
Hand den Eltern Anna's, und dann dem Fräulein,
um ihr einen feingeſetzten Glückwunſch zu ſagen.
Aber als ſeine Hand die ihrige drückte, zog ſie
ſelbige jählings zurück, denn es war ihr, als ob ein
hölliſches Feuer ſie brannte, und das ſcharfe Auge,
mit welchem der junge Gaſt ſie traf, ſchnitt ihr ſchmerz—
haft bis in die Seele. Sie ward ſich bewußt, daß
ſie nie und nimmermehr dieſem Manne ſich zugeſellen
könnte in Neigung und Wohlgefallen.
Schnell wandte ſie ſich um und begrüßte einen
- *
208
Ulmer Rathsherrn, der, wie ſonſt gar häufig, ſo auch
heute ſich eingefunden hatte.
Was es eigentlich war, das Anna zu dem jungen
ihr beſtimmten Junker keine Neigung faſſen ließ,
wußte ſte ſelbſt nicht, ſich klar zu machen, und ſie
hatte ſich manchmal darüber in ſtillen Selbſtgeſprächen
geſcholten. Aber fort und fort erfaßte ſie allemal
wieder ein beengendes und drückendes Gefühl, ſo oft
er, und ſo höflich er ſich auch nahte. Indeß hielt
dieß Jedermann für jungfräuliche Schüchternheit und
auch der Junker war dieſes Glaubens.
Bald ſaß Alles an der reichgedeckten Tafel, wo
man dem jungen von Wain den Ehrenplatz neben
Anna angewieſen.
Den erſten Trunk brachte der Hauswirth ſeinen
liebwerthen Gäſten aus, die ihm heute beim Geburts—
feſt ſeiner theuren Tochter die Ehre geſchenkt, Theil
zu nehmen an der Freude ſeines Hauſes.
Darauf ergriff der Alte von Wain den Pokal,
dankte ſeinem alten ehrenwerthen Nachbar für die
ſchätzbare Einladung, und fügte hinzu: inſonderheit
möge der Himmel ſo gnädig ſeyn, dem edlen, hoch—
achtbaren und ſchoͤnen Fräulein eine glückliche Zukunft
zu ſchenken und ſeinem Hauſe die Freude, dieſes Feſt
durch noch engere Bande mit dem Hauſe Fugger ver—
knüpft, in alle Zeiten feiern zu dürfen.
Alles erhob ſich und ſtieß die Pokale zuſammen,
während Anna zitternd bald erröthete, bald erbleichte,
209
und als fie mit Allen angeſtoßen, vor heiligen innern
Bewegung ihrer Mutter faſt in die Arme ſank.
Indeſſen faßte ſie ſich nach Kräften und ſuchte dem
Junker auf alle Fragen Antwort zu geben, oder ihm
mit möglichſter Aufmerkſamkeit zuzuhören, wenn er
von ſeinen Reiſen ſprach und dem wilden Kriegslager
Tilly's, das er als Edelknabe des Churfürſten von
Baiern, ſeines Herrn, vor zwei Jahren beſucht. Aber
wenn des Junkers Auge feuriger ihr zublitzte, und er
ſich näher gegen ſie bog, um in dem Reize ihrer
lieblichen Züge zu ſchwelgen, dann überkam es ſie
wieder unheimlich und eine unerklärliche Beklemmung
preßte ihr das Herz zuſammen.
Es war im Hochſommer, und die Sonne neigte
ſich langſam zum Untergang, als die Gäſte zur Heim—
kehr ſich rüſteten und ihre Roſſe vorgeführt wurden.
Ich begleite Euch — rief der Herr von Fugger den
Herren von Wain zu — eine Strecke hinüber jen—
ſeits der Iller, denn der Abend iſt friſch und belebend,
und noch manches Wort möchte ich wechſeln mit
meinen liebwerthen Gäſten.
Und auch Du — ſetzte er dann ſchnell hinzu —
auch Du Anna magſt deinen Vater begleiten und er—
proben, welchen Paß dein Zelter geht, den ich dir
heute als Angebinde geſchenkt.
Wiewohl Anna ſich entſchuldigte und alle Ausreden
verſuchte, der Vater blieb dabei und die Gäſte ſtimm—
ten alle in die Bitte ein.
So wurde denn der kleine Zelter nach Frauenart
x 14
210
*
geſattelt mit den buntfarbigſten Teppichen, und der
Junker hielt hocherfreut den Bügel, um dem ſchlanken
Fräulein auf das Rößlein zu helfen.
Mitten in der Schaar der Scheidenden ritt Anna
dahin den Schloßberg hinab zur Iller, und eben ſo
ſtolz blickte ihr Vater auf die reizende Jungfrau, als
der Junge von Wain, dem das Glück winkte, ſie
ſpäter als Ehgemahl heimführen zu dürfen.
Als ſie über den breiten hölzernen Steg gekommen,
der über das Illerflüßchen führte, trennte ſich die Ge—
ſellſchaft. Linksab zogen die Gäſte aus Ulm und
rechtshin wendeten ſich nach ihrem Schloſſe die Edlen
von Wain. Nur eine kurze Strecke begleitete dieſe
noch der Schloßherr von Kirchberg, dann wandte er
ſich mit Anna zur Rückkehr.
Eben ritten ſie wieder über den niedern Illerſteg,
das Waſſer war ziemlich ſtark angelaufen durch ein
Gewitter, das Tags zuvor weiter oben im Thal ge—
fallen, es rauſchte wild durch die buſchigen Ufer,
und brach ſich an den kleinen Erleninſeln und Sand—
bänken.
Da plötzlich fiel ein Schuß im Gebüſch! das Roß
des Fugger bäumte ſich hoch auf, und mit ihm machte
der erſchreckte Zelter Anna's einen ſo gewaltigen
Sprung auf die Seite, daß Anna mit einem gellenden
Schreckensſchrei aus dem Sattel flog und in die hoch:
aufgeſchwollenen Wellen der Iller ſtürzte.
Ein lauter Schrei Fuggers ſchallte ihr nach — in
der höchſten Angſt um ſein Kind wollte er ſein Roß
211
in das Waſſer ſprengen, aber das ſcheue Thier folgte
keinem Sporenſtoß und ſprang immer ſeitwärts, wäh—
rend Anna ſchon unter kläglichem Hilferuf eine Strecke
fortgeriſſen ward.
Da erblickte der Graf plötzlich durch das Erlenge:
büſch einen Jüngling ſtürzen im Jägergewande, der
die Büchſe wegwarf und mit einem kühnen Sprung
mitten in den Wogen war. Ein rüſtiger Schwimmer,
hatte er in wenigen Augenblicken Anna erfaßt, die
im Todeskampfe ſich krampfhaft an ihn klammerte,
und arbeitete ſich nun mit Rieſenſtärke dem Ufer zu,
wohin der ſprachloſe Vater geeilt war, und nun vom
RNoſſe geſtiegen ihm die Hand reichte, um das theure
Opfer den Wellen zu entreißen.
Mit Mühe gelang es Beiden, Anna auf's Trockene
zu bringen, und ſelbſt da noch hatte ſie des Jägers
Arm ſo krampfhaft umklammert, daß er ſich ihr nicht
entwinden konnte.
Die Todesangſt hatte ihr die Augen geſchloſſen;
erſt nach einigen Minuten ſchlug ſie dieſelben auf,
und blickte in die großen braunen Augenſterne ih—
res Retters, die von Treuherzigkeit und Theilnahme
ſtrahlten.
Es war ein Augenblick — aber es lag eine ganze
Welt von Seligkeit darin, und zwei Herzen hatten den
Bund der Liebe geſchloſſen, ohne daß auch ihr Mund
nur eine Sylbe geſtammelt hätte.
Mit einem leichten Seufzer und die blaſſen Wangen
raſch erröthend, ließ Anna's Hand den gepreßten Arm
*
212
ihres Retters los und ſank in die Arme ihres zärt-
lichen Vaters.
Jetzt erſt ſtammelte ſie ihren Dank und in den—
ſelben ſtimmte Graf Fugger ein, während er dem
ſchmucken, kühnen und edlen Jäger die Hand drückte.
Wenn ich recht ſehe, fuhr er fort, ſo ſeyd Ihr der
Sohn des Kloſterjägers von Wiblingen, der ſchon
manchmal meinen Jagden hat beigewohnt, ein guter
Schütze, im ganzen Illerthal gerne geſehen beim edlen
Waidwerk!
So iſt es, antwortete der Jäger, und ſtrich ſich die
naſſen kaſtanienbraunen Locken aus dem Geſicht; ich
ſtreifte die Iller herauf, da traf ich auf der Forſt—
gränze zwei Eurer Knechte vor einer halben Stunde,
die gingen pürſchen auf wilde Tauben und luden mich
ein zu ihrem Pürſchgang, und darnach zu einem guten
Trunk, denn, ſagten ſie, heute feiert die edle Herrſchaft
das Geburtsfeſt unſeres gnädigen Fräuleins — wir
haben einen fröhlichen Tag und dabei iſt jeder ehrliche
Waidmann willkommen in unſerer Zechſtube.
Frohen Sinnes nahm ich die Einladung an und
hätte nie geahnt, daß das Unglück ſo nahe und ich
ſelbſt die Urſache davon wäre.
Während ich aufwärts ſchlich am Ufer gegen die
Brücke, ſtreiften die Andern abwärts und die erſte
Taube kam mir zum Schuß.
Aber kaum hatte ich abgedrückt, da vernahm ich
von ferne das Angſtgeſchrei menſchlicher Stimmen, und
als ich in jäher Eile darauf zufprang, gewahrte ich
213
Euch, gnädiger Graf, auf der Brücke und Euer Roß
hoch aufbäumend, indeſſen die Gewänder einer Dame
in den Wellen daher trieben. -
Was weiter geſchehen, habt Ihr geſehen, und ich
danke dem gnädigen Himmel, daß er mich gewürdigt
hat, das edle Fräulein dem Wellentod zu entreißen,
denn ich ahnte gleich, daß mein Schuß es war, der
das gräßliche Unglück hat angerichtet, als ich Euch
auf der Brücke erblickte und das Fräulein in den
Wogen der Iller.
Wohl iſt es ſo — ſprach Graf Fugger — dein
Schuß machte den Zelter meiner Anna ſcheu und warf
ſie vom Rößlein, aber der Himmel hat dich auch zur
Rettung auserſehen, und dein Muth hat wieder gut
gemacht, was du ohne deinen Willen haſt Uebles
angerichtet, darum ich dir nicht genug danken kann.
Noch einmal drückte der Graf dem Jäger die Hand
und auch Anna blickte ihn wiederholt mit ihren blauen
Augen an, in welchen ihm ein Himmel entgegenſtrahlte.
Indeſſen hatte ſich das Fräulein ziemlich erholt
und als auch die beiden Knechte die Iller herauf
herbeigekommen, eilten dieſe auf das Schloß, eine
Sänfte zu holen, in welcher Anna, noch ehe die Sonne
ganz hinunter, in ihre Gemächer gebracht wurde.
Wiewohl Kuno der Jäger vom Grafen war ein:
geladen worden, einen Nachtimbiß bei ihm einzuneh-
men und mit trockenem Gewande ſich zu verſehen, ſo
dankte er doch für die Gnade, und verſprach in den
nächſten Tagen auf das Schloß zu kommen. Aber
214
als er ſich verabſchiedete, bat er Anna, ihm zu ge—
ſtatten, daß er die Hand ihr Füffe, und als fie huld⸗
voll genickt, beugte er ſich ehrfurchtsvoll und berührte
ihre Hand mit ſeinen Lippen, warf noch einen ſchüch—
ternen Blick auf ihr erröthendes Antlitz und ſchritt
dann haſtig über den Steg, um jenſeits ſeine Büchſe
zu holen und nach Hauſe zu eilen.
Als er fein Schlafſtüblein erreicht und feine Büchfe
an die Wand gehängt hatte, faßte es ihn wie ein
Fieber und er wußte nicht, wie ihm zu Muthe war.
Am offenen Fenſter, in die lauwarme Nacht hinaus—
ſtarrend und dem Rauſchen der Iller lauſchend, ſaß
er bis tief nach Mitternacht und nur ein Bild war
es, das ſtets ihn umſchwebte — das Bild Anna's.
Mit einem Blick war ihm ein neues Leben tief
drinnen in der Bruſt aufgegangen. Er, der ſonſt
nur leicht mit den Mägdlein geſcherzt und gefost,
dem eine Geſellſchaft munterer Waidgeſellen und ein
Pürſchgang ſein Liebſtes geweſen, er hatte jetzt nur
einen Gedanken, der wehmüthig ihn durchdrang, es
war die Sehnſucht nach dem jungfräulichen Weſen,
dem er vor wenigen Stunden in die himmliſch ſchönen,
ſanften Augen geblickt, deren Hand er ehrfurchtsvoll
mit den Lippen berührt hatte.
Aber auch auf Schloß Kirchberg war in der Bruſt
der Jungfrau eine wunderbare Veränderung vorge—
gangen. Kaum war ſie allein auf ihrem Gemach
und hatten ihre Eltern ihr gute Nacht geſagt, nach—
dem ſie ſich überzeugt, daß der Schrecken Feine. be:
215
drohliche Spuren mehr zuruͤckgelaſſen, da glaubte Anna,
ihre Bruſt wolle ihr zerſpringen vor ſeltſamen drän—
genden Gefühlen. Wie eine Roſenknoſpe, wenn ein
warmer Sommerregen ſie getroffen, mit den erſten
Sonnenſtrahlen ſich entfaltet, ihren Kelch erſchließt
und die zarten, feſt zuſammengepreßten Blätter aus—
einander rollt, alſo hatte ein einziger Blick in das
Auge eines Jünglings, wie ein Sonnenſtrahl auf
das Innerſte ihres Herzens gewirkt.
Ein Strom von Gefühlen und Regungen, die bis⸗
her geſchlafen hatten, die ihr noch gar nicht waren
bekannt geworden, ergoß ſich, und in ihm ſpiegelte
ſich nur ein Bild, das Bild des ſchönen Jägers mit
ſeinen treuherzigen, braunen Augen.
An ihn hatte ſie ſich vor wenigen Stunden faſt
ſchon bewußtlos angeklammert, als könne nur er ihr
noch das Leben retten, ohne ihn vermöge ſie jetzt
auch nicht mehr leben zu können, nachdem die Rettung
gelungen. Mit ihm vereint im Leben wie im Tode,
das ſchien ihr jetzt das höchſte Glück — Alles An—
dere hatte keinen Werth mehr für fie.
Ein jäher Schmerz durchzuckte ſie, wenn in dieſe
Gedanken hinein das Bild des Junkers von Wain
trat, dem ihre Eltern ſie beſtimmt. Wie verzerrt er—
ſchienen ihr nun ſeine Geſichtszüge gegen das freund—
liche, offene, liebe Angeſicht ihres Retters, obwohl
derſelbe kein häßlicher Junker war. Wie viel reizen—
der däuchte ihr der ſchlichte Jäger- und Waidgeſelle
in ſeinem ſchmuckloſen grünen Wamms, die Waidtaſche
*
216
umgehängt und den Hirſchfänger um die ſchlanke
Hüfte geſchnallt, als der prunkende junge Ritter in
feinem ſpaniſchen Mantel von Sammt und mit dem
reichverzierten Degen.
So drehte ſich ihr Sinnen, Denken und Fühlen
einzig und allein nur um den muthigen Jüngling,
der unaufgefordert ſich ihretwegen hatte in die Wellen
geſtürzt und faſt ſelbſt ein Opfer derſelben geworden
wäre, als ſie ſich im Todeskampfe an ihn angeklammert.
Erſt mit dem Grauen des Morgens vermochte ſie,
dem Schlaf in die Arme zu ſinken, und auch ihre
Träume waren nur eine Fortſetzung ſolcher und ähn—
licher Bilder.
Einige Tage darauf traf Anna's Vater den Jäger
Kuno auf der Jagdgränze und machte ihm freundliche
Vorwürfe, daß er ihn noch nicht beſucht. Wie gerne
wäre dieſes von dem Waidgeſellen ſchon geſchehen,
aber die Liebe hatte ihn ſchüchtern gemacht, und ſo
oft er ſein beſtes Wamms angezogen und ſeine Büchſe
umgeworfen hatte, ſo oft hatte er ſie wieder an die
Wand gehängt und ein Zittern hatte ihn am ganzen Leibe
ergriffen. Aber täglich war er hinüber geſtreift in
das Illerthal, um an einer Wieſenhecke gelagert,
ſtundenlang hinauf zu blicken auf Schloß Kirchberg
und ſich in Gedanken vorzumalen, wo jetzt und in
welchen Gemächern das edle Fräulein wohl weilen
möchte. Wie oft er ſich auch ſagte, daß es ein wahn—
ſinniger Gedanke ſey, nach dem Fräulein ſeine Augen
zu erheben, er, der arme Dienſtmann des Kloſters,
247
dem noch kein Bürgersmägdlein der Reichsſtadt Ulm
die Hand gereicht hätte, ſo konnte er doch unmöglich
das edle, ſchöne Bild loswerden, das ihn Tag und
Nacht umſchwebte.
Heute nun traf ihn der Graf, und es half Nichts,
er mußte mit, wie ſehr er ſich auch entſchuldigte, daß
er nicht wohl anſtändig genug gekleidet, um vor der
gnädigen Herrſchaft erſcheinen zu können. Als ſie in
den Schloßhof eintraten, lehnte Anna an dem Ge—
länder eines kleinen Blumengärtchens und ſank faſt
in die Knie von wonnevollem Schrecken, als ſie den
ſchmucken Waidgeſellen neben ihrem Vater herſchreiten
ſah. Nicht minder faſt zückte es Kuno durch alle
Glieder, als er plötzlich die Jungfrau gewahrte. Nur
des Grafen Rede, der keine Acht auf dieſe innere Be—
wegung der Beiden hatte, brachte ſie wieder zu ſich.
Da bringe ich, lächelte er, unſern wackern Schützen
und muß ihn faſt zwingen, unſer Schloß zu beſuchen
und den Dank zu empfangen, den wir ihm in der
erſten Beſtürzung nicht geben konnten. Wie — fuhr
er fort, Anna! dort von dem ſeltenen Roſenſtock, den
dein Bruder aus Italien uns geſendet, brich die ſchönſte
Roſe ab, und ſtecke ſie zum freundlichen Empfang
dem wackern Gaſte auf ſeinen Hut! Damit nahm er
Kuno ſeinen breitkrämpigen grünen Hut ab, reichte
ihn über's Geländer, und Anna ſteckte die ſchönſte
Rose auf denſelben, welche ſie finden konnte.
Schüchtern und tief, aber innerlich von ſeliger
Wonne erfüllt, beugte ſich ‚Kuno und empfing feinen
218
Hut zurück. Kaum hatte er den Muth zu ſtammeln:
welch hohe Gunſt, mein edles Fräulein und mein
gnädiger Herr, alſo beehrt zu werden — ich ein ar—
mer Waidgeſelle!
Anna aber hatte ſich auch gefaßt, da ſie von ihrem
Vater ſelbſt war aufgefordert worden, ihren Retter
freundlich zu begrüßen und feinen Hut zu fchmüden
und lächelte erröthend: werther Geſelle, dem ich mein
Leben ſchulde, möge mein Vater Euch reichlicher be—
lohnen, aber dieſe Roſe Euch ſtets erinnern, daß ich
Euch ewig dankbar bleiben werde für Eure chriſtliche
That und das Erbarmen, ſo Ihr mit mir gehabt,
da alle Rettung mir verſchwunden!
Nach dieſem Empfang führte der Graf ſeinen Gaſt
in die Gemächer, wo die Gräfin ſeiner harrte und
ihm herzlich die Hand drückte. Alsdann wurde er
zur Tafel geführt und die köſtlichſten Speiſen und Ge—
tränke aufgetragen. Beim Abſchied ſchenkte der Graf
dem Jäger eine koſtbare Büchſe, die er aus den
Niederlanden bekommen hatte, ausgelegt mit Gold
und Silber, und die Gräfin ſteckte ihm einen reich
mit Perlen verzierten Ring an den Finger. Alſo
beſchenkt verließ Kuno das Schloß und verſprach,
bald wieder zu kommen.
Der Herbſt war noch nicht hereingebrochen, da
hatten ſich zwei Herzen ihre Liebe geoffenbart und ſich
geſchworen, für ewig einander zu gehören. Obwohl
Kuno oft und oft ſeine Anna dringendſt bat, ihn zu
vergeſſen, da ſie nie vor den Traualtar treten könn—
219
ken, ſo ſchloß doch Anna ihn ſtets dann an ihr
klopfendes Herz und ſchwur ihm, daß ſie nie einem
andern Manne gehören und lieber in das Klofter
gehen werde, wenn ſie keinen andern Ausweg mehr
fände. |
So dringend darum auch ihre Eltern ihr fortwäh—
rend oblagen, ſich mit dem Junker von Wain zu
verloben, ſo kräftig widerſtand ſie jetzt, da die Liebe
ihr den Muth gab, ihre Einwilligung zu verweigern.
Dagegen trafen ſich die Liebenden von Zeit zu Zeit
heimlich mit Hülfe einer Magd, die mit großer Treue
an Anna hing. Gewöhnlich wählten ſie dazu die
Halde an den buſchigen Ufern der Iller, wo Anna
zum erſten Mal den Arm um Kuno geſchlungen, als
er ihr nach in die Wellen ſich geſtürzt. Ein Schuß
und einige Hornſtöße gaben gewöhnlich das Zeichen,
worauf Anna mit ihrer Magd den Gang antrat und
durch eine Gartenpforte das Schloß nächtlicher Weile
verließ.
Zwei Jahre waren ſo dahin geſchwunden, der Vater
Anna's plötzlich geſtorben, und obwohl er noch auf
dem Todesbett ſeine Tochter gebeten, ſich mit dem
Junker von Wain zu verehelichen, fo Hatte fie doch
unter den heißeſten Thränen ihm erklärt, daß ihr
Herz brechen würde, wo ſie gehorchte.
Da in der letzten Aufregung brach der ſtolze Graf
in Verwünſchungen aus über den Stolz ſeines Kindes,
und ſeine letzten Worte waren: weiche von mir, Du
unnatürliche Tochter, die Du ſelbſt die Todesſtunde
2
220
mir verbitterſt! Statt unſer Haus mit andern edlen
Geſchlechtern immer weiter in Verbindung zu bringen,
und auszubreiten zu Ruhm und Ehre, widerſtrebſt
Du aus unbegreiflicher Laune meinem Willen und
ſtoßeſt dein Glück zurück.
Was Dich antreibt, alſo zu ſündigen an Deinen
Eltern, bleibt mir unte Wollte es der Himmel,
daß Dein Geſicht nicht die Larve trägt der Heuchelei
und Du ſo tief geſunken, Dein Herz an einen Mann
gehängt zu haben, in deſſen Adern kein edles Blut
fließt. Meine Tochter biſt Du nicht mehr — Un—
dankbare! Mit dieſen Verwünſchungen lagerte ſich der
Tod auf ſeine Lippen.
Als Anna ihrem Kuno die Nachricht brachte von
den letzten Augenblicken ihres Vaters, da fiel er ihr
zu Füßen und bat: o mein Theuerſtes, was ich beſitze,
ich bin dein nicht werth, ſondern nur ein gemeiner
Waidgeſelle im Dienſt und Pflicht meiner Kloſter—
herren — Du aber ein Edelfräulein! So laß mich
nun meine Straße ziehen, weit hinaus in die Welt,
Dein Engelsbild in meinem Herzen, und ruhelos, bis
der Tod mir Frieden gibt! Du aber thue nach dem
Willen deines ſeligen Vaters, der ohne Frieden da—
hingefahren ob deiner Weigerung. Der Freier um
eine ſo edle Maid gibt es viele, wenn den Junker
von Wain zu ehlichen Dir unmöglich iſt, denn reich
iſt die Gegend an alten Geſchlechtern und edlen jungen
Sproſſen. —
Nimmermehr! rief Anna und umfaßte krampfhaft
0 au
ihren Geliebten. Du haft mir zweimal das Leben
gegeben, einmal, indem Du mich vom Waſſertod er—
retteteſt, und dann, indem aus Deinem Auge der
Funke der Liebe in mein Herz traf, und ein neues,
nie geahntes, ſüßes Leben in meiner Bruſt entzündete.
Nimmermehr! fuhr das Fräulein fort — Dir habe
ich Treue geſchworen, Dir bleibe ich zu eigen und
wenn ich als Bettlerin müßte, verſtoßen von meiner
Mutter, aus dem Schloſſe ziehen.
Singeriſſen von dieſer treuen Liebe, ſtürzte Kuno
ſeiner Anna zu Füßen, ergriff mit der Linken ihre
Hand und preßte ſie an die Bruſt, während er die
Rechte zum Himmel erhob und ſchwur: Mein theuer—
ſtes Weſen! was würde aus uns in Bälde werden,
wenn unſere Liebe entdeckt und wir gewaltſam aus—
einander geriſſen würden. Wo wäre der Prieſter, der
uns ſegnen würde, wollten wir vor ihn treten nach
unſerem jetzigen Stande. Aber ein Weg — ein ein—
ziger leuchtet als heller Stern in die Nacht unſerer
Liebe. Ich habe Dich einmal erworben mir, als
ich Dich den Wellen entriß, aber nicht vor den Men—
ſchen, denn ich bin ein Knecht. Ich will Dich noch
einmal erwerben, erkämpfen mit dem Schwerdt, er—
kämpfen mir vor der Welt, als mein ewiges Eigen—
thum. Längſt tobt die Kriegsfackel durch alle Länder
Deutſchlands, und mancher Reitersknecht hat ſich
hinauf geſchwungen zum Führer eines Fähnleins, und
mancher tapfere Degen ſich ein Schlößlein erobert,
denn nur der Kriegsmann gilt etwas in dieſen Tagen.
222
Wenn Wallenſtein noch lebte, der große Kriegs-
meiſter, oder ſein tapferer Gegner, der König von
Schweden, ſo folgte ich ihren Fahnen, um Ruhm
und Ehre mir zu erwerben und als würdiger Bräuti—
gam einſt vor Dein Haus treten zu können. So
aber treibt nur Einer noch das Kriegshandwerk mit
kuhnem Sinne, das iſt der Bernhard von Weimar
gegen den Kaiſer Ferdinand. Zu ihm will ich ziehen
und Dienſte nehmen, und wenn ich wiederkomme, als
ein Kriegsmann mit Beute und Ruhm geſchmückt,
dann tritt Nichts mehr unſrem Bund entgegen. Bleibe
ich aber auf dem Feld des Kampfes und der Ehre,
dann habe ich im letzten Augenblick noch das ſelige
Gefühl, für Dich gekämpft zu haben und geſtorben
zu ſeyn.
Wie ſchwer ſich auch Anna in dieſen Entſchluß
ihres Geliebten fand, ſo willigte ſie doch ein, in der
ſüßen Hoffnung, daß der Himmel ihn beſchützen und
glücklich an ihre Bruſt zurückführen werde. Nur das
ſetzte ſie noch hinzu: Oft hat Dein Horn und Deine
Büchſe mir ein Zeichen gegeben zum heimlichen —
Wiederſehen hier am trauten Plätzlein der Iller —
kehrſt Du zurück, ſo ſolle auch dann es mir durch
ſeinen bekannten Ton die freudige Kunde bringen,
daß Du meiner hier harreſt!
Es ſei! ſprach der Waidgeſelle, und auch ein Zei—
chen, wenn ich draußen auf blutigem Leichenfelde,
Deinen ſüßen Namen auf den Lippen, in die Arme
des Todes ſinke. Nach heißen Umarmungen trennten.
223
ſich die Liebenden. Schon des andern Tages mit
dem Früheſten wandte ſich Kuno gegen die böhmiſche
Gränze, wo Herzog Bernhard von Weimar und der
ſchwediſche General Horn mit ihren Heeren ſtunden,
um ins Baierland einzufallen. Willkommene Auf—
nahme fand der junge Kriegsmann, und bald gab es
keinen verwegeneren Reiter im Weimarer Leibdragoner—
regiment, als ihn. >
Galt es eine feindliche Wache zu überfallen, bei
Nacht und Nebel, oder dem Feinde eine Kriegsbeute
abzujagen, ſo war er ſtets unter den Erſten und
Kühnſten, und bald ſaß Keiner ſchmucker gekleidet in
feinen Scharlach mit Gold- und Silderſtirßrocken auf
ſeinem Rößlein, als er.
Den ſchönſten Degen und wie koſtbarſten Piſtolen
hatte er bald einem ſpaniſchen Obriſten abgenommen,
den er gefangen ins Lager gebracht, und Bernhard
ſelbſt hatte ihn dabei öffentlich belobt und verſprochen,
ihn bei der erſten Schlacht zum Fähndrich zu machen.
Jetzt jubelte der tapfere Reitersmann und ſehnte
ſich nach Nichts mehr, als daß die Feinde bald ſich
zu einer Sauptfchlacht ſtellen, und ihm da ſchon zu
Theil würde, die Fahne zu führen. Das blieb auch
nicht lange aus, denn des Kaiſers Sohn Ferdinand
zog mit dem General Gallas die Donau herauf mit
einem ſtarken Heere und eroberte Regensburg und
Donauwörth. Darauf wandte er ſich gegen Nörd—
lingen, in dem ſchwediſche Beſatzung lag. Nun
eilte der Herzog von Weimar herbei, der Stadt zu
*
224
Hülfe, und warf ſich mit ſeinem Heere auf die Feinde.
Eine blutige Schlacht ſtand jede Stunde bevor, und
wurde geſchlagen.
Zu Kirchberg auf dem Schloſſe ſaß an ſelbigem
Herbſttaͤg, wo die Nördlinger Schlacht geſchlagen
wurde, das Edelfräulein, wie immer noch zur ſpäten
Stunde auf ihrem Zimmer. Von Zeit zu Zeit hatte
ſie Kunde vernommen von den Hin- und Herzuͤgen
der ſchwediſchen und kaiſerlichen Heere, denn italiäniſche
Kriegshaufen waren kurz zuvor durch das Illerthal
gezogen, um zu Ferdinand zu ſtoßen, und weit um—
her ſcholl die Kunde, daß bei Nördlingen die feind—
lichen Heere aufeinander treffen würden.
Eine beſondere Angſt lag heute über Anna, us
ſo oft fie auch zum hellen klaren Himmel blickte, an
welchem der Vollmond aufgegangen war, ſo wollten
doch ſeine milden Strahlen keine Ruhe in ihr Herz
gießen. Die Wellen der Iller brausten heute ganz
anders und unheimlich ein fernes Kampfgeſchrei und
verworrenenes Waffengetöſe in ihr Ohr, und dazwi—
ſchen däuchte es ihr, als heulten die Glocken des
Ulmer Münſters wie gräßliches Grabgeläute darein.
Oft warf ſie ſich auf ihr Lager und hüllte ihr
blaſſes Haupt in die Kiffen, aber bei jedem Geräuſch
ſprang fie wieder auf. Ahnungsvoll wog ſie die Ab—
ſchiedsworte in ihrem Herzen: „und auch ein Zeichen,
wenn ich auf blutigem Leichenfelde deinen ſüßen Na—
men auf den Lippen in die Arme des Todes ſinke.“
Es mochte gegen Mitternacht gehen, da ſchien ihr,
225
daß das unheimliche Grollen und Rauſchen der Iller
ſchwächer und matter werde, als ſey ein großer Kampf
vorüber. Neue Hoffnung kehrte in ihr Herz! Ach!
rief ſie, es war nur ein böſer, wacher Traum — mein
Geliebter iſt von keiner Gefahr bedroht, vielleicht,
daß der unglückliche Krieg zu Ende, daß er als Sieger
in den nächſten Stunden hier eintrifft!
Horch! horch! was iſt das? ſchrie ſie im nächſten
Augenblick — neues Kampfgetös und Schlachtgeſchrei
— ha! ein Schuß! ein Klang wie von Kuno's Horn!
Anna wankte und warf ſich wieder auf ihr Lager,
ihr Athem ſtockte — dann ſprang ſie auf und ſtürzte
mit aufgelösten Haaren durch die hintere Gartenpforte
hinab zur Iller. Alles ſchwand um ſie, ſie flog mehr,
als ſie lief, und wiewohl ein furchtbares Grauſen ihre
Bruſt beklemmte, ſo hielt ſie doch nicht inne im Lauf,
ein unwiderſtehlicher Drang trieb ſie vorwärts.
Links von der Brücke huſchte ſie durch das Wei—
dengebüſch, und eilte auf das kleine, grüne, freie
Plätzchen, wo ſie Kuno zum erſtenmal in das Auge
geblickt und die Strahlen der Liebe eingeſogen, und
wo ſie hundertmal ſich zuſammen gefunden, wo ſie
endlich Abſchied von ihm genommen. Die Iller rauſchte
wieder unheimlicher, nur der Mond goß ſeine milden
Lichter ſanft auf die liebgewonnene Stelle. Ein
Kriegsmann lag dort — ſollte er eingeſchlafen ſeyn
oder nur ausruhen? Ja, ja, Kuno iſt's, das Auge
der Liebe täuſcht ſich nicht — aber, gerechter Himmel!
die Nachtluft ſpielt mit ſeinem Lockenhaar, zwiſchen
II. 1 15
226
welches hindurch ein gebrochenes Auge ihr entgegen:
ſtarrte, während aus der linken Schläfe ein Blutſtrom
hervor quillt. Die rechte Hand aber hält krampfhaft
das blanke Horn.
Halb beſinnungslos ſtürzt Anna neben ihm nieder
und breitet die Arme aus, ihn zu umklammern und
an die Bruſt zu drücken. Aber ſie umſchloß nur einen
feuchten Schatten, ein leeres Luftgebild. Da faßt ſie
Wahnſinn und des Todes Grauen — ja, der Ge—
liebte iſt heute Nacht gefallen und hat ſein Wort
gehalten! Sie rafft ſich auf und ein Sprung in die
Wellen der Iller erlöst ſie von den Höllenqualen
des Lebens.“
Als die Wellen über ihr zuſammen ſchlugen, tönte
es tief heraus aus dem Waſſer: Trarah! trarah!
Und die Liebenden vereinte nun der Tod.
Aber wie tapfer auch Weimar und die Schweden
fochten, ſo neigte ſich bald das Glück auf die Seite
des Feindes, und der Herzog ſelbſt führte fein Leib—
dragonerregiment zum Angriff auf die böhmiſchen
Kürafftere. Beim zweiten Angriff ſank der Fähndrich
vom Roſſe, und Kuno rettete die Fahne, welche die
feindlichen Reiter dem Sterbenden eee hatten,
unter den Augen des Herzogs.
Mehr als einmal trieben ſie die ſchweren Reiter
zurück, aber vergebens, denn als der Tag ſich neigte,
war das ſchwediſche Heer auf allen Seiten geſchlagen,
und alles Geſchütz und die ganze Wagenburg verloren.
Viele tauſend Todte und noch mehr Verwundete
227
deckten den Wahlplatz. Vergebens juchte der Herzog
von Weimar mit feinen tapfern Reitern ſein fliehen:
des Heer zu ſchützen vor dem wuͤthenden Andrang
des Feindes. Von Stunde zu Stunde ſchmolz die
Reiterſchaar zuſammen, und auch Kuno fanf von ei—
nem ſchweren Säbelhieb getroffen vom Roß und das
Schlachtgetümmel ging über ihn. So lag er halb—
zerſtampft in einem Graben, eine Ohnmacht überfiel
ihn, aber die Schmerzen riefen ihn wieder ins Leben,
nachdem er einige Stunden bewußtlos gelegen. Der
Mond war eben aufgegangen über das große, blutige
Leichenfeld, von dem das Röcheln der Sterbenden
und das Geſtöhne der Verwundeten in die Nacht hin—
uf tönte, und nur durch den Hufſchlag flüchtiger
Reiter unterbrochen wurde, welche von der Verfolgung
zurückkehrten.
Wie furchtbar Kuno auch ſeine Wunden ſchmerzten
und der Durſt ihn quälte, ſo ſchnitt doch ein noch
heftigerer Schmerz durch ſeine Bruſt — es war der
Gedanke an Anna und der Abſchied von ihr für
dieſes Leben. Schon hatte er die erſte Stufe zu
ſeinem Kriegsglück erklommen und das Fähnlein mit
Ehren geführt, und ſchon ſollte die Leiter zuſammen—
brechen, auf deren höchſter Sproſſe er ſeiner Anna
entgegentreten wollte. Aber nicht lange dauerte dieſe
ſeine verzweiflungsvolle Betrachtung, da ſtürmten
einige Reiter heran, raubſüchtige Croaten, und als ſie
beim hellen Mondlicht den reichgekleideten Reiter ge—
wahrten, ſtiegen ſie ab, ſtießen ihn unter gräßlichen
228
Flüchen mit den Füßen umher und zogen ihn aus.
Als Nichts mehr an ihm zu plündern war, zog der
Letzte, der ſein Roß wieder beſtieg, eine Piſtole aus
dem Gürtel und zerſchmetterte dem armen Reiters—
mann das Haupt.
Nur ein matter Seufzer quoll noch über ſeine
Lippen: Anna!
Alljährlich nun, ſo geht die Sage, zu dieſer Stunde
der Mitternacht hört man an jener Stelle der Iller
einen Schuß fallen und ein Horn ertönen, und dann
wandelt eine bleiche Jungfrau vom Schloß Kirchberg
herab und ſtürzt ſich in die Wellen der Iller, aus
denen ein: Trarah! Trarah! erſchallt. „ .
ze:
VII.
Kloſter Murrhardt.
An der Murr, die unterhalb Marbach in den Neckar
mündet, in einem mit Wald umgebenen Wieſenthale,
das ſehr viele Weiler und Höfe enthält, liegt die
Stadt Murrhardt, (d. h. Hardt, Wald an der Murr)
in der Nähe einer römiſchen Niederlaſſung erbaut.
Wenigſtens wurden daſelbſt drei alte römiſche Votin-
ſteine aufgefunden, auch zieht nicht weit davon die
Teufelsmauer (der Pfahlgraben) vorüber. Hart an
229
der Stadt, nur durch eine Mauer von ihr getrennt,
liegt die ehemalige Benediktiner-Abtei Murrhardt.
Schon in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts
ſtand hier eine Mönchzelle, die König Pipin der Kirche
zu Würzburg übergab. Im Jahr 788 beſtätigte
Karl der Große dieſe Uebergabe an den Biſchof Burk—
hard zu Würzburg. Wenn dieſe Beſtätigungs-Urkunde
auch nur in einer Copie des 13. Jahrhunderts vor—
handen iſt, ſo haben wir doch keine Urſache, an der
Wahrheit ihres Inhalts zu zweifeln, indem ſie durch
eine Urkunde vom Jahr 993 beſtätigt wird. Wir
wiſſen alſo, daß ſchon um dieſe Zeit eine kleine
geiſtliche Niederlaſſung zu Murrhardt beſtanden, ehe
noch Kaiſer Ludwig der Fromme ſich durch eine Stif—
tung daſelbſt verewigte. Wir geben hierüber wörtlich
den naiven Bericht des Chroniſten Georg Widemann
aus dem 16. Jahrhundert, ſo wie einen Auszug aus
der längſt beſtrittenen Stiftungsurkunde vom J. 817.
„Anno 815, als Ludovikus der Gütig, ein Sohn
Caroli des Großen, römiſchen Kaiſers, viel Wider:
wärtigkeit von ſeinen zween Brüdern und Söhnen
erlitt, kam er zum Herzogen in Schwaben, hielt ſich
etlich Zeit an dem Fluß Murrha auf zwei Schlöffern,
ſo daran gelegen, auf. Das eine hieß Hunnenburg,
welches, als Etliche wollen, etwan von den Hunnen,
zu Zeiten, als Attila ihr König Deutſchland ver—
wüſtet, erbaut worden. Dagegen ſagen Etliche, daß
ſolch Schloß von den Schwaben wider die Hunnen
zur Gegenwehr erbaut, ſei uf einem Berg gelegen,
230
wie die Gräben deſſen noch zu ſehen. Das ander
Schloß iſt nit fern vom Kloſter Murrhard, in einem
Teich gelegen, ſo Wolkenburg genannt, da nach der
Zeit etliche ſilberne Münzen, ſo heidniſch geweſen,
in der Erden ſind gefunden worden. Zwiſchen dieſen
zwei Schlöſſern iſt an der Murrha ein klein Wald⸗
bruderhäuslein, oder, als Etlich meinen, ein Bildſtock
geſtanden, bei welchem ein Prieſter, ein Einſidelleben
führend, Waltherikus genannt, ſich enthalten, dann
dazumal das Leben in Wäldern und Einöden ganz
hochachtbar war. Auf eine Nacht, als Kaiſer Lud⸗
wig in ſeinem Bett lag, und betrachtete ſeine Unfäll,
die er von ſeinen Brüdern und Söhnen erlitt, mit
jämmerlichem Seufzen den Almächtigen um Geduld
bat, und daß er ſeine Anfechtung zu gutem Ende
fördern wollte — da entſchlief er. Da ſoll ihm ein
Geſicht fürkommen ſeyn, wie ich in einem Büchlein
des Kloſters geleſen hab, eines Waldbruders vor dem
Bildniß Chriſti knieend, und eine Stimm zu ihm
ſprechend, daß er zu Morgens die Murrha abwärts
reiten ſoll, da werde ihm dieſer Waldbruder begegnen
und anzeigen, was er thun oder laſſen fol. Als
nun Kaiſer Ludwig Morgens nach Anweiſung des
Geſichts und der Stimme die Murrha abwärts ritt,
und bis zu gemeld'tem Bildſtock oder Zellen kam,
fund er einen Waldbruder, in aller Form und Ge:
ſtalt, wie er ihm in voriger Nacht zim Schlaf er⸗
ſchienen war, vor dem Bildſtock knieend und betend.
Da nun Kaiſer Ludwig dieſen Waldbruder erſahe,
231°
wurde er von Herzen erfreuet. Nach langem Geſpräch
ſprach dieſer Waldbruder Kaiſer Ludwigen an, daß er
ihm vergönne, bei dieſem Bildſtock oder Zellen eine
Kirche und Wohnung aufzurichten, darin mit zwölf
Waldbrüdern zu wohnen, und von umliegenden oder
anſtoßenden Wäldern zu ihrer Unterhaltung, einen
Bezirk darin zu reuten, eingebe, darbei auch Kaiſer
Ludwig tröſtend: er ſoll keck ſeyn, er werde all ſeine
Widerwärtigen zum Gehorſam bringen. Kaiſer Lud—
wig glaubte des Einſiedlers Worte, die auch nachher
wirklich in Erfüllung gingen, und gewährte ihm ſeine
Bitte.“ —
Sofort — das iſt der Inhalt der ſogenannten
Stiftungsurkunde Kaiſer Ludwigs des Frommen —
wies der Kaiſer dem frommen Walderich nahe bei
ſeinem Schloß Hunnenburg im Walde einen Platz an,
um allda eine Wohnung zu erbauen. Bald darauf
gab er ihm die Weiſung, ſeine Clauſe in ein Klöſter—
lein für zwölf Brüder zu verwandeln, und ſchenkte
ihm zu dieſem Behuf den Wald eine Meile ringsum.
Nach wenigen Jahren, als ſich die Anzahl der dorti—
gen Brüder vermehrte, hat er noch zu Vermehrung
ihres Unterhalts die Pfarreien Viehberg, Murrhard
und Sulzbach hinzugethan, und zugleich befohlen, daß
das Schloß Hunnenburg abgetragen und aus deſſen
Steinen eine Kirche gebaut werden ſollte, die dem
heil. Januarius zu Ehren geweihet wurde. Zum
Widdum dieſer Kirche gab er außer den genannten
Orten auch feinen Hof ſammt Kirche zu Osweil,
232
Pfarre und Hof zu Erdmannshauſen, fein Gut zu
Laufen nebſt 30 Vaſallen und andern Dienſtleuten.
Um dieſer ſeiner Stiftung Feſtigkeit zu geben, ſchickte
er den frommen Walderich mit Gefandten von ihm
an den Pabſt Stephan nach Rom, um von demſelben
Walderichs Weihung zum Abt und die Beſtätigung
der Freiheiten für das Kloſter zu erbitten; daß es
nemlich im ganzen Umfang ſeiner jetzigen und künfti—
gen Güter in vollem alleinigem Beſitze aller beweg—
lichen und unbeweglichen Güter, Gränzen und Marken,
Waſſer, Wälder, Fiſchereien und Jagden ſeyn und
bleiben, darin von Niemand geſtört und mit Auflage
beſchwert werden, allein zu pflanzen und auszureuten
Macht haben, und keine andere geiſtliche oder welt—
liche Perſon auf dem Eigenthum dieſes Kloſters ein
Dorf, Weiler oder Schloß zu bauen, Macht haben
ſolle. Dieſe Beſtätigung — ſo lautet die Urkunde —
erhielt er nicht nur von dem Pabſte, ſondern derſelbe
ſendete auch mit den kaiſerlichen Geſandten zween
Cardinäle auf den damaligen Reichstag zu Worms,
in deren und des Reichs Gegenwart der Kaiſer be—
ſagtes Kloſter mit allen den dazu gehörigen Gütern
in ſeinen Schutz genommen, demſelben den Beſitz
aller genannten Freiheiten zugeſichert, und ihm zugleich
die freie Abtswahl, nebſt der eben ſo ungehinderten
Erwählung eines tauglichen und Wiederabſetzung eines
untauglichen Vogtes geſtattet habe. Jeder, der dieſe
Freiheiten antaſten würde — alſo beſtimmte der Stifter
233
laut der Urkunde — follte halb dem Kaiſer und halb
dem Abt eine Strafe von 100 fl. erlegen.
So viel über die Stiftung des Kloſters Murrhardt,
die wir, wenn auch noch ſo viel daran gezweifelt
worden, doch nicht ganz in das Reich der Sage ver—
weiſen dürfen. Gewiß iſt, daß die Stiftung eine
uralte iſt, mag ſie nun in die Zeit Pipins und Carls
des Großen, oder Ludwigs des Frommen gehören.
Daß der Einſiedler Walderich mit dieſer Stiftung in
einiger Beziehung geſtanden, iſt außer Zweifel, denn
ſonſt würde gewiß ſein Name zu Murrhardt kein ſo
bekannter und gefeierter ſeyn. Unwahrſcheinlich iſt es
nicht, daß er der erſte Vorſtand dieſer alten geiftlichen .
Niederlaſſung geweſen. Das Jahr, wenn er lebte
und ftarb, wiſſen wir nicht anzugeben, auch ſuchen
wir ihn umſonſt unter den Kalender-Heiligen, aber
ſo Viel iſt durch die chriſtliche Sage überliefert, daß
auf dem Hügel bei der Stadt, da wo die erſte Clauſe
des frommen Walderichs geſtanden, ſpäter im Jahr
1489 eine Wallfahrtskirche erbaut wurde, welche ſei—
nen Namen trägt, wie die noch vorhandene Walde—
richs-Kapelle an der Kloſterkirche. In dieſer ſoge—
nannten Walderichskirche (der nunmehrigen Begräb—
nißkirche der Gemeinde) befindet ſich das Grab Wal—
derichs, auf dem noch in der Mitte des 16. Jahr—
hunderts einer jener drei römiſchen Denkſteine gelegen,
die wir bereits erwähnt haben. Ehemals ſchrieb man
dieſem Grabe die Kraft zu, Wahnſinnige zu heilen,
wenn ſie auf den Stein gelegt würden. — Während
®
234
wir die vorhandene Walderichskirche und Walderichs—
kapelle für Lapidar-Urkunden halten, welche das einſtige
Daſeyn eines Einſiedlers Walderich beweiſen, müſſen
wir auf gleiche Weiſe behaupten, daß auch die Be—
ziehung Kaiſer Ludwigs zur alten Kloſterſtiftung
keine pure Mönchserfindung ſeyn kann, denn es ſteht
doch wohl nicht umſonſt das Grabmal dieſes Kaiſers,
wenn es auch nur für einen Denkſtein des anders—
wo Begrabenen zu halten iſt, in der Klofterfirche.
Nur die Denkmale der Stifter und ſonſtiger Wohl:
thäter pflegte man in den Kloſterkirchen aufzuſtellen.
Alſo muß er doch mindeſtens ein Begaber des alten
„Klöſterleins geweſen ſeyn, oder wurde dieſe kleine
geiſtliche Niederlaſſupg, die vielleicht ſeit dem Anfang
des neunten Jahrhunderts etwas in Abgang gekom—
men war, durch Kaiſer Ludwig in ein neues Leben
geweckt und erweitert. Die in der Stiftungsurkunde
genannten Vergabungen gehören wirklich zu dem äl—
teſten Beſitz des Kloſters Murrhardt; andre ſind im
Laufe der Zeit noch zahlreich nachgekommen. Schon
vor dem Jahr 873 muß Murrhardt eine Beſitzung
in Bottwar gehabt haben, denn als in dieſem Jahr
ein gewiſſer Ado und ſeine Gemahlin Deda einen
Herrenhof zu Bottwar nach Neuhauſen bei Worms
vergabten, iſt ausdrücklich geſagt, daß dieſer Herren—
hof von einer Seite bereits zu Murrhardt gehöre.
Im Jahr 1027 übergibt Kaiſer Conrad II. dem
Biſchof Meginhard zu Würzburg einen Wald um
Murrhardt, innerhalb beſchriebener Gränzen, ſammt
235
dem Banne darüber; er und der Abt zu Murrhardt,
damals Adalolf, ſollen allein das Recht haben, darin
zu jagen. Schon vor dem Jahre 1182 muß das
Pfarrdorf Kirchenkirnberg dem Kloſter vergabt wor—
den ſeyn, denn in dieſem Jahre übergeben Abt Her—
bert und ſeine Mönche mit Conſens ihres Kaſten—
vogts, des Grafen Bertolds von Wolfſölden, dieſen
Ort mit Wieſen und Feldern und aller Zugehör, ſo
wie allen Rechten, die ſie bisher beſeſſen, an die
Mönche zu Adelberg. Im Jahr 1348 kam Murre
hardt in den vollen Beſitz der Kirche zu Großbottwar;
ſchon lange vorher ſoll das Kloſter den Kirchenſatz
und den Zehenten daſelbſt beſeſſen haben. Im Jahr
1378 ſchenkte der letzte Graf von Weſtheim dem
Kloſter die Kirche und den Kirchenſatz daſebſt, nebſt
allen Gütern und Nutzungen auch zu Oedendorf.
Auch Haslach im Limpurgiſchen nebſt dem Zehenten
zu Wengen und Schönbronn, war eine Beſitzung
Murrhardts. Ebenſo beſaß es in der Stadt Hall
das Patronat der St. Catharinenkirche und mehrere
andere Benefizien. Bei ſolchen bedeutenden Begabun—
gen fönnen wir uns wohl denken, daß das Kloſter
Murrhardt bald eines der wohlhabendſten im Schwa—
benlande geworden. Aber auch bei dieſem nehmen
wir, wie bei allen andern Klöſtern, ein Steigen und
Fallen wahr, je nachdem ſeine Aebte Haushälter oder
keine geweſen, oder je wie ſeine Schirmvögte, was in
früherer Zeit die nächſt gelegenen Grafen von Loͤwen—
ſtein geweſen, auf ihren eigenen oder des Kloſters
236
Nutzen geſehen. Hören wir hierüber wieder den Ber
richt des Chroniſten G. Widemann.
„Zudem haben auch etliche Aept wohl gehauſet,
davon das Gotteshaus zugenommen; wiewohl durch
Kriegslauf, Ueberſchwemmung, durch Gaſtung, Eigennutz
der vermeinten Schirmherrn, es oft in Abfall kommen,
hat doch der allmächtig allweg zugegeben, daß es ſich
wieder erholt hat, und klöſterlich Leben allda nit er—
loſchen iſt. Inſonderheit haben ihr Aept, deren Einer
des Geſchlechts von Leuzenbronn, der einſt Pfarrer
von Sulzbach iſt geweſen, und zu einem Abt iſt
poſtulirt worden, für einen Haushalter gerühmt wor—
den — dieſe haben durch ihr wohl Hauſen genanntes
Kloſter wieder aufgebracht. In denſelbigen Zeiten iſt
in Deutſchland eine ausbündige Zucht und Eifer ge—
weſen, da Jedermann großen Luſt gehabt, die Kirchen
zu begaben und Geiſtliche zu beſchirmen; und waren
die Kirchenräuber Männiglich verhaßt, derowegen das
Klofter Murrhard viel Jahr allein unter des römi—
ſchen Reichs Schirm geweſen, bis zu der Zeit Kaiſer
Carls IV. iſt allein der blos Schirm, doch nit erblich,
Graf Eberharden von Wirtemberg übergeben worden.
Ob es dieſem Kloſter genützt hab, weiß man wohl.
Mit der Zeit iſt dieſer Schirm zur Vogtei, ja zu
einem Eigenthum gewachſen, wiewohl Solches der
Schirmbrief nit gibt.“ Wie es unter dieſem Schirm
im Kloſter zugegangen, davon haben wir ein Pröb—
lein, wenn wir in der Chronik Widemanns weiter
fortfahren, wo er uns von dem ſeltſamen Abt Her—
237
bort, genannt Gütig Gott, einige heitere Stücklein
erzaͤhlt.
„Zu den Zeiten Graf Ulrichs von Wirtemberg,
der ein gütiger Fürſt war, wurde der Ueberfall des
Gejägs abgeſtellt. Denn dazumal Apt Herbord, ge—
nannt Abt Gütiggott, weil „Botz gütig Gott!“ ſein
Sprüchwort war, zu Murrhard Prälat geweßt. Wann
die Jäger gen Murrhard kamen, zog er gen Stutt—
garten mit Etlichen und aß zu Hof. Da er nun zu
Hof ging, wurde er gefragt, ob er zu Hof was an—
zubringen hätte, wollte man ihn hören. Darauf der
Abt ſagte: Nein! Da wurd er wieder gefragoͤt, was
er dann hie thät? Antwortet der Abt: Botz gütig
Gott! ich will meinen, Kaiſer Ludwig habe ein Kloſter
zu Murrhard geſtift, ſo ſehe ich wohl, es iſt ein
Hundsſtall, denn meines gnädigen Herrn Hund und
Hundsbuben liegen darin. Meine Mönche dürfen nit
ſingen, die Hund heulen genug; ich will, ſo lang die
Hund in meinem Kloſter liegen, hie gen Hof gehen,
mein gnädiger Herr vermag mir baß zu eſſen zu
geben, dann ich ſeinen Hunden. Darauf der fromm
Graf geantwortet: ziehe heim, lieber Abt, die Hunde
ſollen abgeſchaft werden. — Dieſer Abt hauſete wohl,
er lugte, wie er den Ueberfall zu Murrhard und im
Hof zu Bottwar möcht abſchaffen, machte darum kein
Weg um Murrhard, und fo er von ſeinen Gäſten
gefragt wurde, warum er die Weg um Murrhard ließ
zergehen, antwortete er: Botz gütig Gott! mir kom—
men dannoch mehr Gäſt, als mir lieb ſind. Wann
* g
238
dieſer Abt zufallend Gäſt hatte, die bei ihm bis in
dritten Tag verharreten, und nit hinwegritten, ließ
er ſie durch ſeinen Kämmerling fragen, ob ſie wüßten,
warum Chriſtus nit länger, denn bis auf den dritten
Tag im Grab gelegen? So dann der Gaſt ſagte:
er wiſſe es nit — ſo ſprach der Kämmerling: „mein
Herr der Abt ſagt: Chriſtus ſei dieſelbe Zeit bei
ſeinen guten Freunden, den Patriarchen und Pro—
pheten in der Vorhölle geweſen, ſie deren entledigt;
damit uns wollen anzeigen, wann Einer einen guten
Freund daheim ſuche und bei ihme bleib bis in den
dritten Tag, möge er erfahren, wie er lebe, und fei
ohne Noth, daß er länger dableibe, er ſoll hinziehen.“
Da merkte der Gaſt, daß er unwerth war und zog
ſeine Straße. — Dieſer Abt wollte nit leiden, daß
ſich ſeine Diener mit Mänteln kleideten, ſagt, er ſorge,
ſie tragen ihme unter Mänteln das Kloſter hinweg;
das iſt ſo viel — ſie tragen ihm unter Mänteln ab,
dann es wär gut darunter verſchlagen.
Auf eine Zeit ritt er gen Bottwar, und ſah vor
der Stadt viel Gäns in einem Dinkelacker, dem
Gotteshaus Murrhard gehörig, gehen. Da ſchickte er
ſeinen Diener, der mit ihm ritt, in die Stadt, ließ
Jeder Gans einen Kübel kaufen, mit Waffer füllen
und in die Aecker ſetzen, ſagend: die Gäns möchten
Durſt ſterben, würden hernach die in der Stadt ſagen,
ſie hätten an ſeinem Dinkel den Tod gefreſſen, und
von ihm deſſen einen Abtrag begehren. Darauf ritt
er in die Stadt, beruft den Vogt zum Morgeneſſen,
239
erzäßlet ihm den Handel mit den Gänſen, ſprechend:
er ſähe, daß die von Bottwar es treulich mit ihm
meinten, dann ſie ihre Gäns in ſeine Frucht treiben, da—
mit er das Schnitterlohn bevor hätte; wann er ſollte
dergleichen gewärtig ſeyn, daß er deren von Bottwar
Gänſen ſäen müßt, wollt er ſie baulos liegen laſſen,
ſo hätte er das Baugeld bevor. Demnach ſchickte der
Vogt alsbald zu erkundigen aus, weß die Gäns
wären, die müßten dem Abt den Dinkel und die
Kübel bezahlen.
Mit dieſen und andern Urſachen, weil er dem
Gotteshaus treu war, und nit mit den großen Flaſchen
auftrug, macht er, daß ihme Etliche des Hofgeſinds
abhold wurden, ſagten, er wär ein kindiſcher, thörichter
Mann, praktieirten ſo Viel, daß er der Abtei entſetzt,
und ein Egen, der ein guter Geſell war, an ſeine
Statt geſetzt ward. In ſeiner Entſetzung ſagte er zu
den Rathen: es ſollt ein Mann herfür gehen, der
ſagen dürft, Abt Herbordt — ſich ſelbſt meinend —
hat St. Januarium (der Patron zu Murrhard iſt)
jemals um einen Heller verſetzt. Aber die Glock war
goſſen — der gut Abt mußt von der Abtei weichen;
er ſtarb im Jahr 1444. Nach Abt Wilhelm Egen
wurd kanoniſch Abt Herr Johann Schrade, der, ſo—
weit das Kloſter begriffen, das Städtlein mit Zinnen
vermauert und erneuert hat.
Nach ihm — jo fährt Widemanns Kloſterchronik
fort — kam Laurentius Gaus, der erblindet vor ſei—
nem Ende. Alſo hielt Philiyp Renner, ein Prior,
240
der auch nach Abſterben Abts Lorenzen Abt wurde,
das Regiment; die Mönche tractirten, wie fie aus der
Kutten kämen, wurden die Zehenten zu Osweil um viel
hundert Gulden verſetzt. Der Prior, Herr Wilhelm,
wollt' mit ſolchem Geld gen Rom zu Pabſt Leo X.,
damit das Kloſter Murrhard in ein weltlich Stift
transferirt werde, zu erlangen, doch das geiſtlich und
weltlich Lehen ſollt auf Wirtemberg gewendet werden.
Solch Wenden aller der geiſtlichen Güterlehen wollte
Pabſt Leo nit bewilligen. Die Murrhard'ſchen lagen
zu Rom, bankettirten, wurd der Seckel leicht; damit
ſie dann nit ungeſchafft von Rom ritten, erlangten
ſie allein die Translation des Ordens, unbewilligt,
die geiſtlichen Lehen auf Wirtemberg zu wenden, und
weil dieſen Sprechern zu Rom das Geld zerrann, ver—
ſetzten ſie die Translationsbulle in des Fuggers Bank
um etlich hundert Gulden. Als dieſe Handlung
Wirtemberg gewahr wurde, daß nemlich die Trans⸗
lation, ohne die Bewilligung, die geiſtlich Lehen auf
ſte zu wenden, war ausgebracht, ließ man die Bulle
bei dem Fugger löſen, den Prior in Verhaftung an—
nehmen, und im Thurm auf'm Aſperg zwei Jahr
etlich Monat erhalten. Endlich wurd er ausgebeten,
zu einem Conventual zu Murrhard wieder angenom-
men, und iſt doch darin verſchieden. Dieweil aber
der Fürſt in die ausgebrachte Translation nit willi—
gen wollte, ſo iſt Murrhard ein Kloſter blieben.
Dieſer Zeit war der Ueberfall der Gäſt groß zu
Murrhard, auch wurde Philipp der Abtei entſetzt,
241
und Oswald, ein Conventualis zu Lorch, zum Abt
an ſeine Statt geſetzt, der fromm, geiſtlich, andächtig
und gottesfürchtig, aber in bürgerlichen Sachen und
Haushalten nit gar anſtellig war. Dieweil dann des
Kloſters Schulden viel, auch ſolch's weiter zu be⸗
ſchweren, dieſer Abt nit willigen wollte, ſo haben ſich
zu Tilgung der Schulden, dieſer Abt und feine Con⸗
ventualen von den wirtembergiſchen Räthen, aus
ihrem Kloſter Murrhard theidigen laſſen, in Zuver—
ſicht, daß dadurch all Gaſterei und Atzung abgeſtellt,
ein Vorrath erſpart und ſie wieder fürder in ihr
Kloſte ſollten eingeſetzt werden. Alſo kam Abt Os—
wald wieder in ſein Convent zu Lorch. Die andern
i Conventualen wurden alle hin und wieder in die
ö Klöſter Benedikter Ordens als Gäſt verſchickt, zween
4 iſche Oekonomen in das Kloſter verſetzt, die alle
Nut ung einnahmen, aber wurd Nichts abgelöst, und
dazu in Einem Jahr 1000 fl. verdiſtillirt, ſo auf
Zins aufgenommen worden.
Das ſtund an, bis Reutlingen belagert wurde; da
ſupplicirten die Brüder im Lager beim Landesfürſten
und wurden wieder eingeſetzt, der Atzung gefreiet,
doch ſollten ſie dafür jährlich 100 fl. geben. Alſo
wurd Abt Oswald ein Murrhard'ſcher Conventual,
und Herr Martin Mörlin, ein trefflich geſchickter
Mann, von Männiglichem geliebt und werth gehalten,
der wurd ihm zum Großvogt zugeben; die hauſeten
wohl. Und wiewohl mit der Zeit ſich allerlei Schatzung
eng, war es doch Alles leidenlich geweſen, bis
242
Anno 1 1525, da etliche aufrühreriſche Predikanten den
gemeinen Mann aufrühreriſch machten, und nahmen
die aufrühreriſchen Bauern des hälliſchen Landes und
Gmünder Waldes Murrhard ein, plünderten das
Kloſter, und führten auch unter Andrem etliche alte
Brief und Freiheiten darvon, welche, als ſie das Kloſter
Lorch anzündeten, damit verbronnen ſind. Als aber
der ſchwäbiſch Bund aufging, und der Landesfuͤrſt durch
den Landgrafen wieder in ſein Land eingeſetzt worden,
wurde mit Murrhard, wie mit andern Klöſtern ges
hauſet: es ging unter. Alſo wurden die Brüder
ausgeſtoßen bis Anno 1548. Doch von wegen der
großen Gunſt, ſo der Adel zu Abt Martin ha
wurde er im Kloſter als ein Amtmann, allw
Orden tragend, gelaſſen, mit dem Prior
Als aber das Interim durch Kaiſer Carl
worden, ſtarb Abt Martin am Mittwochen
Juni 1548. Indem erleuchtet! Gott das Her Cori,
des Königs der Perſer, daß er die Klöſter
öffnete, ſolche den verjagten Brüdern eingab, und
Prälaten zu wählen und Brüder anzunehmen, ihm
gebot. Alſo wurde der ehrwürdig und löblich Herr
Thomas Carlin Abt, ſo blieben war als Prior, durch
den hochwürdigen Fürſten und Herrn, Melchior Bis
ſchof zu Würzburg, in eigner Perſon verordnet und
beſtätigt u. ſ. w.“ Der Chroniſt, den wir bisher er⸗
zählen ließen, ſchließt die Chronik des Kloſters und
der Aebte mit dem eh men Wunſche: Der allmächtig
Gott verleihe ſeiner Gnaden (dem neuen Abt) *
243
wierige Geſundheit, und deutſcher Nation, daß
ſie auch erleuchtet, zu Fried' und Einigkeit ge⸗
finnet werde! So ſetze ich keinen Zweifel, dieſer
Abt Carlin werde hauſen, daß in Murrhard wieder
klöſterlich Leben, nach Stiftung des erſten Stifters,
Kaiſer Ludwigs, werde grünen und alles Unglücks ſich
erholen, der auch ſtetig das Kloſter wieder zu bauen
und die Kirche zu zieren angefangen; denn zum vo—
rigen Unfall verbrann auch in der Zeit, als die Con—
ventuales exulirten, dieſes Kloſters Dormitorium
(Schlafſaal) und die beſte Scheure. Auf Thomas
Carlin folgt Otto Leonhard Hofſeß als Abt. Er
kam wahrſcheinlich durch ſeinen Bruder Jakob Hofſeß
ins Amt, der ſeit 1534 Vogt zu Murrhard geweſen,
und ſich ſehr um das Städtchen verdient machte, be—
ſonders dadurch, daß er gute Brunnen dahin leiten
ließ, und Schule und Rathhaus daſelbſt erbaute. Abt
ß war keiner von denen, die wohl hauſeten: er
wurde wegen ſeiner üblen Aufführung ins Gefängniß
gelegt, und nach wenigen Jahren ſeiner Amtsführung
abgeſchafft, im Jahr 1552. Auch ſein Bruder der
Vogt muß ſpäter ſehr ausgeartet ſeyn, denn er wurde
im Jahr 1574 wegen ſeiner Untreue und geſetzten
Reſts von 7000 fl. enthauptet. Otto Leonhard Hofſeß
war der letzte katholiſche Abt. Ihm folgten jetzt evan—
geliſche Prälaten, und Murrhard wurde eine evange—
liſche Kloſterſchule. Nach der Nördlinger Schlacht
wurde der evangeliſche Abt Dauber mit den Seinigen
vertrieben, und es . abermals katholiſche Aebte
244
bis zum Jahr 1650, wo Murrhard den Evangelifchen
wieder eingegeben wurde. Nun folgten die evangeli⸗
ſchen Aebte in ununterbrochener Reihe. Darunter
nennen wir nur die wichtigeren: Johannes Maier,
Verfertiger einer der erſten wirtembergiſchen Land—
charten, er ſtarb 1713; die beiden Hochſtetter, einer
Familie Wirtembergs angehörig, die ſchon einige Jahr—
hunderte die wirtembergiſche Kirche mit gelehrten Theo—
logen verſehen; den M. Fried. Chriſtof Oetinger, den
bekannten Theoſophen und Prediger. Noch bis ins
Jahr 1806 erſchienen die Murrharder Aebte auf den
Landtagen. — Vom weitläufigen Kloſtergebäude, das die
ehemaligen Prälaten bewohnten, find nur noch Ueber:
bleibſel an der Förſterwohnung, unter anderem auch
Reſte des ehemaligen Kreuzgangs, aber aus ſehr ſpäter
Zeit, vorhanden.
Wir haben die wichtigſten Momente aus der Ge⸗
ſchichte des Kloſters und ſeiner Aebte an unſrem Blicke
vorübergehen laſſen; nun wenden wir uns zu ſeinen
alterthümlichen Merkwürdigkeiten, an denen Murrhardt
viel reicher iſt, als manche andere Klöſter unſeres
Vaterlandes, denn gerade dieſes hat ſogar in den
verhängnißvollſten Zeiten am wenigſten den Raub der
Zerſtörung erfahren. Wir faſſen zuerſt die St. Wal⸗
derichskapelle ins Auge, jenes wie durch ein
Wunder beinahe ganz unverletzt erhaltene Bethaus,
das wegen der Schönheit ſeiner Formen und des
Reichthums ſeiner Ornamente zu den ſchönſten Denk⸗
malen romaniſcher Baukunſt gehört. Die Kapelle ſteht,
245
an ihrer Sudſeite von der erſt ſpäter angebauten
Kloſterkirche überragt, auf einem Abhang am nörde
lichen Ende der Stadt, in einem kleinen, nur gegen
Oſten ſich öffnenden Waldthal. Die Kapelle iſt ein
ſogenanntes Oratorium, deſſen Grundriß beinahe ein
Quadrat bildet, und im Oſten mit einer etwas mehr
als halbkreisrunden gewölbten Chorniſche ſchließt. Die
vier Mauern des Gebäudes ſchrägen ſich, dem Innern
entſprechend, in ſpitzen Gibeln ab, tragen das über
das innere Gewölbe gelegte, ſich in vier verſchobenen
Vierecken in die Höhe ziehende Dach, wie das Ge—
wölbe und der Chor, in ſtarken Quadern aus dem in
der Umgebung von Murrhardt häufig vorkommenden
rothen Sandſtein ausgeführt. Die weſtliche Wand,
deren Giebel, gleich denen der andern drei Wände,
ein mit dem Sägenornament decorirtes Kranzgeſims
und der daſſelbe begleitende Rundbogenfries ſchmückt,
öffnet ſich durch ein ziemlich niederes reiches Portal,
das nicht in der Mitte, ſondern an der ſüdlichen Ecke
der Mauer angebracht iſt, dem Zutritt in die Kapelle.
Dieſes prachtvolle Portal mit Rundbogenſturz, deſſen
Seitenwände ſich, wie abgeſchrägt, dem Beſchauer ent—
gegenbreiten, iſt dreifach abgetreppt. Jede Abtreppung
der Laibung beſteht aus zwei, durch mannigfaches
Blattwerk mit einander verbundenen Halbſäulen, welche
von phantaſtiſchen Figuren-, Thier- und Frazzen⸗
Capitellen gekrönt werden, und ſich in der Wölbung
des Portals mit demſelben reichen Wechſel der Formen
des Ornaments in den Einkehlungen und Zwiſchen—
246
wänden in ſelbſtſtändiger, kräftiger Gliederung fort:
ſetzen. In dem Thürfeld des Portals, das überhaupt
einen Reichthum der Phantaſie entfaltet, der nur von
der völligen Harmonie, in der alle einzelnen Theile
ſich zum ſchönſten Ganzen ordnen, übertroffen wird,
thront ein ſegnender Chriſtus. Tritt man nun durch
die niedrige Thüre in das Innere, ſo wird man un⸗
gemein überraſcht von dem wunderbaren Einklang der
Verhältniſſe und der reichen Mannigfaltigkeit der archi=
tektoniſchen Details. Die gegenüberſtehende öſtliche
Wand erſchließt die kuppelförmig überwölbte Abſis,
während an den andern drei Wänden niſchenförmige,
nach oben von drei Kreisſtöcken überwölbte Vertie⸗
fungen angebracht ſind, deren Bögen von kleinen,
freiſtehenden Säulen mit höchſt intereſſanten Kapitellen
getragen werden. Die ſüdliche und nördliche Wand
bat je zwei ſolcher architektoniſch mit einander ver—
bundenen Doppelniſchen, die weſtliche aber neben der
Eingangsthüre nur eine einzige. In den vier Ecken
ſteigen maſſive, aus je drei Halbſäulen gebildete Pfeiler
mit phantaſtiſch ornamentirten Pflanzen-, Thier- und
Menſchenantlitz-Kapitellen empor; ſie tragen das rings—
um laufende, im Chor ſich gleich einem Kranze über
das Rundbogenfenſter ziehende Fries, und die mäch—
tigen, aus den Ecken entſpringenden Gewölberippen.
Dieſe ſpannen ſich im Spitzbogen in die Höhe, und
bilden, aus gleichem Steine mit den Kappen, die ſich
über die im gleichſeitigen Dreiecke conſtruirten, einges
zogenen Giebelfenſter legen, das maſſive und doch fo
247
leicht ausſehende ſpitzbogige Kreuzgewölbe, das ein,
einen Knoten darſtellenden Schlußſtein krönt. Die
Kappen und Rippen beſtehen aus denſelben ſtarken
Steinen, wie die Mauern, und es ſcheint das minder
ſchiebende Spitzbogengewölbe, wenn der Gedanke, wel—
cher der germaniſchen Kunſt zu Grunde liegt, ſich nicht
auch hier ſchon im Geiſt der damaligen Zeit vorbe—
reitete, aus ſtatiſchen Gründen gewählt worden zu
feyn, das heißt, um den Seitendruck auf die Mauern,
welche der Strebepfeiler ermangeln, zu mindern. In
die ſüdliche Wand wurde durch eine der Niſche nach—
her eine Thüre gebrochen, um dadurch eine Verbindung
mit der ſpäter erbauten Kloſterkirche zu bewirken. In
der Chorniſche ſteht ein nakter Altar — ein einfacher
Tiſch mit einer deßgleichen Platte; auf demſelben eine
aus ſpäter Zeit herrührende Bildſäule des h. Walderich
(nach Andern des h. Januarius). Die Säulen haben
insgeſammt das Kelchkapitäl mit fein ausgearbeiteten
Blättern und die Attiſche Baſis, die ſich mittelſt Men—
ſchen- und Thierlarven oder Laibformen auf den Ecken
— ſogenannten Schutzblättern — mit dem Unterſatz
verbindet. Die Gewölberippen haben das ſchon leichter
gegliederte Birnenprofil nebſt zwei Hohlkehlen, die ſich
durch einen Rundſtock mit einander verbinden. Das
ziemlich tief gemeiſelte Ornament zeigt beinahe durch—
gehend, im mannigfaltigſten und doch immer zum
Ganzen ſtimmenden Wechſel der Form, die eigenthüm—
lich geſchwungene und gewundene Stengel- und Ran:
kenverſchlingung mit Blättern, unter denen die Lilie
248
ſehr häufig vorkommt; es ift mit großer Geſchicklich⸗
keit und Geſchmack ausgeführt. — Betrachten wir das
Aeußere der Kapelle, ſo finden wir die Wand gegen
Norden in drei Felder getheilt, und zwar durch zwei
Halbſäulen, die ſich über ihren reizend ausgehauenen
ſchlanken Kapitellen im Giebel in Liſſenen fortſetzen,
welche oben in das Rundbogenfries unter dem Giebel—
gefim3 übergehen. Zwiſchen dieſen Liſſenen find zwei
rundbogige Fenſter mit reicher Stabgliederung ange—
bracht. — Am reichſten, und wie es ſcheint, mit be—
ſonderer Vorliebe decorirt, iſt die öſtliche Seite der
Kapelle mit der halbkreisförmigen Chorniſche und deren
Rundbogenfenſter. Dieſe Abſis, deren Dach die unter
dem Traufgeſims der Kapelle aufſteigende Rundbogen—
verzierung des Giebels beinahe ganz verdeckt, wird
durch Halbſäulen mit äußerſt hübſchen Kapitellen in
fünf Felder getheilt, in deren mittlerem ſich das pracht⸗
volle Rundbogenfenſter befindet, auf deſſen Waſſer⸗
ſchlag zwei Löwen ruhen. Daſſelbe wird von einem
breiten, äußerſt rein und fein ornamentirten Fries um:
zogen, und ſchrägt ſich nach Innen in zwei Rund:
ſtäbe und zwei mit Ornamenten verzierte Hohlkehlen
ab. Unter der Waſſerſchräge des Fenſters ſchließt ein
einfaches Blätterornament die ornamentale Umrab:
mung, welche zwei kurze Halbſäulen mit Figurenkapitäl
tragen, architektoniſch ab. Die übrigen vier Felder
der Chorniſchen endigen in zierlich ausgeführten, zu
beiden Seiten des Fenſters von conſolenartigem Laub:
werk getragenen, giebelförmigen Geſimſen, deren Spitzen
249
das Hauptgeſims des Chors berühren. Das letztere
iſt ein Rundbogenfries, der unter dem Kranzgeſims
der Abſis herumläuft, und deſſen Bogen mit dem
ſchönſten, wechſelndſten Ornamentenſchmucke ausgefüllt
ſind. In dem mittleren Bogen, gerade über der Mitte
des Fenſters, erblickt man einen von vorn dargeſtellten
Löwenkopf mit Vordertatzen, die in den breiten Rund—
fries des Fenſters greifen. Auch auf der noch frei—
ſtehenden Wand der Kapelle ſelbſt ſteigt von den bei—
den Eckſäulen der Chorniſche zu den Kapitellen der
Mauerecken ein geradliniges ornamentirtes Geſims
empor. Das über die Mauer heraustretende, durch
den aufgehöhten Boden aber bis auf einen Schuh
bedeckte Baſament der Kapelle bewegt ſich im ähnli—
chen Profil, wie die Säulenfüße, und die zwei ſicht⸗
baren Mauerecken ſind in Form von Dreiviertelsſäulen
abgerundet und ſchließen ſich durch ihre Kapitelle den
aufſteigenden Kranzgeſimſen der Giebelfenſter an. —
Dem bisher Gegebenen, das wir der gelehrten Ab—
handlung in den Heften des Wirtem b. Alterthum⸗—
vereins entnommen, wo wir auch drei treffliche
Bilder nach Profeſſor Eberleins wohlgelungener
Zeichnung finden, fügen wir noch bei, daß ſich in der
Kapelle vier ſteinerne Sitze befinden, auf deren jedem
drei Perſonen Platz haben; ſie ſollen, wie der Chroniſt
Widemann berichtet, für die zwölf Brüder beſtimmt
geweſen ſeyn. Ein fünfter Stuhl unten beim Thür:
lein war für den Abt. Auch waren früher an der
*
250
Thüre Löcher eingeſchnitten, durch welche hindurch das
Volk die Meſſeämter verrichten ſah.
Fragen wir nach der Zeit der Erbauung dieſer in
ihrer Art einzig ſchönen St. Walderichskapelle, ſo wird
ſie, nach dem ſo vollendeten Bauſtyl zu ſchließen, in
die letzte Hälfte des 12. Jahrhunderts fallen, da
Herbort Abt geweſen. Einer früheren Zeit gehört
wohl das ſchöne Portal an, das mit weit mehr Härte
und Strenge, als die Formen im Innern der Kapelle
und in der Chorniſche ausgeführt iſt. Auch iſt das
Portal aus weißem Sandſtein gehauen, und nicht
auf eine organiſche Weiſe mit dem übrigen Bauwerk
verbunden. Wir glauben darum annehmen zu dürfen,
daß das Portal zuvor an einer älteren Kapelle, etwa
der früheren Grabkapelle Walderichs geſtanden. — Die
Kirche, welche an die Kapelle angebaut iſt, hat gar
keinen alterthümlichen Bauftyl. In ihrem Innern
ſehen wir das Grabmal Kaiſer Ludwigs des Frommen
in Sargform, aus dem Ende des Mittelalters. Auf
dem Deckel des Denkſteins ſieht man im Umriß eine
Figur, mit einer Krone auf dem Haupt; in der
Rechten hält ſie ein unter ſich gehendes, mit ſeiner
Spitze den Boden berührendes Schwert, in der Linken
einen Scepter. Neben den Füßen das hohenſtaufiſche
Löwenwappen. An der Seite des Sargs ſind gothiſche
Verzierungen. Die um den Rand des Steins lau—
fende gothiſche Inſchrift lautet: Anno domini octin-
gentesimo sexto obiit illustrissimus Romanorum
Imperator semper Augustus Ludovicus filius
251
Karoli Magni, cognomento Pius, fundator hujus
monasterii, cujus anima requiescat in pace. Amen.
(Im Jahr des Herrn 816 (vielmehr 840) ſtarb
der erlauchteſte Kaiſer der Römer, alle Zeit
Mehrer, Ludwig, Sohn Karls des Großen,
genannt der Fromme, Stifter dieſes Klo—
ſters, deſſen Seele im Frieden ruhe. Amen.)
Ferner befindet ſich noch in dieſer Kloſterkirche ein
Schrein 6 Schuh 2½ Zoll hoch, 5 Schuh 4 Zoll
breit, 1 Schuh tief, mit zwei Flügeln. Er enthält
die Mutter Gottes mit dem Leichnam des Herrn im
Schooß, welchen zu Haupt und Füßen Joſeph von
Arimathia und Nicodemus halten, in vergoldeter Holz—
ſchnitzerei. (Dieſe Figuren waren urſprünglich nicht
da, denn unten ſteht St. Sebastianus, S. Maria,
Mater Dei, S. V. M. 1496.) In der Predella iſt
gemalt: Chriſtus als ecce homo, welcher die Hände
ausſtreckt, und ſie links ſeiner Mutter Maria und
rechts Johannes dem Cvangeliſten zum Küſſen dar—
reicht. Landſchaftlicher Hintergrund. Von den Flü—
geln iſt ja nur die innere Seite bemalt. Auf jeder
Seite zwei Bilder unter einander auf Goldgrund,
rechts oben weibliche Heilige, in deren Mitte die heil.
Catharina mit dem Schwert, die heil. Barbara mit
dem Kelch u. a. Die Unterſchrift lautet: all hailig
junckfrowen. Unten männliche Heilige, darunter
ein Biſchof in der Mitte, St. Franziscus, St. Jakob
u. a. Links oben das Pfingſtfeſt mit der Unterſchrift:
all hailig XII boten vnd pnſer Frau. Unten
252
männliche Heilige, in deren Mitte Johannes der Täufer
mit dem Lamm, der h. Laurentius, Stephanus, Leo
der Große u. ſ. w. ein vortreffliches Gemälde.
Noch iſt die ſogenannte St. Walderichskirche
wegen ihrer Alterthümer des Beſuches werth. Außen
auf ihrer Nordſeite iſt die Gefangennehmung des
Heilandes in Holzfiguren dargeſtellt. Auf derſelben
Seite finden ſich zwei Reliefs aus viel älterer Zeit,
welche anders woher genommen ſind, eingemauert:
ein länglichtes mit zwei die offenen Rachen zuſammen—
ſtreckenden Löwen; das andere, halbkreisförmige, wahr—
ſcheinlich ehemaliger Thürſturz aus ſehr früher Zeit,
ſtellt in der Mitte das Lamm mit dem Kreuz en
medaillon dar, links ein Königsbruſtbild mit einem
Lilienſtab in der Hand, rechts einen Stern, dieſe bei—
den in kleineren Medaillons. Außen ſind niedliche
byzantiniſche Verzierungen, auch ein Menſchenkopf;
unten ſind verwitterte Inſchriften. Heideloff,
unſer unübertroffener, würdiger Altmeiſter in der
Architektonik des Mittelalters, hält den Thürfturz für
ein Werk aus der Zeit Abt Herborts (1180) und
meint, das Königsbruſtbild deute auf Ludwig den
Frommen. Wir ſtimmen dieſer Anſicht mit ganzer
Seele bei, und fügen nur noch hinzu, daß alle dieſe
Merkwürdigkeiten der alten Kapelle mögen angehört
haben, die über St. Walderichs Grab erbaut wurde.
Noch bemerken wir an dieſer Walderichskirche eine
eigenthümliche Einrichtung für die Opfernden. An
der äußeren Mauer befindet ſich eine Oeffnung, durch
253
welche hindurch man die Gaben für St. Walderich
einlegte. Noch jetzt wallfahrten, beſonders am Char⸗
freitag, Schaaren von Glaubigen — die meiſten der
evangeliſchen Kirche angehörig — nach der Walderichs—
kirche, und legen ihre Gaben ein. Beſonders ſind es
auch die Frauen, welche durch ſolche Gabe die Er—
hörung ihrer heißeſten Wünſche erlangen möchten.
Als einmal auf höheren Befehl ſolch Opfern auf dem
gewöhnlichen Wege eine Zeitlang unterſagt wurde, ſo
wußten die Leute dem h. Walderich ihre Gaben durch
die Oeffnungen der Thuͤrſchwelle oder auf anderem
Wege beizubringen.
Die Sage von St. Walderich.
Da man ſchrieb 800 Jahre nach der Geburt Chriſti,
war ein großer Theil der deutſchen Lande an den
Flüſſen Weſer, Elbe und Oder noch heidniſch. Dazu:
mal regierte ein großer, mächtiger, chriſtlicher Kaiſer,
Karl, genannt der Große, über viele Reiche, als da
find Spanien und Frankreich, Italien und die chriſt—
lichen Lande der deutſchen Völker bis gegen Däne—
mark hinauf, und kämpfte mit den Heiden, dem
mächtigen Sachſenvolk, um ſie zu bekehren, deßgleichen
mit den Ungarn, die in die chriſtlichen Lande räuberiſch
an der Donau herauf einfielen, und mit den Un⸗
gläubigen, den Söhnen Mohameds, welche halb Spa⸗
nien erobert hatten.
254
Kaiſer Karl der Große hatte mehrere Söhne. Seine
alteften, Karl und Pipin, ſtarben, als ſie kaum die
ihnen vom Vater übertragenen Königreiche angetreten,
und für Pipin gab er nun deſſen Sohn, ſeinem Enkel
Bernhard, die Krone von Italien. Als der Kaiſer
ſein Ende herannahen ſah, rief er ſeinen dritten Sohn
aus rechtmäßiger Ehe Ludwig nach Aachen zu einem
Reichstag.
Im kaiſerlichen Ornate, umgürtet mit einem gol⸗
denen Schwerdt, in den Händen tragend das goldene
Evangelienbuch, auf dem Haupte eine Krone mit
Edelſteinen, um die Schulter geſchlagen den Purpur—
mantel, führte Karl ſeinen Sohn Ludwig in die Ver—
ſammlung der Fürſten, Biſchöfe und aller Edlen des
Reiches, und fragte ſie: wollt Ihr dieſen meinen lieben
Sohn annehmen und halten als Euren künftigen
König und Kaiſer?
Einmüthig erſcholl es: Ja, Gott will es alſo haben!
Darauf zog der Kaiſer mit dem Neugewählten in
den Dom zu Aachen und fiel vor dem Altar nieder,
um lange zu beten. Aber, als er ſich wieder erhoben,
ſprach er zu Ludwig: Mein Sohn! So ermahne ich
dich nun, als meinen Nachfolger auf dem Stuhl der
chriſtlichen Kaiſer des Abendlandes, du wolleſt treu
und fromm wandeln in den Augen des Königs aller
Könige, wolleſt Sorge tragen für die heilige chriſt—
liche Kirche und ihre Diener, wolleſt gegen deine
Schweſtern allezeit ſehn ein treuer Bruder und dein
255
Volk lieben, wie deine Kinder, den Armen Troſt ver—
1 und getreue, gottes fürchtige Beamte ſetzen
über daſſelbe, zu Nutz und Frommen des Reiches,
das . anvertrauet von Gott und allem Volke.
Willſt du das Alles erfüllen, mein lieber Sohn?
Ja, entgegnete auf die Kniee geſenkt Ludwig — ſo
wahr mir Gott helfe! |
Nun — fuhr der Kaiſer fort — ſo ſetze dir ſelbſt
die Krone auf, und ſtets möge ſie dich erinnern an
| dein Verſprechen!
Alſo nahm Ludwig die Krone aus ſeines Vaters
Hand und ſetzte ſich dieſelbe auf.
Aber er war nicht der Mann des Krieges und der
Kraft, um das Reich zu erhalten und zu mehren,
wie ſein Vater. In feiner Jugend ſchon in ſtillen
Klöſtern erzogen, taugte er mehr zum Mönch als zum
weltlichen Herrſcher, und erhielt wegen ſeiner vielen
und reichen Stiftungen an die Kirche den Namen
„der Fromme.“
Mit feiner Gemahlin Irmengardis zeugte er drei
Söhne und theilte das Reich unter fie. Den älteſten
Lothar ernannte er zum Mitkaiſer und Nachfolger und
gab ihm Italien. Den zweiten Sohn Pipin ſetzte er
über das Reich Burgund, und dem dritten Ludwig
gab er ein Königreich in Deutſchland, von Tyrol bis
nach Böhmen und Sachſen hin ſich erſtreckend.
Darauf nahm Ludwig, der Vater, fein zweites Eh—
gemahl, Judith, die ſchöne Tochter Welfs, eines Fürſten,
0
256
der in Baiern und am Bodenſee große gef 3
hatte.
Sie gebar ihm einen Sohn Karl, une Lu dwig
ſchenkte ihm das Land Allemanien am Rhein und
Neckar. Aber dazu ſahen die Söhne erſter Ehe fcheel
und ſie ergriffen 15 Waffen gegen ihren Vater. Bei
Colmar nächſt Straßburg ſtanden ihre Heere ſich ein—
ander gegenüber, und durch Ueberredung und Beſtechung
ftel Alles vom alten Kaiſer ab, alſo daß derſelbe zu
den wenigen Begleitern, die noch treu bei ihm aus—
hielten, mit Thränen in den Augen ſagte: geht, geht,
nachdem die Andern alle mich verlaſſen, will ich nicht,
daß Eure Treue Euch das Leben koſte von den zuͤr⸗
nenden Feinden! Seitdem heißt das Feld, wo dieſes
geſchehen, das ſonſt den Namen „Nothfeld“ trug, das
„Lügenfeld.“
Da floh Ludwig über den Rhein nach Schwaben,
um Schutz zu ſuchen und ein ſicheres Verſteck vor
ſeinen ergrimmten Söhnen. Von einem einzigen treuen
Diener begleitet erklomm er die Gebirge des Schwarz—
waldes, und zog durch ihre finſtre Schluchten immer
gegen Sonnenaufgang weiter. Das Wild des Waldes
war ſeine Speiſe, denn der Kaiſer, obwohl mönchiſch
erzogen, hatte eine ungeheure Leibesſtärke. Sein
Körper war, wie die Geſchichtſchreiber berichten, von
mittelmäßiger Länge, die großen Augen leuchteten hell,
die breiten Schultern nebſt den feſten Armen zeugten
von ungewöhnlicher Kraft, und Niemand kam ihm
gleich im Wurf der Lanze und im Bogenſchießen.
257
Noch bedeckte damals das Land ringsumher Wald
und Sumpf. Kleine Burgen und einzelne Weiler,
ſelten hie und da in einem abgelegenen Thal ein
Klöſterlein, waren die einzigen Wohnſitze. Städte gab
es außer am Rheinſtrom keine, denn die, welche früher
am Neckar von dem mächtigen Kriegsvolk der Römer
erbaut waren, lagen längſt gebrochen und verödet, da
der Deutſche es nicht liebte, in feſten Wohnſitzen zu
hauſen, und der wilde Hunnenkönig Attila aus Un—
garn herauf dieſe Lande früher mit Feuer und Schwerdt
überzogen und keinen Stein auf dem andern gelaſſen
hatte.
Wo ſonſt vor 400 Jahren, als die römifchen
Kriegsheere das Land erobert und ihre Kaiſer darüber
geherrſcht, der Pflug gegangen und der Landbewohner
den Wald urbar gemacht hatte, und wo herrliche
Straßen über Berg und Thal geführt waren, da war
jetzt wieder Wildniß eingeriſſen, und den Schutt alter
Wohnſitze überwucherten Bäume und Geſträuche und
Moos.
Doch war das Heidenthum ſchon längſt dem Chri—
ſtenthum gewichen, denn vor 200 Jahren ſchon hatten
ſich Apoſtel des Evangeliums eingefunden am Boden—
ſee und nach und nach war alles Volk bekehrt worden.
Fromme Männer hatten ſich überall angeſiedelt,
entweder einzeln als Einſtedler oder mehrere zuſammen
in kleinen Klöſtern, um die Wildniß auszurotten, ihr
Brod zu bauen, Fiſche zu fangen und der Umgegend
die Lehre vom Kreuz zu verkünden. Aber bei alledem
II. 17
258
herrſchten noch viel Aberglauben und heidniſche Ge:
bräuche unter dem Volke, und die ungelehrten Prieſter
ſelbſt miſchten ſelbige mit dem chriſtlichen Gottesdienſte.
Als der fliehende Kaiſer den Schwarzwald auf dem
Rücken hatte und ſich am Enzflüßlein hin dem Neckar
näherte, da und dort einſprechend in einer Hütte
armer Landbewohner und ein Lager bei ihnen ſuchend,
da traf ihn das Unglück, daß er ſeinen treuen Be—
gleiter verlor und derſelbe nach ſchneller Erkrankung
auf der Reiſe ſtarb.
Betrübt zog der Kaiſer ſeines Weges fürbaß und
kam an den Neckarfluß, wo viele Weiler und Burgen
Thal auf und ab ſeinen Augen ſich zeigten. Doch
getraute er ſich nicht, hier lange zu raſten oder gar
zu verweilen, aus Furcht vor ſeinen grimmigen und
unnatürlichen Söhnen. Darum ſetzte er ſeinen Weg
weiter fort, als er den Fluß mit Hülfe eines Fähr⸗
manns überſchritten.
Schwarze Tannenwälder zogen ſich dort um die
Ufer eines kleinen Flüßleins, welches der Fährmann
die Murr nannte, und an dieſem Waſſer hinauf
beſchloß der Wanderer weiter zu pilgern, und aus
den bewohnteren Gegenden ſich wieder in tiefere Wild—
niß und Waldſchluchten zu begeben.
Am zweiten Tage, an dem Orte, wo die Murr
ſich in den Neckar ergoß, ſaß der Kaiſer Mittags am
Ufer des Waſſers, das in kurzen Windungen, und
meiſt mit ſteilen waldigen Ufern beſchattet, ſich immer
gegen Sonnenaufgang zog. Das Thal ſchien ſich zu
259
erweitern, denn breite, ſumpfige Wieſenflächen breiteten
ſich vor ſeinen Blicken aus, und auf einem einzelnen
Hügel, deſſen Rand von Waldbäumen frei und an—
gebaut war mit Feldfrüchten, gewahrte er eine kleine
Burg mit hohem Thurme.
Kaum hatte er eine Zeitlang hier geraftet, da tönte
hinter ihm Hufſchlag durch den Wald und als er
ſich umwandte, nahte ein junger Jägersmann, den
Jagdſpeer, in der Rechten und mit der Linken ein
muthiges Roß lenkend. Er war einfach in ein linne—
nes Wamms und Hoſen gekleidet, und ein grünes
Barett aus Wolle bedeckte ſein Haupt, deſſen blonde,
glänzende Locken bis über die Schulter herabhiengen.
Als der Jägersmann den Wanderer 'erblickte, ritt
er zornig auf ihn zu und befahl ihm, alsbald die
Stelle zu verlaffen und ſich aus dem Thal zu machen,
wo nicht, ſo werde er ihn mit den Hunden zu Tode
hetzen laͤſſen. Erſchrocken fiel der Kaiſer dem Jägers—
mann zu Füßen und bat ihn, ſeines Weges ihn ohne
Gefährde fürbaß ziehen zu laſſen, ſintemal er ein Ge—
lübde gethan, in ein fernes Land zu wallen, denn er
gedachte bei ſich, dieſe Nothlüge zu gebrauchen, um
nicht entdeckt zu werden.
So biſt du alſo kein böfes Weſen, ſprach der Jä—
gersmann, kein Zauberer und Wettermacher und nicht
ſchuld daran, daß vorgeſtern der Hagel mir alle meine
Frucht an meinem Schloßberg zuſammengeſchlagen?
Mit Nichten, mein junger und ehrbarer Recke,
ſprach der Kaiſer, ich komme vom Neckarthale und
®
260
bin erſt feit geftern in dieſes Thal getreten — aber,
wenn du ein guter Chriſt biſt und nimmer an heid—
niſchen Gebräuchen hängeſt, ſo ſollteſt du mir kein
ſolches Ungebühr zumuthen, als ſtände ich mit dem
Teufel im Bunde. Dabei bekreuzte ſich der Kaiſer
dreimal.
Wohlan, ſprach der Jägersmann, ich will dir trauen
und glauben, denn dein Auge iſt redlich und offen,
auch gleicheſt du mehr einem Waidmann, denn einem
Zauberer.
Da thueſt du Recht daran, fuhr der Kaiſer fort
— ich bin ein frommer Wanderer und achte die Ge—
bote der heiligen Kirche und den Befehl des aller—
ſeligſten Kaiſers Carolus Magnus. Weißt du, wie
ſelbiger lautet?
In Schrift und Geſetz bin ich wohl wenig erfahren,
ſagte der Jägersmann, aber das weiß ich, daß der
verſtorbene Kaiſer viele Geſetze hat erlaſſen in Be:
tracht des Glaubens, und daß ohne ihn mein Volk
und meine Ahnen noch in der Freiheit lebten und in
der Verehrung ihrer Götter, denn ich bin der Sohn
eines Sachſenfürſten, der im Kampf für ſeinen alten
Glauben gegen das Frankenheer des Kaiſers gefallen,
und als ein Waiſe hier herauf in das Land Schwaben
gebracht wurde von einem Edlen dieſes Landes. Dem
aber war indeſſen fein Weib und einziger Sohn ge⸗
ſtorben — ſo nahm er nun mich zum Erben an und
ſetzte mich auf ſein Schloß, das dort drüben über
der Murr ſich erhebt und den Namen „Reichenberg“
261
träget. Aber meinen alten Glauben kann ich nicht
ganz ablegen, obgleich ich getauft worden, und ſelbſt
die chriſtlichen Deutſchen hängen noch mit vieler Liebe
an ihren früheren heiligen Gebräuchen, nicht minder
die Mönche und Nonnen.
Darum, entgegnete der Kaiſer, hat auch der aller—
ſeligſte Carolus Magnus einen Befehl erlaſſen auf
ſeinem Schloß zu Aachen, der lautet:
Niemand ſoll auf Vogelgeſchrei achten, noch Tage
wählen, noch aus dem Evangelium und Pſalter wahr—
ſagen. Die Nonnen ſollen kein Blut mehr abzapfen der
Zauberei wegen. Bäume und Haine ſoll man ume
hauen und bei ihnen, wie auch an Felſen und Quellen,
keine geweihte Kerzen anzünden. Zauberer, Weiſſager,
Beſchwörer ſoll man in Gewahrſam nehmen und von
Prieſtern belehren laſſen, ſo wie auch die Wetter—
macher, und wo ſie ſich nicht bekehren, ſtrenge beſtrafen.
Da ſiehſt du ſelbſt, lächelte der Jägersmann, daß
der Glaube an die alten deutſchen Götter tief wurzelt
im Gemüth des Volkes, obwohl ſchon über 100 Jahre
bei Euch die Mönche aus England und Irland den
neuen Chriſtenglauben gepredigt und eingeführt. Und
welch eine Laſt und Joch haben fie damit eingeführt,
daß der freie Mann muß den Zehenten geben den
Prieſtern, deren Hoheprieſter zu Rom ſitzet im Lande
Italien.
Darum hat ſich auch unſer Sachſenfürſt Wittekind
und fein Volk fo heldenmuthig gewehret gegen den
Kaiſer Carolus viele Jahre, bis es allmälig erlegen
2
262
und unterwürfig iſt gemacht worden. O, das war
eine ſchöne Zeit, als ich, ein kleiner Knabe noch, den
Verſammlungen anwohnte unſeres Volkes und unſerer
Krieger. Noch wohl erinnere ich mich, als wäre es
geſtern geſchehen, daß ich in Goslar war, bei dem
großen Opferfeſt. Alles Volk ſchwur unter freiem
Himmel an der heiligen Stätte: Heiliger, großer
Wodan, du unſer Sachſengott, hilf uns und unſerem
Pannerherrn Wittekind gegen den ſchändlichen chriſt—
lichen Kaiſer Karl, den Schlächter unſerer Brüder.
Wir opfern dir einen Auerochſen und ein paar Schaafe
und allen Raub, ſo wir in der Schlacht gewinnen.
Auch wollen wir dir ſchlachten alle Gefangene, die
wir machen, auf dem heiligen Harzberge, allwo du
dein Heiligthum haſt!
Doch komm, fuhr der Sachſenjüngling fort, ich
will dich geleiten in mein Schloß und dir einen Im
biß vorſtellen, daran magſt du dich laben und dann
deines Weges weiter ziehen.
Gerne nahm der Kaiſer die Einladung an und
folgte dem Jüngling auf ſein Schloß, deſſen alter
Thurm, noch von dem römiſchen Kriegsvolk erbaut,
vom ſonnigen Hügel herabwinkte. Als er ſich mit
Speis und Trank erquickt, führte ihn der Schloßherr
an die Fenſteröffnung und zeigte ihm die Gegend um⸗
her. Ein großes Thal lag vor ſeinen Blicken, das
ſich aufwärts zwiſchen den dunkeln Tannenwäldern
zog und in welchem die Murr ſich herab ſchlängelte,
in welche weiter oben die Lauter aus einem engen
263
Seitenthale über Felſen und Baumſtämme hereinſtrömte.
Nur da und dort am Rande der Berge und Wälder
ſtieg der Rauch auf aus einzelnen Hütten, die zer=
ſtreut umher lagen, denn das Thal war nur ſehr
ſpärlich bewohnt von Fiſchern und Landbauern. Keine
Straße führte durch die Gegend, nur einzelne Fuß—
pfade wanden ſich an den Bergen über den ſumpfigen
Wieſen dahin, auf denen Kühe und Pferde da und
dort frei herumwaideten.
Dort hinauf, ſprach der Schloßherr, an jenen Hütten,
genannt „Sulzbach,“ vorüber, müßt Ihr ziehen,
wenn Euer Fuß durch die uralten Waldungen ſich
hindurch arbeiten kann. Aber es ſollen böſe Geiſter
dort oben hauſen aus den Zeiten des römiſchen
Kriegsvolkes, das einſt mit Hülfe des Teufels eine
große, breite, gepflaſterte Straße anlegte, von dem
Donaufluß im Lande Baiern bis hinüber zum Neckar
mit Schanzen und Wartthürmen. Einer meiner Knechte
war eines Tages auf der Jagd verirrt und hat die
Trümmer noch geſehen, die von den Bergen herab
über das Murrthal herüber und jenſeits wieder die
Berge ſteil hinauf ſich ziehen. Er hat in der Noth
in einem zerfallenen Thurm übernachtet, und hat
ſchreckliche Geſichte geſehen und einen hölliſchen Lärmen
und Getöſe vernommen. Schwarze Böcke und Drachen
ſind vorübergerast, durch den Tannenwald und in den
Lüften erſcholl ein ſchauerliches Halloh!
Der Kaiſer bekreuzte ſich und ſprach: vor dem
Blendwerk des Teufels ſchützt mich das heilige Zeichen
264
des Kreuzes. Auch trage ich eine Reliquie bei mir
von einem chriſtlichen Märtyrer, die wendet alle liſtigen
Anfälle des Böſen von mir ab. Habe Dank, mein
edler Herr dieſes Schloſſes, für deine Gaſtfreundſchaft,
ich will jetzt meines Weges ziehen.
So zog er weiter den Hügel herab in das Thal,
denn all ſein Sinnen ſtund darauf, einen recht ab—
gelegenen Ort zu finden, wo er ſicher wäre vor Ver⸗
folgung. Als er darum einige taufend Schritte vor—
wärts gegangen war und an den Ort kam, wo das
Lauterflüßlein aus einem finſtern, waldigen Nebenthale
herausſtrömte, beſann er ſich, ob er dort hinein ſich
wenden oder weiter der Murr folgen ſollte. Er warf
ſeinen Stab vor ſich hin, um zu ſehen, wohin beim
Niederfallen ſeine Spitze zeigte, und da ſie gegen
Morgenaufgang deutete, ſo ſetzte er ſeinen Weg der
Murr entlang weiter. Nur wenige Hütten traf er
auf dieſem Pfad, die geſchloſſen beiſammen ſtunden,
nächſt dem Zuſammenfluß der Lauter und Murr, und
wie der Sachſe ihm berichtet, Sulzbach genannt wur⸗
den. Mit vieler Mühe mußte er ſich oft durch Dor—
nen und dichtes Gebüſch winden längs der Berge hin,
weil er im Thale und im Sumpf nicht vorwärts
ſchreiten konnte. Ein Reh, das ihm in den Schuß
kam, erlegte er mit ſeiner Armbruſt, zog es ab,
waidete es aus und ſchnitt ſich die beiden Hinterſchlegel
ab, um für den Fall der Noth auf einige Tage Le⸗
bensmittel zu haben. Als er fertig war, hing er
das Wildpret auf den Rücken und brach ſich weiter
265
Bahn durch die Wildniß. Indeſſen hatte ſich der Tag
geneigt, als er an einem verfallenen Schlößlein an—
langte, das am Gebirge, von Tannen überwachſen,
wie ein Schwalbenneſt hing. Hier gedachte er ſeine
Nachtherberge aufzuſchlagen. Er brach ſich Tannen—
äſte ab und bereitete ſich unter dem Urſprung einer
Mauer ſeine Lagerſtätte. Der Himmel hatte ſich über—
zogen und eine finſtere Nacht brach ein. Alles war
ſtill um ihn, nur die Tannen rauſchten und die Murr
drunten im Thale, und zuweilen flog eine Eule aus
den Mauerlöchern und heulte durch die Nacht. Da
auf einmal ſchlug ein Glöcklein rein und zart in ſeine
Ohren; der Schall ſchien von jenſeits des Thales zu
kommen ünd hielt einige Minuten an. Nein, das
war kein teufliſcher Spuck, die Töne klangen ſo rein
und lieblich, daß er auf die Kniee niederſank und zu
allen Heiligen, beſonders aber ſeinem Schutzpatron
dem heiligen Ludwig betete, ihn zu beſchützen vor
allen Gefahren und ſeinen Widerſachern und eine fröh—
liche Heimkehr zu ſchenken.
Als er ſich vom Gebet erhoben, trat er unter den
Mauern durch die Tannen hervor, um in das Thal
hinab blicken zu können, von wannen die frommen
Klänge herüber kamen. Siehe da, ein Licht ſandte
ſeine Strahlen in die dunkle Nacht, in der gleichen
Richtung, wie er den Schall vernommen.
Gewiß, ſprach der Kaiſer für ſich hin, wohnen
dort drüben chriſtlich fromme Menſchen, und wenn
das Wetter näher zieht, deſſen Vorbote, ein heftiger
266
Wind, durch das Thal rauſchte, jo habe ich doch ein
ſichereres Obdach, als hier in dieſem zerfallenen Ge—
mäuer. |
Alſo nahm er ſein Wildpret wieder auf den Rücken,
Stab und Armbruſt zur Hand, und klimmte den
felſigen ſteilen Abhang hinab in der Richtung, wie
das Lichtlein herüber ſchimmerte.
Bald gelangte er zur Murr, und bent er hier
auf und ab ſuchte, ob er keine ſeichte Furth fände,
traf er auf einen Steg, der ihn trocken hinüberführte
und einen ſchmalen Fußpfad, der über das Thal ſich
wand. Nach kurzer Zeit ſtand er am Abhang des
jenſeitigen Gebirges, das ſchwarz in das Thal herein⸗
hing, und bei dem Schein der Blitze, die bereits das
Gewitter näher ankündigten, erblickte er vor ſich auf
einem kleinen freien Hügel ein großes Kreuz und
hinter dieſem ſchimmerte das Lichtlein hervor, als wäre
es am Berge angeheftet.
Raſch eilte er den Hügel hinan und ſtand nun
nach wenigen Schritten vor einer offenen Thüre, welche
in eine Höhle führte, die in den Berg hinein ging.
Bei dem Geräuſch ſeiner Tritte erſchien eine hohe,
ehrwürdige Geſtalt unter dem Eingang. Weiße Locken
flatterten ſpärlich um das bleiche Antlitz, das nur
durch den Schimmer des Lichtes eine leichte Röthe
zeigte. Ein grobes, wollenes Gewand verhüllte die
Glieder, die auf einen ſtarken und knochigen Bau
ſchließen ließen. Um die Lenden war ein Gürtel von
267
Hanf gewunden, daran hing ein kleines hölzernes
Grucifir.
Wer naht ſich zur ſpäten Stunde noch meiner Hütte?
ſprach der Greis in ruhigem, tiefem Tone — Gold
und Silber habe ich keines, wenn du Fremdling böfen
Anſchlag führeſt — kommſt du aber friedlich, vielleicht
ein verirrter Jäger oder Wandersmann, dann biete
ich gerne und mit Freuden dir ein Obdach an gegen
das Gewitter, welches das Thal heraufzieht. Sey
unbeſorgt, entgegnete Ludwig, und verzeihe einem
Wanderer, wenn er geſtärkt von dem Klang deines
frommen Glöckleins deinem Lichte folgt in dunkler
Nacht und Wildniß, um bei Menſchen ein Nachtlager
zu ſuchen. So trete ein, winkte der Einſiedler, im
Namen der h. Dreifaltigkeit, die behüten möge mit
allen Heiligen deinen Eingang, wie deinen Ausgang!
Frohen Muthes folgte der Kaiſer der Einladung und
trat in die Höhle, welche ziemlich geräumig war und
mit Baumſtämmen ausgefüttert. Auf der Seite be—
fand ſich in einer Art Niſche und Vertiefung ein
rohes Lager, beſtehend in einigen gegerbten Thierfellen
über ein Bündel Stroh und dünnes Waldgras ge—
breitet. Im Hintergrund der Höhle ſtand ein Stein,
der die Form eines kleinen Altars bildete und auf
demſelben war ein einfaches, hölzernes Kreuz befeſtigt.
Eine eiſerne Lampe vor dem Altar aufgehängt, be—
leuchtete die Höhle matt, in welcher ſich nur noch
dem Nachtlager gegenüber ein roher Tiſch und eine
Bank an der Wand befanden. Heiliger Vater! ſprach
268
Ludwig, als er eingetreten, ſo Euch es mangelte an
einem kräftigen Imbiß, jo nehmet aus meinen Hän—
den hier dieſes edle Wildpret, das ich vor wenigen
Stunden erlegt. Damit legte er ſeine Jagdbeute dem
Einſtedler zu Füßen. Der aber ſprach: Behalte die
Speiſe für dich, denn Fleiſch und Wein kommt nicht
über meine Lippen. Meine Nahrung iſt Milch, die
mir meine Ziege gibt, und das Gerſtenbrod, das ich
mir baue, ſo wie der Fiſch in den Seen, die unter
meiner Hütte liegen. Faſten und Beten nimmt meine
erſte Zeit hinweg, die Bedürfniſſe meines Lebens ſind
gering.
Während der Einſtedler dieſes ſprach, trug er eine
Schüſſel mit Milch und Gerſtenbrod auf, und lud
ſeinen Gaſt ein, das Abendeſſen mit ihm zu theilen.
Als ſie nun ſo bei Tiſche ſaßen, begann der Ein-
ſtedler ſeinen Gaſt näher zu muſtern und frug ihn
nach dem Zweck und Ziel ſeiner Wanderung. Ob—
wohl der Kaiſer gerade kein Mißtrauen in den from—
men Mann ſetzte, fo getraute er doch nicht, ſich zu
offenbaren und antwortete: ich bin ein fränkiſcher
Graf und am Rhein zu Hauſe. Böſe Feinde haben
ſich gegen mich verſammelt, und nachdem ich mein
Gemahl in ein Klofter geflüchtet, floh ich vor ihnen.
Aber, da ſie mich verfolgten, ſo getraute ich mir nicht
mehr, weder an den Ufern des Rheins noch des
Neckars vor ihrer Liſt und großen Macht und eilte,
mich in die Wildniß dieſes Landes zu verbergen. Mein
Sohn, ſprach der Einſiedler, jo du kein Uebelthäter
269
biſt und deine Feinde von boshaftem Herzen, magſt
du hier eine Zufluchtsſtätte finden und ſicher bei mir
wohnen, denn in dieſe Einöde naht ſich ſelten ein
menſchliches Weſen. Ein verirrter Jäger oder ein
Hirte und Waldbewohner ſind die Einzigen, die in
meine Klauſe treten, um Obdach zu ſuchen oder Huͤlfe
für einen Kranken. Seit undenklichen Tagen bedecken
dunkle Tannenwälder Gebirg und Thal, und nur alte
verfallene Burgen liegen zerſtreut an den Bergen um—
her, dort drüben, wo du herübergekommen, die Wol-
kenburg und ganz in der Nähe meiner Hütte die
Hunnenburg, wo einſt der wilde Hunnenkönig Attila
die Einwohner erwürgte, als er aus ſeinem fernen
Lande heraufzog an den Rhein. Es iſt ein kaiſerlich
Schlößlein, noch wohl erhalten und von einigen Kriegs—
knechten bewohnt und bewahrt. Auch die alten Thürme,
Wälle und gepflaſterte Straßen des Römervolkes, das
einſt hier über das Land herrſchte, ſind längſt mit
Moos, Geſträuch und Wald überzogen, und wo einſt
Menſchen wohnten und das Land ſpärlich bebauten,
da ſiehſt du, ſo weit dein Auge reicht, nichts als
Wald und Sumpf und ſelten eine Hütte. Böſe
Geiſter hauſen in den alten Gemäuern des heidniſchen
Römervolkes, darum baut kein Bewohner der Gegend
ſeine Hütte in deren Nähe.
Aber, fuhr er fort, warum haſt du dich in deinen
Nöthen nicht an den Kaiſer Ludwig gewendet und
Hülfe bei ihm geſucht? Ach! entgegnete Ludwig, wie
ſollte ich Hülfe ſuchen bei einem Kaiſer, deſſen ſchlimme
270
Söhne ihren Vater ſelbſt vom Throne geſtoßen, um
eitler Ländergier wegen, und mit ihm Krieg führen
jenſeits des Rheines im Lande Frankreich! Daß Gott
ſie ſtrafe, zürnte der Klausner, dieſe Natterbrut, welche
die Hand zu legen ſich erfrechen an den Geſalbten
des Herrn! Ich habe ihn geſehen, den ſchönen Knaben
Ludwig zu Ingelheim in der Pfalz, als ich mit den
Edlen des Reiches den erſten Heereszug that, gegen
das heidniſche Sachſenvolk mit Kaiſer Karolus Magnus,
dem Gott den ewigen Frieden ſchenke! O, wenn das
der alte fromme Held wüßte, daß ſeine Enkel alſo
handeln an ſeinem Sohne, ihrem Vater, er könnte
nicht ruhen in ſeiner Gruft zu Aachen, wo er ſttzt
im kaiſerlichen Ornat auf ſeinem Throne. Ja, wenn
Ihr den geſehen hättet von Angeſicht zu Angeſicht,
dieſes heitere Antlitz mit großen, feurigen Augen und
ſchönen, gelbgelockten Haaren, vor dem ſeine Feinde
ſchon zitterten, wenn nur ſein Blick ſie traf! Wie
ein höheres Weſen erſchien er, wenn er an der Spitze
ſeines Heeres daherzog auf ſeinem Streitroſſe, das
wie von Eiſen an Muth und Farbe war. Ein eherner
Helm ſaß auf ſeinem Haupte, Arme und Beine wa-
ren gewappnet mit ſtählernen Schienen und ein file
berner Panzer deckte ſeine Bruſt. In der Linken
bielt er die eiſerne Lanze und in der Rechten das
ſtarke Schwerdt mit goldnem Gefäß.
Ja, ſein Ruhm war groß und erſcholl durch die
ganze Welt, und ich war als ein junger Kriegsgeſelle zu
Mainz, als die Geſandten des mohamedaniſchen Fürſten
271
Harun Al Raſchid ankamen, der zu Bagdad im Mor—
genlande herrſchte; ich gab ihnen das Ehrengeleite nach
Ingelheim am Rheine, wo der Kaiſer Hof hielt. Das
war eine Pracht von Ehrengeſchenken, die ſte vor Karl
dem Großen ausbreiteten — Gezelte von den reichſten
Farben, koſtbare Seidenzeuge, Balſam, Narden, Salben
und Räucherwerk, dazu große Leuchter von Gold und
eine künſtliche Uhr. Jede Stunde fielen zwölf Erz—
kügelchen auf eine Glocke herab, welche an einem Werk
angebracht war, das ein Schloß vorſtellte, dann ritten
zwölf Reiter durch zwölf Fenſter ein und aus. Da—
gegen ſandte der Kaiſer dem morgenländiſchen Fürften
außer vielen Geſchenken an Maulthieren und Pferden,
zwölf fränkiſche Hunde, die ſtark genug waren, es mit
Löwen und Tigern aufzunehmen. Viele Kriegszüge,
ſchloß der Klausner, habe ich mit dem ſeligen Kaiſer
gemacht nach Sachſen und Holſtein, nach Spanien,
Italien und das Morgenland. Da kam ich einſt
ſchwer verwundet zu einem Einſiedler am Bodenſee,
der pflegte mich und als ich genas, gelobte ich Gott
und ſeinen Heiligen, den Harniſch abzulegen und dem
Himmel zu dienen mit Beten und Kaſteien als frommer
Klausner. Lange zog ich umher, bis ich dieſe Stätte
fand und da meine Hütte zu bauen beſchloß. — Unter
dieſen Geſprächen ging das Gewitter und der Abend
dahin und der Einſtedler bereitete ſeinem Gaſt ein
weiches Lager neben ſich, worauf ſie ſich zur Ruhe
begaben. Oft und oft war Ludwig daran geweſen,
ſich feinem Gaftfreund zu erkennen zu geben, wenn
a *
!
1
272
diefer von feinem Vater ſprach und von dem Hofleben
deſſelben, an welchem er Theil genommen, ja von ihm
ſelbſt, aber immer wieder hielt er an ſich. Als aber
Beide in Schlaf geſunken, hatte der Einſiedler einen
wunderbaren Traum. Es dünkte ihm, die männliche
Geſtalt ſeines Gaſtes ſtehe vor ihm, aber nicht in
dem gemeinen Gewande eines reiſigen Geſellen, ſon—
dern im Purpurmantel, die Krone auf dem Haupte, f
und die vergoldete Erdkugel in der Hand und ein
goldenes Schwerdt an der Seite. Das Antlitz war
verjüngt und trug die Züge des großen Kaiſers.
Zuletzt vernahm er eine Stimme, die rief: Bruder
Walderich — deiner Hütte iſt Heil wiederfahren, denn
du beherbergeſt den Geſalbten des Herrn, Ludwig den
Frommen, der geflohen iſt vor feinen eigenen ſünd⸗
haften Söhnen, ſo ihn vom Throne geſtoßen. Aber
die Hand des Höchſten wird ihn wieder erhöhen nach
kurzer Noth und ſetzen auf den Thron ſeiner Vor⸗
fahren! An dieſem Traume wachte der Einſiedler, Wal—
derich mit Namen, auf. Schon ſendete die Sonne
ihre erſten Strahlen durch das kleine Fenſterlein und
beleuchtete das Antlitz des Fremdlings, der neben ihm
ſchlief.
In der That ſchienen dem frommen Bruder jetzt
die Geſichtszüge, die großen Augenwimpern, die Naſe
und Stirne große Aehnlichkeit zu haben mit dem ver⸗
ſtorbenen Kaiſer und ſeine breite Bruſt und ſehnigen
Arme glichen nicht minder dem rieſigen Bau Karls
des Großen.
273
Als Walderich ſein Morgengebet geſprochen vor dem
kleinen Altar, trug er eine Schüſſel mit Milch und
Brod wieder auf den Tiſch und weckte dann ehrfurchts—
voll den Schläfer. Da nun dieſer die Augen auf—
ſchlug, da fiel Walderich vor ihm nieder und ſprach:
Sohn meines Kaiſers und rechtmäßiger Kaiſer
des Frankenreiches! Mir iſt Heil wiederfahren und
meiner Klauſe, daß ich gewürdigt worden, dich zu
beherbergen und dir Schutz zu geben gegen deine
Widerſacher! So höre nun, der Herr wird ſeine Hand
wenden gegen deine Widerſacher in kurzer Zeit und
dich zurückführen auf deinen Thron! Gelobt ſey der
Name Gottes! Erſtaunt vernahm Ludwig die Worte des
Klausners, dann hob er ihn auf, drückte ihn an die
Bruſt und ſprach: Heiliger Mann! du haſt wahr ge—
ſprochen und der Himmel hat deine Augen erleuchtet! Ja,
ich bin Ludwig dein Kaiſer, ein flüchtiger Vater vor
feinen jchlimmen Söhnen, und habe meinen Stand
verſchwiegen vor dir, aus Menſchenfurcht. Jetzt aber,
da eine höhere Hand dir die Wahrheit gezeigt, will
ich nicht länger ſchweigen, und ſo du nichts dawider
haſt, bei dir wohnen, bis Gerechtigkeit wieder im Reiche
wird und der König aller Könige mir den Stuhl
meiner Väter zurückgibt!
Alſo blieb Ludwig bei dem Klausner Walderich
und führte ein frommes Leben mit Beten und Kaſteien
gleich Jenem. Nur zuweilen ging er auf die Jagd,
doch nicht allzuferne auf die Berge dieſſeits und jen⸗
ſeits der Murr. x
| II. 18
| 274
Immer die Nähe der Menſchen fürchtend, kam er
nur ein einzigesmal das Thal hinunter bis in die
Nähe, wo die Lauter ſich in die Murr ergießt. Es
war nach einem heftigen Gewitter, und als er einen
Hirſch verfolgend über die Murr ſetzen wollte, wurde
er von dem reißenden Gewäſſer erfaßt. Keine menſch⸗
liche Hülfe war in der Nähe, als ein junger Hirte,
der am Abhang des Gebirges ſein Vieh waidete. Als
der den Jäger mit den Wellen kämpfen ſah, eilte er
herbei, hieb einen ſtarken Aſt ab, reichte ihn dem Er—
trinkenden und rettete ihm das Leben.
So war der Spätherbſt hereingebrochen. Manch—
mal hatte der Einſiedler ſich weiter hinab bis ins
Neckarthal begeben, um Kundſchaft einzuziehen, wie
es im Reiche ſtehe. Da endlich kam er zurück mit
der Nachricht, daß die Stunde der Gefahr vorüber
und daß Ludwigs Söhne, Pipin und Ludwig, ein
großes Heer gerüſtet und den älteſten Sohn Lothar
in einer blutigen Schlacht geſchlagen und nach Italien
verfolgen. Alles das aber ſey geſchehen, um ihren
Vater wieder einzuſetzen, nach welchem bereits in alle
Lande Boten ausgeſendet ſeyen, ihn aufzuſuchen.
Erfreut hörte Ludwig die Kunde und rüſtete ſich,
ſeine Zufluchtsſtätte zu verlaſſen, doch zögerte er noch,
bis er weitere Nachrichten empfangen, welche die erſte
Kunde beſtätigten. Dafür beſchloß er, da die höͤchſte
Gefahr vorüber, ehe er die Gegend verließe, ſich noch
weiters auf ſeinen Jagdzügen umzuſehen. Er drang
das Thal hinauf, ſtieg über einen Berg und kam in
x ww . N “
275 N
ein anderes großes Thal, in welchem einzelne Hütten
ftanden, deren Bewohner das Flüßchen, an dem ſie
ihre Feldſtücke anbauten, die „Roth,“ und das Ge—
birge, über welches Ludwig gekommen, die „Schanze“
hießen und ihm erzählten, daß dort eine römiſche
Burg geftanden.
Ein andermal drang er in die Wälder gen Mitter:
nacht vor und kam auf ein hohes Gebirg, von wo
er nach Mittag zu eine hohe Gebirgskette erblickte, in
welcher ſich einzelne noch höhere Bergkegel erhoben
und die „Alb“ genannt war.
Ehe er nun aber die Klauſe und den frommen
Einſtedler verließ, trat er eines Morgens mit ihm vor
die Hütte, denn er gedachte, dem Einſiedler ſeine
Dankbarkeit zu bezeugen. Doch ehe er ſeine Gedanken
offenbarte, beugte ſich Walderich und ſprach: Mein
gnädigſter Herr und Kaiſer, nehmt es nicht ungnädig
auf, ſo ich Euch demüthig bitte, Ihr wollet mich aus
kaiſerlicher Huld belehnen mit dem Grundſtück, worauf
meine Hütte ſteht, damit Niemand ein Recht habe,
mich zu vertreiben oder ſonſt hier zu ſchädigen.
Lächelnd antwortete der fromme Ludwig und ſprach:
Mein frommer Bruder! du haſt viel gethan an deinem
Kaiſer, jo will ich denn erkenntlich ſeyn für alles
Gute, ſo du mir erwieſen!
Siehſt du da unten in dem grünen Murrthale und
wo am Fuß des Hügels dieſe fiſchreichen Seen liegen,
in welchen ſich die Tannen des Berges ſpiegeln —
hier will ich ein Kirchlein bauen von ſchönem Geſtein
276
und dazu meinen geſchickteſten Meiſter und Steinmetzen
ſenden. Dazu will ich ein Klöſterlein errichten für
zwölf fromme Mönche und dich einſetzen zum Abte,
dem Herrn zu dienen für alle Zeiten. Damit aber
die Mönche ein zureichendes Einkommen haben, dem
Gottesdienſt ohne Sorgen nachzukommen, ſo ſoll das
Land rings umher, ſo weit ich meinen Jagdſpeer und
Armbruſt getragen, der Bürſche zu pflegen — Eigene
thum werden des Kloſters und Niemand ihm feine
Rechte wehren, noch ſtreitig machen.
Dem Klöſterlein aber ſoll der Name werden „Murr⸗
Hardt“ auf ewige Zeiten, als eine Zuflucht für Alle,
welche in ſtiller Waldeinſamkeit ihr Leben dem Himmel
weihen!
Darauf ließ ſich der Kaiſer vom Bruder Walderich
den Segen geben und dieſer begleitete ihn das Thal
hinab. Als ſie an das Schloß Reichenberg kamen,
ſprach der Klausner: allergnädigſter Herr, wäre es
nicht gut, wenn Ihr einen wackern Geſellen zur Bes
gleitung nehmet, und der Schloßherr, von dem Ihr
mir erzählt, wird höchlichſt erfreut ſeyn, wenn Ihr
ihn würdiget, mit Euch zu ziehen.
Du haſt recht geſprochen, entgegnete Ludwig, wir
wollen ihn heimſuchen und du magſt bezeugen, weſſen
Standes ich bin und wohin ich ziehe. Alſo ſtiegen
fie den Berg hinauf und traten vor den Schloßherrn,
und als Walderich dem Sachſenjüngling alles geoffen⸗
baret, da warf ſich dieſer dem Kaiſer zu Füßen und
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277
gelobte, ihm ein treuer Reiſegefährte zu ſeyn, bis er
zu den Seinen gelangte.
Als nun dieſer ſich gerüftet und dem Kaiser ſein
beſtes Pferd übergeben, da wandte ſich Walderich unter
großem Danke für die kaiſerliche Gnade und Geſchenk
wieder ſeiner Klauſe zu. Ludwig aber mit ſeinem
neuen Reiſegefährten ritt gegen Niedergang der Sonne
dem Neckar zu.
Als ſie nun dieſem Fluß entlang an den Rhein
nach Worms gelangt, da erkannte Alles den Kaiſer
und frohlockte, daß der Vermißte wieder gefunden,
den die Sendboten vergeblich in allen Landen geſucht.
Alsbald eilten reiſige Krieger nach der Stadt Metz
und verkündigten den reuigen Söhnen Pipin und
Ludwig, daß ihr Vater in Worms angekommen.
Alſo zogen dieſe herbei und brachten Ludwigs ihres
Vaters Gemahl, ihre Stiefmutter Judith und deren
Sohn Karl mit, die Beide in einem Kloſter einge—
kerkert waren.
Als nun der Winter vorüber, da gedachte Ludwig
der Fromme ſeines Verſprechens gegen Walderich,
und er ſandte einen Meiſter und Steinmetzen aus
Italien, der in der edlen Baukunſt wohl erfahren und
großen Ruhm hatte, mit einem Dutzend weiterer ge—
ſchickter Geſellen ins Schwabenland.
Als dieſe bei dem Klausner Walderich angekommen
mit vielen Maulthieren und Karren und Geräthſchaf—
ten zur Zeit der Oſtern, da war der fromme Mann
hocherfreut und ging ihnen entgegen und hieß ſie
„ 278
willkommen. Darauf bauten ſie ſich Hütten am Fuße
des Hügels, wo die Klauſe und nun bis auf unſere
Tage die Walderichskirche mit dem Kirchhof ſteht und
begannen ihre Arbeiten. Die nahe Hunnenburg wurde
abgeriſſen und ihre Inſaßen, die kaiſerlichen Dienſt—
leute, halfen getreulich die ſchönſten Steine der Burg
ins Thal zu ſchaffen, um aus ihnen die ſchmucke
Kirche aufzurichten. Nach Jahresfriſt ſtand die ſteinerne
Capelle künſtlich behauen und mit vielem ſteinernem
Schmuck verſehen fertig, einen ſtarken Steinwurf ent=
fernt von der Klauſe auf dem Hügel. Und daneben
erhob ſich ein hölzernes Klöſterlein für zwölf Mönche,
ringsum mit einem ſchönen Garten und einer Mauer
verſehen, welche auf der Mittag- und Abendſeite ein
fiſchreicher Weiher umſpühlte.
Als nun Alles fertig war, kam ein Bote vom
Kaiſer an den neuen Abt, daß ſelbiger nach Rom
pilgern ſolle zu dem Biſchof Stephan, ſich allda weihen
zu laſſen zum Abte, um darnach mit zwölf Mönchen
das Kloſter nach der Regel des heil. Benedikts ein—
zurichten. Gehorſam folgte Walderich dem Befehle
und pilgerte nach Rom, um ſich allda weihen zu
laſſen. Auf ſeinem Heimweg aber ſammelte er zwölf
Mönche um ſich und zog mit ihnen dem neuen Kloſter zu.
Noch war der Winter nicht über das Land ge«
kommen, aber doch ſpielte der Wind ſchon mit dem
gelb gewordenen Laube, da erſchien der Kaiſer auf
einem Zug nach Ulm, wo er im nahen Blauthal ei⸗
279
nem Kirchlein eine Glocke ſchenkte, in den Tannen⸗
wäldern Murrhardts.
Heitern Antlitzes ritt er längs den Bergen mit
ſeinem Gefolge, worunter der Biſchof von Worms
und einige Geiſtliche, das Thal herauf und begrüßte
von ferne ſchon das Wäldlein auf dem Hügel zur
rechten Seite von der Murr, wo er in der Einſtedler—
höhle ſo manche Woche in ſtiller Abgeſchiedenheit zu—
gebracht. Es war um Vieles heller geworden rings
um den Hügel, und an ſeinem Fuße winkte die neue,
ſchöne, reichgezierte Capelle von künſtlicher Bauart,
einer Biſchofsmütze gleichend. Eine blendend weiße
Gartenmauer ſchloß die Capelle und ein feines, ſau—
beres Klöſterlein ein, und auf der Mitternachtsſeite
hatten ſich die Dienſtleute angeſtedelt. Demüthig kam
ihnen der neue Abt Walderich entgegen und überreichte
dem Kaiſer den Schlüſſel zur Capelle.
Am nächſten Tag ward das neue Gotteshaus ein—
geweiht von dem Biſchof und dem Abt Alles über—
geben auf ewige Zeiten. Brief aber und Sigill, wie
ſolche der Schreiber des Kaiſers dem Abte überant—
wortet, enthielten eine reichliche Begabung des Kloſters
und waren ſchon in Worms ausgeſtellt worden im
Fürſtenrath.
Bis in ſein höchſtes Alter begleitete Walderich ſein
heiliges Amt als Abt und wählte zu ſeinem Vogte
und erſten Schirmherrn den ſächſiſchen Ritter auf
Reichenberg, der von nun an in hohen Ehren bei
dem Kaiſer ſtund.
®
280
Der fromme Ludwig aber mußte noch manche Stürme
erleben, denn wiederholt empörten ſich ſeine Söhne
gegen ihn, weil ſie ihrem Stiefbruder Karl keinen An⸗
theil am Reiche gönnten. Mit Mühe drängte der
unglückliche Kaiſer ſeinen Sohn Ludwig nach? Baiern
zurück, worauf er von den Anſtrengungen der Sorgen,
Kümmerniß und des Feldlagers in Mainz unter dem
Gebet ſeines Bruders, des Biſchofs Drogo von Metz,
verſchied. Doch im letzten Augenblick verließ ihn ſein
frommer Sinn nicht. Er verzieh ſeinem Sohn Lud—
wig und ſprach: weil er nicht zu mir kommen kann,
um mir Abbitte zu leiſten, ſo thue ich das Meinige
und nehme Gott zum Zeugen, daß ich ihm Alles
verzeihe! Euer Amt — Ihr Prieſter! aber, ſetzte er
hinzu, wird ſeyn, daß ihr ihm ſaget, wie er die grauen
Haare ſeines Vaters hat mit Herzeleid in die Grube
gebracht.
Er ſtarb im 64. Jahre ſeines Alters und 27. ſeiner
Regierung, und wurde zu Metz im Dom beigeſetzt.
VIII.
Hohenzollern.
Zwei Gebirgskegel treten aus der langen Reihe
der ſchwäbiſchen Albhöhen ſichtbar hervor, am öſtlichen
|
0
281
Ende Hohenſtaufen, auf deſſen Gipfel einft die
Burg eines längſt verſchwundenen Geſchlechts unſterb—
MA Helden und Herrſcher ſtand; gegen das Weſt—
ende des Gebirges prangt nun in erneuter Herrlich—
keit Hohenzollern, die Stammburg eines blühen—
den Königsgeſchlechts. Der majeſtätiſche, die ganze
Ebene wie ein König beherrſchende Bergkegel, ragt
3000 Fuß über der Meeresfläche. Eine ſteile, jetzt
gebahnte Heerſtraße, führt diejenigen, welche von
Hechingen und Balingen herkommen, den ſenkrechten
Kalkfelſen hinan, welchen die ſtattliche Ritterburg krönt.
Ein bequemerer Pfad zieht ſich von der Capelle zum
heil. Kreuz nordöſtlich am Waldſaume hin, und bei
dem ſo freundlich im Grünen geborgenen Kirchlein
Mariazell vorüber, auf das Plateau des Bergs. Den
dritten Weg, einen anmuthigen Fußpfad, welcher auf
der Nordſeite durch einen ſchattigen Laubwald direkt
hinauf zu den Außenwerken der Veſte führt, wählen
rüſtige Bergſteiger. — Durch ein Thor mit der Auf—
ſchrift:
Zollern, Nürnberg, Brandenburg im Bund
Baut die Burg auf altem Grund.
(Wappen mit dem Adler)
Mich errichtet Preußens ſtarke Hand —
Adlerthor bin ich genannt.
treten wir in die Burg. Hohenzollern in ſeinem, ganz
im Style der mittelalterlichen Burgen gehaltenen Um:
\
282
bau iſt eine herrliche Burg, die ſich mit den fehönften
reſtaurirten Ritterburgen am Rhein, wie im übrigen
Deutſchland meſſen kann, und doch weht uns nicht 5 27
beim Eintritt jener Geiſt an, wie in jener Zeit, da unſer
Blick auf alte zerriſſene Ringmauern und Außenwerke,
auf halbzerſtörte Thürme und Thore fiel, und wenn
auch alle dieſe Ruinen erſt aus dem 15. und 16.
Jahrhundert, ja noch ſpäterer Zeit ſtammten. Mag
die neue Zeit noch ſo großartig bauen, was ſie baut,
erſcheint klein gegen die Werke der Vorzeit, ſeien es
nun Burgen oder kirchliche Gebäude. Doch Eines
iſt ſtehen geblieben, zu was wir uns vor Allem wen—
den, es iſt das mit großer Treue und Gewiſſenhaftig—
keit reſtaurirte St. Michaeliskirchlein, der einzige Ueber⸗
reſt aus der Urzeit der Burg, mit feinen alten Stein
denkmalen, den ſicherſten Urkunden für die Zeit der
Erbauung der Zollern-Burg. Dieſes Kirchlein iſt
zwar ſeinem Aeußern nach wohl erſt am Schluſſe des
14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts erbaut worden,
aber es enthält die älteſten Ueberreſte der urfprünglichen
Anlage der Burg, nemlich drei Steindenkmale, welche
vor den Stufen des Altars in das Pflaſter eingelegt
find. Der mittelſte dieſer 6%, Fuß langen und über
2 Fuß breiten Denkſteine zeigt die Geſtalt des Erz—⸗
engels Michael, wie er den Drachen tödtet. Derſelbe
war Burgpatron auf Hohenzollern, und die Capelle
war ihm gewiß ſchon bei der Gründung der Burg
geweiht. Auf dem Denkſtein unter der Figur des
Heiligen befindet ſich eine Darſtellung des Salvators
283
und der heil. drei Könige. Die beiden andern Stein:
platten zeigen die Geſtalten des heil. Matthäus und
des heil. Johannes, Ueberreſte einer Darſtellung der
vier Evangeliſten. Das Ganze war wohl urſprüng⸗
lich die Dedikationstafel des dem heil. Michael ges
widmeten Kirchleins, und das Alter dieſer Denkmale
geht, nach dem Styl zu urtheilen, bis in das Jahr
1000 zurück. „Alſo wird durch dieſe Steindenkmale
die angenommene Erbauungszeit der Burg Hohen—
zollern, nemlich der Anfang des 11. Jahrhunderts,
beſtätigt.“ Dieſen Worten des Freiherrn Rudolf von
Stillfried, des erſten und kundigſten Forſchers in der
Geſchichte des Hauſes Hohenzollern, wäre nichts Wei—
teres beizufügen, da auch andere Beſchreiber der Burg
das Kirchlein ſelbſt als ein Denkmal des 11. Jahr—
hunderts gelten laſſen, was nicht unwahrſcheinlich
lautet, denn es iſt ja bekannt, wie viele Kirchen und
Capellen, die noch aus dem höchſten Alterthum ſtammen,
durch Erneuerung oft den Bauſtyl ſpäterer Jahrhun—
derte angenommen. Das früher unter dem Kirchlein
befindliche rundbogige Gewölbe ſpricht für letztere Be—
hauptung, daß die Capelle einer früheren Zeit ange—
hört. Dieſes Gewölbe, zu dem man vom Burgplatz
hinabſteigt, ſoll in früheſter Zeit die Familiengruft
der Grafen von Zollern geweſen ſeyn, welche erſt im
13. Jahrhundert nach Kloſter Stetten und fpäter
nach Hechingen verlegt wurde. Die Wappenſchilde des
Wiederherſtellers der Burg, des Grafen Joſt Nicolaus
von Zollern und feiner Gemahlin, Gräfin Eliſabeth
284
von Werdenberg, find im Chor angebracht, im Schiffe
aber hängt der Todtenſchild jenes Grafen, ſammt dem
ſeines Vaters Eitelfriedrich I. Die alten Bogenfenſter
prangen von dem Schmuck 600jähriger Glasgemälde,
welche, gleichwie die meiſten übrigen zur Ausſchmuͤckung
der Capelle verwendeten Gegenſtände, im Jahr 1823
aus dem Kloſter Stetten hieher verſetzt worden ſind.
Ein gleichfalls altes Glasgemälde mit dem Zoller'ſchen
Wappenſchild, einem Goldhelm und dem Helmſchmuck
des Pfauenwedels, befindet ſich in einem Fenſter der
nördlichen Wand. Noch bemerken wir, daß in Dies
ſer Capelle durch kindliche Pietät das edle landes—
väterliche Herz des im Jahr 1838 verſtorbenen Fürſten
beigeſetzt worden: es ruht in einer ſilbernen Urne,
die in einer Niſche des Chors ſteht.
Von dem düſteren Dunkel des Michaeliskirchleins
treten wir in die friſche heitere Luft hinaus, und be—
ſteigen den Luginsland, der allein ſtehen geblieben,
während das Gerippe der früheren Burg in Folge des
gänzlichen Umbaus ganz und gar niedergeriſſen wurde.
Dieſer Luginsland ſteht auf dem Fundamente des
alten Wartthurms der Burg Hohenzollern. Für die
Mühe des Hinaufſteigens auf vielen Stufen werden
wir durch eine herrliche Ausſicht belohnt, die wir mit
den Worten des begeiſterten Verfaſſers des trefflichen
Bergbüchleins „das Stammſchloß Hohenzollern
von P. Th. Mark“ (Hechingen 1846) geben. .
„Gleich zunächſt zeigen ſich hier dem Beſchauer
einerſeits die freundlichen Dörflein Zimmern, Biſſingen,
285
Tannheim, Steinhofen und Weſſingen, wie ſie gleich—
ſam Schutz ſuchend ſich an den Berg herandrängen,
andererſeits Boll, und tief unten am Ufer des Köller
das friedliche Stetten oder Kloſter Gnadenthal. Weiter⸗
hin, jenſeits der Starzel, liegt auf einem Hügel das
im Jahr 1585 von Graf Eitelfriedrich IV. von
Zollern gegründete ehemalige Franziskaner-Mönchs—
kloſter St. Luzen (jetzt Brauerei); dieſſeits des Fluſſes
die Haupt- und Reſidenz-Stadt des Fürſtenthums,
das Orpheiſche Hechingen, wo es ſtets wie Aeolsharfen
die milde Luft durchrauſcht, wo ſeit Jahrhunderten
ſchon die fürſtliche Familie, die ſteile Stammburg
verlaffend, in einem prachtvollen Pallaſte glänzendes
Hoflager hielt, dann aber, da auch dieſer Herrſcherſttz
verſchwunden, bis auf die neuere Zeit von einer
ſchlichten, mit Buſchwerk und Anlagen freundlich um—
gebenen Villa aus, ihren Segen über das beglückte
Land ſpendete. Ueber Hechingen hinaus, in weiter
Ferne, erblickt man das Tübinger Pfalzgrafenſchloß,
gleichſam einen Vorberg des durch ſeinen trefflichen
Holzwuchs ausgezeichneten Schönbuchwalds, ferner die
alte Burg Hohenentringen, wo einſt hundert Kinder
von fünf Vätern aus- und eingingen, die Ruinen
Achalm und Neufen, ja ein wonnetrunkenes Dichter—
aug wird ſogar im nebelgrauen Oſten, am entgegen—
geſetzten Ende der langgedehnten Alb, den Kaiſerberg
Hohenſtaufen, oder gar noch den Buſſen, den heiligen
Schwabenberg, entdecken, von welchem die neuere Ge—
ſchichtskunſt, nachdem ſie den fabelhaften Taſſilo von
286
Zollern aufgegeben, den Urſprung des erlauchten
Herrſcherhauſes herleiten will. Gegen Norden ſchweift
der Blick dahin über die fruchtbare Au (das Gäu
genannt) bis Rotenburg, Nagold, Wildberg und nach
den Bergen bei Calw; im Weſten ſieht man den
Schwarzwald mit dem weit hervorragenden Gebirgs—
grat des Kniebis; im Süden die ſteilen Höhen von
St. Georgen und auf der alten Waſſerſcheide des
Neckars und der Donau, in der alten Baar, die
Hochebene bei Rottweil, die Lochen, den Plettenberg
und den Schafberg. In dämmernder Ferne tauchen
am weſtlichen Horizonte die Vogeſen empor, und im
Süden aus dem Nebelſtreifen des Bodenſees die
thurer Alpen mit dem hohen Säntis und die zackigen
Gipfel der Bündtner und Appenzeller Alpen. Kurz,
der Zollernberg beherrſcht, gleichwie der Buſſen das
Schwabenland jenſeits der Donau, ſo das geſegnete
Schwaben dieſſeits der Donau und der Alb, und
man kann ſich wohl denken, wie ſchon vor mehr als
ſechs Jahrhunderten ſo mancher junger Zollergraf an
dieſer Stelle ſich eine Herzogs- oder Königskrone
träumen mochte.“
Wir wenden uns von dem Genuſſe der ſchönen
Natur zur Geſchichte der Burg Hohenzollern, und
laſſen die Bilder jener ritterlichen Männer, die auf
der Burg aus- und eingingen, vor unſrem Blicke vor—
überziehen, ſtattlichere und ſchönere Geſtalten, als wie
ſie der alte Ahnenſaal im Bilde vorführt.
In die Mitte des 11. Jahrhunderts fällt die erſte
287
glaubwürdige Kunde von dem erlauchten Geſchlecht,
das ſich von dieſer Burg nannte. Was vor dieſe
Zeit fällt, gehört dem Reiche der Sage und den Ver—
muthungen an. Die Erſten urkundlich genannten
dieſes Namens ſind die nun folgenden. In der
Chronik Hermanns des Lahmen, fortgeſetzt von Bert—
hold, iſt beim Jahr 1061 angemerkt, daß Burkard
und Wezil von Zolorin getödtet wurden. Sie
fielen in einem der Parteikämpfe, welche während der
Minderjährigkeit Kaiſer Heinrich IV. das deutſche
Reich zerrütteten. In welchem Verhältniß Beide zu
einander ſtanden, das iſt nicht näher beſtimmt, aber
wahrſcheinlich waren es Brüder. Es müſſen wichtige
Männer geweſen ſeyn, denn ſonſt hätte wohl nicht
der Chroniſt in ſeiner Chronik, die nur allgemein
wichtige Dinge enthält, ihren Tod angemerkt. Lange
nach ihnen im Jahr 1095 wird Adelbert von
Zolro genannt. Er gründete in dieſem Jahr mit
Rotmann von Huſin und Graf Alwie von Sulz auf
dem Gut Alpirsbach, welches durch Erbrecht auf ſie
gekommen war, ein Mönchskloſter dieſes Namens.
Herr Adelbert von Zolro mehrte dieſe Stiftung durch
neue Schenkungen; er ſelbſt entſagte dem Weltleben
und trat in dem Kloſter als Mönch ein, wo er auch
ſtarb. Er war, nach Allem zu ſchließen, der wichtigſte
Begaber des Kloſters, und ſo finden wir es ganz am
Platze, daß die Familienglieder des Hauptſtifters in
den erſten Zeiten Schirmvögte der neuen Stiftung
geworden. Ein ſolcher war jener Graf Friedrich, der
288
in der erneuerten Stiftungs-Urkunde des Kloſters
unter dem Namen Friedrich der Aeltere, als Schirme
vogt deſſelben bezeichnet wird. Dieſer Friedrich der
Aeltere kann aber wohl kein anderer ſeyn, als der
in der Geſchichte des Kloſters Reichenbach zwiſchen
den Jahren 1085 — 1100 genannte Graf Friedrich
von Zolro. Er kommt noch mehrere Male in Ur—
kunden vor; ſo in drei Kaiſerurkunden vom Jahr 1111.
Bei ſeinen Zeitgenoſſen führte er den Namen Maute;
fo nennen ihn wenigſtens die Zwiefalter Annalen.
Daß dieſer Graf Friedrich der Aeltere ein naher Ver:
wandter des Mitſtifters von Alpirſpach geweſen, iſt
gewiß, denn ſonſt wäre er nicht zum Schirmvogt des
Kloſters gewählt worden. Nach der ſehr fleißig aus—
gearbeiteten Stammtafel des bereits genannten Frei—
herrn Rudolf von Stillfried wäre Friedrich ein Sohn
des im Jahr 1061 gefallenen Burkard von Zolorin,
während Adelbert ein Sohn des mit jenem genannten
Wezil von Zolorin geweſen, der die ſogenannte Hai—
gerloch'ſche Linie von Zollern gründete, welche mit
einem Wezel ( 1141) und deſſen Sohn Adelbert II.
im Jahr 1150 wieder erloſchen. Friedrich der Aeltere
von Zollern hatte zur Gemahlin Udilhilde von Urach,
mit der er ſechs Söhne: Friedrich, Burchard,
Ulrich, Egino, Gottfried, Albert, und zwei
Töchter: Udilhild und Luitgard zeugte. Unter den
Söhnen wurde Ulrich Abt auf der Reichenau, Albert
Moͤnch in Zwiefalten, Gottfried genannt von Zimbern
und Egino ſind ohne Erben, dagegen pflanzen Burchard
289
und Friedrich den Stamm fort in zwei Linien.
Burchard ſtiftet durch ſeinen Sohn gleichen Namens
die Linie Zollern⸗Hohenberg, welche in der Hauptlinie
mit Albrecht von Hohenberg-Haigerloch, dem Minne—
ſänger, im Jahr 1298, und in der von ſeinem Bruder
Burchard IV. Graf von Hohenberg geſtifteten Neben—
linie im Jahr 1486 endete. Eine Schweſter der Ge:
nannten war Gertrud (Anna), die Gemahlin Kaiſer
Rudolfs von Habsburg. — Friedrich, wohl der ältere
Sohn Friedrichs, genannt Maute, wurde höchſt wahr—
ſcheinlich der Gründer des dauernd blühenden Ge—
ſchlechts von Zollern. Er folgt ſeinem im Jahr 1120
verſtorbenen Vater im Amt eines Kloſtervogts zu
Alpirſpach, und muß kein unbedeutender Mann ge:
weſen ſeyn, denn in einer Kaiſerurkunde vom Jahr
1136 ſtellt er ſeinen Namen vor die Namen der
Grafen von Wirtemberg, Laufen u. A. Zum letzten
Mal erſcheint er in einer Urkunde vom Jahr 1145,
da er, wahrſcheinlich kurz vor ſeinem Tode, dem Kloſter
Hirſau ein goldenes Cruzifix, einen goldenen Kelch,
ſo wie ſeine Beſitzungen zu Genkingen vermachte, wo—
für ſein Jahrstag gefeiert wurde. Erſt im Jahr 1171
kommt wieder ein Graf Friedrich von Zollern vor,
und wir halten dieſen ohne Bedenken für einen Sohn
des eben genannten Friedrich. Er iſt derjenige, mit
welchem das Haus Hohenzollern die erſte Stufe zu
feiner künftigen Größe betrat. Graf Friedrich ver—
mählte ſich — es iſt unbekannt, wann? mit Sophie
Gräfin von Rätz und Erbburggräfin, und erhielt mit
II. 19
0
290
ihr das nach dem Tode ihres Vaters auf fie als
Lehen übergegangene Burggrafthum Nürnberg. Als
ſolcher erſcheint er zum erſten Mal im Jahr 1192,
aber er nannte ſich immer noch Graf von Zollern.
Er ſtarb etwa ums Jahr 1200 und hinterließ zwei
Söhne: Friedrich II. und Conrad L Wir wiſſen
nicht, welcher von beiden der ältere geweſen, auch
nicht, welchem vorzugsweiſe das Burggrafenthum zu—
gefallen, denn beide führten wenigſtens den Titel:
Graf von Zollern und Burggraf von Nürnberg.
Friedrich II. vermählte ſich mit Maria, einer Erb—
tochter der Grafen von Babenberg, mit welcher er
zwei Söhne, Friedrich und Conrad II., und eine
Tochter Sophia zeugte; er ſtarb im Jahr 1218, und
wurde im Kloſter Heilsbronn (bei Nürnberg) begraben,
wo eine Gedächtnißtafel ſein Andenken verewigt. Wann
ihm ſein Bruder Conrad I., der vermählt, aber ohne
Kinder war, im Tode folgte, wiſſen wir nicht. Von
Friedrich II. Söhnen wird Conrad I. der Träger der
burggräflichen Würde. Er vermählte ſich mit Gräfin
Clementine von Habsburg, die ihm drei Töchter und
zwei Söhne, Friedrich III. und Conrad III., geboren.
Der letztere, vermählt mit Agnes von Hohenlohe,
ſtarb unbeerbt im Jahr 1314; der erſtere iſt der
Burggraf Friedrich III. von Nürnberg, mit dem das
Haus den höchſten Glanz erreichte. Er iſt der erſte
Begründer der burggräflich-hohenzollern'ſchen Haus—
macht, der Fortpflanzer der burggräflichen, nachmals
kurfürſtlichen, jetzt königlichen Linie von Hohenzollern,
291
wie wir ihn ausführlich geſchildert finden in dem
Büchlein „Burggraf Friedrich III. von Nürn-
berg, Graf von Zollern, der Freund König
Rudolfs von Habsburg von Ottmar F. H.
Schönhuth. 1854.“
Wir gehen auf Friedrichs II. andern Sohn zurück,
den Freiherr von Stillfried, dem wir, als dem kun—
digſten Genealogen des hohenzollern'ſchen Hauſes, bis
jetzt gefolgt ſind, zum Unterſchied von den Friedrichen
fränkiſcher Linie, Friedrich mit dem Löwen nennt, weil
er, ſtatt mit dem quadrirten Schild von Hohenzollern,
immer noch mit dem burggräflichen Löwenſiegel ſeines
Vaters ſiegelte, auch in jener Zeit, da er bereits mit
ſeinem Oheim, Burggraf Conrad, getheilt (1226), ſo
wie ſich nach erlangter Volljährigkeit ausſchließlich ſei—
ner ſchwäbiſchen Stammgüter angenommen hatte, und
wieder auf Burg Hohenzollern hauste. Von ihm
ſtammt Friedrich der Erlauchte, der ſeit 1248
wieder mit dem quadrirten Schild von Hohenzollern
ſiegelt, und im Jahr 1260 — 1267 das Kloſter Stetten
ſtiftete. Er ſtarb 1289 und hinterließ zwei Töchter:
Adelheid und Willeburgis, ſo wie drei Söhne, die
alle den Namen Friedrich führten, welche ihm ſeine
Gemahlin, Gräfin Udilhild von Dillingen, geboren.
Der eine von dieſen drei Friedrichen war Domprobſt
zu Augsburg ums Jahr 1293, der andere, Friedrich
der Junge genannt von Merkenberg, ſtiftete die ſo—
genannte Schalksburger Nebenlinie, welche mit ſeinem
Urenkel Friedrich, genannt Mülli, oder vielmehr
292
deſſen Sohn Friedrich im Jahr 1403 wieder erloſchen;
der dritte Sohn, Friedrich der Ritter, pflanzte
mit ſeiner Gemahlin Kunigunde, Markgräfin von
Baden, den ſchwäbiſchen Hauptſtamm fort. Er heißt
Graf von Zollern mit dem Beiſatz „des Zolre ift“,
weil bei der Theilung mit ſeinem Bruder, der Schalks—
burg erhielt, ihm die ganze Burg Zollern zufiel (1288).
Von Friedrichs des Ritters drei Söhnen, die alle
ſeinen Namen trugen, pflanzte Friedrich, genannt
Oſtertag, regierender Herr auf Hohenzollern, den
alten Stamm dauernd fort. Seine drei Söhne ſind:
Friedrich, auch Oſtertag genannt, der als Groß—
prior des Johanniterordens in deutſchen Landen im
Jahr 1400 verſtorben; Friedrich der Schwarz-
graf, der die ſogenannte ſchwarzgräfliche Linie ſtiftete,
die mit ſeinen Kindern wieder ausging; und Frie—
drich, genannt der Straßburger, der die Straß—
burger Linie ſtiftete. Von des Letzteren drei Söhnen iſt
Graf Fritz der Aeltere von der Hohenzoller,,
Hauptmann des Löwenbundes im Jahr 1382, mit
feiner Gemahlin Adelheid, Gräfin von Fürftenberg,
der Stammhalter des ſchwäbiſchen Hauſes Hohen—
zollern geworden. Eine Tochter und fünf Söhne
entſproßten feiner Ehe. Drei von den Söhnen: Fries
drich, genannt Aeppeli, Friedrich, genannt Frizli,
und Friedrich, genannt Hügeli, erlangten geiſtliche
Würden; Eitelfriedrich I. und Friedrich, genannt
der Oettinger, theilten nach des Vaters Hingang
(1401) das Erbe. Dieſe Erbtheilung nun, wobei
293
die Zollerburg gemeinſamer Sitz blieb, an dem über:
dieß noch der ſchwarzgräfliche Nebenzweig Theil hatte,
und ſo manche, in Folge derſelben eingetretene Miß—
ſtände, beſonders aber auch die Verſchiedenheit der
beiderſeitigen Charaktere, war Urſache jenes verderb—
lichen Bruderzwiſtes, der manche Jahre andauerte.
Eine Hauptveranlaſſung zu dieſem Zwiſte mag ge—
weſen ſeyn, daß Graf Friedrich der Oettinger im Jahr
1415 faſt ſein ganzes Beſitzthum, ausgenommen ſei—
nen unveräußerlichen Antheil an Burg Zollern und
Hechingen, an den Grafen Eberhard von Wirtemberg
verpfändete, was natürlich feinem jo wirthſchaftlichen
Bruder, der die Herrſchaft zufammenzuhalten ſtrebte,
nicht genehm ſeyn konnte, um ſo mehr, als er die
aufgenommenen Gelder in Abenteuern vergeudete, an—
ſtatt ſie zu Befriedigung ſeiner vielen Gläubiger zu
verwenden. Es war im Zwiſte der Brüder ſogar fo
weit gekommen, daß der Oettinger ſogar Umtriebe
machte, ſeinen Bruder Eitelfriz ganz und gar aus
dem Beſitze der Burg Hohenzollern zu verdrängen.
Wie er, der ſonſt ritterliche Mann, mit ſeinem Bruder
im Zanke lag, ſo war er auch der Reichsſtädte, ab—
ſonderlich der Rottweiler, Feind geworden. Aber den
ſchlimmſten Feind gewann er an Henriette, Gräfin
von Mömpelgard, der Wittwe des Grafen Eberhard
von Wirtemberg. Wie er mit der Letzteren zerfal—
len, berichtet der Chroniſt der Grafen von Zimmern.
Die Grävin Henriette habe an des Oettingers Ge—
ſtalt und adelichem Weſen Wohlgefallen gefunden und
294
feiner Minne begehrt, welches Anſinnen aber dieſer
auf eine ſchnöde Weiſe zurückgewieſen; worauf dann
aus Liebe Haß, und aus dieſem Begierde nach Rache
geworden. Dieſe zu ſtillen, gab es bald eine Veran—
laſſung. Denn als die Rottweiler, vielfach gereizt
von dem Grafen, ihm im Mai 1422 abſagten, da
bot Gräfin Henriette freudig die Hand zur Befehdung
des Oettingers und leiſtete freien Zuzug. Im Sommer
des genannten Jahres begannen die Rottweiler, zu
denen ſich noch die Städte des ſchwäbiſchen Bundes,
Augsburg, Ulm, Nördlingen, Ravensburg, Gmuͤnd,
Memmingen, Dinkelsbühl, Biberach, Kempten, Kauf—
beuren, Ißny, Pfullendorf, Weil, Giengen, Leutkirch,
Bopfingen, Aalen, ſammt vielen außerſchwäbiſchen
Verbündeten, insbeſondere Straßburg geſellt hatten,
die Belagerung. Wenn es auch nicht 40,000 Feinde
geweſen ſind, welche die Burg umlagerten, wie M.
Cruſius behauptet, ſo war es doch das größte Heer,
das die Städte je zu einem ſolchen Zwecke aufgeboten
hatten. Gleich in den erſten Tagen beſchoßen die
Städter die feſte Burg ſtrenglich. Meiſter Claus
Hetzel und Oswald Klein, die beſten Büchſenmeiſter
im reichsſtädtiſchen Heere, ſchoßen manchen Stein
gegen ihre Thore und Vorwerke, aber der Oettinger
ließ ſich dadurch nicht ſchrecken, vielmehr ſpottete er
ſeiner Feinde, und rief von der Burg herunter: ich
hab eine Henne über den Eiern ſitzen, die ſoll ausbrüten,
ſo laſſet doch euer Schießen, damit ihr ſie mir nicht
im Neſte ſchrecket! Die Belagerer achteten nicht dieſes
295
Spottes, ſondern forderten, als ihre Geſchoße nicht
vergebens gegen die Burg geſpielt, und da und dort die
Mauren zerſtoßen hatten, bald zur Uebergabe auf. Der
Graf antwortete auf eine rohe Weiſe: acht Rottweiler
Bürger, die er vor der Belagerung der Burg auf
des Reichs Straßen gefangen und bisher in Haft
gehalten hatte, ließ er im Angeſicht der rachedürſtigen
Städter an den Zinnen der Burg aufhängen. Die
Belagerer drängten jetzt die Burg mit erneuter An—
ſtrengung. Doch der Oettinger verzagt nicht, ob—
gleich der Entſatz ſeines einzigen wichtigen Bundes—
genoſſen, des Markgrafen von Baden, ausblieb, auf
den er längſt gehofft. Seine Geliebte ſteht ihm ja
noch helfend zur Seite, und ſchleicht bei der Nacht—
zeit durch die Schaaren der weiſen und klugen Städter,
um denen auf der Burg Proviant und Munition
zuzuführen. Als aber dieſe Heldin von Zollern end—
lich von den Feinden entdeckt und gefangen genommen
wurde, da fieng bei dem Oettinger an, der Muth zu
ſinken. Bereits war der Winter herbeigekommen mit
ſeinen kalten Tagen; der Graf hatte gehofft, die
Städter würden vom Berge ziehen, aber ſie blieben,
und ließen ſich nicht ſtören in ihren Grabarbeiten
gegen die Burg. Als aber auch noch die Lebens—
mittel denen auf der Burg begannen auszugehen, da
faßte der Graf einen Entſchluß, den wir ſeinem ſo
unverzagten und ritterlichen Sinne nicht zugetraut
hätten. In einer ftürmifchen Nacht verſammelte er
die Seinen auf der Burg und ſagte zu ihnen: er
*
296
müſſe fich ſelbſt den Berg hinab machen, und ſchauen,
wie er einen reiſigen Zeug aufbringe; dann wolle er
wieder zu ihnen auf die Burg zurückkehren. Das
gelobte er ihnen feſt, und ebenſo ſchwuren ihm die
Seinen hinwiederum, daß ſie das Beſte thun wollen.
Alſo ſchied er von der Burg mit wenigen Reitern
und war froh, daß er davon kam. Sofort ging er
zum Markgrafen Carl von Baden, ſo wie zum Her—
zog Reinhard von Lothringen, und hielt ihnen vor,
wie er die Städter von dem Berg treiben wollte,
wenn beide ihm Entſatz ſenden würden. Aber die
kehrten ſich nicht daran, und ließen ihn ohne Hoff—
nung wieder laufen. Alſo kehrte der Oettinger nicht
mehr auf ſeine Burg zurück, wie er verheißen hatte,
und ließ ſeine Getreuen auf Zollern Mangel und
Noth haben. Dieſe wehrten ſich, ſo gut ſie konnten,
aber zuletzt half es ihnen Nichts mehr. Von Tag
zu Tag geriethen die Feinde dem Hauſe näher, bald
nahmen ſie den Kapf (die Höhe), machten doppelte
Schirme (zur Aufſtellung der Geſchütze); ehe die—
ſelben zerſchoſſen werden konnten, zogen ſie mehrere
Büchſen hinauf, und ließen dieſe gegen das Berghaus
jpielen. Da ließ ſich Niemand mehr von der Be-
ſatzung außer der Burg ſehen. Darnach nahmen die
Feinde den Zwinger ein; da vermochten die drinnen
das Haus nimmer zu halten: die ausgehungerte Be—
ſatzung übergab den Feinden die Burg auf Gnad'
und Ungnade, in die Hand der Ulmer, um nicht den
erbitterten Rottweilern in die Hände zu fallen. Ju—
297
belnd voll Siegesfreude ſteckten die Reichsſtädter mit
den Wirtembergern das Reichsbanner auf ein hohes
Dach, daß man es manche Tage weithin in der Hoͤhe
fliegen und ſchweben ſah. Und nun ſchritten die
Ulmer ans Werk der Zerſtörung: ſie brannten und
brachen das verwunſchene Raubneſt zu Grunde, von
dem — jo hatten es die Städter mit der rachſüchti—
gen Gräfin Henriette geſchworen — kein Stein auf
dem andern bleiben ſollte. Ja die Zerſtörer zerbrachen
ſogar die Steine, damit ſie nie wieder zu einem neuen
Bau dienen möchten. Das geſchah am Samſtag vor
Himmelfahrt im Jahr 1423, nachdem die Belagerung
beinahe ein Jahr gedauert hatte. — Ein gewaltiger
Jubel erhob ſich unter den Städten des Schwaben—
landes über den Fall der verhaßten Grafenburg; man
ſagte und ſang noch lange davon. Ein gleichzeitiger
Dichter, Conrad von Reutlingen, beſang in einem
Gedichte von zierlichen lateiniſchen Verſen, und ein
anderer, ebenfalls gleichzeitiger Dichter, Conrad
Silberdrat, wahrſcheinlich aus Rottweil, dichtete
über die Heldenthat der Städter ein deutſches Reim:
gedicht von 460 Zeilen, das der ehrwürdige, nun
auch heimgegangene Meiſter Sepp von Laßberg
auf der alten Meersburg aus einer Handſchrift unter
dem Titel edirte: „Ein ſchön alt Lied von
Grave Friz von Zolre dem Oettinger.“ Gegen
den Schluß dieſes wirklich poetiſchen Gedichts, aus
dem wir oft wörtlich die Geſchichte der Belagerung
Hohenzollerns entnommen, heißt es:
0
298
Füro nun hin darob nimmer wird gekriegt,
Noch kein Graf von Zollr me daruf wird gewiegt.
Deß habet Dank ihr Reichſtädt immermehr,
Daß ihr bejagt hant ſolch Ehr,
Und dem Oettinger ſo wohl hant vergolten,
Der euch dik übel hat geredt und geſcholten.
Aber die Worte des Dichters „daß kein Graf mehr
auf Zollern gewiegt werde,“ ſind ſo wenig in Er—
füllung gegangen, als der Fluch Kaiſer Sigmunds,
der alſo ſolchen über die gebrochene Burg hin—
ſchleuderte: „daß fürbaßer daſſelb Schloß Zolr noch
der Berg zu ewigen Zeiten nimmermehr gebauen, ge—
machet, gefeſtet, von Niemand fürgenommen und auf—
gerichtet werden ſoll, ſondern daſſelb Schloß und
Berg ſollen zu dem heiligen Reich als ein gebrochenes
Raubhaus gehören.“ Wohl konnte Graf Fritz der
Oettinger nimmer daran gedenken, die Burg wieder
herzuſtellen, denn er war ein armer und verlaſſener
Mann. Bald, nachdem er die noch belagerte Stamm—
burg verlaſſen, und den Markgrafen von Baden und
Herzog von Lothringen vergebens zu einem Kriegszug
zu bereden geſucht hatte, denn die Drohungen des
dem Oettinger feindſeligen Kaiſers mit Bann und
Acht hielten Beide zurück — als er ſich nun durch
Lothringen wieder zum Rheine wendete, näherte er
ſich unvorſichtiger Weiſe allzuſehr den Gränzen der
Grafſchaft Mömpelgard, er wurde da von ſtreifen—
den Reitern der Gräfin Henriette im offenen Felde
299
aufgefangen und nach Mömpelgard in einen Thurm
gebracht, der lange Zeit nach ihm noch der Oettingers
Thurm genannt wurde. Hier mußte der ſonſt lebens—
luſtige Graf lange Zeit ſchmachten, während welcher
Viel um ſeine Erledigung vergeblich bei der unver—
ſöhnlichen Regentin von Wirtemberg unterhandelt
wurde. Endlich im Jahr 1429, nachdem die Söhne
der Gräfin Henriette, Ludwig und Ulrich, Grafen von
Wirtemberg, der Vormundſchaft ihrer Mutter ledig
wurden, kam ein Vertrag mit dem Oettinger und
dem Hauſe Hohenzollern zu Stande, in welchem unter
Anderem mehrere Orte der Grafſchaft an Wirtemberg
abgetreten wurden, und der Oettinger ſeiner Haft
wieder loskam. Wie mag dem Oettinger zu Muth
geweſen ſeyn, als er heim kam, und die Burg ſeiner
Väter, von der |
„er wähnt, daß Niemand außer Gott
ihm den Berg möcht' angewinnen,
als er ſchätzt in ſeinen Sinnen!“
in ſo ſchmählichen Trümmern liegen ſah! Wir hören
bis 1440 Nichts mehr von dem Oettinger. In die—
ſem Jahr ſtiftet er für ſich einen Jahrstag im Kloſter
Stetten. Er hat ſich auf einmal alles Irdiſchen ent—
ſchlagen und wendet nun ſeinen Sinn nach himm—
liſchen Gütern, wie das Männern, die Viel erfahren
und gelitten, in damaliger Zeit öfter als jetzt zu be—
gegnen pflegte, denn der Glaube war ſtark über Alles.
Er beſtellte ſein Haus, und fuhr mit geringer Be—
300
gleitung nach dem Grabe des Heilandes in Paläſtina.
Ob er dort oder auf der Heimreiſe geſtorben, iſt un:
bekannt, genug, er ſah das Land ſeiner Väter und
den Wiederaufbau der Burg nimmer, und der im
Leben nie geruht, ruhete nun im Grabe. Er ſtarb
im Jahr 1443, verſöhnt mit der ganzen Welt, und
wohl auch mit ſeinem Bruder Eitelfriedrich, der ihm
bereits im Jahr 1439 im Tode vorangegangen war,
nachdem er umſonſt verſucht hatte, die Stammburg
wieder herzuſtellen, denn die Städter hinderten ihn
daran. Deſſen noch unmündiger Sohn, Joſt Nico:
laus, folgte ſeinem Vater und Oheim im Beſitze der
Herrſchaft. Auf dieſem ſchwachen Sprößling beruhte
jetzt die Hoffnung des vor kaum 50 Jahren noch
von zwölf männlichen Häuptern vertretenen Hauſes.
Graf Joſt Niklas war klüger und beſcheidener als ſein
Oheim, dem er aber an tapferem und fröhlichem
Muthe ganz ähnlich war. Er befand ſich bei der Ueber—
nahme der Herrſchaft Hohenzollern in ſehr bedrängten
Umſtänden. Sein vornehmſtes Dichten und Trachten
ging nun vor allen Dingen dahin, die Feindſchaft
Wirtembergs, als des gefährlichſten Nachbars, ganz
und gar hinzulegen und zu verſöhnen; er trat daher,
als ein junger und freudiger Geſell, in den Dienſt
des Grafen Ulrichs von Wirtemberg, der wegen ſeiner
Milde den Namen „des Vielgeliebten“ bekam. Zu
Stuttgart am Hofe des Grafen fand man damals
in großer Anzahl die Blüthe des ſchwäbiſchen Adels:
unter dieſen lernte Graf Joſt Niklas auch den Frei⸗
*
301
herrn Werner von Zimmern aus Mößkirch kennen,
mit ihm von gleichem Alter, ein kühner Degen, von
höflichen Sitten und beſonders bei holden Frauen wohl
geſehen. Biederkeit und jugendlicher Muth ſchließen
ſich gerne an einander an; ſo ward denn auch zwi—
ſchen dieſen beiden jungen Herzen ein Bund geveſtet,
der bis an ihr Beider Lebensende währte. Wie innig—
lich aber dieſer Beider Freundſchaft war, mag man
aus dem vernehmen, was der Chroniſt von Zimmern
von ihnen erzählt. Dieſe zwei jungen Geſellen hatten
einander ſo lieb, daß ſie nicht nur ſtets in derſelben
Wohnung beiſammen lagen, ſondern auch gemeinſam
nur ein Sammetwamms zuſammen beſaßen, alſo daß
wenn der Eine darin an den Hof ging, der andere
zu Hauſe bleiben mußte. Da ſich nun eines Tags
begab, daß Werner von Zimbern frühe aufſtand,
Willens, an den Hof zu gehen, und er ſeinem Kna—
ben, den ſie dann auch gemeinſchaftlich zu einem
Diener hatten, befahl, ihm das Sammtwamms zu
bringen, um ſolches anzulegen — da fand ſich, nach
faſt langem Suchen, das Kleid hinter einer Truhen,
das der Knabe empor hielt und dabei ſprach: Da
iſt nun das Unglück! Da der von Zimmern das
hört‘, ſprach er: iſt es ein Unglück, fo will ichs auch
nicht an mir haben, und magſt du es dir nur be—
halten, denn es iſt dir von uns geſchenkt. Wie nun
die beiden Geſellen wieder zu einem oder gar zu einem
Paar ſolcher Wämmſer gekommen, iſt nicht geſagt,
ich eracht aber, daß ſie es nicht lange anſtehen ließen,
302
wieder an den Hof und in das Frauenzimmer zu
gehen. — Daß ich aber wieder auf Graf Joſt Niklaſen
von Zollern komme, ſo muß ich ſagen, daß er an
Graf Ulrichen von Wirtemberg einen günſtigen und
liebreichen Herrn fand, der ihn auch zu einem ſeiner
Räthe mit guter Beſtallung annahm, und bei dem
er noch viele Jahre verblieb; folgends überkam er
Gunſt und Dienſt Kaiſer Friedrichs III., und nach—
gehends zu Herzog Sigmund von Oeſterreich zu Tyrol,
wo er ſeinen liebſten Freund und Geſellen Werner
von Zimbern wieder fand, der deßgleichen an dem
ritterlichen Hof Herzog Sigmunds diente, welcher den
ſchwäbiſchen Edlen abſonderlich hold war, und deren
er eine große Anzahl an ſeinem Hoflager zu Inspruck
und in ſeinem Dienſte enthielt. Unter dieſen fand
ſich auch Graf Johann von Werdenberg und zum
Heiligenberg, des Zweiges von Sargans mit der weißen
Fahne. An deſſen Tochter Agnes, die allen Jung—
frauen am Insprucker Hofe an ſchöner Jugendblüthe
und adelichem Weſen voranglänzte, fand nun Graf
Joſt Niklas ein beſonderes Wohlgefallen, und ſie auch
hinwiederum an ihm, alſo daß ſie mit des Vaters
Bewilligung alsbald ein Paar wurden, und Gottes
Segen an Nachkommenſchaft klärlich ſpürten. In⸗
zwiſchen war im Schwabenlande allenthalben Friede
geworden, denn die Städte hatten ſich mit den Herren
und dem Adel ausgeſöhnt. Da bewarb ſich Graf
Joſt Niklas auf's Neue bei ſeinen Freunden und
Gönnern, drß ihm beim Wiederaufbau feiner Stamm:
303
burg fürder kein Hinderniß mehr gemacht würde, wie
weiland ſeinem Vater. Als nun Steine, Kalk, Ziegel,
Holz und ander Bauzeug genüglichen auf den Berg
geſchafft waren, auf dem über dreißig Jahre nur
Füchſe, Eulen und andere Raubvögel ihre Wohnung
gehabt hatten, ladete Joſt Niklas alle ſeine Verwandten,
Freunde und Günſtigen ein, in ſein Land zu fahren
und dem hochzeitlichen Beginn des neues Baues an—
zuwohnen. Da kamen Erzherzog Albrecht, ſein be—
ſonders günftiger Freund und gnädiger Herr, der
dazumal in den Borlanden zu Rotenburg am Neckar
feinen Sitz hatte, ferner Herr Philipp der Gütige,
Herzog zu Burgunden, Markgraf Albrecht von Bran—
denburg, genannt Achilles, und Karl der Markgraf
von Baden, lauter tapfere Fürſten des deutſchen
Reichs, mit großem und ſtattlichem Gefolge herbei,
und wollten Graf Joſt Niklaſen helfen, die Burg ſeiner
Väter wieder aufzubauen. Man mag auch denken, daß
Wenige des hohen und niedern Adels von Schwaben da
ausblieben, und beſonders die Zoller'ſche ganze Sipp—
ſchaft, jung und alt am wenigſten; alſo daß eine große
und ehrliche Geſellſchaft da verſammelt war, ohne die
Menge des Volks zu rechnen, das in Unzahl von
allen Enden und Orten herzulief. Da nun Alles
zum Beginn des Werks geordnet war, wälzte man
den Grundſtein an ſeinen beſtimmten Ort, und die
genannten Fürſten traten hinzu und legten goldene
und ſilberne Münzen ihres Gepräges in die Höhlung
deſſelben, griffen dann zu ſilbernen Kellen und Häm—
304
mern, welche Graf Joſt Niklas eigens hiezu mit den
Wappen gedachter Fürften hatte bezeichnen laſſen, und
mauerten den Stein ein und zu, wobei Graf Hein—
rich von Fürſtenberg, des Grafen nächſter Sipp,
Mörtel trug, und ein Freiherr von Brandis denſelben
umrührte. Das war an St. Pilgrims Tag des h.
Biſchofs Tag (16. Mai) im Jahr, als man zählte
von Chriſti unſers Erlöſers Geburt 1454. Alſo
brachte der Mai wieder, was der Mai Denen von
Zollern genommen hatte, und ward die Burg in kurzer
Zeit darnach wieder vollends ausgebaut, und ſo wehr—
lich wieder hergeſtellt als zuvor, jo daß Meiſter Con-
rad Silberdrat von derſelben wohl hätte ſingen mögen:
Hohenzoller, du wehrliches Haus,
Wie weit ſchauſt du überaus.
All um und um im Schwabenland,
Biſt du ob allen Häuſern bekannt,
Daß alle, die dich han geſehn,
Wol mögen alles Preiſes jehen.
(Meiſter Sepp.)
Graf Joſt Niklas, der Wiederherſteller der Burg,
ſtarb im Jahr 1488, als Landvogt zu Rotenburg a. N.
und der Herrſchaft Hohenberg. Ein Sohn deſſelben,
Graf Eitelfriedrich II., Liebling Kaiſer Maximilians,
Hauptmann der Grafſchaft Hohenberg, und erſter
Kammerrichter bei Errichtung des kaiſerlichen Kammer:
gerichts, ein im Frieden und Krieg ausgezeichneter
Herr, ſorgte aufs Neue für Macht und Glanz des
305
neuen, aus einem einzigen Sproſſen wieder aufblühen—
den Grafenhauſes. Durch ihn kam die Herrſchaft
Haigerloch, der alte Familienbeſitz, in Folge Tauſches
wieder an Haus Hohenzollern. Auch erwarb er für
ſich und feine Nachkommen die Reichskämmererwürde.
Beſonders iſt Eitelfriedrich dadurch wichtig geworden,
daß in Folge ſeiner Vermählung mit der Markgräfin
Magdalena von Brandenburg, die weit aus einander
gewachſenen Zweige des Zollernſtamms ſich zum erſten
Male wieder einander zubeugten. Magdalena gebar
ihrem Gemahl fünf Töchter und ſechs Söhne; ſo trieb
alſo der Stamm von Hohenzollern auf einmal wieder
zahlreiche Sproſſen. Sie wurde die Stammmutter aller
jetzt lebenden Fürſten von Hohenzollern, Hechingen und
Sigmaringen, und ſtarb im Jahr 1496; ihr Gemahl
folgte ihr im Jahr 1512 im Tode nach. Beide liegen
in der von Eitelfriedrich und ſeinem Bruder, Biſchof
Friedrich, gegründeten Stiftskirche zu Hechingen. Dort
findet ſich ein prächtiges Grabdenkmal, das wohl Graf
Wolfgang Franz, der im Jahr 1517 ſtarb, ſeinen
Eltern geſetzt haben könnte, denn ſein Name iſt darauf
eingegraben. Das Grabmal beſteht aus einer, wahr—
ſcheinlich von Peter Viſcher in Nürnberg kunſtreich
gefertigten Platte aus Erz, welche früher auf einem
reichverzierten Poſtamente ruhte. Die Platte zeigt die
ſtattliche Figur des Grafen, wie er mit der Rechten
das Schwerdt, mit der Linken den Roſenkranz hält.
Um den Hals trägt er den Orden des goldenen Vließes,
von dem auch das quadrirte Wappenſchild über feinem
II. 20
306
Haupte umfchlungen ift. Seine Füße ſtehen auf einem
Löwen, dem Bilde der Kraft. Ihm gegenüber ſteht
ſeine Gemahlin, eine liebliche Frauengeſtalt in zierlicher
altdeutſcher Tracht, den Brandenburgiſchen Schwanen⸗
orden um den Hals tragend. Derſelbe umgibt auch
das über ihrem Haupt befindliche Wappen mit dem
Brandenburg'ſchen Adler. Zu ihren Füßen liegt ein
Hund, das Bild der Treue. In Mitte der beiden
Wappenſchilde hoch oben iſt ein größeres Wappenſchild,
deſſen gekreuzte Scepter die Erbkämmerwürde des Reichs
bezeichnen. Um die Platte herum zieht ſich eine In—
ſchrift mit gothiſchen Buchſtaben, welche in alten Reimen
von dem Verſtorbenen, ſeinen Würden, ſo wie von
ſeiner Gemahlin und ſeinen Kindern redet. Eine ſchöne
Abbildung des Denkmals, gezeichnet von Eberlein, hat
der Württemb. Alterthumsverein geliefert. — Es iſt
eines der wenigen Denkmale der Grafen von Hohen—
zollern, die ſich noch erhalten, und hat mehr Werth,
als alle Bilder des noch vorhandenen Ahnenſaales,
die Nichts anderes als Gebilde der Phantaſie ſind,
wenn wir das Bild des Grafen Joſt Niklas und der
ſpäteren Familienglieder ausnehmen wollen. —
Der auf der Grabplatte genannte Biſchof Friedrich
von Augsburg war ebenfalls ein Sohn des Grafen Joſt
Niklas und hat ſich um die Burg der Väter verdient
gemacht. Er erweiterte ſie mit einigen Gebäuden, und
brachte manche Verbeſſerungen auf der Burg an. Nach
Eitelfriedrich II. wurde ſein Sohn, deſſelben Namens,
Herr auf Hohenzollern. Er ſtarb zu Pavia an Gift
307
im Jahr 1525, und hinterließ nebſt noch andern
Kindern einen Sohn Karl, der ſeinem Vater in der
Regierung folgte und den Stamm fortpflanzte. Im
Jahr 1535 erhielt derſelbe die Herrſchaften Sigmaringen
und Vöhringen, ſtiftete unter feinen Söhnen im Jahr
1575 die ſogenannte Zoller'ſche Erbvereinigung und
ſtarb im Jahr darauf. Seine zwei Söhne Eitelfrie—
drich IV. und Karl II. theilten ſich in zwei Linien;
die zu Hechingen und die zu Sigmaringen. Der erſtere
gründete die erſten Anfänge der Wafſenhalle auf der
Burg, in der die Waffen und Rüſtungen früherer
Grafen von Zollern aufgehängt wurden, unter andern
auch die Rüſtung des Grafen Joſt Niklas, zu denen
dann in ſpäterer Zeit noch viele merkwürdige Waffen
und Rüſtungen hinzukamen. Doch ſcheint die Burg
Hohenzollern dem Grafen Eitelfriedrich bald nimmer
mehr behagt zu haben; er baute das Schloß zu Hechingen
im Jahr 1604 und wählte es zu feinem Mohnfige.
Sein Sohn Johann Georg wurde im Jahr 1623 zum
erſten Fürſten von Hohenzollern erhoben, und ſtarb
1624. Er hinterließ zwei Söhne, Eitelfriedrich V.
und Philipp Friedrich. Der erſtere wurde im Jahr
1653 in das Fuͤrſtenkollegium zu Regensburg aufge—
nommen; er ſtarb im Jahr 1661 an einer empfangenen
Wunde. Da er keine Kinder hinterließ, ſo folgte ihm
ſein Bruder Philipp Friedrich in der Regierung, die
er bis zum Jahr 1671 führte. Philipp Friedrichs
älteſter Sohn, Friedrich Wilhelm, kaiſerlicher General,
erhielt im Jahr 1692 den fürftlichen Titel für ſich
308
und alle feine Nachkommen, und errichtete im Jahr
1695 mit Brandenburg die fogenannte Erbverbrüderung,
welche faſt gleichzeitig durch einen Ehebund zreifchen
einem Hohenzollern'ſchen Prinzen und einer Branden-
burg⸗Baireuth'ſchen Prinzeſſin beſiegelt wurde. Friedrich
Wilhelm ſtarb im Jahr 1735; ihm folgte ſein Sohn
Friedrich, mit dem im Jahr 1750 dieſe Linie ſchloß.
Auf ihn folgte ſeines Oheims, Hermann Friedrichs Sohn,
Joſeph Wilhelm, welcher der Urgroßoheim des gegen—
wärtigen Fürſten iſt. — Von der Linie des Hauſes
Hohenzollern in Sigmaringen werden wir fpäter reden
— es bleibt uns nur noch übrig, die weiteren Schickſale
der Burg Hohenzollern zu erzählen.
Während der Bauernkrieg die Burg Zollern ganz
und gar unangefochten ließ, tobte deſto wilder der
30 jährige Krieg gegen ihre Mauern. Sie leiſtete lange
Widerſtand, bis ſie ſich im Jahr 1634 nach einer
Belagerung von mehreren Monaten den Wirtembergern
ergab, die ſie rein ausplünderten, und gute Beute
machten, denn Alles in der Umgegend hatte ſeine
Habe dahin geflüchtet. Aber ſchon im Oktober defjel-
ben Jahrs fiel ſie durch Liſt in die Hände der Kaiſer⸗
lichen. Nach dem Weſtphäliſchen Frieden erkaufte Deftere
reich für einen Jahresgehalt von 5000 fl. das Recht,
eine Beſatzung auf die Burg legen zu dürfen, über—
nahm aber die Verbindlichkeit, dieſelbe im baulichen
Stande zu erhalten, auch blieb der Graf von Zollern
oberſter Befehlshaber. Vergeblich bemühte ſich im Jahr
1668 der große Churfürſt v. Preußen, das Beſatzungs⸗
309
recht auf Hohenzollern zu erhalten; die Oeſterreicher
blieben in ihrem Rechte. In den 1740ger Jahren,
im bairiſchen Kriege, ſtreckte die auf Zollern liegende
Beſatzung vor einem franzöſiſchen Belagerungs-Corps
die Waffen. Erſt im Jahr 1798 wurde dieſes Deffe
nungsrecht von den Oeſterreichern aufgegeben, wodurch
dem Fürſten von Zollern die ſchöne Rente entging.
Wie es am Schluſſe des 18. Jahrhunderts mit dem
Bau der Veſte ſtand, beſchreibt uns der alte ſchon ge—
nannte Meiſter Sepp, im Anhang zum Büchlein von
Graf Fritz dem Oettinger, wenn er vom Jahr 1788
ſagt: „Da ritt ich manchmal gen Hohenzollern, und
erfreute mein Herz an der ſtattlichen und wehrhaften
alten Burg und dankte innerlich dem Neffen des edlen
Oettingers, daß er ſie in allen ihren Theilen ſo herr—
lich wieder erbaut hat.“ Aber in den Waffenſaal
müſſen ſchon damals Plünderer oder große Liebhaber
der Alterthümer gekommen ſeyn, denn an der Rüſtung
des Grafen Joſt Niklas fehlte der linke Handſchuh —
der andere, ſo berichtet Meiſter Sepp, gerieth in
beſſere Hände. — Nach jener Zeit — ſo fährt der
Berichterſtatter fort — als ich ſie wieder ſah, fiel ſie
ganz zuſammen und blieb ſo in Schutt und Graus
liegen, bis in neuerer Zeit Fürſt Hermann Otto von
Hohenzollern es unternahm, mit Hülfe des jüngeren
Stammes von Preußen und des von Sigmaringen,
ſie wieder aufzubauen. — Das war wohl um jene
Zeit, da Preußens edler Friedrich Wilhelm im Jahr
1819 auf einer Pilgerfahrt in das Land ſeiner Vaͤter,
®
310
das ehrwürdige Stammhaus in fo troftlorem Zuftand
ſah. Nicht lange darnach, im Jahr 1823 — alſo
gerade 400 Jahr nach der Zerſtörung der alten Burg
— wurde Anſtalt getroffen, dem weiteren Umſichgreifen
des Ruins vorzubeugen, aber die Vorkehrungen waren
ſo ungenügend, daß ſeit dem die Burg immer weiter
der Zerſtörung verfiel. Der frühere, auf den Grundmauern
des alten Wartthurms erbaute Thurm, ſtammte aus jener
Zeit. Erſt nach dem verhängnißvollen J. 1848 wurde
ein freundlicher Loos der Hohenzoller Burg zu Theil.
Burg und Land fiel an das fo innig verwandte Koͤnigs—
haus. Der edle Monarch kehrte wieder auf der Burg
der Väter ein, und empfing nach alter Sitte von feinen
Vaſallen die Lehenshuldigung. Seitdem legte er von
Neuem die Hand ans Werk, und ließ die Stammburg
wieder aus ihren Trümmern zu neuer Herrlichkeit ers
ſtehen, daß man jetzt mit Recht ſingen mag:
Hohenzoller, du wehrlich Haus,
Wie ſtolz ſchauſt du überaus;
Allum und um im Schwabenland,
Biſt du ob allen Burgen bekannt.
Die Chronikenſage von Graf Friedrich
von Zollern.
Es hat vor vielen Jahren ein Graf von Zollern
gelebt, genannt Graf Friedrich, ſein Weib hat geheißen
Udelhild, eine gottesfürchtige Frau, die nach ihrem
Abſterben von vielen Leuten für heilig iſt geachtet
311
£
worden. Wer ſie von Geſchlecht geweſen, iſt wegen
Länge der Zeit vergeſſen. Dieſer Grafe, nachdem er
etliche Kinder von ſeinem Gemahl bekommen, die er
mehrtheils hin und wieder an der Fürſten Höf, und
einstheils zu ſeinen nächſten Freunden und Verwand—
ten zu erziehen verſchickt, da nahm er ihm für, in die
Heidenſchaft zu reiſen, und weit entlegene Länder zu
erkundigen. Derhalben empfahl er ſeinem Gemahl die
Grafſchaft und was er hatte, ſchied ab von ihr und
ſeinen Unterthanen mit wenig Dienern, kam über Meer;
da iſt er etliche nit wenig Jahr in der Heidenſchaft
umher gezogen, bis ihm zu Letztem feine Diener und
Pferd abgangen, und er alſo unerkannt in großer
Armuth und Mangel leben müſſen. Wie er nun in
feinen größten Noͤthen geweßt, auch nit wohinaus
noch wohinan gewußt, da iſt ein Geſpenſt zu ihm
kommen, das hat ihn in mancherlei Weiſe verſucht,
wie dann der Tauſendliſtig nit ruhen oder feiren kann,
ſondern, von ſeiner boshaftigen Art und Eigenſchaft,
wo er Angſt und Leid oder Unmuth weiß, ſich ein—
miſcht und zuſchlägt. Noch gab der Allmächtige dem
großmüthigen Grafen ſo viel Verſtand und Gnad, daß
er dem Feind in ſeinen Anfechtungen, darin er ihn von
Gott abzuführen ſich unterſtand, widerſtehen konnte.
Letztlich brachte ihm der bös Feind ein Roß mit dem
Bericht, daß ihn ſolches an alle Ort und Ende, dahin
ihn gelüſtet, ohne alle Gefahr ſeiner Seel und des
Leibs in einer Geſchwinde tragen würde (mocht ſich
ſchier des Pacolets Roß vergleichen), jedoch, wenn
®
312
er Abends oder ſonſt unter Tags abſtände, fo ſollt er
das gegen Niedergang der Sonnen abzaumen und ab—
ſattlen, ſo würde er das für und für ſein Leben lang
haben, ja auch die ganze Welt damit durchreiſen kön⸗
nen, wo er aber Solches einmal überſehen, würde er
ſein Roß ewiglichen verloren haben — damit wollt
er ihn gewarnt haben. Was nun der Graf dagegen
hat müſſen dem Geſpenſt verheißen oder leiſten, wie
einſt in ſolchen Fällen gebräuchlich, das iſt unbewußt
und Länge halber der Zeit in Vergeß kommen. Hie—
mit iſt aber der bös Geiſt von ihm abgeſchieden und
hat ihn verlaſſen. Alſo iſt der Grafe noch etliche Jahr
einen weiten Weg mit dieſem Roß gereiſt, jedoch hat
ihn letztlich angefochten, demnach er viel Jahr aus
geweſen, wiederum zu ſeinem Weib und Kindern ſich
zu verfügen. Hiezwiſchen aber hat man ihn wegen
ſeines langen Ausbleibens, und daß man weder Staub
noch Flug von ihm vernommen, gar verſchätzet gehabt.
Sein Gemahl, die Gräfin, hat die Landſchaft weislich
und wohl regiert, ſo ſind auch mittler Zeit die jungen
Herren und Fraͤulein erwachſen, die ſind eins Theils
ausgeſteuert worden, und hat ſich ſeiner Niemand mehr
verſehen gehabt. Indeß hat das wunderbarlich Roß
den Grafen einen weiten Weg getragen, daß er mit
großem Verlangen ſeine Grafſchaft erreicht; da hat er,
daß ſein Weib und Kinder noch im Leben und alle
Sachen wohl ſtanden, heimlichen, ſeitmals er bei
Männiglichen unerkannt, erfahren, darauf eine Botſchaft
ſeiner Hausfrau auf Zollern gethan. Wie derſelbigen
313
das Botenbrod zukommen, ift die gut Frau eilends
ihrem Herrn, den ſie in vielen Jahren nie geſehen,
ſammt etlichen ihrer beider Söhnen und Töchtern für
das Schloß an Berg herab entgegen gangen, und
haben ihn mit großen Freuden empfangen. Der Graf
iſt auch von ſeinem Roſſe abgeſtanden, und hat ſein
Weib und Kinder jeglichen angeſprochen, iſt mit ihnen
hinauf ins Schloß gangen. In dieſen Freuden aber
hat der Graf ſeines Roſſes weiters nit wahrgenommen,
oder auch befohlen, wie man das abzäumen und ab—
ſatteln ſolle, ſondern die Diener habens hinaufgeführt
ins Schloß, ſie ſind aber nit recht mit ihm umgangen,
derhalben ſo iſt das Roß Angeſichts der Diener ver—
ſchwunden, daß ſie nit gewißt, wohin es kommen,
derhalben ſie eilends zum Grafen ihrem Herrn gangen,
und ihm zu Wunder angezeigt, was ihnen mit dem
Roß begegnet. Gleich hat er vermerkt, daß er ſelbs
hieran ſchuldig, und daß die Diener außer Unwiſſen—
heit das Roß verwahrloſet, und wiewohl ihm das in
ſeinem Herzen eine große Beſchwerd, jedoch, ſeitmals
ihm der Allmächtig alſo mit allen Gnaden heimgeholfen,
und der Verluſt des abenteuerlichen Roſſes nit mocht
wiederbracht werden, ſchlug er's außerm Sinn, ſo viel
möglich, und ſprach zu den Dienern: wohlan, wie ich
ihm gethan, es iſt geſchehen, und ſeye damit Gott er—
geben. Darbei iſt es alſo blieben, daß die Diener von
ihm wieder abgeſchieden, und er kein bös Wort dazu
geredet. In wenig Stunden hernach, noch deſſelbigen
Tags, da ſind drei fchöner Jungfrauen in Weißem
e
314
angethan, an das Thor auf Zollern kommen, und fie
von denen Wächtern: was ihr Begehren, und zu wem
fie wöllen? gerechtfertiget, haben fie für den Grafen
perſönlichen begehrt. Wie das dem Grafen fürgebracht
worden, hat er befohlen, ſie unverzüglich ein- und vor⸗
zulaſſen. Als das geſchehen, haben fe vor ihm ſich
geneigt, und hat die eine unter ihnen bekannt: ſie
ſeien Geiſter, die ſeien verflucht, und in Gewalt des
böſen Feinds geweſen, und durch die Wirkung deſſel—
bigen haben ſie drei ihn den Grafen viel Zeit und
einen weiten Weg in der Geſtalt des Roſſes getragen,
und dieweil er aber um den Verluſt des Roſſes nit
ungeduldig geweſt, ſondern Alles Gott ergeben, ſo
ſeien ſie jetztmals aus der teufeliſchen Gewalt erledigt,
und all ihr Marter und Pein abgeſtellt, auch ſie ſtetig
und ewiglichen behalten, da ſie ſonſt bis an den jüng⸗
ſten Tage hätten müſſen von den hölliſchen Geiſtern
geplagt ſeyn. Derhalben ſie ihm fleißig gedankt mit
dem Vermelden, daß ſie den Allmächtigen ewiglichen
für ihn und die Seinen getreulich bitten wollen; und
damit ſind ſie verſchwunden. Dieſer Graf Friedrich
iſt auf ein groß Alter kommen, und nach ſeiner Reiſe
daheim blieben, hat noch etliche Jahr in gutem Frieden
gelebt. Er ſoll zu Stetten im Kloſter begraben ſeyn.
Sein Gemahl hat ihn überlebt, die liegt auch in Stetten.
Solch Frauenkloſter haben dieſer Graf und ſein Gemahl
die Gräfin bei wenig Jahren zuvor geſtiftet, nemlich
anno domini 1259; ſoll vorhin ein Johanniterhaus
315
geweſen ſeyn, welches aber in den . Kriegen
zerſtört und in Abgang kommen.
Der Graf von Zollern und die Wirtem⸗
bergerin.
Zur Zeit Graf Eberhards von Wirtemberg lebte
auch ein junger Graf von Zollern, der Friedrich ge—
heißen hat, und in Krieg und Frieden, in Schimpf
und Ernſt ein braver, geachteter Edelmann war. Jahre
hindurch hatte er ſich als einen treuen Freund des
Grafen Eberhard von Wirtemberg bewieſen, und
war dieſem beigeſtanden in vielen Faͤhrlichkeiten uͤnd
Nöthen. Der Wirtemberger ließ dieſen treuen Freun—
desdienſten auch gebührende Anerkennung zu Theil
werden, und Friedrich ſtand wohl ſeinem Herzen am
nächſten; ſogar ſchien er dem von Zollern oft mehr zu
vertrauen, als ſeinem eigenen Ehegemahl. Dieſer be—
ſondere Vorzug nun, den der Graf dem von Zollern
zu Theil werden ließ, verdroß die übrigen Fürſtendiener,
und befonders auch die geſtrenge Frau Gräfin, Eber—
hards Weib, gar gewaltig. Während aber Frie—
drichs übrige Neider ſich damit begnügten, den edeln
Ritter zu beneiden und ihn zu verfluchen, hegte die
Gräfin ein glühendes Rachegefühl gegen ihn in der
Bruſt, und wartete nur auf eine günſtige Gelegenheit,
ihren Haß gegen den unſchuldigen Friedrich zu be—
friedigen. So lange nun ihr fuͤrſtlicher Gatte lebte,
wollte es ihr nicht gelingen, ihren Plan auszuführen,
®
316
aber er ſtarb plötzlich eines unerwarteten Todes, und
nun wollte ſie den verhaßten Grafen Zollern fühlen
laſſen, daß nun ſie Herr im Lande ſey.
Friedrich war an dem Todbette feines geliebten
Freundes geſtanden, und hatte ihm, während eine ſchöne
Thrane feine männliche Wange benetzte, die Augen
zugedrückt. Als er nun aber der Leiche ſeines Freundes
die letzte Liebespflicht erwieſen und ſie zur Ahnengruft
begleitet hatte, befahl er, in das gräfliche Schloß zu—
rückgekehrt, ſeinen Knappen, ſogleich die Roſſe vorzu—
führen, damit er auf Hohenzollern zurückkehre, indem
er es nicht mit ſeiner Ehre verträglich hielte, einem
ſchwachen Weibe, das jetzt im Lande gebiete, zu ge—
horchen. Sein Befehl wurde vollzogen, und ſchon
wollte der Graf mit den Seinen ſich zu Pferde ſetzen,
als der verwittibten Gräfin Kämmerer aus dem Schloſſe
trat, und ihm ankündigte, er ſolle ſogleich vor der
gnädigen Frau erſcheinen, um gewiſſe Befehle zu em⸗
pfangen. 5
„Was,“ rief der ſtattliche Jüngling, nachdem er des
Kämmerers Auftrag vernommen; „glaubt ihr denn,
ich werde dieſem Befehle Folge leiſten? Mein edler
Freund und Gönner, Herr Eberhard, liegt im kühlen
Schooß der Erde, und nun glaubt das ſtolze Weib
wohl, ich, ein freier Edelmann, werde mir von ihr
Befehle vorſchreiben laſſen. Ich weiß nur zu gut,
welche Ränke ſie gegen mich angeſponnen; ich haſſe ſie,
ich biete ihr Trotz.“
„Bedenkt, edler Herr!“ warnte der Kämmerer.
317
„Was bedenken,“ rief der Ritter, „ich fürchte mich
vor keinem Weibe. Sagt ihr,“ ſetzte er noch hinzu,
indem er ſich in den Sattel ſchwang, „ſagt ihr, Frie—
drich von Zollern werde nie einem Weibe gehorchen!“
Der Kämmerer ging. Friedrich aber ritt mit ſei—
nem Häuflein ſtolz durch Stuttgarts Gaſſen und lang—
ſam zum Thore hinaus, um zu zeigen, wie wenig er
ſich vor den Folgen feiner kühnen Aeußerungen fürchte.
Er pfiff ein freudiges Reiterſtücklein vor ſich hin, und
kam nach einem ſcharfen Ritte in fröhlicher Stimmung
auf feiner ſchönen Stammburg, die noch in unſern
Tagen ihr Haupt ſtolz in die Wolken erhebt, an.
Ein paar Tage waren vergangen, und der Burgherr
ſaß gerade bei einem Humpen trefflichen Weines im
hohen Ahnenſaale, da meldete man ihm einen wirtember—
giſchen Reiſigen, der ein Schreiben an ihn zu beſtellen
habe. „Hm,“ dachte der junge Mann, „ein Liebes—
brief iſt es gewiß nicht; doch wir wollen ſehen, was
mir die Wirtembergerin wohl ſchreiben mag.“
Mit dieſem Gedanken ließ er den Boten herein—
kommen, welcher ihm mit einer ſtummen Verbeugung
ein klein Brieflein überreichte. “Der Graf ließ den
Burgkaplan, vor deſſen Weisheit er viel Achtung hatte,
herbeirufen, um die Schriftzüge zu entziffern, da er
ſelbſt es in der Leſekunſt nicht einmal bis zum ABC
gebracht hatte. Der Pfaffe kam und las dem Grafen
die Botſchaft vor. Dieſe aber lautete ganz kurz und
zwar folgendermaßen:
„Auf dem Schloßplatze unſerer Hofburg in Stutt—
318
gart habt Ihr meiner gefpottet, Herr Graf, ſprechend:
Es wird mich kein Weib verſchlingen! Ich thue nun
aber Euch hiemit kund und zu wiſſen, daß ich allewege
Euch, Eure Veſte, Euer Leben und Euer Gut zu ver—
ſchlingen trachte, ich ein ſchwaches und feiges Weib,
Henriette, Gräfin von Wirtemberg.“
So gegeben zu Stuttgarten in unſerer
Hofburg am St. Simonstag.
„Verſchlingen will ſie mich?“ lachte Friedrich, als
er die Botſchaft vernommen hatte — nun dann muß ſie
allerdings eine ſtarke Eßluſt haben. „Doch Freund,“
fuhr er fort, indem er ſich zu dem Boten wandte,
„trinke hier einen Becher Rheinwein, und dann kehre
zu deiner Gebieterin zurück, vermeldend: So lange noch
Friedrich von Zollern lebe, werde er nie einem
Weibe dienen, und er habe noch einmal vor deinen
Ohren wiederholt, daß er nicht fürchte, von ihr ver—
ſchlungen zu werden.“
Der Bote verließ die Burg und Friedrich ſetzte ſich
wieder ganz ruhig zum Humpen, als wäre nichts vor—
gefallen. Als er aber am andern Morgen in den
Burghof herunterkam, um feine Befehle wegen Bere
wahrung der Burg zu geben, begegnete ſein Blick nur
traurigen Mienen auf den Geſichtern ſeiner Leute.
„Hei,“ rief er, „warum ſteht ihr denn ſo bleich und
traurig, als hättet ihr euer Seelenheil dem Teufel ver⸗
macht? rührt euch! zu Pferde, wir müſſen heute die
Burg mit Lebensmitteln verſehen.“
319
„Hm, Herr,“ ſtotterten Einige.
„Nun was ſoll es?“ fragte der Graf ungeduldig.
„Wir ſtehen ſo betrübt hier,“ entgegnete ihm ſein alter
Leibknappe, „weil es wohl zu ſpät ſeyn möchte, jetzt
Lebensmittel für eine Belagerung aufzutreiben. Denn
ſteigt nur auf die Warte, edler Herr, ſo werdet Ihr
Euch ſogleich von der Wahrheit meiner Worte über—
zeugen.“
Der Graf beſtieg, ſich über dieſe Rede gar ſehr ver—
wundernd, die Warte, und prallte, oben angekommen,
erſtaunt vor dem Anblicke zurück, der ſich unten am
Fuße des Schloßberges darbot. Rings um ſeine Veſte
hatte ſich nämlich bedeutendes Kriegsvolk gelagert, deſſen
weiße Zelten in der Morgenfonne gleiften. Auf einem
kleinen Hügel in der Mitte des Lagers flatterte ſtolz
das Banner von Wirtemberg, und verkündete Frie—
drichen, daß ſeine grimmige Feindin, die Gräfin von
Wirtemberg, bereits angefangen, ihre Drohungen aus—
zuführen. „Bei Lanze und Schwert,“ murmelte der
Graf vor ſich hin, „ſie hat mir ſchon einen Streich
geſpielt, indem ſie meine Burg umſchloß, ehe ich daran
dachte, mich mit Lebensmitteln zu verſehen, und da
Alles auf eine ernſte Belagerung deutet, ſo muß mir
dieſes ſehr unangenehm ſeyn.“
Während er ſo ſprach, wurde ſeine Aufmerkſamkeit
durch einen zweiten Kriegerzug erregt, der, über die
Vorhügel der Alb herunterziehend, ſeiner Burg ſich
nahte. Die Neuankommenden waren beinahe eben ſo
ſtark, als die gelagerten Wirtemberger, und Friedrich
320
rieth hin und her, wer fie wohl ſeyn möchten. Ehe
er noch darüber mit ſich einig werden konnte, rief
ihn ſein Leibknappe in den Ritterſaal hinunter; ein
fremder Bote kündigte ſich ihm als einen vereideten
Reitersmann der Stadt Ulm an, und überbrachte dem
Grafen den Abſagebrief ſeiner Stadt, worin vermeldet
wurde, daß ein hochlöblicher Magiſtrat von Ulm den
Grafen von Zollern befehden wolle mit Schwert und
Feuer, der vielen Unbill wegen, ſo der Graf der freien
Reichsſtadt ſchon zugefügt.
Nun wußte alſo Friedrich, weßwegen der zweite
Heerhaufen vor feine Burg gerückt ſey. Bald vereinig—
ten ſich die Wirtemberger und Ulmer, um mit allen
Kräften ſich der Burg des jungen Grafen zu bemäch—
tigen. Die Gräfin von Wirtemberg, welche ſelbſt im
Lager ſich befand, ſpornte die Ihrigen und ihre neuen
Bundesgenoſſen zur unaufhörlichen Thätigkeit an, doch
nicht unthätiger kämpfte Friedrich den Belagerern ent=
gegen. Er war überall zugegen, wo Gefahr drohte,
und ehe die Lebensmittel in der Burg zu mangeln be—
gannen, konnten ſich die Feinde durchaus keines er—
rungenen Vortheiles rühmen. Aber jener Fall trat
nur zu bald ein. Die Veſte war nur auf einige
Monden mit Mundbedarf verſehen, und als der Graf
durch kühne Ausfälle ſich einige Male wieder aus ſeinen
umliegenden Beſitzungen damit verſorgt hatte, verheerte
der Feind auf Anſtiften der Gräfin ringsum das platte
Land, daß es dem Belagerten keine Lebensmittel mehr
darbieten konnte. Alles weithin glich einer Wüfte,
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321
und der Graf ſchaute traurig hernieder auf feine ſonſt
ſo blühenden Thäler, Wälder und Felder. Dennoch
gab er ſich nicht, und verfolgte ſeine muthige Gegen—
wehr. Aber Keller und Speiſekammer waren leer,
und die Burgleute, welche vor Kraftloſigkeit kaum
noch die Waffen ſchleppen konnten, begehrten, ihr
Gebieter möchte mit dem Feinde unterhandeln, indem
in einigen Tagen er und ſie unfehlbar durch ſchmäh—
lichen Hungertod zu Grunde gehen müßten. Der
Graf aber wollte nichts vom Unterhandeln hören. Als
er aber traurig eines Tages auf der Warte ſtand,
und ſich rings umſchaute, ob wohl gar keine Rettung
mehr möglich ſey, da konnte er ſich nicht enthalten,
vor ſich hinzumurmeln: „Verſchlungen hat ſie doch
mein Gut!“
Am andern Morgen unternahmen die Feinde einen
allgemeinen Sturm, und da die Knappen des Grafen
ihnen ſowohl an Zahl weit nachſtanden, als auch der
Hunger ihre Kräfte aufgezehrt hatte, ſo wurden ſie
Herr der Mauern und Thore. Nur wo Friedrich
kämpfte, konnten ſie lange nicht obſiegen, bis auch
ihm endlich die Kräfte ſchwanden, und er aus vielen
Wunden blutend von einer überlegenen Feindeszahl
gefangen wurde.
Welch ein Jubel verbreitete ſich durch die feindlichen
Haufen, als der Graf gefeſſe t in das Lager der
Würtembergerin geführt wurde. 2 el Ulmer überließen
nämlich den Gefangenen der ſtolze en Gräfin, überzeugt,
daß dieſelbe ſich und ſie ſattſam an ihm rächen würde.
II. N 21
322
Die Gefühle des armen Grafen kann ſich wohl
Jeder vorſtellen, als er blutend und erſchöpft vor
ſeine grimmige Feindin geſchleppt wurde. Er mußte
alle ſeine geiſtigen Kräfte zuſammenraffen, um der
körperlichen Schwäche nicht die Oberhand zu laſſen,
und ruhig und mit Würde trat er vor feine Siegerin,
entſchloſſen, Hohn und Schimpf kaltblütig zu ertragen,
um durch Schweigen ihr zu zeigen, daß er auch in
Banden noch eine verächtliche Geſinnung gegen ſie
hege. Die ſtolze Gräfin trat dem Beſiegten in glänzen—
dem Schmucke entgegen, und ein Strahl der glühendſten
Freude leuchtete aus ihren Augen, als ſie den Mann
gefeſſelt vor ſich ſah, der es gewagt hatte, ihr öffent—
lich Hohn zu ſprechen. Gegen Friedrichs Erwartung
aber begnügte ſie ſich, ihn mit haßfunkelnden Augen
anzublitzen, und kein Wort ging über ihre Lippen.
Er ſtand trotzig und ungebeugt vor ihr, obgleich der
Schmerz ſeiner Wunden ihm die Nerven zuſammenzog.
Endlich lächelte die Gräfin gar argliſtig und höhniſch,
und wandte ſich von dem Gefangenen weg, einer
Schaar von Bewaffneten zuwinkend, die ſich hinter
dem Grafen aufgeſtellt hatte. Die Krieger ſchienen
den Wink wohl zu verſtehen, denn ſie führten den
Gefangenen hinweg, und nachdem ſeine Wunden in
Eile verbunden waren, wurde er auf ein Pferd geſetzt,
es wurden ihm die Augen verhüllt, die Bewaffneten
umgaben ihn von allen Seiten, einer nahm ſein Roß
fort, er wußte nicht wo—
am Zügel uni g
hin. Kaum och Zeit, bevor ihm die Augen
323
verbunden wurden, einen kurzen Scheideblick nach feiner
geliebten Stammburg hinaufzuſenden, und als er das
würtembergiſche Banner auf ihren Zinnen flattern
Jah, ſeufzte er unwillkührlich, und ſprach in duͤſterem
Schmerze vor ſich hin: „Verſchlungen hat ſie nun
mein ſtolzes Schloß.“
Der Graf wurde von ſeinen Begleitern ohne Un—
terbrechung, außer wenn ſie ihm etwa einen Becher
ſchlechten Weines zur Stärkung reichten, fortgeführt,
bis die Nacht am Horizont heraufſtieg und mit dun—
keln Schatten die Erde zu umhüllen begann. Nun
hielt der Zug auf einer Anhöhe; es wurde dem Grafen
die Binde von den Augen genommen, er ſah ſich nun
einem feſten Thurme gegenüber, deſſen ſchwärzliche
Mauern von den hie und da aus dem Gewölke bre—
chenden Mondesſtrahlen ſchauerlich erleuchtet wurden.
Nun verließen aber den Grafen ſeine bisher mühſam
behaupteten Kräfte. Der lange Ritt hatte ihn zu
ſehr angeſtrengt, und er ſank halb bewußtlos vom
Roſſe. Kaum hörte er noch den Anführer ſeiner
Hüter, welcher mit rauher Stimme zu ihm ſprach:
„So, hier in dieſem ſtattlichen Thurme ſollt Ihr jetzt
künftighin wohnen, edler Herr; nehmt Euch aber in
Acht, Euern Spott nicht gegen die ſpröden Eulen zu
richten, die Euch freundſchaftlich Geſellſchaft leiſten
werden; ſie find gar n verſtehen
1 efehen, wie weit
Euch höhnende Reden gebe 0
Als der Graf, der während an. in Be⸗
324
ſinnungsloſigkeit gefallen war, wieder aus feiner Bes
täubung erwachte, fand er ſich in einem dunkeln,
niedrigen Gemache; da nur durch ein eng ver—
wahrtes Fenſterlein eine ſparſame Tageshelle in das
Gewölbe fiel, und er ſich an Händen und Füßen
gefeſſelt fand, auch eine unangenehme Feuchte verſpürte,
und ein leiſes Seufzen neben ſich hörte, das wie
Unkenruf tönte, ſo konnte er nicht lange ungewiß
ſeyn, daß er in einem jener ſchrecklichen Kerker ſich
befinde, in welchen zu damaliger Zeit ſo Mancher
auf elendigliche Weiſe oft Jahre lang vegetirte, denn
leben kann man wohl das Fortbeſtehen eines menſch—
lichen Geſchöpfes in ſolcher Lage nicht nennen. Ein
Schauder überfröſtelte den kranken Körper des Ge—
fangenen, und drang mit eiſiger Kälte tief hinein in
ſeine Seele, als er zur vollen Ueberzeugung ſeines
entſetzlichen Schickſales gekommen war. Er bezwang
ſeine Schwäche und erhob ſich von dem ärmlichen
Strohlager, auf dem er bei ſeinem Erwachen gelegen,
um durch nähere Unterſuchung ſeines Aufenthaltsortes
ſich zu überzeugen, daß dieß Alles kein Traum ſey,
und ob Menſchen ihn wirklich ſo grauſam behandeln
könnten. Die Unterſuchung aber führte ihn nicht
weiter, als zu der peinlichen Gewißheit ſeines trauri—
gen Looſes, und hatten ihm auch ſeine Körperſchwäche
und die Schmerzen ſeiner Wunden erlaubt, eine Zeit
Stel zu bleiben, ſo duldeten dieſes
die ſchweren 15 cht, welche ſeine ermatteten
Glieder wieder auf das elende Lager niederzogen. Ein
“rt *
325
Heer düſterer Gedanken umfluthete nun Friedrichs
Seele, und gewiß ein minder kräftiges Gemüth hätte
dieſe ſchweren Schickſalsproben nicht ausgehalten, ſon—
dern wäre untergegangen in Nacht und Wahnſinn.
Er, immer gewöhnt, ſich keine Freiheit zu verſagen,
ſollte hier, umfangen von Kerker und Feſſeln, ſeine
Tage hinſchleppen. Nimmer war es ihm vergönnt,
an der Spitze ſeiner braven Vaſallen, auf muthigem
Hoffe zur männerregenden Feldſchlacht zu ziehen. Hier
ſollte er liegen und vermodern in Unthätigkeit, in
Körper⸗ und Seelenleiden. Er bekam kein menſch—
liches Weſen zu ſehen in ſeiner ſchaurigen Einſamkeit.
Durch eine kleine eiſerne Fallthüre, die oben in dem
Gewölbe angebracht war, wurde ihm täglich ſeine
ſpärliche Koſt, ſchlechtes Brod und Waſſer, an einem
Seile herniedergelaſſen. Seine einzige Geſellſchaft war
der Sturmwind, der Nachts um ſeinen Kerker heulte,
und eine Eule, die außerhalb des Fenſterleins ſeiner
Zelle ihre Wohnung aufgeſchlagen hatte, und durch
ihre nächtlichen Klagetöne gleichſam des Gefangenen
Seelenſchmerz äußerte. Anfangs hatte der Graf noch
eine Hoffnung in ſich erhalten, daß ſeine Feindin ſeine
Gefangenſchaft nicht allzulange würde dauern laſſen,
aber in dieſer Hoffnung betrog er ſich ſehr. Die
Gräfin hatte beſchloſſen in ihrem Grimme, nicht eher
ſollte der Gefangene das Tageslicht wieder ſchauen,
als bis ſie hinabgeſunken wär Br in die Gruft. Und
als nun der Gefangene jede Hoffnung, ſeine Freiheit
wieder zu erlangen, ſchwinden ließ, fand er einigen
326
Troſt darin, feiner Feindin keine Wohlthat verdanken
zu müſſen. Wenn er an jenes höhniſche Lächeln dachte,
womit ſie ihn zur ewigen Gefangenſchaft verurtheilt
hatte, ſo glaubte er eine Art von Beruhigung darin
zu finden, ſich niemals vor dieſem Weibe gebeugt zu
haben, und auch ferner keine Wohlthaten von ihr
empfangen zu müffen. Er ſtärkte ſtch mit edlem
Gleichmuth und lebendigem Vertrauen auf den Ewigen,
der auch durch Kerkernacht ſeine milden Hoffnungs—
ſtrahlen auf das Haupt des duldenden Unglücklichen
fallen laſſen kann.
So verbrachte er in ſeinem Kerker lange Jahre.
Da raſſelte eines Tages die Eifenthüre und herein
traten zwei Geſtalten, die den Grafen raſch entfeſſelten
und ihn hinaufleiteten aus dem Reich der Finſterniß
in's reine, volle Tageslicht. Geblendet ſchlug Frie—
drich die Augen nieder. Ihm war, als tauche er aus
einem düſtern Labyrinth voll Finſterniß und Graus
empor in eine höhere, ſchönere 3 Endlich ver—
mochte er allmählig hinauszublicken in das Reich des
Lichtes und Friſche. Da lagen ſie vor ihm die Auen
und Wälder, ſo grün, ſo blühend, wie ehemals, und
er war geworden ſo alt. In wenigen Jahren hatte
ſich ſein jugendliches Geſicht in tiefe Falten gelegt,
ſein Haar war grau geworden, und ein langer, weißer
Bart floß ihm bis zur Hüfte hinab.
Aus den Gedanken, in welchen ihn die Empfindungen
zwiſchen einſt und jetzt verſenkten, weckte ihn eine be⸗
kannte Stimme. Er ſah ſich um, und ſiehe da, ſein
327
alter Leibknappe kniete vor ihm und blickte mit thrä—
nendem Blick zu dem geliebten Herrn auf. Dieſer
aber, verſtehend des treuen Dieners Zähre, hob ihn
auf, und ſprach wehmuͤthig lächelnd: „Verſchlungen
hat ſie mein Leben.“ — Dann fragte er, wie er
hieher komme?
»O Herr,“ erwiederte der alte Knappe, „das grimme
Weib iſt endlich todt, und Ihr ſeyd frei. Eure Burg
gehört wieder Euch und ich habe Eure getreuen Va—
ſallen hieher geführt, um Euch im Triumphe auf
Euer Stammſchloß zu geleiten.“
Während der alte Knappe ſo ſprach, war ein reiſiger
Zug in gleißenden Harniſchen, das Banner der Grafen
von Hohenzollern in ſeiner Mitte, vor dem Gefäng—
nißthurme aufgeritten. Zwei Edelknaben führten dem
Grafen ein auserleſenes Schlachtroß vor. Zwei andere
kleideten ihren wiederbefreiten Gebieter mit ritterlichem
Gewande. Einen dankenden Blick warf der Graf gen
Himmel, als er wieder ſeine treue Wehr umgürtete;
dann ſchwang er ch auf's Roß, und ſprach ernſt
und feierlich: „Verſchlungen hat jenes Weib, wie ſie
gedroht, mein Gut, mein Schloß, mein Leben; aber
ſie hat mir mich ſelbſt, meine beſſere Kraft nicht ent—
reißen können, und ich fühle jetzt wieder eine Lohe
des alten Muthes meine Adern durchglühen. Aber
auf Hohenzollern kehre ich nicht wieder zurück. Dif
Bilder meiner Ahnen würden daſelbſt mit Zorn aue
mich herabblicken, der ich nicht im Stande war, ihre
Gruft und das Haus, welches ſie ihren Enkeln erbaut,
®
328
vor feindlicher Entehrung zu ſchützen. Wer mir folgen
will, der nehme Schwert und Schild, ich ziehe nach
Paläſtina in Gottes Fehde, einer heiligen Sache will
ich fortan meine noch übrige Kraft weihen!“ So
ſprach der Graf, und ſeine getreuen Vaſallen ſchlugen
klirrend die Waffen zuſammen, rufend: er möge ſie
führen, wohin er wolle, ſie würden nie zurückbleiben.
Ohne weitere Fährlichkeiten gelangte Friedrich mit
den Seinigen nach Paläſtina, und die alte Kraft
ſchien ihn wieder zu beleben, als er das heilige Land
betrat. In allen Schlachten gegen die Unglaubigen
wehte ſein Banner in den vorderſten Reihen der Käm—
pfenden, und wo Gefahr war, da war gewiß der Graf
von Zollern und ſein alter Leibknappe zu finden.
Beim Sturme auf Jeruſalem waren die beiden unter
den Erſten auf den Mauern; und als die Stadt ganz
in der Gewalt ſich befand, wallfahrtete der Graf de—
müthig zum Grabe des Heilandes. Dort verrichtete
er inbrünſtig ſein Gebet, und dankte Gott für die
Gnade, ihn aus dem Kerker befreit, und ihm vergönnt
zu haben, hier ſeinen Dank in Demuth darzubringen.
Als er aber ſich von den Knieen erhoben hatte, über—
zog Todesbleiche ſein Antlitz, und er ſank dem treuen
Leibknappen in die Arme. Seine Augen wurden ſtarr,
ſein Blut ſtand ſtill, und kaum konnte er noch, ehe
der Tod ihm an's Herz trat, mit bleichem Munde
leiſe murmeln: „Verſchlungen hat ſie nun auch mich!“
329
IX.
Arnegg und Niedegg
im Blauthal.
Faſt in der Mitte zwiſchen dem Urſprung der Blau,
dem Blautopf bei Blaubeuren und der Stadt Ulm,
liegt auf der rechten Seite der Blau das Pfarrdorf
Arnegg, und über demſelben auf einer Anhöhe Burg
Arnegg, der Sitz einer ehemaligen Herrſchaft dieſes
Namens. Sie war früher von bedeutendem Umfang,
mit mehreren Nebengebäuden verſehen, und mit einer
großen Ringmauer eingefaßt. Von der ganzen Burg
iſt nichts mehr übrig, als ein bürgerliches Wohnhaus,
welches freilich keinem Schloſſe mehr gleich ſieht.
In alten Zeiten ſchrieben ſich eigene Edelleute von
Arnegg, aber fie müſſen ſchon frühe ausgeſtorben ſeyn.
Schon in der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts
war die Burg und Herrſchaft in anderen Händen,
denn im Jahr 1338 kaufte Graf Ulrich von Wirtem—
berg von Conrad Sefler die halbe Burg und halbe
Herrſchaft um 1850 Pfund Heller; die andere Hälfte
kam ſpäter an die Grafen von Wirtemberg und zwar
von Hans von Stein, der ſie von Ulrich Sefler, ei—
nem Bruder des genannten Conrads, erworben hatte.
Im Jahr 1470 verkauften die Grafen Ulrich V. und
ſein Sohn Eberhard „Arneck das Burgſtall und das
*
330
Dorf darunter, und die Mühle in demſelben u. ſ. w.“
an Wilhelm von Stadion, an den die Herrſchaft be:
reits verpfändet war, um 6300 fl. Demnach muß
die Burg ſchon vor 1470 von den Ulmern zerſtört
geweſen ſeyn, da fie in der Urkunde ein Burgſtall
heißt. Bei der Familie von Stadion blieb Burg und
Herrſchaft ununterbrochen. Nur im Jahr 1657 hatte
Eitel Ludwig von Stadion mit einem gewiſſen Ni⸗
cola de Heures um den Beſitz zu ſtreiten. Derſelbe
nannte ſich Obriſtlieutenant und Herr auf Arnegg,
und hatte ſich wohl in den Wirren des dreißigjährigen
Krieges eigenmächtig in die Herrſchaft immitirt. Im
Jahr 1700 verkaufte Johann Philipp von Stadion
Burgſtall und Herrſchaft Arnegg an den Landeommen—
thur Deutſchordens zu Altshauſen für 110,000 fl.
Im Jahr 1704 wurde Arnegg von Herzog Eberhard
von Wirtemberg nur auf kurze Zeit beſetzt. Im Jahr
1806 kam die Herrſchaft mit Altshauſen an Wirtem—
berg. Schon vor der Beſitznahme durch Wirtemberg
war ein Theil des Schloſſes abgebrochen worden, der
andere Theil wurde im Jahr 1808 verkauft und mit
Ausnahme des gedachten Wohnhauſes vollends abge—
tragen. |
Hinter Arnegg ſtand in alten Zeiten auf einem
hohen Felſen die Burg Niedegg. Es muß eine
geräumige und feſte Burg geweſen ſeyn, als ſie im
Jahr 1480 von den Ulmern zerſtört wurde. Zur
Sühne für die Zerſtörung ſollten die *
den Ruinen der Burg dem heil. Nicolaus eine Kapelle
*
331
erbauen und eine ewige Meſſe ſtiften. Ob fie es.
gethan haben, iſt nicht weiter geſagt. Im Jahr 1826
ſtanden noch bedeutende Steinwände und Mauern von
der Burg Niedegg, ſeit neuerer Zeit ſind die Ruinen
immer geringer geworden.
Die Burgen Arnegg und Niedegg gehörten einſt
einem und eben demſelben Beſitzer. Einer der letzteren
Herren ſoll ſie unter ſeine beiden Söhne vertheilt
haben. Vom Haß dieſer Brüder hat'ſich eine traurige
Sage erhalten.
Der Geiſt des Junkers auf Niedegg.
Lange lebten die beiden Brüder im Frieden neben
einander, Diether auf Arnegg, Hugo auf Niedegg.
Da entdeckte eines Tages ein Mönch aus dem Kloſter
Blaubeuren dem Ritter auf Arnegg, daß ſein Bruder
nicht der rechtmäßige Sohn des verſtorbenen Vaters
geweſen, ſondern die Frucht heimlicher und fündlicher
Liebe, die ein Kloſterbruder aus Blaubeuren zu dem
Eheweib des alten Herrn von Arnegg gefaßt, wie
dieſe ihm auf dem Todtenbette gebeichtet. Im hefti—
gen Ungeſtümm fuhr bei dieſer Kunde Diether auf.
Nimmer länger wollte er mit einem Baſtard des
Vaters Guter theilen. Er verſammelte alle feine
Knechte und verband ſich mit einem benachbarten
Freunde, um ſeinen Stiefbruder aus ſeinem Erbe zu
verjagen. Aber dieſer wehrte ſich männlich, und ob
er zwar der Hebermacht weichen mußte und das Meiſte
ee
332
an feinen Gütern und Forſten verlor, fo behauptete
er doch fein feftes Adlerneſt und was im Bereich
ſeiner Armbruſt rings herum lag. Es mochte ein
Jährlein ſeit dieſem Bruderzwiſt abgelaufen ſeyn, da
feierte Diether auf ſeines Schloſſes Altane an einem
warmen Herbſtabend, mit einer großen Anzahl Gäſte,
die Vermählung ſeiner Tochter Ida mit einem Edlen
von Spät. Luſtig ſchmetterte der Trompetenſchall
herüber über DA enge Thal und brach ſich an den
Mauern der Burg Niedegg, und weithin ſchallte der
fröhliche Geſang der Gäſte, welchen die ſchöne Braut
den Wein kredenzte. Bei dieſem Anblick ſchwoll Hugo
die Zornesader auf der Stirne, und wild ſchritt er
in ſeinem Gemache auf und ab. Endlich rief er in
höchſter Wuth: ha! dieſer Jubel, der vom Söller und
von der Altane mir wie zum Spott herüber klingt — bei
allen Heiligen! er ſoll zur Stunde ſich in Trauer
verwandeln. Damit griff er zu ſeiner Armbruſt und
eilte auf die Spitze ſeines Thurmes. Kaum vermochte
er die Wehre zu ſpannen, als er ſich gegenüber die
Feſtlichkeiten überblicken konnte — aber er nahm alle
Kraft zuſammen, und ſein ſtilles Auge ſuchte ſich ein
Opfer für ſeinen Todesbolzen aus.
Dort ſtund ſie die ſchöne Ida mit ihren blonden
Locken und dem madonnengleichen Antlitz, in einem
weißen Gewande, das ſich anmuthig um ihre Glieder
ſchloß. Ein blauſammtnes Mieder hielt ihre Bruſt
umſpannt, über welches ſich ein breiter Spitzenkragen
herauslegte. Sie hatte ſich eben von ihrem Sitze
333
neben ihrem Bräutigam und Vater erhoben, um mit
den nebenanſitzenden Gäſten ein freundliches Wort zu
reden, und bot dem rachedürſtenden Junker auf Niedegg,
der hinter den Zinnen ſeines Thurmes hinüberſpähte,
ihre ganze Geſtalt dar. Da ſtand fie — und jen—
ſeits der Geiſt der Rache, der keinen Augenblick zögerte,
ſein teufliſches Werk auszuführen, ja von der Schön—
heit der Braut nur noch mehr hingeriſſen wurde,
ſeinem Bruder die Pein der Hölle zu bereiten. Wie
ein Jäger auf der Bürſche, wenn ihm ein edles Wild
anläuft, fuhr er mit der Armbruſt an den Backen,
zielte auf die Bruſt ſeines Opfers — der Bolzen
ſchwirrte hinüber. Aber nicht die Jungfrau traf der
Schuß, ſondern Diether ihren Vater, der im nem—
lichen Augenblicke ſeinen Sitz verlaſſen hatte, und an
ſeinem Kinde mit einem Pokal in der Hand vorüber
eilen wollte, um einen neuen Gaſt zu begrüßen. Der
Pfeil war ihm mitten ins Herz gefahren und mit
einem lauten Schrei ſank er in die Arme ſeiner Tochter.
Woher der Schuß gekommen, das war kein Geheim—
niß, denn frohlockend ſchallte des Junkers Stimme
herüber: das iſt mein Hochzeitsgruß, geſegne ihn Euch
die Hölle! |
So war das Haus der Freude in das Haus der
Trauer umgewandelt, doch ſollte es nicht unvergolten
bleiben. Gleich nach der Beſtattung des Ermordeten
rückte der Gemahl ſeiner Tochter, Ritter Spät, mit
ſeinen Leuten hinüber und belagerte die Burg des
Mörders. Nach langem Widerſtand wurde ſie erobert
334
aber der, den fie ſuchten, entfloh durch einen unters
irdiſchen Gang und zog ins Ungarland, woher er
nimmer zurückkehrte. Aber ſein Geiſt hatte mit dem
Tode in der Fremde keine Ruhe gefunden. Nach der
Sage ſoll alle vier Wochen im Neumond auf den
Trümmern Niedeggs, wo einſt der Wartthurm ſtand,
eine Geſtalt erſcheinen und mit einer Armbruſt einen
Schuß thun nach der Veſte Arnegg hinüber. Zuerſt
hebe ſich die Geſtalt rieſengroß und beuge ſich wie
über die Zinnen eines Thurmes, dann lege ſie eine
Armbruſt an. Ein feuriger Pfeil fliege dann über
das Thal und wenn er erlöſcht, dann wimmere es
noch eine gute Weile, und zuletzt ſtöhne und ächze es
ſchwer und die Geſtalt löſe ſich in Luft auf.
X.
Die Marienkirche
zu Reutlingen.
Die Frauen- oder Marienkirche in der uralten,
ehemaligen Reichsſtadt Reutlingen, ausgezeichnet vor
vielen andern durch Gewerbsfleiß, iſt wohl eines der
wenigen vollendeten altdeutſchen Baudenkmale in un—
ſerem wirtembergiſchen Vaterlande. Sie iſt im reinſten
gothiſchen Style, aus gehauenen Quadern, gebaut.
335
Der Hauptthurm an der Abendſeite hat eine Höhe
von 255 Fuß, und zeigt vom Hauptportal an, das
unter dem Thurm ſich öffnet, die noch unvermiſchten
Formen des reinſten gothiſchen Styls, bis zu den
Fenſtern mit halbrunden Bogen und den beiden Kranz—
geſimſen, die ſich mit ihren feingearbeiteten Thürmchen
bis an die Engelsfigur hin erſtrecken. Neben dem
Hauptportal ſind noch zwei Portale von beinahe gleicher
Größe. Alle drei haben im Thürſturz in der ſpitz
zulaufenden Krönung ſchönes gothiſches Maaswerk.
Ueber den drei Thüren hin zieht ſich das erſte Kranz—
geſims mit ſchöner gothiſcher Füllung. Auf der Oſt—
ſeite, zu beiden Seiten des ziemlich niederen Chors,
ſtehen zwei Thürme von einfacher Bauart, die aber
mit der Bauart des Hauptthurms, wie der einfache
Chor mit dem Schiff der Kirche im ſchönen Einklang
ſteht. Auf zwölf Eckpfeilern mit Giebelthürmchen
ſtehen die kunſtreich gehauenen Statuen der zwölf
Apoſtel in Lebensgröße. Treten wir in das Innere
der Kirche, ſo wandeln wir im Schiff derſelben, unter
einem zierlich geſprengten Gewölbe, welches von 16
achteckigten ſteinernen Säulen getragen wird. Unſre
Aufmerkſamkeit richtet ſich vor Allem auf den Tauf—
ſtein und das ſogenannte h. Grab. Der erſtere iſt
in gothiſchem Style gearbeitet und bildet ein Achteck.
Auf ſeinen Feldern befinden ſich ſinnreich componirte
Basreliefs, welche die Taufe Chriſti durch Johannes
und die ſieben Sakramente vorſtellen. Das Werk
ſtammt laut der Inſchrift aus dem Jahr 1499.
336
Ebenfalls ein Werk aus dem 15. Jahrhundert, von
ſeltener Schönheit, ja faſt einzig in ſeiner Art, iſt
das ſogenannte heil. Grab, in dem nemlichen feinen
hellgrauen Sandſtein wahrſcheinlich von demſelben
Meiſter gearbeitet. Es ſollte wohl urſprünglich einen
ſymmetriſchen Gegenſatz zu dem Taufſtein bilden,
denn ohne Zweifel ſtand daſſelbe an der linken Seite
des Chors an der Sakriſtei. Indem man es an den
Eingang im Seitenſchiff links verſetzte, wo es ſich
jetzt befindet, brach man eine Hälfte feines pracht⸗
vollen Kranzes ab, um darüber hinweg eine Treppe
auf die Emporkirche zu führen, und auch andere
Stücke am oberen Theil des Werks, beſonders an den
Thürmchen, ſind abgebrochen, doch noch großentheils
erhalten. Die vier oberen Figuren, Daniel, Abakuk,
Elias und Jakob, die wir über dem Kranze zwiſchen
fünf Thürmchen wahrnehmen, ſind nur aufgeſetzt, ohne
architektoniſchen Verband, und ihre urſprüngliche Reihen
folge iſt ungewiß. Im mittleren Thürmchen ſteht der
auferſtandene Chriſtus mit der Siegesfahne, über dem
Chriſtuskopf mit Schweißtuch, das zwei Engel halten
als Sieger über Leiden und Tod. Hinter dem Grabe,
über dem ſich der Kranz hinzieht, ſteht der Evangeliſt
Johannes mit den drei Marien, ausgezeichnete Figu—
ren von unbeſchreiblicher Anmuth. Unten am leeren
Grabe, um das ſich ein ſchönes Ornament zieht, er—
blicken wir im Bruſtbild unter ſchönen gothiſchen
Bogen die Apoſtel Bartholomäus, Andreas und Mat:
thäus mit ihren Emblemen. Rechts und links am
337
Grabe liegen zwei eben aus dem Schlaf erwachende
Wächter mit Mützen auf dem Kopfe. Der eine hat
den Griff ſeines kurzen Schwertes gefaßt, der andere
hält neben ſeinem Schwerdte eine Waffe, die einen,
Kolben wie von einer Büchſe hat. An den Seitenpfeilern
ſcheinen über den Conſolen kleine Figuren zu fehlen,
wenn nicht vielmehr angenommen werden muß, daß
hier am Oſtermorgen kleine Lichter brannten. Auch
auf den vier Eckpfeilern des Kranzes ſind Figuren
von kleinerem Maaßſtab in der Mitte, wie gegen
oben, angebracht. Es ſind chriſtliche Heilige und
Märtyrer, darunter die h. Dorothea, Apollonia, eine
Heilige mit einer Kerze u. ſ. w. (Treffliche Abbil—
dungen dieſes heil. Grabes, ſo wie eines Detailbilds
aus dem Kranze, gezeichnet von Prof. Eberlein,
finden ſich in den Heften des Wirtemb. Alter—
thums vereins.) — Noch iſt in der Kirche ein Stück
von dem Sturmbock aufbewahrt, an den ſich die
Geſchichte der Erbauung der Marienkirche anknüpft.
Als im Jahr 1247 Heinrich Raſpe, genannt der Pfaffen—
könig, weil Pabſt Innocenz IV. ihn gegen den Staufer
Friedrich II. zum deutſchen König gewählt hatte, die
ſtaufiſch geſinnte Stadt Reutlingen belagerte und zur
Uebergabe aufforderte, da antworteten die Abgeſand—
ten der Reutlinger: „der dem Kaiſer geſchworene Eid
bleibt uns, trotz päbſtlicher Löſung deſſelben, ein
heiliger, und wir geloben, der Jungfrau Maria eine
Kirche zu bauen, wenn wir aus den Händen des
angeblichen Kenigs befreit werden.“ Die Bürger ließen
II. 22
338
es nicht bei Worten, ſondern fielen mit gewappneter
Hand heraus, richteten eine große Niederlage an, und
der Pfaffenkönig wurde gezwungen, die Belagerung
aufzugeben. Der Sturmbock, den die Feinde ver—
gebens gegen die Mauer gerichtet hatten, blieb im
feindlichen Lager zurück, und wurde von den Reut—
lingern in die Stadt gebracht. Er hatte eine Länge
von 126 ½ Werkſchuhen. Ein Reutlinger Reim:
chroniſt, Fizion, der noch im Jahr 1623 lebte und
ihn geſehen, beſchreibt ihn alſo:
Ein wunderbarlich ſeltſam Ding,
Da vornen beſchlagen alſo feſt
Mit einem Schnabel uf das beſt.
Er hatte 74 Ringe, mit denen er in Bewegung ge—
ſetzt werden konnte. Der Sturmbock wurde nunmehr
das Längen-Maaß der der heil. Jungfrau gelobten
Kirche, nemlich des Schiffes der Kirche. An der Stelle
der Kirche ſtand wohl in alten Zeiten eine kleine
Capelle. Dieſelbe wurde beim Bau der neuen Kirche
nicht abgebrochen, ſondern iſt dem Haupttheile nach
geblieben, wie denn noch jetzt in der öſtlichen Ecke der
Reſt einer Capelle vorhanden iſt, welche in Beziehung
auf Bauart älter als die Kirche erſcheint; dieſe Reſte
der alten Capelle wurden in den Bereich der neuen
Kirche gezogen. Noch im Jahr 1403 iſt von einem
Catharinenaltar in der alten Triſtkammer (Schatz—
kammer) neben der Frauenkirche, die zur Aufbewahrung
der Altergeräthe beſtimmt war, die Rede. Die Kirche
339
wurde im Jahr der aufgehobenen Belagerung ange:
fangen, denn noch vor dem großen Brande im Jahr
1726 war auf einem uralten ſteinernen Hauſe unter—
halb der Kirche ein Brod von 11 Zoll Durchmeffet
in Holz abgebildet, zum Danke gegen Gott, daß zur
Zeit der Erbauung der Kirche ein ſolches nur einen
Pfennig gekoſtet. Zugleich war darauf berichtet, daß
die Kirche im Jahr 1247 begonnen und im Jahr
1318 vollendet worden. Sie wurde alſo, wie auch
der ſchon genannte Fizion berichtet, in einem Zeit—
raum von 70 Jahren ſo weit vollendet, daß ſie dem
Gebrauch übergeben werden konnte. Das ſchöne Werk
In 70 Jaren ward vollend
vnd ufgefieret bis zum End.
Schon im Jahr 1320 ſtiftete ein gewiſſer M. Sein:
rich, genannt von Rutelingen, einen Altar in der
Capelle der heil. Maria zu Rutelingen, zu einer fort—
dauernden Meſſe und dotirte ihn mit 16 Pfund
Heller. Bis zum Ausbau der Kirche und ihrer in—
neren Verzierung mögen dann auch noch 26 Jahre
verfloſſen ſeyn, und ſo können wir auch eine andere
Anſicht gelten laſſen, daß 96 Jahre auf den Bau
der Kirche verwendet worden feyen. Uebrigens muͤſſen
die Gaben beim Bau der Kirche ſehr reichlich ge—
floſſen ſeyn, denn es ſoll nach Vollendung des Baus
noch ſo Viel an Geld übergeblieben ſeyn, daß die
Marienkirche im nahen Bronnweiler noch davon ge—
baut werden konnte. — Wie milde und gutthätig waren
0 ®
340
unſere Vorfahren, wenn es darauf ankam, dem Herrn
ein Haus zu bauen — wie ganz anders in jetziger
Zeit! Nach alten Berichten, die von Mund zu Mund
gingen, muß die Ausſtattung der Marienkirche eine
prächtige geweſen ſeyn. Zwei Orgeln waren in der—
ſelben angebracht. Ueber der Kanzel war ein höchſt
kunſtreicher Deckel, und auch über dem Taufſtein be⸗
fand ſich ein ähnlicher von feinvergoldeter (wohl ge—
triebener) Arbeit. Auch andere Alterthümer von hohem
Werthe gereichten ihr zur Zierde. Auf dem Haupt-
thurm befanden ſich fünf Glocken, deren größte 90
Centner wog. Der eine der hinteren Thürme, der
grüne Thurm genannt, ragte mit ſeiner höchſten Spitze
bis an den oberen Umlauf des Hauptthurms, der
andere, genannt der Pfennigthurm, obgleich etwas
niederer, gab dem andern an Schönheit Nichts nach;
in beiden hingen noch vier Glocken. — Eine beſondere
Merkwürdigkeit der Kirche war auch der daſelbſt auf—
gehängte Sturmbock, welcher als ein ewiges Sieges—
zeichen in der Gott gelobten Kirche prangen ſollte.
Er blieb 270 Jahre, bis 1517 in derſelben, an ei—
nem Platze, welcher der Bocksſtall hieß. Da hatte
der öfter in Reutlingen einfehrende Kaiſer Maxi⸗
milian I, den Bürgern der Stadt gerathen, den
Sturmbock, der als ein kriegeriſch Werkzeug nicht in
die Kirche tauge, zu entfernen. Auf dieß wurde der
Sturmbock aus der Kirche geräumt. Da aber die
Kirche überall mit Häuſern umzingelt war bis auf
die Oſtſeite, ſo wurde im Chore ein beſonder Loch
341
oben in die Mauer gebrochen, und der Bock in die Pfarr:
gaſſe hinausgeſchoben. Wo er von nun an aufbewahrt
wurde, iſt nicht berichtet. Er lag 46 Jahre ander—
wärts, bis er auf Befehl Kaiſer Ferdinands I. auf den
Marktplatz gebracht, und über den ſteinernen Bögen
am Rathhaus aufgehängt wurde, und zwar überzwerch,
auch um 12 Schuh verkürzt. Eine dabei angebrachte
Inſchrift in lateiniſcher und deutſcher Sprache lautete
alſo: „Als da regierte der Durchlauchtigſt, Großmäch—
tigſt, Unüberwindlichſt Römiſche Kaiſer Ferdinand der
Erſte, alle Zeit- Mehrer des Reichs, König in Ger—
manien, Ungarn und Böheim, Infant in Hiſpanien,
Erzherzog in Oeſterreich, Graf zu Tirol, ließ ein ehr—
ſamer weiſer Rath und Gemeind zu Reutlingen dieſen
alten Sturmbock, damit er in der Nachkommenden
Gedächtniß nicht verfiele, an dieſes neue Rathhaus
hie öffentlich anhenken im Jahr nach Chriſti Geburt
1563.“ Im Brandunglück vom Jahr 1726 wurde
auch dieſer Sturmbock ein Raub der Flammen, und
nur ein Stück davon wurde gerettet, das ſpäter wie—
der in die Kirche gebracht wurde, die zur ſelben Zeit
gleichfalls beinahe vernichtet wurde. Am Abend des
verhängnißvollen 24. Septembers war auch die Kirche,
und zwar der Thurm über der Glockenſtube, in einer
Höhe von 180 Fuß von den Flammen ergriffen, und
bald fingen die Glocken von ſelbſt ihr eigenes Grab—
geläute an. Abwärts im Thurm verbreitete ſich ſofort
das Feuer und brannte ihn ſo aus, daß man vom
Boden bis oben hinauf ungehindert blicken konnte.
342
Alles was brennbar war in der Kirche, mit Aus—
nahme der Stühle in der Taufkapelle, wurde von den
Flammen vernichtet; ſogar die ſchönen zierlich ge—
wundenen und ausgehauenen Pfeiler, welche die Ge—
wölbe trugen, wurden vom Feuer angefreſſen. Und
doch iſt der herrliche Bau, wenn auch nach Innen
verwüſtet, im Aeußern ſo weit erhalten worden, daß
er von ſeiner altehrwürdigen Phyſtognomie Nichts ver—
loren hat. Ein halbes Jahr nach dem Brande legte
man die erſte Hand an die Wiederherſtellung des
Thurms, den man zuvor wegen ſeiner Baufällig—
keit hatte wollen mit Kanonenkugeln zuſammenſchießen.
Ein junger Steinhauer, Namens Rupp aus Schwein:
furt, unternahm es zuerſt, zur Herſtellung des hart
beſchädigten Kirchthurms Vorſchläge zu, machen, und
half fie ausführen. Seitdem iſt durch feinen kundi—
gen Enkelſohn, Hrn. Bauinſpektor Rupp, Erbauer der
Burg Lichtenſtein, ſo Viel für Wiederherſtellung der
ſchönen Marienkirche geſchehen, daß nur noch zu wün—
ſchen übrig bleibt, es möchten auch die Alterthümer
der Kirche, vor Allem die heil. Grabkapelle, unter
ſeiner klugen Leitung reſtaurirt werden.
Der Sturmbock von Reutlingen und
die Gründung der Marienkirche.
Es war ein heißer Vormittag im Sommer des
Jahres 1247, an welchem die Rathsſitzung in der
Stadt Reutlingen beendigt war, auf die Kunde, daß
343
der Landgraf Raſpo von Thüringen in Nürtingen
mit ſeinem Heere eingerückt ſey, und vielleicht am
nächſten Tage vor den Thoren der Stadt erſcheinen
werde, um ſich als Kaiſer huldigen zu laſſen. Ein
großer Theil der Rathsherren ſtimmte dafür, den
Landgrafen als Kaiſer anzuerkennen, und beſonders
der jüngere Bürgermeiſter, Johann Kalbfell, hatte eine
lange Rede gehalten, worin er zur Unterwerfung der
Stadt gerathen. Bedenket, ſprach er, daß die Zeiten
vorüber ſind, wo Kaiſer Friedrich der Staufer von
allen Fürſten und dem Pabſt zu Rom als Kaiſer
hochgeehret ſtand. Schon vor 20 Jahren hatte ihn
der Pabſt in den Bann gethan und den Kaiſerthron
für erledigt erklärt, weil derſelbe ſeinen Schwur ge—
brochen, als Streiter nach dem h. Grab zu ziehen.
Zwar iſt ihm wieder verziehen worden, aber als er
dem Pabſt die Inſel Sardinien vorenthielt, auf welche
der h. Vater Anſpruch machte, da ſchleuderte dieſer
wieder den dreimaligen ſchrecklichen Kirchenfluch auf
den Kaiſer, ja er predigte einen allgemeinen Kreuzzug
gegen ihn, und forderte alle Fürſten und Vaſallen
auf, die Waffen gegen den alten Beherrſcher zu er—
greifen. So wurde alſo die kaiſerliche Krone als er—
ledigtes Gut jedem Fürſten angetragen, der Luſt dazu
hätte. Aber der Kaiſer fuhr in ſeinem Trotze fort,
und zog mit einem gewaltigen Kriegsheer nach Italien,
das von ihm abgefallen, und überzog die reichen,
ſchönen Städte, die ihm den Gehorſam aufgeſagt, und
vor Allem wüthete ſein Eidam, der blutgierige Ezzelino,
344
der allein in der Stadt Piſa 1200 Bürger grauſam
tödten ließ. Und nicht nur mit dem Schwerdte ward
geſtritten, ſondern auch mit der Feder, denn auf die
Bannflüche des heil. Vaters antwortete der trotzige
Kaiſer, er lache ihrer, da der Pabſt wohl ſich ausgebe
für den Statthalter Chriſti, daß er aber im Gegen—
theil feg ein großer Drache, ein anderer Bile am,
ein Fürſt der Finſterniß, ja der Antich riſt ſelbſt.
O welche Trauer ergriff damals alle chriſtlichen Ge—
müther, als das Oberhaupt des weltlichen Reiches
alſo das Oberhaupt der Kirche beſchimpfte, in
dem Kriege alle Prieſter mißhandelte und ſelbſt die
heiligen Kirchengefäſſe entweihte, aus welchen ſeine
Kriegsleute mit ihren Buhldirnen ſoffen, ſo daß der
neun und neunzigjährige h. Vater Gregor ſich darüber
zu Tode grämte. Doch ſein Nachfolger wich nicht
zurück vor dem gewaltigen Tyrannen und Feind der
Kirche Chriſti, deren Beſchützer er ſeyn ſollte. Er
eilte vor zwei Jahren nach der Stadt Lyon in Frank—
reich, und hielt hier eine große Verſammlung von
Biſchöfen und Fürſten und Geſandten aus England
und Spanien. Viel ward hin und her verhandelt
auf die Klage des Pabſtes und die Vertheidigung der
Abgeordneten des Kaiſers, bis die große Kirchenver—
ſammlung Alles wohl überlegt hatte. Darauf ſprach
auch ſie, wie früher der Pabſt, den Bann aus wider
den Kaiſer, und befahl den deutſchen Fürſten, unge—
ſäumt ein neues Haupt zu wählen. Ueberzeugt, daß
die Kirchenverſammlung ein gerechtes Urtheil geſprochen,
345
fielen. nun viele Fürſten, die bisher noch zu Kaiſer
Friedrich gehalten, von ihm ab, und manche von ihnen
nebſt den Biſchöffen des Reiches wählten Heinrich
Raſpo, Landgraf von Thüringen. Warum nun wollen
wir nicht achten auf, das Urtheil des Pabſtes und
der von Gott erleuchteten Kirchenverſammlung? Wir
ſind dem geächteten Friedrich von Staufen, der ſonſt
die Krone trug des Reiches, keinen Gehorſam mehr
ſchuldig. Darum iſt mein Rath und Vorſchlag: laſſet
uns friedlich verhandeln mit dem neuen Kaiſer und
ihm unſere Thore öffnen, wie ſchon manche Stadt es
gethan. Oder fürchtet Ihr die Macht Friedrichs?
O! der ſteht weit entfernt und ſeine Rache vermag
uns nicht zu treffen, denn täglich wird ſein Heer
kleiner und ſeine Anhänger fallen von ihm ab. Der
Landgraf aber ſtehet in wenigen Stunden vor unſern
Thoren und wir vermögen nichts Beſſeres zu thun
zu Nutz und Frommen unſerer Stadt und ihrer kaiſer—
lichen Freiheiten, als indem wir ihm huldigen als
unſerem neuen gnädigen Kaiſer!
Ein zuſtimmendes Gemurmel ließ ſich vernehmen;
da trat noch einmal der ältere Bürgermeiſter, Hein—
rich Kurz, auf, ein Greis von ſiebenzig Jahren.
Mit Ehren, ſprach er, wohlweiſe Herren! möchte
ich zur Grube fahren, die ſchon für mich ſich öffnet,
denn ich bin betagt und habe ſiebenzig Sommer hinter
mir. Ich trage ein ſchwäbiſch Herz im Buſen, und
in demſelben die Treue zu meinem allergnädigſten
Kaiſer Friedrich, den Gott ſegnen möge, obgleich feine
346
Widerſacher ihm fluchen, und haben Verwirrung ge:
bracht in das Reich, und die Fürſten und Vaſallen
aufgehetzt gegen ihr rechtmäßiges Oberhaupt, daß ſte
ihn vom Throne ſtoßen und reißen die Krone von
ſeinem geſalbten Haupte. — Und nun einen ſcharfen
Blick auf den jüngern Bürgermeiſter werfend, fuhr
der Greis fort: ich will nicht glauben, wohlweiſer
Herr und Freund, daß ein päbſtlicher Lockengel Euch
ins Garn gebeizt, und ferne ſey es von mir, zu arg—
wöhnen, als ob man Euch Dieſes oder Jenes ver—
ſprochen, wenn Ihr abtrünnig werdet von Kaiſer
Friedrich und ſtimmet im Rathe unſerer Stadt gegen
ihn. Aber wohl weiß ich, daß durch päbſtliches Geld
und die Predigten der Bettelmönche die Treue zum
Abfall gereizt wird in ganz Deutſchland. Und wahr—
lich, auch die Edlen unſerer ſchwäbiſchen Gauen haben
die Schmach auf ſich geladen der Untreue. Denn als
voriges Jahr des Kaiſers Sohn dieſen Landgrafen, ge—
nannt der Pfaffenkönig, bei Frankfurt beinahe ſchon in
einer Schlacht beſtegt hatte, wichen plötzlich 2000
Schwaben unter dem Grafen von Wirtemberg und
Gröningen zurück, und ihm folgten der Markgraf von
Baden und andere ſchwäbiſchen Herren in der Hoff—
nung, das Erbe des edlen Staufers zu theilen. Laſſet
uns beharren wie Worms, Frankfurt und Straßburg,
an unſerem Herrn, der gnädigſt unſere Stadt mit
Mauern umgeben hat. Darum dieſes muß ich Euch
entgegenhalten, daß Eure Anſicht und Rath nicht von
der Wahrheit iſt, ſintemal Euer Blick getrübet iſt
*
347
und Euer Einſehen darum nicht mehr ein unpar—
theiiſches. Ihr habet geſprochen, daß der Kaiſer unſer
Herr, der ſtets unſere Freiheiten geſchützt und ver—
mehrt, ein trotziger Fürſt ſey, der das Anſehen des
heiligen Vaters nicht achte, und mit ſeinem Kriegs—
volk übel und widerchriſtlich gehaust habe im Lande
Italien gegen die Städte und die Prieſter. Aber ich
habe die Gnade gehabt, mehr denn einmal an ſeinem
Hofe geweſen zu ſeyn, und muß bekennen, daß noch
kein Fürſt aus dem Hauſe der Staufer ein ſo vor—
trefflicher Kaiſer geweſen. Kraft und Kühnheit blickt
aus ſeinem Auge, und Klugheit und feine Sitte,
Großmuth und Treue ſind die Perlen ſeiner Krone.
Kein Fürſt iſt ihm gleich an Würde und Anmuth,
keiner an Kraft und Mannhaftigkeit, ein großes Reich
zu regieren. Mit Recht bedünkt mich, hat der Kaiſer
die Inſel Sardinia für ſich behalten, die er von den
Söhnen Mahomeds erobert, ſtatt fie dem Pabſte zu
überlaſſen, wie dieſer gewünſcht.
Wohl hat ſchon damals der h. Vater den Bann—
ſpruch über den Kaiſer ausgeſprochen, und deſſen
Krone andern Fürſten angeboten, aber nicht alle red—
lich geſinnten Fürſten waren damit einverſtanden, ja
viele ergrimmten über dieſe Handlung. Was hat der
chriſtlich fromme König Ludwig von Frankreich vor
10 Jahren geſprochen, als ihm des Pabſtes Abge—
ſandte zuredeten, die Krone Friedrichs ſich aufs Haupt
zu ſetzen, der ein Uebelthäter und Verächter der Kirche
Chriſti ſey? Hat er nicht den merkwürdigen Ausſpruch
348
gethan, daß er feine Hand nicht ausſtrecken werde
nach der Krone eines Gerechten? daß er dafür halte,
wie Friedrich, der Gebannte, wohl ein beſſerer Chriſt
ſey, denn der Pabſt ſelbſt? Was brauchen wir weiter
Zeugniß dafür, daß die Sache Friedrichs, unſeres
allergnädigſten Kaiſers, eine gerechte ſey? Ihr ſprechet:
der Kaiſer habe den h. Pabſt beſchimpft und ihn
einen Antichriſt geheißen, aber Ihr vergeſſet, daß der
Pabſt ihn zuvor gereizt mit viel ſchmählichen Worten,
daß er ihn einen Feind und Verächter des Heilandes
genannt. Darum lege ich es Euch ans Herz, wohl—
weiſe Väter der Stadt, daß Ihr in Treue verharret,
wie es redlichen Reichsgenoſſen geziemt, an Kaiſer
Friedrich unſerem allergnädigſten Herrn. Gedenket an
die Worte des Kaiſers, als er ſeine Abſetzung ver—
nommen. Voll Hoheit ſprach er: bringet mir her
meine Krone, daß ich ſehe, ob ich ſie wirklich verloren.
Dann ſetzte er die Kaiſerkrone aufs Haupt und rief:
„noch habe ich dich, du meine Krone, und kein Pabſt
und keine Kirchenverſammlung ſoll fte mir ohne bluti—
gen Kampf rauben.“ Ich will nicht davon ſprechen,
daß ſelbiger noch mächtig genug wäre, unſern Abfall
zu beſtrafen, denn nicht Furcht, ſondern Pflicht und
Treue ſoll uns leiten, unſern Reichsſchwur zu halten
dem Kaiſer, und gälte es Blut und Leben. Wohl
rückt der Landgraf heran mit einem ſtarken Heere,
und viele der Biſchöfe und Fürſten ſind ihm zuge—
fallen, aber lieber wollen wir unſere Mauern gebrochen
ſehen, als daß wir unſern Schwur brechen. Feſt iſt
349
unfere Stadt, und find unſere Herzen nicht minder
fefte und unerſchütterlich, ſo mögen wir unverzagt
entgegenſehen dem Kampfe und gewärtig ſeyn mit
Gottes Hülfe eines ruhmvollen Ausgangs dieſer ſchlim—
men Sache. Darum ermahne ich Euch, mannhaft
Euch zu rüſten und chriſtlich zu ſtreiten, als ehrliche
Reichsbürger! — Die Worte des ergrauten Altbürger—
meiſters wurden mit Beifall aufgenommen, und ſelbſt
die ſchwächere Gegenparthei wagte es nicht, weiter
Einſprache zu thun, ſondern fügte ſich in den Willen
der Mehrzahl.
Mit freudeſtrahlendem Angeſicht kehrte der Alt—
bürgermeiſter in ſein Haus zurück, wo ihm Eliſabeth,
ſein Enkelkind, freundlich auf der Stiege entgegenkam,
ihn zum Mittagimbiß in das Familiengemach geleitete
und ihm voller Freude die Kunde mittheilte, daß der
Vetter aus Eßlingen angekommen zu Beſuch, und ſeit
drei Stunden ſchon ſeiner harre. Freundlich bewill—
kommte der Altbürgermeiſter ſeiner Schweſter Enkelkind,
den jungen, ſtattlichen Kaufherrn, der von Zeit zu
Zeit zu Beſuche kam, worauf wohl feine Baſe Eliſa—
beth am meiſten ſich freute, denn das junge Pärlein
hatte ſchon längſt ein Auge für einander. Aber
dieſes Mal war der Vetter zugleich auch in einer
wichtigen Angelegenheit gekommen, denn der Altbür—
germeiſter hatte vor zwei Tagen einen Boten an des
Vetters Vater geſendet, den Rathsherrn Walther in
Eßlingen, um bei ihm Nachfrage anzuſtellen, wie die
Stadt Eßlingen geſinnt ſey wegen Kaiſer Friedrich
350
und ſeines Gegners des Landgrafen von Thuͤringen.
Darum, als der Altbürgermeiſter den jungen Walther
herzlich gegrüßt und Platz genommen hatte an dem
Tiſch, da begann der Vetter: Ich komme auf Geheiß
meines Vaters in der ſchweren Lage, die eingetreten
iſt, daß der Landgraf von Göppingen herüber gegen
Reutlingen zieht. Mein Vater läſſet Euch darin ent⸗
bieten, daß, obwohl ein kleiner Theil der Eßlinger
Bürger ſchwierig geworden, doch der hohe Rath und
Ausſchuß nebſt den angeſehenſten ehrbaren Bürgern
treu geſinnt ſeyen gegen unſern allergnädigſten Kaiſer
Friedrich. Immer haben die Kaiſer des Hauſes Hohen—
ſtaufen unſere Stadt in Ehren gehalten, in unſern
Mauern oft und gerne verweilt, und der jetzige hat unſere
Stadt mit Mauern und Gräben vor zwanzig Jahren
umgeben — darum iſt ihm Alles in Treue zugethan,
bis auf einige Lotterbuben, die bei dem Gegenkaiſer
ſich ein Gnadenkettlein holen möchten. Auch ſollt Ihr
nur mannhaft ſtehen zu dem Staufer, und unſer Rath
iſt gewillt, Euch einige Fähnlein Knechte zu ſenden
und etliche Reiſige, wenn es Noth thue. Das iſt
meine Botſchaft, hochweiſer Herr Oheim, vielgeliebter
Vetter!
Freudig ergriff der Altbürgermeiſter den Becher und
ſtieß mit dem jungen Vetter an, und ſein Enkelkind
Eliſabeth, die mit ihrer verwittibten Mutter bei dem
Großvater wohnte, lächelte innig beglückt, als der
Vetter auch ſie aufforderte, mit ihm anzuſtoßen auf
das Heil der guten Stadt Reutlingen und aller
351
wackern Jungfrauen darinnen. Dann aber nahm der
Großvater den jungen Vetter mit ſich auf ſein Ge—
mach, um mit ihm noch über Mancherlei zu ſprechen;
Eliſabeth ging ihren häuslichen Geſchäften nach und
war heute noch einmal ſo flink, ſeitdem der liebe
Vetter auf Beſuch eingeſprochen. Des Nachmittags
ließ der Altbürgermeiſter den Rath noch einmal zu—
ſammenrufen, kündigte ihm die Nachrichten von Eß—
lingen an, und es ward nun beſchloſſen, durch Trommel—
ſchall die Bürgerſchaft aufzubieten. Nach einer Stunde
ſtanden die Zünfte alle unter den Waffen, ihre Fähn—
leinsträger auf dem linken Flügel. Jetzt wurden die
Befehle ausgetheilt für die Wachtmannſchaften und
Hochwächter auf den Thürmen, dann fuhren die
Kärrner große Keſſel an die Stadtmauern und ſchaff—
ten ſie hinauf, um darin Waſſer und Pech ſiedend
zu machen, wenn der Feind einen Sturm wage.
Andere fuhren Steine herbei und häuften ſie rings
- auf den Thürmen und Mauern auf, die Feinde da—
mit zu empfangen, und ehe der Abend eingebrochen,
war auf alle Art dafür geſorgt, daß jeder Bürger
wußte, was ſeines Amtes ſey in der Vertheidigung
des Rechts ſeines Kaiſers und der freien Reichsſtadt
Reutlingen. Schon des andern Tages in der Frühe
kamen flüchtige Landleute von Metzingen her mit
Karren und Vieh und begehrten Einlaß, denn die
vorausſtreifenden böhmiſchen Reiſige des Landgrafen
waren dort eingefallen und begannen allwärts zu
ſengen und zu brennen. Bei dieſer Nachricht ruſtete
352
ſich eine Schaar berittener junger Bürger aus den
ehrſamen Zünften und von den Geſchlechtern, einen
Ausfall zu machen und dem Landvolk Schutz zu
bieten, um ihre Habe ſicher in die Stadt zu bringen.
Auch Georg Walther legte den Harniſch an, ſchnallte
das Schwerdt um und trat dann vor ſeine Baſe
Eliſabeth. Er war ein ſchmucker Reitersmann, keck
und kühn blitzte ſein Auge unter dem Helm hervor,
und ſeine männliche Geſtalt ward noch gehoben durch
die blinkende Rüſtung. Etwas erſchrocken fuhr Eli—
ſabeth von ihrem Stuhl auf, als ihr Vetter ſo vor
ſie trat, und ſprach: liebwerther Vetter! wie? wollet
Ihr uns verlaffen? aber warum in dieſer Rüſtung,
wenn Ihr nach Eßlingen zurückkehret, ehe der Feind
unſere Mauern berennet und Ihr nicht mehr frei die
Straße pafiteren könnet? Nimmermehr, antwortete der
Vetter, wie ſollte ich Reutlingen und das Haus
meiner wertheſten Verwandten und vor Allem meine
theure Baſe Eliſabeth verlaſſen zur Stunde der Ge—
fahr? Nein, ich will mein Leib und Leben daran ſetzen,
die Gefahr abzuwenden, die Euch und Eurer Stadt
droht. Ich will hinausziehen mit den Reiſigen, um
den Heſſen, Thüringern und Böhmen zu zeigen, daß
wir als treue Schwaben für das Haus Hohenſtaufen
zu kämpfen bereit ſind. Aber ehe ich gehe, liebe Baſe,
drängt es mich, ein Wörtlein mit Euch zu ſprechen.
Eliſabeth! in den Stunden der Gefahr wird die
Zunge beherzter und das Herz pocht ungeſtümmer.
Was die Blicke Euch wohl längſt verrathen — ſoll
398
Euch mein Mund verkünden — ich liebe Euch von
ganzem Herzen und von ganzer Seele, und mein
ſchönſtes Erdenglück wäre es, ſo Ihr mich nicht ver—
ſchmähtet, und könntet mir gewogen ſeyn zu einem
Bund für das ganze Leben.
Schüchtern und erröthend ſchlug das ſchöne, jung—
fräuliche Mägdlein ihre ſanften blauen Augen nieder,
und ſpielte mit dem bunten Teppich, der über ihren
Arbeitstiſch ausgebreitet lag. Aber Walther fuhr fort,
ihre zitternde Hand ergreifend und ſie an ſeine pochende
Bruſt preſſend — verzeiht, theure Baſe, daß ich ſo
keck ſpreche und Euch fragend ins Auge blicke — ernſt
ſind die Stunden, und doppelt freudig ziehe ich in
den Kampf, wenn ich weiß, daß Euere Blicke mir
folgen wie ein ſchützender Engel, daß Euer Gebet fuͤr
mich zur heiligen Mutter Gottes ſteigt — daß Ihr
mir geneigt ſeyd; in mein Ohr erklänge das ſüße
„Ja“ wie ein Klang aus himmliſchen Höhen. Ueber—
wältigt von dieſer Rede, liſpelte Eliſabeth, „ich bin
Euch gut, recht, recht gut!“ und ließ Walther ihre
Hand, der ſie ehrerbietig küßte — Du biſt mir gut,
recht, recht gut? rief der Vetter und drückte das
Köpfchen der Baſe überſelig an ſeine Bruſt — ſo
ſprich auch das ſchönſte Wörtlein aus, das Wörtlein
„ja!“ Doch — ſetzte er ſtockend hinzu — ich weiß
nicht, ob Du mir mehr als gut ſeyn kannſt — ob
dein Herz noch frey, ob noch kein Bild darin haftet,
das Dir noch theurer! O ſprich! ſprich! und erlöfe
mich von dem bangen Zweifel. Da begann Cliſabeth
II. 23
354
zu ſchluchzen, überwältigt von der Wonne, ſo heiß
geliebt zu ſeyn. Kein Bild ruht in meinem Herzen,
ſtammelte ſie — nur das Deine hat ſich eingeſchlichen,
ſeit wir uns kennen, und ſchüchtern habe ich es ge—
pflegt, denn ich halte mich nicht für würdig genug,
daß Du mir vor Allen den Vorzug gebeſt unter den
Geſchlechtern von Reutlingen und Eßlingen. Aber
kein Jüngling auch hat ſich noch genaht, der ſich um
meine Gunſt beworben, als der junge Rathsherr Ber—
thold — aber bei allen Heiligen, lieber wollte ich
ins Klofter gehen, denn ihm meine Hand bieten —
es iſt ein tückiſcher, eitler Mann, er könnte mich nie
beglücken. Mit dieſen Worten ſchlug Elifabeth ihre
in Thränen ſchwimmenden Augen zu ihrem Vetter
empor, und Walther drückte ihr einen heißen Kuß
auf die Stirne. So biſt Du mein, liebe Baſe —
mein vor Gott und Menſchen, und Reutlingen iſt
meine zweite Heimathsſtadt, für die ich in den Streit
ziehe, begleitet von Deinem Segen! Ja, dieſes Pfand
will ich mit mir nehmen, ein Zeichen Deiner Liebe —
fuhr Walther fort, und pflückte eine Roſe von einem
Roſenſtöcklein, das auf dem Tiſche Eliſabethens ſtund
— komm, theurer Engel, und ſtecke ſie mir auf den
Helm, denn unter dem Panier der Liebe will ich
ſtreiten und fechten. Er kniete nieder, und mit glühen⸗
den Wangen und zitternder Hand ſteckte Eliſabeth
das Röslein ihrem Vetter auf den Helm; darauf
preßte er den erſten, heiligen Kuß auf ihre Lippen
und ſtürzte fort, überwältigt von feinen Gefühlen.
355
Erſt am ſpäten Abend verkündeten die Trompeten
auf den Thürmen, daß die Reiſigen zurückkehren, mit
ihnen ein großer Haufe Landvolkes mit Wagen und
Vieh und Hausgeräthſchaften, das ſie vor den Feinden
flüchteten. Die Reiſigen hatten ſich wacker mit den
böhmiſchen Reitern herumgeſchlagen, und vor Allen
war Walther der männlichſte Kämpe, der tollkühn
ſich unter die dichteſten Haufen hineinwagte, und ſie
auseinander ſtäubte. Mit banger Sehnſucht hatte
ihn Eliſabeth erwartet, und als er mit Raub be—
deckt in das Haus des Altbürgermeiſters eintrat, folgte
ihm ein zahlreicher Haufen Bürger und Landleute,
welche laut ſeine Tapferkeit prieſen und der Stadt
Reutlingen Glück wünſchten zu einem fo edlen Waffen:
bruder. Noch am Abend trat Walther auch vor Eli—
ſabethens Mutter und ſeinen Großoheim und bat ſte
um ihren Segen für ſich und die Jungfrau, und ein
fröhlicher Abend beſchloß dieſen Tag ſeiner Waffenprobe.
Am andern Morgen wogte mit dem Früheſten
Alles zu den Mauern und Thürmen, denn die Kunde
hatte ſich verbreitet, daß der Landgraf mit ſeinem
ganzen Heere während der Nacht herangezogen und
nun ſein Lager ſchlage auf zwei Seiten der Stadt.
Aengſtlich blickten die Bürger über die Mauern, als
ſie die zahlreichen Haufen und Fähnlein, die dichten
Schaaren von Reiſigen Anſtalt machen ſahen, ihr
Lager einzurichten. Schon ſtand das Zelt des Lande
grafen aufgerichtet, darüber eine Krone und hohe
Fahne. Vom Fuß der Achalm und den Weinbergen
7 *
—
356
herab bis zum Echazflüßlein wimmelte es mit Kriegs:
leuten und Roſſen, und die abgehauenen Weinſtöcke
und Obſtbäume rauchten ſchon auf allen Punkten als
Lagerfeuer. Nach einer Stunde nahte ſich ein Ritter
in glänzender Rüſtung und ein weißes Tuch an ſeine
Lanze geſteckt dem Thore und begehrte Einlaß. Als
er auf das Rathhaus geführt wurde, ſprach er zum
verſammelten Rathe: Hochweiſe Herren der Stadt,
wie Euch männiglich bekannt, hat der h. Vater den
ungetreuen Sohn der Kirche, Friedrich den Staufer,
ſeiner Krone für verluſtig erklärt, und die Kirchen—
verſammlung in der Stadt Lyon den Bann auf ſein Haupt
geſchleudert. Alle Fürſten ſind von ihm abgefallen,
und ſchon haben viele derſelben nebſt den Biſchöfen
meinen gnädigſten Herrn, den Landgrafen Heinrich
Raſpo zu Heſſen und Thüringen, erkoren und ihm
gehuldigt zu Hochheim am Main im letzten Herbſt,
als dem Kaiſer des h. römiſchen Reiches. Darum,
was ſtehet Ihr an, dem Geächteten und Gebannten
länger Gehorſam zu leiſten, und mit gewaffneter Hand
Euch gegen den rechtmäßigen Kaiſer, meinen Herrn,
zu ſetzen. Laſſet ab von dem Widerſtand, ſo wird
Euch mein Herr beſtätigen in all Euren Rechten und
Freiheiten als rechtmäßiger Kaiſer!
Da nahm der Altbürgermeiſter das Wort und ſprach:
Wir haben zu Kaiſer Friedrich geſchworen und ſind
nicht gewillt, dem Unrecht beizutreten, das an unſerem
allergnädigſten Kaiſer geübt wird von Seiten des
Pabſtes und der Kirchenverſammlung. Mag auch
357
eine unſelige Zwietracht das deutſche Reich zerreißen
in zwei feindliche Lager, und mögen dem Kaiſer
Friedrich alle ſeine Freunde untreu werden, ſo halten
wir dafür, daß Nichts an unſerer Treue rütteln fol.
Gerade um fo unerſchütterlicher wollen wir zu unſe—
rem Kaiſer ſtehen, je mehr Unglück ihn trifft. Gott
ſeys geklagt! haben doch ſeine Feinde wälſche Ritter
zu Meuchelmördern gedungen, ſeinen geheiligten Leib
und Majeſtät anzutaſten, und haben die Bürger der
feindlich geſinnten Stadt Bologna im Land Italien
ſeinen Sohn Enzius gefangen und im Gefängniß ſterben
laſſ en. Deſto feſter wollen wir in Unglück und Noth
an ihm treu halten, wie wir vor Gott geſchworen,
denn unſer Eid iſt uns heilig, wenn der Pabſt ihn
auch gelöſt hat. Das meldet Eurem durchlauchtigſten
Herrn, wie Reutlingens Bürger nimmer weichen in
der Treue zum Kaiſerhauſe von Hohenſtaufen und Ge—
walt mit Gewalt abzutreiben bereit feyen.
So begann nun der Landgraf ſein Lager zu ver—
ſchanzen und die Stadt zu belagern, bis er fle mit
Sturm gewänne. Weit und breit ließ er die Land⸗
leute herbeitreiben durch ſeine Reiſigen zum Schanzen,
und ließ Belagerungswerkzeuge anfertigen, hölzerne
Thürme und Mauerbrecher. Aber auch die Stadt
war nicht läßig, und verſuchte faſt täglich durch Auge
fälle die Belagerer an ihrer Arbeit zu hindern und
die angefangenen Werke zu zerſtören.
Nach acht Tagen kam ein Bote im Gewand eines
Mönches, der trat in das Haus des Altbürgermeifters
358
und brachte ein Brieflein von Walthers Vater, darin
ward gemeldet, daß am nächſten Tage gegen Sonnen⸗
untergang ein Häuflein Reiſiger werde von Eßlingen
eintreffen; dieſe ſolle man einholen bei Betzingen, da⸗
mit ſie unaufgehalten und unbeſchweret in die The
der Stadt kämen.
Als nun am folgenden Tage die Sonne ſich zu
neigen begann, zog eine Schaar Reiſiger, geführt
von zwei Hauptleuten, zum Tübinger Thor hinaus,
während auf der Seite des Metzinger Thors einige
Zünfte einen verſtellten Ausfall machten, um die Be⸗
lagerer zu täuſchen und ihre Aufmerkſamkeit davon
abzulenken, daß aus der Stadt ein Zuzug eingeholt
werde.
Der junge Walther ritt indeſſen an der Seite des
ſtädtiſchen Hauptmanns Berthold, des jüngſten Raths⸗
herrn, Betzingen zu, um ſeine Landsleute aus Eß⸗
lingen einzuholen. Und wie geht es denn Eurer
Baſe? fragte gegen ihn gewendet der Rathsherr und
blickte ihm ſcharf ins Geſicht — fürwahr eine lieb⸗
reizende Jungfrau — aber ein Wee voll
Eigenſinn und Laune.
Mit Verlaub', entgegnete Walther — was Ihr
Eigenſinn und Laune nennet, das findet vielleicht ein
anderer als rühmlich an meiner Baſe! Ei, lachte
ſpöttiſch der Rathsherr — da habt Ihr wohl der
Jungfrau ſelbſt zu tief in die Augen geguckt, da Ihr
den Trotzkopf in Schutz nehmet — die Liebe aber
machet blind. Ha! hab ichs nicht errathen? Ihr
359
ſehet die Jungfrau gerne und werbet um ihre Gunſt? —
Eine leichte Zornesröthe zog über die Stirne Walthers,
und heftig fuhr er auf: Ei, mein hochweiſer und
edler Rathsherr, es bedünkt mich, daß Ihr zum loſen
Spiel Eurer Zunge einen Gegenſtand nehmet, der
nicht dazu paßt. Was mich anbelangt und meine
Baſe, davon habe ich keine Rechenſchaft zu geben,
und doch will ich Euch den Gefallen thun, um Eure
Neugier zu ſtillen, daß ich Euch ſage: meine Baſe
iſt meine Braut! darum wünfche ich, Ihr werdet ſelbſt
einſehen, wie ſich ein Geſpräch über eine Jungfrau
nicht ſchicket, wenn es an ihren Bräutigam gerichtet iſt.
Wie ein Dolchſtich trafen dieſe Worte den Raths—
herrn, denn Eliſabeth war ihm tief in den Sinn ge—
wachſen, und er hatte es ihr nie verzeihen können,
daß ſie ihn ſo ſpröde abgewieſen. Aber er nahm ſich
zuſammen und ſprach gegen den glücklichen Neben—
buhler: entſchuldiget, wenn ich eine Saite etwas rauh
für Euer Ohr angeſchlagen — war ja nur eiu Scherz
und hätte ich gewußt, daß Eliſabeth, Eure ſchöne
Baſe, ihr Herz Euch geſchenkt, ſo wäre mir ſolcher
nicht über die Lippen gekommen. Nun Glück auch
zu dieſem Sieg über eine ſtolze Jungfrau!
In dieſem Augenblick ſah man von ferne Helme
blinken und eine Reiterſchaar die Höhe hinter Betzingen
herabziehen. Frohen Muthes gaben die Reutlinger
ihren Roſſen die Sporen, um ihre Freunde zu begrüßen,
und zwiſchen Walther und dem Rathsherrn verſtummte
das Zwiegeſpräch. In kurzer Zeit trafen die Reiter
' | 360
zuſammen und zogen, die Dämmerung e nun
Reutlingen zu.
Schon des andern Tages ward ein neuer Ausfall
beſchloſſen, und Walther ſollte mit den Eßlinger
Reiſigen Mittags einen Ausritt machen, auf großen
Umwegen ſich dem Wege nach Metzingen zuſchlagen
und dann mit einbrechender Nacht auf ein Feuer—
zeichen, das von den Thürmen gegeben würde, im
Rücken den äußerſten Theil des Lagers angreifen,
während von der Stadt aus eine ſtarke Schaar auf
die Verſchanzung ſich ſtürzen ſollte, um ſie in Brand
zu ſtecken und zu zerſtören. Auch der Rathsherr war
bereit, den Ausfall mitzumachen und half dazu, den
Plan auszumitteln; aber in ſeinem Buſen ſpann er
Verrath und er beſchloß, dieſe Gelegenheit zu benützen,
um den verhaßten Nebenbuhler dem Schwerdt des
Feindes zu überliefern. Er ſchrieb darum ein Brief:
lein und ſandte es durch einen vertrauten Knecht an
den Landgrafen ins Lager. Darin ſtand geſchrieben:
Allergnädigſter Kaiſer! 9
Obwohl ein großer Theil der Reutlinger Euch Trotz
bietet und Euch nicht huldigen will, ſo gibt es
doch manchen Städter, der im Herzen zu Euch hält
und nur gezwungen die Waffen gegen Euch trägt.
Und daß er ſeinen guten Willen auch durch die That
beweißt, jo wiſſet, daß heute Nacht eine Reiterſchaar
von 150 Mann Euch im Rücken von der Metzinger
Straße her zu überfallen gedenkt am äußerſten Ende
Eures Lagers, während von der Stadt her ein Ausfall
361
mit Fußvolk gemacht werden ſoll. Ein Feuerzeichen
wird aufſteigen und zu ſelbiger Zeit iſt der doppelte
Angriff beſchloſſen. Darum ſendet eine ſtarke Ab—
theilung gegen Metzingen, auf daß ihr Eure Feinde
übermannt und kein Reiter mehr in die Thore Reut⸗
lingens zurückkehret; am wenigſten aber der Anführer,
ein Eßlinger, der Euer erbittertſter Feind iſt. Er
reitet einen Mohrenſchimmel, auf den ſoll man be—
ſonders achten. — Er ſelbſt aber ſtellte ſich krank,
als Walther mit den Eßlinger Reiſigen auszog und
blieb zu Hauſe.
Als nun Walther mit Einbruch der Nacht die
Straße von Metzingen erreicht hatte auf großen Um—
wegen und gegen das Lager langſam vorrüͤckte, harrend
auf das Feuerzeichen, da auf einmal hagelte rechts
und links es von Pfeilſchüſſen auf ſeine Reiter, und
in der Dunkelheit erhob ſich, wie aus dem Boden
hervorgewachſen, eine Schaar von Bewaffneten.
Raſch ſuchte er dem Angriff zu entgehen und jagte
mit ſeinen Leuten vorwärts, aber auf einmal leuchtete
das Feuer zu ihm auf, und vor ſich auf der Straße
erblickte er einen hohen Verhau von gefällten Bäumen,
hinter denen ihn ein neuer Hagel von Pfeilen über—
ſchüttete. Jetzt galt es, umzukehren und ſich Luft
zu machen, trotz der rechts und links dicht fallen—
den Schüffe, denen er kaum erſt entgangen; aber da
prallte er auf eine Reiterſchaar, die ihm auch rüds
lings den Weg verlegt hatte. Ein furchtbarer Kampf
entſpann ſich, wie verzweifelt focht Walther mit ſeinen
362
Leuten, umringt von übermächtigen Haufen. Hiebe
fielen auf Hiebe, und Freund und Feind ſtürzte ſchwer—
getroffen zuſammen und bildete einen Knäuel von
Menſchen und Roſſen.
Es war ein ſchreckliches Morden, und nur wie durch
ein Wunder brach ſich Walther mit einigen ſeiner
Leute Bahn durch den Haufen der Feinde, aber noch
der Letzte derſelben führte einen ſo gewaltigen Hieb
auf Walthers linken Arm, daß ihm der Zügel ent»
fiel und der Arm gelähmt hinſank.
Auf dem Hafenmarkt zu Eßlingen in einem N
burgartigen, ſteinernen Häuſer, die Naubthürm f
nannt, welche von den Geſchlechtern der Reichsſtadt
bewohnt wurden, ſaß nach einigen Tagen bei ſeinen
Eltern Walther trüb geſtimmt am Fenſter. Den
linken Arm trug er in einer Binde, denn er war
ſchwer verletzt, aber noch eine tiefere Wunde blutete
in feinem Herzen, denn er gedachte feiner Eliſabeth
und der Ungewißheit, in welcher ſie ſchwebe über ſein
Schickſal. Mit genauer Noth war er nebſt dreißig
feiner Leute dem Tod und der Gefangenſchaft ent—
gangen, hatte auf ſchweißtriefendem Roſſe die freie
Straße nach Metzingen gewonnen und war nach kurzer
Raſt die ganze Nacht hindurch geritten, um in ſeine
Vaterſtadt zurückzukehren, da er keine Möglichkeit ges
funden, ungehindert Reutlingens Thore zu erreichen.
Auch in Reutlingen war große Trauer, denn einige
hundert Todte und Verwundete waren das Opfer ge—
363
worden des Verraths. Aber Niemand ahnte, daß
der junge Rathsherr die Urſache davon war.
Am ſchmerzlichſten getroffen fand ſich Eliſabeth, als
die Schreckenskunde ihr zu Ohren kam, daß die Ep:
linger Reiter faſt beinahe alle in Tod oder Gefangen⸗
ſchaft gerathen und auch nicht Einer in die Thore
zurückgekehrt ſey. Der junge Rathsherr ſelbſt war
es, der mit verſtellter Theilnahme in das Haus des
Altbürgermeiſters geeilt war, und in Anweſenheit Eli—
ſabeths ihrem Großvater die Nachricht gebracht hatte,
daß die traurige Botſchaft angelangt ſey von dem
ntergang der Eßlinger Schaar.
Jetzt wurde Reutlingen immer härter umzingelt
und bereits waren die großen Wurfgeſchoße und
Sturmböcke fertig, um gegen die Mauern vorgefchoben
zu werden und gegen ſie mit gewaltiger Wucht zu
arbeiten.
| Die Kunde von der harten Belagerung kam von
Tag zu Tag faſt nach Eßlingen, und Walther wälzte
ſich wie ein Verzweifelter auf ſeinem Lager und malte
ſich das Schrecklichſte aus, wenn der Landgraf die
Stadt erſtürme und Eliſabeth in die Hände der
Sieger fiele.
Indeſſen wehrte ſich die Stadt Reutlingen mann—
haft, zerſtörte da und dort die Belagerungswerkzeuge
und ſchlug manchen Sturm ab. So verzog ſich die
Belagerung gegen ſechs Wochen. Ergrimmt über den
Trotz ſeiner Feinde, befahl nun der Landgraf, aus
den ſtärkſten Eichen des nahen Waldes von Sondel—
5 EIN Ss
364
fingen einen Rieſenſturmbock anzufertigen von 126 ½
Schuh Länge.
Mit Ochſen und Roſſen ward das Holz herbeige—
führt, und im Angeſicht der Stadt gingen die Kriegs—
werkleute daran, die fürchterliche Waffe anzufertigen.
Schwere eiſerne Ringe und Handheben wurden daran
angebracht und dazu ein Schutzdach gezimmert, um
beſchützt vor dem Steinhagel der Belagerten mit 40
rüſtigen Leuten den Sturmbock in Bewegung zu ſetzen
und damit gegen die Mauern zu ſtoßen.
Als die Reutlinger mit Schrecken gewahrten, daß
der Landgraf nächſtens einen großen Sturm vorbereite
da beſchloß der hohe Rath auf den Antrag des Alt
bürgermeiſters eine Proceſſion in die Kapelle zur Mut⸗
ter Gottes, welche mitten in der Stadt lag.
Die ganze Bürgerſchaft nahm Theil an dem Bitt:
gange. Voraus zog die Stadtgeiſtlichkeit, die Mönche
N
Alle
und Nonnen, dann folgte der Rath und die Bürger:
ſchaft und mit ihr die Weiber, Jungfrauen und Kinder.
In heißem Gebete lag Alles auf den Knien und
flehte die heil. Jungfrau Maria an, ſie zu ſchuͤtzen
vor dem furchtbaren Feinde und ihnen Kraft und
Sieg zu verleihen. Dann nahm der Altbürgermeiſter
das Wort, trat vor den Altar der Jungfrau und
ſprach: Heilige Jungfrau, du Gebenedehyte unter den
Weibern! Siehe herab gnädigſt auf die Bürger dieſer
Stadt. Du weißt, welch mächtigen Sturmbock unſer
Feind läſſet anfertigen, um ſtündlich damit unſere
Mauern einzuſtoßen und dann in unſere Stadt ein⸗
zubrechen. So höre unſer Gelübde und nehme es
gnädig an. So du wirſt uns erretten aus dieſer
Noth und unſern Waffen Sieg verleihen, wollen wir
dir eine Kirche erbauen, wie weit und breit keine im
Lande, und des Sturmbocks Länge ſoll das Maß
ſeyn für das Fundament dieſer Kirche!
Amen! Amen! fiel die ganze Bürgerſchaft ein.
Nach wenigen Tagen war der Sturmbock fertig
und mit dem Früheſten des Morgens ſchaffte man
ihn unter ſeinem Schutzdach auf ſtarken Walzen gegen
die Mauer. Jetzt eilte Alles auf die Thuͤrme und
Mauern, ſelbſt Weiber und Kinder ſchleppten Steine
herbei und ſiedendes Waſſer, um ſich mannhaft zu
wehren. Aber der Landgraf ſchoß aus ſeinen Augen
vernichtende Blicke gegen die Stadt, und ritt inmitten
ſeines Kriegsvolkes heran und ließ den rieſigen Sturm—
bock unter einem blechernen Dach von den 40 Leuten
anlegen. Bei jedem Stoß erdröhnte die Mauer und
fielen zerbröckelte Steine heraus von der fürchterlichen
Wucht. Zu gleicher Zeit wurden hunderte von Leitern
herbeigetragen und bereit gehalten, auf zwei Seiten
die Mauern zu ſtürmen. Unter einem heftigen Schießen
mit Pfeilen auf die Bürger, welche die Mauern be—
ſetzt hielten, legten die Stürmenden die Leitern an,
und gedeckt von ihren Schilden, kletterten ſie hinauf,
aber zu Hunderten ſtürzten ſie auch wieder zu Boden.
Nach einigen Stunden vergeblichen Blutvergießens
ſtellte der Landgraf das Stürmen ein. Aber nachdem
die größte Hitze des Tages vorüber, griff er die Stadt
Yr ar:
mit erneuerter Wuth an. ki arbeitete der
rieftge Sturmbock mit einigen andern kleinern Geſellen,
und große Steine wurden mit Maſchinen gegen die
Vertheidiger auf die Mauern geſchleudert. Nach ei—
niger Zeit wich der Wucht des Sturmbocks die Mauer,
ganze Steinmaſſen rollten herab und nun warf der
Landgraf ſeine auserleſenſten Krieger auf dieſen be—
ſchädigten Theil und ſtürmte mit Leitern. Wiewohl
ſich die Reutlinger auf's tapferſte wehrten und ihre
Feinde mit Keule und Schwerdt, Spieß und Stangen,
mit Steinen und ſiedendem Waſſer empfingen, fo ver:
mochten fie doch kaum der Uebermacht und Wuth
der Stürmenden auf die Länge Widerſtand zu leiſten.
Da auf einmal erhoben ſich im Lager auf drei Seiten
Feuerflammen, und ſchwarze Rauchwolken wirbelten
zum Himmel auf. Frohlocken und Jubel ſchallte von
den Mauern, und mit Schrecken wandte der Landgraf
ſich mit ſeinen Kriegern nach dem Schauplatz des
allgemeinen Erſtaunens um. Alles drängte ſich in
wilder Unordnung dahin. Die Thürmer aber riefen
von ihren Warten herab, das iſt die Eßlinger Reichs—
fahne, der ſchwarze Reichsadler im goldnen Felde,
der drüben flattert im Lager, und der helle Schimmer
blanker Harniſche von Roß und Mann leuchtet uns
in die Augen.
Gott und der heil. Maria ſey Dank! jubelten die
Bürger — auf, laßt uns den Schrecken des Feindes
benützen und einen Ausfall machen.
Da rauſchten die Banner von Reutlingen zu den
367
geöffneten Thoren hinaus, und in ungeordneten Haufen
ſtürzte ſich Alles, was wehrhaftig, auf den fliehenden
Feind. Von hinten und vornen bedroht und den
Schrecken in ſeinem ganzen Heere, ringsum die Zelte
und Wagen und Geräthſchaften in Flammen, bot der
Landgraf Allem auf, mit dem noch geordneten Haufen
ſich gegen die Achalm hin zurückzuziehen und ſeine
Flüchtigen zu ſammeln, ſo gut es gehen konnte.
Durchs brennende Lager aber ſprengten mit Freuden—
geſchrei, das Panier hoch ſchwingend, die Reiter aus
Eßlingen, an ihrer Spitze Walther im blanken Waffen—
ſchmucke, und als ſein Auge den Altbürgermeiſter er—
ſpähte, der gleich einem Jüngling das Schwerdt in
der Rechten unter ſeinen Bürgern daherritt, da flog
er auf ihn zu und rief: Willkommen, mein lieber
Ohm, und Heil und Glück der treuen Reichsſtadt
Reutlingen, wie unſerem allergnädigſten Herrn und
Kaiſer Friedrich von Hohenſtaufen! Was macht meine
liebe Baſe Eliſabeth?
Mit Freudenzähren drückte ihm der Altbürgermeifter
die Hand, denn er glaubte ihn vom Tode auferſtanden,
und ſtieg dann vom Pferde ab, mitten im Getümmel,
warf ſich auf die Kniee und rief gen Himmel: Ge—
grüßet ſeyſt du holdſelige Jungfrau Maria, du Ge—
benedeyte unter den Weibern! denn du haſt unſer
Gelübde gnädig gehört und uns errettet aus der
Noth und Gefahr, die uns dräuete!
Dann wieder ordnete er ſeine wirren Haufen und
ließ das brennende Lager wohl beſetzen, während der
368
Landgraf ſich noch immer, von den Muthigſten ver—
folgt, zurückzog und erſt eine Viertelſtunde hinter dem
Lager Halt machte, um ſeine Zerſprengten zu ſammeln.
Bald läuteten alle Glocken der Stadt zum Sieg,
und an der Seite ſeines Oheims ritt Walther mit
ſeiner Schaar zum Thore hinein unter dem Jubel
des ganzen Volkes.
An der Ecke der nächſten Seitengaſſe lag vor einem
Hauſe auf einer ſteinernen Bank ein mit dem Tode
Ringender, neben ihm kniete ein Mönch, der ihm die
Abſolution ertheilte. Als Walther vorüber ritt, rief der
Sterbende: „Walther! Walther! Um Gotteswillen,
nein, nein es iſt kein Traum, Ihr ſeyd es — ſeyd
nicht ſchon drüben im Jenſeits — o, wenn Ihr kein
Geſpenſt ſeyd und meine brechenden Augen mich nicht
trügen, ſo haltet inne und vernehmet die letzten Worte
eines Sterbenden.“
Ergriffen von dieſem Jammerruf, „ flieg Walther
vom Roſſe und mit ihm der Altbürgermeiſter, der ſo—
gleich in dem Sterbenden den jungen Rathsherrn er—
kannt hatte. Walther! jammerte der Rathsherr und
ſuchte deſſen Hand zu ergreifen — der Himmel iſt
gerecht — o ſeyd barmherzig und verzeiht mir meine
Todſchuld, ehe ich vor den Thron Gottes trete. —
Walther! Walther! Ich habe ſchwer an Euch geſün—
digt, denn wiſſet — ja! ja! Ihr Alle und Ihr Herr
Altbürgermeiſter — wiſſet, ich habe das Höllenſtück
vollführt, das ſo manchem meiner Mitbürger das
Leben koſtete — ich habe unſern vorgehabten Aus fall
369
dem Feinde verrathen aus Rache gegen Euch, weil
Eliſabeth ihr Herz Euch geſchenkt und mich verſchmäht
hatte — ich ſchickte Euch in den ſichern Tod, wie
ich hoffte — nun aber ſeyd Ihr demſelben entronnen,
kehret heute als Sieger in unſere Stadt, während ich
von einem Trabanten des Landgrafen ſelbſt dieſen
Hellebartenſtich in die Bruſt erhielt und hier auf
dem Pflaſter meinen Geiſt aushauchen muß, denn ich
fühle es, ich erreiche mein Haus nicht mehr — meine
Minuten ſind gezählt!
Erſchrocken über dieſe Beichte fuhr Walther zu—
ſammen — da alſo lag fein Todfeind, der ihm all
ſein irdiſch Glück zerſtören wollte, aber er lag ja jetzt
im Sterben, und mitleidig rief er aus: Unglücklicher!
ich verzeihe Euch, ſo wahr mir Gott einſt auch ver—
zeihen möge auf meinem Todtenbette! Dank! Dank!
ſtöhnte der Rathsherr, und ſein Auge brach, ſeine
Seele war entflohen.
Erſchüttert ſtand das Volk umher, und mit tief:
bewegtem Herzen ſtiegen Walther und ſein Oheim
wieder zu Pferde und ritten ihrem Hauſe zu.
Mit einem hellen Freudenſchrei empfing Eliſabeth
ihren Walther und lange Zeit lagen ſie ſich ſprachlos
in den Armen. Dann erzählte Walther, was ihm
bisher begegnet, wie er dem Feinde mit Mühe und
Noth entgangen, dann einige Wochen krank in Eß—
lingen verweilt, aber in furchtbarer Beſorgniß um
das Schickſal- der Seinigen und der Stadt Reutlingen
dem Rath von Eßlingen keine Ruhe gelaſſen, bis ſie
II. 24
370
ihm wieder ein Häuflein Reiſiger zum Zuzug gegeben,
mit welchen er gehofft habe, ſich in die belagerte
Stadt zu ſchlagen. Als er nun von der Metzinger
Höhe herab das Kampfgeſchrei und den Sturm wahr—
genommen, und wie das Lager faſt ganz verlaſſen
und alle Kriegsleute um die Mauern zum Stürmen
verſammelt geweſen, da ſey er in flüchtigem Ritt in
das Lager eingebrochen und hätte es in Brand geſteckt.
So biſt du die Hand, lächelte Eliſabeth, durch welche
die Jungfrau Maria unſere Stadt gerettet hat.
Ja, ſo iſt es! ſprach der Altbürgermeiſter, denn
auf den Schrecken erſt, welcher die Feinde erfaßte,
als ſie hinter ſich ihr Lager in Flammen ſtehen ſahen,
konnten wir ſolchen Sieg über ſie erfechten.
Des andern Tages mit dem Früheſten meldeten
die Hochwächter, daß der Landgraf mit ſeinem Heere
verſchwunden und bei Nacht und Nebel abgezogen
ſey. Nun ſtrömte Alles hinaus, und die jungen
Bürger zogen den Sturmbock herein auf den Markt—
platz, wo alles Volk ſtaunend um denſelben ſchwärmte,
und das rieſige Werk mit ſeinen Eiſenringen und
ſchweren Handhaben betrachtete. b
Im nemlichen Herbſt noch ward das Hoch—
zeitsfeſt Walthers mit ſeiner Baſe gefeiert, und die
Stadt ſchenkte ihm aus Dankbarkeit für ſeine ritter—
liche That einen Platz zu einem Hauſe. An gleichem
Tage ward auch neben dieſem Hausplatz der Sturm—
bock aufgeſtellt, und nach feinem Maaß der Grund—
371
ſtein gelegt zu der Kirche, welche die Stadt der
Jungfrau Maria gelobt hatte. Neben dem Altbürger—
meiſter und dem Rath gaben auch Walther und Eli-
ſabeth ihre drei Hammerſchläge auf den erſten Stein,
und legten das Fundament zu ihrem zeitlichen Glück.
Sechs und neunzig Jahre vergingen über dem Bau
des Tempels, der, ohne den Chor und den Thurm
einzurechnen, hundert ſechs und zwanzig Schuhe in
die Länge erhielt. Der dreihundert fünf und zwanzig
Schuh hohe Thurm wurde im Jahr 1343 vollendet,
und am Tage des heil. Oswalds ward auf die Spitze
des Thurmes, der ſchlank und durchbrochen zum
Himmel ſtrebt, der große vergoldete Engel geſetzt. Die
Hauptdenkmale dieſer Baufunft fallen in Schwaben zwar
erſt in die folgenden Jahrhunderte, wie das Ulmer
Münſter, die Frauenkirche zu Eßlingen und Andere,
aber der Styl und die Muſter entfalteten ſich in der
Zeit, wo die Hohenſtaufen die Krone des römiſch—
deutſchen Reiches trugen. Der gewaltige Geiſt dieſer
Zeit trieb ſolche rieſige Thürme und Dome zum Himmel,
die Kreuzesform herrſchte in dieſen heiligen Bauten
vor, und die Roſe, aus welcher, als Grundfigur alles
Laubwerk und aller Reichthum der Zierathen hervor—
wuchſen, und aus welcher die Bogen und Gewölbe,
feſt und ruhend, wie das Gewölbe des Himmels und
die ſchlanken Säulen, die leicht, wie die Andacht und
die Gebete des Glaubens, ſich aufwärts ſchwingen.
Der Landgraf aber zog nach Ulm, wo er einen
ähnlichen Widerſtand fand, und dort, von einem ver—
372.
gifteten Pfeile getroffen, ins Thüringer Land heimzog
und ſchnell an der Wunde ſtarb. So hatte er ver—
gebens nach der Kaiſerkrone gerungen, aber auch
Friedrich der Staufer ſtarb nach drei Jahren, im Jahr
1250, im ſieben und fünfzigſten Jahre feines thaten—
vollen Lebens, gedrängt vom Unglück, aber nicht ge—
beugt. Nach ihm erloſch der Glücksſtern ſeines mäch⸗
tigen und glorreichen Hauſes.
XI. f
Buine Bebenburg.
Bebenburg, im Munde des Volks Bemberg, liegt
im Bezirk Gerabronn auf der Thalhöhe, an deren
Fuß die Brettach und Blaubach ſich vereinigen. Von
dem alten Schloſſe, das von hier aus weithin die
Gegend beherrſchte, ſtehen nur noch die Reſte eines
uralten Thurms. Die Burg wurde im Jahr 1449 im
Städtekrieg zerſtört. Im Jahr 1539 wurden die
Ueberreſte von Gebäulichkeiten an Privatperſonen ver⸗
kauft, und von den Reſten des Burgſtalls der jetzige
Weiler angelegt. ö
Einem mächtigen Dynaſtengeſchlechte gab dieſe Burg
einſt den Namen; ſte waren ein Zweig der Küchen—
meiſter von Nortenberg. Der erſte bekannte Herr von
373
Bebenburg war Wolfram, Stifter des Kloſters Schön-
thal, welcher vom Jahr 1140 bis 1162 vorkommt.
Im Jahr 1171 erſcheinen zwei Brüder, Wolfram und
Dietrich von Bebenburg, in einer Urkunde des Kloſters
Schönthal unter den Zeugen. Das Jahr darauf
zeugt gleichfalls ein Wolfram von Bebenburg in einer
Urkunde Kaiſer Friedrichs I., mit der er das Kloſter
Schäftersheim in ſeinen Schutz nimmt. Von dieſen
beiden war Dietrich Chorherr zu Würzburg und dann
Probſt zu Anſpach, als welcher er noch im Jahr 1194
erſcheint. Wolfram wird im Jahr 1178 genannt.
In welchem Verhältniß dieſe beiden Herren zum
Stifter von Schönthal geſtanden, können wir nicht
urkundlich nachweiſen, aber wahrſcheinlich waren es
Söhne Wolframs J.; auch ſollen ſie noch eine Schweſter
Namens Sophie gehabt haben, welche ums Jahr 1194
als Hausfrau Herrn Friedrichs von Bielriet vorkommt.
Nun aber erſcheint eine bedeutende Lücke in der Ge—
nealogie der alten Bebenburger. Ein kundiger Forſcher
fränkiſcher Geſchichte behauptet, mit dieſen beiden
Brüdern feye das Geſchlecht der Edelherren ausge—
ſtorben, die Herrſchaft Bebenburg an das Reich zurück—
gefallen und dann ein Reichsdienſtmann damit be—
lehnt worden, der nun Gründer des Geſchlechts der
Ritter von Bebenburg geworden. Die erſten dieſer
neuen Familie, die genannt werden, ſind Rudolf und
Lupold von Bebenburg, welche im J. 1329 das Patro—
nat der Kirche in Gammesfeld der Johanniter-Commen—
thurie in Rotenburg übergeben. Dieſe Herren beſaßen
374
auch die Burg zu Gammesfeld; im Jahr 1332 wur:
den ſie von dem Grafen Kraft von Hohenlohe noch
mit der Veſte Burleswag belehnt. Im Jahr 1445
erhielt der genannte Rudolf von Bebenburg von dem—
ſelben Grafen von Hohenlohe noch andere Lehen,
unter andern ein Burglehen zu Lobenhauſen. Im
Jahr 1347 war er nicht mehr am Leben, denn im
September dieſes Jahrs beſtätigen Lupold von Beben—
burg, Domherr zu Würzburg, Friedrich von Beben—
burg, Johanniter, ſein Bruder, und Walter Küchen—
meiſter von Nortenberg, dieſe alle Vormünder Rudolfs
v. B. ſeligen, und Engelhard v. B., des letzteren
älterer Sohn, das Vermächtniß, welches Rudolf v. B.
mit ſeiner Hausfrau Sophie, Geborne von Rechberg,
noch bei Lebzeiten zu ſeinem und ihrem Seelenheil
an das Kloſter gethan, und beſtand ſolches in 10
Pfund Hellern, oder an ihrer Statt 20 Malter Korn,
welche die Erben jedes Jahr aus Gütern zu Gammes—
feld zu verabreichen hatten. Dieſe Stiftung, ſo heißt
es in der Urkunde, machte Rudolf v. B. an das
Kloſter, uhr den Schaden zu erſetzen, welchen er mit
Andern demſelben zugefügt hatte. Auch mögen ſo
heißt es ferner in derſelben, Abt und Convent ihm
dem Verblichenen um Gottes Willen verzeihen, und
vielmehr deſſen eingedenk ſeyn, was ihnen und dem
Kloſter von ihm und feinen Vorfahren Guts ge—
ſchehen. Aus Letzterem erſehen wir, daß Rudolf v. B.
den Stifter Wolfram von Bebenburg auch unter ſeine
Vorfahren zählte, und alſo auf jeden Fall in einem ver—
375
wandtſchaftlichen Verhältniſſe zu dem alten Geſchlechte
geſtanden. Der bedeutendſte Mann aus der Familie
der Bebenburger iſt unſtreitig der bereits genannte
Lupold v. B., Bruder Rudolfs, zuerſt Domherr zu
Würzburg, Mainz, Bamberg, und dann Biſchof zu
Bamberg von 1352 — 1363. Im Jahr 1348 ſtiftete
er eine Schweſterklauſe zu Gammesfeld, und im Jahr
1357 die Marienkapelle zu Anhauſen, welche ſpäter
zu einem Auguſtinerkloſter erhoben wurde. Lupold
von Bebenburg hat ſich auch in der gelehrten Welt
einen bedeutenden Namen erworben, durch einige
hiſtoriſche Werke, die jetzt zu den ſeltenen Wiegen—
drucken gehören. Er ſtarb zu Bamberg im Jahr
1363, und ein Denkſtein mit ſeinem Bild und Wappen
iſt noch jetzt neben denen vier Gliedern ſeines Ge—
ſchlechts, an der ſogenannten Anhäuſer Mauer, dem
einzigen Ueberbleibſel des Kloſters Anhauſen, zu ſehen.
— Unter Rudolfs v. B. Söhnen kam Bebenburg in
fremde Hände. Engelhard, ſein älteſter Sohn, ver—
kaufte ſie im Jahr 1357 auf Wiederkauf an Herrn
Engelhard von Hirſchhorn. Im Jahr 1360 bewilligte
K. Karl IV. Engelharden von Bebenburg, im Fall
er ohne Leibeserben ſtürbe, dem Engelhard v. Hirſch—
horn die Veſte Bebenburg auftragen zu dürfen, wo—
raus ſich ergibt, daß fie Reichslehen geweſen. In
demſelben Jahr geben ſeine Brüder Friedrich und
Wilhelm ihren Conſens zu dem Kauf. Doch bis zum
Jahr 1380 ſind die Herren v. B. wenigſtens noch
theilweiſe im Beſitz der Veſte und Herrſchaft Beben—
376
burg, und der dazu gehörigen Burg Gammesfeld;
aber im Dezember des genannten Jahres traten Wil—
helm v. B. und ſeine Hausfrau Gutta, Geborene von
Landau, ihren Antheil, und im Jahr 1405 Catha—
rina von Klingenſtein, Wittwe des Conrad von Be—
benburg, das ihr zum Leibgeding verſchrieben geweſene
Drittel an die Burggrafen Friedrich V. und VI. von
Nürnberg käuflich ab. — Wo die Herren von Beben—
burg ſeitdem ihren Anſitz hatten, iſt nicht angegeben.
Vielleicht zogen ſie ſich vom Land in die Stadt Ro—
tenburg zurück. Im Jahr 1431 ſtarb daſelbſt Junker
Rudolf von Bebenburg, und liegt in der Kirche der
Dominikanerinnen begraben, wo noch ſein Grabmal
mit Wappenſchild zu ſehen iſt. Ungefähr um dieſelbe
Zeit lebte Conrad von Bebenburg, der durch ſeinen
Handel mit der Stadt Hall bekannt geworden. Der
Handel aber ging alſo an: Als die Pfarrei Reinſperg
ums Jahr 1440 erledigt wurde, da ſetzte der Abt
zu Comburg, als Kirchherr, den Sohn eines Salzſieders
zu Hall als Pfarrer ein. Aber es ſtand nicht lange
an, ſo ſandte der Biſchof einen andern Pfarrer, Na—
mens Berchtold von Rotenburg, dem der erſtere Platz
machen mußte. Derſelbe beſaß eine gute Zeit die
Pfarrei; aber der Salzſieder wollte ſeinen Sohn wie—
der in der Stelle haben. So nahm er eines Abends
etliche Haalbuben (Siedergeſellen) an ſich, und lief mit
ihnen hinaus nach Reinſperg. Da fingen ſie den Pfar—
rer in ſeinem Garten, führten ihn hinter den Reinſpach
hinab, zwiſchen Scheffau und Horbach zu einem Wag
377
(wogendes Waſſer) an die Bühler, dräuten ihn, er
ſollte dem vorigen Pfarrherrn wieder weichen, und
feine Gerechtigkeit übergeben, wo nit, jo wollten fie
ihn ertränken — er aber wollt nit abſtehen. Da
nahmen ſie ihn, gürteten ihm die Juppen zu, ſchuben
ihm den Buſen und Aermel voll Stein, warfen ihn
in den Wag, und als er wieder heraus kroch, warf
einer ihm einen Stein an den Kopf, daß er hinter
ſich fiel und ertrank; ſeinen Leichnam hingen ſie an
einen Baum. Auf dieß wendete ſich der Biſchof von
Würzburg an die Stadt Hall, und „forderte wegen
ſeines Pfaffen Ermordung Bekehrung und Wandel,“
(angemeſſene Buße). Die Stadt antwortete, daß ſie
und die ihrigen Solches nicht angehe. Der Biſchof
beſtand auf ſeiner Forderung. Als, aber die Sache
keinen Fürgang hatte, ſo übertrug der Biſchof Con—
raden von Bebenburg, ſeinem Diener und Stiftsmann,
die Bauren zu Reinſperg, ihr Leib und Gut zu ſeinen
Handen zu antworten, und ſchickte ihm dazu die Sei—
nigen zu Roß und zu Fuß, die ſolches mit ihm thun
ſollten. Da kam noch eine andere Sache hinzu, wo—
durch dem von Bebenburg der Auftrag ein willkom—
mener wurde. In denſelben Tagen war ſeine Haus—
frau in dem Wildbad geweſen. „Nun kam ſie bei
nächtlicher Weil vor das Kloſter Comburg, und be—
gehrte nach Herberg, der Abt aber war nicht anheims;
ward ihr zur Antwort, ſie dürften Niemanden ein—
faffen, weil ihr gnädiger Herr und Abt nit anheims
wär', ſie ſollt hinab gen Steinbach in das Thal
** .
378
fahren, ſo fände ſie gute Herberg. Da fie aber hin:
fuhren, warf der Fuhrmann um, brach der Bem—
bergerin einen Arm ab. Nachdem ſie aber heim kam,
klagte ſie Solches ihrem Mann, wie man den Pfaffen
ertränkt und jetzo ſie veracht, bei Nacht nit wollen
in das Kloſter laſſen, darum ihr dieſer Schad und
Schmach widerfahren; hetzte und erzürnte ihren Junker,
daß er bald darnach etliche der Seinen, auch des
Markgrafen von Anſpach Amtsverwandte aufmahnte,
und denen von Reinſperg unabgeſagt die Kühe weg—
nahm. Die Bauren folgten nach und ſchrieen Zeter
Mordio! Weil aber dazumal Comburg unter deren
von Hall Schutz und Schirm ſtand, und das Dorf
derer von Comburg war, ſo liefen die Hälliſchen mit
Spieß und Stangen zu, ereilten ſie bei Ilshofen,
drangen ihnen das Vieh ab, und fingen 21, führten
ſie am St. Nicolaus Abend gen Hall, und hängten
ſie alle am andern Tag. Darunter, ſo ſagt man —
alſo erzählt der alte Chroniſt Herold in ſeiner Haller
Chronik — ſei auch ein Schmidbub geweſen, den hab
man gefragt: wie er heiße? hab er geantwortet: er
heiße Hans; darauf der Stättmeiſter geantwortet:
jo du Hänslein hießeſt, that man dir Nichts, weil
du aber Hans heißeſt, ſo mußt du mit den Burſchen
hinfahren. — Auf dieſe Gewaltthat forderte Conrad
von Bebenburg die von Hall vor ein Schiedsgericht
und verklagte ſie wegen unrechtichen Gebrauchs ihrer
Freiheit vor dem Landgericht zu Würzburg und Her—
zogthum in Franken, und erlangte eine Achtserklärung
Ag =>
4 *
379
gegen Hall, ſodann verlangte er vor dem Richterſtuhl
des Kaiſers ſelbſt Beſtätigung dieſes Urtheils. In
ſeiner Klageſchrift verlangte er unter Anderem: „Der
Wandel ſey Bann gegen Bann, und die Seelen zu
beſſern (büßen), oder aber für jegliche Perſon einen
ganzen güldenen Mann, als groß, als jener geweſen
iſt (der ertränkte Pfaffe), und darnach die Seele zu
beſſern.“ Ueber den weiteren Gang des Handels
wiſſen wir nur ſo viel, daß es im Jahr 1442 zu
einem kaiſerlichen Urtheilsſpruch kam, der aber keine
eigentliche Entſcheidung der Sache herbeiführte. Da—
gegen erwuchs aus dieſem Handel den Hallern ein
Krieg, der Menſchen und Geld koſtete. Unter den
21 Gefangenen, die gehängt wurden, waren etliche
Grundholden des Markgrafen Albrecht zu Ansbach.
Aus Rache begann nun dieſer im Jahr 1444 um
Mariä Heimſuchung mit den Hallern Fehde, wie er
bisher mit den Nürnbergern gekriegt hatte, und that
ihnen viel Schaden. Ein und ein halbes Jahr dauerte
der Krieg, mit Rauben, Sengen und Brennen von
beiden Seiten, bis es zu einem Frieden kam, in Folge
deſſen die von Hall dem Markgrafen 6000 fl. geben,
und den 21 Gehängten einen Jahrstag in der Kirche
zu Anhauſen an der Bühler aufzurichten gelobten.
In dieſem Kriege wurde auch die Bebenburg verbrannt.
Conrad von Bebenburg mit den übrigen Edelleuten
der Gegend war auch auf Seiten des Markgrafen,
und der Beben burger beſonders mag nicht unterlaffen
haben, an den Feinden fein Müthlein zu kühlen.
380
Seitdem hören wir Nichts mehr von ihm. Vielleicht
ein Sohn Conrads war Jörg v. B., des h. roͤmiſchen
Reichs Erbküchenmeiſter, der im Jahr 1469 die Pfarr—
und Kirchen-Sätze zu Oberaſpach und die Badſtube
zu Unteraſpach dem Kloſter und Gotteshaus An—
hauſen, mit Bewilligung Wilhelms von Bebenburg,
überlaſſen. Er ſtarb im Jahr 1472, und wurde in
dem Familienbegräbniß Anhauſen beigeſetzt, wo ſein
Grabmal zu ſchauen, auf dem er in Lebensgröße in
Stein gehauen. Der genannte Wilhelm v. B. war
der Letzte des Mannsſtamms dieſer Familie. Im
Jahr 1499 — 1502 war er markgräflicher Amtmann
zu Lobenhauſen und ſtarb im Jahr 1516. — Als
Wappen führten die Herren von Bebenburg im ſil—
bernen Feld zwei rothe Thürme mit Zinnen, und auf
dem Helm eine geflügelte weibliche Figur, daher wir
im Wappen des Kloſters Schönthal dieſelben Thürme
finden.
An den zertrümmerten Thurm der alten Herren—
burg knüpfen wir die Sage von Wolfram von Beben—
burg, dem Stifter des Kloſters Schönthal.
Wolfram von Bebenburg.
Otto von Bebenburg lebte im Anfang des zwoͤlf—
ten Jahrhunderts, und war einer der tapferſten Ritter
des Gaus, in dem Rotenburg lag. Wenn es darauf
ankam, ſeinem Lehensherrn mit einem Fähnlein Knechte
zu Hülfe zu ziehen, war er gewiß einer der erſten,
381
der ſich einfand; aber bei Mahlen und Banketten,
die die reichen Gaugrafen fo häufig hielten, fehlte
immerdar Otto von Bebenburg, denn er war kein
Freund von ſolchen Dingen; lieber ging er, wenn
ihn Fehden nicht in Anſpruch nahmen, auf die Felder,
wenn ſeine Knechte pflügten oder die Schnitter im
Kornfeld ſtanden und reichen Segen ſammelten —
vor allem aber war er ein Liebhaber der Jagd.
Dieſer war er leidenſchaftlich ergeben, mehr als es
ſeiner Gattin, der edlen Bertha von Seckendorf, lieb
war. Solcher Liebhaberei huldigte er nicht minder,
als er ſeinen erſten Sohn Wolfram auf den Armen
wiegte, denn das Waidwerk war ihm gleichſam zur
andern Natur geworden. Sobald der Knabe fo weit
herangewachſen war, daß er auf dem hölzernen Reit—
gaul ſitzen konnte, nahm er ihn mit ſich auf ſein
Jagdroß, trotz des Widerſtrebens der liebenden Gattin,
denn der Ritter Otto wollte, daß ſeinem Söhnlein
ſchon frühe dieſe Neigung eingeprägt würde. Das
blutjunge Knäblein mußte vorn auf den Sattelknopf
ſitzen, wenn es noch ſo bittend die Hände zur lieben
Mutter ausſtreckte und Thränen über Thränen von
ſeinen rothen Wangen floßen — und der unerbittliche
Vater behielt ihn oft bei ſich auf der Jagd vom
Morgen bis zum Abend, denn ſo lange blieb Otto
gewöhnlich von Hauſe entfernt. Ging es ſcharf beim
Jagen, ſo gab er das Söhnlein einem ſeiner Jagd—
genoſſen, oder ſetzte es nieder am Stamme einer Eiche
auf bekanntem Platze — hätte Frau Bertha es ge—
——
382
wußt, ſie wäre vor Schmerz vergangen — und zum
Spiel gab er dem Söhnlein eine ſeiner Rüden und
ſeine Jagdflaſche, welche das Knäblein wohl kannte,
denn wenn es dürſtete, gab ihm der Vater daraus
zu trinken, wenn es aber hungerte, mußte es vorlieb
nehmen mit dem ſchwarzen Brode, das die Jagdge—
noſſen des Ritters zum Imbiß mit ſich nehmen mußten.
Da geſchah es eines Tags, daß der Ritter allein
auf der Jagd war — bald wurde er eines merk—
würdigen Wildes anſichtig und er rüſtete ſich, es zu
verfolgen. Schnell ſtieg er vom Pferde und ſetzte
den Knaben von vier Jahren nieder am Stamme ei—
ner wohlbekannten Eiche — und neben ihm legte ſich
der Rüde Waldmann, der mit dem Knäblein geboren
und aufgewachſen war. Jetzt folgte der Ritter dem
Wilde, das ihm in den Weg getreten war — es
war ein Hirſch mit 16 Enden, deren er noch wenige
geſehen hatte von ſolcher Größe. Raſch gings in
geſtrecktem Laufe durch Buſch und Wald — immer
hatte der Ritter den Hirſch im Auge, aber nie kam
er ſo weit nahe, daß ſein Speer ihn erreichen konnte
— der Hirſch verließ das Dickicht des Waldes und
ſtrebte in's Weite — der Ritter folgte ihm mit ſei—
nen Rüden — der Hirſch ſprang ohne Ermüden
immer weiter; nach und nach verlor ſich dieſer und
jener der Rüden — denn fie vermochten dem Schnell:
füßigen nimmer zu folgen und blieben zurück. Die
Sonne ſtand hoch am Himmel, als der Ritter zur
Jagd ritt, jetzt war ſie beinahe ſchon geſunken, und
383
in weiter Ferne erglänzte die Zinne von Bebenburg
im Abendſtrahle. Da wo die Brettach ſchon in ziem—
licher Breite dahin fließt, ſtand der Hirſch eine Zeit—
lang ſtille, aber als er ſah, daß der Ritter ihm nahe,
faßte er einen Sprung, er erreichte mit Mühe das
Ufer, der Ritter in der Haſt des Verfolgens konnte
ſein Roß nimmer halten, es wagte gleichfalls den
Sprung, aber er reichte nicht zum Ufer. Lang ſtrebte
das Roß ſich in der Höhe zu halten, aber je mehr
es ſtrebte, deſto tiefer ſank es unter im Schlamme
des Fluſſes, und Ritter und Roß ſanken zur Tiefe.
Während dieß Traurige geſchah, ſaß Frau Bertha
ſehnſüchtig auf dem Söller der Burg und blickte
hinüber an die Gränze des Waldes, in den ihr Ge—
mahl zur Jagd geritten war — jeden Augenblick
mußte er nahen, denn die Sonne war ſchon unter:
gegangen — und nie war es ſo ſpät geworden, wie
ſehr auch der Ritter ſelten gewohnt war, frühe heim—
zukehren. Schon lagerten ſich dichte Schatten über
die Umgegend, Otto kam immer noch nicht; da ſandte
Frau Bertha ihre Diener aus, um Vater und Söhn—
lein aufzuſuchen. Dieſe fanden von Beiden keine
Spur — oft riefen ſie den Herrn beim Namen, aber
Nirgends her ward ihnen eine Antwort. Betrübt
kehrten ſie heim, und brachten die traurige Kunde
ihrer Gebieterin, daß ſie weder ihren Herrn noch das
Söhnlein gefunden. Berthas Bangigkeit wurde immer
größer, als mitten in der Nacht die Rüden heim⸗
kehrten, welche ihr Gemahl mit ſich genommen hatte,
384
nur einer fehlte, der getreue Begleiter des Söhnleins.
Begleitet von einem Diener, machte ſich Frau Bertha
mit dem Fruͤheſten des Morgens ſelbſt auf den Weg.
Der Diener führte neben ſich einen der Hunde, die
vom Walde heimgekehrt waren. Bald kamen ſie zu
der Eiche, an der Ritter Otto ſein Söhnlein zurück—
gelaffen hatte. Die wohlbekannte Jagdflaſche ihres
Gemahls lag auf dem Boden. Gottlob, ſprach Frau
Bertha, doch eine Spur. Lange ſchnoberte der Rüde,
den ſie mitgenommen, an der Stelle; er ſchien einem
bekannten Geruche nachzugehen. Immer weiter ſuchte
der Hund. Frau Bertha und ihre Diener folgten, ſo
weit er ging. Mehr als eine Stunde gingen ſie
hinter dem Hunde — er führte ſie aus dem Walde
in die Ebene — immer rüſtiger wurde ſein Gang
— kaum vermochte die Frau mit ihren zarten Füßen
dem ſchnellen Laufe des Hundes zu folgen. Jetzt lief
er ſo weit vor ihnen, daß ſie ihn kaum mehr erblick—
ten — auf einmal hielt er ſtille und wedelte mit
dem Schwanze — ein anderer Hund ſprang ihm zu
— es war Waldmann, der Geſpiele des kleinen
Wolfram, der jetzt freudig auf fie zueilte — aber
der andere Hund, deſſen Spur die beiden bisher ge—
folgt waren, blieb ſtehen, richtete den Kopf in die
Höhe und heulte laut in die Luft. Frau Bertha
und der Diener waren jetzt nahe gekommen — ſie
ſtanden am Ufer der Brettach — ein freudiger An⸗
blick und ein ſchmerzlicher bot zu Einer Stunde ſich
ihnen dar. Hier ſaß der kleine Wolfram — und
385
neben ihm ein Mägdlein von gleicher Jugend, das ſich
freundlich an ihn anſchmiegte; noch lagen auf ihrem
Schooß die Reſte von Erdbeeren, die ſie mit einander
verzehrt hatten. Freudig ſtand das Knäblein auf und
lief ſeiner Mutter entgegen, ohne das Händchen des
Mädchens fahren zu laſſen. Sieh! lieb Mütterlein,
rief der Kleine, und ſtreckte der Mutter noch einige
Erdbeeren hin, die hat mir das Mägdlein gebracht,
denn ich hatte großen, großen Hunger. Während die
Mutter das wiedergefundene Kind in die Arme ſchloß,
ſtand der Diener neben dem Hunde, der ſich heulend
gegen den Fluß gewandt hatte. Schaut, rief er auf
einmal, dort hängt ja das Barett eures Gemahls,
meine Gebieterin! Wirklich ragte aus dem Waſſer
beraus ein Barett mit einer Reiherfeder, wie Herr Otto
es zu tragen pflegte, und bald ergab es ſich, daß es
die Stelle ſey, an der der Ritter mit dem Pferde
untergeſunken war. O Gott, mein Gemahl! rief Frau
Bertha, als ſie hinblickte und unter dem Barett das
bleiche Geſicht des Ertrunkenen erkannte — ſie ſank ohn—
mächtig auf den Boden. Laut ſchrie Wolfram, als
er ſeine Mutter hinſinken ſah und legte ſich neben ihr
nieder, aber das Mägdlein faßte ihre Hände und weinte
und ſchluchzte.
Ehe Frau Bertha von ihrer Ohnmacht erwachte,
war der Diener nach Hauſe geeilt, um Leute herbei—
zuholen und Rath zu ſchaffen in der jammervollen
Lage. Wie we'slich fügt es oft die Vorſehung, daß
der Menſch, während das Leid in vollem Maaße herein
II. 25
386
bricht, die Größe des Schmerzens nicht empfindet, denn
es tritt der Zuſtand der Bewußtloſigkeit ein. Bertha
war mit beiden Kindern ſchon auf ihre Burg gebracht,
als ihre Ohnmacht ſie verließ. Als ſie die Augen
aufſchlug, lag ſie auf ihrem Bette; zu beiden Seiten
ſtanden die Kinder, welche ihre Hände gefaßt hielten
und immer noch weinten. Sie wollte ſich aufrichten,
um in den Burghof zu eilen, aber ſie fiel in eine
neue Ohnmacht. Drunten im Hof lag Otto v. Beben—
burg, ſtarr mit geſchloſſenen Augen, auf einer Trag—
bahre, umgeben von ſeiner Dienerſchaft, welche laut
klagte, denn alle waren ihrem Herrn von Herzen zu—
gethan. Wirklich hatte man den edlen Herrn im Schilf
des Fluſſes gefunden — ſein Pferd war in der Tiefe
verſunken — aber er ſaß noch feſt auf dem Sattel —
ſeine Rechte lag krampfhaft um den Zügel, und man
ſah deutlich, wie er alle Kraft angewendet hatte, um
das Pferd in die Höhe zu reißen. Am dritten Tage
ward Herr Otto v. Bebenburg in der Gruft ſeiner Väter
beigeſetzt; hinter ſeinem Sarge gingen nur Wenige.
Frau Bertha lag fieberkrank im Bette, das ſie nicht
verlaffen durfte, aber den kleinen Wolfram nahm der
alte Diener auf ſeine Arme und trug ihn zunächſt
hinter dem Sarge; ſo ſah Wolfram von Bebenburg,
der noch nicht die Größe ſeines Verluſtes kannte, in
die Gruft ſeines Vaters, und faltete betend die Händ—
lein, als man ihn hinabſenkte, denn er ſah, wik die
übrigen die Hände falteten und beteten für die Seele
des geliebten Burgherrn.
387
Unter dem Traurigen, was bisher geſchehen war,
hatte man des fremden Mägdleins beinahe vergeſſen.
Als man Frau Bertha und ihr Söhnlein von dem
Orte wegbrachte, wo das Schreckliche vorgegangen war,
ſo folgte das Mägdlein und ließ ſich von Niemand
abtreiben. — Die Tage der großen Unruhe auf der Burg
waren vorüber, Bertha konnte auch nach und nach
das Krankenlager verlaſſen, und jetzt erſt richtete ſie
ihre Aufmerkſamkeit auf das Kind, welches auf fo
wunderbare Weiſe mit ihrem Söhnlein zuſammenge—
troffen war. Bis auf dieſe Stunde hatte noch Nie—
mand nach dem Kinde gefragt, deſſen Heimath oder
Herkunft durch keine Frage ermittelt werden konnte,
die Frau Bertha an daſſelbe richtete. Nur ſo viel
konnte man aus ſeinen kindlichen Antworten ſchließen,
daß Ida ſein Name ſey, daß es in dem kleinen Stüb—
chen eines ſchöͤnen, von dichter Waldung umgebenen
Häuschens erzogen wurde, wo nur eine alte Frau
liebevoll ſeiner wartete. Es ſah nie Jemand anders
um ſich, als eine ſchöngeſchmückte Frau, welche es zu=
weilen beſuchte, aber nie froh anblickte. Selten kam
es aus ſeinem einſamen Stübchen, und immer war
die alte Frau ihm zur Seite. Einmal entging es der
Aufſicht ſeiner Wärterin, ging hinein in den Wald
und ſuchte Erdbeeren, kam aber immer tiefer in den
Wald hinein. Es hörte die Stimme ſeiner Waͤrterin,
aber aus Furcht verlief es ſich immer weiter, bis es
ganz ermüdet, nach langem Gehen, an jene Eiche kam,
wo der kleine Wolfram mit ſeinem Hunde ſpielte.
2388
Dort theilte es mit dem Knaben die Erdbeeren, welche
es geſammelt hatte, und als es Nacht war, ſchlief es
neben ihm ein auf dem Mooſe. Des Morgens ver—
ließ der Hund die Eiche und wedelte freundlich, bis
ſie beide ihm folgten und an den Ort kamen, wo
Wolframs Vater im Fluſſe untergeſunken war. —
Letzteres berichtete der kleine Wolfram, als ergänzend
zu des Mägdleins unvollſtändiger und manchmal uns
deutlicher Ausſage. Dieß Wenige reichte hin, um
nähere Forſchungen anzuſtellen, ob etwa das Kind ei—
nem der benachbarten Ritter des Gau's gehöre. —
Ueberall hin ſandte Frau Pertha Boten, um Erkun—
digung einzuziehen, aber Niemand fand ſich, der an
das Kind einen Anſpruch machte. Da unterließ es
die trauernde Wittwe, weiter nachzuforfchen. Hat mir,
ſprach ſie, der Herr des Himmels eine liebe Seele von
der Seite genommen, ſo hat er doch eine andere mir
wieder zugeführt. Zudem hatte ſich auch das Maͤgd—
lein ſo ſehr an den kleinen Wolfram angeſchloſſen,
daß es jedesmal weinte, wenn man davon ſprach, wie
es bald feinen lieben Geſpielen verlaffen müßte. Das
rum betrachtete Frau Bertha das fremde Mägdlein als
ihr Eigenthum, und es galt ihr wie ein Töchterlein,
das ſie unter ihrem eigenen Herzen getragen. Von
nun an waren die beiden Kinder der einzige Troft
und die einzige Freude in ihrem frühen Wittwenſtande.
Wie zwei Geſchwiſter wuchſen die Kinder neben einan—
der auf. Ida betrachtete ihren Geſpielen Wolfram
nicht anders, als ihren Bruder, und die Frau von
389
Bebenburg als ihre Mutter. Mit ſichtbarem Wohl—
gefallen blickte Frau Bertha auf das innige Verhaͤlt—
niß der Kinder, und ſie ſchien, es auch nicht mißbilli—
gend anzuſehen, als Beide heranblühten, und aus jenem
Verhältniß der Geſchwiſter noch ein innigeres nach und
nach ſich entfaltete. Zuvor die beſtändige Theilnehmerin
an Wolframs Spielen, ſaß Ida ſeit ihrem ſechszehn—
ten Jahre mehr einſam auf ihrem Gemache, aber ſie
war nicht minder mit dem geliebten Bruder im Geiſte
beſchäftigt; derweil tummelte Wolfram ſein Roß auf
der Ebene oder ritt zur Jagd, aber mehr, um ſeine
Gedanken zu zerſtreuen, denn als der Neigung zu
fröhnen. Es waltete jenes Gefühl in ſeinem Herzen,
in dem man Gottes freie Natur, beſonders das Dunkel
der belaubten Wälder ſucht, um an den Gegenſtand zu
denken, dem man nahe ſein könnte, und doch nicht
nahe ſein will, damit er nicht belauſche die Gedanken
des Herzens, damit er nicht begegne dem liebeglühenden
Blicke des Jünglings — jenes Gefühl, in dem man
die Abgeſchiedenheit ſucht, damit der Gegenſtand unſerer
Liebe nicht errathe das Geheimniß unſerer Hingebung
unſerer unmännlichen Abhängigkeit. Doch was ſollten
ſie es ſich ſelbſt, was ſollten ſie es andern lange verhehlen,
daß ein Band ſeit einiger Zeit ihre Herzen knüpfe —
ſah ja die Mutter mit Wohlgefallen auf Beide, und
ſchien es ſogar zu wünfchen, daß fie das engſte Band
verbände.
Wie bei Wenigen leuchtete ein freundlicher Stern
am Himmel der Liebe dieſen Glücklichen. Aber wie es
390
jo oft die Erfahrung des Menſchenlebens lehrt, wo
am glücklichſten der Anfang, da iſt der Fortgang der
unglücklichſte — jo auch hier. Wer konnte bald ges
wiſſer fein der ungetheilteſten Neigung Ida's, wer hatte
bald triftigere Beweiſe, daß ihr Herz nur für ihn
ſchlage, dem ſie ſeit früher Jugendzeit zugethan war,
als Wolfram von Bebenburg? Aber nur kurz dauerte
fein Wahn, in dem er fo felig war; nur kurze Zeit
währte die Treue, welche Fräulein Ida in mancher trau⸗
lichen Abendſtunde ihrem heißgeliebten Wolfram gelobte.
Cuno von Selteneck war einer der Jugendgeſpielen
Wolframs von Bebenburg — ſeine Burg lag nicht
ferne von Wolframs Burg, daher ſprach er oft dort
ein, wenn ihn die Jagd des Weges führte, und Frau—
lein Ida, welche in der ganzen Gegend für Wolframs
Verlobte galt, erſchien oft neben Mutter Bertha, wenn
ſie den Gaſt willkommte; Wolfram war oft ſelbſt der—
jenige, welcher ſie veranlaßte, dem lieben Jugendge—
noſſen den Becher zu kredenzen. Ach! daß der Menſch
ſelbſt, ohne daß er es gedenkt, die erſte Veranlaſſung
eines Schmerzens werden muß, der ſeine Seele ſpaͤter
niederdrückt! — Ida ſah den Seltenecker, ſie verglich
den Ritter von höfiſchem Weſen und mehr als freunde
lichen Worten mit dem redlichen und ächt biedern
Weſen Wolframs v. Bebenburg, und der letztere ſtand
weit über dem erſteren: ſie ſtellte endlich den hohen
und ftattlichen Cuno v. Selteneck, mit blondem Locken⸗
haar und blauen Augen, gegenüber ihrem geliebten
Wolfram, der weniger durch äußere Geſtalt ſich aus—
391
zeichnete, ob ihm gleich jene Anmuth der Züge, jener
Ausdruck des Auges nicht fehlte, der mehr wirkt, als
ſtattliche Figur, als das Weibiſche im Aeußern des
Mannes; ſie verglich — und Wolfram ſtand in dieſer
Hinſicht weit unter Cuno von Selteneck. Solche Ver⸗
gleichungen, meinen die zarten Frauen, ſchaden der
Liebe nicht — ſo dachte auch Ida. Der Ritter von
Bebenburg nahm dennoch im Herzen die erſte Stelle
ein, und Cuno von Selteneck, je öfter ihn Ida ſah,
deſto weniger war ſein Erſcheinen für ſie gleichgültig.
Der von Selteneck erwiederte ihre Aufmerkſamkeit, ohne
daß Wolfram es merkte, denn ſein Herz war keines
Mißtrauens fähig, und hielt es für unnöthig, den
Beobachter zu machen. Höfiſche Reden und Schmei—
cheleien wirkten auf Ida's Herz; die Eitelkeit, welche
ſelten den Mädchenſeelen fehlt, wurde auf ſolche Weiſe
genährt — bald ſolgten bei Beiden ſüße Blicke hinter
Wolframs Rücken — und Ida, die zuvor nur Einem
zugethan war, theilte ihre Neigung zwiſchen Zweien.
Doch Niemand kann zwei Herren dienen, iſt ein wahres
Wort — den einen muß man lieben, den andern
haſſen. Das erſtere war Cunos von Selteneck glück—
liches Loos — und Wolfram, der Auserwählte ihrer
Jugend — für ihn ſchlug Ida's Herz immer weniger,
ob ſie es gleich lang ſich ſelbſt verhehlte, und ſie ließ
ihn in ſeinem traurigen Irrthum.
Wolfram konnte lange nicht zu der Ueberzeugung
gelangen, daß in Ida's Herzen eine traurige Verän—
derung vorgegangen — ihr Blick war ja immer der
392
liebevolle, ihr Wort immer das freundliche, ihre Lieb:
koſungen immer dieſelben; — er konnte keiner andern
ir cht werden, obgleich feine Mutter, welche doch für
ſo ſehr eingenommen war, ihm da und dort nicht
1 Winke gab, daß es nöthig wäre, Ida
beſſer zu beobachten. Weiber ſehen tiefer in das Herz
derer, die ihres Geſchlechtes ſind, aber Wolfram achtete
dieſe Winke nicht, bis ihm ſelbſt die Augen aufgingen
und er erkennen mußte, wie ſehr er ſich in Ida ges
täuſcht hatte.
Eines Tags kehrte er früher von der Jagd heim,
als er es ſonſt gewohnt war — er war ohne Be⸗
gleitung ausgeritten, und ſein Gehen hatte eben ſo
wenig Aufſehen gemacht, als jetzt ſein Kommen. Er
ritt über die Brücke in den Hof — ſonſt waren Ida
und ihre Pflegmutter die erſten, welche ihn bewill⸗
kommten — Ida erſchien nicht, aber Bertha, ſeine
Mutter, ging neben ihm: denn ſchon im Burggarten
hatte ſie ihn bewillkommt, in dem ſie ſo eben ſich er—
gangen hatte. Haſtig eilte Wolfram die Treppe hinauf,
aber leiſen Trittes zu Ida's Gemach, denn er wollte
ſie freudig überraſchen durch ſeine baldige Heimkehr.
Schnell öffnete er die Thür — er ſah Ida, und vor
ihr lag ein Ritter auf den Knieen — ihre Rechte
hielt die Seinige, und den linken Arm hatte ſie um
ſeinen Nacken gelegt. Wie vom Blitze gerührt waren
Beide, als ſie den Ritter von Bebenburg erblickten.
Cuno von Selteneck, rief Wolfram, iſt das Ritterſinn
und Freundestreue? Sein Geſicht überzog bald Röthe,
393
bald Todtenbläſſe, und feine Hand zitterte am Griffe
des Schwertes, das er gefaßt hatte. Ida würdigte
er keines Blickes; die war zurückgetreten und verhüllte
vor Schaam ihr Geſicht; Cuno von Selteneck aber
ſtand gegenüber mit geſchränkten Armen und ſchien ſie
an dem Schmerz zu weiden, der jetzt Wolframs He
durchwühlte: Cuno von Selteneck ſchien der Beleidigte
und Wolfram der Beleidiger. Beide betrachteten ſich
lange; da begann endlich Wolfram mit gefaßter Stimme
und kaltem Blicke: Cuno von Seltene! mit Sonnen—
aufgang bei den beiden Eichen im Thalgrund! Dieſes
geſagt, verließ er das Gemach, aber einen wehmüthigen
Blick richtete er noch im Gehen auf Ida. Mit einem
Hohnlachen erwiederte Cuno des Gehenden Heraus—
forderung zum Zweikampf.
Niemand auf der Burg, ſelbſt Bertha, die Burg—
frau, erfuhr etwas von dem, was geſchehen war, Wolf—
ram verſchloß es als ein Geheimniß in ſeine Bruſt.
Nur in feinem Blicke, der fo düfter war, wie noch nie,
las Frau Bertha, daß etwas vorgefallen wäre — aber
ſie forſchte nicht, als ſie am Abendimbiß ſaßen — ſie
fragte nicht nach der Urſache, als Ida nicht dabei ex—
ſchien, wie ſie es immer gewohnt war. ‚
Morgens, ehe die Sonne aufging, trat Wolfram
aus der Burg und ſtieg hinunter ins Thal, wo die
beiden Eichen aus Einem Stamme wuchſen. Noch lag
Dämmerung über dem Thal; als die Sonne aufging,
erſchien Cuno von Selteneck in glänzender Rüſtung.
Sie traten einander näher; kaum ſah Wolfram ſeinem
394
* Gegner noch ins Geſicht, ſo ſchwang Cuno ſchon den
Stahl über ſeinem Haupte. Mit Gewandtheit fing
Wolfram den Hieb auf, der ihm den Helm geſpalten
hätte; Cunos Schwert prallte in die Luft und er ſah
bald, daß ein Kräftiger ihm gegenüber ſtand. Wolfe
kam ließ ſeinem Gegner Zeit, das Schwert wieder
feſter zu faſſen. — Cuno richtete einen zweiten Hieb
gegen Wolframs Haupt, aber zu gleicher Zeit holte
Wolfram aus, und begegnete dem Schwerte des Gegners
— beide prallten zuſammen und Cunos Stahl flog
in Stücke. Der Kampf war jetzt geendet, aber der
von Selteneck wollte nicht abſtehen, er riß den Dolch
aus dem Gürtel und ſtürzte auf Wolfram los. Cuno
ſuchte des Gegners Hals, da wo der Helm und der
Panzerkragen zuſammentreffen, aber ſeine Hand zitterte
vor Wuth, und der Dolch glitt am Bruſtpanzer ab;
indeſſen faßte ihn Wolfram mit kräftigem Arme, rang
eine Zeitlang und warf ihn zu Boden, daß Cunos
Rüſtung laut krachte; das Helmband riß in Stücken
und der Helm rollte weit hin. Jetzt erſt ward ſicht—
bar, daß Wolframs Hieb nicht nur ſeines Gegners
Schwert zerſchlagen, ſondern auch ſeinen Helm getroffen
und ihm eine nicht unbedeutende Kopfwunde beigebracht
habe. Cuno von Selteneck lag auf dem Boden und
aus ſeinem Haupte quoll das Blut: er war ſo ſehr
vom Fall erſchüttert, daß er ſich lange nicht mehr
aufrichten konnte. Wolfram verließ den Kampfplatz
und kehrte zur Burg zurück — aber als er zurückblickte,
ſah er, wie der von Selteneck grimmig ſeine Fauſt
395
ballte, und nicht undeutlich hörte er das Wort aus
ſeinem Munde: Rache und Verderben! — Doch das
Wort ſchien umſonſt geredet. Wolfram hörte ſeitdem
wenig mehr von ſeinem treuloſen Freunde: die einzige
Kunde war die, daß er bald wieder geneſen waͤre.
Aber nicht ſo bei dem Ritter von Bebenburg. Se
er ſich ſo ſchrecklich in Ida getäuſcht hatte, nagte ein
ſchwerer Kummer an ſeinem Herzen — vor ſeiner
Mutter hielt er Ida's Unrecht verborgen, darum blieb
ſie immer in der Burgfrau Umgebung — er ſah ſie
täglich, ſaß ihr gegenüber, ſah den Kummer ihres
Herzens, der dem neuen Buhlen galt — er ſollte
haſſen, und doch konnte er es nicht, denn das Band
der Liebe war in ſeinem Herzen nicht ſo ſchnell zer—
riſſen. — Da erging aus dem Munde Bernhards von
Clairvaux der Ruf zum heil. Grabe, und er drang
auch in dieſe Gegend — Wolfram hörte ihn mit
Freuden und folgte. Kein Wort ſeiner Mutter, die
jetzt einſam und verlaſſen wäre, konnte ihn zurückhalten.
In wenigen Tagen hatte er ſich gerüſtet, und er zog
zuvor nach dem Jagſtthal, um ſich dort mit dem Sohne
eines Freundes ſeines ſeligen Vaters, dem jungen
Engelhard von Berlichingen, dem Heere Koͤnig Konrads
anzuſchließen, das ſich gerade aus allen Gegenden
Deutſchlands verſammelte. Es war ein ſchmerzlicher
Augenblick, als Wolfram aus der Burg ſeiner Vaͤter
ritt: die Mutter wollte ſich kaum von ihrem Sohne
trennen. Auch Ida trat herzu, in ihren Augen ſtan—
den Thränen, und ſie ſchien herzlich ihr Unrecht zu
396
*
bereuen. Wolfram reichte ihr die Hand zum Abſchied
und ein Blick fiel auf ſie, wie in jenen Tagen, da ſte
ſein ganzes Seelenglück war. Mutter! war des Schei⸗
denden letztes Wort, Mutter verſtoß nicht das Mägd⸗
lein um meinetwillen. Da erſt floſſen Ida's Thränen
ſtromweiß, und ſie ſah lange noch dem Scheidenden
nach. — Drei Jahre kämpften die beiden Freunde,
Wolfram v. Bebenburg und Engelhard v. Berlichingen,
im heil. Lande ritterlich gegen die Sarazenen. Mit
Siegeslorbeeren geſchmückt kehrten die beiden Freunde,
die an heil. Stätte den Ritterſchlag empfangen hatten,
in das deutſche Vaterland zurück. Engelhard v. Ber⸗
lichingen ſah freudig die Seinigen, Vater, Mutter und
Geſchwiſter wieder; nicht ſo der edle Wolfram von
Bebenburd. Als er ſich unterwegs von feinem Freunde
verabſchiedet hatte, ritt er allein der Burg ſeiner Ahnen
zu. Eine traurige Kunde traf ſein Herz, als er nahe
der Burg ritt. Seine innig geliebte Mutter Bertha
war ſchon vor zwei Jahren geſtorben, ſo berichtete ihm
ein alter Diener des Hauſes, der heimathlos umherzog,
denn er war aus dem Schloſſe Bebenburg vertrieben,
das nach dem Tode der Burgfrau ein Fremder ge—
waltthätig eingenommen. Und wer war dieſer Gewalt⸗
tbätige? Cuno von Selteneck, fein Todfeind, der mit
Hülfe der ungetreuen Ida ſich leicht in den Beſitz des
Schloſſes geſetzt hatte, und nun mit ihr darin ſchaltete
und waltete. Behalte Beides, rief Wolfram ſchmerz—
erfüllt, die Treuvergeſſene und das Erbe der Ahnen,
ich will dir, du ehrvergeſſener Räuber, weichen, denn
397
N
ich habe doch keine Freude im Leben mehr, ſeitdem die
theure Mutter verſtorben und Ida mir verloren ge—
gangen — in der Erfüllung meines Gelübdes, das
ich an heil. Stätte gethan, dem Herrn ein Kloſter zu
bauen, wenn ich wohlbehalten in die Heimath kehre,
will ich den Frieden ſuchen, den die Welt mir ges
nommen. Im Angeſicht der nun fremdgewordenen
Väterburg lenkte er ſein Roß um, nachdem er dem
armen Diener Alles gegeben hatte, was er Werthvolles
noch bei ſich trug — und nun zog er dem Jagſtthale
zu, wohin ſein lieber Waffenbruder ihm vorangegangen
war. Weit unten im Thale, nahe der Burg Berli—
chingen, dem Anſitz ſeines Freundes, beſaß Wolfram
das Erbgut Neuſeze (Neuſaß), nebſt mehreren andern
Gütern und Grundſtücken. Da wollte er zuerſt das
im heiligen Lande gelobte Kloſter gründen. Aber er
änderte ſein Vorhaben, als ihm an der Stätte eine
wunderbare Erſcheinung wurde, die ihm bedeutete, er
möge dieſen Platz Neuſeze auf der Höhe verlaſſen, und
zunächſt unten im Schönthale das Kloſter aufbauen.
Willig trat fein Waffenbruder Engelhard von Berli—
chingen ein ſeiner Familie gehöriges Grundſtück ab,
und nun wurde hier, in geringer Entfernung von der
Burg Berlichingen, ein ſtattliches Kloſter erbaut, im
Jahr des Herrn als man zählte 1157, und ſein Name
ward genennet Schönthal, dieweil es in einem ſchönen
Thale lag. Nachdem Wolfram von Bebenburg einen
Abt mit zwölf Mönchen aus dem Kloſter Maulbronn
beſtellt hatte, um in dem neuen Kloſter ſich anzuſiedeln,
398
N
trat er ſelbſt nicht als Mönch, ſondern aus purer
Demuth als Laienbruder ein, denn er wollte der Ge—
ringſte unter Allen ſeyn. In dieſem, dem Herrn ge—
ſtifteten Kloſter, diente er von nun an Gott mit einem
andaͤchtigen und frommen Leben, bis ihn der Herr in
die Wohnungen des ewigen Friedens abrief. Er liegt
zu Schönthal neben den übrigen Mönchen begraben.
Ein lebensgroßes Bild im Converſenhabit, gleich beim
Eingang in die jetzige prachtvolle Kloſterkirche, verewigt
das Andenken des frommen Stifters Wolfram von
Bebenburg.
XII.
Die Delfener Capelle.
Zwiſchen Tuͤbingen und Hechingen, hart an den
Albbergen, liegt auf offenem Felde, umgeben von Obſt—
bäumen, das freundliche Dorf Belſen (Filial von Möſ—
ſingen), berühmt durch ſeine weit und breit berühmte
uralte Capelle. Dieſelbe ſteht unmittelbar unter dem
Farrenberg auf einem grünen, dicht mit Obſtbäumen
beſetzten Hügel, iſt maſſiv von reinbehauenen weißen
Sandſteinen gebaut, aber mit nordiſchem Spitzgiebel⸗
dach. Schon der flüchtigſte Anblick, ſagt Gu ſtav
Schwab, der die Capelle am ausführlichſten beſchrieben,
399
erklärt fie für ein vorgothiſches Alterthum: das runde
Gewölbe der niedrigen Pforte, der Bau der Fenſter,
die gänzliche Schmuckloſigkeit, ſelbſt die Beſchaffenheit
der Bauſteine, ſetzen dieſes außer Zweifel. Nur der
kleine Chor hat ſpitzbogige Fenſterwölbungen, und iſt
ſammt dem Thürmchen unſtreitig jüngeren Urſprungs.
Kommt man von Möſſingen, ſo erblickt man zuerſt
die Oſtſeite, den Chor des Kirchleins. Mehrere Steine
haben zwar ein alterthümliches Ausſehen, aber Nichts
iſt da, was auf ein höheres Alter ſchließen ließe, als
das gewöhnliche der Kirche. Anders ſieht die Nord⸗
ſeite aus: auch hier ſtört zwar ein durchbrochenes
Kirchenfenſter und eine Treppe, die auf den Thurm
führt, aber die Steine find durchaus alt und maſſiv,
auch, wie gewöhnlich bei ähnlichen Gebäuden, zum
Theil unten mit runden Löchern. Erſt die Abendſeite
gibt Aufſchluß über den früheren Zuſtand und die
Bedeutung des Kirchleins. Gerade über der Thüre,
dem Haupteingang, iſt ein Kreuz zu ſehen, über dem,
concentriſch mit dem unten laufenden Bogen, ein Stein,
auf dem eine kleine Figur, ein kurzer dicker Kerl,
deſſen Arme und Beine einen Halbkreis bilden und
unten zuſammenlaufen, ſich befindet: „ein ſich ver—
krattelnder Mann,“ ſagt der alte Zeller in ſeiner
Beſchreibung Tübingens vom Jahr 1743. Er ſcheint
Etwas in den Händen zu halten, was durchaus nicht
mehr deutlich zu erkennen iſt. Genau über dieſem
Stein, ziemlich höher, zeichnen ſich vier andere aus.
uf dem in der Mitte ſtehenden iſt eine Figur, etwa
400
doppelt fo groß, als die auf dem untern Stein, mit |
dickem Kopf, an die Seiten gelegten Armen, die Beine
an ſich zwar gerade, aber doch ſo, daß die Zehenſpitzen
ſich (beinahe) berühren. Der Stein zur Rechten zeigt
einen großen Ochſenkopf, der zur Linken zwei Widder⸗
köpfe, der über dem mittleren zwei Köpfe, deren einer
ein Widder⸗, der andere ein Ochſenkopf zu ſeyn ſcheint.
Etwas höher iſt wieder ein Kreuz, größer als das
untere. Auf den erſten Blick fällt es auf, wie ſehr
bei der ganz und gar ſchiefen Lage deſſelben die bis
jetzt ſo genau beobachtete Symmetrie verletzt iſt: es
ſteht viel zu ſehr zur Rechten, und nicht, wie alle
andere Steine, ganz perpendikulär. Höher, und noch
weiter rechts, iſt eine kleine Oeffnung. Zur Rechten
wie zur Linken der Thüre finden wir zwei gewölbt
hervorſpringende kleine Säulen, nicht freiſtehend, un—
mittelbar an die Wand ſich anſchließend, jede um etwas
mehr als handbreit. Die rechte hat unten ganz deut⸗
lich zwei Räder, die Umriſſe mit Punkten bezeichnet,
die bei der untern ziemlich tief gehen. Das Ausſehen
mahnt auf den erſten Anblick an Ammonshörner, wir
glauben aber, fie für Zierrathe erklären zu dürfen,
denn, wenn wir den untern Theil der linken Säule
betrachten, ſo finden wir ihn mit dreifachen Streifen
geziert. Ganz die nemliche Erſcheinung finden wir um
das untere Kreuz, nur weniger tief, und hie und da
die Umriſſe weniger beſtimmt. Daſſelbe finden wir
endlich, wenn wir die Verzierung der engen Pforte,
wie ſie, mit Anſpielung auf den Spruch, die Ueberſchrift
401
neunt, damit vergleichen. Wenn wir uns von der
Mittagsſeite, die nichts Bedeutendes hat, aus zur
Morgenſeite wenden, ſo fällt uns zuerſt die Einbeu—
gung in die Augen, die den Anfang des Chors be—
zeichnet. Hier iſt nun eine runde Oeffnung, ſo ge—
legen, daß durch ſie der erſte Strahl der Morgenſonne
hereinfällt. Der Theil des Gemäuers iſt unſtreitig
ſo alt, als die Weſtſeite. — Die Volksſage von Belſen
erklärt dieſe Kirche, die ſeit undenklicher Zeit zum
Gottesdienſt der Gemeinde eingerichtet iſt, für einen
heidniſchen Bels- oder Baals-Tempel, von dem fie
auch den Namen Belſen ableitet, ſetzt den Farren—
berg, wohl auch den Roßberg, mit in Verbindung,
indem ſie erzählt, daß auf dieſen Höhen das heilige
Opfervieh geweidet wurde, und zeigt noch im Innern
der Kapelle den Stein, an welchen die Opfer ange:
bunden wurden.
Wir wollen die Volksſage nicht als aus der Luft
gegriffen betrachten, ſondern mit den Anſichten der
Gelehrten, die ſich ſchon ſeit mehr als 100 Jahren
mit der Unterſuchung über das Alter der Capelle und
der Erklärung ihrer Bildwerke Viel zu ſchaffen gemacht
haben, in Einklang bringen. Darüber ſind alle einver—
ſtanden, daß die Belſener Capelle ein Bauwerk iſt, welches
im Laufe der Zeit mehrere Aenderungen erfahren. Will
man ſich eine Vorſtellung von ihrer Urgeſtalt machen —
das ſind die Worte unſers Altmeiſters in dieſem Fache,
des gelehrten Domdechant von Jaumann — ſo muß
man ſich die neuen Zuſätze zuerſt hinwegdenken. Dieſe
II. 26
402
find das Dach, der Chor gegen Oſten und eine erft
vor 30 Jahren angebaute Sakriſtei. Alle dieſe Theile
ſind erſt ſpäter, wohl zur bequemeren Einrichtung für
eine chriſtliche Kirche, aber offenbar zur Entſtellung
des alten Denkmals hinzugekommen. Die Sakriſtei
iſt gerade an der Stelle angebaut, wo die Oeffnung
zum Einfallen des erſten Sonnenſtrahls beim Auf—
gang der Sonne angebracht war. Denken wir uns
nun dieſe Zuſätze weg, ſo zeigt ſich uns von Oſten,
wo jetzt der Chor angebracht iſt, der freie Eingang
— vielleicht einer Vorhalle in den Tempel; links,
gerade gegen Oſten, iſt an einem Vorſprung die ob—
benannte Oeffnung angebracht: aus früher ganz klei—
nen, hoch oben, zu beiden Seiten gegen Norden und
Süden angebrachten Oeffnungen (Fenſtern, Hohllich—
tern) fiel ein ſpärliches Licht, und gegen Abend war,
dem Eingang gegenüber, eine niedere ſchmale Pforte
angebracht, ſo wie eine gleiche Pforte gegen Süden
war. An der Abendſeite erhebt ſich der Giebel, und
an dieſem ſind die hieroglyphiſchen Figuren eingemauert.
So etwa war die Capelle oder vielmehr der Tempel
in älteſter Zeit, und kündigt ſich als ein römiſches
Bauwerk an, das etwa vom zweiten bis dritten Jahr:
hundert errichtet wurde. Der Tempel war dem Mi:
thrasdienſt, vereinigt mit dem Iſiscultus, den römiſche
Veteranen aus dem Orient mitgebracht und überall, wo
ihre Legionen lagen, einführten, gewidmet. Hier — das
ſind die Worte des ſel. Schwab, der am ſcharfſinnig⸗
ſten über die Capelle geforſcht — opferten ſie nach
403
egyptiſcher Weiſe Farren, die ſie auf dem ganz nahen
Farrenberg weideten. Merkwürdig iſt in dieſer Hin—
ſicht ein im Innern der Capelle aus der Mauer, da,
wo ſich der neuere Chor anſchließt, hervorragender
Stein, der in einer chriſtlichen Kirche durchaus fremd
und bedeutungslos iſt, den aber die Volksſage ohne
Bedenken zu dem Steine macht, an den die Farren
beim Opfer angebunden wurden. Darum vermuthen
wir, daß da, wo ſich jetzt der Chor anſchließt, der
Haupteingang zum Tempelchen mit der Opferſtätte
geweſen, vielleicht mit bedeutenden und reicheren, jetzt
verlornen Symbolen. Das jetzige Frontiſpitz wäre
die Rückſeite mit einer Hinterthür und den übrig ge—
bliebenen Sinnbildern. Den ganzen Tempel denken
wir uns begreiflich nicht ſpitzig und mit einem Giebel—
dach, wie jetzt verſehen, ſondern etwas thurmartig in
die Höhe gebaut. Später wurde die Capelle in eine
chriſtliche Kirche umgewandelt. Dieſe Umwandlung
geſchah wahrſcheinlich durch die iriſchen Heidenbekehrer,
etwa 600 Jahre nach Chriſti Geburt, um dieſelbe
Zeit, als dieſe am Bodenſee einen deutſchen Heiden—
tempel zu Bregenz in einen chriſtlichen umwandelten.
Laſſen wir nun einen ſolchen chriſtlichen Heidenbekehrer
nach Belſen kommen und die dortigen Allemannen
bekehren; er findet den römischen Tempel vielleicht
ſchon als Ruine, aber doch mit leichter Mühe zum
chriſtlichen Dienſt wieder herſtellbar, und macht dieſes
den Neubekehrten begreiflich. Es wird ans Werk ge:
ſchritten. Das Haus muß vor allen Dingen nach
404
nordiſcher Sitte und dem Bedürfniß des Klima's ein
Giebeldach erhalten. Zu dem Ende wird auf beiden
Längeſeiten von der Höhe genommen, an der Breite
aber hinaufgebaut, um den Giebel zu vollenden.
Dieſe Annahme erleichtert uns die Erklärung des
Kreuzes. Die Bekehrer wie die Bekehrten haben ohne
Zweifel Anſtand an den unförmlichen und ihnen
fremden Götzenbildern am oberen Theile dieſer Tem⸗
pelſeite genommen. Sie und ſich zu beruhigen, riethen
nun jene den Bauenden, bei Vollendung des Giebels
über den abgöttiſchen Mißgeſtalten das ſichtliche Symbol
bol des Kreuzes einzuſetzen, vielleicht nicht blos als Zei—
chen des vertriebenen Götzendienſtes, ſondern auch, um
den möglichen unheilvollen Einfluß jener Götzen (Teufel)
unwirkſam zu machen. Aus eben dem Grunde ward
über die Eingangsthüre an der Weſtſeite ein Kreuz
mit verſchiedenen Zierrathen eingemauert. Daß wir
heut zu Tage keinen Anſatz im Bau des Giebels be
merken (abgerechnet den unmittelbar auf beiden Seiten
des Daches hinlaufenden) wird wohl auf Rechnung
des Geſchmacks der Umgeſtaltenden geſetzt werden
dürfen, die hoffentlich die wenigen Steine des Gipfels
nach dem Muſter des alten Baues zuzuhauen und zu—
ſammenzuſetzen nicht unterlaſſen haben werden. Eben
ſo mag es mit dem jetzt von dem Chor verdrängten
Haupteingang auf der andern Breite des Tempels
gegangen ſeyn. Dort denken wir uns auch die bei
römiſchen Gebäuden zu erwartenden Aufſchriften über
der jetzt verſchwundenen Hauptthüre und etwa einen
405
Säulengang. — Was die Symbole am Giebel des
urſprünglich römiſchen Tempels betrifft, fo halten wir
ſie für die egyptiſchen Natur- und Lichtgottheiten, und
zwar die Farren- oder Kuhköpfe für die Andeutung
der Iſis, die Zwerge für die weltſchöpferiſchen Licht—
und Feuergötter, die in Egypten hie und da in Ver—
bindung mit der Iſis und in bärtiger Zwergsgeſtalt
erſcheinen. Namentlich hat der Belſener Giebelzwerg
große Aehnlichkeit mit einem Zwerg auf einem egyp—
tiſchen Denkmale, welchen man für Gott Knuphis,
den guten ſchöpferiſchen Geiſt, den idealen Oſiris hält.
Auch auf einer egyptiſchen Silbermünze findet ſich
ein ähnlicher Zwerg, und auf der andern Seite ein
Ochs. Auch die Widderköpfe erſcheinen an Kunſt—
darſtellungen aus dem Iſiskreiſe, und zwar an Har—
pokrates, einem Sohne der Iſis und des Oſiris.
Auf einem h. Schiffe in den Seulpturen des Palaſtes
zu Karnat kommt am Vorder- und Hintertheile ein
Widderkopf als Verzierung vor. Wie viel an dieſer, übri—
gens ſcharfſinnigen Erklärung, wahrſcheinlich oder nicht
wahrſcheinlich, annehmbar oder nicht annehmbar iſt, laſſen
wär dahingeſtellt ſeyn. Eine, der Anſicht Schwabs und
ſeiner Vorgänger ziemlich entgegengeſetzte Anſicht, die
aber mehr mit der Volksſage ſtimmt, hat der ſcharf—
ſinnigſte Forſcher über das Keltenthum, Archivdirektor
Mone zu Carlsruhe, über die Belſener Capelle auf—
geſtellt. Er nimmt an, das Kirchlein ſtamme zwar
aus dem 8. oder 9. Jahrhundert (nemlich in ſeinen
älteſten Theilen), allein aus ſeinem Namen und den
406
Bildern ergebe ſich, daß zur Zeit, als die Gallier
(Kelten) unter römiſcher Herrſchaft Allemannien be:
wohnten, hier der galliſche Bel verehrt worden ſey.
Die Stier- und Widderköpfe ſeyen Erinnerungszeichen,
daß einſt ſolche Thiere auf dem Farrenberg geopfert
worden, und das Kreuz mit der Sonne deute an,
daß der Beldienſt der neuen Sonne des Chriſtenthums
habe weichen müſſen. Dieſe Anſicht hat viele Wahr:
ſcheinlichkeit, denn daß Belſen urſprünglich ſchon ein
chriſtliches Kirchlein geweſen, auf dem die ſymboliſchen
Steine, Reſte von einem alten Cultus, eingeſetzt wur⸗
den, iſt keinem Zweifel unterworfen.
Mone's Anſicht, daß zu Belſen in älteſter Zeit der
Keltiſche Gott Bel, Balin, verehrt worden ſey, iſt
von dem fleißigen Beſchreiber der Burgen Achalm und
Lichtenſtein, M. Gratianus, Pfarrer zu Sondel—
fingen, theils weiter ausgeführt, theils wieder bedeu⸗
tend modifizirt worden, fie ſteht aber der Schwab'ſchen
entgegen. Wir geben ſie, um dem Leſer die Wahl
zu laſſen, für welche Anſicht er ſich entſcheiden möge.
Was die Volksſage gibt, beſtätigen die alten Bildſteine,
daß der urſprünglich heidniſch-römiſche Tempel zu Belſen
dem Sonnengott gewidmet war. Die Bildſteine ſind
nicht nur ganz roh behauen, ſondern ſie unterſcheiden
ſich auch von den andern Sandſteinen durch rauheres
Korn und ſchwärzliche Farbe. Die Bildſteine ſind
demnach nicht für römiſch, ſondern für älter, als die
Capelle zu halten. Auch die hohen Spitzgiebel können
wir fo wenig als die Kreuze für Zuſätze und Gr:
407
gänzungen der iriſchen Chriſtenbekehrer anſehen. Der
weſtliche Giebel hat durchaus keine Spur von einem
ſpäteren Anſatz. Wer die ganz genau in einander
greifende Verbindung der Capellmauern unterſucht,
findet vielmehr die vorragenden Hohlkehlen der beiden
Langſeiten fo ſchön und genau mit der Giebelſeite
verbunden, daß der Giebel offenbar der erſten Anlage
des Tempels angehören muß; und noch genauer iſt
der untere Stein mit dem Kreuz in die Wölbung des
Pfortenbogens, beſonders in den über dem Kreuze
ſtehenden Schlußſtein mit dem kleinen Zwerg einge—
fügt. Demnach müſſen, wie der ganze Giebel, auch
die Kreuze der erſten Anlage des Tempels angehören.
Bedenklich iſt, obſchon auf der Oſtſeite die Opferſtelle
war, daß man in der öſtlichen Giebelſeite über dem
Chor zwar die bemerkte Oeffnung, aber gar keine
Spur von den Symbolen des Sonnendienſtes antrifft.
Sie ſind auf der Weſtſeite des Tempels angebracht,
ohne Zweifel, weil die Sonnendiener von Weſten heran—
gezogen ſind, was uns den Schlüſſel zum Ganzen geben
muß. Von Weſten, aus Gallien, ſind galliſche Völker,
keltiſcher Abſtammung, ſchon frühzeitig über den Rhein
gezogen und im alten Sueven-, ſpäter Allemannen⸗
lande eingewandert. Dieſe Gallier hatten ſchon vor
Cäſars Zeit Götterbilder, die ſie in ihre neue Heimath
mitbrachten. Zwar verehrten fie, wie die alten Ger:
manen, die Sonne, den Mond und das Feuer, aber
ſie brachten jetzt auch den Bilderdienſt auf, den ſie
wahrſcheinlich von den Iren empfangen. Durch ſie
408
kam der irische Gott Grannus, von den Römern
Apollo genannt, über den Rhein, und dieſer iſt ein
und derſelbe mit Belen, Bel, Bal, denn nach
Herodian nannten die keltiſchen Eingebornen den Ben
Sonnengott Belin. Der Ortsname ſelbſt, Belſen,
Bel⸗ſon, führt auf die Altkeltiſche Sprache zurück.
Die ſchöne, jetzt nur mit alten Buchen beſetzte Alb—
weide auf dem Farrenberg war wohl ein alter heiliger
Hain der Kelten. Unter dem Farrenberg auf dem
Hügel wurde geopfert, und auf der Opferſtelle waren
die Symbole keltiſcher Götter aufgeſtellt. Die Kelten
umſchloßen auch ihre Götterbilder mit Wänden, ſie
bauten dem Belin ein Sonnenhaus, aber weder von
Holz noch von Steinen, ſondern aus getrocknetem
Lehme. Als nun eine römiſche Legion etwa zwiſchen
201— 223 nach Chriſti am Farrenberg eine friedliche
Niederlaſſung gründete, fand fie den keltiſchen Gottes⸗
dienſt bereits beſtehend. Da die Römer auch die
Götter der unterworfenen Völker zu römiſchen machten,
ſo weihten ſie dem Apollo Grannus, dem Deus
invictus sol, oder wie ſie den ſchon beſtehenden
Sonnengott geheißen, einen römiſchen Tempel, indem
ſie das alte Belinshaus mit Nachahmung ſeiner
Form in einen römiſchen Tempel von Stein umbauten.
In derſelben Stellung gegen die Morgenſonne mit
Beibehaltung der alten Tiefe und Länge wird der
neue Tempel aufgebaut, nur die Wände werden nach
römiſcher Form höher. An der vorderen, der Oſtſeite,
wird bei dem Haupteingang neben der Opferſtelle der
409
alte Opferſtein in die Mauer eingeſetzt; oben in der
Zinne wird der Giebel geſchloſſen, aber über der Mitte
wird jene runde Oeffnung angebracht, durch welche
der erſte Lichtſtrahl in die Capelle fällt. Da die
Symbole aus dem Weſten ſtammen, ſo werden ſie nicht
alle in der hinteren Giebelſeite, ſondern über der hei—
ligen Pforte eingeſetzt. Der Gott, welchem wieder
unter dem Farrenberg, natürlich von eingebornen
Prieſtern und nach alter Weiſe geopfert wurde, war
der genannte Sonnengott Belin, Bel, (Grannus,
Grian). Der obere Zwerg auf der Capelle ſoll wohl
denſelben darſtellen; die drei Strahlenräder oder
Sonnen, von welchen die mittlere gleich mit ſeiner
Bruſt, die obere über, die untere unter dem Gott
ſteht, deuten auf die aufgehende und untergehende
Sonne. Der Bel, welcher den Tag regiert, hat ſei—
nen Begleiter, welcher die Nacht regiert: dieſer iſt
der untere kleine Zwerg, Maan, Magen, Magon,
Luan, der Mond. Bekanntlich hielten unſere heidni—
ſchen Vorfahren ſehr viel auf den Einfluß des Mondes.
Die Thierköpfe ſind die Symbole des geweihten großen
Opferthiers; die Germanen opferten nicht nur dem
Sonnengott Farren, ſondern auch dem Maan Ochjen:
köpfe. So hätten wir nun an der Belſener Capelle
ein wichtiges Stück aus der Mythologie unſerer heid—
niſchen Vorfahren. Aber Eines macht noch bei Allem,
was ſo ſchön zutrifft, Schwierigkeit, das ſind die bei-
den ächt chriſtlichen Kreuze über dem Portal, und
oben am Giebel. Doch auch damit können wir in's
410
Reine kommen. Da, wenn man die Kreuze genau
betrachtet, an beiden der rechte Querbalken länger
als der linke, und in der Breite ſchärfer ift, fo könn⸗
ten ſie auch für Aexte oder Hauinſtrumente gehalten
werden, womit dem großen Opfervieh der Kopf ab⸗
gehauen wurde, und dieſe ſogenannten Kreuze wären
alſo Symbole der Opferhandlung, wie man ſolche
Hauinſtrumente noch an alten römiſchen Altären findet.
Somit wäre auch dieſe Schwierigkeit beſeitigt. Wir
haben alſo in dem Belſener Kirchlein urſprünglich
einen römifchen Sonnentempel (Belinstempel), der
etwa im 8.— 9. Jahrhundert in eine chriſtliche Capelle
umgewandelt wurde, an dem die alten heidniſchen
Symbole ſtehen geblieben find. — Daran nehmen die
andächtigen Beſucher kein Aergerniß, denn finden ſich
nicht an vielen alten chriſtlichen Kirchen römiſche
Steine mit heidniſchen Figuren, die beſonders im 15.
Jahrhundert häufig an chriftlichen Kirchen eingemauert
wurden? Ja, wie viele Kirchen aus der ſchönſten
gothiſchen Zeit zeigen Frazen und andere Bilder, die
urſprünglich beim Bau ſchon an dieſelben angebracht
wurden, und eben nicht ſehr erbaulich für den Be—
ſchauer ſind — und doch hat man ſeit Jahrhunderten
fie ohne Aergerniß ſtehen laffen.
Die Anſicht, daß zu Belſen eine Opferſtätte des
Sonnengottes Belin geweſen, erhält eine Begründung
dadurch, daß nicht nur in Schwaben, ſondern auch
im Frankenlande Spuren der Belinsverehrung vor-
kommen. So iſt nicht weit von der gewerbreichen
411
Stadt Künzelsau ein Dorf Belſenberg, über dem auf
einer von Felſen umgebenen Höhe noch die bedeuten—
den Grundmauern der ſogenannten heil. Kreuzkapelle
ſich befinden. Der ganzen Lage dieſer uralten Capelle
nach zu ſchließen, möchte auch hier vor der chriſtlichen
Zeit ein dem Sonnengott Belin geweihtes Heiligthum
geſtanden haben, das dem Dorfe den Namen gegeben.
(S. Zeitſchrift des hiſt. Vereins für Wirtembergiſch—
Franken Jahrg. 1850 S. 92.) Ferner liegt zwiſchen
Waldenburg und Künzelsau ein Weiler Belshag,
was offenbar auf einen Belshayn hinweist. Auch
das nicht ferne von der Jagst gelegene Städtchen
Ballenberg (in Urkunden Balinberg genannt) könnte
von dem Sonnengott Bal ſeinen Namen erhalten
haben.
Eine dritte Anſicht über die Belſener Capelle ers
klärt ſie für ein rein chriſtliches Bauwerk im älteren
byzantiniſchen Styl (10. bis 11. Jahrh.), die urſprüng⸗
lich ſchon dem chriſtlichen Cultus gewidmet war.
Der ſel. Oberſt Hövel, ein Kundiger in dieſem Fache,
hat fünf genaue Abbildungen der Capelle, ihres
Grundriſſes und einzelner Details geliefert (die Ca—
pelle zu Belſen von H. Stuttgart 1841) und darin
dieſe Anſicht aufgeſtellt. Auch hat er nachgewieſen,
daß die Stürze und Bogenfüllungen über den beiden
Thüren mit ihren ſeltſamen Zeichen je aus einem
einzigen Steine gehauen und gleichzeitig mit dem
Chorbogen, and nicht etwa erſt bei Erweiterung des
Kirchleins angefertigt worden ſeien. „Die eingemauerten
412
Kreuze, die menschlichen Geſtalten, die Stier: und
Widderköpfe, findet man auch an andern alten chriſt—
lichen Kirchen.“ Mit dieſen Worten eines Kenners
vom erſten Range, iſt freilich allen bisherigen hiſtoriſch—
mythologiſchen Unterſuchungen über die Capelle ihr
Werth benommen, ſo ſcharfſinnig und' gelehrt fie auch
ſeyn mögen — und auch künftige Unterſuchungen werden
für unnöthig erklärt. Einen chriſtlich-ſymboliſchen
Werth haben immerhin ſolche Figuren an alten Kirchen,
wie in neueſter Zeit in der Schrift „über die Kirche
zu Großenlinden in Heſſen von V. Klein,“ und an
der Capelle zu Oberwittighauſen an der Tauber von
H. Bauer (S. Zeitſchrift des hiſt. Vereins Jahrgang
1855 mit einer Abbildung) gezeigt worden. — Was
früher für heidniſches Bildwerk gehalten worden, er:
ſcheint nach der neueren Forſchung als rein chriſtlich.
Eine wehmüthige Sage hat ſich von der 1
Capelle erhalten.
Das verlorene und wiedergefundene
Kind.
Wild brauste der Sturm und heulte durch Wald
und Flur, immer näher rückte der Donner, immer
glühender flammten die Blitze und verwandelten die
ſchwarze, dunkle Nacht in ein Glutenmeer. Wilde
abe ſtürzten nieder, alle Elemente ſchienen im
Kampfe zu liegen, und ängſtlich beteten die Bewohner
413
eines Dorfes hit Hechingen. um une au eee
zun Himmel. j
Dieſe Fünditbare Gewitternacht⸗ war einem sinheubini
Sommertage gefolgt. Die arme Gertrud, eines Tag-
löhners Wittwe, hatte in der Ernte geholfen und
war gegen Abend, als drohende Wolken am fernen
Horizonte aufſtiegen, ängſtlich heimgeeilt, weil ſie ihr
einzig Kind allein zu Hauſe wußte. Die bitterſte
Armuth hatte ſie veranlaßt, ihr karges Stücklein Brod.
hie und da im Taglohn zu verdienen und ihr liebes
Kind in der Zwiſchenzeit dem Schutze Gottes und
ſeiner heiligen Engel anzuvertrauen.
So hatte ſie auch dieſen Morgen, nachdem ſie ſtill
ihr Morgengebet geflüftert, ſich zum Fortgehen ange—
ſchickt, hatte dem kleinen Joſeph Blumen, Bilder und
Spielereien gegeben, ihm erlaubt in den Garten zu
ſpringen, und war, nachdem ſie mit heißen Küſſen
ſeine Fragen, warum ſie fortgehe, erſtickt, ihrer Arbeit
nachgegangen.
Ein Muttergottesbild ſtand drüben am grünen
Bergeshang, vor ihm ſank Gertrud im Vorübergehen
nieder, empfahl ihr Kind dem heiligen Schutze und
ging getroſt an ihr Tagwerk. Wie gut, daß die all—
mächtige Liebe uns nicht vergönnt, den Schleier der
Zukunft zu lüften: wir müßten oft vergehen vor
Angſt, wüßten wir, was uns bevorſteht. }
Als Gertrud am Abende mit bangem Gefühle
heimeilte und ihres Kindes Namen ſchon von Weitem
rief, war daſſelbe nirgends zu finden. Kein Winkel
a 2 414
der Hütte und des Gartens blieb undurchſucht, die geäng⸗
ſtete Mutter ſuchte wieder und wieder an allen wahrſchein⸗
lichen und unwahrſcheinlichen Orten — umſonſt! — keine
fröhliche Kinderſtimme antwortete dem Angſtruf —
alles blieb ſtumm und ſtille, nur das Krachen des
Donners und das Leuchten des Blitzes gaben der
Scene ein ſchauerliches Leben.
Gepeinigt von namenloſer Angſt läuft die arme
Mutter von Haus zu Haus, klopft an jeder Thuͤre:
doch Niemand konnte Nachricht von dem Kleinen geben.
Einige wollten ihn im Nachmittage ins Thal hinaus:
gehen haben ſehen, der Hirte erinnerte ſich, daß er
Blumen ſuchend dem nahen Berge zugeſprungen ſey
— doch Niemand hatte ihn heimkehren ſehen.
Da eilt fie fort die unglückliche Mutter, dem Dun:
keln Felde zu, ſie achtet nicht des ſtrömenden Regens,
nicht des rollenden Donners, ſie freut ſich noch der
Blitze, denn ihre Glut iſt ja ihr einziges Licht. Alles
Raſen der Elemente kann die Mutter nicht ſchrecken,
die ihr Kind verloren, die ihm Schutz und Hülfe
bringen will. Ihr Herz betet um Erbarmen zum
Himmel: „O lenke mich in meiner Noth, führe Du
mich, Ewiger, und laſſe mich mein Kind finden! bitte
für mich, Du heilige Gottesgebärerin, um all Deiner
Leiden, all Deiner Glorie willen und ſchütze milde
mein armes Kind!“ Ein heller Blitzſtrahl beleuchtet
in mäßiger Ferne den Berg, zu deſſen Füßen ruht
eine uralte Kapelle — dann hüllt wieder tiefes Dunkel
— ͤ— . ˙ 1A
415
Alles ein. Der Mutter Schritte lenken fich faſt un:
willkührlich dem heiligen Orte zu.
Die kleine, ſteinerne Kirche ſtammte aus grauer
Vorzeit, ein mißgeſtaltetes Götzenbild grinſete über
dem Portale und oben vom Giebel herab. Sie trat
durch die ſtets offene, runde Thüre, um in heiliger
Stille dort zu beten: ſonſt ſcheute man den finſtern,
unheimlichen Ort. „O wenn mein Kind an dieſem
Orte weilte!“ klagte die Mutter, während ſie, durch
Nacht und Dunkel tappend, den Weg ſuchte.
Die ewige Barmherzigkeit aber läßt kein gläubiges,
armes Menſchenherz ohne Troſt: die ſchwarzen Wolken
zerriſſen, der Regen hörte auf, ſeltener und ſeltener
flammten die Blitze, immer ferner rollte der Donner
und das klare Silberlicht des Mondes ergoß ſich bald
über die wieder beruhigte Erde.
Gertrud war der Kapelle nahe gekommen; der alte
Aberglauben hemmte ihre Schritte — doch es galt ja
ihres Kindes Wohl oder Weh — ſtie faßte ſich ein Herz
und trat durch die offene Pforte.
Das bleiche Mondlicht leuchtete durch die kleinen
Fenſteröffnungen und umfluthete mild ein am Altare
ſchlummerndes Kind. Dort in den Stufen des alten
Qpferſteines liegt der verlorne Liebling, ein ſelig Lä—
cheln ſcheint die zarten Lippen zu umſchweben, und
in dem halbgeöffneten Händchen ruhte ein glänzend
Silberſtück. Kennt ihr der Engel Groſchen nicht?
ſie geben ihn zum Pfand, wenn ſie ein zartes Kind
mit in die ewige Heimath führen wollen. „Mein
416
Kind, mein ſüßes Kind! ich habe dich gefunden!“
rief die Mutter voll Freude und neigte ſich über den
verlorenen Liebling. Aber keine Liebkoſung, kein zärt⸗
lich Wort kann den Kleinen erwecken, ſein Händchen
iſt ſo kalt, ſeine Wangen ſo bleich: von unſäglicher
Angſt gefoltert, kniet die Mutter ſchluchzend neben
dem Kinde nieder, küßt es heiß auf die kalten Lippen,
drückt es an die liebende Bruſt — umſonſt — es
athmet nicht mehr — der Engel des Herrn hat es
aus dem, malten Heidentempel in den goldnen Himmel
geholt; das verirrte Lämmchen iſt nun debe beim
guten Hirten.
Kein Wort vermag der Wittwe Schmerz zu mulen,
ſie weint in unſäglichem Jammer! Wie iſt ihr nun
Alles genommen: Eltern, Gatte und Kind todt —
wie kann ſie das elende Leben ertragen? Nur Ein Ge—
danke — der der Verzweiflung, durchbebte ſie. Da ſank
ſie wieder auf die Kniee, zu Ihm flehend, der gegeben
und genommen hat, der ſie einſt mit den Geliebten
wieder vereinen wird: und aus der alten Heidenkapelle
ſteigt ein demüthiges Gebet himmelwärts zum Gott
der Chriſten, und bringt den Balſam des Segens
und Troſtes nieder in das wunde Herz einer ver-
laſſenen Mutter! 1 5 Lina Welebil.
417
XIII.
Kloſter Wiblingen.
Links über dem Thale der Iller, die hier eine be—
deutende Krümmung macht, liegt das Pfarrdorf Wib—
lingen, und etwas höher und freier die ehemalige
Benediktiner-Abtei dieſes Namens. Sie wurde im
Jahr 1093 von den Grafen Hartmann von Kirch—
berg und ſeinem Bruder Otto auf eignem Grund
und Boden geſtiftet. Zuerſt wurde der Kloſterbau,
wie der Ulmer Mönch Felix Fabri aus dem 15.
Jahrhundert berichtet, an einem andern Ort begonnen;
als aber die Stifter Hartmann und Otto von ihrem
Kreuzzug nach Jeruſalem zurückkehrten, und von den
Bauleuten vernahmen, daß ſich der Bau wegen des
ſandigen Bodens nicht halten könne, ſo wurde der
Bau verlaſſen und das Kloſter an dem Orte erbaut,
wo es noch jetzt ſteht. Wirklich iſt auch bald hernach
der Berg, auf dem das Kloſter begonnen wurde, ge—
borſten, und der angefangene Theil der alten Kirche
ſtürzte ſammt dem Kirchhofe herab. Das neuerrichtete
Kloſter wurde von St. Blaſien aus mit Mönchen
ausgeſtattet, und im September des Jahrs 1093
durch Biſchof Gebhard von Conſtanz zu Ehren des
heil. Martins eingeweiht. Im Jahr 1098 nahm
Pabſt Urban II. das neugegründete Kloſter in ſeinen
II. 27
418
Schutz und beftimmt feine Rechte und Freiheiten.
In dieſer Bulle übertrug er dem Stifter und ſeiner
Familie die Schirmvogtei über das Kloſter, mit der
ausdrücklichen Bemerkung, „wenn Einer nicht das
Frommen des Kloſters fürdere, jo Dürfen Abt und
Brüder ihn entfernen und einen andern wählen.“ Als
Steuer legte der Pabſt dem Abt und Convent auf,
daß ſie jedes Jahr einen Biſant (güldene Dukate) in
den päbſtlichen Fiskus liefern. Die Schutzbulle wurde
im Jahr 1126 von Pabſt Honorius, im Jahr 1148
von Eugen III. erneuert, und werden in letzerer Bulle
zugleich die Beſitzungen des Kloſters zu Gögglingen,
Diſchingen, Vöhringen, Kirchberg, Harthauſen in Schutz
genommen. In der Schutzbulle Pabſt Cöleſtins III.
werden außer den genannten noch die Kloſterbeſitzungen
zu Achſtetten, Erſingen, Donauſtetten, Staig, Altheim,
Hüttisheim, Laupheim, Buch, Remshard, Gerlenhofen,
Hütenhauſen, Stetten in Schutz genommen. Wir
ſehen hieraus, daß Wiblingen bereits im erſten Jahr—
hundert feiner Stiftung viele und bedeutende Güter
beſeſſen. — Der erſte Abt des Kloſters war Werner
von Ellerbach, edel au Geſchlecht, und noch edler
durch ſeinen frommen Sinn. Weil dieſer Abt gar
gottergebene Mönche unter ſich hatte, ſo wurde er
von vielen Gott geweihten Jungfrauen angeſprochen,
er möchte doch neben feinem Kloſter auch ein Klöſter—
lein für ſie erbauen. Der Abt willfahrte ihrer Bitte,
und erbaute zur Seite des Convents ein Klöſterlein,
in dem lange Zeit eine Sammlung Gott geweihter
419
Jungfrauen geweſen, neben der Capelle der h. Maria.
Letztere ſtand in dem Kirchhof, wo das Begräbniß der
genannten Schweſtern war, unter welchen manche ſehr
fromme geweſen ſeyn ſollen. Ja noch lange nachher
wallfahrteten Viele aus Ulm und von der Umgegend
zu jener Capelle, zur Ehre dreier Jungfrauen, welche
man die drei heil. Jungfrauen nannte. Abt Werner
lebte noch im Jahr 1126. Nach ihm erſcheint Abt
Berthold noch im Todesjahr Abt Werners. Dieſem
folgte Abt Arnold bis 1147. Dann führte den Abts—
ſtab Stephanus, welcher vom Jahr 1148 bis 1173
in Urkunden vorkommt. Im Jahr 1194 lebte Abt
Heinrich, der bis 1241 regierte. Auf ihn folgte Abt
Hermann, der nur zwei Jahre regierte. Deſſen Nach—
folger war Abt Conrad bis zum Jahr 1281. —
Mit dem Anfang des 15. Jahrhunderts ſah es nicht
zum Beſten im Kloſter Wiblingen aus, denn die Zucht
der Mönche lag ſehr im Argen. Daran waren haupt—
ſächlich die Mönche von Reichenau Schuld, welche
einen reichen Pfleghof mit vielen Gütern und Gülten
zu Ulm hatten. Allda wohnten immer ſechs bis ſieben
Mönche von der Reichenau, die auf ihrem Hofe, ge—
nannt der Grienhof, der fo prächtig wie ein fürſt—
liches Schloß war, umgeben von einer Mauer und
einem Luſtgarten, Wein ausſchenkten, und mit den
Ulmern weltlich handelten und wandelten. War ein
Stechen zu Ulm, ſo ſtachen die Mönche auch mit:
ſie trieben mit ihnen Ritterſpiel und Turnier, hielten
Tänze, viel Banket, Gaſtung und Wohlleben, alſs
420
daß alle Tage ein Zehentlein oder Dörflein der Abtei
Reichenau dahin ging, wie es hergegangen war. In
dieſes Leben in Saus und Braus, das die Reichenauer
trieben, wurden auch die Mönche der nahen Klöſter
hineingezogen. Gab es einen luſtigen Tag in Ulm,
ſo luden die Reichenauer Mönche auch ihre Brüder
zu Wiblingen ein, und es hieß: „gleiche Brüder, gleiche
Kappen.“ Im Strudel des Wohllebens verſanken
bald auch die Mönche zu Wiblingen, und das Kloſter
gerieth in Abgang. Ein gleiches Schickſal hatte auch
das Frauenkloſter zu Wiblingen getroffen; wie in
dem Mönchskloſter, ſo verfiel auch in dieſem die Zucht,
und es ging bald ſeiner Auflöſung entgegen. Da
kam noch zu rechter Zeit ein Mann ans Ruder, der
das Kloſter vom Abgrund des Verderbens rettete.
Es war Abt Ulrich Hablützel, der es nach dem Bei—
ſpiel des Benediktiners Ludwig Berbus aus Venedig
unternahm, auch ſein Kloſter zu reformiren. Raſch
legte er die Hand ans Werk, und es war nicht ohne
Segen. Aber es läßt ſich nicht leicht beſchreiben,
ſagt der Ulmer Mönch Felix Fabri, welche Schwierig—
keit der ehrwürdige Vater Ulrich bei der Reformation
ſeines Convents zu überwinden hatte, denn er fand
bei ſeinen Brüdern den größten Widerſpruch. Ja er
hatte ſo ſehr um ſein Leben zu beſorgen, daß, wenn
er im Chor, im Kapitel und Speiſeſaal bei den un
geberdigen Brüdern ſich einfand, er immer einen
Panzer heimlich um die Bruſt legte. Mit ungeheurer
Mühe und unter vielen Sorgen brachte er endlich
421
doch fein Werk zu Stande, und führte wieder einen
ſo geordneten Zuſtand im Kloſter, und eine ſolche
Zucht unter ſeinen Mönchen ein, daß Kloſter Wib—
lingen eine Mutter für alle Klöſter in Schwaben ge—
worden, und andere Klöſter von ihm aus reformirt
wurden, weil es ſo viele fromme und tüchtige Männer
in ſeiner Mitte hatte. Das geſchah ums Jahr 1445.
Dem edlen Abt Ulrich folgte Johannes im Amte;
nur einige Jahre begleitete er dieſe Würde, dann
reſignirte er, denn er ſehnte ſich nach Ruhe. Sein
Nachfolger war Conrad Ruch, der ſein Kloſter wohl
regierte, und noch in den Zeiten des Chroniſten Felir
Fabri, gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, lebte.
Wohl unter den letztgenannten Aebten zeichneten ſich
die Mönche zu Wiblingen wegen wiſſenſchaftlichen
Strebens beſonders aus. Denn als um dieſe Zeit
der Gedanke vielfach rege geworden war, daß man
in den Klöſtern eigene Lyceen errichten ſollte, wo
tüchtige Männer zu Lehrern gebildet würden (was
dann in der Reformationszeit durch Errichtung
der Kloſterſchulen zur Ausführung gekommen), da
wurde beſonders auch Wiblingen als tauglich für eine
Lehranſtalt empfohlen. Der Pfarrer Luz zu Dillingen
ſchlug es vor und erbot ſich, wenn es zu Stande
käme, ſeinen ganzen Büchervorrath dazu herzugeben.
Gegen den Schluß des 17. Jahrhunderts ſtand Kloſter
Wiblingen beſonders in hohen Ehren. Nicht nur hatte
es um jene Zeit ſeine äußere Zierde, ein prächtiges
Convent und eine herrliche Kirche erhalten, ſondern
422
es glänzte auch durch die Frömmigkeit und Zucht,
ſowie das wiſſenſchaftliche Streben ſeiner Mönche.
Das Alles hatte das Kloſter dem ehrwürdigen Abt
Maurus zu verdanken, der mit Recht als der zweite
Stifter des Kloſters angeſehen wird. Er ſtand 26
Jahre würdiglich dem Kloſter vor, und ſtarb im Jahr
1692. Noch am Schluſſe des 18. Jahrhunderts
war Wiblingen eine anſehnliche Abtei: der Convent
zählte 28 Patres und 5 Fratres. Auch hatte es noch
ſeine meiſten Beſitzungen, die ihm in den älteſten
Zeiten zugekommen waren. Im Jahr 1780 wurde
das Kloſter Wiblingen zu der damals öſterreichiſchen
Markgrafſchaft Burgau eingetheilt, kam aber im Jahr
1805 an Baiern, und im Jahr 1806 an Wirtem—
berg. Das Kloſter wurde ſofort aufgehoben, und
bald darauf ſein Prachtgebäude zu einem Schloſſe
eingerichtet. Längere Zeit war Wiblingen die Reſidenz
des Herzogs Heinrich von Wirtemberg, und wurde
hernach theilweiſe eine Wohnung für Beamte. Schon
ſeit mehreren Jahren iſt das Schloß Wiblingen zu
einer Kaſerne eingerichtet, in welcher ein Theil der
zu Ulm gehörigen Garniſon untergebracht iſt. Von
den alten Kloſtergebäuden iſt Nichts mehr zu ſehen.
Die gegenwärtige, noch jetzt mit Recht bewunderte
Kirche, wurde zwiſchen 1780 —83 erbaut; ſie hat
eine Länge von 330, eine Breite von 100 P. Fuß.
Die vortrefflichen Fresken in dieſer Kirche ſind von
einem trier'ſchen Hofmaler Namens Januar Zik aus
Koblenz gefertigt. Schnek aus Brixen hat die treff⸗
423
lichen Gypsſtatuen gearbeitet. In der Kirche wird
noch eine 5 Linien breite und 6 Zoll lange Kreuz—
partikel anfbewahrt, welche der Pabſt Urban II. dem
Kloſter geſchenkt haben ſoll.
Wir laſſen eine wunderbare Hiſtorie folgen, die
wir in ihren Grundzügen der Chronik des genannten
Felir Fabri entnommen.
Die Wunderproceffion zu Wiblingen.
Unter den Mönchen zu Wiblingen befand ſich ums
Jahr 1400 Einer, der aus dem fernen Morgenlande
gekommen und einſt vor den Abt getreten war, um
im Kloſter als Mönch aufgenommen zu werden. Nach
ſeinen Ausſagen war er auf dem Berge Libanon ge—
boren, hatte manche Jahre unter den Ungläubigen
zugebracht, als Sklave eines arabiſchen Arztes und
Gelehrten, und als er nach deſſen Tode ſeine Freiheit
erhalten, war er weit umher gewandert auf gelehrten
Schulen und hatte Vieles gelernt. Auch kam er nicht
ohne Hab und Gut und brachte dem Abte ein Käſt—
chen mit edlen Steinen, um damit eine Monſtranz
zu verzieren. Darum wurde er auch gerne aufge—
nommen unter die Brüder des h. Benedikts, ſo un—
heimlich und ſcheu ſonſt ſein Ausſehen war. Nach—
dem ſein erſtes Probejahr vorüber, in welchem er die
niederſten Dienſte hatte verrichten müſſen, trat er in
die Reihe der Mönche und wurde als Bruder auf—
genommen.
424
Jetzt hatte er mehr Zeit, ſich mit dem zu bejchäf:
tigen, was er längſt unter den Ungläubigen gelernt,
nemlich mit Zauberei und geheimen ſchwarzen Künſten.
Wie heimlich er es auch trieb und ganze Nächte in
ſeiner Zelle wachte, um dort Salben zu bereiten,
Tränke zu kochen und Metalle zu ſchmelzen, oder aus
den Knochen von Menſchen und Thieren, die er ver⸗
brannte, Pulver zu bereiten — ſo merkte doch einer
ſeiner Nachbarn, der öfters wegen eines Körperleidens
ſchlafloſe Nächte hatte, daß der Bruder Mauritius,
ſo hieß der fremde Mönch, etwas Beſonderes auf ſeiner
Zelle treiben müſſe, denn er vernahm ſein Auf- und
Abgehen, das Geräuſch des Feuers und den wider—
lichen Geruch, der oft zu ihm herüber drang.
Auch verkehrte Mauritius heimlich mit den Be⸗
wohnern der Dörfer, die nächſt dem Kloſter lagen,
um ſeine Zaubermittel gegen Menſchen und Vieh unter
ſie zu bringen.
So ſchlich denn einſt zur Mitternacht der kränkliche
Mönch an die Thüre des Mauritius und ſpähte durch
die Spalten. Aber ein Entſetzen erfaßte ihn, als er
ſeine Blicke in die Zelle geworfen.
Mauritius ſtand vor einem kleinen kupfernen Keſſel,
und rührte mit einem menſchlichen Knochen darin.
Dicke Dämpfe ſtiegen aus dem Keſſel auf, und die
Rauchwolken bildeten ſich zu allerlei ungeheuerlichen
Geſtalten, die immer größer und größer wurden und
die Zelle anfüllten. Ringsumher ſtanden abgehauene
Aeſte von Erlen, Buchen und Eichen, daran hingen
425
die herrlichſten Früchte Italiens und des Morgen
landes, wie Pomeranzen, Citronen, Feigen und Ananas.
Erſchrocken eilte der Mönch zum Abt und verkün—
digte ihm, was er geſehen. Als dieſer nun es nicht
glauben wollte und es ihm bedünkte, daß der Mönch
im Fiebertraum rede, ſo zog er ihn mit vor, und
der Abt ſpähte ſelbſt durch die Spalten der Thüre,
und bekreuzte ſich, als er alles beſtätigt fand.
Mit dem früheſten Morgen verſammelte der Abt
die Mönche, und als auch Mauritius erſchienen, gebot
er den herbeigerufenen Kloſterknechten, ihn zu binden.
Alles war erſtaunt, denn Niemand wußte, wo das
hinaus wollte; da erhob ſich der Abt und ſprach:
Ein räudiges Schaaf iſt unter uns und ſein Name
heißet Mauritius, denn er iſt nicht ein Kind des
Himmels, ſondern der Hölle, ſintemalen er ſich abgibt
mit Zaubereien. Ich ſelbſt habe ihn ertappt über ſei—
nen teufliſchen Wegen zur ſpäten Mitternachtsſtunde.
Darum führt ihn fort in den unterſten Kerker des
Kloſters, und feſſelt ihn mit ſchweren Ketten an die
Wand, bis wir nach drei Tagen uns berathen und
ſein Urtheil geſprochen haben.
Kalt und mit höhniſchen Mienen hatte Mauritius
dieſe Worte vernommen, und unheimliche Blitze ſchoßen
aus ſeinen kleinen ſchwarzen und ſtechenden Augen.
Auf Wiederſehen, Abt! lachte er, als er abgeführt
ward — auf Wiederſehen nach drei Tagen, wenn
Ihr nicht bis dorthin ſammt all Euren Mönchlein
erſoffen ſeyd in der Iller, und das Kloſter nicht fort—
426
geriſſen iſt, daß man nicht mehr weiß, wo es ger
ſtanden.
Während er ſo ſprach, zogen ſchwere Regen⸗ und
Gewitterwolken jenſeits der Donau auf, und trotzig
ließ ſich Mauritius abführen in den Kerker. Der
Abt aber zog mit ſeinen Mönchen in die Kirche und
warf ſich vor dem Altar nieder und flehte zum Himmel
um Schutz vor dem ſchlimmen Zauberer.
Als der Gefängnißwärter Abends dem Gefangenen
Brod und Waſſer bringen wollte, hingen die Feſſel
und Ringe leer an der Mauer, und von Mauritius
war trotz den verriegelten Thüren keine Spur mehr
zu finden. Todesbleich eilte der Schließer zum Abte
und verkündigte ihm, was er gefunden. Jetzt war
Alles nicht länger im Zweifel, daß Mauritius mit
dem Böſen im Bunde ſtehe. Dazu regnete es immer
heftiger und ein ſchweres Gewitter zog das Illerthal
herauf. Sein Hagel zerſchlug alle Feldfrüchte des
Kloſters und der Umgegend, und der darauf folgende
Regen ſchüttete in Strömen herab. So dauerte es
drei Nächte und drei Tage. Immer höher ſchwoll
die Iller, und ihre hochaufwirbelnden Wellen waren
zum tobenden Strom angewachſen, der damals noch
einige hundert Ruthen vom Kloſter entfernt vorüber
ſich wälzte, und nicht wie heute ſo nahe daſſelbe be—
ſpühlte. Bald ſtürmte das Gewäſſer entfeſſelt in das
weite Thal und riß Bäume, Brücken, Häuſer und
Scheunen mit ſich fort.
Immer näher und näher braust die Waſſerfluth
427
gegen das Kloſter, bald ſtürzt die ftarfe Mauer, welche
ſelbiges umſchloß, als wäre ſie nur aus Lehm auf—
geführt, bald ſteht das Kloſter von Wogen umthürmt
gleich einer Inſel im Meere. Verzweiflung erfaßte
die Mönche, denn nirgends war Hülfe, nirgends
Rettung zu hoffen.
Vergebens ertönte ihr Jammerruf, ihr Wimmern
erſtarb im Wogenſchall, und ſelbſt auf zerbrechlichen
Kähnen war keine Rettung zu hoffen, da die reißen—
den Wogen Alles zertrümmerten. 0
Da ſammelte der Abt die Brüder Alle und führte
ſie zur Kirche. Dort am Hochaltar fiel er betend
mit ihnen auf die Kniee und flehte um Rettung aus
der ſchrecklichen Gefahr. Sie riefen zum h. Benedikt,
dem Schutzpatron, und manch brünſtiger Pſalm ent—
ſtieg ihren bleichen Lippen, indeſſen von Außen die
Gewalt der Wogen an die Mauern der Kirche an—
prallte. So lag das Häuflein ſechs volle Stunden
in der fuͤrchterlichſten Todesnoth, und immer matter
wurde ihr Gebet und ihr Geſang, und immer lauter
tobte die Fluth. Bereits neigte ſich der Tag und
die Nacht brach allmählig herein, da noch einmal
ermannen ſie ſich zu einem lauten Pſalmen. Kaum
war er verklungen, ſo erhellte ein lichter roſinfarbiger
Strahl die in Dämmerung gehüllte Kirche. Auf
duftenden Wolken ſchwebte über dem Hochaltar ein
Engel hernieder, in ſeiner Rechten eine Fahne mit
dem heiligen Kreuz geziert.
Stumm und ſprachlos richten die Todesopfer ihre
428
Augen auf dieſe Erſcheinung, aber der Engel war
kaum unter ſie getreten, da winkte er ihnen mit der
Hand, ihm zu folgen. Er ſchreitet voran, der Zug
folgte, einen neuen Pſalm anſtimmend aus voller
Bruſt. Als fie durch die Kirchenthüre in den Hof
traten, da wichen die Erſten wieder ſchreckensvoll zu—
rück, denn in Nacht und Nebel gehüllt tobte die
Fluth heran, auf welcher Trümmer aller Art auf—
und abwogten. Der Engel aber hob die Fahne hoch
empor und ſchlug mit derſelben dreimal gegen die
Wogen, und beim dritten Schlag bäumte ſich das
tobende Element hoch auf, als ſchäumte es vor Grimm
und wälzte ſich rückwärts. Wie vom Sturm ge:
peitſcht raſcher und immer raſcher weichen die Waſſer
aus des Kloſterhofs Räumen, und bald hörte man
nur noch von Ferne das unheimliche grollende Rauſchen.
Ehe ſich die Mönche von ihrem Staunen erholen
konnten, war der Engel verſchwunden ſammt ſeiner
Fahne und zerfloſſen das himmliſche Bild in das
Dunkel der Nacht. Nur auf der Stelle auf der Schwelle
der Kirchenthüre, von wo aus er das Element mit
dem Kreuz auf der Fahne gebändigt, fanden ſich der
Abdruck ſeiner Füße im Stein und ringsum ſieben
Kreuzzeichen. N
Des andern Tages aber, als ſich die Waſſer ganz
verlaufen hatten, fand man den Leichnam des Zauber—
mönches Mauritius, der ertrunken zwiſchen Weiden:
bäumen hing.
429
Obwohl er durch feinen Bund mit dem Böſen
dieſe Ueberſchwemmung angerichtet und die Schleuſen
der Wolken geöffnet hatte, ſo wurde er dennoch ſelbſt
ein Opfer ſeiner teufliſchen Bosheit.
XIV.
Ruine Blankenhorn
im Zabergäu.
Unweit dem Städtchen Güglingen, auf einem nörd—
lichen Vorſprung des waldreichen Strombergs, erheben
ſich die noch bedeutenden Trümmer der einſt gewalti—
gen Raubburg Blankenhorn.
Will man zu dieſer maleriſchen Ruine gelangen,
ſo beſteigt man hinter dem Dörflein Ochſenbach den
Bergrücken; wenn man ſich dann eine halbe Stunde
mühſam durch verwachſene Gebüſche gewunden hat,
ſo gelangt man an einen halbverſchütteten Burg—
zwinger, und von da führt ein geebneter Fußpfad an
das noch gut erhaltene Burgthor, welches ſich auf
der Weſtſeite befindet. Daſſelbe hat eine Höhe von
15 Fuß, und iſt durch eine ſehr dicke, mit einer
Fenſteröffnung verſehene und gegen Süden noch ziem⸗
lich hohe Mauer mit dem Burg-Mantel verbunden.
Dieſer Mantel, welcher mit ſeinen großen und 8 Fuß
430
dicken, ohne irgend eine Oeffnung an einander ge:
fügten Buckelſteinen, bis jetzt noch am meiſten der
Zerſtörung getrotzt hat, hat noch eine Höhe von 60
Fuß. An ihn ſchließt ſich öſtlich eine Mauer an,
welche drei Schießlöcher hat, gegen Norden immer
ſchwächer wird und dort ſchon durch Menſchenhände
gelitten hat. Nördlich iſt nur ein kleiner Mauerreſt
ſichtbar. Das Innere der Burg bildet mit ſeinen
kahlen Wänden ein länglichtes Viereck, ungefähr 200
Fuß lang, und an der ſüͤdlichen Seite 180, an der
nördlichen 100 Fuß breit. Im Schloßhof findet man
noch den alten ſteinernen Bogen eines Kellerhalſes,
aber der Keller iſt verſchüttet. Vielleicht würde ſich
hier eher ein Faß mit altem trefflichem Zabergäuer
finden laſſen, als Silber und Gold, was man ſchon
in den Zeiten des alten Rebſtocks auf der Burg
ſuchte. Er redet in ſeiner kurzen Beſchreibung Wir—
tembergs „von dem verſtörten Burgſchloß Blanken⸗
horn, von welchem ſonderbare Sachen ſpargirt werden,
als ob ein Schatz allda verborgen. Solle von lauter
Wein erbaut worden feyn; wer es aber erbauet und
bewohnt, davon finden ſich keine eigentlichen Nach—
richten.“ Wirklich haben auch wir bisher nichts Ur—
kundliches über die erſten Erbauer und Beſitzer der Burg
Blankenhorn auffinden können. Wären jene an den drei
Mauern der Burg vorkommenden Hieroglyphen ger—
maniſche Runen ſtatt Steinmetzenzeichen, wie ſie ſonſt
noch auf einigen uralten Burgen vorkommen, ſo wäre
vielleicht eine Jahrszahl oder ein Name herauszu—
431
bringen. Daß ein Geſchlecht dieſes Namens eriftirte,
iſt keinem Zweifel unterworfen, denn noch jetzt gibt
es in Wirtemberg und Baden ein Geſchlecht dieſes
Namens. Die Herren von Blankenhorn ſind wohl
ſchon frühe in den bürgerlichen Stand herabgeſtiegen.
Die Wirtemberger Familie Blankenhorn will von den
Rittern von Blankenhorn abſtammen, und es hat
ſich bei ihr die Familienſage erhalten, daß einer ihrer
Ahnherrn zur Zeit des 30jährigen Kriegs vom Kaiſer
ab der Burg vertrieben worden ſeye und ſich in die
Gegend von Urach, Achalm und Teck gezogen habe,
wo er ſein adeliges Wappen abgelegt und bürgerlich
geworden. Wohl dürfen wir annehmen, daß, wenn
wir je dieſer Familienſage Glaubwürdigkeit zuſchreiben,
jener Ahnherr des Geſchlechts Blankenhorn nicht erſt
im 30jährigen Krieg, ſondern viel früher vertrieben
wurde und ſich in die Gegend gewendet, wo ſich noch
Nachkommen von ihm befinden. Da M. Cruſius
die Burg Blankenhorn ausdrücklich ein Raubſchloß
nennt, fo iſt wohl ſchon im 13. Jahrhundert einer
der letzten Raubritter von der Burg Blankenhorn,
die ſo recht gelegen war, um das Zabergäu auszu—
ſpähen und auszubeuten, vom Kaiſer aus ſeiner Burg
vertrieben worden, und ſein Name iſt verſchollen, bis
er in ſpäterer Zeit bei Enkeln bürgerlichen Standes
wieder aufgekommen. Die Burg des vertriebenen
Ritters wurde ſodann, wie es bei heimgefallenen
Reichslehen der Fall war, dieſem oder jenem in der
Nähe begüterten Edelmann, vielleicht auch einigen
432
zugleich verliehen. So finden wir fie am Schluffe
des 13. Jahrhunderts in den Händen der edlen Herren
von Neufen und von Magenheim. Im Jahr 1296
kam die eine Hälfte der Burg von Rudolf von Neufen
durch Kauf an die von Brubere (Breuberg), von
dieſen ebenfalls durch Kauf an Conrad von Flügelau,
und von dieſem durch Vermächtniß im Jahr 1313
an Heinrich von Eberjtein, der ſie noch im Jahr 1320
beſaß. In letzterem Jahr verzichtete Zaiſolf v. Magen⸗
heim gegen Heinrich von Eberftein auf feine Rechte,
die er noch auf Blankenhorn hatte. Die andere
Hälfte von der Burg Blankenhorn kam durch Ulrich
von Magenheim, den Schwager Ulrichs von Neufen,
an ſeinen Enkel, den Grafen Burgin von Hohenberg.
Im Jahr 1321 verkaufte Burgin von Hohenberg die
Burg Blankenhorn nebſt noch andern wichtigen Be—
ſitzungen an den Grafen Eberhard von Wirtemberg
um 5250 Pfund Heller. Im Jahr 1327 wurde
ſie von Wirtemberg an Mainz verpfändet, aber wie—
der eingelöst. Im Jahr 1450 belehnte Graf Ulrich
den Eberhard von Sternenfels mit der Burg Blanken—
horn und einigen andern Gütern, weil dieſer in dem
Krieg mit den Eßlingern und Reutlingern dem Gra⸗
fen im nächtlichen Kampfe das Leben gerettet hatte.
Im Jahr 1472 verleiht Graf Eberhard von Wirtem-
berg dem Hermann von Sachſenheim, Ritter, um
ſeiner treuen Dienſte willen, das Schloß Blankenhorn
ſammt dem Berg, Brunnen, dem untern Garten und
23 Morgen Holz als Mannlehen, und behält ſich
433
die Oeffnung darin vor, auch mußt' er verſprechen,
es auf ſeine Koſten im redlichen Bau zu erhalten.
Aber die von Sachſenheim machten wohl wegen ſeiner
Baufälligkeit keinen Gebrauch davon, und ſo brach
denn im Jahr 1479 Bartel Luz, alter Forſtmeiſter,
das Schloß von Holz und Dachwerk ab und verkaufte
Holz und Ziegel. So war alſo kein Bauernkrieg
nöthig, um die Burg Blankenhorn zu ruiniren. Schon
im Jahr 1591 war „Plankenhorn, weiland ein Raub⸗
ſchloß“ zerftört. Im Jahr 1617 ſagt ein alt Land:
buch darüber: ein alt Burgstall zu Eibenſpach,
Blankenhorn genannt, ſo gar in Abgang kommen;
und im Lagerbuch d. anno 1711 heißt es: Blanken⸗
hor, das alt abgegangen Schloß und Burgstall am
Stromberg mit ſambt ſeinem Inbegriff zu allen Dr:
ten, zwiſchen der Herrſchaft Wirtemberg Wäldern gele—
gen, iſt erſtgemeld'ter Herrſchaft eigen und mit Gehöltz
und Hägern verwachſen, erträgt Nichts, ſondern wird
einem Forſtknecht zu Eibenſpach ſammt einem ver—
wachſenen Wieſenſtücklein dabei zur Benutzung gelaſſen.
— Vor einigen Jahren wurde in der Nähe dieſer
Ruine, ungefähr zwei Fuß tief, beim Ausgraben einer
großen alten Eiche ein eeltiſcher Ne, ap Kelt
genannt, ausgegraben.
Nitter Wolf von Blankenhorn.
Wolf von Blankenhorn war tapfer von Gemüth,
aber ſtolz war ſein Sinn, und nach den damaligen
II. 28
434
Zeiten und Sitten Jagd und Fehde ſeine liebſte Be⸗
ſchäftigung. Er erfüllte nie die Pflicht eines echten
Ritters, der Retter der Nothleidenden und unſchuldig
Verfolgten zu ſeyn! Vielmehr war er der Reiſenden
Geiſel und der Schrecken des Landes weit und breit.
Getreu ahmte der ſtarke Troß von Reiſigen und
Dienſtknechten dem furchtbaren Gebieter nach. Eines
Tages erblickte der ungeſtüme Wolf bei einem fröh—
lichen Gaſtmahle auf der Veſte Stromberg Elsbethen,
die 16jährige liebreizende Tochter des friedlichen Burg⸗
herrn. Mächtig wurde Wolf von der Schönheit des
Fräuleins ergriffen, und er fühlte ſich von Liebe zu
derſelben überwunden. Mit Ungeſtümm geſtand er der
ſchönen Elsbeth ſeine Liebe, und als er ein Gegen—
geſtändniß von ihr erhielt, wählte er ſie zu ſeiner
ehelichen Hausfrau. Aber es hielten ihn die Reize
des jungen Weibes nicht lange gefeſſelt, auch konnte
die Holde ihn nicht zum gefälligen Manne umſchaffen,
weil er, trotz ihres liebreichen Betragens, gegen ſie
immer wild und rauh blieb. Seit ihrem Hochzeits⸗
tages wußte ſie nichts von dem angenehmen Eheſtands—
leben, wie man es in ihrer Jugend geſchildert hatte;
denn ſtatt daß ihr Gemahl ſie liebte, beſchäftigte er
ſich mit Waffenſpiel und Jagd, umgeben von vielen
gleichgefinnten Geſellen. Bald zeigte ſich ihm und
jeiner Geſellſchaft eiue, erwünſchte Gelegenheit, feine
Freude im Waffengeklirr ſuchen zu können; denn mit
vielen ſeiner Waffengeſellen unternahm Wolf einen
Kriegszug nach Italien, um dem Kaiſer Heeresfolge
435
zu leiſten. Alle Vorſtellungen Elsbeths, ihn von
dieſem Heereszug abzuhalten, waren vergebens. Selbſt
ihr Geſtändniß, daß ſie Mutter werden würde, brachte
den unruhigen Wolf nicht von der Ausfuhrung ſeines
Vorhabens ab, denn ftatt auf die abmahnenden Worte
ſeiner Hausfrau zu hören, ſtieß er ſie mit harten
Worten von ſich, und verließ unter lautem Halloh!
die Burg mit ſeinen Reiſigen.
Nach einem Jahre kehrte Wolf wieder von ſeinem
Heereszug nach Blankenhorn zurück. Mit einem jungen
Fräulein auf dem Arme, eilte ihm Elsbeth zum Em—
pfang und Gruß entgegen; als er aber des Kindes
Geſchlecht vernahm, ſo wurde er unwirſch darob und
rief aus: „dieſes Kind iſt zum Leidweſen meines
Hauſes geboren!“ |
Einige Uebelgeſinnte gegen Elsbethen ſuchten den
Grimm des Ritters dadurch noch mehr anzufachen,
daß ſie vorgaben, ſein Weib hätte in ſeiner Abweſen—
heit die Früchte verbotener Liebe genoſſen. Wolf
wurde wegen dieſer boshaften Verläumdung jo ent—
rüſtet, daß die Verſicherung ſeiner Hausfrau von ihrer
Unſchuld und unwandelbaren Treue gegen ihn bei ihm
nichts vermochte. Er ſtieß ſie von ſich, und ließ ſie
in ſein ſo fürchterliches Burgverließ hinunter haſpeln.
Lange ſchmachtete die Unglückliche mit ihrem Säug—
ling bei Waſſer und Brod in dieſem Orte der Qual
und des Jammers, wo ſich Unken und Molche in
ſcheußlichen Geſtalten im Schlamme umher wälzten.
Da empfingen ihre getreuen Brüder Kunde davon;
436
zur Stunde ſchickten ſie dem Unmenſchen, ihm Rache
ſchwörend, den Abſagebrief zu. Zu ihrem Haufen
ſtießen noch einige Fähnlein Knechte der friedlichen
Ritter von Lomersheim und Gemmingen; im engen
Thale zwiſchen Blankenhorn und Burg Stromberg
kam es zur blutigen Schlacht, worin Wolf und ſeine
Streitgenoſſen unterlagen, und Wolf gezwungen wurde,
ſein Weib der kläglichen Haft zu entlaſſen. Doch
kaum hatte die leidende Elsbeth wieder Gottes freie
Luft eingeathmet, und in der väterlichen Burg die
milde Sonne und des Himmels heiteres Blau erblickt,
ſo erlag der durch Gram geſchwächte zarte Körper
der neuen Empfindung, und entſeelt ſank die Dulderin
auf dem grünen Raſen im Burggarten nieder. Kurz
nach dem Hinſcheiden ſeiner unglücklichen Gattin warb
Wolf um die ſtolze Kunigunde, Tochter des Ritters Veit
von Sachſenheim, in deſſen Burg ſeit geraumer Zeit
ein Kobold, der Klopfer genannt, unſichtbar ſein
Weſen trieb, ſich beſonders bei jedem wichtigen Vor—
fall hören ließ, und dann gewöhnlich vom alten Veit
zu Rathe gezogen wurde. Furchtbar lärmte der Geiſt
dießmal bei jener beiden Verlobung, der er ſich auf
das heftigſte widerſetzte, und mit feuriger Schrift ſah
man plötzlich die Worte zum Entſetzen der verſammel⸗
ten Gäſte an die Wand geſchrieben: „In drei Jahren,
in drei Monden, in drei Tagen;“ was ſich auch be—
ſtätigte. Nach Verfluß dieſer Zeit zog Wolf, der die
furchtbare Schrift längſt vergeſſen hatte, mit ſeinen
Geſellen gen Sachſenheim, um Hülfe zu einer vor⸗
437
habenden Fehde von dem Geiſte zu begehren, welcher
ſich aber durchaus nicht dazu verſtehen wollte. Da
mußte zweimal der Burgpfaffe den Geiſt beſchwören;
zweimal ermahnte der Burggeiſt die frechen Geſellen,
ſeine Ruhe nicht zu ſtören, ſondern von ihrem toll—
kühnen Vorhaben abzuſtehen. Aber als die Raſenden,
von Zabergäus Wein erhitzt, ihn zum drittenmale
vorforderten und ſeiner Warnung ſpotteten, erhob ſich
ein Sturmwind, der Bäume entwurzelte und die Burg
in ihren Mauern erſchütterte. Auf dieſen furchtbaren
Orkan folgte eine Helle, wie Wetterleuchten; überall
ziſchten Flammen umher; der erzuͤrnte Burggeiſt er—
ſchien plötzlich in fürchterlicher Geſtalt, mit glühend
großen Augen und höhnte mit einem Grinſen und
Hohnlachen der böſen Geiſter die Thoren, welche in
der brennenden Burg einen ſchrecklichen Tod fanden.
Er verſchwand zur Stunde und ließ ſich auch ſeit
jener Zeit nicht mehr ſehen und hören.
Wolf und Kunigunde ſuchten des Verhängniſſes
rächender Hand zu entrinnen und theilten das Loos
der Uebrigen, welche ſammt der Burg zu Aſche ver—
brannten.
Als das Schloß Sachſenheim wieder neu erbaut
wurde, ſo wurde das Bild des Klopfers über dem
Eingang ins Innere eingemauert. Hier ging es dem
Kobold auf dem Schloß Sachſenheim, wie dem Burg—
geiſt zu Scharzfeld am Hart. Dort aber verfuhr der
Burggeiſt ſäuberlicher, als der Klopfer zu Sachſenheim.
Der Burggeiſt wollte dort nicht züchtigen, ſondern
438
nur aufbrechen. Er mochte nicht zu Scharzfeld weis
len, wo die Tugend und Unſchuld mit Füßen getreten
ward. Unter krachenden Donnerſchlägen fuhr er aus
ſeinem Quartier im runden Thurm hinauf, hob die
Bedachung deſſelben ab und ſtürzte in die Tiefe,
ſchwebte über Scharzfeld, ſchrie es laut über die ganze
Gegend aus, daß der Burgpfaffe mehr als der Kaiſer
an der Sünde ſchuldig ſey, und verſchwand auf im⸗
mer, wie der Burggeiſt zu Sachſenheim.
XV.
Aloſter Söflingen
bei Ulm.
Im lieblichen Thale der Blau, von einem Arme
dieſes klaren Waſſers durchfloſſen, liegt der ſtattliche
Marktflecken Söflingen, und die ehemalige Frauenabtei
dieſes Namens — nur eine halbe Stunde von der
Stadt Ulm entfernt.
Schon in den Zeiten Carls des Großen fol. Se
velingen, Söflingen zu dem königlichen Kammer:
gut Ulm gehört haben. Im 13. Jahrhundert waren
die Grafen von Dillingen im Beſitze von Söflingen;
fie hatten hier eine Veſte, auf der fie ſich als Reichs⸗
vögte von Ulm öfters aufhielten. Später wurde
439
dieſe Burg der Sitz ihrer Dienſtmannen, die fich von
Sevelingen ſchrieben, und das Truchſeßenamt am
Hofe der Grafen von Dillingen bekleideten. Herr
Minlo von Sevelingen, von dem in der Liederſamm⸗
lung der Minneſänger 11 Lieder vorhanden find, ge:
hörte zuverläßig zu dieſen Dienſtmannen. — Von
dem Geſchlecht der Grafen von Dillingen wurde das
Frauenkloſter Söflingen geſtiftet! Urſprünglich waren
die erſten Frauen dieſes Kloſters in der Stadt Ulm,
die ſogenannten Eliſabetherinnen! auf dem Gries.
Ulrich und Peregrin von Freiberg ſchenkten ihnen im
Jahr 1237 ihre Hofmark, den ſogenannten Mönche:
hof, und Conrad von Zimmern, Abt in der Reichenau,
vergabte ihnen etliche Höfe und Gründe in dem nahe
gelegenen Orte Pfuhl. Jedoch blieben ſie nur 30
Jahre zu Ulm. Sie überſiedelten im Jahr 1258 mit
ihrer Aebtiſſin Frau Halwig in das nahe Söflingen,
denn in dieſem Jahr ſchenkte Graf Hartmann III. von
Dillingen mit Zuſtimmung ſeines Sohnes, Biſchofs
Hartmann von Augsburg und ſeiner drei Töchter,
alle Herrſchaft und Beſitzungen des Dorfs Sevelingen,
ſowie das Patronatsrecht der dortigen Kapelle. So
war das Kloſter Söflingen entſtanden. Der alte
ſchwäbiſche Chroniſt Thomas Lyrer von Rankwyl
ſchreibt die Gründung des Kloſters der Gemahlin des
Grafen zu, die durch eine ſchreckliche Familienbegeben⸗
heit dazu veranlaßt war. „Da war — ſo lautet der
Bericht — ein Herr in Schwaben, der hätt' ſeine
Wohnung zu Dillingen, und hatte des von Kellmüͤnz
440
(des Grafen Aegid) Tochter zum Weibe. Und war
ſonſt Keiner von Kellmüntz mehr, darum ſo erbt er
ihn. Nun dingte er (Graf Hartmann) feinen Schwäher,
einen Schreiber, und beſtellte ihn, daß er ihn ertödten
ſollte; darum verhieß er ihm 20 Mark Silbers.
Und auf einen Tag an dem Abend, da ging der
Herr (Graf Aegid) auf den Berg bei dem Schloß
ſpazieren, da ſtieß ihn der Schreiber überab und viel
Erdreichs mit ihm, als ob es ſonſt mit ihm hinab
wär gefallen, und ſchrie gar laut: o weh meines
lieben Herrn! Da, das die Frau und die Andern in
der Veſte erhörten, ſchrieen ſie und liefen heraus zu
ihm, da konnt er nicht mehr reden und ſtarb von
Stund an. Da kam ſein Tochtermann, der von
Dillingen, und thät, als ob es ihm faſt Leid wär,
und nahm das Gut, Land und Leut' ein. Aber Graf
Hartmann blieb nicht lange ohne Ahndung. Als
er nemlich dem Schreiber ſeinen verheißnen Lohn geben
ſollte, da wollte derſelbe Mehr, und der Graf wollt
es ihm nicht geben. Darauf machte ſich der Schreiber
an die Verwandten des Grafen von Kellmüntz, die
auch gern an der Herrſchaft geerbt hätten, und
meldete ihnen, wie er auf Anſtiften des Grafen von
Dillingen den von Kellmüntz ums Leben gebracht.
Nun ſtellten dieſe Verwandten des Ermordeten dem
Grafen von Dillingen ſo lange nach, bis ſie ihn
fingen. Sie führten ihn vor den König, und riefen
das Recht an gegen den Grafen. Der wurde mit⸗
ſammt dem Schreiber vor den König gebracht. Als
441
nun der Graf von Dillingen gar ſehr läugnete, zeigte
der Schreiber zu Kellmüntz die Briefe, die der Graf
mit ſein ſelbs Hand an ihn geſchrieben hatte. Alſo
befand ſich die Wahrheit, daß das Uebel von dem
Herrn gekommen war. Nun wurde das Urtel ge—
ſprochen über den Grafen von Dillingen, und er
ward gerichtet (mit dem Schwerdte), als er verdient
hatte; aber der Schreiber wurde nicht getödtet, weil
ihn der Vetter des Grafen von Kellmüntz des Lebens
verſichert hatte, doch ward beſchloſſen, daß man ihn
vermauren und ihm zu eſſen geben ſollte bis an ſei—
nen Tod. Der enthauptete Graf Hartmann hinter—
ließ nur einen noch unmündigen Sohn. Ueber den
wurde beſchloſſen, daß man ihn, ſobald er zu ſeinen
Tagen käme, geiſtlich machen ſollte, wollte er aber
nit geiſtlich werden, ſo ſollte man ihn einlegen und
verſorgen, damit er keine Frau nehmen möcht, denn
ſein Blut unwürdig ſey. Nun nahm die Frau von
Dillingen (Williburg) ihren Sohn und baute ein
Kloſter, das nannte ſie Seflingen, und baute für ſich
eine Wohnung daſelbſt, und behielt ihren Sohn bei
ſich, bis er 13 Jahre alt wurde. Sie brachte den
Knaben dazu, daß er gelobte, geiſtlich zu werden, ſo
lange ſeine Mutter noch am Leben war, darnach aber
wollte er thun, was ihm ſeine Vormünder und Freunde
hießen und riethen. Nun ward der Knabe gebiſſen
von einem uaſinnigen Hund und ſtarb am fünfzehn—
ten Tage elendiglich. Die Mutter lebte nach ihm
acht Jahr und vierthalb Monate, und ward begraben
442
in dem Kloſter Söflingen, das ſie ſelbs geſtiftet hatte.“
Wohl gehört dieſe Geſchichte, die wir theils wört—
lich nach der Chronik des Thomas Lyrer erzählt,
theils im Auszug mitgetheilt haben, in das Reich der
Sage, oder: hat fie ſich mindeſtens ſpäter ereignet,
denn nach zuverläßigen Urkunden lebte ja der Graf
von Dillingen noch im Jahr 1259. Im Fe⸗
bruar dieſes Jahrs eignet er dem Kloſter alle Be-
ſitzungen, die er von ſeinen Lehensleuten durch Kauf
oder Schenkungen erhalten. Später im Jahr 1270
verkaufte Frau Williburg, die Wittwe Wigmanns von
Aiſelingen, die Veſte Sevelingen mit aller Zugehör,
und Allem, was ihr und ihrem Manne gehörte, ſo
lang er lebte, für 300 Pfund Heller an das Kloſter,
und der Biſchof Hartmann beſtätigte den Verkauf,
der durch die Wittwe ſeines Dienſtmannes geſchehen.
Aber außer der genannten Williburg hatten noch an—
dere an der Burg Antheil, denn in demſelben Jahr
beſtätigt der Biſchof Hartmann dem Klofter die
Schenkung Ebo's von Sevelingen über ſeinen Antheil
an der Veſte und an andern Gütern u. ſ. w. Auf
ſolche Weiſe kam das Kloſter bald in den Beſitz von
ganz Söflingen und von noch weiteren Gütern in
der Umgegend. Schon bei ſeiner Entſtehung waren
die Kloſterfrauen zu Söflingen durch die Huld König
Conrads IV. dem römiſchen Reich unmittelbar unter:
worfen, und König Conradin erneuerte im Jahr 1267
dieſen Schutz. Im Jahr 1359 empfahl es Kaiſer
Karl IV. dem Schirm der Stadt Ulm, und im Jahr
443
1368 ſtellte ihm ebenderſelbe Kaiſer einen Freibrief
über ſeine Unvogtbarkeit aus. Die ſpäteren Kaiſer
beſtätigten ſeine Freiheiten. Seit 1470 war dieſer
Schutz der Stadt auf gewiſſe Zeit zu einer förmlichen
Schirmvogtei über das Kloſter erwachſen. Später
wurde dem Kloſter dieſe Vogtei läſtig und es kündete
ihn wieder auf. Darüber gerieth das Kloſter mit der
Stadt vor dem Reichshofrath in einen Streit, der
ſich aber im Jahr 1473 dahin entſchied, daß die
Stadt dem Schutz und Schirm, ſo wie der Territo—
rialhoheit und Gerichtsbarkeit über die ſämmtlichen
Beſitzungen des Kloſters entſagte. Dagegen das
Kloſter andere Beſitzungen und Rechte abtrat, die einen
Werth von 51,245 fl. hatten. Zugleich erhielt Söf—
lingen ſowohl im reichsabteilichen Collegium, als auf
dem Reichstage Sitz und Stimme.
Die Kloſterfrauen von Söflingen hatten von jeher
eine ſehr ſtrenge Clauſur; doch entdeckte man einmal
bei einer Unterſuchung des Kloſters im Jahr 1482,
daß mehrere Nonnen gröblich das Gelübde der Keuſch—
heit verletzt hatten. Am Schluß des vergangenen
Jahrhunderts muß es wieder etwas beſſer in den
Sitten geworden ſeyn, denn es heißt von ihnen: ſie
leben nach der erſten Strenge des Ordens, bringen
den größten Theil des Tags und der Nacht im Chor
mit Gebet zu — ſie gehen ſehr rauh gekleidet und
enthalten ſich lebenslänglich des Genuſſes von Fleiſch—
ſpeiſen, an den Feſttagen der ganzen römiſchen Kirche
ſogar von Allem, was von Fleiſch herkommt. Man
444
darf ſelten eine Kloſterfrau ſehen, ja ſelbſt einer
Herzogin von Wirtemberg war es einmal nicht ge—
ſtattet, über die Clauſurſchwelle zu treten, um die
Aebtiſſin zu beſuchen. Die Anzahl der Nonnen be:
lief ſich in älteren Zeiten auf 32 Nonnen und vier
Schweſtern. Die Beſitzungen des Kloſters beſtanden
in drei Dörfern u. ſ. w. mit 4000 Einwohnern und
mit einem Einkommen von 65,000 fl. — Söflingen,
Dorf und Kloſter, wurden ſowohl im 30jährigen
Kriege, als in den Jahren 1790, 1800 und 1805
ſchwer heimgeſucht. Im Oktober 1702 und im Mai
1703 hatte der Churfürſt Mar Immanuel, im Au:
guſt 1704 der Herzog von Marlborough und im
Oktober 1805 vor der Eroberung Ulms, der Mar-
ſchall Ney im Kloſter Söflingen ſein Hauptquartier.
— Im Jahr 1803 wurde der Ort Baiern unter—
worfen und das Kloſter aufgelöst, und war bis zum
Uebergang an Wirtemberg im Jahr 1810 der Sitz
eines Landgerichts. Die Auflöſung des Kloſters er—
folgte im Jahr 1803. Bei dieſer Veranlaſſung fand
man einen großen Bündel ſogenannter Buhlbriefe,
die wahrſcheinlich aus allen Zeiten des Kloſters ſtamm⸗
ten. Söflingen war der Geburtsort berühmter Männer.
Georg Syrlin, Vater und Sohn, die berühmten
Künſtler Ulms, wurden im 15. Jahrhundert hier ge—
boren. Auch ward hier der Maler Franz Krauß,
Schüler Piazetto's, im Jahr 1705 geboren. — Vom
früheren Kloſter ſteht noch die St. Leonhardskirche,
welche im Jahr 1693 neu gebaut wurde, alſo nichts
445
alterthümlich Merkwürdiges enthält. Sie iſt dermalen
die Pfarrkirche. Noch älter iſt die St. Jakobskirche,
die ſchon vor Gründung des Kloſters erwähnte Capelle,
welche der Sage nach eine der zwölf Kirchen ſeyn
ſoll, die Karl der Große hin und wieder in Deutſch—
land zur Ehre der Apoſtel gründete. Die früheren
Kloſtergebäude, welche einen großen Umfang hatten,
und mit einer Ringmauer umfangen waren, wurden
bei der Auflöſung des Kloſters im Jahr 1803 theils
zu Beamtenwohnungen verwendet, theils verkauft. —
Das intereſſanteſte Alterthum zu Söflingen iſt das
zunächſt an der Blaubrücke ſtehende alte ſteinerne
Kreuz mit einem erhabenen Chriſtusbild. — Wir geben
zum Schluß eine Geſchichte aus jener Zeit des Kloſters,
wo nicht die ſtrengſte Clauſur gehalten wurde, wie
ſie etwa im Jahr 1482 geweſen.
Die Nonne von Söflingen.
Es war um die Zeit des Auguſts 1388, da war
eines Morgens ein luſtiges Leben auf den Straßen
der alten Reichsſtadt Ulm. Hunderte von Reiſigen
mit ihren Knechten tummelten ſich in allen Gaſſen
und öffentlichen Plätzen umher, dazu ſtanden überall
geſchloſſene Haufen von Lanzknechten um ihre Fähn—
lein geſammelt, und um ſie und durch ihre Reihen
wandelten Vürgersleute, die ihnen Speiſe und Trank
zubrachten. Lange Reihen von Wagen, mit Schanz—
und Brandzeug und Spießen beladen, ſtunden auf
446
dem grünen Hof nächſt dem Spital. Es war meiſt
Augsburger Kriegsvolk, mit dem ſich nun die Ulmer
vereinigten, um den Graf Eberhard von Wirtemberg,
der Greiner oder auch Rauſchebart genannt, zu be—
fehden. Es war eine alte Feindſchaft nemlich zwiſchen
den Grafen von Wirtemberg und den Reichsſtädten,
die dauerte ſchon manche Jahre. Schon der Groß—
vater Eberhards, Eberhard der Erlauchte geheißen,
war ein tapferer und kecker Kriegsheld geweſen und
darum geehrt und eee von allen Ständen des
Reiches. Derſelbe hatte ſich die Schirmvogtei über
die freie Stadt Ulm erworben und über einige andere
Städte Eßlingen, Reutlingen, Rottweil, Hall, Gmünd,
Heilbronn, Wimpfen, Weinsberg und Weil in Schwaben,
die er im Namen des Kaiſers ausübte.
Aber ſtatt nun dieſe Städte zu beſchützen gegen
jede Unbill, ſuchten ſolche Schirmherren ihren Nutzen
und bedrängten ſie empfindlich, denn ſie gedachten,
ſolche allmählig mit all' ihren Gerechtſamen an ſich
zu ziehen. Kein Wunder, wenn darum auch der
mächtige Graf Eberhard der Erlauchte auf alle Art
und Weiſe ſein Schirmvogtamt mißbrauchte und die
Städte bedrückte, alſo, daß es oft zwiſchen ihm und
denſelben em Krieg kam, wenn's der Graf we du
toll trieb.
Unter den Reiſigen, welche heute in Ulm ſich zum
Kriegszug rüfteten, war auch ein junger Ritter Rus
dolph aus dem Patriziergeſchlecht derer von Schirmer
in der Stadt Ulm. Sein Roß ſtand geſattelt vor
l 447
der Herberge zum Pflug, wo er mit ſeinen guten
Freunden einen Abſchiedstrunk nahm. Auf baldiges,
glückliches Wiederſehen! rief ein junger Doktor der
Rechtsgelehrſamkeit und hob ſeinen Becher mit feuri—
gem Neckarwein — ſcheert dem Rauſchebart ſeine
Haare und ſtutzt ſie ihm gut zu, daß es einmal Ruhe
und Friede wird mit dieſem Land- und Leute-Schinder!
Bei allen Heiligen — er iſt um nichts beſſer, dieſes
ſich hochdünkende wirtembergiſche Gräflein, als wir
freien Edlen und Bürger der Reichsſtadt Ulm und
hat nur das Schutzamt. Aber, daß Gott erbarm!
wie üben es dieſe hohen Raubvögel! Das ganze Jahr
liegt er mit der Reichsſtadt Eßlingen in Streit und
Fehde, fort und fort gibt es Stöße und Späne.
Machts ihm, wie anno 1286 — rief ein Schreiber
des Raths — da iſt dem Grafen der Kaiſer Rudolph
mit den Städten ſelbſt auf den Harniſch gerückt wegen
ſeiner Unbilden, die er gegen die Städte verübt. Da
hat man ihm ſieben Burgen verbrannt, die rings um
die Stadt Stuttgart ſtanden. Ja! lachte ein Reiſiger
aus Augsburg, deſſen Großvater früher dem Grafen
gedient, der aber nun mit den Städtern Kriegsdienſte
that — der alte Graf hat doch nachher das Haupt
wieder höher getragen, wie mein Ahne mir noch als
Kind erzählt: denn er hat ſeine Augen auf die Kaiſer—
krone geworfen, und hätten die Fürſten des Reiches
nicht feinen kecken Sinn und Gemaltthätigfeit gefürchtet,
ſo hätte er ſie wohl mögen ſich aufs Haupt ſetzen.
Um den neuen Kaiſer hat er ſich einen Teufel
448
geſcheert und auf fein Banner die Worte geſchrieben:
Gottes Freund und der ganzen Welt Feind! Ja, als,
ihn der Kaiſer zur Rechenſchaft ziehen wollte auf
dem Reichstag zu Worms wegen ſeiner Bedrückungen
der Städte, ſo ſprach er trotzig: Ich bin Keines
Dienſtmann und mag thun, was ich will, ſo habe
ich auch mit den Städten gehandelt nach Fug und
Recht! Und wie iſt's ihm bekommen? lachte der
Doktor der Rechtsgelehrſamkeit — man hat die Reichs⸗
acht über ihn ausgeſprochen, und die ſchwäbiſchen
Reichsſtädte find ihm auf den Leib gerückt. Da haben
die Eßlinger ihre Rache genommen, dem Grafen ſeine
Stammburg Wirtemberg verbrannt, ſein Erbbegräbniß
in der Burg Beutelſpach zerſtört und die Todtenge—
beine unter freien Himmel geworfen. Wie ein Bettler
hat er fliehen müſſen, denn von 80 Burgen, Städten
und Dörfern ſind ihm kaum drei geblieben.
Ihr habt wahr geſprochen, fuhr der Augsburger
Reiſige fort — man hat ihn ſcharf gezüchtigt , aber
ganz zu Boden ihn zu bringen, vermochten ſeine
grimmigſten Feinde doch nicht, denn bald zog er wieder
in ſein Land und eroberte Alles wieder, was er ver—
loren. Doch, ſetzte er hinzu — mißdeutet mir meine
Rede nicht, als ob ich in meinem Sinn zu dem Wir—
temberger Grafen hinge. Nein, ich lobe mir nur,
wenn der Feind, gegen welchen ich Schwerdt und
Speer führe, ein mannhafter iſt, der mir die Haare
weißt auf der Zunge und das Weiße im Auge; dann
iſt's eine Luft, ritterlich zu fechten. Darum habe ich
449
auch der Stadt Augsburg meine Dienſte angeboten,
als es hieß, es gehe gegen den Wirtemberger Grafen,
den Enkel von jenem alten Helden, der hat das Blut
ſeiner Ahnen, darum heißt er auch der Greiner und
Zänker und der Rauſchebart. Daß er ein Zänker
und händelſüchtig wie ſein Großvater — nahm der
Schreiber das Wort — mag Jeder wiſſen, denn Art
läßt nicht von Art. Indeß gehts ihm juſt wie ſei—
nem Ahnen, heute gut, morgen ſchlecht. Bald liegt
er den Städtern auf dem Nacken und drückt und
ängſtigt ſie, bald macht ihn der Kaifer im Bund mit
den Städten mürbe, wie vor einigen Jahren. Aber
ein Ende will es nicht nehmen und das arme Land—
volk muß ſtets die Zeche bezahlen. Fallen die Eß—
linger ins Stuttgarter Land, ſo brennen ſie nieder,
was Feuer fängt, und laſſen die Weinberge von
Schaafen abhüten, daß ſie auf viele Jahre nichts mehr
tragen, und redlich mit vollgerütteltem Maaße vergilt
es ihnen wieder der Graf.
Aber die Reutlinger haben dem Wirtemberger am
dickſten mit dem Kolben gelaust; mein Bruder, der
Gerbermeiſter, war vor 11 Jahren dabei, als rüftiger
Gerbergeſelle und gutes Ulmerkind. Sitzt damals des
Grafen Sohn, der Gelbſchnabel Ulrich, mit einem
ſtarken Häuflein Ritter und Knechten auf dem Schloß
Achalm, um die Stadt Reutlingen zu drücken.
Da war's um Oſtern, als gegen tauſend Reutlin—
II. 29
450
ger Volks ins Uracher Thal gezogen und den gräflichen
Unterthanen in Dettingen die Häuſer über den Köpfen
anzündeten, und alles Vieh und Beute heimtrieben.
— Mein Gräflein Ulrich hats kaum vermerkt, daß das
Volk heimzieht mit Beute beladen, da beſchließt er,
ihnen ein Andenken auf den Weg zu geben und ſie
mit blutigen Köpfen heimzuſchicken. Darum reitet er
mit 200 Reiſigen den Berg herab und verlegt ihnen
den Paß. Aber kaum waren die Reiter von ihren
Roſſen geſtiegen und ſtreckten ihre langen Speere dem
unordentlichen Zug derer entgegen, die vom Uracher
Thal heimzogen, da riegelten die Städter ein geheimes
Hinterpförtlein in der Stadtmauer auf und fielen mit
ihren Morgenſternen und Hellebarden über die hinter—
ſten Reihen der Ritter her. Das gab eine blutige
Arbeit, denn mannhaft ſtritten die von der Achalm,
nicht minder der junge Graf. Aber ſie erlagen der
Wuth und dem Grimm der Städter, und gegen 60
Grafen und Herren und Edelknechte wurden erſchlagen,
das Gräflein ſelbſt entkam mit knapper Noth auf
ſein Schloß, und als er drauf nach Stuttgart ritt
und will ſich zu dem Rauſchebart an den Tiſch ſetzen,
da faßte der Alte ſtirnerunzelnd ſein Meſſer und
ſchneidet, ohne ein Wörtlein zu ſagen, das Tafeltuch
zwiſchen Beiden entzwei. — — Nun ja, nahm endlich
der Junker von Schirmer das Wort, der indeſſen
ſtillſchweigend ſich mit dem Stuhle an die Wand zu—
rückgelehnt und nur zuweilen einen tüchtigen Zug aus
451
ſeinem Becher gethan hatte — nun ja, jo geht der
alte Tanz fort, der Graf hat kürzlich vollends das
Schutz- und Schirmrecht verloren über die Städte,
das will er ſich nicht gefallen laſſen, und wir wollen
ihm zeigen, daß wir unſere Freiheiten und Rechte
mit dem Schwerdt in der Hand zu vertheidigen ge—
willt ſind. Der junge Reiſige war bisher nur halb
auf das Geſpräch aufmerkſam geweſen, denn ihm
gingen ganz andere Dinge im Kopf herum. Eine
ſchmucke Maid war es, die ihm nicht aus dem Sinne
gehen wollte. Darum ergriff auch lachend ſein Freund,
der Doktor der Rechtsgelehrſamkeit, der von dieſem
Liebeshandel wußte, den Becher, ſtieß mit ihm an
und lachte: Laß fahren, laß fahren den Liebes—
gram — kommt Zeit, kommt Rath! Magſt dich die—
weil kurzweilen bei den ſchmucken Dirnen im Neckar—
thale und im Strohgäu hinter Tübingen!
So das iſt's? lachte der Augsburger Reiſige —
warum der Ulmer Junkherr alleweil in Boden hinein
ſtiert — o ho! Mädels gibts überall genug, und
namentlich die ſchönſten gehören dem Kriegsvolk und
ſind ihm auch am meiſten gewogen, denn ſie lieben
eine blanke Waffenrüſtung und kurzes Weſen, das
nicht lange um den Brei herum ſtreicht! Holla! habt
Ihrs gehört, man ſtoßt in die Hörner, das iſt das
Signal für die Augsburger Fähnlein zu Roß, wir
haben den Vortrab! Gehabt Euch wohl, und Euch
Junkherr Schirmer werde ich auf dem Zuge wieder
452
begegnen, ſey es vor dem Feinde, oder in einer Her—
berge beim Krug.
Auch Ludwig von Schirmer drückte den Helm auf
das Haupt, umarmte ſeine Zechgenoſſen und warf
ſich auf ſeinen Apfelſchimmel, den ihm ſein Knecht
vorgeführt. Aber ehe er zu ſeinem Fähnlein ritt,
das am Zeughauſe ſich ſammelte, machte er zuvor
noch einen Umweg und trabte in die Hafengaſſe und
an den Kramläden hinauf, welche an der Mauer ſich
befanden, die den Münſterhof gegen den Judenhof hin
abſchließt. Dort ſaß in dem Laden ihres Vaters,
eines Goldſchmiedes, Elsbeth, eines der ſauberſten
Mägdlein in ganz Ulm. Schon ſeit einem vollen
Jahre hatte der Junkherr Ludwig, ein leichtblütiger
Geſelle, ſeine Augen auf ſie geworfen. Stundenlange
war er am Kramladen geſtanden, wenn der Goldſchmied
juſt das Geſchäft ſeinem Töchterlein zur Beſorgung
übergeben, und hatte mit ſüßen, feinen Reden das
Herz des Mägdleins beſtrickt. Zwar war es keine
ernſthafte und ehrliche Minne, und zum Ehegemahl
das Bürgerskind zu nehmen, fiel dem jungen Patrizier
nicht ein, aber ſeine leidenſchaftliche Neigung zu ihr
war doch ſo heftig, daß er nicht leben konnte, wenn
er ſie nicht jeden Tag geſehen und geſprochen und an
ihren Reizen ſeine Blicke gewaidet hatte.
Es war aber auch ein lieblicher Anblick, welchen
das Goldſchmiedstöchterlein gewährte, denn eine ſolche
Fülle der ſchwarzglänzenden Haare, die fie unter ei⸗
453
nem ſeidenen Häubchen halb verſteckte, eine ſolche weiße
Stirne und ſo freundlich glänzende Augen fand man
nicht leicht vereint. Dabei war ſie voller Munterkeit
und lebhaften Weſens, aber auch voll Zutraulichkeit,
und ſonder Argwohn traute ſie den feinen Reden und
Betheuerungen des jungen Patriziers. Aber vor ihrem
Vater ſuchte ſie ihre Neigung zu Ludwig geheim zu
halten, und wenn er zuweilen unerwartet in den.
Kramladen trat und Ludwig dort traf, ſo hatte dieſer
ſtets eine Ausrede und kaufte einen kleinen Schmuck
ein, um den Schein zu verdecken, als komme er aus
andern Gründen her, als um Etwas auszuſuchen.
Wie ſehr auch die Liebenden Allem aufboten, um
außer dem Kramladen ſich zu ſprechen und an ge—
heimen Orten zu beſtellen, ſo war es ihnen bis zu
dieſem Tage nicht gelungen, denn des Vaters Augen
wachten zu ſcharf über dem Töchterlein, und wenn
Elsbeth ausging, begleitete ſie immer des Vaters
Schweſter, da ihre Mutter längſt geſtorben. So traf
Ludwig ſeine Herzgeliebte außer dem Kramladen nur
bei ihren Gängen in und aus der Kirche, und nur
einmal hatten die Liebenden das Glück, ſich ganz ohne
Zeugen zu ſehen. Der Thurmwärter auf dem Münſter
war ein naher Verwandter zu Elsbeth und hatte ein
Töchterlein von ziemlich gleichem Alter. Dieſe zu
beſuchen verabredeten Beide zuſammen, denn die alte
Baſe und Anzertrennliche Gefährtin Elsbeths war
hier nicht zu befürchten, weil ihr Alter es nicht zu—
ließ, die vielen hundert Treppen zu beſteigen.
454
An einem Mittag ſtund Ludwig ſchon einige fünfzig
Treppen in der Höhe der engen Wendeltreppe, die in
einem luftigen Thürmchen an der Außenſeite des
Münſters auf den Thurm führt, und ſpähte zu den
offenen Fenſtern hinunter auf den Münſterplatz, um
Elsbeth zu erwarten. Sie kam, begleitet von ihrer
alten Baſe, welche ſich unten von ihr trennte, und
klopfenden Herzens hüpfte das Mägdlein die Treppen
hinauf, wo Ludwig ihrer harrte. Nicht minder ſchlug
dem Junkherrn die Bruſt, als er endlich einmal ohne
läſtige Zeugen das ſchönſte Mägdlein der Stadt um—
faſſen und ſie an ſein Herz drücken konnte.
Elsbeth vermochte nicht zu widerſtehen, aber ſie
trieb den Junkherrn an, weiter zu ſteigen und ſie
hinauf zu geleiten. Doch die günſtige Gelegenheit
benügend, hielt dieſer alle fünfzig Treppen wieder an
und überhäufte das Mägdlein mit Liebkoſungen, und
ſcherzte über die Menſchen drunten, welche wie dunkle
Ameiſen über den Münſterplatz liefen, daß er nun
einmal vor ihren Augen in der luftigen Wendeltreppe
ein ſo ſeliges Glück genieße, ohne daß ſie es nur
merkten oder ſelbſt ahnten, wie da oben zwei Lieben—
de dem Himmel näher, ja bis zum Himmel verzückt
jeyen. Endlich entließ Ludwig feine liebliche Beute,
verweilte, indeß ſie aus der Wendeltreppe heraus auf
den Umgang des Thurmes trat, noch eine Viertel⸗
ſtunde darin, und folgte dann auch, als wär er allein
heraufgeſtiegen. Bald entdeckte er Elsbeth in einem
455
Eckthürmlein mit ihrer Freundin und höflich grüßte
er ſie, um ein Geſpräch anzuknüpfen. So gelang es
ihm, den ganzen Nachmittag um ſie zu verweilen,
und da des Thurmwärters Tochter oft in ihre Woh—
nung ging, um Elsbeth mit Gebäck und Kuchen zu
bewirthen, jo konnten die Liebenden ganze Viertel-
ſtunden allein auf dem Kranz herumſpazieren und ihr
Herz ausſchütten. So prächtig auch die Ausſicht war
vom hohen Münſter ringsum ins Land, ſo herrlich
heute an dem heitern Mittag die Alpen herabſchim—
merten aus dem Tyroler- und Schweizerland, ſo hatte
das verliebte Pärlein doch kaum einige Blicke für
dieſe Schönheiten, und ihre Augen hingen gegenſeitig
an einander, ſo oft des Thurmwächters Margaretha
ihnen den Rücken wandte.
Das war aber auch eine Seligkeit für das Herz
eines liebeheißen Mägdleins, zum erſtenmale ohne
Furcht vor hinderlichen Zeugen und weit von den
Augen ihres Vaters und ihrer ſtrengen Baſe, hoch
droben unter freiem Himmel und erhoben, wie es ihr
dünkte, über der ganzen Welt, mit einem Manne faſt
ganz allein zu ſeyn, der ihre ganze Seele füllte und
deſſen hoher Stand ihrer Eigenliebe ſchmeichelte. Sie
vergaß alles, was ſie hätte mit Bedenken erfüllen
ſollen, daß fie ſich den Küffen des Junkherrs ohne
Widerſtand hingegeben, daß eine große Kluft beſtehe
zwiſchen ihrer Herkunft und feinem Stande, ſie ver:
456
gaß, einen Blick in die Zukunft zu werfen und ſich
zu fragen, wo will das hinaus und wie wird alles
weiter kommen? Sie lebte nur für den Augenblick
in einem ſüßen, glänzenden und berauſchenden Traume,
und gedachte nicht, daß derſelbe ein Ende nehmen könne.
Anders war es bei dem Junker. Trotz ſeiner heißen
Leidenſchaft zu Elsbeth, war er ſich wohl bewußt,
daß mit der Zeit, und wenn er einmal einen Haus—
ſtand gründen würde, Elsbeth es nicht ſeyn könne,
welche er dazu wählen könne. Aber was „ ſollte, er
auf Jahre hinaus ſchon Pläne machen, er wollte nur
genießen, was die Gegenwart ihm gebracht, ohne zu
fragen, was die Zukunft bringen und wie ſich alles
ferner umgeſtalten könnte. Auch, für ihn war da—
rum dieſe unverhoffte Gelegenheit, einen Nachmittag
mit dem liebreizenden Mägdlein auf dem Münſter—
thurme zu verweilen, ein Tag ſüßen Glückes. Er
hatte den erſten Honigſeim von Elsbeths duftigen
Lippen genoſſen. Als die Sonne tiefer und tiefer ſich
ſenkte, nahm Ludwig Abſchied und liſpelte Elsbeth
ins Ohr, daß ſie bald nachkommen möge, da er auf
der Wendeltreppe ihrer harren werde. So fanden die
Liebenden noch einmal ein ſeliges Viertelſtündlein, um
ſich ihre Liebe gegenſeitig zu verſichern; von dieſem
Tage an war das Band um ſo feſter geknüpft.
Ein Vierteljährlein ſpäter nun ſchnallte der Junk—
herr die Rüſtung um und beſtieg ſein Roß, um in
457
den Krieg gegen den Grafen von Wirtemberg zu
ziehen. Schon Tags zuvor hatte er Abſchied genom—
men, aber er hatte Elsbeth verſprechen müſſen, des
andern Tages noch einmal vorüber zu kommen, denn
wenn Liebende ſcheiden, iſt es ihnen unmöglich, ſich
zu trennen, ohne zuvor noch zwei und dreimal den
Abſchied zu wiederholen. Seit einer Stunde drum
ſchon harrte die betrübte Elsbeth auf ihren Ludwig.
Die ganze Nacht hatte ſie ſchlaflos zugebracht über
den Schmerzen der Trennung, und die Farbe ihrer
Wangen war gewichen unter den heißen Thränen—
güſſen, die ihren Augen entſtrömten.
Jetzt erſchien Ludwig — ja er war's, der von der
Hafengaſſe herauf in ſtarkem Schritte einbog, feſt das
muthige Roß zügelnd. Ein ſchwarz und weißer Feder—
buſch wallte vom hohen Helm, und eine blanke Rüftung,
darauf ein goldener Doppeladler, deckte ſeine Bruſt,
während Oberſchenkel und Schienbeine mit künſtlich
gearbeiteten Schienen umſchloſſen waren. Die Lanze
in der Rechten ſaß der Junker ſtattlich und feſt, als
wäre Roß und Mann aus einem Guß, auf ſeinem
apfelgrauen Schimmel, den eine reichgeſtickte Sattel—
decke und ein wallender Federbuſch zwiſchen den Ohren
ſchmückte. So nahte der Ritter dem Kramladen, aber
in ſelbigem Augenblick kam auch der Vater Elsbeths
und ſo blieb Ludwig nichts übrig, als einen raſchen
zärtlichen Blick auf Elsbeth zu werfen und ihrem
458
Vater zuzurufen: glückſeligen Morgen, Meiſter Süß
und ehrſame Jungfrau Elsbeth! Möge Euch Gott
geſund erhalten, bis ich wieder in Eurem Laden kann
einſprechen, um einen feinen Schmuck auszuwählen!
Gott behüte Euch — antwortete Meiſter Süß — und
nehme Euch in ſeine Obhut mit allen ſeinen Heiligen
und gebe der gemeinen Sache der Stadt Glück und
Heil gegen ſeinen Widerſacher, den Wirtemberger
Grafen — kehret glücklich und geſund zurück! Und
Elsbeth, die Thränen kaum zurückhaltend, ſprach
halblaut: Lebet wohl, hochedler Junkherr! Gott ſey
mit Euch! Sie wankte auf ihren Stuhl nieder und
das Herz wollte ihr zerſpringen. Noch ein Blick und
Ludwig war vorüber und bog raſch auf den Juden—
hof hinein, um durch die Frauenſtraße nach dem
Zeughauſe zu reiten und dort zu den Seinigen ſich
anzureihen. Ein Glück war es, daß der Goldſchmied
ſich an ſeine Nachbarn wandte, um mit ihnen über
den Abzug des Kriegsvolkes zu ſprechen, ſonſt hätte
er ſehen müſſen, wie Elsbeth halbohnmächtig ſich in
eine Ecke lehnte und es langer Zeit brauchte, bis ſie
wieder ſich aufraffte und die Spuren ihrer Thränen
verwiſchte.
Eine Stunde ſpäter zog das verbündete Ulmer und
Augsburger Heer unter fliegenden Bannern mit Fuß:
volk, Reiſigen und Wagen zum Frauenthor hinaus
und wandte ſich links in das Blauthal. Ueber die
459
Alb hinüber und hinunter nach Reutlingen ging der
Zug, während die Nürnberger ihren Weg nach Gmünd
und Eßlingen nahmen und mit dieſen Städten zu—
ſammenſtießen. Noch nie hatten die Städter eine ſo
große Macht vereinigt, wie in dieſem Kriege, und ſie
ſchlugen nach einigen Tagen ihr Lager nahe bei der
Reichsſtadt Weil der Stadt, neben dem Dörflein
Döffingen auf. Hatten fie ſchon auf dem Zuge in
allen wirtembergiſchen Dörfern übel gehaust und Alles
verheert, ſo ſollte auch Döffingen das harte Kriegs—
geſchick treffen. Deßwegen war von allen Seiten das
Landvolk zuſammengeflohen mit Weib und Kindern,
mit Vieh und Geräthſchaften in den hoch ummauerten
geräumigen Kirchhof von Döffingen, und was mann—
haft war, hatte die Waffen ergriffen, um hier ihres
Lebens und Guts ſich zu wehren. Aber wie lange
war das möglich, wenn der Graf nicht ſchnell ſeinen
Unterthanen zu Hülfe kam? Deßhalb ſchloßen die
Städter, frohen Muthes und voll Sicherheit, den
Kirchhof mit Allem, was ſich darauf befand, nach
kurzem Kampf zu nehmen, einen engen Kreis um das
Dörflein und pflanzten ihr Belagerungsgeräthe auf,
die Belagerten damit zu ängſtigen. Brandpfeile und
ein Steinhagel wurde hinein geſchleudert und zum
Sturm alles vorbereitet. Indeſſen hatte der Graf
Eberhard auch nicht geſäumt, ſeine Feinde mannhaft
zu empfangen, und mit vielen Fürſten, Grafen und
Edlen einen Bund geſchloſſen, alſo daß er 7000
460
Mann zuſammenbrachte. Mit dieſen rückte er am
zweiten Tage heran.
Es war an einem Sonntag frühe in der Erntezeit,
da hatte Ludwig die Reihe getroffen, mit einigen
Reiſigen auf den Vorwachen unweit Döffingen zu ſte—
hen, um zu ſpähen, ob ſich kein Wirtemberger Kriegs-
volk nahe. Da auf einmal blitzt es von Waffen und
Rüſtungen im hellen Sonnenſchein ein enges Thal
herauf. Es waren die Fähnlein des Wirtemberger
Grafen. Immer dichter und dichter füllen ſie das
Thal, und als Ludwig gewahrt hatte, daß ein mäch—
tiges Heer im Anzug, jagte er mit der Botſchaft ins
Lager und verkündete dem Ulmer Feldhauptmann, dem
Bürgermeiſter Conrad Beſſerer, was er geſehen.
In ſchnellſter Eile wurde Kriegsrath gehalten und
die ſtädtiſchen Banner ordneten ſich in Schlachtreihen,
um die Feinde zu empfangen. Die vielen Hecken,
Gräben und Hohlwege hinderten die Reiſigen, am
Kampf Theil zu nehmen, und ſie ſtiegen darum von
den Roſſen und ſchloßen ſich in dichtgereihte Haufen,
um mit der Lanze zu fechten.
Indeſſen war das Fürſtenheer unter Trommelſchall
und Trompetenklang angerückt. An ihrer Spitze ritt
Graf Ulrich, der Sohn Eberhards des Rauſchebarts.
Hoch aufgeſchwollen glühte ſeine Zornesader auf der
Stirne und feine Augen ſchoßen Blitze, denn heute
gedachte er die Schmach auszulöſchen, die er bei Reut—
461
lingen erlitten von den Bürgern vor 11 Jahren.
Als er das ſtädtiſche Heer vor ſich ſah, rief er zu
ſeinem hinter ihm reitenden greiſen Vater: Gottlob!
der Tag iſt gekommen, daß ich meine alte Schuld
abzahle. Hab ich dürfen ſeit jenem Tag nicht mehr
ſpeiſen mit dir auf einem Tafeltuch, ſo mag ich doch
heute kämpfen neben dir auf einem blutigen Felde.
Wohlan! rief er dann ſeinen Reiſigen zu, laßt uns
von den Roſſen ſteigen und mit gleichen Waffen
ſtreiten, wie drüben die Reiſigen der Städte, denn
wir wollen um nichts im Vortheil ſeyn gegen den
Feind! Denkt an den Tag bei Reutlingen und nun
drauf und dran!
Alſo ſtiegen ſeine Reiſigen ab und ſchloßen ſich in
dichte ſchmale Glieder, und drauf und dran gings auf
den Feind. Bald waren ſie auf die eiſernen Mauern
und den Lanzenwald der Städter angeprallt und ein
entſetzlich heißer Kampf begann. Wie ſehr auch Ulrichs
Leute gleich Löwen drauf losſtürmten, die Lanzen feſt
mit dem Eiſenhandſchuh geführt, ſo hielten die Städter
und ihre Reiſigen, darunter ſo manche tapfere Ritter,
doch unerſchütterlichen Widerſtand. Wohl eine halbe
Stunde wogte der Kampf hin und her. Auf beiden
Seiten focht Jeder nach Leibeskräften. Jetzt wechſel—
ten die Städter auf Befehl ihres Feldhauptmanns
Beſſerer ſchnell ihre vorderen Glieder und ſchoben die
hinteren Reihen, die noch nicht ermüdet waren, gegen
462
Ulrich. Der Junkherr von Schirmer war unter dieſen.
Mit Ungeſtümm und ungebrochener Kraft drückte er
auf den Feind. Noch einige Minuten und ſie weichen.
Da ſtellt ſich Graf Ulrich wie ein angeſchoſſener Eber
den Städtern entgegen und ſuchte ſeine Leute wieder
zum Stehen zu bringen. Aber nicht minder von
Kampfwuth hingeriſſen, ſtürzt ſich Ludwig auf ihn
und führt einen gewaltigen Stoß mit der Lanze nach
ihm. Ulrich taumelte, aber wehrte den Stoß mit
ſeiner Waffe ab. Doch ein zweiter Stoß traf ſchlimmer
und verwundete ihn, durch den Halsberg dringend,
tief und ſchwer. Schon wollte Ludwig ihm den
Todesſtoß verſetzen, da erhielt er ſelbſt einen Schlag
mit einer Hellebarde über den Helm, der dieſen zer—
ſchmetterte und ihm eine tiefe Kopfwunde beibrachte.
Während er zu Boden ſank, trugen Ulrichs Begleiter
den Grafen vom Kampfplatz auf eine nahe Wieſe,
ſetzten ihn da auf einen Weidenſtumpen, lüfteten den
Harniſch und wuſchen ſeine Wunde aus, aber der
tapfere Ritter verſchied unter ihren Händen.
Dieſer zurückgeſchlagene Angriff koſtete noch einigen
Grafen und Rittern das Leben, und das Siegesge—
ſchrei der Städter erfüllte das ganze Heer des Wir—
tembergers mit Bangen. Alles ſtockte, kein Häuflein
wollte mehr vorwärts und glaubte, es ſey ſchon Alles
verloren, da der Kern der Ritterſchaft ſo hart ge—
troffen.
463
Als der alte Graf dieſes gewahrte, da flog er wie
ein Wetter unter die Fähnlein und reiſigen Geſchwader,
ſein langer weißer Bart rauſchte durch die Luft und
fein Schwerdt blitzte hell im Sonnenſchein. Vor—
wärts! rief er — was ſtutzt Ihr bei der Leiche des
jungen Grafen! Mein Sohn iſt wie ein anderer
Mann! Wohlan! ſteht tapfer! Halloh! ſehet dort,
die Feinde fliehen!
Jetzt ſtürmten ſeine Schaaren wieder friſchen Muths
darauf los und bei dem Rufe: ſehet die Feinde
fliehen! ſtutzten nun die Städter. Sie ſahen ſich um,
und da ein Haufe von Troßknechten bei der Wagen—
burg ihren Roſſen die Stränge abſchnitten und ſich
ängſtlich in das Dorf flüchteten, ſo glaubten ſie in
der That, daß ein Theil ihrer Leute bereits geſchlagen
ſeye. Auf dieſes wandten die Nürnberger zuerſt den
Rücken und liefen aus der Schlachtordnung, ein Haufe
immer den andern mit ſich fortreißend. In derſelben
Zeit aber, als dieſe die Flucht ergriffen, eilte ein
ſtarker Reiterhaufen des gräflichen Heeres aus dem
Walde, der ſich um eine Stunde verſpätet hatte.
Als er die feindlichen Banner in Unordnung gewahrte,
jagte er ſogleich unter hellem Geſchrei unter die
Flüchtigen, und begann ſie niederzuſtoßen und zuſam⸗
menzureiten. Mit doppelter Hitze und Freudigkeit
ſtürmten nun des alten Grafen Kriegsleute. Aber
wie an einen feſten Felſen ſchlugen ihre eiſernen
464
Wogen an das Stadtbanner von Ulm, unter ſeinem
Hauptmann Beſſerer. Dieſer tapfere Haufe wich
nicht, während Alles nach und nach aus der Schlacht
floh. Leichen auf Leichen thürmten ſich — Ulms
Banner wehte ſtets noch hoch in der Luft. Glied
und Reihen werden niedergeſtoßen und das Häuflein
ſchmilzt zuſammen — immer noch flattert das Banner.
Endlich ſinkt auch dieſes und bedeckt als Leichentuch
der Ehre ſeinen todeswunden Träger, Conrad von
Beſſerer. Die Schlacht iſt gewonnen, und in der
ſchwülen Sommernacht ruhen gegen 1000 Städter
als Leichen um den Kirchhof, den fie am frühen Mor:
gen noch zu erobern gedachten. Viele hundert ſind
gefangen.
Unter einem Haufen von Leichen erwachte auch zur
Mitternachtsſtunde Ludwig aus ſeiner Ohnmacht und
Betäubung. Kaum wußte er, wo er war, ſo ſchwach
war er durch den Blutverluſt geworden. Weit umher
brannten Lagerfeuer, ſchallte das Getöſe von zechen—
den Kriegsleuten, das Stampfen und Wiehern der
Roſſe, und in der Nähe das Röcheln und Aechzen
von Schwerverwundeten und Sterbenden. Endlich
ſuchte er, ſich zu erheben, um Hülfe zu gewinnen und
an ein nahes Bächlein ſich zu ſchleppen, um ſeinen
glühenden und brennenden Durſt zu löſchen. Aber
quer über ihm lag in ſchwerer Rüſtung ein Reiſiger,
der kein Lebenzeichen mehr von ſich gab. Als er mit
465
ſchwerer Mühe ihn von fich abgewälzt und der Mond
deſſen Geſicht beſtrahlte, erkannte er in ihm ſeinen
Zechgenoſſen von Ulm, den Augsburger Reiſigen.
Ein Streitkolben hatte ihm die Bruſt eingeſchlagen.
Mit großer Mühe ſchleppte er ſich an das Bächlein,
wo ein feindlicher Ritter, der über das blutige Schlacht—
feld ritt, ihn bemerkte und ſich ſeiner erbarmte. Er
kam in ritterliche Haft und Pflege nach Stuttgart,
aber ſeine Verwundung war ſo bedeutend, daß er bis
zum Herbſte dort auf dem Schmerzenslager verweilen
mußte, bis er nach einem beträchtlichen Löſegeld immer
noch ſchwer krank ſich konnte nach Ulm bringen laſſen.
Hier überfiel ihn eine neue heftige Krankheit, von der
Ludwig erſt im Frühjahr genas.
Vieles hatte ſich indeſſen in Ulm geändert. Schon
im Herbſte war dem Goldſchmied ſein Kramladen
durch räuberiſches Geſindel über Nacht erbrochen und
Alles daraus geſtohlen worden. Der Schrecken hie—
rüber war ſo heftig, daß den Goldſchmied der Schlag
traf und er jählings ſtarb. Da nur ein kleines Ver—
mögen von ihm zurückgelaſſen worden, ſo beſchloß
der Pfleger Elsbeths und ihre alte Baſe, daß ſie den
Schleier nehmen und in das Kloſter gehen ſollte.
Wie ſehr auch Elsbeth Anfangs wenig Luſt zeigte,
ſo wurde ſie doch williger, als ſie den Junkherrn todt
glaubte, und, in den erſten Wochen des größten Schmer⸗
zens ihr das Leben und die Stadt ganz zuwider ge—
II. 30
466
worden war. Mit großer Andacht und in Thränen
zerfließend hatte ſie der Todtenmeſſe angewohnt, welche
man im Münſter für den Stadthauptmann Bürger⸗
meiſter Conrad von Beſſerer nebſt allen mit ihm bei
Döffingen gefallenen ulmiſchen Streitern gehalten hatte.
Was ſie erfahren konnte, war nichts weiter, als daß
der Junkherr im Zweikampf mit dem Grafen Ulrich
gefallen, und man ſpäter nie etwas von ihm weiter
gehört habe.
So war ihr alſo die Welt ein Trauerhaus gewor—
den, ſeitdem ſie den Geliebten und ihren Vater ver—
loren, und ſie eilte zuletzt ſelbſt, bald in ein Kloſter
aufgenommen zu werden. Ob derer nun zwar mehrere
in Ulm waren, ſo zog ſie es doch vor, ein anderes
Kloſter zu ihrem Eintritt zu wählen, zumal ihr Ver—
mögen auch ziemlich gering, und die Kloſterfrauen in
Ulm eine ſchöne Mitgift mitzubringen hatten.
Die Baſe ſchlug ihr dazu das Frauenkloſter Söf—
lingen vor. Ehe ſie aber Ulm verließ, beſuchte ſie
noch einmal ihre Freundin und Verwandtin Margarethe
auf dem Münſterthurme. Ach wie anders war es ihr
dießmal zu Muthe! Nicht mehr harrte ihrer der ſchmucke
Junkherr auf der Wendeltreppe, um ſie feurig ans
Herz zu drücken — nicht mehr wandelte er mit ihr
auf dem Kranz umher, und ſcherzte mit ihr, daß ſie
vor aller Welt hier oben doch fo ungeftört ſich ver—
gnügen könnten. O wie ſchnell ſchwindet das Glück!
467
Statt in der luftigen Höhe ſuchte ihr Blick den Ge—
liebten nur in der Gruft verſcharrt draußen auf dem
Schlachtfeld und längſt modernd. Sie ſelbſt ſollte
mit den nächſten Tagen die Welt verlaſſen und für
immer ſich in enge Mauern einſchließen.
Nach wenigen Tagen öffneten ſich die Pforten des
Kloſters zu Söflingen, und Elsbeth nahm das Nonnen—
gewand. Anfangs zog ein tiefer Ernſt in ihr Innerſtes
ein, und ſie weihte ſich mit ganzer Hingebung dem
Gebet und dem Dienſte Gottes nach Vorſchrift des
Kloſters. Sie ſuchte das Bild des Junkherrs und
ihre Schmerzen um ihn durch eifriges Gebet zu ver—
drängen. Aber das dauerte nicht allzulange, da ward
ſie von den andern Nonnen beſpöttelt über ihre allzu:
ſtrenge Frömmigkeit und für thöricht geſcholten, allen
Freuden zu entſagen. Die Aebtiſſin war nemlich eine
ſchwache Frau und überſah ihren Untergebenen faſt
Alles, und wenn ſie je ſtrenger verfahren wollte, dann
wurde ſie von den lebensluſtigen und leichtſinnigen
unter den Nonnen mehr geärgert und hinters Licht
geführt, daß ſie gerne wieder die Augen zudrückte.
Längſt war das heilige, ſtille Leben aus den meiſten
Klöftern entflohen und ein fündliches Leben hatte in
vielen auf eine recht ärgerliche Weiſe eingeriſſen. Da
war ein Frauenkloſter auf der Alb in Offenhauſen,
von da war eine Nonne als Lehrerin in der Kunſt,
Heiligenbilder auszuſchnitzeln, nach Söflingen gekommen.
468
Die konnte nicht Wunders genug erzählen, wie es in Offen»
hauſen zuging. Die Junker gingen da mit ihren luſti⸗
gen Geſellen aus und ein, und tranken und tanzten
und buhlten nach Herzensluſt. Als der Biſchof von
Augsburg fromme Nonnen dahin ſandte, um wieder
ſtrenge Ordnung einzuführen, wurden dieſe von den
liederlichen Bewohnerinnen des Kloſters ſo geplagt und
mißhandelt, daß ſie ſich flüchten mußten. Als wieder
andere geſchickt wurden, machten ſie es dieſen gleicher
maßen. Kein Wunder, wenn in Söflingen auch die
Nonnen ſich es ſo wohl ſeyn ließen, als ſie nur
immer konnten. Sie tanzten mit einander, ſangen
luſtige Lieder, ſchrieben Liebesbriefe und beſtellten ihre
Buhlen an die Gartenmauer. Bald nahm auch Els—
beth an den Luſtbarkeiten ihrer Schweſtern Theil. Unter
dieſen wurde Beate, eine ausgelaſſene Nonne, zuweilen
von einem Doktor der Rechtsgelehrſamkeit aus Ulm an
der Gartenmauer beſucht, wobei die Schweſtern einander
Hülfe leiſteten und Wache hielten, ob die Aebtiſſin nicht
herzu käme. Einſt bat nun Beate ihre Freundin Els—
beth, mit ihr an einem ſchönen Märzabend in den
Garten zu gehen, da dort ein feines Herrlein aus Ulm
mit ihr Stelldichein feiern wolle. Elsbeth ſetzte ſich
alſo mit Beate in ein Erkerthürmchen der 9
mauer, um das Herrlein zu erwarten.
Während ſie ſo da ſaßen und Elsbeth mit ſchwerem
Herzen von ihrer Liebe zu dem im Krieg gefallenen
Junkherr Schirmer erzählte, klatſchte es auf einmal
469
hinter ihnen, und als die Nonnen ſich umſahen, ſtieß
Elsbeth einen lauten Schrei aus und ſtürzte zu Boden.
Voller Schrecken ſuchte Schweſter Beate ſie aufzurichten,
und als ſie die Augen aufſchlug und die Sprache zu—
rückkehrte, ſtammelte ſie: Ludwig! Ludwig! und ſtarrte
geiſterhaft über die Gartenmauer hinab auf den Fußpfad,
auf welchem kaum noch zwanzig Schritte entfernt zwei
junge Männer daher ſchleuderten. Im nächſten Augen—
blick rief auch der Eine von dieſen: Elsbeth! biſt du
es, Elsbeth, in dieſem Nonnengewande?
Es war der Junkherr Schirmer, den heute ſein
Freund, der Rechtsgelehrte, beredet hatte, mit ihm nach
Söflingen zu wandeln und ihn zu einer minniglichen
Unterhaltung zu begleiten zu der luſtigen und ſchmach—
tenden Beate.
Immer noch zitterte Elsbeth, und nur die Worte:
Ludwig! Ludwig! klangen dumpf von ihren Lippen,
bis derſelbe ihr die Hand heraufreichte und fie tröſtend
verſicherte: ich bin dein Ludwig — ja ich bin es,
theure Elsbeth!
Alſo nicht auf dem Schlachtfeld haſt du den Tod
gefunden mit den 600 vom Ulmer Banner? fragte
haſtig und zitternd die Nonne — ach! was hab ich
um dich gelitten, ſeit jener gräßlichen Kunde, was
geweint und gebetet für dich, und wie gerne nahm ich
den Kloſterſchleier, weil die Welt mir ein Grab geworden.
Herzenskind! rief der Junkherr und küßte ihre Hand,
470
die bald kalt wie Eis, bald wie Feuer fprühte — es
iſt mein zweiter Gang ins Freie, ſeit ich von einer
langwierigen Krankheit aufgeſtiegen — welch ein Glück,
daß dieſer Gang mich dich wieder finden ließ. Und
nun erzählte er ihr, wie Alles ſich zugetragen, am
Schluſſe aber blickte er ihr ſehnſüchtig ins Auge und
ſprach: O Elsbeth! ich habe dich wieder gefunden,
aber ach! als Nonne. Schlimmer iſt unſer Loos ge—
worden, denn du biſt nicht mehr frei — frei, wie
damals, als wir dort oben, ſiehſt du, dort auf des
Münſters Kranze die Seligkeit der Liebe genoſſen.
Seid zufrieden, fiel ihm die Nonne Beate in die
Rede, daß Ihr Euch wieder gefunden. Der Kloſter⸗
ſchleier iſt nicht ſo dicht, daß man nicht das Feuer
der Liebe durch ihn ſprühen fühlen könnte. — Die
Aebtiſſin kommt! rief in dieſem Augenblick Elsbeth,
die ſich gegen die Gartenſeite gewandt hatte — fort,
Ludwig! — auf Wiederfehen! Auch Beate winkte ihrem
Buhlen, und raſch eilten die Männer hinter ein nahes
Gebüſch, während die Nonnen der Aebtiſſin entgegen
gingen und dieſe mit ernſter Miene begrüßten.
Von dieſer Stunde an kebte und fühlte Elsbeth nur
wieder für den fchmucken Junkherr, das Paternoſter
und der Roſenkranz ward von ihr nur gedankenlos
gebetet, und wenn fte im Chorſtuhl in den Geſang
der Nonnen einſtimmte, hatte ſie nur ſein Bild vor
Augen. So ward ſchnell der von ihr vor Gott ge—
471
ſchworne Bund zur Lüge, und der irdiſche Bräutigam
flammte höher in ihrer Bruſt, als der himmliſche.
Beſuche folgten auf Beſuche, und durch Boten wurden
häufige Liebesbriefe gewechſelt. Bald wurde auch der
Junkherr kecker und mit den Räumen des Kloſters
vertrauter, ſo daß er in dunkeln Nächten über die
Gartenmauer ſtieg und im Gebüſch verſteckt lauerte,
bis Elsbeth ihm durch ein Licht in ihrer Zelle das Zei—
chen gab, daß es nun ſicher ſei. Eine Strickleiter von
ihr herabgelaſſen brachte ihn ſchnell zwei Stockwerke
hoch hinauf an ihr offenes Fenſter, und von da in
ihre Arme. — So hatte er fie einige Monden lang
beſucht, als ſie eines Abends ihm in die Arme ſank
und bebenden Herzens ihm ein ſchreckliches Geheimniß
anvertraute. Ach! klagte ſie — hätte ich doch nie
den heiligen Kloſterſchwur gebrochen — jetzt folgt den
Roſenwochen nur Reue und Schmerz! Wie ſchrecklich
für mich, und welche Buße und Strafe harret mein,
wenn ich der Aebtiſſin reuig muß Rede ſtehen. O,
hätte ich mich nie einem Manne anvertraut — o Lud⸗
wig, Herzensludwig, was ſoll ich beginnen — hilf,
hilf mir!
Mit Schwüren aber tröſtete ſie der Junkherr: ſei
nicht fo ängſtlich, mein Täubchen! — Ich will Rath
ſchaffen. Vertraue mir nur, ich bringe dich ſicher
von hier hinweg, hinauf nach Balzheim an der Iller;
dort wohnt eine Baſe von mir aus dem Geſchlecht
472
der Baldinger, die war mir von jeher gewogen und
wird weiter für uns ſorgen.
So ward denn beſchloſſen, daß der Junkherr die
Nonne Elsbeth in der erſten günſtigen Nacht 10 den
Kloſtermauern entführen ſollte.
Schon in der nächſten Woche trat Neumond ein
und es waren dunkle Nächte zu hoffen. So erſchien
Ludwig denn in einer derſelben an der Gartenmauer
mit einem Knechte und zwei ſtarken Roſſen. Eine
ſtarke Leiter ward in den Garten geſchafft und an die
Mauern des Kloſters angelegt. Aus dem Blauthal
hervor zog ein Wetter heran, deſſen Sturm dem Vor—
haben günſtig zu werden ſchien. Schon jagte des
Sturmes Sauſen die Regenfluth herab, ſchon rollte
der Donner mit ſteigender Wuth, da ächzte es vom
Kirchthurm bange Geiſterklage 12 Uhr, und mit dem
letzten Schlage wurde es hell in der Zelle Elsbeths.
Raſch legte Ludwig die Leiter unter dem Fenſter
an, die ſein Begleiter hielt, und ſtieg hinauf. Ho! ho!
Liebchen! rief er halblaut — dein Retter naht —
fort jetzt durch Sturm und Wetter!
Noch war das Fenſter nicht geöffnet, und wieder
rief er: Schnell in meine Arme! Siehe, wie es blitzt,
der Himmel ſelbſt hat Erbarmen mit uns und ſchützt
das Gelingen!
Jetzt ging das Fenſter ae Elsbeth blickte heraus,
aber mit ängſtlichem Blick, der Buſen ſchlug ihr hoch
*
473
und ungeſtüm, und wie eine Marmorſäule blieb ſie
unbeweglich. Nur von ihren Lippen klang es: o Gott!
ein ahnend Zagen erfüllt mich — nein, nein, ich
kanns nicht wagen, Herzensludwig! höre nur des
Donners Stimme, das iſt des Himmels Fluch. Er
zürnt mit feurigem Grimme ſolch ſträflichem Verſuche!
— Ja! ja! der ſtrenge Richter droht laut im Unge—
witter dem Verbrecher Vernichtung, und Vernichtung
der gottvergeſſenen Himmelsbraut!
Ungeduldig entgegnete der Junkherr: ha! Kind! jey
nicht ſo bange, faſſe dich ſchnell, Herzensmaid! o laß
dieſes thörichte Bangen und Zaudern, fträub dich nicht
länger, denn raſch entflieht die günſtige Zeit! Aber
wieder trat die Nonne einen Schritt vom Fenſter zus
rück, dann beugte ſie ſich vor mit abwehrenden Händen
und warnte: Horch! horch! was klirrt da unten? —
fliehe! fliehe! Ludwig! der Laut von Hunden gellt
herüber vom Kloſterthor — ſie wittern verrätheriſch
unſer Beginnen — o ſpute dich und fliehe! Aber
Ludwig griff haſtig nach Elsbeths Hand — um Gottes—
willen! bat er — was ſoll jetzt banger Sinn? —
komm! komm! daß wir auf ſchnellem Roſſe entfliehen!
Während ſo die Nonne mit Furcht und Zagen ringt,
faßte ſie der Junkherr, umklammerte ſie um die Hüfte;
und als ſie in ſeine Arme geſunken widerſtandslos
und betäubt, trug er ſie, den Raub aus heiliger Hürde,
von Sproß zu Sproß hinab, ob auch von Donner:
474
ſchlägen der Boden tobte und dröhnte So eilt er
mit ihr durch Sturm und Nacht der Gartenmauer zu,
während ſein Knecht die Leiter trug. Aber auf ein⸗
mal wankte der Kloſterräuber und ſank faſt in die
Kniee, denn in einer Niſche der Mauer hatte er das
Bildniß Mariens, der Mutter Gottes und heiligen
Jungfrau erblickt. Beim Schein der Blitze ſchauen ihre
Augen ihn dräuend an — ſie zürnen, als ob Leben
den todten Stein beſeele. Noch zwei Schritte vermag
er es, ſeinen Raub vorwärts zu tragen, da ſinkt er
in die Kniee zuſammen, und im nächſten Augenblick
rollt ein furchtbarer Donner zu ſeinen Häupten —
ein Blitzſtrahl blendet ſeine Augen und getroffen vom
rächenden Feuer des Himmels ſinkt das Paar todt zur
Erde nieder. — Noch zeigt man die Stelle, wo die
Strafe des Himmels die fündige Nonne von Söf—
lingen und ihren Buhlen erreichte. Fr. Norden.
ER.
„Hohentwiel „„ 9
Herr Meinhold von Hohentwiel.. 80
Die Heldenjungfrau von Hohentwiel. 84
Die Herrgottskirche bei Creglingen. 104
Die Gründung der Herrgottskirchte 128
Das Machtglöcklein zu Creglingen 133
Nuine Hohengerhauſen im Blauthal . . 135
Der Ludomillen-Stein im Blauthal 141
Die Braut auf Gerhauſen 148
Der gottlofe Bitter von Gerhauſen 158
Burgruine Lichtel im Münſterthal . . 160
Das Lichtlein auf der HBBhe = 164
Das Steinhaus und Schloß zu Buchenbach
an der Jagſt 165
Sage von der Zwölfglochke 170
Wildeneck im Laurathal in Sherfhmaien 178
Sage vom wilden Ritter von Wildenek . . . . 177
Die Sage vom Laurathallk 186
Schloß Kirchberg an der Iller . . 196
Das Fräulein von Kirchberg 2038
Kloſter Murrbardtt . » 2 2 2 2 228
Die Sage von St. Walveih - 2 2 22020. .258
Hohenzollern 2 2
Die Chronikenſage von Graf Agticbrich von 0 310
Der Graf von Zollern und die Wirtembergerin . . 315
Arnegg und Niedegg im Blauthal . . 329
Der Seiſt des Junkers auf Niede ggg. 331
Die Marienkirche zu Reutlingen 334
Der Sturmbock von Reutlingen und die Gründung
der Marienkirchkhte 342
Nuine Beben burg 372
Wolfram von Beben burg 380
Die Belſener Capelle 398
Das verlorene und wiedergefundene Kind. 412
Kloſter Wiblingen mH 07
Die Wunderproceffion zu Wiblingen ib. . 23
Ruine Blankenhorn im Zabergau . . 429
Ritter Wolf von Blankenhorn 433
Kloſter Söflingen bei uli 438
Die Nonne von Söflingen 445
Durch Eduard gifchhaber in Stuttgart kann be:
zogen werden:
Das duch
der
Kai iſerſagen, e und Klofer-
. mährchen.
Dem deutſchen Volke gewidmet
von
Karl von Falkenſtein.
Preis 1 Thlr. oder 1 fl. 48 kr.
Inhalt:
Karl der Große. Kaiſer Friedrich der Zweite. Kaiſer
Otto der Dritte. Kaiſer Barbaroſſa's Burg. Burg Baden.
Burg Falkenſtein. Burgen Nothweiler und Barbelſtein.
Schloß Arensperg oder Arnsberg. Lauff oder Lauffen.
Der Ottilienberg. Burg Boſenſtein. Hermann Grimm.
Drache und Jungfrau. Burgfräulein von Windeck. Non⸗
nenkloſter zu Pfalz. Kedrichſtein. Die Steinkirche. Lorlei⸗
Schloß. Kloſter Lichteneck. Rieſe auf Steinsberg. Das
Mümmelchen. Schloß Stauffenberg. Die Schwanenburg.
Der Drachenſtein. Die Burg Eppſtein. Burg Habsburg.
Schloß Iberg. Die Klöſter Gſenn und Pfäfers. Burg
Balm. Die St. Martins- oder Schlacht⸗Kapelle. Burgen
Bichelſee und Haſelberg. Rieſe Gargantua. Die Wilden⸗
burg. Burg Steinach. Die Sanet Lorenzkirche. Schloß
Greyers. Die Jungfrauenhöhle. Burg Balb. Königs-
burg Hornberg. Geilings-Schloß. Die Zwerge des Fich—
telbergs. Luxburg und das rothe Schloß. Der Wolfſtein.
Kaiſerin Kunigunde. Schloß Altenburg. Der Nußhard.
Das Waldſchloß. Die Keſſelburg. Schloß Falkenſtein.
Kloſter Marienburg. Burg Haunſtein. Die Frauenkirche.
Kloſter Brod. Burg Karlſtein. Blonnhofen. Kloſter
Paulinzell. Burg Blankenſtein. Das graue Fräulein.
Horn der Berggeiſter. Horn der Zwerge. Schloß Eifen-
berg. Schloß Henneberg. Das Magdalenenkloſter. Das
Todtenkloſter. König Merwig. Wartburg und Frauen⸗
burg. Georg Beichlingen. Die Berg- oder Holzweibel.
Liebfrauenkirche zu Arnſtadt. Zwergenhöhle bei Arnſtadt.
Heiligenſtadt und Schloß Ludwigſtein. Frau Hollen-Schloß.
Böneburg und Bilſtein. Schloß Bodenſtein. Schloß See-
burg. Burg Lauenrode. Die Aſſeburg. Die Hühnenburg.
Das Kreuzkloſter. Zwerge des Lindenbergs. Heinrich der
Löwe. Kloſter der grauen Mönche. Jagen um Mitter-
nacht. Teufels Hochzeit. Der Dom zu Goslar. Helmſtedt.
Die Goldſchmiede. Seehuſeburg. Die Domburg. Hackel⸗
berg. Das felſenverwandelte Schloß. Burg Kuyffhauſen.
Sanct Blaſius-Nonnenkloſter. Burg Schwarzfeld. Die
Kucksburg. Burg Queſtenburg. Ilſenſtein. Burg Fal⸗
lenſtein. Teufelsburg. Arnſtein. Die Roßtrappe. Burg
Regenſtein. Burg Lichtenftein. Hildesheim. Die Sclof-
zwerge. Die hohle Burg. Der Hühnenberg. Klöſter
Fredelsloh und Heggenbach (Happach). Kaiſer Otto und
der Hirt. Die Lauenburg. Der Waldgeiſt. König Gol—
demar. Ottenſtein. Die Schaumburg. Wichtelmännchen
zu Oldendorf. Die Amelunxburg. Das Dachtelfeld. Das
Haus Ahrens. Dom zu Magdeburg. Der Nirnenſtein.
Der Katzenberg. Die Moritzburg. Die Zwerge zu Hitzacker.
Schloß Windberg und der Burgwartsberg. Der breite
Berg. Die Berge Löbau und Stromberg. Der Forſten⸗
berg. Markgraf Diezmann von Sachſen. Die Bettel-
mannskirche. Mönch Bruno. Die Funkenburg. Die
Hauptkirche zu Rathenau. Die Müggelsberge. Markgraf
von Anhalt. — Rieſenſtein und Steintanz. Wittenberge.
Die Zwergenberge. König Abel. Kloſter am Gollenberg.
Die Burg Kienaſt. Schloß Fallſtein. Die Kloſterbraut.
Burg Kinsberg. Wald- und Berggeiſt Rübezahl. Schloß
Richemberg. Die Zwergfelſen bei Ellbogen. Kaiſer Karl
der Vierte. Barbarakloſter. Der Habichtſtein. Kob. Burg
Frauenkloſter (Przimda). Sanct Georgskloſter. Burg
Troßky. Schloß Neumietel. Endersdorf. Burg Pären—
ſtein (Bärenſtein). Admont und Gottwick. Kaiſer Ferdi⸗
nand der Erſte. Burg Greiffenſtein. Hermannſtein. Schloß
Greifenſtein. Der Teufelsberg. Die Schadenburg. Das
Roththal. Das Weitmoſer Schloß. Rieſe Rabbol.
Wunder - Sagen
und
Geſpenſterbuch.
Enthaltend:
Spuck- und Geiſtergeſchichten l Volks-
mährchen, Legenden und Hiſtorien.
Herausgegeben
von
Peter Schlemihl.
Preis 18 Sgr. oder 1 fl.
; 5 en Public 1b |
Central Library, N Sarg 1
e of |
Reference and Research Services
8 Me“
The Date Due Card in the pocket indi- 5
cates the date on or before which this
7 should be returned to the Library. 7
Please do not remove cards 8 this 00
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